Besonderes Verwaltungsrecht 9783110277623

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Besonderes Verwaltungsrecht
 9783110277623

Table of contents :
Abkürzungsverzeichnis
ERSTES KAPITEL. Kommunalrecht
I. Grundlagen
1. Gesetzliche Grundlagen
2. Zur Geschichte des Kommunalwesens
3. Neue Entwicklungen
II. Die Verfassungsgarantie des Art 28 II GG
1. Rechtssubjektsgarantie
2. Rechtsinstitutionsgarantie
3. Subjektive Rechtsstellungsgarantie
4. Erstreckungsgarantien
5. Gewährleistung der Selbstverwaltung auf europäischer Ebene
Spezialliteratur
III. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden
1. Gewährleistungen im Grundgesetz
2. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen
IV. Kommunale Aufgabensystematik und Staatsaufsicht
1. Aufgaben der Gemeinden
2. Rechtsaufsicht
3. Fachaufsicht
4. Mittel präventiver Aufsicht
5. Aufgabenbestand und Gemeindestatus: kreisangehörige und kreisfreie Gemeinden
Spezialliteratur
V. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht)
1. Der Gemeinderat
2. Der Bürgermeister
3. Besonderheiten kollegialer Leitungsgremien
4. Kommunalverfassungsstreit
Spezialliteratur
VI. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung
1. Kommunalwahlen
2. Ehrenamtliche Tätigkeiten
3. Plebiszitäre Beteiligungsformen
4. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften
Spezialliteratur
VII. Die Rechtsetzung der Gemeinden
1. Gemeindliche Satzungen
2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte
Spezialliteratur
VIII. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner
1. Öffentliche Einrichtungen
2. Einrichtungen mit Anschluss- und Benutzungszwang
Spezialliteratur
IX. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden
1. Begriffe und Abgrenzungen
2. Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit
3. Privatisierung
4. Rechtsformen wirtschafthcher Unternehmen
5. Kommunale Verträge
Spezialliteratur
X. Finanzen und Haushalt
1. Gemeindefinanzsystem
2. Haushaltsrecht
Spezialliteratur
XI. Das Recht der Landkreise (Kreise)
1. Grundgesetzliche Rechtsstellung
2. Aufgaben der Kreise
3. Organe des Kreises
4. Staatliche Verwaltung im Kreis
Spezialliteratur
XII. Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände
1. Gesamtgemeinden
2. Höhere Gemeindeverbände
3. Interkommunale Zusammenarbeit, Zweckverbände
ZWEITES KAPITEL. Polizei- und Ordnungsrecht
I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts
1. Begriff und Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts
2. Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe
3. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Gefahrenabwehr
4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat
5. Internationale und europäische polizeiliche Zusammenarbeit
6. Allgemeine Polizei- und Ordnungsverwaltung
II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht
1. Die Generalklausel
2. Polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit
3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand
4. Standardmaßnahmen
5. Sondergesetzliche Eingriffsbefugnisse
III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht
1. Zuständigkeitsordnung
2. Handlungsformen zur Gefahrenabwehr
IV. Kostenersatz und Entschädigung im Polizei- und Ordnungsrecht
1. Kostenersatzansprüche der Verwaltung
2. Ersatzansprüche des Bürgers
DRITTES KAPITEL. Öffentliches Wirtschaftsrecht
I. Recht und Ordnung der Wirtschaft
1. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht
2. Der wirtschaftliche Prozess und die Wirtschaftspolitik
II. Staat und Wirtschaft
1. Geschichte
2. Nationale und unionale Wirtschaftsverfassung
3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft
4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit
III. Wirtschaftsverwaltung
1. Organisation
2. Ziele, Wirkungsfelder und Werkzeuge
3. Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag
IV. Beihilfenrecht
1. Allgemeines
2. Staatliche Beihilfen
3. Gemeinschaftsbeihilfen
V. Öffentliches Wettbewerbsrecht
1. Unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand
2. Vergaberecht
VI. Gewerberecht
1. Gewerbefreiheit
2. Techniken gewerberechtlicher Regelung
3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse
VIERTES KAPITEL. Baurecht
I. Einführung
1. Aufgaben, Begriff und Gegenstände des Baurechts
2. Die verfassungsrechtliche Vorordnung des Baurechts
II. Raumordnungsrecht
1. Aufgaben, Leitvorstellungen und Prinzipien der Raumordnung
2. Zielsetzung der Raumordnungsplanung und Typen planerischer Aussagen
3. Raumordnungsplanung auf der Ebene des Bundes
4. Raumordnungsplanung auf der Ebene der Länder
5. Sonstige Instrumente der Raumordnung
6. Rechtsschutzfragen des Raumordnungsrechts
III. Städtebaurecht
1. Typen der Bauleitplanung
2. Aufstellung der Bauleitpläne
3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben
4. Instrumente und Maßnahmen zur Verwirklichung und Sicherung der Bauleitplanung
5. Besonderes Städtebaurecht
6. Planschadensrecht
IV. Bauordnungsrecht
1. Funktionen des Bauordnungsrechts
2. Die baurechthche Verantworthchkeit
3. Bauaufsichtsbehörden
4. Zulassung von Vorhaben
5. Bauüberwachung und (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände
V. Rechtsschutzfragen des Städtebau- und Bauordnungsrechts
1. Gerichtlicher Rechtsschutz gegen städtebauliche Pläne
2. Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung
3. Drittschutz (Nachbarschutz)
FÜNFTES KAPITEL. Umweltschutzrecht
I. Grundlagen des Umweltschutzrechts
1. Die Aufgabenstellung des staatlichen Umweltschutzes
2. Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes
3. Der Gesetzesvorbehalt und die Bestimmtheit des Gesetzes auf dem Gebiet des Umweltschutzes
4. Positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates
5. Negative grundrechtliche Schranken des Umweltschutzes
6. Umweltschutz als Staatsziel
7. Gesetzgebungskompetenzen
II. Abgrenzung und Einteilung des Umweltschutzrechts
1. Umweltschutzrecht als Rechtsgebiet
2. Der mediale Umweltschutz
3. Der kausale Umweltschutz
4. Der vitale Umweltschutz
5. Der integrierte Umweltschutz
6. Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltgesetzbuchs
7. Die Europäisierung des Umweltrechts
III. Die Instrumente des staatlichen Umweltschutzes
1. Planungs- und Verteilungsinstrumente
2. Administrative Kontrollinstrumente
3. Administrative Warnungen und Empfehlungen
4. Abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente
5. Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung
6. Kooperationsinstrumente im Verhältnis Staat - Wirtschaft
7. Instrumentarium der öffentlichen Eigenregie
IV. Das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege
1. Allgemeines
2. Landschaftsplanung
3. Eingriffe in Natur und Landschaft
4. Schutzgebiete
5. Artenschutz
V. Bodenschutzrecht
1. Allgemeines
2. Grundsätze und Pflichten des Bodenschutzes
3. Ergänzende Vorschriften für Altlasten
4. Wertausgleich
VI. Wasserrecht
1. Allgemeines
2. Die allgemeine wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung
3. Die Festsetzung von Wasserschutzgebieten
4. Unterhaltung und Ausbau oberirdischer Gewässer
5. Wasser- und Bodenverbände
VII. Immissionsschutzrecht
1. Allgemeines
2. Genehmigungsbedürftige Anlagen
3. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen
4. Der produktbezogene Immissionsschutz
5. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz
6. Der allgemeine handlungsbezogene Immissionsschutz
7. Der gebietsbezogene Immissionsschutz
8. Exkurs: Treibhausgas-Emissionshandel
VIII. Atom- und Strahlenschutzrecht
1. Allgemeines
2. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung
3. Rechtsfragen der nuklearen Entsorgung
4. Atomrechtliche Haftung
IX. Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht
1. Allgemeines
2. Abfallbegriff
3. Grundsätze und Handlungspflichten im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht
4. Produktverantwortung
5. Abfallwirtschaftspläne
6. Abfallentsorgungsanlagen
7. Überwachung
8. Grenzüberschreitende Abfallverbringung
SECHSTES KAPITEL. Das Recht des öffentlichen Dienstes
I. Gegenstand und Begriff
1. Zum systematischen Standort des Rechtsgebiets
2. Öffentlicher und privater Dienst
3. Gesichtspunkte der Abgrenzung
II. Zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Dienstes
1. Zur geschichtlichen Entwicklung
2. Reformfragen
III. Die Rechtsetzungsebenen im Recht des öffentlichen Dienstes und ihre Regelungsfelder
1. Völkerrecht und europäisches Recht
2. Verfassungsrecht
3. Das einschlägige Gesetzesrecht im Überbhck
IV. Das Beamtenrecht
1. Beamtenbegriffe
2. Die Begründung, Veränderung und Beendigung des Beamtenverhältnisses
3. Pflichten und Rechte im Beamtenverhältnis
4. Rechtsbehelfe im Beamtenverhältnis
V. Zum Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst
SIEBENTES KAPITEL. Straßen- und Wegerecht
I. Grundlagen des öffentlichen Straßenrechts
1. Begriffliche Vorklärungen
2. Das Verhältnis von Straßen- und Straßenverkehrsrecht
3. Strukturmerkmale des Gesetzesvollzuges
4. Sachenrechtliche Grundprinzipien des öffentlichen Straßenrechts
II. Planung und Bau öffentlicher Straßen
1. Vorbereitende Stufen der Straßenplanung
2. Die straßenrechtliche Planfeststellung
3. Rechtsschutzfragen
4. Der tatsächliche Bau öffentlicher Straßen
III. Begründung, Veränderung und Beendigung des öffentlichen Sonderstatus
1. Die Widmung
2. Die tatsächliche Indienststellung der Straße
3. Veränderungen des Nutzungsumfangs
4. Straßenrechtliche Statusakte im Dienste der Verkehrsberuhigung
IV. Straßenbaulast und Straßenverkehrssicherungspflicht
1. Die Straßenbaulast
2. Die Straßenverkehrssicherungspflicht
V. Das Regime straßenrechtlicher Nutzungsformen
1. Der Gemeingebrauch
2. Die Sondernutzung
3. Sonderformen der „kommunikativen" Straßennutzung
4. Die Rechtsstellung des Straßenanliegers
VI. Das Nachbarrecht öffentlicher Straßen
1. Die Aufrechterhaltung der Straßenfunktion
2. Der Schutz der Straßennachbarn

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de Gruyter Lehrbuch

Besonderes Verwaltungsrecht Herausgegeben von

Eberhard Schmidt-Aßmann Bearbeitet von

Peter Badura/Peter M. Huber Rüdiger Breuer Thomas von Danwitz Walter Krebs Philip Kunig Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl Friedrich Schoch

13., neu bearbeitete Auflage Mit Jura-Kartei (JK) auf CD-ROM Edition 2005

De Gruyter Recht · Berlin

Das Lehrbuch wurde begründet und von der 1. bis zur 9. Auflage herausgegeben von Ingo von Münch

Zitiervorschlag z. B. Badura /Huber in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 13. Aufl. 2005, 3. Kap, Rn 10

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 3-89949-195-5 (brosch.) ISBN 3-89949-196-3 (geb.) Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2005 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D -10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz, D-06773 Gräfenhainichen Druck und Bindearbeiten: Kösel GmbH & Co., D-87452 Krugzell Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann, 10785 Berlin

Vorwort zur 13. Auflage Die Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts machen Verwaltung und Verwaltungsrecht anschaulich: die Gefahrenabwehr durch Polizeibehörden, Bauleitpläne und Baugenehmigungen, die Überwachung von Handel und Gewerbe, die Regulierung der Netzwirtschaften, der Straßenbau – die rechtlichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Erfüllung all dieser und vieler weiterer Verwaltungsaufgaben müssen klar herausgearbeitet und nach Maßgabe der einschlägigen Fachgesetze dargestellt werden. Das Besondere Verwaltungsrecht ist aber auch ein Recht schnellen Wandels. Hier besonders zeigen sich die großen Herausforderungen, denen sich das gesamte Öffentliche Recht heute gegenübersieht. Es geht darum, die tiefgreifenden Verschiebungen zwischen den Verantwortungsbereichen von Staat und Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft, Marktmechanismen und ordnungsrechtlichen Instrumenten in ihrem juristischen Gehalt zu erfassen und in die grundgesetzlichen und europarechtlichen Vorgaben einzuordnen. Die Aufgabe öffentlich-rechtlicher Systembildung ist schwieriger, sie ist aber auch interessanter und noch notwendiger geworden. Das gilt auch für das Besondere Verwaltungsrecht. Unverändert geblieben ist das seit dem Erscheinen der 1. Auflage 1969 verfolgte Ziel des Buches: Den Studierenden ein gut lesbares, systematisch ausgerichtetes Lehrbuch an die Hand zu geben und darüber hinaus allen mit dem Verwaltungsrecht Befassten – insbesondere Verwaltungsbeamten, Richtern und Rechtsanwälten – ein Werk zur Verfügung zu stellen, das angesichts der Vielschichtigkeit des Rechtsstoffes Orientierung, Präzision und Übersichtlichkeit bietet. Verändert hat sich in der hier vorgelegten neuen Auflage der Kreis der Autoren und der vertretenen Rechtsgebiete: In den Kreis der Autoren eingetreten sind Hans Christian Röhl (als Mitautor des kommunalrechtlichen Kapitels) und Peter Michael Huber (als Mitautor des wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Kapitels). Franz Ruland hat gebeten, ihn aus der Pflicht, das sozialrechtliche Kapitel zu betreuen, zu entlassen. Wir sehen ihn ungern aus unserem Kreis ausscheiden und danken ihm für seine engagierte langjährige Mitwirkung. Herausgeber und Verlag haben sich entschlossen, das Sozialrecht künftig aus dem Kreis der in diesem Buch vertretenen Gebiete herauszunehmen, um den mit jeder Auflage steigenden Expansionsdruck der anderen Gebiete in einem vernünftigen Rahmen für den Umfang des Werkes auffangen zu können. Auch in der vorliegenden 13. Auflage versteht sich das Lehrbuch als Ergänzung des in derselben Lehrbuchreihe von Hans-Uwe Erichsen und Dirk Ehlers herausgegebenen Lehrbuchs „Allgemeines Verwaltungsrecht“. Nach vielen positiven Rückmeldungen fortgeführt wird die Verzahnung mit der Kartei (JK) der Ausbildungszeitschrift „JURA“, die mit der vorigen Auflage begann. Die gesamte Kartei ist auf einer CD-ROM, die sich in einer Klebetasche des hinteren Buchdeckels befindet, beigefügt und kann über Verweise in den Fußnoten der Kapitel dieses Buches erschlossen werden. Damit ist die Möglichkeit gegeben, Referate und Analysen der entsprechend markierten Gerichtsentscheidungen, die als reicher Fundus über die Jahre hin in der Kartei angesammelt worden sind, zum vertieften Studium heranzuziehen. V

Vorwort

Herr Referendar Wolfgang Schenk, Mitarbeiter des Instituts für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht der Universität Heidelberg, hat die Erfüllung der herausgeberischen Aufgaben abermals wesentlich unterstützt, wofür ihm die Autoren besonderen Dank sagen. Für Hinweise und Anregungen sind die Bearbeiter und der Herausgeber dankbar.

Im August 2005

Peter Badura, Rüdiger Breuer, Thomas von Danwitz, Peter Michael Huber, Walter Krebs, Philip Kunig, Hans Christian Röhl, Eberhard Schmidt-Aßmann, Friedrich Schoch

VI

Autoren- und Inhaltsübersicht Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann Professor an der Universität Heidelberg Dr. Hans Christian Röhl Professor an der Universität Konstanz Kommunalrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Dr. Friedrich Schoch Professor an der Universität Freiburg Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Dr. Peter Badura Professor an der Universität München Dr. Peter M. Huber Professor an der Universität München Öffentliches Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Dr. Walter Krebs Professor an der Freien Universität Berlin Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Dr. Rüdiger Breuer Professor an der Universität Bonn Umweltschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 Dr. Philip Kunig Professor an der Freien Universität Berlin Das Recht des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 Dr. Thomas von Danwitz Professor an der Universität zu Köln Straßen- und Wegerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 Sachverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 897

Mit Jura-Kartei (JK) auf CD-ROM. Edition 2005

. . . . . . . . . Innentasche

VII

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIX

ERSTES KAPITEL

Kommunalrecht I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . 2. Zur Geschichte des Kommunalwesens 3. Neue Entwicklungen . . . . . . . . . a) Recht der Europäischen Union . . b) New Public Management . . . . .

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9 9 10 12 12 13

II. Die Verfassungsgarantie des Art 28 II GG . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtssubjektsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsinstitutionsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . b) Allzuständigkeit (Universalität) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kernbereichsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gemeindespezifisches materielles Aufgabenverteilungsprinzip e) So genannte Gemeindehoheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Rechtsstellungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erstreckungsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens . . . . . . . . b) Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewährleistung der Selbstverwaltung auf europäischer Ebene . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 16 18 19 21 21 22 23 23 24 26 27 27 27 28 29

III. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden . . . . . . . . 1. Gewährleistungen im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . a) partielle Finanzgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung . . . . . . bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit 2. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen . . . IV. Kommunale Aufgabensystematik und Staatsaufsicht

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30 30 30 31 32 32 33

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34 IX

Inhaltsverzeichnis

X

1. Aufgaben der Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufgabendualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . bb) Auftragsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgabenmonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) interne Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weisungsaufgaben als Zwischenform . . . . . . . . . . . . c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum 2. Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsichtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . 3. Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wesen und Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen . . . . . . . 4. Mittel präventiver Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweck und Typik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) spezielle Genehmigungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung . . . . . . . . . . . bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium . . . . . . . . . 5. Aufgabenbestand und Gemeindestatus: kreisangehörige und kreisfreie Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Bild der Einheitsgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden . . . . . . . . . . . aa) kreisangehörige Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . bb) kreisfreie Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden . . . . . . . . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 35 35 36 36 36 37 38 39 40 41 41 42 44 44 44 44 45

V. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) 1. Der Gemeinderat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus . . . . . . . . . . . . aa) Rechts- und Pflichtenstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften . . . . . . . . . . b) interne Organisation und Verfahren des Rates . . . . . . . . . aa) Ratsvorsitzender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ratsgeschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ratssitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ratsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgaben des Gemeinderates . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick) . . . . . . . . . 2. Der Bürgermeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz . . . . . . . . . . . . . . . .

48 49 49 50 51 52 52 53 53 54 55 55 56 56 57 57 58 58

46 46 46 46 46 47 47

Inhaltsverzeichnis

bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung . . . . . . cc) übertragene Angelegenheiten . . . . . . . . . . dd) Dringlichkeitsentscheidungen . . . . . . . . . . ee) Verwaltungschef . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Wahrnehmung gemeindlicher Beteiligungsrechte gg) Vertretung der Gemeinde . . . . . . . . . . . . hh) Einspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten kollegialer Leitungsgremien . . . . . . 4. Kommunalverfassungsstreit . . . . . . . . . . . . . . a) Grundfragen und Entwicklung . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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58 58 59 59 59 60 60 61 62 62 63 65

VI. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommunalwahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen . . . . . . . . . . . . . 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Plebiszitäre Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) schlichte Mitwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . b) Mitentscheidungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften . . . . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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65 66 66 67 69 69 69 70 72 73

VII. Die Rechtsetzung der Gemeinden . . . . . 1. Gemeindliche Satzungen . . . . . . . . a) Regelungstypus . . . . . . . . . . . b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . aa) allgemein . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensfehler . . . . . . . . d) Rechtsschutz gegen Satzungen . . . 2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte a) Rechtsverordnungen . . . . . . . . b) inneradministrative Rechtssätze . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . .

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73 74 74 74 76 76 77 78 79 79 80 80

VIII. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner . . 1. Öffentliche Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nutzungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Benutzungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell . . . . bb) Typenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einrichtungen mit Anschluss- und Benutzungszwang

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81 81 82 83 85 85 85 87 XI

Inhaltsverzeichnis

a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtsfragen . . . . . . . . . aa) Anschlusspflichtige . . . . . . . bb) Anbieter gleichartiger Leistungen Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden . 1. Begriffe und Abgrenzungen . . . . . . . . . 2. Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . b) Kommunalrechtliche Schrankentrias . . . c) Konkurrentenschutz . . . . . . . . . . . d) Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen . a) Formenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . aa) öffentlich-rechtliche Formen . . . . . bb) privatrechtliche Formen . . . . . . . . b) Eigenbetrieb, Kommunalunternehmen . . 5. Kommunale Verträge . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung vertraglichen Handelns . . b) Vertragsschlussverfahren . . . . . . . . . c) Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 90 . 90 . 91 . 91 . 92 . 94 . 95 . 96 . 97 . 97 . 97 . 98 . 99 . 99 . 99 . 100 . 101 . 101

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XI. Das Recht der Landkreise (Kreise) . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtssubjektsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsinstitutionsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben der Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung . . . . . . . . b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) übergemeindliche Aufgaben . . . . . . . . . . . . .

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X. Finanzen und Haushalt . . . . . . . . 1. Gemeindefinanzsystem . . . . . . a) Steuereinnahmen . . . . . . . . aa) Gemeindesteuern . . . . . . bb) Steuererfindungsrecht . . . . b) Gebühren und Beiträge . . . . . c) Finanzzuweisungen . . . . . . . 2. Haushaltsrecht . . . . . . . . . . a) Haushaltssatzung, Haushaltsplan b) Haushaltsvollzug . . . . . . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . .

XII

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Inhaltsverzeichnis

bb) ergänzende Aufgaben . cc) ausgleichende Aufgaben dd) Kompetenz-Kompetenz 3. Organe des Kreises . . . . . . a) Kreistag . . . . . . . . . . b) Landrat . . . . . . . . . . c) Kreisausschuss . . . . . . 4. Staatliche Verwaltung im Kreis Spezialliteratur . . . . . . . . .

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XII. Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände . . . . 1. Gesamtgemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Höhere Gemeindeverbände . . . . . . . . . . . . 3. Interkommunale Zusammenarbeit, Zweckverbände a) Formen interkommunaler Zusammenarbeit . . . b) Insbes Zweckverbandsbildungen . . . . . . . .

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I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts . . . a) Polizeibegriff als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen . . aa) Wandlungen des Polizeibegriffs . . . . . . . . . . . . . bb) Heutige Polizeibegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt und Umfang des Gefahrenabwehrrechts . . . . . . . aa) Abgrenzung zur Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . bb) Einbeziehung vorbeugender Bekämpfung von Straftaten c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . a) Gewährleistung der Inneren Sicherheit als Staatsaufgabe . . b) Gefahrenabwehr durch Private . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erscheinungsformen des privaten Sicherheitsgewerbes . bb) Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Privatisierung der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Gefahrenabwehr . . . . a) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Bindungen für Gefahrenabwehrmaßnahmen . . . 4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat . . . . . . . . . . a) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ZWEITES KAPITEL

Polizei- und Ordnungsrecht

XIII

Inhaltsverzeichnis

aa) Verwaltungszuständigkeit der Länder . . . . . . . . bb) Ausnahme: Verwaltungskompetenz des Bundes . . . 5. Internationale und europäische polizeiliche Zusammenarbeit a) Internationalisierung polizeilicher Aufgaben . . . . . . b) Rechtliche Strukturen der Zusammenarbeit . . . . . . . 6. Allgemeine Polizei- und Ordnungsverwaltung . . . . . . .

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II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . 1. Die Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Generalklausel als Eingriffsermächtigung . . . . . . . aa) Spezialermächtigungen und Subsidiarität der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendungsbereich der Generalklausel . . . . . . . . cc) Struktur und Bedeutung der Generalklausel . . . . . . b) Schutzgüter der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . aa) Öffentliche Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reale Gefahr bei ex ante-Sicht . . . . . . . . . . . . cc) Anscheinsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gefahrverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Qualifizierte Gefahrbegriffe . . . . . . . . . . . . . . d) Befugnis zur Gefahrenabwehr (Opportunitätsprinzip) . . . aa) Ermessen der Gefahrenabwehrbehörden . . . . . . . bb) Ermessensgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ermessensreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anspruch auf Einschreiten . . . . . . . . . . . . . . 2. Polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . a) Polizei- und Ordnungspflicht als Zurechnungsproblem . . b) Funktion und Bedeutung der Verantwortlichkeit . . . . . c) Rechtssubjekte der Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . d) Verhaltensverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahrverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhaltensverantwortlichkeit durch Unterlassen . . . cc) Verhaltensverantwortlichkeit des Zweckveranlassers . dd) Zusatzverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . e) Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimität der Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . bb) Entstehung der Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . cc) Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . dd) Zustandsverantwortliche Rechtssubjekte . . . . . . . ee) Latente Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht . . . . . . . . . f) Rechtsnachfolge in die Polizei- und Ordnungspflicht . . . aa) Abstrakte Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . . . . XIV

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Inhaltsverzeichnis

bb) Konkretisierte Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . . . g) Auswahlermessen bei mehreren Verantwortlichen . . . . . . aa) Effektivität der Gefahrenabwehr als Ermessensdirektive . bb) Gesamtschuldnerausgleich bei mehreren Verantwortlichen 3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand . . . . . . . . a) Notstandspflicht im Gefahrenabwehrrecht . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen für Notstandsmaßnahmen . . . . . . . . . aa) Qualifizierte Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aussichtslosigkeit der Gefahrenabwehr durch Verantwortlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unmöglichkeit behördlicher Gefahrenabwehr . . . . . . . dd) Beachtung der Opfergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Notstandspflicht . . . . . . . . . . . . . . d) Umfang und Dauer von Notstandsmaßnahmen . . . . . . . . e) Folgenbeseitigung und Ersatzansprüche . . . . . . . . . . . . 4. Standardmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klassische Standardmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befragung und Auskunftsverlangen . . . . . . . . . . . . bb) Identitätsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erkennungsdienstliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . dd) Vorladung und Vorführung . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Platzverweisung und Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . ff) Ingewahrsamnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Durchsuchung von Personen und Sachen . . . . . . . . . hh) Durchsuchung und Betreten von Wohnungen . . . . . . . ii) Sicherstellung und Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . c) Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besondere Mittel der Informationserhebung . . . . . . . d) Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Informationsübermittlung und Informationsabgleich . . . cc) Rechte der betroffenen Person . . . . . . . . . . . . . . 5. Sondergesetzliche Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang von Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiel: Gefahrenabwehr im Versammlungswesen . . . . . . III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht . . . 1. Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . 2. Handlungsformen zur Gefahrenabwehr a) Einzelfallmaßnahmen . . . . . . . . aa) Verwaltungsakt . . . . . . . . . bb) Verwaltungsrealakt . . . . . . . b) Gefahrenabwehrverordnungen . . .

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256 256 257 257 257 257 258 XV

Inhaltsverzeichnis

aa) Funktion und Bedeutung von Gefahrenabwehrverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen für Gefahrenabwehrverordnungen c) Durchsetzung von Gefahrenabwehrmaßnahmen . . . . aa) Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwaltungszwang im gestreckten Verfahren . . . . cc) Unmittelbare Ausführung und Sofortvollzug . . . .

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IV. Kostenersatz und Entschädigung im Polizei- und Ordnungsrecht 1. Kostenersatzansprüche der Verwaltung . . . . . . . . . . . a) Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenersatz für Gefahrenabwehrmaßnahmen . . . . . . c) Kostentragung bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht . 2. Ersatzansprüche des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entschädigungsanspruch des Nichtstörers . . . . . . . . . b) Schadensausgleich bei rechtswidrigen Maßnahmen . . . . c) Ersatzansprüche bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht

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I. Recht und Ordnung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht . . . . 2. Der wirtschaftliche Prozess und die Wirtschaftspolitik . . . . . . . a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik: Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik . . . . c) Wirtschaftsstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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DRITTES KAPITEL

Öffentliches Wirtschaftsrecht

II. Staat und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationale und unionale Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . a) Die „Wirtschaftsverfassung“ des Grundgesetzes . . . . . . b) Das unionale Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . c) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ und ihre Europäisierung . . . . . . . . . . 3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit . . . . . . . . . a) Rechtsstaatliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Wirtschafts- und Unternehmensfreiheit . . . . . XVI

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Inhaltsverzeichnis

c) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 d) Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Wirtschaftsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionale Wirtschaftsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . b) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern . . . c) Selbstverwaltung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirtschaftsverbände, Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . 2. Ziele, Wirkungsfelder und Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . a) Verwaltungszwecke und Rechtsformen . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirtschaftslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte . . . . . 3. Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag a) Zulassung von Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Atomanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Flugplätze, Flughäfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Beihilfenrecht . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . 2. Staatliche Beihilfen . . 3. Gemeinschaftsbeihilfen a) Indirekter Vollzug . b) Direkter Vollzug .

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V. Öffentliches Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand . . a) Leistungsverwaltung, unternehmerisches Handeln . b) Eisenbahnen, Post und Telekommunikation . . . . . c) Haushaltsrecht, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht d) Unionsrechtliche Bindungen . . . . . . . . . . . . . 2. Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufträge oberhalb der Schwellenwerte . . . . . . . b) Aufträge unterhalb der Schwellenwerte . . . . . . .

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VI. Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewerbefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Techniken gewerberechtlicher Regelung . . . . . . . . . . a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht, Untersagungsermächtigung, Verbot mit Erlaubnisvorbehalt . . . . . . b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde, Zuverlässigkeit . . . . c) Weitere Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse . . . . . . . . . . a) Stehendes Gewerbe, Reisegewerbe, Marktverkehr . . . . b) Handwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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390 392 395 396 396 397 XVII

Inhaltsverzeichnis

c) Gaststättengewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 d) Beförderungsgewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

VIERTES KAPITEL

Baurecht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben, Begriff und Gegenstände des Baurechts . . . . . . . a) Privates Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentliches Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnis des Städtebaurechts zum Bauordnungsrecht . 2. Die verfassungsrechtliche Vorordnung des Baurechts . . . . . a) Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung für das öffentliche Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzgebungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verwaltungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden . . . . . . . . . . . c) Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Baurecht und Baufreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . II. Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben, Leitvorstellungen und Prinzipien der Raumordnung 2. Zielsetzung der Raumordnungsplanung und Typen planerischer Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zielsetzung der Raumordnungsplanung . . . . . . . . . . . b) Typen planerischer Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Raumordnungsplanung auf der Ebene des Bundes . . . . . . . a) Inhalt der Raumordnungsgrundsätze des Bundes . . . . . . b) Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze des Bundes . 4. Raumordnungsplanung auf der Ebene der Länder . . . . . . . a) Rahmenrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Vorgaben für Raumordnungspläne . . . . . bb) Besondere Vorgaben für Raumordnungspläne . . . . . b) Landesrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Raumordnungsplanung für das gesamte Landesgebiet . bb) Regionalplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwirklichung der Landesraumordnungsplanung . . . . . XVIII

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Inhaltsverzeichnis

5. Sonstige Instrumente der Raumordnung . . . a) Landesplanerische Untersagung . . . . . . b) Raumordnungsverfahren . . . . . . . . . 6. Rechtsschutzfragen des Raumordnungsrechts a) Rechtsschutzkonstellationen . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne .

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III. Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 1. Typen der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 a) Flächennutzungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 bb) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 b) Bebauungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 bb) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 cc) Vorhabenbezogener Bebauungsplan gem § 12 BauGB . . . 462 2. Aufstellung der Bauleitpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 a) Planungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 b) Anpassungs- und Entwicklungspflichten . . . . . . . . . . . . 466 c) Abwägungsgebot und Planungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . 468 aa) Bauleitplanung und Struktur der Planungsnormen . . . . . 468 bb) Rechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 cc) Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 d) Aufstellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 e) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 f) Außerkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben . . . . . . . 483 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 b) Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans . . . . . . . . . . . 485 aa) § 30 I BauGB bzw § 30 II BauGB . . . . . . . . . . . . . . 485 bb) Ausnahmen und Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . 486 c) Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . 487 d) Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich . . . . . . . . . . 489 e) Zulässigkeit von Vorhaben aufgrund besonderen Grundrechtsschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 f) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 4. Instrumente und Maßnahmen zur Verwirklichung und Sicherung der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 a) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen . . . 496 b) Grundstücksteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .498 c) Gemeindliche Vorkaufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 d) Umlegung und vereinfachte Umlegung . . . . . . . . . . . . . 500 e) Erschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 f) Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 XIX

Inhaltsverzeichnis

aa) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . cc) Entschädigung . . . . . . . . . . . . . dd) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . g) Städtebauliche Verträge . . . . . . . . . . 5. Besonderes Städtebaurecht . . . . . . . . . . . a) Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen . b) Stadtumbau . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erhaltungssatzung und städtebauliche Gebote 6. Planschadensrecht . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionen des Bauordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ästhetische Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ökologische Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die baurechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 3. Bauaufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zulassung von Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genehmigungsbedürftige Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . aa) Genehmigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anspruch auf Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausnahmen und Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Wirksamkeit, Geltungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht-genehmigungsbedürftige Vorhaben . . . . . . . . . . 5. Bauüberwachung und (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bauüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände . . . . . . . aa) Ermächtigungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestandsschutz rechtmäßig errichteter baulicher Anlagen . cc) Vorgehen gegen rechtswidrig errichtete bauliche Anlagen .

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V. Rechtsschutzfragen des Städtebau- und Bauordnungsrechts 1. Gerichtlicher Rechtsschutz gegen städtebauliche Pläne . a) Prinzipale Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . b) Individualrechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . 2. Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung . . . . . . . a) Verpflichtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen . . . . . . XX

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3. Drittschutz (Nachbarschutz) . . . . . . . . . a) Begriff des „Nachbarn“ . . . . . . . . . . b) Einfachgesetzlicher Drittschutz . . . . . . c) Unvermittelter grundrechtlicher Drittschutz d) Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . .

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I. Grundlagen des Umweltschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aufgabenstellung des staatlichen Umweltschutzes . . . . . . 2. Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . a) Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestandsschutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gemeinlastprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Prinzip der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Gesetzesvorbehalt und die Bestimmtheit des Gesetzes auf dem Gebiet des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates . . . . . . . 5. Negative grundrechtliche Schranken des Umweltschutzes . . . . 6. Umweltschutz als Staatsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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FÜNFTES KAPITEL

Umweltschutzrecht

II. Abgrenzung und Einteilung des Umweltschutzrechts . 1. Umweltschutzrecht als Rechtsgebiet . . . . . . . . 2. Der mediale Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . a) Umweltmedium Boden . . . . . . . . . . . . . b) Umweltmedium Wasser . . . . . . . . . . . . . c) Umweltmedium Luft . . . . . . . . . . . . . . 3. Der kausale Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . a) Atom- und Strahlenschutzrecht . . . . . . . . . b) Chemikaliengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lebensmittel-, Futtermittel- und Arzneimittelrecht d) Gentechnikgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der vitale Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . 5. Der integrierte Umweltschutz . . . . . . . . . . . a) Der konkurrierend integrierte Umweltschutz . . b) Der konvergierend integrierte Umweltschutz . . 6. Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltgesetzbuchs 7. Die Europäisierung des Umweltrechts . . . . . . .

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III. Die Instrumente des staatlichen Umweltschutzes . . . . . . . . . . 1. Planungs- und Verteilungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . a) Modelle einer umfassenden Umweltschutzplanung . . . . . . b) Umweltleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fachplanungen des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . d) Der Umweltschutz in der raumbezogenen Gesamtplanung . . e) Der Umweltschutz bei Fachplanungen anderer Verwaltungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Administrative Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . a) Anmeldepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Administrative Verbote und andere repressive Verfügungen . d) Administrative Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Administrative Warnungen und Empfehlungen . . . . . . . . . 4. Abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente . . . . . . . . . . . . a) Ausgleichsabgaben bei Eingriffen in Natur und Landschaft . . b) Abwasserabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wasserpfennig in Baden-Württemberg und ähnliche Abgaben für die Wasserentnahme in anderen Bundesländern . . . . . . d) Lizenzentgelt im nordrhein-westfälischen Modell der Sonderabfallentsorgung und der Altlastensanierung . . . . . . . . . 5. Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentlich-rechtliche Gestattungsakte und privatrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kooperationsinstrumente im Verhältnis Staat – Wirtschaft . . . 7. Instrumentarium der öffentlichen Eigenregie . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare öffentliche Eigenregie . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare öffentliche Eigenregie . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausnahmen von der öffentlichen Eigenregie . . . . . . . . . . IV. Das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Landschaftsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingriffe in Natur und Landschaft . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . b) Besonderer Biotopschutz . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Artenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bodenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätze und Pflichten des Bodenschutzes 3. Ergänzende Vorschriften für Altlasten . . . 4. Wertausgleich . . . . . . . . . . . . . . . XXII

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VI. Wasserrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die allgemeine wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung . . a) Verwaltungs- und verfassungsrechtliche Grundsätze . . . . . . b) Die Rechtsinstitute der Erlaubnis und der Bewilligung . . . . . c) Erlaubnis- oder bewilligungspflichtige Benutzungen . . . . . . . d) Die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung einer Erlaubnis oder Bewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die emissionsbezogenen Einleitungsanforderungen des § 7a WHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Stoffbezogene Anforderungen der EG-Richtlinien . . . . . . . . g) Immissionsbezogene Instrumente der Gewässerbewirtschaftung h) Nebenbestimmungen, nachträgliche Beschränkungen und Widerruf einer Erlaubnis oder Bewilligung . . . . . . . . . . . . . . i) Anforderungen an Anlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe oder zum Umgang mit solchen Stoffen . . . . . . . . . . j) Betriebsbeauftragte für Gewässerschutz . . . . . . . . . . . . . k) Überwachung, Gewässeraufsicht und repressives Einschreiten der Wasserbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Festsetzung von Wasserschutzgebieten . . . . . . . . . . . . . 4. Unterhaltung und Ausbau oberirdischer Gewässer . . . . . . . . . 5. Wasser- und Bodenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Genehmigungsbedürftige Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen . . . . . . . . . . b) Betreiberpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Außer-immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Inhalt und Wirkung der Anlagengenehmigung . . . . . . . . . f) Vorbescheid und Teilgenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . g) Nachträgliche Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Untersagung, Stillegung und Beseitigung von Anlagen, Widerruf der Anlagengenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Anlagenbezogene Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen . . . . . . . . . . . . . . 4. Der produktbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . 5. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen des Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderregelung des Fluglärmschutzgesetzes . . . . . . . . . . . 6. Der allgemeine handlungsbezogene Immissionsschutz . . . . . . . 7. Der gebietsbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 8. Exkurs: Treibhausgas-Emissionshandel . . . . . . . . . . . . . .

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XXIII

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VIII. Atom- und Strahlenschutzrecht . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung a) Rechtsbegriffliche Voraussetzungen . . b) Versagungsermessen . . . . . . . . . . c) Atomrechtliche Änderungsgenehmigung d) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfragen der nuklearen Entsorgung . 4. Atomrechtliche Haftung . . . . . . . . .

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IX. Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfallbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze und Handlungspflichten im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abfallwirtschaftspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abfallentsorgungsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Grenzüberschreitende Abfallverbringung . . . . . . . . . . . . .

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SECHSTES KAPITEL

Das Recht des öffentlichen Dienstes I. Gegenstand und Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum systematischen Standort des Rechtsgebiets . . . . . . . . 2. Öffentlicher und privater Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesichtspunkte der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dauer und Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung nach dem Dienstherrn . . . . . . . . . . . . . c) Ausgrenzung des Rechts der Richter, Berufssoldaten und der kirchlichen Bediensteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dienstrecht als Strafrecht und Haftungsrecht . . . . . . . . e) Kollektives Dienstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . 745 . . 745 . . 745

II. Zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Dienstes . . 747 1. Zur geschichtlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 2. Reformfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 III. Die Rechtsetzungsebenen im Recht des öffentlichen Dienstes und ihre Regelungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 1. Völkerrecht und europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 755 XXIV

Inhaltsverzeichnis

2. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutionelle Verbürgung des Berufsbeamtentums . . . . . . . aa) Der Funktionsvorbehalt für Beamte . . . . . . . . . . . . . bb) Der verfassungsrechtliche Regelungsauftrag für das Beamtenrecht b) Ämterzugang und Grundrechtsschutz im Dienstverhältnis . . . c) Bundesstaatliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das einschlägige Gesetzesrecht im Überblick . . . . . . . . . . . .

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IV. Das Beamtenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beamtenbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatsrechtlicher, haftungsrechtlicher und strafrechtlicher Beamtenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kategorien des staatsrechtlichen Beamtenbegriffs . . . . . . . . aa) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte . . . . . . bb) Berufsbeamte auf Lebenszeit und auf Zeit . . . . . . . . . . cc) Beamte auf Probe und auf Widerruf . . . . . . . . . . . . dd) Laufbahnbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ehrenbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Politische Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Begründung, Veränderung und Beendigung des Beamtenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ernennung zum Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsfeld, Zuständigkeit, Form . . . . . . . . . . . bb) Objektive und subjektive Ernennungsvoraussetzungen . . . cc) Leistungsprinzip, Ernennungsanspruch, Konkurrenz . . . . dd) Die Nichtigkeit der Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Rücknahme der Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rechtsfolgen mangelhafter Ernennungen im Innen- und Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beförderung, Versetzung, Umsetzung und Abordnung . . . . . aa) Die Beförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Versetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Abordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ruhestand, Entlassung und Entfernung aus dem Dienst . . . . . aa) Endgültiger und einstweiliger Ruhestand . . . . . . . . . . bb) Die Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beendigung des Dienstverhältnisses infolge strafgerichtlicher Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Entfernung aus dem Dienst . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichten und Rechte im Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . a) Die Pflichten des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dienstpflicht, Gehorsamspflicht, Residenzpflicht . . . . . . bb) Nebentätigkeit des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Neutralität und Unparteilichkeit im Amt . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

dd) Amtsverschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die politische Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dienstvergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Beamtenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Spezielle Fürsorgeverpflichtungen . . . . . . . . . . . . bb) Die allgemeine Fürsorgepflicht . . . . . . . . . . . . . . cc) Dienstbezüge und deren Rückforderung . . . . . . . . . dd) Personalakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Bedeutung einzelner Grundrechte für die Rechtsstellung des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsbehelfe im Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Zum Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst . . . 831

SIEBENTES KAPITEL

Straßen- und Wegerecht I. Grundlagen des öffentlichen Straßenrechts . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffliche Vorklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straßenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straßenverkehrsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis von Straßen- und Straßenverkehrsrecht . . . . . a) Der „Vorbehalt“ des Straßenrechts . . . . . . . . . . . . . . b) Der „Vorrang“ des Straßenverkehrsrechts . . . . . . . . . . c) Anordnungen nach § 45 StVO . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strukturmerkmale des Gesetzesvollzuges . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straßenbau- und Straßenaufsichtsbehörden . . . . . . . . . . c) Straßenverkehrsämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachenrechtliche Grundprinzipien des öffentlichen Straßenrechts a) Öffentlicher Sachstatus der Straße . . . . . . . . . . . . . . . b) Die dualistische Vorstellung vom modifizierten Privateigentum c) Das Prinzip der förmlichen Widmung . . . . . . . . . . . . . d) Formalisierungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Planung und Bau öffentlicher Straßen . . . . 1. Vorbereitende Stufen der Straßenplanung a) Ausbau- und Bedarfsplanung . . . . . b) Raumordnungsverfahren . . . . . . . XXVI

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Inhaltsverzeichnis

c) Bestimmung der Planung und Linienführung . . 2. Die straßenrechtliche Planfeststellung . . . . . . . a) Grundstrukturen des Verfahrensablaufs . . . . . b) Rechtsnatur der Planungsentscheidung . . . . . c) Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses d) Schutzauflagen gem § 74 Abs 2 S 2 VwVfG . . . e) Entbehrlichkeit der Planfeststellung . . . . . . . 3. Rechtsschutzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der tatsächliche Bau öffentlicher Straßen . . . . .

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III. Begründung, Veränderung und Beendigung des öffentlichen Sonderstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formelle und materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . c) Inhalt der Widmungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die tatsächliche Indienststellung der Straße . . . . . . . . . . . 3. Veränderungen des Nutzungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . a) Widmungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teileinziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einziehung durch Entwidmung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Straßenrechtliche Statusakte im Dienste der Verkehrsberuhigung

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871 871 871 873 874 875 875 876 877 877 877 878 879 880

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IV. Straßenbaulast und Straßenverkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . 880 1. Die Straßenbaulast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 881 2. Die Straßenverkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 882 V. Das Regime straßenrechtlicher Nutzungsformen . . . . 1. Der Gemeingebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . b) Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsstellung des Straßenbenutzers . . . . . 2. Die Sondernutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sondernutzungserlaubnisse nach öffentlichem Recht c) Bürgerlich-rechtliche Sondernutzungen . . . . . . 3. Sonderformen der „kommunikativen“ Straßennutzung 4. Die Rechtsstellung des Straßenanliegers . . . . . . . a) Das Anliegerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Anliegergebrauch . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Das Nachbarrecht öffentlicher Straßen . . . . . . . . . . . . . . . . 894 1. Die Aufrechterhaltung der Straßenfunktion . . . . . . . . . . . . 895 2. Der Schutz der Straßennachbarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 895 XXVII

Abkürzungsverzeichnis A a aA aaO AbfAblV AbfallR AbfG AbfKlärV AbfKoBiV AbfVerbrG AbfVerbrVO abgedr AbgO ABl abl Abs Abschn abw AbwAG abwM AbwV Achterberg/Püttner/ Würtenberger, BesVwR AcP aE AEG aF AfK AfP AG AGB AGBauGB AGLMBG AgrarR AGVwGO AK-GG

AktG allg/allgem AllgVwR ALR Alt aM AMG amtl Begr

Ausschuss auch anderer Auffassung am angegebenen Ort Abfallablagerungsverordnung Zeitschrift für das Recht der Abfallwirtschaft Abfallgesetz/Abfallbeseitigungsgesetz Klärschlammverordnung Abfallwirtschaftskonzept- u. -bilanzverordnung Abfallverbringungsgesetz Abfallverbringungsverordnung abgedruckt Abgabenordnung Amtsblatt ablehnend Absatz Abschnitt abweichend Abwasserabgabengesetz abweichende Meinung Abwasserverordnung N. Achterberg, G. Püttner, Th. Würtenberger (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd 1 u 2, 2. Aufl 2000 Archiv für die civilistische Praxis am Ende Allgemeines Eisenbahngesetz alte Fassung Archiv für Kommunalwissenschaften Archiv für Presserecht Ausführungsgesetz, Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Ausführungsgesetz zum Baugesetzbuch Gesetz zur Ausführung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes Agrarrecht, Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raums Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung E. Denninger, W. Hoffmann-Riem, H.-P. Schneider, E. Stein (Hrsg), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Lsbl) Aktiengesetz allgemein Allgemeines Verwaltungsrecht Preußisches Allgemeines Landrecht Alternative anderer Meinung Arzneimittelgsetz amtliche Begründung

XXIX

Abkürzungsverzeichnis AmtsG AmtsO Änd ÄndG ÄndGAbwAG ÄndV Anm AO AOK AöR ApoG ArbplSchG ArbRGgwart

AsylVfG AT AtAnlV AtG, AtomG AtVfV AufenthG aufgeh Aufl AuR ausdr ausf/ausführl AuslG AVB AVV AWG Az

Amtsgericht Amtsordnung Änderung Änderungsgesetz Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes Änderungsverordnung Anmerkung Abgabenordnung Allgemeine Ortskrankenkasse Archiv des öffentlichen Rechts Apothekengesetz Arbeitsplatzschutzgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit) Arbeit und Recht Archiv für Post und Telekommunikation Archiv des Völkerrechts argumentum Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder Artikel Amtliche Sammlung Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin Asylverfahrensgesetz Allgemeiner Teil Atomanlagen-Verordnung Atomgesetz Atomrechtliche Verfahrensverordnung Aufenthaltsgesetz aufgehoben Auflage s ArbuR ausdrücklich ausführlich Ausländergesetz Allgemeine Versorgungsbedingungen allgemeine Verwaltungsvorschrift Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen

Badura, StaatsR bad-württ Bad-Württ BAFA BaFin BAG BAGE BALM BAnz BAT

P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl 2003 baden-württembergisch Baden-Württemberg Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung Bundesanzeiger Bundesangestelltentarifvertrag

ArbuR ArchivPT/ArchPT ArchVR arg ARGEBAU Art AS ASOG

XXX

Abkürzungsverzeichnis BauGB BauGBMaßnG BauNVO BauO, BO BauOrdR BauR BauROG BauZVO Bay bay, bayer BayKomR BayObLG BayRS BayVBl BayVerfGH BayVerfGHE BayVGH BayVGHE BB BBahnG BBankG BBauG BBergG BBesG Bbg bbg BBG BbgVerfG BBodSchG BBodSchV Bd/Bde BDG BDH BDHE BDiszG BDO BDSG BeamtVG Bearb Begr/begr Beil bejah Bek, Bekanntm Benda/Maihofer/ Vogel, HVerfR BenzinbleiG

ber BergG

Baugesetzbuch Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung Bauordnung Bauordnungsrecht Baurecht Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung Bauplanungs- und Zulassungsverordnung Bayern bayerisch Bayerisches Kommunalrecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Rechtssammlung Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Der Betriebsberater Bundesbahngesetz Bundesbankgesetz Bundesbaugesetz Bundesberggesetz Bundesbesoldungsgesetz Brandenburg brandenburgisch Bundesbeamtengesetz Brandenburgisches Verfassungsgericht Bundesbodenschutzgesetz Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung Band/Bände Bundesdisziplinargesetz Bundesdisziplinarhof Entscheidungen des Bundesdisziplinarhofs Bundesdisziplinargericht Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Beamtenversorgungsgesetz Bearbeiter Begründung/begründet Beilage bejahend Bekanntmachung E. Benda, W. Maihofer, H.-J. Vogel (Hrsg), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl 1994 Gesetz zur Verminderung von Lufverunreinigungen durch Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotore berichtigt Berggesetz

XXXI

Abkürzungsverzeichnis Berl bes Bespr BestüVAbfV BesVwR betr BEVVG BezG BezReg BFH BFHE BFStrG BfV BG bga-Berichte BGB BGBl BGH BGHR BGHSt BGHZ Bgm BGS BGSG BHO Bibl BImSchG BImSchR BImSchV BinSchAufgG BIP BJagdG BK BKA BKAG

BLE Bln bln, berl BLV BMI BMT-G II BMU

XXXII

Berlin besonders Besprechung Verordnung zur Bestimmung von überwachungsbedürftigen Abfällen zur Verwertung Besonderes Verwaltungsrecht betreffend Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes Bezirksgericht Bezirksregierung Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesfernstraßengesetz Bundesamt für Verfassungsschutz Beamtengesetz Berichte des Bundesgesundheitsamts Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bürgermeister Bundesgrenzschutz Bundesgrenzschutzgesetz Bundeshaushaltsordnung Bibliothek Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzrecht Bundes-Immissionsschutzverordnung Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt (Binnenschifffahrtsaufgabengesetz) Bruttoinlandsprodukt Bundesjagdgesetz R. Dolzer, K. Vogel, K. Graßhof (Hrsg), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Lsbl Bundeskriminalamt Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Berlin berlinisch Bundeslaufbahnverordnung Bundesminister des Innern Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Abkürzungsverzeichnis BNatSchG BND BNDG BNotO BO BodSchG Bonner Kommentar, GG BPersVG BR-Drucks BRAO BRat BReg brem BROG BRRG BRS BSchG, BSchVG Bsp/Bspl bsplsw Bspr BStatG BStBl BT BT(ag) BT-Drs/BT-Drucks BtMG

BW/B-W BWaldG BWGZ BWV BWVP/BWVPr BzBlG bzgl bzw

Bundesnaturschutzgesetz Bundesnachrichtendienst Gesetz über den Bundesnachrichtendienst Bundesnotarordnung s BauO Bodenschutzgesetz s BK Bundespersonalvertretungsgesetz Drucksachen des Deutschen Bundesrates Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrat Bundesregierung bremisch Bundesraumordnungsgesetz Beamtenrechtsrahmengesetz Baurechtssammlung Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr Beispiel(e) beispielsweise Besprechung Bundesstatistikgesetz Bundessteuerblatt Besonderer Teil Bundestag Drucksachen des Deutschen Bundestages Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgericht, Kammerentscheidung Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Amtliche Sammlung Bundesverfassungsgerichtsgesetz Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) Bundesvertriebenengesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Amtliche Sammlung Baden-Württemberg Bundeswaldgesetz Baden-Württembergische Gemeindezeitung Bundeswehrverwaltung Baden-Württembergische Verwaltungspraxis s Benzinbleigesetz bezüglich beziehungsweise

ca

circa

Buchst BVerfG BVerfG (K) BVerfGE BVerfGG BVerfSchG

BVertriebenenG BVerwG BVerwGE

XXXIII

Abkürzungsverzeichnis ChemG ChemVerbotsV cic CITES CMLR CR

Chemikaliengesetz Chemie-Verbotsverordnung culpa in contrahendo Washingtoner Artenschutzabkommen Common Market Law Revue Computer und Recht

d DAR dass DB DDR DDT dens DepV ders dgg DGO dh dies diff DIN Diss DJT DM DöD Dok DÖV Dreier, GG DRiG Drittbearb DRiZ DSD dt/dtsch Dt Dem Rep DtKomR DtZ DuD DüngeMG DV DVBl DVGW DVP DWiR/DZWiR

durch Deutsches Autorecht dasselbe Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik Dichloridiphenyltrichloräthan denselben Deponieverordnung derselbe dagegen Deutsche Gemeindeordnung das heißt dieselben differenzierend Deutsches Institut für Normung eV Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Der öffentliche Dienst Dokument(e) Die öffentliche Verwaltung H. Dreier (Hrsg), Grundgesetz, Kommentar, Bd 1, 2. Aufl 2004, Bd 2, 1998, Bd 3, 2000 Deutsches Richtergesetz Drittbearbeitung Deutsche Richterzeitung Duales System Deutschland deutsch s DDR Deutsches Kommunalrecht Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Datenschutz und Datensicherheit Düngemittelgesetz Die Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches eV Deutsche Verwaltungspraxis Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

E EAG EAG Bau EAGV ebd/ebda

Entwurf Europäische Atomgemeinschaft Europarechtsanpassungsgesetz Bau Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft ebenda

XXXIV

Abkürzungsverzeichnis EBG ed(s) EdF EEA EEG EEG EfbV EG EGBGB EGGVG EGMR EGStGB EGV/EG-V ehem EHG Einf EinV EL EMRK EMAS endg EneuOG Entsch entspr Entw EnWG Erg ErgBd Erichsen/Ehlers, AllgVwR ErstattungsG ESVGH

ESZB ET etc EU EUDUR EuG EuGH EuGHE EuGRZ EuR EURATOM Europ EUV EuZW eV EV, EinV

Erschließungsbeitraggesetz editor(s) Electricité de France Einheitliche Europäische Akte Enteignungsgesetz Erneuerbare-Energien-Gesetz Entsorgungsfachbetriebeverordnung Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ehemalig Einzelhandelsgesetz Einführung s EV Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention Environmental Management and Audit Scheme endgültig Eisenbahnneuordnungsgesetz Entscheidung entsprechend Entwurf Energiewirtschaftsgesetz Ergebnis Ergänzungsband H.-U. Erichsen, D. Ehlers (Hrsg), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl 2002 Gesetz über das Verfahren für die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Europäisches System der Zentralbanken Energiewirtschaftliche Tagesfragen und so weiter/et cetera Europäische Union Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht Europäisches Gericht Erster Instanz Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Atomgemeinschaft europäisch Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Einigungsvertrag

XXXV

Abkürzungsverzeichnis EvakVO evtl EWG EWGV EWS EWiR EWR EzA EZB f FAG FAZ FBA FeV FEVG

Verordnung über die Evakuierung von Rollstuhlbenutzern eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag = Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungen für Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Europäische Zentralbank

FS FStrG FstrPrivFinG

die nächste folgende Seite; für Finanzausgleichsgesetz/Fernmeldeanlagengesetz Frankfurter Allgemeine Zeitung Folgenbeseitigungsanspruch Fahrerlaubnisverordnung Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen die nächsten folgenden Seiten Fauna-Flora-Habitat Festgabe/Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzarchiv Finanzwirtschaft Fleischhygienegesetz Flurbereinigungsgesetz Fußnote E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd 1, 10. Aufl 1973 Festschrift s BFStrG Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz

G/Ges GA GastG/GaststG GATT GBl GDatPol geänd GefAbwG GefahrstoffV gem GemHVO GemO GenTG ges/gesetzl Gesellsch GesEntw GewAbfV

Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gaststättengesetz General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei geändert Gesetz über die Gefahrenabwehr Gefahrstoffverordnung gemäß Gemeindehaushaltsverordnung Gemeindeordnung Gentechnikgesetz gesetzlich Gesellschaft Gesetzentwurf Gewerbeabfallverordnung

ff FFH FG FGG FinArch FiWi FlHG FlurbG Fn Forsthoff, VwR

XXXVI

Abkürzungsverzeichnis GewArch GewOGewerbeordnung GG gg ggf, ggfls GK GK-BimSchG

Gewerbearchiv

GVBl, GVOBl GVG GWB GWG

Grundgesetz gegen gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gemeinschaftskommentar zum Bundesimmissionsschutzgesetz Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht Gleichberechtigungsgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsames Ministerialblatt Gemeindeordnung, Geschäftsordnung Geschäftsführung ohne Auftrag Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte Grundrechte-Charta grundsätzlich s Grundrechte Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd 1, 1. u 2. Halbbd, K. A. Bettermann, F. L. Neumann, H. C. Nipperdey (Hrsg), 1966/67; Bd 2, F. L. Neumann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner (Hrsg), 2. Aufl 1968; Bd 3, 1. u 2. Halbbd, K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner (Hrsg), 1958/59; Bd 4, 1. Halbbd, K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner (Hrsg), 1960; 2. Halbbd, K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey (Hrsg), 1962 Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetzessammlung/Gedächtnisschrift Gerätesicherheitsgesetz Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Güterkraftverkehrsgesetz Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Kartellgesetz Gemeindewahlgesetz

H Halbbd hamb, hbg HandwO Hans HansOLG Hb Hbg HBG

Heft Halbband hamburgisch Handwerksordnung Hanseatisch Hanseatisches Oberlandesgericht Handbuch Hamburg Hessisches Beamtengesetz

GKÖD GleichbG GmbH GMBl GO GoA GPSG GR-Charta grds GRe Grundrechte

GRUR GS GSG GsiG GüKG GV GV NW/GV NRW

XXXVII

Abkürzungsverzeichnis Hdb HdbStR HdlStatG HDSW Hdwb HeilprG Herv Hess, hess Hesse, VerfR HessStGH HessVGH HFR HG HGB HGrG Hinw HkWP

hL hM HO HRG Hrsg, hrsg HS/Hs/Halbs HSOG HStR P. M. Huber, AllgVwR Hufen, VerwPrR HVerfR HWaG HwO Hws HwVG HZ i Erg/iE idF idR idS ieS IfSG IHK IHKG

XXXVIII

Handbuch s Isensee/Kirchhof, HdbStR Handelsstatistikgesetz Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handwörterbuch Heilpraktikergesetz Hervorhebung Hessen, hessisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl 1995 Hessischer Staatsgerichtshof Hessischer Verwaltungsgerichtshof Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Hochschulgesetz Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz Hinweis G. Püttner (Hrsg), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl, Bd 1, Grundlagen, 1981, Bd 2, Kommunalverfassung, 1982, Bd 3, Kommunale Aufgaben und Aufgabenerfüllung, 1983, Bd 4, Die Fachaufgaben 1983, Bd 5, Kommunale Wirtschaft, 1984, Bd 6, Kommunale Finanzen, 1985 herrschende Lehre herrschende Meinung Haushaltsordnung Hochschulrahmengesetz Herausgeber, herausgegeben Halbsatz Hessisches Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung s Isensee/Kirchhof, HdbStR Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl 1997 F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl 2003 s Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR Hamburgisches Wassergesetz Handwerksordnung Hinweis Gesetz über eine Rentenversicherung der Handwerker Historische Zeitschrift im Ergebnis in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im engeren Sinne Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) Industrie- und Handelskammer Gesetz über die Industrie- und Handelskammern

Abkürzungsverzeichnis ILM ILO inkl insbes/insb insges InsO InvWoBaulG InvZulG inzw iS v/d iSe Isensee/Kirchhof, HdbStR

IUR iV mit/iVm IVU/IVV iwS iZw J JA JAO/JAPO Jarass/Pieroth, GG Jb JbDBP jew Jh(dt) JhbSächsOVG JK JöR JR jur Jura Juris JuS JUTR JZ

International Legal Materials International Labour Organization inklusive insbesondere insgesamt Insolvenzordnung Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland Investitionszulagengesetz inzwischen im Sinne von/des im Sinne eines J. Isensee, P. Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts, Bd 1 (Grundlagen von Staat und Verfassung), 2. Aufl 1995, Bd 2 (Demokratische Willensbildung – Die Staatsorgane des Bundes), 2. Aufl 1998, Bd 3 (Das Handeln des Staates), 2. Aufl 1996, Bd 4 (Finanzverfassung – Bundesstaatliche Ordnung), 2. Aufl 1999, Bd 5 (Allgemeine Grundrechtslehren), 2. Aufl 2000, Bd 6 (Freiheitsrechte), 2. Aufl 2001, Bd 7 (Normativität und Schutz der Verfassung – Internationale Beziehungen), 1993, Bd 8 (Die Einheit Deutschlands – Entwicklung und Grundlagen), 1995, Bd 9 (Die Einheit Deutschlands – Festigung und Übergang), 1997; Bd 1 (Historische Grundlagen), 3. Aufl 2003, Bd 2 (Verfassungsstaat), 3. Aufl 2004 Informationsdienst Umweltrecht in Verbindung mit Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung im weiteren Sinne im Zweifel Jahre Juristische Arbeitsblätter Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl 2004 Jahrbuch Jahrbuch der Deutschen Bundespost jeweils Jahrhundert Jahrbuch des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Jura-Kartei Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau juristisch Juristische Ausbildung Juristisches Informationssystem Juristische Schulung Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts Juristenzeitung

XXXIX

Abkürzungsverzeichnis K K&R KAG Kap Kennz KfW Kfz KG KGG KGSt-Bericht

KV KWG

Kammer Kommunikation & Recht Kommunalabgabengesetz Kapitel Kennziffer Kreditanstalt für Wiederaufbau Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft/Kammergericht Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit Bericht der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung Kernkraftwerk H. J. Knack (Hrsg), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 8. Aufl 2004 Kommissionsdokument¤ Kommissionsentwurf KommunalPraxis Bayern Kommunalwahlgesetz Gesetz über kommunale Zusammenarbeit Kommunalrecht F. O. Kopp (Begr), W.-R. Schenke (Bearb), Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl 2003 F. O. Kopp (Begr), U. Ramsauer (Bearb), Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl 2003 Korrespondenz Abwasser kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kreisordnung Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Kommunale Steuer-Zeitschrift Kommunalselbstverwaltungsgesetz (Saarland), Künstlersozialversicherungsgesetz Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Kommunalverfassung Gesetz über das Kreditwesen, Kommunalwahlgesetz

LAbfG LadSchlG LBG LBO, LBauO lfd LG LHO lit Lit LKrO LKV LMedienG LNatSchG

Landesabfallgesetz Ladenschlussgesetz Landesbeamtengesetz Landesbauordnung laufend Landgericht/Landschaftsgesetz (NW) Landeshaushaltsordnung littera/Buchstabe Literatur Landkreisordnung Landes- und Kommunalverwaltung Landesmediengesetz Landesnaturschutzgesetz

KKW Knack, VwVfG KOM KomE KommunalPraxisBY KommWahlG/KomWG KommZG KomR Kopp/Schenke, VwGO Kopp/Ramsauer, VwVfG KorrespAbw krit KritV KrO KrW-/AbfG KStZ KSVG KUG

XL

Abkürzungsverzeichnis LOG Losebl LPflG LPlG LPlVertrag LPresseG LROP LS LSA Lsbl LSchlG LStrG LStVG lt LT LT-Drucks LuftSiG LuftVG LuftVZO LV(erf) LVerfG LVG, LVwG LVwVG LWG m m Anm m krit Anm m zust Anm MAD MADG v Mangoldt/Klein/Starck, GG

Maunz/Dürig, GG

Maurer, AllgVwR maW MBG MBO MBPlG MDR MDStV MEPolG Merten/Papier, HdbGR II

Nordrhein-westfälisches Gesetz über die Organisation der Landesverwaltung Loseblattsammlung Landschaftspflegesetz Landesplanungsgesetz Landesplanungsvertrag Landes-Pressegesetz Landesraumordnungsplan Leitsatz s S-Anh Loseblattsammlung Ladenschlussgesetz Landesstraßengesetz Landesstraf- und Verordnungsgesetz laut Landtag Landtags-Drucksachen Luftsicherheitsgesetz Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesverfassungsgericht Landesverwaltungsgesetz Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz Landeswassergesetz mit mit Anmerkung mit kritischer Anmerkung mit zustimmender Anmerkung Militärischer Abschirmdienst Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst H. v. Mangoldt, F. Klein, Chr. Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd 1, 4. Aufl 1999, Bd 2, 4. Aufl 2000, Bd 3, 4. Aufl 2001 Th. Maunz, G. Dürig, P. Badura, U. di Fabio, M. Herdegen, R. Herzog, H. H. Klein, P. Lerche, H.-J. Papier, A. Randelzhofer, E. Schmidt-Aßmann, R. Scholz, Grundgesetz, Kommentar, 5 Bde, Lsbl H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl 2004 mit anderen Worten Mitbestimmungsgesetz Musterbauordnung Magnetschwebebahnplanungsgesetz Monatsschrift für deutsches Recht Mediendienst-Staatsvertrag Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd 1 (Entwicklung und Grund-

XLI

Abkürzungsverzeichnis

MfS Min Mio MittBayNot MittNWStGB Mitw MMR mN MOG Mrd MünchKomm v Münch/Kunig, GG

MV/M-V mwN nachgew Nachw NachwV NatSchG NBG NC Nds nds, nieders NdsVBl nF/NF NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJW-RR NordÖR NPD Nr/Nrn NRW NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NVwZ-RR NVZ NW, Nordrh-Westf nw, nordrh-westf

XLII

lagen), 2004; Bd 2 (Grundrechte in Deutschland: Allgemeine Lehren I), 2005 Ministerium für Staatssicherheit Ministerium Million(en) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Mitteilungen des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes Mitwirkung MultiMedia und Recht mit Nachweisen Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen Milliarde(n) Münchener Kommentar I. v. Münch (Begr), P. Kunig (Hrsg), Grundgesetz-Kommentar, Bd 1, 5. Aufl 2000, Bd 2, 5. Aufl 2001, Bd 3, 5. Aufl 2003 Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen nachgewiesen Nachweise Verordnung über Verwertungs- und Beseitigungsnachweise Naturschutzgesetz Niedersächsisches Beamtengesetz numerus clausus Niedersachsen niedersächsisch Niedersächsische Verwaltungsblätter neue Fassung, neue Folge Neue Justiz Neue Juristische Onlinezeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport der Neuen Juristischen Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht der Neuen Juristischen Wochenschrift Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nummer(n) s NW Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungs-Report der Neuen Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Nordrhein-Westfalen nordrhein-westfälisch

Abkürzungsverzeichnis NWVBl NWVerfGH NZA NZBau NZV

Nordrhein-westfälische Verwaltungsblätter Nordrhein-westfälischer Verfassungsgerichtshof Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

o O OBG OECD öffentl OHG OLG ÖPNV Oppermann, EuropaR ör ÖR ORDO OrdR ÖstVfGH OVG OVGE OWiG

oben Ordnung Ordnungsbehördengesetz Organization for Economic Cooperation and Development öffentlich Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Öffentlicher Personennahverkehr Th. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl 1999 öffentlich-rechtlich Öffentliches Recht Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Ordnungsrecht Österreichischer Verfassungsgerichtshof Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PAG ParlStG

Polizeiaufgabengesetz Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Parteiengesetz passim Passgesetz Gesetz über Personalausweise Personenbeförderungsgesetz Der Personalrat Die Personalvertretung Pflanzenschutzgesetz Kontrollgremiumgesetz Planzeichenverordnung Plenarprotokolle Polizeiorganisationsgesetz Polizei- und Ordnungsrecht Polizeigesetz Polizeirecht Polizeiverordnung Polizei und Ordnungsrecht Gesetz über das Postwesen s ALR privat Prostitutionsgesetz Preußisches Oberverwaltungsgericht Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz

PartG pass PassG PAuswG PBefG PersR PersV PflSchG PKGrG PlanzV Pl-Pr POG Pol u OrdR PolG PolR PolVO POR PostG PrALR priv ProstG PrOVG PrOVGE PrPVG

XLIII

Abkürzungsverzeichnis PTNeuOG PÜ PVS

Postneuordnungsgesetz Pariser Übereinkommen Politische Vierteljahresschrift

R RabelsZ

RegEntw RegTP Rez RG RGBl RGZ rheinl-pfälz, rhpf Rh-Pf RhPfVerfGH Ri/RiL RiA RL Rn ROG ROV RP Rs Rspr Rsprübers RTW RuP RuStAG RVerwBl RVO

Recht Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel Recht der Arbeit Recht der Energiewirtschaft Recht der Landwirtschaft Recht der Wasserwirtschaft (Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur) Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe rechtlich K. Redeker, H.-J. v. Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl 2004 Regierung Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg Regierungsentwurf Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Rezension Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen rheinland-pfälzisch Rheinland-Pfalz Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz siehe RL Das Recht im Amt Richtlinie Randnummer Raumordnungsgesetz Raumordnungsverordnung Rheinland-Pfalz Rechtssache Rechtsprechung Rechtsprechungsübersicht Recht, Technik, Wirtschaft Recht und Politik Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Reichsverwaltungsblatt Reichsversicherungsordnung

S s sa Saarl saarl Sachs

Seite, Satz siehe siehe auch Saarland saarländisch Sachsen

RdA RdE RdL RdWW REACH

rechtl Redeker/vOertzen, VwGO Reg RegBkPlG Bbg

XLIV

Abkürzungsverzeichnis Sachs, GG SächsVBl SächsVerfGH SAE S-Anh Sart SBG schlesw-holst, schlh Schl-H/SchlH Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO Schr SchrVfS SDÜ SED SED-UnBerG SGb SGB SH SIS Slg so Sodan/Ziekow, VwGO SOG sog SoldG SRU st Rsp/st Rspr StA StaatsL StabG StädteT StAnz StBauFG std Steiner, BesVwR Stern, StR

StGB StGH StGHG StPO str StR StReg

M. Sachs (Hrsg), Grundgesetz, 3. Aufl 2003 Sächsische Verwaltungsblätter Sächsischer Verfassungsgerichtshof Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Sachsen-Anhalt Sartorius Sächsisches Beamtengesetz schleswig-holsteinisch Schleswig-Holstein E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl 2004 F. Schoch, E. Schmidt-Aßmann, R. Pietzner (Hrsg), Verwaltungsgerichtsordnung, 2 Bde, Lsbl Schriften Schriften des Vereins für Sozialpolitik Schengener Durchführungsübereinkommen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED-Unrechtsbereinigungsgesetz Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Schleswig-Holstein Schengener Informationssystem Sammlung siehe oben H. Sodan/J. Ziekow (Hrsg), Verwaltungsgerichtsordnung, 4 Bde, Lsbl Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung/ Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sogenannte(r) Soldatengesetz Rat von Sachverständigen für Umweltfragen ständige Rechtsprechung Staatsanwalt(schaft) Staatslehre Stabilitätsgesetz Der Städtetag Staatsanzeiger Städtebauförderungsgesetz ständig U. Steiner (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl 2003 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd 1, 2. Aufl 1984, Bd 2, 1980, Bd 3/1, 1988, Bd 3/2, 1994, Bd 5, 2000 Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Staatsgerichtshofsgesetz Strafprozessordnung strittig Staatsrecht Staatsregierung

XLV

Abkürzungsverzeichnis StrEG

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Streinz, EuropaR R. Streinz, Europarecht, 6. Aufl 2003 Streinz (Hrsg), EUV/EGV R. Streinz (Hrsg), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2003 StrG Straßengesetz StrlSchV/StrlSchVO, StrSchV Strahlenschutzverordnung StrVG Strahlenschutzvorsorgegesetz StrWG Straßen- und Wegegesetz StT Der Städtetag StUG Stasi-Unterlagengesetz StuGR Städte- und Gemeinderat StuVerwR/StuVwR Staats- und Verwaltungsrecht StVG Straßenverkehrsgesetz StVO Straßenverkehrsordnung StVZO Straßenverkehrs-Zulassungsordnung StWG Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft StWiss Staatswissenschaften su siehe unten SV Sondervotum TA TDG TEHG teilw TgV Thür/THÜ ThürKO ThürOVG ThürVBL ThürVerfGH ThürVGRspr TierNebG TierSG TK TKG TKMR TranspRLG TVG Tz

Technische Anleitung Teledienstgesetz Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz teilweise Transportgenehmigungsverordnung Thüringen/Thüringer Thüringer Kommunalordnung Thüringer Oberverwaltungsgericht Thüringer Verwaltungsblätter Thüringer Verfassungsgerichtshof Rechtsprechung der Thüringer Verwaltungsgerichte Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz Tierseuchengesetz Telekommunikation Telekommunikationsgesetz Zeitschrift für Telekommunikations- und Medienrecht Transparenzrichtliniengesetz Tarifvertragsgesetz Textziffer

u ü ua UAG uam UBA Überbl UGB

und/unten über unter anderen(m), und andere Umweltauditgesetz und anderes mehr Umweltbundesamt Überblick Umweltgesetzbuch

XLVI

Abkürzungsverzeichnis UGB-KomE ugk UIG ÜK üM umfass umstr UmweltHG UmwG UmwR UN UNO unzul unzutr UPR Urt UTR uU UVP UVPG UWG UZwG UZwGBw

v VA va VAwS VBlBW VBlNW VDE VDI VEnergR Verb verb Rs/verb Rs Verf VerfG VerfGerichtsbkt VerfGH VerfGHG VerfSchG VergabeVO Verh VerkBl VerkPBG VerkMitt

BMU (Hrsg), Umweltgesetzbuch, Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch, 1998 umgekehrt Umweltinformationsgesetz Übereinkommen überwiegende Meinung umfassend umstritten Umwelthaftungsgesetz Umwandlungsgesetz Umweltrecht United Nations, Vereinte Nationen United Nations Organization unzulässig unzutreffend Umwelt- und Planungsrecht Urteil Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts unter Umständen Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Volzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen von/vom Verwaltungsakt vor allem Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Verband deutscher Elektrotechniker eV Verein deutscher Ingenieure eV Veröffentlichungen des Instituts für Energierecht Verbindung verbundene Rechtssachen Verfassung Verfassungsgericht Verfassungsgerichtsbarkeit Verfassungsgerichtshof Verfassungsgerichtshofsgesetz Verfassungsschutzgesetz Vergabeverordnung Verhandlungen Verkehrsblatt Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz Verkehrsrechtliche Mitteilungen

XLVII

Abkürzungsverzeichnis VerpackV VersG

VwVZG

Verpackungsverordnung Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Verwaltung Verwaltungsarchiv Verwaltungswissenschaften Verwaltungsprozessrecht Verwaltungsrecht Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verfassungsgerichtshofgesetz Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vergleiche (auch) Vergaberechtsänderungsgesetz Verordnung über die Genehmigungspflicht für die Einleitung von Abwasser mit gefährlichen Stoffen in öffentlichen Abwasseranlagen Vergabeverordnung von Hundert Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verkehrsblatt, Amtsblatt des Bundesministers für Verkehr Vertrauensleute, Verbindungsleute Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Verdingungsordnung für Leistungen Vorauflage Vorbemerkung vorläufig Verwaltungsrundschau Verwaltungsstruktur-Reformgesetz Verkehrsrechts-Sammlung Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Vertrag über eine Verfassung für Europa Verwaltung Volkswagen Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsrecht Verwaltungsvorschrift(en) Verwaltungsverfahrensgesetz(e) Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz Allgemeine Verwaltungsvorschriften über die nähere Bestimmung wassergefährdender Stoffe und ihre Einstufung entsprechend ihrer Gefährlichkeit Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz

WaffG WaStrG weit

Waffengesetz Wasserstraßengesetz weitere

Verw VerwArch VerWiss VerwPrR VerwR VerwRspr VfGHG VG VGH VGHG vgl (a) VgRÄG VGS

VgV vH VIZ VkBl V-Leute VO VOB VOL Voraufl Vorb/Vorbem vorl VR VRG VRS VVDStRL VVE Vw VW VwGerichtsbkt VwGO VwR VwV VwVfG(e) VwVG VwVwS

XLVIII

Abkürzungsverzeichnis WertV WG WHG WiGBl WiR wiss WissR

Wertermittlungsverordnung Wassergesetz, Wegegesetz Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsgesetzblatt Wirtschaftsrecht wissenschaftlich Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung wistra Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht WiV/WiVerw Wirtschaft und Verwaltung, Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv WM Wertpapier-Mitteilungen wN weitere Nachweise Wolff/Bachof, VwR I H.-J. Wolff, O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd 1, 9. Aufl 1974 Wolff/Bachof, VwR II H.-J. Wolff, O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd 2, 4. Aufl 1976 Wolff/Bachof, VwR III H.-J. Wolff, O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd 3, 4. Aufl 1978 Wolff/Bachof/Stober, VwR I H.-J. Wolff, O. Bachof, R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd 1, 11. Aufl 1999 Wolff/Bachof/Stober, VwR II H.-J. Wolff, O. Bachof, R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd 2, 6. Aufl 2000 Wolff/Bachof/Stober, VwR III H.-J. Wolff, O. Bachof, R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd 3, 5. Aufl 2004 WPfG/WPflG Wehrpflichtgesetz WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WRRL Wasserrahmenrichtlinie WRV Weimarer Reichsverfassung WTO World Trade Organization/Welthandelsorganisation WUR Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, Wirtschaft und Recht WuW Wirtschaft und Wettbewerb WVG Wasserverbandsgesetz z Zt ZaöRV ZAU zB ZBR ZDG ZfA ZfB ZfBR ZfPR ZfU ZfW ZG ZGR ZHR

zur Zeit Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für angewandte Umweltforschung zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zivildienstgesetz Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Personalvertretungsrecht Zeitschrift für Umweltpolitik Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Handelsrecht

XLIX

Abkürzungsverzeichnis ZIP zit ZK ZKF ZLR ZLW ZMR ZögU ZPO ZRP zT ZTR Ztschr zugest zul ZUR zurückh zust zutr ZVI

L

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zollkodex Zeitschrift für Kommunalfinanzen Zeitschrift für das gesamte Luftrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht Zeitschrift zugestimmt zuletzt Zeitschrift für Umweltrecht zurückhaltend zustimmend zutreffend Zeitschrift für Verbraucherinsolvenzrecht

ERSTES KAPITEL

Kommunalrecht Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Gliederung . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

Rn 1– 7b 2 3– 6 7– 7b 7a 7b

II. Die Verfassungsgarantie des Art 28 II GG . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtssubjektsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsinstitutionsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . b) Allzuständigkeit (Universalität) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kernbereichsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gemeindespezifisches materielles Aufgabenverteilungsprinzip e) So genannte Gemeindehoheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektive Rechtsstellungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erstreckungsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens . . . . . . . . . b) Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewährleistung der Selbstverwaltung auf europäischer Ebene . . . Spezialliteratur

. . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . .

8–26a 10–12 13–23 14–17 18 19 20–22 21 22 23 24 25–26 25 26 26a

I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . 2. Zur Geschichte des Kommunalwesens 3. Neue Entwicklungen . . . . . . . . a) Recht der Europäischen Union . . b) New Public Management . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden . . . . . . . 1. Gewährleistungen im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . a) partielle Finanzgarantien . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung . . . . . . bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit 2. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen . . .

. . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

27–31 27–30 27–27a 28–30 29 30 31

IV. Kommunale Aufgabensystematik und Staatsaufsicht 1. Aufgaben der Gemeinden . . . . . . . . . . . a) Aufgabendualismus . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten . . . . bb) Auftragsangelegenheiten . . . . . . . . b) Aufgabenmonismus . . . . . . . . . . . . . aa) interne Gliederung . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

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. . . . . . .

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32–54 33–40 34–36 35 36 37–39 38

. . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

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. . . . . .

. . . . . . .

1

1. Kap

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

bb) Weisungsaufgaben als Zwischenform . . . . . . . . . . . c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum 2. Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsichtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . 3. Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wesen und Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen . . . . . . . 4. Mittel präventiver Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweck und Typik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) spezielle Genehmigungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung . . . . . . . . . . bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium . . . . . . . . 5. Aufgabenbestand und Gemeindestatus: kreisangehörige und kreisfreie Gemeinden . . . . . . . . . . . . a) Das Bild der Einheitsgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden . . . . . . . . . . aa) kreisangehörige Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . bb) kreisfreie Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden . . . . . . . . . Spezialliteratur

2

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

39 40 41–43 42 43 44–45 44 45 46–49 46 47–49 48 49

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

50–54 50 51–54 52 53 54

V. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) 1. Der Gemeinderat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus . . . . . . . . . . . . aa) Rechts- und Pflichtenstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften . . . . . . . . . . b) interne Organisation und Verfahren des Rates . . . . . . . . . aa) Ratsvorsitzender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ratsgeschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ratssitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ratsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgaben des Gemeinderates . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick) . . . . . . . . . . 2. Der Bürgermeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung . . . . . . . . . . . . . cc) übertragene Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Dringlichkeitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verwaltungschef . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Wahrnehmung gemeindlicher Beteiligungsrechte . . . . . . gg) Vertretung der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Einspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten kollegialer Leitungsgremien . . . . . . . . . . . . 4. Kommunalverfassungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundfragen und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialliteratur

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55–84 59–69 59–61 60 61 62–66a 63 64 65 66 66a 67–69 68 69 70–79 71 72–79 73 74 75 76 77 77 78 79 80–81 82–84 83 84

Kommunalrecht

1. Kap

VI. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung 1. Kommunalwahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Plebiszitäre Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) schlichte Mitwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitentscheidungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften . . . . . . . . Spezialliteratur VII. Die Rechtsetzung der Gemeinden . . . . 1. Gemeindliche Satzungen . . . . . . . . a) Regelungstypus . . . . . . . . . . . b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . aa) allgemein . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensfehler . . . . . . . . . d) Rechtsschutz gegen Satzungen . . . 2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte a) Rechtsverordnungen . . . . . . . . b) inneradministrative Rechtssätze . . Spezialliteratur

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93–103 94–101 94 95– 96 97– 99 97 98– 99 100–101 102–103 102 103

VIII. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner . 1. Öffentliche Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nutzungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Benutzungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell . . . . bb) Typenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einrichtungen mit Anschluss- und Benutzungszwang a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anschlusspflichtige . . . . . . . . . . . . . bb) Anbieter gleichartiger Leistungen . . . . . . Spezialliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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104–117 104–113 105–107 108 109–113 110 111–113 114–117 114–115 116–117 116 117

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118–126d 118 119–121a 119 120 121 121a 122 123–126 123–125 124 125 126 126a–126d

IX. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden . 1. Begriffe und Abgrenzungen . . . . . . . . . 2. Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . b) Kommunalrechtliche Schrankentrias . . . c) Konkurrentenschutz . . . . . . . . . . . d) Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen . a) Formenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . aa) öffentlich-rechtliche Formen . . . . . bb) privatrechtliche Formen . . . . . . . . b) Eigenbetrieb, Kommunalunternehmen . . 5. Kommunale Verträge . . . . . . . . . . . .

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85– 92 86– 87 86 87 88 89– 91 90 91 92

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1. Kap

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

a) Die Bedeutung vertraglichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragsschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialliteratur X. Finanzen und Haushalt . . . . . . . . 1. Gemeindefinanzsystem . . . . . . a) Steuereinnahmen . . . . . . . . aa) Gemeindesteuern . . . . . . bb) Steuererfindungsrecht . . . . b) Gebühren und Beiträge . . . . . c) Finanzzuweisungen . . . . . . . 2. Haushaltsrecht . . . . . . . . . . a) Haushaltssatzung, Haushaltsplan b) Haushaltsvollzug . . . . . . . . Spezialliteratur

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127–135 128–132 129–130 129 130 131 132 133–135 134 135

XI. Das Recht der Landkreise (Kreise) . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtssubjektsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsinstitutionsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben der Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung . . . . . . . . b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) übergemeindliche Aufgaben . . . . . . . . . . . . . bb) ergänzende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . cc) ausgleichende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . dd) Kompetenz-Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organe des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreistag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Landrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kreisausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatliche Verwaltung im Kreis . . . . . . . . . . . . . . Spezialliteratur

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136–149 136–138 137 138 139–144 139

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140–144 141 142 143 144 145–148 146 147 148 149

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150–157 153–154 155 156–157 156 157

XII. Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände . . . . 1. Gesamtgemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Höhere Gemeindeverbände . . . . . . . . . . . . 3. Interkommunale Zusammenarbeit, Zweckverbände a) Formen interkommunaler Zusammenarbeit . . . b) insbes Zweckverbandsbildungen . . . . . . . .

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126a 126b–126c 126d

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Gesetze Baden-Württemberg: GemeindeO idF v 24. 7. 2000 (GBl 582), zul geänd am 28. 7. 2005 (GBl 578). LandkreisO idF v 19. 6. 1987 (GBl 289), zul geänd am 28. 7. 2005 (GBl 578). NachbarschaftsverbandsG v 9. 7. 1974 (GBl 261), zul geänd am 7. 2. 1994 (GBl 92).

4

Kommunalrecht

1. Kap

G über kommunale Zusammenarbeit idF v 16. 9. 1974 (GBl 408), zul geänd am 14. 12. 2004 (GBl 884). Bayern: GemeindeO idF v 22. 8. 1998 (GVBl 796), zul geänd am 26. 7. 2004 (GVBl 272). LandkreisO idF v 22. 8. 1998 (GVBl 826), zul geänd am 26. 7. 2004 (GVBl 272). BezirksO idF v 22. 8. 1998 (GVBl 851), zul geänd am 26. 7. 2004 (GVBl 272). G über die kommunale Zusammenarbeit idF v 20. 6. 1994 (GVBl 555), zul geänd am 26. 7. 2004 (GVBl 272). VerwaltungsgemeinschaftsO idF v 26.10. 1982 (GVBl 965), zul geänd am 26. 7. 2004 (GVBl 272). Berlin: G über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung idF v 22. 7. 1996 (GVBl 302), zul geänd am 4. 5. 2005 (GVBl 282). BezirksverwaltungsG idF v 28. 2. 2001 (GVBl 61), zul geänd am 24. 6. 2004 (GVBl 253). Brandenburg: GemeindeO idF v 10. 10. 2001 (GVBl I 154), zul geänd am 22. 6. 2005 (GVBl I 210). LandkreisO v 15. 10. 1993 (GVBl I 433), zul geänd am 22. 6. 2005 (GVBl I 210). AmtsO idF v 10. 10. 2001 (GVBl I 188), zul geänd am 4. 6. 2003 (GVBl I 172). G über kommunale Gemeinschaftsarbeit idF v 28. 5. 1999 (GVBl I 194). Bremen: Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen v 21. 10. 1947 (GBl 251), zul geänd am 31. 5. 2005 (GBl 193). OrtsG über Beiräte und Ortsämter v 20. 6. 1989 (GBl 241), zul geänd am 18. 6. 2002 (GBl 214). Verfassung für die Stadt Bremerhaven idF v 13. 10. 1971 (GBl 243), zul geänd am 5. 2. 1998 (GBl 92). Hamburg: BezirksverwaltungsG idF v 11. 6. 1997 (GVBl 205), zul geänd am 5. 7. 2004 (GVBl 313). Hessen: GemeindeO idF v 1. 4. 2005 (GVBl I 142), zul geänd am 21. 3. 2005 (GVBl I 229). LandkreisO idF v 1. 4. 2005 (GVBl I 183), zul geänd am 21. 3. 2005 (GVBl I 229). G über kommunale Gemeinschaftsarbeit v 16. 12. 1969 (GVBl I 307), zul geänd am 21. 3. 2005 (GVBl I 229). Mecklenburg-Vorpommern: Kommunalverfassung idF v 13. 1. 1998 (GVOBl 29), zul geänd am 14. 3. 2005 (GVOBl 91). Niedersachsen: GemeindeO idF v 22. 8. 1996 (GVBl 382), zul geänd am 22. 4. 2005 (GVBl 110). LandkreisO idF v 22. 8. 1996 (GVBl 365), zul geänd am 22. 4. 2005 (GVBl 110).

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1. Kap

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Nordrhein-Westfalen: GemeindeO idF v 14. 7. 1994 (GV 666), zul geänd am 3. 5. 2005 (GV 498). KreisO idF v 14. 7. 1994 (GV 646), zul geänd am 5. 4. 2005 (GV 306). G über kommunale Gemeinschaftsarbeit idF v 1. 10. 1979 (GV 621), zul geänd am 5. 4. 2005 (GV 274). Rheinland-Pfalz: GemeindeO idF v 31. 1. 1994 (GVBl 153), zul geänd am 5. 4. 2005 (GVBl 98). LandkreisO idF v 31. 1. 1994 (GVBl 188), zul geänd am 5. 4. 2005 (GVBl 98). ZweckverbandsG v 22. 12. 1982 (GVBl 476), zul geänd am 22. 12. 2003 (GVBl 390). Saarland: KommunalselbstverwaltungsG idF v 27. 6. 1997 (ABl 682), zul geänd am 8. 10. 2003 (ABl 2004, 594). G über die kommunale Gemeinschaftsarbeit idF v 27. 6. 1997 (ABl 723), zul geänd am 8. 10. 2003 (ABl 2874). Sachsen: GemeindeO idF v 18. 3. 2003 (GVBl 55), zul geänd am 11. 5. 2005 (GVBl 155). LandkreisO idF v 19. 7. 1993 (GVBl 577), zul geänd am 5. 5. 2004 (GVBl 148). G über die kommunale Zusammenarbeit v 19. 8. 1993 (GVBl 815, ber 1993, 1103), zul geänd am 11. 5. 2005 (GVBl 155). Sachsen-Anhalt: GemeindeO v 5. 10. 1993 (GVBl 568), zul geänd am 22. 12. 2004 (GVBl 856). LandkreisO v 5. 10. 1993 (GVBl 598), zul geänd am 22. 12. 2004 (GVBl 856). G über kommunale Gemeinschaftsarbeit idF v 26. 2. 1998 (GVBl 81), zul geänd am 25. 2. 2004 (GVBl 80). Schleswig-Holstein: GemeindeO idF v 28. 2. 2003 (GVOBl 57), zul geänd am 1. 2. 2005 (GVOBl 66). KreisO idF v 28. 2. 2003 (GOVBl 94), zul geänd am 1. 2. 2005 (GVOBl 66). AmtsO idF v 28. 2. 2003 (GOVBl 112), zul geänd am 1. 2. 2005 (GVOBl 66). G über die Errichtung allgemeiner unterer Landesbehörden idF v 3. 4. 1996 (GVOBl 406), zul geänd am 16. 6. 1998 (GVOBl 210). G über kommunale Zusammenarbeit idF v 28. 2. 2003 (GVOBl 122), zul geänd am 1. 2. 2005 (GVOBl 66). Thüringen: Gemeinde- und LandkreisO (KommunalO) idF v 28. 1. 2003 (GVBl 41), zul geänd am 10. 3. 2005 (GVBl 58). G über die kommunale Gemeinschaftsarbeit idF v 10. 10. 2001 (GVBl 290).

Literatur I. Zum Kommunalrecht allgemein A. Bovenschulte Gemeindeverbände als Organisationsformen kommunaler Selbstverwaltung, 2000 (zit Bovenschulte Gemeindeverbände).

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Kommunalrecht

1. Kap

M. Burgi Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2003) 405 ff. J. Burmeister Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977 (zit Burmeister Neukonzeption). A. Dittmann Kommunalverbandsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, 105 ff. D. Ehlers Empfiehlt es sich, das Recht der öffentlichen Unternehmen im Spannungsverhältnis von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb national und gemeinschaftsrechtlich neu zu regeln?, Gutachten E zum 64. DJT, 2002 (zit Ehlers Gutachten). A. Gern Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl 2003 (zit Gern DtKomR). J. Hellermann Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000 (zit Hellermann Daseinsvorsorge). R. Hendler Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984 (zit Hendler Selbstverwaltung). H.-G. Henneke (Hrsg), Stärkung der kommunalen Handlungs- und Entfaltungsspielräume, 1996. H.-G. Henneke (Hrsg), Verantwortungsteilung zwischen Kommunen, Ländern, Bund und Europäischer Union, 2001 (zit Henneke Verantwortungsteilung). H.-G. Henneke (Hrsg), Kommunale Perspektiven im zusammenwachsenden Europa, 2003. H. Hill Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nach der Reform, 1987 (zit Hill Funktion). M. Hoffmann/Ch. Kromberg/V. Roth/B. Wiegand (Hrsg), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996. W. Hoppe/M. Uechtritz (Hrsg), Handbuch kommunale Unternehmen, 2004. W. Kahl Die Staatsaufsicht, 2000 (zit Kahl Staatsaufsicht). W. Kluth Grundlagen des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung, in: Wolff/Bachof/Stober, VwR III, 5. Aufl 2004, §§ 94–96. F.-L. Knemeyer Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994. F.-L. Knemeyer (Hrsg), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003. F.-L. Knemeyer/B. Kempen Kommunales Wirtschaftsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, 54 ff. H. Müthling Die Geschichte der deutschen Selbstverwaltung, 1966. A. v. Mutius Kommunalrecht, 1996 (zit v Mutius KomR). M. Nierhaus (Hrsg), Kommunale Selbstverwaltung. Europäische und Nationale Aspekte, 1996. J. Oebbecke Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2003) 366 ff. H. Pagenkopf Kommunalrecht, 2. Aufl, Bd 1 1975, Bd 2 1976 (zit Pagenkopf KomR). J.-Ch. Pielow Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001 (zit Pielow Grundstrukturen). H. Preuss Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1906 (Nachdruck 1965). G. Püttner (Hrsg), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd 1–6, 2. Aufl 1981 ff (zit Bearbeiter HkWP). B. Schaffarzik Handbuch der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002 (zit Schaffarzik Europäische Charta). E. Schmidt-Aßmann Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl 2004. E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997. E. Schmidt-Jortzig Kommunalrecht, 1982 (zit Schmidt-Jortzig KomR). F. Schoch Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997 (zit Schoch Finanzautonomie). H. Scholler Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl 1990 (zit Scholler KomR).

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1. Kap

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

M. Schröder Kommunalverfassungsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, 1 ff. O. Seewald Kommunalrecht, in: U. Steiner (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl 2003, 1 ff. R. Stober Kommunalrecht, 3. Aufl 1996 (zit Stober KomR). P. J. Tettinger/W. Erbguth Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl 2005, 3 ff (zit Tettinger/Erbguth BesVerwR). K. Vogelgesang/U. Lübking/I. Ulbrich Kommunale Selbstverwaltung, 3. Aufl 2005. K. Waechter Kommunalrecht, 3. Aufl 1997 (zit Waechter KomR). W. Weber Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 2. Aufl 1967. II. Zur Einführung in das Kommunalrecht der einzelnen Bundesländer (Auswahl): Baden-Württemberg: A. Gern Kommunalrecht, 9. Aufl 2005. H. Maurer Kommunalrecht, in: H. Maurer/R. Hendler (Hrsg), Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1990, 173 ff (zit Maurer in: Maurer/Hendler StuVwR BW). G. Püttner Kommunalrecht Baden-Württemberg, 3. Aufl 2004. Bayern: F.-L. Knemeyer Bayerisches Kommunalrecht, 11. Aufl 2004. G. Lissack Bayerisches Kommunalrecht, 2. Aufl 2001. U. Steiner Kommunalrecht, in: W. Berg/H. J. Papier/F. L. Knemeyer/U. Steiner (Hrsg), Staatsund Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl 1996, 109 ff. Ch. Masson/R. Samper/M. Bauer/Th. Böhle Bayerische Kommunalgesetze (Lsbl). Brandenburg: M. Nierhaus Kommunalrecht für Brandenburg, 2003. Hessen: D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern Kommunalrecht, 4. Aufl 2005. H. Meyer Kommunalrecht, in: H. Meyer/M. Stolleis (Hrsg), Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, 5. Aufl 2000, 169 ff (zit H. Meyer in: Meyer/Stolleis StuVwR Hess). Mecklenburg-Vorpommern: Hub. Meyer Kommunalrecht, 2. Aufl 2002. H.-J. Schütz Kommunalrecht, in: G. Manssen/H.-J. Schütz (Hrsg), Staats- und Verwaltungsrecht für Mecklenburg-Vorpommern, 1999, 319 ff. Niedersachsen: J. Ipsen Niedersächsisches Kommunalrecht, 2. Aufl 1999. R. Thiele Niedersächsische Gemeindeordnung, 7. Aufl 2004. Nordrhein-Westfalen: H.-U. Erichsen Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 1997 (zit Erichsen KomR NW). J. Oebbecke Gemeindeverbandsrecht Nordrhein-Westfalen, 1984 (zit Oebbecke Gemeindeverbandsrecht). Rheinland-Pfalz: A. Gern/H. Stubenrauch Kommunalrecht Rheinland-Pfalz, 2005. Saarland: J. Wohlfahrt Kommunalrecht, 3. Aufl 2003.

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Kommunalrecht

1. Kap I 1

Sachsen: A. Gern Sächsisches Kommunalrecht, 2. Aufl 2000. D. Hegele/K. Ewert Kommunalrecht im Freistaat Sachsen, 3. Aufl 2004. L. Jaeckel/F. Jaeckel Kommunalrecht in Sachsen, 2. Aufl 2003. U. Arens/H. Menke Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen, 4. Aufl 2004. Schleswig-Holstein: A. v. Mutius/H. Rentsch Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, Bd 1 u 2, 6. Aufl 2003. A. v. Mutius Kommunalrecht, in: H.-J. Schmalz/W. Ewer/A. v. Mutius/E. Schmidt-Jortzig (Hrsg), Staats- und Verwaltungsrecht für Schleswig-Holstein, 2002, 219 ff. Thüringen: H. Uckel/R. Hauth/H. Hofmann Kommunalrecht in Thüringen (Lsbl). H.-J. Wachsmuth u. a., Thüringer Kommunalrecht (Lsbl).

I. Grundlagen Als Kommunalrecht bezeichnet man die Summe derjenigen Rechtssätze, die sich 1 auf Rechtsstellung, Organisation, Aufgaben und Handlungsformen der Kommunalkörperschaften beziehen.1 Zu den Kommunalkörperschaften zählen die Gemeinden, die Landkreise, die Kommunalverbände und Sonderverbände sowie die kommunalen Zweckverbände. Das Gemeinderecht ist ein Teil des Kommunalrechts – der wichtigste Teil, weil die Gemeinden die Basis des körperschaftlich gegliederten kommunalen Verwaltungsgefüges sind. Zudem enthalten die anderen Teile des Kommunalrechts oft Verweisungen auf die Regelungsgebiete des Gemeinderechts. Daher steht das Gemeinderecht im Zentrum auch dieses Beitrages (Gliederungspunkte II–X), während das Recht der Landkreise und der sonstigen Gemeindeverbände nur knapp dargestellt wird (XI, XII).

1. Gesetzliche Grundlagen Weder für das Kommunalrecht als Ganzes noch für das Gemeinderecht existiert 2 eine geschlossene systematische Kodifikation. Wohl aber besteht in jedem Flächenstaat 2 der Bundesrepublik eine Gruppe von Gesetzen, die die Hauptmaterien des Kommunalrechts abdecken. Hierzu zählen die Gemeinde- und Landkreisordnungen und die Zweckverbandsgesetze. Kommunalabgabengesetze und Vorschriften über 1 2

Ähnlich Schmidt-Jortzig KomR, Rn 1; Erichsen KomR NW, 1. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg unterscheiden nicht zwischen staatlicher und gemeindlicher Aufgabenträgerschaft. Zum organisatorischen Aufbau und der Binnengliederung Hamburgs Bull in: Hoffmann-Riem/Koch (Hrsg), Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 2. Aufl 1998, 77; Becker/Schneider HkWP Bd 2, 285; Gern DtKomR, Rn 123. Zu Berlin Machelet HkWP Bd 2, 264; Gern DtKomR, Rn 120; Musil/Kirchner Das Recht der Berliner Verwaltung – unter Berücksichtigung kommunalrechtlicher Bezüge, 2002. Bremen kennt zwar eine eigene kommunale Ebene; in der nachfolgenden Darstellung bleibt jedoch auch dieses Land wie die beiden anderen Stadtstaaten außer Ansatz; zu Bremen Heise HkWP Bd 2, 310; Gern DtKomR, Rn 121 f.

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das kommunale Eigenbetriebs-, Kassen- und Haushaltswesen ergänzen diesen engeren Kreis kommunalrechtlicher Gesetze. Kommunalrecht ist also in seinem Kern Landesrecht. In einem weiteren Sinne freilich finden sich wichtige kommunalrechtliche Regelungen in vielen Bundes- oder Landesgesetzen,3 die einzelne Materien des Verwaltungsrechts regeln (Fachgesetze), zB die gemeindliche Bauleitplanung im Baugesetzbuch, das kommunale Markt- und Jahrmarktswesen in der Gewerbeordnung; Straßen-, Abfall-, Schulgesetze, auch Teile der Sozialgesetzgebung 4 – sie alle haben auch ihre kommunalrechtliche Seite, denn Gemeinden und Kreise sind zentrale Verwaltungsträger und finden in diesen Gesetzen die Grundlagen für ihre einzelnen Aufgabengebiete (Verwaltungsagenden). Eine Aufgabenzuweisung durch Bundesgesetz hat dabei allerdings schon aus Kompetenzgründen der Ausnahmefall zu bleiben (vgl a bei Rn 8).5

2. Zur Geschichte des Kommunalwesens 3 a) Das Wort Gemeinde bezieht sich ursprünglich auf ein bestimmtes Gebiet, die Allmende, eine Gemarkung, an der eine Gruppe von Personen gemeinsame Rechte und Pflichten besaß. Von diesem Realvermögen übertrug sich die Bezeichnung auf die in einem als Einheit verstandenen Gebiet ansässigen Rechtsgenossen, deren Ordnung aus der Notwendigkeit zur Erledigung gemeinsamer Pflichten erwuchs. Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich ein kommunales Gemeinwesen besonderer Art, die Stadt.6 Hier siedelten sich neben den Handeltreibenden auch Handwerker an, die ihre Wohnstätte, häufig im Schutz einer Burg gelegen, gegen Angriffe von außen befestigten. Die Bürgerschaft gliederte sich in Gilden und Zünfte nach verschiedenen Erwerbszweigen. Diese Verbände führten häufig einen heftigen Streit um die politische Leitung des Gemeinwesens mit der Folge, dass soziale Schichtungen innerhalb der Städte mannigfache Differenzierungen schufen, so dass vielerorts nur Patrizier ratsfähig waren und eine hegemoniale Stellung erlangten. So wich das genossenschaftliche Prinzip, das einst wichtige Impulse zur Entwicklung dieser Gemeinden gegeben hatte, der Herrschaft einflussreicher Familien, die nun innerhalb der Stadt als Obrigkeit auftraten. Ein wesentliches Kriterium der Stadt war seit dem 13. Jahrhundert ihre Autonomie zur Rechtsetzung. Von größeren Orten wie Nürnberg, Lübeck oder Magdeburg übernahmen Tochterstädte bis weit in die öst3

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Zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen BVerfGE 26, 172, 182 u 77, 288, 298 f → JK GG Art 72/2. Die daraus resultierende Rechtszersplitterung bereitet dem Studium ebenso wie jeder vereinheitlichenden Darstellung des Kommunalrechts erhebliche Schwierigkeiten. Die nachfolgenden Ausführungen wollen mit dem Text der jeweiligen Gemeindeordnung in der Hand gelesen werden. Zum Vergleich der Gemeindeordnungen SchmidtEichstaedt/Stade/Borchmann Die Gemeindeordnungen und die Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland (Lsbl), mit Einführungen; vgl dort auch die Nachw zur kommunalrechtlichen Lit. Dazu Henneke Die Kommunen in der Sozialpolitik, 2004. BVerfGE 22, 180, 210; 77, 288, 299; vgl a 106, 62, 145 f; ausf Schoch/Wieland Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, 2003, 25 ff u 73 ff. Scholler KomR, 1 ff; Laufs Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Aufl 1996, 31 ff, jeweils mwN.

Kommunalrecht

1. Kap 2 c

lichen Staaten Europas ihre Verfassung, so dass „Stadtrechtsfamilien“ entstanden, die in der Entwicklung des Rechts in Europa keine geringe Rolle spielen.7 b) Mit der Entwicklung des absolutistisch regierten Territorialstaates erstarrte 4 fast überall in Deutschland das kommunale Leben. Städte und Dörfer bildeten nicht viel mehr als obrigkeitliche Verwaltungsbezirke.8 Neu belebt und auf neue Rechtsgrundlagen gestellt wurde die Idee einer gemeindlichen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Hier waren es zunächst die Stein-Hardenbergschen Reformen, die auf dieses Gedankengut zurückgriffen.9 Ihren klarsten Ausdruck fanden diese Überlegungen in der preußischen Städteordnung vom 19. November 1808, die ihren Zweck dahingehend umreißt, „den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeinde einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten“. Zunächst eher als staatsorganisatorisches Prinzip gedacht, geriet die Selbstverwaltungsidee im weiteren Verlauf der Entwicklung stärker unter die vom süddeutschen Konstitutionalismus gespeisten Vorstellungen eines vorstaatlichen Status der Gemeinden.10 § 184 der Paulskirchenverfassung von 1849 und Art 127 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 führten die Selbstverwaltung der Gemeinden unter den Grundrechten auf. Die kommunalrechtliche Praxis dagegen blieb stets stärker der staatsorganisatorischen Deutung der gemeindlichen Selbstverwaltung verhaftet. Art 28 II GG nimmt diese Gedanken auf und stellt die Selbstverwaltung in den Dienst einer gegliederten, freiheitswahrenden Demokratie (Rn 8 ff). c) Der heutige Gebietszuschnitt und Bevölkerungsstand der Kommunalkörper- 5 schaften in den „alten“ Ländern der Bundesrepublik geht im Wesentlichen auf die Territorialreform zwischen 1967 und 1978 zurück. Vor der Reform gab es in der Bundesrepublik ca. 24 000 Gemeinden; davon hatten 10 760 weniger als 500 Einwohner. Die Gebietsreform, die durch umfangreiche verwaltungswissenschaftliche Gutachten vorbereitet worden war, hatte sich eine Stärkung der Verwaltungskraft und die Lösung des Stadt-Umland-Problems („Einheit von Planungs- und Verwaltungsraum“) zum Ziel gesetzt.11 Mittel zur Erreichung dieses Zieles waren vor allem die Eingemeindung und der Gemeindezusammenschluss – teils auf freiwilliger Grundlage, teils durch Hoheitsakt verordnet. Die Zahl der Gemeinden ging dadurch bundesweit auf ein Drittel (8505) zurück. Länderweise fiel die Reduktion allerdings recht unterschiedlich aus: Während Nordrhein-Westfalen zu radikalen Eingemeindungen griff, verminderten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Zahl ihrer Gemeinden nur geringfügig und versuchten im Übrigen, durch die Bildung zusätzlicher Gemeindeverbände (Verbandsgemeinden, Ämter) das Neuordnungsziel zu erreichen. In der gleichen Zeit ging die Zahl der kreisfreien Städte von 139 auf 92, die der Landkreise von 425 auf 235 zurück. 7 8 9

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Wieacker Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl 1967, 189 ff. Zur Entwicklung in Preußen Thiel DV 35 (2002) 25. Dazu E. R. Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Bd 1, 2. Aufl 1967, 102 ff u 172 ff; Treffer Staat 35 (1996) 251; ferner Burg VerwArch 86 (1995) 495; Cancik Staat 43 (2004) 298. Hendler Selbstverwaltung, 19 ff. Zur Bewertung der Reformen aus heutiger Sicht Hill Funktion, 129 ff.

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1. Kap 3 a

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d) Die Verfassung der DDR von 1949 hatte die gemeindeutsche Garantie kommunaler Selbstverwaltung zunächst beibehalten. Praktische Bedeutung erlangte das Institut jedoch nicht. Gemeinden, Städte und Landkreise fungierten im Sinne des „demokratischen Zentralismus“ als nachgeordnete Vollzugsinstanzen. Nach 1989 war neben der Wiederherstellung der Länder die Reaktivierung der Kommunen als Selbstverwaltungsträger ein wichtiges Ziel. Durch Gesetz vom 17. Mai 1990 wurde eine rechtsstaatlich-demokratische Kommunalverfassung eingeführt, die die Idee der Selbstverwaltung in den Mittelpunkt stellte.12 In ihren Grundzügen griff die Neuregelung auf die wesentlichen Gestaltungselemente zurück, die auch die Gemeinde- und Landkreisordnungen der alten Bundesländer bestimmen. Das noch von der Volkskammer beschlossene Gesetz galt als Landesrecht zunächst fort, bis die Länder eigene Gemeinde- und Landkreisordnungen erlassen hatten. Auf dieser Grundlage wurden die Kommunen neu gegründet. Sie sind daher keine Rechtsnachfolger der zur Zeit der DDR auf ihrem Gebiet bestehenden Gemeinden und Städte.13 Gebietszuschnitt und Bevölkerungszahlen der Gemeinden und Kreise knüpften zunächst an die bisherigen Verhältnisse an. Sie waren wesentlich kleiner dimensioniert als in den alten Bundesländern: Von den insgesamt 7563 Gemeinden hatten nahezu die Hälfte unter 500 und nur 15 über 100 000 Einwohner. Die Zahl der Landkreise betrug 189. Mittlerweile haben alle neuen Länder eine kommunale Gebietsreform durchgeführt.14 Die Reformen arbeiten mit unterschiedlichen Lösungsmodellen, teils mit der Einführung der Ämterverfassung (vgl Rn 153 f), teils mit Eingemeindungen, die sich alle an den Vorgaben des Art 28 II GG messen lassen müssen (vgl Rn 11).

3. Neue Entwicklungen 7 Als breit und umfassend tätige Verwaltungsträger sind die Kommunalkörperschaften eingebunden in den Wandlungsprozess, dem die gesamte öffentliche Verwaltung heute in starkem Maße unterliegt, den sie zu ihrem Teil aber auch mitgestaltet.15 Die Herausforderungen heißen „Europäisierung“ (a), „Ökonomisierung“ (b) und „Privatisierung“ (dazu Rn 122). a) Recht der Europäischen Union 7a Das Recht der Europäischen Union betrifft heute nahezu alle Bereiche des Verwaltungsrechts.16 Im kommunalen Bereich werden vor allem die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Wirtschaftsförderung durch Beihilfen, die gemeindeeigene Wirtschafts-

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Dazu Schmidt-Eichstaedt DVBl 1990, 848; O. Bretzinger Die Kommunalverfassung der DDR, 1994. BGH WM 1997, 1028; VIZ 2004, 492; BGHZ 127, 285 (Kreise). Überblick bei Stüer/Landgraf LKV 1998, 209; zu Bbg Wilhelm LKV 2001, 11; Schmahl DVBl 2003, 1300; zu S-Anh Püchel/Lang LKV 2001, 5; zur Funktionalreform Müller LKV 1998, 216; allgemein zur Entwicklung Knemeyer DÖV 2000, 496. Oebbecke u Burgi VVDStRL 62 (2003) 366 u 405. Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 3; ausf v Danwitz Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, bes 175 ff.

Kommunalrecht

1. Kap 3 b

tätigkeit und die Umweltpolitik durch Vorgaben des EG-Rechts beeinflusst.17 Eine besonders wichtige Rolle spielen die Grundfreiheiten 18 und das Wettbewerbsrecht. Ein streitiges Thema war lange Zeit das kommunale Sparkassenwesen.19 Aber auch für die Ausgestaltung der Benutzungsgebühren für gemeindliche öffentliche Einrichtungen kann das EG-Recht beachtlich sein.20 Das Kommunalwahlrecht ist um das Wahlrecht der Unionsbürger erweitert worden (dazu u Rn 85). Das EG-Recht muss heute als eine allgegenwärtige Determinante des Verwaltungsalltags angesehen werden. Die exakte Rechtsanwendung, zu der die Kommunen nach Art 20 III GG verpflichtet sind, ist dadurch diffiziler geworden; das gilt zumal angesichts der unmittelbaren Wirkung der EG-Richtlinien und der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung.21 Jenseits dieser praktischen Schwierigkeiten fürchtet manche Gemeinde, durch das EG-Recht und die Entscheidungsstrukturen der Europäischen Union in den Sog einer Zentralisierung zu geraten, der wenig Rücksicht auf die gewachsenen deutschen Kommunalstrukturen und ihre spezifischen Absicherungen nehmen wird. Und in der Tat werden manche kommunalen Verwaltungsbereiche durch ihre Bindung an europarechtliche Vorgaben für lokal tätige Entscheidungsträger weniger steuerbar werden.22 Auf der anderen Seite sollten die Chancen, die die Europäisierung des Rechts-, Wirtschafts- und Soziallebens bietet, von Städten und Gemeinden positiv als Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten erfasst und genutzt werden, um die Idee einer Selbstverwaltung im europäischen Zeitalter auszubilden.23 Die Frage, wie kommunale Handlungsspielräume auch auf europäischer Ebene rechtlich gesichert werden können, wird wichtig (Rn 26 a). b) New Public Management Das Handeln der öffentlichen Verwaltung wird heute vielfach stärker als früher un- 7b ter ökonomischen Aspekten gesehen: 24 Effizienz- und Kostenfragen spielen eine im17

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Vgl Schaffarzik Europäische Charta, 566 ff; C. J. Schultze Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union, 1997, 38 ff; Stern FS Friauf, 75 ff; Schmahl DÖV 1999, 852; Hobe/ Biehl/Schroeter DÖV 2003, 803; speziell zur Beihilfeaufsicht → Badura/Huber 3. Kap Rn 116ff; zum Umweltrecht → Breuer 5. Kap; zum öffentl. Dienstrecht → Kunig 6. Kap Rn 28. Zu ihnen allg Ehlers (Hrsg), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, §§ 7–12; sa ders Jura 2001, 266, 482. Dazu Oebbecke VerwArch 93 (2002) 278. Vgl hierzu die Verständigung zwischen EU-Kommission und Bundesregierung vom 17. Juni 2001 über die Haftungsgrundlagen öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute („Brüsseler Verständigung“), dazu Henneke NWVBl 2002, 249. Zur Spezialfrage des Sparkassenverkaufs Koch NVwZ 2004, 578; Meyer NJW 2004, 1700; Meier VR 2005, 193. EuGHE 2003, 721 → JK EGV Art 49/7: Museumsgebühren für Touristen aus dem EUAusland und sog passive Dienstleistungsfreiheit. Zur Direktwirkung nicht (rechtzeitig) umgesetzter EG-Richtlinien EuGHE 1989, 1861, 1870 f – Costanzo; Scherzberg Jura 1993, 225; Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 3 Rn 29. Henneke Verantwortungsteilung pass. Henneke (Hrsg), Kommunen und Europa, 1999; J. Ipsen/Rengeling (Hrsg), Gemeinden und Kreise in einem vereinten Europa, 1999. Zum Kommunalrecht des Auslands Martini Gemeinden in Europa, 1992. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg), Effizienz als Herausforderung an das Verwal-

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1. Kap 3 b

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

mer wichtigere Rolle; auf die Gefahr, sie könnten die rechtlichen Maßstäbe verdrängen, wird von juristischer Seite hingewiesen. Ideen des New Public Managements sind insbesondere durch das sog Neue Steuerungsmodell in die kommunale Politik einbezogen worden. Das Modell wurde 1993 von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung vorgelegt.25 Es folgt dem Leitbild „Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung“, das Verwaltungsleistungen als „Produkte“ und die Beziehungen der Verwaltung zum Bürger als „Kundenbeziehung“ deutet. Es zielt auf den Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur. Zu seinen Kernelementen rechnet eine klare Verantwortungsabgrenzung zwischen dem politischen und dem administrativen System innerhalb der Kommunalkörperschaften. Das oberste Kommunalorgan soll den gewünschten Umfang der disponiblen Aufgaben, die Führungsstruktur und die Rahmenbedingungen festlegen, Ziele für Leistungsaufträge setzen und deren Erfüllung fortlaufend kontrollieren. Die Verwaltung soll die final vorgegebenen Leistungsaufträge erfüllen. Eine wichtige Funktion wird dabei Vereinbarungen zugeschrieben, mit denen die im Rahmen von Programmbudgets zu erbringenden Leistungen zwischen Politik und Verwaltung, aber auch innerhalb des administrativen Systems näher festgelegt werden.26 Das Modell ist auf eine exakte Leistungsbeschreibung nach Kennziffern angewiesen. Wettbewerb und Wettbewerbssurrogate sollen die unternehmensähnliche Ausgestaltung stärken. Den einzelnen Verwaltungsbereichen soll eine eigene Verantwortung für den zweckentsprechenden und effizienten Einsatz der ihnen global zugewiesenen Personal- und Sachmittel zukommen. Dieser dezentralen Organisationsgestaltung wird ein zentraler Steuerungsbereich gegenübergestellt, der für die strategischen Leit- und Kontrollaufgaben verantwortlich sein soll. Die Umsetzung dieses Modells verlangt Anpassungen des kommunalen Organisationsrechts und vor allem des Haushaltsrechts.27

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tungsrecht, 1998; die Beiträge von J.-P. Schneider, Voßkuhle u Groß DV 34 (2001) 317, 347 u 371; K. König DÖV 2001, 617; ferner Lepsius DV 32 (1999) 429. Dazu KGSt-Bericht Nr. 5/1993; Nachw zu weiteren Dok u zur Lit bei Klages AfK 34 (1995) 203; Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 54 Rn 6; Reichard/Wollmann (Hrsg), Kommunalverwaltungen im Modernisierungsschub, 1996; Schwarting Effizienz in der Kommunalverwaltung, 2. Aufl 2005; Seidlmeier/Knauf New Public Management in der kommunalen Verwaltung, 1997; Wallerath VerwArch 88 (1997) 1; Hill u. J.-P. Schneider in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg), Verwaltungsorganisationsrecht, 1997, 65 u 103; Grunol/Wollmann Lokale Verwaltungsreform in Aktion: Fortschritte und Fallstricke, 1998; Klie/Meysen DÖV 1998, 452; Naschold/Bogumil Modernisierung des Staates, 2000; Blanke/v. Bandemer/Nullmeier/Wewer Handbuch zur Verwaltungsreform, 2. Aufl 2001; Bogumil Modernisierung lokaler Politik, 2001; Göbel/Lauen DV 35 (2002) 263; Schedler/ Proeller New Public Management, 2003; Jann Status-Report Verwaltungsreform, 2004. Wallerath DÖV 1997, 57; Pünder DÖV 1998, 63; Ch. Winter Das Kontraktmanagement, 1998; Hill NVwZ 2002, 1059; Sensburg Der kommunale Verwaltungskontrakt, 2003; kommunalwissenschaftl-krit Bogumil VerwArch 93 (2002) 129. Zur Umsetzung des Modells im Kommunalverfassungsrecht allg v Mutius FS Stern, 685; Ziekow in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, 349; insbesondere im Haushaltsrecht Oebbecke DÖV 1998, 853; Kube DÖV 2000, 810; Pünder DÖV 2001, 70; umfass ders Haushaltsrecht im Umbruch, 2003.

Kommunalrecht

1. Kap II

II. Die Verfassungsgarantie des Art 28 II GG Gemeinden sind nach heutigem Verständnis Teil des Staates. Sie üben Staatsgewalt 8 aus, die sich gem Art 20 II 1 iVm Art 28 I GG vom Volk ableiten muss; 28 dieses ist die kommunalrechtliche Seite der für das gesamte Verwaltungsrecht zentral bedeutsamen Lehre von der demokratischen Legitimation der öffentlichen Verwaltung.29 Als Verwaltungsträger sind sie der vollziehenden Gewalt iSv Art 20 III GG zuzuordnen. Im dualistischen Einteilungsschema der Bundesstaatlichkeit (Bund/Länder) gehören sie zum Organisationsbereich der Länder.30 Hier bilden sie das Zentrum jenes Verwaltungsteilbereichs, den man „Selbstverwaltung“ nennt und der „Staatsverwaltung“ (iS staatsunmittelbaren, behördlichen Verwaltungsvollzuges) gegenüberstellt.31 Gleichwohl ist mit dieser Zuordnung die besondere Stellung der Gemeinden im Staat nur unvollständig beschrieben. Nicht nur in der Politik werden die Kommunen gern als „dritte Säule“ oder „dritte Ebene“ bezeichnet. Auch das Grundgesetz nimmt von ihnen mehrfach neben Bund und Ländern Notiz und macht ihr Verhältnis zu diesen etablierten Gewalten zum Gegenstand genauerer Regelungen. Es ist geradezu das Lebensgesetz der gemeindlichen Verwaltung, dass sie sich immer in einer Doppelrolle befindet 32: Teil organisierter Staatlichkeit zwar, aber eben doch nicht in jenem engeren Sinne hierarchisch aufgebauter Entscheidungszüge, sondern als dezentralisiert-partizipative Verwaltung mit einem eigenen Legitimationssystem, das der Bürgernähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität verbunden sein soll. Das Grundgesetz hat sich für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute „gegliederte Demokratie“ 33 entschieden. So ist es nur konsequent, wenn Art 28 I 2 GG für die beiden wichtigsten Typen von Kommunalkörperschaften 28 29

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BVerfGE 83, 37, 53 ff u 107, 1, 11 f; vgl noch u bei Rn 85. Schmidt-Aßmann Ordnungsidee, Kap 2 Tz 80 ff; Dreier Jura 1997, 249; Zacharias Jura 2001, 446. Der Bundesgesetzgeber kann ihnen daher auf der Grundlage des Art 84 I GG nur im Ausnahmefall Aufgaben unmittelbar zuweisen („Durchgriff“), BVerfGE 22, 180, 209 f u 77, 288, 299; ausf mN Trute in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG (5. Aufl 2005 iE), Art 84 Rn 10 f, Schoch NVwZ 2004, 1273; ders Der Landkreis 2004, 367; Henneke DÖV 2005, 177, 183 ff; Korioth NVwZ 2005, 503; positiver zB Remmert VerwArch 94 (2003) 459, 475 ff. Die organisatorische Verklammerung mit Einheiten der Bundesverwaltung erscheint unter dem Gesichtspunkt der Mischverwaltung problematisch, zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften nach § 44 b SGB II Lühmann DÖV 2004, 677, 683; ders Der Landkreis 2004, 415, 418; Henneke DÖV 2005, 177, 187; Ruge/Vorholz DVBl 2005, 403, 407 f. Zur Aufteilung in unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung und allgemein zur Selbstverwaltung Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 52 Rn 10 ff. Zur kommunalen Selbstverwaltung Dieckmann FG BVerwG, 2003, 815; zur funktionalen Selbstverwaltung BVerfGE 107, 59, 86 ff → JK GG Art 20 II/3; Unruh VerwArch 92 (2001) 531; Becker DÖV 2004, 910; Jestaedt JuS 2004, 649. Ebenso Schoch Jura 2001, 121, 124. v Unruh DVBl 1975, 1, 2; BVerfGE 52, 95, 111 f → JK GG Art 28 II/4, vgl a 91, 228, 244 → JK GG Art 28 II/22.

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1. Kap II 1

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

(Landkreise und Gemeinden) zwingend vorsieht, das Volk müsse in ihnen genauso wie in Bund und Ländern eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Volksvertretung haben. Diese wichtigen Verbindungslinien zwischen Selbstverwaltungsidee und demokratischer Verfassungsstruktur, die freilich ein nicht in jeder Hinsicht spannungsfreies Verhältnis beider Komponenten kennzeichnen, konstituieren auch die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden und müssen zur Auslegung der „Selbstverwaltungsgarantie“ (Art 28 II GG) herangezogen werden.34 Das Verhältnis der Gemeinden zum Staat wird vor allem durch jenen Normen9 komplex bestimmt, den man etwas verkürzend die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung nennt. Die wichtigste Bestimmung dieses Gefüges ist Art 28 II 1 GG, der von einigen Komplementärbestimmungen des Grundgesetzes umlagert (Rn 25 f) und durch das Landesverfassungsrecht teils wiederholt, teils ergänzt wird (Rn 31). Nach Art 28 II 1 GG muss den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Vorschrift ist keine bloße Normativbestimmung für eine gesetzliche Ausformung, sondern unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, das Gesetzgeber, Verwaltung und Judikative im Bund und in den Bundesländern bindet. Auch „benachbarte“ Hoheitsträger (Landkreise, Nachbargemeinden) haben sie zu respektieren.35 Keine Wirkung entfaltet Art 28 II GG dagegen im Verhältnis der Gemeinde zu privaten Dritten.36 Die Tatsache, dass eine Materie zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört, ergibt folglich noch kein eigenständiges Eingriffsmandat der Gemeinde in Rechtspositionen Privater. Hier hat sich die Gemeinde an das zu halten, was für die öffentliche Verwaltung allgemein zu beachten ist (Grundrechte, Gesetzesvorbehaltslehre). Im Einzelnen erleichtert man sich die Arbeit, wenn man innerhalb des Art 28 II 1 GG drei „Garantieebenen“ trennt: die Rechtssubjektsgarantie (1), die Rechtsinstitutionsgarantie (2) und die subjektive Rechtsstellungsgarantie (3).37

1. Rechtssubjektsgarantie 10 Gewährleistet wird als erstes, dass es überhaupt Gemeinden als Elemente des Verwaltungsaufbaus geben muss. Gemeinde in dem von der Verfassung vorausgesetzten Sinne ist „ein auf personaler Mitgliedschaft zu einem bestimmten Gebiet

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Grundlegend BVerfGE 79, 127, 149 f → JK GG Art 28 II/17 u 83, 37, 54 f; Schoch VerwArch 81 (1990) 18. Ferner Hendler Selbstverwaltung, 302 ff; v Unruh DÖV 1986, 217; v Arnim AöR 113 (1988) 1; Schmidt-Aßmann FS Sendler, 121; J. Ipsen ZG 1994, 194; Maurer DVBl 1995, 1037. BVerwGE 67, 321 → JK GG Art 28 II/9; wirksam zB im interkommunalen Abstimmungsgebot des § 2 II 1 BauGB, dazu OVG MV NVwZ 2000, 826. HM. Nachw bei Löwer in: v Münch/Kunig, GG II, Art 28 Rn 40; aM Schmidt-Jortzig KomR, Rn 523; Hellermann Daseinsvorsorge, 138 ff. So Stern, StR I, § 12 II 4 b. Zum folgenden Löwer (aaO) Rn 33 ff; Dreier in: ders, GG II, Art 28 Rn 79 ff; Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 29ff; Tettinger in: v Mangoldt/Klein/ Starck, GG II, Art 28 Rn 126 ff; Schoch Jura 2001, 121. Zur verfassungsgerichtlichen Judikatur Knemeyer/Wehr VerwArch 92 (2001) 317; Schmidt-Aßmann FS BVerfG Bd 2, 803.

Kommunalrecht

1. Kap II 1

beruhender Verband, der die Eigenschaft einer (rechtsfähigen) Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt“.38 Die Garantie bezieht sich also nicht auf eine beliebig zugeschnittene Verwaltungseinheit, sondern auf einen bestimmten Typus. Dazu gehören eine gewisse Überschaubarkeit des gemeindlichen Raumes, die von einer „raumgemeinschaftlichen Einheit“ (Werner Weber) sprechen lässt,39 sowie die Rechtsfähigkeit und die Gebietshoheit. Gemeinden sind rechtsfähige Einheiten (Verwaltungsträger). Es muss ihnen also von der Rechtsordnung allgemein die Fähigkeit zuerkannt sein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.40 Die Rechtsfähigkeit schafft „Bewegungsfähigkeit“ im Rechtsverkehr und ist so rechtstechnisch der Garant einer Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Gemeinden besitzen ferner Gebietshoheit, weil ihr Verhältnis als Verband zu ihren Verbandsmitgliedern nicht wie bei anderen Körperschaften auf punktuellen Zuordnungskriterien beruht, sondern kraft Gesetzes umfassend durch den Wohnsitz begründet wird. Gemeinden sind Körperschaften in dem qualifizierten Sinne einer Gebietskörperschaft.41 Für sie gilt: quidquid est in territorio, etiam est de territorio.42 Die Garantie gilt nicht der einzelnen Gemeinde in ihrem überkommenen Be- 11 stande, sondern grundsätzlich nur institutionell: Dem Staat ist es durch Art 28 II 1 GG nicht verwehrt, eine Gemeinde aufzulösen und sie mit einer anderen Gemeinde zusammenzuführen. Verwehrt ist es ihm aber, die gemeindliche Verwaltungsebene ganz oder überwiegend zu beseitigen oder an die Stelle der Gemeinden des beschriebenen Typs unselbständige Verwaltungseinheiten zu setzen.43 Daneben enthält Art 28 II 1 GG aber auch eine beschränkt individuelle Rechtssubjektsgarantie. Gegen ihren Willen44 darf die einzelne Gemeinde nämlich nicht beliebig, sondern nur nach vorheriger Anhörung und nur aus Gründen öffentlichen Wohles aufgelöst oder in ihrem Gebietszuschnitt geändert werden. Es war diese beschränkt individuelle Bestandsgarantie, die in der kommunalen Gebietsreform (Territorialreform) vor den Verfassungsgerichten vielfach bemüht worden ist und in einigen Fällen zur Nichtigkeit einer Neugliederungsmaßnahme geführt hat, weil entweder die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt oder die Maßnahme durch 38 39 40

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Stern in: BK, Art 28 Rn 80. Schmidt-Jortzig DÖV 1989, 142, 146. Wolff/Bachof/Stober, VwR I, § 32 Rn 5 f; zur Rechtsfähigkeit allg Burgi in: Erichsen/ Ehlers, AllgVwR, § 52 Rn 6 f. BVerfGE 52, 95, 117 f → JK GG Art 28 II/4; str ist, inwieweit die Universalität zum Begriff der Gebietskörperschaft gehört. Die überwiegende Meinung geht dahin, zumindest die subsidiäre Universalität des Wirkungskreises für ein konstituierendes Merkmal der Gebietskörperschaft zu halten, während andere (Nachw BVerfGE 52, 95, 118 → JK GG Art 28 II/4) es genügen lassen, wenn die Summe der Einzelzuständigkeiten zur effektiven Universalität neigt. Pagenkopf KomR Bd 1, 26. Nicht garantiert sind gemeindliche Binnengliederungen, zB Bezirke, Ortschaften (vgl u Rn 50, 92). Art 28 II 1 GG schützt allerdings die Gemeinden nicht gegen sich selbst. Das Recht auf Selbstauflösung durch Eintritt in eine andere Gemeinde ist länderweise verschieden geregelt, zB für BW anerkannt in Art 74 II LV, für Bbg in Art 98 II LV und für Sachs in Art 88 II LV.

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keinerlei greifbare Gemeinwohlgründe gedeckt war.45 Letztere bilden einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der den neugliedernden Instanzen zwar einen weiten Gestaltungsspielraum belässt, gerichtlich jedoch auf eine prinzipielle Zweckeignung und auf die Einhaltung des Übermaßverbots überprüft werden kann. Zur Rechtssubjektsgarantie rechnet auch der Schutz des Gemeindenamens 46 als 12 eines Statuselements, das der Individualisierung und der bürgerschaftlichen Integration dient. Der Name ist vielfach historisch überkommen. Zusätze („Bad“, „Markt“) gehören zwar nicht direkt dazu, genießen aber, wenn sie rechtens geführt werden, den gleichen Rechtsschutz. Die Gemeindeordnungen enthalten darüber Einzelregelungen. Der rechtens geführte Name ist dann gegen Beeinträchtigungen nicht nur im Zivilrechtsverkehr gemäß § 12 BGB, sondern auch im Rechtsverkehr mit anderen Hoheitsträgern geschützt.47

2. Rechtsinstitutionsgarantie 13 Die zweite Garantieebene des Art 28 II 1 GG ist die Gewährleistung der Institution „gemeindliche Selbstverwaltung“, der eigenverantwortlichen Wahrnehmung des gemeindlichen Aufgabenbereichs. Die meisten im kommunalrechtlichen Schrifttum behandelten Probleme liegen auf dieser Ebene: Der Entzug einer bisher gemeindlichen Aufgabe und ihre Übertragung auf einen anderen Verwaltungsträger, die Einführung eines staatlichen Weisungsrechts, die Aufstellung eines qualifizierten Fachplans oder die gesetzliche Zuweisung neuer Aufgaben ohne Ausgleich der finanziellen Folgelasten – sie alle stellen immer wieder die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit der Institutionsgarantie.48 Die Tatbestandsmerkmale dieser Garantieebene sind: die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (a), die Allzuständigkeit (b) und die Eigenverantwortlichkeit (c), die freilich unter einem Vorbehalt gesetzlicher Ausformung stehen (d). 45

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BVerfGE 50, 195, 202 → JK GG Art 28 II/2; 86, 90, 107 ff → JK GG Art 28 II/20; BVerfGE 107, 1, 24; SächsVerfGH SächsVBl 1994, 227 u 232; LKV 2000, 25, 29 u 489; LVerfG S-Anh SächsVBl 1994, 236 u 238; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639; LKV 1998, 197; NVwZ-RR 1999, 55; LKV 2000, 31 u 38; ThürVGRspr 2001, 129; BbgVerfG LKV 2002, 467, 515, 516, 573 u 576; LKV 2003, 469; LKV 2004, 123, 313 u 317. Trute JhbSächsOVG 3 (1995) 21; Schmahl DVBl 2003, 1300; Erbguth LKV 2004, 1; Überblick über die Rspr der LVerfGerichte in den neuen Bundesländern bei Stüer/Landgraf LKV 1998, 209; insbesondere zu Bbg vgl Grünewald LKV 2004, 302; LKV 2005, 56. Zum vorläufigen Rechtsschutz BbgVerfG LKV 2003, 515; SächsVerfGH LKV 2000, 23. BVerfGE 59, 216, 225 ff → JK GG Art 28 II/7; ausf Winkelmann Das Recht der öffentlich-rechtlichen Namen und Bezeichnungen, 1984, bes 47 ff; Bethge Jura 1985, 44. BVerwGE 44, 351, 355 u DÖV 1980, 97 → JK GO BW § 5/1; Ernst NJW-CoR 1997, 426. Schoch Jura 2001, 121, 127 ff; Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 11 ff. Aktuell zB das durch § 68 (50 aF) TKG begründete Hindernis, gemeindliche Wegerechte für Telekommunikationszwecke zu vermarkten (BVerfG [K] NVwZ 1999, 520 → JK GG Art 28 II/24), die Begründung von Pflichtaufgaben im ÖPNV (LVerfG S-Anh NVwZ-RR 1999, 96 f) oder die Einführung des regulierten Netzzugangs nach §§ 20 ff EnWG (zu §§ 5, 6 EnWG aF Becker/Faber NVwZ 2002, 156; Stern FS Jürgen F. Baur, 2003, 351).

Kommunalrecht

1. Kap II 2 a aa

a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Darunter sind solche Aufgaben zu verstehen, „die in der örtlichen Gemeinschaft 14 wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben“.49 Auf die Verwaltungskraft der Gemeinde soll es hierbei nicht ankommen.50 Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr die Ausrichtung auf das bürgerschaftliche Engagement: Gemeint sind Angelegenheiten, die „den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“.51 aa) Zahlreiche Fragen lassen sich bereits nach dieser Definition lösen. So ge- 15 hören zB die Außenpolitik, die Verteidigungspolitik oder Maßnahmen der Globalsteuerung nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis. Die Gemeinde und ihre Organe haben kein uneingeschränktes allgemeinpolitisches Mandat.52 Wohl aber kann eine einzelne Frage aus einem solchen Politikbereich ausnahmsweise in den Garantiebereich des Art 28 II 1 GG hineinragen, wenn sie einen spezifischen Bezug zu einer bestimmten Gemeinde annimmt, eine einzelne Gemeinde zB in Durchführung eines verteidigungspolitischen Konzepts als Standort für besondere militärische Einrichtungen vorgesehen wird.53 In diesen Fällen steht der betreffenden Gemeinde mindestens eine sog Befassungskompetenz54 zu. Für Städtepartnerschaften 55 und für den Jugendaustausch haben sich reale Leistungskompetenzen entwickelt. Für die grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit finden sich im Zweckverbandsrecht mehr und mehr sogar feste Rechtsgrundlagen, die den von Art 24 Ia GG eröffneten Rahmen zu einer die Staatsgrenzen überschreitenden Kooperation ausfüllen.56 Großangelegte Projekte der Entwicklungszusammenarbeit mit Staaten der Dritten Welt sind dagegen nicht von der Selbstverwaltungsgarantie gedeckt.57 Gleiches gilt für eine kommunale Wirtschaftstätigkeit, die ohne spezifischen Bezug über die Gemeindegrenzen hinauszugreifen sucht (s Rn 120). Ist eine Angelegenheit danach keine solche der örtlichen Gemeinschaft, so fällt sie aus dem die Gemeinde berechtigenden Schutzgehalt des Art 28 II 1 GG heraus. Der Staat kann über sie verfügen, ohne an 49

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BVerfGE 79, 127, 151 → JK GG Art 28 II/17 unter Bezugnahme auf BVerfGE 8, 122, 134; 50, 195, 201 → JK GG Art 28 II/2; 52, 95, 120 → JK GG Art 28 II/4; E 110, 370, 400. BVerfGE 79, 127, 152 → JK GG Art 28 II/17; BVerwG NVwZ 1998, 63. BVerfG aaO. BVerfG aaO, 147; BVerwGE 87, 228, 231 → JK Art 28 II/19; Schoch JuS 1991, 728; Heberlein NVwZ 1992, 543. BVerwGE 87, 228, 232 f → JK GG Art 28 II/19: aus „örtlich radizierten“ Gründen ein Anlass zur Befassung, der auch eine „antizipatorische“ Äußerung gestattet; NVwZ 1991, 684; ferner (teilw enger) VGH BW NVwZ 1984, 659, 661f → JK GG Art 28 II 1/13; BayVGH NVwZ-RR 1990, 211. Dazu Gern DtKomR, Rn 65 f. Noch wesentlich weiter iS eines umfassenden Äußerungsrechts v Komorowski Staat 37 (1998) 122. BVerwG NVwZ 1989, 469 u E 87, 237 → JK Art 28 II/19; dazu krit Gern DtKomR, Rn72; Tettinger/Pielow NWVBl 1989, 184; Dauster NJW 1990, 1084. Dazu nur Röper VerwArch 95 (2004) 301, 314 ff. Einzelheiten bei Schmidt-Jortzig DÖV 1989, 142; Heberlein DÖV 1990, 374 u DÖV 1991, 916; Meßerschmidt DV 23 (1990) 425; ausführl u mit der Tendenz, auch die Entwicklungszusammenarbeit in Art 28 II GG einzubeziehen v Schwanenflügel Entwicklungszusammenarbeit; ders DVBl 1996, 491.

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das gemeindespezifische Aufgabenverteilungsprinzip dieser Vorschrift gebunden zu sein. Für die Gemeinden wirkt das zugleich kompetenzbeschränkend, insofern sie Materien, die eindeutig nicht Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind, nicht zum Gegenstand ihrer Aktivitäten machen können, es sei denn, der Gesetzgeber habe ihnen solche Aufgaben zusätzlich zugewiesen (Rn 36). Man kann das als kommunalrechtliche ultra-vires-Lehre bezeichnen.58 bb) In manchen Bereichen ist es allerdings schwer, eine bestimmte Aufgabe nach 16 der genannten Definition den Angelegenheiten der örtlichen oder aber einer nichtörtlichen Gemeinschaft eindeutig zuzuweisen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist der Aufgabenkreis vom Zuschnitt der Gemeinden, ihrer Einwohnerzahl, flächenmäßigen Ausdehnung und Struktur abhängig. Bei manchen Aufgaben schwankt die Zuordnung zudem in der historischen Entwicklung („Wanderungsprozesse“). So wurde die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien (Strom, Gas) ursprünglich als Kommunalaufgabe verstanden, ging dann mit zunehmender technischer Zentralisierung vielfach auf regionale und überregionale Versorgungsunternehmen über und wurde neuerdings im Zusammenhang mit der Fernwärme unter dem Stichwort „örtliche Versorgungskonzepte“ wieder als Angelegenheit örtlicher Politik entdeckt.59 Aus der Ablösung eines staatlichen Monopols können sich, wie das Telekommunikationswesen zeigt, neue Versorgungsstrukturen entwickeln, zu denen auch örtliche Aktivitäten beitragen können.60 Neben solchen Fällen von Wanderungsprozessen stehen Sachverhalte, an denen die örtliche und die überörtliche Gemeinschaft gleichermaßen interessiert und beteiligt sind („Gemengelagen“). Beispiele finden sich in der Raumplanung: Die Standorte und Trassen regional bedeutsamer Verkehrs- und Versorgungsanlagen treffen immer zugleich das Gebiet einer einzelnen Gemeinde. Ist die raumrelevante Planung solcher Einrichtungen darum eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, eines anderen Verwaltungsträgers oder ein mixtum compositum? Ähnliche Fragen ergeben sich im Umweltschutz.61 Dieses Abgrenzungsdilemma ist oft beschrieben worden.62 Zuweilen hat es 17 Autoren veranlasst, eine Neukonzeption der Selbstverwaltungsgarantie jenseits des Verfassungstextes zu suchen.63 Die ganz herrschende Ansicht hält jedoch an dem Tatbestandsmerkmal der „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ fest.64 Sie orientiert sich an der Definition des Bundesverfassungsgerichts in der Art einer 58

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Ebenso Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 32; Tettinger in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 28 Rn 173. Schmidt-Aßmann FS Fabricius, 1989, 251 ff; Tettinger NWVBl 1989, 1; Löwer Energieversorgung, 213 ff; ders DVBl 1991, 132; Ossenbühl DÖV 1992, 1; vgl a BVerwGE 98, 273, 275 f. Pünder DVBl 1997, 1353; Trute VVDStRL 57 (1998) 216, 226 f; Schoch AfP 1998, 253. Dazu Schmidt-Aßmann NVwZ 1987, 265; vgl a BVerwGE 84, 236 → JK VwVfG § 56/1 (vorbeugender Immissionsschutz); Lübbe-Wolff/Wegener Umweltschutz durch kommunales Satzungsrecht, 3. Aufl. 2002; Bomhard Immissionsschutz durch gemeindliches Verwaltungshandeln, 1996. Brohm DVBl 1984, 293; ders DÖV 1989, 429; Schmidt-Jortzig DÖV 1989, 142. Burmeister Neukonzeption, 1 ff; Darstellung und Kritik bei Stern, StR I, § 12 III 1. Std Rspr des BVerfG; BVerfGE 79, 127, 152 → JK GG Art 28 II/17.

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Faustregel und gewinnt ihre Ergebnisse materienspezifisch, indem sie prüft, ob eine Angelegenheit erstens nach überkommener Gesetzeslage und eingespielter Praxis gemeindlich oder übergemeindlich wahrgenommen worden ist und inwiefern sie zweitens in gemeindlicher Trägerschaft eine sachangemessene, für die spezifischen Interessen der Einwohner förderliche und auch für den Bestand anderer Gemeindeaufgaben notwendige Erfüllung finden kann.65 Unter Umständen nimmt sich auch der Gesetzgeber dieser Qualifizierungsaufgabe an; tut er es, so darf er eine verfassungsrechtlich nur begrenzt überprüfbare Typisierungs- und Einschätzungsermächtigung nutzen.66 b) Allzuständigkeit (Universalität) Soweit eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegt, fällt sie nach dem 18 Garantiegehalt des Art 28 II 1 GG grundsätzlich in den gemeindlichen Aufgabenbereich. Der Gesetzgeber kann zwar auch für solche Angelegenheiten im Rahmen seines Regelungsvorbehalts eine andere Zuständigkeit begründen; er ist dabei aber Schranken unterworfen (s Rn 20). Liegt keine anderweitige Zuweisung vor, so ist die Gemeinde regelungsbefugt. Dieser Grundsatz gilt auch für den Zugriff auf neue Sachaufgaben (Recht der Spontanität). c) Eigenverantwortlichkeit Selbstverwaltung besteht darin, dass die eigenen Angelegenheiten „in eigener Ver- 19 antwortung“ geregelt werden können. Eigenverantwortlichkeit heißt Freiheit von Zweckmäßigkeitsvorgaben anderer Hoheitsträger, insbesondere des Staates, und Fähigkeit zu Entscheidungen nach eigenen politischen Vorstellungen. Darin liegt der Gestaltungsspielraum der Gemeinden, ohne den die Verpflichtung zu einem eigenen, direkt gewählten Legitimationssystem (Art 28 I 2 GG) sinnlos wäre. Die Eigenverantwortlichkeit bezieht sich grundsätzlich auf das Ob, Wann und Wie der Aufgabenwahrnehmung; sie drückt sich in einem Ermessen im weitesten Sinne aus. Art 28 II 1 GG ermächtigt zu eigenverantwortlicher Regelung. Eine Festlegung der Gemeinden auf bestimmte Formen hoheitlichen Handelns ist damit nicht gemeint. Regelung heißt jede zulässige Art von Aufgabenerledigung; sie mag sich in den Formen des öffentlichen oder des privaten Rechts, direkt oder indirekt durch Einschaltung Dritter, planerisch, spontan oder routinemäßig vollziehen. Oft wird sich eine effektive Regelung nicht ohne eigene rechtssatzmäßige Absicherung vollziehen lassen. Art 28 II 1 GG legt die Rechtsordnung deshalb darauf fest, den Gemeinden mindestens ein Rechtsinstitut zur allgemeinen Regelung (Breitensteuerung) ihrer Angelegenheiten verfügbar zu halten. Daher gehört auch die gemeindliche Rechtsetzungshoheit zum Garantiebereich (Rn 95 ff). Nicht entbindet die Eigenverantwortlichkeit dagegen von der Beachtung der Gesetze und des Rechts. Das folgt schon aus der Gesetzesbindung der Exekutive (Art 20 III GG), der alles gemeindliche Handeln verpflichtet ist. Dem korrespondiert die als Rechtmäßigkeitskontrolle wirksame Aufsicht des Staates über die Ge65 66

BVerfGE 91, 228, 236 f → JK GG Art 28 II/22; E 110, 370, 401. BVerfGE 79, 127, 153 f → JK GG Art 28 II/17.

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meinden (Rn 41 ff). So selbstverständlich das ist, so liegen hier doch Gefahren für die gemeindliche Gestaltungsfreiheit; denn der Staat hat es weitgehend in der Hand, seine Zweckmäßigkeitsvorstellungen in Gesetzesform zu gießen und die Gemeinden dann auf den Gesetzesvollzug festzulegen. Soll Art 28 II GG durch eine zu weit getriebene Verrechtlichung nicht ausgehöhlt werden, so muss eine kommunalspezifische Fassung des Bestimmtheitsgebotes verlangt werden.67 d) Gesetzesvorbehalt 20 Gewährleistet ist die Selbstverwaltung „im Rahmen der Gesetze“. Der Vorbehalt bezieht sich auf beide Garantieelemente (Eigenverantwortlichkeit und Universalität).68 Er ist ein Vorbehalt, der den Gesetzgeber zur Ausformung des Garantiegehalts, zur Fixierung immanenter Grenzen, aber auch zu Eingriffen in verfassungsunmittelbare Garantiebereiche ermächtigt.69 Die Einrichtung der gemeindlichen Selbstverwaltung bedarf „der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung“.70 Das hat sich auch schon oben (Rn 14) bei der Bestimmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gezeigt. Gesetz iSd Art 28 II 1 GG sind neben Landes- und Bundesgesetzen auch Rechtsverordnungen 71 und Satzungen anderer Hoheitsträger, zB eines Landkreises oder eines Regionalverbandes. Verwaltungsvorschriften geben dagegen für sich keinen Bindungsrahmen; sie können insbesondere ein kommunales Ermessen nicht dirigieren.72 Der Gesetzesvorbehalt kann zur Achillesferse der Garantie werden, wenn man ihm nicht seinerseits Grenzen setzt. Die dogmatischen Schwierigkeiten mit solchen Grenzen sind aus der in manchen Strukturen ähnlichen Problematik grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte bekannt. Literatur und Rechtsprechung hatten früher daher durchgängig die aus der Grundrechtsdogmatik bekannten Schranken einer Respektierung des Kernbereichs und des Übermaßverbots herangezogen.73 In der Rastede-Entscheidung geht das Bundesverfassungsgericht jedoch von einer solchen „Parallelisierung“ grundrechtlicher und organisatorisch-institutioneller Gewährleistungsgehalte ein Stück weit ab. Danach ist neben der Kernbereichsgarantie (aa) ein aus dem Sinnzusammenhang des Art 28 II GG zu erschließendes gemeindefreundliches Aufgabenverteilungsprinzip beachtlich (bb).74 67 68

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Janssen Grenzen, 128 ff; Henneke ZG 1994, 212, 242 f; Burgi VerwArch 90 (1999) 70, 95 f. BVerfGE 56, 298, 312 → JK GG Art 28 II/5; 79, 127, 146 → JK GG Art 28 II/17; 107, 1, 12; Schoch Jura 2001, 121, 125. Ganz hM: BVerfGE 56, 298, 312 → JK GG Art 28 II/5; 79, 127, 143 → JK GG Art 28 II/17; Ehlers DVBl 2000, 1301, 1306 f; aA Schmidt-Jortzig KomR, Rn 486; auch Burmeister Neukonzeption, 27 ff, 84 ff. BVerfGE 79, 127, 143 → JK GG Art 28 II/17. BVerfGE 26, 228, 237; 56, 298, 309 → JK GG Art 28 II/5. Besonderheiten gelten jedoch für nicht rechtssatzförmig festgelegte Ziele der Raumordnung iSd § 1 IV BauGB, → Krebs 4. Kap Rn 95. BVerfGE 56, 298, 312 f → JK GG Art 28 II/5; J. Ipsen ZG 1994, 194. BVerfGE 79, 127, 146, 149 → JK GG Art 28 II/17; BVerfGE 107, 1, 12 f; Frenz DV 28 (1995) 33, 47 ff; Schmidt-Aßmann FS BVerfG Bd 2, 803, 819. Weiterhin eine Verhältnismäßigkeitsprüfung befürwortend mwN Ehlers DVBl 2000, 1301, 1306; vgl a Schoch Jura 2001, 121, 126 f; Knemeyer/Wehr VerwArch 92 (2001) 317, 329 ff. Für die Selbstverwal-

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aa) Die Kernbereichsgarantie (Wesensgehaltsgarantie) schützt „das Essentiale 21 einer Einrichtung, das man aus einer Institution nicht entfernen kann, ohne deren Struktur und Typus zu verändern“.75 Um diesen Kern zu bestimmen, wird wiederum auf die historische Entwicklung, aber auch auf das aktuelle Erscheinungsbild der Selbstverwaltung abgestellt.76 Eine exakte Abgrenzung fällt gleichwohl oft schwer, wenn es darum geht, ob eine einzelne Handlungsmöglichkeit oder gar nur eine spezifische Form ihrer Wahrnehmung zum Wesensgehalt gehört. So lässt sich zwar allgemein feststellen, dass die Bebauungsplanung nicht nur überhaupt eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, sondern sogar zum Kern des kommunalen Aufgabenbestandes zählt. Ob das aber auch für alle 26 Festsetzungsarten gilt, aus denen sich nach § 9 I BauGB der Bebauungsplan zusammensetzt, ist damit noch nicht gesagt. Nicht gesagt ist damit auch, inwieweit die Bebauungsplanung in einzelnen Bezügen nicht doch durch staatliche Vorgaben dirigiert werden kann. Ein gegenständlich festumrissener Aufgabenkatalog ist der Kernbereich nicht.77 Nur in seltenen Fällen besonders krasser oder rabiater Eingriffe des Gesetzgebers wird der Wesensgehalt daher als absolute Sperre wirksam werden. bb) Gemeindespezifisches materielles Aufgabenverteilungsprinzip: Es setzt dem 22 Gesetzgeber insofern Schranken, als er Angelegenheiten mit örtlich relevantem Charakter, die Regel-Ausnahme-Systematik des Art 28 II 1 GG respektierend, den Gemeinden nur aus Gründen des Gemeininteresses entziehen und einem anderen Träger nur zuweisen darf, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre.78 Allgemeine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen reichen dazu nicht. Die die gesetzliche Entscheidung tragenden Gründe müssen das für die Gemeinden streitende Aufgabenverteilungsprinzip überwiegen. Diese zweite Schranke des Gesetzgebers im Garantiebereich des Art 28 II 1 GG ist also in der Art eines „Wechselwirkungs-Konzepts“ zu entfalten, das dem Gesetzgeber eine erhebliche Darlegungslast aufbürdet, wenn er von der Regelzuweisung der Verfassung abweichen will. Auf der anderen Seite gilt: „Die Gemeinden sind Teil der staatlichen Verwaltungsgliederung und dem Gemeinwohl verpflichtet. Unbedingten Vorrang vor den Interessen des Gesamtstaates kann das Interesse an einer möglichst weit gehenden Betroffenenpartizipation nicht beanspruchen.“ 79 Das Bundesverfassungsgericht überprüft die gesetzgeberische Entscheidung im Streitfall nicht nur auf ihre Willkürfreiheit, sondern auf ihre Vertretbarkeit. Auch bei staatlichen Vorgaben für die kommunale Organisationshoheit, also bei einem die Eigenverantwortlichkeit betreffenden Thema, hat das Gericht nicht auf den Verhältnismäßigkeitsmaßstab

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tungsgarantie der Landesverfassung (u Rn 31) anders zB NdsStGH NVwZ 1997, 58; BbgVerfGH LKV 1997, 449; VerfGH NW NVwZ 2002, 1502 u NVwZ 2003, 202. Stern, StR I, § 12 III 4 d, 416. Std Rspr BVerfGE 38, 258, 278 f; 76, 107, 118 → JK BVerfGG § 91/1; 79, 127, 146 → JK GG Art 28 II/17; 91, 228, 238 → JK GG Art 28 II/22. BVerfGE 79, 127, 146 → JK GG Art 28 II/17. BVerfGE 79, 127, 154 → JK GG Art 28 II/17; BVerfGE 107, 1, 14; 110, 370, 401; SchmidtAßmann FS Sendler, 121, 135 ff. Zum umgekehrten Fall gesetzlicher Aufgabenzuweisung vgl Petz DÖV 1991, 320; Schwarz NVwZ 1997, 237; Hufen DÖV 1998, 276; Schoch Jura 2001, 121, 129; Rh-Pf VerfGH NVwZ 2001, 912 → JK GG Art 28 II/26. BVerfGE 110, 370, 401.

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zurückgegriffen; es prüft vielmehr „im Vorfeld des Kernbereichs“, ob den Gemeinden ein „hinreichender organisatorischer Spielraum bei der Wahrnehmung der je einzelnen Aufgabenbereiche offengehalten“ wird.80 e) So genannte Gemeindehoheiten 23 Der Verdeutlichung der verfassungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung dienen mehrere eingeführte Begriffe, die man als „Gemeindehoheiten“ bezeichnen kann.81 Genauer betrachtet handelt es sich nicht um isolierte oder ausschließliche Gemeindekompetenzen und schon gar nicht um eindeutige Fixierungen von Wesensgehaltselementen. Die Begriffe bündeln vielmehr eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, ohne für sie alle eine isolierte eigenverantwortliche kommunale Entscheidungsbefugnis verfassungsfest zu postulieren. Die Rechtsnatur dieser „Hoheiten“ lässt sich durch zwei allgemeine Aussagen umschreiben: Jede dieser Hoheiten ist in ihrem Grundgedanken (nicht in allen Einzelausprägungen) für die Selbstverwaltungsgarantie unverzichtbar; denn sie beziehen sich auf elementare Handlungssektoren (insbes Raum, Personal, Finanzen). Keine dieser Hoheiten besteht aber ohne gesetzliche Rahmenvorgaben und staatliche Einschränkungen. So bezeichnen sie eher einen eingespielten, sich freilich auch ständig wandelnden Dogmenbestand, der das von der herrschenden Anschauung für Rechtens erachtete Zusammenspiel von Staat und Gemeinde wiedergibt. – allgemeine Planungshoheit: Sie bezeichnet die Befugnis, die eigenen Angelegenheiten nicht nur von Fall zu Fall zu erledigen, sondern aufgrund von Analyse und Prognose erkennbarer Entwicklungen ein Konzept zu erarbeiten, das den einzelnen Verwaltungsvorgängen Rahmen und Ziel weist.82 Da Planung, genau betrachtet, keine zusätzliche Sachaufgabe, sondern eine Methode der Aufgabenerledigung ist, folgt die Planungskompetenz grundsätzlich der Sachkompetenz. Die Gemeinden besitzen also, insofern nichts anderes bestimmt ist, für ihre Angelegenheiten auch die Planungshoheit. Ergebnisse ihrer planerischen Tätigkeit sind Organisations- und Geschäftsverteilungspläne, Infrastrukturpläne (zB Kindergärten-, Altersheim-, Sportstättenbedarfspläne). Für die Planung der wichtigen Ressourcen Raum und Finanzen gelten Besonderheiten (vgl Raumplanungshoheit, Finanzhoheit). In jüngerer Zeit wird dieser Bereich allgemeiner planerischer Entfaltungsmöglichkeiten gern als „Selbstgestaltungsrecht“ der Gemeinden bezeichnet.83 Über die Bindungskraft solcher Pläne gegenüber anderen Hoheitsträgern oder privaten Dritten ist damit noch nichts gesagt. – Raumplanungshoheit ist ein Sonderfall der allgemeinen Planungshoheit.84 Sie umfasst die Befugnis, für das eigene Gebiet die Grundlagen der Bodennutzung 80 81

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BVerfGE 91, 228, 239, 241 → JK GG Art 28 II/22. Dazu Löwer in: v Münch/Kunig, GG II, Art 28 Rn 65; Tettinger in: v Mangoldt/Klein/ Starck, GG II, Art 28 Rn 179 ff; Schoch Jura 2001, 121, 131 ff. Zur Planung allg vgl Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39. Langer VerwArch 80 (1989) 352, 378 mwN. BVerfGE 56, 298, 310 ff → JK Art 28 II/5 u 76, 107, 118 → JK BVerfGG § 91/1; BVerwGE 81, 95, 106 u 111; 90, 329, 335 f; 100, 388, 392; 118, 181, 187; 119, 25 → JK BauGB § 1 III/1; Brohm FS Blümel, 79; mwN Oebbecke FS Hoppe, 239. Speziell zur kooperativen Wahrnehmung von Planungskompetenzen Grigoleit DV 33 (2000) 79.

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festzulegen, steht aber einer Bindung der Gemeinde an Raumordnungsziele, die die Regionalplanung festlegt, nicht prinzipiell entgegen.85 Entsprechend dem hohen Grad gesetzlicher Fixierung des gesamten öffentlichen Raumplanungssystems bestehen für die gemeindliche Raumplanungshoheit zahlreiche Vorschriften des einfachen Rechts, die den Begriff der örtlichen Angelegenheiten verdeutlichen, konkretisieren und abgrenzen. Ausdrucksformen der kommunalen Raumplanungshoheit sind der Bebauungsplan (§ 9 BauGB) und der gesamtgemeindliche Flächennutzungsplan (§ 5 BauGB).86 Personalhoheit kann man in einem weiten Sinne als Befugnis definieren, sowohl über die allgemeinen Fragen des eigenen Personalwesens (Stellenplanung, Einstellungs- und Beförderungsvoraussetzungen, Besoldungs- und Vergütungsmaßstäbe) als auch über die konkreten Maßnahmen der Personaleinstellung, der Beförderung und des Personaleinsatzes nach eigenem Ermessen zu entscheiden.87 Zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wird traditionell nur ein Ausschnitt aus diesem Kreis personalrelevanter Maßnahmen gerechnet. Er betrifft im Wesentlichen Einzelentscheidungen, also vor allem Fragen der Personalplanung sowie die Befugnis, das Personal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen. Die allgemeinen Entscheidungen, zB des Laufbahn- und Besoldungswesens, werden seit langem staatlich getroffen. Organisationshoheit: Sie ist die Befugnis, den Aufbau und das Zusammenspiel der eigenen Beschluss- und Vollzugsorgane, gemeindeinterner räumlicher Untergliederungen, gemeindeeigener Einrichtungen und Betriebe sowie deren Geschäftsgang zu regeln.88 Die Gemeinden haben hier traditionell einen breiten Entfaltungsspielraum, den sie zB mit ihrer Hauptsatzung, ihren Anstaltsordnungen und ihren Organisations- und Geschäftsverteilungsplänen ausfüllen. Gesetzliche Grenzen bringen vor allem das Kommunalverfassungsrecht (Rn 55 ff) einschließlich der Vorschriften über die Verpflichtung zur Bestellung von Gleichstellungsbeauftragten 89 und das Gemeindewirtschaftsrecht (Rn 118 ff). Rechtsetzungshoheit: Sie ist um einer effektiven eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung willen notwendig. Ausgeübt wird sie vor allem durch den Erlass von Satzungen (Rn 93 ff). Finanzhoheit: Wie Art 28 II 3 GG klarstellt, umfasst die Gewährleistung der Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; hierzu gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. Damit hat die Finanzhoheit im Grundsatz eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Absicherung erfahren. Auf jeden Fall gewährt BVerwGE 118, 181, 184. Einzeldarstellung → Krebs 4. Kap Rn 16 ff, 73 ff; Stüer NVwZ 2004, 814. BVerfGE 91, 228, 245 → JK GG Art 28 II/22; Lecheler FS v Unruh, 541; Gern DtKomR, Rn 175. Zur Personalhoheit des Dienstherrn allg → Kunig 6. Kap Rn 29 ff, 127 ff. Dazu BVerfGE 91, 228, 238 → JK GG Art 28 II/22; allg Schmidt-Jortzig Kommunale Organisationshoheit, 1979, 26 ff. Dazu BVerfGE 91, 228 → JK GG Art 28 II/22; VerfGH NW NVwZ 2002, 1502; Böhm NVwZ 1999, 721; krit Schaffarzik DÖV 1996, 152; Frenz VerwArch 86 (1995) 378; vgl a NdsStGH DÖV 1996, 657; dazu Niebaum DÖV 1996, 900.

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1. Kap II 3

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

sie den Gemeinden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens,90 selbst wenn es seit je in diesem Sektor zahlreiche staatliche Eingriffsbefugnisse gibt. Die Frage, ob Art 28 II GG darüber hinaus eine finanzielle Mindestausstattung verlangt, hat das Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen 91; richtigerweise ist sie zu bejahen92 (vgl zu weiteren Finanzgarantien Rn 27, 31 und 127ff). Gleichermaßen schützt Art 28 II GG vor der Zuweisung kostenintensiver Aufgaben durch (Bundes-)Gesetz, wenn dadurch die finanzielle Beweglichkeit der Kommunen in einer die Grundlagen der Selbstverwaltung gefährdenden Weise beeinträchtigt wird.93

3. Subjektive Rechtsstellungsgarantie 24 Zum Schutz dieser Garantien können die Gemeinden auch Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Allerdings gewährt Art 28 II 1 GG den Gemeinden kein Grundrecht.94 Nach dem Verständnis der Verfassung sind die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus. Damit ist zwischen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und die bürgerlichen Grundrechtsgewährleistungen eine klare Zäsur gelegt. Andererseits belässt es Art 28 II 1 GG für die Gemeinden nicht beim objektiven Konstitutionsprinzip, sondern gewährt eine subjektive Rechtsstellung. Die einzelne Gemeinde kann vom Garantieverpflichteten die Einhaltung der Gewährleistung verlangen. Art 28 II 1 GG wird folglich von einer Reihe von Unterlassungs-, Beseitigungs-, Teilhabe- und gegebenenfalls auch Leistungsansprüchen begleitet. Dazu zählt auch ein Anspruch auf Gerichtsschutz, der unmittelbar aus der materiellen Garantienorm des Art 28 II GG folgt.95 Ob sich die Gemeinden außerdem auf Art 19 IV GG stützen können, ist streitig.96 Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben; jedenfalls auf der Ebene des derzeit geltenden einfachgesetzlichen Prozessrechts werden die aus Art 28 II GG folgenden subjektiven Rechte der Gemeinden mit den subjektiven Rechten der Bürger gleich behandelt (§§ 40, 42 II VwGO).97 Ergänzt wird der 90 91 92

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VerfGH NW DÖV 2004, 662; ganz hM. BVerfGE 26, 172, 181; 71, 25, 36 f; 83, 363, 386. BVerwGE 106, 280, 287; Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art 28 Rn 84b; K.-A. Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996, 28 ff; Volkmann DÖV 2001, 497; Schoch Jura 2001, 121, 133; Nierhaus LKV 2005, 1. Z Zt va an Regelungen des Sozialrechts diskutiert, vgl § 4 I GSiG, § 6 Nr 2 SGB II; hierzu Schoch/Wieland Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, 2003; BayVGH NVwZ 2004, 1382, 1383 (i Erg abl); zurückh Remmert VerwArch 94 (2003) 459, 469 ff. So die hM; Tettinger in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 28 Rn 127; Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 34; Dreier in: ders, GG II, Art 28 Rn 81; zu Gegenauffassungen Schmidt-Aßmann FS BVerfG Bd 2, 803, 807 f. Zum Rechtsschutz gegen Fachplanungen Kirchberg/Boll/Schütz NVwZ 2002, 550; Vallendar UPR 2003, 41; Stüer/Spreen, NordÖR 2003, 221. Nachw bei Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 IV Rn 43; Löwer in: v Münch/ Kunig, GG II, Art 28 Rn 41. Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 2 Rn 105.

Kommunalrecht

1. Kap II 4 b

gemeindliche Rechtsschutz durch die kommunale Verfassungsbeschwerde (Art 93 I Nr 4 b GG, § 91 BVerfGG) 98. Das Institut dient der Verteidigung speziell der Rechte aus Art 28 II GG99 gegen Verletzungen durch Gesetze; hierzu können auch Aufgabenzuweisungen zählen, für die dem Bund die Regelungskompetenz fehlt.100 Gesetze iS der Vorschriften über die Kommunalverfassungsbeschwerde sind auch Rechtssätze unterhalb des förmlichen Gesetzes.101 Bei der Verletzung durch ein Landesgesetz ist die Subsidiaritätsklausel zugunsten der Landesverfassungsgerichte zu beachten (Rn 31).

4. Erstreckungsgarantien Zum Gehalt des Art 28 II 1 GG gehören schließlich einige Grundsätze, die sich zwar nicht unmittelbar aus dem Verfassungstext ergeben, aber notwendig Ergänzungen und Erstreckungen darstellen102. a) Hierher zählt zum einen der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens.103 25 Es handelt sich um eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht anderer Hoheitsträger auf gemeindliche Belange. Bei der weit reichenden gesetzlichen Durchnormierung der gemeindlichen Rechtsstellung ist dieser Grundsatz auf wenige Fälle der Lückenfüllung beschränkt. Keinesfalls unterbindet er „harte“ Entscheidungen, die nach dem Gesetz gegenüber den Gemeinden getroffen werden müssen. Zu vermeiden sind nur unnötige Belastungen und Nebenfolgen. Bei der generalklauselartigen Unbestimmtheit dieses Grundsatzes verschwimmen die Grenzen zwischen Rechtsund Stilfragen; im Umgang mit ihm ist daher Vorsicht geboten. b) Als eine Erstreckungsgarantie wird man auch jene Fälle zu behandeln haben, 26 in denen den Gemeinden ein verfassungsunmittelbares Mitwirkungsrecht an staatlichen Planungen zuerkannt worden ist.104 Teilweise handelt es sich bei diesen Planungen um originäre örtliche Angelegenheiten, die durch Gesetz ausnahmsweise einem anderen Verwaltungsträger zur Entscheidung übertragen worden sind; hier folgt das gemeindliche Mitwirkungsrecht aus dem Gedanken der Kompensation.105 Teilweise handelt es sich aber auch um Planungen von überörtlicher Substanz, die jedoch wegen erheblicher Auswirkungen auf die einzelne Gemeinde zu einem Mitwirkungsrecht – regelmäßig in der Form des Anhörungsrechts – führen.106 Mitwirkungsrechte der Gemeinden oder ihrer Spitzenverbände an der Landesgesetzgebung lassen sich aus der Selbstverwaltungsgarantie nicht zwingend ab-

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Pestalozza Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl 1991, 192 ff; Hoppe DVBl 1995, 179. Stern, StR I, § 12 II 8 a; zum Prüfungsmaßstab der kommunalen Verfassungsbeschwerde Pestalozza FS v Unruh, 1057, 1060 ff. Schoch/Wieland Kommunale Aufgabenträgerschaft, 49 f. BVerfGE 71, 25, 34; 76, 107, 114; 107, 1, 15. Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 57 ff. Macher Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens, 1971. Schmidt-Aßmann AöR 101 (1976) 520; vgl a Kilian/Müllers VerwArch 89 (1998) 25, 67. Blümel VVDStRL 36 (1977) 171, 245 ff; → Badura/Huber 3. Kap Rn 97. BVerwGE 51, 6, 13f; std Rspr; 112, 274; aber a 119, 245, 251; vgl Steinberg/Berg/Wickel Fachplanung, 3. Aufl 2000, § 2 Rn 45.

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1. Kap II 5

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

leiten, sind jedoch tlw ausdrücklich in den Landesverfassungen verbürgt.107 Verwaltungspolitisch kann sich die Einräumung solcher Rechte oder ihre institutionelle Ausgestaltung in einer beratenden Kommunalkammer durchaus anbieten.108

5. Gewährleistung der Selbstverwaltung auf europäischer Ebene 26a Da das EG-Recht gegenüber allem mitgliedstaatlichen Recht einen prinzipiellen Anwendungsvorrang genießt, bietet Art 28 II GG gegen Verkürzungen kommunaler Selbstverwaltung durch Normen des EG-Rechts (vgl o Rn 7 a) praktisch keinen Schutz; auch Art 23 I und 79 III GG lassen sich insoweit nicht aktivieren.109 Umso bedeutsamer ist die Frage, ob das EG-Recht selbst eine Garantie kommunaler Selbstverwaltung kennt: – Eine ausdrückliche Normierung fehlt bislang in den Verträgen. In der Literatur wird versucht, eine solche Garantie durch Interpretation aus anderen europarechtlichen Rechtsvorschriften zu gewinnen, wie dem Demokratieprinzip, der bürgernahen Verwaltung, dem Subsidiaritätsprinzip oder aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz kommunaler Selbstverwaltung.110 Beachtung verdient vor allem das Bemühen, in diesem Kontext die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung fruchtbar zu machen. Diese Charta hat zwar von ihrem Ursprung her nichts mit der EG zu tun, sondern ist vom Ministerkommitée des Europarates beschlossen und zur Unterzeichnung aufgelegt worden.111 Überlegt wird in der Literatur aber, die Garantie der Charta zugleich als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des EG-Rechts auszuweisen.112 Nach bisherigem Entwicklungsstand lässt sich daraus eine feste Gewährleistung gegenüber Akten des EGRechts, auf die sich die Gemeinden berufen könnten, nicht ableiten. Die Dogmatik des Subsidiaritätsgrundsatzes steht aber erst in den Anfängen. Sollte sich – auch unter Einbeziehung der Garantie der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung – ein gemeinschaftsweit in den Grundzügen einheitlicher Schutzstandard ausbilden, so bietet der Subsidiaritätsgrundsatz den geeignetsten

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Art 71 IV LV BW, Art 97 IV LV Bbg, Art 83 VII LV Bay, Art 57 VI LV Nds; Art 124 LV Saarl, Art 84 II LV Sachs, Art 91 IV LV Thür. Dazu ThürVerfGH ThürVBl 2005, 11; Vetzberger LKV 2004, 433; ders LKV 2005, 246; Hederich NdsVBl 2005, 33. Zur Einrichtung eines Kommunalen Rates in Rh-Pf (1995) vgl Jutzi ZG 1996, 126; Kremser DÖV 1997, 586. So auch Stern FS Friauf, 75, 80 ff; Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 3 Rn 45; Tettinger in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 28 Rn 145; Löwer in: v Münch/Kunig, GG II, Art 28 Rn 95 a; im Ergebnis a Schoch in: Henneke (Hrsg), Kommunen in Europa, 11; teilw anders Gern DtKomR, Rn 108 f; diff Papier DVBl 2003, 686, 691. Zuleeg FS v Unruh, 91, 93 – Demokratie; Faber DVBl 1991, 1126, 1133 – Subsidiaritätsprinzip; Martini Gemeinden in Europa, 143 ff – Allg Rechtsgrundsatz; Martini/Müller BayVBl 1993, 161; Rengeling ZG 1994, 277; v Zimmermann-Wienhues Selbstverwaltung, 239 ff; Hobe/Biehl/Schroeter DÖV 2003, 803, 805 ff. Der Deutsche Bundestag hat dem Vertragswerk durch G v 22. 1. 1987 (BGBl II 65) zugest. Der Text der Charta ist ua abgedr in NVwZ 1988, 1111; dazu Knemeyer DÖV 1988, 997. Ausführlich Schaffarzik Europäische Charta, 604 ff.

Kommunalrecht

1. Kap II 5

Ansatzpunkt, diesen Standard in das Primärrecht zu transformieren.113 Eine erste – allerdings zur Zeit noch nicht weit tragende – Verfahrenssicherung der kommunalen Ebene gegenüber den Europäischen Gemeinschaften stellt der Ausschuss der Regionen gem Art 263–265 EGV dar.114 In ihn entsenden die deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände drei Mitglieder. – Der Entwurf eines Europäischen Verfassungsvertrags sieht vor, die Stellung der Kommunen zu stärken: Die Union wird darin ausdrücklich zur Achtung der kommunalen Selbstverwaltung verpflichtet (Art I-5 Abs 1).115 Eine mittelbare Möglichkeit zur Mitwirkung an europäischen Entscheidungen ergibt sich zudem aus dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie (Art I-46 f), welcher die Organe der EU ua zu einem „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden“ verpflichten soll (Art I-47 Abs 2). Der Subsidiaritätsgrundsatz ist im VVE auch auf die regionale und lokale Ebene bezogen (Art I-11 Abs 3) und würde insoweit die Zuständigkeit der Union auch bei der Möglichkeit lokaler Aufgabenerfüllung einschränken. Seine Einhaltung soll der Ausschuss der Regionen gerichtlich geltend machen können (Art 8 II des 2. Zusatzprotokolls). – Weiteren Schutz ihrer Selbstverwaltungsrechte müssen die Kommunen vor allem auf dem Wege einer Beteiligung an der nationalen Vorbereitung der europäischen Rechtsetzung suchen.116 Spezialliteratur Berg Grundfragen kommunaler Kompetenzen, BayVBl 1990, 33; Bergmann Kommunale Selbstverwaltung in Europa – Einfluss und Entwicklung, BWGZ 2002, 858; Beyerlin Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 1988; Britz Örtliche Energieversorgung nach nationalem und europäischem Recht, 1994; Burgi Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2003) 405; Ehlers Die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, DVBl 2000, 1301; Ellwein Perspektiven der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, AfK 36 (1997) 1; Geiger Verfassungsrechtliche Aspekte grenznachbarschaftlicher internationaler Zusammenarbeit von Kommunen, FS zum 100jährigen Bestehen des SächsOVG, 2002, 434; Groß Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, DVBl 2002, 1182; Heberlein Kommunale Außenpolitik als Rechtsproblem, 1989; Henneke Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, ZG 1994, 212; Hobe/Biehl/Schroeter Europarechtliche Einflüsse auf das Recht der deutschen kommunalen Selbstverwaltung, 2004; Hübner Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art 23 Absatz 1 Satz 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000; Janssen Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, 1990; Jestaedt Selbstverwaltung als „Verbundbegriff“, DV 35 (2002) 293; Karst Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung zwischen konservativer Verfassungslehre und faktischen Marktzwängen, DÖV 2002, 809; Knemeyer (Hrsg), Die Europäische Charta der kom113

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Rengeling in: Hoppe/Schink (Hrsg), Kommunale Selbstverwaltung und europäische Integration, 25, 40 mwN; vgl a Stern FS Friauf, 75, 90. Dazu Heberlein DV 26 (1993) 211, 225 ff; Stern FS Friauf, 75, 90; ausf v ZimmermannWienhues Selbstverwaltung, 303 ff. Überbl bei Hoffschulte DVBl 2005, 202. Zum Vorschlag der Normierung einer entsprechenden Beteiligung in Art 23 GG Hobe/ Biehl/Schroeter DÖV 2003, 803, 811 f.

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1. Kap III 1 a

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munalen Selbstverwaltung, 1989; ders/Wehr Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art 28 Abs 2 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, VerwArch 92 (2001) 317; A. Krebs Rechtliche Grundlagen und Grenzen kommunaler Elektrizitätsversorgung, 1996; Kronisch Aufgabenverlagerung und gemeindliche Aufgabengarantie, 1993; Langer Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht und überörtliche Raumplanung, VerwArch 80 (1989) 352; Lehr Europäisches Wettbewerbsrecht und kommunale Daseinsvorsorge, DÖV 2005, 542; Löwer Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989; Martini Gemeinden in Europa, 1992; Meis Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Bund und Gemeinden, 1989; Meyer (Hrsg), Gemeinden und Kreise in der Region, 2004; Mückl Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, 1998; Oebbecke Die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Gemeinde, FS Hoppe, 2000, 239; ders Das Europarecht als Katalysator der Sparkassenpolitik, VerwArch 93 (2002) 278; ders Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2003) 366; Ossenbühl Energierechtsreform und kommunale Selbstverwaltung, 1998; Papier Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Dienste der kommunalen Daseinsvorsorge aus nationalstaatlicher und europäischer Sicht, BWGZ 2002, 862; Schäfer Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der Europäischen Union, 1998; Scharpf Der Einfluss des Europarechts auf die Daseinsvorsorge, EuZW 2005, 295; Schäuble Zukunftsperspektiven für die kommunale Selbstverwaltung in der EU, VBlBW 2003, 89; Schink Kommunale Daseinsvorsorge in Europa, DVBl 2005, 861; Schliesky Die künftige Gestalt des europäischen Mehrebenensystems, NdsVBl 2004, 57; Schmahl Europäisierung der kommunalen Selbstverwaltung, DÖV 1999, 852; Schmidt-Aßmann Kommunale Selbstverwaltung „nach Rastede“, FS Sendler, 1991, 121 ff; ders Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, FS BVerfG Bd 2, 2001, 803; Schoch Der verfassungsrechtliche Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, Jura 2001, 121; Schoch/Wieland Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, 2003; dies Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, 2004; v Schwanenflügel Entwicklungszusammenarbeit als Aufgabe der Gemeinden und Kreise, 1993; Simon Europas Kommunen auf dem Weg zu einer gemeinsamen Verfassung, Der Landkreis 2003, 754; v Unruh Demokratie und kommunale Selbstverwaltung, DÖV 1986, 217; ders Kommunale Selbstverwaltung – ein verpflichtendes Recht, BayVBl 1996, 225; Wenger in: Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002, Kap. 22; Widera Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung gemeindlicher Planungshoheit, 1985; v Zimmermann-Wienhues Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, 1997.

III. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden 1. Gewährleistungen im Grundgesetz a) partielle Finanzgarantien 27 Unter den Bestimmungen des Grundgesetzes, die die Stellung der Gemeinden im Staat weiter absichern, haben die finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften einen wichtigen Rang. Hierher gehören vor allem die Ertragshoheit für die Grund- und die Gewerbesteuer (Art 106 VI 1 1. Hs GG) sowie für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern (Art 106 VI 1 2. Hs GG), die Beteiligung der Gemeinden an dem Aufkommen der Einkommensteuer (Art 106 V GG) und Umsatzsteuer (Art 106 Va GG) und die Aussicht auf einen Prozentsatz am Länderanteil des Aufkommens der Gemeinschaftssteuern (Art 106 VII GG). Diese Vorschriften ergänzen die in Art 28 II 3 GG normierte kommunale Finanzhoheit (Rn 23), indem sie ihr Teile ihres 30

Kommunalrecht

1. Kap III 1 b

realen Substrats liefern (Rn 127 ff). Ein bestimmter Steuersatz ist dadurch so wenig garantiert wie die einzelnen Steuerarten in ihrem bisherigen Zuschnitt. Für die Gewerbesteuer wird aus der Zusammensicht der Art 106 V und Art 28 II 3 („wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle“) teilweise eine begrenzte Bestandsgarantie hergeleitet.117 Es dürfte aber ausreichen, wenn ein eventueller Wegfall der Gewerbesteuer durch eine wirtschaftskraftbezogene Ausgestaltung der Beteiligung an der Einkommensteuer aufgefangen wird.118 Bei kommunalrelevanten Umgestaltungen des Steuersystems müssen die Grenzen der Mindestausstattungsgarantie eingehalten werden.119 Umstritten ist, ob der Bund den Kommunalkörperschaften von Verfassungs 27a wegen einen Kostenausgleich zu leisten hat, wenn er Gemeinden und Gemeindeverbänden durch Bundesgesetz kostenintensive Aufgaben zur Pflicht macht, wie das zB beim Arbeitslosengeld II der Fall ist.120 Einem solchen Konnexitätsgedanken folgt Art 104a GG für das Verhältnis des Bundes zu den Ländern. In der Literatur wird daher versucht, in diesem Gedanken eine allgemeine Lastenverteilungsregel zu sehen, die den Bund auch gegenüber den Gemeinden verpflichte.121 Der unguten politischen Praxis, Geschenke auf Kosten Dritter zu machen, könnte auf diese Weise gegengesteuert werden. Gleichwohl muss der Vorschlag abgelehnt werden, weil er die Grenzen der Verfassungsinterpretation überschreitet und sich nicht in die dualistische Grundstruktur der bundesstaatlichen Finanzverfassung einordnen lässt.122 Die Konsequenz dieser ernüchternden Feststellung kann nur sein, dass der in Art 28 II GG originär verbriefte Abwehranspruch der Gemeinden gegen selbstverwaltungsgefährdende gesetzgeberische Zugriffe stärker aktiviert wird (vgl Rn 23 aE).123 Einige Landesverfassungen sind in der Frage eines Konnexitätsprinzips für landesgesetzlich verursachte Kommunalaufgaben gemeindefreundlicher (vgl Rn 31). Die allgemeine Mitverantwortung des Bundes für die finanzielle Mindestausstattung ist mit der Ablehnung des Konnexitätsgedankens nicht in Abrede gestellt. b) Grundrechte Im Wesentlichen geklärt ist demgegenüber, dass sich Gemeinden neben ihren spe- 28 ziellen Gewährleistungen grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen können.124 117 118 119

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Schwarz in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 106 Rn 127. Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 70 Fn 318. Zum Erfordernis einer Finanzreform P. Kirchhof NJW 2002, 1549; Mohl KStZ 2002, 28, 29 ff; Wieland KStZ 2003, 81. Vgl hierzu Schoch Der Landkreis 2003, 484; Remmert VerwArch 94 (2003) 459. v Mutius KomR, Rn 448; vgl a Henneke in: Henneke/Maurer/Schoch (Hrsg), Die Kreise im Bundesstaat, 1994, 61, 129. Waechter VerwArch 85 (1994) 208, 212 ff; Hellermann in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 104a Rn 54 ff; Löwer in: v Münch/Kunig, GG II, Art 28 Rn 93; Korioth NVwZ 2005, 503. Wünsche nach einer Verfassungsänderung bei Henneke Der Landkreis 2004, 63. Schoch/Wieland Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, 1995, 105 ff; Hellermann aaO Rn 56 aE. Nachw bei Stern, StR III/1, § 71 III 4, VII 6; Bethge Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art 19 III GG, 1985, 25 ff; Krebs in: v Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 41 ff; Frenz VerwArch 85 (1994) 22; Schoch Jura 2001, 201.

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1. Kap III 1 b bb

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Systematisch gehört dieses Problem nicht in den Rahmen des Art 28 II GG, sondern in den des Art 19 III GG, demzufolge die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Allgemein anerkannt ist eine Berufung auf die Justizgrundrechte der Art 101, 103 GG.125 Das Willkürverbot des Art 3 I GG ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und gilt daher auch für Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus; die Gemeinden sollen sich darauf aber im Rahmen des Art 93 I Nr 4b GG nicht berufen können.126 Im Übrigen aber muss angesichts der festen Position der Gemeinden als universelle Verwaltungsträger des örtlichen Bereichs die grundrechtliche Hauptsicherungslinie zwischen verwaltender Kommune und verwaltetem Bürger und nicht zwischen verwaltender Kommune und verwaltendem Staat verlaufen. aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung: Soweit die Gemeinden öffentliche 29 Aufgaben (Selbstverwaltungs- oder Fremdaufgaben) – in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form – wahrnehmen, versagte ihnen die herrschende Ansicht schon bisher die Grundrechtsfähigkeit. In diesem Bereich ist weder eine „grundrechtstypische“ eigene Gefährdungslage der Gemeinden gegeben, noch ist ihr Handeln dem Lebensbereich ihrer Bürger so unmittelbar zugeordnet, dass ihnen daraus in der Art eines „Durchgriffs“ grundrechtliche Substanz zuwachsen kann.127 Das gilt selbst dann, wenn es sich um ein gemeindeeigenes Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt, zB ein als Aktiengesellschaft betriebenes Wasserversorgungsunternehmen.128 bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit: Für diese Bereiche wurde 30 in der Literatur früher ein Grundrechtsschutz, zB der Art 12 und 14 GG, überwiegend für möglich gehalten.129 Dem ist das Bundesverfassungsgericht jedoch im Sasbach-Beschluss entgegengetreten: 130 Die Rechtsordnung billige den Gemeinden zwar die Möglichkeit zu, privatrechtliches Eigentum innezuhaben, das besage jedoch nicht, dass dieses auch grundrechtsgeschützt sein müsse; vielmehr fehle es auch hier an einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.131 „Die Gemeinden sind Teil der öffentlichen Gewalt, auch soweit sie

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BVerfGE 61, 82, 104 → JK GG Art 19 III/3; 75, 192, 200 → JK GG Art 19 III/6. BVerfG (K) NVwZ 2005, 82; anders VerfGH NW DÖV 2004, 662. BVerfGE 45, 63, 78 f; ebenso für die als Anstalten des öffentlichen Rechts organisierten Sparkassen, deren Träger die kommunalen Gebietskörperschaften sind BVerfGE 75, 192, 195 ff → JK GG Art 19 III/6. BVerfGE 45, 63, 79f; zur Frage, inwieweit Unternehmen privater Rechtsform, an denen neben Gemeinden auch Private beteiligt sind (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen), Grundrechtsfähigkeit zukommt, BVerfG (K) NJW 1990, 1783 → JK GG Art 19 III/7; Schmidt-Aßmann FS Niederländer, 1991, 383; Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 2 Rn 85; P. M. Huber in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art 19 Abs 3 Rn 296 ff. v Mutius in: BK, Art 19 III Rn 103; aM Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 III Rn 48; Bethge AöR 104 (1979) 265. Vgl a Leschka SächsVBl 2003, 181. BVerfGE 61, 82, 105 f → JK GG Art 19 III/3; vgl a 98, 17, 47; BVerfG (K) NVwZ 2002, 1366; BVerwG NVwZ 2001, 1160, 1161. Ebenso Ronellenfitsch JuS 1983, 589, 594; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 204 ff; krit Mögele NJW 1983, 805. Für die LV Bay die Grundrechtsfähigkeit der Gemeinden in

Kommunalrecht

1. Kap III 2

als Fiskus über Eigentum an Grundstücken verfügen“.132 Nicht ausgeschlossen ist damit allerdings, dass sich Gemeinden auf grundrechtskonkretisierende Normen des einfachen Rechts berufen können.133

2. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen Keine gesonderte Behandlung erfahren hier die Selbstverwaltungsgarantien der 31 Landesverfassungen.134 Die meisten von ihnen sind zwar „gesprächiger“ als Art 28 II 1 GG;135 doch ist durch die breite Entfaltung, die die Garantie der Bundesverfassung in Rechtsprechung und Lehre erfahren hat, eine weitgehende Standardisierung erfolgt (Den Bearbeiter eines juristischen Falles, in dem eine Landesverfassungsgarantie einschlägig ist, entbindet das freilich nicht von der exakten Auseinandersetzung mit dem Verfassungstext!). Nicht endgültig geklärt ist, welche Bedeutung es hat, wenn Landesverfassungen die Garantie nicht auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft beschränken, sondern sie auf alle Angelegenheiten im Gemeindegebiet erstrecken.136 Eigenständige Garantieerweiterungen finden sich vor allem für die Finanzhoheit.137 Hierzu wird in jüngerer Zeit zunehmend das Konnexitätsprinzip (vgl Rn 27 a) als striktes Prinzip verbürgt, indem der Gesetzgeber verpflichtet wird, zugleich mit der Übertragung einer kostenverursachenden Aufgabe auf die Kommunen Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen.138 Zu den dabei anzutreffenden Regelungen haben die Landesverfassungsgerichte in den letzten Jahren eine intensive, die besonderen Belastungen der Kommunen mehr und mehr

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std Rspr bejahend BayVerfGHE 29, 105, 118 ff; 37, 101, 105 ff → JK GG Art 19 III/4; BayVBl 1993, 177, 180; aber a NVwZ-RR 2001, 489; Bambey NVwZ 1985, 248 ff; Bethge NVwZ 1985, 402; Englisch Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums, 1994. BVerwGE 100, 388, 392. BVerwGE 87, 332, 391 f; 90, 96, 101 f; vgl noch Bambey DVBl 1983, 936, 938. Art 69, 71–76 LV BW; Art 10–12 u 83 LV Bay; Art 97–100 LV Bbg; Art 137 u 138 LV Hess; Art 69, 72–74 LV MV; Art 57, 58 LV Nds; Art 78, 79 LV NW; Art 49, 50 LV Rh-Pf; Art 117–124 LV Saarl; Art 82, 84–90 LV Sachs; Art 86–89 LV S-Anh; Art 46–49 LV Schl-H; Art 91–95 LV Thür. Zu Schl-H vgl BVerfGE 103, 332, 358 ff. Zur Rspr des BbgVerfGH Buchheister LKV 2000, 325; Möller LKV 2003, 269. Art 83 I LV Bay beschreibt den gemeindlichen Wirkungskreis durch eine Auflistung; mehr als behutsam verwendbares Argumentationsmaterial wird damit jedoch nicht geboten, denn weder ist die Aufzählung erschöpfend gemeint, noch könnte sich eine landesrechtliche Konkretisierung gegenüber abweichendem Bundesrecht durchsetzen. Mit Formulierungsunterschieden im einzelnen BW, Nds, NW, Sachs, S-Anh, Schl-H. Teilweise wird eine Interpretation nach Maßgabe des Art 28 II GG befürwortet (so für BW Maurer in: Maurer/Hendler StuVwR BW, 189f), teilw ein erweiternder eigenständiger Gehalt angenommen (für NW Erichsen KomR NW, 322; für Nds VerfGH NVwZ 1997, 58 [59]). Materialreich dazu Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 70 a, 70 b. Vgl zul Art 137 VI LV Hess; Art 78 III LV NW; Art 83 III LV Bay; hierzu Deubert BayVBl 2004, 136; Wolff BayVBl 2004, 129; Schink NWVBl 2005, 85. Zu weiteren geplanten Verfassungsänderungen Henneke Der Landkreis 2004, 152. Zur Rechtslage in Bbg Kühne LKV 2005, 58; Schumacher LKV 2005, 41.

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1. Kap IV

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

in Rechnung stellende Rechtsprechung entfaltet.139 Die Garantien der Landesverfassungen und des Grundgesetzes bestehen nebeneinander:140 Landesgesetzgebung und Landesexekutive haben beide Garantien zu beachten, während Bundesrecht nur an Art 28 II 1 GG gebunden ist. Dem Bund ist in Art 28 III GG zudem zu gewährleisten aufgegeben, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des Art 28 II GG entspricht. Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch der Gemeinden oder einzelner Bürger auf ein bestimmtes Handeln des Bundes folgt daraus nicht.141 Besonderes Gewicht erlangen die Landesgarantien wegen der Subsidiaritätsklausel des Art 93 I Nr 4 b GG durch eigenständige kommunale Rechtsschutzgarantien vor den Landesverfassungsgerichten.142

IV. Kommunale Aufgabensystematik und Staatsaufsicht 32 Die gemeindliche Verwaltung untersteht der Aufsicht des Staates. Die Staatsaufsicht 143 wird regelmäßig als eine auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkte Rechtsaufsicht (2), in einigen Bereichen als eine neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit umgreifende Fachaufsicht (3) wirksam. Um die Grundgedanken 139

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Zu Art 71 III, 73 LV BW StGH BW DVBl 1994, 206 u 1998, 1276, DÖV 1999, 687; auch VGH BW DÖV 2005, 433; zu Art 97 III LV Bbg BbgVerfGH DÖV 1998, 336, NVwZ-RR 2000, 129; DÖV 2002, 522; NVwZ 2003, 201; zu Art 58 LV Nds NdsStGH NdsVBl 2001, 184, NdsVBl 2002, 11; zu Art 78 III LV NW VerfGH NW NVwZ 1985, 820 → JK Verf NW Art 78 III/1; NVwZ-RR 1989, 493 u 1993, 486, DVBl 1998, 1280, DÖV 1999, 300, DÖV 2001, 601, NWVBl 2003, 261; auch OVG NW NVwZ 1988, 77; zu Art 49 V LV Rh-Pf VerfGH Rh-Pf DÖV 2000, 992, DÖV 2001, 601 → JK GG Art 28 II/26; zu Art 85 I 3, II LV Sachs SächsVerfGH SächsVBl 2001, 61, SächsVBl 2002, 236; zu Art 87 III, 88 LV S-Anh LVerfG S-Anh NVwZ-RR 1999, 96 u 393; NVwZ-RR 2000, 1; LKV 2005, 218; zu Art 48, 49 LV Schl-H BVerfGE 103, 332; zu Art 93 LV Thür ThürVerfGH LKV 2002, 83. Ferner Art 83 III LV Bay, Art 137 V LV Hess, Art 72 III LV MV, Art 119 II LV Saarl. Überblick bei Bayer DVBl 1993, 1287; Henneke DVBl 1998, 1158; Mückl DÖV 1999, 841; Schwarz ZKF 2002, 242; Wendt/Elicker VerwArch 93 (2002) 187; Henneke Der Landkreis 2004, 166. Stern, StR I, § 12 II 6. Ebenso Isensee in: ders/Kirchhof, HdbStR IV, § 98 Rn 125 Fn 316; iErg auch Löwer in: v Münch/Kunig, GG II, Art 28 Rn 102 f; anders Stern, StR I, § 12 II 6. Art 76 LV BW; Art 100 LV Bbg; Art 53 Nr 8 LV MV; Art 54 Nr 5 LV Nds; Art 123 LV Saarl; Art 90 LV Sachs; Art 75 Nr 7 LV S-Anh; Art 80 I Nr 2 LV Thür. In Bayern können die Gemeinden Verfassungsbeschwerde gem Art 66, 120 LV Bay und (gegen Rechtsnormen) Popularklage gem Art 55 VfGHG erheben. Ferner § 52 VGHG NW; VerfGH NW NVwZ-RR 2001, 74. Vgl dazu Hoppe in: Starck/Stern (Hrsg), Landesverfassungsgerichtsbarkeit Bd 2, 1983, 257 ff; J. Ipsen NdsVBl 1994, 9; zur Subsidiaritätsklausel BVerfG (K) NVwZ 1994, 58; BVerfGE 107, 1, 9. Zur Gebietsreform s Rn 11. Erichsen DVBl 1985, 943 ff; Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 117 ff; Franz JuS 2004, 937; grundlegend aus neuerer Zeit Kahl Staatsaufsicht. Vgl ferner die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg), Verwaltungskontrolle, 2001.

Kommunalrecht

1. Kap IV 1 a bb

des Aufsichtswesens zu verstehen, sollte man zunächst den Bestand der von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben betrachten144 (1). Das Aufsichtssystem ist aufgabenorientiert.

1. Aufgaben der Gemeinden Eine rechtlich aussagekräftige Gliederung des Aufgabenbestandes wird dadurch 33 erschwert, dass die Gemeindeordnungen der Länder in den Begriffen und im Grundkonzept voneinander abweichen; zudem arbeiten die beiden wichtigsten Gliederungsmodelle – das dualistische (a) und das monistische (b) – mit Trennlinien, die mit den Hauptbegriffen der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie zwar vereinbar, nicht aber vollständig harmonisiert sind. a) Aufgabendualismus Das dualistische Modell folgt der überkommenen Aufteilung der öffentlichen Auf- 34 gaben nach ihrer Substanz und trennt danach Selbstverwaltungsaufgaben und Staatsaufgaben. Für die Gemeinden bilden die Selbstverwaltungsaufgaben den eigenen Wirkungskreis (aa), während Staatsaufgaben auf sie nur im Wege gesetzlicher Übertragung idR als Auftragsangelegenheiten überkommen (bb).145 aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten: Zum eigenen Wirkungskreis der Gemein- 35 den zählen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sofern solche nicht ausnahmsweise durch Gesetz einem anderen Träger überwiesen sind. Dieser Kreis wird bereits durch Art 28 II 1 GG konstituiert; er kann sich aber erweitern, insofern durch einfache Gesetze den Gemeinden auch solche Aufgaben zugewiesen werden können, die an sich nicht eindeutig solche der örtlichen Gemeinschaft sind oder bei denen eine örtlich-überörtliche Substanzenmischung vorliegt (Rn 22). Jedenfalls macht dieser gesamte Bereich den festen eigenen Aufgabenkreis der Gemeinden aus, der nur durch Gesetz geändert werden kann. Staat und Gemeinden stehen sich hier im Außenrechtsverhältnis gegenüber, dessen typische Schutzinstrumente (Gesetzesvorbehalt, Verfahren, Gerichtsschutz) den Gemeinden zugute kommen. Rechte aus dem eigenen Wirkungskreis sind Rechte iSv § 42 II VwGO. Dem Staat fehlt die Befugnis zu Zweckmäßigkeitsweisungen. Innerhalb dieses Bereichs unterscheiden die Gemeindeordnungen regelmäßig zwischen freien Selbstverwaltungsaufgaben (zB Bau von Sportstätten, Museen), bei denen die Gemeinden allein entscheiden können, ob sie diese Aufgabe überhaupt in Angriff nehmen und wie sie sie durchführen wollen, und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, bei denen das Ob der Aufgabenwahrnehmung gesetzlich festgelegt ist (zB Bauleitplanung, Baulandumlegung, zT Schulbau). bb) Auftragsangelegenheiten: Den übertragenen Wirkungskreis machen die Auf- 36 tragsangelegenheiten aus. Bei ihnen fallen Aufgabensubstanz und Aufgabenwahr-

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Dazu Maurer, AllgVwR, § 23 Rn 12 ff. Art 7 f GO Bay; §§ 2 f KV MV; § 4 f GO Nds; § 2 GO Rh-Pf; §§ 5 f KSVG Saarl; §§ 4 f GO S-Anh; §§ 2f ThürKO.

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1. Kap IV 1 b bb

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

nehmung auseinander. Die Aufgabensubstanz ist und bleibt staatlich.146 Das Gesetz überträgt den Gemeinden nur die Ausführung. Damit verbunden ist ein staatliches Weisungsrecht, das – wenn es nicht ausdrücklich begrenzt ist – als unbegrenztes existiert. b) Aufgabenmonismus 37 Das monistische Gliederungsschema, das auf den sog Weinheimer Entwurf 147 zurückgeht, möchte, statt zwischen staatlichen und gemeindeeigenen Aufgaben zu trennen, von einem einheitlichen Begriff der öffentlichen Aufgaben ausgehen. Die Erfüllung aller dieser Aufgaben soll im Gemeindegebiet grundsätzlich allein und in eigener Verantwortung den Gemeinden obliegen, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen.148 Freilich ist damit das Problem des Staatseinflusses noch nicht gelöst. aa) interne Gliederung: Auch das monistische Modell kommt nicht ohne interne 38 Anerkennung einer Aufgabentrias aus: freie Aufgaben, Pflichtaufgaben und Weisungsaufgaben, dh Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gemäß einem gesetzlich festgelegten staatlichen Weisungsrecht. Das Weisungsrecht wird in der Gesetzespraxis für das einzelne Aufgabengebiet teils als beschränktes,149 teils als unbeschränktes 150 eingeräumt. Pflichtaufgaben nach Weisung sind vor allem die ordnungsbehördlichen Aufgaben der Gemeinden 151 und ihre Tätigkeit als untere Verwaltungsbehörden. Während sich die freien und die Pflichtaufgaben, transponiert man sie auf das dualistische Schema, einigermaßen unproblematisch als solche des „eigenen Wirkungskreises“ wieder finden, besteht über eine vergleichbare Zuordnung der Weisungsaufgaben seit langem Streit:152 Sind sie die alten Auftragsangelegenheiten unter „neuem Etikett“, sind sie den Auftragsangelegenheiten wenigstens insoweit verwandt, dass man beide unter dem Oberbegriff der „Fremdverwaltung“ 153 im Wesentlichen gleichbehandeln kann, sind sie im Gegenteil echte Selbstverwaltungsaufgaben oder aber ein Mischgebilde mit je gesondert zu ermittelnden Konsequenzen? bb) Weisungsaufgaben als Zwischenform: Keine der beiden eindeutigen Zuord39 nungen entspricht dem Aufgabenzuschnitt: Das Weisungsrecht passt nicht zur 146

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BVerwGE 19, 121, 123; vgl a BVerwG NVwZ 1983, 610; aM BayVGH BayVBl 2002, 336 → JK GG Art 28 II 1/27. E einer GO für die Länder der Bundesrepublik Deutschland, erarbeitet von den Landesinnenministern u den kommunalen Spitzenverbänden 1948 in Weinheim. § 2 I GO BW; § 3 I GO Bbg; § 2 GO Hess; § 2 GO NW; § 2 I GO Sachs; § 2 I GO Schl-H; instruktiv OVG NW NWVBl 2004, 109 (Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes). Zu BW Schenk VBlBW 2003, 461, insbes 464 f. ZB § 9 II OBG NW. ZB § 65 PolG BW; § 25 III LVG BW. → Schoch 2. Kap Rn 51 u 264. Zum Streitstand Maurer, AllgVwR, § 23 Rn 16; Gern DtKomR, Rn 227 ff, insbes 239; Dehmel Wirkungskreis, 91–100; Vietmaier DVBl 1992, 413; Lübking/Vogelgesang Kommunalaufsicht. Schmidt-Jortzig KomR, Rn 541, im Anschluss an Wolff/Bachof, VwR II, § 86 X.

Kommunalrecht

1. Kap IV 1 c

Selbstverwaltungsaufgabe; die Begrenztheit dieses Rechts wiederum steht einer Einstufung als Auftragsangelegenheit entgegen. Überhaupt ist die gesetzliche Ausgestaltung, die die Weisungsaufgaben im Recht der einzelnen Bundesländer gefunden haben, zu unterschiedlich, um die typischen, mit der dualistischen Einstufung geklärten Probleme auch hier einheitlich lösen zu können – und nur das ist ja der Sinn des Qualifikationsstreits. Weisungsaufgaben sind auf dem Hintergrund eines dualistischen Schemas eine Zwischenform, für die die dogmatischen Konsequenzen nur nach genauerer Analyse der Gesetzeslage gefunden werden können. Dabei mögen zunächst zwei Aussagen hilfreich sein, selbst wenn sie nur Faustregeln sind: – Wie Auftragsangelegenheiten sind Weisungsaufgaben dann zu behandeln, wenn es sich um Ländervollzug im Auftrage des Bundes nach Art 85 GG,154 um Fälle des Art 84 V GG oder um Bereiche handelt, in denen das Gesetz den Staatsbehörden ein unbeschränktes Weisungsrecht zuerkennt. – In Bereichen dagegen, in denen das Weisungsrecht beschränkt ist, stehen die Weisungsaufgaben den Selbstverwaltungsangelegenheiten näher; denn hier wächst den Gemeinden sozusagen außerhalb der Tatbestandsmerkmale des Weisungsrechts ein eigener Rechtskreis zu. Von diesen Faustregeln unabhängig werden die Weisungsaufgaben in der Spezialfrage der zuständigen Widerspruchsbehörde (§ 73 I VwGO) einheitlich als Auftragsangelegenheiten behandelt. Den Widerspruchsbescheid erlässt nicht die Gemeinde, sondern die nächsthöhere Behörde.155 Ebenfalls unabhängig von den genannten Faustregeln können Weisungen grundsätzlich nicht auf die Handlungsformen des Außenrechts (Verwaltungsakt, Rechtsverordnung) festgelegt werden. Schon der Begriff „Weisung“ steht dem entgegen. Vor allem aber passen die Institute der Verwaltungsverfahrensgesetze (Anhörungs-, Beratungs-, Begründungszwang), die mit der Qualifikation als Verwaltungsakt automatisch ins Spiel kämen, für das Verhältnis der Gemeinde zum Staat in Weisungsmaterien nicht.156 Die Frage, inwieweit Gemeinden gegen staatliche Weisungen um Gerichtsschutz nachsuchen können, ist damit noch nicht negativ entschieden, denn die Rechtswegeröffnung hängt nicht davon ab, dass die angegriffene Maßnahme als Verwaltungsakt eingestuft wird (Rn 45). c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum Das unter a) und b) behandelte Spektrum öffentlicher Aufgaben und Aufgaben- 40 trägerschaft erschöpft die Erscheinungsformen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum nicht vollständig.

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Zur Sonderstellung der durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Auftragsverwaltung vgl die „Transmissionsklauseln“ § 129 III GO BW, § 16 I LOG NW; zur Haftung der Gemeinde gegenüber dem Land in diesen Fällen BVerwGE 100, 56 → JK GG Art 104a V/4; zur Haftung des Landes gegenüber dem Bund BVerwGE 96, 45, 55 f → JK GG Art 104 a V/2; BVerwG NVwZ 1995, 991. ZB § 7 AGVwGO NW; Dolde in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rn 14; aber a Riotte/Waldecker NWVBl 1995, 481. aM OVG NW NVwZ-RR 1995, 502.

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1. Kap IV 2

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

– Sonderbehörden: Zum einen gibt es Aufgaben, die der Staat auch „vor Ort“ durch eigene Sonderbehörden wahrnimmt. Traditionell zählen hierher die Tätigkeiten der Finanz-, Arbeits- und Wehrverwaltung sowie der Gewerbeaufsichtsämter. Das Landesrecht kennt weitere Fälle, zB Schulämter, Eichämter, Flurbereinigungsbehörden. Für sie zeichnet sich in jüngster Zeit allerdings eine „Kommunalisierungstendenz“ ab. So hat Baden-Württemberg 2004 zahlreiche Sonderbehörden in die Kommunalverwaltung eingegliedert.157 – Organleihe: Eine Sonderform staatlicher Verwaltung begründen ferner diejenigen Gesetze, die ein einzelnes Gemeindeorgan ohne Rückbindung an seine originäre kommunale Trägerkörperschaft mit einer staatlichen Aufgabe betrauen. In diesen Fällen der Organleihe 158 wird das betreffende Organ der staatlichen Verwaltung inkorporiert und unterliegt als solches allen Aufsichtsrechten des staatlichen Instanzenzuges. Bei gemeindlichen Organen sind solche Fälle selten, der Standardfall dagegen findet sich auf der Landkreisebene (Rn 149).

2. Rechtsaufsicht 41 Die Rechtsaufsicht („Kommunalaufsicht“, „allgemeine Aufsicht“) ist die Standardaufsicht des Staates über die Tätigkeit der Gemeinden.159 Sie folgt aus dem parlamentarischen System und aus der Gesetzesbindung der Verwaltung und gehört notwendig zum Körperschaftsstatus der Gemeinde 160. Rechtsaufsicht heißt Überprüfung der Rechtmäßigkeit. Dazu gehört auch die Prüfung, inwieweit unmittelbar wirkende Vorschriften des EG-Rechts von den Gemeinden beachtet worden sind.161 Wo Maßstäbe des Rechts fehlen, mangelt der Rechtsaufsicht der Kontrollmaßstab. Der dogmatischen Vorstellung nach hat die Aufsichtsbehörde die gleichen rechtsmethodischen Schritte zu vollziehen, wie wir sie sonst bei der gerichtlichen Rechtskontrolle kennen: Es erfolgt eine vollständige Rechtsanwendungskontrolle; gemeindliches Ermessen wird dagegen nur auf Ermessensfehler nach Maßgabe der §§40 VwVfG, 114 VwGO kontrolliert.162 Bei den Selbstverwaltungsaufgaben ist der Staat grundsätzlich auf diese Art der Aufsicht beschränkt. Systematisch lassen sich eine repressive, dh nachträglich einsetzende, und eine präventive, dh vor Vollendung eines gemeindlichen Rechtsaktes eingreifende Rechtsaufsicht unterscheiden. Die Gemeindeordnungen regeln unter der Überschrift

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Verwaltungsstruktur-ReformG (VRG) v 1. 7. 2004, GBl 469. Hierzu Munding VBlBW 2004, 448. Dazu Kluth in: Wolff/Bachof/Stober, VerwR III, § 95 Rn 30; Erichsen KomR NW, 98: „Institutionsleihe“. BVerfGE 6, 104, 118; 78, 331, 341 → JK GG Art 28 II/16: „Die Kommunalaufsicht ist das verfassungsrechtlich gebotene Korrelat der Selbstverwaltung“. Vgl ferner Gern DtKomR, Rn 801 ff. Zur Multifunktionalität der Kommunalaufsicht Oebbecke DÖV 2001, 406. Dazu Ehlers DÖV 2001, 412. Dazu allg Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 10 Rn 10 ff; Gerhardt in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rn 13 ff.

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1. Kap IV 2 a

„Aufsicht“ zusammenhängend nur die repressive Rechtsaufsicht,163 während sich präventive Aufsichtsvorgänge verstreut vor allem in den einzelnen Vorschriften finden, die bestimmte gemeindliche Handlungen staatlicher Genehmigung unterstellen. Demgemäß wird auch in diesem Beitrag verfahren (zu Genehmigungen Rn 46 ff). Den normalen Instanzenzug der Rechtsaufsichtsbehörden stellen die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung dar:164 das Innenministerium – gegebenenfalls das Regierungspräsidium 165 – und, sofern es um kreisangehörige Gemeinden geht, das Landratsamt als untere staatliche Verwaltungsbehörde. a) Aufsichtsmittel Aufsichtsvorgänge vollziehen sich in der Praxis vielfach durch informelle Kontakte 42 zwischen Gemeinde und Aufsichtsbehörde (Beratung, Anregung, Korrekturvorschlag). Die Aufsicht soll den Gemeinden bekanntlich helfen und möglichst ohne Konfrontation erfolgen. Wenn das aber nicht zum Erfolg führt, muss das Recht auch zwangsweise gegen die Gemeinde durchgesetzt werden können. Für diese Eingriffsfälle halten die Gemeindeordnungen ein Instrumentarium bereit, das von einfachen Informationsrechten bis zu „schweren Geschützen“ (zB Ersatzvornahme, Staatsbeauftragter) reicht. In Einzelheiten weichen die Gemeindeordnungen voneinander ab; zu den üblichen Mitteln gehören: – Informationsrecht: Soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, kann sich die Rechtsaufsichtsbehörde über einzelne Angelegenheiten unterrichten. Verlangt werden können die Vorlage von Akten, die Erstellung von Berichten, die Einsichtnahme in Bücher. Eine generelle Vorlagepflicht, zB für alle Ratsbeschlüsse, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. – Beanstandungsrecht: Rechtswidrige Handlungen (Beschlüsse, Anordnungen) kann die Aufsichtsbehörde beanstanden und ihre Korrektur durch die Gemeinde verlangen, sofern die Gemeinde mit einer solchen Korrektur nicht erneut gegen das Gesetz verstoßen müsste,166 indem sie zB zu einer rechtlich nicht möglichen Rücknahme eines Verwaltungsakts (§ 48 VwVfG) angehalten wird. Die in einigen Gemeindeordnungen vorgesehene „aufschiebende Wirkung“ der Beanstandung 167 gilt nicht für die Außenwirksamkeit des betreffenden Aktes; sie enthält aber ein Vollzugsverbot an die Gemeinde. Die beanstandeten Handlungen der Gemeinde können solche öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Art sein, sich also zB auch als Abschluss eines privaten Einstellungsvertrages darstellen.168 163

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§§ 118 ff GO BW; Art 108 ff GO Bay; §§ 119 ff GO Bbg; §§ 135 ff GO Hess; §§ 78 ff KV MV; §§ 127 ff GO Nds; §§ 119 ff GO NW; §§ 117 ff GO Rh-Pf; §§ 127 ff KSVG Saarl; §§ 111 ff GO Sachs; §§ 133 ff GO S-Anh; §§ 120 ff GO Schl-H; §§ 116 ff ThürKO. Einzeldarstellung bei Gern DtKomR, Rn 808 f. In Rh-Pf die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion. Erichsen DVBl 1985, 943, 945; Mögele BayVBl 1985, 519; OVG NW NVwZ 1987, 155 → JK GO NW § 108 I 2/1. § 121 I 3 GO BW; § 124 I 3 GO Bbg; § 81 I 2 KV MV; § 130 I 2 GO Nds; § 122 II 3 GO NW; § 121 S 3 GO Rh-Pf; § 130 KSVG Saarl; § 114 I 3 GO Sachs; § 136 I 3 GO S-Anh; § 123 I 3 GO Schl-H. Vgl VG Weimar NVwZ-RR 2002, 137.

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1. Kap IV 2 b

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

– Anordnungsrecht: Erfüllt die Gemeinde die ihr nach Gesetz und Recht obliegenden Pflichten nicht, so kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass die Gemeinde die notwendigen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist nachholt.169 Das Anordnungsrecht ist das auf gemeindliches Unterlassen bezogene Korrelat zur Beanstandung, die auf rechtswidriges Tun reagiert. – Ersatzvornahme: Kommt die Gemeinde einem der vorstehend genannten Verlangen der Aufsichtsbehörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht nach, so ist die Aufsicht befugt, die notwendigen Maßnahmen an Stelle und auf Kosten der Gemeinde selbst durchzuführen. Hier wird die Aufsicht uU auch gegenüber Dritten tätig. Im Vorgang der Ersatzvornahme liegt also regelmäßig ein Doppelakt: ein Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde, der die Ausübung des Aufsichtsmittels zum Regelungsgegenstand hat, und ein zweiter Akt, dessen Rechtsnatur sich aus seinem Regelungsumfeld heraus bestimmt und der folglich zB Realakt, Akt der Normsetzung, aber auch eine privatrechtliche Willenserklärung sein kann.170 – weitere Aufsichtsmittel: Länderweise unterschiedlich eingeführt sind darüber hinaus weitere Aufsichtsmittel für schwere Fälle, zB die Bestellung eines Staatsbeauftragten,171 die Auflösung des Gemeinderates,172 die vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Bürgermeisters 173 oder ein Selbsteintrittsrecht der höheren Aufsichtsbehörde.174 b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz 43 Die eingreifenden Aufsichtsmittel unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zuweilen ist ausdrücklich vorgesehen, dass zunächst das gemeindeinterne Kontrollsystem einzuschalten ist.175 Generell dürfen Aufsichtsmaßnahmen nur durchgeführt werden, wenn sie dem öffentlichen Wohl dienen. Mit Ausnahme des Informationsrechts setzen alle Aufsichtsmaßnahmen rechtswidriges Gemeindehandeln 169

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In allen GOen. Es darf nicht kumulativ zum Beanstandungsrecht angewendet werden (OVG NW NVwZ-RR 1992, 449). Vgl zum zulässigen Inhalt einer Anordnung zum Erlass einer Haushaltssatzung VG Dessau LKV 2003, 293. Ausf dazu Schnapp Die Ersatzvornahme in der Kommunalaufsicht, 1972; OVG NW NVwZ 1989, 987 → JK GO NW § 109 II/2 u NVwZ-RR 1990, 23 (Auflösung einer Schule) → JK GO NW § 109 II/1. Zum Erlass einer Satzung im Wege der Ersatzvornahme BVerwG NVwZ-RR 1992, 611 → JK GO NW § 109/1; 1993, 513 → JK VwGO § 47/19. Zur Durchsetzung einer Planungspflicht aus § 1 III BauGB vgl BVerwGE 119, 25, 43 ff → JK BauGB § 1 III/1. § 124 GO BW; Art 114 GO Bay; § 128 GO Bbg; § 141 GO Hess; § 83 KV MV; § 132 GO Nds; § 124 GO NW; § 124 GO Rh-Pf; § 134 KSVG Saarl; § 117 GO Sachs; § 139 GO S-Anh; § 127 GO Schl-H; § 122 I ThürKO. Art 114 III GO Bay; § 52 GO Bbg; § 141 a II GO Hess; § 84 KV MV; § 54 II GO Nds; § 125 GO NW; § 125 GO Rh-Pf; § 53 II KSVG Saarl; § 44 GO Schl-H; § 122 II ThürKO. § 128 GO BW; § 118 GO Sachs; § 144 GO S-Anh. Zur Insolvenzfähigkeit der Gemeinde § 12 I Nr 2 InsO iVm Landesrecht; vgl Engelsing Zahlungsunfähigkeit von Kommunen und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 1999; Lehmann Die Konkursfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, 1999. § 122 I GO NW; dazu OVG NW DVBl 1985, 172 → JK GO NW §§ 42, 35/1.

Kommunalrecht

1. Kap IV 3 a

voraus. Die Rechtswidrigkeit folgt primär aus Rechtssätzen des öffentlichen Rechts unter Einschluss des EG-Rechts. Verstöße gegen privatrechtliche Vorschriften reichen jedenfalls dann nicht aus, wenn sie nur den Interessen des Privatrechtsverkehrs dienen.176 Eine zum Einschreiten berechtigende Rechtsverletzung liegt auch dann vor, wenn sich eine Gemeinde mit Materien beschäftigt, die wegen ihres überörtlichen Charakters nicht in ihren Kompetenzbereich fallen (Rn 14 ff). Auch bei Vorliegen des Aufsichtsfalles ist die Aufsichtsbehörde, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, nicht zum Einschreiten verpflichtet, sondern kann nach Ermessen entscheiden (Opportunitätsprinzip).177 Klare Fälle einer Ermessensschrumpfung dürften selten sein, sind aber nicht ganz auszuschließen. In keinem Falle haben private Dritte einen Rechtsanspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten; denn Aufsichtsvorschriften sind nicht einmal beiläufig ihren Interessen zu dienen bestimmt.178 Adressat der genannten Aufsichtsmaßnahmen ist die Gemeinde als solche, die in ihrem Körperschaftsstatus dem Staat (Aufsichtsbehörde) im Außenverhältnis entgegentritt. Regelnde Maßnahmen der Aufsichtsbehörde haben daher unstreitig die Qualität eines Verwaltungsaktes. Für ihren Erlass sind, soweit das Kommunalrecht keine gleichlautenden oder entgegenstehenden Vorschriften enthält, ergänzend die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder einschlägig. Der Gerichtsschutz der Gemeinden richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften.179 Soweit die Gemeindeordnungen darauf verweisen, kommt ihnen angesichts der §§ 40 I 1, 42 II VwGO nur deklaratorische Bedeutung zu. Aufsichtsvorgänge können zudem zu Haftungsfällen führen, in denen sich die Gemeinden mit Amtshaftungsansprüchen gegen die Aufsichtsinstanzen wenden.180 Auch Gemeinden können Dritte iSd § 839 BGB sein.181

3. Fachaufsicht a) Wesen und Regelungen Als Fachaufsicht 182 bezeichnet man die besondere Aufsicht in Angelegenheiten des 44 übertragenen Wirkungskreises bzw. der Weisungsaufgaben. Die meisten Gemeindeordnungen enthalten hierüber nur marginale Vorschriften und verweisen im Übrigen auf die einschlägigen Fachgesetze. Das Wesen der Fachaufsicht liegt in der ihr zugeordneten Weisungsbefugnis. Diese Befugnis ist im dualistischen Aufgaben176 177 178

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OVG NW DVBl 1963, 862; gegen diese Subsidiaritätsregel Hassel DVBl 1985, 697. Str; ausf mwN Voßkuhle DV 29 (1996) 511; vgl a Wehr BayVBl 2001, 705. HM; vgl Knemeyer HkWP Bd 1, 270; v Mutius KomR, Rn 857; Maurer in: Maurer/Hendler StuVwR BW, 256; a BVerwG DÖV 1972, 723 (LS); OVG Rh-Pf DÖV 1986, 152. Dazu Schmidt-Jortzig KomR, Rn 101 f; Knemeyer HkWP Bd 1, 275. Dazu v Komorowski VerwArch 93 (2002) 62. Sehr weitgehend allerdings BGHZ 153, 198 → JK GG Art 34/25: Schutzpflichten auch bei Erteilung einer Genehmigung, die die Gemeinde selbst beantragt hat; hierzu Meyer NVwZ 2003, 818; sa Pegatzky NVwZ 2005, 61; Pielow/Finger Jura 2005, 351. In NW u Bbg „Sonderaufsicht“; dazu Kahl Staatsaufsicht, 555 ff; Benedens LKV 2000, 89; dieser Begriff wird sonst anderen Fällen (vgl u 4) vorbehalten. Systematisch zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Fachaufsicht Groß DVBl 2002, 793.

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1. Kap IV 3 b

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

modell grundsätzlich unbegrenzt, während sie im monistischen Modell für das einzelne Aufgabengebiet gesetzlich besonders verliehen sein muss. Weisungen erstrecken sich auf die Handhabung des gemeindlichen Ermessens und sind selbst vorrangig von Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit bestimmt. Damit bekommt die Aufsicht eine ganz andere Funktion: Repressive Kontrolle und präventive Steuerung fließen hier zusammen. Eine immanente Grenze aller Weisungsrechte liegt darin, dass sie Sachentscheidungen steuern sollen. Wie die Gemeinde die organisatorischen und personellen Voraussetzungen dafür schafft, muss ihr dagegen selbst überlassen bleiben. Fachaufsicht ist nicht Dienstaufsicht. Die Weisungsrechte werden von den zuständigen Fachbehörden ausgeübt, die mit den allgemeinen Aufsichtsbehörden häufig, aber keinesfalls durchgängig identisch sind. Außer zur Ausübung des Weisungsrechts sind die Fachaufsichtsbehörden zu Eingriffen in den gemeindlichen Bereich nicht berechtigt,183 wenn ihnen nicht spezialgesetzlich weitergehende Befugnisse, zB ein Selbsteintrittsrecht (zB § 44 I 2 StVO) oder eine Ersetzungsbefugnis (§ 36 II 3 BauGB), eingeräumt sind.184 Kommt eine Gemeinde einer Weisung nicht nach, so ist allein die Rechtsaufsicht berechtigt, darauf mit ihren allgemeinen Aufsichtsmitteln zu reagieren; die Fachaufsichtsbehörden haben sich an sie zu wenden. b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen 45 Dieses Problem wird heute eher in den Begründungsschritten als im Ergebnis kontrovers behandelt.185 Dabei sollte zwischen der generellen Zulässigkeit einer gemeindlichen Klage, der richtigen Rechtsschutzform und der im Rahmen der Klagebefugnis und der Begründetheit zu behandelnden Frage nach den verletzten gemeindeeigenen Rechten unterschieden werden: – Unbestreitbar ist den Gemeinden der Rechtsweg auch gegen fachaufsichtliche Maßnahmen nicht generell versperrt. Solche Maßnahmen sind keine gerichtsfreien Hoheitsakte, sondern Vorgänge, über die nach Maßgabe des öffentlichen Rechts zu entscheiden ist (§ 40 I 1 VwGO). – Davon unabhängig besteht der Streit um die Rechtsnatur fachaufsichtlicher Weisungen. Er hat Bedeutung für die Bestimmung der statthaften Klageart: Stuft man Weisungen als Verwaltungsakte ein, ist um Rechtsschutz mit der Anfechtungsklage nachzusuchen. Tut man das nicht, weil Weisungen im Regelfall nicht auf

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Ausdr § 129 II GO BW; Art 116 I 3 GO Bay; § 131 GO Bbg; §145 S 2 GO Hess; § 127 GO NW; § 127 I GO Rh-Pf; § 137 KSVG Saarl; § 123 II GO Sachs; § 145 II GO S-Anh; § 129 GO Schl-H; § 120 II ThürKO. § 87 KV MV sieht dagegen weitergehende Eingriffsbefugnisse, zB ein Selbsteintrittsrecht, vor. Zu § 36 II 3 BauGB Lasotta BayVBl 1998, 609; Groß BauR 1999, 560; Horn NVwZ 2002, 406; Möstl BayVBl 2003, 225; NdsOVG NVwZ 1999, 1005; NVwZ-RR 2004, 91; NVwZ-RR 2005, 90. Zu § 37 I BauGB HessVGH NVwZ 2001, 823. Zu § 36 BauGB allg → Krebs 4. Kap Rn 124. S va a BVerwG NVwZ 2005, 83 (Einvernehmen bei mit Baugenehmigungsbehörde identischer Gemeinde). Dazu Knemeyer HkWP Bd 1, 278 ff; Schmidt-Jortzig JuS 1979, 488; Erichsen DVBl 1985, 943, 947; Tettinger/Erbguth BesVwR, § 11 Rn 362 ff.

Kommunalrecht

1. Kap IV 3 b

Außenwirkung gerichtet sind 186 und manche verwaltungsverfahrensrechtlichen Konsequenzen (o Rn 39aE) dagegen sprechen, so bleibt der Gemeinde immer noch die allgemeine Leistungsklage.187 – Die für allgemeine Leistungs- wie für Anfechtungsklagen gleichermaßen entscheidende Frage ist die nach den verletzten subjektiven Rechten.188 Sind solche nachweisbar, so kann der Rechtsschutz nicht scheitern. Auf der Basis des monistischen Aufgabenmodells lassen sich solche gemeindeeigenen Rechte leichter ausmachen, weil hier alles, was außerhalb des gesetzlichen Weisungstatbestandes liegt, dem gemeindlichen Rechtskreis anwächst. Hält sich die Weisung nicht im Rahmen dieses Tatbestandes, so trifft sie sozusagen von selbst auf gemeindliche Rechte. Aber auch bei den Auftragsangelegenheiten des dualistischen Modells ist die Betroffenheit gemeindeeigener Rechte nicht auszuschließen; denn die Gemeinden bleiben auch hier mit ihrer Verwaltungsorganisation Körperschaften. Das Weisungsrecht darf, selbst wenn die Sachaufgabe staatliche Angelegenheit ist, nicht in den gemeindlichen Organisationsvorbehalt eingreifen.189 Inwieweit eine Betroffenheit eigener Rechte nach der Konstellation des Einzelfalls immerhin möglich ist, inwieweit sie wirklich vorliegt und rechtsverletzend wirkt, ist dann eine Frage der Aufteilung des Prozessstoffes auf die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfende Klagebefugnis und die letztendlich entscheidende Begründetheit. Hält sich die fachaufsichtliche Maßnahme im Rahmen der ihr durch das Recht gezogenen Grenzen, so mag sie so unzweckmäßig sein, wie sie will – ein gemeindliches Rechtsmittel kann dann keinen Erfolg haben. Gleiches gilt wegen der umfassenden Verantwortung der Fachaufsicht idR dann, wenn Gemeinde und Aufsichtsbehörde über die richtige Auslegung der materiellen Vorschriften des jeweiligen Fachgesetzes streiten.190

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So a Meyer-Borgs VwVfG, 2. Aufl, § 35 Rn 49; HessVGH NVwZ-RR 1990, 4; Gern DtKomR, Rn 837; im Grundsatz wohl a BVerwG DVBl 1995, 744 → JK VwVfG § 35 I/18 (Ausrichtung am materiellen Recht); aM Knemeyer HkWP Bd 1, 279 f; Schmidt-Jortzig JuS 1979, 488, 491; Kahl Jura 2001, 505, 512; VGH BW DVBl 1994, 348 m Anm Steiner. Anfechtungsklage hat die Gemeinde ausnahmsweise dann zu erheben, wenn sie sich gegen Entscheidungen der Aufsichtsbehörde wendet, die diese als Widerspruchsbehörde (§ 73 I Nr 1 VwGO) in einem von einem Dritten gegen eine gemeindliche Entscheidung angestrengten Widerspruchsverfahren getroffen hat. Der Widerspruchsbescheid erhält seinen Verwaltungsaktcharakter aus seiner Außenwirksamkeit gegenüber dem Dritten und behält ihn auch der Gemeinde gegenüber. Vgl BVerwG NVwZ 1982, 310 f → JK GG Art 28 II/6. Setzt die Rechtsaufsicht eine Weisung der Fachaufsicht gegenüber der Gemeinde mit ihren Zwangsmitteln (vgl Rn 42) durch, so ist dagegen die Anfechtungsklage statthaft (Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs 1 Rn 57). BVerwG NJW 1978, 1820 → JK VwVfG § 35 S 1/1; BVerwG NVwZ 1983, 610 f. Schmidt-Jortzig JuS 1979, 488, 490. VG Köln DVBl 1985, 180ff; Maurer, AllgVwR, § 23 Rn 23. Zur strukturell vergleichbaren Problematik der Aufsicht des Bundes über die Länder in Bundesauftragsangelegenheiten nach Art 85 GG vgl BVerfGE 81, 310, 338 f; 84, 25, 31 ff → JK GG Art 85 III/1; E 104, 249, 264 ff.

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1. Kap IV 4 b aa

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck und Typik 46 Die Aufsicht ist nicht notwendig darauf beschränkt, nachträglich korrigierend tätig zu werden. Oft ist es für alle Beteiligten besser, die Aufsichtsinteressen werden erfüllt, bevor das Kalb in den Brunnen gefallen ist. Auch die informellen Mittel der Beratung und Besprechung lassen sich besser vorab einsetzen. Freilich birgt gerade die präventive Aufsicht auch die Gefahr, dass sie über eine Mitgestaltung zur Besserwisserei ausartet, weil hier die notwendige Distanz zwischen Aufsichtsbehörde und Gemeinde leichter verloren gehen kann. Folglich muss das präventive Aufsichtswesen besonders sorgfältig gesetzlich geordnet sein. Aufsichtsmittel, die der Gemeinde verbindlich etwas vorschreiben wollen, bedürfen gesetzlicher Grundlage. Fehlt es daran, so können die Staatsbehörden nicht tätig werden. Im Übrigen haben sich solche Mittel auf Vorgänge zu beschränken, in denen sich ein besonderes „Gefährdungs-“ oder ein spezielles „Mitsprachepotential“ angesammelt hat. Zu den Instrumenten der präventiven Aufsicht gehören als mildere Mittel Anzeigeoder Vorlagepflichten;191 sie sind Rechtstechniken, die der Aufsichtsbehörde die Kontrolle erleichtern sollen. Vor allem aber sind gesetzliche Genehmigungsvorbehalte Mittel präventiver Aufsicht. b) spezielle Genehmigungsvorbehalte 47 Sie finden sich als Erfordernisse aufsichtsbehördlicher Genehmigung, Zustimmung oder Bestätigung, zB bei Gebietsänderungen und im gemeindlichen Wirtschaftsrecht, eingeschränkt auch beim Satzungsrecht (Rn 96 f) und in Fachgesetzen, zB gegenüber der gemeindlichen Bauleitplanung (§§ 6, 10 BauGB).192 Nicht einheitlich zu beantworten ist die Frage, inwieweit die Aufsichtsbehörde auf die reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt ist oder ihrer Genehmigungsentscheidung auch Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde legen darf. Nach überwiegender Ansicht müssen mehrere Typen von Genehmigungsvorbehalten unterschieden werden:193 aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung: Der Normaltatbestand gestattet allein 48 eine Rechtskontrolle. Die Genehmigung ist hier rechtliche Unbedenklichkeitserklärung. Solche Vorschriften finden sich dort, wo der gemeindliche Rechtsakt mit besonderen rechtlichen Risiken behaftet ist oder weit reichende rechtliche Folgen hat. Wenn keine zusätzlichen Genehmigungsmaßstäbe genannt sind oder aus dem Kontext zwingend erschlossen werden können, ist allein eine Rechtskontrolle als das die Gemeinden am wenigsten belastende Mittel zulässig. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Rechtsakt gegen berücksichtigungsfähige Rechtsvorschriften nicht verstößt. Die Gemeinde hat auf die Genehmigung einen Rechtsanspruch, den sie mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage verfolgen kann. 191

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Systematisch Keller Genehmigung, 50 ff; Humpert Genehmigungsvorbehalte, 8 ff; ders DVBl 1990, 804. Ausf Auflistung bei Humpert Genehmigungsvorbehalte, 16 ff. Zu den §§ 6, 10 BauGB → Krebs 4. Kap Rn 115. Dazu Kluth in: Wolff/Bachof/Stober, VwR III, § 94 Rn 139; Humpert Genehmigungsvorbehalte, 63 ff.

Kommunalrecht

1. Kap IV 4 b bb

bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium: Daneben kennt das Gemeinde- 49 recht aber auch solche Genehmigungstatbestände, die den Staat zu einer mehr oder weniger umfassenden Zweckmäßigkeitskontrolle ermächtigen wollen. So unterliegt zB die Veräußerung (historisch) wertvoller Gegenstände des Gemeindevermögens einer Genehmigung, bei der es nicht allein um die Rechtmäßigkeit geht, sondern deren Sinn gerade darin liegt, gemeindliches Vermögen vor gemeindlicher Unbedachtsamkeit in Schutz zu nehmen.194 Ähnliches gilt für Genehmigungen gemeindlicher Kreditaufnahmen oder gegenüber der Eingehung von Bürgschaften und für einige andere haushaltsrechtliche Entscheidungen.195 Art 28 II 1 GG verbietet solche Tatbestände nicht schlechthin, denn auch die hier betroffene Eigenverantwortlichkeit steht unter einem Gesetzesvorbehalt (Rn 20). Größere Probleme werfen – freilich nur für landesgesetzliche Genehmigungsvorbehalte – diejenigen Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen auf, die die Staatsaufsicht außerhalb der Weisungsaufgaben ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeitsprüfung beschränken.196 Teilweise hat man versucht, diese Verfassungsbestimmungen nur auf die repressive Aufsicht zu beziehen und die präventiven Aufsichtsvorgänge ganz aus dem Garantiebereich auszuklammern.197 Angängig ist das freilich nur bei Materien, die wegen eines eindeutigen staatlichen Mitgestaltungsinteresses ohnehin in den Grenzbereichen des örtlichen Wirkungskreises liegen und die man als Angelegenheiten eines staatlich-gemeindlichen Kondominiums bezeichnen kann:198 gemeindliche Gebietsänderungen, Zweckverbandsbildungen, Wappen- und Siegelführung. Bei den meisten Genehmigungstatbeständen des Kommunalwirtschaftsrechts dagegen geht es ganz vorrangig um örtliche Belange, um einen Schutz der Gemeinde vor sich selbst. Eine exakte Regelung enthalten hier Art 75 I 2 LV BW und Art 89 II LV Sachs, die die Genehmigungsmaßstäbe weiter fassen. Will man auch in den anderen Bundesländern die notwendige und eingespielte Präventivkontrolle weiterhin für zulässig ansehen, so bleibt nur der Weg, den Genehmigungsmaßstab auf einen freilich weit zu interpretierenden Rechtsbegriff der „Wirtschaftlichkeit“ zurückzuführen und den Genehmigungsvorbehalt so als eine (weite) Rechtmäßigkeitskontrolle zu deuten.199

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Dazu Weiß Erwerb, Veräußerung und Verwaltung, 127 ff; Schrapper Selbstverwaltungsgarantie und Genehmigungsrecht, 120 ff. Zur Aufhebbarkeit erteilter Genehmigungen vgl Zacharias NVwZ 2002, 1306. Ausf Hill Gutachten zum 58. DJT, 34 ff. ZB Art 137 III 2 LV Hess; Art 78 IV 1 LV NW; Art 94 LV Thür. Keller Genehmigung, 66 ff mwN. OVG NW NVwZ 1988, 1156 → JK GO NW § 64 II 3/1 u 1990, 689. Allg zum Kondominium W. Weber Staats- und Selbstverwaltung, 127 ff; Humpert Genehmigungsvorbehalte, 162 f; Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 86 Rn 180. Ebenso Schoch NVwZ 1990, 801, 805 f; Schrapper aaO; BayVerfGH NVwZ 1989, 551 f.

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1. Kap IV 5 b bb

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

5. Aufgabenbestand und Gemeindestatus: kreisangehörige und kreisfreie Gemeinden a) Das Bild der Einheitsgemeinde 50 Gemeinsam gehen alle Gemeindeordnungen vom Bild der Einheitsgemeinde aus. Die Einheitsgemeinde, so wie sie Gewährleistungsträger des Art 28 II 1 GG ist – ohne Rücksicht auf ihre Größe, Verwaltungskraft, Versorgungsfunktion –, ist das Bezugsobjekt, an das das Gemeinderecht seine Regelungen standardmäßig knüpft.200 Sie ist nach außen mit ihrem Körperschaftsstatus die Einheit, die ihre Bürger umschließt und in einem rechtstechnischen Sinne ihren Organen und Untergliederungen Rückhalt und Zuordnung gibt. Weder interne Untergliederungen (Ortschaften, Gemeindebezirke [Rn 92]) noch Zusammenschlüsse von Gemeinden zu neuen Verwaltungsträgern (Verwaltungsgemeinschaften, Samtgemeinden [Rn 150ff]) sind in diesem Rechtssinne Gemeinden. b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden 51 Allerdings kann das Verwaltungsrecht nicht die Augen davor verschließen, dass in der Realität der Gebietszuschnitt, die Raumsituation, die Bevölkerungszahlen und die Leistungskraft der Gemeinden erheblich voneinander abweichen und zu Differenzierungen auch des Rechtsstatus veranlassen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen kreisangehörigen und kreisfreien Gemeinden,201 die sich an der unterschiedlichen Größe und Verwaltungskraft orientiert und daraus Konsequenzen für die Zuständigkeiten zieht. Vor allem bei der gesetzlichen Zuweisung von Auftragsangelegenheiten/Weisungsaufgaben wird auf diese Unterscheidung oft Bezug genommen. 52 aa) kreisangehörige Gemeinden: Die allermeisten Gemeinden der Bundesrepublik sind kreisangehörig. Ohne ihre rechtliche Selbständigkeit anzutasten, besteht „oberhalb“ – nicht eigentlich über ihnen – ein Gemeindeverband (Landkreis, Kreis), um diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen (Rn 136 ff). 53 bb) kreisfreie Städte: Kreisfreie Städte (Stadtkreise) sind diejenigen größeren Städte, denen der Status der Kreisfreiheit besonders zuerkannt ist. Länderweise variieren die Schwellenwerte, an denen man sich bei dieser Entscheidung ausrichtet, nicht unerheblich. Insgesamt gibt es über 120 kreisfreie Städte. Sie sind Gemeinden nach dem Bild der Einheitsgemeinde; insofern ist der Begriff des „Stadtkreises“ (BW) irreführend. Ihr Aufgabenbestand ist wegen ihrer größeren Leistungsfähigkeit aber schon auf natürliche Weise größer als der der kreisangehörigen Gemeinden. Außerdem sind ihnen diejenigen Aufgaben übertragen, die im Landkreis von den Kreisorganen erfüllt werden, die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden. Was im Landkreis von unterschiedlichen Verwaltungseinheiten (kreisangehörigen Ge200

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Dieser für alle GOen geltende Satz ist klar ausgedrückt in § 2 I GO Bbg: Gemeinden im Sinne dieses Gesetzes sind die kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie die kreisfreien Städte. Zu Diff vgl Hlépas AfK 29 (1990) 70 ff. Daneben gibt es Sonderformen; zB „stadtverbandsangehörige“ Gem (§ 4 II KSVG Saarl).

Kommunalrecht

1. Kap IV 5 b cc

meinden, Landkreisen, Landratsamt als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde) geleistet wird, erfüllen die kreisfreien Städte „in einer Person“. cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden: Die kreisangehörigen Gemeinden 54 haben unter sich wiederum stark voneinander abweichende Einwohnergrößen und Erscheinungsformen: Kreisangehörig sind die Kleingemeinden mit nicht mehr als 500 Einwohnern; kreisangehörig kann aber auch eine Gemeinde mit 100 000 Einwohnern und vollkommen städtischem Gepräge sein. Um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen, stellen die Gemeindeordnungen der meisten Flächenländer eine – Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwei – besondere Kategorien einer größeren kreisangehörigen Gemeinde zur Verfügung.202 Die Erlangung dieses besonderen Status setzt das Erreichen eines länderweise (zwischen 20 000 und 60 000) variierenden Einwohnergrenzwertes und außer in Hessen einen besonderen staatlichen Akt der Statusverleihung voraus. Gemeinden mit privilegiertem Status erfüllen in den meisten Ländern neben ihren Aufgaben als kreisangehörige Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis auch einen Teil derjenigen Aufgaben, die sonst nur von den kreisfreien Städten, im Landkreis normalerweise von den Kreisverwaltungsorganen als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde wahrgenommen werden. Außerdem können für privilegierte kreisangehörige Gemeinden Abweichungen im normalen Instanzenzug der Rechtsaufsicht bestehen. Spezialliteratur Dehmel Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970; Ehlers Kommunalaufsicht und europäisches Gemeinschaftsrecht, DÖV 2001, 412; Erichsen Kommunalaufsicht – Hochschulaufsicht, DVBl 1985, 943; Elicker Aufsichtsrechtliche Fragen des Kommunalleasing, DÖV 2004, 875; Franz Die Staatsaufsicht über die Kommunen, JuS 2004, 937; Groß Was bedeutet „Fachaufsicht“?, DVBl 2002, 793; Humpert Genehmigungsvorbehalte im Kommunalverfassungsrecht, 1990; Kaden Passivlegitimation bei Amtspflichtverletzungen im Rahmen der Kommunalaufsicht, LKV 2002, 362; Keller Die staatliche Genehmigung von Rechtsakten der Selbstverwaltungsträger, 1976; Knemeyer Staatsaufsicht über Kommunen, JuS 2000, 521; Koehl Zur Verwaltungsaktqualität von kommunalaufsichtlichen Widerspruchsbescheiden, BayVBl 2003, 331; v Komorowski Amtshaftungsansprüche von Gemeinden gegen andere Verwaltungsträger, VerwArch 93 (2002) 62; Lübking/Vogelgesang Die Kommunalaufsicht, 1998; Mögele Das Zusammenspiel von Gemeinderecht und Verwaltungsverfahrensrecht bei der rechtsaufsichtlichen Beanstandung gemeindlicher Verwaltungsakte, BayVBl 1985, 519; Oebbecke Kommunalaufsicht – nur Rechtsaufsicht oder mehr?, DÖV 2001, 406; Oldiges Die Gemeinde im übertragenen Wirkungskreis, GS Burmeister, 2005, 269; Schaffarzik Aufgabenträger der Rechtsaufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden, SächsVBl 2004, 145; Schenk Grundlegende Strukturen der Verwaltungsorganisation, -aufgaben und -zuständigkeiten in Baden-Württemberg, VBlBW 2003, 461; Schmidt-Jortzig Rechtsschutz der Gemeinden gegenüber fachaufsichtlichen Weisungen bei der Fremdverwaltung, JuS 1979, 488; Schrapper Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und staatliches Genehmigungsrecht, 1992; Schröder Grundfragen der Aufsicht in der öffentlichen Verwaltung, JuS 1986, 371; Vietmeier Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992; Weiß Erwerb, Veräußerung und Verwaltung von Vermögensgegenständen, 1991; Wachsmuth Die kommunalrechtliche Genehmigung von Geschäften des bürgerlichen Rechts, ThürVBl 2004, 181. 202

Übersicht bei Gern DtKomR, Rn 184 ff.

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1. Kap V

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

V. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) 55 Das Recht des internen Gemeindeaufbaus, das man auch das Gemeindeverfassungsrecht nennt, beschäftigt sich mit den Arten und dem Zusammenwirken der Gemeindeorgane. Alle Gemeindeordnungen kennen wenigstens zwei Hauptorgane, den Gemeinderat als zentrales Beschlussorgan und ein Hauptverwaltungsorgan, das in den meisten Ländern monokratisch (Bürgermeister), in Hessen kollegial (Gemeindevorstand) verfasst ist.203 Status und gegenseitige Zuordnung dieser Organe waren früher länderweise recht unterschiedlich geregelt. Die Geschichte des Kommunalrechts überliefert zur Kennzeichnung dieser Unterschiede die Begriffe Bürgermeister-, Magistrats- und Ratsverfassung.204 In jüngerer Zeit haben sich die Kommunalverfassungen der Bundesländer deutlich angenähert, so dass diese Bezeichnungen kaum noch Erklärungswert besitzen. Alle Gemeindeordnungen folgen – mit Modifikationen in Hessen – derselben 56 ausgeprägt dualistischen Struktur: 205 In ihr steht dem direkt vom Volk gewählten Gemeinderat (Art 28 I 2 GG) ein ebenso durch direkte Wahl (Urwahl) legitimierter Bürgermeister gegenüber. Stark vereinfacht lässt sich sagen: Der Rat repräsentiert das politische Teilsystem, der Bürgermeister das administrative Teilsystem der Gemeinde. In den Details sind Rechtsstellung und Zusammenspiel der Hauptorgane freilich 57 länderweise nach wie vor unterschiedlich ausgestaltet.206 So werden die Fragen nach einer Abwahl des Bürgermeisters während seiner Amtsperiode, nach seiner Stellung im Gemeinderat und nach dem Bestand seiner festen Kompetenzen („Vorbehaltsaufgaben“) von den Gemeindeordnungen unterschiedlich beantwortet. Alle Strukturüberlegungen helfen nicht davon, sich exakt an den Vorschriften des jeweiligen Landesrechts zu orientieren, die uU neben Gemeinderat und Bürgermeister noch ein weiteres Organ (Bbg: Hauptausschuss, Nds: Verwaltungsausschuss) kennen oder noch einmal zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Bürgermeistern (in kleinen Gemeinden, zB MV, Schl-H) differenzieren. Erst die präzise Analyse ermöglicht Aussagen über das Gefüge der Machtverteilung zwischen den Hauptorganen, von dem eine Gemeindeordnung rechtlich ausgehen will. Erst sie befähigt dann auch zur systematischen Interpretation, die aus dem Gesamtzusammenhang dieser Regeln Erkenntnisse zu gewinnen versucht.

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Gern DtKomR, Rn 313 ff. Zu Hessen s Rn 80. Zur Schaffung weiterer Organe BayVGH BayVBl 2004, 494 (Volksfestbeirat). Überblick bei Maurer, AllgVwR, § 23 Rn 9; Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 65. Knemeyer JuS 1998, 193: „duale Rat-Bürgermeister-Verfassung“. Einen vom Rat, dh indirekt gewählten Bürgermeister gibt es noch in ehrenamtlich verwalteten Gemeinden Schl-H (52 I GO Schl-H) bzw in den Mitgliedsgem v Samtgemeinden in Nds (§ 68 I GO). Dazu die Schaubilder bei Waechter KomR, Rn 268.

Kommunalrecht

1. Kap V 1 a

Die Kommunalverfassungsreform, die in den meisten Ländern in den vorauf- 58 gegangenen Jahren stattgefunden hat,207 behandelte die Urwahl (und die Abwahl) des Bürgermeisters als Teil eines umgreifenden Konzepts, dem es um die Stärkung plebiszitärer Elemente auf Kommunalebene geht.208 Zu ihm gehören ferner der Ausbau der kommunalen Bürgerbeteiligung (s Rn 89–91) und des Ausschusswesens; auch die Regelungen des Kommunalwahlrechts sind hierher zu rechnen. Eine Kommunalverfassung, die den besonderen Aufgaben einer das bürgerschaftliche Engagement weckenden Selbstverwaltung den Rahmen gibt, verlangt „institutionelle Arrangements“, die sich aus einer Vielzahl von Elementen im richtigen Mischungsverhältnis zusammensetzen.209

1. Der Gemeinderat a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus Der Gemeinderat 210 ist die gewählte Repräsentation der Bürgerschaft; gleichwohl 59 ist er kein Parlament,211 sondern, wie die Gemeinde insgesamt, Teil der Exekutive. Begriffe und Regeln des Parlamentsrechts lassen sich nur im Ausnahmefalle auf ihn übertragen.212 Soweit er als „Vertretungskörperschaft“ bezeichnet wird, liegt dem ein erweiterter Körperschaftsbegriff zugrunde. Jedenfalls ist damit dem Rat keine Rechtsfähigkeit zuerkannt. Letztere besitzt allein die Gemeinde, deren Organ er ist. Das schließt nicht aus, dass der Gemeinderat intern im Verhältnis zu anderen Gemeindeorganen Träger von organschaftlichen Rechten ist und diese gerichtlich durchsetzen kann (Rn 82–84). Mitglieder des Gemeinderates 213 sind die aus unmittelbaren Wahlen (Art 28 I 2 GG) hervorgegangenen Gemeindevertreter. Die Mitgliederzahl richtet sich nach der Einwohnergröße. Zu den solchermaßen gewählten Mitgliedern tritt in einigen 207

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J. Ipsen Kontinuität oder Reform, 1990; Hillmann DÖV 1991, 41; Saipa DÖV 1991, 637; Ehlers NWVBl 1991, 397; Siedentopf NWVBl 1991, 410; kritische Bilanz bei v Arnim DÖV 2002, 585. Bovenschulte/Buß Plebiszitäre Bürgermeisterverfassungen, 1996; Schefold/Neumann Entwicklungstendenzen der Kommunalverfassungen in Deutschland, 1996. Dazu auch Waechter KomR, Rn 252 ff; v Arnim in: Lüder (Hrsg), Staat und Verwaltung, 1997, 297; vgl a v Kodolitsch AfK 39 (2000) 159. Die Bezeichnung der Gemeindevertretung ist in den verschiedenen Bundesländer nicht einheitlich: „Gemeinderat“ in BW, Bay, Rh-Pf, Saarl, Sachs, S-Anh u Thür; „Rat“ in NW und Nds; „Gemeindevertretung“ in Bbg, Hess, MV, Schl-H; „Stadtverordnetenversammlung“ in Bremerhaven, den Städten in Bbg u Hess; MV u Schl-H: „Stadtvertretung“; Bay, Rh-Pf, Sachs, S-Anh: „Stadtrat“; vgl allg Ehlers Jura 1988, 337. BVerfGE 65, 283, 289 → JK BBauG § 12/2; 78, 344, 348; BVerwGE 97, 223, 225; aM Ott Parlamentscharakter; „zumindest“ für Hessen H. Meyer in: Meyer/Stolleis StuVwR Hess, 196 f; früher auch BVerfGE 21, 54, 62 f. Schröder Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, 37 ff; Erichsen KomR, NW 97; eher für eine Übertragbarkeit BayVerfGH NVwZ 1985, 823; Bick Ratsfraktion, 32 ff. In manchen GOen werden die Mitglieder der Gemeindevertretung selbst als „Gemeinderat“ bezeichnet, zB § 25 I GO BW.

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1. Kap V 1 a aa

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Ländern der Bürgermeister (vgl Rn 73).214 Die Mitglieder haben ein kommunalrechtliches Mandat eigener Prägung, das die meisten Gemeindeordnungen mit dem Rechts- und Pflichtenstatus ehrenamtlich Tätiger bezeichnen.215 Jedenfalls sind sie Inhaber eines öffentlichen Amtes – auch im haftungsrechtlichen Sinne (Art 34 GG iVm § 839 BGB) 216 –, nicht jedoch (Ehren-)Beamte.217 Die Institute der parlamentarischen Immunität und Indemnität sind dem kommunalrechtlichen Mandat fremd.218 Die Ratsmitglieder entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung; an Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden.219 Inkompatibilitätsvorschriften, zB gegen die gleichzeitige Mitgliedschaft Verheirateter im Gemeinderat,220 sollen dieses Ziel unabhängiger Amtsführung unterstützen.221 aa) Rechts- und Pflichtenstatus: Im Einzelnen wird der Status des Ratsmitglieds 60 durch ein Netz von Regelungen bestimmt, in dem dem Hauptrecht auf Mandatsausübung und einigen Annexrechten (Aufwandsentschädigung, Fürsorge bei Dienstunfall) eine Anzahl von Pflichten gegenübersteht. Mit ihnen versuchen die Gemeindeordnungen das für die Selbstverwaltung erwünschte, aber auch prekäre Element eines Entscheidens in geringer Distanz zum Sachvorgang rechtsstaatlich auszubalancieren. Hierher gehören ein Verschwiegenheitsgebot 222 und gewisse Neutralitätspflichten. So darf ein Ratsmitglied regelmäßig Ansprüche und Interessen eines anderen gegen die Gemeinde nicht geltend machen, soweit er nicht als gesetzlicher Vertreter handelt („kommunales Vertretungsverbot“).223

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BW; Bay; Bbg; Nds; NW; Rh-Pf; Sachs; S-Anh; Thür; nur Vorsitz: Saarl. Zu NW Erichsen KomR NW, 98. Std Rspr BGHZ 106, 323, 330; BGH NJW 1994, 253 (254 – in BGHZ 123, 363 nicht abgedr). Zur Haftung der Gemeinde für rechtswidrige Ratsbeschlüsse Mader BayVBl 1999, 168. Ob Gemeinderäte auch Amtsträger nach § 11 Nr 2 StGB sind, ist umstr; vgl (bejah) LG Köln NStZ-RR 2003, 364; aA Deiters NStZ 2003, 453; Nolte DVBl 2005, 870; diff Eser in: Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl 2001, § 11 Rn 23. „Berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder“ gem Art 40, 41 GO Bay werden zu Beamten auf Zeit ernannt; sie haben eine Doppelstellung. Ausnahme in Bayern: Art 51 II GO (nur für Abstimmungsverhalten). So ausdr zB § 32 III GO BW, § 43 I GO NW; § 35 III GO Sachs; vgl a BVerwGE 90, 104 ff. Zur verantwortungsbewussten Amtswahrnehmung in der Öffentlichkeit VGH BW NVwZ-RR 2001, 262 → JK GG Art 5 I/29. Vgl a BVerfGE 93, 373, 377 f → JK GG Art 28 I 2/23; dazu Engelken DÖV 1996, 853. BVerwGE 117, 11, 15 ff → JK GG Art 137/4; BbgVerfGH NVwZ 1996, 590 → JK GG Art 137/3 u DÖV 1998, 1055; LVerfG S-Anh NVwZ-RR 1995, 457 sowie 1999, 462. OLG Frankfurt NVwZ 1982, 215; VG Minden NVwZ 1983, 495; BayVGH BayVBl 2004, 402. § 17 III GO BW; § 29 I GO Bbg; § 26 GO Hess; § 26 KV MV; § 27 I GO Nds; § 43 II iVm § 32 I 2 GO NW; § 21 I GO Rh-Pf; § 26 II KSVG Saarl; § 19 III GO Sachs; § 30 III GO S-Anh; § 23 GO Schl-H. Dazu BVerfGE 41, 231, 241 ff; 52, 42, 53 ff; 56, 99, 107 ff – Bürogemeinschaft; 61, 68, 72 ff – Sozietät – → JK GO NW § 24/2; BVerfG (K) NJW 1988, 694 → JK GG Art 72, 74 Nr 1/1; BVerwG NJW 1988, 1994; BVerwG DÖV 1990, 255 – Richteramt; Schoch Vertretungsverbot, 11, 27 ff; ders JuS 1989, 531.

Kommunalrecht

1. Kap V 1 a bb

bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften: Im kommunalen Alltag besonders 61 bedeutsam sind die Vorschriften der Gemeindeordnungen über den Ausschluss befangener Ratsmitglieder.224 Sie haben einen ähnlichen Aufbau wie § 20 VwVfG, betreffen aber andere Vorgänge und Adressaten. Kommunalrechtliche Mitwirkungsverbote bestehen bei Angelegenheiten, die dem Ratsmitglied selbst, seinen Familienangehörigen oder sonstigen natürlichen oder juristischen Personen, zu denen eine spezielle Bindung besteht, einen unmittelbaren 225 Vorteil oder Nachteil bringen können. Das gilt nicht bei Vorteilen oder Nachteilen, die nur darauf beruhen, dass jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen berührt werden – konkret: Der hundebesitzende Ratsherr darf beim Erlass der Hundesteuersatzung gleichwohl mitwirken, nicht aber der im Planbereich Eigentum besitzende Ratsherr beim Erlass eines Bebauungsplanes.226 Entscheidend ist, ob ein „individuelles Sonderinteresse“ vorliegt.227 Das Verbot erstreckt sich auf Abstimmungen, aber auch auf die Entscheidungsvorbereitung.228 Es zwingt dazu, die Beratung zu verlassen;229 bei öffentlicher Sitzung ist regelmäßig ein Verweilen im Zuhörerraum zulässig.230 Die Mitwirkung eines an sich ausgeschlossenen Ratsmitglieds macht den Beschluss ohne Rücksicht auf das Stimmenverhältnis rechtswidrig (abstrakte Kausalität),231 regelmäßig mit der Folge der Unwirksamkeit. Umgekehrt wird man dann, wenn ein materiell mitwirkungsbefugtes Mitglied vom Gemeinderat fälschlich ausgeschlossen worden ist,232 auf die konkrete Kausalität abstellen müssen,233 wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.234 Da sich Verstöße gegen das Mitwirkungsverbot zu einer Dauerkrankheit von Rats224

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§ 18 GO BW; Art 49 GO Bay; § 38 II iVm § 28 GO Bbg; § 25 GO Hess; §24 KV MV; § 39 III iVm § 26 GO Nds; § 43 II iVm § 31 GO NW; § 22 GO Rh-Pf; § 27 KSVG Saarl; § 20 GO Sachs; § 31 GO S-Anh; § 22 GO Schl-H; § 38 ThürKO. Dazu Molitor Die Befangenheit von Ratsmitgliedern, 1993; Hager VBlBW 1994, 263; Schwerdtner VBlBW 1999, 81; Schäfer VBlBW 2003, 271; Wilrich JuS 2003, 587. Krebs VerwArch 71 (1980) 181; v Arnim JA 1986, 1. OVG NW OVGE 27, 60 ff; anders für Flächennutzungspläne: OVG NW BauR 1979, 477 ff; VGH BW VBlBW 1985, 21 f u 1986, 270. Vgl BVerwGE 79, 200, 203; OVG Rh-Pf NVwZ 1989, 674, NVwZ-RR 2000, 103; HessVGH NVwZ-RR 1989, 609; DÖV 2004, 41; VGH BW NVwZ-RR 1993, 97; NVwZ-RR 1998, 63 u 325; Pfab Jura 1999, 625. VGH BW NVwZ-RR 1993, 504 u 1997, 183; Borchmann NVwZ 1982, 17; v Arnim JA 1986, 1, 3 mwN. OVG Nds NVwZ 1982, 200; VGH BW NVwZ 1987, 1103 f. Ausdr zB § 18 V GO BW; § 25 IV GO Hess; § 26 V GO Nds; § 31 IV GO NW; § 20 IV GO Sachs; § 31 V GO S-Anh; § 38 I 4 ThürKO; dazu VGH BW NVwZ-RR 1995, 154. § 26 V 2 GO Nds; § 31 IV GO NW; § 20 IV 2 GO Sachs; § 31 V 2 GO S-Anh; OVG Rh-Pf NVwZ 1982, 204 → JK GO Rh-Pf § 22/1. Nicht zB gem § 22 IV GO Schl-H. Ausdr § 18 VI 1 GO BW; § 25 VI GO Hess; § 27 VI KSVG Saarl; § 20 V GO Sachs; anders zB Art 49 IV GO Bay, § 28 VI GO Bbg, § 26 VI Nds u § 31 VI GO NW, dazu OVG NW DVBl 1992, 448 → JK VwVfG § 35 S 2/8; weiter Erichsen KomR NW, 106. Einschr für die Abfolge mehrerer Beschlüsse BVerwGE 79, 200; OVG Rh-Pf NVwZ 1989, 674. Dazu Müller-Franken BayVBl 2001, 136. Str; aM v Arnim JA 1986, 1, 6. Anderes bestimmt in § 18 VI 1 GO BW; dazu VGH BW DÖV 1987, 448; zB a in § 24 IV KV MV; § 22 V 1 GO Rh-Pf u § 20 V GO Sachs.

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1. Kap V 1 b aa

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beschlüssen entwickelt haben, erklären die meisten Gemeindeordnungen sie heute ausdrücklich nur für einen gewissen Zeitraum für rechtsrelevant und danach, sofern es nicht zu einer besonderen Rüge gekommen ist, für unbeachtlich (Rn 98).235 b) interne Organisation und Verfahren des Rates 62 Der Gemeinderat ist ein Kollegialgremium, für dessen ordnungsgemäße Entscheidungsfindung die Gemeindeordnungen zahlreiche Organisations- und Verfahrensregelungen treffen.236 aa) Ratsvorsitzender: 237 Die für die Entscheidungsfindung im Kollegialorgan 63 Gemeinderat wichtige Position des Ratsvorsitzenden vertrauen eine Reihe von Gemeindeordnungen kraft Amtes dem Bürgermeister an. In anderen Ländern wählt der Gemeinderat aus seiner Mitte einen eigenen Vorsitzenden.238 Der Vorsitzende beruft die Sitzungen des Gemeinderates ein. Er leitet die Verhandlung und hat für den ordnungsgemäßen Ablauf 239 der Sitzung Sorge zu tragen. Im Regelfalle wird sich das durch die normalen Handlungen (Aufruf der Tagesordnungspunkte, Worterteilung, Führen einer Rednerliste) bewirken lassen. Die Gemeindeordnungen ermächtigen den Vorsitzenden jedoch auch, notfalls Ordnungsmaßnahmen 240 (zB Wortentzug, Sitzungsausschluss) gegen störende Ratsmitglieder zu treffen,241 schwerere Ordnungsmaßnahmen sind in einigen Ländern nur auf Grund eines Gemeinderatsbeschlusses zulässig.242 Außerdem übt der Vorsitzende gegenüber externen Störern das Hausrecht aus; die entsprechenden Vorschriften der Gemeindeordnungen 243 begründen ein spezielles öffentlich-rechtliches Hausrecht, das für die Sitzung anderen Hausrechten vorgeht.244 235

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Hill DVBl 1983, 1; Ausnahme: Art 49 IV GO Bay. Zur Anwendbarkeit von § 214 IV BauGB (nF) OVG Rh-Pf NVwZ-RR 2000, 103. Zu Informationsrechten einzelner Ratsmitglieder, zB Protokolleinsicht, vgl OVG Rh-Pf NVwZ 1988, 87; HessVGH DÖV 2001, 256; BayVGH BayVBl 2001, 666; VGH BW VBlBW 1989, 96 u NVwZ-RR 1990, 369, aber a NVwZ 2002, 229; speziell zum Minderheitenschutz Scholtis Minderheitenschutz in kommunalen Vertretungskörperschaften, 1986. Diff zum Akteneinsichtsrecht HessVGH NVwZ 2003, 1525, dazu Schütz NVwZ 2003, 1469. Einzeldarstellung bei Gern DtKomR, Rn 354 ff. Dies kann, wie zB in S-Anh, wiederum der Bürgermeister sein, wenn er kraft Amtes Sitz und Stimme im Gemeinderat inne hat. Foerstemann HkWP Bd 2, 104 ff. Gern DtKomR, Rn 476ff; OVG Rh-Pf NVwZ 1988, 80; HessVGH DÖV 1990, 622. Hierzu gehört auch die Verhängung eines Rauchverbotes (OVG NW DVBl 1983, 53 → JK GO NW § 36 I/1 u 1991, 498 → JK GO NW § 36 I/2); Sitzungsausschluss wegen grober Ungebühr (VGH BW NVwZ-RR 1993, 505, VG Stade VR 2004, 71). ZB § 36 III 2 GO BW; Art 53 I 2 GO Bay; § 55 II 3 GO S-Anh. § 36 I GO BW; Art 53 I 1 GO Bay; § 45 I GO Bbg; § 58 IV GO Hess; § 29 I KV MV; § 44 I GO Nds; § 51 I GO NW; § 36 II GO Rh-Pf; § 43 I KSVG Saarl; § 38 I GO Sachs; § 55 I GO S-Anh; § 37 GO Schl-H; § 41 S 1 ThürKO. Speziell zur Abwehr von Tonbandaufnahmen in Ratssitzungen BVerwGE 85, 283 → JK GO Nds § 44 I/1. So a Erichsen KomR NW, 109f; vgl aber a OVG NW NVwZ-RR 1991, 35. Allg zum Hausrecht in der öffentlichen Verwaltung Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 41 Rn 48 ff; Maurer, AllgVwR, § 3 Rn 24.

Kommunalrecht

1. Kap V 1 b cc

bb) Ratsgeschäftsordnung: Allgemeine Fragen des Verhandlungsganges und der 64 Ratsorganisation (Sitzungstage, Sitz- und Stimmordnung) werden üblicherweise in einer Geschäftsordnung niedergelegt, die jeder Rat sich zu geben ermächtigt ist.245 Die Geschäftsordnung ist keine gemeindliche Satzung, sondern ein besonderer inneradministrativer Rechtssatz, der nur die Ratsmitglieder bindet 246 und folglich über diesen Kreis hinaus förmlich nicht weiter bekannt gemacht sein muss. Anderen Gemeindeorganen oder Dritten kann die Geschäftsordnung keine neuen Pflichten auferlegen. Ob Geschäftsordnungsverstöße die Unwirksamkeit der betreffenden Entscheidung nach sich ziehen, ist streitig.247 Geschäftsordnungen können regelmäßig mit einfacher Mehrheit abgeändert werden.248 Soll bestimmten geschäftsordnungsmäßigen Regeln erhöhte Beständigkeit beigelegt werden, so müssen sie förmlich als Satzung erlassen werden.249 cc) Ratssitzungen: Das Forum für die Meinungsbildung und Entscheidungen des 65 Gemeinderats soll unbeschadet aller vorbereitenden Ausschusstätigkeit die Ratssitzung sein, die regelmäßig öffentlich stattzufinden hat.250 Eine ordnungsgemäße Entscheidungsfindung setzt voraus, dass die Sitzung vorschriftsgemäß einberufen worden ist.251 Die dazu erforderliche Tagesordnung muss die Verhandlungsgegenstände so exakt nennen, dass die Ratsmitglieder wissen, was auf sie zukommt.252 Sie ist außerdem öffentlich bekannt zu machen. Die Festlegung der Tagesordnung fällt grundsätzlich in die Kompetenz des Ratsvorsitzenden; die Ratsmitglieder können die Aufnahme eines Gegenstandes beantragen.253 Eine Ergänzung der Tagesordnung in der Sitzung ist nach den einschlägigen Vorschriften nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Ladungsmängel sind wesentliche Verfahrensmängel. Die Durchführung der Sitzung verlangt die Anwesenheit des für die

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Zu den Grenzen der Regelungsbefugnis OVG NW NVwZ-RR 1996, 222; OVG Rh-Pf NVwZ-RR 1997, 310. Diff Gern DtKomR, Rn 441. Zur Normenkontrolle gem § 47 I Nr 2 VwGO vgl BVerwG NVwZ 1988, 1119; VGH BW NVwZ-RR 2003, 56 → JK GO BW § 36/2. Zum Streitstand Waechter KomR, Rn 300 ff; OVG NW NVwZ-RR 1997, 184 → JK GO NW § 47 II/1; SächsOVG SächsVBl 2004, 244. Auch stillschweigend; aber str; Foerstemann HkWP Bd 2, 109 m Fn 118. Einige Gemeindeordnungen sehen für bestimmte Fragen wahlweise eine Regelung durch Geschäftsordnung oder Hauptsatzung vor. Dazu Gern DtKomR, Rn 465 ff. Die Öffentlichkeit ist gewahrt, wenn der Zutritt jedermann ohne Ansehen der Person möglich ist; allgemeine Beschränkungen aus Kapazitätsgründen des Sitzungsraumes sind zulässig. Verstöße gegen das Öffentlichkeitsgebot stellen schwere Verfahrensfehler dar, die idR zur Nichtigkeit der solchermaßen gefassten Beschlüsse führen; Heermann Gemeinderatsbeschluß, 252 f; VGH BW NVwZ-RR 2001, 462. Einzelheiten dazu bei Gern DtKomR, Rn 445 ff. HessVGH NVwZ 1988, 82 f: Beschlussvorlagen brauchen nicht vorab zugeleitet werden; VGH BW NVwZ-RR 1989, 91 u 1990, 369. Vgl BVerwG NVwZ-RR 1993, 210. Inwieweit ein solcher Antrag wegen der Unzuständigkeit des Rates vom Ratsvorsitzenden abgelehnt werden darf, ist länderweise unterschiedlich geregelt; Schoch DÖV 1986, 132; BayVGH NVwZ 1988, 83 ff; VGH BW NVwZ-RR 1992, 204; OVG NW NVwZ 1984, 325 → JK GG Art 28 II 1/11. Zur Änderung des Initiativrechts durch die GeschO OVG NW NVwZ-RR 2004, 674 → JK VwGO § 42 II/27.

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1. Kap V 1 b dd

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Beschlussfähigkeit erforderlichen Mitgliederquorums.254 In der Sitzung sind die Verhandlungsgegenstände zu beraten und gegebenenfalls einer Entscheidung zuzuführen. Die wichtigsten Entscheidungsformen sind die auf Verfahrens- oder Sachfragen bezogenen Abstimmungen, die im Regelfall öffentlich durch Handaufheben erfolgen und bei denen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet,255 und Personalauswahlentscheidungen in der Form von Wahlen, für die die Gemeindeordnungen teilweise diffizile Detailregelungen enthalten.256 dd) Ratsausschüsse: 257 Die Organisationskompetenz des Rates erstreckt sich 66 darauf, Ausschüsse zu bilden.258 In einigen Fällen, zB für Haushaltsfragen, ist die Bildung in manchen Ländern gesetzlich vorgeschrieben (Pflichtausschüsse).259 Die Ausschüsse sind Unterorgane des Rates.260 Sie sollen grundsätzlich das Parteienspektrum des Rates widerspiegeln.261 Oft ist außerdem die Zuziehung sachkundiger Bürger oder Einwohner zulässig.262 Die primäre Aufgabe der Ausschüsse ist die vorherige Beratung und weitere Aufklärung einer Angelegenheit, über die später der Gemeinderat beschließen soll (beratende A.). Daneben hat der Rat aber auch das Recht, Ausschüsse mit ratsvertretender Beschlusskompetenz einzusetzen (beschließende A.); ausgenommen sind Vorbehaltsaufgaben des Rates oder anderer Gemeindeorgane (Rn 68).263 Über die dem Rat verbleibenden Einflussmöglichkeiten auf Ausschussbeschlüsse, zB durch ein Rückholrecht, treffen die Gemeinde-

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§ 37 II GO BW; Art 47 II GO Bay; § 46 GO Bbg; § 53 GO Hess; § 30 KV MV; § 46 GO Nds; § 49 GO NW; § 39 GO Rh-Pf; § 44 KSVG Saarl; § 39 II GO Sachs; § 53 GO S-Anh; § 38 GO Schl-H; § 36 ThürKO. Zu Einzelheiten Gern DtKomR, Rn 494 ff. Foerstemann HkWP Bd 2, 103 f; VGH BW NVwZ-RR 1993, 657; OVG NW DÖV 1993, 1099. Allg Gern DtKomR, Rn 408 ff. Zum Stimmrecht des ratsangehörigen Bürgermeisters können auch für einzelne Angelegenheiten differenzierende Regelungen getroffen sein, zB § 40 II 4–6 GO NW, dazu OVG NW NVwZ-RR 2004, 202. Nachw bei Knemeyer BayKomR, Rn 182 ff. ZB § 62 I 2 GO Hess; § 35 I KV MV; § 57 II GO NW; § 48 I 2 KSVG Saarl; § 45a GO Schl-H; § 26 I 3 ThürKO. Nicht alle gemeindlichen Ausschüsse sind jedoch Ratsausschüsse; nicht zB der Umlegungsausschuss nach § 46 BauGB, der Gutachterausschuss nach § 192 BauGB; nur eingeschränkt der Jugendhilfeausschuss (vgl BVerwGE 97, 223 [227 f]), dieser steht als Teil des Jugendamtes und damit der Verwaltung der Gebietskörperschaft dem Rat gegenüber (vgl BVerwG v 18. 6. 2004, Az 8 B 41/04; OVG NW NWVBl 2004, 433). Zu besonderen Haupt- bzw Verwaltungsausschüssen in MV u Nds s Rn 81. Art 33 I GO Bay; § 51 II GO Nds; § 48 II KSVG Saarl; § 42 II GO Sachs; § 46 I GO Schl-H; § 27 I ThürKO. BVerwG DÖV 1978, 415 u NVwZ-RR 1993, 209; BVerwGE 90, 104, 109; 119, 305, 307 ff → JK GG Art 20 II/4; Goerlich/Schmidt LKV 2005, 7. § 41 I GO BW; § 50 VII GO Bbg; § 51 VII GO Nds; § 58 III GO NW; § 44 I GO Rh-Pf; § 49 III KSVG Saarl; § 44 II GO Sachs; § 48 II GO S-Anh; § 46 III GO Schl-H. Keine Ausschüsse sind Beiräte, zB Ausländerbeiräte. Sie können mit beratenden und anregenden Aufgaben betraut werden, nicht aber verbindliche Entscheidungen für die Gemeinde treffen. Zu § 27 GO NW vgl Erichsen KomR, NW 84 f. Zum Kommunalwahlrecht Rn 85. Zur Klagebefugnis Herbert DÖV 1994, 108.

Kommunalrecht

1. Kap V 1 c

ordnungen unterschiedliche Regelungen.264 Im Übrigen steht es schon aus Gründen demokratischer Legitimation der Gemeinde oder dem Gemeinderat nicht frei, Gremien beliebiger Zusammensetzung zu bilden und ihnen Entscheidungsaufgaben zuzuweisen.265 ee) Fraktionen: Sie sind ein weiteres wichtiges Element der Willensbildung im 66a Rat.266 Hierfür sind sie in vielen Gemeindeordnungen ausdrücklich verankert.267 Grundlage der Ausgestaltung ihrer Rechtsstellung268 im Einzelnen ist die Geschäftsordnung des Gemeinderates 269. Die Zulässigkeit der Fraktionsbildung wird aus der internen Organisationsgewalt des Gemeinderates abgeleitet. Fraktionen sind folglich öffentlich-rechtlich organisiert; gerichtliche Streitigkeiten um ihre Rechtsstellung wie auch um die Mitgliedschaft in der Fraktion sind im Kommunalverfassungsstreit auszutragen (u Rn 82–84).270 Aus dieser Rechtsnatur ergibt sich ebenfalls eine Zweckbindung staatlicher Zuwendungen an die Fraktionen, die nur zur Unterstützung der Ratsarbeit eingesetzt werden dürfen.271 c) Aufgaben des Gemeinderates Entsprechend seiner zentralen Stellung hat der Rat die wichtigsten Führungs- 67 und Kontrollaufgaben in der Gemeinde.272 Die Führungsaufgaben werden in Planungen, Rechtsetzungsakten und wichtigen Einzelentscheidungen einschließlich bestimmter Personalentscheidungen erfüllt. Für die Kontrollaufgaben gegenüber der Gemeindeverwaltung stellt das Kommunalrecht eine Reihe von Informationsund Auskunftsrechten zur Verfügung, denen entsprechende Berichts- und Rech-

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ZB § 39 III 5 GO BW; § 35 III 1 GO Bbg; § 50 I 5 GO Hess; § 44 III GO Rh-Pf; § 41 III 5 GO Sachs; § 45 II S-Anh; § 27 I 8 GO Schl-H. Vgl BayVGH NVwZ 1999, 1122. Zu ihrer Rolle BVerwGE 90, 104; U. Bick Die Ratsfraktion, 1989; Hub. Meyer Kommunales Parteien- und Fraktionenrecht, 1990; v Mutius KomR, Rn 714 f. § 40 GO Bbg; § 36 a GO Hess; § 23 V KV MV; § 39 b GO Nds; § 56 GO NW; § 30 a GO Rh-Pf; § 35a GO Sachs; § 43 GO S-Anh; § 32 a GO Schl-H; § 25 ThürKO. Dazu Bick Ratsfraktion, 23 ff; zur Ausschussbesetzung Fn 261. Zur Festlegung von Fraktionsmindeststärken BayVGH NVwZ-RR 2000, 811; VGH BW NVwZ-RR 2003, 56 → JK GO BW § 36/2. OVG NW NJW 1989, 1105; NVwZ 1993, 399; NVwZ-RR 2003, 376; HessVGH NVwZ 1992, 506; Erdmann DÖV 1988, 907; Schmidt-Jortzig/Hansen NVwZ 1994, 116; Lange JuS 1994, 116; Ziekow NWVBl 1998, 297. AM (privatrechtlicher Zusammenschluss) BayVGH NJW 1988, 2754 → JK VwGO § 40 I/19. Die Rechte der Fraktionen enden mit Ablauf der Wahlperiode, OVG Nds NdsVBl 2002, 135; SächsOVG SächsVBl 2005, 123. Zu Besonderheiten in Hessen H. Meyer in: Meyer/Stolleis StuVwR Hess, 206 ff. Zum Fraktionsausschluss HessVGH NVwZ 1999, 1369; Borchmann VR 2002, 11. OVG NW NVwZ-RR 1993, 263 u DVBl 1993, 212; Bick Ratsfraktion, 98 ff. Zur Unterstützung von Ratsgruppen ohne Fraktionsstatus OVG NW NVwZ-RR 2003, 59. § 24 GO BW; Art 30 GO Bay; § 35 GO Bbg; § 50 GO Hess; § 22 KV MV; § 31 GO Nds; §§ 41, 55 GO NW; § 32 GO Rh-Pf; § 34 KSVG Saarl; § 28 GO Sachs; § 44 GO S-Anh; § 27 GO Schl-H; § 22 III ThürKO.

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1. Kap V 1 c bb

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nungslegungspflichten der Gemeindeverwaltung korrespondieren; 273 ein förmliches Enquêterecht, wie es parlamentarische Gremien besitzen, existiert dagegen nicht.274 aa) Systematik: Zur Orientierung bietet sich eine Dreiteilung an: 68 – Vorbehaltsaufgaben des Rates: Diese in allen Gemeindeordnungen anzutreffende Gruppe umfasst eine Reihe sehr wichtiger Aufgaben, die der Rat, von Dringlichkeitsfällen abgesehen, selbst entscheiden muss. Das Gesetz verbietet es, solche Entscheidungen zu delegieren; zulässig und üblich ist auch hier allerdings die Delegation der Entscheidungsvorbereitung. – variabler Aufgabenkreis: In diese Gruppe fallen alle Aufgaben, die der Rat zwar nicht notwendig entscheiden muss, die er aber entscheiden kann. Die Regelungstechniken der Gemeindeordnungen sind hier unterschiedlich: Teilweise fallen diese Aufgaben originär zunächst dem Rat zu, der sie allgemein oder im Einzelfall delegieren kann. Teilweise wird für Aufgaben dieser Art aber auch eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten eines anderen Organs gesetzlich begründet; der Gemeinderat ist dann jedoch ermächtigt, die Sache an sich zu ziehen. – Vorbehaltsbereich anderer Organe: Hierher zählen alle diejenigen Aufgaben, die die Gesetze einem anderen Organ, vor allem dem Bürgermeister, zur eigenständigen und alleinigen Wahrnehmung übertragen. Auf diese Aufgaben kann der Rat weder Zugriff nehmen noch sonst verbindlich in sie hineinregieren. In der Frage, wie stark dieser Bereich ausgeprägt ist, variieren die Gemeindeordnungen: Die meisten Länder geben dem Bürgermeister eine betont eigenständige Stellung; vor allem die Zuständigkeiten des Bürgermeisters für die Geschäfte der laufenden Verwaltung, für Dringlichkeitsentscheidungen und sein gemeindeinternes Einspruchsrecht gehören hierher. Auch die anderen Gemeindeverfassungen kennen zwar solche Vorbehaltsaufgaben, weisen sie aber zT einem dritten Organ zu (s Rn 81). bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick): Zu den nicht delegierbaren Vor69 behaltsaufgaben gehört der harte Kern der Führungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen legen ihn durchgängig in langen Aufgabenkatalogen fest.275 Bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen finden sich darin übereinstimmend ua folgende Materien: – Erlass, Änderung und Aufhebung von Satzungen und anderem Ortsrecht, – Besetzung der Ausschüsse des Rates, – Regelung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Gemeindebediensteten, – Beschlussfassung über den Gemeindehaushalt, – Beschlussfassung über Errichtung, Erweiterung oder Auflösung wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinde. 273

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Darstellung bei Knirsch Information und Geheimhaltung im Kommunalrecht, 1987; Ehlers DVBl 1990, 1, 7; a Zilkens/Elschner DVBl 2002, 163; Petri NVwZ 2005, 399; Eiermann NVwZ 2005, 45; VGH BW DÖV 1992, 838; OVG NW NVwZ 1999, 1252. Zur Sachverständigenanhörung nach § 35 GO Rh-Pf vgl OVG Rh-Pf DÖV 1984, 33; allg Schmidt-Jortzig KomR, Rn 194 ff. § 39 II GO BW; Art 32 II GO Bay; § 35 II GO Bbg; § 51 GO Hess; § 22 III KV MV; § 40 I GO Nds; § 41 I GO NW; § 32 II GO Rh-Pf; § 35 KSVG Saarl; § 41 II GO Sachs; § 44 III GO S-Anh; § 28 GO Schl-H; § 26 II ThürKO.

Kommunalrecht

1. Kap V 2 a

Weiter zählen die meisten Gemeindeordnungen hierher: die Festlegung allgemeiner Richtlinien, nach denen die Verwaltung geführt werden soll; die Entscheidung über die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen und die Entgelte und Tarife; ferner Gebietsänderungen und wichtige Ehrungen. Im Übrigen wird das Zusammenspiel zwischen dem Gemeinderat und den anderen Organen auch hier nicht allein durch Rechtsregeln repräsentiert. Natürlich gibt es allenthalben auch über die Kompetenzgrenzen hinweg informelle und formelle Kontakte zwischen den gemeindlichen Entscheidungsträgern: Eine rigide Trennung wäre ganz unangemessen. Initiative, Vorbereitung, Entscheidung und Vollzug sollen vielfältig miteinander verwoben sein. Bei den Vorbehaltsaufgaben ist nur die Entscheidungskompetenz besonders festgeschrieben.

2. Der Bürgermeister Das zweite Hauptorgan der Gemeinde ist der Bürgermeister 276 als monokratisch 70 organisierte Instanz (zu kollegialen Formen Rn 80). a) Status Bürgermeister sind Wahlbeamte. Ihre Wahl erfolgt heute in allen Bundesländern 71 direkt durch die Bürger 277, teilweise zeitgleich mit den Wahlen zum Gemeinderat, teilweise unabhängig davon und nicht notwendig mit derselben Amtsdauer. Die erste Alternative soll einen stärkeren politischen Gleichklang zwischen beiden Organen bewirken.278 Der Gewählte wird nach Maßgabe des Beamtenrechts zum Beamten auf Zeit ernannt. Er ist im Regelfall hauptamtlich tätig; für kleinere Gemeinden kennen die Gemeindeordnungen den ehrenamtlich tätigen Bürgermeister im Status eines Ehrenbeamten. Sofern nicht besondere Vorschriften für kommunale Wahlbeamte 279 bestehen, gilt das allgemeine Beamtenrecht. Eine Besonderheit des Kommunalrechts ist die Abwahlmöglichkeit. Sie existiert heute mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern in allen Ländern. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit war umstritten, im Ergebnis ist sie aber anzuerkennen.280 Besondere Verfahrensregeln, zB hohe Quoren für die Antragstellung (Gemeinderat) und für die Abwahlentscheidung, sollen gewährleisten, dass dieses Institut nicht zur kleinen Münze des kommunalpolitischen Alltags wird. 276

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Zumeist führt er den Titel „Bürgermeister“ („Erster Bürgermeister“ in Bayern), in kreisfreien Städten und teilweise in privilegierten kreisangehörigen Gem „Oberbürgermeister“. § 45 GO BW; Art 17 GO Bay; §§ 59 II, 62 GO Bbg; § 39 GO Hess; § 37 I KV MV; § 61 I GO Nds iVm § 45b I KWG Nds; § 65 GO NW; § 53 GO Rh-Pf; § 56 KSVG Saarl; § 48 GO Sachs; § 58 GO S-Anh; §§ 57, 61 GO Schl-H; § 28 III ThürKO. Zu Ausnahmen o Fn 205. Zu NW vgl Oebbecke DÖV 1995, 701 f. ZB Art 34 VI GO Bay. Ebenso Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 84; krit Erichsen KomR, NW 122 f. Zur älteren Rechtslage der Abwahl des indirekt gewählten leitenden Kommunalbeamten vgl BVerwGE 56, 163; 81, 318 → JK GG Art 33 V/11 u NVwZ 1990, 772; vgl a BVerfG (K) NVwZ 1994, 473.

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1. Kap V 2 b cc

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b) Aufgaben 72 Vorbehaltlich genauen Studiums des jeweiligen Landesrechts lassen sich die folgenden Grundzüge erkennen: 73 aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz: Zu den Standardaufgaben gehört es, die Beschlüsse des Rates und der Ausschüsse verwaltungsmäßig vorzubereiten und unter der Kontrolle des Rates auszuführen. Sofern zu letzterem außenwirksame Rechtshandlungen notwendig sind, ist das (Außen-)Vertretungsrecht (Rn 78) der Transmissionsriemen, um dieselben vorzunehmen. Im Übrigen dürfen Vorbereitungs- und Ausführungsaufgaben nicht als bloß technische Hilfsfunktionen unterbewertet werden. Schon die verwaltungsmäßige Vorbereitung der Ratsbeschlüsse – die meinungsbildende Vorbereitung sollen vor allem die Ratsausschüsse leisten – gibt dem Bürgermeister im kommunalen Verfassungsleben Gewicht. Wesentlich erhöht ist dieses Gewicht natürlich dort, wo er zugleich Ratsvorsitzender ist (Rn 63). 74 bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung: In diesem Geschäftskreis des kommunalen Alltags ist der Bürgermeister nicht nur ausführendes Organ (Rn 73, 78), sondern nimmt – sei es selbst, sei es durch seine Vertreter im Amt oder nachgeordnete Gemeindebedienstete – die Willensbildung vor. Der Begriff der Geschäfte der laufenden Verwaltung liegt nicht ein für allemal fest. Nach einem Definitionsversuch der Rechtsprechung fallen darunter „Geschäfte, die in mehr oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und zugleich nach Größe, Umfang, Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind“.281 Diese Faktoren (Häufigkeit, Bedeutung) werden ihrerseits durch Gemeindegröße, Üblichkeit und Leistungsfähigkeit bestimmt. Die Rechtsbeständigkeit dieses Aufgabenkreises ist länderweise unterschiedlich geregelt: – Die meisten Gemeindeordnungen 282 rechnen die Geschäfte der laufenden Verwaltung zum festen gesetzlichen Aufgabenkreis des Bürgermeisters, den andere Organe nicht verkürzen dürfen. Erst wenn eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung, zB durch das Aufsehen, das sie erregt, sozusagen den begrifflichen Rahmen laufender Geschäfte sprengt, kann der Gemeinderat sie an sich ziehen. – In den anderen Ländern kommt dem Bürgermeister ein solcher fester Aufgabenkreis nicht zu: Die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung kann sich der Rat (bzw der Verwaltungs- bzw Hauptausschuss) im Einzelfall vorbehalten.283 Das Gleiche gilt für NW, wo diese Geschäfte nur als dem Bürgermeister vom Rat übertragen „gelten“, so dass der Rat sich eine andere Regelung allgemein oder für den Einzelfall vorbehalten kann.284 75 cc) übertragene Angelegenheiten: In dieser Gruppe finden sich sehr unterschiedliche Aufgaben. – Teilweise handelt es sich um Aufgaben, die dem Bürgermeister vom Gemeinderat übertragen worden sind. Eine solche Übertragung ist – außer bei den Vorbehalts281 282

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BGH DVBl 1979, 514; BGHZ 92, 164, 173 f; a NJW-RR 1991, 223. § 44 II GO BW; Art 37 I GO Bay; § 38 III 2 KV MV (nur der hauptamtliche Bgm); § 47 I GO Rh-Pf; § 59 III KSVG Saarl; § 28 III 3 GO Sachs; § 63 I GO S-Anh; § 55 I bzw § 65 I GO Schl-H (hauptamtl Bgm); § 29 II ThürKO. §§ 63 I lit e, 35 III GO Bbg; §§ 62 I Nr 6, 40 II GO Nds. § 41 III GO NW; dazu Erichsen KomR NW, 116, 127; Sensburg Der kommunale Verwaltungskontrakt, 2003, 161 f.

Kommunalrecht

1. Kap V 2 b ff

aufgaben (Rn 69) – zulässig. Zulässig ist auch der Rückruf; allerdings muss er in der gleichen Form wie die Übertragung vorgenommen werden. – Teilweise handelt es sich um gesetzlich übertragene Angelegenheiten. Solche Übertragungen finden sich vor allem bei Weisungs- und Auftragsangelegenheiten (Rn 33 ff), bei denen mit der Übertragung der Aufgabe an die Gemeinde zugleich die innergemeindliche Zuständigkeit des Bürgermeisters gesetzlich vorgeschrieben wird.285 Das begründet einen festen Vorbehaltsbereich des Letzteren. Der Gemeinderat kann in diesen Kreis grundsätzlich nicht hineinregieren, es sei denn, das Gesetz räume ihm gewisse Mitwirkungsbefugnisse ein oder gestatte den unmittelbaren Zugriff. dd) Dringlichkeitsentscheidungen: Fast alle Gemeindeordnungen betrauen den 76 Gemeindevorstand ferner mit Eilentscheidungen. In der Definition des Eilfalles und in dem einzuhaltenden Entscheidungsverfahren weichen die Landesgesetze allerdings erheblich voneinander ab.286 ee) Verwaltungschef: Der Bürgermeister ist ferner Leiter des gemeindlichen Ver- 77 waltungsapparats. Das begründet zum einen organisatorische und dienstrechtliche Befugnisse zur Geschäftsleitung und Aufgabenverteilung sowie die Stellung als Dienstvorgesetzter der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde. Bei Grundentscheidungen, zB der Festlegung des Aufgabenbereichs der Beigeordneten, existieren allerdings länderweise unterschiedliche Einwirkungsbefugnisse des Gemeinderates.287 Als Verwaltungschef ist der Bürgermeister die zentrale Gemeindebehörde. Die einzelnen „Ämter“ der Gemeinde (Ordnungsamt, Bauamt, Pressestelle) sind Untergliederungen dieser kommunalen Zentralbehörde. Die vom Gemeinderat als weitere leitende Verwaltungsbeamte auf Zeit gewählten Beigeordneten („weitere Bürgermeister“, „Stadträte“) sind folglich keine eigenständigen Gemeindeorgane.288 Sie leiten aber ihre Ämter mit einer gewissen Selbständigkeit und vertreten insofern den Gemeindevorsteher in ihrem Ressort. Außerdem kommt aus ihrem Kreis der allgemeine Vertreter des Gemeindevorstehers. ff) Wahrnehmung gemeindlicher Beteiligungsrechte: Oft ist der Bürgermeister gesetzlich ferner damit betraut, allein oder zusammen mit Ratsmitgliedern die gemeindlichen Interessen in den Aufsichtsräten, Gesellschafterversammlungen und 285

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Davon zu trennen sind die auf Gemeindeebene freilich nicht häufig anzutreffenden Fälle der Organleihe (s o Rn 40). § 43 IV GO BW; Art 37 III GO Bay; § 61 KSVG Saarl; § 52 III GO Sachs; § 62 IV GO S-Anh; §§ 50 III, 55 IV, 65 IV GO Schl-H; § 30 ThürKO. In Bbg (§ 68 GO) im Einvernehmen mit dem Ratsvorsitzenden; in Rh-Pf (§ 48 GO) im Benehmen mit den Beigeordneten; in MV (§§ 35 II 4 iVm 38 IV 2 bzw 39 III 3 KV) und NW (§ 60 I GO) ist zunächst der Hauptausschuss eilzuständig; in Nds der Verwaltungsausschuss (§ 66 GO). ZB § 73 I GO NW, wonach der Rat den Geschäftskreis der Beigeordneten festlegen kann, dazu OVG NW NWVBl 2004, 348; anders § 24 II GO BW: Entscheidung über Ernennung, Einstellung und Entlassung der Gemeindebediensteten durch den Gemeinderat, jedoch im Einvernehmen mit dem Bürgermeister, dazu VG Karlsruhe VBlBW 2002, 536. Allgemein Wolter Der Beigeordnete, 1978, 6 ff; Gern/Schneider VBlBW 1999, 281. Zur Magistratsverfassung s Rn 80. Zur Wahl der Beigeordneten OVG NW NVwZ-RR 2003, 225 → JK VwGO § 61 Nr 2/5; SächsOVG v 15. 3. 05, Az 4B 436/04; Kroh/Starke SächsVBl 2004, 182.

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1. Kap V 2 b hh

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ähnlichen Gremien von Unternehmen oder Verbänden, an denen die Gemeinde beteiligt ist, wahrzunehmen (vgl Rn 123 ff). gg) Vertretung der Gemeinde: Hier geht es um die rechtsgeschäftliche Vertretung 78 der Gemeinde nach außen, nicht um die beim Gemeinderat liegende politische Repräsentation.289 Rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis bedeutet, im privatund im öffentlich-rechtlichen Rechtsverkehr für die Gemeinde verbindliche Erklärungen abgeben zu können. Im Kommunalrecht muss also streng unterschieden werden zwischen der internen Willensbildungsbefugnis und der externen Vertretungsbefugnis, die zur Umsetzung der Willensentscheidungen in außenwirksame Handlungen (zB Verwaltungsakte, privatrechtliche Willenserklärungen) notwendig ist. Erstere ist innergemeindlich aufgeteilt (Rn 67, 72, 74 f); letztere liegt einheitlich beim Bürgermeister 290 und ist nur gesetzlich, nicht aber durch Ratsbeschluss beschränkbar. Werden im Rahmen der Vertretungsbefugnis Erklärungen abgegeben, die nicht der innergemeindlichen Willensbildung entsprechen, so sind sie für die Gemeinde regelmäßig gleichwohl verbindlich.291 Um hier eine gewisse Sperre einzuführen, schreiben die Gemeindeordnungen für (wichtigere) Verpflichtungserklärungen der Gemeinden die Schrift- bzw qualifizierte elektronische Form (zT auch Mitzeichnungserfordernisse) vor, die sich nach hM rechtlich als Beschränkungen der Vertretungsmacht darstellen.292 Verstöße gegen diese vertretungsrechtlichen Formerfordernisse machen eine Erklärung unwirksam.293 Auf Treu und Glauben kann sich der Erklärungsempfänger nur berufen, wenn die Unwirksamkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führt;294 im Übrigen hat der Schutz der Gemeinde Vorrang.295 Eine eigene Haftung des Bürgermeisters als falsus procurator nach § 179 I BGB soll trotz des vertretungsrechtlichen Verständnisses der genannten Formvorschriften nicht in Betracht kommen, wohl aber eine Haftung aus § 839 BGB.296 79 hh) Einspruchsrecht: Zum eigenen Aufgabenkreis des Bürgermeisters gehören schließlich gewisse Rügerechte gegenüber Beschlüssen des Gemeinderats und der 289

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Tettinger/Erbguth BesVwR, § 4 Rn 168 ff; Waechter KomR, Rn 382 ff; Habermehl DÖV 1987, 144 (teilw abw Systematik). Ausnahmen für Akte im organschaftlichen Bereich des Rates, zB Ordnungsrufe. BGH DVBl 1979, 514; WM 1997, 2410; VGH BW NVwZ 1990, 892; Sensburg NVwZ 2002, 179, 180; aA für Bayern zu Geschäften, die nicht der laufenden Verwaltung zuzurechnen sind, BayObLG NJW-RR 1986, 1080. Std Rspr vgl BGH NJW 2001, 2626 → JK GO BW § 54/1; krit Ludwig/Lange NVwZ 1999, 136; Vogel JuS 1996, 964. Ausf Darstellung bei Günniker Rechtliche Probleme der Formvorschriften kommunaler Außenvertretung, 1984; Schmidt-Jortzig/Petersen JuS 1989, 27; Stelkens Verwaltungsprivatrecht, 210 ff. Zu Verpflichtungserklärungen der Gemeinde bei notarieller Beurkundung Basty/Wolff MittBayNot 2004, 21. BGH NJW 2001, 2626, 2627 → JK GO BW § 54/1. BGH DVBl 1979, 514, 516; so zB, falls das materielle Einverständnis des zuständigen Gemeindeorgans festgestellt ist, BGH NVwZ 1990, 403 u NJW 1994, 1528 → JK BGB § 167/1; allg dazu a Fritz Vertrauensschutz im Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983. In Betracht kommt aber ein Anspruch aus cic (§§ 311, 280 BGB) und eine deliktische Haftung der Gemeinde im Falle betrügerischer Handlungen ihres Organs, BGH NJW 1985, 1778, 1780 f u 1986, 2939 → JK BGB §§ 89, 31/1. BGHZ 147, 381, 387 ff → JK GO BW § 54/1; Sensburg NVwZ 2002, 179; ebenso für das Fehlen einer kommunalaufsichtlichen Genehmigung BGHZ 157, 168, 177 f. Siehe die Fallbearbeitung von Pielow/Finger Jura 2005, 351.

Kommunalrecht

1. Kap V 3 b

Ausschüsse. Diese Institute dienen der innergemeindlichen Kontrolle und der Ausbalancierung des politischen Gewichts. – Alle Gemeindeordnungen weisen dem Bürgermeister die Aufgabe (Befugnis und Pflicht) zu, Beschlüsse des Rates, die seiner Ansicht nach das Recht verletzen, – regelmäßig mit aufschiebender Wirkung – zu rügen.297 Der Gemeinderat befasst sich dann erneut mit der Angelegenheit. Bleibt er bei seinem Beschluss, so ist die Rechtsaufsichtsbehörde in die Sache einzuschalten. – Neben diesem auf Rechtsgründe gestützten Rügerecht kennen einige Gemeindeordnungen die Befugnis, Ratsbeschlüssen, die das Wohl der Gemeinde gefährden, zu widersprechen. Eine Widerspruchspflicht besteht nicht. Beharrt der Gemeinderat auf seiner Entscheidung, so hat es dabei sein Bewenden.

3. Besonderheiten kollegialer Leitungsgremien a) Die hessische Gemeindeordnung sieht in der Tradition der Magistratsverfassung 80 eine kollegiale Organisation des zweiten Gemeindeorgans vor. Dieser Gemeindevorstand besteht aus dem (direkt gewählten) Bürgermeister und den Beigeordneten (Stadträten), die vom Gemeinderat gewählt werden.298 Die Beigeordneten sind je nach Größe der Gemeinde gemäß besonderer Vorschriften in der Gemeindeordnung und der Hauptsatzung ehrenamtlich oder hauptamtlich tätig. Mitglieder des Gemeindevorstandes dürfen nicht zugleich Mitglieder des Gemeinderates sein. Die Aufgaben des kollegialen Gemeindevorstandes sind zu erheblichen Teilen die des Bürgermeisters in den anderen Bundesländern (§ 66 GO): So finden sich als typische Aufgaben auch hier ua die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der Gemeindevertretung, die Wahrnehmung der vom Rat delegierten Aufgaben, die Aufstellung des Haushaltsplanes und das Widerspruchsrecht. Die Gemeinde wird nach außen vom Gemeindevorstand vertreten. Der Bürgermeister nimmt im und gegenüber dem Kollegialgremium eine herausgehobene Stellung ein (§ 70 I GO), die seit 2000 noch weiter gestärkt worden ist: 299 Er verteilt die Geschäfte, beruft das Kollegium ein, leitet die Verhandlungen, bereitet die Beschlüsse vor und führt sie aus. Bei Abstimmungen hat er das Recht des Stichentscheids. Anstelle des Gemeindevorstandes kommt ihm ein Eilentscheidungsrecht zu (§ 70 III GO). Gegen Beschlüsse des Gemeindevorstands steht ihm ein Widerspruchsrecht zu (§ 74 GO). In alleiniger Verantwortung nehmen die Bürgermeister die Aufgaben der Orts- und Kreisordnungsbehörden wahr (§ 150 GO). b) In Rheinland-Pfalz existiert in Städten mit zwei oder mehr hauptamtlichen 81 Beigeordneten ebenfalls ein aus allen Beigeordneten und dem Bürgermeister gebildetes kollegiales Leitungsgremium, der Stadtvorstand. Der Bürgermeister bedarf 297

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§ 43 II GO BW; Art 59 II GO Bay; § 65 GO Bbg; § 63 GO Hess; § 33 KV MV; § 65 I GO Nds; § 54 II GO NW; § 42 I GO Rh-Pf; § 60 I KSVG Saarl; § 52 II GO Sachs; § 62 III GO S-Anh; § 43 I GO Schl-H; § 44 ThürKO. Dazu v Mutius KomR, Rn 784 ff; Binne Die interkommunale Widerspruchs- und Beanstandungspflicht, 1991. H. Meyer in: Meyer/Stolleis StuVwR Hess, 218 ff; Birkenfeld-Pfeiffer/Gern Kommunalrecht, Rn 541 ff. Schmidt-De Caluwe NVwZ 2001, 270.

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1. Kap V 4 a

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zur Aufstellung der Ratstagesordnung und zu Eilentscheidungen der Zustimmung dieses Gremiums (§ 58 GO). c) Kollegial organisiert, nicht aber als Magistrat einzustufen ist der Verwaltungsausschuss in Niedersachsen (§§ 56–60 GO). Er ist ein aus dem Bürgermeister, den Beigeordneten und gegebenenfalls weiteren Ratsmitgliedern bestehendes Leitungsorgan. Der Verwaltungsausschuss bereitet die Beschlüsse des Rates vor, hat ein Einspruchsrecht gegen Ratsbeschlüsse, die das Wohl der Gemeinde gefährden, und beschließt über diejenigen Angelegenheiten, die nicht anderen Organen vorbehalten sind. Gegenüber dem Bürgermeister sind die Zuständigkeiten nach Maßgabe der §§ 57 II, 62 I GO abgegrenzt.300 d) Zur Koordination der Ausschussarbeiten und zur eigenständigen Beschlussfassung über eine Reihe „zwischen“ Rat und Bürgermeister liegender Materien existiert in Brandenburg ein Hauptausschuss. Er besteht aus Mitgliedern des Gemeinderates und dem Bürgermeister (§§ 55–58 GO).301

4. Kommunalverfassungsstreit 82 Im Geflecht der Kompetenzzuweisungen sind Reibereien zwischen den gemeindlichen Organen, Teilorganen oder Organteilen nicht zu vermeiden. Der gerichtlichen Entscheidung solcher inter- oder intraorganschaftlicher Streitigkeiten dient das sog Kommunalverfassungsstreitverfahren. Diese Verfahren sind gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen mehreren Organen oder innerhalb eines Kollegialorgans einer kommunalen Gebietskörperschaft (Gemeinde, Kreis) über die Rechtmäßigkeit des organschaftlichen Funktionsablaufs.302 a) Grundfragen und Entwicklung 83 Die dogmatischen Schwierigkeiten, die die Ausbildung dieses Instituts im Richterrecht begleitet haben, erklären sich vor allem historisch. Dem älteren Verwaltungsrecht, das sein Augenmerk fast ausschließlich auf die Außenrechtsbeziehungen richtete, mussten Rechtsbeziehungen innerhalb einer juristischen Person, hier also innerhalb der Gemeinde als rechtsfähiger Verbandspersönlichkeit, fremd bleiben. Inzwischen ist anerkannt, dass sich auch innerhalb einer juristischen Person öffentlichen Rechts die Beziehungen zwischen ihren Organen, Organwaltern und sonstigen Funktionsträgern nach Maßgabe des Rechts abwickeln (objektive Komponente), und dass den dabei erkennbaren, zunächst kompetenzrechtlich begründeten Rechtsstellungen eine dem klassischen subjektiven Recht vergleichbare gerichtliche Wehrfähigkeit zuzuerkennen ist, wenn sie nicht nur im Interesse des Gesamtorganismus, sondern zur Konstituierung von „Kontrastorganen“ 303 zum Zwecke inner300

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Thieme Niedersächsische Gemeindeordnung, 231 ff; Wilkens Verwaltungsausschuß und Kreisausschuß in Niedersachsen, 1992. Auch einige andere Länder (MV, NW) sehen gesetzlich einen Hauptausschuss vor, allerdings mit geringeren Kompetenzen; vgl Gern DtKomR, Rn 413. Schoch JuS 1987, 783; Bauer/Krause JuS 1996, 411 und 512; Erichsen/Biermann Jura1997, 157; Franz Jura 2005, 156; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 129 ff. Kisker Insichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1965, 37.

Kommunalrecht

1. Kap V 4 b

administrativer Gewaltenbalancierung zugewiesen sind (subjektive Komponente). Während den Kompetenzen der einzelnen Behörden und Amtswalter im staatsunmittelbar-hierarchischen Organisationsbereich diese subjektive Komponente regelmäßig fehlt und „Insichprozesse“ hier daher unzulässig sind, ist sie der Rechtsstellung der am kommunalen Willensbildungsprozess beteiligten Organe und Organteile zwar nicht durchgängig, aber häufig eigen. Man kann von subjektiven Rechten iwS sprechen, die zwar nicht den Schutz des Art 19 IV GG genießen,304 wohl aber der im einfachen Verwaltungsprozessrecht erforderlichen Klagebefugnis genügen.305 Im Einzelfalle ist der subjektiv-rechtliche Gehalt einer innergemeindlich-organschaftlichen Rechtsstellung nach Funktion und Schutzzweck der Kompetenznorm zu ermitteln. Gerichtliche Auseinandersetzungen, zB zwischen dem Gemeinderat und dem Bürgermeister über den Umfang von Informationspflichten, zwischen dem Gemeinderat und einem wegen Befangenheit ausgeschlossenen Ratsmitglied, zwischen dem Ratsvorsitzenden und einem Ratsmitglied über ein Rauchverbot, zwischen dem Gemeinderat und einer Ratsfraktion über geschäftsordnungsmäßige Rechte sind heute Standardfälle des Kommunalverfassungsstreits.306 b) Einzelheiten Trotz dieser gesicherten Erkenntnis bereitet der Einbau dieses Verfahrens in die ein- 84 zelnen Normen und Institute des Verwaltungsprozessrechts nach wie vor Schwierigkeiten. Insbesondere bei der Bestimmung der richtigen Klageart, der Beteiligtenfähigkeit, der Klagebefugnis und beim Rechtsschutzbedürfnis, aber auch bei der Begründetheit der Klage gibt es Streitfragen. Immerhin kann als geklärt gelten, dass Kommunalverfassungsstreitverfahren öffentlichrechtliche Streitigkeiten iSd §40 I 1 VwGO sind. Dass es sich trotz der missverständlichen Bezeichnung um Streitigkeiten „nichtverfassungsrechtlicher Art“ handelt, und dass mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde (Rn 24) keinerlei Verbindung besteht, ist selbstverständlich. Kläger und Beklagter im Kommunalverfassungsstreit sind nicht die das einzelne Organ bildenden Personen in ihrer natürlichen Rechtsstellung, sondern die Organe in ihrer organschaftlichen Stellung. Ihre Beteiligtenfähigkeit ergibt sich folglich 304

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Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 IV Rn 44; Wahl in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 Abs 2 Rn 118 ff: „Rechtspositionen des organschaftlichen Rechtskreises“ als „apersonale Kompetenzen“. HM, Wahl/Schütz aaO § 42 Abs 2 Rn 97 ff; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn 59, 78 f mwN; Schlette Jura 2004, 90, 97 f; a BVerwG NVwZ 1985, 112; SächsOVG DVBl 1997, 1287. Insbesondere BVerwG NVwZ-RR 1994, 352 (Kompetenzverkürzung durch anderes Organ); BVerwGE 97, 223 (Ausschuss und Gemeinderat); OVG NW DVBl 1983, 53 → JK GO NW § 36 I/1 u 1991, 498 → JK GO NW § 36 I/2 (Rauchverbot) – aA Gern DtKomR, Rn 477; VGH BW NVwZ 1984, 659 → JK GG Art 28 II 1/13 u NVwZ-RR 1990, 369 (Tagesordnung); OVG Rh-Pf NVwZ 1985, 283 f (Antrag auf Sitzungsausschluss anderer) → JK GO Rh-Pf § 22/2, dazu Schröder NVwZ 1985, 246; HessVGH NVwZ 1986, 328 ff (Tagesordnung); VGH BW DÖV 1992, 838 (Informationsrecht) u VBlBW 2000, 321 (Ortschaftsrat gegen Gemeinderat). Außerhalb des Gemeinderates verbleiben dem Ratsmitglied hingegen seine subjektiven Rechte des Außenrechtskreises, instruktiv VGH BW NVwZ-RR 2001, 262.

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1. Kap V 4 b

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nicht aus § 61 Nr 1 VwGO, sondern aus einer analogen Anwendung des § 61 Nr 2 VwGO.307 Lange Zeit streitig war die Frage der Klageart. Vor allem die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Münster gingen zunächst davon aus, der Kommunalverfassungsstreit passe in keine der üblichen verwaltungsprozessualen Klageformen und sei folglich als Klage eigener Art zu verstehen.308 Heute dagegen herrscht die Auffassung vor, das Verfahren in die normalen Klagetypen der VwGO einzupassen.309 Dabei scheidet die auf den Verwaltungsakt bezogene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage allerdings aus; denn die streitenden Gemeindeorgane stehen nach materiellem Recht nicht in dem für den Verwaltungsakt typischen Subordinationsverhältnis. Wohl aber eignen sich die allgemeine Leistungsklage auf Vornahme oder Rückgängigmachung bestimmter Organhandlungen und die Feststellungsklage. Die mit diesen Klagearten zu verfolgenden Rechte bzw Rechtsverhältnisse sind zwar vorrangig, nicht aber ausschließlich solche des Außenrechtskreises. Sie können nach den Ausführungen zu a) auch durch organschaftliche Kompetenznormen konstituiert werden. Demgemäß ist um einstweiligen Rechtsschutz über die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO nachzusuchen. Die für die Klagebefugnis (analog § 42 II VwGO) bzw das berechtigte Feststellungsinteresse (§ 43 I VwGO) und die Begründetheit der Klage gleichermaßen zentrale Aufgabe bleibt es, den subjektiv-rechtlichen Schutzumfang der einschlägigen Normen der Gemeindeordnungen, der Hauptsatzungen oder der Geschäftsordnungen richtig zu bestimmen.310 Entscheidend ist, dass die Verletzung einer gerade dem Kläger zustehenden „wehrfähigen Innenrechtsposition“ im Spiel ist.311 Dabei kommt es allein auf den organisationsrechtlich-funktionalen Bezug, nicht auf Rechte der das Organ bildenden natürlichen Personen an.312 Ein zur Ratssitzung nicht geladenes Ratsmitglied kann den in der betreffenden Sitzung gefassten Beschluss über eine Steuersatzung im Kommunalverfassungsstreit angreifen, weil die Beschlussfassung sein Mitwirkungsrecht verletzt, nicht aber weil er sich durch einen 307

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Im Ergebnis a Tettinger/Erbguth BesVwR, § 4 Rn 186; Erichsen KomR NW, 151 f; v Mutius KomR, Rn 838; aM (direkte Anwendung der Nr 1 u 2) Rausch JZ 1994, 696. Zur Kostentragungspflicht VGH BW NVwZ 1985, 284; OVG NW NVwZ-RR 1993, 263; zum Klagegegner BVerwG Buchholz § 40 VwGO Nr 179; OVG NW NVwZ 1990, 188; zum Verhältnis zum Beanstandungsrecht Kingreen DVBl 1995, 1337. ZB OVG NW OVGE 28, 208, 210 f mwN. Dazu Preusche NVwZ 1987, 854; Schoch JuS 1987, 783, 787 f. Daneben ist die Konstruktion einer „allgemeinen Gestaltungsklage“ nicht angängig; str wie hier: Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 Abs 1 Rn 18 ff; anders Hufen VerwPrR, § 21 Rn 16; Stumpf BayVBl 2000, 103. Zur Normenkontrollklage (§ 47 I Nr 2 VwGO) gegen die Ratsgeschäftsordnung vgl Fn 245 aE. Ausführlich Ehlers NVwZ 1990, 105, 110; Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs 2 Rn 97 ff. Sehr deutlich OVG NW NVwZ 1983, 485 → JK GO NW § 36 I/1 u NVwZ-RR 1991, 260 (Rauchverbot) → JK GO NW § 36 I/2 sowie 2002, 135 (Sitzungsöffentlichkeit) → JK GO NW § 48 II/1; a VGH BW NVwZ 1993, 396 u NVwZ-RR 1994, 229; Müller NVwZ 1994, 120. BVerwG NVwZ 1988, 837 → JK GO Rh-Pf § 36 II/1; dazu Geis BayVBl 1992, 41; vgl aber a VG Darmstadt NJW 2003, 455.

Kommunalrecht

1. Kap VI

Steuertatbestand als Steuerzahler in seinen Rechten verletzt glaubt. Erst recht ist der Kommunalverfassungsstreit kein Instrument einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle der von Gemeindeorganen gefassten Beschlüsse.313

Spezialliteratur v Arnim Ausschluß von Ratsmitgliedern wegen Interessenkollision, JA 1986, 1; Brockmann Die Finanzierung kommunaler Fraktionen aus dem gemeindlichen Haushalt, NWVBl 2004, 449; Buß Das Machtgefüge in den heutigen Kommunalverfassungen, 2002; Ehlers Die Klagearten und besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen im Kommunalverfassungsstreitverfahren, NVwZ 1990, 105; Erichsen Der Innenrechtsstreit, FS Menger, 1985, 211; Erichsen/ Biermann Der Kommunalverfassungsstreit, Jura 1997, 157; Franz Der Kommunalverfassungsstreit, Jura 2005, 156; Glage Mitwirkungsverbote in den Gemeindeordnungen 1995; Habermehl Die Vertretung der Kommune, DÖV 1987, 144; Karst Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluss, 1994; v Kodolitsch Miteinander oder gegeneinander? Zum schwierigen Verhältnis von Rat und Verwaltung, AfK 39 (2000) 199; Krah/Starke Kommunale Fraktionen und Beigeordnetenwahl in Sachsen, SächsVBl 2004, 182; Meister Der Kommunalverfassungsstreit, JA 2004, 414; Müller Das aktionsfreudige Gemeinderatsmitglied, JuS 1990, 997; Henneke (Hrsg), Aktuelle Entwicklungen der inneren Kommunalverfassung, 1996; Ott Der Parlamentscharakter der Gemeindevertretung, 1994; Preusche Zu den Klagearten für kommunalverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten, NVwZ 1987, 854; Püttner Formvorschriften für Erklärungen des Bürgermeisters, JZ 2002, 197; Schliesky Der ehrenamtliche Bürgermeister im Spannungsfeld von Amt und Gemeinde in Schleswig-Holstein, 2000; Schmidt-Jortzig/Petersen Deliktische Haftung der Gemeinden für betrügerische Vertretungshandlungen ihres Bürgermeisters, JuS 1989, 27; Schnapp Der Streit um die Sitzungsöffentlichkeit im Kommunalrecht, VerwArch 78 (1987) 407; Schnell Freie Meinungsäußerung und Rederecht der kommunalen Mandatsträger, 1998; Schoch Das kommunale Vertretungsverbot, 1981; ders Der Kommunalverfassungsstreit im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, JuS 1987, 783; ders Verfassungsmäßigkeit und personeller Geltungsbereich des kommunalen Vertretungsverbots, JuS 1989, 531; Werres Rechtliche Anforderungen an die Zusendung von Sitzungsunterlagen im Kommunalrecht, NWVBl 2004, 294.

VI. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung Selbstverwaltung soll den Bürgern „eine wirksame Teilnahme an den Angelegen- 85 heiten des Gemeinwesens ermöglichen“.314 Die rechtliche Gewährleistung von Mitwirkungsmöglichkeiten ist folglich ein wichtiger Gegenstand des Kommunalrechts.

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Bethge HkWP Bd 2, 192; OVG Rh-Pf NVwZ 1985, 283 → JK GO Rh-Pf § 22/2; VGH BW NVwZ-RR 1992, 373 → JK GO BW § 35 I/1; SächsOVG NVwZ-RR 1997, 665 → JK VwGO § 61 Nr 2/4. BVerfGE 79, 127, 150 → JK GG Art 28 II/17.

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1. Kap VI 1 a

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Die Gemeindeordnungen unterscheiden dabei zwischen Einwohnern und Bürgern.315 Einwohner ist, wer in der Gemeinde einen Wohnsitz hat; es muss nicht sein einziger Wohnsitz sein. Überhaupt kommt es auf die polizeilich-melderechtlichen Voraussetzungen nicht an. Entscheidend ist der tatsächliche Aufenthalt, der allerdings von einer gewissen räumlich-gegenständlichen Stabilität sein muss. Auch Ausländer und Staatenlose sind Einwohner derjenigen Gemeinde, in der sie leben. Bürger sind Einwohner mit aktivem Kommunalwahlrecht, also Deutsche iSd Art 116 GG und Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union. Das Wahlrecht setzt weiter voraus, dass der Berechtigte das 18. (in einigen Ländern das 16.) Lebensjahr vollendet hat und seit einiger Zeit – die Länderregelungen variieren zwischen drei und sechs Monaten – in der Gemeinde wohnt. Das Kommunalwahlrecht für EU-Ausländer beruht auf Art 19 I EGV iVm der Richtlinie 94/80/EG 316 und wird auch in der Europäischen Grundrechte-Charta (Art 40) gewährleistet. Die Voraussetzungen im deutschen Recht schaffen Art 28 I 3 GG, die entsprechenden Regelungen in den Landesverfassungen 317 und das Kommunalwahlrecht der Bundesländer.318 Im Übrigen kann Ausländern das Wahlrecht zu gemeindlichen Entscheidungsgremien von Verfassungs wegen nicht eingeräumt werden, weil der Begriff des Volkes in Art 28 I 2 GG nur ebenso wie in Art 20 II GG als Staatsvolk interpretiert werden kann.319 Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung sind unterschiedlich groß. Systematisch lassen sich drei Mitwirkungsformen ausmachen: Kommunalwahlen (1), ehrenamtliche Tätigkeiten (2), plebiszitäre Beteiligungsformen (3); der Bürgernähe dienen die gemeindeinternen Gebietsgliederungen (4).

1. Kommunalwahlen a) Grundsätze 86 Kommunalwahlen sind vor allem die Wahlen zu den kommunalen Vertretungskörperschaften (Rn 59). Sie sind nach den auch für Bundes- und Landtagswahlen verpflichtenden Grundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl vorzunehmen (Art 28 I 2 GG), die durch die Landesverfassungen 315

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§§ 10, 12 GO BW; Art 15 GO Bay; § 13 GO Bbg; § 8 GO Hess; § 13 KV MV; § 21 GO Nds; § 21 GO NW; § 13 GO Rh-Pf; § 18 KSVG Saarl; §§ 10, 15 GO Sachs; § 20 GO S-Anh; § 6 GO Schl-H; § 10 ThürKO. Ausführlich Ossenbühl HkWP Bd 1, 379. RL d Rates v 19. 12. 1994, ABl EG 1994 Nr L 368/38. Zu Beschränkungsmöglichkeiten des passiven Wahlrechts gem Art 5 III der Richtlinie vgl Wollenschläger/Schraml BayVBl 1995, 385; Grube/Ulrich BayVBl 1998, 746. Dazu Art 72 I 2 Verf BW; Art 50 I 2 Verf RhPf. BVerfG (K) NVwZ 1998, 52 → JK GG Art 3 I/26; ferner BayVerfGH NVwZ 1998, 54. Einzelheiten bei Sieveking DÖV 1993, 449; Degen DÖV 1993, 749; Schrapper DVBl 1995, 1167; Hasselbach ZG 1997, 49; Pieroth/Schmülling DVBl 1998, 365; Kaufmann ZG 1998, 25. BVerfGE 83, 37, 53; Nierhaus in: Sachs, GG, Art 28 Rn 23; zum Diskussionsstand mwN Dreier in: ders, GG II, Art 28 Rn 72 ff; v Mutius Jura 1991, 410.

Kommunalrecht

1. Kap VI 1 b

zum Teil wiederholt und ergänzt werden und in den Kommunalwahlgesetzen ihre rechtstechnische Ausformung gefunden haben.320 Im weiteren Sinne zählen zu den Kommunalwahlen auch die direkt von den Bürgern vorgenommene Wahl des Bürgermeisters und die direkten Wahlen zu Ortschaftsräten.321 Im Wahlrecht der kommunalen Vertretungskörperschaften herrscht das System der Verhältniswahl vor. Eine landesgesetzliche Anordnung bestimmter Unterschriftenquoten 322 oder einer 5 %-Sperrklausel 323 ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher als zulässig angesehen worden. Den Besonderheiten der lokalen Politik mit ihrer stärkeren Personenbezogenheit und der Existenz sog Rathausparteien versuchen die Kommunalwahlgesetze durch mancherlei Einschübe personalisierender Wahlelemente gerecht zu werden.324 Daraus entstehen außerordentlich komplizierte Kombinationen.325 Insbesondere das System der „starren Liste“, bei der die Wähler an das personelle Angebot der vorschlagenden Parteien oder Wählergruppen strikt gebunden sind, wird zu modifizieren gesucht. So hat der Wähler in einigen Ländern mehrere Stimmen, die er, statt sie auf die Kandidaten einer Liste zu verteilen, auch auf einen Listenkandidaten zusammenziehen (kumulieren) oder auf Kandidaten verschiedener Listen verteilen kann (panaschieren).326 b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen Nicht nur wegen des komplizierten Wahlsystems sind Kommunalwahlen reich an 87 Rechtsstreitigkeiten. Zu den Streitigkeiten im Umfeld der Wahlen gehören die Auseinandersetzungen um die Nutzung gemeindlicher Einrichtungen (Plakatwände, Stadthallen) für die Wahlwerbung. Soweit es hierbei um die gleichmäßige Zulassung 320

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Dazu Dreier aaO Rn 68 ff; Tettinger in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 28 Rn 95 ff; ausf (mit Nachw der Rechtsgrundlagen) H. Meyer HkWP Bd 2, 37 ff; Saftig Kommunalwahlrecht 1990. Zum Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit BVerfGE 99, 69 (steuerliche Behandlung von Wählervereinigungen); BVerwG NVwZ 1997, 291; 2001, 928; BayVGH NVwZ-RR 2004, 440; HessStGH NVwZ 1996, 161 m krit Bspr Kleindiek NVwZ 1996, 131; Oebbecke DV 31 (1998) 219; zur verfassungsprozessualen Durchsetzbarkeit BVerfGE 99, 1. Zur Freiheit der Wahl BVerwGE 118, 101, 106 ff (Wahrheitspflicht im Wahlkampf). Zur Bürgermeisterwahl BVerwGE 118, 345; zu Unterschieden ThürOVG ThürVBl 2004, 91 (Zulässigkeit einer Inkompatibilitätsregelung für Bürgermeister). BVerfGE 6, 121, 130; 12, 10, 27; BayVerfGH BayVBl 1995, 624 u 1996, 333; LVerfG S-Anh DÖV 2001, 556; OVG Weimar LKV 2001, 317; J. Lege Unterschriftenquoren zwischen Parteienstaat und Selbstverwaltung, 1996. Zur Beglaubigung der Unterstützungsunterschriften durch möglicherweise „befangenen“ Bürgermeister BVerwG NVwZ 2003, 619. BVerfGE 11, 266, 277; 47, 253, 277 ff → JK Art 28 I 2/1; krit H. Meyer HkWP Bd 2, 56; nach VerfGH NW DVBl 1999, 1271 mit krit Anm von Hub. Meyer dort 1276: so nicht mehr begründet und daher aufgehoben. Im Verfassungsprozess kann das Unterbleiben der Überprüfung einer 5 %-Klausel im Organstreitverfahren geltend gemacht werden, so die Rspr der LVerfG aaO, offen BVerfGE 107, 286, a E 110, 403. H. Meyer HkWP Bd 2, 58 ff. Saftig Kommunalwahlrecht, 182 ff. Dazu Saftig Kommunalwahlrecht, 330.

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1. Kap VI 1 b

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

zur Nutzung öffentlicher Einrichtungen geht, vollziehen sich diese gerichtlichen Verfahren in den normalen Klagearten des Verwaltungsprozessrechts. Materiell ist eine gesteigerte Neutralitätspflicht der Gemeinde in Wahlkampfzeiten zu beachten.327 Der eigentliche Rechtsschutz im Wahlrecht betrifft dagegen vor allem einerseits die unmittelbaren Wahlvorbereitungsentscheidungen, also Fragen der Eintragung in das Wählerverzeichnis, der Erteilung des Wahlscheines und der Zulassung der Wahlvorschläge und andererseits Wahlprüfungs- und Wahlanfechtungsfragen.328 Die verfassungsrechtliche Problematik eines angemessenen Rechtsschutzes (Art 19 IV GG) gegenüber diesen Entscheidungen ist aus dem Bundestags- und Landtagswahlrecht bekannt. Die Schwierigkeiten, die dem üblichen Individualrechtsschutz im Wahlrecht erwachsen, stellt Hans Meyer zutreffend heraus, wenn er schreibt: „Wie immer der Rechtsschutz ausgestaltet ist oder ausgestaltet sein sollte, es bedarf der Berücksichtigung, dass die Wahl anders als die meisten anderen anfechtbaren Entscheidungen insofern fristgebunden ist, als sie nicht um des Rechtsschutzes willen zu weit vor dem Beginn der Wahlperiode angesetzt und möglichst so frühzeitig abgeschlossen sein muss, dass nicht ein legitimationsloser Gemeinderat noch weiter amtieren muss“.329 Die Kommunalwahlgesetze der Länder haben auf sehr unterschiedliche Weise versucht, diesem Interessenwiderspruch zwischen subjektivem Individualrechtsschutz und der Wahl als einem zeitgebundenen Kollektivvorgang gerecht zu werden. Teilweise werden nach vorgeschalteten internen Kontrollverfahren (Einspruch, Beschwerde) schon bei den genannten Wahlvorbereitungsentscheidungen auch die Verwaltungsgerichte eingeschaltet;330 andere Länder behandeln die internen Kontrollverfahren dagegen als exklusiv und verweisen auf die Wahlprüfung,331 die jeder Wahlberechtigte ex post einleiten kann. Zur Ungültigkeit der Wahl führt ein Wahlprüfungsverfahren in allen Ländern nur dann, wenn ein Wahlfehler festgestellt wird und dieser möglicherweise Einfluss auf die Sitzverteilung hat.332 Nicht alle Landesregelungen dürften, sofern sie den Individualrechtsschutz in Wahlangelegenheiten rigoros einschränken oder hinausschieben, mit Art 19 IV GG vereinbar sein.333

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Dazu BVerwGE 104, 323 → JK GG Art 5 I 1/26; VerfGH Rh-Pf NVwZ 2002, 78; zurückhaltender für das einzelne Ratsmitglied VGH BW NVwZ-RR 1998, 126. Zur Wahlwerbung im Amtsblatt OVG Rh-Pf DÖV 2001, 830; BVerwG NVwZ 2001, 928. Gern DtKomR, Rn 335 ff. HkWP Bd 2, 74. ZB § 6 III KWG BW; Art 12 III GWG Bay; § 13 II KWG Rh-Pf für Wählerverzeichnis; für Wahlvorschläge: § 8 IV KWG BW. § 46 IV KWG Nds; § 11 V KWG NW für Wählerverzeichnis. Zur Ergebnisrelevanz von Wahlfehlern a BVerwGE 118, 101, 105; SächsVerfGH NVwZRR 1998, 124, HessVGH NVwZ-RR 2004, 58. H. Meyer HkWP Bd 2, 74 ff; Saftig Kommunalwahlrecht, 220; Ehlers in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 177.

Kommunalrecht

1. Kap VI 3 a

2. Ehrenamtliche Tätigkeiten Zu den traditionellen Mitwirkungsformen kommunaler Selbstverwaltung zählen 88 ehrenamtliche Tätigkeiten. Die Gemeindeordnungen nennen sie ein Recht, aber auch eine Pflicht der Gemeindebürger, die nur aus wichtigem Grunde abgelehnt werden kann. In einigen Ländern sind auch die Einwohner zu ehrenamtlichen Tätigkeiten zugelassen. In den Kreis dieser Tätigkeiten fallen sowohl kurzfristige Verwaltungshilfen, zB als Wahlhelfer, als auch dauerhafte Mitwirkungsformen, zB als Schöffe oder als sachverständiger Bürger in Ausschüssen des Gemeinderates (Ehrenämter) 334. Dem ehrenamtlich Tätigen obliegen Verschwiegenheitspflichten,335 und er hat wie die Mitglieder des Gemeinderats, die ja auch ehrenamtlich tätig sind, die Befangenheitsvorschriften zu beachten (Rn 61). Er ist Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne (Art 34 GG iVm § 839 BGB), regelmäßig aber nicht Ehrenbeamter im Sinne des Beamtenrechts.

3. Plebiszitäre Beteiligungsformen Im Zuge der Partizipationsdiskussion haben sich im Gemeinderecht daneben neuere 89 Formen der Bürger- und Einwohnerbeteiligung ausgebildet.336 Systematisch kann zwischen der schlichten Mitwirkung (a) und der Mitentscheidung (b) unterschieden werden.337 a) schlichte Mitwirkungsmöglichkeiten Hierher zählen vor allem die Informationsveranstaltungen und Anhörungen, die 90 der Gemeindeverwaltung zur Pflicht gemacht sind. Schon das überkommene Gemeinderecht kennt zB die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Tagesordnung der Ratssitzungen und die gefassten Ratsbeschlüsse. Eine Fortsetzung finden diese Ansätze in den „Fragestunden“ und „Anhörungen“, die der Gemeinderat veranstalten kann.338 Weiterem Informationsaustausch zwischen Verwaltung und Bürgerschaft dienen die heute in allen Gemeindeordnungen vorgesehenen Bürgerversammlungen (Einwohnerversammlungen), die die Gemeinden in gewissen Zeitabständen – größere Gemeinden bezirksweise – als amtliche Veranstaltungen durchführen sollen. In einigen Ländern kann die Einberufung von einem bestimmten Einwohnerquorum verlangt und gegebenenfalls gerichtlich erzwungen werden.339 In diesen Ländern müssen sich die gemeindlichen Entscheidungsorgane auch innerhalb einer Frist mit den Vorschlägen der Bürgerversammlung förmlich befassen.

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Vgl Wacker Sachkundige Bürger und Einwohner in gemeindlichen Ausschüssen, 2000. BayVGH BayVBl 2004, 402; aber a NJW 2004, 3358 (Auskunftsanspruch der Presse). Muckel NVwZ 1997, 223; Hager VerwArch 84 (1993) 97. Schmidt-Jortzig KomR, Rn 131 ff; v Mutius Gutachten zum 53. DJT, 212 ff, 224 ff; Hill Funktion, 131 ff mwN; v Arnim DÖV 1990, 85; Gern DtKomR, Rn 581 ff. ZB § 33 IV GO BW; § 18 GO Bbg; § 17 KV MV; § 48 I 3 GO NW; § 16 a GO Rh-Pf; § 16 c GO Schl-H. ZB § 20 a II GO BW; Art 18 II GO Bay; § 17 II GO Bbg; § 22 II GO Sachs.

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1. Kap VI 3 b

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

b) Mitentscheidungsmöglichkeiten 91 Sie finden sich als Bürgerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid.340 Der quorenabhängige Bürgerantrag verpflichtet den Gemeinderat, die im Antrag bezeichnete Angelegenheit binnen einer bestimmten Frist zu behandeln.341 Die Gemeindeordnungen kennen außerdem ein Bürgerbegehren und – als deutlichsten Ausdruck unmittelbarer Demokratie – den Bürgerentscheid.342 Weisungsaufgaben, Organisations- und Haushaltsfragen sowie rechtlich gebundene Entscheidungen unterliegen nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts oft nicht dem Bürgerentscheid (Negativliste).343 Eine Angelegenheit kann vom Gemeinderat selbst oder von einer bestimmten Anzahl von Bürgern (Bürgerbegehren) zum Bürgerentscheid gestellt werden.344 Die Verfassungsmäßigkeit des Instituts ist mit Hinweis auf die Repräsentativfunktion des Gemeinderates zwar bezweifelt worden,345 im Ergebnis ist gegen den Bürgerentscheid jedoch nichts einzuwenden, weil die lokale Ebene weiteren Formen unmittelbarer Demokratie aus der Natur des Selbstverwaltungsgedankens eher zugänglich ist als die höheren Ebenen.346 Durch bestimmte Mindestquoren – etwa 25 % der Stimmberechtigten – muss jedoch sichergestellt sein, dass die getroffenen Entscheidungen über eine hinreichend breite demokratische Legitimation verfügen.347 Auch im Übrigen muss die Funktionsfähigkeit gemeindlicher Organe hinreichend sichergestellt sein.348 Um Bürgerbegehren und Bürgerentscheid ranken sich eine Zahl von Rechtsfragen:349 So muss das Begehren formgerecht abgefasst sein, einen Deckungsvorschlag hinsichtlich entstehender Kosten 350 enthalten und von dem erforderlichen 340

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Zu Bestand, Entwicklungsmöglichkeiten und Verfassungsgrenzen dieser Institute vgl Knemeyer Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik; Henneke ZG 1996, 1; Schliesky ZG 1999, 91; Huber AöR 126 (2001) 165. Zum sog kommunalen Petitionsrecht OVG NW NWVBl 1993, 296. § 21 GO BW; Art 18 a GO Bay; § 20 GO Bbg; § 8 b GO Hess; § 20 KV MV; § 22 b GO Nds; § 26 GO NW; § 17 a GO Rh-Pf; § 21 a KSVG Saarl; § 24 GO Sachs; § 26 GO S-Anh; § 16 g GO Schl-H; § 17 ThürKO. Umfassende Nachw bei Hartmann DVBl 2001, 776. Rsprübers Oebbecke DV 37 (2004) 105; Ritgen NWVBl 2003, 87; ders NVwZ 2000, 129; ferner HessVGH NVwZ-RR 2004, 281 (Veränderung der Anzahl der Beigeordneten als zul Gegenstand des Bürgerbegehrens); Nds OVG NVwZ-RR 2005, 349 (Aufstellung eines BBP); Kautz BayVBl 2005, 193. Einzelheiten entsprechend der unterschiedlichen landesrechtlichen Ausgestaltung; zur Rechtsprechung des VGH BW Schlüter VBlBW 1987, 54, 55 ff; ferner VGH BW VBlBW 1992, 421; BayVGH BayVBl 2004, 749. Dazu v Mutius 213 mwN; restriktiv, den Einbau plebiszitärer Elemente nicht ausschließend Schmitt Glaeser DÖV 1998, 824. Streinz DV 16 (1983) 293, 299 f; Schmidt-Aßmann AöR 116 (1991) 329, 380 f. Vgl Engelken DÖV 2000, 881, 887 ff mwN; Knemeyer DVBl 1998, 113. Weitergehende Einschränkungen bei Huber AöR 126 (2001) 165, 188 f aus dem Gedanken eines auch für die kommunale Ebene geltenden Vorrangs der repräsentativen Demokratie. BayVerfGH NVwZ-RR 2000, 737. Dazu v Danwitz DVBl 1996, 134; Ossenbühl FS Rommel, 247; Ritgen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 1997; Muckel NVwZ 1997, 223; Schliesky DVBl 1998, 169; Geitmann VBlBW 1998, 441; Hartmann DVBl 2001, 776, 778 ff; Fügemann DVBl 2004, 343. Dazu HessVGH NVwZ-RR 2000, 451, 453 f; BbgOVG LKV 2003, 87; OVG NW NVwZ-RR 2004, 519, 520; NdsOVG NVwZ-RR 2004, 62; Nds OVG NdsVBl 2005, 52.

Kommunalrecht

1. Kap VI 3 b

Quorum der Gemeindebürger 351 unterzeichnet werden.352 Bürgerbegehren, die sich gegen Gemeinderatsbeschlüsse richten,353 sind zumeist nur innerhalb kürzerer Fristen zulässig.354 Über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheidet in der Regel der Gemeinderat.355 Gegen die ablehnende Entscheidung ist Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachzusuchen.356 Umstritten ist die Frage der richtigen Klageart: Mangels eines organschaftlichen Rechtsverhältnisses kommt eine kommunale Verfassungsstreitigkeit nicht in Betracht.357 Ausdrücklich geregelt ist die Frage in BW; 358 für die dort im Gesetz genannte Anfechtungs- bzw Verpflichtungsklage mit einer voraufgehenden Widerspruchsentscheidung durch die Rechtsaufsichtsbehörde sprechen systematische und praktische Gründe.359 Sie kann von jedem Mitunterzeichner gegen die Gemeinde erhoben werden; die Beteiligtenfähigkeit ergibt sich für Kläger und Beklagte aus § 61 Nr 1 VwGO. Rechtskonstruktiv erscheint es aber auch nicht ausgeschlossen, die (negative oder positive) Zulassungsentscheidung nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren und dann den Weg über eine allgemeine Leistungsklage,360 uU auch eine Feststellungsklage zu gehen.361 Der erfolgreiche Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses.362 Eine negative Entscheidung kann von einem abstimmungsberechtigten Bürger im Wege der Feststellungsklage nur insoweit angegriffen werden, als letzterer durch das Abstimmungsverfahren in der Ausübung seines Stimmrechts verletzt worden ist.363 Streitig ist, ob die Gemeindeorgane bei erfolgreichem Bürgerbegehren 351

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Art 28 I 3 iVm Art 20 II GG steht der gesetzlichen Zulassung einer Teilnahme von Unionsbürgern, wie zB in BW, nicht entgegen; Engelken DÖV 1996, 737; Erichsen KomR NW, 84; aA Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art 28 Rn 41 f; Ritgen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 71 ff; Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 55. Nachw zu diesem Begehrensquorum bei Hartmann aaO 780 Fn 64. Zur Zulässigkeit eines „kassatorischen“ Bürgerbegehrens OVG NW NVwZ-RR 2003, 584 (Ablehnung der Änderung früherer Ratsbeschlüsse). Zur Befugnis der Gemeindeorgane zur wertenden Äußerung OVG NW NVwZ-RR 2004, 283. Zur Frage der Bürgerentscheidsfähigkeit bei gestreckten Entscheidungen VGH BW VBlBW 1990, 460; VGH BW NVwZ-RR 1994, 110. Anders zB Nds: Verwaltungsausschuss; Schl-H: Kommunalaufsicht. Meyer NVwZ 2003, 183; zur Klageart ausf Heimlich DÖV 1999, 1029; zur Frage des einstweiligen Rechtsschutzes BayVGH BayVBl 2001, 500; BayVGH NVwZ-RR 2003, 670. So a HessVGH NVwZ-RR 2000, 451; Heimlich aaO 1031 f; aA OVG Rh-Pf NVwZ-RR 1997, 241; a Fischer DÖV 1996, 181, 183; anders OVG Rh-Pf NVwZ-RR 1995, 411 u 1997, 241, wo von einer Quasi-Organstellung des Bügerbegehrens ausgegangen wird; a OVG Nds NdsVBl 1998, 96, OVG MV NVwZ 1997, 306. § 21 VIII GO iVm § 41 II KomWG; vgl a § 25 VI iVm § 24 VI GO S-Anh. Ebenso v Danwitz DVBl 1996, 134, 141; Schliesky DVBl 1998, 169, 173; BayVGH NVwZ-RR 1999, 137 f. So Heimlich DÖV 1999, 1029, 1035 f. So HessVGH NVwZ-RR 2000, 451. Zur Frage der Klagebefugnis im Hinblick auf die Ungültigerklärung vgl BayVGH NVwZRR 2003, 448. OVG Nds DÖV 2002, 253; vgl a VGH BW DÖV 2002, 257.

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1. Kap VI 4

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

vor Durchführung des beabsichtigten Bürgerentscheids vollendete Tatsachen schaffen dürfen oder in der betroffenen Angelegenheit einstweilen keine konterkarierenden Maßnahmen treffen dürfen („Sperrwirkung des Bürgerbegehrens“), wenn die Gemeindeordnung darüber keine ausdrückliche Regelung trifft.364

4. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften 92 Alle Gemeindeordnungen sehen die Möglichkeit vor, den gemeindlichen Binnenraum in Bezirke oder Ortschaften aufzugliedern, diese innergemeindlichen Einheiten mit bestimmten Organen zu versehen und sie zur Aufgabenerfüllung heranzuziehen. Solche Aufteilungen können sich für Landgemeinden mit mehreren dörflichen Zentren ebenso wie für Großstädte als sinnvoll erweisen. Sie sind nicht erst in jüngster Zeit in das Kommunalrecht aufgenommen worden; wohl aber haben die Maßstabsvergrößerungen der Gebietsreform dazu veranlasst, verstärkt Gebrauch von diesen Formen zu machen. Einteilungen dieser Art erleichtern die Überschaubarkeit der Verwaltungsorganisation, dienen als Anlaufstellen und bieten, sofern sie mit einer eigenen Vertretung ausgestattet sind, den Einwohnern weitere Beteiligungschancen, ihre im engeren Sinne lokalen Interessen wahrzunehmen. Ein verfassungsunmittelbarer Zwang zur Einführung solcher Untergliederungen ist gleichwohl nicht anzuerkennen. In der Einzelausgestaltung weichen die Gemeindeordnungen erheblich voneinander ab.365 Die meisten Länder stellen die Modelle der Binnengliederung den Gemeinden fakultativ zur Verfügung. In einigen Ländern ist die Einführung einer Bezirksverfassung für große Städte obligatorisch. Unterschiedlich ist auch die Ausstattung der Bezirke und Ortschaften mit eigenen Organen. Nur der dekonzentrierten Verwaltungsführung dient es, wenn Verwaltungsstellen in den Bezirken als Außenstellen der gemeindlichen Verwaltungszentrale eingerichtet werden. Elemente dezentraler Entscheidungsbildung dagegen kommen ins Spiel, wenn Ortsbeiräte (Bezirksausschüsse) und/oder Ortsvorsteher (Ortssprecher) bestellt werden, denen die Artikulation der besonderen lokalen Interessen des Ortes gegenüber der Gemeinde als ganzer obliegt oder sogar Entscheidungsaufgaben 366 übertragen sind. Die Organe der Binnengliederungen werden teilweise vom Gemeinderat bestellt, teilweise direkt gewählt. Organisationsrechtlich bleibt in allen diesen Fällen die Gemeinde die einzige rechtsfähige Trägerkörperschaft. Ihr allein gilt die Garantie des Art 28 II 1 GG. Die Bezirke und Ortschaften können sich der gemeindlichen Zentralinstanz gegenüber ihrerseits nicht auf die Selbstverwaltungsgewährleistung berufen. Wohl aber können sie sich – nach Maßgabe dessen, was über den Kommunalverfassungsstreit gesagt worden ist (Rn 82) – dann, wenn ihnen Beratungs- oder Entscheidungskom364

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Ablehnend VGH BW NVwZ 1994, 397; v Danwitz DVBl 1996, 134, 141; anders SächsOVG NVwZ-RR 1998, 253 → JK VwGO § 123/3. Vgl a BayVerfGH NVwZ-RR 2000, 238; OVG NW NWVBl 2004, 312. Dazu die Darstellung bei Gern DtKomR, Rn 630 ff. ZB § 70 II GO BW; § 37 I GO NW; § 67 I GO Sachs; § 87 II GO S-Anh; § 47c II GO Schl-H; § 45 VI 1 ThürKO.

Kommunalrecht

1. Kap VII

petenzen durch Rechtssatz eingeräumt sind, gerichtlich dagegen wehren, dass ihnen diese Kompetenzen rechtswidrig beschränkt oder entzogen werden.367 Spezialliteratur v Arnim Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie auf Gemeindeebene, DÖV 1990, 85; Becker/Bomba Die Auslegung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, BayVBl 2002, 167; v Danwitz Bürgerbegehren in der kommunalen Willensbildung, DVBl 1996, 134; Engelken Demokratische Legitimation bei Plebisziten auf staatlicher und kommunaler Ebene, DÖV 2000, 881; Erbguth Verstärkung der Elemente unmittelbarer Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, DÖV 1995, 793; Hager Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, NVwZ 2000, 180; Hartmann Volksgesetzgebung in Ländern und Kommunen, DVBl 2001, 776; Heimlich Die allgemeine Leistungsklage zur Durchsetzung eines Bürgerbegehrens, DÖV 1999, 1029; Holtmann „Das Volk“ als örtlich aktivierte Bürgerschaft: zur Praxis kommunaler Sachplebiszite, AfK 38 (1999) 187; Huber Die Vorgaben des Grundgesetzes für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, AöR 126 (2001) 165; Kastner Die Stellung der Ortschaftsbeiräte und Stadtbezirksräte im Freistaat Sachsen, SächsVBl 2002, 74; Kaufmann Kommunales Unionsbürgerwahlrecht und demokratischer Staatsaufbau, ZG 1998, 25; Knemeyer Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, 2. Aufl 1997; Muckel Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, 223; Ritgen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 1997; ders Die Zulässigkeit von Bürgerbegehren – Rechtspraxis und rechtspolitische Desiderate, NWVBl 2002, 87; Saftig Kommunalwahlrecht in Deutschland, 1990; Schliesky Aktuelle Rechtsprobleme bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, DVBl 1998, 169; ders Bürgerschaftliches Engagement in der repräsentativen Demokratie, Der Landkreis 2004, 422; Sieveking/Barwig ua, Kommunalwahlrecht für Ausländer, 1989; Spies Bürgerversammlung – Bürgerbegehren – Bürgerentscheid, 1999; Streinz Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, DV 16 (1983) 293; Weber Grundfälle zum Rechtsschutz im Kommunalwahlrecht, JuS 1989, 902; Wehling Politische Partizipation in der Kommunalpolitik, AfK 28 (1989) 110.

VII. Die Rechtsetzung der Gemeinden Mitwirkung an der gemeindlichen Willensbildung ist für die Einwohner nur inter- 93 essant, wenn die Gemeindeverwaltung neben reinem Gesetzesvollzug Gestaltungsaufgaben, insbesondere der leistenden und planenden Verwaltung, wahrnehmen kann. Gestaltungsaufgaben ihrerseits lassen sich rechtlich nur dann erfüllen, wenn sich die Gemeinden die dazu notwendigen Rechtsregeln – selbstverständlich unter Wahrung des Gesetzesvorrangs – selbst schaffen können.368 Die Rechtsetzung ist folglich eine notwendige Äußerungsform der Gemeinden. Sie manifestiert sich in den dem allgemeinen Verwaltungsrecht auch sonst bekannten Formen der Satzung, der Rechtsverordnung und gewisser inneradministrativer Rechtssätze.369 367

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HessVGH NVwZ 1987, 919 f; OVG NW NWVBl 1993, 262 u 265; VGH BW NVwZ-RR 2000, 813. Schmidt-Aßmann Rechtsetzung, 4 ff; Maurer DÖV 1993, 184. Systematisch Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6; ders HStR Bd 3, §§ 64–66; Gern DtKomR, Rn 248 ff; Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 97 ff.

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1. Abschn VII 1 b

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1. Gemeindliche Satzungen a) Regelungstypus 94 Satzungen sind Rechtsetzungsakte selbständiger, dem Staate eingegliederter Verwaltungsträger zur einseitig hoheitlichen Regelung ihrer Angelegenheiten.370 Meistens enthalten Satzungen generell-abstrakte Regelungen. Satzungen dieses Typs finden sich vor allem im gemeindlichen Abgabenrecht (Steuer-, Beitrags- und Gebührensatzungen) und zur Regelung der öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden und ihrer Rechtsbeziehungen zu den Benutzern (Anstaltssatzungen). Die Allgemeinheit der Regelung dient hier der Gleichmäßigkeit des Verwaltungsvollzuges. Ein begriffsnotwendiges Merkmal der Satzung ist die Allgemeinheit jedoch nicht. Gerade in dem zweiten Anwendungsbereich des Satzungsrechts, bei den gemeindlichen Planungen, finden sich Regelungen, die sich im Norm-Einzelakt-Schema keinesfalls eindeutig als generell-abstrakt einstufen lassen, sondern individuell-konkrete und generell-abstrakte Elemente mischen. Bekanntestes Beispiel ist der Bebauungsplan, der nach § 10 BauGB als Satzung ergeht, obwohl er von einem rechtstheoretischen Standpunkte aus auf diese Form nicht notwendig fixiert zu sein brauchte. Beispiele wichtiger kommunaler Satzungen sind die Hauptsatzung, die Haushaltssatzung, Abgabensatzungen,371 Anstaltssatzungen, baurechtliche Satzungen (Bebauungspläne, Veränderungssperren, örtliche Bauvorschriften), straßenrechtliche Satzungen und Eigenbetriebssatzungen. Die Steuerung von Vorgängen kommunaler Massenverwaltung, die Planung und die Organisation sind demnach die Hauptanwendungsgebiete des Satzungsrechts.372 b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt 95 Die Satzung ist das typische Instrument eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung. Deshalb gehört die Befugnis, in eigenen Angelegenheiten Satzungen zu erlassen – wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch im Grundsatz – verfassungsfest zur Selbstverwaltungsgarantie. Die Gemeindeordnungen enthalten in ihren allgemeinen Satzungsklauseln 373 nur eine Bestätigung dieser Rechtsetzungsbefugnis (Autonomie). Aber auch in Weisungs- und Auftragsangelegenheiten sind Satzungen nicht ausgeschlossen; der staatliche Gesetzgeber hat es hier jedoch in der Hand, den Gemeinden den Einsatz der Satzung als Regelungsinstrument vorzuenthalten oder ihn an besondere Voraussetzungen zu binden.374 Satzungsgebung ist wie alle gemeindliche Tätigkeit „Verwaltung“ und unterfällt der Gesetzesbindung des Art 20 III GG. Vom zwingenden Europa- und Gesetzes370 371 372

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BVerfGE 33, 125, 156; Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 63. Dazu Ecker BayVBl 2001, 709. Hill Gutachten zum 58. DJT, 12 ff. Zu einzelnen Funktionen von Satzungen Lübbe-Wolff/ Wegener Umweltschutz; Manssen Stadtgestaltung durch örtliche Bauvorschriften, 1990; Becker/Sichert JuS 2000, 144. Speziell zum Bebauungsplan → Krebs 4. Kap Rn 73 ff, 82 ff. § 4 GO BW; Art 23 GO Bay; § 5 GO Bbg; § 5 GO Hess; § 5 KV MV; § 6 GO Nds; § 7 GO NW; § 24 GO Rh-Pf; § 12 KSVG Saarl; § 4 GO Sachs; § 6 GO S-Anh; § 4 GO Schl-H; § 19 ThürKO. Dazu Schmidt-Jortzig KomR, Rn 609 ff; aber a HessVGH DÖV 2001, 253.

Kommunalrecht

1. Kap VII 1 b

recht kann das Satzungsrecht nicht abweichen.375 Dabei ist auch der „Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ zu beachten, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur kommunalen Verpackungssteuer aufgestellt hat.376 Nicht ganz eindeutig zu beantworten ist, ob und inwieweit für Satzungen neben dem Vorrang auch der Vorbehalt des Gesetzes gilt. Anerkannt ist immerhin, dass der in Art 80 I 2 GG und in den vergleichbaren Vorschriften der Landesverfassungen festgelegte rechtsformabhängige Gesetzesvorbehalt für Rechtsverordnungen auch analog nicht auf Satzungen angewandt werden kann.377 Die Gemeinden sind um ihres Selbstverwaltungsrechts willen freier gestellt als die Staatsverwaltung. Sie verfügen in dem von ihren Bürgern gewählten Gemeinderat über eine eigene direkte Legitimationsbasis. Trotzdem sind die Ordnungsfunktionen des parlamentarischen Gesetzgebers auch im Selbstverwaltungsbereich unverzichtbar. Die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht im Facharzt-Beschluss 378 für die berufsständische Selbstverwaltung hierzu genannt hat, gelten im Prinzip auch für die gemeindliche Selbstverwaltung.379 Der Gemeinderat ist kein Parlament,380 und folglich muss der rechtsstaatlich notwendige Distanzschutz der Bürger durch das parlamentarische Gesetz auch gegenüber dem Satzungsgeber gesichert werden. Dieser Ordnungsauftrag sollte allerdings durch eine kommunalspezifische Fassung der Gesetzesvorbehaltslehre erfüllt werden.381 Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf es dort, wo Satzungen in Frei- 96 heit und Eigentum eingreifen oder ihrerseits zu Eingriffen ermächtigen sollen. Der sog klassische Eingriffsvorbehalt 382 gilt also auch für Satzungen und verlangt eine gesetzliche Basis, die Art und Richtung des Eingriffs bezeichnet. Diesen Bestimmtheitsanforderungen an das gesetzliche „Ermächtigungsprogramm“ genügen die allgemeinen Vorschriften der Gemeindeordnungen, denen zufolge Gemeinden in eigenen Angelegenheiten Satzungen erlassen können (allgemeine Satzungsklauseln) nicht.383 Die Gesetzgebungspraxis hat sich auf diesen Befund eingestellt und fasst Voraussetzungen für Satzungen mit typischen Eingriffscharakter präziser: Satzungen, die den Anschluss- und Benutzungszwang an gemeindliche Einrichtungen vorschreiben dürfen, finden in Spezialklauseln der Gemeindeordnungen, baugestalte375

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Vgl BVerwG NVwZ 2005, 332 („Vergnügungssteuer“). Zum Rangverhältnis zwischen Satzung und Rechtsverordnung Heintzen DV 29 (1996) 17. BVerfGE 98, 106, 118 f; 98, 265, 298 ff; folgend BVerwGE 110, 248 (Vergnügungssteuersatzung); bestät BVerfG (K) NVwZ 2001, 1264. Zum Grundsatz der Widerspruchsfreiheit Frenz DÖV 1999, 41; Jarass AöR 126 (2001) 588; Kloepfer/Bröcker DÖV 2001, 1; Brüning NVwZ 2002, 33; Hanebeck Staat 41 (2002) 429. So die hM; Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 66. BVerfGE 33, 125, 159 f. Ossenbühl HStR Bd 3, § 66 Rn 31. Vgl o Rn 59; BVerwGE 90, 359, 362 → JK GG Art 12 I/31 u Schoch NVwZ 1990, 801. Schmidt-Aßmann Sitzungsberichte zum 58. DJT 1990, N 8, 15 f. Dazu allgemein Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 9 Rn 9 ff; Maurer, AllgVwR, § 6 Rn 3 ff. BVerwGE 90, 359 (Einwegverpackungen) → JK GG Art 12 I/31; VGH BW DVBl 1993, 778 → JK GG Art 13/6 u BayVGH BayVBl 1998, 470 (Betretungsrechte); dazu LübbeWolff DVBl 1993, 762.

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1. Kap VII 1 c aa

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rische Satzungen in den Regeln der Landesbauordnungen über „örtliche Bauvorschriften“, Abgabensatzungen in den Kommunalabgabengesetzen ihre besonderen gesetzlichen Grundlagen. Diese Vorschriften haben zugleich Ausschlusswirkung. Soweit sie eine Materie dem kommunalen Zugriff nicht erschließen, können die Gemeinden das durch Satzungsregelung nicht nachholen.384 Ist der Anschlusszwang an Fernwärmeeinrichtungen aus Gründen des Immissionsschutzes zugelassen, kann ihn die Gemeinde nicht aus energiepolitischen Gründen anordnen (Rn 114). An der notwendigen Gesetzesgrundlage scheitern auch die Versuche der Gemeinden, die Haftung für Amtspflichtverletzungen (Art 34 GG iVm § 839 BGB), zB aus Schadensfällen bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen, durch Satzung einzuschränken.385 Nur wenn eine besondere gesetzliche Grundlage vorhanden ist, können Verstöße gegen satzungsrechtliche Bestimmungen als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (sog Strafbewehrung von Satzungen).386 Über den Eingriffsvorbehalt hinaus kann nach Maßgabe der Wesentlichkeitslehre eine spezialgesetzliche Grundlage nur noch für „eingriffsnahe“, besonders konfliktträchtige Satzungsregelungen, nicht aber in der ganzen Breite des sonst beachtlichen Parlamentsvorbehalts verlangt werden.387 c) Verfahren 97 Für das Satzungsgebungsverfahren als Normsetzungsverfahren fehlt es an einer geschlossenen Regelung. aa) allgemein: Die wichtigsten Verfahrensvorschriften ergeben sich aus den allgemeinen Regeln der Gemeindeordnungen über die innergemeindliche Willensbildung. Da der Erlass von Satzungen zu den Vorbehaltsaufgaben des Gemeinderates gehört, sind es also vor allem die Vorschriften über die Ratssitzungen, den Ausschluss befangener Ratsmitglieder und die Rügerechte des Bürgermeisters, die das Satzungsverfahren prägen.388 Dazu treten Sondervorschriften für einzelne Arten von Satzungen, zB über die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Erlass von Bebauungsplänen nach § 3 BauGB. Staatlicher Genehmigung bedürfen Satzungen nur dann, wenn dieses ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist. Existierende Genehmigungsvorbehalte berech384 385

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BayVGH NVwZ-RR 1999, 265 (Immissionsrecht). BGHZ 61, 7, 14 ff; BGH NJW 1984, 615, 617; anders BayVGH NVwZ 1985, 844 → JK GG Art 34/6. Ausf Mittermeier Haftung und Haftungsbeschränkungen der Gemeinden für ihre öffentlichen Einrichtungen, 1984. ZB § 142 I GO BW; Art 24 II 2 GO Bay; § 124 I GO Sachs; § 134 V GO Schl-H; § 19 I ThürKO. Zum Bestimmtheitsgrundsatz für die Strafbewehrung BVerfGE 32, 346, 361 ff u (K) NVwZ 1990, 751; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 103 II Rn 211. Bedenklich weit daher § 5 II GO Bbg; § 5 II GO Hess; § 5 III KV MV; § 6 II GO Nds; § 7 II GO NW; § 24 V GO Rh-Pf; § 12 III KSVG Saarl; § 6 VII GO S-Anh. BVerfGE 65, 283, 290 f → JK BbauG § 12/2; entsprechend zur funktionalen Selbstverwaltung BVerfG NJW 2005, 45; mit Differenzierungen im einzelnen Bethge NVwZ 1983, 577; Bleckmann DVBl 1987, 1085; Ossenbühl HStR Bd 3, § 66 Rn 31; Burgi VerwArch 90 (1999) 70, 95 f; Karst NVwZ 1999, 244 („Kampfhundesteuer“). Zum Satzungsbeschluss im Wege der Dringlichkeitsentscheidung OVG NW NVwZ 1997, 598.

Kommunalrecht

1. Kap VII 1 c bb

tigen die Aufsichtsbehörde im Regelfall nur zur Rechtskontrolle.389 Dem gleichen Ziel dienen Vorschriften, die den Gemeinden die schlichte Vorlage des beschlossenen Satzungsentwurfs zur Pflicht machen. Um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen, bedarf jede Satzung förmlicher Publikation. Dieses Erfordernis folgte schon, wenn es in den Gemeindeordnungen nicht nochmals genannt würde, aus dem Rechtsstaatsgrundsatz. Über die technischen Einzelheiten, insbesondere über zulässige Publikationsorgane und die Formen der normalen, der Ersatz- und der Notbekanntmachung trifft das Gemeinderecht genaue Festlegungen.390 Vor der Veröffentlichung ist die Authentizität des zur Publikation vorgesehenen Textes, dh seine Übereinstimmung mit der vom Gemeinderat beschlossenen Fassung, durch Ausfertigung förmlich festzustellen;391 das gilt auch dort, wo Gemeindeordnungen die Ausfertigung nicht ausdrücklich vorschreiben. Zur Aufhebung von Satzungen bedarf es eines förmlichen actus contrarius; ein schlichter Ratsbeschluss reicht nicht aus.392 bb) Verfahrensfehler: Verstöße gegen das gesetzliche Verfahrensrecht begründen 98 Rechtsfehler und machen, wenn es sich nicht um Verstöße gegen bloße Ordnungsnormen handelt, die Satzung grundsätzlich nichtig (Nichtigkeitsdogma).393 In der Vergangenheit haben gerade Verfahrensfehler oft zur Unwirksamkeit wichtiger gemeindlicher Satzungen geführt. In manchen Bereichen, zB im Bauplanungs- und im Kommunalabgabenrecht, ist dadurch eine erhebliche Rechtsunsicherheit eingetreten.394 Das hat den Gesetzgeber auf den Plan gerufen und ihn dazu veranlasst, besondere Regelungen zu treffen, denen zufolge Verfahrensfehler nicht notwendig die gleiche Fehlerfolge der Nichtigkeit haben, wie sie für Inhaltsfehler gilt. Die Techniken, mit denen die Gesetzgeber in Bund und Ländern Verfahrensfehler für unbeachtlich, nur teilweise beachtlich, nur zeitweise beachtlich oder nachträglich behebbar erklärt haben, weichen erheblich voneinander ab.395 Am weitesten gehen die Sonderregelungen für Satzungen nach dem Baugesetzbuch – also vor allem für Bebauungspläne –, die unter Verstoß gegen Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzes ergangen sind. Hier sehen §§ 214 f BauGB ein ganzes Bündel von Unbeachtlichkeits-, Rüge- und Heilungsklauseln vor.396 389 390

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BayVerfGH NVwZ 1989, 551 (Abgabensatzung). Vgl a o Rn 49. Dazu Ziegler Die Verkündung von Satzungen und Rechtsverordnungen der Gemeinden, 1976, 67 ff; ders DVBl 1987, 280; Herrmann/Schiffer VBlBW 2004, 163; BVerwG NVwZ-RR 1993, 262; SächsOVG NVwZ-RR 2000, 240 (betr Haushaltssatzung); ThürOVG DÖV 2002, 205; ThürOVG ThürVBl 2004, 120. BVerwGE 79, 200, 203; 88, 204, 208 f u NVwZ-RR 1996, 630; VGH BW NVwZ 1985, 206; BayVGH BayVBl 1991, 23; OVG Rh-Pf NVwZ-RR 1998, 95; Swierczyna ThürVBl 2004, 149. Zu den bundesrechtlichen Vorgaben für eigene Entscheidungen des Verkündungsorgans BVerwGE 117, 58, 62 ff. OVG Schl-H NVwZ-RR 2000, 313. Ob eine Satzung wirksam bekannt gemacht wurde, ist eine Frage der Begründetheit eines Normenkontrollantrags, BVerwG NVwZ 2004, 620 → JK VwGO § 47 II 1/26. Ossenbühl NJW 1986, 2805; ders HStR Bd 3, § 66 Rn 61. Zu Reaktionsmöglichkeiten der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden BVerwGE 75, 142 ff → JK BauGB § 2 IV/1. Hill Gutachten zum 58. DJT, 13 f. Im Einzelnen Schmidt-Aßmann Rechtsetzung, 18 ff; Hill Verfahren, 78 ff, 174 ff; Morlok Folgen, 170 ff; Hufen Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn 446 ff. → Krebs 4. Kap Rn 116 ff mwN.

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1. Kap VII 1 d

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Aber auch die Gemeindeordnungen enthalten heute Sondervorschriften über Verstöße gegen kommunalrechtliche Verfahrensvorschriften beim Erlass von Satzungen.397 Die meisten Länder398 folgen dabei einer Technik, die man als Rügemodell bezeichnen kann.399 Die entsprechenden Bestimmungen finden sich entweder, beschränkt auf diese, bei den Befangenheitsvorschriften oder sind den allgemeinen Satzungsklauseln angefügt und beziehen sich dann auf alle oder wenigstens auf einen größeren Kreis von Verfahrensvorschriften. Im Grundtenor erklären alle dem Rügemodell folgenden Bestimmungen die bezeichneten Verfahrens- und Formfehler für unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb einer länderweise unterschiedlichen Frist entweder von bestimmten Amtsträgern (Bürgermeister, Aufsichtsbehörde) oder Dritten der Gemeinde gegenüber gerügt worden sind. Eine einmal erhobene Rüge dagegen perpetuiert den Fehler. Sie wirkt für und gegen jedermann. Ist innerhalb der Frist von keiner Seite eine Rüge erhoben worden, so kann der Verfahrensfehler nicht mehr geltend gemacht werden. Rechtskonstruktiv wird man insoweit von einer rechtswidrigen, gleichwohl aber nicht mehr angreifbaren Satzung auszugehen haben.400 d) Rechtsschutz gegen Satzungen 401

100 Der Gerichtsschutz gegen Satzungen vollzieht sich zum einen im Rahmen eines gerichtlichen Vorgehens gegen satzungskonkretisierende Vollzugsakte über die sog Inzidentkontrolle, zu der der Richter aufgrund seiner Prüfungskompetenz in jedem anhängigen Prozess verpflichtet ist. Stellt sich dabei die materielle oder formelle Fehlerhaftigkeit der Satzung heraus, so kann sie (von den Fällen zu Rn 98 abgesehen) nicht Rechtsgrundlage des angegriffenen Vollzugsaktes sein und bleibt für diesen Prozess außer Anwendung. Eine allgemein verbindliche Nichtigkeitsfeststellung dagegen gibt es im Rahmen der Inzidentkontrolle nicht. Letztere ist Ziel der sog prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Sie ist 101 bundesgesetzlich obligatorisch für die städtebaulichen Satzungen des § 47 I Nr 1 VwGO, vor allem also für Bebauungspläne 402 eingeführt. In allen Flächenländern mit Ausnahme von NW (eingeschränkt in Bayern, Rheinland-Pfalz) können darüber hinaus auch alle anderen unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften mit der prinzipalen Normenkontrolle angegriffen werden. Einen wesentlichen Komplex dieser Normengruppe stellen die gemeindlichen Satzungen dar. Die Wege der inzidenten und der prinzipalen Kontrolle stehen einem Betroffenen grundsätzlich nebeneinander zur Verfügung.403 397

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Im Einzelnen Hill DVBl 1983, 1; ders Verfahren, 174 ff. Diese gehen idR den allg Heilungsvorschriften vor, SächsOVG SächsVBl 2004, 161. Ein anderes Modell („Kausalitätsklausel“) enthält Art 49 IV GO Bay; o Rn 61. § 4 IV GO BW; § 5 IV GO Bbg; § 5 IV GO Hess; § 5 V KV MV; § 6 IV GO Nds; § 7 VI GO NW; § 24 VI GO Rh-Pf; § 12 VI KSVG Saarl; § 4 IV GO Sachs; § 6 IV GO S-Anh; § 4 III (f städtebaul Satzungen) u § 22 V GO Schl-H; § 21 IV ThürKO. Maurer FS Bachof, 1984, 215, 233 f; Hill Verfahren, 83, 174, 182, 357 ff. Dazu Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 47. → Krebs 4. Kap Rn 228. BVerwGE 68, 12, 16; zur Rechtskraftbindung vgl BGH DÖV 1981, 337 → JK VwGO § 47/6.

Kommunalrecht

1. Kap VII 2 a

Wo eine prinzipale Normenkontrolle nach § 47 I Nr 2 VwGO nicht vorgesehen ist, kann es besondere Rechtsschutzprobleme dann geben, wenn sich eine Satzungsregelung ohne Vollzugsakt sogleich belastend in die Individualsphäre umsetzt, so dass die klassische Inzidentkontrolle nicht eingreifen kann. Da nach nicht unbestrittener, aber richtiger Ansicht die gesamte administrative Normsetzung unter den Begriff der öffentlichen Gewalt iSd Art 19 IV GG fällt,404 können sich hier im Lichte dieser Bestimmung Rechtsschutzlücken ergeben. Diese müssen durch eine verfassungskonforme Handhabung der Feststellungsklage nach § 43 VwGO geschlossen werden, die allerdings nicht zur allgemein verbindlichen Nichtigkeitserklärung der fehlerhaften Satzung führt.405 Wie genau die Gerichte den Satzungsinhalt überprüfen dürfen, die Frage der Kontrolldichte, entscheidet sich nach den einschlägigen gesetzlichen Grundlagen. Allgemein ist davon auszugehen, dass dem Satzungsgeber ein Satzungsermessen zuerkannt ist, weil Normsetzung ohne Gestaltungsfreiheit kaum denkbar ist und Art 28 II GG speziell für die Gemeinden einen solchen Freiraum besonders begründet.406 Daneben können die einzelnen Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Satzungsermächtigung als unbestimmte Gesetzesbegriffe auch noch Beurteilungsermächtigungen enthalten, die den Gemeinden die letztverbindliche, gerichtlich nicht voll überprüfbare Konkretisierung aus der Sicht der örtlichen Belange gestatten. Soweit trotz dieser kommunalen Gestaltungsspielräume ausnahmsweise sogar ein Anspruch auf Erlass einer Satzungsregelung in Betracht kommt, steht als geeignete Rechtsschutzform die Feststellungsklage zur Verfügung.407

2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte Satzungen sind die wichtigsten, aber nicht die einzigen Rechtsetzungsakte der Gemeinden. a) Rechtsverordnungen Gemäß besonderer gesetzlicher Ermächtigung können Gemeinden auch Rechtsver- 102 ordnungen erlassen. Beispiele finden sich vor allem im Polizeirecht 408, im Gewerbeund im Umweltrecht. In den Einzelheiten weichen die einschlägigen Gesetze allerdings so stark voneinander ab, dass sich allgemeine Aussagen verbieten. Für manche Materien ist in einigen Ländern eine Regelungsmöglichkeit durch Rechtsverord404 405

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Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 IV Rn 70 ff. Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 Rn 25; Gerhardt dort § 47 Rn 12. Vgl a BVerwGE 111, 276 (Festellungsklage gegen Rechtsverordnung) → JK VwGO § 43/11. BVerwGE 80, 355, 370 f → JK VwGO §§ 40, 31/1; E 116, 188, 193 f; dazu Oebbecke NVwZ 2003, 1313. Allg Herdegen AöR 114 (1989) 607, 623 ff; Badura in GS Martens, 25; a v Danwitz Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989. BVerwG NVwZ 1990, 162; Hartmann DÖV 1991, 62 ff; zu Normsetzungsansprüchen und Rechtsschutz ausf Sodan NVwZ 2000, 601 u BVerwG NVwZ 2002, 1505 (Bspr Köller/Haller JuS 2004, 189). → Schoch 2. Kap Rn 271 ff.

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1. Kap VII 2 b

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nung, in anderen eine solche durch Satzung gesetzlich vorgeschrieben; ein Beispiel dafür sind Baumschutzregelungen.409 b) inneradministrative Rechtssätze 103 Zahlreiche Rechtsetzungsakte der Gemeinden lassen sich weder den Satzungen noch den Rechtsverordnungen zurechnen, sondern müssen als inneradministrative Rechtssätze eingestuft werden. Gerade die kommunale Praxis zeigt, dass diese Gruppe, die nicht zu den klassischen Außenrechtssätzen zählt, mehr umfasst als die Verwaltungsvorschriften. Neben den innerorganschaftlichen Geschäftsordnungen (Rn 64) der gemeindlichen Kollegialorgane sind es vor allem die nicht als Satzung erlassenen sog schlichten Anstaltsordnungen der kommunalen öffentlichen Einrichtungen und eine Reihe gemeindlicher Pläne, unter ihnen der Flächennutzungsplan nach § 5 BauGB, die dieser Gruppe zuzurechnen sind.410

Spezialliteratur Becker/Sichert Einführung in die kommunale Rechtsetzung am Beispiel gemeindlicher Benutzungssatzungen, JuS 2000, 144, 348, 552; Bethge Parlamentsvorbehalt und Rechtssatzvorbehalt für die Kommunalverwaltung, NVwZ 1983, 577; Beyer Abgabensatzungen der Anstalt des öffentlichen Rechts als demokratisch legitimiertes funktionales Ortsrecht, KStZ 2004, 61; Hahn Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Rechtssätze der Verwaltung, 2004; Heintzen Das Rangverhältnis von Rechtsverordnung und Satzung, DV 29 (1996) 17; Herdegen Gestaltungsspielräume bei administrativer Normgebung, AöR 114 (1989) 607; Hill Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986; ders Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden?, Gutachten zum 58. DJT 1990; J. Ipsen Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden?, JZ 1990, 789; Karst Die „Kampfhundesteuer“ – Ausfluß kommunalgesetzgeberischer Rechtsetzungshoheit oder Willkür?, NVwZ 1999, 244; Lübbe-Wolff/Wegener (Hrsg), Umweltschutz durch kommunales Satzungsrecht, 3. Aufl 2002; Manssen Stadtgestaltung durch örtliche Bauvorschriften, 1990; Martin Heilung von Verfahrensfehlern im Verwaltungsverfahren, 2004; Maurer Rechtsfragen kommunaler Satzungsgebung, DÖV 1993, 148; Meyer Ansatzpunkte und Maßstäbe gerichtlicher Kontrolle kommunaler Satzungen, NdsVBl 2003, 117; Meyn Gesetzesvorbehalt und Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden, 1977; Morlok Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel von kommunalen Satzungen, 1988; Ossenbühl Eine Fehlerlehre für untergesetzliche Normen, NJW 1986, 2805; Prahl Verfassungswidrige Abgabensatzungen der Anstalt öffentlichen Rechts, KStZ 2002, 81; Schmidt-Aßmann Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981; ders Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden?, Sitzungsberichte des 58. DJT 1990, N 8; Schmidt-Jortzig Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden?, DVBl 1990, 920; Schoch Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden?, NVwZ 1990, 801. 409 410

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Dazu Schink DÖV 1991, 7; Führen in: Lübbe-Wolff/Wegener, Umweltschutz, Rn 480 ff. Dazu Schmidt-Aßmann Rechtsetzung, 31 ff; speziell zu Flächennutzungsplänen → Krebs 4. Kap Rn 75 ff.

Kommunalrecht

1. Kap VIII 1

VIII. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner Wenn das Verhältnis der Gemeinden zu ihren Einwohnern, unter politischem Aspekt 104 betrachtet, durch das Gegensatzpaar Mitwirkungsrecht/Mitwirkungspflicht bestimmt wird (Rn 85 ff), so lässt es sich unter administrativem Aspekt mit den Begriffen Leistungsrecht/Lastentragungspflicht kennzeichnen. Die Lastentragung wird heute ausgeformt vor allem durch das Abgabenrecht (Rn 128). In einigen Ländern gibt es daneben noch die Möglichkeit, die Einwohner durch Satzung zu Naturaldiensten (sog Hand- und Spanndiensten) zu verpflichten.411 Das korrespondierende Leistungsrecht umfasst in einem weiten Sinne alle das örtliche Gemeinwohl fördernden Aktivitäten. Dazu zählen zB die kommunale Wirtschaftsförderung, das gemeindliche Gesundheits- und Sozialhilfewesen und die vielfältigen Aktivitäten der Gemeinden im Bau- und Wohnungswesen. In einem engeren Sinne ist das kommunale Leistungsrecht ein Recht der Daseinsvorsorge. Es ist die Daseinsvorsorge, die gerade im Kommunalwesen traditionell eine starke Wurzel hat.412 Der Leistungsauftrag, das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner durch die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen zu fördern, ist eine Grundaufgabe gemeindlicher Selbstverwaltung, die den Schutz des Art 28 II GG genießt. Art 16 EGV erkennt ihre Bedeutung als „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ ausdrücklich an. Freilich folgt daraus weder verfassungs- noch europarechtlich ein Bestandsschutz überkommener kommunaler Versorgungsstrukturen.413 Die Gemeinden dürfen bisherige Dienstleistungen ganz aufgeben oder umorganisieren (zu Privatisierungsformen Rn 122). Sie dürfen dazu auch von staatlicher Seite angehalten werden. Auf jeden Fall müssen sie sich dem privaten Wettbewerb nach Maßgabe der Art 86, 87 EGV stellen (vgl Rn 121 a).

1. Öffentliche Einrichtungen Gerade für diesen Bereich stellen die Gemeindeordnungen die Verbindung von Lastentragung und Leistungsanspruch deutlich heraus. So heißt es in § 10 II der bad-württ Gemeindeordnung: „Die Einwohner sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden nach gleichen Grundsätzen zu benutzen. Sie sind verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen“. Ein Schlüsselbegriff des Rechts daseinsvorsorgender Kommunalverwaltung ist die öffentliche Einrichtung,414 die ihrerseits in den verwaltungsrechtlichen Systemzusammenhang des Rechts der Leistungsverwaltung, speziell des öffentlichen Sachen- und Anstaltsnutzungsrechts gehört.415 411

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Gern DtKomR, Rn 555 mwN; zur Zulässigkeit BVerwGE 2, 313; Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art 12 Rn 486. Hellermann Daseinsvorsorge, 16 ff. Grundlegend Pielow Grundstrukturen, 96 ff, 688 ff; teilw anders Hellermann Daseinsvorsorge, 132 ff. Ausführlich Frotscher HkWP Bd 3, 135 ff; Erichsen Jura 1986, 148 u 196. Dazu Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, §§ 40 ff; Roth Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, 1998.

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1. Kap VIII 1 a

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a) Begriff 105 Der kommunalrechtliche Begriff der öffentlichen Einrichtungen meint „Betriebe, Unternehmen, Anstalten und sonstige Leistungsapparaturen höchst unterschiedlicher Struktur und Zweckbestimmung, denen letztlich nur die Funktionsweise gemeinsam ist, die Voraussetzungen für die Daseinsfürsorge und Daseinsvorsorge der Bevölkerung zu schaffen und zu gewährleisten“.416 Hierher zählen also Museen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Verkehrsbetriebe, Altenheime, Kindergärten, Schulen, Friedhöfe, Theater, Obdachlosenunterkünfte, Freizeitanlagen. Eine besondere, von der normalen Gemeindeverwaltung abgesetzte Organisation ist ebenso wenig Voraussetzung wie die Existenz eines besonders aufwendigen Apparats. Auch Parks, Sportund Kirmesplätze werden deshalb zu den öffentlichen Einrichtungen gerechnet. In einem sehr weiten Sinne könnte man sogar das gemeindliche Straßennetz als öffentliche Einrichtung ansehen. Das wird jedoch überwiegend und letztlich zu Recht mit Blick auf die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung abgelehnt.417 Öffentliche Straßen sind Sachen im Gemeingebrauch, an denen das Straßenrecht jedermann ohne Rücksicht auf eine spezielle gemeindliche Trägerschaft oder Zugehörigkeit ein dingliches Nutzungsrecht einräumt.418 Für die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden sehen die Gemeindeordnungen dagegen regelmäßig ein im Adressatenkreis begrenztes, obligatorisches Nutzungsrecht vor (Rn 108). 106 Auf die Organisationsrechtsform der öffentlichen Einrichtung kommt es nicht an.419 Öffentliche Einrichtungen werden keineswegs nur als Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder als Eigenbetrieb, sondern auch in der Form der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführt. Auch das Maß der rechtlichen Verselbständigung ist für den Begriff unerheblich. Öffentliche Einrichtungen können von Stellen der Gemeindeadministration, von Regie- oder Eigenbetrieben, aber auch von rechtsfähigen Betriebseinheiten unterhalten werden. Es ist nicht einmal notwendig, dass die Gemeinde die ausschließliche Vermögensträgerin ist. Auch Aktiengesellschaften, an denen die Gemeinde nur beteiligt ist, ja selbst ein ausschließlich in privaten Händen liegendes Unternehmen kann Träger einer öffentlichen Einrichtung sein, wenn ein entsprechendes Leistungsregime durch Vertrag mit der Gemeinde festgelegt ist, das ihr auch hinreichende Einflussmöglichkeiten sichert. Zahlreiche öffentliche Einrichtungen werden von gemeindlichen Wirtschaftsunternehmen geführt (Rn 118). 107 Ein Gegenstand oder eine Sachgesamtheit erhält die Eigenschaft als öffentliche Einrichtung durch Widmung. Die Widmung ist der Rechtsakt, der die Nutzung der

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Ossenbühl DVBl 1973, 289; ders HkWP Bd 1, 381; OVG NW DVBl 1976, 398; Broß VerwArch 80 (1989) 143, 156 f. Zu neueren Erscheinungsformen Ott/Ramming BayVBl 2003, 454; Duckstein/Gramlich SächsVBl 2004, 121; Frey DÖV 2005, 411. Frotscher HkWP Bd 3, 138; Schröder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 16 Rn 111. → v Danwitz 7. Kap Rn 54 ff. Schmidt-Jortzig KomR, Rn 658 ff; Darstellung und Kritik der Rechtspraxis bei Ehlers DÖV 1986, 897 mwN; BVerwG NVwZ 1991, 59.

Kommunalrecht

1. Kap VIII 1 b

Sache durch die kommunale Öffentlichkeit konstituiert.420 An eine spezifische Rechtsform ist sie nicht gebunden. Vielfach wird sie durch einen eigenen Ratsbeschluss ausgesprochen. Doch kommen auch rein administrative und konkludente Widmungen vor.421 Bei einer faktisch von der Öffentlichkeit genutzten Einrichtung spricht im Zweifel eine Vermutung für ihre öffentliche Widmung.422 Die Gemeinde kann die Vermutung jedoch durch den Nachweis widerlegen, die Bereitstellung erfolge eindeutig als private Einrichtung. Die Widmung legt den genauen Nutzungszweck und damit auch die Nutzungsgrenzen fest. Eine Halle, die praktisch auch für Versammlungen genutzt werden könnte, aber nur als Sporthalle gewidmet ist, ist nur insofern eine öffentliche Einrichtung. Die förmliche Nutzungsregelung kann allerdings durch eine großzügigere Vergabepraxis erweitert werden.423 Durch Entwidmung entfällt der Rechtscharakter einer Einrichtung als öffentliche Einrichtung. Überlässt die Gemeinde eine öffentliche Einrichtung, zB die Veranstaltung eines Volksfestes oder die Abwasserbeseitigung, privaten Unternehmern, so ist zu prüfen, ob sie sich damit ganz von der öffentlichen Aufgabe verabschieden oder nur die Durchführung übertragen wollte. Ersterenfalles liegt keine öffentliche Einrichtung mehr vor (materielle Privatisierung), so dass gegen die Gemeinde gerichtete Nutzungsansprüche, aber auch die Möglichkeit, Abgaben für die Benutzung zu erheben, entfallen. Die Übertragung zur Durchführung belässt es hingegen bei einer öffentlichen Einrichtung. Entscheidend ist, ob sich die Gemeinde weiterhin maßgeblichen Einfluss durch Mitwirkungs- und Weisungsrechte vorbehalten hat.424 Nicht zu den öffentlichen Einrichtungen zählen Vermögensgegenstände, die ausschließlich in das Finanzvermögen fallen, wie das zB für die erwerbswirtschaftlichen Betriebe einer Gemeinde gilt. Ebenfalls nicht öffentliche Einrichtungen sind die Sachen im Verwaltungsgebrauch, zB Dienstgebäude, Dienstwagen und andere Verwaltungseinrichtungen, die unmittelbar nicht der Nutzung durch Dritte, sondern der Erfüllung administrativer Amtsgeschäfte dienen. Dass in manchen dieser Einrichtungen Publikumsverkehr herrscht, macht sie noch nicht zu öffentlichen Einrichtungen iSd Kommunalrechts.425 b) Nutzungsrechte Die Einwohner sind nach den insoweit übereinstimmenden Gemeindeordnungen 108 aller Länder 426 berechtigt, die kommunalen öffentlichen Einrichtungen zu nutzen,427 420

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Dazu ausf Axer Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994, 138 ff; Germann AöR 128 (2003) 458. Gern DtKomR, Rn 529. OVG NW DVBl 1976, 398, 399; vgl a OVG Rh-Pf NVwZ 1982, 379. VGH BW DVBl 1998, 780. VG Augsburg NVwZ-RR 2001, 468; VG Freiburg NVwZ-RR 2002, 139; SächsOVG SächsVBl 2005, 14 → JK SächsGemO § 10 II/2; Schalt GewArch 2002, 137. Speziell zur Privatisierung der Abwasserbeseitigung Zacharias DÖV 2001, 454. Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 41 Rn 48 ff; VG Leipzig NVwZ-RR 2000, 380: gemeindliches Amtsblatt. § 10 II GO BW; Art 21 GO Bay; § 14 I GO Bbg; § 20 GO Hess; § 14 II GO MV; § 22 GO Nds; § 8 II GO NW; § 14 II GO Rh-Pf; § 10 II GO Sachs; § 22 I GO S-Anh; § 19 KSVG Saarl; § 18 I GO Schl-H; § 14 I ThürKO. Daneben gibt es Spezialvorschriften, zB § 70

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1. Kap VIII 1 b

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ggf gegen Erstattung einer Gebühr. Den Einwohnern sind Personen, die in der Gemeinde Grundstücke oder eine gewerbliche Niederlassung haben (sog Forensen), gleich gestellt. Ferner werden heute Einwohner der Nachbargemeinden als Nutzungsberechtigte jener Einrichtungen anzuerkennen sein, mit denen die Standortgemeinde zentralörtliche Funktionen für das Umland wahrnimmt.428 Gebietsfremde dagegen haben regelmäßig keinen kommunalrechtlichen Nutzungsanspruch.429 Es kann sich für sie bei entsprechender Widmung aber ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung ergeben.430 Auch für die Einwohner bestehen Nutzungsrechte nur im Rahmen des Widmungszwecks. Wünschen nach einer den Widmungszweck übersteigenden besonderen Nutzung einer öffentlichen Einrichtung kann die Gemeinde entgegenkommen, muss es aber nicht; sie ist auch hier aber zu einer fehlerfreien Ermessensentscheidung verpflichtet.431 Die wichtigste Grenze des Nutzungsrechts ist die Kapazität. Zur Schaffung neuer Einrichtungen ist die Gemeinde selbst bei nachhaltigem Bedarf rechtlich nicht verpflichtet,432 es sei denn, es läge gemäß spezieller gesetzlicher Regelung eine gemeindliche Pflichtaufgabe (Rn 38) vor. Ebenso wenig besteht ein Zwang, vorhandene Einrichtungen im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten.433 Der notwendige haushaltsrechtliche Umschichtungsspielraum der Gemeinden darf nicht durch die übereilte Konstruktion von Nutzungsansprüchen verdrängt werden. Lieb gewordene Gewohnheiten schaffen noch keinen Vertrauenstatbestand und erst recht keine Grundrechtspositionen. Bei knapper Kapazität freilich muss die Auswahlentscheidung einwandfrei sein.434 Das ist ein Problem vor allem der Maßstäbe, zB Priorität, Rotation, Alter. Sie müssen inhaltlich vor Art 3 I GG Bestand haben.435 Zutreffend wird außerdem ihre vorherige förmliche Fixierung durch Rechtssatz gefordert.436 Kein Anspruch besteht bei einer voraussehbar strafrechtsrelevanten

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GewO, § 18 EnWG, § 22 PBefG, die den Kreis der Berechtigten zum Teil erweitern; sa die Vorschriften im Schul- und Krankenhausrecht. Speziell zum Anspruch von Parteien auf Nutzung von Einrichtungen vgl § 5 PartG; BVerwG NJW 1990, 134; HessVGH NJW 1993, 2331; Cremer Jura 1992, 653, 657 f; Gassner VerwArch 85 (1994) 533. Dietlein Jura 2002, 445; Kerkmann VR 2004, 73; Fügemann SächsVBl 2005, 57. VGH BW NVwZ 1987, 701 f; Th. Schmidt DÖV 2002, 696. OVG NW NVwZ 1984, 665. Speziell zum Problem der Standplätze für Schausteller auf Volksfesten BVerwG NVwZ 1982, 194 u NVwZ 1984, 585; VGH BW NVwZ-RR 1992, 132; Roth WiVerw 1985, 46; Schalt GewArch 2002, 137. VGH BW NVwZ-RR 1996, 344; vgl Burgi JZ 1999, 873. Zu Gebührenstaffelungen BVerwG DVBl 1997, 1062. Vgl a Kellermann BayVBl 2003, 712. Vgl a VGH BW NVwZ-RR 2001, 159. Ossenbühl HkWP Bd 1, 384; im Ergebnis a Erichsen Jura 1986, 148, 153; OVG Rh-Pf DVBl 1985, 176 f. HessVGH NJW 1979, 886 → JK VwGO § 40 I/3; Frotscher HkWP Bd 3, 152 mwN in Fn 81; zur Rechtsform der Schließung HessVGH NVwZ 1989, 779 → JK VwGO § 80 V/7. Vgl a Veith VBlBW 2004, 161; Schnöckel VBlBW 2005, 173. Die Gemeinde darf sie nicht privaten Gremien überlassen, BayVGH NVwZ 1999, 1122. Vgl BayVGH NVwZ-RR 1998, 193 → JK GO Bay Art 21/2. Bethge NVwZ 1983, 577, 580; Roth WiVerw 1985, 46, 58; VGH BW DÖV 1987, 650 u DÖV 1991, 805 (Zulassung gegen Haftungsübernahme); allg Vollmer DVBl 1989, 1087.

Kommunalrecht

1. Kap VIII 1 c bb

Nutzungsabsicht.437 Zur Zensur darf die Gemeinde die Vergabepraxis nicht benutzen.438 c) Benutzungsverhältnis 439 Der Nutzungsanspruch der Gemeindeordnungen ist öffentlich-rechtlicher Natur. 109 Er kann durch Satzung ausgestaltet und durch Allgemeine Versorgungsbedingungen weiter konkretisiert werden.440 Die Zulassung zur Nutzung einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung muss daher gegebenenfalls nach § 40 I VwGO im Verwaltungsrechtsweg erstritten werden; Anspruchsverpflichteter ist die Gemeinde selbst als Körperschaft. Meinungsverschiedenheiten bestehen in der Frage, wie auf der Basis dieses Nutzungsanspruchs das Benutzungsverhältnis rechtlich zu konstruieren ist.441 aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell: Ein Teil der Literatur geht von einem 110 einheitlichen öffentlich-rechtlichen Modell aus.442 Die Nutzung vollzieht sich danach im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Vertrages (§§ 54 ff VwVfG) oder eines mit der oft nur konkludenten Zulassung zustande kommenden verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses. Auf ein solches schlichtes Schuldverhältnis wird vor allem dort zurückgegriffen werden müssen, wo sich im Verwaltungsalltag die für den Vertrag obligatorische Schriftform (§ 57 VwVfG) als unhandlich erweist. Handlungsmaßstäbe, Haftungs- und Rechtswegfragen bestimmen sich beim Einheitsmodell nach öffentlichem Recht. Das soll selbst dann gelten, wenn die öffentliche Einrichtung nicht von der Gemeinde selbst, sondern von einer juristischen Person des Privatrechts betrieben wird und die Leistungsbeziehungen zwischen ihr und dem Benutzer in Rede stehen. So sehr die Einheitlichkeit des Konzepts besticht, so begegnen ihm doch in der Praxis, insbesondere bei privatrechtlicher Organisationsform der öffentlichen Einrichtung, Schwierigkeiten; denn der privatrechtlich organisierte Träger der Einrichtung wird regelmäßig nicht als Beliehener und daher auch nicht öffentlich-rechtlich tätig, sondern erfüllt die gemeindliche Leistungspflicht dem Benutzer gegenüber privatrechtlich. Das öffentlich-rechtliche Lösungsmodell ist folglich zwar eine durchaus mögliche Konstruktion, aber sie passt nicht für alle öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden. bb) Typenvielfalt: Die nach wie vor herrschende Lehre geht davon aus, dass 111 die Nutzungsverhältnisse in mehreren Typen erfasst werden können und dass der einzelnen Gemeinde in gewissen Grenzen ein Wahlrecht zusteht, nach welchem

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HessVGH NJW 1993, 2331; vgl a Gassner VerwArch 85 (1994) 533; ferner Gern DtKomR, Rn 542 f. VGH BW NVwZ 1990, 93. Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 29 Rn 32 ff; Becker/Sichert JuS 2000, 144, 145 f. OVG Nds NVwZ 1999, 566; Brüning LKV 2000, 54. Zum Einfluss von AGB auf öffentlich-rechtliche Verträge Grziwotz NVwZ 2002, 391. Erichsen Jura 1986, 196, 198 ff; Fischedick Wahl, 2 ff; Ehlers DVBl 1986, 912; v Danwitz JuS 1995, 1; Dietlein Jura 2002, 445, 452. Ossenbühl DVBl 1973, 289, 291f; ders HkWP Bd 1, 387 mit Nachw zum Streitstand in Fn 50 ff; v Mutius JuS 1978, 400 f.

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1. Kap VIII 1 c bb

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Modell sie verfahren möchte.443 Eine öffentlich-rechtliche Konstruktion wird dabei häufig anzutreffen sein, aber sie ist nicht die einzige Gestaltungsmöglichkeit. Im Einzelnen muss zwischen der bereits oben (Rn 106) behandelten Wahl der Organisationsform und der Wahl der Rechtsform – genauer: des öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Rechtsregimes und der in ihm verfügbaren Handlungsformen – unterschieden werden. Erbringt die Gemeinde die Leistungen der öffentlichen Einrichtung selbst ohne 112 Zwischenschaltung einer Person des Privatrechts, so kann sie wählen, ob sie das Nutzungsverhältnis insgesamt öffentlich-rechtlich (in den unter Rn 110 genannten Formen) abwickeln oder aber sich des Privatrechts bedienen will. Die Wahl des Privatrechts muss sich mindestens aus Indizien (zB Entgelt statt Gebühren) eindeutig ergeben.444 Fehlt es daran, streitet eine Vermutung für das öffentliche Recht. Inhaltlich gestattet freilich auch die Wahl des Privatrechts der Gemeinde nicht eine vollkommen freie, privatautonome Gestaltung der Leistungsbeziehungen.445 Vielmehr gilt Verwaltungsprivatrecht, jenes mit gewissen dem öffentlichen Recht entlehnten Bindungen versehene Privatrecht, dem die öffentliche Hand bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht entrinnen kann.446 Rechtskonstruktiv bewirkt die Wahl des Privatrechts, dass die Leistungserbringung in der Form eines privatrechtlichen Vertrages erfolgt. Dadurch treten der auf den öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch (s Rn 109) antwortende öffentlich-rechtliche Zulassungsakt – in der Regel ein Verwaltungsakt – und das ihm folgende Nutzungsverhältnis stärker auseinander (Zweistufenlehre).447 Das wiederum ist ein Kritikpunkt an der herrschenden Lehre; denn in der Tat wirken bei alltäglichen Nutzungsvorgängen, wie zB dem Besuch eines kommunalen Schwimmbades, solche Zweistufigkeiten überkonstruiert. Das gilt nicht zuletzt für Rechtsschutzfragen. So muss nach dieser Lehre auf Zulassung zur Nutzung vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden, während für Leistungsstörungen und Haftungsfälle nach § 13 GVG die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Ist die öffentliche Einrichtung als juristische Person des Privatrechts organisiert, 113 so ist mit der Wahl der Organisationsform auch die Frage der Handlungsform entschieden. Ohne gesetzesbegründete Beleihung – daran fehlt es durchgängig – können Privatrechtssubjekte ihre Rechtsbeziehungen zum Benutzer nicht öffentlichrechtlich regeln. Die Leistungserbringung vollzieht sich hier folglich zwangsläufig in den Formen des Privatrechts. Prozessual führt das nicht nur zu der beschriebenen Doppelung in Rechtswegfragen, sondern es stehen dem Kläger in den Prozessen 443

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BayVerfGH NVwZ 1998, 727; Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 41 Rn 33; Frotscher HkWP Bd 3, 149; Schnapp DÖV 1990, 826; Koch Der rechtliche Status, 38 ff. VGH BW NJW 1979, 1900f u NVwZ 1987, 701 f; Fischedick Wahl, 23. Speziell zur Frage, ob auch bei Vorliegen des Anschluss- und Benutzungszwangs für das Nutzungsverhältnis das Privatrecht gewählt werden kann OVG Nds NJW 1977, 450 f; SächsOVG DVBl 1997, 507. BGH DVBl 1984, 1118 f; Fischedick Wahl, 43 ff. BVerwG NVwZ 1990, 754 u NVwZ 1991, 59; BGHZ 155, 166; ausführlich Maurer, AllgVwR, § 3 Rn 9, § 17 Rn 1, § 26 Rn 56; Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 2 Rn 71 ff; krit Röhl VerwArch 86 (1995) 531. Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 2 Rn 36 ff.

Kommunalrecht

1. Kap VIII 2 a

auch unterschiedliche Beklagte gegenüber. Im Verwaltungsprozess auf Zulassung zur Nutzung ist es die Gemeinde selbst, die „auf Verschaffung des Zugangs“ in Anspruch zu nehmen ist.448 Daneben kann unter Umständen aus besonderem Verpflichtungsgrund auch die die Einrichtung betreibende juristische Person des Privatrechts in Anspruch genommen werden, dann allerdings vor den Zivilgerichten.449 Dort zu führen sind auch Prozesse über Fragen der Leistungserbringung gegen die Betreiberin der öffentlichen Einrichtung. – Wenn man Einfachheit und Übersichtlichkeit als besondere Werte einer Rechtsordnung ansieht, dann können solche Diffizilitäten nicht recht überzeugen.

2. Einrichtungen mit Anschluss- und Benutzungszwang a) Tatbestand Für bestimmte öffentliche Einrichtungen kann die Gemeinde die Benutzung zur 114 Pflicht machen (Benutzungszwang) und vorschreiben, dass die Grundstücke ihres Hoheitsgebiets an die entsprechenden Versorgungsanlagen anzuschließen sind (Anschlusszwang). Anschluss- und Benutzungszwang sind, sofern sie heute nicht schon unmittelbar gesetzlich festgelegt sind450, durch Satzung anzuordnen. Wegen des Eingriffscharakters solcher Anordnungen – betroffen sind vor allem die Grundrechte aus Art 12, 14 und 2 I GG – bedarf die Satzung ihrerseits der Grundlage im parlamentarischen Gesetz (Rn 95). Dem haben alle Gemeindeordnungen Rechnung getragen.451 Sie legen den Kreis derjenigen Einrichtungen genauer fest, für den ein solcher Zwang vorgesehen werden kann. Traditionell geschieht das in der Art, dass einige Einrichtungen (vor allem Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Schlachthöfe) ausdrücklich genannt und der nicht erschöpfenden Aufzählung die Klausel „und ähnliche der (Volks-)gesundheit dienende Einrichtungen“ angefügt wird.452 Jüngere Gesetzesformulierungen beziehen den Umweltschutz im Sinne einer Umweltvorsorgepolitik ausdrücklich mit ein.453 Von hieraus erschließt sich der Zweck des gesamten Instituts, auch für solche Gemeindeordnungen, die noch weitergehend „ähnliche dem öffentlichen Wohl dienende Einrichtungen“ ein-

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BVerwG NVwZ 1991, 59; VGH BWGZ 2003, 804; Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 41 Rn 36. BVerwG NVwZ 1991, 59. So statuiert zB für die Abfallbeseitigung § 13 KrW-/AbfG für Erzeuger und Besitzer von Abfällen unmittelbar eine Überlassungspflicht, die den Benutzungszwang bereits impliziert (Kunig/Paetow/Versteyl KrW-/AbfG, § 13 Rn 19); den Gemeinden verbleibt hier nur noch ein schmaler Ausgestaltungsraum. Zur Abwasserbeseitigung vgl § 18a WHG iVm den Wassergesetzen der Länder. § 11 GO BW; Art 24 I GO Bay; § 15 GO Bbg; § 19 II GO Hess; § 15 KV MV; § 8 GO Nds; § 9 GO NW; § 26 GO Rh-Pf; § 22 KSVG Saarl; § 14 GO Sachs; § 8 Nr 2 GO S-Anh; § 17 II GO Schl-H; § 20 II ThürKO. Daneben finden sich Ermächtigungsgrundlagen in Spezialgesetzen. Dazu soll zB die Gasversorgung nicht gehören (VGH BW DVBl 1994, 1153). § 14 GO Sachs; § 17 II GO Schl-H.

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beziehen. Diese Ausrichtung konkretisiert auch den Begriff des öffentlichen Bedürfnisses, an den die Gemeindeordnungen den Erlass der Satzung im Einzelfall binden. Nicht jedes öffentliche Interesse rechtfertigt also den Anschluss- und Benut115 zungszwang.454 Der Anschluss- und Benutzungszwang dient der Gefahrenvorsorge. Bei den meisten der genannten Anlagen kann von einer Förderung gesundheitsschützender und umweltvorsorgender Belange typischerweise ausgegangen werden. Als Nebenzweck dürfen zB bei der Frage des Gebietszuschnitts auch fiskalische Überlegungen einer Rentabilität der Einrichtung beachtet werden.455 Behutsamkeit ist beim Anschlusszwang an eine Fernwärmeversorgung geboten. Die Gemeindeordnungen sehen heute zwar ausdrücklich auch für diese Einrichtung die Möglichkeit eines solchen Zwanges vor. Aus systematischen Gründen zutreffend verlangt die Rechtsprechung auch hier, dass das Bedürfnis ein solches des Gesundheitsschutzes (auch iwS des Immissionsschutzes) ist und sich aus der gemeindlichen Raumsituation exakter belegen lassen muss.456 Dagegen können globale klimapolitische Gründe den Anschlusszwang allein nicht rechtfertigen.457 b) Grundrechtsfragen 116 Die Einführung des Anschluss- und Benutzungszwangs kann in mehrfacher Hinsicht Grundrechtspositionen berühren.458 aa) Anschlusspflichtige: Sie werden vor allem in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 I GG) beschränkt, weil ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihren Bedarf anderweitig zu decken. Gründe der Volksgesundheit sind jedoch Gesichtspunkte, die regelmäßig eine dem Übermaßverbot entsprechende Einschränkung rechtfertigen.459 Außerdem können vorhandene eigene Versorgungsanlagen wertlos werden. Das ruft Art 14 GG auf den Plan. Die Rechtsprechung sieht jedoch in solchen Folgen – jedenfalls regelmäßig – keinen unzumutbaren Eingriff, sondern die Konkretisierung einer dem Eigentum anhaftenden Pflichtigkeit.460 Etwas anderes soll nur gelten, wenn die Aufwendungen von behördlicher Seite veranlasst wurden. Zu überzeugen vermag das jedoch nur, wenn es sich um Anlagen geringeren Wertes

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Eine Beurteilungsermächtigung für die Gemeinden besteht nicht, Gern DtKomR, Rn 605; aM Wagener Anschlußzwang, 154 ff mwN; OVG NW NVwZ 1987, 727; a OVG Nds NVwZ-RR 1991, 576, allerdings für eine spezielle Formulierung des § 8 GO Nds; zu dieser Rspr BVerwG Buchholz 415.1 AllgKommR Nr 141. BVerwG NVwZ 1986, 754; OVG Nds DÖV 2000, 643; BayVGH BayVBl 2001, 54. BayVGH NVwZ 1983, 167; VGH BW VBlBW 2004, 337 → JK GO BW § 11/1, teilweise nunmehr weiter § 11 GO BW idF G v 28. 7. 2005 (GBl 578); BayObLG BayVBl 1985, 285; aA OVG SchlH NordÖR 2003, 21; aufgeh d BVerwG NVwZ 2004, 1131. Schmidt-Aßmann DV 16 (1983) 277, 282; Pielow Grundstrukturen, 697 f; zum Streitstand ausf Wagener Anschlußzwang, 71; zu europarechtl Grenzen Scharpf EuZW 2005, 295, 296. Erichsen Jura 1986, 196, 201 f; H. Weber NVwZ 1987, 641; Wagener Anschlußzwang, 92 ff. BVerwG UPR 1998, 192; BayVerfGHE 20, 183, 187; weitergehend BVerfGE 50, 256 („Friedhofzwang“) → JK GG Art 2 I/2. BGHZ 40, 355, 361; 54, 293; BVerwG NVwZ-RR 1990, 96 u NVwZ 1998, 1080; BayVGH DÖV 1988, 301; OVG Bbg LKV 2004, 277.

Kommunalrecht

1. Kap VIII 2 b bb

handelt.461 Der Wertverlust einer gefahrenrechtlich einwandfreien aufwendigen Eigenanlage kann dagegen schwerlich in jedem Fall als immanente Pflichtigkeit abgetan werden; das gilt etwa für Heizanlagen. Um vor Art 14 GG zu bestehen, muss die Satzung uU Ausnahmen vorsehen.462 bb) Anbieter gleichartiger Leistungen: Ihnen wird für die Zukunft die Möglich- 117 keit genommen, sich weiterhin im Anschlussgebiet zu betätigen (Art 12 GG), der Kundenstamm geht ihnen verloren und die gewerblichen Anlagen, sofern nicht andere Absatzgebiete erschlossen werden, werden wertlos (Art 14 GG).463 Auch hier ist die Rechtsprechung jedoch wenig rücksichtsvoll: Jedenfalls eine Materie wie die Müllabfuhr sei mit der Pflichtigkeit belastet, nur solange unbeschränkt privatwirtschaftlich betrieben werden zu können, bis die Gemeinde dieses Gebiet zur öffentlichen Aufgabe mache; so lautete das Dogma der herrschenden Ansicht.464 Unserer Auffassung nach lässt sich dieser Satz jedoch nicht ohne Rücksicht auf den Umfang der aufgeopferten Position aufrechterhalten und auch nicht unbesehen auf andere Sachgebiete übertragen.465 Soweit der Anschluss- und Benutzungszwang im Einzelfalle mit Art 14 I GG und dem im Rahmen dieser Vorschrift zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar ist – nach landläufigem untechnischen Sprachgebrauch also „enteignend“ wirkt –, muss er durch eine Befreiung abgefangen werden.466 Andernfalls ist die Satzung (teil-)nichtig, da zu einer entschädigungsrechtlichen Lösung durchgängig die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen fehlen. Die Satzung selbst kann sie nicht bieten, denn sie ist kein Gesetz iSd Art 14 III GG.467 Nur für seltene atypische Situationen kann an einen Anspruch aus dem richterrechtlichen Haftungsinstitut des „enteignenden Eingriffs“ gedacht werden.468 Spezialliteratur Brüning Die Benutzungsverhältnisse an kommunalen öffentlichen Einrichtungen unter Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen, LKV 2000, 54; ders Die Definitionsgewalt der Gemeinden über die Bestandteile öffentlicher Einrichtungen und die abgabenrechtlichen Konsequenzen, Gemeindehaushalt 2004, 73; v Danwitz Die Benutzung kommunaler öffentlicher Einrichtungen – Rechtsformenwahl und gerichtliche Kontrolle, JuS 1995, 1; Ehlers Die Entscheidung der Kommunen für eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisation ihrer Einrichtungen und Unternehmen, DÖV 1986, 897; ders Rechtsverhältnisse in der 461 462

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467 468

Kritisch a Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, 197 f. BayVGH DÖV 1988, 301 f; BVerwG NVwZ 1998, 1080. Zu Ausnahmen im Rahmen von AVB OVG Rh-Pf NVwZ-RR 1996, 193. Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 198; allg zum Grundrechtsschutz privater Wirtschaftstätigkeit → Badura/Huber 3. Kap Rn 35 ff. BGHZ 40, 355, 365; BVerwG DÖV 1981, 917 mwN; aM OVG Nds DÖV 1978, 44. Zutreffend restriktiv OVG Thür NVwZ 1998, 871; BayVerfGH BayVBl 2005, 237 (städt Leichenhalle). BayObLG BayVBl 1985, 285; Erichsen Jura 1986, 196, 201. Einschränkend BbgOVG LKV 2004, 277 (atypische Ausnahmefälle). Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 559. BayVGH NVwZ 1983, 423 → JK GG Art 14 I/15; allg Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 723 f.

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1. Kap IX 1

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Leistungsverwaltung, DVBl 1986, 912; ders Verwaltung in Privatrechtsform, 1984; Erichsen Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, Jura 1986, 148 und 196; Frenz Europarechtliche Perspektiven kommunaler Dienste, DÖV 2003, 1028; ders Liberalisierung und Privatisierung der Wasserwirtschaft, ZHR 166 (2002) 307; Fischedick Die Wahl der Benutzungsform kommunaler Einrichtungen, 1986; Gassner Grenzen des Zulassungsanspruchs politischer Parteien zu kommunalen öffentlichen Einrichtungen, VerwArch 85 (1994) 533; Hünnekens/Kröcher Kein genereller Anschluss- und Benutzungszwang bei öffentlichen Anlagen zur Niederschlagswasserbeseitigung, NWVBl 2004, 88; Kiefer Befreiung von Anschluss- und Benutzungszwang durch Verwaltungsentscheidung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers?, NVwZ 2002, 1205; Koch Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, 1994; ders Schadlose Beseitigung von Abwässern durch öffentliche Einrichtungen, BayVBl 2002, 9; Roth Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, 1998; Schnapp Öffentliche Verwaltung und privatrechtliche Handlungsformen, DÖV 1990, 826; Schoch Privatisierung der Abfallentsorgung, 1992; Sevecke Neue Wege bei der privatwirtschaftlichen Finanzierung öffentlicher Einrichtungen, NordÖR 2003, 436; Storr Zwischen überkommener Daseinsvorsorge und Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, DÖV 2002, 357; Vollmer Inhalt und Umfang des Zulassungsanspruchs politischer Parteien zu den kommunalen öffentlichen Einrichtungen, DVBl 1989, 1087; Wagener Anschluß- und Benutzungszwang für Fernwärme, 1989.

IX. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden 1. Begriffe und Abgrenzungen 118 Als wirtschaftliche Betätigungen lassen sich alle diejenigen Tätigkeiten einer Gemeinde kennzeichnen, die auch von einem Privatunternehmer mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden könnten.469 Ob eine solche Konkurrenz im Einzelfalle tatsächlich besteht, ist nicht entscheidend. Der Vergleich mit der Privatwirtschaft soll auf den Tätigkeitsstil abheben (Rationalprinzip und kaufmännischer Geschäftsbetrieb). Die tatsächliche Gewinnerzielung ist ein häufiges, aber kein ausschlaggebendes Merkmal der kommunalen Wirtschaftstätigkeit.470 Wäre sie nur auf dieses Ziel gerichtet, fehlte ihr der legitimierende öffentliche Zweck (Rn 120).471 Damit ist freilich ein kritischer Punkt der aktuellen Kommunalpolitik angesprochen: Unter dem Druck der Finanzknappheit und in der Folge mancher Privatisierung versuchen nicht wenige Gemeinden, für ihre Betriebe neue lukrative Geschäftsfelder zu erschließen.472 Wenn man schon mit privater Konkurrenz rechnen müsse, dann – so lautet die Devise – müsse man seine Chancen am Markt umfassend nutzen und ausbauen dürfen. Das führt dazu, dass sich Gemeinden mit Aktivitäten beschäftigen, die mit ihren Aufgaben als Verwaltungsinstanzen wenig zu tun 469 470

471 472

90

Vgl zB § 100 I GO Bbg; § 107 I 3 GO NW; BVerwGE 39, 329, 333. Schmidt-Jortzig KomR, Rn 665; Knemeyer/Kempen in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 17 Rn 36 f. So ausdrücklich Art 87 I 2 GO Bay. Vgl nur die Auflistung bei Schink NVwZ 2002, 129: Betrieb einer Landschaftsgärtnerei, Elektroinstallationen, Gebäudeunterhaltung, Umzugs- oder Partyservice, Beteiligung an Verkehrsbetrieben im Ausland, Aktivitäten im Telekommunikationsgeschäft; neuerdings zB auch ein Online-Informationsportal Stapel-Schulz VBlBW 2003, 90.

Kommunalrecht

1. Kap IX 2 a

haben und die unter Umständen über ihr Hoheitsgebiet erheblich hinausgreifen. Kommunalwirtschaft und Kommunalwirtschaftsrecht sind in Bewegung geraten.473 Die Gemeindeordnungen sind gerade in diesem Bereich in den vergangenen Jahren erheblich umgestaltet worden. So zweifelhaft expansive kommunale Geschäftspolitiken sind, so legitim bleiben wirtschaftliche Tätigkeiten, mit denen die Gemeinden ihre Aufgaben in der Daseinsvorsorge wahrnehmen und für die sie den Schutz des Art 28 II GG beanspruchen können. Zwischen Leistungsverwaltung und wirtschaftlicher Betätigung bestehen Überschneidungen.474 Oft wird Daseinsvorsorge mit Hilfe wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinden wahrgenommen. Eine exakte Grenzziehung ist nicht möglich; denn das, was „auch von einem Privatunternehmer betrieben werden könnte“, wechselt mit der Zeit. Man denke nur an den öffentlichen Nahverkehr, der den Gemeinden in der Vergangenheit als Leistungsaufgabe zugewachsen ist. Manches hängt auch von den sozialen Anschauungen ab. Ebenso wenig schließen sich die Begriffe des kommunalen Wirtschaftsunternehmens und der öffentlichen Einrichtung (Rn 105) aus. Oft sind Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden (zB Stadtwerke) zugleich Träger öffentlicher Einrichtungen. Andere Unternehmen erfüllen zwar wichtige öffentliche Aufgaben, wie zB kommunale Wohnungsbaugesellschaften, sind aber einer für öffentliche Einrichtungen charakteristischen öffentlichen Nutzung nicht zugänglich. Gemeindliches Leistungsrecht (Rn 104 ff) und gemeindliches Wirtschaftsrecht betrachten die kommunalen Aktivitäten aus unterschiedlichen Richtungen: Dem ersten geht es um die Sicherung der öffentlichen Nutzung, dem anderen um Rahmenvorgaben gegenüber ungehindertem Wirtschaften der Gemeinden. Der letztere Aspekt wiederum ist ein Teil jenes großen Themenbereichs, der nach Zulässigkeit, Grenzen und Organisation der Wirtschaftstätigkeit des Staates fragt. Das ist zunächst ein Problem des Verfassungsrechts und des EG-Rechts.475 Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die kommunalrechtliche Seite des Problems, das freilich nicht ganz ohne Einbeziehung des höherrangigen Rechts betrachtet werden kann.476

2. Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen Die Rahmenvorgaben des Gemeindewirtschaftsrechts brauchen sich allerdings 119 nicht auf die kommunale Wirtschaftstätigkeit in ganzer Breite zu beziehen. Daher nehmen die meisten Gemeindeordnungen einige Gruppen von Unternehmen aus ihrem Regelungsbereich aus.477 Nicht den besonderen Schranken der wirtschaftlichen Betätigung unterliegen danach Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde 473 474

475 476 477

Britz NVwZ 2001, 380; Katz Gemeindehaushalt 2003, 1. → Badura/Huber 3. Kap Rn 122 ff; ferner Engel Grenzen und Formen mittelbarer Kommunalverwaltung, 1981. Löwer VVDStRL 60 (2001) 416; Storr Der Staat als Unternehmer, 91 u 255. Ehlers Gutachten, 33 ff u 68; Schmidt-Aßmann FS Ulmer, 1015. § 102 III GO BW; § 121 II GO Hess; § 68 II KV MV; § 108 III GO Nds § 107 II GO NW; § 85 III GO Rh-Pf; § 108 II KSVG Saarl; § 97 II GO Sachs; § 116 II GO S-Anh; § 101 IV GO Schl-H.

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1. Kap IX 2 b aa

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

gesetzlich verpflichtet ist (zB Abfallentsorgungsanlagen), Einrichtungen des Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitswesens, der Kunstpflege und Einrichtungen ähnlicher Art sowie Hilfsbetriebe, die ausschließlich der Deckung des gemeindeeigenen Bedarfs dienen (zB Stadtgärtnerei, Schlosserei für städtischen Busbestand). Auch diese Unternehmen sind nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen und es stehen für sie Organisationsformen des Gemeindewirtschaftsrechts (Rn 123) zur Verfügung.478 Auch sie dürfen, sofern für sie kein Wettbewerb gleichartiger Privatunternehmen besteht, niemandem Leistungen in Koppelungsgeschäften aufdrängen. Der Umstand jedoch, dass sie typischerweise auf eine Rentabilität verzichten und damit stärker der verwaltenden als der wirtschaftenden Tätigkeit zuzurechnen sind, ermöglicht es, sie von den besonderen Schranken kommunaler Wirtschaftstätigkeit auszunehmen.479 Dagegen sind den Gemeinden Bankunternehmen generell untersagt. Das öffentliche Sparkassenwesen richtet sich nach besonderen Vorschriften.480 b) Kommunalrechtliche Schrankentrias 120 Für die normalen Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden sehen die Gemeindeordnungen eine Schrankentrias vor, die bei vermehrten Abweichungen in Einzelpunkten einen auf § 67 der Deutschen Gemeindeordnung (1936) zurückgehenden gemeinsamen Standard erkennen lässt.481 aa) Öffentlicher Zweck: Errichtung, Übernahme und wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen sind nur zulässig, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt. Diese Vorschrift folgt unmittelbar aus der Verpflichtung aller staatlichen Tätigkeit auf das Gemeinwohl. Sie verdient es, künftig auch von kontrollierenden Aufsichtsbehörden und Gerichten ernster genommen zu werden. Jedenfalls gibt die reine Gewinnerzielung keinen öffentlichen Zweck ab,482 selbst wenn ein Ertrag für den Gemeindehaushalt eine willkommene (Neben-)Folge sein mag. Schon damit ist der kommunalen Suche nach „lukrativen“ Aktivitäten eine Grenze gesetzt. Freilich wird es in Zeiten weit gespannter staatlicher Strukturpolitiken den Gemeinden nicht schwer fallen, den Zweckbegriff über die traditionellen Bereiche der Daseinsvorsorge hinaus ua auf wettbewerbspolitische, wirtschaftsfördernde, arbeitsplatzsichernde Aktivitäten auszudehnen. Erleichtert wird das bisher durch die Rechtsprechung, die den Gemeinden bei der Zweckbestimmung 478

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92

Einschränkend zB § 70 KV MV u § 118 GO S-Anh: Privatrechtsform für nichtwirtschaftliche Unternehmen nur noch bei Beteiligung Dritter („Kooperationsmodell“). So soll für sie das Territorialitätsprinzip (vgl o Rn 15) nicht gelten, für NW OVG NW NZBau 2005, 167; NWVBl 2005, 133; zw. MwN Oebbecke VerwArch 93 (2002) 278; zu Fragen speziell der Anstaltslast Kemmler Die Anstaltslast, 2001, 119 ff. Zur Grundrechtsbindung der Sparkassen BGH NJW 2003, 1658 → JK GG Art 1 III/6. Gerke Jura 1985, 349, 351; Schink NVwZ 2002, 129, 130 ff; Knemeyer/Kempen in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 17 Rn 44 ff; Uechtritz/Otting in: Hoppe/Uechtritz (Hrsg), Hb Kommunale Unternehmen, § 6. Meyn Jura 1988, 116; Ehlers DVBl 1998, 497, 499; ders in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 1 Rn 31; Henneke NdsVBl 1998, 273 u 1999, 1; aM Otting DVBl 1997, 1258; ders Neues Steuerungsmodell und rechtliche Betätigungsspielräume der Kommunen, 1997, 112.

Kommunalrecht

1. Kap IX 2 b cc

eine Einschätzungsprärogative zuerkennt, die richterlicher Überprüfung weitgehend entzogen ist.483 Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe der Kommunen ist, Wettbewerbs- oder allgemeine Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, zumal solche Aktionen oft mit Eingriffen in die Rechtspositionen privater Konkurrenten verbunden sind. Auch unbestimmte Rechtsbegriffe sind ernst zu nehmen; ihre notwendige Kontrolle setzt voraus, dass die Gemeinde einer strikten Darlegungs- und Begründungspflicht unterworfen wird, wenn sie neue Tätigkeitsfelder besetzen will.484 Besonders umstritten ist, inwieweit Gemeinden auch außerhalb ihres Hoheitsgebietes wirtschaftlich aktiv werden dürfen.485 Einige Gemeindeordnungen nehmen heute dazu ausdrücklich Stellung, gestatten den Gemeinden dieses unter bestimmten Voraussetzungen, unter Umständen auch nur mit aufsichtsbehördlicher Genehmigung.486 Generell gilt: Die Wirtschaftstätigkeit der Gemeinden ist durch Art 28 II GG geschützt: als Verwaltung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Rn15), nicht als grundrechtlich fundierte Wirtschaftsfreiheit (Rn 30).487 Das setzt aber voraus, dass für gebietsübergreifende Tätigkeiten ein gemeindespezifischer Anknüpfungspunkt, zB aus grenznachbarschaftlicher Zusammenarbeit nachweisbar ist und die Interessen der betroffenen Gebietskörperschaften gewahrt werden.488 Anders gehen demokratische Legitimation und demokratische Kontrollierbarkeit kommunalen Handelns verloren; auch die Berufung auf die Grundfreiheiten ändert an diesem Befund nichts.488a bb) Leistungsfähigkeitsbezug: Gemeindliche Wirtschaftsunternehmen müssen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen. Diese Schranke dient dem Schutz der Gemeinde vor eigener Überaktivität. cc) sog Subsidiarität: Alle Gemeindeordnungen lassen Wirtschaftstätigkeiten der Gemeinden schließlich nur dann zu, wenn der Zweck – nach der Formulierung in einigen Ländern „nicht besser“, nach anderer Formulierung „nicht ebenso gut“ – durch einen anderen erfüllt werden kann.489 Die Textunterschiede haben zur Folge, 483

BVerwGE 39, 329, 334; Scholz DÖV 1976, 441; Hidien DÖV 1983, 1002. Knemeyer/Kempen aaO 45. 485 Kühling NJW 2001, 177; Gern NJW 2002, 2593; Gottschalk ThürVBl 2003, 25; Heilshorn Gebietsbezug der Kommunalwirtschaft, 2003; ders VerwArch 2005, 88; Tomerius Gemeindehaushalt 2004, 241; Uhlenhut Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden außerhalb ihres Gebiets, 2004; Scharpf NVwZ 2005, 148; a Burmeister/Staebe EuR 2004, 810. 486 Art 87 II GO Bay, § 121 V GO Hess, § 107 III GO NW, § 108 IV KSVG Saarl, § 116 III GO S-Anh, § 101 II GO Schl-H, § 71 IV ThürKO; zu letzterer Brenner LKV 2002, 7. 487 Pointiert Ruffert VerwArch 92 (2001) 27, 34: Die kommunale wirtschaftliche Betätigung ist nicht per se Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, sondern bedarf eines Bezuges zu den lokalen Aufgaben. Oebbecke ZHR 164 (2000) 375. 488 Ehlers DVBl 1998, 497, 504; Badura DÖV 1998, 818; Schink NVwZ 2002, 129, 135 f; Held in: Henneke Optimale Aufgabenerfüllung, 181; anders iS deutlicher Ausweitungen Wieland dort 193. 488a Knauff VR 2005, 145. 489 Vgl die Aufstellung bei Schink NVwZ 2002, 129, 130 f; auch § 121 I Nr 3 GO Hess; in § 107 I Nr 3 GO NW: „nicht besser und wirtschaftlicher“, zudem findet die Klausel nur außerhalb von bestimmten Versorgungsaufgaben Anwendung. 484

93

1. Kap IX 2 c

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

dass zu Schutzrichtung und Schutzintensität dieser Schranke einheitliche Aussagen nur mit großer Vorsicht getroffen werden können. Auch hier bleibt den Gemeinden ein nicht vollständig überprüfbarer Einschätzungsspielraum; auch hier muss aber mindestens verlangt und durchgesetzt werden, dass die Gemeinden Untersuchungen zur Marktsituation vorgenommen und Feststellungen getroffen haben, die sie plausibel begründen können. c) Konkurrentenschutz 121 Unbefriedigend geregelt ist bisher der Rechtsschutz privater Unternehmen gegen gemeindliche Konkurrenz.490 Auch hier hatte die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. 2. 1972 die Weichen falsch gestellt:491 Mangels eines subjektiv-rechtlichen Gehalts der genannten kommunalrechtlichen Schranken bleiben Unterlassungsklagen privater Unternehmer erfolglos.492 Auch eine grundrechtliche Argumentation führte bisher nur in Ausnahmefällen zum Ziel; denn grundsätzlich sollen Art 12 und 14 GG nicht vor Konkurrenz – auch nicht vor einer Konkurrenz der öffentlichen Hand schützen493; etwas anderes könne nur gelten, wenn es zu einem unerträglichen Verdrängungswettbewerb oder zur Ausbildung eines gesetzlich nicht abgesicherten Monopols käme. Die bisher insgesamt geringe Schutzintensität der kommunalwirtschaftlichen Sonderregeln hat die Auseinandersetzungen zwischen Kommunalwirtschaft und Privatwirtschaft aus dem Gemeindewirtschaftsrecht hinaus in das allgemeine Wirtschaftsrecht verlagert. Einschlägig sind hier vor allem das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Kartellgesetz (GWB).494 Die Streitfälle betreffen meistens nicht die Neuaufnahme, sondern Modalitäten gemeindlichen Wirtschaftens: Der Missbrauch amtlicher Autorität, die Ausnutzung amtlicher Kenntnisse, der zweckwidrige Einsatz öffentlicher Ressourcen – sie sind es, denen mit der Generalklausel des § 1 UWG begegnet werden kann.495 Für solche Wettbewerbsstreitigkeiten sind die Zivilgerichte selbst dann zuständig, wenn sich der Klageantrag gegen (schlicht-)hoheitliche Maßnahmen der öffentlichen Hand richtet.496 Einige oberlandesgerichtliche Entscheidungen sind noch darüber hinaus gegangen und haben in der Verletzung der kommunalrechtlichen Schranken als solche einen Verstoß gegen § 1 UWG gesehen.497 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob 490 491 492 493

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Dazu Ehlers Gutachten, 84 f; Schmidt-Aßmann FS Ulmer, 1015, 1023 ff. BVerwGE 39, 329, 336; nach wie vor in derselben Tendenz Pagenkopf GewArch 2000, 177. Schmidt-Jortzig KomR, Rn 692; Ehlers DVBl 1998, 497, 503; aM Gerke Jura 1985, 349, 355f. Vgl ferner BVerwG NJW 1978, 1539 f → JK GG Art 2 I/1 u 1995, 2938; VGH BW NJW 1995, 274 → JK GO BW § 102/2; mwN Pieroth/Hartmann DVBl 2002, 421, 422 f. Ulmer ZHR 46 (1982) 466, 474 ff; → Badura/Huber 3. Kap Rn 130. Ulmer ZHR 46 (1982) 466, 480; BGH GRUR 1965, 373; BGH NJW 1982, 2117 ff; NJW 2003, 752. BGHZ 66, 229; 67, 81; 121, 126; aM Schliesky Öffentliches Wettbewerbsrecht, 455; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn 286; Brohm NJW 1994, 281, 288. OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1470; OLG Hamm DVBl 1998, 792 → JK GO NW §107/1; ausf Uechtritz/Otting in: Hoppe/Uechtritz (Hrsg), Hb Kommunale Unternehmen, § 6 Rn 129 ff; krit Ehlers DVBl 1998, 497, 503; Tettinger NJW 1998, 3473.

Kommunalrecht

1. Kap IX 2 d

diese Vorschrift zur Sanktionierung von Marktzugangsregelungen herangezogen werden kann.498 Der Bundesgerichtshof hat dieser zivilgerichtlichen „Nothilfe“ im Urteil vom 25. 4. 2002 den Boden entzogen.499 Um so notwendiger wird es jetzt, dass der verwaltungsgerichtliche Konkurrentenschutz verstärkt wird: 500 Zum einen entspricht die bisher unzulängliche geringe Entfaltung der Art 12, 14 GG gegenüber Eingriffen durch staatliche Wirtschaftskonkurrenz nicht mehr dem Stand der allgemeinen Grundrechtsdogmatik.501 Aber auch die kommunalrechtlichen Klauseln der öffentlichen Zweckbindung und der Subsidiarität sind nach neuerem Verständnis als drittschützende Vorschriften zu interpretieren.502 Einiges deutet auf eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung hin.503 d) Europarecht Auch für die kommunale Wirtschaftstätigkeit gewinnt das EG-Recht zunehmend an 121a Bedeutung.504 Die öffentlichen Unternehmen müssen sich in das primärrechtliche Konzept der Wettbewerbswirtschaft einfügen. Obwohl die Grundlinie des EGV nicht in allen Punkten klar ist, wird doch deutlich, dass sich Gebietsmonopole, Quersubventionierungen und kommunale Sonderrechte auf dem Rückzug befinden. Art 16 und 86 II EGV (vgl auch Art 36 Europ Grundrechte-Charta) erkennen Dienste bzw Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zwar an, garantieren aber keine Besitzstände. Sie stehen der Einbeziehung der Kommunalwirtschaft in das allgemeine Regulierungsrecht nicht entgegen.505 Überkommene Strukturen stehen unter Transparenz- und Begründungszwängen: Für die Kommunalwirtschaft insgesamt beachtlich ist das EG-Kartellrecht der Art 81–86 EGV. Für die Wirtschaftsförderung durch Beihilfen, zu denen neben Subventionen auch 498

499

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Dafür Weidemann VerwArch 90 (1999) 533, 545 ff; Schünemann WRP 2000, 1001, 1008; dagegen Köhler GRUR 2001, 777, 780 f. BGHZ 150, 343 → JK UWG § 1/1; krit Diefenbach WiVerw 2003, 99; Scharpf GewArch 2004, 317; zust Heßhaus NWVBl 2003, 173; bestät BGHZ 156, 379, 390; NJW 2003, 586. Weiteren Schutz bietet uU das Vergaberecht, dazu Burgi NZBau 2003, 539. Dazu Storr Der Staat als Unternehmer, 93 ff; aM Pieroth/Hartmann DVBl 2002, 421. Henneke DVBl 2000, 997; Schink NVwZ 2002, 129, 138; Faßbender DÖV 2005, 89; Knemeyer/Kempen in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 17 Rn 55 ff; s a Schliesky JA 2001, 110; allg Faber DVBl 2003, 761; speziell zum Schädigungsverbot des Art 95 II GO Bay a Hösch GewArch 2000, 1, 5. VerfGH Rh-Pf NVwZ 2000, 801, 803 f (zu § 85 I Nr 3 GO Rh-Pf) → JK GG Art 28 II 1/25, zust Ruffert NVwZ 2000, 763, 764; OVG NW DVBl 2004, 133 → JK GO NW § 107 I/2 u NVwZ-RR 2005, 198, 199 → JK GO NW § 107 I 1/3; dazu Antweiler NVwZ 2003, 1466; Grooterhost/Törnig DÖV 2004, 685; Schliesky DVBl 2004, 138. „Drittschutzfreundlicher“ waren bislang schon manche Zivilgerichte zB OLG RhPf NVwZ 2000, 111; NVwZ 2000, 714; NVwZ 2002, 249. Gegen Drittschutz bei § 102 I Nr 3 GO BW dgg OLG Karlsruhe NVwZ 2001, 712, 713 → JK GO BW § 102/3; dazu Stehlin NVwZ 2001, 645; ferner VG Gießen NVwZ-RR 2005, 201. Dazu Hellermann Daseinsvorsorge, 66; Pielow Grundstrukturen, 41; Storr Der Staat als Unternehmer, 255; Burgi EuR 1997, 261; ders Der Landkreis 2003, 26; Weiß DVBl 2003, 564; R. Schmidt Staat 42 (2003) 225; Papier DVBl 2003, 686; Britz DV 37 (2004) 145. Zum Regulierungsrecht Storr aaO 411; Schliesky Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl 2003, 124 u 251 f.

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1. Kap IX 3

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

andere kommunale Maßnahmen wie spezielle Infrastrukturhilfen und Unternehmensbeteiligungen zählen, finden die Art 87–89 EGV Anwendung; auch für kommunale Beihilfen besteht danach zB die Notifikationspflicht.506 Allerdings fallen unter bestimmten Umständen Ausgleichszahlungen an Unternehmen, die mit gemeinwirtschaftlichen Leistungen betraut sind, nicht unter den Beihilfebegriff.506a Die gemeinwirtschaftlichen Tätigkeiten kommunaler Unternehmen sind einem Transparenzgebot unterworfen, um Quersubventionierungen aufdecken zu können.507 Für öffentliche Aufträge der Gemeinden ist das durch EG-Richtlinien europäisierte Vergaberecht der §§ 97ff GWB zu beachten.508

3. Privatisierung 122 Unter dem Stichwort der Privatisierung werden vier unterschiedliche Vorgänge zusammengefasst:509 Zum einen geht es darum, von der öffentlichen Hand bisher erfüllte öffentliche Aufgaben auf Private zu übertragen (materielle oder Aufgabenprivatisierung). Von Privatisierung spricht man aber auch dann, wenn die öffentliche Verwaltung Aufgaben, die sie bisher mit verwaltungseigenen Mitteln wahrgenommen hat, künftig von eigenen privatrechtsförmig organisierten Unternehmen wahrnehmen lässt (formelle oder Organisationsprivatisierung). In gewisser Weise „zwischen“ beiden liegt die funktionelle Privatisierung, bei bzw nach der Private als Verwaltungshelfer mit eigenständigen Beiträgen an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mitwirken.510 Die hier nicht weiter zu behandelnde vierte Form, die Privatisierung nicht mehr benötigter Vermögensgegenstände der öffentlichen Hand (Vermögensprivatisierung), ist vor allem ein Thema des Haushaltsrechts (Rn 133 ff); Übergänge können zwischen ihr und der kommunalen Baulandpolitik bestehen.511 Die Aufgabenprivatisierung ist eine Konsequenz der für die öffentliche Verwaltung stets gebotenen Aufgabenkritik. So hält § 100 III GO Bbg die Gemeinden aus→ Badura/Huber 3. Kap Rn 116. Zur Verwaltungspraxis (beschleunigte Genehmigung in Fällen geringeren Umfangs, Ausnahmen in Bagatellfällen) vgl die VO (EG) Nr 69/2001 der Kommission vom 12. 1. 2001 über die Anwendung der Art 87 u 88 EGV auf „De-minimis“-Beihilfen (ABl Nr L 10/30) u VO (EG) Nr 70/2001 der Kommission vom 12. 1. 2001 über die Anwendung der Art 87, 88 EGV auf staatliche Beihilfen an kleine u mittlere Unternehmen (ABl Nr L 10/33). 506a EuGHE 2001, 9067 (Rn 27) – Ferring; E 2003, 7747 (Rn 87 ff) – Altmark Trans; dazu Kämmerer NVwZ 2004, 28; Ronellenfitsch VerwArch 2004, 425; Lehr DÖV 2005, 542. 507 RL 80/723 EWG v 25. 6. 1980, ABl Nr L 193/35 geändert durch RL 2000/52/EG v 26. 7. 2000, ABl Nr L 193/75 (Transparenzrichtlinie); TranspRLG (BGBl 2001, S 2141); dazu Britz DVBl 2000, 1641. 508 Zum Stand der Praxis Vetter NVwZ 2001, 745; syst Burgi NVwZ 2001, 601. 509 Dazu Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 54 Rn 7–38; Schoch DÖV 1993, 377; ders DVBl 1994, 962; Bauer VVDStRL 54 (1995) 243, 251 f; ders DÖV 1998, 89; Gröpl in: Hoffmann/Kromberg/Roth/Wiegand (Hrsg), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, 99, 103; ferner J. Ipsen (Hrsg), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994. 510 Grundlegend Burgi Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999; zur Typologisierung und zu verwandten Erscheinungen (Public-Private-Partnership, gesellschaftliche Selbstregulierung ua) dort 71, 96. 511 Vgl OVG NW NJW 2001, 698 (Rechtswegfragen). 506

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1. Kap IX 4 a aa

drücklich dazu an, Leistungen, die von privaten Anbietern in mindestens gleicher Qualität und Zuverlässigkeit bei gleichen oder geringeren Kosten erbracht werden können, diesen Anbietern zu übertragen, sofern dies mit dem öffentlichen Interesse vereinbar ist. Aber auch ohne gesetzliche Verpflichtung sind die Gemeinden immer wieder aufgerufen, den überkommenen Bestand kommunaler Aufgaben zu überprüfen, sich gegebenenfalls von überkommenen Tätigkeiten zu trennen. Privatisierungsentscheidungen sind vorrangig ein Thema der kommunalen Politik; verfassungsrechtlich, zB durch Grundrechte, Demokratie- oder Sozialstaatsprinzip, Art 28 II GG,512 sind sie nur in sehr geringem Maße („allenfalls in Extremfällen“) gesteuert. Gesetzliche Grenzen können sich hinsichtlich der Durchführung der Privatisierung ergeben.513 Bei Leistungen, an deren ordnungsgemäßer und vollständiger Erbringung ein gesteigertes Interesse der örtlichen Gemeinschaft besteht, verbleibt allerdings bei der Gemeinde eine Überwachungs- und Einstandsverantwortung.514 Die Organisationsprivatisierung dagegen ist vor allem ein Problem der Benutzung der Organisationsformen des Kapitalgesellschaftsrechts und der Absicherung der kommunalen Einwirkungspflicht (vgl Rn 125).515

4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen a) Formenvielfalt Den Gemeinden stehen, um ihren wirtschaftlichen Unternehmen eine rechtliche 123 Form zu geben, zahlreiche Formtypen des öffentlichen und des privaten Rechts zur Verfügung,516 zwischen denen sie in begrenztem Umfang wählen können.517 In beiden Gruppen wiederum gibt es Formen, die ein unterschiedliches Maß an rechtlicher Verselbständigung des Unternehmens auszudrücken vermögen. aa) Unter den öffentlich-rechtlichen Formen ist der Regiebetrieb derjenige Typus, 124 der sich am engsten an die Gemeindeadministration anlehnt und organisatorisch nur eine Abteilung derselben bildet.518 Wirtschaftlich passt er nur noch für kleine Betriebseinheiten. Die Standardform dagegen soll der Eigenbetrieb sein, dessen besondere Position im Schnittpunkt wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit und kommunal-organisatorischer Anbindung durch das Eigenbetriebsrecht bestimmt wird; einige Gemeindeordnungen sehen neuerdings für eine weitergehende Verselbständi512

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Dazu Gröpl aaO 104 ff; v Mutius KomR, 24 ff; allg Kämmerer JZ 1996, 1042; Tomerius/Breitkreuz DVBl 2003, 426; Rennert JZ 2003, 385; Britz Verw 37 (2004) 145. Zur Frage der Vergabepflichtigkeit vgl Otting VergabeR 2002, 11; ders BWGZ 2002, 134; vgl a Schroeder EWS 2002, 174; zu Konsequenzen für die Gebühren Wiesemann NVwZ 2005, 391. Burgi NVwZ 2001, 601; Britz Verw 37 (2004) 145. v Vitzthum AöR 104 (1979) 580; Knemeyer/Kempen in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 17 Rn 30; Mayen DÖV 2001, 110. Überblick bei Schmidt-Jortzig KomR, Rn 695 ff; Hauser Wahl, 2 ff; Erbguth/Stollmann Stadt und Gemeinde, 1994, 127. Zu Fragen der Mitbestimmung in Betrieben der Gemeinden Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 1 Rn 21 ff; zu Haftungsfragen Parmentier DVBl 2002, 1378. Allgemein dazu Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 2 Rn 42 ff. Pagenkopf KomR Bd 2, 160 f.

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1. Kap IX 4 a bb

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gung in öffentlich-rechtlicher Rechtsform das selbständige Kommunalunternehmen als Anstalt des öffentlichen Rechts vor (Rn 126). Eigene Rechtsfähigkeit besitzen die kommunalen Sparkassen. Sie sind Anstalten öffentlichen Rechts nach Maßgabe der Sparkassengesetze. Daneben finden sich als Körperschaften öffentlichen Rechts zuweilen Zweckverbände (Rn 150 ff),519 für die die Anwendung des Eigenbetriebsrechts satzungsmäßig vorgesehen werden kann. bb) Von den privatrechtlichen Formen sind vor allem die Aktiengesellschaft und 125 die GmbH im kommunalen Alltag häufig anzutreffen.520 Kaum zugänglich ist den Gemeinden demgegenüber die Form der OHG, weil das Kommunalrecht eine gemeindliche Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmen nur dann zulässt, wenn die Haftung begrenzt ist. Vielfach betreiben Gemeinden Kapitalgesellschaften nicht allein (Eigengesellschaften), sondern als Beteiligungsgesellschaften entweder mit anderen Verwaltungsträgern (gemischt-öffentlich) oder mit Privatpersonen (gemischtwirtschaftlich) zusammen. Das Gemeinderecht macht es den Gemeinden zur Pflicht, sich einen entsprechenden Einfluss auf die Willensbildung solcher Gesellschaften zu sichern: Einwirkungspflicht.521 Das hat in den üblichen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftrechts zu geschehen, das durch das Kommunalrecht der Länder nicht abgeändert werden kann.522 Die GmbH bietet hierzu bessere Voraussetzungen als die Aktiengesellschaft, deren Vorstand grundsätzlich nicht an Weisungen gebunden werden kann. Einige Gemeindeordnungen schreiben wegen dieser Steuerungsschwächen vor, dass die Gemeinden vorrangig die Form des Eigenbetriebs oder wenigstens nur nachrangig die Form der Aktiengesellschaft wählen dürfen. Bisher haben solche Vorrangklauseln jedoch wenig praktische Erfolge gehabt. Die Organisationsformen des Privatrechts üben nach wie vor eine erhebliche Faszination auf Kommunalpolitiker aus, die sich dabei freilich um einen Teil ihres Einflusses bringen können. Die nachträglich ansetzende Einwirkungspflicht jedenfalls wäre missverstanden, wenn sie im Sinne weitestmöglicher „Gleichschaltung“ interpretiert würde. Bei Beteiligungsgesellschaften scheiterte eine solche Vorstellung schon an der Rücksichtnahmepflicht gegenüber anderen Gesellschaftern; aber auch Eigengesellschaften sind Bewegungsräume eigenständiger Entscheidungen nicht generell verwehrt.523

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Dazu Ehlers DVBl 1997, 137. Knemeyer/Kempen in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 17 Rn 78 ff. Dazu nur Spannowsky DVBl 1992, 1072; Gersdorf Öffentliche Unternehmen, 222; Ehlers Gutachten, 107 ff, 111. Vgl a § 116 a NdsGO; § 112 III GO NW; § 99 SächsGO; § 75 a ThürKO. Barbey WiVerw 1978, 77, 94; Nesselmüller Einwirkungsmöglichkeiten, 91 ff mwN; Püttner Die öffentlichen Unternehmen, 235 ff; Brenner AöR 127 (2002) 222, 223 f; Altmeppen NJW 2003, 2561; Will VerwArch 94 (2003) 248; Häußermann Die Steuerung der kommunalen Eigengesellschaft, 2004; Strobel DÖV 2004, 477; dies DVBl 2005, 77. Zur Diskussion um ein eigenes „Verwaltungsgesellschaftsrecht“ Brenner aaO, 234 f; R. Schmidt ZGR 1996, 345; Ehlers in: Erichsen/ders, AllgVwR, § 2 Rn 77; v Danwitz, AöR 120 (1995) 595; Kraft Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1992, 231 ff. Zu Problemen Püttner DVBl 1986, 748; Schmidt-Aßmann Ordnungsidee, Kap 5 Tz 48 ff.

Kommunalrecht

1. Kap IX 5 a

b) Eigenbetrieb, Kommunalunternehmen Mit ihnen stellt das Kommunalrecht zwei öffentlich-rechtliche Sonderformen für 126 wirtschaftliche Tätigkeiten zur Verfügung. Der Eigenbetrieb ist nicht-rechtsfähig.524 Rechtlich bleibt die Gemeinde Träger von Rechten und Verbindlichkeiten, die aus den Geschäften des Eigenbetriebs folgen. Organisatorisch und finanzwirtschaftlich ist der Eigenbetrieb jedoch deutlich von der Gemeindeverwaltung abgesetzt. Die interne Organisationsstruktur ist im Rahmen des Eigenbetriebsrechts durch eine Betriebssatzung zu regeln. Geführt wird der Eigenbetrieb durch die Werksleitung. Der Werksausschuss, der ein Ausschuss des Gemeinderats ist, stellt die Verbindung zwischen politischer Führung und ökonomischer Betriebstätigkeit her. Er beschließt über die wichtigeren Angelegenheiten des Betriebs, sofern nicht eine Vorbehaltsaufgabe des Rates vorliegt. Das Kommunalunternehmen ist als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert.525 Damit verbindet es die Vorzüge eigener Rechtsfähigkeit im Wirtschaftsverkehr mit der Möglichkeit, auch hoheitlich handeln zu können. Die Gemeinden können die Rechtsverhältnisse der Anstalt durch Satzung weiter ausgestalten. Sie können der Anstalt dabei auch eine begrenzte eigene Satzungsgewalt übertragen. Die Anstalt wird vom Vorstand eigenverantwortlich geleitet. Kontrollorgan ist ein Verwaltungsrat, dem neben dem Bürgermeister als Vorsitzenden weitere vom Gemeinderat für eine feste Amtszeit bestellte Mitglieder angehören.

5. Kommunale Verträge a) Die Bedeutung vertraglichen Handelns In vielen Bereichen gehen die Kommunen dazu über, ihre Leistungen in Zusam- 126a menarbeit mit Privaten zu erbringen: Stadtreinigung und Abfallentsorgung, Öffentlicher Nahverkehr, soziale Dienstleistungen, die Bewirtschaftung der Immobilien oder Energieversorgung sind nur einige Beispiele für kommunale Aufgaben, die auf Veranlassung oder unter Mitwirkung der Gemeinden ganz oder teilweise durch Private erbracht werden können.526 Die Grundlage für eine solche Zusammenarbeit bildet regelmäßig ein privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag.527 Die Verwendung dieses Instruments verändert die Steuerungsmöglichkeiten der kommunalen Lei524

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Die Rechtsgrundlagen für die Führung der Eigenbetriebe finden sich nur zum Teil und mit unterschiedlicher Ausführlichkeit in den jeweiligen GOen. Die nähere Ausgestaltung ist jeweils einem Eigenbetriebsgesetz bzw -verordnung überlassen. Zum Ganzen H. Schraffer Der kommunale Eigenbetrieb, 1993; Bolsenkötter/Dau/Zuschlag Gemeindliche Eigenbetriebe und Anstalten, 5. Aufl 2004; Lindl BayVBl 2002, 298. Art 89–91 BayGO; §§ 113 a–g NdsGO; § 114a GO NW, §§ 86 a, 86 b GO Rh-Pf, § 116 I 1 GO S-Anh; § 106a GO Schl-H. Knemeyer in: Henneke Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, 131; Mann NVwZ 1996, 557; ders Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft; Pielow FS K. Ipsen, 2000, 275; Ehlers ZHR 167 (2003) 546. Zur Verwaltungsaktsbefugnis SächsOVG SächsVBl 2004, 286. Hoffmann-Klein/Noch DÖV 2002, 422; Fehling DV 34 (2001) 25; Kruhl NZBau 2005, 121; Jaeger FS Jürgen F. Baur, 2002, 455. Zur öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Qualifikation solcher Verträge Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 24 Rn 2 ff; Maurer, AllgVwR, § 14 Rn 8 ff.

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1. Kap IX 5 b

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tungsorgane, aber auch die Rechtsstellung der Empfänger kommunaler Leistungen; es hat damit Auswirkungen auf die Bedingungen kommunaler Demokratie und zieht grundrechtliche wie rechtsstaatliche Folgen nach sich528. b) Vertragsschlussverfahren 126b Die Verträge sind in der Regel mit finanziellen Leistungen der Kommune an den Vertragspartner verbunden; daher können sie in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen (s u). Das EG-Beihilferecht (o Rn 121a) ist ebenfalls zu beachten.529 Die Zuständigkeit zum Vertragsschluss richtet sich nach allgemeinem Kommunalrecht (o Rn 78). Vergabe öffentlicher Aufträge: Das Vergaberecht findet gem § 99 I GWB Anwen126c dung auf „entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen“ über Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen.530 Grundsätzlich zählt hierzu jeder (öffentlich- oder privatrechtliche) 531 Vertrag eines bestimmten Umfangs, den eine Kommune mit einem Dritten über Lieferungen, Bau- oder Dienstleistungen abschließt. Hierunter fallen auch – für die Struktur der kommunalen Verwaltung besonders bedeutsam – Verträge mit gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften, an denen die Kommune beteiligt ist 532, ja unter bestimmten Umständen sogar solche mit Eigengesellschaften; 533 auch die interkommunale Zusammenarbeit ist davon betroffen (dazu u Rn 156 f).534 Überschreitet ein öffentlicher Auftrag einen bestimmten Umfang („Schwellenwerte“, § 100 I GWB), hat dem Vertragsschluss ein transparentes, diskriminierungsfreies Vergabeverfahren im Wettbewerb voranzugehen (§ 97 I GWB).535 Das wird zumeist eine öffentliche Ausschreibung des Vertrages erfordern (§ 101 I GWB). Die anschließende Auswahl des Vertragspartners steht der Kommune nicht frei; vielmehr hat sie sich in der Regel für das wirtschaftlichste Angebot zu entscheiden (§ 97 V GWB). Auf die Einhaltung dieser Vergabebestimmungen haben die Bieter ein subjektives Recht (§ 97 VII GWB); daher kann ein übergangener Bieter die Vergabeentscheidung in einem speziellen Rechtsschutzverfahren überprüfen lassen.536 Außerdem sind mit dem Vergabeverfahren Verfahrensfehlerfolgen verbunden.537 528 529 530 531 532

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Burgi DVBl 2003, 949. Pünder NZBau 2003, 530; Koenig NVwZ 2003, 779; Koenig/Pfromm NZBau 2004, 375. Dazu → Badura/Huber 3. Kap Rn 132. Burgi NZBau 2002, 57. EuGH NVwZ 2005, 187 – Stadt Halle; hierzu Hausmann/Bultmann NVwZ 2005, 377; Wirner LKV 2005, 293; Riese/Suermann LKV 2005, 289; Faber DVBl 2001, 248, 255 f; Portz BWGZ 2000, 191, 197; umfassend Gröning ZIP 2001, 497; Jaeger NZBau 2001, 6; restriktiver unter Verweis auf die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen Kämper/Heßhaus StädteT 5/2000, 36, 40 f. BGHZ 148, 55; dazu Röhl JuS 2002, 1053. Schröder NVwZ 2005, 25; Flömer/Tomerius NZBau 2004, 660; Dietlein NZBau 2003, 141; Kersting/Siems DVBl 2005, 477; Burgi NZBau 2005, 208; Steiff NZBau 2005, 205; vgl a EuGH NVwZ 2005, 431. Zum Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte Dreher NZBau 2002, 419; Freitag NZBau 2002, 204. §§ 102 ff GWB. ZB bei Verstößen gegen die Informationspflicht des § 13 VergabeV; BGH NJW 2004, 2092.

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Obendrein besteht ein Schadensersatzanspruch des unterlegenen Bieters aus culpa in contrahendo sowohl bei unterlassenem wie bei fehlerhaftem Vergabeverfahren.538 c) Vertragsdurchführung Werden Verträge – wie typischerweise – auf längere Zeit geschlossen,539 muss sich 126d die Kommune Überwachungs-, Einfluss- und evtl auch Modifikationsrechte einräumen lassen, um sicherstellen zu können, dass die kommunale Aufgabe dauerhaft ordnungsgemäß erfüllt wird.540 Dazu sind zunächst Mitteilungs- und Auskunftspflichten des Vertragspartners gegenüber der Kommune erforderlich.541 Auf dieser Grundlage kann die Einhaltung des öffentlichen Zwecks überprüft und können mögliche Änderungen gemeindlicher Politik gegenüber dem Vertragspartner durchgesetzt werden. Auch für die Beendigung des Vertrages muss Vorsorge getroffen werden, indem Regelungen etwa über das Schicksal möglicher Investitionen des Vertragspartners festgelegt werden.542 Spezialliteratur Badura Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze, DÖV 1998, 818; Berg Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen – kommunale Selbstverwaltung und Wettbewerb, WiVerw 2000, 141; Brenner Gesellschaftsrechtliche Ingerenzmöglichkeiten von Kommunen auf privatrechtlich ausgestaltete kommunale Unternehmen, AöR 127 (2002) 222; Burgi Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999; ders Verwalten durch öffentliche Unternehmen im europäischen Institutionenwettbewerb, VerwArch 93 (2002) 255; ders Perspektiven kommunaler Wirtschaftstätigkeit im europäischen Rechtsrahmen, Der Landkreis 2003, 26; Cronauge/Westermann Kommunale Unternehmen, 4. Aufl 2003; Ehlers Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft, DVBl 1998, 497; Engellandt Die Einflußnahme der Kommunen auf ihre Kapitalgesellschaften, 1995; Erbguth/Schlacke Zur gemeindewirtschaftsrechtlichen Zulässigkeit kommunaler Wirtschaftsförderung in Nordrhein-Westfalen, NWVBl 2002, 258; Erichsen Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, 1987; ders Die Vertretung der Kommunen in den Mitgliederorganen von juristischen Personen des Privatrechts, 1990; Faiß ua Kommunales Wirtschaftsrecht in Baden-Württemberg, 2002; Fischer/Grittmann Ablieferungspflicht von Vergütungen für Aufsichtsratstätigkeiten in kommunalen Unternehmen?, VBlBW 2004, 324; Fuest/Kroker/Schatz Die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen und die Daseinsvorsorge, 2002; Gaß Die Umwandlung gemeindlicher Unternehmen, 2003; Gassner/ Schön Die Rechtsfragen der Haftung kommunaler Aufsichtsratsmitglieder, BayVBl 2004, 449; 538 539

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BGH NJW 1993, 520; NJW 1998, 3636. Zu den unterschiedlichen Modellen der Aufgabenübertragung Th. Bauer BayVBl 1990, 292; Tettinger DÖV 1996, 764; H. Bauer VerwArch 90 (1999) 561. Dazu die gesetzlichen Vorgaben zB in §§ 78 b SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe), §§ 75 ff SGB XII (Sozialhilfe); zu vertraglichen Regelungen H. Bauer VVDStRL 54 (1995) 241, 274 ff; Brüning Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben, 1997, 163 ff; Burgi NVwZ 2001, 601, 606; ders in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 54 Rn 34. Allgemein Voßkuhle VVDStRL 62 (2003) 266, 320 ff. H. Bauer DÖV 1998, 89, 94 f. Zu den sog Heimfallklauseln Th. Bauer BayVBl 1990, 292, 296; H. Bauer DÖV 1998, 89, 95 f, dort auch zu besonderen Kündigungsklauseln; zu § 46 (13 aF) EnWG Gersemann/ Trurnit DVBl 2000, 1101.

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1. Kap IX 5 c

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Gerke Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, Jura 1985, 349; Gersdorf Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000; Grawert Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, FS Blümel, 1999, 119; Greiling Öffentliche Trägerschaft oder öffentliche Bindung von Unternehmen?, 1996; Hauser Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, 1987; Henneke (Hrsg), Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, 1998; ders (Hrsg), Optimale Aufgabenerfüllung im Kreisgebiet?, 1999; ders (Hrsg), Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, 2000; ders Neuregelung des Rechts der öffentlichen Unternehmen im Spannungsfeld von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb, Der Landkreis 2002, 644; Hidien Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und „öffentlicher Zweck“ kommunaler wirtschaftlicher Wirtschaftsunternehmen, 1981; Hille Grundlagen des kommunalen Beteiligungsmanagements, 2003; Hoppe/Uechtritz (Hrsg), Handbuch Kommunale Unternehmen, 2004; Hösch Die kommunale Wirtschaftstätigkeit, 2000; ders Wirtschaftliche Betätigung von gemeindlichen Unternehmen und von Privaten, WiVerw 2000, 159; Jarass Kommunale Wirtschaftsunternehmen und Verfassungsrecht, DÖV 2002, 489; Katz Kommunale Wirtschaft (Öffentliche Unternehmen zwischen Gemeinwohl und Wettbewerb), 2004; Kluth Grenzen kommunaler Wettbewerbsteilnahme, 1988; ders Eingriff durch Konkurrenz, WiVerw 2000, 184; Koch Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, 1994; ders Kommunale Unternehmen im Konzern, DVBl 1994, 667; Kraft Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1982; Löwer Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001) 416; Mann Die öffentlichrechtliche Gesellschaft, 2002; Nesselmüller Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden auf ihre Eigengesellschaften, 1977; Oebbecke Die örtliche Begrenzung kommunaler Wirtschaftstätigkeit, ZHR 164 (2000) 375; Nickel/Kopf Public Private Partnership – Ein Ausweg aus der Finanzkrise der Kommunen?, ZfBR 2004, 9; Otting Neues Steuerungsmodell und rechtliche Betätigungsspielräume der Kommunen, 1997; Pagenkopf Einige Betrachtungen zu den Grenzen für privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden – Grenzen für Grenzzieher?, GewArch 2000, 177; Pfeifer Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung kommunaler Aktiengesellschaften, 1991; Pieroth/Hartmann Grundrechtsschutz gegen wirtschaftliche Betätigungen der öffentlichen Hand, DVBl 2002, 421; Pitschas/Ziekow (Hrsg), Kommunalwirtschaft im Europa der Regionen, 2004; Püttner Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl, 1985; ders Neue Regelungen für öffentliche Unternehmen?, DÖV 2002, 731; Reichard (Hrsg), Kommunen am Markt, 2001; Rennert Kommunalwirtschaft und Selbstverwaltungsgarantie, DV 35 (2002) 319; ders Der Selbstverwaltungsgedanke im kommunalen Wirtschaftsrecht, JZ 2003, 385; Riese/Suermann Kommunale Unternehmen und öffentliche Aufträge, LKV 2005, 289; Ruffert Grundlage und Maßstäbe einer wirkungsvollen Aufsicht über die kommunale wirtschaftliche Betätigung, VerwArch 92 (2001) 27; ders Kommunalwirtschaft und Landesverfassung, NVwZ 2000, 763; Schlacke Konkurrentenklage gegen Wirtschaftstätigkeit von Gemeinden, JA 2002, 48; Schliesky Öffentliches Wettbewerbsrecht, 1997; ders Vom kommunalen Wirtschaftsrecht zum Öffentlichen Wettbewerbsrecht, NdsVBl 2005, 113; Schmid Vorlage- und Genehmigungspflicht im Gemeindewirtschaftsrecht, SächsVBl 2002, 221; ders Rechtswirkung von Genehmigungsvorbehalten im Kommunalen Wirtschaftsrecht, SächsVBl 2004, 96; Schmidt-Aßmann Verfassungsschranken der Kommunalwirtschaft FS Ulmer, 2003, 1015; Schmidt-Aßmann/Ulmer Die Berichterstattung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Gebietskörperschaft nach § 394 AktG, BB 1988, Beil Nr 13; Schnaudigel Der Betrieb nichtwirtschaftlicher kommunaler Unternehmen in Rechtsformen des Privatrechts, 1995; Schoch Der Beitrag des kommunalen Wirtschaftsrechts zur Privatisierung öffentlicher Aufgaben, DÖV 1993, 377; Steffen Das wirtschaftliche Handeln der Kommunen auf dem Prüfstand, 2001; Stehlin/Gebhardt Public Private Partnership – ein Modell für Kommunen, VBlBW 2005, 90; Stober/Vogel (Hrsg), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2000; Storr Der Staat als Unternehmer, 2001; Tettinger Public Private Partnership, Möglichkeiten und Grenzen, NWVBl 2005 1; Tietje Die Neuordnung des Rechts wirtschaftlicher Betätigung und privat-

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Kommunalrecht

1. Kap X 1

rechtlicher Beteiligung der Gemeinden, 2002; Wessel Energieversorgung als wirtschaftliche Betätigung kommunaler Gebietskörperschaften im Lichte der Selbstverwaltungsgarantie, NVwZ 2002, 1083; Wirner Nachprüfung von de-facto-Vergaben und In-house-Vergaben, LKV 2005, 293; Wolf Kontrolle kommunaler Unternehmen, GewArch 1999, 177; ders Die Anstalt des öffentlichen Rechts als Wettbewerbsunternehmen, 2002.

X. Finanzen und Haushalt Die Grundelemente der gemeindlichen Finanzhoheit, die Abgaben-, Ertrags- und 127 Verwaltungshoheit (Rn 23 ff), haben ihre einfachgesetzlichen Konkretisierungen im kommunalen Finanzsystem (1) und Haushaltsrecht (2) gefunden. Das Finanzwesen ist heute der eigentlich neuralgische Punkt im Spannungsfeld von Staat und Selbstverwaltung, von Verfassungsrecht und Verwaltungsrealität. So richtig es ist, die Gewährleistung eines hinlänglichen Finanzaufkommens in den Garantiebereich der Finanzautonomie (Art 28 II GG) einzubeziehen (Rn 27), so wenig ist es bisher gelungen, ein Finanzsystem zu finden, das die Gemeinden in einer der Konnexität von Aufgaben und Ausgabenverantwortung entsprechenden Art am öffentlichen Finanzaufkommen beteiligt (Rn 27 a).543 Vor diesem Hintergrund sind die Angaben zum gemeindlichen Finanzsystem zu sehen, die folgendes Schaubild verdeutlichen kann.544

1. Gemeindefinanzsystem In das Gesamtaufkommen der von Gemeinden und Gemeindeverbänden erzielten 128 Einnahmen (2003: 142 Mrd €) teilen sich die Haupteinnahmearten folgendermaßen: Steuern (48,6 Mrd €); Gebühren und Beiträge (16,5 Mrd €); Finanzzuweisungen von Bund und Ländern (36,8 Mrd €).545 Insbesondere bei den Gewerbesteuereinnahmen hat die Steuerreform zu erheblichen Ausfällen geführt. Für die einzelne Gemeinde kann die individuelle Finanzsituation durch vorgegebene spezifische Belastungs- und Begünstigungsfaktoren – aber auch durch eine behutsame oder aber durch eine zu leichtfertige Haushaltspolitik früherer Jahre – besser oder schlechter aussehen, als es die Durchschnittswerte der Statistiken indizieren. Weitere Einnahmen erwachsen den Gemeinden aus ihrer Wirtschaftstätigkeit, aus privatrechtlichen Leistungsentgelten, aus Konzessionsabgaben,546 aus dem Verkauf gemeindlichen Vermögens oder aus Kreditaufnahmen. Für die Einnahmebeschaffung legen die meisten Gemeindeordnungen eine Rangfolge fest.547 Die nachfolgenden

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Vorschläge für eine umfassende Kommunalfinanzreform in Form der Ersetzung der Gewerbesteuer durch eine Kommunalsteuer konnten sich bislang nicht durchsetzen. Vgl BT-Drucks 15/1247; 15/1729; Pl.-Pr. 15/67, S. 5788 c; BT-Drucks 15/3232. Systematisch Henneke Jura 1986, 568; ders Finanzwesen, Rn 721 ff; Kasper VR 2005, 109; Schwarz in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 106 Rn 99. Angaben bei Karrenberg/Münstermann StädteT 1/2004, 6 ff. ZB nach § 48 (14 aF) EnWG für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen mittels Benutzung gemeindlicher Verkehrswege durch Versorgungsunternehmen; vgl Ehlers/Pünder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger BesVwR I, § 4 Rn 46 ff. Dazu Gern DtKomR, Rn 675 ff.

103

1. Kap X 1 a aa

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Ausführungen heben nur die wichtigsten typischen Einnahmequellen hervor, ohne sich an dieser Rangfolge auszurichten. a) Steuereinnahmen 129 aa) Unter den Steuereinnahmen der Gemeinden machen die Realsteuern etwa ein Drittel aus. Realsteuern sind die Gewerbesteuer und die Grundsteuer (§ 3 II AO). Beide Steuern, deren Ertragshoheit prinzipiell bei den Gemeinden liegt (Art 106 VI 1 1. Hs GG), werden aufgrund eines Bundesgesetzes erhoben. Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist seit 1. 1. 1998 nur noch der Gewerbeertrag, nicht mehr das Gewerbekapital.548 Den Gemeinden ist das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze Hebesätze festzusetzen. Sie haben dadurch die Möglichkeit, in begrenztem Umfange die Steuerlast ihrer Einwohner in Abstimmung mit ihrem Finanzbedarf gemeindespezifisch zu bestimmen. Allerdings wird sich eine Gemeinde hüten, den Höchstrahmen des Hebesatzrechts bei der Gewerbesteuer auszunutzen, weil sie damit den Fortzug von Gewerbebetrieben riskiert. Das Gemeindefinanzierungssystem

Nicht hoheitliche Einnahmen

Abgaben

Originäre Einnahmequellen

Zweckzuweisungen

Bedarfszuweisungen

Gebühren Beiträge

Benutzungsgebühren

Umsatzsteueranteil Einkommensteueranteil Realsteuern örtl. Verbrauchs- u. Aufwandssteuern

Vermögensveräußerungserlöse

Konzessionsabgaben

Vermögenserträge

Steuern

Finanzzuweisungen

Schlüsselzuweisungen

Privatrechtliche Erträge und Entgelte

Verwaltungsgebühren

Kredite

Hoheitliche Einnahmen

Zuweisungen

(nach H. G. Henneke, Das Gemeindefinanzsystem, Jura 86, 573) 548

§ 6 GewerbesteuerG idF der Bekanntmachung v 15. 10. 2002 (BGBl I 4167); zul geänd d Art 4 G v 15. 12. 2004 (BGBl II 1653).

104

Kommunalrecht

1. Kap X 1 a bb

Ein zweiter bedeutsamer Teil des gemeindlichen Steueraufkommens ist der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer gem Art 106 V GG.549 Nach dieser Vorschrift erhalten die Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner einen Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer. Die Höhe des Anteils ist durch das GemeindefinanzreformG 550 auf zur Zeit 15 % festgesetzt. Auch diese Einnahme entspringt einer originären gemeindlichen Ertragshoheit; sie ist keine Finanzzuweisung.551 Weiterhin steht den Gemeinden am Aufkommen der Umsatzsteuer gem Art 106 Va GG ein Anteil zu. Diese Neuregelung ist als Kompensation für die weggefallene Gewerbekapitalsteuer gedacht.552 Demgegenüber spielen die in Art 106 VI 1 2. HS GG den Kommunalkörperschaften weiterhin zugewiesenen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern nur eine untergeordnete Rolle.553 Diese auf Landesgesetzen (Art 105 II a GG) beruhenden sog kleinen Gemeindesteuern oder Bagatellsteuern (zB Getränke-, Hunde-, Jagd-, Speiseeis- und Vergnügungssteuer) machen insgesamt nur ca 2 % des gemeindlichen Steueraufkommens aus. Für die einzelne Gemeinde wiederum können einzelne dieser Steuerarten gleichwohl interessant sein. Das haben die Auseinandersetzungen um die Zweitwohnungssteuer gezeigt.554 Auch als Lenkungssteuer kommen diese Abgaben grundsätzlich in Betracht. Wie das Bundesverfassungsgericht für die kommunale Verpackungssteuer ausgeführt hat, darf der Steuergesetzgeber dabei jedoch nur insoweit in die Kompetenz des Sachgesetzgebers eingreifen, als die Lenkung weder der Gesamtkonzeption der sachlichen Regelung noch konkreten Einzelregelungen zuwiderläuft.555 bb) Können sich die Gemeinden durch Satzung nicht auch ohne bundes- oder 130 landesgesetzliche Grundlage weitere Steuerquellen erschließen? Diese Frage nach einem gemeindlichen Steuererfindungsrecht ist schon aus rechtsstaatlichen Gründen zu verneinen: Die Erhebung von Steuern stellt rechtsdogmatisch einen Eingriffsvorgang dar, der besonderer Grundlage im parlamentarischen Gesetz bedarf. Nur der staatliche Gesetzgeber kann den Gemeinden daher Steuerquellen erschließen. Die Generalermächtigungen der Gemeindeordnungen zum Erlass von Satzungen reichen dazu nicht aus (Rn 95 ff). Auch eine Gesetzesklausel, derzufolge die Ge-

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551 552 553 554

555

Dazu Lenz HkWP Bd 6, 141 ff. IdF der Bekanntmachung v 4. 4. 2001 (BGBl I 482), zul geänd d Art 8 XII des BilanzrechtsreformG v 4. 12. 2004 (BGBl I 3166). Kirchhof HkWP Bd 6, 2, 19; Henneke Jura 1986, 568, 574. Dazu Hidien KStZ 1998, 101; ders DVBl 1998, 617. Kirchhof HkWP Bd 6, 2, 21; Bayer HkWP Bd 6, 156, bes 200 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit der Zweitwohnungssteuer BVerfGE 65, 325 → JK GG Art 105 II a/1, Engelbrecht KommunalPraxisBY 2004, 244; zu Einzelfragen BVerfG (K) NVwZ 1996, 57; BVerwGE 99, 303; BVerwG NVwZ 2001, 440; OVG NW NVwZ-RR 2001, 54; FG Bremen NVwZ-RR 2001, 56; ThürOVG DÖV 2004, 254; BVerwG NVwZ 2005, 589. Zur Jagdsteuer BVerwG DÖV 1991, 464 f. Zur Hundesteuer BVerwGE 110, 265; OVG Rh-Pf NVwZ-RR 1997, 735 u NVwZ 2001, 228; HessVGH NVwZ-RR 2004, 213. Zur Spielautomatensteuer BVerfG (K) NVwZ 1997, 573; NVwZ 2001, 1264; BVerwG DÖV 1998, 734; BVerwG NVwZ 2000, 932, 933 u 936; BVerwG NVwZ 2004, 1128. BVerfGE 98, 106; vgl o Rn 95.

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1. Kap X 1 c

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

meinden ganz allgemein zur Erhebung von Steuern ermächtigt werden, genügt den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht; Art und Umfang des Steuerzugriffs müssen deutlicher erkennbar sein.556 Außerdem ist das Gleichartigkeitsverbot des Art 105 II a GG zu beachten. b) Gebühren und Beiträge557 131 Gebühren sind Gegenleistungen für besondere administrative Tätigkeiten (Verwaltungsgebühren) oder für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen (Benutzungsgebühren). Sie können nicht völlig unabhängig von den tatsächlichen Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgelegt werden;558 doch soll eine zB an sozialen Gesichtspunkten ausgerichtete Staffelung zulässig sein.559 Beiträge sind Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes für die Herstellung und Erweiterung öffentlicher Einrichtungen dienen. Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung dieser Abgaben finden sich teilweise in Spezialgesetzen, zB in §§ 127 ff BauGB für Erschließungsbeiträge, im Übrigen in den KommunalabgabenG (KAG) der Länder.560 Auf ihrer Grundlage müssen die Gemeinden den Kreis der Abgabenschuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab uä generell-abstrakt in Gebühren- oder Beitragssatzungen festlegen: Satzungsvorbehalt.561 Die Differenzierung zwischen Einwohnern und ortsfremden Benutzern wird vom Bundesverwaltungsgericht für den besonderen Fall einer nicht kostendeckend betriebenen Musikschule als zulässige Subventionierung der eigenen Einwohner gerechtfertigt.562 Für das konkrete Erhebungsverfahren sehen die KAG der Länder in weitem Umfang eine analoge Anwendung des Verfahrensrechts der AO 1977 vor.563 c) Finanzzuweisungen 132 In diese Gruppe gemeindlicher Einnahmen gehören zum einen spezielle Zuweisungen aufgrund besonderer Investitionsprogramme (zB Art 104 a IV GG) oder besonderen Titels (zB Art 106 VIII GG). Vor allem aber sind es Zuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs.564 Der Kern des Instituts liegt in der Pflicht der Länder, gem Art 106 VII GG von ihrem Gesamtanteil an den Gemeinschaftsteuern (Abs 3) einen bestimmten Hundertsatz den Kommunen und Kommunalverbänden 556

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Schwarz in: Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 106 Rn 116 f; teilw gemeindefreundlicher Waldhoff FS Vogel, 495. Zu den Definitionen vgl zB §§ 4 II, 8 II KAG NW; F. Kirchhof in: Achterberg/Püttner/Würtenberger BesVwR II, § 20 Rn 233 ff. BVerfGE 108, 1, 18 ff → JK GG Art 70/3. So BVerfGE 97, 332, 344 ff, BVerwGE 108, 188, 193 ff: Kindergartengebühren; krit Brohm FS Knöpfle, 57. Einzelheiten bei Gern DtKomR, Rn 973 ff. VGH BW NVwZ-RR 1997, 123 → JK KAG § 2/1; HessVGH NVwZ-RR 2000, 55; OVG Nds NVwZ-RR 2004, 777. BVerwGE 104, 60; zu europarechtlichen Grenzen EuGHE 2003, 721 → JK EGV Art 49/7. Gern DtKomR, Rn 1006. Henneke Öffentliches Finanzwesen, Rn 777 ff; Inhester Finanzausgleich, 25; Schwarz in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 107 Rn 26, 34 ff.

106

Kommunalrecht

1. Kap X 2

weiterzugeben.565 Manche Landesverfassungen erweitern diesen Ansatz um zusätzliche Ausgleichstatbestände oder normieren eine allgemeine Finanzausgleichspflicht. Insgesamt ist das Institut heute als ein integraler Teil der gemeindlichen Finanzautonomie anerkannt. Seine Ausgestaltung im Einzelnen ist Sache des Landesgesetzgebers. Das Ergebnis muss ein aufgabengerechter Finanzausgleich sein. Darüber sind in jüngerer Zeit zahlreiche Prozesse vor den Landesverfassungsgerichten geführt worden.566 Wesentliche Ausgabensteigerungen bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben der Kommunen müssen bei der Bemessung des Finanzausgleichs erkennbar berücksichtigt werden.567 Auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse in dem jeweiligen Land ist Rücksicht zu nehmen; doch darf der Finanzausgleich die Finanzkraftunterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden nur mildern, nicht aber völlig abbauen: „Nivellierungsverbot“.568 Die Finanzausgleichsgesetze der einzelnen Länder sind demgemäß komplizierte Rechenwerke, die wegen ihres deutlichen Maßnahmen- und Situationsbezuges fortgesetzt der Änderung bedürfen. Die Ausgleichsmasse wird zum wesentlichen Teil von dem jeweiligen Land (vertikaler F.), zu einem kleineren Teil von den Gemeinden selbst (horizontaler F.) aufgebracht. Bei der Vergabe wird zwischen allgemeinen und zweckgebundenen Zuweisungen unterschieden: Allgemeine Zuweisungen (Schlüssel-Z., Bedarfs-Z.) stehen den Gemeinden zu freier Verwendung. Ihre Höhe richtet sich ua nach der Steuerkraft der einzelnen Gemeinde. Zweckzuweisungen sind in der Verwendung gebunden. Sie dienen zum Teil dem Sonderlastenausgleich (zB Schulwesen, ÖPNV, Straßen), zum anderen Teil der Steuerung der öffentlichen Infrastrukturpolitik und werden wie andere staatliche Investitionszuschüsse teilweise nur unter sehr genauen Dotationsauflagen vergeben.569

2. Haushaltsrecht Der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen die Gemeinden ihre Einnahmen- und 133 Ausgabenhoheit auszuüben haben, ist das gemeindliche Haushaltsrecht. Das Haushaltsrecht gibt dem kommunalen Finanzgebaren Struktur (Übersichtlichkeit, Stabilität, Überprüfbarkeit). Rechte und Pflichten Dritter begründet es dagegen idR nicht;570 so folgt die Befugnis zur Abgabenerhebung aus den Abgabengesetzen, nicht aus

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Zur Rolle der Gemeinden im Bundesfinanzausgleich vgl BVerfGE 101, 158, 229 f; §§ 7, 8 MaßstäbeG v 9. 9. 2001 (BGBl I 2302), § 3 des als Art 5 des SolidarpaktfortführungsG v 20. 12. 2001 (BGBl I 3955) ergangenen FAG. VerfGH NW NVwZ-RR 1989, 493 u NVwZ 1994, 68; StGH BW DVBl 1994, 206 u DVBl 1998, 1276; SächsVerfGH LKV 2001, 223; NdsStGH DVBl 2001, 1159 (LS); LVerfG MV SächsVBl 2005, 25 (LS); weitere Nachw bei Mandelhartz/Neumeyer DÖV 2000, 103; Henneke Der Landkreis 2002, 180 u 2004, 166; Schwarz ZKF 2002, 242. NdsStGH DVBl 1998, 185 → JK Verf. Nds Art 57 IV/2; VGH BW DÖV 2003, 953; Schoch Finanzautonomie, 181 ff. NdsStGH DVBl 1995, 1175, 1178; Inhester Finanzausgleich, 158; vgl a BVerwGE 106, 280, 287. Dazu Gern DtKomR, Rn 672. Ausnahmen hiervon zB für die Festsetzung der Steuersätze in der Haushaltssatzung.

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1. Kap X 2 a

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

dem Haushaltsrecht. Die haushaltsrechtlichen Abschnitte der Gemeindeordnungen 571 und die dazugehörigen Verordnungen der Länder 572 sind dem durch das HaushaltsgrundsätzeG von 1969 vereinheitlichten Haushaltsrecht für Bund und Länder nachgebildet (§§ 1, 48 HGrG).573 Die Fortentwicklung des HGrG zur Stärkung einer dezentralen Ressourcenverantwortung (Gesetz v 22. 12. 1997, BGBl I 3251) veranlasst zur Umgestaltung auch des gemeindlichen Haushaltsrechts.574 a) Haushaltssatzung, Haushaltsplan 134 Im Zentrum des Gemeindehaushaltsrechts steht die Pflicht der Gemeinde, eine Haushaltssatzung zu erlassen. Die Haushaltssatzung enthält die Festsetzung des Haushaltsplanes unter Angabe des Gesamtbetrages der Einnahmen und Ausgaben, der vorgesehenen Kreditaufnahmen und Verpflichtungsermächtigungen; außerdem legt sie den Höchstbetrag der Kassenkredite und die jährlich neu festzusetzenden Steuersätze fest. Für einzelne Teile der Haushaltssatzung bestehen aufsichtsbehördliche Genehmigungsvorbehalte (Rn 47). Für das Aufstellungsverfahren kann (zB BW, NW) eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen sein. Wichtigster Teil der Haushaltssatzung ist der Haushaltsplan. Er hat die im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen und zu leistenden Ausgaben zu enthalten. Seine Gliederung in einen Verwaltungs- und einen Vermögenshaushalt, in Gesamtplan und Einzelpläne (einschl eines Stellenplanes), werden durch die Gemeindehaushaltsverordnungen (GemHVO) im Einzelnen vorgegeben.575 Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Seine Erarbeitung durch die Gemeindeverwaltung (Kämmerer) und den Haushaltsausschuss des Rates ist regelmäßig ein schwieriger kommunalpolitischer Abstimmungsprozess. Das bisherige kameralistische Haushaltsrecht kann mit seinen Grundsätzen 576 (Vorherigkeit, Einnahmen- und Ausgabentrennung, Spezialität, Vollständigkeit etc) nur einen sehr weitgesteckten rechtlichen Rahmen bieten, während seine realen Steuerungswirkungen sehr beschränkt sind. Schritte, um zu stärkerer Kostentransparenz und zu einem sparsamen Umgang mit den verfügbaren Mitteln zu gelangen, sind eingeleitet worden, zB durch erweiterte Möglichkeiten der Übertragbarkeit und Deckungs-

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§§ 77 ff GO BW; Art 61 ff GO Bay; §§ 74 ff GO Bbg; §§ 92 ff GO Hess; §§ 42 a ff KV MV; §§ 82 ff GO Nds; §§ 75 ff GO NW; §§ 93 ff GO Rh-Pf; §§ 82 ff KSVG Saarl; §§ 72 ff GO Sachs; §§ 90 ff GO S-Anh; §§ 75 ff GO Schl-H; §§ 53 ff ThürKO. Weitere Nachw bei Grupp in: Achterberg/Püttner/Würtenberger BesVwR II, § 19 Rn 14 ff. Die Gemeindehaushaltsverordnungen (GemHVO), Gemeindekassenverordnungen (GemKVO) der Länder. Vgl die Darstellung von Fuchs HkWP Bd 6, 399 ff; Depiereux Gemeindehaushaltsrecht, 3 ff, 25 ff; allg Grupp aaO § 19 Rn 20 ff. Bals in: Henneke (Hrsg), Steuerung der kommunalen Aufgabenerfüllung, 97; Pünder DÖV 2001, 70; ferner Gröpl NVwZ 1998, 1251; Hill DÖV 2001, 793. Zu Experimentierklauseln, zB § 138 GO Nds, Grzeszick DV 30 (1997) 545; Brüning DÖV 1997, 278. Dazu Fuchs HkWP Bd 6, 399, 402 ff; mit Anschauungsmaterial Gern DtKomR, Rn 686 ff; Pünder Haushaltsrecht, 67 ff. Zu diesen Grundsätzen im Haushaltsrecht Grupp in: Achterberg/Püttner/Würtenberger BesVwR II, § 19 Rn 36 ff; Freytag Gemeindehaushalt 1995, 275.

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Kommunalrecht

1. Kap X 2 b

fähigkeit von Haushaltsansätzen.577 Einzelne Bundesländer haben damit begonnen, die sog Doppik (Doppelte Buchführung in Konten) einzuführen.577a b) Haushaltsvollzug Mit dem Inkrafttreten der Haushaltssatzung ist die Gemeindeverwaltung ermäch- 135 tigt, die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben zu tätigen bzw die vorgesehenen Verpflichtungen einzugehen.578 Die veranschlagten Einnahmen hat sie nach den Maßstäben des materiellen Rechts (zB Abgabenrecht, Vertragsrecht) hereinzuholen sich zu bemühen.579 Die Abwicklung der Geldgeschäfte im Einzelnen ist durch die Gemeindekassenverordnungen rechtlich geregelt. Nach Abschluss des Haushaltsjahres ist die Verwaltung zur Rechnungslegung verpflichtet, an die sich die örtliche und überörtliche Rechnungsprüfung580 anschließt. Spezialliteratur Bals/Hack Neues Kommunales Finanzmanagement, FiWi 2001, 95, 143, 215, 283, 2002, 6; Ernst Wissen wir überhaupt, was wir tun – Die kamerale Nachbetrachung eines kommunalen kaufmännischen Rechnungsabschlusses, Stadt und Gemeinde 2004, 180; Flach Kommunales Steuerfindungsrecht und Kommunalaufsicht, 1998; Henneke Das Gemeindefinanzierungssystem, Jura 1986, 568; ders Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl 2000; ders (Hrsg), Steuerung der kommunalen Aufgabenerfüllung durch Finanz- und Haushaltsrecht, 1996; ders Landesfinanzpolitik und Verfassungsrecht, 1998; ders Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder 3. Aufl 1998; Inhester Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998; F. Kirchhof Empfehlen sich Maßnahmen, um in der Finanzverfassung Aufgaben- und Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zusammenzuführen?, Gutachten für den 61. DJT 1996; Mohl Die Einführung und Erhebung neuer Steuern aufgrund des kommunalen Steuererfindungsrechts, 1982; ders Bestand und Fortentwicklung der kommunalen Finanzhoheit, KStZ 2002, 28; Patzig/Traber Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, Lsbl; Pencereci Tafelsilberveräußerung und Kommunalabgabenrecht, LKV 2003, 407; Pünder Haushaltsrecht im Umbruch, 2003; ders Der „doppische“ Kommunalhaushalt – ein neuer Rechnungsstil für eine neue Kommunalverwaltung, Der Landkreis 2005, 18; Quaas Kommunales Abgabenrecht, 1997; Rehm Kommunale Finanzwirtschaft, 2003; Schmid Die Gemeinden und ihre Finanzen, BWGZ 2004, 582; Schumacher/ Bergmann Kommunalhaftung, 3. Aufl 2002; Schwarz Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996; ders Verfassungsgerichtsbarkeit und kommunale Finanzausstattung, ZKF 2002, 242; Thiem Allgemeines kommunales Abgabenrecht, 1985; Wolff Bedarfsgerechte Strukturen der Kreiseinnahmen, 1990; Wallerath (Hrsg), Kommunale Finanzen im Bundesstaat, 2003. 577

Freytag Gemeindehaushalt 1995, 275; weitergehend Held/Zakrzewski Gemeindehaushalt 1999, 145; Bittig/Fudalla/zur Mühlen Gemeindehaushalt 2002, 29. 577a Mit Beschluss vom 23. 11. 2003 verabschiedete die Innenministerkonferenz einen neuen Leittext zur Gemeindehaushaltsverordnung, in dem die Doppik empfohlen wurde, vgl dazu Pünder Haushaltsrecht, 321 ff; Frischmuth ZKF 2004, 57; Reif BWGZ 2004, 225; ders BWGZ 2004, 600; Wagenführer GemH 2003, 7. So ist zB in Hess die Doppik fakultativ eingeführt, § 92 III iVm §§ 114a ff GO; in NW ist sie bis zum 1. 1. 2009 einzuführen, §§ 75 ff GO NW; § 1 NKF EinführungsG NW. 578 Fuchs HkWP Bd 6, 399, 413. 579 Zu Abgabensatzungen Ecker BayVBl 2001, 709. 580 Dazu Siedentopf HkWP Bd 6, 52 ff.

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1. Kap XI 1 a

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XI. Das Recht der Landkreise (Kreise) 136

Alle Flächenländer kennen oberhalb der Gemeindeebene einen weiteren kommunalen Verwaltungsträger, den Kreis (Landkreis). Ursprünglich eine Organisationsform des ländlichen Raumes, haben sich die Kreise mittlerweile weit in die Randzonen der Verdichtungsgebiete vorgeschoben. Kreisangehörig sind heute nicht nur kleine Landgemeinden, sondern in manchen Ländern auch Städte, die die Schwelle von 100 000 Einwohnern längst überschritten haben. Die Kreise sind rechtsfähige kommunale Verwaltungseinheiten mit dem Status der Gebietskörperschaft. Sie sind Gemeindeverbände, deren Mitglieder jedoch nicht die kreisangehörigen Gemeinden, sondern die wahlberechtigten Kreiseinwohner sind. Rechtsstellung, Aufgabenerfüllung, Organisation und Handlungsformen ähneln daher denjenigen der Gemeinden und brauchen im Rahmen eines Grundrisses nur kurz erläutert zu werden. Außerdem ist das Gebiet des Kreises zugleich das Gebiet der unteren (allgemeinen) Verwaltungsbehörde (Rn 149). Die meisten Kreisordnungen heben diese Doppelung kreiskommunaler und staatlicher Aufgabenwahrnehmung schon in den Einleitungsbestimmungen deutlich hervor und folgen dann einer Gliederung, die sich ausführlicher zunächst mit dem Kreis als Kommunalkörperschaft und in einem späteren Teil mit Organisationsfragen der staatlichen Verwaltung im Kreis(gebiet) beschäftigt.

1. Grundgesetzliche Rechtsstellung Nach Art 28 II 2 GG haben auch die Gemeindeverbände im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Aus dieser Vorschrift folgt eine Garantie auch der kreiskommunalen Selbstverwaltung, die der gemeindlichen Garantie zwar nicht an Schutzintensität, wohl aber im Aufbau vergleichbar ist (Rn 13). a) Rechtssubjektsgarantie 137 Die erste Garantieebene ist auch hier eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie. Die Elemente der eigenen Rechtsfähigkeit und der körperschaftlichen Organisation folgen schon aus dem Begriff des Gemeindeverbandes. Vom Wortlaut her nicht eindeutig ist dagegen, ob der garantierte Gemeindeverband die typusbestimmenden Merkmale gerade des Kreises aufweisen muss oder aber auch das Gepräge eines anderen „Gemeindeverbandes“ (Rn 150 ff) tragen könnte. Die Antwort ergibt sich jedoch, nimmt man Art 28 I 2 GG hinzu. Wenn dort die unmittelbare Volkswahl außer für die Länder und die Gemeinden nur noch für die Kreise zur Pflicht gemacht wird, so zeigt das, dass die Verfassung gerade auf diesen Typus eines Gemeindeverbandes gesteigertes Gewicht legt. Wenn also in Art 28 II 2 GG wenigstens eine Gemeindeverbandsebene institutionell garantiert wird, so kann das nur ein am Typus des Kreises ausgerichteter Verband sein.581 581

So a Löwer in: v Münch/Kunig, GG II, Art 28 Rn 83 mwN; ähnlich Tettinger in: v Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 28 Rn 240 f. Zur Regionalkreisbildung Meyer LKV 2005, 233.

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Kommunalrecht

1. Kap XI 2 a

b) Rechtsinstitutionsgarantie Die Frage nach dem notwendigen Aufgabenbestand und der Art der Aufgaben- 138 erfüllung ist Gegenstand der Institutionsgarantie des Selbstverwaltungsrechts. Die Verfassung sagt, es sei auch den Gemeindeverbänden, allerdings nur „im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenkreises“, gewährleistet. Der Gesetzgeber kann den überkommenen Aufgabenbestand der Landkreise wesentlich nachhaltiger umgestalten als denjenigen der Gemeinden.582 Sicherlich muss er den Kreisen so viele Aufgaben zuweisen, dass eine Selbstverwaltung mit eigener, unmittelbar gewählter politischer Legitimationsbasis lohnt. Im Übrigen aber ist der Garantiegehalt des Art 28 II 2 GG geringer als der des gemeindlichen Aufgabenkreises, dem „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ von Verfassungs wegen zugeschrieben sind (Rn 14 ff). Die Garantie der Selbstverwaltung der Kreise umfasst die Allzuständigkeit nicht. Daher setzt sich das gemeindespezifische Aufgabenverteilungsprinzip (Rn 32 ff) zugunsten der Gemeinden auch gegenüber den Landkreisen durch:583 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft dürfen daher nur aus spezifischen Gemeinwohlgründen auf die Landkreise übertragen („hochgezont“) werden; das Zugriffsrecht auf noch unbesetzte Aufgaben liegt bei den Gemeinden. Von diesen Besonderheiten der kreislichen Aufgabengarantie abgesehen, gilt für die eigenverantwortliche Wahrnehmung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und für die gesetzliche Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit der Landkreise dasselbe, was für die gemeindliche Garantie beachtlich ist (Rn 13). Das trifft auch für die Rechtsetzungs-, Personal-, Organisations- und Finanzhoheit zu, ohne die eine kreisliche Selbstverwaltung nicht möglich ist.584 Zu einer integralen Raumplanungshoheit dagegen haben es die Kreise bisher nicht gebracht. Im verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Schutz ihrer Rechte stehen die Kreise den Gemeinden nicht nach.

2. Aufgaben der Kreise Bei der Sichtung der Kreisaufgaben stellen sich zwei rechtliche Probleme. Zum einen geht es um die Typisierung des staatlichen Einflusses (a). Zum anderen bereitet die Verteilung der Aufgaben zwischen dem Kreis und seinen Gemeinden Schwierigkeiten, wenn eine gesetzliche Zuweisung nicht getroffen ist (b). a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung Hier greifen die Länder in ihren Kreisordnungen auf die aus dem Gemeinderecht be- 139 kannten Gliederungsmodelle zurück: 585 Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen folgen einem 582

583 584

585

BVerfGE 83, 363, 383. Vgl Lusche Die Selbstverwaltungsaufgaben der Landkreise, 1998, 71 ff. Enger Henneke ZG 2002, 72. BVerfGE 79, 127, 150 f → JK GG Art 28 II/17. BbgVerfGH NVwZ-RR 1999, 90 (Finanzhoheit und Kreisumlage); Henneke DVBl 2003, 282; ders Der Landkreis 2003, 268; Schink DVBl 2003, 417; Schneider NWVBl 2003, 121. Vgl die Darstellung von Seele in: Der Kreis Bd 3, 387 f.

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1. Kap XI 2 b bb

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Dualismus von Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten. BadenWürttemberg, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und SchleswigHolstein halten es dagegen mit dem Monismus der freien und pflichtigen Selbstverwaltungs- sowie der Weisungsaufgaben. Die dogmatischen Konsequenzen für die staatliche Aufsicht und den Rechtsschutz der Kreise sind dieselben wie bei den Gemeinden (Rn 41– 49). Daneben spielen für die Verwaltung im Kreis staatliche Sonderbehörden und die Tätigkeit der Kreisverwaltung als untere staatliche Verwaltungsbehörde eine wichtige Rolle (Rn 149). b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden 140 Sie ist zunächst ein Problem gesetzlicher Zuweisung und hat sich dabei an den aufgezeigten Verfassungsmaßstäben zu orientieren (Rn 138). Wo eine spezielle gesetzliche Zuweisung jedoch nicht vorliegt, wie das für die freien Selbstverwaltungsaufgaben gilt, ist eine Verteilungsregel in den aufgabenrechtlichen Generalklauseln zu suchen, wie sie sich in allen Kreisordnungen finden.586 Dabei entstehen schwierige Abgrenzungsfragen: So unbestreitbar es ist, dass die Kreise ihre sog Existenzaufgaben (eigenes Organisations-, Personal- und Finanzwesen) müssen wahrnehmen können, so deutlich wird, dass bei den eigentlichen Sachaufgaben, um die Kreise und Gemeinden konkurrieren, mit den Grundsätzen der Priorität oder mit einer spezifischen Gebietsbezogenheit (Regionalprinzip) nicht weiterzukommen ist. Zur Systematisierung hat sich eine Dreiteilung der Aufgaben eingebürgert, deren tragende Begriffe im Lichte der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine gemeindefreundliche, verfassungskonform restriktive Auslegung verlangen.587 aa) Übergemeindlich sind Aufgaben, die sich kraft Natur der Sache einer einzel141 gemeindlichen Wahrnehmung entziehen. Als Beispiele genannt werden die Überwachung der Luftverschmutzung sowie Bau und Unterhaltung von Kreisstraßen. Bei diesen Aufgaben stehen Elemente einer (auch) örtlichen Relevanz eindeutig im Hintergrund; den Garantiebereich der gemeindlichen Selbstverwaltung berühren sie folglich allenfalls am Rande. bb) Ergänzende Aufgaben sind demgegenüber solche, die jedenfalls manche 142 kreisangehörigen Gemeinden wegen geringer Leistungsfähigkeit nicht wahrnehmen können. Gerade hier ist freilich Vorsicht geboten. Im Streitfall rechtfertigen bloße Wirtschaftlichkeitsüberlegungen oder das Bestreben, ein einheitliches Leistungsund Kostenniveau im Kreis zu schaffen, die Ausübung dieser Kompetenz nicht; anderes gilt nur, wenn ein Belassen der einzelgemeindlichen Aufgabenwahrnehmung zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führte.588 Ein verfassungskonform bestimmter Bestand ergänzender Kreisaufgaben variiert folglich von Kreis zu 586

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§ 2 I KrO BW; Art 4 I LKrO Bay; § 2 I 1 LKrO Bbg; § 2 I KrO Hess; § 89 I, II KV MV; § 2 I KrO Nds; § 2 I KrO NW; § 2 I 1 LKO Rh-Pf; § 140 KSVG Saarl; § 2 I LKrO Sachs; § 2 I LKrO S-Anh; § 2 I KrO Schl-H; § 86 I, II ThürKO. Henneke Aufgabenzuständigkeit, 41 ff; ausf Lusche Selbstverwaltungsaufgaben 107; restriktiver Schmidt-Jortzig DÖV 1993, 973, 981 f; Wimmer NVwZ 1998, 28. Zu organisatorischen Konsequenzen vgl Pinski Der Gemeindeausschuß im „Gemeindeverband Landkreis“, 2001. So für die gesetzliche Aufgabenzuweisung BVerfGE 79, 127, 158 → JK GG Art 28 II/17.

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Kommunalrecht

1. Kap XI 3

Kreis und oft auch innerhalb des Kreises. Was eine große kreisangehörige Stadt gut allein erfüllen kann, geht über die Kraft kleinerer Gemeinden des gleichen Kreises hinaus. Deshalb begründet der Ergänzungsfall oft keine das gesamte Kreisgebiet umfassende Kompetenz des Kreises. Zuweilen wird hier auch ein Vorrang zweckverbandlicher Erledigung oder eine andere Ausprägung einer einfachgesetzlichen Subsidiarität von den Kreisordnungen ins Spiel gebracht.589 cc) Ausgleichende Aufgaben sind Kreisaufgaben, die sich in der Unterstützung 143 einzelgemeindlicher Aufgabenerfüllung erschöpfen. So einfach die Ausgleichsfunktion aus dem Solidargedanken zu begründen sein mag, so streitig ist ihr Umfang. Sicher gehören technische Verwaltungshilfen in ihren Rahmen.590 Ob der Kreis aber zum Ausgleich unterschiedlicher Verwaltungskraft einzelner Gemeinden außerdem Finanzhilfen gewähren darf, ist streitig – streitig deshalb, weil ein solcher Ausgleich Geld kostet, das zu erheblichen Teilen über die Kreisumlage von anderen Gemeinden aufgebracht werden muss. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in der Entscheidung vom 24. 4. 1996 bejaht.591 Die Kommunalgesetze ermächtigen die Kreise zwar zur Erhebung einer Kreisumlage und geben dazu gewisse Bemessungsgrundlagen vor; doch darf das Institut nicht zu einer nachhaltigen Verkürzung der gemeindeeigenen Finanzbasis führen.592 dd) Kompetenz-Kompetenz: Trotz der genannten Systematisierungen sind Kreis- 144 und Gemeindeaufgaben nach materiellem Recht oft nicht exakt zu trennen. Die meisten Kreisordnungen 593 sehen daher zusätzlich einen Verfahrensmechanismus vor, die Kompetenz-Kompetenz. In mehr oder weniger ausgeprägtem Umfange wird den Kreisen damit das Recht eingeräumt, gewisse Gemeindeangelegenheiten – vor allem solche im Grenzbereich der Ergänzungsaufgaben – durch Kreistagsbeschluss verbindlich zur Kreisangelegenheit zu erklären. Zum Schutz der Gemeinden sind besondere Kautelen, zB qualifizierte Mehrheiten bei der Beschlussfassung, vorgesehen. Gegen den Willen der betroffenen Gemeinden darf dieses Mittel nur in Fällen eines ganz außer Verhältnis stehenden Kostenanstiegs angewandt werden.

3. Organe des Kreises Der innere Aufbau der Kreise ist durch ihre gebietskörperschaftliche Natur geprägt. 145 Mitglieder des Kreises sind seine wahlberechtigten Einwohner, nicht die kreisangehörigen Gemeinden, deren Gebiet das Kreisgebiet ausmacht. Folglich ist der 589 590 591

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ZB § 2 I 1 LKrO Bbg; § 89 II 1 KV MV; § 2 I 3 KrO NW. Zur Rechtsberatung der Gemeinden durch den Kreis BGH DÖV 2000, 822. BVerwGE 101, 99; a BVerwG NVwZ 1998, 63 u 66; ferner HessVGH DVBl 1999, 840; OVG Nds DVBl 1999, 842; OVG Rh-Pf DVBl 1999, 846; a BVerfG (K) DVBl 1999, 840; dazu Anm Henneke DVBl 1999, 850. Henneke NVwZ 1996, 1181; Ehlers DVBl 1997, 225; abl Schwarz NVwZ 1996, 1182. Zur Genehmigungspflicht, der Kreise bei der Festlegung der Kreisumlage unterliegen, VerfGH NW NVwZ-RR 1997, 249; Schoch Die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Kreisumlage, 1995; ferner BbgVerfG DVBl 1998, 1290; Henneke NdsVBl 2005, 145. § 2 II KrO BW; § 4 I, II LKrO Bbg; § 19 KrO Hess; § 3 II KrO Nds; § 2 III KrO Rh-Pf; § 143 III, IV KSVG Saarl; § 21 KrO Schl-H. Nach Art 52 LKrO Bay, § 89 III KV MV u § 87 III ThürKO nur auf Antrag der betroffenen Gemeinden.

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1. Kap XI 3 c

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

Kreis unitarisch organisiert. Die Gemeinden sind an der Verwaltung des Kreises nicht beteiligt.594 Das zentrale Entscheidungsgremium ist der aus direkten Wahlen (Art 28 I 2 GG) hervorgegangene Kreistag. Ihm stellen alle Kreisordnungen ein monokratisches Konkretionsorgan gegenüber, den Landrat. Außerdem sehen die meisten Länder einen Kreisausschuss vor. a) Kreistag 146 Er besteht aus den gewählten Repräsentanten der Kreiseinwohner (Kreisverordnete, Kreistagsabgeordnete), die ehrenamtliche Mandatsträger sind.595 Das Verfahren der Entscheidungsfindung läuft nach den aus dem Gemeinderecht vertrauten Regeln kollegialer Willensbildungsorgane ab (Rn 59). Stärker noch als der Gemeinderat ist der Kreistag auf die Entscheidung nur der bedeutsamen Angelegenheiten festgelegt. Innerhalb dieses Rahmens nehmen die nicht delegierbaren Vorbehaltsaufgaben einen besonderen Rang ein. Zu ihnen zählen ua der Erlass von Kreisrecht, wichtige Organ- und Personalentscheidungen, der Erlass der Haushaltssatzung und die Festsetzung der Kreisumlage. Jenseits dieses Kerns sind Entscheidungsaufgaben auf die anderen Kreisorgane allgemein oder für den Einzelfall delegierbar. Teilweise haben die Kreisordnungen daraus auch eigene Kompetenzbereiche der anderen Organe gebildet. b) Landrat 147 Er ist der Hauptverwaltungsbeamte des Kreises.596 Durch den Kreistag wird er in Baden-Württemberg und Brandenburg, in den anderen Ländern dagegen wird er direkt vom Volk gewählt; in beiden Fällen ist er Kreisbeamter auf Zeit. Die wichtigsten Kompetenzen des Landrats sind die Außenvertretung des Kreises, die Wahrnehmung der Geschäfte der laufenden Verwaltung und seine Aufgaben als Chef der Kreisverwaltung.597 c) Kreisausschuss 148 Die meisten Kreisordnungen sehen außerdem einen Kreisausschuss vor. Mit ihm soll eine gewisse Schwerfälligkeit, wie sie der Meinungsbildung des Kreistags schon wegen seiner Größe anhaften mag, ausgeglichen werden. So kann man ihn, außer in Hessen, als einen „verkleinerten“ Kreistag ansehen. Seine Organstellung ist unterschiedlich weit ausgebildet: In manchen Ländern ist er neben dem Kreistag und dem 594

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In Ausnahmefällen kann ein Gesetz die Kreise dazu ermächtigen, kreisangehörige Gemeinden zur Aufgabenerfüllung heranzuziehen; so sieht § 6 II SGB II vor, dass die Kreise als kommunale Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf der Grundlage eines Landesgesetzes ihnen zugehörige Gemeinden zur Durchführung von Aufgaben heranziehen und diesen dabei Weisungen erteilen können. In einigen Ländern außerdem der Landrat; vgl Gern DtKomR, Rn 874 f. Länderweise Darstellung bei Gern DtKomR, Rn 877 ff. In Hessen obliegen einige dieser Aufgaben einem aus dem Landrat und den ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten gebildeten Kreisausschuss als Hauptverwaltungsorgan; zum kollegial gebildeten Kreisvorstand in Rh-Pf vgl §§ 50 ff LKrO.

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Kommunalrecht

1. Kap XI 4

Hauptverwaltungsbeamten ein gleichberechtigtes drittes Kreisorgan, das über alle Angelegenheiten beschließt, die nicht in den Vorbehaltsbereich eines der beiden anderen Organe fallen. Andere Länder reihen ihn unter die Ausschüsse des Kreistages ein und weisen ihm vor allem die Vorbereitung der Kreistagsbeschlüsse zu.

4. Staatliche Verwaltung im Kreis Das Kreisgebiet ist zugleich der Bezirk der (allgemeinen) unteren staatlichen Ver- 149 waltungsbehörde. Die Kreisverwaltung (Landratsamt) und vor allem der Landrat werden auf unterschiedliche Weise in den staatlichen Aufgabenvollzug eingegliedert.598 In den meisten Ländern wird der Landrat (das Landratsamt) im Wege der Organleihe (Rn 40) als untere staatliche Verwaltungsbehörde tätig 599 und unterliegt insoweit der Fach- und Dienstaufsicht der übergeordneten Staatsbehörden;600 für Amtspflichtverletzungen haftet nicht der Kreis, sondern das Land. Die übrigen Länder betrauen mit den staatlichen Aufgaben nicht ein einzelnes Kreisorgan, sondern im übertragenen Wirkungskreis den Kreis selbst.601 Die wichtigsten Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörde im Kreis sind Polizeiangelegenheiten und die Kommunalaufsicht über kreisangehörige Gemeinden. Dazu treten zahlreiche Kompetenzen, die die Landesorganisationsgesetze oder einzelne Fachgesetze den unteren Verwaltungsbehörden zuweisen.

Spezialliteratur Blümel Das verfassungsrechtliche Verhältnis der kreisangehörigen Gemeinden zu den Kreisen, VerwArch 75 (1984) 197; Henneke Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, 1992; ders (Hrsg), Optimale Aufgabenerfüllung im Kreisgebiet?, 1998; ders Verfassungsrechtlicher Schutz der Gemeindeverbände vor gesetzlichem Aufgabenentzug im dualistischen und monistischen Aufgabenmodell, ZG 2002, 72; ders (Hrsg), Künftige Funktionen und Aufgaben der Kreise im sozialen Bundesstaat, 2004; Henneke/Maurer/Schoch Die Kreise im Bundesstaat, 1994; F. Kirchhof Die Rechtsmaßstäbe der Kreisumlage, 1995; Lusche Die Selbstverwaltungsaufgaben der Landkreise, 1998; Schmidt-Aßmann Perspektiven der Selbstverwaltung der Landkreise, DVBl 1996, 533; Schoch (Hrsg), Selbstverwaltung der Landkreise in Deutschland, 1996; Schwarz Zum Verhältnis der Landkreise und der kreisangehörigen Gemeinden, NVwZ 1996, 1182; Seele Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991; Vorholz Künftige Funktionen und Aufgaben der Kreise im sozialen Bundesstaat, DVBl 2004, 811; Wolff Bedarfsgerechte Strukturen der Kreiseinnahmen, 1990.

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Dazu Seele in: Der Kreis Bd 3, 284 ff; Schmidt-Jortzig KomR, Rn 329 ff. § 1 III 2 KrO BW; Art 37 I 2 LKrO Bay; § 68 LKrO Bbg; § 58 I KrO NW; § 55 I LKrO Rh-Pf; § 1 G über die Errichtung allgemeiner unterer Landesbehörden Schl-H; § 111 II ThürKO; reduziert in § 55 II LKvO Hess; § 111 II ThürKO (va Kommunalaufsicht). Zum Ganzen Kneip VerwArch 91 (2000) 566. Zur Kostenerstattungspflicht des Landes VGH BW DÖV 2000, 160. ZB § 4 LKrO Hess; § 4 II LKrO Nds; §§ 140 II, 144 I KSVG Saarl; § 5 LKrO S-Anh; § 2 V LKrO Sachs; § 111 III ThürKO (Weisungsaufgaben); hierzu SächsOVG DÖV 1998, 1021. Vgl a BGH NJW 2000, 432 (435). In Hess teilw den Landrat selbst, § 4 II LKrO.

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1. Kap XII

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

XII. Sonstige Gemeindeverbände, Zweckverbände 150 Neben den Kreisen fasst das Kommunalrecht unter dem Begriff des Gemeindeverbandes noch andere kommunale Verwaltungsträger zusammen, die von ihrem Gebietszuschnitt teilweise zwischen Gemeinden und Kreisen (niedere Gemeindeverbände), teilweise oberhalb der Kreisebene (höhere Gemeindeverbände) angesiedelt sind.602 Nicht alle von ihnen haben, wie es der Begriff nahe legen möchte, nur Gemeinden zu Mitgliedern; ja nicht einmal alle sind Bundkörperschaften, deren Mitglieder Kommunalkörperschaften sind. Neben echten Gemeindeverbänden gibt es vielmehr, wofür die Landkreise nicht das einzige Beispiel sind, auch unechte Gemeindeverbände, deren Mitglieder unmittelbar die Einwohner des Verbandsgebietes sind. Auch sonst weist der Begriff des Gemeindeverbandes allerlei Unklarheiten auf. So ist streitig, ob auch die Zweckverbände zu den Gemeindeverbänden zählen.603 Hier muss unterschieden werden: Der verfassungsrechtliche Sprachgebrauch (zB in Art 28 II 2 GG) verwendet den Begriff des Gemeindeverbandes erkennbar nur für solche Verbände, die von ihrem Aufgabenbestand her ein beachtliches Gewicht besitzen; dazu zählen die für die Wahrnehmung einzelner Aufgaben gegründeten Zweckverbände nicht.604 Eine eher beschreibend-analytische kommunalrechtliche Begriffsbildung dagegen muss anerkennen, dass die Verwaltungsrealität vielfältige Übergänge und Zwischenformen zwischen Gemeindeverbänden ieS und Zweckverbänden aufweist, die sich nach dem Gewicht des Aufgabenbestandes nicht eindeutig zuordnen lassen. Mit diesen Vorbehalten empfiehlt es sich für eine kommunalrechtliche Lehrdarstellung, von einem weiten Begriff des Gemeindeverbandes auszugehen und darunter Gesamtgemeinden (1), höhere Gemeindeverbände (2) und Zweckverbände (3) abzuhandeln, zu denen in der Verwaltungspraxis noch zahlreiche Sonderverbände, zB Stadt-Umland-Verbände und Regionalverbände treten.605 Eindeutig nicht hierher gehören dagegen die kommunalen Spitzenverbände.606 Sie sind Vereine des privaten Rechts, in denen sich die Gemeinden bzw

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Zum folgenden Abschn Oebbecke Gemeindeverbandsrecht; Gern DtKomR, Rn 918 ff; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 18; Bovenschulte Gemeindeverbände. Zum Meinungsstand Oebbecke Gemeindeverbandsrecht, 1 f; Bovenschulte Gemeindeverbände, 429 ff. So für den Begriff des Gemeindeverbandes in Art 2 II der Landessatzung von Schl-H BVerfGE 52, 95 → JK GG Art 28 II/4; ebenso ausdr Art 71 I 1 LV BW. Chr. Mecking Die Regionalebene in Deutschland, 1995, 214; Müller/Trute Stadt-UmlandProbleme und Gebietsreform in Sachsen, 1996, 45; Wickel DÖV 2001, 837; Rautenberg DVBl 2003, 768; Stüer LKV 2004, 6. Speziell zum Verband Region Stuttgart Groß VBlBW 1994, 429; Wolf Hauptstadtregion Stuttgart 1997; StGH BW VBlBW 1998, 295; zur Rhein-Main-Region Heinz AfK 36 (1997) 73; zur Region Hannover Priebs DÖV 2002, 144; zum (neuen) Regionalverband Ruhr Kremer NWVBl 2004, 337. Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Landkreistag und die entspr Organisationen in den Bundesländern; Geisselmann Spitzenverbände, 25 ff; auch Schwarting DÖV 2005, 458. Nachw zu den daneben bestehenden kommunalen Fachverbänden und zu internationalen Verbänden bei Gern DtKomR, Rn 970 f.

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Kommunalrecht

1. Kap XII 1

Kreise zusammengefunden haben, um auf Bundes- und Landesebene eine gemeinsame Interessenrepräsentanz zu besitzen.607 Daneben bieten die Spitzenverbände ihren Mitgliedern vielfältige Beratungs- und andere Serviceleistungen. Gemeinsam ist allen Gemeindeverbänden unter Einschluss der Zweckverbände 151 das Ziel, für bestimmte Aufgaben, die nach Zuschnitt, technischen Voraussetzungen, Finanzierbarkeit oder geschichtlichem Verständnis von den Standardtypen der Kommunalkörperschaften (Gemeinden, Landkreisen) nicht „optimal“ wahrgenommen werden können, eigenständige Aufgabenträger vorzuhalten. Solche „maßgeschneiderten“ Lösungen sind in einem Kommunalrecht, das wie das deutsche für alle Gemeindegrößenklassen vom Modell der Einheitsgemeinde ausgeht und innerhalb dieses Modells sonst nur wenige Sonderformen kennt, als Mittel flexibler Organisation besonders notwendig. Ein Teil der Gemeindeverbände ist daher unmittelbar durch Gesetz geschaffen worden. Für einen anderen Teil gibt das Gesetz dagegen nur die Grundlage und den Rahmen vor, überlässt es aber den beteiligten Gemeinden und Landkreisen, solche Verbände zu schaffen oder aber es bei der Regelzuständigkeit bewenden zu lassen. Gemeinsam ist den Gemeindeverbänden ferner die Rechtsform. Sie sind Körper- 152 schaften des öffentlichen Rechts, können also Hoheitsaufgaben in den Formen des öffentlichen Rechts wahrnehmen. Im Einzelnen ergeben sich ihre Rechtsstellung, Aufgaben und Befugnisse aus dem entsprechenden Gründungsakt iVm jenen allgemeinen Zuständigkeits- und Befugnisnormen, in die sie mit ihrer Gründung als Verwaltungsträger einrücken. Auch hier dient die Form der Körperschaft der Wahrnehmung der Aufgaben in einer – teils originären, teils derivativen – Selbstverwaltung unter staatlicher Aufsicht.608 Demgemäß entspricht die interne Organisation der Gemeindeverbände und Zweckverbände der typischen Körperschaftsstruktur. Alle Verbände kennen folglich eine Verbandsversammlung, in der die Mitglieder oder deren gewählte Repräsentanten die Grundentscheidungen der Verbandspolitik (Schaffung von Verbandsrecht idR in der Form öffentlich-rechtlicher Satzungen, Verbandshaushalt) zu treffen haben. Daneben steht der Verbandsvorsteher als Spitze des Exekutivapparats. Dazu treten als weitere Organe zuweilen Verbandsausschüsse.

1. Gesamtgemeinden Mit diesem von Hans Julius Wolff geprägten Begriff wird eine verbandliche Orga- 153 nisationsform für idR kleine ländliche Gemeinden bezeichnet: 609 Die in ihrer Verwaltungskraft schwachen Kleingemeinden eines nachbarörtlichen Bereichs bleiben zwar als selbständige Körperschaften erhalten. Sie finden sich jedoch zusätzlich in einem „überwölbenden“ Verband zusammen, dem wichtige örtliche Aufgaben durch Gesetz zugewiesen sind und dem die verbandszugehörigen Gemeinden (Ortsgemeinden) weitere Aufgaben von sich aus übertragen können. Dem liegt das Modell einer mehrstufigen kommunalen Organisationseinheit zur Erfüllung ört607

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Ausnahme: Bay Städteverband u Bay Gemeindetag, denen die Rechtsstellung von Körperschaften des öffentl Rechts verliehen ist. Vgl VerfGH NW DÖV 2002, 475; hierzu Henneke DÖV 2002, 463. Wolff/Bachof, VwR II, § 88.

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1. Kap XII 2

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

licher Aufgaben zugrunde.610 Das ist verwaltungspolitisch sinnvoll und in der Praxis durchaus bewährt. Für die rechtliche Zuordnung können aus diesem Miteinander freilich Probleme entstehen, insbes wenn es um die verfassungsrechtliche Kompetenzabgrenzung zwischen Ortsgemeinde und Gesamtgemeinde geht.611 Nur eine der beiden Körperschaften kann Trägerin der herausgehobenen gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie (Art 28 II 1 GG) sein. Solange den Ortsgemeinden der Gemeindestatus zuerkannt bleibt und sie nicht zu Ortsteilen umgebildet, dh eingemeindet werden, sind sie als unterste Ebene rechtsfähiger Organisationseinheiten allein Träger der Garantie des Art 28 II 1 GG, während für die Gesamtgemeinden nur die schwächere Gewährleistung gemeindeverbandlicher Selbstverwaltung verbleibt. In der Realität sind die Gewichte dagegen oft umgekehrt.612 Gesamtgemeinden sind in den meisten Bundesländern als eigenständige Organi154 sationsform vorgesehen. Bezeichnung, Aufgabenbestand und Aufbau weichen länderweise erheblich voneinander ab.613 Rheinland-Pfalz und Niedersachsen gehen von einer starken Stellung des Verbandes aus, dessen zentrales Willensbildungsorgan direkt von den Einwohnern gewählt wird, während die Gesamtgemeinden in anderen Bundesländern sich eher als potenzierte Zweckverbände verstehen lassen. Zu den typischerweise gesamtgemeindlichen Aufgaben zählen die Schulträgerschaft für Grund- und Hauptschulen, der Sportstättenbau und die Flächennutzungsplanung; gerade in diesem Punkte sind aber die Besonderheiten des jeweiligen Landesrechts exakt zu beachten. Im Einzelnen gehören zu den Gesamtgemeinden: 614 – die Gemeindeverwaltungsverbände in Baden-Württemberg (§§ 59 ff GO), Hessen (§ 30 KGG) und Sachsen (Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit), – die Verwaltungsgemeinschaften in Bayern (VerwaltungsgemeinschaftsO), in SachsenAnhalt (§§ 75 ff GO) und Thüringen (§§ 46 ff KO) – die Samtgemeinden in Niedersachsen (§§ 71–79 GO), – die Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz (§§ 64–73 GO), – die Ämter in Brandenburg (AmtsO), Mecklenburg-Vorpommern (§§ 125 ff KV) und Schleswig-Holstein (AmtsO).615

2. Höhere Gemeindeverbände 155 Diese oberhalb der Kreisebene angesiedelten Gemeindeverbände tragen ihr regelmäßig historisch erklärbares besonderes Gepräge. Wo sie existieren, sind sie respektable Verwaltungseinheiten teilweise mit großen Fachverwaltungen, in denen auch besondere landsmannschaftliche (provinziale) Traditionen fortleben. Zu den 610 611

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Dazu Bogner HkWP Bd 1, 316 ff. Vgl StGH BW DÖV 1976, 595; ferner Schmidt-Aßmann DÖV 1973, 109; zum bay Recht Kahl BayVBl 1997, 298; zur Flächennutzungsplanung der Ämter in Bbg vgl BbgVerfGH LKV 2002, 516; Rademacher/Janz LKV 2002, 506. Zum Anspruch auf Ausscheiden einer Gemeinde VGH BW NVwZ-RR 2000, 701 → JK VwGO § 42/23. Darstellung bei Gern DtKomR, Rn 948 ff; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 18 Rn 68 ff. Vgl Just LKV 2001, 15; Hüttemann LKV 2002, 122. Dazu auch BVerfGE 52, 95 → JK GG Art 28 II/4.

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Kommunalrecht

1. Kap XII 3 a

Standardformen der Kommunalorganisation gehören sie gleichwohl nicht. Vielmehr bestimmen hier sondergesetzliche Regelungen das Feld.616 Die typischen Aufgaben der höheren Gemeindeverbände liegen auf sozialem und kulturellem Gebiet. In der Regel sind sie Träger der überörtlichen Sozialhilfe, unterhalten Spezialkrankenhäuser, sind in der Jugendhilfe tätig. Aufgaben des Denkmalschutzes und der Heimatpflege können hinzutreten. Gegen Aufgabenentzug sind sie verfassungsrechtlich nur sehr eingeschränkt geschützt.617 In jüngerer Zeit werden diese Verbände gelegentlich zu Ansatzpunkten von Neugliederungsüberlegungen, die eine staatlich-kommunale „Regionalverwaltung“ schaffen wollen.618

3. Interkommunale Zusammenarbeit, Zweckverbände In einem weiteren Sinne lassen sich auch die von Fall zu Fall zu speziellen Verwaltungszwecken ad hoc geschaffenen Zweckverbände den Gemeindeverbänden zurechnen (Rn 136). Die Verwaltungsrealität kennt sie zB als Schul-, Sparkassen-, Wasser- oder Abwasserzweckverbände in reicher Zahl. Zweckverbände sind eine wichtige Form der interkommunalen Zusammenarbeit.619 Ihre Rechtsgrundlagen finden sie, von einigen Spezialvorschriften (zB § 205 BauGB: Planungsverbände) abgesehen, in den Landesgesetzen über kommunale Gemeinschaftsarbeit (Nds, Rh-Pf, „ZweckverbandsG“). a) Formen interkommunaler Zusammenarbeit Die meisten Gesetze nennen neben dem Instrument der Zweckverbandsbildung 156 auch noch andere Mittel der Zusammenarbeit: Eine Form nur interner Kooperation ist die kommunale Arbeitsgemeinschaft, während das Institut der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung Gemeinden ermöglicht, mit Außenwirkung Hoheitsaufgaben zur Entscheidung und Erledigung auf einen der Beteiligten zu übertragen, also im Wege des Vertrages eine Änderung der gesetzlichen Zuständigkeiten vorzunehmen.620 Das ist eine Ausnahme von der grundsätzlich unverbrüchlichen Zuständigkeitsordnung, die besonderer Ermächtigungen in den genannten Gesetzen bedurfte. Dazu können sie sich nach Maßgabe der einschlägigen Gesetze auch der besonderen Formen öffentlicher Unternehmen bedienen (o Fn 126).621 Wo es den Gemein616

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Einzelheiten in den Beiträgen von Witti u Meyer-Schwickerath HkWP Bd 2, 431 ff u 454 ff; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 18 Rn 85 ff. VerfGH NW DVBl 2001, 1595 mit Anm Ehlers dort 1601; Henneke ZG 2002, 72; ders DÖV 2002, 463. Dazu und zu den dabei beachtlichen Verfassungsgrenzen Erichsen/Büdenbender NWVBl 2001, 161. Vgl a Rn 150. Systematisch Rengeling HkWP Bd 2, 385 ff; Oebbecke Gemeindeverbandsrecht, 100 ff; Schroeder DV 34 (2001) 205 (mit Hinweisen zu notwendigen Änderungen ihrer internen Organisation). Hierbei ist uU das GWB-Vergaberecht zu beachten, OLG Frankfurt/M NZBau 2004, 692; OLG Düsseldorf NVwZ 2004, 1022; dazu Flömer/Tomerius NZBau 2004, 660; Burgi NZBau 2005, 208; Kersting/Siems DVBl 2005, 477; auch zu EuGH NZBau 2005, 233. ZB Art 49, 50 BayKommZG; §§ 3, 4 NdsKommZG; §§ 19b ff KommZG Schl-H.

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1. Kap XII 3 b

Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl

den dagegen nicht darauf ankommt, Hoheitsbefugnisse zu übertragen, weil sie bestimmte Aufgaben in den Formen des Privatrechts erfüllen (Rn 105), stehen ihnen auch die privatrechtlichen Organisationsformen zur Verfügung.622 So wird der Personennahverkehr in benachbarten Gemeinden oft von einer GmbH erfüllt, deren Gesellschafter diese sind (Beteiligungsgesellschaften). b) Insbes Zweckverbandsbildungen 157 Die Bildung eines Zweckverbandes ist eine besonders aufwendige und fehleranfällige Art der Zusammenarbeit.623 Sie lässt einen neuen Rechtsträger entstehen, der die übertragenen Aufgaben anstelle der Beteiligten wahrnimmt.624 Der Zusammenschluss zu einem solchen Verband steht grundsätzlich im Ermessen der Kommunalkörperschaften (Freiverbände) und ist im Rahmen der Gesetze von ihrer Organisationshoheit gedeckt.625 Dabei sind Gesichtspunkte effektiver Leistungserbringung gegen die Nachteile einer nur mediatisierten Mitwirkung der Bevölkerung an den Entscheidungen solcher Verbände gegeneinander abzuwägen.626 Bei besonderem öffentlichen Interesse ermächtigen die Gesetze die Aufsichtsbehörde, die Bildung eines Zweckverbandes oder den Beitritt einer Gemeinde zu einem solchen zwangsweise zu verfügen (Pflichtverband). Der Freiverband als der Normalfall des Zweckverbandes setzt die Vereinbarung einer Verbandssatzung zwischen den Beteiligten voraus, die das Organisationsstatut der neuen Körperschaft wird. Entstanden ist der Verband mit der amtlichen Publikation der Satzung und der aufsichtsbehördlichen Genehmigung. Der Verband ist eine Bundkörperschaft. Seine Mitglieder sind die beteiligten Kommunalkörperschaften (gem besonderer Ermächtigung auch andere Rechtssubjekte des öffentlichen oder des privaten Rechts 627). Hauptorgan des Verbandes ist die Verbandsversammlung, in die jedes Verbandsmitglied mindestens einen Vertreter entsendet.628 Die ihm übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden erfüllt der Verband seinerseits in eigener Verantwortung. Zu ihrer Regelung hat er ua das Recht, Satzungen zu erlassen (Rn 93 ff).

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Ebenso Rengeling HkWP Bd 2, 411 f; einschr Ehlers DVBl 1997, 137, 141. In den neuen Bundesländern sind flächendeckend fehlerhafte Zweckverbände gegründet worden, so dass die Landesgesetzgeber zu gesetzlichen Heilungsbestimmungen gegriffen haben; zu S-Anh BVerfG LKV 2002, 569; Naumann NVwZ 2002, 175; zu Sachs SächsVBl 2004, 84; Millgramm SächsVBl 2004, 101; zu Thür ThürOVG LKV 2000, 75; ThürOVG LKV 2001, 415; ThürOVG LKV 2002, 138; Aschke NVwZ 2003, 917. Zur Rechtsnatur eines fehlerhaften Zweckverbandes SächsOVG, LKV 2005, 180; hierzu Steuber LKV 2005, 153. Zu Zweckvereinbarungen mit dritten Gemeinden Knemeyer BayVBl 2003, 257; Schulz BayVBl 2003, 520. So die hM; Schmidt-Jortzig FS v Unruh, 525 ff; aM Oebbecke Zweckverbandsbildung und Selbstverwaltungsgarantie, 1982, bes 67 ff. Schroeder DV 34 (2001) 205. Zu dabei auftretenden Legitimationsproblemen BVerwGE 106, 64; Britz VerwArch 91 (2000) 418. Zu Weisungen an Verbandsräte BayVGH NVwZ-RR 1999, 141.

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ZWEITES KAPITEL

Polizei- und Ordnungsrecht Friedrich Schoch

Gliederung I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts . . . a) Polizeibegriff als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen . aa) Wandlungen des Polizeibegriffs . . . . . . . . . . . . . bb) Heutige Polizeibegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt und Umfang des Gefahrenabwehrrechts . . . . . . . aa) Abgrenzung zur Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . bb) Einbeziehung vorbeugender Bekämpfung von Straftaten c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . a) Gewährleistung der Inneren Sicherheit als Staatsaufgabe . . b) Gefahrenabwehr durch Private . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erscheinungsformen des privaten Sicherheitsgewerbes . bb) Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Privatisierung der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Gefahrenabwehr . . . a) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Bindungen für Gefahrenabwehrmaßnahmen . . 4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat . . . . . . . . . . a) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwaltungszuständigkeit der Länder . . . . . . . . . bb) Ausnahme: Verwaltungskompetenz des Bundes . . . . 5. Internationale und europäische polizeiliche Zusammenarbeit . a) Internationalisierung polizeilicher Aufgaben . . . . . . . . b) Rechtliche Strukturen der Zusammenarbeit . . . . . . . . 6. Allgemeine Polizei- und Ordnungsverwaltung . . . . . . . . .

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1– 1– 3– 4– 6– 8– 9– 12– 19 20– 20– 22– 23– 26– 29 30 31– 31 32– 35– 36– 39– 40 41– 44– 44 45– 48–

II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Generalklausel als Eingriffsermächtigung . . . . . . . . . aa) Spezialermächtigungen und Subsidiarität der Generalklausel bb) Anwendungsbereich der Generalklausel . . . . . . . . . . cc) Struktur und Bedeutung der Generalklausel . . . . . . . . b) Schutzgüter der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Öffentliche Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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52–262 52–116 52– 64 53– 56 57– 61 62– 64 65– 83 66– 78 79– 83

30 21 29 25 28

34 34 43a 38 43a 43a 47 47 51

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2. Kap

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c) Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reale Gefahr bei ex ante-Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anscheinsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gefahrverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Qualifizierte Gefahrbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Befugnis zur Gefahrenabwehr (Opportunitätsprinzip) . . . . . . . aa) Ermessen der Gefahrenabwehrbehörden . . . . . . . . . . . . bb) Ermessensgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ermessensreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anspruch auf Einschreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . a) Polizei- und Ordnungspflicht als Zurechnungsproblem . . . . . . . b) Funktion und Bedeutung der Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . c) Rechtssubjekte der Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . . . . . . d) Verhaltensverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefahrverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhaltensverantwortlichkeit durch Unterlassen . . . . . . . . cc) Verhaltensverantwortlichkeit des Zweckveranlassers . . . . . . dd) Zusatzverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimität der Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . bb) Entstehung der Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . cc) Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . dd) Zustandsverantwortliche Rechtssubjekte . . . . . . . . . . . . ee) Latente Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsnachfolge in die Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . . . . aa) Abstrakte Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierte Polizei- und Ordnungspflicht . . . . . . . . . . g) Auswahlermessen bei mehreren Verantwortlichen . . . . . . . . . aa) Effektivität der Gefahrenabwehr als Ermessensdirektive . . . . bb) Gesamtschuldnerausgleich bei mehreren Verantwortlichen . . . 3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand . . . . . . . . . . . a) Notstandspflicht im Gefahrenabwehrrecht . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen für Notstandsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . aa) Qualifizierte Gefahrenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aussichtslosigkeit der Gefahrenabwehr durch Verantwortlichen cc) Unmöglichkeit behördlicher Gefahrenabwehr . . . . . . . . . dd) Beachtung der Opfergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Notstandspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umfang und Dauer von Notstandsmaßnahmen . . . . . . . . . . e) Folgenbeseitigung und Ersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . 4. Standardmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klassische Standardmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befragung und Auskunftsverlangen . . . . . . . . . . . . . . bb) Identitätsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erkennungsdienstliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . dd) Vorladung und Vorführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Platzverweisung und Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . . .

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84–100 85– 86 87– 91 92– 94 95– 98 99–100 101–116 102–103 104–109 110–114 115–116 117–176 117–119 120–123 124–125 126–142 127–132 133–137 138–141 142 143–158 144–145 146–147 148–150 151–155 156-157 158 159–168 162–163 164–168 169–176 171–175 176 177–190 177–179 180–186 181 182 183–185 186 187 188 189–190 191–258 191–194 195–243 196–198 199–201 202–205 206–208 209–217

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap

ff) Ingewahrsamnahme . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Durchsuchung von Personen und Sachen . . . . . . hh) Durchsuchung und Betreten von Wohnungen . . . ii) Sicherstellung und Beschlagnahme . . . . . . . . . c) Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besondere Mittel der Informationserhebung . . . . d) Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Informationsübermittlung und Informationsabgleich cc) Rechte der betroffenen Person . . . . . . . . . . . 5. Sondergesetzliche Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . a) Vorrang von Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . b) Beispiel: Gefahrenabwehr im Versammlungswesen . . .

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218–225 226–228 229–234 235–243 244–252 245–246 247–249 250–252 253–258 254–255 256–257 258 259–262 259–260 261–262

III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handlungsformen zur Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . a) Einzelfallmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwaltungsrealakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefahrenabwehrverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktion und Bedeutung von Gefahrenabwehrverordnungen bb) Voraussetzungen für Gefahrenabwehrverordnungen . . . . c) Durchsetzung von Gefahrenabwehrmaßnahmen . . . . . . . . aa) Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwaltungszwang im gestreckten Verfahren . . . . . . . . cc) Unmittelbare Ausführung und Sofortvollzug . . . . . . . .

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263–290 263–264 265–290 266–270 267 268–270 271–277 272–273 274–277 278–290 279–283 284–286 287–290

IV. Kostenersatz und Entschädigung im Polizei- und Ordnungsrecht 1. Kostenersatzansprüche der Verwaltung . . . . . . . . . . . a) Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenersatz für Gefahrenabwehrmaßnahmen . . . . . . c) Kostentragung bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht . 2. Ersatzansprüche des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entschädigungsanspruch des Nichtstörers . . . . . . . . b) Schadensausgleich bei rechtswidrigen Maßnahmen . . . . c) Ersatzansprüche bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht

. . . . . . . . .

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291–302 292–297 292–293 294–295 296–297 298–302 298–300 301 302

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Gesetze Bund: BundesgrenzschutzG v 19. 10. 1994 (BGBl I 2978), zul geänd am 11. 1. 2005 (BGBl I 78), Sartorius I Nr 90, umbenannt in BundespolizeiG (BPolG) durch G v 21. 6. 2005 (BGBl I 1818). BundeskriminalamtG v 7. 7. 1997 (BGBl I 1650), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 450. BundesverfassungsschutzG v 20. 12. 1990 (BGBl I 2954), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 80.

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2. Kap

Friedrich Schoch

Länder: Baden-Württemberg: PolizeiG v 13. 1. 1992 (GBl 1), zul geänd am 1. 7. 2004 (GBl 469). Bayern: PolizeiaufgabenG idF v 14. 9. 1990 (GVBl 397), zul geänd am 24. 7. 2001 (GVBl 348). Landesstraf- und VerordnungsG idF v 13. 12. 1982 (GVBl 460), zul geänd am 24. 4. 2001 (GVBl 140). Berlin: Allgemeines Sicherheits- und OrdnungsG v 19. 7. 2002 (GVBl 199), zul geänd am 27. 1. 2005 (GVBl 118). Brandenburg: Brandenburgisches PolizeiG v 19. 3. 1996 (GVBl I 74), zul geänd am 29. 6. 2004 (GVBl I 289). Brandenburgisches OrdnungsbehördenG idF v 21. 08. 1996 (GVBl I 266), zul geänd am 29. 6 2004 (GVBl I 289). Bremen: Bremisches PolizeiG idF v 6. 12. 2001 (GBl 441), zul geänd durch Bek v 22. 6. 2004 (GBl 313). Hamburg: G zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung v 14. 3. 1966 (GVBl 77), zul geänd am 9. 9. 2003 (GVBl 467). G über die Datenverarbeitung der Polizei v 2. 5. 1991 (GVBl 187, 191), zul geänd am 19. 7. 2000 (GVBl 155). Hessen: Hess G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung idF v 14. 1. 2005 (GVBl I 14), zul geänd am 21. 3. 2005 (GVBl I 229). Mecklenburg-Vorpommern: G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern idF v 25. 3. 1998 (GVOBl 335), zul geänd am 18. 5. 2004 (GVOBl 178). Niedersachsen: Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung idF v 19. 1. 2005 (GVBl 9). Nordrhein-Westfalen: PolizeiG des Landes Nordrhein-Westfalen idF v 25. 7. 2003 (GV 441), zul geänd am 5. 4. 2005 (GV 408). OrdnungsbehördenG des Landes Nordrhein-Westfalen v 13. 5. 1980 (GV 528), zul geänd am 5. 4. 2005 (GV 274). Rheinland-Pfalz: Polizei- und OrdnungsbehördenG idF v 10. 11. 1993 (GVBl 595), zul geänd am 2. 3. 2004 (GVBl 202). Saarland: Saarländisches PolizeiG idF v 26. 3. 2001 (ABl 1074), zul geänd am 5. 5. 2004 (ABl 1326).

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2. Kap

Sachsen: PolizeiG des Freistaates Sachsen idF v 13. 8. 1999 (GVBl 466), zul geänd am 5. 5. 2004 (GVBl 148). Sachsen-Anhalt: G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt idF v 23. 9. 2003 (GVBl 215). Schleswig-Holstein: LandesverwaltungsG idF v 2. 6. 1992 (GVOBl 243), zul geänd am 15. 2. 2005 (GVOBl 168). Thüringen: Thüringer PolizeiaufgabenG v 4. 6. 1992 (GVBl 199), zul geänd am 25. 11. 2004 (GVBl 853). Thüringer OrdnungsbehördenG v 18. 6. 1993 (GVBl 323), zul geänd am 20. 6. 2002 (GVBl 247).

Literatur M. Albers Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001. B. Drews/G. Wacke/K. Vogel/W. Martens Gefahrenabwehr, Allgemeines Polizeirecht (Ordnungsrecht) des Bundes und der Länder, 9. Aufl 1986. H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg) Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl 2002. W. Frings/L. Spahlholz Das Recht der Gefahrenabwehr in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 2002. H.-U. Gallwas/H. A. Wolff Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 3. Aufl 2004. V. Götz Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl 2001. Ch. Gusy Polizeirecht, 5. Aufl 2003. K.-L. Haus/J. Wohlfarth Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht (Saarländisches Landesrecht), 1997. W. Hoffmann-Riem Polizei- und Ordnungsrecht, in: W. Hoffmann-Riem/H.-J. Koch (Hrsg), Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 2. Aufl 1997, 147 ff. J. Ipsen Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl 2004. D. G. Rühle Polizei- und Ordnungsrecht für Rheinland-Pfalz, 3. Aufl 2004. S. Karnop Recht der Gefahrenabwehr (Landesrecht Sachsen-Anhalt), 1998. F.-L. Knemeyer Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl 2004. O. Lepsius Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 2002. H. Lisken/E. Denninger Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl 2001. M. Möllers/G. Wilhelm Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl 2003. M. Möstl Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002. P. Nissen Recht der Gefahrenabwehr, in: H.-J. Schmalz/W. Ewer/A. von Mutius/E. SchmidtJortzig (Hrsg), Staats- und Verwaltungsrecht für Schleswig-Holstein, 2002, 145 ff. W. Pausch Polizei- und Ordnungsrecht in Hessen, 4. Aufl 2005. B. Pieroth/B. Schlink/M. Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl 2004. H. P. Prümm/H. Sigrist Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsrecht, 2. Aufl 2003. R. Poscher Gefahrenabwehr – Eine rechtsdogmatische Rekonstruktion, 1999. W.-R. Schenke Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl 2004. D. Schipper Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, 4. Aufl 2002. P. J. Tettinger/W. Erbguth Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl 2005, 156 ff. K. Waechter Polizei- und Ordnungsrecht (Landesrecht Niedersachsen), 2000.

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2. Kap I 1

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E. Wagner/K.-H. Ruder Polizeirecht (Sächsisches Landesrecht), 1999. H.-M. Wolffgang/M. Hendricks/M. Merz Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 2004. T. Würtenberger Polizei- und Ordnungsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, § 21. T. Würtenberger/D. Heckmann/R. Riggert Polizeirecht in Baden-Württemberg, 5. Aufl 2002.

I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts 1. Begriff und Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts 1 Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht umfasst in der geltenden Rechtsordnung die Summe der rechtlichen Regelungen, die sich auf diejenige Staatstätigkeit (iwS) erstrecken, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung schützt, Gefahren von ihr abwendet und eingetretene Störungen beseitigt. Polizei- und Ordnungsrecht ist danach im Kern 1 das Recht der staatlichen Gefahrenabwehr. Diese Begriffsbestimmung findet ihre positivrechtliche Grundlage in den Aufgabenzuweisungsnormen des einschlägigen Landesrechts.2 An diesem Ausgangspunkt ist – ungeachtet der Wandlungen des Polizeibegriffs 2 (Rn 3 ff) – festzuhalten. Dies ist nicht nur dem positiven Recht geschuldet, sondern auch den Funktionen des Gefahrenabwehrrechts im demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Auch wenn leistende und lenkende sowie pflegende und vorsorgende Verwaltungstätigkeiten (zB im Sozialrecht, Planungsrecht, Umweltrecht, Schul- und Bildungswesen) an Bedeutung zugenommen haben und weiter zunehmen werden,3 behält das Polizei- und Ordnungsrecht seine zentrale Bedeutung für die Konstituierung des Staates als eines Ordnungs- und Friedensverbandes, der das gesellschaftliche Zusammenleben in Sicherheit gewährleistet und die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen sicherstellt.4 Angesichts sich ständig ändernder Realbedingungen macht es keinen Sinn, über Rang und Bedeutung des Polizei- und Ordnungsrechts im Vergleich zB zum Sozialrecht oder zum Wirtschafts(verwaltungs)-

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Zu Weiterungen und Grenzziehungen Rn 6 ff. § 1 I PolG BW; Art 2 I BayPAG und Art 6 BayLStVG; § 1 I ASOG Bln; § 1 I 1 BbgPolG und § 1 I BbgOBG; § 1 I 1 BremPolG; § 3 HbgSOG; § 1 I 1 HessSOG; § 1 I und § 2 I SOG MV; § 1 I 1 NdsSOG; § 1 I 1 PolG NW und § 1 I OBG NW; § 1 I 1 POG RP; § 1 II SaarlPolG; § 1 I SächsPolG; § 1 I 1 SOG LSA; § 162 I LVwG SH; § 2 I 1 ThürPAG und § 2 I ThürOBG. – In Bremen und Schleswig-Holstein ist die „öffentliche Ordnung“ nicht Element der Aufgabenzuweisungsnorm, in Nordrhein-Westfalen ist der Schutz der „öffentlichen Ordnung“ nur Aufgabe der Ordnungsbehörden, nicht aber der Polizei. Auf Grund dieser Entwicklung regten Erichsen und Knemeyer VVDStRL 35 (1977) 171, 182 ff bzw 221, 231 f eine Neubestimmung des materiellen Polizeibegriffs (Rn 7) an; zutr hiergegen Martens ebd 310; Friauf ebd 315; Götz ebd 323 f. Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 1: Durchsetzung einer Schutz- und Friedensordnung.

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2. Kap I 1 a aa

recht zu streiten. Denn nach der Abschaffung des „Faustrechts“ ist der Einzelne existentiell darauf angewiesen, dass der Staat die individuellen Rechte und Rechtsgüter schützt, und die Sicherung der Kollektivinteressen ist Grundbedingung für die Gewährung und den Genuss aller sozialstaatlichen und sonstigen leistungsstaatlichen Errungenschaften.5 Das Gefahrenabwehrrecht ist demnach eingebettet in die leistende und lenkende sowie planende und vorsorgende Staatstätigkeit und muss seinerseits Entwicklungen im Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht sowie gesellschaftliche Veränderungen erkennen, rezipieren und verarbeiten, um seiner Sicherungs-, Ordnungs- und Steuerungsfunktion gerecht werden zu können. Mit dem Wandel der maßgeblichen „Randbedingungen“ verändern sich zwar die Funktionen des Polizei- und Ordnungsrechts (zB Verstärkung der Gefahrenvorsorge, Rn 12 ff). Gefordert ist allerdings nicht ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel, zu erbringen ist vielmehr eine dem Recht auch sonst vielfach abgeforderte Anpassungsleistung.6 Solange die Innere Sicherheit rechtlich als Staatsaufgabe ausgeformt ist (Rn 20 f), sind der Schutz des Einzelnen und die Sicherung der Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen legitime und sogar notwendige staatliche Aufgaben sowie Grundbedingungen für die individuelle Freiheitsentfaltung und die Aufrechterhaltung sozialer Wohlfahrt. a) Polizeibegriff als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen Dass die konkrete Ausgestaltung des Polizei- und Ordnungsrechts schon immer die 3 gesellschaftlichen Verhältnisse reflektiert hat, zeigt sich an den Wandlungen des Polizeibegriffs. Das mehrfach veränderte inhaltliche Verständnis des Begriffs „Polizei“ (zB bzgl Aufgaben, Zuständigkeiten, Befugnissen) ist ein signifikanter Indikator für die jeweilige gesellschaftspolitische Bedeutung des Polizeirechts in der betreffenden historischen Epoche.7 aa) Wandlungen des Polizeibegriffs: Galt Polizei zunächst als „Zustand einer 4 guten Ordnung des Gemeinwesens“ (15.–17. Jhdt), so fungierte Polizei im absolutistischen Staat (17./18. Jhdt) als – rechtlich unbegrenzte – Zwangsgewalt des Monarchen und Instrument obrigkeitlicher Wohlfahrtspflege (bis hin zur Bevormundung in Fragen von Sitte und Moral). Der daraus entstandene sog Polizeistaat kannte keine Gewaltenteilung (Funktionentrennung), gestand dem Monarchen unbeschränkte Anordnungsbefugnisse zu und war von einer echten Kontrolle „polizeilicher“ Maßnahmen weit entfernt.

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Martens DÖV 1982, 89, 90. Das gilt auch für aktuelle Wandlungen des Polizeirechts, wie sie Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 1 Rn 29 ff beobachten: Versubjektivierung, Aufwertung des informationellen Selbstbestimmungsrechts, Ausbau der Gefahrenvorsorge und vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. – Vgl ferner Waechter JZ 2002, 854 ff, zurückhaltender in der Bewertung Calliess DVBl 2003, 1096 ff. Zusammenfassend zur Geschichte der Polizei in Deutschland seit dem 15. Jhdt Boldt in: Lisken/Denninger, A Rn 1 ff.

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2. Kap I 1 a bb

Friedrich Schoch

Den Wendepunkt hin zu einem liberal-rechtsstaatlichen Polizeirecht markiert, wie sich später herausstellen sollte, § 10 II 17 ALR.8 War es bereits eine Forderung der Aufklärung, dass die Wohlfahrtspflege nicht Aufgabe der Polizei sein könne, sondern diese sich auf die Gefahrenabwehr zu beschränken habe, so setzte sich diese Sicht – nach vorangegangenen restaurativen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 19. Jhdt – als herrschende Rechtsauffassung mit dem berühmten Kreuzberg-Urteil des PrOVG vom 14. 06. 1882 durch.9 Durch PolVO hatte das Polizeipräsidium in Berlin zur Sicherung der Aussicht von dem und auf das Siegesdenkmal auf dem Kreuzberg angeordnet, fortan dürften Gebäude „nur in solcher Höhe errichtet werden, dass dadurch die Aussicht von dem Fuße des Denkmals auf die Stadt und deren Umgebung nicht behindert und die Aussicht des Denkmals nicht beeinträchtigt wird“. Das PrOVG stellte fest, dass es für das Bauverbot an einer speziellen gesetzlichen Grundlage fehle; auf § 10 II 17 ALR könne die PolVO nicht gestützt werden, da diese Bestimmung nur Gefahrenabwehrmaßnahmen erlaube, nicht jedoch Einschränkungen der Nutzung von Grundeigentum aus ästhetischen Gründen.10 Damit war die Aufgabe der Polizei auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und 5 Ordnung begrenzt. Die Wohlfahrtspflege war der Staatstätigkeit zwar nicht entzogen, jedoch war die Sozialgestaltung nicht mit dem Polizeirecht zu bewerkstelligen. Der liberal-rechtsstaatliche Polizeibegriff war etabliert; es handelte sich um die Durchsetzung eines materiellen Begriffsverständnisses (Gefahrenabwehr als Aufgabe der Polizei). Hieran konnte § 14 I PrPVG 11 anschließen. Das Polizeirecht des demokratischen Rechtsstaates hatte einen unaufgebbaren Kern gewonnen, der – nach Überwindung der NS-Diktatur 12 – als Ausgangspunkt für das Polizei- und Ordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland fruchtbar gemacht werden konnte. bb) Heutige Polizeibegriffe: Gegenstand der polizeilichen Aufgabe „Gefahren6 abwehr“ war und ist der Schutz der öffentlichen Sicherheit (und Ordnung). Dazu lassen sich zwei gegenläufige Entwicklungen beobachten. Einerseits wurden und 8

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Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794; § 10 II 17 bestimmte: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Policey.“ Rechtsgeschichtlich gilt die Entscheidung als „Justizirrtum“, weil das PrOVG eine (wohl) nicht mehr gültige Norm herangezogen habe und § 10 II 17 ALR eigentlich auf die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen polizeilicher und ordentlicher Gerichtsbarkeit zielte; Preu Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, 303 ff. PrOVG 9, 353 (Neuabdruck in DVBl 1985, 219 und VBlBW 1993, 271); dazu Rott NVwZ 1982, 363; Kroeschell VBlBW 1993, 268; Walther JA 1997, 287. Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. 6. 1931 (GS 77). – § 14 bestimmte: „(1) Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit und dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. (2) Daneben haben die Polizeibehörden diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihnen durch Gesetz besonders übertragen sind.“ Dazu Boldt in: Lisken/Denninger, A Rn 61 ff.

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werden Gefahrenabwehraufgaben anderen Stellen als der Polizei übertragen; zu registrieren ist die fortwährende Spezialisierung der fachspezifischen Gefahrenabwehr (vgl zB Gewerberecht, Ausländerrecht, Lebensmittelrecht), die das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht „auszehrt“.13 Andererseits führen neue Herausforderungen bei der Sicherung des inneren Friedens (zB Bekämpfung organisierter Kriminalität, Internationalisierung von Problemursachen, Akzentuierung von Vorfeldund Vorsorgemaßnahmen) zu einer Erweiterung polizeilicher Handlungsgrundlagen.14 Stichworte aktueller Befunde sind etwa Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung über das Internet 15 oder die Abwehr terroristischer Gefahren.16 Im Übrigen sieht das allgemeine Polizeirecht ausdrücklich vor, dass der Polizei über die Gefahrenabwehr hinaus weitere Aufgaben übertragen werden können.17 Vor diesem Hintergrund lässt sich ein einheitlicher Polizeibegriff nicht aufrecht- 7 erhalten. Die divergierenden Entwicklungen verlangen im Interesse juristischer Präzision eine klare begriffliche Unterscheidung 18: – „Polizei“ im materiellen Sinne ist die (ggf mit Zwangsgewalt verbundene) Staatstätigkeit, die darauf zielt, von dem Einzelnen oder von der Allgemeinheit Gefahren abzuwehren oder bereits eingetretene Störungen zu beseitigen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird; Kriterium ist die inhaltliche Qualifizierung (dh Funktion, Zielsetzung) der Staatstätigkeit, unbeachtlich ist die handelnde staatliche Stelle. – „Polizei“ im institutionellen Sinne umfasst alle diejenigen Einrichtungen und Behörden, die dem Organisationsbereich der Polizei zuzuordnen sind; Kriterium ist die Zugehörigkeit einer Stelle zur Polizeiorganisation. 13

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Götz POR Rn 4 f (mit zutr Anerkennung der systembildenden Funktion des allg Polizeiund Ordnungsrechts). Trute DV 32 (1999) 73; ders DV 36 (2003) 501; ausf Schoch Staat 43 (2004) 347, 353 ff. Dazu Zimmermann NJW 1999, 3145; ausf Germann Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000, 183 ff, 239 ff und 326 ff; Greiner Die Verhinderung verbotener Internetinhalte im Wege polizeilicher Gefahrenabwehr, 2001, 44 ff; ders CR 2002, 620 ff; Gehde DuD 2003, 496 ff; vgl auch die Sperrungsverfügung der BezReg Düsseldorf TKMR 2002, 405; mit abl Besprechung Vassilaki TKMR 2002, 427; krit auch Ch. Engel MMRBeilage 4/2003; zustimmend Dietlein/Heinemann K&R 2004, 418 ff. Dazu Tettinger FS J. Kirchhoff, 2002, 281 ff; Hoffmann-Riem ZRP 2002, 497 ff; Krings/ Burkiczak DÖV 2002, 501 ff; Brenneisen DuD 2004, 711 ff; Sauer NVwZ 2005, 275 ff; am Bspl der Rasterfahndung zur Terrorismusbekämpfung OLG Düsseldorf DÖV 2002, 436 → JK PolG NW § 31/1 (vgl ferner Rn 257); speziell zum sog Terrorismusbekämpfungsgesetz (v 9. 1. 2002, BGBl I 361) Hetzer ThürVBl 2002, 251; Baldus ZRP 2002, 400; Nolte DVBl 2002, 573. – Streitig ist die Anordnungsbefugnis zum Abschalten von KKW bei terroristischen Flugzeugangriffen; für Anwendung des allg Polizei- und Ordnungsrechts Ossenbühl NVwZ 2002, 290, 295 ff, sowie v Danwitz Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, 41 ff; für Anwendbarkeit des AtG Sendler NVwZ 2002, 681 ff; Koch/John DVBl 2002, 1578 ff, mit Ergänzung Sendler DVBl 2003, 380f; vgl ferner Wilkesmann NVwZ 2002, 1316 ff. § 1 II PolG BW; Art 2 IV BayPAG; § 1 II ASOG Bln; § 1 IV BbgPolG; § 1 IV BremPolG; § 1 II HessSOG; § 2 II 1 SOG MV; § 1 V NdsSOG; § 1 IV PolG NW; § 1 II POG RP; § 8 II 1 SaarlPolG; § 1 II SächsPolG; § 1 III SOG LSA; § 163 II 1 LVwG SH; § 2 IV ThürPAG. Näher zum Folgenden Hilse in: Lisken/Denninger, B Rn 3 ff.

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– „Polizei“ im formellen Sinne bezeichnet diejenigen Aufgaben, die von der Polizei im institutionellen Sinne wahrgenommen werden; Kriterium ist die sachliche Zuständigkeit der Polizei, unabhängig davon, wie polizeiliches Handeln in diesem Zuständigkeitskreis materiell zu qualifizieren ist. Materieller und formeller Polizeibegriff stehen zueinander im Verhältnis zweier sich schneidender Kreise: Deckung besteht bei der Gefahrenabwehr durch Beamte der Polizeiorganisation; daneben werden Aufgaben der Gefahrenabwehr weithin von „Sonder“-Behörden (insb Ordnungsbehörden) wahrgenommen; 19 andererseits gibt es polizeiliche Aufgaben, die nicht der Gefahrenabwehr dienen (zB Strafverfolgung, Ahndung von Ordnungswidrigkeiten). Trotz der Aufspaltung des Polizeibegriffs gibt es keinen Grund, den materiellen Polizeibegriff als „überholt“ aufzugeben.20 Zwar dient er nicht (mehr) der rechtsstaatlichen Disziplinierung der Staatsgewalt; das erfolgt durch Verfassungs- und Gesetzesrecht. Aber zB die Abgrenzung zwischen präventiver und repressiver Polizeitätigkeit 21 kommt ohne Rückgriff auf den materiellen Polizeibegriff nicht aus. b) Inhalt und Umfang des Gefahrenabwehrrechts 8 Der mit der gesetzlichen Aufgabenzuweisung „Gefahrenabwehr“ 22 umrissene Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts bezieht sich in seinem klassischen Kern auf die Abwehr konkreter (Rn 84) sowie abstrakter (Rn 271) Gefahren durch die Polizei- und Ordnungsbehörden. Umfasst davon ist auch die Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr.23 Abzugrenzen ist das Gefahrenabwehrrecht dagegen vom Strafverfolgungsrecht (Rn 9 ff). Umstritten ist, inwieweit die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten dem Recht der Gefahrenabwehr zuzuordnen ist (Rn 12 ff). aa) Abgrenzung zur Strafverfolgung: Gesetzlich ist der Polizei die Strafverfol9 gung 24 (und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten 25) als Aufgabe ausdrücklich zugewiesen. Sie unterscheidet sich in der Zielsetzung fundamental von der Gefahrenabwehr. Diese umfasst die präventivpolizeiliche Tätigkeit, Strafverfolgung hingegen ist – in Anknüpfung an eine geschehene Straftat – repressives Handeln. An der Unterscheidung zwischen Prävention und Repression ist – ungeachtet mancherlei Überschneidung (Rn 10) – auf Grund ihrer erkenntnisleitenden Funktion prinzipiell festzuhalten; 26 die rechtlichen Unterschiede zwischen Gefahrenabwehr und Straf19

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Konsequenz aus diesem Befund ist in den meisten Ländern die „Entpolizeilichung“; dazu Rn 50. Ebenso Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 1 Rn 27 f; aA Götz POR Rn 20 ff; krit auch Möller/ Wilhelm Allg POR Rn 16. Dazu unten Rn 9 ff. Vgl oben Nachw Fn 2. Ausdrücklich zum Inhalt der Aufgabe „Gefahrenabwehr“ erklärt in § 1 I 2 ASOG Bln; § 1 I 2 BbgPolG; § 1 I 2 BremPolG; § 1 I 2 Nr 2 HbgGDatPol (bzgl Datenerhebung und -verarbeitung); § 1 I 2 HessSOG; § 7 I Nr 4 SOG MV; § 1 I 2 NdsSOG; § 1 I 2 PolG NW; § 1 I 2 POG RP; § 1 I Nr 3 SächsPolG; § 1 I 2 SOG LSA; § 2 I 2 ThürPAG. § 163 StPO; vgl ferner §§ 160, 161 StPO und § 152 GVG. § 53 OWiG; vgl ferner §§ 35, 36 OWiG. Trute DV 32 (1999) 73, 75; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 157 und Rn 192; Schenke POR Rn 412; nicht überzeugend insoweit Albers Straftatenverhütung, 93 f.

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verfolgung sind erheblich: Die Rechtsgrundlagen für Gefahrenabwehrmaßnahmen finden sich im Polizei- und Ordnungsrecht, für die Strafverfolgung im Strafprozessrecht (StPO); die Gesetzgebungskompetenz für das (staatsanwaltliche bzw polizeiliche) Ermittlungsverfahren in Strafsachen liegt beim Bund (Art 74 I Nr 1 GG), das allgemeine Gefahrenabwehrrecht fällt in die Gesetzgebungsbefugnis der Länder (Art 70 GG); für die Strafverfolgung gilt das Legalitätsprinzip (§ 152 StPO) und die Polizei unterliegt der staatsanwaltlichen Weisungsbefugnis (§ 161 StPO), während das Gefahrenabwehrrecht vom Opportunitätsprinzip beherrscht wird (Rn 101); Rechtsschutz gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen ist idR im Verwaltungsrechtsweg zu erlangen, Strafverfolgungsmaßnahmen unterliegen der (zT insuffizienten) Kontrolle der ordentlichen Gerichtsbarkeit.27 Die kategoriale Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 10 durch die Rechtsordnung schließt nicht aus, dass es zwischen beiden Bereichen zu Überschneidungen kommt. Faktisch sind Gemengelagen in der Lebenswirklichkeit nicht zu vermeiden; 28 rechtlich können Maßnahmen, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach „ambivalent“ sind, ihre Rechtsgrundlage sowohl in der StPO als auch im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht finden; 29 funktional kommt es unter dem Eindruck neuartiger Gefährdungslagen für die Innere Sicherheit zu einer zunehmenden Verflechtung zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen.30 Dennoch bedarf es aus den in Rn 9 genannten Gründen der Zuordnung polizeilichen Handelns zum Gefahrenabwehrrecht oder zum Strafverfolgungsrecht. Das faktisch einheitlich erscheinende Handeln der Polizei wird rechtlich mit dem 11 Begriff „doppelfunktionale Maßnahmen“ zu erfassen versucht. Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, die zugleich zum Zweck der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung getroffen werden (können). Nach hM soll die Zuordnung der Maß27

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Einzelheiten zum Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen bei Schoch Jura 2001, 628 ff. – Zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale Maßnahmen Krach Jura 2001, 737 ff; vertiefend Amelung FG 50 Jahre BGH, 2000, 911 ff; ferner Fallbearbeitung Lecheler/Germelmann Jura 2001, 781 ff. – Aus der Praxis zB BVerfG (K) NStZ 2004, 447 → JK EGGVG § 23/6: grds kein Rechtsschutz gegen Einleitung und Fortführung eines Ermittlungsverfahrens durch die StA. Praktisches Bspl BGH DÖV 1991, 849 → JK StPO § 163/1 (Videoüberwachung eines mutmaßlichen Brandstifters zwecks Überführung des Überwachten und zur Verhinderung weiterer Brandstiftungen); dazu Wolter Jura 1992, 520 ff, sowie Fallbearbeitung Hantschel Jura 2001, 472 ff. ZB Beschlagnahme nach der StPO (§§ 94 ff) oder nach Gefahrenabwehrrecht (Rn 235), ferner Wohnungsdurchsuchung (§§ 102, 104 ff StPO bzw Rn 229), Personendurchsuchung (§§ 102, 103 StPO bzw Rn 227), Personenfeststellung (§§ 163b, 163c StPO bzw Rn 199), erkennungsdienstliche Maßnahmen (§ 81b StPO bzw Rn 202 ff). Trute DV 32 (1999) 73, 76; Sauer NVwZ 2005, 275, 276 ff. – Signifikantes Bspl ist die nach Polizeirecht erfolgende Speicherung personenbezogener Daten, die im Rahmen der Strafverfolgung erhoben worden sind; VGH BW NVwZ-RR 2000, 287 und DVBl 2001, 838; verfassungsrechtlich gebilligt durch BVerfG (K) DVBl 2002, 1110 → JK Pol u OrdR/Datenspeicherung/1, m krit Bspr Hohnstätter NJW 2003, 490; allg zur Verwendung strafprozessual erhobener Daten für präventivpolizeiliche Zwecke Schenke FG Hilger, 2003, 225 ff.

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nahme zur Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr nach ihrem Schwerpunkt erfolgen, der anhand des Gesamteindrucks der Maßnahme zu ermitteln sei.31 Im Übrigen soll eine doppelfunktionale Maßnahme rechtmäßig sein, solange nur eine der in Anspruch genommenen Befugnisnormen (StPO oder Polizeirecht) sie trage.32 Rechtlich überzeugend ist die hM nicht.33 Notwendig ist eine differenzierende Beurteilung: Umfasst ein einheitlich erscheinender Handlungsablauf ein polizeiliches Maßnahmenbündel, muss dieses aufgespalten und die jeweilige Maßnahme der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr zugeordnet werden.34 Sodann verfügt die Polizei über die Entscheidungsbefugnis darüber, ob sie präventiv oder repressiv agieren will; allerdings muss dies vor dem Tätigwerden feststehen.35 Fehlt es an einer entsprechenden Festlegung und ist die Maßnahme bereits durchgeführt, kann es aus rechtsstaatlichen Gründen nur auf die objektive Zwecksetzung der Polizeiaktion ankommen.36 Werden sowohl Ziele der Strafverfolgung als auch der Gefahrenabwehr verfolgt, so dass es um die rechtliche Würdigung einer „echten“ doppelfunktionalen Maßnahme geht, müssen – selbstverständlich – beide Rechtsgrundlagen (dh die Befugnisnorm nach der StPO und diejenige nach allg Gefahrenabwehrrecht) beachtet werden.37 bb) Einbeziehung vorbeugender Bekämpfung von Straftaten: Im Unterschied zur 12 polizeilichen Strafverfolgung, die als repressive Tätigkeit eine Straftat voraussetzt und die Ermittlungstätigkeit daran anknüpft (§ 163 StPO), wird die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten dem Gefahrenabwehrrecht zugeordnet. Im positiven Recht wird dies durch unterschiedliche Gesetzestechniken mit divergierender inhaltlicher Reichweite zum Ausdruck gebracht: Überwiegend wird die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in der allgemeinen Aufgabenzuweisungsnorm zum Gegenstand gefahrenabwehrender polizeilicher Tätigkeit erklärt; in der Mehrzahl der Fälle wird diesem Aufgabenkomplex sowohl die Verhütung von Straftaten als auch die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten zugeordnet,38 andere Gesetzes31

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BVerwGE 47, 255, 265; VGH BW DÖV 1989, 171; BayVGH NVwZ 1986, 655 sowie BayVBl 1991, 657 f und 1993, 429, 430; OVG NW NJW 1980, 855; Fezer Jura 1992, 126, 133; Jorzik/Kunze Jura 1990, 294, 297; Erichsen Jura 1993, 45, 49; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 101; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 2 Rn 15; Knemeyer POR Rn 122. Götz POR Rn 550. Einzelheiten zur Kritik bei Schoreit NJW 1985, 169, 172; Götz POR Rn 549; Schenke POR Rn 423. Ebenso insoweit Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 102, sowie Götz POR Rn 547; ferner Albers Straftatenverhütung, 95. Hantschel Jura 2001, 472, 476. – Daher hat die Polizei (im Nachhinein) kein Wahlrecht bzgl der Rechtsgrundlage; nicht relevant deshalb die Bedenken bei Knemeyer POR Rn 123 und Gusy PolR Rn 155. Schoch FS Stree/Wessels, 1993, 1095, 1115; Schenke POR Rn 423; abl Gusy PolR Rn 23. Wolter Jura 1992, 520, 526; Albers Straftatenverhütung, 96; Schenke POR Rn 423f (mit der Konsequenz einer Rechtswegspaltung); aA Wolffgang/Hendricks/Merz POR NW Rn 45: eine Rechtsgrundlage genügt. § 1 III ASOG Bln; § 1 I 2 BbgPolG; § 1 IV HessSOG; § 1 II iVm § 7 I Nr 4 SOG MV; § 1 I 3 NdsSOG; § 1 I 2 PolG NW; § 1 I 3 POG RP; § 1 I 2 Nr 2 SächsPolG; § 2 I SOG LSA; § 2 I 2 ThürPAG.

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bestimmungen rechnen zur Gefahrenabwehraufgabe nur die Verhütung von Straftaten.39 Nach einem bereichsspezifischen Aufgabenzuweisungskonzept umfasst die Gefahrenabwehr die Erhebung und Verarbeitung von Daten zur Verhütung von Straftaten und zur Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten.40 Dem steht ein Modell gegenüber, das die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zum Inhalt von einzelnen Befugnisnormen erklärt, sei es generalklauselartig 41 oder sei es bereichsspezifisch.42 Die gesetzliche Ausdehnung der klassischen Gefahrenabwehr (Rn 8) auf die 13 Gefahren- und Strafverfolgungsvorsorge stellt die positivrechtliche Ausprägung eines polizeilichen Vorsorgeprinzips als Reaktion auf die veränderte Verbrechenswirklichkeit (zB Zunahme gewaltsamer Aktionen, organisierte Kriminalität, Terrorismus) dar.43 Markantestes Kennzeichen des neuen Aufgabenspektrums ist die polizeiliche Informationsvorsorge; sie äußert sich zB in besonderen Möglichkeiten zur Erhebung, Nutzung und Speicherung personenbezogener Daten, im verstärkten Einsatz der Videoüberwachung oder von V-Leuten.44 Rechtlich erlauben die einschlägigen Gesetzesbestimmungen eine Vorverlagerung polizeilicher Aktivitäten; fassbare Konsequenzen hieraus sind verminderte Anforderungen für die Bejahung der Gefahrenlage für ein polizeiliches Einschreiten und die vermehrte Befugnis der Polizei zur Inanspruchnahme sog Nichtstörer.45 Im Grundsätzlichen werden die Aufgabenerweiterung und die Einräumung der Vorfeldbefugnisse der Polizei angesichts veränderter Gefährdungen der Inneren Sicherheit durch neue Formen der Kriminalität seitens der Rechtsprechung für verfassungsmäßig erachtet.46

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§ 1 I 3 BremPolG; ebenso für die Bundespolizei § 1 V BPolG. So § 1 I 2 Nr 1 HbgGDatPol. Art 11 II 1 Nr 1 BayPAG (Verhütung von Straftaten). Beispiele: vorbeugende Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität (§ 26 I Nr 6 PolG BW; § 9 a SaarlPolG); erkennungsdienstliche Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (§ 26 I Nr 2–5 PolG BW; § 10 I Nr 2 SaarlPolG; § 183 I 3 LVwG SH); Informationsvorsorge zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (§§ 20 III, 22 II, 38 I PolG BW; §§ 28, 30 II SaarlPolG; §§ 179 II, 189 I LVwG SH). – Vergleichbare Befugnisnormen treten in den anderen Ländern zur Aufgabenzuweisung (Fn 38–40) hinzu. Ausführlich Albers Straftatenverhütung, 97 ff; ferner Trute GS Jeand’Heur, 1999, 403 ff; Gusy VVDStRL 63 (2004) 151 ff. Horn FS Schmitt Glaeser, 2003, 435 ff; Kugelmann DÖV 2003, 781 ff; Schoch Staat 43 (2004) 347, 352 ff. Trute DV 36 (2003) 501 ff; Bull FS Selmer, 2004, 29 ff; Gusy PolR Rn 197 ff; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 30. SächsVerfGH LKV 1996, 273 → JK SächsVerf Art 16 I 2/1 (zur heimlichen polizeilichen Informationsbeschaffung), ähnlich BbgVerfG LKV 1999, 450; LVerfG MV LKV 2000, 149 und BayVerfGH DVBl 2003, 861 sowie SächsVerfGH Urt v 10. 7. 2003 – Vf 43-II-00 – (zur verdachtsunabhängigen Identitätsfeststellung – „Schleierfahndung“); ähnlich VerfG LSA NVwZ 2002, 1370; BVerfG (K) DÖV 2001, 777 (zur Datenerhebung durch Observation und zum verdeckten Einsatz technischer Mittel); stärker einschränkend zum „Großen Lauschangriff“ nach PolR LVerfG MV LKV 2000, 345.

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Als – weithin – unproblematisch gilt die Einbeziehung der Verhütung von Straftaten 47 in die Gefahrenabwehraufgabe der Polizei.48 Dieser Aufgabenbereich betrifft präventives polizeiliches Handeln. Dieser Regelungsgegenstand liegt in der Kompetenz des Landesgesetzgebers. Die Kennzeichnung als „Aufgabe der Gefahrenabwehr“ ist daher für die Straftatenverhütung zutreffend. Über die konkreten Befugnisse ist damit noch keine Aussage getroffen. Umstritten ist die Zuordnung der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straf15 taten.49 Die hM 50 sieht auch darin eine Aufgabe der Gefahrenabwehr, weil nicht iSd § 152 II StPO auf Grund eines Anfangsverdachts an eine in der Vergangenheit liegende Straftat angeknüpft, sondern iSd Prävention vorbeugende Verbrechensbekämpfung betrieben werde. Die Gegenauffassung 51 rechnet jene Vorsorge wegen der Zielrichtung der Maßnahmen zur Strafverfolgung. Auch die Rechtsprechung ist in der Beurteilung gespalten. Das BVerwG ordnet die vorsorgende Strafverfolgung auf Grund ihres vorbeugenden Zwecks der polizeilichen Gefahrenabwehraufgabe zu.52 Das BVerfG hingegen betont den funktionalen Zusammenhang der Strafverfolgungsvorsorge mit der Beweisbeschaffung in künftigen Strafverfahren und erachtet deshalb das Strafverfahrensrecht für einschlägig.53 Dem entspricht das weite Verständnis des Begriffs „Strafrecht“ durch das BVerfG; dazu gehöre die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung aus der Anlasstat bezögen.54 Die Kontroverse hat erhebliche Konsequenzen für die Ermittlung der Gesetz16 gebungskompetenz. Der Bund darf das Strafverfahrensrecht nach Art 74 I Nr 1 GG regeln, das allgemeine Gefahrenabwehrrecht liegt nach Art 70 GG in der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Einbeziehung der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten in die allgemeine Gefahrenabwehraufgabe 55 wird zusätzlich dadurch befrachtet, dass der Bund seinerseits in der StPO Befugnisse zur Strafverfolgungsvorsorge nor14

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Einzelheiten dazu bei Albers Straftatenverhütung, 123 ff. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 164, 187; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/ Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 30, 99; Schenke POR Rn 10. Einzelheiten dazu bei Albers Straftatenverhütung, 128 ff. Pieroth VerwArch 88 (1997) 568, 574; Götz POR Rn 86; Würtenberger in: Achterberg/ Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 99; Gusy PolR Rn 198; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 5 Rn 5 f; unentschieden Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 188 f. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 165, 169 f; Bäumler ebd, J Rn 531 ff; Schenke POR Rn 11; Zöller Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, 2002, 90 ff. BVerwG NJW 1990, 2765, 2766 f und NJW 1990, 2768, 2769. BVerfG (K) DVBl 2001, 454 → JK StPO § 81 g/2; vgl dazu auch Neuser Jura 2003, 461 ff. So BVerfGE 109, 190, 212; Konsequenz: Verfassungswidrigkeit landesrechtlicher Regelungen der Straftäterunterbringung; vgl dazu Baier Jura 2004, 552 ff; ferner Gärditz NVwZ 2004, 693 ff, sowie Kinzig NJW 2004, 911 ff. – Zur bundesgesetzlichen Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66 b StGB) Poseck NJW 2004, 2559 ff. Vgl Nachw Fn 38; unproblematisch ist die Begrenzung auf die Straftatenverhütung, Fn 39.

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miert.56 Umgekehrt wird dem Landesrecht gerichtlich attestiert, es enthalte materielles Strafverfahrensrecht.57 Wird die Strafverfolgungsvorsorge bzgl der Gesetzgebungsbefugnis Art 74 I Nr 1 GG zugeordnet, haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung auf diesem Gebiet nur, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nicht Gebrauch macht (Art 72 I GG); mit dem Bundesrecht kollidierende landespolizeiliche Vorschriften zu bestimmten erkennungsdienstlichen Maßnahmen oder zur Datenspeicherung bzgl künftiger Straftaten sind danach unwirksam.58 Unterfällt die Strafverfolgungsvorsorge dagegen dem Gefahrenabwehrrecht, hat der Bund durch seine strafprozessualen Regelungen zur Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten verfassungswidrig in die Kompetenz der Länder (Art 70 GG) eingegriffen.59 Betroffen von diesem Verdikt wären nicht nur neuartige strafprozessuale Bestimmungen, sondern auch – da materiell präventivpolizeiliches Handeln regelnd – § 81b Alt 2 StPO.60 Soll die Gesetzessprache nicht jeden Sinn verlieren, kann die Strafverfolgungs- 17 vorsorge nicht über das „gerichtliche Verfahren“ iSd Art 74 I Nr 1 GG der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet werden.61 Die Gesetzgebungszuständigkeit liegt danach für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten insgesamt bei den Ländern.62 Im Vorfeld der Strafverfolgungstätigkeit werden der Polizei mit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Aufgaben zugewiesen, die keinen Bezug zu einer konkreten Straftat haben; die Voraussetzungen des Art 74 I Nr 1 GG liegen danach nicht vor.63 Allgemeine bundesgesetzliche Regelungen der Gefahren- und Strafverfolgungsvorsorge sind demgemäß unzulässig. Nun sind Straftatenverhütung und Verfolgungsvorsorge als moderne Formen der Kriminalitätsbekämpfung dadurch gekennzeichnet, dass es angesichts der komplexen und vernetzten Lebenswirklichkeit um die Erzeugung von Grundlagen- und Strukturwissen geht. Aber das kann nach geltendem Verfassungsrecht nicht dazu führen, präventivpolizeiliche Regelungen des Bundes dadurch „retten“ zu wollen, dass die „gewohnten Muster“ zur Abgrenzung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung für unbrauchbar erklärt werden und die Bundeskompetenz mit einer Annexkompetenz zu Art 74 I 56

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§ 81g StPO (DNA-Identitätsfeststellung); § 484 StPO (Datenverarbeitung für Zwecke künftiger Strafverfahren); dazu ausf Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 100 ff. OVG SH NJW 1999, 1418 zu § 189 I LVwG SH. So in der Tat Bäumler in: Lisken/Denninger, J Rn 539 ff; Schenke POR Rn 12, 30 f; Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 93 f. So Paeffgen JZ 1991, 437, 443; zustimmend Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 5 Rn 6. Vgl zu der Kontroverse hierüber Schoch FS Stree/Wessels, 1993, 1095, 1097; dezidiert Pieroth VerwArch 88 (1997) 568, 575 (Fn 37): Verfassungswidrigkeit von § 81b Alt 2 StPO wegen Kompetenzverstoßes. Albers Straftatenverhütung, 268. BayVerfGH DVBl 1995, 347, 349 und DVBl 2003, 861, 862; SächsVerfGH LKV 1996, 273, 275; BbgVerfG LKV 1999, 450, 451; LVerfG MV LKV 2000, 149, 151 und 345, 347; Götz POR Rn 86; Gusy PolR Rn 22 u 23; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 5 Rn 6. LVerfG MV LKV 2000, 149, 150 f; ausf Kastner VerwArch 92 (2001) 216, 234 ff, sowie Notzon Zum Rückgriff auf polizeirechtliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, 2002, 70 ff.

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2. Kap I 1 c

Friedrich Schoch

Nr 1 GG iVm einem funktionalen Verständnis der Verfolgungsvorsorge zu begründen versucht wird.64 Die Gesetzgebungskompetenzen nach Art 70, 73 ff GG sind nicht funktional, sondern gegenständlich (dh nach Sachmaterien) ausgestaltet. Bundesgesetzliche Vorschriften zum allgemeinen Gefahrenabwehrrecht können auf Grund des Sachzusammenhangs mit dem Strafverfahrensrecht nur Bestand haben, wenn die vorgesehenen Maßnahmen mit der „Beschuldigten“-Eigenschaft des Betroffenen verknüpft sind. Insoweit sind landesgesetzliche Bestimmungen verdrängt (Rn 203). Diese kommen bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zum Zuge, wo „Nichtbeschuldigte“ betroffen sind.65 Sind somit Straftatenverhütung und Strafverfolgungsvorsorge gegenständlich 18 dem Gefahrenabwehrrecht zuzuordnen, könnte unter systematischen Vorzeichen eine „dritte“ polizeiliche Aufgabenkategorie neben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung anzuerkennen sein.66 Ein fassbarer Erkenntnisfortschritt wäre damit jedoch nicht verbunden. Im Gegenteil, schon um die rechtsstaatlichen Sicherungen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts nicht zu gefährden, sollte die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als Teil der Gefahrenabwehraufgabe verstanden werden.67 c) Fazit 19 Der durch die Aufgabenzuweisung an die Polizei (und die Ordnungsbehörden) gekennzeichnete Gegenstandsbereich des Polizei- und Ordnungsrechts umfasst die klassische Gefahrenabwehr einschließlich der Vorbereitung hierauf, ferner die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten (Verhütung von Straftaten und Vorsorge zur Verfolgung von Straftaten); hinzu tritt die Vollzugshilfe.68 Sofern die Polizei weitere, ihr durch Rechtsvorschrift übertragene Aufgaben wahrzunehmen hat,69 ist das Gefahrenabwehrrecht nur im Falle der Prävention betroffen. Repressives Verhalten wie zB die Verfolgung von Straftaten (und Ordnungswidrigkeiten) ist vom Polizeiund Ordnungsrecht nicht umfasst.

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So Albers Straftatenverhütung, 265 ff; ebenso nun BVerfG B v 27. 7. 2005 – 1 BvR 668/04 – www.bverfg.de, Rn 100. In diesem Sinne speziell für § 81 b Alt 2 StPO HessVGH NVwZ-RR 1994, 652, 653 und 656; ebenso VGH BW DÖV 2004, 440 → JK StPO § 81 b/1; BayVGH NVwZ-RR 1998, 496, 497; OVG NW DVBl 1999, 1228; OVG RP DÖV 2001, 212; SächsOVG NVwZ-RR 2001, 238. So Gusy PolR Rn 199; Knemeyer POR Rn 15; ders FS Rudolf, 2001, 483 ff; Albers Straftatenverhütung, 252 ff. Götz DVBl 2001, 1198, 1199; ders POR Rn 88. § 60 IV PolG BW; Art 2 III BayPAG; § 1 V ASOG Bln; § 1 III BbgPolG; § 1 III BremPolG; § 1 V HessSOG; § 7 II SOG MV; § 1 IV NdsSOG; § 1 III PolG NW; § 1 IV POG RP; § 1 IV SaarlPolG; § 61 I SächsPolG; § 2 III SOG LSA; § 168 II Nr 1 LVwG SH; § 2 III ThürPAG. Vgl Nachw Fn 38.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap I 2 a

2. Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe a) Gewährleistung der Inneren Sicherheit als Staatsaufgabe Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit ist eine fundamentale und originäre Auf- 20 gabe des modernen Staates.70 Der Staat fungiert als rechtlich verfasste Friedens- und Ordnungsmacht (Rn 2), die die Sicherheit seiner Bevölkerung gewährleistet.71 Nach der Überwindung des mittelalterlichen Faustrechts ist die Ausübung von Gewalt, derer es zur Durchsetzung der Rechtsordnung mitunter bedarf, beim Staat monopolisiert.72 Von daher kann die Gewährleistung der Inneren Sicherheit als notwendige Staatsaufgabe 73 bezeichnet werden.74 Die Gefahrenabwehr ist Teil der Gewährleistung der Inneren Sicherheit.75 Infolgedessen ist auch der präventive Schutz des Einzelnen und der Allgemeinheit vor Gefahren eine notwendige staatliche Aufgabe.76 Diese Aufgabenzuordnung bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein staatliches Monopol auf Sicherheitsgewähr entstehen muss.77 In die Aufgabendurchführung können möglicherweise auch Private einbezogen werden (Rn 23 ff). Aber die prinzipielle Aufgabenzuweisung an den Hoheitsträger begründet die „Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger … zu schützen“.78 Im Grundgesetz hat diese Staatsaufgabe nur unvollkommen Ausdruck erhalten. 21 Es fehlt an einer umfassenden und zusammenhängenden Regelung zur Staatsaufgabe „Sicherheit“; dazu finden sich nur punktuelle Aussagen.79 Dies rechtfertigt aber nicht die These, jene Staatsaufgabe gebe es in Deutschland 80 mit Verfassungsrang nicht.81 Mindestens aus der Garantiefunktion der Grundrechte (staatliche

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Hilse in: Lisken/Denninger, B Rn 1; Krölls GewArch 1997, 445, 448; Trute GS Jeand’Heur, 1999, 403, 413; Schulze-Fielitz FS Schmitt Glaeser, 2003, 407 ff; ausf Stoll Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, 2003, 15 ff. BVerfGE 49, 24, 56 f. BVerfGE 69, 315, 360 unter Hinweis auf den Schutz schwächerer Minderheiten; aA Pitschas DÖV 1997, 393, 397: „Der Staat verfügt über kein Gewaltmonopol“. Möstl Sicherheit, 42 ff, begreift Innere Sicherheit als „Staatsziel“. Saipa/Wahlers/Germer NdsVBl 2000, 285, 288. – Zur Sicherheit als Grundlage der Freiheit Calliess DVBl 2003, 1096, 1100 ff; zur Balance zwischen Freiheit und Sicherheit angesichts neuer Bedrohungen für die Innere Sicherheit Gusy VVDStRL 63 (2004) 151, 173 ff, sowie Schoch Staat 43 (2004) 347, 360 ff. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 2 Rn 1: Innere Sicherheit als „Dach- und Sammelbegriff“ verschiedener Einzelaufgaben; anders Möstl Sicherheit, 127: „innere“ und „öffentliche“ Sicherheit seien vollständig deckungsgleich. Martens DÖV 1982, 89, 90 f; Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 2; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 19. Pitschas DÖV 1997, 393, 398; Gramm VerwArch 90 (1999) 329, 330. BVerfGE 46, 214, 223. Vgl zB Art 13 IV und VII, 35 II, 73 Nr 10b, 87 I, 91 GG. Zu den europarechtlichen Vorgaben Rn 46 f. So aber Gusy DÖV 1996, 573, 578; ders PolR Rn 74f.

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2. Kap I 2 b aa

Friedrich Schoch

Schutzpflichten) 82 und dem staatlichen Gewaltmonopol 83 lässt sich herleiten, dass die Gefahrenabwehr eine notwendige staatliche Aufgabe darstellt.84 Das Gesetzesrecht, das mangels eines verfassungsrechtlichen Katalogs von Staatsaufgaben für deren Begründung maßgeblich ist, bestätigt den Befund. Prägnant wird die „Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe“ gekennzeichnet.85 Dem steht die Formulierung von der Gefahrenabwehr „als Landesaufgabe“ gleich.86 Speziell in Bezug auf die Polizei, die eine spezifische Funktion öffentlicher (idR staatlicher) Verwaltung darstellt,87 ist verschiedentlich bestimmt, dass die Polizei „Angelegenheit des Landes ist“.88 b) Gefahrenabwehr durch Private 22 Unabhängig von dieser rechtlichen Ausgangslage ist seit einiger Zeit in der Praxis eine Tendenz zur Privatisierung der Gefahrenabwehr zu beobachten. Darin wird verschiedentlich eine Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols erblickt.89 Private sind (als Grundrechtsträger) in der Tat an rechtsstaatliche Restriktionen (Begrenzung von Eingriffsbefugnissen, Beachtung von Formen und Verfahren, Übermaßverbot), die der Disziplinierung der öffentlichen Verwaltung dienen, nicht gebunden. Die sachangemessene rechtliche Erfassung des komplexen Problems (Rn 23 ff) verlangt indes die genaue Ermittlung der recht unterschiedlichen Formen privater Gefahrenabwehr, um die Antworten der Rechtsordnung auf die faktischen Phänomene analysieren zu können (Rn 26 ff). Zu trennen von den Aussagen des geltenden Rechts ist die Frage, ob eine weitreichende Privatisierung der Gefahrenabwehr de lege ferenda in Betracht zu ziehen ist (Rn 29 f). aa) Erscheinungsformen des privaten Sicherheitsgewerbes: In ihrer organisierten 23 Form wird die Gefahrenabwehr von Privaten idR durch private Sicherheitsdienste vorgenommen.90 Wirtschaftsverwaltungsrechtlich ist das Sicherheitsgewerbe mit dem Bewachungsgewerbe gleichgesetzt. Dieses ist als die gewerbsmäßige Bewachung von Leben und Eigentum fremder Personen definiert (§ 34 a I 1 GewO).91 Ausgegrenzt ist damit der Werkschutz. Auch die rein beobachtende Tätigkeit ohne 82

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Winkler NWVBl 2000, 287, 289; Brugger VVDStRL 63 (2004) 101, 130 f; Lisken in: Lisken/Denninger, C Rn 1 und 161; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 23. Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 2; Saipa/Wahlers/Germer NdsVBl 2000, 285, 287 f; Tettinger NWVBl 2000, 281; ders FS J. Kirchhoff, 2002, 281, 285 ff. Ausdrücklich Art 1 II LV BW: Der Staat hat die Aufgabe, den in seinem Gebiet lebenden Menschen Schutz zu gewähren. § 81 HessSOG; § 75 POG RP. § 1 IV SOG MV; § 162 III LVwG SH. Hilse in: Lisken/Denninger, B Rn 2. § 1 POG NW; § 76 I SOG LSA; ähnlich § 1 I POG SH. Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 27; Pieroth/ Schlink/Kniesel POR § 1 Rn 38; aA M. Lange Privates Sicherheitsgewerbe in Europa, 2002, 63 f, da mit einer schleichenden Ersetzung der Polizei durch private Sicherheitsdienste faktisch nicht zu rechnen sei. Umfassend zur Thematik Stober/Olschok (Hrsg) Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, 2004. Näher zur Qualifizierung privater Sicherheitsdienste Stober GewArch 2002, 129.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap I 2 b aa

Erfüllung von Schutzaufgaben (zB Detekteien, § 38 I 1 Nr 2 GewO) wird nicht erfasst. Im Übrigen muss die Überwachung Hauptaufgabe des Dienstes sein.92 Dass die Rechtsordnung Fortentwicklungen und Ausdifferenzierungen des privaten Sicherheitsgewerbes aufnimmt, zeigt die Unterscheidung zwischen rein privaten Bewachungstätigkeiten und Tätigkeiten im öffentlichen Raum.93 Das im BDWS 94 organisierte private Sicherheitsgewerbe stellt eine „Wachstums- 24 branche“ dar. Nach vormals etwa 50.000 Beschäftigten in 335 Betrieben mit einem Umsatz von 573 Mio DM im Jahr 1974 erlebte das private Sicherheitsgewerbe seit Anfang der 1990er Jahre einen starken Boom.95 Für das Jahr 2000 wurden 2.500 Unternehmen mit 140.000 Beschäftigten (bei ca 250.000 Polizisten in Bund und Ländern) angegeben; der Umsatz lag bei 5.840 Mio DM (knapp 3 Mrd €).96 Die Zahlen wachsen weiter: 2004 gab es etwa 3.000 Unternehmen mit ungefähr 175.000 Beschäftigten, und der Umsatz überstieg bereits 4,15 Mrd €. Für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist das private Sicherheitsgewerbe in Deutschland 97 mittlerweile zu einer festen und unverzichtbaren Größe geworden.98 Die Tätigkeitsbereiche des privaten Sicherheitsgewerbes betreffen vornehmlich den Objektschutz, sodann Revier- und Streifendienste, ferner Geld- und Werttransporte sowie den Personenschutz. Die Überwachungstätigkeiten ergreifen zunehmend den öffentlichen Verkehrsraum (zB Patrouillen in Fußgängerzonen und Bahnhöfen, Personen- und Gepäckkontrolle auf Flughäfen).99 Weitere Einsatzfelder (iS eines umfassenden Dienstleistungsangebots) sind denkbar (zB Verkehrsüberwachung, Sky Marshals in Flugzeugen). Die Gründe für die Bedeutungszunahme des privaten Sicherheitsgewerbes wer- 25 den zunächst in Defiziten bei der staatlichen Gewährleistung der Inneren Sicherheit gesehen; angesichts hoher Kriminalitätsraten sei eine überlastete und zT schlecht organisierte und ausgestattete Polizei nicht in der Lage, dem gesteigerten Bedrohungsgefühl der Bevölkerung durch adäquate Schutzmaßnahmen Rechnung zu tragen.100 Sodann werden gesellschafts- und finanzpolitische Bedingungen („schlanker Staat“) hervorgehoben; der an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gelangte Staat suche nach Entlastung.101 Ausfluss hiervon sei eine dreifache Privatisierungsstrate92 93

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Lange Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 89) 32. § 34 a V 1 GewO („Bewachungsaufgaben gegenüber Dritten“); vgl dazu BT-Drucks 14/8386, 14. Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen eV. Einzelheiten dazu bei Peilert DVBl 1999, 282; Lisken in: Lisken/Denninger, C Rn 164. Vgl die Verbandsangaben www.bdws.de. Zur Entwicklung in Österreich, Frankreich und England Lange Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 89) 95 ff, 129 ff, 161 ff. Pitschas DÖV 1997, 393, 394; Stober ZRP 2001, 260; Jungk Police Private Partnership, 2002, 10 ff. Schnekenburger Rechtsstellung und Aufgaben des Privaten Sicherheitsgewerbes, 1999, 35 ff; Brauser-Jung/Lange GewArch 2003, 224. Pitschas DÖV 1997, 393, 394; Möstl Sicherheit, 291; F. Huber Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr durch das Sicherheits- und Bewachungsgewerbe, 2000, 45 ff. Saipa/Wahlers/Germer NdsVBl 2000, 285, 287; Brauser-Jung/Lange GewArch 2003, 224; krit zur „Ökonomisierung der Inneren Sicherheit“ Hetzer ZRP 2000, 20 ff.

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2. Kap I 2 b bb

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gie: rechtlicher Rückzug des Staates durch Privatisierungsmaßnahmen (zB Bahn, städtische Verkehrsbetriebe), förmliche Übertragung von Sicherheitsaufgaben auf Private (zB Objektschutz, Schutz von Großveranstaltungen) und faktische Privatisierung durch Rückzug der Polizei aus etlichen Bereichen (zB Personen- und Transportschutz, Überwachung des öffentlichen Verkehrsraums).102 Da ein Ende der Entwicklung nicht gesehen wird, finden sich vielfältige Forderungen nach einem weiteren Ausbau des privaten Sicherheitsgewerbes und einer verstärkten Kooperation zwischen Polizei und Privaten.103 bb) Rechtliche Grundlagen: Die skizzierte Entwicklung beruht nicht auf einem 26 durchdachten Konzept oder gar auf einer gezielten rechtlichen Steuerung. Ein „Aufgaben- und Befugnisgesetz“ gibt es in Deutschland für das private Sicherheitsgewerbe nicht.104 Den im öffentlichen Bereich ausgeführten Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes wurden rechtliche Grundlagen durch das „Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts“ 105 gegeben.106 Wirtschaftsverwaltungsrechtlich ist § 34 a GewO von Bedeutung (Erlaubnispflicht des Bewachungsgewerbes), waffenrechtlich ist § 28 WaffG (Erwerb von Waffen und Munition) zu beachten. Aus der Perspektive des Gefahrenabwehrrechts hat die Entwicklung des privaten Sicherheitsgewerbes etwas „Wildwüchsiges“ an sich. Die rechtliche Strukturierung kann zunächst zwischen der staatlichen Zulassung privater Gefahrenabwehr (Rn 27) und der staatlichen Übertragung von Gefahrenabwehraufgaben auf Private (Rn 28) unterscheiden.107 Im letztgenannten Fall ist weiter zu differenzieren zwischen der Verleihung von Hoheitsbefugnissen an Private und deren rein zivilrechtlichen Handlungsmöglichkeiten. Eine besondere Erscheinungsform der Gefahrenabwehr durch Private stellt die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung einzelner Bürger an der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar.108 102 103

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Gusy VerwArch 92 (2001) 344, 353 f. Stober NJW 1997, 889 ff; DÖV 2000, 261 ff; ZRP 2001, 260 ff; Pitschas DÖV 1997, 393, 398 ff; deutlich zurückhaltender zB Peilert DVBl 1999, 282, 289 ff; Winkler NWVBl 2000, 287, 292 ff; Hammer DÖV 2000, 613, 619 ff; Gusy VerwArch 92 (2001) 344, 355 ff; Schnekenburger Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 99) 265 ff; Lisken in: Lisken/Denninger, C Rn 169 ff, 182 ff. – Ein (ausformuliertes) Kooperationsgesetz für die Zusammenarbeit öffentlicher Stellen mit privaten Sicherheitsunternehmen schlägt Storr DÖV 2005, 101 ff vor. Zu Kodifizierungsüberlegungen Beinhofer BayVBl 1997, 481 ff; Tettinger NWVBl 2000, 281 ff. G v 23. 7. 2002 (BGBl I 2724) mit Änderungen des § 34 a GewO (Sartorius I Nr 800) und der Bewachungsverordnung. Erläuternd dazu Schönleitner GewArch 2003, 1 ff u 46; Brauser-Jung/Lange GewArch 2003, 224, 225 ff. Krölls GewArch 1997, 445, 446. Baden-Württemberg: Gesetz über den Freiwilligen Polizeidienst; Bayern: Gesetz über die Sicherheitswacht in Bayern; Hessen: Gesetz über die aktive Bürgerbeteiligung zur Stärkung der Inneren Sicherheit; Sachsen: Gesetz über die Sächsische Sicherheitswacht. – In Niedersachsen (§ 95 SOG) und Rheinland-Pfalz (§ 95 POG) können Private zu Hilfspolizeibeamten bestellt werden. – Die rechtl Qualifizierung all dieser „Polizeireserven“ als Polizeihelfer (Krölls GewArch 1997, 445; Lisken in: Lisken/Denninger, C Rn 175) ist ungenau;

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap I 2 b bb

Der staatlichen Zulassung privater Gefahrenabwehr liegt die Prämisse zu 27 Grunde, dass jeder das Recht hat, seine Rechtsgüter zu schützen und (unter der verfassungsrechtlichen Herrschaft der Privatautonomie) durch private Dritte schützen zu lassen.109 Das Tätigwerden privater Sicherheitsdienste im Auftrag Privater findet auf zivilrechtlicher Grundlage statt.110 In diesem Tätigkeitsfeld stehen den Akteuren des privaten Sicherheitsgewerbes lediglich, wie § 34 a V 1 GewO klarstellt, die „Jedermann“-(Not-)Rechte zur Verfügung.111 Umfasst sind hiervon insb Notwehrund Nothilfevorschriften (§ 227 BGB; § 32 StGB; § 15 OWiG), Bestimmungen zum rechtfertigenden (§§ 228, 904 BGB; § 34 StGB; § 16 OWiG) und ggf zum entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB), die zivilrechtlichen Selbsthilfevorschriften (§§ 229 ff, 859, 860 BGB) und das privatrechtliche Hausrecht sowie das Recht zur vorläufigen Festnahme (§ 127 StPO). Hoheitliche Befugnisse gegenüber Dritten werden durch jene gesetzlichen Regelungen nicht vermittelt. Das gilt auch unter europarechtlichen Vorzeichen; die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste stellt keine Beteiligung an der Ausübung öffentlicher Gewalt dar.112 Daraus folgt, dass zB die mit der Durchführung von Hoheitsaufgaben verbundene Einschaltung Privater in die Verkehrsüberwachung ohne entsprechende Rechtsgrundlage unzulässig ist.113 Hoheitsaufgaben (zB die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten) dürfen nach Art 33 IV GG als ständige Aufgabe ohnehin idR nur Angehörigen des öffentlichen Dienstes übertragen werden. Die Rechtsprechung hat daher zB die Parkraumüberwachung durch Private 114 und die Durchführung systematischer Geschwindigkeitsmessungen durch Private 115 für unzulässig erklärt. Die staatliche Übertragung von Gefahrenabwehraufgaben auf Private findet eine 28 Ausprägung in den Eigensicherungspflichten, die der Staat Privaten auferlegt. Dabei geht es um die Pflicht zu privater Gefahrenabwehr gegenüber Angriffen Dritter auf bestimmte Einrichtungen. Am Beispiel eines Flughafenunternehmers hatte das BVerwG entschieden, dass dieser ohne besondere gesetzliche Regelung nicht schon nach allg Polizei- und Ordnungsrecht verpflichtet sei, auf eigene Kosten den Flug-

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großenteils findet eine Beleihung mit Hoheitsbefugnissen statt; zum bayerischen Sicherheitswachtmodell Jungk Police (Fn 98) 243 ff. – In Berlin wurde der Freiwillige Polizeidienst aufgelöst (Art VII HaushaltsentlastungsG 2002 v 19. 7. 2002, GVBl 199, 204); die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, VerfGH Bln LKV 2005, 212. Zu den vertragsrechtlichen Beziehungen zwischen den Privatpersonen Schünemann NJW 2003, 1689 ff. Die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste ist grundrechtlich geschützt; Hammer DÖV 2000, 613, 618; Möstl Sicherheit, 302 ff. – Europarechtlich sind private Sicherheitsdienste durch Art 39, 43, 49 EGV geschützt; EuGHE 1998, 6717; EuGHE 2000, 1221 → JK EGV Art 49/3; EuGHE 2001, 4363; EuGH GewArch 2004, 333. Ausf dazu Schnekenburger Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 99) 134 ff; Huber Bewachungsgewerbe (Fn 100) 64 ff; Lange Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 89) 41 ff. EuGHE 2001, 4363 = EuZW 2001, 603 – Tz 20 mwN. Steiner DAR 1996, 272, 274; Scholz NJW 1997, 14, 15 f; Steegmann NJW 1997, 2157; Gramm VerwArch 90 (1999) 329, 348 ff. KG NJW 1997, 2894. BayObLG DÖV 1997, 601. – Anders bei der Aufgabenübertragung auf Gemeinden BayObLG NJW 1999, 2200.

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2. Kap I 2 b cc

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hafen und seine Benutzer vor terroristischen Anschlägen zu schützen.116 Besondere Eigensicherungspflichten sind Privaten zB im Atomrecht 117, im Immissionsschutzrecht 118 und im Luftverkehrsrecht 119 auferlegt.120 Weitere Eigensicherungspflichten werden insb mit Blick auf die Terrorismusabwehr diskutiert; Beispiele sind die Sicherung von Hafenanlagen 121 und die Verpflichtung von Eisenbahnunternehmen zur Vornahme entsprechender Sicherungsmaßnahmen.122 Derartige Eigensicherungspflichten bilden die Basis für die Aufträge der Pflichtigen an das private Sicherheitsgewerbe. Die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse durch Private (gegenüber Dritten) ist nur auf Grund einer gesetzlich vorgesehenen Beleihung zulässig.123 Beispiele hierfür finden sich bislang nur selten.124 Rechtlich ist die Beleihung im Gefahrenabwehrrecht unproblematisch, weil der Beliehene funktional in die Verwaltungsorganisation eingebunden ist und staatlicher Aufsicht untersteht.125 Bei der Verwaltungshilfe vermag der Private im eigenen Namen nicht hoheitlich zu handeln. Der Verwaltungshelfer (zB privater Abschleppunternehmer) fungiert als „verlängerter Arm“ der Polizei.126 cc) Privatisierung der Gefahrenabwehr: Die offenkundige Diskrepanz zwischen 29 dem faktischen Entwicklungspotential privater Sicherheitsdienste und ihrer verwaltungsrechtlichen Einbeziehung in die (hoheitliche) Gefahrenabwehr werfen die Frage auf, ob eine verstärkte – materielle oder funktionale – Privatisierung der Gefahrenabwehr in Betracht kommt. Dies wird verschiedentlich mit der Erwägung bejaht, aus der staatlichen Sicherheitsaufgabe ergebe sich kein Sicherheitsmonopol.127

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BVerwG DVBl 1986, 360 (m Anm Schenke) = JZ 1986, 896 (m Anm Karpen). § 7 II Nr 5 AtG (Sartorius I Nr 835); dazu BVerwGE 81, 185 = DVBl 1989, 517 (m Anm Bracher) = JZ 1989, 895 (m Anm Karpen) → JK AtG § 7/1. – Für eine Begrenzung der Eigensicherungspflichten der Betreiber kerntechnischer Anlagen gegenüber Einwirkungen Dritter (zB terroristische Angriffe) aus Gründen des Übermaßverbotes Leidinger DVBl 2004, 95 ff. §§ 3 u 4 der 12. BImSchV (Sartorius ErgBd Nr 296/12). § 8 I 1 Nr 4–7 LuftSiG (Sartorius ErgBd Nr 976). Ausf Schnekenburger Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 99) 94 ff; ferner Möstl Sicherheit, 341 ff. Rengeling DVBl 2004, 589 ff. Abl Ronellenfitsch DVBl 2005, 65 ff, der überdies § 3 Abs 2 BGSG (BPolG) für verfassungswidrig hält. Pitschas DÖV 1997, 393, 398; Peilert DVBl 1999, 282, 285; Stober DÖV 2000, 261, 268 f. Bewachung von Bundeswehreinrichtungen gem § 1 III UZwGBw (Sartorius I Nr 117). – Kontrollen auf Flugplätzen gem § 5 V LuftSiG. Zulässig wäre auch die Beleihung zur Erhebung ör Abgaben; Fehling in Jachmann/Stober (Hrsg) Finanzierung der inneren Sicherheit unter Berücksichtigung des Sicherheitsgewerbes, 2003, 115 ff. Winkler NWVBl 2000, 287, 290. Möstl Sicherheit, 318 ff.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap I 2 c

Die „Verantwortungsteilung“ zwischen Staat und Privaten gilt danach auch im Gefahrenabwehrrecht als das neue Paradigma.128 Eine materielle Privatisierung der staatlichen Gefahrenabwehraufgabe ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Das Gewaltmonopol des Staates stellt insoweit eine absolute Sperre für eine Aufgabenprivatisierung dar.129 Dabei darf das Gewaltmonopol nicht als „Möglichkeit der physischen Gewaltanwendung des Staates“ verkürzt und missverstanden werden.130 „Staatliches Gewaltmonopol“ ist iSe tieferen Verständnisses als staatliches Rechtsetzungs- und Durchsetzungsmonopol zu verstehen, das ausschließlich dem Staat die Sorge für den Rechtsfrieden durch den Einsatz von Gesetz und Recht zuweist (Rn 20). Verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist eine stärkere funktionale Privatisierung der Gefahrenabwehr im Wege der Beleihung. Allerdings müssen die – im konkreten Fall zu bestimmenden – Grenzen des Funktionsvorbehalts nach Art 33 IV GG eingehalten werden. Die Beleihung darf nur abgegrenzte sowie in Quantität und Qualität nicht herausragende Aufgabenkomplexe erfassen.131 Unzulässig wäre eine „faktische Privatisierung“ dergestalt, dass sich der Staat systematisch aus der Gefahrenabwehr zurückzieht und auf eine Instrumentalisierung der „Jedermann“Rechte nach BGB, StGB und StPO (Rn 27) seitens des privaten Sicherheitsgewerbes setzt.132 In der Sicht des staatlichen Gewaltmonopols stellen diese Rechte – da der Staat nicht omnipräsent sein kann – die verfassungsrechtlich gebotene „Gewaltgestattung“ dar.133 Auf der anderen Seite erlaubt das Ziel eines „schlanken Staates“ keine Vernachlässigung der polizeilichen Fähigkeiten zur Wahrnehmung des staatlichen Gewaltmonopols.134 c) Fazit Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit (und Ordnung) ist nach geltendem 30 Recht eine staatliche Aufgabe. Sie unterfällt – mit allen Konsequenzen – dem staatlichen Gewaltmonopol iSe umfassenden Rechts- und Friedensordnung. Staatliche Polizei und private Sicherheitsdienste erfüllen rechtlich verschiedenartige Gefahrenabwehraufgaben.135 Im Rechtssinne kann es insoweit eine „Verantwortungsteilung“ 128

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Vgl Stober DÖV 2000, 261 u 265; ders ZRP 2001, 260 („geteilte Sicherheitsverantwortung“). Scholz NJW 1997, 14, 15; Krölls GewArch 1997, 445, 448; ders NVwZ 1999, 233, 234; Saipa/Wahlers/Germer NdsVBl 2000, 285, 288; Winkler NWVBl 2000, 287, 288 f; ausf Mackeben Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit, 2004, 186 ff, 234 ff; aA Kleespies Police Private Partnership, 2003, 98 ff. So aber Stober NJW 1997, 889, 890 und DÖV 2000, 261, 263. Krölls GewArch 1997, 445, 451 ff; Gramm VerwArch 90 (1999) 329, 335 ff, 350 ff; Hammer DÖV 2000, 613, 617 f, 619. Krölls NVwZ 1999, 233, 234; Hammer DÖV 2000, 613, 620; Lange Privates Sicherheitsgewerbe (Fn 89) 68 f. Schulte DVBl 1995, 130, 133. Parallelüberlegung bei BVerfGE 103, 142, 155 zur tatsächlichen Sicherung des Richtervorbehalts gem Art 13 II GG. Gusy DÖV 1996, 574, 583; ders VVDStRL 63 (2004) 151, 171 (Fn 92); ders PolR Rn 164;

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2. Kap I 3 b

Friedrich Schoch

nicht geben. Sozial- und verwaltungswissenschaftliche Deutungsmuster einer Aufgabenteilung und Kooperation zwischen Staat und Privaten vermögen an dem juristischen Befund nichts zu ändern.136

3. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Gefahrenabwehr a) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes 31 Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind idR typische Erscheinungsformen der sog Eingriffsverwaltung. Die zum Einsatz gelangenden Instrumente der zuständigen Behörden sind vielfach durch Befehl und Zwang gekennzeichnet. Die dem Rechtsstaat auch in den Ländern verpflichtete Ordnung (Art 28 I 1 GG) muss die Polizeiund Ordnungsgewalt strikten rechtlichen Vorgaben unterwerfen. Verfassungsrechtlich ist die Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht vorgegeben (Art 20 III GG); bei grundrechtsbeeinträchtigenden Maßnahmen besteht zudem eine Bindung an die Grundrechte „als unmittelbar geltendes Recht“ (Art 1 III GG). Polizei- und ordnungsbehördliches Handeln unterliegt demnach dem Vorrang und (grundrechtlichen) Vorbehalt des Gesetzes. Beide Prinzipien dokumentieren die rechtsstaatliche Verfasstheit der Gefahrenabwehr.137 Der Vorrang des Gesetzes gilt ausnahmslos; keine polizei- oder ordnungsbehördliche Maßnahme darf gegen Gesetz und Recht verstoßen. Der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt greift ein, wenn eine Gefahrenabwehrmaßnahme als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist; das Gesetz determiniert in solchen Fällen Grund, Maß, Umfang und Richtung zulässiger Gefahrenabwehrmaßnahmen. Es ist danach dem Gesetzgeber vorbehalten, das „Ob“, „Wann“ und „Wie“ grundrechtsbeeinträchtigender Maßnahmen iSe normativen Steuerung der Verwaltung zu bestimmen.138 b) Rechtliche Bindungen für Gefahrenabwehrmaßnahmen 32 Nach diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist strikt zwischen Aufgabenzuweisungsnormen und Befugnisnormen zu trennen. Aufgabenzuweisungsnormen 139 stellen Kompetenzvorschriften dar, die den Handlungsbereich der zuständigen Gefahrenabwehrbehörden festlegen. Als Rechtsgrundlage für behördliches Tätigwerden genügen sie rechtsstaatlichen Anforderungen, wenn Verwaltungsmaßnahmen nicht mit Eingriffen in Rechte der Bürger verbunden sind.140 Aufgabenzuweisungsnormen weisen den Gefahrenabwehrbehörden aber noch nicht diejenigen Befugnisse zu, die

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Götz in: Pitschas/Stober (Hrsg), Quo vadis Sicherheitsgewerbe?, 1998, 235, 237; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 32. Ebenso zu § 34 a V 1 GewO BT-Drucks 14/8386, 14: Es werde verdeutlicht, „dass das Gewaltmonopol der hoheitlich agierenden Polizei unangetastet bleiben muss“. Vgl Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 37. Allg Erichsen Jura 1995, 550, 552; Gusy JA 2002, 610, 612 f; Detterbeck Jura 2002, 235, 236. Vgl dazu Nachw Fn 2, ferner Fn 38 und 39. VGH BW DÖV 1989, 169 → JK GG Art 4 I/3; VGH BW NJW 1996, 2116 und NJW 1997, 754.

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2. Kap I 3 b

– dem Bestimmtheitsgebot genügend – für Grundrechtseingriffe nach dem Vorbehalt des Gesetzes notwendig sind. Eingriffsmaßnahmen benötigen zu ihrer Rechtfertigung eine Befugnisnorm, die 33 zum Erlass der konkreten oder abstrakt-generellen (PolVO) Gefahrenabwehrmaßnahme ermächtigt. Der Schluss von der „Aufgabe“ auf die „Befugnis“ ist im Rechtsstaat unzulässig.141 Dies gilt unabhängig von der Handlungsform der Verwaltung. Auch ein Realakt (zB öffentliche Warnung in Bezug auf einen bestimmten Grundrechtsträger), der als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist, bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.142 Im Rechtsstaat gilt: kein Eingriff ohne entsprechende gesetzliche Befugnis.143 Die Befugnisnormen des Gefahrenabwehrrechts weisen eine klare Typologie auf: Spezialbefugnisse außerhalb der allgemeinen Gesetze zum Polizei- und Ordnungsrecht (Rn 259 ff), Standardbefugnisse (Rn 191 ff) und Generalklausel (Rn 52 ff) im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht. Tatbestand und Rechtsfolge sind, je nach Typus, unterschiedlich weit ausgestaltet. Die Eingriffsvoraussetzungen der spezielleren Ermächtigungsgrundlagen sind vielfach strenger als diejenigen nach der Generalklausel. Auf der Rechtsfolgenseite ist durchweg Ermessen eröffnet; allerdings ermächtigen die Spezialbestimmungen idR nur zu bestimmten Gefahrenabwehrmaßnahmen. Das Gebrauchmachen von den Handlungsermächtigungen im Gefahrenabwehr- 34 recht muss nicht nur das materielle Normprogramm und evtl Verfahrensbestimmungen beachten, es steht insb auch nur den zuständigen Behörden und Organen zu. Einzuhalten sind die Verbandskompetenz und die behördliche Zuständigkeit. Zuständig sind idR die Länder; dies betrifft grundsätzlich die Ausführung der Bundesgesetze (Art 83 ff GG) und ausnahmslos den Vollzug der Landesgesetze (vgl Art 30 GG). Auch dies gilt unabhängig von der Handlungsform, also auch zB für öffentliche Warnungen zum Zweck der Gefahrenabwehr.144 Keineswegs darf im Rechtsstaat die Kompetenzordnung kurzerhand mit dem unjuristischen Begriff der „überregionalen Bedeutung“ einer Maßnahme ignoriert werden.145

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BFH NJW 2002, 2340, 2341; HessVGH DVBl 1996, 570; NdsOVG NJW 1992, 192, 194; Gusy PolR Rn 13; Knemeyer POR Rn 78; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 1 Rn 12 und § 2 Rn 2: Folgerungsweise des Polizeistaats. BVerwGE 71, 183, 198 f; BVerwG DVBl 1996, 807; Murswiek DVBl 1997, 1021, 1030; Lege DVBl 1999, 569, 574; Gusy NJW 2000, 977, 982, 984. Unzutreffend daher BVerfGE 105, 279, 303 ff; zutr Kritik hierzu durch Murswiek NVwZ 2003, 1 ff; P.M. Huber JZ 2003, 290 ff; Bethge Jura 2003, 327 ff; Höfling FS Rüfner, 2003, 329, 332 ff; zT aA Bumke DV 37 (2004) 3 ff. LG Wiesbaden NJW 2001, 2977, 2979; Lege DVBl 1999, 569, 571, 574f; Gusy NJW 2000, 977, 980 ff. Unzutreffend daher BVerfGE 105, 252, 271; zutr Kritik dazu durch Hellmann NVwZ 2005, 163, 166; ausf zur Wahrung der Kompetenzordnung bei informalem Staatshandeln Schoch in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III (3. Aufl 2005), § 37 Rn 128 ff.

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2. Kap I 4 a

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4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat 35 Nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung verfügt der Bund über Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse nur dann, wenn sie ihm ausdrücklich zugewiesen sind (Art 73 ff, 83 ff GG). Ist das nicht der Fall, obliegt die Gesetzgebung (Art 70 I GG) und die exekutive Ausübung staatlicher Befugnisse (Art 30 GG) den Ländern. Diese generelle bundesstaatliche Kompetenzverteilung gilt auch für das Polizei- und Ordnungsrecht. a) Gesetzgebung 36 Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern erfolgt nach Sachgebieten. Das Polizei- und Ordnungsrecht (Gefahrenabwehrrecht, Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung) bildet nach Art 73 ff GG kein selbständiges Sachgebiet. Damit greift die Kompetenz der Länder (Art 70 I GG) ein. Das (allgemeine) Polizei- und Ordnungsrecht ist folglich eine klassische Materie der Landesgesetzgebung.146 37 Dem Bund sind zum Recht der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Inneren Sicherheit Gesetzgebungskompetenzen auf bestimmten Sachgebieten zugewiesen. Beispiele hierfür sind der Zoll- und Grenzschutz (Art 73 Nr 5 GG), die Bundeskriminalpolizei (Art 73 Nr 10 a GG) und der Verfassungsschutz (Art 73 Nr 10 b GG); polizeirechtliche Kompetenzen des Bundes bestehen ferner zB im Versammlungsrecht (Art 74 I Nr 3 GG), im Binnenschifffahrt- und Wasserstraßenrecht (Art 74 I Nr 21 GG) sowie im Straßenverkehrsrecht (Art 74 I Nr 22 GG). Zur ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehr hat das BVerfG dem Bund frühzeitig eine Annexkompetenz eingeräumt. Die Ordnungsgewalt könne als Annex des Sachgebiets erscheinen, auf dem sie tätig werde; die Zuständigkeit zur Gesetzgebung in einem Sachbereich umfasse dann auch die Regelung der Ordnungsgewalt in diesem Sachbereich. Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem bestimmten Sachbereich dienten, seien daher jeweils dem Sachbereich zuzuordnen, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stünden.147 Bedeutsame ordnungsrechtliche Kompetenzen beinhalten danach zB das Vereins- und Versammlungsrecht (Art 74 I Nr 3 GG), das Ausländerrecht (Art 74 I Nr 4 GG), das Gewerberecht (Art 74 I Nr 11 GG), das Seuchenrecht (Art 74 I Nr 19 GG), das Lebensmittelrecht (Art 74 I Nr 20 GG), das Abfall- und das Immissionsschutzrecht (Art 74 I Nr 24 GG) sowie das Meldewesen (Art 75 I 1 Nr 5 GG). Von diesen Kompetenzen hat der Bund weitgehend Gebrauch gemacht; Gesetzgebungsbefugnisse der Länder bestehen nur noch nach Maßgabe der Art 72 I, 75 III GG. 38 Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den alleinigen und unmittelbaren Gesetzeszweck bildet, sind einem selbständigen Sachbereich zuzuordnen; dieser fällt in die Zuständigkeit der Landes-

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BVerfGE 100, 313, 369; LVerfG MV LKV 2000, 345, 347; VGH BW DVBl 1995, 365; OVG Saarland GewArch 2004, 197, 198; Trute DV 32 (1999) 73. BVerfGE 8, 143, 149f; 78, 374, 386 f; 109, 190, 215.

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2. Kap I 4 b aa

gesetzgebung.148 Sie regelt infolgedessen das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht.149 In der Ausgestaltung des Rechts der allgemeinen Gefahrenabwehr sind die Länder innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens an keine Direktiven gebunden. Der von der Innenministerkonferenz beschlossene Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (MEPolG) 150 zielt zwar auf eine Vereinheitlichung des Polizeirechts, hat jedoch keine rechtliche Verbindlichkeit und ist in den Ländern sehr unterschiedlich rezipiert worden. b) Verwaltung Die Verwaltungszuständigkeiten im Gefahrenabwehrrecht liegen überwiegend bei 39 den Ländern (Rn 40). Dem Bund sind nur einzelne Verwaltungskompetenzen zugewiesen (Rn 41 ff). Allerdings dehnt der Bund seine Exekutivbefugnisse im Gefahrenabwehrrecht zu Lasten der Länder aus; das BVerfG unterstützt diese Tendenz (Rn 42). aa) Verwaltungszuständigkeit der Länder: Die Ausführung der Landesgesetze ist 40 ausschließlich Landesangelegenheit; folglich obliegt der Vollzug des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts allein den Ländern (Art 30 GG).151 Das BVerfG spricht pointiert von der „Entscheidung der Verfassung, die Polizeigewalt in die Zuständigkeit der Länder zu verweisen“.152 Auch die Ausführung der Bundesgesetze erfolgt grundsätzlich durch die Länder (Art 83 GG). Für die Gefahrenabwehr auf bundesgesetzlicher Grundlage sind demnach die Länder zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist. Das ist zB bei schifffahrtspolizeilichen Aufgaben (dazu Rn 42) der Fall.153 Zutreffend hatte das BVerwG 148 149

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BVerfGE 8, 143, 150; 109, 190, 215. BW: Polizeigesetz (PolG); Bay: Polizeiaufgabengesetz (PAG); Polizeiorganisationsgesetz (POG), Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG); Bln: Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG); Bbg: Polizeigesetz (PolG), Polizeiorganisationsgesetz (POG), Ordnungsbehördengesetz (OBG); Bremen: Polizeigesetz (PolG), Hbg: Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG), Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (GDatPol); Hessen: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG); MV: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG), Polizeiorganisationsgesetz (POG); Nds: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG); NW: Polizeigesetz (PolG), Polizeiorganisationsgesetz (POG), Ordnungsbehördengesetz (OBG); RP: Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (POG); Saarland: Polizeigesetz (PolG); Sachsen: Polizeigesetz (PolG); LSA: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG); SH: Landesverwaltungsgesetz (LVwG §§ 162 ff), Polizeiorganisationsgesetz (POG); Thüringen: Polizeiaufgabengesetz (PAG), Polizeiorganisationsgesetz (POG), Ordnungsbehördengesetz (OBG). Vgl dazu Kniesel/Vahle DÖV 1987, 953. – Zur Orientierung der Gesetzgebung der neuen Länder am MEPolG Riegel LKV 1993, 1; Knemeyer/Müller NVwZ 1993, 437; Meierkord/ Müller DVBl 1993, 985. Zu den dort bestehenden Organisationsmodellen Rn 48 ff. BVerfGE 97, 198, 218 → JK GG Art 30/1. § 1 I Nr 2 BinSchAufgG nF (BGBl I 2001, 2027): „Dem Bund obliegt auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt … die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie die Verhütung von der Schifffahrt ausgehender Gefahren (Schifffahrtspolizei) …“. Verfassungsrechtliche Grundlage hierfür: Art 87 S 1, 89 II GG.

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2. Kap I 4 b bb

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erkannt, die Beseitigung von Ölverschmutzungen der Bundeswasserstraßen gehöre zu den schifffahrtspolizeilichen Aufgaben des Bundes, auch wenn die Verschmutzung von der Schifffahrt ausgehe.154 Später hat das BVerwG eine wenig überzeugende restriktive Auslegung vorgenommen und gemeint, die Verwaltungszuständigkeit des Bundes umfasse nur den ordnungsgemäßen Schiffsverkehr einschließlich der Gefahrenverhütung; sei die Gefahr eingetreten, müssten die Länder die Störung beseitigen.155 Gleiches soll für den abwehrenden Brandschutz für Einrichtungen der Bundeswehr gelten; Art 87 b GG begründe keine Verwaltungszuständigkeit des Bundes,156 zuständig seien vielmehr die nach Landesrecht zuständigen Träger der Feuerwehr.157 bb) Ausnahme: Verwaltungskompetenzen des Bundes: Verfassungsrechtlich ist 41 ausdrücklich vorgesehen, dass der Bund seine Gesetze im Wege der bundeseigenen Verwaltung ausführen kann (Art 86 GG). Allerdings ist zu beachten, dass die Verwaltungskompetenz des Bundes nicht weitergeht als seine Gesetzgebungskompetenz; diese ist vielmehr nach der Systematik des Grundgesetzes die äußerste Grenze für die Verwaltungskompetenz des Bundes.158 Von besonderer Bedeutung ist die in Art 87 I 2 GG getroffene Regelung; das BVerfG spricht insoweit von „sonderpolizeilichen Behörden des Bundes“.159 Zur Aufgabenwahrnehmung auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit kann der Bund auch nach Art 87 III 1 GG eine selbständige Bundesoberbehörde einrichten; die Vorschrift ist gegenüber Art 87 I 2 GG nicht etwa subsidiär. Das BVerfG gesteht dem Bund ein Wahlrecht zu zwischen der Einrichtung einer Zentralstelle nach Art 87 I 2 GG und der Errichtung einer selbständigen Bundesoberbehörde nach Art 87 III 1 GG, soweit die Voraussetzungen beider Ermächtigungsnormen erfüllt sind. Daher durfte der Bund das Zollkriminalamt als selbständige Bundesoberbehörde zur Verhütung von Straftaten im Außenwirtschaftsverkehr einrichten.160 In Bezug auf die für die Innere Sicherheit zuständigen Bundesbehörden ist aus rechtlichen und systematischen Gründen zwischen den Sonderpolizeibehörden des Bundes (Rn 42) und den Sicherheitsdiensten (Rn 43) zu unterscheiden; 161 die Dienste verfügen nicht über die klassischen polizeilichen Befugnisse.162 Hintergrund ist das – in seiner rechtlichen Qualität und inhaltlichen Reichweite seit jeher umstrittene – Gebot der Trennung von Nachrichtendiensten und Polizei.163 Seinen historischen 154 155

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BVerwG DÖV 1986, 285. BVerwGE 87, 181, 185 f = JZ 1993, 947 (m krit Anm Faber); bestätigend BVerwGE 110, 9 → JK GG Art 83/1. So noch VGH BW DVBl 1995, 365. BVerwG DVBl 1997, 954. BVerfGE 12, 205, 229; 15, 1, 16; 78, 374, 386; BVerwGE 87, 181, 184. BVerfGE 97, 198, 217 → JK GG Art 30/1. BVerfGE 110, 33, 49 ff. Zu weiteren Ausdifferenzierungen Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 43 ff. § 8 III BVerfSchG (Sartorius I Nr 80); § 2 III BNDG; § 4 II MADG. Vgl dazu Roewer DVBl 1986, 205; Gusy ZRP 1987, 45; ders DV 24 (1991) 467; Riegel DVBl 1988, 121; Albert ZRP 1995, 105; Hetzer ThürVBl 1999, 125; Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 311 ff.

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2. Kap I 4 b bb

Ursprung hatte das Trennungsgebot im „Polizei-Brief“ der Alliierten vom 14. 4. 1949, mit dem der Bundesregierung bestimmte Befugnisse auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit zugestanden wurden.164 Das Genehmigungsschreiben der Alliierten zum GG nahm ausdrücklich Bezug auf den „Polizei-Brief“, so dass dieser Bestandteil des Besatzungsrechts wurde, an das die deutschen staatlichen Stellen gebunden waren.165 Als Reaktion auf den Terror der Gestapo des NS-Regimes war die organisatorische Vermischung von Polizei und Verfassungsschutz untersagt, zudem waren dem Nachrichtendienst polizeiliche Mittel vorenthalten. Nach der Herstellung der vollen Souveränität Deutschlands besteht die historische Ausgangslage des „PolizeiBriefs“ nicht mehr.166 Es ist fraglich, ob dem Trennungsgebot noch rechtliche Qualität und Verfassungsrang zukommt.167 Stützen lässt sich das Trennungsgebot allenfalls auf das Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip sowie auf den Schutz der Grundrechte.168 Danach dürfte keine Verbindung von Behörden vorgenommen werden, die der jeweiligen verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung zuwiderläuft. Eine Zusammenarbeit (zB Informationshilfe) zwischen Nachrichtendiensten und Polizei (sowie Strafverfolgungsbehörden) ist dadurch nicht ausgeschlossen.169 In der (Rechts-)Praxis ist indes zunehmend eine Funktionenvermischung zu beobachten.170 Offenbar um dieser Tendenz entgegenzuwirken, hat das BVerfG festgestellt, dass „die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes – angesichts deren andersartiger Aufgaben und Befugnisse – nicht mit einer Vollzugspolizeibehörde zusammengelegt werden dürfen“.171 Verfassungsgerichtlich wird danach jedenfalls am organisatorischen Trennungsgebot festgehalten. Bei den Sonderpolizeibehörden wird die Bundespolizei (vormals der Bundes- 42 grenzschutz, BGS) 172 in bundeseigener Verwaltung im Geschäftsbereich des BMI geführt (§ 1 I BPolG). Der Ausbau des ehemaligen BGS zu einer schlagkräftigen Bundespolizei war unverkennbar, nachdem das BVerfG die Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den BGS 173 gebilligt hatte.174 Stand das BGSG-Neuregelungsgesetz 1994 noch im Dienst der Vereinheitlichung des Polizeirechts von Bund und Ländern,175 führte das BGSG-Änderungsgesetz 1998 zB die 164

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Der „Polizei-Brief“ ist abgedruckt (in deutscher Übersetzung) bei Werthebach/Droste in: BK, Art 73 Nr 10 Rn 10; ferner (im englischen Originalwortlaut) bei König Trennung und Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, 2005, 70 f. König Trennungsgebot (Fn 164) 73 f. So ausdrücklich BVerfGE 110, 33, 52. Abl Nehm NJW 2004, 3289, 3290 ff; Droste Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Organisierte Kriminalität, 2002, 121; König Trennungsgebot (Fn 164) 118 ff, 195 f; Baumann DVBl 2005, 798 ff. Gusy VVDStRL 63 (2004) 151, 184. Nehm NJW 2004, 3289, 3293 ff. Trute DV 32 (1999) 73, 75; Hetzer ZRP 1999, 19. BVerfGE 97, 198, 217 → JK GG Art 30/1. Das BPolG, vormals BGSG (Sartorius I Nr 90) basiert auf Art 73 Nr 5, 87 I 2 GG. Dazu Papier DVBl 1992, 1; Schreiber DVBl 1992, 589. BVerfGE 97, 198 → JK GG Art 30/1; dazu Hecker NVwZ 1998, 707; Ronellenfitsch VerwArch 90 (1999) 139, 150 ff. Vgl iE Riegel DÖV 1995, 317; Gröpl DVBl 1995, 329; Schreiber NVwZ 1995, 521; Pieroth VerwArch 88 (1997) 568.

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2. Kap I 4 b bb

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Möglichkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen („Schleierfahndung“) ein.176 Generell verfügte der BGS über Befugnisse wie jede Landespolizei (§ 14 I BGSG Generalklausel, §§ 21 ff u 38 ff BGSG Standardbefugnisse). Die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des BGS (§§ 5 ff BGSG), insb die Unterstützung der Landespolizeien (§ 11 I Nr 1 BGSG), belegten jedoch die immense tatsächliche Bedeutung des BGS.177 Die Vorstellung des BVerfG vom BGS als einer Sonderpolizei zur Sicherung der Grenzen des Bundes und zur Abwehr bestimmter, das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen 178 wirkte einigermaßen wirklichkeitsfremd. Der „Einbruch“ in die Kompetenzen der Länder reichte tiefer. Der BGS war schon lange nicht mehr nur „Grenzpolizei“. Seit etlichen Jahren war er auch Bahnpolizei (§ 3 BGSG), nahm den Schutz von Flugplätzen (§ 4 BGSG) und der Bundesorgane (§ 5 BGSG) vor, erfüllte Aufgaben auf See (§ 6 BGSG), wirkte an polizeilichen Aufgaben im Ausland (§ 8 BGSG) und am Schutz deutscher Auslandsvertretungen mit (§ 9 I 1 Nr 2 BGSG), unterstützte das BKA (§ 9 I 1 BGSG) und nahm polizeiliche Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung (§ 12 BGSG) und bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (§ 13 BGSG) wahr. Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung waren nicht nur neue Aufgaben und Befugnisse bei der Schleierfahndung geschaffen worden (§ 2 II 1 Nr 3 BGSG), hinzuweisen ist auch auf die Möglichkeit zum Einsatz des BGS an Bord von Luftfahrzeugen (§ 4 a BGSG) und ferner bei der Durchführung bundesunmittelbar angeordneter Abschiebungen besonders gefährlicher Ausländer.179 Insgesamt war in den letzten Jahren ein deutlicher Kompetenzzuwachs zu Gunsten des BGS zu registrieren.180 Es ist daher nur konsequent, dass der BGS mit seinen knapp 40.000 Beamten nach den Vorstellungen des Bundesinnenministers in „Bundespolizei“ umbenannt wurde und das BGSG die Bezeichnung „Bundespolizeigesetz“ erhielt.181 Das Bundeskriminalamt (BKA) 182 dient der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (§ 1 I BKAG) und fungiert als Zentralstelle (§ 2 BKAG) sowohl zur Verhütung als auch zur Verfolgung von Straftaten.183 Für Eingriffsmaßnahmen (Rn 33) fehlten dem BKA vielfach die notwendigen Rechtsgrundlagen.184 Erst durch die BKAG-Novelle 1997 185 wurde rechtsstaatlichen Standards im Bereich der Befugnisnormen entsprochen.186 Zahlreiche weitere 176

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Schwabe NJW 1998, 3698; Soria NVwZ 1999, 270; Müller-Terpitz DÖV 1999, 329; Schütte ZRP 2002, 393. Lisken in: Lisken/Denninger, C Rn 146. BVerfGE 97, 198, 218 und – Subsumtion – 224 f. § 58 a II AufenthG (Sartorius I Nr 565). Sauer NVwZ 2005, 275, 280. Gesetz zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei vom 21. 6. 2005 (BGBl I 1818). Das BKAG (Sartorius I Nr 450) basiert auf Art 73 Nr 10, 87 I 2 GG. Verfassungswidrigkeit von § 4 und § 5 BKAG wegen Überschreitung der Bundeskompetenz annehmend Lisken in: Lisken/Denninger, C Rn 151 f. HessVGH NVwZ-RR 1995, 661 und DVBl 1996, 570 (zur Speicherung personenbezogener Daten). Dazu Schreiber NJW 1997, 2137, mit Erwiderung Riegel NJW 1997, 1408. Vgl BVerwG DVBl 1999, 332.

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Gesetzesänderungen 187 haben dem BKA zusätzliche Kompetenzen und Befugnisse verschafft (zB bei der Bekämpfung der Geldwäsche oder der Finanzierung terroristischer Vereinigungen).188 Der Bundesinnenminister fordert zusätzliche Kompetenzen für das BKA, damit dieses neben der Aufklärung bestimmter Straftaten (Strafverfolgung) auch – wie die Polizeien der Länder – Maßnahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durchführen kann.189 Nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Grundlage der Art 74 I Nr 21, 87 I 1, 89 II 1 und II GG sind von der Strompolizei (dh Wegepolizei) die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Bundeswasserstraßen in einem für die Schifffahrt erforderlichen Zustand zu erhalten.190 Demgegenüber hat die Schifffahrtspolizei (dh Verkehrspolizei) Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren, die von der Schifffahrt ausgehen.191 Nach Art 40 II 1 GG übt der Präsident des Deutschen Bundestages die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages aus.192 Bei der Wahrnehmung seiner Polizeigewalt wird der Parlamentspräsident von der Bundespolizei unterstützt (§ 9 I 1 Nr 1 BPolG). Die Sicherheitsdienste – Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Bundesnach- 43 richtendienst (BND) und militärischer Abschirmdienst (MAD) 193 –, denen polizeiliche Befugnisse nicht eingeräumt sind (Rn 41), nehmen präventivpolizeiliche Aufgaben auf dem Gebiet des Staatsschutzes (Innere und Äußere Sicherheit) wahr. Dazu sind sie insb zur Überwachung der Telekommunikation und zur Beeinträchtigung des Brief- und Postgeheimnisses berechtigt.194 Die Dienste unterliegen einer besonderen Parlamentarischen Kontrolle.195 Dem BND (Auslandsnachrichtendienst) obliegt insb die Sammlung und Auswertung von Informationen zur Gewinnung derjenigen Erkenntnisse über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind (§ 1 II BNDG). Dazu gehört ua die Fernmeldeüberwachung.196 Dem BND dürfen keine Befugnisse eingeräumt werden, die auf die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten als solche 187

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ZB Art 4 GeldwäschebekämpfungsG (v 8. 8. 2002, BGBl I 3105), Art 5 G z Neuregelung des Zollfahndungsdienstes (v 16. 8. 2002, BGBl I 3202), Art 1 G z effektiven Nutzung Dateien StA (v 10. 9. 2004, BGBl I 2318). Sauer NVwZ 2005, 275, 280. Schily in: FAZ Nr 297 v 20. 12. 2004, 10. §§ 24 ff WaStrG (Sartorius I Nr 971); vgl dazu Examensklausur von Schoch NWVBl 1993, 277. Zur Deutung durch das BVerwG oben Rn 40. Dazu Köhler DVBl 1992, 1577. Zu dem den Streitkräften zuzuordnenden MAD Dau DÖV 1991, 661; Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 299 ff. – Durch das 1. MADGÄndG (v 8. 3. 2004, BGBl I 334) wurden dem MAD weitere Aufgaben und Befugnisse zur Sammlung sach- und personenbezogener Informationen während besonderer Auslandsverwendungen der Bundeswehr zugewiesen (§ 14 MADG). § 1 I G 10 (Sartorius I Nr 7); vgl zur grundrechtlichen Problematik Arndt DÖV 1996, 459; Groß JZ 1999, 326. Kontrollgremiumgesetz – PKGrG – (Sartorius I Nr 81); zur Problematik instruktiv Arndt DÖV 1986, 169, 175 f; Peitsch/Polzin NVwZ 2000, 387. BVerfGE 100, 313, 317.

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gerichtet sind; erhobene personenbezogene Daten unterliegen einer Zweckbindung, die nur in engen Grenzen die Datenübermittlung an andere Behörden und dortige Zweckänderungen erlaubt.197 Diese Vorgaben des BVerfG zum Schutz des Art 10 GG sind mittlerweile gesetzlich umgesetzt worden.198 Auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit kommt dem Verfassungsschutz eine herausragende Bedeutung zu. Das BfV nimmt die ihm übertragene Aufgabe des Staatsschutzes 199 insb durch Sammlung und Auswertung von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende Aktivitäten wahr (§ 3 BVerfSchG).200 Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung sind dem BfV weitreichende Zugriffsrechte auf TK-Daten eingeräumt worden (§§ 8 VIII, 9 IV BVerfSchG). Die Beobachtung (rechts)extremistischer Parteien durch den Verfassungsschutz (des Bundes und der Länder) wird von der Rechtsprechung überwiegend gebilligt.201 Als unzulässig ist dagegen die Überwachung der Scientology-Organisation mit nachrichtendienstlichen Mitteln angesehen worden.202 Über seine Tätigkeit legt das BfV einen Bericht vor (§ 16 BVerfSchG). Der Verfassungsschutzbericht zeigt vorhandene verfassungsfeindliche Bestrebungen auf. Kritisch gesehen wird die stigmatisierende „Verdachtsberichterstattung“.203 Die Bedrohungen der Inneren Sicherheit durch den internationalen Terrorismus 43a werfen die Frage auf, ob und inwieweit die Bundeswehr im Inland zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden kann.204 Nach geltender Verfassungsrechtslage (Art 87 a, 35 GG) ist die Bekämpfung des Terrorismus im Inland keine Aufgabe der Streitkräfte, sondern der Polizei; lediglich in bestimmten (Not-)Situationen ist der Einsatz auch der Bundeswehr zulässig.205 Mit dem am 15. 1. 2005 in Kraft getretenen Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) 206 droht der verfassungsrechtliche Rahmen verlassen zu wer-

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BVerfGE 100, 313; dazu Müller-Terpitz Jura 2000, 296; ferner Möstl DVBl 1999, 1394; Arndt NJW 2000, 47; Huber NVwZ 2000, 393. Krit dazu Wollweber ZRP 2001, 213; Huber NJW 2001, 3296; Schafranek DÖV 2002, 846. – Der Neuregelung Verfassungsmäßigkeit attestierend Kaysers AöR 129 (2004) 121. Das BVerfSchG (Sartorius I Nr 80) basiert auf Art 73 Nr 10, 87 I 2 GG. Zur bedeutsamen Neufassung 1990 Bäumler NVwZ 1991, 643; Gusy DVBl 1991, 1288. Einzelheiten bei Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 287 ff. BVerwGE 110, 126 = DVBl 2000, 279 (m Anm Wollweber 574), dazu Bespr Michaelis NVwZ 2000, 399; BayVGH NJW 1994, 748; OVG RP DVBl 1999, 1751; NdsOVG NVwZ-RR 2002, 242; aA VG Berlin NJW 1999, 806. VG Berlin NVwZ 2002, 1018; aA Albert DÖV 1997, 810; differenzierend Engelmann BayVBl 1998, 358. Insoweit Verfassungswidrigkeit annehmend Murswiek NVwZ 2004, 769; vgl auch ders FS von Arnim, 2004, 481. – Aus der Rspr BVerfG Beschl v 24. 5. 2005 (1 BvR 1072/01). Näher dazu Krings/Burkiczak DÖV 2002, 501; Wilkesmann NVwZ 2002, 1316; Gusy VVDStRL 63 (2004) 151, 186f; speziell unter dem Aspekt des Art 65a GG Lorse DÖV 2004, 329. M. Fischer JZ 2004, 376 ff. Art 1 G zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben v 11. 1. 2005 (BGBl I 78). – Das LuftSiG ist abgedruckt in Sartorius ErgBd Nr 976.

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den.207 §§ 13, 14 LuftSiG enthalten Einsatzbefugnisse für die Bundeswehr, Waffengewalt gegen Luftfahrzeuge einzusetzen, die das Leben von Menschen bedrohen. Der Bund stützt diese Vorschriften auf Art 35 II 2 u III GG.208 Danach darf die Bundeswehr allerdings nur zur Unterstützung der Polizei eines Landes tätig werden.209 §§ 13, 14 LuftSiG sehen jedoch originäre und unmittelbar verbindlich wirkende Entscheidungsbefugnisse der Bundesregierung und des Bundesministers der Verteidigung vor. Auch bei einer extensiven Deutung des Art 35 II 2 u III GG 210 dürften sich §§ 13, 14 LuftSiG kaum innerhalb des Kompetenzrahmens halten.211 Notwendig wäre eine Verfassungsänderung (zB Art 87 a GG) für die Befugnisse zum Streitkräfteeinsatz im Inland gewesen.212

5. Internationale und europäische polizeiliche Zusammenarbeit a) Internationalisierung polizeilicher Aufgaben Strafverfolgung und zunehmend auch Gefahrenabwehr sehen sich einer internatio- 44 nalen Dimension ihrer Aufgabenstellung gegenüber. Die weiträumigen Verflechtungen der organisierten Kriminalität, die Zunahme zB terroristischer Gewalttaten, der Wirtschaftskriminalität sowie des Drogen- und Waffenhandels indizieren die Begrenztheit nationaler Handlungsmöglichkeiten und zeigen zugleich die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit auf.213 Auf der Ebene des Völkerrechts bestehen im Rahmen der UNO wichtige Konventionen va zur Terrorismusbekämpfung; hinzu treten insoweit zB politisch bedeutsame Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.214 Speziell für die EU-Staaten kommt hinzu, dass in einem Raum ohne Binnengrenzen (Art 14 II EGV) und ohne Grenzkontrollen (Art 62 EGV) die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit unabdingbar ist. In Grenzgebieten findet die polizeiliche Zusammenarbeit seit geraumer Zeit auf der Grundlage von (bilateralen) Verträgen mit den Nachbarstaaten statt.215 Die internationale kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit, als Interpol bekannt, hat 207

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Vgl die Bedenken des Bundespräsidenten anlässlich der Unterzeichnung des Gesetzes, DAS PARLAMENT Nr 4 v 24. 1. 2005, sowie Erklärung vom 12. 1. 2005, www.bundespraesident. de. Vgl BT-Drucks 15/2361, 20 f. Martínez Soria DVBl 2004, 597, 605; Sattler NVwZ 2004, 1286, 1288 f. Hillgruber/Hoffmann NWVBl 2004, 176, 177 f; Baldus NVwZ 2004, 1278, 1282 ff. Vgl Linke DÖV 2003, 890, 894; Krings/Burkiczak NWVBl 2004, 249, 251; M. Fischer JZ 2004, 376, 381 f; Sattler NVwZ 2004, 1286, 1290 f; Wieland in: Fleck (Hrsg) Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 167, 176 ff. – Speziell zu § 14 III LuftSiG (Einsatz von Waffengewalt) Pawlik JZ 2004, 1045 ff; Hartleb NJW 2005, 1397 ff; krit zum LuftSiG insgesamt A. Meyer ZRP 2004, 203 ff, sowie B. Hirsch ZRP 2004, 273 f. Sattler NVwZ 2004, 1286, 1291. – Für eine Novellierung des Art 35 II u III GG auch zum Einsatz der Streitkräfte beim Katastrophenschutz Lorse ZRP 2005, 6 ff. Pitschas JZ 1993, 857; ders NVwZ 1994, 625; Schily NVwZ 2000, 883. Überblick dazu bei Sauer NVwZ 2005, 275, 281; ausf zur Umsetzung der UN-Maßnahmen auf EU-Ebene Bartelt/Zeitler EuZW 2003, 712 ff. Dazu ausf Mokros in: Lisken/Denninger, O Rn 48 ff, 74 ff; Zusammenstellung der wichtigsten Verträge bei Breuker Transnationale polizeiliche Gewaltprävention, 2003, 52; instruktiv zum deutsch-schweizerischen Polizeivertrag Cremer ZaöRV 60 (2000) 103.

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ihren organisatorischen Beginn 1923 und verfolgt insb den Zweck, durch Ausschreibung von Personen zur internationalen Fahndung die gegenseitige Amtshilfe der Sicherheitsbehörden zu aktivieren.216 Für die Benelux-Staaten, Deutschland und Frankreich führte das Übereinkommen von Schengen 1985 zum Abbau der Grenzkontrollen; die sicherheitsrechtliche Flankierung hierfür leistete das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) von 1990, dessen Herzstück das Schengener Informationssystem (SIS) ist (Art 92 ff SDÜ).217 Durch ein Informationssystem, das aus nationalen Datenbanken 218 und einer gemeinsamen „technischen Unterstützungseinheit“ (in Straßburg) besteht, werden Ausschreibungen zur Suche nach Personen und Sachen unterstützt. Das Europäische Polizeiamt „Europol“ (in Den Haag) soll die zuständigen nationalen Stellen bei der Bekämpfung bestimmter Formen der internationalen Kriminalität (zB Drogenhandel, Schleuserkriminalität, Terrorismus) unterstützen.219 b) Rechtliche Strukturen der Zusammenarbeit 45 Das Recht der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit ist als „dunkles Kapitel“ und „sehr komplexe Rechtsmaterie“ bezeichnet worden, „die durch eine Gemengelage von landes- und bundespolizeilichen, von völker- und europarechtlichen Vorschriften sowie von fremdstaatlichen Polizeirechtsnormen geprägt ist“.220 Die Rechtslage ist in der Tat unübersichtlich.221 Auch die präzise terminologische Erfassung der polizeilichen Zusammenarbeit ist schwierig. Das Bemühen um eine aussagekräftige Begrifflichkeit hat zB die Termini „Polizeikooperationsrecht“ 222 und „Transnationales Polizeirecht“ 223 hervorgebracht. Damit wird freilich nicht mehr als eine grobe Beschreibung geliefert. Auf das supranationale EG-Recht kann zum Zweck der Systematisierung nicht 46 zurückgegriffen werden, weil die EG auf dem Gebiet des allg Polizei- und Ordnungsrechts über keine (Rechtsetzungs-)Kompetenzen verfügt.224 Inzwischen bietet das EU-Recht einen Anknüpfungspunkt zur Strukturierung der europäischen poli216

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Vgl iE Soria VerwArch 89 (1998) 400, 402 ff; dens in: Baldus/Soiné, Rechtsprobleme der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit, 1999, 50, 53 ff. Dazu Schreckenberger VerwArch 88 (1997) 389; Gusy/Gimbal in: Baldus/Soiné (Fn 216) 124; Mokros in: Lisken/Denninger, O Rn 143 ff; Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 395 ff. – Zu „SIS II“ vgl VO 2424/2001/EG.j153 Zuständig ist in Deutschland das BKA (§ 2 III, § 3 BKAG). Umfassend Petri Europol – Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit in Europa, 2001; Korrell Europol – Polizei ohne rechtsstaatliche Bindungen?, 2005; ferner Röben in: Grabitz/Hilf, Art 30 EUV Rn 8 ff; Mokros in: Lisken/Denninger, O Rn 210 ff; Zöller Vorfeldmaßnahmen (Fn 51) 423 ff. – Speziell zu Rechtsschutzproblemen Harings Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland, 1998, 165 ff; Frowein/Krisch JZ 1998, 589. Lindner BayVBl 2002, 479. Vgl nur die Textsammlung von Baldus Polizeirecht des Bundes mit zwischen- und überstaatlichen Rechtsquellen, 2. Aufl 2000. Hecker EuR 2001, 826, 833 f. Baldus Transnationales Polizeirecht, 2001, 47 ff. Lindner JuS 2005, 302, 304.

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zeilichen Zusammenarbeit. Aus dem Bereich der Inneren Sicherheit haben die Komplexe „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr“ Eingang in das supranationale EG-Recht gefunden (Art 61 ff EGV).225 Im Übrigen findet nach der „3. Säule“ des EU-Vertrags – „Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (PJZS) – eine intergouvernementale Zusammenarbeit statt. Als Ziel der EU wird die Schaffung eines Raumes „der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ durch ein „hohes Maß an Sicherheit“ formuliert; durch verstärkte behördliche Zusammenarbeit gehe es um „die Verhütung und Bekämpfung der – organisierten und nichtorganisierten – Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, des Menschenhandels und der Straftaten gegenüber Kindern, des illegalen Drogen- und Waffenhandels, der Bestechung und Bestechlichkeit sowie des Betrugs“ (Art 29 EUV).226 Das Handlungsinstrumentarium (vgl Art 34 EUV) ist sicherlich verbesserungs- 47 fähig. Immerhin haben die beiden „Schengen-Abkommen“ Eingang in Titel IV EGVertrag und Titel VI EU-Vertrag gefunden.227 Europol ist in das EU-Recht integriert worden (Art 30 EUV). Art 42 EUV ermöglicht die „Vergemeinschaftung“ der in Art 29 EUV genannten Bereiche intergouvernementaler Zusammenarbeit. Unter systematischen Vorzeichen ist die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit bislang durch zwei operative Handlungsfelder gekennzeichnet. Im Vordergrund steht der Informationsaustausch (Art 39, 46, 92 ff SDÜ; Art 7 ff Europol-ÜK). Allerdings treten mit der grenzüberschreitenden Observation (Art 40 SDÜ) und Nacheile (Art 41 SDÜ) zwei Formen fremdstaatlichen Handelns auf dem eigenen Staatsgebiet hinzu.228 Damit dürfte ein erster Schritt bei der Zulassung fremder Hoheitsgewalt im Gefahrenabwehrrecht getan sein.229

6. Allgemeine Polizei- und Ordnungsverwaltung Soweit die Aufgabe der Gefahrenabwehr von den Ländern wahrzunehmen ist, be- 48 stimmen diese die Organisation der Gefahrenabwehrbehörden. Ungeachtet etlicher Unterschiede im Detail lässt sich das Organisationsrecht der Gefahrenabwehr in den Ländern auf zwei Modelle zurückführen: das Einheitssystem und das Trennsystem.230 Formeller und materieller Polizeibegriff (Rn 7) sind weitgehend deckungs225

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Zur mittelbaren Einwirkung des EG-Rechts (Schutz der Grundfreiheiten) auf das nationale Polizeirecht (am Bspl der Abwehr von Behinderungen von Agrarimporten durch Demonstranten) EuGHE 1997, 6959 = DVBl 1998, 228 (m Bespr Szczekalla 219) → JK EGV Art 30/2; dem Grunde nach bestätigend EuGHE 2003, 5659 = EuZW 2003, 592 (m Anm B. Koch) → JK EGV Art 28/3. Dazu ausf Mokros in: Lisken/Denninger, O Rn 187 ff; zum Rechtsschutz durch den EuGH Knapp DÖV 2001, 12. Dazu Soria in: Baldus/Soiné (Fn 216) 56 ff; Röben in: Grabitz/Hilf Vorb Art 29 EUV Rn 7 ff. Baldus Transnationales Polizeirecht, 274, hält dies nur für zulässig, wenn damit keine Einbuße an Grundrechtsschutz verbunden ist. Zu rechtlichen Grenzen Gramm DVBl 1999, 1237; ferner Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 62 ff; ausf zur Ausübung von Polizeigewalt auf fremdem Hoheitsgebiet Breuker Transnationale Gewaltprävention (Fn 215) 247 ff. Näher dazu Krajewski StT 6/2002, 33.

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gleich, wenn die Aufgabe der Gefahrenabwehr den „Polizeibehörden“ zugewiesen ist. Tendenziell ist dies im Einheitssystem der Fall. Dieses Modell gilt in Baden-Würt49 temberg, Bremen, im Saarland und in Sachsen. In diesen Ländern obliegt die Aufgabe der Gefahrenabwehr der „Polizei“.231 Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine „Einheitsverwaltung“. Die Organisation der Polizei ist vielmehr aufgespalten in die Polizei(verwaltungs)behörden und den Polizeivollzugsdienst.232 Dieser untergliedert sich in die Schutz-, Kriminal-, Wasserschutz- und Bereitschaftspolizei.233 Die Polizei(verwaltungs)behörden sind weithin identisch mit den Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung.234 Zuständig für die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben sind grundsätzlich die Polizei(verwaltungs)behörden; die Vollzugspolizei verfügt nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht über bestimmte, ihr ausdrücklich zugewiesene Aufgaben, ist in Eilfällen zuständig und leistet Vollzugshilfe.235 Das Trennsystem in den anderen Ländern ist aus der „Entpolizeilichung“ der 50 Verwaltungsaufgaben nach dem 2. Weltkrieg hervorgegangen; „Polizei“ sollte nur noch die Vollzugspolizei sein. Die Aufgabe der Gefahrenabwehr ist Verwaltungsbehörden und der Polizei (ieS) übertragen.236 Organisatorisch ist eine Trennung zwischen Ordnungsbehörden und Polizeibehörden vorgenommen worden.237 Besonders deutlich kommt dies in Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen zum Ausdruck, wo Ordnungsverwaltung und Polizei über jeweils eigene Gesetze für die Gefahrenabwehr verfügen.238 Die Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr liegt primär bei den Ordnungsbehörden; 239 der Polizei sind enumerativ bestimmte Aufgaben zugewiesen, sie verfügt ferner über Eilzuständigkeiten und leistet Vollzugshilfe.240 Auch in Ländern mit Trennsystem ist die Polizei (ieS) in Schutz-, Kriminal-, Wasserschutz- und Bereitschaftspolizei untergliedert.241 231 232 233 234 235 236

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§ 1 I 1 PolG BW; § 1 I 1 BremPolG; § 1 II SaarlPolG; § 1 I 1 SächsPolG. § 59 PolG BW; § 2 Nr 1 BremPolG; § 1 I SaarlPolG; § 59 SächsPolG. § 70 PolG BW; § 70 BremPolG; vgl ferner § 82 SaarlPolG; §§ 71, 73 SächsPolG. Vgl § 62 PolG BW; § 65 BremPolG; § 76 SaarlPolG; § 64 SächsPolG. § 60 PolG BW; § 64 BremPolG; §§ 80 I, 85, 1 IV SaarlPolG; §§ 60, 61 SächsPolG. § 1 I 1 ASOG Bln; § 3 HbgSOG; § 1 I 1 HessSOG; § 2 I SOG MV; § 1 I 1 NdsSOG; § 1 I 1 POG RP; § 1 I 1 SOG LSA; § 163 I LVwG SH. – Vgl auch Fn 238. Überwiegend wird in Abgrenzung zur Polizei von „Ordnungsbehörden“ oder „Verwaltungsbehörden“ gesprochen. In Bayern ist der Terminus „Sicherheitsbehörden“, in Hessen „Gefahrenabwehrbehörden“. Zur Aufgabenzuweisung vgl Art 6 BayLStVG, Art 2 I BayPAG; § 1 I BbgOBG, § 1 I 1 BbgPolG; § 1 I OBG NW, § 1 I 1 PolG NW; § 2 I ThürOBG, § 2 I 1 ThürPAG. – Rechtspolitisch in Bayern (bei Beibehaltung des Trennsystems) für die Schaffung eines einheitlichen Gefahrenabwehrgesetzes Wolff BayVBl 2004, 737. Vgl Art 3 BayPAG; § 2 I ASOG Bln; § 5 BbgOBG, § 2 BbgPolG; § 3 I HbgSOG; § 2 HessSOG; § 4 I SOG MV; § 1 II 1 NdsSOG; § 5 OBG NW, § 1 I 3 PolG NW; § 2 II SOG LSA; § 165 I LVwG SH; § 3 S 1 ThürPAG, § 3 ThürOBG. – Keine klare Bestimmung in RP. Vgl Art 2 III und IV, 3 BayPAG; §§ 1 II, 4, 52 ASOG Bln; §§ 1 III u IV, 2 BbgPolG; § 3 II HbgSOG; § 1 II u V HessSOG; § 7 SOG MV; § 1 II 1, IV, V NdsSOG; § 1 I 3, III, IV PolG NW; § 2 II u III SOG LSA; § 168 LVwG SH; §§ 2 III, 3 S 1 ThürPAG, § 3 II ThürOBG. Art 4 ff BayPOG; §§ 1 ff BbgPOG; §§ 91 ff HessSOG; §§ 2 ff POG MV; §§ 87 ff NdsSOG; §§ 2 ff POG NW; §§ 76 ff POG RP; §§ 76 ff SOG LSA; §§ 1 ff POG SH; §§ 4 ff ThürPOG.

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2. Kap II 1 a

Die praktische Bedeutung des Unterschieds der beiden Modelle darf nicht über- 51 bewertet werden; die sachlichen Gemeinsamkeiten überwiegen. Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Polizei(verwaltungs)behörden im Einheitssystem entsprechen im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht im Wesentlichen denjenigen der Ordnungsbehörden im Trennsystem; zugleich entspricht der Polizeivollzugsdienst des Einheitssystems in Organisation, Aufgabenstellung und Zuständigkeiten weitgehend der Polizei des Trennsystems.242 Die Identität der Funktionen findet eine Ergänzung in der Übereinstimmung der Befugnisnormen. In den zwölf Ländern, die nur über ein allgemeines Gefahrenabwehrgesetz (PolG, SOG, POG) verfügen, fungieren ein und dieselbe Generalklausel sowie zT auch Standardbefugnisse als Ermächtigungsgrundlagen für Gefahrenabwehrmaßnahmen von Polizei- und Verwaltungs-/Ordnungsbehörden. Und wo die sachliche Zuständigkeit auf Kommunen – als Polizei(verwaltungs)behörden bzw Ordnungsbehörden – übertragen ist, handeln diese im „übertragenen Wirkungskreis“ (Auftragsangelegenheiten, Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung).243 Angesichts der sachlichen Gemeinsamkeiten kann das allgemeine Gefahrenabwehrrecht trotz der begrifflichen Divergenzen einheitlich dargestellt werden. Zur Vereinfachung wird in der folgenden Darstellung, soweit nichts Abweichendes kenntlich gemacht ist, einheitlich von „Ordnungsbehörden“ gesprochen, auch wenn es um Polizei(verwaltungs)behörden (in Bayern: Sicherheitsbehörden) geht; „Polizei“ meint lediglich den Polizeivollzugsdienst.

II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Die Generalklausel a) Die Generalklausel als Eingriffsermächtigung Eingriffsmaßnahmen der Gefahrenabwehrbehörden bedürfen nach dem Vorbehalt 52 des Gesetzes (Rn 31) einer Ermächtigungsgrundlage.244 Vielfach bestehen Spezialbefugnisse in Sondergesetzen und Standardbefugnisse im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht. Daneben ist die Generalklausel schon wegen der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse und in Anbetracht des sozialen Wandels unverzichtbar.245 Dem Gesetzgeber ist es nicht möglich, alle eintretenden Gefahrenlagen vorherzusehen und spezifischen Regelungen zu unterziehen. Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht kennt generalklauselartige Eingriffsermächtigungen sowohl für Einzelfallmaßnahmen als auch für Verordnungen (dazu 242 243 244

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Krajewski StT 6/2002, 33, 34. Einzelheiten → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 36, 39. Aus Sicht der Verwaltung handelt es sich um Befugnisnormen, die die primären Voraussetzungen für die materielle Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns statuieren; Götz POR Rn 179. BVerwGE 115, 189, 194 → JK OBG NW § 14/2; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 7 Rn 12; Schenke POR Rn 49; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVerwR II § 21 Rn 135.

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2. Kap II 1 a aa

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Rn 271). Für die im Vordergrund stehenden Eingriffsmaßnahmen im Einzelfall hatte § 14 I PrPVG bestimmt, dass die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen kann, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Damit stimmen die Generalklauseln des geltenden Rechts 246 wörtlich oder zumindest sachlich überein. Inhaltliche Abweichungen zu § 14 I PrPVG bestehen partiell nur insoweit, als in einigen Ländern die „öffentliche Ordnung“ generell 247 oder für die Gefahrenabwehr durch die (Vollzugs-)Polizei 248 als Schutzgut aus der Generalklausel herausgenommen worden ist. aa) Spezialermächtigungen und Subsidiarität der Generalklausel: Spezialgesetz53 lich geregelte Eingriffsermächtigungen zur Gefahrenabwehr haben gegenüber der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel Anwendungsvorrang. Derartige Spezialbefugnisse, hinter denen die Generalermächtigung zurücktritt, bestehen als sondergesetzliche Eingriffsermächtigungen außerhalb des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts (Rn 259 ff) und als Standardbefugnisse nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht (Rn 191 ff). Die Sondergesetze zur Gefahrenabwehr (insb im Ordnungsrecht) können ihrerseits wiederum Generalklauseln und bereichsspezifische Eingriffsbefugnisse enthalten; 249 in beiden Fällen besteht ein Anwendungsvorrang gegenüber der Generalklausel nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht. Mit dem Anwendungsvorrang spezieller Eingriffsermächtigungen ist die Frage 54 verknüpft, ob es sich dabei um abschließende Regelungen handelt. Die praktischen Konsequenzen der Problematik sind erheblich. Nicht selten normieren Spezialermächtigungen strengere Eingriffsvoraussetzungen als die allgemeine polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel und erlauben nur bestimmte Eingriffsmaßnahmen; auch die Behördenzuständigkeit ist bezüglich Spezialgesetz und Generalklausel oftmals unterschiedlich geregelt. Die Reichweite des Grundsatzes „lex specialis derogat legi generali“ ist insb hinsichtlich der abschließenden Normierung von Eingriffsvoraussetzungen und von Eingriffsmaßnahmen sowie der Sperrwirkung einer Spezialermächtigung außerhalb ihres Anwendungsbereichs zu klären.250 In ihrem Anwendungsbereich äußert eine Spezialermächtigung in Bezug auf die Eingriffsvoraussetzungen Sperrwirkung. Der Rückgriff auf die Generalklausel (mit 246

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§ 3 iVm § 1 I 1 PolG BW; Art 11 I BayPAG, Art 7 II BayLStVG; § 17 I ASOG Bln; § 10 I BbgPolG, § 13 I BbgOBG; § 10 I 1 BremPolG; § 3 HbgSOG; § 11 HessSOG; § 13 SOG MV; § 11 iVm § 2 Nr 1 lit a NdsSOG; § 8 I PolG NW, § 14 I OBG NW; § 9 I 1 POG RP; § 8 I SaarlPolG; § 3 I SächsPolG; § 13 iVm § 3 Nr 3 lit a SOG LSA; § 174 LVwG SH; § 12 ThürPAG, § 5 I ThürOBG; § 14 I, II 1 BPolG. § 10 I 1 BremPolG; § 174 LVwG SH. § 8 I PolG NW. Bspl ist das Bauordnungsrecht; die LBO enthält neben der generalklauselartigen Befugnisnorm zur Aufgabenerfüllung Spezialbefugnisse zB zur Baueinstellung, Nutzungsuntersagung, Beseitigungsanordnung; näher → Krebs 4. Kap Rn 219; ferner Schoch Jura 2005, 178. Weithin unproblematisch ist demgegenüber der Rückgriff auf das allg Polizei- und Ordnungsrecht bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit (Störereigenschaft), wenn dazu im Spezialgesetz keine Regelungen getroffen sind; vgl Rn 123. – Es geht bei der komplexen Materie um „Spezialität“ und „Subsidiarität“; unklar Butzer VerwArch 93 (2002) 506, 517 f einerseits, 527 f andererseits.

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2. Kap II 1 a aa

ihren geringeren Eingriffsvoraussetzungen) ist ausgeschlossen.251 Andernfalls würde das System der Spezialermächtigungen unterlaufen. Dasselbe gilt in Bezug auf Eingriffsmaßnahmen. Hat der Gesetzgeber die Gefahrenabwehrbehörden spezialgesetzlich nur zu ganz bestimmten Maßnahmen ermächtigt, ist dies ein klarer Ausdruck abschließender behördlicher Befugnisse.252 Differenziert zu beurteilen ist die Sperrwirkung einer Spezialermächtigung außerhalb ihres Anwendungsbereichs. Ob und inwieweit eine Spezialregelung abschließend wirkt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.253 Kein Rückgriff auf das allgemeine Gefahrenabwehrrecht ist zulässig, wenn ein Spezialgesetz, wie zB etliche Landespressegesetze,254 Eingriffsmaßnahmen nur in seinem Rahmen erlaubt („Polizeifestigkeit der Presse“).255 Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, ist die Typik oder Atypik des Eingriffs maßgeblich.256 So trifft zB das Versammlungsgesetz für öffentliche Versammlungen abschließende Regelungen zu behördlichen Befugnissen (§§ 5, 13, 15, 17 a IV, 18 III VersG), soweit es um die Abwehr versammlungstypischer Gefahren geht,257 die StVO wirkt abschließend bei der Bekämpfung verkehrstypischer Gefahren. Geht es um die Abwehr andersartiger Gefahren (zB bau-, feuer-, gesundheitspolizeilicher Art uä), kann auf das jeweilige Fachrecht bzw allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht zurückgegriffen werden (Rn 57). Anschauliche Beispiele für die abschließende Wirkung sondergesetzlicher Ein- 55 griffsermächtigungen bietet das Versammlungsrecht. So dürfen polizeiliche Maßnahmen gegen die Teilnehmer einer öffentlichen, von Art 8 I GG geschützten Versammlung nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes 258 und der dortigen engen Voraussetzungen 259 getroffen werden.260 Unzulässig ist zB die Einkesselung einer Versammlung in Anwendung präventivpolizeilicher Ermächtigungsgrundlagen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ohne vorherige Auflösung der 251

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Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 7 Rn 14; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 142. Eine Ausnahme besteht vor dem Hintergrund des Übermaßverbots nach der Rspr in Bezug auf sog Minusmaßnahmen, vgl BVerwGE 64, 55 → JK VersG § 15/1; krit dazu Butzer VerwArch 93 (2002) 506, 533 ff. Enthält ein Spezialgesetz, das Ge- und Verbote normiert, keine Eingriffsermächtigung (lex imperfecta), kann auf das allg Polizei- und Ordnungsrecht zurückgegriffen werden, Rn 59. § 1 II BbgPresseG; § 1 II BremPresseG; § 1 II LPresseG MV; § 1 II PresseG NW; § 4 III LMedienG RP; § 3 III SaarlMedienG; § 1 II LPresseG SH. – Zusätzlich die Presse den Gesetzen, die für jedermann gelten, unterwerfend (dazu Schwabe JuS 2000, 623) § 1 V LPresseG BW; § 1 II PresseG Bln; § 1 V HbgPresseG; § 2 II 1 HessPresseG; § 1 I 3 SächsPresseG. – Unspezifisch von „Beschränkungen, die durch das Grundgesetz zugelassen sind“ sprechend § 1 II NdsPresseG; § 1 II PresseG LSA; § 1 II ThürPresseG. OVG Bbg NJW 1997, 1387 → JK OBG Bbg § 13/1. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 7 Rn 20; vgl dazu auch Butzer VerwArch 93 (2002) 506, 524 ff. Enders Jura 2003, 34, 39. Daher ist eine Platzverweisung nach allg Polizeirecht erst nach Auflösung einer Versammlung (§ 15 III VersG) zulässig, BVerfG (K) NVwZ 2005, 80, 81 → JK GG Art 8/17. – Zu einer wesentlichen Ergänzung vgl Rn 58. Dazu Rn 262. VGH BW DVBl 1998, 837 (am Bspl einer „Razzia“); dazu Deger NVwZ 1999, 265.

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2. Kap II 1 a aa

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Versammlung nach § 15 III VersG.261 Auch die Verhinderung der Anreise zur Versammlung kann, da das „Sich-Versammeln“ von Art 8 I GG geschützt ist,262 nicht auf allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht gestützt werden.263 Abschließende Wirkung haben ferner zB die straßenrechtlichen Befugnisse zur Unterbindung einer unzulässigen Sondernutzung der Straße.264 Eine Gewerbeuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage in § 15 II GewO 265, ein Rückgriff auf die landesrechtliche Generalklausel des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ist – wie § 1 I GewO deutlich macht – nicht zulässig.266 Die polizeiliche Beeinträchtigung des Fernmeldegeheimnisses (Art 10 I GG) eines Telekommunikationsbetreibers kann wegen der abschließenden Regelungen im TKG 267 nicht auf die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel gestützt werden.268 Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten finden ihre Rechtsgrundlage in § 16 I IfSG 269 und nicht im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht. 270 Die behördliche Anordnung zur Lagerung BSE-untersuchten Fleisches bis zur Vorlage des amtlichen Testergebnisses findet im Fleischhygienerecht 271 ihre Grundlage.272 Die behördliche Anordnung der Keulung von Rindern im Falle eines amtlich bestätigten BSE-Fundes ist sogar unmittelbar auf eine EG-Verordnung zu stützen.273 Eher selten ist der Fall, dass das besondere Gefahrenabwehrrecht die Befugnisse des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts rezipiert (zB § 139 b I 2 GewO).274 Exklusive Handlungsbefugnisse statuieren unter ebenfalls abschließenden (und 56 vielfach strengen) Eingriffsvoraussetzungen die Standardbefugnisse. Im Anwendungsbereich dieser Spezialermächtigungen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts ist der Rückgriff auf die Generalklausel unzulässig.275 Liegen die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach der Standardbefugnis nicht vor, muss die Gefahrenabwehrmaßnahme unterbleiben. So dürfte zB im Falle der Sicherstellung bzw Beschlagnahme (Rn 235 ff) nicht auf die Generalklausel zurückgegriffen werden, wenn die speziell geregelten Beschlagnahmevoraussetzungen nicht erfüllt sind; diese sind 261 262 263

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OVG NW DVBl 2001, 839 → JK GG Art 8/14. BVerfGE 69, 315, 349 → JK GG Art 8/2; BVerfGE 84, 203, 209 → JK GG 8 I/4. VG Hamburg NVwZ 1987, 829, 831; unentschieden VG Schleswig NVwZ-RR 1990, 190; aA OVG NW DVBl 1982, 653 (m Anm Schwabe S 655 und Riegel S 1006); VG Braunschweig NVwZ 1988, 661, 662. – Verfassungswidrigkeit landesgesetzlicher Befugnisnormen bzgl Kontrolle im Vorfeld von Versammlungen annehmend Enders Jura 2003, 34, 41. VGH BW VBlBW 2002, 297 → JK StrG BW § 16/2; OVG NW NVwZ-RR 2000, 429 → JK StrWG NRW § 22/1; aA OVG MV LKV 1999, 514. Sartorius I Nr 800. ThürOVG LKV 2003, 191, 192. §§ 111 ff TKG (Sartorius ErgBd Nr 920). VG Darmstadt NJW 2001, 2273. Sartorius ErgBd Nr 285. OVG RP NVwZ-RR 2002, 351; VG Stuttgart NJW 2004, 1404. § 22 a I 1 FlHG (Sartorius I Nr 281) iVm dem AusführungsG des Landes. VGH BW VBlBW 2002, 341, 342. ThürOVG NVwZ 2002, 231. VGH BW VBlBW 1991, 140, 141. Erichsen Jura 1993, 45.

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strenger als die Anforderungen der Generalermächtigung.276 Vielfach ist die Vornahme einer Standardmaßnahme nicht schon bei einer „einfachen“ Gefahrenlage erlaubt, sondern ein Einschreiten ist erst bei einer „unmittelbar bevorstehenden“, „erheblichen“ oder „dringenden“ Gefahr zulässig. Die Befugnisse nach der Generalklausel treten zwar nach dem Grundsatz der Subsidiarität hinter den Standardbefugnissen zurück,277 diese stellen jedoch ihrerseits als Spezialermächtigungen abschließende Sachverhaltsregelungen nur in Bezug auf ihr Normprogramm dar und verdrängen die Generalklausel im Übrigen nicht.278 Deshalb konnten früher Eingriffe in den Schutz der Wohnung (vgl dazu Rn 229 ff), die keine Durchsuchungen darstellten, auf die polizeiliche Generalermächtigung gestützt werden, mussten die verfassungsunmittelbaren Einschränkungen gem Art 13 III GG aF (Art 13 VII GG nF) jedoch beachten.279 Sofern das Landesrecht für eine Platzverweisung oder ein Betretungsverbot noch keine Standardbefugnis (Rn 212) kennt, fungiert die Generalklausel als Rechtsgrundlage.280 Dasselbe gilt beim Fehlen einer Spezialbefugnis für die Anordnung eines (längerfristigen) Aufenthaltsverbots (unter Beachtung der Restriktionen nach Art 11 GG); die landesgesetzliche Spezialbefugnis zur Platzverweisung kann als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot (Rn 214) nicht herangezogen werden.281 Auch eine polizeiliche Wohnungsverweisung (Rn 217) ist mangels Standardbefugnis (unter Beachtung der Anforderungen des Art 11 II GG) auf die Generalklausel zu stützen.282 Werden ehemals atypische Vorgehensweisen zu typischen Maßnahmen, zu denen sich im Laufe der Zeit sogar Standards entwickeln, kann der Rückgriff auf die Generalklausel nur noch für eine Übergangszeit gerechtfertigt sein, weil der Gesetzgeber zur Schaffung einer rechtsstaatlich einwandfreien Spezialermächtigung verpflichtet sein kann.283 bb) Anwendungsbereich der Generalklausel: Die Generalermächtigung des allge- 57 meinen Polizei- und Ordnungsrechts nimmt demnach eine lückenausfüllende Funk276 277

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VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 → JK PolG BW § 34/1. Ausdrücklich Art 11 I BayPAG, Art 7 II BayLStVG; § 17 I ASOG Bln; § 10 I BbgPolG; § 10 I 1 BremPolG; § 11 HessSOG; § 11 NdsSOG; § 8 I PolG NW; § 9 I 1 POG RP; § 8 I SaarlPolG; § 13 SOG LSA; § 12 I ThürPAG, § 5 I ThürOBG. VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 575, 576. BVerwGE 47, 31, 40; OVG Berlin DÖV 1974, 28. – Zur heutigen Rechtslage unten Rn 229. VGH BW DÖV 1997, 255, 256 → JK Pol u OrdR Platzverweis/1; VGH BW DVBl 1998, 97; Heckmann/Klein JuS 1995, 327. OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 315 → JK BremPolG § 10/1; BayVGH DÖV 1999, 520, 521 → JK BayLStVG Art 7/1; OVG NW NVwZ 2001, 459; VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 575, 576; aA HessVGH NVwZ 2003, 1400, 1401; Hecker JuS 1998, 575 und NVwZ 1999, 261, 262. VGH BW NJW 2005, 88 → JK GG Art 11/2. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 7 Rn 20. – Nach BVerwGE 115, 189, 194 ff → JK OBG NW § 14/2 kann das Verbot bestimmter Laserspiele wegen des Eingriffs in Art 12 I GG nur noch für einen vorübergehenden Zeitraum auf die Generalermächtigung gestützt werden. Die Normierung als Standardmaßnahme für die Wohnungsverweisung „nach einer Phase der Erprobung“ fordert wegen Art 11 GG VGH BW NJW 2005, 88, 89 → JK GG Art 11/2; zustimmend Gusy JZ 2005, 355, 356 f, krit zur Anerkennung einer „Phase der Erprobung“ Proske VBlBW 2005, 141.

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2. Kap II 1 a bb

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tion wahr. Sie deckt im Gefahrenabwehrrecht den Bereich ab, der nicht durch spezialgesetzliche Ermächtigungen (besondere Befugnisse, Standardbefugnisse) erfasst ist.284 So ist die Generalklausel zB im Versammlungsrecht auf nichtöffentliche Versammlungen anwendbar, da das Versammlungsgesetz insoweit nicht gilt (§ 1 I VersG).285 Auch das Fernhalten externer Störer einer Versammlung, die eine erlaubte Versammlung verhindern wollen und daher von Art 8 I GG nicht geschützt sind, kann auf die Generalklausel gestützt werden.286 Im Gewerberecht sind Eingriffsmaßnahmen unterhalb der Schwelle der Gewerbeuntersagung nach der Generalermächtigung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts zugelassen worden.287 Im Wasserrecht können Vorschriften des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts herangezogen werden, soweit das Landeswassergesetz keine eigenständigen Regelungen enthält.288 Neben der wasserrechtlichen Generalklausel ist die Generalermächtigung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts allerdings nicht anwendbar.289 Die Generalermächtigung hat iVm Spezialbefugnissen eine ergänzende Funktion, 58 wenn es um die ganzheitliche Bewältigung komplexer Lebenssachverhalte geht, die spezialgesetzlich nur Teilregelungen gefunden haben. So muss zB die tatsächliche Beendigung einer rechtmäßig aufgelösten Versammlung (§§ 13 I, 15 III VersG) bei Missachtung der Entfernungspflicht (§§ 13 II, 18 I VersG) durch die Teilnehmer nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht herbeigeführt werden.290 Die Verhinderung von Ausschreitungen deutscher Hooligans im Ausland kann in einer Kombination aus Pass- und Personalausweisbeschränkung (§§ 7, 8 PassG, § 2 PAuswG 291) sowie Meldeauflagen nach der Generalklausel bewerkstelligt werden.292 Bei der gefahrenabwehrrechtlichen Bekämpfung von Obdachlosigkeit durch Wohnungseinweisung bedarf es einer im Landesrecht zT vorgesehenen Sicherstellung bzw Beschlagnahme der Wohnung (Rn 187) gegenüber dem Wohnungseigentümer und 284

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Ausdrücklich geregelt in Art 11 III 2 BayPAG; § 17 II 2 ASOG Bln; § 10 II 2 BbgPolG, § 13 II 2 BbgOBG; § 10 II 2 BremPolG; § 3 I 3 HessSOG; § 12 II SOG MV; § 3 I 3 NdsSOG; § 8 II 2 PolG NW, § 14 II 2 OBG NW; § 9 II 2 POG RP; § 8 II 2 SaarlPolG; § 4 I 2 SOG LSA; § 163 II 2 LVwG SH; § 12 III 2 ThürPAG, § 5 II 2 ThürOBG. – Eine Ausnahme gilt nur bei abschließenden spezialgesetzlichen Regelungen (vgl Fn 254, 255). BVerwG DVBl 1999, 1740, 1741 → JK VwGO § 113 I 4/15; Enders Jura 2003, 34, 40. VGH BW NVwZ-RR 1990, 602, 603; bestätigt durch BVerfGE 84, 203 → JK GG Art 8 I/4. OVG RP DVBl 1999, 338: vorläufige Schließung einer Spielhalle wegen Gefahr des Rauschgifthandels bis zum Abschluss der Ermittlungen zur gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Betreibers. – Zur Reglementierung der Art und Weise der Gewerbeausübung nach allg Ordnungsrecht OVG NW DÖV 1997, 1055. VGH BW DÖV 1990, 394, 395 und OVG Hamburg NVwZ 2001, 215, 217 zur unmittelbaren Ausführung einer Gefahrenabwehrmaßnahme. Missverständlich OVG Hamburg NVwZ 2001, 1295. KG NVwZ 2000, 468, 470; vgl auch Fn 261. Sartorius I Nr 250 und Nr 255. VGH BW DVBl 2000, 1630 → JK Pol u OrdR pol GK/5. Ausführlich Breuker Transnationale Gewaltprävention (Fn 215) 143 ff (Pass- u PersAuswR) und 203 ff (allg Polizei- u OrdnungsR); zusammenfassend ders NJW 2004, 1631 ff; zu verfassungs- und europarechtlichen Fragen von Beschränkungen der Ausreisefreiheit Rossi AöR 127 (2002) 612 ff.

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2. Kap II 1 a bb

einer auf die Generalermächtigung gestützten Einweisungsverfügung gegenüber dem Obdachlosen.293 Die Generalklausel fungiert vielfach als Ergänzung einer lex imperfecta. Gesetz- 59 liche Gebote oder Verbote als solche ermächtigen nicht zum Erlass von Eingriffsmaßnahmen im Einzelfall, stellen also keine Befugnisnormen dar.294 Sie sind jedoch Teil des Schutzguts „öffentliche Sicherheit“ (Rn 69), so dass ihre Einhaltung unter Rückgriff auf die Generalermächtigung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts durchgesetzt werden kann.295 Das gilt zB für den Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe, der durch landesgesetzliche Verbotsvorschriften bzgl öffentlich bemerkbarer Tätigkeiten angeordnet ist.296 Auch zB die Einhaltung gesetz- und verordnungsrechtlich geregelter Ladenschlusszeiten kann auf der Grundlage der Generalklausel angeordnet werden.297 Droht der gesetzliche Sonn- und Feiertagsschutz durch eine öffentliche Versammlung gestört zu werden, auf die mit einem Verbot reagiert wird, fungiert die Generalermächtigung allerdings nicht als Befugnisnorm; Rechtsgrundlage zur Durchsetzung des Sonn- und Feiertagsschutzes mittels Versammlungsrecht ist § 15 VersG.298 Die zivil- und strafrechtlichen Vorschriften über Notwehr und Notstand normie- 60 ren keine Befugnisse für die Polizei- und Ordnungsbehörden.299 Sie sind auf das Verhältnis von Individuen untereinander bezogen und erfüllen zudem nicht die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts an die Ausgestaltung von staatlichen Handlungsermächtigungen.300 Behördliche „Notwehr-“ oder „Notstandsmaßnahmen“ müssen, um polizei- und ordnungsrechtlich legitimiert werden zu können, beim Fehlen von Spezialermächtigungen auf die Generalklausel gestützt werden können. Keine gesetzliche Handlungsermächtigung für gefahrenabwehrende Maßnahmen 61 stellt eine grundrechtliche Schutzpflicht dar.301 In der Praxis wurden verfassungsrechtliche Schutzpflichten bei Öffentlichkeitsinformationen von Regierung und Verwaltung verschiedentlich als „Eingriffstitel“ anerkannt.302 Diesen rechtsstaatswidrigen Erfindungen der Rechtsprechung ist zu widersprechen. Stellen Informa-

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Vgl VGH BW DÖV 1991, 121 und VBlBW 1996, 567. Vgl OVG NW DÖV 2004, 666; unzutr dagegen VG Stuttgart GewArch 2003, 303. Beljin/Micker JuS 2003, 556, 558. BVerwGE 90, 337, 341; OVG Hamburg NVwZ 1991, 180, 181; OVG NW DVBl 1991, 952 und NVwZ-RR 1994, 439; OVG RP DVBl 1999, 44; SächsOVG SächsVBl 2002, 269; OVG SH GewArch 1997, 262, 263; VG Gera NVwZ-RR 1999, 579. VG Berlin NJW 1999, 2988. OVG Bbg NVwZ 2003, 623; krit zur Beschränkung der Versammlungsfreiheit durch das Sonn- und Feiertagsrecht der Länder Arndt/Droege NVwZ 2003, 906 ff. Ausdrücklich § 8 III SaarlPolG. – Zur Problematik aus der Sicht des Strafrechts Kühl StrafR AT, 4. Aufl 2002, § 7 Rn 148 ff. Schenke POR Rn 40; Beaucamp JA 2003, 402 ff; ferner Deger NVwZ 2001, 1229, 1231 mit kompetenzrechtlichen Argumenten. Wahl/Masing JZ 1990, 553 ff; allg Erichsen Jura 1997, 85ff; Brüning/Helios Jura 2001, 155 ff. BVerwGE 87, 37, 46 f; relativierend BVerwG NJW 1991, 1770; ferner OVG NW NJW 1996, 2114 und 3355 sowie NVwZ 1997, 302; VG Köln NVwZ 1999, 912.

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2. Kap II 1 a cc

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tionsmaßnahmen im Rechtssinne einen Grundrechtseingriff dar, bedarf es zu ihrer Rechtfertigung einer entsprechenden gesetzlichen Befugnis.303 Fehlt es zB für eine öffentliche Warnung an einem Spezialgesetz,304 muss auf die Generalklausel des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts zurückgegriffen werden.305 Allerdings können sich Bundesregierung, -minister und -behörden hierauf nicht berufen, sondern nur die zuständigen Stellen des Landes. cc) Struktur und Bedeutung der Generalklausel: Die Generalklausel weist eine 62 konditionale Normstruktur 306 auf. Wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht, dann darf die zuständige Behörde die notwendigen Gefahrenabwehrmaßnahmen treffen. Die Generalermächtigung verknüpft demnach unbestimmte Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite (Eingriffsvoraussetzungen), die keinen behördlichen Beurteilungsspielraum gewähren und gerichtlich voll nachprüfbar sind,307 mit einer Handlungsbefugnis auf der Rechtsfolgenseite (Handlungsermessen). Gefahrenabwehrmaßnahmen dürfen nur getroffen werden, wenn die Eingriffsvoraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind. Der Tatbestand weist zwei Elemente auf: ein Schutzgut („öffentliche Sicherheit“, „öffentliche Ordnung“), das sich in einer Gefahrenlage befindet. Das Rechtsfolgeermessen kennt ebenfalls zwei Elemente: das Entschließungsermessen (dh „ob“ eingeschritten wird) und das Auswahlermessen (dh „wie“ vorgegangen wird, bezogen auf die Maßnahme zur Gefahrenabwehr und – bei mehreren Verantwortlichen für den Gefahrenzustand – den Pflichtigen). Die Verfassungsmäßigkeit der Generalklausel ist nicht zweifelhaft. Die Verknüp63 fung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Ermessen widerspricht nicht dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Die Generalklausel ist „in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt“.308 Die Generalermächtigung ist auch mit den Grundrechten vereinbar; sie erfüllt die Anforderungen der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte.309 Die mitunter geforderte restriktive, grundrechtskonforme Auslegung und Anwendung 310 betrifft nicht die Normgeltung, sondern den Gesetzesvollzug.

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Gusy NJW 2000, 977, 982 ff; Murswiek NVwZ 2003, 1, 6; Huber JZ 2003, 290, 294; Bethge Jura 2003, 327, 332; Gurlit DVBl 2003, 1119, 1131; Bumke DV 37 (2004) 3, 21; Hellmann NVwZ 2005, 163, 166; rechtsdogmatisch nicht haltbar BVerfGE 105, 252, 268 f und E 279, 300 f; zur Kritik vgl Schoch in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, 3. Aufl 2005, § 37 Rn 111 ff. Beispiele insoweit: § 69 IV AMG (Sartorius ErgBd Nr 272); § 8 IV 3 GPSG (Sartorius ErgBd Nr 803); Warnbefugnisse im Lebensmittelrecht normieren § 13 AGLMBG BW, Art 25 BayGDVG, § 12 AGLMBG Bbg, § 11 SächsAGLMBG, § 9 ThürAGLMBG. LG Stuttgart NJW 1989, 2257, 2258; LG Göttingen NVwZ 1992, 98, 99 f. Dazu Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 10 Rn 1. Schenke POR Rn 51; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 178. So BVerfGE 54, 143, 144 f; ähnlich BVerfGE 69, 315, 352. BVerwGE 115, 189, 196 → JK OBG NW § 14/2 (bzgl Art 12 I 2 u 14 I 2 GG). Vgl Fn 279, ferner Rn 215 zum Aufenthaltsverbot.

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2. Kap II 1 b aa

Die Generalklausel hat für das gesamte Gefahrenabwehrrecht eine struktur- 64 prägende Bedeutung. Auch spezialgesetzliche Gefahrenabwehrbestimmungen und Standardbefugnisse verlangen tatbestandlich das Vorliegen einer Gefahr für ein Schutzgut und eröffnen auf der Rechtsfolgenseite Handlungsermessen. Inhaltlich geht es bei den Tatbestandsvoraussetzungen jener Regelungen häufig nur um ganz bestimmte Schutzgüter, und bei der Gefahrenlage wird eine qualifizierte Gefahr (Rn 99 f) verlangt. Soweit eine sachliche Übereinstimmung besteht, weisen die Gesetzesbegriffe in der Generalklausel und im Spezialgesetz einen identischen normativen Gehalt auf. Ein markantes Beispiel hierfür bietet § 15 VersG; die Begriffe „öffentliche Sicherheit“ 311 und „öffentliche Ordnung“ 312 stimmen im Versammlungsrecht mit denselben Begriffen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts überein. b) Schutzgüter der Generalklausel Gefahrenabwehrmaßnahmen nach der Generalklausel 313 setzen voraus, dass eine 65 Gefahr für die „öffentliche Sicherheit“ oder „öffentliche Ordnung“ besteht.314 Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit genießt Anwendungsvorrang gegenüber demjenigen der öffentlichen Ordnung. Systematisch ist das Schutzgut vor der „Gefahr“ zu prüfen.315 Diese ist nur in Bezug auf ein bestimmtes Schutzgut zu ermitteln. Liegt schon keine polizei- bzw ordnungswidrige Lage vor, stellt sich die Frage der „Gefahr“ nicht.316 aa) Öffentliche Sicherheit iSd Gefahrenabwehrrechts ist (im Anschluss an die 66 Amtliche Begründung zu § 14 PrPVG und in Übereinstimmung mit Legaldefinitionen im Landesrecht 317) die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (1), der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen (2) sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger von Hoheitsgewalt (3).318 Geschützt werden danach Individual- und Gemeinschaftsrechtsgüter. Die drei Teilelemente der öffentlichen Sicherheit überschneiden sich; denn die Rechtsordnung umfasst sowohl Rechte und Rechtsgüter (vgl auch Rn 78) des Einzelnen als auch kollektive Rechtsgüter. Angesichts der „Verrechtlichung“ nahezu aller Lebensbe311 312

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Dazu BVerfG (K) DVBl 2001, 1054. Dazu BVerfG (K) DVBl 2001, 558, 559 → JK GG Art 8/13; BVerfG (K) DVBl 2001, 897, 900; BVerfG (K) DVBl 2004, 235, 237 → JK 8/04 GG Art 8/16; BVerfG DVBl 2004, 1230, 1232. Vgl Nachw Fn 246; zum Verzicht auf das Schutzgut „öffentliche Ordnung“ in einigen Ländern Fn 247, 248. Näher zu den Schutzgütern der Generalklausel Schoch Jura 2003, 177 ff. Vgl Fallbearbeitung Ladeur/Prelle Jura 2000, 138, 140. VGH BW NVwZ 1994, 1233: selbstverantwortete Staatenlosigkeit kein polizeiwidriger Zustand. § 2 Nr 2 BremPolG; § 3 Nr 1 SOG LSA; § 54 Nr 1 ThürOBG. BVerfGE 69, 315, 352 → JK GG Art 8/2; BVerfG (K) DVBl 2001, 1054; LVerfG MV LKV 2000, 345, 350; VGH BW NVwZ 1994, 1233, 1234; OVG Bbg NVwZ 2003, 623 und NVwZ-RR 2004, 844 → JK 4/05 VersG § 15 I/5; Waechter NVwZ 1997, 729, 733; krit Erbel DVBl 2001, 1714, 1720.

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reiche ist die Unversehrtheit der Rechtsordnung das dominierende Element im Rahmen der öffentlichen Sicherheit.319 (1) Die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung zielt auf die Wahrung des geltenden 67 Rechts. Umfasst ist von dem Schutzgut die gesamte Rechtsordnung.320 Ihre Einhaltung obliegt allerdings vorrangig den zuständigen (Fach-)Behörden im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs. Die Unversehrtheit der Rechtsordnung wird durch das allgemeine Gefahrenabwehrrecht nur ergänzend zu sichern versucht. Droht eine Verletzung geltenden Rechts und bestehen keine anderweitigen Abwehrbefugnisse, greift die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel ein. Im Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts darf eine bevorstehende 68 Rechtsverletzung auf Grund der Generalklausel des Polizei- und Ordnungsrechts unterbunden werden. Der drohende Gesetzesverstoß stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Da es nicht um Strafverfolgung geht, genügt die drohende Verwirklichung des objektiven Tatbestandes; unerheblich ist, ob der für eine strafrechtliche Ahndung erforderliche subjektive Tatbestand erfüllt ist.321 Auch das Fehlen eines Antrags bei Antragsdelikten hindert das der Unversehrtheit der Rechtsordnung verpflichtete präventivpolizeiliche Einschreiten nicht.322 Beispiele für die Verhinderung von Straftaten durch Einschreiten nach der Generalklausel sind das Verbot einer Theateraufführung wegen drohender strafbarer Handlungen nach § 166 StGB,323 die Verhängung von Aufenthaltsverboten gegen Drogenhändler der offenen Drogenszene wegen bevorstehender Verstöße gegen § 29 BtMG 324 und die Verhängung von Meldeauflagen gegenüber Angehörigen der militanten Hooliganszene zwecks Verhinderung schwerer Straftaten (Landfriedensbruch, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen) im Ausland.325 Immer geht es um den Schutz der Rechtsordnung, wenn objektiv eine Gefährdung des durch einen bestimmten Straftatbestand geschützten Rechtsguts vorliegt. Im Verwaltungsrecht beeinträchtigt ein Verstoß gegen Verhaltensnormen die 69 öffentliche Sicherheit. Maßnahmen nach der Generalklausel können den bevorstehenden Bruch einer Vorschrift des Öffentlichen Rechts abwenden.326 Jene Bestimmung muss ein Gebot oder Verbot enthalten, das durch ein Tun oder Unterlassen des Einzelnen verletzt werden kann.327 So unterliegt zB ein Ausländer, der in das Bundesgebiet einreist oder sich darin aufhält, der Passpflicht; 328 folglich stellt die Passlosigkeit eines Ausländers einen polizei- und ordnungswidrigen Zustand 319 320

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Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 7; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 7. VGH BW NVwZ-RR 1990, 561, 562; ebenso zu § 15 VersG BVerwGE 64, 55, 58f → JK VersG § 15/1 und E 82, 34, 40. VG Karlsruhe NJW 1988, 1536 → JK GG Art 2 I/18; ebenso zu § 15 VersG BVerwGE 64, 55, 61 → JK VersG § 15/1. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 8. OVG RP NJW 1997, 1174; bestätigt durch BVerwG NJW 1999, 304. VGH BW DÖV 1997, 255, 256 → JK Pol- u OrdR, Platzverweis/1; VGH BW DVBl 1998, 97; OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 317; OVG NW DÖV 2001, 216. VGH BW DVBl 2000, 1630, 1633 → JK Pol- u OrdR, Pol Generalklausel/5. VG Berlin NJW 1999, 2988. VGH BW NVwZ 1994, 1233, 1234. § 4 I AuslG = § 3 I AufenthG (Sartorius I Nr 565).

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dar.329 Die Generalklausel fungiert als „Sanktionsnorm“ bei (drohenden) Verletzungen von Ge- oder Verbotsvorschriften, die selbst keine Ermächtigung zum Einschreiten gegen den befürchteten Gesetzesverstoß enthalten (leges imperfectae, Rn 59). Die öffentliche Sicherheit ist auch bei der Missachtung untergesetzlichen Rechts (zB Rechtsverordnung) beeinträchtigt.330 Im Rahmen des Merkmals „öffentliche Sicherheit“ erfolgt die inzidente Prüfung der Verletzung der rezipierten Verhaltensnorm. Droht ihr keine Verletzung, liegt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor. So wird zB im (stillen) Betteln kein Verstoß gegen das Straßenrecht gesehen, weil eine unzulässige Sondernutzung nicht gegeben sei; folglich kann nicht wegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegen das Betteln eingeschritten werden.331 Auch Grundrechte sind als Teil der objektiven Rechtsordnung an sich Schutz- 70 element der öffentlichen Sicherheit. Schutzelement der öffentlichen Sicherheit ist jedoch nicht die Rechtsordnung als solche, sondern ihre Unverletzlichkeit (Rn 66).332 Folglich muss an ein Verhalten angeknüpft werden können, das zu einer Grundrechtsverletzung führen kann. Verhaltenspflichten für Einzelne bestehen nach Maßgabe der Grundrechte jedoch nicht; verpflichtet ist die Staatsgewalt (Art 1 III GG).333 Folglich scheidet ein Verstoß gegen Grundrechtsbestimmungen durch individuelles menschliches Verhalten aus. Bei Konflikten zwischen Bürgern kann es jedoch zu „Grundrechtskollisionen“ kommen, bei denen nach Maßgabe der Generalklausel eingeschritten werden kann.334 Rechtsdogmatischer Anknüpfungspunkt ist dann aber nicht die „Unverletzlichkeit der Rechtsordnung“, sondern der Schutz von Individualrechtsgütern (Rn 73). Bestimmungen des Privatrechts sind ebenfalls als Teil der Rechtsordnung Schutz- 71 element der öffentlichen Sicherheit. Insoweit liegt eine Überschneidung mit dem Schutz individueller Rechte und Rechtsgüter vor.335 Die Zuordnung zu jenem Komplex (Rn 72) verdeutlicht besser die nur subsidiäre Anwendbarkeit der Generalklausel beim Schutz des Privatrechts. (2) Die Unverletzlichkeit individueller Rechte und Rechtsgüter im Rahmen der 72 „öffentlichen Sicherheit“ ist im positiven Recht ausdrücklich verankert; die zuständigen Behörden haben nach der Generalklausel Gefahren nicht nur von der Allgemeinheit, sondern auch von dem Einzelnen abzuwehren.336 329

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OVG NW DÖV 2004, 666 (im konkreten Fall aber mit zweifelhafter Begründung Bejahung einer Ermessensüberschreitung bzgl der behördlichen Durchsetzung der Passpflicht). VGH BW DÖV 1992, 267: Verbot eines „wilden“ Zeltlagers wegen VO-Verstoßes. VGH BW DVBl 1999, 333 → JK Pol- u OrdR/Straßen- u Wegerecht/1. – Zur Thematik auch Holzkämper NVwZ 1994, 146 ff. Aubel DV 37 (2004) 229, 233. Eine Ausnahme (dh unmittelbare grundrechtliche Drittwirkung) stellt Art 9 III GG dar. Zu Besonderheiten bei Art 1 I GG (unmittelbare Drittwirkung) Aubel DV 37 (2004) 229, 236 ff. Krit Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 17 f. Restriktiv Waechter NVwZ 1997, 729, 736: Rechtsgüterschutz jenseits geschriebener Verhaltensnormen als Ausnahme (zB bei Naturgefahren). Vgl Nachw Fn 246.

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Schutz und Durchsetzung privater Rechte und Rechtsgüter obliegen nach der geltenden Zuständigkeitsordnung allerdings in erster Linie den Zivilgerichten (nebst Vollstreckungsorganen); die Generalklausel kommt nur subsidiär zur Anwendung (Rn 73). Diese Restriktion gilt von vornherein nicht, wenn vor Gericht ein Schutz nicht gefunden werden kann, zB bei der Bedrohung individueller Rechtsgüter durch Naturereignisse 337 oder in manchen Fällen unfreiwilliger Obdachlosigkeit,338 ferner bei der Straftatenverhütung, wenn potentielle Opfer unbekannt sind.339 Restriktionen beim behördlichen Schutz individueller Rechte und Rechtsgüter bestehen auch in den Fällen der Selbstgefährdung. Insoweit geht es um die Entscheidung darüber, ob eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt oder ob der Betreffende Gebrauch von seinen Grundrechten macht (Rn 74). Der Schutz privater Rechte (und individueller Rechtsgüter) obliegt den Gefah73 renabwehrbehörden nur, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne behördliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird; 340 zT wird auch ein Antrag des Berechtigten verlangt.341 Die Subsidiaritätsklausel gilt nicht nur bei Gefahrenabwehrmaßnahmen nach der Generalermächtigung, sondern auch bei Standardmaßnahmen (zB Sicherstellung bzw Beschlagnahme).342 Der staatliche Schutz privater Rechte und Rechtsgüter gegenüber anderen privaten Rechtssubjekten nach Maßgabe des Polizei- und Ordnungsrechts erlaubt grundsätzlich nur vorläufige Maßnahmen zur Sicherung des gefährdeten Rechts(guts).343 Endgültige Maßnahmen sind allerdings nicht ausgeschlossen, wenn der Betroffene andernfalls in zumutbarer Zeit nicht zu seinem Recht kommt.344 Der Subsidiaritätsgrundsatz greift nur bei ausschließlich privatrechtswidrigen Gefährdungslagen ein. Sind Rechte und Rechtsgüter bedroht, die zugleich durch Vorschriften des Öffentlichen Rechts geschützt sind, ist die öffentliche Sicherheit unter dem Aspekt „Unverletzlichkeit der Rechtsordnung“ (Rn 67 ff) gefährdet und die Gefahrenabwehrbehörden dürfen einschreiten.345 Ein zusätzliches „öffentliches 337 338

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Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 5 Rn 45. VGH BW NJW 1993, 1027; NVwZ 1993, 1220; DVBl 1996, 567; DVBl 1996, 294; BayVGH NVwZ-RR 2002, 575; OVG Bremen DÖV 1994, 221, 222; NdsOVG NVwZ 1992, 502, 503. SächsOVG SächsVBl 2000, 170: Verbot des Tragens von Springerstiefeln mit Stahlkappen und des Mitführens von Messern (etc) gegenüber einem wiederholt straffällig gewordenen (Körperverletzungsdelikte) Jugendlichen. § 2 II PolG BW; Art 2 II BayPAG; § 1 IV ASOG Bln; § 1 II BbgPolG; § 1 II BremPolG; § 1 III HessSOG; § 1 III SOG MV; § 1 III NdsSOG; § 1 II PolG NW; § 1 III POG RP; § 1 III SaarlPolG; § 2 II SächsPolG; § 1 II SOG LSA; § 162 II LVwG SH; § 2 II ThürPAG, § 2 II ThürOBG; § 1 IV BPolG. Baden-Württemberg, Sachsen; generell Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 5 Rn 47; Gusy PolR Rn 93. VGH BW NVwZ-RR 1995, 527, 528; NVwZ 2001, 1292, 1294. Vgl zB OLG Düsseldorf NJW 1990, 998: Feststellung der Personalien zur Sicherung privater Rechtsansprüche. Vgl zB OVG RP DÖV 1988, 80: Einschreiten der Polizei nachts um 4 Uhr gegen rechtswidrig auf Privatgrund geparktes Kfz zur Ermöglichung des Wegfahrens des Berechtigten. ZB bei Störung des privaten Hausrechts wegen § 123 StGB, bei Verletzung der gesetzlichen

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Interesse“ muss nicht vorliegen; mit der Gefährdung der „öffentlichen“ Sicherheit, die eben auch Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen umfasst, ist das öffentliche Interesse an der behördlichen Gefahrenabwehr gegeben.346 Grundsätzlich nicht tangiert ist die öffentliche Sicherheit bei rechtlich zulässiger 74 Selbstgefährdung des Einzelnen. Das von Art 2 I GG geschützte Selbstbestimmungsrecht schließt die Befugnis des Individuums ein, selbst darüber zu befinden, welchen Gefahren (zB durch bestimmte Sportarten, Alkoholgenuss, Rauchen) es sich aussetzen will.347 Was grundrechtlich geschützt ist, kann nicht zugleich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Voraussetzung für den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts ist allerdings, dass Dritte und die Allgemeinheit nicht mitgefährdet werden 348 und dass die Selbstgefährdung auf einer freien Willensentschließung beruht und der Betreffende die Tragweite seines Tuns abzusehen vermag.349 Etwas anderes gilt, wenn die Freiheit zur Selbstgefährdung spezialgesetzlich eingeschränkt ist.350 Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit wird generell bei drohender Selbsttötung angenommen.351 Normativ wird auf die staatliche Schutzpflicht nach Art 2 II GG und das durch § 323c StGB sanktionierte Gebot zur Hilfeleistung hingewiesen; faktisch ist oftmals zweifelhaft, ob der Betreffende in freier Willensbestimmung handelt oder sich in einer verzweifelten Lage, einem psychischen Ausnahmezustand befindet.352 Die Unterbindung einer entdeckten versuchten Selbsttötung stellt rechtmäßiges polizeiliches Handeln dar. Potentielle Selbstmörder dürfen sogar zu ihrem eigenen Schutz in Gewahrsam genommen werden.353

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Unterhaltspflicht wegen § 170 StGB; zum Fall einer Nötigung (§ 240 StGB) OVG Saarland NJW 1994, 878, 879 → JK Pol u OrdR Ersatzvornahme/2. Götz POR Rn 93; aA Beljin/Micker JuS 2003, 556, 558; Gusy PolR Rn 81; Schenke POR Rn 56; Tettinger/Erbguth BesVwR Rn 447. BVerwGE 82, 45, 48; ausf Gampp/Hebeler BayVBl 2004, 257 ff. – Zur freiwillig gewählten Obdachlosigkeit Ruder NVwZ 2001, 1223, 1224. VGH BW NJW 1998, 2235, 2236 → JK WG BW § 42 II/1: „ausschließliche Selbstgefährdung“, abgelehnt beim Sporttauchen an besonders gefährlichen Stellen eines Sees, wenn immer mindestens zwei Personen zusammen tauchen. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 21. BVerfGE 59, 275 → JK GG Art 2 I/5: Schutzhelmtragepflicht für Kraftradfahrer; BVerfGE 90, 145 → JK GG Art 2 I/26: kein „Recht auf Rausch“ (Strafdrohung beim unerlaubten Umgang mit Cannabisprodukten). Aus der Rspr: BVerfG NJW 1987, 2288; BayVerfGH NJW 1989, 1790; BayObLG DÖV 1989, 273; VG Karlsruhe NJW 1988, 1536 = JZ 1988, 208 (m Bespr Herzberg S 182) → JK GG Art 2 I/18. – Zur Ablehnung eines Rechts auf aktive Sterbehilfe nach der EMRK vgl EGMR NJW 2002, 2851; dazu Heymann JuS 2002, 957. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 22. § 28 I Nr 2 PolG BW; Art 17 I Nr 1 BayPAG; § 30 I Nr 1 ASOG Bln; § 17 I Nr 1 BbgPolG; § 15 I 1 Nr 1 BremPolG; § 13 I Nr 1 HbgSOG; § 32 I Nr 1 HessSOG; § 55 I Nr 1 SOG MV; § 18 I Nr 1 NdsSOG; § 35 I Nr 1 PolG NW; § 14 I Nr 1 POG RP; § 13 I Nr 1 SaarlPolG; § 22 I Nr 2 SächsPolG; § 37 I Nr 1 SOG LSA; § 204 I Nr 1 LVwG SH; § 19 I Nr 1 ThürPAG.

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(3) Der Bestand des Staates und seiner Einrichtungen sowie Veranstaltungen zählt zu den anerkannten Schutzelementen der öffentlichen Sicherheit.354 Geschützt sind danach die Träger von Hoheitsgewalt einschließlich ihrer Organe und Behörden sowie die ihnen zugeordneten Einrichtungen (Dienstgebäude, Theater, Museen etc) und von ihnen durchgeführten Veranstaltungen (zB Staatsempfänge, Manöver, Paraden, Ausstellungen) gegen äußere Störungen und Beeinträchtigungen jedweder Art. Eine eigenständige Bedeutung kommt diesem Aspekt der öffentlichen Sicherheit gleichwohl kaum zu. Die Rechtsordnung (Rn 67 ff) sichert durch das politische Strafrecht (§§ 80 ff StGB) und weitere einschlägige Strafbestimmungen (zB §§ 123, 240, 316b ff StGB) umfassend den Staat und seine Untergliederungen sowie Veranstaltungen.355 Eigene Befugnisse „bedrohter“ Hoheitsträger (zB Hausrecht, Ordnungs- und Polizeigewalt) und besondere Behörden des Staatsschutzes (Rn 43) decken zudem den Schutz der öffentlichen Sicherheit ab. Praktische Fälle zur konstitutiven Wirkung des Schutzelements lassen sich kaum mehr finden. Soweit die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen der öffentlichen Sicher76 heit zugeordnet wird,356 kann ein gefahrenabwehrrechtlicher Schutz auch dort wirksam werden, wo Normverstöße nicht bestehen. So wurde die Funktionsfähigkeit einer Obdachlosenunterkunft als öffentliche Einrichtung durch eine unbefugte Nutzung dadurch beeinträchtigt, dass die Einweisung eines Berechtigten verhindert wurde.357 Die Warnung eines unbefugten Dritten vor einer Geschwindigkeitskontrolle der Polizei wurde als Störung der Funktionsfähigkeit einer staatlichen Einrichtung gewertet, weil die Polizei ihre Aufgaben auf dem Gebiet der Verkehrsüberwachung nicht ordnungsgemäß durchführen konnte.358 Keine Gefährdung des Bestandes und der Funktionsfähigkeit des Staates und sei77 ner Einrichtungen stellt, da grundrechtlich geschützt, unliebsame Kritik (Art 5 I 1 GG) dar, ebenso wenig eine friedliche Demonstration (Art 8 I GG) zB gegen staatliche Funktionsträger oder ausländische Staatsgäste. Etwas anderes gilt zB bei Beleidigungen von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB).359 (4) Der Schutz „kollektiver Rechtsgüter“ 360 (als solcher) gehört nicht zu der an78 erkannten bzw gesetzlich normierten Definition der öffentlichen Sicherheit und ist daher nicht Element der Generalklausel.361 „Rechts“güter müssen ihre Grundlage 75

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Vgl Nachw Fn 317, 318; grds abl Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 34 ff (Ausnahme: Naturereignisse). Als erschöpfend erachtet von Waechter NVwZ 1997, 729, 736. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 12; Gusy PolR Rn 82; Schenke POR Rn 61; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 183; abl Waechter NVwZ 1997, 729, 736; krit auch Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 41. VGH BW DÖV 1992, 78. OVG NW DÖV 1997, 512 → JK PolG NW § 8 I/1; VG Hannover NdsVBl 2001, 228; VG Aachen NVwZ-RR 2003, 684; zustimmend Götz POR Rn 118; abl Schenke POR Rn 60; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 42; differenzierend Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 16. BVerwGE 64, 55 → JK VersG § 15/1. BVerwG DVBl 1974, 297: öffentliche Wasserversorgung; VGH BW NVwZ 1988, 166: Natur und Landschaft; VG Gelsenkirchen ZfW 1988, 311: Reinheit des Wassers. Waechter NVwZ 1997, 729, 735; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 8; aA Erbel DVBl

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in der Rechtsordnung haben. Daher kann zB der Schutz der „Volksgesundheit“ ein behördliches Einschreiten nur rechtfertigen, soweit sie eine Ausprägung in der Rechtsordnung gefunden hat. An Stelle unbestimmter Kollektivrechtsgüter sollte zur Gefahrenabwehr auf diejenigen Rechtsvorschriften zurückgegriffen werden, die das „Gut“ konstituieren und von einem Rechtsverstoß bedroht sind. bb) Öffentliche Ordnung iSd Gefahrenabwehrrechts ist nach hM die Gesamtheit 79 der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.362 Zu ergänzen ist, dass es sich nur um Regeln im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung handeln kann und dass es nur um das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit geht.363 Jene ungeschriebenen Regeln für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben sind keine Rechtsnormen, sondern Sozialnormen. Ihnen wird eine faktische Verbindlichkeit kraft gesellschaftlicher Anerkennung attestiert, die durch Rezeption in der Generalklausel zur Rechtsverbindlichkeit mutiert und den Gefahrenabwehrbehörden zur Durchsetzung überantwortet ist.364 Die Gefahr einer Verquickung von Recht und Moral liegt auf der Hand. Die Kritik an dem Schutzgut „öffentliche Ordnung“ im Polizei- und Ordnungs- 80 recht ist alt.365 Verbindliche Normen könne im demokratischen Rechtsstaat nur der Gesetzgeber erlassen; wegen der Wandelbarkeit der Anschauungen sei der Begriff zu unbestimmt; die Mehrheit dürfe nicht als „Moralapostel“ oder „Sittenwächter“ ihre Sozialnormen den Minderheiten, die grundrechtlich geschützt seien, aufzwingen; der Inhalt der öffentlichen Ordnung sei empirisch kaum feststellbar.366 Außerdem wird – va unter Hinweis auf § 118 I OWiG (als Element der „öffentlichen Sicherheit“) – der öffentlichen Ordnung eine Lücken schließende praktische Bedeutung abgesprochen.367 Wo die „öffentliche Ordnung“ Bestandteil der Generalklausel ist,368 handelt es 81 sich um geltendes Recht.369 Der Begriff hat sogar verfassungsrechtliche 370 und

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2001, 1714, 1720; Götz POR Rn 111 ff; Knemeyer POR Rn 100; Wolffgang/Hendricks/ Merz POR NW Rn 59. BVerfGE 69, 315, 352 → JK GG Art 8/2; BVerfG (K) DVBl 2001, 558, 559 → JK GG Art 8/13; BVerfG (K) DVBl 2001, 1054, 1055; BVerfG (K) DVBl 2004, 235, 237 → JK 8/04 GG Art 8/16; OVG NW NJW 1994, 2909, 2910; DÖV 1995, 1004; DÖV 1996, 1052→ JK Pol- u OrdR, Pol Generalklausel/4; OVG RP DÖV 1994, 965; Hebeler JA 2002, 521; krit Erbel DVBl 2001, 1714, 1717. § 3 Nr 2 SOG LSA; § 54 Nr 2 ThürOBG. Erbel DVBl 2001, 1714, 1715; Hebeler JA 2002, 521, 522; Jestaedt Jura 2002, 552, 558. Vgl Hill DVBl 1985, 88, 91 ff. Störmer DV 30 (1997) 233f; Waechter NVwZ 1997, 729, 730f; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 26; Götz POR Rn 127; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 50. Störmer DV 30 (1997) 233, 256; Trute DV 32 (1999) 73, 78; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 186; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 8 Rn 51. Vgl Nachw Fn 246 bis 248. BVerfGE 54, 143, 144 f. Vgl Art 13 VII, 35 II GG.

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europarechtliche Qualität; 371 er findet sich ferner in Bestimmungen des besonderen Gefahrenabwehrrechts.372 Der Schutz der „öffentlichen Ordnung“ durch das Gefahrenabwehrrecht ist verfassungsrechtlich unbedenklich.373 Die Rechtsordnung weist der öffentlichen Ordnung eine offenbar unverzichtbare Reservefunktion zu, um auf unvorhersehbare und unerträgliche Störungen des sozialen Friedens reagieren zu können.374 Mit der Verrechtlichung nahezu aller Lebensbereiche hat die „öffentliche Ord82 nung“ im Polizei- und Ordnungsrecht allerdings einen Bedeutungsschwund erlitten.375 Sitte, Anstand und Moral werden nur vereinzelt mit Hilfe der Generalklausel durchgesetzt; 376 überwiegend wird in „anrüchigem“ Verhalten kein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung erblickt.377 Freiwillige Obdachlosigkeit ist kein Ordnungsverstoß,378 ebenso wenig öffentliches Betteln.379 Teile der Verwaltungsrechtsprechung neigen dazu, in extremistischen politischen Verhaltensweisen mitunter einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung zu sehen.380 Neuerdings sieht die Judikatur sogar in bestimmten Spielen der „Spaßgesellschaft“ eine Verletzung der öffentlichen Ordnung. Signifikant ist insoweit die Entscheidung des BVerwG zum Verbot von Laserspielen mit simulierten (fiktiven) Tötungshandlungen.381 Ein derartiges gewerbliches Unterhaltungsspiel soll „wegen der ihm innewohnenden Tendenz zur Bejahung oder zumindest Bagetellisierung der Gewalt und wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvorstellungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie unvereinbar“ sein und deshalb gegen die

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Vgl Art 8 II, 9 II, 10 II, 11 II EMRK; Art 33 EUV; Art 30, 39 III, 46 I, 64 I EGV. § 15 I VersG; §§ 47 I 2 Nr 1, 55 I u II Nr 8, 56 I 2, 58 I AufenthG; § 14 II Nr 1 VereinsG; §§ 56 II 1, 71 a GewO; § 19 GaststG; §§ 5 II 1, 6 II 3, 20 II 2, 24 II, 29 I 1 LuftVG; §§ 5 IV 2, 12 I 1 LuftSiG; § 118 I OWiG; bzgl Straßenverkehr auch § 45 I 1 StVO. BVerfG DVBl 2004, 1230, 1232 zu § 15 VersG. Erbel DVBl 2001, 1714, 1718; Fechner JuS 2003, 734, 735. Überblick zu verbliebenen diskussionswürdigen Fallgruppen der „öffentlichen Ordnung“ bei Fechner JuS 2003, 734, 735 ff. BayVGH NVwZ 1984, 254 („Damen-Schlamm-Catch oben ohne“); HessVGH NJW 1984, 1368 (Modalitäten nicht verbotener Prostitution, zB in der Nähe einer Schule); OVG NW DÖV 1996, 1052 → JK Pol- u OrdR, Pol Generalklausel/4 (aufdringliches nacktes Auftreten in der Öffentlichkeit). ZB OVG NW NJW 1988, 787 → JK Pol- u OrdR, Gefahrenbegriff/5 (Verkauf von Kondomen aus Straßenautomat); VG Karlsruhe GewArch 1978, 163 und VG Gelsenkirchen GewArch 1978, 164 („Damen-Boxkämpfe oben ohne“); VG Dresden NVwZ-RR 2003, 848 (Veranstaltung von Paintball-Spielen), m Bespr Kramer NVwZ 2004, 1083; auch BVerwG DVBl 1974, 504 (Tanzveranstaltung während Staatstrauer nach Tod des Bundespräsidenten); legendär BVerwGE 1, 303 (zum Film „Die Sünderin“). VGH BW DVBl 1983, 1070, 1072; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371 f. VGH BW DVBl 1999, 333, 334 → JK Pol- u OrdR/Straßen- u. Wegerecht/1 (zum „stillen“ Betteln); aA zum „aggressiven“ Betteln Holzkämper NVwZ 1994, 146, 149. OVG NW DÖV 1994, 966 (Hissen der Reichskriegsflagge); krit Trute DV 32 (1999) 73, 78. – Zum Versammlungsrecht Rn 262. BVerwG 115, 189 → JK 8/02 OBG NW § 14/2; dazu krit Bespr Aubel Jura 2004, 255.

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2. Kap II 1 b bb

„öffentliche Ordnung“ verstoßen.382 Rechtlich haltbar sind diese Behauptungen gefahrenabwehrrechtlich 383 nicht.384 Methodisch ist der Rückgriff auf Art 1 I GG und seine Zuordnung zur „öffentlichen Ordnung“ angreifbar (vgl auch Rn 83), weil Rechtsnormen und Sozialnormen (Rn 79) vermischt werden.385 Verfassungsrechtlich wird der normative Gehalt des Art 1 I GG verkannt und die Menschenwürde zur „kleinen Münze“ degradiert: Autonomes Handeln, das sich als Akt der Selbstbestimmung erweist und die Subjektqualität des Einzelnen gerade wahrt, kann – abgesehen vielleicht von schweren Tabubrüchen (zB verabredete Folter oder Verstümmelung, Eingehen eines sklavenähnlichen Abhängigkeitsverhältnisses) – Art 1 I GG (auch in seiner unverrückbaren objektivrechtlichen Dimension) nicht verletzen; 386 obwohl Art 1 I GG kein bestimmtes Menschenbild vorschreibt, funktioniert das BVerwG die grundrechtliche Schutznorm über die polizeirechtliche Generalklausel um und schreibt dem Grundrechtsträger in gewisser Weise menschenwürdiges Verhalten vor.387 Gefahrenabwehrrechtlich missachtet das BVerwG die normativen Vorgaben der „öffentlichen Ordnung“ (Rn 79) gleich dreifach: Das Gericht ignoriert die notwendige Tatsachenerforschung (Rn 83) zur Wirkung derartiger Spiele wie „Laserdrome“;388 das BVerwG übersieht, dass nur sozial relevantes Verhalten mit Öffentlichkeitsbezug, das also nach außen gegenüber der Allgemeinheit in Erscheinung tritt, die „öffentliche“ Ordnung zu beeinträchtigen vermag;389 selbst wenn die Bevölkerung – was jedoch gar nicht zutrifft – mit dem inkriminierten Spiel konfrontiert würde, müsste seine Untersagung „unerlässliche“ Voraussetzung für ein geordnetes menschliches Zusammenleben sein, wovon offensichtlich keine Rede sein kann.390 Letztlich haben die Richter des BVerwG in der „Laserdrome“-Entscheidung ihre persönlichen Moral- und Wertvorstellungen anhand bloßer Vermutungen zu den Wirkungen eines (uU infantilen oder geschmacklosen) Spiels zur Geltung gebracht.391 Dies schadet der „öffentlichen Ordnung“ und liefert ihren Kritikern (Rn 80) zusätzliche Argumente. 382

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So BVerwG 115, 189, 200; ähnlich zuvor OVG NW DÖV 1995, 1004 und DÖV 2001, 217; OVG RP DÖV 1994, 965. Europarechtlich ist die Untersagung des Laserspiels mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, wenn zum Schutz der öffentlichen Ordnung wegen der Verletzung der Menschenwürde eingeschritten wird; EuGH EuZW 2004, 753 (m krit Anm Bröhmer); dazu Bespr Frenz NVwZ 2005, 48. Zutr bereits BayVGH NVwZ-RR 1995, 32; vgl auch Beaucamp/Kroll Jura 1996, 13. Aubel Jura 2004, 255, 258. Aubel DV 37 (2004) 229, 243 f; Köhne GewArch 2004, 285, 287; widersprüchlich Kramer/Strube ThürVBl 2003, 265, 268. Aubel Jura 2004, 255, 259; allg zu dieser Tendenz in der Rspr des BVerwG H. Dreier FG 50 Jahre BVerwG, 2003, 201, 219 f. Zur Unverzichtbarkeit gesicherter empirischer Erkenntnisse für die rechtliche Beurteilung derartiger Spiele VGH BW VBlBW 2004, 378, 379 f. Am Bspl des § 4 I GaststG BayVGH NVwZ 2002, 1393 und VG Berlin NJW 2001, 983, 984; ebenso das BVerwG selbst, DVBl 2003, 741, 742. Gröpl/Brandt VerwArch 95 (2004) 223, 241. Selbst wenn es sich dabei um mehrheitliche Anschauungen handeln sollte, kann es im Gefahrenabwehrrecht „nicht darum gehen, einer Minderheit die Moralanschauungen der Mehrheit aufzuzwingen“, so BayVGH NVwZ 2002, 1393 (am Bspl des § 4 I GaststG).

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Friedrich Schoch

Die „öffentliche Ordnung“ hat im Gefahrenabwehrrecht ihre Daseinsberechtigung, wenn ihre Anwendung restriktiv gehandhabt wird. Grundrechtlich erlaubtes Verhalten, das insb Minderheiten schützt, darf nicht über die Generalklausel unterbunden werden. Schwierig bleibt die Ermittlung der öffentlichen Ordnung im konkreten Fall. Angezeigt sind Methoden der empirischen Sozialforschung. Keinesfalls dürfen Behörden und Gerichte eigene Anschauungen der handelnden Personen als verbindliche Sozialnormen ausgeben. Maßgebend sind objektive Indikatoren (Medien, Demoskopie, Behördenpraxis, Rechtsprechung, Äußerungen von Fachleuten etc), um den Inhalt der „öffentlichen Ordnung“ zu konkretisieren.392 Unhaltbar ist der in der Rechtsprechung zunehmend eingeschlagene Weg, die öffentliche Ordnung unter Rückgriff auf „Prinzipien“ und „Werte“ der Verfassung konkretisieren zu wollen.393 Gesellschaftliche Sozialnormen, die die öffentliche Ordnung konstituieren (Rn 79), verlangen eine Tatsachenermittlung; außerdem müsste der Rückgriff auf die Verfassung präzise sein mit der Folge, dass die Heranziehung einer Verfassungsbestimmung das Merkmal „öffentliche Sicherheit“ erfüllt.394 c) Gefahrenlage

84 Maßnahmen nach der Generalklausel setzen voraus, dass einem Schutzgut eine Gefahr droht.395 Der „Gefahr“begriff erfüllt eine freiheitssichernde Funktion; er markiert die Eingriffsschwelle für die Gefahrenabwehrbehörden und dient der Legitimation hoheitlicher Grundrechtsbeeinträchtigungen.396 „Gefahr“ iSd Polizei- und Ordnungsrechts 397 ist eine Sachlage, in der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für eines der Schutzgüter (öffentliche Sicherheit bzw Ordnung) eintreten wird.398 Erfasst ist die konkrete, dh in einem einzelnen Falle bestehende Gefahr.399 Die Beeinträchtigung eines Schutzguts ist als „Schaden“ iSd Gefahrenabwehrrechts zu qualifizieren, wenn es zu einer objektiven Minderung des vorhandenen Bestandes an geschützten Gütern kommt.400 Keinen Schaden stellt nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht die bloße Belästigung dar; sie führt zu bloßen Unbequemlichkeiten, die nur eine geringe Intensität der Beeinträchtigung von 392 393

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VG Berlin NJW 2001, 983, 987 f. So die in Fn 382 zit Entscheidungen; ferner VG Dresden NVwZ-RR 2003, 848, 850; Hill DVBl 1985, 88, 94 ff. Störmer DV 30 (1997) 233, 245 f; Erbel DVBl 2001, 1714, 1719; Hebeler JA 2002, 521, 526. Vgl dazu iE Schoch Jura 2003, 472 ff. Kugelmann DÖV 2003, 781, 782. Legaldefinitionen: § 2 Nr 3 a BremPolG; § 2 Nr 1 a NdsSOG; § 3 Nr 3 a SOG LSA; § 54 Nr 3 a ThürOBG. BVerwGE 45, 51, 57; 116, 347, 351 → JK Pol- u OrdR Gefahrenbegriff/6; VGH BW NVwZ-RR 1991, 24, 26; BayVGH NVwZ-RR 1997, 615, 616; OVG NW NWVBl 1990, 159; OVG RP DVBl 1991, 1376 → JK Pol- u OrdR Gefahrenabwehr/1; SächsOVG SächsVBl 2000, 170, 171; Erichsen/Wernsmann Jura 1995, 219, 220; Röhrig DVBl 2000, 1658, 1660; Scheidler BayVBl 2004, 715, 717. Zur abstrakten Gefahr bei der PolVO Rn 271 ff. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 30.

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2. Kap II 1 c bb

Schutzgütern aufweisen. Belästigungen können nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht nicht verhindert werden.401 Die notwendige Intensität zur Bejahung eines (drohenden) Schadens kann nur durch eine Würdigung der Umstände des konkreten Falles ermittelt werden. aa) Störung ist die bereits realisierte Gefahr. Abwehrmaßnahmen nach der Generalklausel sind auch bei einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig. Zum Teil ist dies ausdrücklich geregelt.402 Die Befugnis zur Störungsbeseitigung ist jedoch auch ohne gesetzliche Anordnung zulässig.403 Denn „Störung“ ist eine in Zukunft fortbestehende „Gefahr“, wird demnach vom Gefahrbegriff ohne Weiteres umfasst.404 Abwehrmaßnahmen zielen darauf, eingetretene Störungen zu unterbinden und zu beseitigen. Ist eine Wiederherstellung des polizei- bzw ordnungsrechtskonformen Zustands nicht möglich, bleiben nur repressive Maßnahmen. Da die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung mittlerweile das bedeutsamste Element des Schutzguts „öffentliche Sicherheit“ ist (Rn 66), liegt der „Schaden“ iSd Gefahrbegriffs (Rn 84) zumeist in einer Rechtsverletzung. Ist das der Fall, bedarf es nicht der ansonsten anzustellenden Prognose zum künftigen Schadenseintritt (Rn 87 ff); die Bejahung der „Gefahr“ hängt allein von der zutreffenden Diagnose des Normverstoßes ab.405 Liegt er vor, ist bereits eine „Störung“ eingetreten. bb) In den anderen Konstellationen ist zur Feststellung der realen Gefahr eine Prognose zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu treffen. Gefordert ist eine Vorhersage zum künftigen hypothetischen Geschehensablauf, falls es nicht zu Abwehrmaßnahmen kommt. Grundlage der Schadensprognose sind gesicherte tatsächliche Anhaltspunkte.406 Daher greift die einseitige Betonung des prognostischen Elements im Gefahrbegriff zu kurz. Zunächst geht es um die Diagnose, dh die Feststellung des Sachverhalts; auf dieser Basis ist die Prognose zur weiteren Entwicklung des Geschehens vorzunehmen.407 Maßgeblich für die Beurteilung der Gefahrenlage ist die Sicht ex ante.408 Nicht jede Gefahr realisiert sich und führt zu einem Schaden an einem der Schutzgüter. 401

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Bspl: VGH BW NVwZ-RR 1996, 577: Lärmbelästigung durch Kuhglocken ist bloße Belästigung; die Schwelle der Gesundheitsgefährdung ist (außerhalb der Nachtzeit) dadurch nicht erreicht; ferner OLG Köln NVwZ 2000, 350: Belästigung von Passanten durch Meinungskundgabe; VGH BW NVwZ 2003, 115: Aufenthalt von „Punkern“ im Stadtgebiet. § 3 iVm § 1 I 1 PolG BW; Art 11 II BayPAG, Art 7 II BayLStVG; § 3 I HbgSOG; § 16 I Nr 1 SOG MV; § 3 I iVm § 1 I 1 SächsPolG; § 176 I Nr 1 LVwG SH. – Ebenso § 2 I ThürOBG (Aufgabenzuweisungsnorm). Bspl: OVG NW DÖV 1996, 1052 → JK Pol- u OrdR, Pol Generalklausel/4: Verbot aufdringlichen nackten Auftretens in der Öffentlichkeit. Schwabe JuS 1996, 988; Götz POR Rn 149; Möller/Wilhelm Allg POR Rn 111; ausf Gusy PolR Rn 102 ff. Schwabe DVBl 2001, 968; aA Möstl Sicherheit, 179 f. Gusy PolR Rn 110, 111; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 190. Classen JA 1995, 608. BVerwGE 45, 51, 60; SächsOVG SächsVBl 2000, 170, 171; Erichsen/Wernsmann Jura 1995, 219, 220; Di Fabio Jura 1996, 566, 569; Beljin/Micker JuS 2003, 556, 559.

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Deshalb besagt der evtl Nichteintritt des prognostizierten Schadens nichts über das Vorliegen einer Gefahr im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung.409 Die Gefahrenbeurteilung basiert auf dem Erkenntnishorizont im Zeitpunkt der Entscheidung über das Eingreifen einer Abwehrmaßnahme, und sie mündet in ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den weiteren Verlauf des Geschehens.410 Entscheidender Beurteilungsmaßstab ist das Wissensniveau eines objektiven Beobachters.411 Die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei ungehindertem Ge89 schehensablauf ist nach Erfahrungssätzen zu treffen. Dabei geht es nicht um einen reinen Erkenntnisakt; gefordert sind mitunter auch wertende Abwägungen. Absolute Gewissheit über den Schadenseintritt ist nicht erforderlich; andererseits begründet die nur entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts noch keine Gefahr.412 Die „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit ist zwischen diesen beiden Extremen angesiedelt. In zeitlicher Hinsicht muss die diagnostizierte Sachlage bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft zu einem Schaden führen können.413 Unter normativen Vorzeichen sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringer, je gewichtiger und hochwertiger das gefährdete Schutzgut ist.414 Danach kann „Gefahr“ iSd allgemeinen Gefahrenabwehrrechts als Produkt aus 90 Schadensausmaß und Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umschrieben werden. In der Praxis hat sich diese Formel bewährt, zB bei der Prognose zur Verunreinigung des Grundwassers auf Grund hoher PCP-Werte,415 bei der Annahme weiterer zukünftiger Körperverletzungen durch einen einschlägig vorbestraften Gewalttäter 416 oder bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit sog Hooligans, die früher bereits in Auseinandersetzungen verwickelt waren,417 sowie bei der Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwanges gegenüber dem Halter eines als gefährlich eingestuften Hundes.418 Die These von der „Subjektivierung“ des Gefahrbegriffs 419 ist ebenso unzutref91 fend wie die Aufspaltung in einen „objektiven“ und einen „subjektiven“ Gefahrbe409 410 411

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Schwabe JuS 1996, 988, 990. Poscher Gefahrenabwehr, 112 f. Classen JA 1995, 608, 609; Poscher Gefahrenabwehr, 123 (allerdings mit Übertreibungen aaO S 118 f: idealer Beobachter, der über alles Wissen verfügt). Unterhalb der Gefahrenschwelle kann ein bloßes „Risiko“ gegeben sein, das Bedeutung im Besonderen Gefahrenabwehrrecht hat; vgl Di Fabio Jura 1996, 566, 570 ff. Röhrig DVBl 2000, 1658, 1659 f; Schenke POR Rn 79. VGH BW NVwZ 1991, 493, 494; BayVGH BayVBl 1997, 280, 281; NVwZ-RR 1997, 615, 616; DÖV 2004, 579, 580; OVG NW NWVBl 1990, 159, 160; OVG RP DVBl 1991, 1376, 1377 → JK Pol- u OrdR Gefahrenabwehr/1; SächsOVG SächsVBl 2000, 170, 171; OLG Düsseldorf NWVBl 2002, 204, 205; aA Leisner DÖV 2002, 326, 328 f. OVG RP DVBl 1991, 1376 → JK Pol- u OrdR Gefahrenabwehr/1. SächsOVG SächsVBl 2000, 170. VGH BW DVBl 2000, 1630→ JK Pol- u OrdR, pol Gk/5. BayVGH DÖV 2004, 579; NVwZ-RR 2004, 490; zustimmend Scheidler BayVBl 2004, 715, 718 f. Poscher Gefahrenabwehr, 49 ff, 83 ff, 110 ff; ders NVwZ 2001, 141 ff; Schlink Jura 1999, 169 ff.

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2. Kap II 1 c cc

griff.420 Es gibt nur einen Gefahrbegriff iSd Polizei- und Ordnungsrechts. Indem dem Gefahrbegriff ein an einen bestimmten Wissensstand gebundenes Wahrscheinlichkeitsurteil zu Grunde liegt, könnte von einem notwendig subjektiven Begriffsverständnis gesprochen werden.421 Da jedoch im Rechtssinne bei der Gefahrenbeurteilung auf eine objektivierende Betrachtung ex ante abzustellen ist (Rn 88), gibt es keinen „subjektiven“ Gefahrbegriff, der die Vorstellungen der konkret handelnden Person für allein maßgeblich erklärt.422 Die Gefahrenlage ist ex ante objektiv zu bestimmen. Auf Grund dieser ex ante-Perspektive ist materiellrechtlich vorentschieden, dass eine Gefahrenabwehrmaßnahme nicht ex tunc rechtswidrig wird, wenn die prognostizierte Entwicklung nicht eingetreten ist.423 cc) Stellt sich ex post heraus, dass objektiv (dh in Kenntnis aller Umstände) eine 92 Gefahrenlage nicht bestand, wird von einer Anscheinsgefahr gesprochen.424 Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass auf Grund des ex post gewonnenen Wissens zu keinem Zeitpunkt eine reale Gefahr für ein Schutzgut bestanden hat, dass jedoch die Behörde – und jeder andere objektive Betrachter – ex ante nach Maßgabe der vorhandenen und verfügbaren Erkenntnisse von einer Gefahrenlage ausgehen musste.425 Der ex post sichtbar werdende Irrtum beruht oftmals nicht auf einer Fehlprognose, sondern wegen begrenzter, unvollständiger oder falscher Informationen oder Erkenntnisse auf einer defizitären Diagnose. Da es jedoch allein auf die objektivierte Sicht ex ante ankommt, stellt die Anscheinsgefahr eine „Gefahr“ iSd Polizei- und Ordnungsrechts dar.426 Der Begriff der Anscheinsgefahr ist an sich verzichtbar,427 da er nur die – für die 93 Schadensprognose ohnehin irrelevante – ex post-Erkenntnisse mit der ex ante-Sicht vergleicht. Wenn der Terminus dennoch beibehalten wird, beruht dies auf seinem spezifischen Eigenwert: Wo eine bloße Anscheinsgefahr vorliegt, muss wegen der 420

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So Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 4 Rn 31 ff, 47 ff. – Nachzeichnung der Diskussion und Kritik bei Möstl Sicherheit, 164 ff, sowie Gromitsaris DVBl 2005, 535, 540. Röhrig DVBl 2000, 1658, 1659; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 36. Das konzedieren auch Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 4 Rn 40; Gusy PolR Rn 118 meint, der Gefahrbegriff verknüpfe subjektive und objektive Elemente. Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 198. – Nicht weiterführend daher der verfahrensrechtliche Lösungsansatz von Poscher NVwZ 2001, 141, 144 ff über eine „Beweismaßreduktion“. HessVGH NVwZ 1993, 1009, 1010; Beljin/Micker JuS 2003, 556, 559. – Bspl: VG Berlin NJW 1991, 2854: Steuerung von Licht und Radio in Wohnung durch Zeitschaltuhr während dreiwöchiger Urlaubsabwesenheit, Durchführung von Rettungsmaßnahmen durch die Polizei wegen Annahme eines Unglücksfalles. VGH BW NVwZ 1991, 493; BayVGH BayVBl 1993, 429, 431; Erichsen/Wernsmann Jura 1995, 219, 220. BVerwGE 45, 51, 58; VGH BW VBlBW 1993, 298, 300; OLG Karlsruhe VBlBW 2000, 329; Erichsen/Wernsmann Jura 1995, 219, 220; Classen JA 1995, 608, 609; Gromitsaris DVBl 2005, 535, 540; Schenke POR Rn 80 f; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 197; aA – allerdings unter Vernachlässigung der Anforderungen an die ex ante-Beurteilung (Rn 88) – Schwabe GS Martens, 1987, 419, 426 ff; Poscher Gefahrenabwehr, 121, 127. Brandt/Smeddinck Jura 1994, 225, 230 f; Di Fabio Jura 1996, 566, 569; Götz POR Rn 164 f; Gusy PolR Rn 122; Möller/Wilhelm Allg POR Rn 105.

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Fehldiagnose die Abgrenzung zur Putativgefahr (Rn 94) im Blick behalten werden; hinzu tritt die Erheblichkeit in Bezug auf das Schadenersatz- und Entschädigungsrecht.428 Bei der Putativgefahr liegt – wie bei der Anscheinsgefahr – eine reale Gefahr nicht vor. Die Fehleinschätzung geht jedoch auf den konkret handelnden Amtswalter zurück; ein objektiver Betrachter wäre dem Irrtum nicht erlegen.429 Die Scheingefahr erfüllt den Gefahrbegriff nicht und berechtigt daher nicht zu behördlichen Maßnahmen.430 dd) Beim Gefahrverdacht hält die Behörde – anders als bei der Anscheinsgefahr (Rn 92) – auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte bei einer ungewissen Sachlage das Vorliegen einer Gefahr nur für möglich. Die Schadensprognose bei ungehindertem Geschehensablauf kann deshalb nicht mit hinreichender Gewissheit abgegeben werden, weil die Behörde die Unwägbarkeiten bei der Beurteilung der Lage erkennt. So kann zB zweifelhaft sein, ob alle Kälber eines Tierbestandes hormonbehandelt sind 431 bzw das Fleisch der Kälber in den Lebensmittelkreislauf gelangen wird,432 ob und ggf inwieweit auf einem früher industriell genutzten Grundstück wassergefährdende Stoffe abgelagert waren und deshalb eine Verunreinigung des Grundwassers droht 433, ob eine Abwassergrube undicht geworden ist und daher eine Grundwasseruntersuchung mit der Folge einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung der Bevölkerung zu befürchten ist 434 oder ob der Schacht eines ehemaligen Bergwerks einbrechen könnte und deshalb das Erdreich bis zur Erdoberfläche in den Schacht nachzubrechen droht.435 Der Gefahrverdacht ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte Unsicherheiten bei der Diagnose des Sachverhalts oder bei der Prognose des Kausalverlaufs (oder bei beiden) bestehen, die bekannt sind und eine Entscheidung über die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts (Rn 89) nicht mit der notwendigen Gewissheit zulassen.436 Dass ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gefährdet wäre, wenn bei ungeklärter Sachlage von der ungünstigeren Annahme ausgegangen werden müsste, ist idR nicht zweifelhaft. Unsicherheiten begegnet jedoch häufig die Einschätzung, ob (bereits) genügend Anhaltspunkte für das Bestehen einer Gefahrenlage vorliegen. Bei den Standardbefugnissen genügt oftmals der Verdacht einer Gefahr („Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“) zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen. Auch das besondere Gefahrenabwehrrecht kennt behördliche Anordnungsbefug428 429

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Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 40. – Vgl Rn 302. BayVGH BayVBl 1993, 429, 431; Erichsen/Wernsmann Jura 1995, 219, 220; Schenke POR Rn 82; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 193. VGH BW NVwZ 1991, 493; Brandt/Smeddinck Jura 1994, 225, 230; Gusy PolR Rn 124. OVG NW NJW 1988, 2968. OVG NW NJW 1989, 1691. VGH BW NVwZ 1991, 491; HessVGH NVwZ 1993, 1009; OVG RP DVBl 1991, 1376 → JK Pol- u OrdR Gefahrenabwehr/1. VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 269. OVG NW NWVBl 1990, 159. BayVGH NVwZ-RR 1997, 615, 616; Di Fabio Jura 1996, 566, 569; ausf Bürmann Der Gefahrenverdacht, 2002, 31 ff.

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nisse, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer bestimmten Gefahr besteht.437 Die Generalklausel äußert sich zum Gefahrverdacht nicht explizit. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, die Verwaltung könne beim Gefahrverdacht gefahrenabwehrrechtlich nicht reagieren.438 Zwar ist es richtig, dass beim Gefahrverdacht die weitere Aufklärung des Sachverhalts im Vordergrund steht und dies nach § 24 VwVfG Aufgabe der Behörde ist.439 Jedoch ist die zuständige Behörde zur Wahrnehmung ihrer Gefahrenabwehraufgabe gesetzlich (und ggf sogar auf Grund einer grundrechtlichen Schutzpflicht) verpflichtet, und oftmals kann der effektive Rechtsgüterschutz ohne Mitwirkung bzw Inanspruchnahme des Verursachers des Gefahrverdachts gar nicht geleistet werden. Jedenfalls Gefahrermittlungen dienen der Gefahrenabwehr.440 Deshalb verlangt eine teleologische Auslegung des Gefahrbegriffs, dass die zuständige Behörde auf der Grundlage der Generalklausel (unter Beachtung des Übermaßverbots) die notwendigen Maßnahmen anordnen darf, um den Gefahrverdacht weiter abzuklären. Zulässig sind danach jedenfalls 441 Gefahrerforschungsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher des Gefahrverdachts.442 Ein Gefahrerforschungseingriff ist der notwendige erste Schritt zur Bekämpfung der (möglichen) Gefahr. Umstritten ist der zulässige Inhalt behördlicher Gefahrerforschungsmaßnahmen. 98 So soll der Betroffene nur zur Duldung behördlicher Maßnahmen (zB auf seinem Grundstück) verpflichtet werden können, während die Verwaltung die weitere Sachverhaltsaufklärung selbst vornehmen müsse.443 Demgegenüber soll dem potentiell Verantwortlichen nach aA auch die Vornahme von Ermittlungsmaßnahmen (zB Durchführung von Bodenuntersuchungen) aufgegeben werden können.444 Angesichts des bestehenden Spannungsverhältnisses (wirksamer Rechtsgüterschutz versus Belastung eines Grundrechtsträgers bei ungewisser Gefahrenlage) sollte der 437

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Wichtig für den Bodenschutz § 9 II BBodSchG (Sartorius I Nr 299); dazu OVG Berlin UPR 2001, 196; HessVGH DÖV 2005, 124; Erbguth/Stollmann NuR 1999, 127, 129; dies GewArch 1999, 223, 228; Kutzschbach/Pohl Jura 2000, 225, 229; Buchholz NVwZ 2002, 563 ff. So aber Schenke POR Rn 88, 90; ausf ders FS Friauf, 1996, 455 ff; Poscher Gefahrenabwehr, 127; ferner Möstl Sicherheit, 184 ff, der letztlich aber die „Wahrscheinlichkeitsschwellen“ absenken möchte; krit auch Weiß NVwZ 1997, 737, 738 f. Dabei verharrend BayVGH NVwZ-RR 1997, 615, 616; OVG NW NWVBl 1990, 159; OVG RP UPR 1992, 31, 32; DVBl 1991, 1376, 1378 f → JK Pol- u OrdR Gefahrenawehr/1. Gromitsaris DVBl 2005, 535, 541. Anordnungen zur Eingrenzung der Schadensausbreitung sind selbstverständlich zulässig, OVG Bremen NVwZ-RR 2001, 157, 158. OVG NW ZUR 2002, 290, 291; Erichsen/Wernsmann Jura 1995, 219, 221; Classen JA 1995, 608, 610 f; Martensen DVBl 1996, 286, 290; Di Fabio Jura 1996, 566, 569; Götz POR Rn 155; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 194 ff. – Noch keine Entscheidung ist damit zur Kostentragung getroffen; vgl BayVGH NVwZ-RR 1997, 615, 617; OVG RP NVwZ-RR 1996, 320, 321. HessVGH NVwZ 1993, 1009, 1010. VGH BW DVBl 1990, 1047 → JK Pol- u OrdR Störer/6; VGH BW NVwZ 1991, 491; VBlBW 1993, 298 → JK Pol- u OrdR Selbstvornahme/2; OVG NW DVBl 1996, 1444, 1445; ZUR 2002, 290, 291.

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2. Kap II 1 c ee

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Inhalt der konkreten Maßnahme fallbezogen auf der Rechtsfolgenseite nach Maßgabe des Übermaßverbots festgelegt werden.445 Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass bei der möglichen Gefährdung besonders hochwertiger Rechtsgüter nicht nur (vorläufige) Gefahrerforschungsmaßnahmen, sondern auch endgültige Maßnahmen zur Abwehr der möglichen Gefahr getroffen werden.446 ee) Für Maßnahmen nach der Generalklausel genügt die „einfache“ konkrete 99 Gefahr (Rn 84). Qualifizierte Gefahrbegriffe bestehen insb für Standardbefugnisse und sondergesetzliche Maßnahmen sowie bei der Inanspruchnahme eines Nichtstörers. Die Qualifikationen der konkreten Gefahr beziehen sich entweder auf die besondere zeitliche Nähe der drohenden Schädigung oder auf die besondere Bedeutung des bedrohten Rechtsguts. Eine gegenwärtige Gefahr 447 meint eine Sachlage, bei der das schädigende Ereig100 nis bereits begonnen hat oder unmittelbar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.448 Die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (zB § 15 I VersG) stellt ebenfalls eine Verschärfung der Eingriffsvoraussetzungen gegenüber dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht dar und setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für ein Schutzgut führt.449 Erhebliche Gefahr 450 meint eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut (Leben, Gesundheit, Freiheit, wesentliche Vermögenswerte, Bestand des Staates).451 Eine dringende Gefahr (zB Art 13 IV, VII GG) verlangt nach hM eine Sachlage, bei der mit großer Wahrscheinlichkeit einem besonders hochrangigen Rechtsgut ein Schaden droht.452 Gefahr für Leib und Leben 453 liegt vor, wenn eine nicht nur leichte Körperverletzung oder der Tod eines Menschen einzutreten droht.454 Eine gemeine Gefahr (zB Art 13 IV, VII GG) ist dadurch gekennzeichnet, dass eine unbestimmte Zahl von nicht näher bestimmten Rechtsgütern gefährdet ist und dass ein unüberschaubares Ge445

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Ähnlich bereits BayVGH DVBl 1986, 1283, 1284; ferner Ehlers DVBl 2003, 336, 338; Götz POR Rn 156. Beljin/Micker JuS 2003, 556, 559; Bürmann Gefahrenverdacht (Fn 436) 110 ff. Legaldefinitionen: § 2 Nr 3 b BremPolG; § 2 Nr 1 b NdsSOG; § 3 Nr 3 b SOG LSA; § 54 Nr 3 b ThürOBG. BVerwGE 45, 51, 58; SächsVerfGH LKV 1996, 273, 280; LVerfG MV LKV 2000, 345, 349; VGH BW NVwZ-RR 1994, 52; OVG NW NJW 1989, 1691; OLG Düsseldorf DÖV 2002, 435, 436 → JK PolG NW § 31/1; OLG Frankfurt aM NVwZ 2002, 626, 627; OVG RP DÖV 2002, 743; Röhrig DVBl 2000, 1658, 1660; Meister JA 2003, 83, 86. BVerfGE 69, 315, 353f → JK GG Art 8/2; BVerfG (K) NVwZ 1998, 834, 835; VGH BW VBlBW 2002, 383, 384; zT abw Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 415. Legaldefinitionen: § 2 Nr 3 c BremPolG; § 2 Nr 1 c NdsSOG; § 3 Nr 3 c SOG LSA; § 54 Nr 3 c ThürOBG; § 14 II 2 BPolG. Einzelheiten dazu bei Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 49. BVerwGE 47, 31, 40; BbgVerfG LKV 1999, 450, 463; LVerfG MV LKV 2000, 345, 350; aA Schenke POR Rn 78: erhöhte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts; wieder aA Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 51: Hochrangigkeit des Rechtsguts und zeitliche Dringlichkeit der Gefahrenabwehr. Legaldefinitionen: § 2 Nr 3 d BremPolG; § 2 Nr 1 d NdsSOG; § 3 Nr 3 d SOG LSA; § 54 Nr 3 d ThürOBG. Einzelheiten dazu bei Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 50.

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2. Kap II 1 d aa

fahrenpotential besteht.455 Gefahr im Verzug 456 (zB Art 13 II GG) meint eine Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht an Stelle der zuständigen Behörde eine andere Behörde tätig wird.457 d) Befugnis zur Gefahrenabwehr (Opportunitätsprinzip) Liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vor, ist die zuständige 101 Behörde ermächtigt (nicht: verpflichtet), die notwendigen Gefahrenabwehrmaßnahmen zu treffen. Es gilt das Opportunitätsprinzip 458, nicht – wie im Strafverfolgungsrecht (§ 163 StPO) – das Legalitätsprinzip.459 Auf der Rechtsfolgenseite der Generalermächtigung ist der Verwaltung also Ermessen eingeräumt.460 aa) Ermessen der Gefahrenabwehrbehörden: Das Opportunitätsprinzip er- 102 streckt sich auf das Entschließungsermessen und das Auswahlermessen.461 Im Rahmen des Entschließungsermessens („Ob“ des Handelns) befindet die Behörde darüber, ob sie zur Gefahrenabwehr einschreitet oder nicht. Das Entschließungsermessen eröffnet demnach auch die Möglichkeit, von Maßnahmen abzusehen. Darin liegt kein Widerspruch zur gesetzlichen Statuierung der Gefahrenabwehraufgabe. Nicht jedes Tätigwerden der Gefahrenabwehrbehörden ist mit einem Rechtseingriff verbunden und daher auf eine Befugnisnorm zu stützen (Rn 33). Im Übrigen leitet das Entschließungsermessen nicht zur Tatenlosigkeit an, sondern erlaubt iS pflichtgemäßer Betätigung (Rn 104) eine Optimierung des Einsatzes polizeilicher Mittel (zeitliche, räumliche, personelle, sächliche Schwerpunktsetzung).462 Ist das Entschließungsermessen auf Null reduziert (Rn 110), muss die Gefahrenabwehrbehörde tätig werden.

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LVerfG MV LKV 2000, 345, 350. Legaldefinitionen: § 2 Nr 4 NdsSOG; § 3 Nr 6 SOG LSA; § 54 Nr 5 ThürOBG. Einzelheiten dazu bei Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 52. – Bei Art 13 II GG ist „Gefahr im Verzug“ anzunehmen, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde; BVerfGE 103, 142, 154; VerfG Bbg NJW 2003, 2305, 2306. Waechter VerwArch 88 (1997) 298, 313 ff. – Systematischer Vergleich zwischen Legalitätsund Opportunitätsprinzip bei Vultejus ZRP 1999, 135. Dazu Geppert Jura 1982, 139. – Zum Legalitätsprinzip gemäß § 152 II StPO Eisenberg/ Conen NJW 1998, 2241; zum Opportunitätsprinzip im Strafprozessrecht Geppert Jura 1986, 309; zum Verhältnis zwischen Legalitäts- und Opportunitätsprinzip im Strafverfahren Schulenburg JuS 2004, 765. Dies ist im Wortlaut der Generalermächtigung (Fn 246) eindeutig zum Ausdruck gebracht („kann“, „können“, „pflichtgemäßes Ermessen“). – Das Opportunitätsprinzip gilt auch bei den Standardbefugnissen und sondergesetzlichen Spezialermächtigungen. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 113; Götz POR Rn 349; Gusy PolR Rn 388; Pieroth/ Schlink/Kniesel POR § 10 Rn 33; Schenke POR Rn 94; Tettinger/Erbguth BesVwR Rn 532 ff; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 222; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 494; aA Knemeyer POR Rn 126: kein Entschließungsermessen. Götz POR Rn 351. – Waechter VerwArch 88 (1997) 298, 324 spricht von einer zT planerischen Entscheidung über die Art der Aufgabenwahrnehmung.

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2. Kap II 1 d bb

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Das Auswahlermessen („Wie“ des Handelns) umfasst (bei mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen) die Wahl des einzusetzenden Mittels (Inhalt der Maßnahme) sowie (bei mehreren potentiellen Adressaten der Gefahrenabwehrmaßnahme) die Auswahl des Pflichtigen.463 Dabei besteht keine unbegrenzte „Wahlfreiheit“; im Rechtsstaat ist das behördliche Ermessen ein normativ begrenztes (Rn 105 ff). Nach der Generalklausel können die Gefahrenabwehrbehörden im Hinblick auf das einzusetzende Mittel die „erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen 464 bzw die „notwendigen Maßnahmen“ treffen.465 Die Konkretisierung erfolgt anhand der Umstände des Einzelfalles. Wesentliche generelle Leitlinie ist das Übermaßverbot (Rn 105). Danach muss eine Gefahrenabwehrmaßnahme zur Zielerreichung zwecktauglich (geeignet) sein; sie muss sich aber auch als erforderlich und verhältnismäßig erweisen. Innerhalb des rechtlichen Rahmens stellt die behördliche Ermessensbetätigung eine Zweckmäßigkeitsentscheidung dar. Diese ist von den Gerichten zu respektieren; ihnen ist es verwehrt, Gefahrenabwehrmaßnahmen anhand von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu überprüfen.466 Die gerichtliche Kontrolle behördlicher Ermessensentscheidungen ist auf rechtswidriges Handeln begrenzt (§ 114 VwGO). Nur Ermessensfehler führen zur Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsmaßnahme, nicht jedoch die lediglich unzweckmäßige behördliche Ermessensbetätigung. bb) Ermessensgrenzen: Die Behörden müssen ihre Maßnahmen nach pflicht104 gemäßem Ermessen treffen.467 Damit ist zunächst auf die Vorgaben des Allgemeinen Verwaltungsrechts (§ 40 VwVfG) verwiesen; 468 diese gelten auch im Gefahrenabwehrrecht. Ermessensfehler, die zur Rechtswidrigkeit einer Maßnahme führen, sind die fehlende Ermessensbetätigung (Ermessensnichtgebrauch, -mangel), die nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechende Ermessensausübung (Ermessensfehlgebrauch) und die Missachtung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens (Ermessensüberschreitung).469 Rechtsdogmatisch beziehen sich diese Bindungen sowohl auf das Entschließungsermessen als auch auf das Auswahlermessen. Von Bedeutung sind im Gefahrenabwehrrecht in erster Linie die äußeren, dh die gesetzlich gezogenen Ermessensgrenzen. Diese werden im Wesentlichen durch das Übermaßverbot (Rn 105 ff) markiert. Daneben kommt den Grundrechten als Ermes103

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Speziell dazu unten Rn 169 ff. § 3 PolG BW; § 3 I HbgSOG; § 11 HessSOG; § 3 I SächsPolG; § 13 SOG LSA. Art 11 I BayPAG; § 17 I ASOG Bln; § 10 I BbgPolG, § 13 I BbgOBG; § 10 I 1 BremPolG; § 13 SOG MV; § 11 NdsSOG; § 8 I PolG NW, § 14 I OBG NW; § 9 I 1 POG RP; § 8 I SaarlPolG; § 174 LVwG SH; § 12 I ThürPAG, § 5 I ThürOBG; § 14 BPolG. OVG NW NJW 1997, 1180, 1181 → JK Pol- u OrdR, Pol Generalklausel/4 (am Bspl aufdringlicher Nacktauftritte in der Öffentlichkeit); SächsOVG SächsVBl 2000, 170, 173 (am Bspl eines Verbots zum Tragen von Springerstiefeln). § 3 PolG BW; Art 5 I BayPAG; § 12 I ASOG Bln; § 4 I BbgPolG, § 15 BbgOBG; § 4 I BremPolG; § 3 I HbgSOG; § 5 I HessSOG; § 14 I SOG MV; § 5 I NdsSOG; § 3 I PolG NW, § 16 OBG NW; § 3 I POG RP; § 3 I SaarlPolG; § 3 II SächsPolG; § 6 SOG LSA; § 174 LVwG SH; § 5 I ThürPAG, § 7 I ThürOBG; § 16 I BPolG. Dazu Schoch Jura 2004, 462. Einzelheiten dazu bei Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 10 Rn 10 ff.

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sensgrenze für behördliches Handeln 470 eine originäre und eigenständige Bedeutung grundsätzlich nicht zu. Zwar stellen sich Gefahrenabwehrmaßnahmen vielfach als Grundrechtseingriff dar und können grundrechtliche Vorgaben ausnahmsweise die Ermessensreduzierung auf Null bewirken (Rn 111), jedoch führt das grundrechtsdogmatisch als „Schranken-Schranke“ fungierende Übermaßverbot automatisch dazu, dass die Überprüfung der ermessensfehlerfreien Anwendung der Befugnisnorm zugleich eine Überprüfung am Maßstab der jeweiligen Grundrechtsgewährleistung beinhaltet.471 Das Übermaßverbot hat Verfassungsrang.472 Im Verwaltungsrecht verpflichtet es 105 die gesetzesvollziehenden Behörden, nur geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen zu ergreifen.473 Auf der Normanwendungsebene dient das Übermaßverbot dem Schutz des Einzelnen gegenüber Eingriffsmaßnahmen der Verwaltung sowie der Einzelfallgerechtigkeit; 474 es sichert ferner die Sachgerechtigkeit von Verwaltungsmaßnahmen und führt zur rechtsstaatlichen Disziplinierung der Exekutive. Die einfachgesetzlichen Ausprägungen des Übermaßverbots im Polizeiund Ordnungsrecht 475 stellen Konkretisierungen seines verfassungsrechtlichen Gehalts dar. Jene Bestimmungen dirigieren im Übrigen nicht nur die Ermessensbetätigung nach der Generalklausel, sondern auch zB nach den Standardbefugnissen. Ferner steuert das Übermaßverbot das Ermessen nach sondergesetzlichen Eingriffstatbeständen, es legitimiert und begrenzt außerdem die Heranziehung des Notstandspflichtigen (Rn 180) und es prägt die Vollstreckung von Gefahrenabwehrmaßnahmen (Rn 278 ff). Das Gebot der Geeignetheit erlaubt nur solche Maßnahmen, die zur Gefahren- 106 abwehr zwecktauglich sind. Eine vollständige Zweckerreichung wird nicht verlangt; es genügt, wenn mit Hilfe der Maßnahme der gewünschte Erfolg gefördert bzw die Gefahr gemindert wird.476 Dies wird zB bei Aufenthaltsverboten für Drogenhändler in bestimmten Stadtteilen zur Bekämpfung der offenen Drogenszene bejaht, auch wenn das Grundproblem dadurch nicht generell beseitigt werden kann; 470 471

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Dazu ausf Schenke POR Rn 341 ff; ferner Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 10 Rn 6 ff. Götz POR Rn 323; allg zur Wechselwirkung zwischen Grundrechten und Übermaßverbot Heintzen DVBl 2004, 721. – Vorausgesetzt ist die Verfassungsmäßigkeit der Befugnisnorm als solcher (Rn 63). Einzelheiten dazu bei Krebs Jura 2001, 228 ff; ferner von Arnauld JZ 2000, 276 ff; entwicklungsgeschichtlich Henne DVBl 2002, 1094 ff. Ossenbühl Jura 1997, 617, 618 f; Kluth JA 1999, 606, 609 f; Michael JuS 2001, 764 f; Schoch Jura 2004, 462, 466 f. Als ermessensfehlerhaft, da unverhältnismäßig, wurde daher zB eine durch Allgemeinverfügung ausgesprochene Platzverweisung erklärt; VGH BW DÖV 1997, 255 → JK Pol u OrdR Platzverweis/1; bekräftigend VGH BW DÖV 2003, 127, 128: Allgemeinverfügung verzichtet auf die vom Übermaßverbot verlangte Einzelfallprüfung. § 5 PolG BW; Art 4 BayPAG, Art 8 BayLStVG; § 11 ASOG Bln; § 3 BbgPolG, § 14 BbgOBG; § 3 BremPolG; § 4 HbgSOG; § 4 HessSOG; § 15 SOG MV; § 4 NdsSOG; § 2 PolG NW, § 15 OBG NW; § 2 POG RP; § 2 SaarlPolG; § 3 II–IV SächsPolG; § 5 SOG LSA; § 73 II, III LVwG SH; § 4 ThürPAG, § 6 ThürOBG; § 15 BPolG. OVG NW NJW 1982, 2277, 2278; Kluth JA 1999, 606, 609; Schoch Jura 2004, 462, 466; Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 222. – Explizit § 4 I 2 HbgSOG: Eine Maßnahme „ist auch geeignet, wenn sie die Gefahr nur vermindert oder vorübergehend abwehrt“.

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immerhin wird die Bildung und Verfestigung einer offenen Drogenszene in bestimmten Bereichen deutlich erschwert und der Umschlag für Dealer und Konsumenten in jenen Bereichen unattraktiver gemacht.477 Auch das Verbot gegenüber einem gewaltbereiten Jugendlichen, Messer, Eisenketten und Baseballschläger mitzuführen, ist als „geeignet“ anerkannt worden, weil es zur Gefahrenminderung beitragen könne.478 Dagegen wurde die Androhung der Zwangshaft zur Durchsetzung eines Verbots der Prostitutionsausübung als ungeeignet erachtet, da bei der Betroffenen keine Verhaltensänderung zu erwarten sei.479 Fehlende Geeignetheit einer Maßnahme liegt auch vor, wenn vom Adressaten etwas rechtlich oder tatsächlich Unmögliches verlangt wird. Wirtschaftliches Unvermögen stellt keinen Fall der Unmöglichkeit dar.480 Diese liegt hingegen vor, wenn der Pflichtige an der Vornahme der auferlegten Handlung privatrechtlich gehindert ist, weil er in Rechte Dritter eingreifen müsste.481 Steht mehreren Personen privatrechtlich die Sachherrschaftsbefugnis über eine Sache zu, auf die zur Gefahrenabwehr eingewirkt werden soll, liegt beim Pflichtigen nicht automatisch rechtliche Unmöglichkeit vor; der Mitberechtigte könnte einwilligen.482 Im Übrigen führt das privatrechtliche Hindernis nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit, sondern lässt die Rechtmäßigkeit einer (Grund-)Verfügung unberührt und hindert lediglich ihre Vollziehbarkeit (Rn 285), solange nicht gegenüber dem Dritten eine vollziehbare Duldungsverfügung erlassen worden ist.483 Die Erforderlichkeit einer Maßnahme sichert das Gebot des geringstmöglichen 107 Eingriffs („Interventionsminimum“). Von mehreren zur Gefahrenabwehr in Betracht kommenden und gleich geeigneten Mitteln muss dasjenige ausgewählt werden, das den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Maßgeblich ist die Sicht ex ante.484 Auf eine weniger belastend wirkende Maßnahme muss sich die Behörde nur verweisen lassen, wenn das mildere Mittel zur Zweckerreichung in gleicher Weise geeignet ist wie die eingriffsintensivere Maßnahme.485 Das ist zB der Fall, wenn der Schutz einer Trinkwassertalsperre an Stelle der Anordnung zur Entfernung einer Heizölbehälteranlage durch das Verbot zur Lagerung von Heizöl auf dem Grundstück bewerkstelligt werden kann.486 Als nicht erforderlich wurde auch das Gebot zur Räumung eines widerrechtlich besetzten Grund477

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BayVGH DÖV 1999, 520, 522 → JK BayLStVG Art 7/1; OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 317 → JK BremPolG § 10/1. SächsOVG SächsVBl 2000, 170, 174. VG Stuttgart NVwZ 1999, 323, 324. OVG RP DVBl 1991, 1376, 1378 → JK Pol u OrdR Gefahrenabwehr/4. OVG Hamburg NVwZ-RR 1993, 602: Anordnung von Sanierungsmaßnahmen auf fremdem Grundstück. OVG RP DVBl 1991, 1376, 1378 → JK Pol u OrdR Gefahrenabwehr/4; OVG RP DÖV 2004, 305f. BVerwGE 40, 101, 103; VGH BW DÖV 1993, 578, 579; OVG Berlin LKV 1997, 368; HessVGH DVBl 1996, 573, 574; OVG NW DVBl 1997, 674, 675; OVG Saarland NVwZRR 2003, 337; ThürOVG LKV 1997, 368f; vgl auch Stuttmann NVwZ 2004, 805. VGH BW DVBl 1987, 153, 154; Ossenbühl Jura 1997, 617, 618. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 226. OVG NW NJW 1980, 2210.

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stücks innerhalb einer Stunde erachtet, nachdem die Behörde die Besetzung über einen längeren Zeitraum geduldet hatte.487 Beim Abschleppen vorschriftswidrig abgestellter Kraftfahrzeuge ist es bei ungewisser Erfolgsaussicht grundsätzlich nicht erforderlich, dass behördlicherseits Nachforschungen zum Verbleib des Fahrers angestellt oder Wartepflichten eingehalten werden.488 Dasselbe gilt im Falle der polizeilichen Sicherstellung eines (mit geöffnetem Fenster abgestellten) Kraftfahrzeugs.489 Beim Verbot des Tragens von Springerstiefeln mit Stahlkappen gegenüber einem gewaltbereiten Jugendlichen muss sich die Polizei nicht darauf verweisen lassen, erst anlassbezogen (dh bei neuen Bedrohungen oder Handgreiflichkeiten) einzugreifen, weil ein solches späteres Tätigwerden nicht die gleiche Eignung wie ein vorbeugendes Einschreiten hat.490 Die Verfügung einer Meldeauflage neben Passund Personalausweisbeschränkungen gegenüber einem Fußball-Hooligan wurde als erforderlich erachtet, um die Begehung von Straftaten im Ausland aus Anlass einer Fußballeuropameisterschaft unter allen Umständen zu verhindern.491 Die Durchführung einer behördlich ausgewählten Gefahrenabwehrmaßnahme ist nicht erforderlich, wenn der Pflichtige ein gleich geeignetes Austauschmittel anbietet. Deshalb ist dem Betroffenen auf Antrag zu gestatten, ein anderes, ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird.492 Das angebotene Austauschmittel genießt selbst dann Vorrang, wenn es den Pflichtigen objektiv stärker belastet als die behördlich vorgesehene Maßnahme.493 Bietet der Pflichtige ein weniger wirksames Austauschmittel als das zur Gefahrenabwehr behördlich geforderte Mittel an, muss sich die Gefahrenabwehrbehörde darauf nicht einlassen.494 Die Verhältnismäßigkeit (Angemessenheit, Zumutbarkeit) ist gewahrt, wenn die 108 Gefahrenabwehrmaßnahme nicht zu einem Nachteil führt, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. „Nachteil“ ist primär die Freiheitseinbuße beim Betroffenen, aber auch jede sonstige materielle und immaterielle Beeinträchtigung; „Erfolg“ ist die Gefahrenabwehr. Indem die Proportionalität zwischen Mittel

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VGH BW DVBl 1987, 153, 154. VGH BW DVBl 1991, 1370; DÖV 2002, 1002; NVwZ-RR 2003, 558; OVG Hamburg NJW 2001, 168, 169; NJW 2005, 2247, 2249; OVG RP NJW 1999, 3573, 3574; OVG SH NVwZ-RR 2003, 647 → JK LVwG SH § 238 I/1; Michaelis Jura 2003, 298, 303; ebenso trotz Hinweises des „Falschparkers“ OVG Hamburg NJW 2001, 3647, 3648 m Bespr Schwabe NJW 2002, 652; bedenklich VG Freiburg NJW 2000, 2602: Pflicht zur Ermittlung per Funk, ob für das betr Kfz ein Anwohnerparkausweis existiert. SächsOVG SächsVBl 2002, 268, 269. SächsOVG SächsVBl 2000, 170, 174. VGH BW DVBl 2000, 1630, 1633 → JK Pol- u OrdR pol Gk/5. Ausdrücklich Art 5 II 2 BayPAG; § 12 II 2 ASOG Bln; § 4 II 2 BbgPolG, § 20 S 2 BbgOBG; § 4 II 2 BremPolG; § 4 IV HbgSOG; § 5 II 2 HessSOG; § 14 II SOG MV; § 5 II 2 NdsSOG; § 3 II 2 PolG NW, § 21 S 2 OBG NW; § 3 II 2 POG RP; § 3 II 2 SaarlPolG; § 6 II 2 SOG LSA; § 5 II 2 ThürPAG, § 7 II ThürOBG; § 16 II 2 BPolG. OVG NW DÖV 1962, 617: freiwillige kostspielige Instandsetzung eines baufälligen Hauses statt Abbruch. OVG NW NWVBl 2003, 386, 390.

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und Zweck zu wahren ist, gibt es keine Gefahrenabwehr um jeden Preis.495 Auch wenn eine Gefahrenabwehrmaßnahme geeignet und erforderlich ist, kann sie wegen Unverhältnismäßigkeit rechtswidrig sein. Die Angemessenheit einer Maßnahme ist im Wege der Güterabwägung zu ermitteln. Auf der einen Seite steht die Bedeutung des bedrohten Schutzguts, auf der anderen Seite das Ausmaß des drohenden Schadens für den Betroffenen. Durchzuführen ist ein Abwägungsvorgang, der stark von Wertungsfragen beeinflusst wird.496 Die Unverhältnismäßigkeit einer Maßnahme kann nur angenommen werden, wenn sie in einem offensichtlichen („erkennbaren“) Missverhältnis zur Schwere des Eingriffs steht. Je nach Sachlage darf die Verwaltung auch generalpräventive Erwägungen anstellen. Von praktischer Bedeutung ist dies beim Abschleppen verbotswidrig abgestellter Fahrzeuge. Zur Wiederherstellung verkehrsgerechter Zustände ist das Abschleppen idR geeignet und erforderlich, aber auch – da die Nachteile beim Pflichtigen nicht allzu schwer wiegen – verhältnismäßig.497 Dabei kommt es für die Bejahung der Verhältnismäßigkeit nicht darauf an, ob das rechtswidrig abgestellte Fahrzeug tatsächlich eine konkrete Verkehrsbehinderung darstellt.498 Die gegenteilige Auffassung 499 übersieht, dass (unabhängig von zB zugeparkten Feuerwehrausfahrten und Behindertenparkplätzen) von jedem verbotswidrigen und nicht geahndeten Verhalten im Straßenverkehr eine negative Vorbildwirkung für andere Fahrzeugführer ausgeht, die die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen darf.500 Wird ein Fahrzeug ordnungsgemäß abgestellt und erst danach ein (mobiles) Haltverbotsschild angebracht, ist eine Abschleppmaßnahme idR nicht unverhältnismäßig, wenn zwischen dem Aufstellen des Schildes und dem Abschleppen des Fahrzeugs eine bestimmte Mindestfrist verstrichen ist.501 Nach der Rechtsprechung muss mit Änderungen bzgl des ruhenden Verkehrs (zB wegen Bauarbeiten) gerechnet werden.502 Im Gefahrenabwehrrecht hat das Übermaßverbot auch eine wichtige zeitliche 109 Dimension. Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann (vgl auch Rn 279). 495 496 497

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Ossenbühl Jura 1997, 617, 619; Götz POR Rn 341. Kluth JA 1999, 606, 610. VGH BW NJW 1990, 2270, 2271; BayVGH DÖV 1999, 306; NJW 2001, 1960; HessVGH NVwZ-RR 1991, 28 und NVwZ-RR 1999, 23, 26 → JK HessSOG §§ 8, 49, 53/1 (dazu Remmert NVwZ 2000, 642); OVG NW NJW 1998, 2465; OVG SH NVwZ-RR 2003, 647, 648 → JK LVwG § 238 I/1. BVerwG NJW 1990, 931; VGH BW NVwZ-RR 2003, 558; NJW 2003, 3363; BayVGH BayVBl 1991, 433, 434; NJW 1996, 1979, 1980; OVG NW NJW 1999, 1275; NWVBl 2000, 355; OVG RP NVwZ 1988, 658, 659. BVerwGE 90, 189, 193 – Parken auf Gehweg; OVG Hamburg NJW 2001, 168, 169 – Parken auf Radweg, im Fall Behinderung bejaht; OVG Hamburg NJW 2001, 3647, 3649 – Parken auf Fußweg, im Fall Behinderung bejaht (dazu Schwabe NJW 2002, 652). An der Richtigkeit seiner Rspr (Fn 499) zweifelnd BVerwG DVBl 2002, 1560 (m Anm Schwabe). OVG Hamburg DÖV 1995, 783, 784: 3 Tage; OVG NW DVBl 1996, 575: 48 Stunden. HessVGH NJW 1997, 1023, 1024 bei Ankündigung des geplanten Haltverbots und Einhaltung einer 3-Tages-Frist; dazu Bespr Michaelis NJW 1998, 122.

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cc) Ermessensreduzierung: Der behördliche Ermessensspielraum kann im kon- 110 kreten Fall so verengt sein, dass nur die Durchführung einer Gefahrenabwehrmaßnahme als ermessensfehlerfrei angesehen werden kann. Bei einer Ermessensreduzierung auf Null ist die Behörde zum Einschreiten verpflichtet. Dies entspricht Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts.503 Dabei betrifft die Ermessensreduzierung in erster Linie das Entschließungsermessen; beim Auswahlermessen verfügt die Behörde idR über mehrere Möglichkeiten zur Gefahrenbeseitigung, so dass insoweit selten eine vollständige Ermessensschrumpfung eintritt.504 Als Kriterien für eine Ermessensreduzierung auf Null fungieren nach hM die Bedeutung des Schutzguts und die Intensität der Gefahr.505 Richtig ist, dass zum Schutz hochwertiger Rechtsgüter (zB Leben, Gesundheit) idR eine Pflicht zum Einschreiten besteht. Aber auch unterhalb dieser Schwelle kann eine Verpflichtung zur Gefahrenabwehr angenommen werden, wenn diese zur Verhinderung eines Schadens an einem Schutzgut bei zumutbarem Aufwand und ohne Vernachlässigung anderer wichtiger Behördenpflichten erfolgen kann.506 Ansonsten würde der Staat seiner Verfassungspflicht zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit (Rn 20 f) nicht nachkommen. Schematische Betrachtungen zum Ermessen verbieten sich ohnehin.507 Im konkreten Fall kann eine Ermessensreduzierung insb auf einer Einwirkung 111 von (Freiheits-)Grundrechten auf die Ermessensausübung beruhen. Geht es um den Schutz der Menschenwürde (Art 1 I GG), besteht eine Pflicht zur Gefahrenabwehr.508 Zur Beseitigung unfreiwilliger Obdachlosigkeit ist die Verwaltung auf Grund der staatlichen Schutzpflicht nach Art 2 II GG gehalten, Ermessen besteht nur in Bezug auf das „Wie“.509 Gegenüber Hausbesetzern darf die Polizei aus Gründen des Art 14 I GG nicht dauerhaft untätig bleiben, allenfalls besteht eine polizeitaktische Dispositionsbefugnis zum Zeitpunkt des Einschreitens (zB zwecks Vermeidung von Krawallen).510 503

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Vgl Schoch Jura 2004, 462, 468; Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 10 Rn 19 ff; Analyse der Rspr bei Laub Die Ermessensreduzierung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, 50 ff. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 10 Rn 39, 42. BVerwGE 11, 95, 97; Pietzcker JuS 1982, 106, 108; Götz POR Rn 354; Schenke POR Rn 100 f. – Ebenso für das „baupolizeiliche“ Einschreiten BayVerfGH NVwZ-RR 1994, 631, 632; zweifelnd BVerwG NVwZ-RR 1997, 271. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 131 f. Bedenklich daher zT die Rspr zum „intendierten“ Ermessen, BVerwGE 105, 55 = DVBl 1998, 145 (m Anm Schwabe) → JK Pol u OrdR Entschl u Ausw Ermessen/1; ferner OVG Berlin LKV 2002, 184; dazu auch Volkmann DÖV 1996, 282, sowie Borowski DVBl 2000, 149. Zutr relativierend SächsOVG SächsVBl 2004, 157, 159: Auch beim intendierten Ermessen muss die Behörde erkennen, dass ihr ein – wenn auch gelenkter – Ermessensspielraum zusteht. BVerwGE 115, 189 → JK OBG NW § 14/2 (allerdings mit Subsumtionsfehler des BVerwG zu Art 1 I GG). VGH BW DVBl 1996, 294. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 135; richtig VG Freiburg VBlBW 1987, 349; bedenklich VG Berlin DVBl 1981, 785 → JK Pol u OrdR Entschließungsermessen/1.

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2. Kap II 1 d dd

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Ermessensbindungen erfolgen auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 I GG). Danach ist in vergleichbaren Fällen ein gleichmäßiges behördliches Einschreiten geboten, zB bei (bevorstehenden) Gesetzesverstößen gegen das Ladenschlussgesetz 511 oder den gesetzlichen Sonn- und Feiertagsschutz; 512 eine differenzierende Behördenpraxis muss auf sachlichen Gründen beruhen.513 Ein Anspruch auf „Gleichheit im Unrecht“ besteht indes nicht.514 Ermessensreduzierend können auch Vorgaben des EG-Rechts wirken. Die Ent113 scheidung des EuGH zur gemeinschaftsrechtswidrigen mitgliedstaatlichen Duldung der Behinderung von Agrarimporten durch Demonstranten 515 lässt sich unschwer als „Anspruch“ der EG auf polizeiliches Einschreiten der Mitgliedstaaten bei Störungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs durch Private deuten.516 Generell umfasst die Pflicht zur Gemeinschaftstreue (Art 10 EGV) ggf auch die Pflicht zum Einsatz gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen. Auch das einfache, bereichsspezifische Gesetzesrecht kann zu einer Ermessens114 reduzierung bei der Gefahrenabwehr führen. Wenn zB vom Sonn- und Feiertagsschutz nur in einem „besonderen Ausnahmefall“ durch behördliche Ausnahmebewilligung abgesehen werden darf, ein solcher Fall nicht vorliegt und sich ein privater Anbieter von Waren gesetzeswidrig darüber hinweg setzt, ist der zuständige Behörde wegen Art 20 III GG idR kein Ermessen eröffnet, das eine Untätigkeit erlaubt.517 Ähnliches gilt, wenn sich ein Ausländer (Asylbewerber) gesetzeswidrig ohne gültigen Pass im Bundesgebiet aufhält; zur Beseitigung des polizeiwidrigen Zustands hat die Behörde keine andere Wahl, als zur Durchsetzung der Rechtsordnung die Vorlage eines gültigen Passes zu verlangen.518 dd) Anspruch auf Einschreiten: Mit der behördlichen Pflicht zum Einschreiten 115 korrespondiert nicht notwendigerweise ein entsprechender Anspruch. Dafür müssen die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts 519 erfüllt sein. Als Anspruchsgrundlage kommt die Generalklausel in Betracht, soweit eine Gefahr für Rechte bzw Rechtsgüter des Einzelnen besteht. Die Bejahung eines Anspruchs setzt zudem voraus, dass das behördliche Ermessen dergestalt reduziert ist, dass nur die begehrte Maßnahme als rechtmäßig erscheint. Das ist beim Entschließungsermes112

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VG Berlin NJW 1999, 2988, 2989. OVG Hamburg NVwZ 1991, 180, 183; SächsOVG SächsVBl 2002, 269, 270; VG Gera NVwZ-RR 1999, 579, 580. OVG NW NWVBl 2001, 94, 96. OVG RP NJW 1997, 1174, 1176. EuGHE 1997, 6959 → JK EGV Art 30/2; dem Grunde nach bestätigend EuGHE 2003, 5659 → JK EGV Art 28/3. Schwarze EuR 1998, 53; Meier EuZW 1998, 87; Lindner JuS 2005, 302, 306. VGH BW NVwZ-RR 1991, 634, 635; ähnlich VG Schleswig GewArch 1997, 262, 263 und NVwZ-RR 2001, 236. Unrichtig OVG NW DÖV 2004, 666, das in der Verfügung eine Ermessensüberschreitung sieht, weil das Fachrecht (Ausländer- und Asylrecht) eine Passbeschaffungspflicht nicht kenne; hier wird das Zusammenwirken von gesetzlicher lex imperfecta (Normierung einer Passpflicht) und ihrer Durchsetzung nach Maßgabe der Generalklausel (Rn 59) übersehen. Dazu Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 10 Rn 22.

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sen manchmal, beim Auswahlermessen selten der Fall.520 Hier können Rang und Gewicht des bedrohten Schutzguts und die Intensität der Gefahr (vgl Rn 110) Bedeutung erlangen. Immer kommt es jedoch auf die konkreten Umstände des Falles an.521 Am Beispiel des Anspruchs auf Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft im Falle 116 unfreiwilliger Obdachlosigkeit wird die Problemstellung deutlich. Nach der Generalklausel hat der Obdachlose einen Anspruch dem Grunde nach.522 Der Anspruchsinhalt zielt auf die Zuweisung einer Unterkunft, die Mindeststandards entspricht (menschenwürdige Unterkunft, Zugänglichkeit auch tagsüber zum Schutz vor der Witterung).523 Im Übrigen liegt das „Wie“ zur Beseitigung der Obdachlosigkeit im behördlichen Ermessen; der Betroffene hat insb keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Unterkunft.524

2. Polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit a) Polizei- und Ordnungspflicht als Zurechnungsproblem Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kann entweder von der zu- 117 ständigen Gefahrenabwehrbehörde selbst (bzw durch von ihr Beauftragte) oder durch die Inanspruchnahme von Personen abgewehrt werden. Verfügt die Behörde Gefahrenabwehrmaßnahmen gegen Personen, muss sie sich idR an die für die Gefahrenlage Verantwortlichen („Störer“) halten; die Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen („Nichtstörer“) kommt nur ausnahmsweise im Falle einer „Notstandspflicht“ in Betracht (Rn 177 ff). Die Verantwortlichkeit im Polizei- und Ordnungsrecht basiert entweder auf 118 dem gefahrverursachenden Verhalten einer Person (Verhaltensverantwortlichkeit, Rn 126 ff) oder sie gründet darauf, dass von einer Sache (oder einem Tier) eine Gefahr ausgeht (Zustandsverantwortlichkeit, Rn 143 ff). Beide Anknüpfungspunkte führen zu einem Zurechnungszusammenhang zwischen der Gefahrenlage und der hierfür bestehenden Verantwortlichkeit einer Person. Damit werden rechtsstaatliche 520

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Unabhängig davon kann der Anspruch nur dem Gefährdeten, nicht dem Störer zustehen; VGH BW VBlBW 1995, 64, 65. Vgl VG Gelsenkirchen NJW 1999, 3730: Ablehnung der Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm. – Im Bauordnungsrecht grds einen Anspruch auf behördliches Einschreiten schon bei der Verletzung nachbarschützender Vorschriften bejahend VGH BW NVwZ-RR 1995, 490; VBlBW 2003, 470, 472; OVG Berlin LKV 2003, 276, 278 → JK BauGB § 34 I/2; OVG NW NVwZ-RR 2000, 205; Schoch Jura 2005, 178, 184; aA NdsOVG NVwZRR 2003, 484; zweifelnd OVG Bremen NVwZ-RR 2002, 488; offen BVerwG NVwZ 1998, 395 u OVG MV LKV 2004, 188, 189 → JK LBO MV § 80 I 1/1; nach BVerwG NJW 1998, 395 kann der Nachbar evtl sogar auf ein zivilrechtliches Vorgehen gegen den Störer (§§ 1004, 906, 823 II BGB) verwiesen werden. VGH BW DVBl 1996, 294; BayVGH NVwZ-RR 2002, 575; OVG Berlin DVBl 1980, 1050. VGH BW NVwZ 1993, 1220; DÖV 1994, 569; OVG NW DVBl 1992, 1316. VGH BW NJW 1993, 1027; BayVGH NVwZ-RR 1991, 196; BayVBl 1993, 569; VG Hannover NVwZ-RR 1993, 148.

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und grundrechtliche Anforderungen erfüllt: Die Anordnung von Gefahrenabwehrmaßnahmen gegenüber Personen greift idR in die Rechtssphäre (insb Grundrechte) des Einzelnen ein. Der Freiheitsanspruch des Einzelnen verlangt indes, von behördlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr verschont zu bleiben, die nicht durch eine hinreichende Beziehung zwischen ihm und der Gefährdung des zu schützenden Rechtsguts legitimiert sind.525 Die gesetzlichen Vorschriften zur Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit bilden demnach Grund und Grenze der behördlichen Inanspruchnahme von Personen zur Gefahrenabwehr.526 Beim Gesetzesvollzug muss die Gefahrenabwehrbehörde den Verantwortlichen ermitteln; es ist nicht Aufgabe des Adressaten einer Gefahrenabwehrmaßnahme, das Nichtvorliegen der von der Behörde nur vermuteten Polizei- bzw Ordnungspflicht nachzuweisen.527 Verhaltensverantwortlichkeit und Zustandsverantwortlichkeit wurzeln in unter119 schiedlichen Legitimationsgrundlagen. Beim „Handlungsstörer“ beruht die Verantwortlichkeit auf der individuellen Gefahrverursachung, dh auf einer Kausalbeziehung zwischen Verhalten und Gefahr (Rn 128). Beim „Zustandsstörer“ liegt der Zurechungsgrund für die Verantwortlichkeit in der Sachherrschaft (Rn 144). Von daher kann von einer „dualen Struktur“ der Pflichtigkeit im Polizei- und Ordnungsrecht gesprochen werden.528 Damit ist aber noch nichts zu den konkreten Zurechnungskriterien ausgesagt. Nicht (vor)entschieden ist insb, ob und inwieweit die Zurechnung der Gefahr auch bei der Zustandshaftung auf Kausalbeziehungen beruht.529 Schon der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen 530 deutet an, dass die Unmittelbarkeit der Verursachung (Rn 128) das tragende Zurechnungsprinzip (wenn auch in unterschiedlicher inhaltlicher Ausprägung) ist.531 Die strukturelle Parallele in beiden Zurechnungszusammenhängen wird sichtbar: So wie die Verhaltensverantwortlichkeit nur durch die unmittelbare Verursachung einer Gefahr ausgelöst wird, setzt die Zustandsverantwortlichkeit voraus, dass die Sache selbst unmittelbar die Gefahrenquelle bildet.532 Die nähere Bestimmung der Zurechnungskriterien muss im jeweiligen Regelungszusammenhang erfolgen (Rn 126 ff und Rn 143 ff). Vorentschieden ist indes, dass als „Verantwortlicher“ nicht in Anspruch genommen werden darf, wer weder eine Gefahr durch sein Verhalten verursacht hat (und auch für das Verhalten Dritter nicht einzustehen hat, Rn 142) noch für den gefährlichen Zustand einer Sache haftet.

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LVerfG MV DVBl 2000, 262, 265; VG Trier NJW 2002, 3268, 3269. Albers Straftatenverhütung, 59 f. OVG NW NWVBl 2003, 58. Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 241. AA Lepsius JZ 2001, 22 und ders Besitz und Sachherrschaft, 224: „Verursachung“ unmaßgeblich für die Zustandsverantwortlichkeit. „Verursacht eine Person eine Gefahr …“, vgl Nachw Fn 566. – „Geht von einer Sache eine Gefahr aus …“, vgl Nachw Fn 624, bzw „Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch den Zustand einer Sache bedroht …“, vgl Nachw Fn 625. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 64; Götz POR Rn 195. OVG NW NJW 2000, 2124, 2125 f; NWVBl 2005, 177, 178.

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b) Funktion und Bedeutung der Verantwortlichkeit Die Vorschriften zur Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit sind unter grund- 120 rechtlichen Vorzeichen Schrankenbestimmungen (dh Ausprägungen des Gesetzesvorbehalts); der durch eine Verfügung zur Verantwortung gezogene „Störer“ sieht sich in seine (Grund-)Rechtsschranken verwiesen. Er hat die (rechtmäßige) Anordnung zu dulden und die finanziellen Lasten der Gefahrenabwehrmaßnahme zu tragen. Im Unterschied zum Nichtstörer (Rn 298 ff) hat er auch keinen Entschädigungsanspruch.533 Wurde die Gefahrenlage behördlicherseits beseitigt, hat der Verantwortliche unter bestimmten Voraussetzungen (Rn 294 ff) die Kosten zu erstatten; diese Kostentragungspflicht ist Ausdruck der besonderen Beziehung des Verantwortlichen zur Gefahr sowie Fortsetzung seiner nicht selbst erfüllten Polizeiund Ordnungspflicht.534 In ihren geltenden positivrechtlichen Ausprägungen sind die Vorschriften zur 121 Verantwortlichkeit als Bestimmungen zum Erlass behördlicher Maßnahmen („Richtung“ von Maßnahmen) normiert. Eine allgemeine (abstrakt-generelle) materielle Polizei- und Ordnungspflicht ist nicht ausdrücklich statuiert. Gleichwohl liegt dem Gefahrenabwehrrecht (ausweislich der Generalklausel und spezieller Verhaltensnormen) eine allgemeine Nichtstörungspflicht, vergleichbar den Verkehrssicherungspflichten, zu Grunde.535 Danach müssen Personen ihr Verhalten und den Zustand ihrer Sachen so einrichten, dass daraus keine Gefahren entstehen. Die an einen bestimmten Adressaten gerichtete polizeiliche Verfügung konkretisiert die allgemeine Polizeipflicht.536 Die allgemeine Nichtstörungspflicht ist allerdings keine Grundlage für konkrete Deduktionen; maßgeblich hierfür ist das positive Recht. Deshalb besagt die Anerkennung jener Nichtstörungspflicht nichts konkret zB zum Verhältnis zwischen Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit (vgl Rn 136) oder zur Rechtsnachfolge in die Polizei- und Ordnungspflicht (Rn 159 ff). Aber sie kann zB in Grenzfällen bei der Ermittlung der Verhaltensverantwortlichkeit als ein Element Berücksichtigung finden (vgl Rn 129). Die allgemeinen Vorschriften des Gefahrenabwehrrechts zur Verhaltens- und Zu- 122 standsverantwortlichkeit kommen nicht zur Anwendung, soweit spezielle Bestimmungen regeln, gegen wen eine Maßnahme zu richten ist.537 Das ist zT im Besonderen Gefahrenabwehrrecht der Fall; das wichtigste Beispiel insoweit ist § 4 III

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Zur Ausnahme beim Verursacher eines Gefahrverdachts unten Rn 302. OVG NW DVBl 1996, 575, 576 → JK VwVfG NW § 41/1. VGH BW NVwZ 1996, 1036, 1037 → JK PolG BW § 6/1; VGH BW ZUR 2002, 227, 228; Pietzcker DVBl 1984, 457, 460; Martensen DVBl 1996, 286, 287 f; Götz POR Rn 192; aA Eschenbach NdsVBl 1998, 1 ff; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 4. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 57. Ausdrücklich klarstellend Art 7 IV, 8 IV BayPAG; §§ 13 IV, 14 V ASOG Bln; §§ 5 IV, 6 IV BbgPolG, §§ 16 IV, 17 IV BbgOBG; § 8 BremPolG; §§ 68, 70 IV SOG MV; § 9 NdsSOG; §§ 4 IV, 5 IV PolG NW, §§ 17 IV, 18 IV OBG NW; §§ 217, 219 IV LVwG SH; §§ 7 IV, 8 IV ThürPAG, §§ 10 IV, 11 IV ThürOBG.

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BBodSchG 538, weitere Beispiele finden sich etwa im Abfallrecht 539 und im Landeswasserrecht.540 Abweichende Bestimmungen finden sich ferner bei den Standardbefugnissen; sie erlauben vielfach Maßnahmen – zB Identitätsfeststellung (Rn 199 ff), Auskunftsverlangen (Rn 196 ff) – gegen Personen, die nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften als „Nichtstörer“ qualifiziert werden müssten. Auf der anderen Seite haben die Bestimmungen zur allgemeinen Verhaltens- und 123 Zustandsverantwortlichkeit eine Bedeutung, die weit über die Anwendung der Generalklausel hinausgeht. Sie sind die maßgeblichen Direktiven für die Richtung von Standardmaßnahmen, wenn die Standardbefugnisnormen keine Regelung beinhalten, gegen wen die Maßnahme zu richten ist. Die allgemeinen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts zur Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit finden ferner für Maßnahmen nach dem besonderen Gefahrenabwehrrecht Anwendung, wenn dort Regelungen zur „Störer“-Bestimmung fehlen.541 Wichtige Beispiele insoweit bilden das Versammlungsrecht,542 das Bauordnungsrecht (zB bei der Beseitigungsverfügung),543 das Landesabfallrecht,544 das Landeswasserrecht,545 das Landesimmissionsschutzrecht,546 das Naturschutzrecht 547 und das Feuerwehrrecht.548 c) Rechtssubjekte der Polizei- und Ordnungspflicht 124 Adressaten von Gefahrenabwehrmaßnahmen sind Personen. Bei natürlichen Personen hängt die Verantwortlichkeit schon aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr nicht von der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit und der Schuld- oder Verschuldensfähigkeit ab.549 Rechtssubjekte der Polizei- und Ordnungspflicht sind auch 538

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HessVGH DVBl 2000, 210 → JK BBodSchG § 4/1: abschließende Regelung zum Kreis der Sanierungspflichtigen in § 4 BBodSchG; bestätigend BVerwG DVBl 2000, 1353; dazu Bespr Bickel NVwZ 2000, 1133; ferner BVerwG DVBl 2004, 1564, 1567. Zur Zustandsverantwortlichkeit des Abfallbesitzers instruktiv BVerwGE 106, 43 = JZ 1998, 903 (m Anm Frenz/Bönning); vgl ferner BVerwG DVBl 2003, 1076 (Besitzer von Abfällen an Wasserstraßen). Dazu BayVGH BayVBl 2003, 466; OVG Hamburg NVwZ 2001, 1295, 1296. – Zur Verweisung des LWG auf das allg POR HessVGH NVwZ-RR 1998, 747, 748. OVG NW NWVBl 2005, 177, 178. Vgl zB BVerwG DVBl 1999, 1740, 1742 → JK VwGO § 113 I 4/15; VGH BW VBlBW 2002, 383, 384. BayVGH NJW 1993, 81 → JK MBO § 76/1; OVG NW NVwZ-RR 1995, 635, NVwZ-RR 1997, 12; NVwZ-RR 2000, 205. – Zu Modifizierungen der Verantwortlichkeit nach allg POR durch die LBO ThürOVG ThürVBl 1997, 163, 165 f. – Zur eigenständigen Störerbestimmung in der LBO NdsOVG NdsVBl 2000, 142, 145. Vgl zB VGH BW DÖV 1996, 1057; NVwZ 1996, 1036; ZUR 2002, 227; NdsOVG NJW 1998, 97 → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/6; VG Weimar ThürVBl 2000, 21, 22. Vgl zB VGH BW DVBl 1990, 1047 → JK Pol u OrdR Störer/6; VGH BW VBlBW 1995, 281 → JK Pol u OrdR Störer/7; OVG SH UPR 1996, 194. OVG NW NJW 2000, 2124. VGH BW NVwZ-RR 1992, 350. Vgl zB VGH BW NVwZ-RR 1994, 52; VBlBW 2002, 73; HessVGH DVBl 1986, 783. VG Berlin NJW 2001, 2489, 2490. – Im Verwaltungsverfahren agiert für den Handlungsunfähigen (§ 12 VwVfG) der gesetzliche Vertreter.

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juristische Personen des Privatrechts 550, teilrechtsfähige Personenvereinigungen (zB OHG, KG) 551 und – nach Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit durch den BGH 552 – die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts.553 Bei der Verantwortlichkeit von Hoheitsträgern unterscheidet die (noch) hM zwi- 125 schen der materiellen Polizeipflicht und der Kompetenz bzw Befugnis der zuständigen Gefahrenabwehrbehörde zur Konkretisierung und Durchsetzung der Polizeipflicht. Danach ist – sofern keine Sonderrechte bestehen 554 – die materielle Pflichtigkeit schon wegen der Gesetzesbindung (Art 20 III GG) nicht zu bezweifeln; unzulässig sei jedoch die Ausübung von Befugnissen gegenüber anderen Hoheitsträgern, weil die staatliche Kompetenzordnung einen Eingriff in den hoheitlichen Zuständigkeitsbereich einer anderen Verwaltungsbehörde mit obrigkeitlichen Mitteln verbiete.555 Zulässig sind danach Verfügungen an Verwaltungsträger, die deren nichthoheitlichen Bereich betreffen 556, ferner die Heranziehung zur Kostenerstattung, wenn die Gefahrenabwehrbehörde an Stelle des pflichtigen Hoheitsträgers die Gefahr beseitigt hat.557 Das Dogma vom – angeblich – kompetenzwidrigen Übergriff in den Hoheitsbereich eines anderen Verwaltungsträgers entspricht dem geltenden Recht nicht.558 Wenn Hoheitsträger ebenso wie Private materiell polizeipflichtig sind und den zuständigen Gefahrenabwehrbehörden die Aufgabe, die Kompetenz und die Befugnis übertragen sind, den Schutz der öffentlichen Sicherheit (und Ordnung) zu gewährleisten, obliegt es diesen Behörden, zur Durchsetzung dieses Schutzes auch gegenüber Hoheitsträgern die notwendigen Anordnungen zu treffen.559 Ein Teil der Rechtsprechung hat dies im besonderen Gefahrenabwehrrecht bereits erkannt und durchgesetzt.560 Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht wird der Erlass von Kostenerstattungsbescheiden der Gefahrenabwehrbehörden gegenüber anderen Hoheitsträgern anerkannt, nachdem zuvor zB im Wege der Ersatzvornahme die Ge550

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OVG NW NVwZ-RR 1994, 386, 387; der Private, der für die jur Person agiert, kann auch in Anspruch genommen werden. VGH BW VBlBW 1993, 298, 301; VBlBW 1996, 221, 222. BGHZ 146, 341 = JZ 2001, 655 (m Anm Wiedemann) → JK BGB §§ 705 ff/6; vgl auch BVerfG (K) NJW 2002, 3533. SächsOVG SächsVBl 2002, 269. Wichtig: § 35 StVO; dazu OLG Stuttgart NJW 2002, 2118. HessVGH NVwZ 1997, 304, 305; NVwZ 2002, 889; NdsOVG NVwZ-RR 1993, 405, 406; OVG SH NVwZ 2000, 1196; Gebhard DÖV 1986, 545, 548 f; Wallerath/Strätker JuS 1999, 127, 130; Glöckner NVwZ 2003, 1207; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 84 ff; Gusy PolR Rn 141 u 143; Knemeyer POR Rn 352; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 8; Schenke POR Rn 233 ff; Tettinger/Erbguth BesVwR Rn 523; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 218 ff; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 490 ff. VGH BW NVwZ-RR 1997, 267, 268. BVerwG NVwZ 1999, 421; OVG SH NVwZ 2000, 1196. Ausf Schoch Jura 2005, 324, 326 ff. Götz POR Rn 240. Im Immissionsschutzrecht: BVerwGE 117, 1 → JK BImSchG § 24/3; VGH BW VBlBW 2001, 496. – Im Abfallrecht: VGH BW NVwZ-RR 1997, 267; BayVGH NJW 2004, 2768.

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fahrenlage beseitigt worden ist.561 Auch in Eilfällen sollen die Gefahrenabwehrbehörden an Stelle des an sich pflichtigen Hoheitsträgers handeln können.562 Keine Beschränkung bestehe ferner, wenn der andere Hoheitsträger rein fiskalisch tätig werde.563 Es ist an der Zeit, im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht den angeblichen allgemeinen Grundsatz fehlender Anordnungsbefugnis der Gefahrenabwehrbehörden gegenüber polizeipflichtigen Hoheitsträgern vollständig aufzugeben.564 Die zuständigen Behörden müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anordnungen wie gegen Privatrechtssubjekte treffen können. Eine Missachtung der Kompetenzordnung liegt darin schon deshalb nicht, weil dem fremden Hoheitsträger dessen Kompetenzen, die ja außerhalb des Gefahrenabwehrrechts anzusiedeln sind, mitnichten streitig gemacht werden. Ein Kompetenzkonflikt kann allenfalls dann entstehen, wenn eine Gefahrenabwehrmaßnahme wegen ihres Inhalts bei dem anderen Hoheitsträger die Erfüllung seiner öffentlichrechtlichen Aufgaben ernstlich beeinträchtigt.565 Nach geltendem Recht (§ 17 VwVG und Parallelvorschriften im Landesrecht) sind lediglich Zwangsmittel gegen Behörden und juristische Personen des Öffentlichen Rechts grundsätzlich unzulässig. Im Gegenschluss heißt dies, dass Maßnahmen im davor liegenden Verwaltungsverfahren gerade nicht ausgeschlossen sind. d) Verhaltensverantwortlichkeit 126 „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.“ 566 Mit dieser Formulierung wird im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht die Verhaltensverantwortlichkeit als verschuldensunabhängige Kausalhaftung statuiert.567 Die Zurechnung der Verhaltensverantwortlichkeit beruht auf der Gefahrverursachung; die „Haftung“ des Betroffenen ist die Folge des eigenen Verhaltens.568 Dieses umfasst positives Tun, aber auch pflichtwidriges Unterlassen (Rn 133 ff). aa) Gefahrverursachung: Bildet die Verursachung einer Gefahr das entschei127 dende Zurechnungskriterium für die rechtliche Begründung der Verhaltensverantwortlichkeit, geht es beim inhaltlichen Verständnis des Verursachungsbegriffs um die – mit Blick auf die Gefahrenabwehr – sachgerechte Ermittlung der relevanten 561 562 563 564 565 566

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BVerwG DÖV 1999, 786; DVBl 2003, 1076, 1078. HessVGH DÖV 1992, 752; Wallerath/Strätker JuS 1999, 127, 130. HessVGH NVwZ 1997, 304, 305; Schenke POR Rn 237. Britz DÖV 2002, 891 ff; Scheidler UPR 2004, 253 ff. Möller/Wilhelm Allg POR Rn 123; ansatzweise idS bereits BVerwGE 29, 52, 59. Art 7 I BayPAG; § 13 I ASOG Bln; § 5 I BbgPolG, § 16 I BbgOBG; § 5 I BremPolG; § 8 I HbgSOG; § 6 I HessSOG; § 6 I NdsSOG; § 4 I PolG NW, § 17 I OBG NW; § 4 I POG RP; § 4 I SaarlPolG; § 7 I SOG LSA; § 7 I ThürPAG, § 10 I ThürOBG; § 17 I BPolG. – Mit abw Formulierung in der Sache identisch § 6 PolG BW; Art 9 I 1 BayLStVG; § 69 I SOG MV; § 4 SächsPolG; § 218 I LVwG SH. VGH BW NVwZ-RR 1996, 387, 389 → JK AbfG BW § 22 IV/1; BayVGH BayVBl 1996, 437, 438; BayVBl 1997, 502. Bickel NVwZ 2004, 1210, 1211: „Der handelnde Mensch hat für sein Verhalten und dessen Folgen einzustehen. Dies entspricht dem Gedanken der Eigenverantwortung und ist die Kehrseite der grundrechtlich garantierten Handlungsfreiheit“.

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Kausalfaktoren. Die Äquivalenztheorie kommt nicht in Betracht,569 da sie auf Grund der Gleichwertigkeit aller Bedingungen (dh auch der entferntesten) zu weit ist und im Polizei- und Ordnungsrecht die „Schuld“ als Korrektiv fehlt. Allerdings ist die Erfüllung der „conditio sine qua non“ erste und unverzichtbare Voraussetzung der Zurechnung.570 Die Adäquanztheorie scheidet aus, weil im Gefahrenabwehrrecht gerade auch atypische, der Lebenserfahrung nicht entsprechende Geschehensabläufe erfasst werden müssen.571 Notwendig ist eine spezifisch gefahrenabwehrrechtliche Kausalitätslehre, die der Funktion des Polizei- und Ordnungsrechts, die Verknüpfung von Verhalten und Verantwortlichkeit des „Störers“ normativ zu begründen, gerecht wird. „Störer“ ist nicht schon jeder, dessen Verhalten zum Eintreten der Gefahr in irgendeiner Weise ursächlich beigetragen hat; vielmehr ist der Ursachenzusammenhang anhand eines spezifisch gefahrenabwehrrechtlich geprägten Maßstabs wertend zu ermitteln.572 Diese Lehre, die die Eingrenzung der polizei- und ordnungsrechtlich relevanten 128 Kausalfaktoren bewerkstelligt, ist die Theorie der unmittelbaren Verursachung.573 Danach verursacht nur diejenige Person verantwortlich eine Gefahr, die mit ihrem Verhalten die Schwelle zur konkreten Gefahr unmittelbar überschreitet.574 Die Feststellung der unmittelbaren Gefahrverursachung bereitet in den meisten Fällen keine Schwierigkeiten. Da die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung das bedeutsamste Schutzgut ist (Rn 66), verwirklicht idR derjenige unmittelbar die Gefahr, der gegen die Rechtsordnung verstößt. Zu bewältigen sind allerdings auch komplexe Sachverhalte. Beim Zusammenwirken mehrerer Personen reicht die Mitverursachung der Gefahr aus, um die Verhaltensverantwortlichkeit zu begründen.575 Sind die Mit-

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AA Muckel DÖV 1998, 18 ff, der eine Zurechnungstheorie für entbehrlich erachtet und die Grenzenlosigkeit der Kausalität durch die Kriterien „Effektivität der Gefahrenabwehr“ und „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ kompensieren will; abl dazu Götz POR Rn 198; Schenke POR Rn 241 Fn 39. OVG Hamburg NJW 2000, 2600, 2601; OVG NW NWVBl 2003, 320 f; SächsOVG NJW 1997, 2253, 2254; Pietzcker DVBl 1984, 457, 459, 464; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 63; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 441. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 64. OVG NW NVwZ 1997, 804 f. Seit langer Zeit hM; vgl zB VGH BW VBlBW 1982, 371, 372; NVwZ-RR 1996, 387, 388 → JK AbfG BW § 22 IV/1; BayVGH GewArch 2004, 390, 391; OVG Hamburg DÖV 1983, 1016, 1017; HessVGH DVBl 1986, 783; NVwZ-RR 1989, 137; UPR 1995, 198; NdsOVG NVwZ 1988, 638, 639; OVG NW NVwZ 1985, 355, 356; NVwZ-RR 1988, 20, 21; NJW 1993, 2698; OVG RP DVBl 1991, 1376, 1377; Selmer JuS 1992, 97, 99; Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 313. BayVGH NJW 2004, 2768, 2769; OVG Hamburg NJW 2000, 2600, 2601; OVG NW NVwZ 1997, 804, 805; NWVBl 2003, 320; SächsOVG NJW 1997, 2253, 2254; OVG SH UPR 1996, 194; Schmelz BayVBl 2001, 550, 552. VGH BW VBlBW 1995, 281 → JK Pol u OrdR Störer/7; VGH BW NVwZ-RR 1996, 387, 389 → JK AbfG BW § 22 IV/1; BayVGH NVwZ-RR 1997, 617f; NdsOVG NJW 1998, 97 f → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/6. – Dem Grunde nach muss die Mitverursachung feststehen, die bloße Möglichkeit der (Mit-)Verursachung reicht nicht; BayVGH BayVBl 2003, 466; OVG SH UPR 1996, 194; allenfalls kann auf den Nachweis des genauen Kausalver-

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verursachungsbeiträge zeitlich gestaffelt, überschreitet idR derjenige die Gefahrengrenze, der die zeitliche letzte Ursache gesetzt hat.576 Das Kriterium der „Unmittelbarkeit“ darf allerdings nicht nur in diesem äußerlich formalen Sinn verstanden werden. Entscheidend ist eine wertende Betrachtung aller wesentlichen Faktoren; zu ermitteln ist die ausschlaggebende Ursache für die Entstehung der Gefahr. Es ist zu fragen, wer die eigentliche und wesentliche Ursache für den polizei- bzw ordnungswidrigen Erfolg gesetzt hat. Durch diese wertende Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Zurechnungsgrund und der Gefahr lässt sich ermitteln, ob eine unmittelbare Verursachung iS eines hinreichend engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhangs zwischen der Gefahr und dem Verhalten der Person vorliegt, die deren Pflichtigkeit gerechtfertigt erscheinen lässt.577 Der Rückgriff über die letzte Ursache hinaus führt zur Zweckveranlassung (Rn 138 ff). Die Theorie der unmittelbaren Verursachung ist, wie die Praxis zeigt, praktikabel 129 und anderen polizeirechtlichen Kausalitätslehren überlegen. Die Lehre von der Sozialadäquanz, die nur sozialinadäquates Verhalten als Zurechnungskriterium berücksichtigen möchte,578 liefert kein handhabbares Kriterium zur Bestimmung der Sozialadäquanz. Die Theorie der rechtswidrigen Verursachung 579 versagt, wo eine verhaltenssteuernde Norm fehlt.580 Diese Theorie steht indes nicht in einem Gegensatz zur Theorie der unmittelbaren Verursachung, sondern wurde von dieser längst rezipiert. Elemente der Pflichtwidrigkeit und der Risikozurechnung werden bei der Bestimmung der wesentlichen Ursache für den polizei- bzw ordnungsrechtswidrigen Erfolg einbezogen, indem neben speziellen Verhaltensnormen auch die allgemeine Nichtstörungspflicht (Rn 121) und die gesamte sonstige Rechtsordnung Berücksichtigung finden.581 Wer sich rechtmäßig verhält und von seinen Freiheiten legalen Gebrauch macht, 130 ist nicht „Störer“.582 Deshalb sind zB bei einer friedlichen Versammlung (Art 8 I GG) mit einer gewaltsamen Gegendemonstration nicht die friedlichen Versammlungsteilnehmer, sondern die Gegendemonstranten „Störer“ (vgl Rn 185). Bei rechtmäßiger Kündigung des Mietvertrags und drohender Obdachlosigkeit des Mieters ist der Vermieter nicht „Handlungsstörer“ (vgl Rn 182); er verlässt seinen Rechts-

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laufs verzichtet werden, BayVGH GewArch 2004, 390, 391 f am Bspl der Verseuchung eines Tankstellengrundstücks bzgl der Verhaltenshaftung nach § 4 III 1 BBodSchG. Bspl: Wird ein Kfz von mehreren Seiten „zugeparkt“ und dadurch am Wegfahren gehindert, wurde die unmittelbare Ursache für die Störung allein von demjenigen gesetzt, der als letzter das Kfz blockiert hat; OVG NW DÖV 2001, 215 → JK Pol u OrdR Verdachtsstörer/1. VGH BW ZUR 2002, 227, 228; Götz POR Rn 198. Gusy PolR Rn 339 f. Schnur DVBl 1962, 1 ff; aufgegriffen von Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 69. Stellt man dann auf die Generalklausel ab, wird die Argumentation zirkulär; Pietzcker DVBl 1984, 457, 459. VGH BW VBlBW 1996, 221, 223: Überwachungspflicht des Betreibers einer Tankanlage bzgl der Ordnungsmäßigkeit ihrer Befüllung mit Kraftstoffen nach dem WHG; VGH BW NVwZ-RR 1996, 553, 554 f: Unterhaltungspflicht einer Stützmauer nach StrG. – Allg Seibert DVBl 1992, 664, 670. Götz POR Rn 200; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 17; Schenke POR Rn 243.

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kreis nicht und überschreitet daher nicht die polizei- und ordnungsrechtliche Gefahrengrenze. Macht jemand von einer behördlichen Genehmigung Gebrauch (zB Betrieb einer umweltbelastenden Anlage) und kommt es zur Störung polizei- und ordnungsrechtlicher Schutzgüter, besteht eine Verhaltensverantwortlichkeit nicht, soweit die Legalisierungswirkung der Genehmigung reicht. Diese ergibt sich aus Gegenstand, Inhalt und Umfang der konkreten Regelungen des Genehmigungsbescheids; 583 erfasst sind die im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung objektiv erkennbaren Risiken.584 In diesem Umfang ist der Betreiber einer Anlage durch die Legalisierungswirkung des Verwaltungsakts vor einer Inanspruchnahme als Verhaltensverantwortlicher geschützt. Nach dem erreichten Stand der Doktrin lässt sich die Theorie der unmittelbaren 131 Verursachung in ein klares systematisches Konzept überführen, das eine rationale Prüfungsabfolge ausweist: 585 (1) Ursächlichkeit des Verhaltens iSd conditio sine qua non-Formel; (2) Rechtswidrigkeit des ursächlichen Verhaltens wegen Missachtung eines (a) ausdrücklichen Pflichtgebots oder (b) durch Auslegung ermittelten Verhaltensgebots; (3) bei Fehlen von Ge- oder Verbotsnormen (a) Prüfung, ob das gefährliche Verhalten durch einen Rechtstitel (zB Genehmigung) gedeckt ist, wenn nicht, (b) Prüfung, ob der Betroffene von seinen Rechten (insb Grundrechten) Gebrauch macht, dabei (aa) Einbeziehung der Anforderungen der Rechtsordnung über die Grundrechtsschranken bzw (bb) bei vorbehaltlosen Grundrechten Herstellung praktischer Konkordanz mit sonstigen Rechtsgütern von Verfassungsrang unter Berücksichtigung der allgemeinen Nichtstörungspflicht. In den Fällen der Anscheinsgefahr (Rn 92) und des Gefahrverdachts (Rn 95) ist 132 als „Anscheinsstörer“ verantwortlich, wer eine Gefahr dem Anschein nach verursacht hat 586, als „Verdachtsstörer“ gilt, wer den Gefahrverdacht iSd Theorie der unmittelbaren Verursachung ausgelöst hat.587 Wie bei der Gefahrermittlung (Rn 88) ist auch bei der Bestimmung des Verantwortlichen die Sicht ex ante maßgebend. Zur Kostentragungspflicht ist damit noch nichts entschieden (dazu Rn 296 f). bb) Verhaltensverantwortlichkeit durch Unterlassen: Die Gefahrverursachung 133 durch eine Person kann außer durch positives Tun auch durch Unterlassen erfolgen. 583

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VGH BW NVwZ-RR 1996, 387, 389 → JK AbfG BW § 22 IV/1; VGH BW NVwZ-RR 2000, 589, 590. Vgl iE Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 463 ff. Vgl dazu auch Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 70 ff. VGH BW DVBl 1990, 1047, 1048; BayVGH NVwZ-RR 1996, 645, 646; NVwZ-RR 1997, 617; BayVBl 1998, 500, 501; OVG NW NVwZ-RR 1994, 386, 387; VG Berlin NJW 1991, 2854; Martensen DVBl 1996, 286, 290; zT aA Schenke/Ruthig VerwArch 87 (1996) 329 ff; Schenke FS Friauf, 1996, 455, 469 ff; ders POR Rn 256 ff. VGH BW VBlBW 1995, 281 → JK Pol u OrdR Störer/7; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 24 f; aA Schenke POR Rn 263: Nichtstörer.

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Dieses ist polizei- und ordnungsrechtlich relevant, wenn eine Rechtspflicht zur Gefahrenabwehr besteht. Diese muss sich, da es um die Begründung einer verwaltungsrechtlichen Pflicht geht, aus Vorschriften des Öffentlichen Rechts ergeben; 588 zivilrechtliche Vorschriften vermögen eine verwaltungsrechtliche Handlungspflicht nicht zu begründen.589 In der Praxis ist die Frage nach der Verhaltensverantwortlichkeit durch Unter134 lassen verschiedentlich bei mangelnder Standsicherheit einer Stützmauer und bei Felssturzgefahr von einem Grundstück zu entscheiden gewesen. Die Gerichte haben – unabhängig von der Zustandsverantwortlichkeit des Grundstückseigentümers (Rn 143 ff) – erkannt, dass der Betreffende nach Bauordnungsrecht für die Standsicherheit der Mauer zu sorgen hat 590 bzw als Grundstückseigentümer handeln müsse, damit tiefer gelegene Häuser und deren Bewohner nicht durch Felssturz vom Grundstück des Oberliegers gefährdet werden.591 Die letztgenannte Begründung trägt nicht (vgl Rn 136); maßgebend war allenfalls die allgemeine Nichtstörungspflicht (Rn 121), da die Gefahrenquelle in der Risikosphäre des Oberliegers wurzelt. Kontrovers wird die Verhaltensverantwortlichkeit eines früheren Kfz-Halters dis135 kutiert, der entgegen § 27 III StVZO 592 die Übereignung seines Kfz an einen Dritten nicht (ordnungsgemäß) meldete, wenn das von dem Dritten später rechtswidrig abgestellte Kfz abgeschleppt werden musste. Klar ist, dass das Unterlassen des ehemaligen Kfz-Halters nicht die zeitlich letzte Ursache für die rechtswidrige Lage darstellt. Ein Teil der Rechtsprechung sieht auf Grund einer normativ begründeten polizeirechtlichen Verantwortlichkeit mit dem Unterlassen der gesetzlichen Handlungspflicht (§ 27 III StVZO) die polizeiliche Gefahrengrenze überschritten, so dass der frühere Kfz-Halter als Verhaltensverantwortlicher haftbar gemacht werden könne (Tragung der Abschleppkosten, Verfügung zur Entfernung des Kfz).593 Das „vernünftige“ Ergebnis dieser Rechtsprechung scheint Zustimmung zu verdienen. Rechtlich tragfähig indes ist jene Judikatur nicht. Die durch das Abschleppen des Kfz bekämpfte Gefahr ist unabhängig von dem Verstoß gegen § 27 III StVZO eingetreten. Das pflichtwidrige Unterlassen der Meldung nach § 27 III StVZO kann hinweggedacht werden, ohne dass die Störung der öffentlichen Sicherheit durch das rechtswidrige Abstellen des Kfz entfiele. Es fehlt also schon an der äquivalenten

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VGH BW ZUR 2002, 227; OVG NW NVwZ-RR 1988, 20, 21; Selmer JuS 1992, 97; Götz POR Rn 213; Möller/Wilhelm Allg POR Rn 126. AA Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 6; Schenke POR Rn 239. – Deren Argumente überzeugen nicht: Dass das Zivilrecht vom Schutzgut „öffentliche Sicherheit“ umfasst ist, dh der in seinen Rechten bzw Rechtsgütern gefährdete Dritte auch polizeirechtlich geschützt ist, besagt nichts zur Konstituierung der Handlungspflicht des Störers. Zudem sind die von jenen Autoren angeführten Vorschriften zur Bestimmung der Handlungspflicht (§§ 220, 230, 323c StGB) solche des Öffentlichen Rechts. OVG NW NVwZ-RR 1988, 20. BayVGH BayVBl 1996, 437, 438; BayVBl 1997, 502; VG München NVwZ-RR 2002, 166, 167. Schönfelder Nr 35 b. VGH BW DÖV 1996, 1055 → JK Pol u OrdR Störer/9; VG Weimar ThürVBl 2000, 21, 22; VG Bremen NVwZ-RR 2000, 593.

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Verursachung der durch das Abschleppen bekämpften Gefahrenlage.594 Die Ursache iSd „conditio sine qua non“ ist jedoch unverzichtbar (Rn 127) und kann nicht durch eine rein normative Begründung der Verhaltensverantwortlichkeit ersetzt werden.595 Der frühere Kfz-Halter ist demnach nicht Handlungsstörer durch Unterlassen.596 Die Handlungspflicht, die eine Verhaltensverantwortlichkeit durch Unterlassen 136 zu begründen vermag, kann nicht auf die Pflicht des Eigentümers, sonstigen Berechtigten oder Inhabers der Sachherrschaft gestützt werden, eine Sache in einem ordnungsgemäßen Zustand zu halten; andernfalls wären Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit identisch: Jeder Eigentümer, Berechtigte oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt würde auf Grund seiner Zustandsverantwortlichkeit wegen des Unterlassens störungsbeseitigender Maßnahmen immer auch Verhaltensverantwortlicher sein; dies führte zu einer rechtssytematisch unzulässigen Vermischung von Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit, diese würde zu einer Verhaltensverantwortlichkeit „aufgestockt“ und insoweit gegenstandslos.597 Deshalb ist der direkte Zugriff auf Art 14 II GG zur Begründung einer Verhaltensverantwortlichkeit durch Unterlassen 598 ebenso wenig tragfähig wie die Herleitung einer Pflicht zum Handeln aus der Verantwortlichkeit für den ordnungsgemäßen Zustand einer Sache (Rn 134 aE), zumal die Verhaltensverantwortlichkeit „ewig“ besteht, während die Zustandsverantwortlichkeit mit der Aufgabe des Eigentums, Besitzes etc. endet (Rn 153).599 Die Anknüpfung an die allgemeine Nichtstörungspflicht (Rn 121) zur Ermittlung pflichtwidrigen Unterlassens setzt voraus, dass zB eine öffentlichrechtliche Verkehrssicherungspflicht besteht. Verhaltensverantwortlicher durch Unterlassen ist nicht der sog Inhaber des Ge- 137 genmittels, der dieses nicht zur Gefahrenabwehr einsetzt. Daher kann zB der Inhaber einer leerstehenden Wohnung nur als Notstandspflichtiger herangezogen werden, um einen Obdachlosen aufzunehmen (Rn 177 ff). Keine Handlungspflicht trifft grds auch den Gestörten selbst. Deshalb sind zB die durch gewaltbereite Gegendemonstranten gefährdeten Teilnehmer einer friedlichen Demonstration ebenso wenig Verhaltensverantwortliche wie die Betreiber gefährdeter Infrastruktureinrichtungen (Flughäfen, Kernkraftwerke etc); Ausnahmen bestehen bei gesetzlichen Eigensicherungspflichten (Rn 28). 594

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Kaum haltbar (und offensichtlich ergebnisorientiert) OVG NW NWVBl 2003, 320, 321: Wer gegen § 27 III 1 StVZO verstoße, hafte bzgl des von einem Dritten verkehrswidrig abgestellten Kfz als Zweckveranlasser; denn hätte sich der Veräußerer des Kfz von dem Dritten (Erwerber) Name und Anschrift geben lassen, hätte sich dieser nach der Lebenserfahrung vom verkehrswidrigen Abstellen des Kfz abhalten lassen. OVG Hamburg NJW 2000, 2600, 2601; HessVGH NJW 1999, 3650, 3652; SächsOVG NJW 1997, 2253, 2254. Falls die Veräußerung des Kfz gar nicht stattgefunden hat oder nichtig (zB wegen Sittenwidrigkeit) war, haftet der ehemalige Kfz-Halter als Zustandsverantwortlicher. – Zur Problematik der Dereliktion vgl Rn 153. VGH BW NVwZ 1996, 1036, 1037 → JK PolG BW § 6/1; VGH BW ZUR 2002, 227, 228; Trute DV 32 (1999) 73, 80. So aber OVG NW DVBl 1971, 828. Götz POR Rn 214.

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cc) Verhaltensverantwortlichkeit des Zweckveranlassers: Nimmt jemand eine – isoliert betrachtet – neutrale Handlung vor, die einen Dritten zur Gefährdung oder gar Störung der öffentlichen Sicherheit bzw Ordnung veranlasst, stellt sich die Frage, ob der „Hintermann“ als Zweckveranlasser gefahrenabwehrrechtlich verantwortlich gemacht werden kann. Ist dies auf Grund der Theorie der unmittelbaren Verursachung der Fall, ist der Zweckveranlasser als „Handlungsstörer“ zu qualifizieren. Die Anerkennung der Rechtsfigur der „Zweckveranlassung“ ist nicht unproblematisch. Der Zweckveranlasser verhält sich selbst rechtmäßig und führt – äußerlich gesehen – durch sein Verhalten keine Gefährdung bzw Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung herbei. Unmittelbare Ursache für den Eintritt des polizeibzw ordnungsrechtswidrigen Ergebnisses ist das eigenverantwortliche Verhalten des Dritten. Deshalb wird die Figur des Zweckveranlassers vielfach abgelehnt; 600 der Betreffende könne als bloßer Veranlasser der Gefahr allenfalls im Wege der Notstandspflicht in Anspruch genommen werden.601 Die hM hält jene Rechtsfigur indes für unverzichtbar und auch vereinbar mit der Theorie der unmittelbaren Verursachung.602 In der Tat liefert die Lebenswirklichkeit Beispiele, in denen der „Hintermann“ durch sein Verhalten den Eintritt einer Gefahrenlage herausfordert, indem er eine Situation schafft, in der sich der Dritte dazu entschließt, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden (vgl Rn 141). Die Verhaltensverantwortlichkeit durch Zweckveranlassung führt damit zu 139 einem Wertungsproblem, dessen Bewältigung entscheidend von den normativen Zurechnungskriterien abhängt.603 Abgrenzungsfragen stellen sich dabei nicht nur auf der Ebene zwischen „eigentlichem“ Störer/Zweckveranlasser/Veranlasser, sondern auch zur Figur des „Nichtstörers“. Je breiter die Zweckveranlassung Anwendung findet, desto stärker wird der polizeiliche Notstand mit der Folge zurückgedrängt, dass den dafür zu erfüllenden strengen Voraussetzungen (vgl Rn 180 ff) ausgewichen wird. Uneinigkeit besteht über die Zurechnungskriterien für die Zweckveranlassung. 140 Nach der subjektiven Theorie ist die Intention des „Hintermannes“ entscheidend (Wissen und Wollen der Überschreitung der Gefahrenschwelle durch den Dritten, mindestens billigendes Inkaufnehmen).604 Die objektive Theorie stellt auf den aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten erkennbaren Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang ab (Eintritt der Gefahrensituation als typische Folge der Veranlassung).605 138

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Erbel JuS 1985, 257, 261 ff; Rühl NVwZ 1988, 577 f; Muckel DÖV 1998, 18 ff; Pieroth/ Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 29; krit auch Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 68; Gusy PolR Rn 336. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 31. HessVGH NVwZ 1992, 1111, 1113; Schmelz BayVBl 2001, 550, 551; Götz POR Rn 205; Schenke POR Rn 244; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 209; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 448. Trute DV 32 (1999) 73, 81. VGH BW DVBl 1987, 151; DÖV 1990, 346; BayVGH DVBl 1979, 737, 738; VG Minden NVwZ 1988, 663, 665; Selmer JuS 1992, 97, 99 f; Knemeyer POR Rn 328. NdsOVG NVwZ 1988, 638, 639; OVG NW NWVBl 2003, 320, 321; Götz POR Rn 202; Möller/Wilhelm Allg POR Rn 133; Tettinger/Erbguth BesVwR Rn 497.

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Eine dritte Auffassung favorisiert die Verknüpfung von subjektiver und objektiver Theorie. Im Interesse einer wirksamen Gefahrenabwehr sei als Zweckveranlasser anzusehen, wer eine Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung herbeiführe, indem er den Erfolg subjektiv bezwecke oder dieser sich als Folge seines Verhaltens zwangsläufig einstelle.606 Wenn das Verhalten des Zweckveranlassers und der durch das Verhalten des Dritten eintretende Erfolg eine natürliche Einheit bildeten, sei es gerechtfertigt, dem Zweckveranlasser das Verhalten des Dritten zuzurechnen; zu berücksichtigen sei allerdings, ob der Betreffende von einer rechtlichen Befugnis Gebrauch mache.607 Vereinbar mit dem auf objektive Umstände abstellenden Polizei- und Ordnungs- 141 recht ist nur die objektive Theorie.608 Zudem muss von der Bejahung einer Zweckveranlassung mit Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden, soll die Theorie der unmittelbaren Verursachung (Rn 128) nicht konterkariert werden. Die Beispiele der Praxis bestätigen diesen Ansatz. Im Rahmen polizeilicher Maßnahmen gegen die illegale Prostitution 609 wurde die Überlassung von Zimmern an Prostituierte zur Ausübung der Prostitution im Geltungsbereich einer Sperrgebietsverordnung als Zweckveranlassung gewertet,610 während der Zimmervermietung an Ausländerinnen, die – der Prostitution nachgehend – keine Erlaubnis zur selbständigen Erwerbstätigkeit hatten, die Zwangsläufigkeit zwischen „Verhalten“ und „Erfolg“ abgesprochen wurde.611 Anders dagegen lag der Fall der Vermietung von Räumen zum Zweck der Prostitutionsausübung, nachdem der Vermieter trotz wiederholter Verwarnungen durch die Vermietung an Ausländerinnen ohne Aufenthaltsgenehmigung mehrfach gegen das Ausländerrecht verstoßen hatte.612 Der Veräußerer eines Fahrzeugs, der seiner Pflicht gem § 27 III 1 StVZO zuwiderhandelte, wurde – zu Unrecht (vgl auch Rn 135) – als Zweckveranlasser angesehen, nachdem das Fahrzeug später verkehrswirdrig im öffentlichen Straßenraum abgestellt worden war.613 Der Veranstalter von Großereignissen (zB Konzerte, Sportveranstaltungen, Demonstrationen) ist nicht Zweckveranlasser bzgl evtl Ausschreitungen, wenn er sich im Einklang mit der Rechtsordnung verhält und von seinen Rechten (zB Art 8 I, 12 I GG) Gebrauch macht.614 Speziell im Versammlungsrecht verlangt die Rspr für den Einsatz der Rechtsfigur des Zweckveranlassers im Zusammenhang mit gewalt606

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VGH BW DVBl 1996, 564 → JK Pol u OrdR Zweckveranlasser/2; VGH BW ZUR 2002, 227, 230; Schenke POR Rn 245; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 448. VGH BW DVBl 1996, 564, 565 → JK Pol u OrdR Zweckveranlasser/2. AA Schenke POR Rn 245, der nicht nur für eine Verknüpfung von subjektiver und objektiver Theorie eintritt, sondern weitergehend sogar noch sonstige „Gesichtspunkte“ heranziehen will. Zum „Freier“ als Zweckveranlasser Schneider/Kensbock VBlBW 1999, 168 ff. HessVGH NVwZ 1992, 1111. VGH BW DVBl 1996, 564 → JK Pol u OrdR Zweckveranlasser/2; vgl auch Zeitler VBlBW 1996, 44 ff. NdsOVG NVwZ-RR 1997, 622: nicht nur Zweckveranlasser, sondern „normaler“ Handlungsstörer. OVG NW NWVBl 2003, 320, 321; abl dazu Tettinger/Erbguth BesVwR Rn 497 Fn 10. Schenke POR Rn 246; Tettinger/Erbguth BesVwR Rn 499; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 449; aA Lege VerwArch 89 (1998) 71, 81 ff; Götz POR Rn 207.

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2. Kap II 2 d dd

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samen Gegendemonstranten, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der vom Veranstalter angegebene Zweck der Versammlung nur Vorwand und die Provokation von Gegengewalt das eigentliche vom Veranstalter „objektiv“ oder gar „subjektiv“ bezweckte Vorhaben ist.615 Es genügt danach nicht die auf allgemeinen Erwägungen beruhende Schlussfolgerung, es sei evident, dass eine Provokation von Gewalttätigkeiten bezweckt sei; ein solcher Schluss muss auf nachweisbare Tatsachen gestützt sein.616 Im Baurecht wird die Zweckveranlassung durch einen Bebauungsplan für den Gefahrenzustand an Gebäuden auch im Falle einer Altlast verneint, weil es am engen inneren Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang fehle; der Bauherr trage die Verantwortlichkeit.617 Im Abfallrecht wird die Vermietung eines Grundstücks zur risikobehafteten Nutzung durch den Dritten nicht als Zweckveranlassung eingestuft; 618 in der Tat fehlt die Zwangsläufigkeit einer Realisierung des Risikos durch das Nutzungsverhalten des Dritten. Im Gaststättenrecht wird der Betreiber einer Gaststätte grds für das Fehlverhalten seiner Gäste (zB Lärm, Rauschgifthandel und -konsum) – zT sogar über eine „echte“ Zweckveranlassung hinausgehend – verantwortlich gemacht, soweit ein Zusammenhang mit dem Betrieb der Gaststätte besteht.619 dd) Zusatzverantwortlichkeit: Das Polizei- und Ordnungsrecht statuiert neben 142 der Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten zusätzlich eine Verantwortlichkeit für das Verhalten Dritter. Diese Zusatzverantwortlichkeit tritt kumulativ neben die Verantwortlichkeit der anderen Person. Die Zusatzverantwortlichkeit trifft bei Kindern (unter 14 bzw 16 Jahren) den Aufsichtspflichtigen, bei betreuten Personen den Betreuer.620 Bei Verrichtungsgehilfen besteht die Zusatzverantwortlichkeit des Geschäftsherrn (ohne Exkulpationsmöglichkeit), wenn der Verrichtungsgehilfe eine Gefahr in Ausübung der Verrichtung verursacht.621 Danach kann zB eine polizeirechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für gefahrverursachendes Verhalten seiner Arbeitnehmer gegeben sein.622 Fehlt es an der Weisungsabhängigkeit des 615

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BVerfG (K) NVwZ 2000, 1406, 1407 → JK GG Art 8/12; VGH BW VBlBW 2002, 383, 384. SächsOVG SächsVBl 2005, 48. OVG NW NVwZ 1997, 804, 805. VGH BW Urt v 30. 7. 2002 (10 S 2153/01). BVerwGE 101, 157, 165 f; BVerwG GewArch 2003, 300; VGH BW GewArch 1992, 441 und 444, 445; GewArch 2001, 435; NVwZ-RR 2003, 745, 750; BayVGH NJW 1983, 409; HessVGH NVwZ-RR 1990, 406; OVG NW NVwZ-RR 1992, 614, 615; NVwZ-RR 1995, 27; aA OVG Berlin GewArch 1981, 65, 66. § 6 II PolG BW; Art 7 II BayPAG, Art 9 I 2, 3 BayLStVG; § 13 II ASOG Bln; § 5 II BbgPolG, § 16 II BbgOBG; § 5 II BremPolG; § 8 II HbgSOG; § 6 II HessSOG; § 69 II SOG MV; § 6 II NdsSOG; § 4 II PolG NW, § 17 II OBG NW; § 4 II POG RP; § 4 II SaarlPolG; § 4 II SächsPolG; § 7 II SOG LSA; § 218 II LVwG SH; § 7 II ThürPAG, § 10 II ThürOBG; § 17 II BPolG. § 6 III PolG BW; Art 7 III BayPAG, Art 9 I 4 BayLStVG; § 13 III ASOG Bln; § 5 III BbgPolG, § 16 III BbgOBG; § 5 III BremPolG; § 8 III HbgSOG; § 6 III HessSOG; § 69 III SOG MV; § 6 III NdsSOG; § 4 III PolG NW, § 17 III OBG NW; § 4 III POG RP; § 4 III SaarlPolG; § 4 III SächsPolG; § 7 III SOG LSA; § 218 III LVwG SH; § 7 III ThürPAG, § 10 III ThürOBG; § 17 III BPolG. HessVGH UPR 1995, 198.

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Handelnden, ist dieser kein Verrichtungsgehilfe, die Zusatzverantwortlichkeit scheidet aus.623 e) Zustandsverantwortlichkeit Die Zustandsverantwortlichkeit greift ein, wenn eine Gefahr vom Zustand einer 143 Sache (oder vom Verhalten eines Tieres) ausgeht. Die gesetzlichen Bestimmungen dazu variieren im Wortlaut, stimmen in der Sache aber überein. Die in Anlehnung an § 5 MEPolG formulierten Vorschriften bezeichnen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt als primären Adressaten von Gefahrenabwehrmaßnahmen, wenn die Gefahr von einer Sache ausgeht; Maßnahmen können aber auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden, falls nicht der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers (Berechtigten) ausübt.624 Traditionell gefasste Bestimmungen erklären zunächst den Eigentümer und dann den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu Adressaten von Gefahrenabwehrmaßnahmen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch den Zustand einer Sache (bzw das Verhalten eines Tieres) bedroht oder gestört wird.625 aa) Legitimität der Zustandsverantwortlichkeit: Die Zustandsverantwortlich- 144 keit findet in der durch die Sachherrschaft vermittelten Einwirkungsmöglichkeit auf die gefahrverursachende Sache ihren legitimierenden Grund.626 Diese seit jeher anerkannte Rechtfertigung der Zustandsverantwortlichkeit ist vom BVerfG um die Überlegung ergänzt worden, der Eigentümer könne überdies aus der Sache Nutzen ziehen; auch dies rechtfertige es, ihn zur Beseitigung von Gefahren, die von der Sache für die Allgemeinheit ausgingen, zu verpflichten.627 Tragend ist die Erwägung zur rechtlichen und tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache; 628 wer die Sachherrschaft inne hat, kann (und muss) dafür sorgen, dass andere Personen nicht durch ihren gefährlichen Zustand gestört oder gar geschädigt werden.629 Beim Eigentümer kommt die Verknüpfung von Vorteilen aus der Privatnützigkeit des Eigentums (Art 14 I 1 GG) und Lasten aus seiner Sozialpflichtigkeit (Art 14 II GG) hinzu; insoweit geht es bei der Bemessung des Umfangs der Zustandsverantwort-

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VGH BW VBlBW 1996, 221, 223. Art 8 I u II BayPAG, Art 9 II 1 u 2 BayLStVG; § 14 I u III ASOG Bln; § 6 I u II BbgPolG; § 6 I u II BremPolG; § 7 I u II HessSOG; § 7 I u II NdsSOG; § 5 I u II PolG NW; § 5 I u II POG RP; § 5 I u II SaarlPolG; § 8 I u II SOG LSA; § 8 I u II ThürPAG, § 11 I u II ThürOBG; § 18 I u II BPolG. § 7 PolG BW; § 17 I u II BbgOBG; § 9 I 1 u 3, II HbgSOG; § 70 I u II SOG MV; § 18 I u II OBG NW; § 5 SächsPolG; § 219 I u II LVwG SH. OVG Hamburg NJW 1992, 1909; OVG NW NWVBl 1998, 64, 65; NJW 2000, 2124, 2125; Bickel NVwZ 2004, 1210, 1211; Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 224 ff, 300, 319; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 202. BVerfGE 102, 1, 17 → JK Pol u OrdR Störer/10 (11); idS bereits BVerwG DVBl 1986, 360, 361 und DÖV 1991, 428; ferner VGH BW VBlBW 2002, 161; zustimmend Vöneky DÖV 2003, 400, 403 f; abl Hösch VBlBW 2004, 7, 8 f; Bickel NVwZ 2004, 1210, 1211. OLG Dresden SächsVBl 2003, VG Berlin NJW 2000, 603, 604: Herrschaftswille über die störende Sache nicht erforderlich. BVerwG DVBl 1986, 360, 361; OVG NW DVBl 1997, 570.

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lichkeit (Rn 148 ff) um die angemessene Risikoverteilung zwischen Eigentümer und Allgemeinheit.630 Grundrechtsdogmatisch kann die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers 145 (iSd Art 14 GG) als Beeinträchtigung der Eigentümerfreiheit (Art 14 I 1 GG) qualifiziert werden.631 Diese Beeinträchtigung ist jedoch Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums und daher durch Art 14 II GG materiell gerechtfertigt; dogmatisch stellen die Vorschriften zur Zustandsverantwortlichkeit im Polizei- und Ordnungsrecht Inhalts- und Schrankenbestimmungen iSd Art 14 I 2 GG dar.632 bb) Entstehung der Zustandsverantwortlichkeit: Rechtskonstruktiv wird die 146 Zustandsverantwortlichkeit dadurch ausgelöst, dass von einer Sache eine Gefahr „ausgeht“ bzw ein Schutzgut „durch“ den Zustand einer Sache „bedroht wird“. Folglich geht es auch bei der Zustandsverantwortlichkeit nach geltendem Recht um die Erfassung eines Zurechnungszusammenhangs (vgl bereits Rn 118 f) zwischen der Gefahrenquelle und dem Einstehenmüssen für die Gefahrenlage.633 Insoweit besteht weithin Übereinstimmung darüber, dass die Gefahrenlage entweder in der Beschaffenheit der Sache selbst wurzeln kann oder sich aus ihrer Lage im Raum ergibt. Die Sache als solche bildet unmittelbar die Gefahrenquelle, wenn diese (wie zB beim kontaminierten Grundstück) ihren Sitz in der Sache selbst (zB im Grundstück) hat.634 Ein Gegenbeispiel bildet das Brückenbauwerk, in dem sich Tauben einnisten; die Gefahr, die von dem Taubenkot ausgeht, steht nicht unmittelbar mit dem Zustand des Brückenbauwerks ursächlich in Verbindung, so dass der Eigentümer der Brücke nicht als Zustandsverantwortlicher herangezogen werden kann.635 Klassisches Beispiel für einen Gefahrenzustand durch die Lage einer Sache im Raum ist das verkehrswidrig abgestellte Fahrzeug.636 Die Zustandsverantwortlichkeit tritt unabhängig von einem Verschulden des Be147 troffenen ein. Es ist unerheblich, worauf die Gefahrenlage basiert. Infolgedessen kommt es nicht darauf an, ob der polizei- bzw ordnungswidrige Zustand der Sache durch den Eigentümer selbst oder durch Dritte oder durch höhere Gewalt (zB Naturereignisse) verursacht worden ist; 637 unbeachtlich ist auch, ob der Eigentümer bzw Inhaber der tatsächlichen Gewalt in der Lage gewesen ist, den Gefahreneintritt abzuwenden. Rechtsbegründend für die Zustandsverantwortlichkeit ist allein der objektive Umstand, dass eine Gefahrensituation eingetreten ist.638 630 631 632

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OVG Bremen DVBl 1989, 1089. BVerfGE 102, 1, 14 f → JK Pol u OrdR Störer/10 (11). BVerwG NVwZ 1997, 577, 578 und NJW 1999, 231; OVG RP DVBl 1998, 103 → JK Pol u OrdR Störer/10. – Lepsius (JZ 2001, 22, 24) meint, auf die Verankerung (auch) in Art 14 II GG könne verzichtet werden. OVG NW NJW 2000, 2124, 2125 f; NWVBl 2005, 177, 178; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 96. – Überzogen Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 224 ff, sowie ders JZ 2001, 22 mit der These, die Zustandsverantwortlichkeit habe mit „Verursachung“ nichts zu tun. OVG NW NWVBl 1998, 64, 65; NJW 2000, 2124, 2126. OVG NW NWVBl 2005, 177, 178 → JK OBG NW § 18 I/1. VGH BW VBlBW 1990, 257, 260; HessVGH NVwZ 1988, 655. BVerwG NJW 1999, 231; OVG RP DVBl 1998, 103 → JK Pol u OrdR Störer/10. OVG NW NWVBl 1998, 64, 65.

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cc) Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit: Auf Grund der mit Art 14 I, II GG 148 in Einklang stehenden Gesetzeslage zur „objektiven Zustandshaftung“ hatte die hM – trotz anhaltender verfassungsrechtlicher Kritik (Unvereinbarkeit der „Opferposition“ mit Art 14 I 1 GG, Übermaßverbot) 639 – eine dem Grunde nach unbegrenzte Zustandsverantwortlichkeit bejaht.640 Danach soll kein Risiko von vornherein aus der Zustandsverantwortlichkeit ausgegliedert und der Allgemeinheit überbürdet werden. Allenfalls bei einer die Privatnützigkeit des Eigentums zunichte machenden Kostenbelastung des Zustandsverantwortlichen sollte eine Begrenzung der „Haftung“ in Betracht kommen können.641 Die Problemlösung sollte allerdings im Rahmen der Ermessensbetätigung zum Vorgehen gegen den Verantwortlichen gefunden werden.642 Das BVerfG ist dieser Auffassung in einem Fall zur Altlastensanierung entgegen 149 getreten. Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Zustandsverantwortlichkeit seien die Eigentumsgarantie und das Übermaßverbot zu beachten. Folgende „Gesichtspunkte“ seien maßgeblich: (1) Verkehrswert eines Grundstücks als Grenze von Belastungen bei (a) Gefahren aus Naturereignissen, (b) der Allgemeinheit zuzurechnenden Ursachen, (c) Gefahrverursachung durch nicht nutzungsberechtigte Dritte und (d) wenn das (zu sanierende) Grundstück den wesentlichen Teil des Vermögens des Pflichtigen bilde; (2) zumutbare Kostenbelastung auch bei Überschreitung des Verkehrswerts des Grundstücks dagegen bei freiwillig übernommenem Risiko (zB Kenntnis von Altlasten oder fahrlässige Unkenntnis).643 Damit sieht sich das klare Konzept zur Zustandsverantwortlichkeit im Polizeiund Ordnungsrecht „aufgelöst“.644 Die „Gesichtspunkte“ des BVerfG verweisen auf behördliche Zumutbarkeitsüberlegungen und Abwägungen im Einzelfall. Das Grundeigentum wird möglicherweise gegenüber dem Fahrniseigentum privilegiert. Welche Konsequenzen sich für die spezialgesetzliche Zustandsverantwortlichkeit nach § 4 BBodSchG ergeben, ist unklar.645 Offen ist auch, ob nur Grundstückseigentümer in den Genuss der verfassungsgerichtlichen Privilegierungen kommen 639

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Friauf FS Wacke, 1972, 293, 300 ff; Schwerdtner NVwZ 1992, 141 ff; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 106 f; zusammenfassend Frenz VerwArch 90 (1999) 208 ff; Papier FS Maurer, 2001, 255 ff. BVerwG DÖV 1991, 428; NVwZ 1997, 577, 578; VGH BW NVwZ-RR 1996, 13; VBlBW 1998, 312; Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 320; Götz POR Rn 220; Gusy PolR Rn 354; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 70 ff; Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 283. BVerwG DÖV 1991, 428; ferner OVG NW NWVBl 1998, 64, 65: Grenzziehung bei „ruinöser Inanspruchnahme“. BayVGH DVBl 1986, 1283, 1285; BayVBl 1996, 437, 438; BayVBl 1997, 502; Oerder NVwZ 1992, 1031, 1036. BVerfGE 102, 1, 20 ff → JK Pol u OrdR Störer/10 (11); erläuternd Klüppel Jura 2001, 26 ff. Vgl zur Kritik Bickel NJW 2000, 2562 f; Lepsius JZ 2001, 22, 24 ff; aus der Rspr des BVerfG erhebliche Restriktionen ableitend Hösch VBlBW 2004, 7, 12 f; differenzierend Huber/Unger VerwArch 96 (2005) 139 ff. Vgl etwa Müggenborg NVwZ 2001, 39 ff; Friedrich/von Oppen ZUR 2002, 257 ff; zu Tendenzen in der Rspr vgl Ginzky DVBl 2003, 169 ff; Mohr NVwZ 2003, 686, 688 rät angesichts der Ungewissheiten im Einzelfall zu vertraglichen Regelungen des Zustandsverantwortlichen mit der Behörde; ebenso Numberger NVwZ 2005, 529, 531.

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(sollen) oder ob die Zustandshaftung aller Zustandsverantwortlichen (insb Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft) zu begrenzen ist. Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit können sich aus der Legalisierungswir150 kung von Genehmigungen ergeben; dazu gelten dieselben Grundsätze wie bei der Verhaltensverantwortlichkeit (Rn 130). Beschränkungen der „Haftung“ nach Maßgabe von Verjährung, Verwirkung und Verzicht sind im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht grds nicht anerkannt.646 Zum Bodenschutzrecht gibt es gegenläufige Überlegungen.647 dd) Zustandsverantwortliche Rechtssubjekte: Die Zustandsverantwortlichkeit 151 trifft primär den Inhaber der tatsächlichen Gewalt (der freilich mit dem Eigentümer identisch sein kann). Es handelt sich dabei um einen eigenständigen Begriff des Polizei- und Ordnungsrechts; auf zivilrechtliche Berechtigungen (zB §§ 855 ff BGB) kommt es nicht an. Das Gefahrenabwehrrecht stellt auf die rein tatsächliche Sachherrschaftsbeziehung ab.648 Daher kann auch der unrechtmäßige Inhaber der Sachherrschaft (zB Dieb) Zustandsverantwortlicher sein.649 Die Anknüpfung an die tatsächliche Sachherrschaft hat den Vorzug, dass es keiner (evtl langwierigen) Klärung der Eigentumsverhältnisse bedarf.650 In der Praxis ist die tatsächliche Sachherrschaft von Bedeutung insb bei der Zustandsverantwortlichkeit für verkehrswidrig abgestellte Fahrzeuge. Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist idR der – mit dem Fahrer nicht notwendigerweise identische – Halter des Fahrzeugs.651 Anderes gilt nur, wenn der Halter wirklich keine Einflussmöglichkeit auf das Fahrzeug hatte.652 Als Zustandsverantwortlicher kommt selbstverständlich auch der Fahrer in Betracht.653 Die Zustandsverantwortlichkeit kraft tatsächlicher Sachherrschaft endet mit der Aufgabe der tatsächlichen Gewalt.654 Entfällt mit der Veräußerung eines Kfz die Halter-Eigenschaft, besteht – unabhängig von einem Verstoß gegen § 27 III StVZO 646

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Dazu VGH BW UPR 1996, 239 f; NVwZ-RR 2000, 589, 591; Trute DV 32 (1999) 73, 82 f; Gusy PolR Rn 358; differenzierend Ossenbühl NVwZ 1995, 547 ff; für Verjährung nach 30 Jahren auf der Kostenebene (bei fortbestehender behördlicher Eingriffsbefugnis) Martensen NVwZ 1997, 442 ff. Trurnit NVwZ 2001, 1126 ff. SächsOVG NJW 1997, 2253, 2254; Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 306. Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 329; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 99. – Überzogen daher die These von Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 255, die „tatsächliche Sachherrschaft“ müsse durch Art 14 GG genauso geschützt sein wie das BGB-Eigentum und sonstige Berechtigungen (aaO S 295 wird sogar auf den Fall des Diebstahls verwiesen). Sehr weit gehend VGH BW NVwZ-RR 1998, 165: tatsächliche Sachherrschaft (über importierte Sonderabfälle) trotz behördlicher Beschlagnahme. VGH BW VBlBW 1990, 257, 259 f; DÖV 1996, 84, 86; HessVGH NVwZ 1988, 655; OVG RP DÖV 1986, 483. Dann dürfte idR ein Fall der Ausübung von Sachherrschaft gegen den Willen des Eigentümers (Rn 154) vorliegen; abl dazu OVG Hamburg DÖV 1992, 269; bestätigt von BVerwG NJW 1992, 1908. VGH BW DÖV 1991, 163, 164; DVBl 1991, 1370. VGH BW DVBl 1990, 1046.

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(Rn 135) – idR keine Sachherrschaft mehr, diese kann auch nicht (wegen des Rechtsverstoßes) fingiert werden.655 Soweit die Zustandsverantwortlichkeit an das Eigentum anknüpft, sind die zivil- 152 rechtlichen Eigentumsverhältnisse maßgebend. Der gefahrenabwehrrechtliche Eigentumsbegriff stimmt mit dem zivilrechtlichen Eigentumsbegriff überein.656 Deshalb kann der Erbbauberechtigte nur als „anderer Berechtigter“, nicht jedoch als Eigentümer Zustandsverantwortlicher sein.657 Ist ein Kfz unter Eigentumsvorbehalt verkauft worden und wurde die letzte Rate bezahlt, ist der Veräußerer nicht mehr Eigentümer und daher auch nicht Zustandsverantwortlicher für das verkehrswidrig abgestellte Kfz.658 Bei der Grundstücksveräußerung endet die Zustandshaftung des bisherigen Eigentümers erst mit der Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch.659 Bei mehreren Miteigentümern kann das zivilrechtliche Vollstreckungshindernis durch eine Duldungsverfügung ausgeräumt werden (Rn 106). Mit der Beendigung des Eigentums endet die Zustandsverantwortlichkeit des 153 Eigentümers. Das ist idR gefahrenabwehrrechtlich unproblematisch, weil im Falle der Übereignung ein neuer Zustandsverantwortlicher für die Sache vorhanden ist. Bisweilen wird versucht, durch „Flucht aus dem Eigentum“ (zB Eigentumsübertragung an vermögenslose Dritte oder an ausländische Firmen) die Zustandsverantwortlichkeit „abzustreifen“.660 Die Veräußerung eines Altlastengrundstücks an eine mittellose ausländische Kapitalgesellschaft wurde als sittenwidrig (§ 138 BGB) eingestuft, da die Vertragsparteien die Sanierungslast gezielt auf die öffentliche Hand abwälzen wollten.661 Die Eigentumsbeendigung durch Dereliktion ist in den meisten Ländern gesetzlich geregelt. Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache (oder einem herrenlosen Tier) aus, können Gefahrenabwehrmaßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache (oder dem Tier) aufgegeben hat.662 Der frühere Eigentümer soll die mit dem Eigentum verbundenen Belastungen nicht einfach durch Dereliktion auf die Allgemeinheit abwälzen können.663 Fehlt es an einer derartigen Regelung im Landesrecht, endet die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers mit der Dereliktion. Wegen der unzweideutigen Verknüpfung der „Eigentümerhaftung“ im Gefahrenabwehrrecht mit der Eigentümerstellung im Zivilrecht sowie wegen der Grundrechtsrelevanz (Art 14 I GG, Rn 145) der Zustandsverantwortlichkeit besteht ohne entsprechende gesetzliche Grundlage keine „nachwir655 656

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SächsOVG NJW 1997, 2253, 2254. VGH BW NVwZ-RR 1997, 267, 268; SächsOVG NJW 1997, 2253, 2254; ausf Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 292 ff. VGH BW NJW 1998, 624. HessVGH NJW 1999, 3650, 3651. VGH BW NVwZ-RR 1997, 267, 268. Dazu Guldi BWVP 1996, 10 ff; Knopp DVBl 1999, 1010 ff. VGH BW VBlBW 1998, 312; bestätigend BVerfG (K) NVwZ 2001, 65, 66. Art 8 III BayPAG; § 14 IV ASOG Bln; § 6 III BbgPolG, § 17 III BbgOBG; § 6 III BremPolG; § 9 I 2 HbgSOG; § 7 III HessSOG; § 70 III SOG MV; § 7 III NdsSOG; § 5 III PolG NW, § 18 III OBG NW; § 5 III POG RP; § 5 III SaarlPolG; § 8 III SOG LSA; § 219 III LVwG SH; § 8 III ThürPAG, § 11 III ThürOBG. – Ebenso § 18 III BPolG; § 4 III 4 BBodSchG. BVerwG DVBl 2004, 1564, 1567.

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kende Zustandshaftung“.664 Ist die Dereliktion allerdings sittenwidrig, weil sie sich zB in dem Zweck der Abwälzung von Entsorgungskosten auf die Allgemeinheit erschöpft, entfällt die Zustandshaftung des Derelinquenten nicht.665 Die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers entfällt, wenn die tatsächliche 154 Gewalt über die Sache von einem Dritten ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausgeübt wird. Der Eigentümer kann dann nicht auf die Sache einwirken. Diese „Enthaftung“ kann indes ein Ende finden. So hat zB der Dieb eines gestohlenen Kfz die tatsächliche Gewalt ohne den Willen des Eigentümers ausgeübt; 666 gibt der Dieb seine Sachherrschaft auf, besteht wieder die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers.667 Im Fall der Insolvenz erlischt die Verantwortlichkeit des Schuldners mit der Inbe155 sitznahme der gefährlichen Sache durch den Insolvenzverwalter. Als Eigentümer ist der Schuldner nicht verantwortlich, weil der Insolvenzverwalter die tatsächliche Gewalt ohne oder gegen den Willen des Eigentümers ausübt.668 An der Gefahrenabwehraufgabe der Behörde ändert sich allerdings durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts.669 Die Primärpflicht der Gefahrbeseitigung trifft den Insolvenzverwalter. Ihm gegenüber kann die Verwaltung entsprechende Verfügungen erlassen. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine übergegangene Verpflichtung des Schuldners. Die Verantwortlichkeit knüpft vielmehr an den aktuellen (gefährlichen) Zustand der zur Masse gehörenden Sache an; für die von den Massegegenständen ausgehende Zustandsgefahr ist der Insolvenzverwalter als Inhaber der tatsächlichen Gewalt verantwortlich.670 Er hat die durch behördliche Anordnung konkretisierten Pflichten als Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) und nicht etwa nur als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) zu erfüllen.671 Einen Vorrang des Insolvenzrechts gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht gibt es nicht. Polizei- und ordnungsrechtlich zu beurteilende Fragen sind von insolvenzrechtlichen Fragestellungen streng zu trennen. Allein das Gefahrenabwehrrecht regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt und wer zur Gefahrenbeseitigung in Anspruch genommen werden darf. Im Insolvenzfall ist dies der Insolvenzverwalter als Inhaber der tatsächlichen Gewalt, die er mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens er664

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VGH BW DVBl 1990, 1046, 1047; NVwZ 1996, 1036, 1038 → JK PolG BW § 6/1; VGH BW NJW 1997, 3259; Trute DV 32 (1999) 73, 80; Pischel VBlBW 1999, 166 ff. – Zum Bodenschutzrecht Kohls Nachwirkende Zustandsverantwortlichkeit, 2002, 109 ff. BVerwG NJW 2003, 2255 → JK PolG BW §§ 6, 7/2. Setzt der Dieb das Kfz als „Waffe“ (zB gegen Polizeibeamte) ein, ist er Handlungsstörer, der Eigentümer des Kfz ist daneben nicht Zustandsstörer; OLG Dresden SächsVBl 2003, 173. HessVGH DÖV 1999, 916 → JK HSOG § 40/1; OVG RP DVBl 1989, 1011, 1012; VG Berlin NJW 2000, 603; Lepsius Besitz- und Sachherrschaft, 295f. Lepsius Besitz und Sachherrschaft, 333. Trute DV 32 (1999) 73, 85. BVerwGE 108, 269, 272; ähnlich (zum BImSchG) BVerwGE 107, 299, 301 f → JK BImSchG § 5 I/3; VG Potsdam NJW 2002, 3566, 3567. OVG MV DVBl 1998, 98, 101; NdsOVG NJW 1998, 398, 399; Ritgen GewArch 1998, 393, 396.

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wirbt.672 Im Rahmen der Zustandshaftung gibt es keinen Grund, den Eintritt der Insolvenz zur Wertsteigerung der Masse zu instrumentalisieren und die (Kosten der) Gefahrenabwehr auf die Allgemeinheit zu verlagern.673 Die Zustandshaftung des Insolvenzverwalters endet allerdings mit der Freigabe von Gegenständen aus der Insolvenzmasse; da die betreffenden Gegenstände aus der Masse ausscheiden, lebt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners wieder auf.674 Behördliche Kostenerstattungsansprüche wegen unmittelbarer Ausführung der Gefahrenabwehrmaßnahme oder Durchführung einer Ersatzvornahme (Rn 294) sind ebenfalls nicht nur Insolvenzforderungen, sondern wie Masseverbindlichkeiten (§ 55 I Nr 1 InsO) zu behandeln.675 Insoweit kann nichts anderes gelten als in Bezug auf die Primärpflicht. Denn es handelt sich um Kosten, die der Durchsetzung jener Pflicht dienten. ee) Latente Gefahr: Im Bereich der Zustandsverantwortlichkeit soll die „latente 156 Gefahr“ spezielle Zurechnungsprobleme lösen. Es geht nicht etwa um Anforderungen an die Gefahrprognose, sondern um einen konkreten Zustand, der als solcher nicht die Gefahrenschwelle überschreitet, aber bei Hinzutreten weiterer (externer) Umstände in eine akute Gefahrenlage umschlagen kann.676 Als Musterbeispiel hierfür gilt die im Außenbereich (§ 35 BauGB) betriebene Schweinemästerei, die als stark emittierender Betrieb gegenüber einer heranrückenden Wohnbebauung als „latenter Störer“ qualifiziert worden ist, dessen Betrieb untersagt werden dürfe.677 Der Begriff „latente Gefahr“ ist irreführend. Erfasst von dieser Rechtsfigur wer- 157 den allenfalls potentielle Gefahren(quellen). In der Sache geht es zudem nicht um Fragen der „Gefahr“, sondern der Verantwortlichkeit für einen Gefahrenzustand. Da idR (Boden-)Nutzungskonflikte zu bewältigen sind, ist das Polizei- und Ordnungsrecht nicht (mehr) das taugliche Rechtsregime für die Konfliktbewältigung. Im Bauplanungsrecht erfolgt die Konfliktlösung im Rahmen der planerischen Abwägung (§ 1 VII BauGB). Das Immissionsschutzrecht verbietet schädliche Umwelteinwirkungen auch bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (§§ 22, 3 BImSchG). In den Fällen der von einem Grundstück ausgehenden Felssturzgefahr mag von einer „latent vorhandenen Gefahr“ gesprochen werden,678 zur Begründung der Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers des Felsgeländes (Rn 146) trägt jene sprachliche Wendung nichts bei. Zu einem neuerlichen „Schweinemästerfall“ ist zutreffend erkannt worden, die Rechtsprechung zum „latenten Störer“ sei überholt.679 Sie ist in der Tat ein Muster nur noch von historischem Wert.

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BVerwG DVBl 2004, 1564, 1565 unter Zurückweisung der Kritik von BGHZ 148, 252, 260 und BGHZ 150, 305, 311; erläuternd zu der Kontroverse Kley DVBl 2005, 727 ff. Götz POR Rn 225 a. BVerwG DVBl 2004, 1564, 1566. BVerwGE 108, 269, 273f; OVG MV DVBl 1998, 98, 101; NdsOVG NJW 1998, 398, 399; Trute DV 32 (1999) 73, 86. Schmelz BayVBl 2001, 550, 553. OVG NW OVGE 11, 250; krit Götz POR Rn 236. OVG RP DVBl 1998, 103, 104 → JK Pol u OrdR Störer/10. VG Weimar ThürVBl 1999, 22, 23 f: gesetzliche Wertung des § 5 I 2 BauNVO für den in einem Dorfgebiet ansässigen Schweinemäster maßgeblich.

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ff) Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht: Bei der Anscheinsgefahr (Rn 92) und beim Gefahrverdacht (Rn 95) trifft die Zustandsverantwortlichkeit den Eigentümer bzw sonstigen Berechtigten der gefährlichen Sache bzw den Inhaber der tatsächlichen Gewalt.680 Ist eine reale Gefahr vorhanden und besteht die Ungewissheit in Bezug auf das Ausmaß der Gefahr (zB Umfang einer Boden- oder Gewässerverunreinigung), ist der potentiell Verantwortliche heranzuziehen.681 Im neuen Bodenschutzrecht ist zur Verantwortlichkeit bei Verdachtslagen eine spezielle Regelung getroffen worden (§ 9 II BBodSchG).682

f) Rechtsnachfolge in die Polizei- und Ordnungspflicht 159 Die Verantwortlichkeit im Falle der Rechtsnachfolge zählt zu den umstrittensten Fragen des Gefahrenabwehrrechts.683 Eine herausragende Bedeutung hat die Problematik seit jeher im Bauordnungsrecht.684 Typischerweise geht es darum, dass – vielfach nach einem langwierigen Verfahren – die Beseitigungsverfügung für einen „Schwarzbau“ bestandskräftig geworden ist und die Durchsetzung der Maßnahme deshalb hinfällig werden könnte, weil zivilrechtlich eine Rechtsnachfolge eintritt (zB Todes- und Erbfall, Veräußerung der gefährlichen Sache, Betriebsübergang). Nach dem Rechtsgefühl erscheint es nur schwer erträglich, dass die Verwaltung das Verfahren gegen den Rechtsnachfolger 685 soll von vorne beginnen müssen. Zweckmäßiger wäre es, wenn die zuständige Behörde das Verfahren im jeweils erreichten Stadium fortsetzen dürfte und zB den bestandskräftigen Verwaltungsakt gegen den Rechtsnachfolger vollstrecken könnte. Vermehrt diskutiert wird neuerdings aber auch die Rechtsnachfolge in die noch nicht durch Verfügung konkretisierte abstrakte Polizei- und Ordnungspflicht (Rn 162). Rechtsstaatlich einwandfreie Lösungen lassen sich finden, wo das Öffentliche 160 Recht die zivilrechtliche Rechtsnachfolge zum Anknüpfungspunkt für die gesetzliche Anordnung des Übergangs der gefahrenabwehrrechtlichen Verantwortlichkeit nimmt. Derartige bereichsspezifische Regelungen finden sich zB im Bauordnungs-

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VGH BW DVBl 1990, 1047, 1048; NVwZ 1991, 491, 492; NVwZ 1991, 493, 494; BayVGH BayVBl 1997, 87. OVG Hamburg NVwZ 2001, 215, 219 → JK Pol u OrdR Störer/12. Dazu VGH BW NVwZ 2002, 1260, 1261; BayVGH BayVBl 2003, 467; HessVGH DÖV 2005, 124. Vgl auch oben Rn 97. Umfassend Dietlein Nachfolge im Öffentlichen Recht, 1999, 51 ff. – Zusammenfassend Rau Jura 2000, 37 ff; Nolte/Niestedt JuS 2000, 1071 ff und 1172 ff; Zacharias JA 2001, 720 ff. Schoch BauR 1983, 532 ff; Schwarz BauR 1985, 497 ff; Guckelberger VerwArch 90 (1999) 499 ff. Gegen den Rechtsvorgänger kann im allg Gefahrenabwehrrecht nicht als Zustandsverantwortlichen eingeschritten werden; OVG NW NVwZ-RR 1997, 12, 13. – Anders ist die Rechtslage im Bodenschutzrecht gem § 4 VI BBodSchG; dazu Kahl DV 33 (2000) 29, 55 ff; Müggenborg NVwZ 2000, 50 ff; Kohls ZUR 2001, 183 ff; Grzeszick NVwZ 2001, 721 ff; Dombert NJW 2001, 927 ff; Schlemminger/Friedrich NJW 2002, 2133 ff; vgl auch Fallbearbeitung Kahl Jura 2004, 853, 856.

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recht einiger Länder,686 vereinzelt im Wasserrecht 687 und für die Gesamtrechtsnachfolge im Bodenschutzrecht.688 Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht fehlen entsprechende Tatbestände. Ein Teil der Rechtsprechung hat sich einem rigorosen Pragmatismus verschrie- 161 ben, der jede rechtsstaatliche Bindung ignoriert und richterlicher „Rechts“schöpfung freien Lauf lässt. Bei diesem Ausgangspunkt interessiert allein das für richtig befundene Ergebnis; dessen Herstellung wird nurmehr mit einem „dringenden praktischen Bedürfnis“ zu rechtfertigen versucht.689 Zu bestehen ist demgegenüber im Rechtsstaat (Rn 31) auf einer „unvoreingenommenen, nicht von einem möglicherweise erwünschten Ergebnis her denkenden Betrachtung“.690 aa) Abstrakte Polizei- und Ordnungspflicht: Eine Rechtsnachfolge in die ab- 162 strakte, dh noch nicht durch Verfügung konkretisierte Polizei- und Ordnungspflicht gibt es im geltenden Recht ohne entsprechende gesetzliche Grundlage (zB § 4 III 1 BBodSchG) nicht.691 Die Zustandsverantwortlichkeit ist ohnehin auf die Zeitspanne der Eigentümerstellung bzw sonstigen Berechtigung oder der Inhaberschaft der tatsächlichen Gewalt begrenzt (Rn 153 f) und entsteht beim neuen Eigentümer bzw sonstigen Berechtigten oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt originär, so dass Maßnahmen gegen diese Rechtssubjekte gerichtet werden können.692 Eine Rechtsnachfolge in die abstrakte Verhaltensverantwortlichkeit findet 163 grundsätzlich ebenfalls nicht statt.693 Für die Einzelrechtsnachfolge ergibt sich dies daraus, dass die im öffentlichen Interesse normierte gefahrenabwehrrechtliche Verantwortlichkeit nicht der rechtsgeschäftlichen Disposition Privater unterliegt.694 Bei der zivilrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge gilt nichts anderes. Die Verhaltensverantwortlichkeit ist als Kausalhaftung für persönliches Verhalten ausgeprägt (Rn 126). Schon dies macht die Rechtsnachfolge im Öffentlichen Recht zweifelhaft.695 686

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Art 60 II 3 BayBauO; § 53 V HessBauO; § 80 I 3 LBauO MV; § 89 II 3 NdsBauO; § 81 S 3 LBO RP; § 57 V SaarlLBO; § 58 III SächsBauO; § 60 IV ThürBauO. Art 68a I 2 BayWG; dazu BayVGH BayVBl 1997, 87; NVwZ-RR 2004, 648. Dazu von Mutius/Nolte DÖV 2000, 1 ff; Kahl DV 33 (2000) 29, 39 ff; Trurnit VBlBW 2000, 261 ff. Exemplarisch OVG Hamburg NVwZ-RR 1997, 11, 12 → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/5; HessVGH NVwZ 1998, 1315, 1316 → JK BImSchG § 22 II/2; ohne Begründung OVG NW BauR 2003, 1877, 1878. – Ebenso für die durch VA konkretisierte Verantwortlichkeit Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 56. So (erfreulich deutlich) BayVGH NVwZ-RR 2004, 648. VGH BW NVwZ-RR 2002, 16 u 2003, 103, 106. BayVGH NVwZ 1986, 942, 946; Schink VerwArch 82 (1991) 357, 384; Schlabach/Simon NVwZ 1992, 143, 144; Rau Jura 2000, 37, 40; Götz POR Rn 247; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 50, 58; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 456; aA Stadie DVBl 1990, 501, 505. VGH BW NVwZ-RR 1999, 167, 168; NVwZ-RR 2002, 16; Papier DVBl 1996, 125, 127 f; Rau Jura 2000, 37, 43; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 110; Schenke POR Rn 296; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 61; Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683) 88 ff; auch Götz POR Rn 248 (mit Ausnahme der in § 1 UmwG aufgelisteten Fallgestaltungen). BVerwG DVBl 2001, 1287, 1288; VGH BW NVwZ-RR 1996, 387, 389 → JK AbfG BW § 22 IV/1; OVG NW DVBl 1997, 570; Trute DV 32 (1999) 73, 82. Papier DVBl 1985, 873, 878 f und DVBl 1996, 125, 127 f.

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Die Gesamtrechtsnachfolge in die abstrakte Polizei- und Ordnungspflicht kann auch nicht mit der Erwägung bejaht werden, die Verhaltensverantwortlichkeit sei eine bereits bestehende, durch Verwaltungsakt nur noch zu konkretisierende Rechtspflicht, so dass der zivilrechtliche Rechtsnachfolger in alle Pflichten seines Vorgängers eintrete.696 Die abstrakte (also: gesetzliche) Verhaltensverantwortlichkeit ist rechtlich keine nachfolgefähige Rechtspflicht, sondern vermittelt der zuständigen Behörde iVm der entsprechenden Befugnisnorm lediglich eine Eingriffsermächtigung, deren Konkretisierung nicht etwa in einen feststellenden Verwaltungsakt mündet, sondern eine Verfügung nach pflichtgemäßer Ermessensausübung hervorbringt.697 Der Pflichteninhalt wird erst durch die Verfügung mit der notwendigen Bestimmtheit (§ 37 I VwVfG) konstitutiv festgelegt. bb) Konkretisierte Polizei- und Ordnungspflicht: Kann sich die Problematik der 164 Rechtsnachfolge im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht somit de iure nur im Falle einer durch Verwaltungsakt konkretisierten Verantwortlichkeit stellen, müssen bestehende gesetzliche Voraussetzungen und (verfassungs)rechtliche Bindungen beachtet werden: (1) Zivilrechtlich muss im Rechtssinne überhaupt ein Fall der Rechtsnachfolge 698 vorliegen; 699 trifft dies nicht zu,700 stellt sich die Rechtsnachfolgeproblematik im Öffentlichen Recht nicht. Ist zivilrechtlich eine Rechtsnachfolge eingetreten, muss die durch Verwaltungsakt konkretisierte Verantwortlichkeit (2) eine nachfolgefähige Rechtspflicht darstellen und (3) auf Grund eines Nachfolgetatbestandes (Rechtsgrundes) dem Rechtsnachfolger auferlegt werden.701 Die Übergangsfähigkeit der verwaltungsrechtlichen Pflicht ist idR unproblematisch, da Verfügungen im Gefahrenabwehrrecht auf vertretbare Handlungen gerichtet sind. 696

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So aber OVG NW UPR 1984, 279, 280; NdsOVG NJW 1998, 97, 98 → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/6; OVG SH DVBl 2000, 1877, 1878; Stadie DVBl 1990, 501, 505; Schink VerwArch 82 (1991) 357, 386f; Schlabach/Simon NVwZ 1992, 143, 145; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 456. Papier NVwZ 1986, 256, 262, Rau Jura 2000, 37, 44; Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683) 92. Für den praktisch bedeutsamen § 4 III 1 BBodSchG ist als Gesamtrechtsnachfolger diejenige natürliche oder juristische Person zu erachten, die kraft gesetzlicher Anordnung oder vertraglicher Vereinbarung in die gesamten Rechte und Pflichten einer anderen Person eintritt; VGH BW NVwZ-RR 2002, 16, 17; HessVGH DVBl 2000, 210, 211 → JK BBodSchG § 4/1; Erbguth GewArch 1999, 223, 230; Müggenborg SächsVBl 2000, 77, 82. Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge sind insb von Bedeutung bei natürlichen Personen die Universalsukzession (§§ 1922, 1967 BGB), bei juristischen Personen die gesellschaftsrechtliche Umwandlung durch Verschmelzung (§§ 2 ff, 20 I Nr 1 UmwG – Schönfelder Nr 52a), Spaltung (§§ 123 ff, 131 I Nr 1 UmwG) und Vermögensübertragung (§§ 174 ff UmwG). Nicht als Gesamtrechtsnachfolge werden angesehen der bloße Formwechsel eines Unternehmens (vgl §§ 190 ff, 202 I Nr 1 UmwG) und die Firmenfortführung nach § 25 HGB (HessVGH DVBl 2000, 210, 211 → JK BBodSchG § 4/1). Vgl Schlabach/Heck VBlBW 2001, 46, 50, zum UmwG auch Schaffelhuber JuS 1998, 864. Bsple: VGH BW VBlBW 1988, 110, 111: Der Pächter ist kein Rechtsnachfolger des vorherigen Pächters; BayVGH NJW 1993, 82: Der Mieter eines Hauses ist nicht Rechtsnachfolger des Eigentümers. OVG Hamburg NVwZ-RR 1997, 11 f → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/5; OVG NW NVwZ-RR 1997, 70; Rau Jura 2000, 37, 38 f; Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683) 105.

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Der Nachfolgetatbestand trägt – da die polizeiliche bzw ordnungsbehördliche Inpflichtnahme des Einzelnen einen klassischen Grundrechtseingriff darstellt – dem Vorbehalt des Gesetzes Rechnung 702 und markiert die notwendige öffentlichrechtliche Grundlage für die Inanspruchnahme des Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolgers. Bei der Rechtsnachfolgenorm muss es sich um eine solche des zuständigen Gesetzgebers handeln. Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist idR der Nachfolgetatbestand proble- 165 matisch. Im Falle der durch Verwaltungsakt konkretisierten Zustandsverantwortlichkeit sieht die hM den Rechtsgrund des Pflichtenübergangs bei der Einzelrechtsnachfolge insb in der „Dinglichkeit“ (idR „Grundstücksbezogenheit“) der Verfügung.703 Diese freischöpferische Erfindung der Rechtsprechung 704 ist juristisch nicht haltbar.705 Die Behauptung eines „dinglichen Verwaltungsakts“, den eine Polizeiverfügung (als Ermessensentscheidung mit zT personalen Elementen) mitnichten darstellt, ist eine reine petitio principii. Den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs (Art 14 I, 2 I GG) wird von der hM auch nicht entsprochen. Fehlt es aber an der Rechtsnachfolgenorm im Öffentlichen Recht, findet eine Einzelrechtsnachfolge in die durch Verwaltungsakt konkretisierte Zustandshaftung nicht statt. Soll etwas anderes gelten, muss der zuständige Gesetzgeber dies durch einen entsprechenden Nachfolgetatbestand anordnen, wie es zT im Bauordnungsrecht (Rn 160) oder – spiegelbildlich für den früheren Rechtsinhaber – bei der Dereliktion (Rn 153) geschehen ist. Bei der Gesamtrechtsnachfolge könnte im Falle einer durch Verfügung konkreti- 166 sierten Zustandsverantwortlichkeit an eine Heranziehung (Analogie) der die Rechtsnachfolge im Zivilrecht regelnden Vorschriften (zB §§ 1922, 1967 BGB, § 20 UmwG) gedacht werden.706 Dabei handelt es sich indes um Bundesrecht, das schon aus Kompetenzgründen (Art 70 GG) keine Aussage zum landesgesetzlichen Gefahrenabwehrrecht trifft.707 Der zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen bestehende Gesetzesvorbehalt bedeutet nicht, dass irgendein Gesetz (zB aus dem Zivilrecht) im Wege der Analogie herangezogen werden könnte; da es um die Frage eines öffentlichrechtlichen Pflichtenübergangs geht, muss die Norm eine solche des 702 703

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Rau Jura 2000, 37, 43; Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683), 197, 267. VGH BW NVwZ 1992, 392; NVwZ-RR 1994, 384, 386; BayVGH BayVBl 1983, 21; OVG Hamburg NVwZ-RR 1997, 11, 12 → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/5; HessVGH NVwZ 1998, 1315, 1316; OVG NW NVwZ-RR 1998, 159, 160; Beljin/Micker JuS 2003, 556, 560; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 112 f; Möller/Wilhelm Allg POR Rn 140; Götz POR Rn 249 (für das BauOrdR; abl dagegen Rn 251 für das PolR). Ausgangsentscheidung: BVerwG DÖV 1971, 640. Zutr HessVGH DVBl 1977, 255; aus dem Schrifttum Schoch BauR 1983, 532, 537 ff; Stadie DVBl 1990, 501, 507; Schink VerwArch 82 (1991) 357, 385f; Rau Jura 2000, 37, 42, 44; Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683) 237 ff; Gusy PolR Rn 362; Schenke POR Rn 293; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 455. HessVGH DVBl 1977, 255, 256; OVG RP 1980, 654, 655; Stadie DVBl 1990, 501, 503; Schink VerwArch 82 (1991) 357, 385; Schlabach/Simon NVwZ 1992, 143, 145; Rau Jura 2000, 37, 39, 42; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 455. Am Bspl der Gefahrenabwehr nach der LBO idS BVerwG NVwZ-RR 1997, 271, 272; NVwZ 1998, 395.

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Öffentlichen Rechts sein und vom zuständigen Gesetzgeber erlassen worden sein.708 Schon aus Kompetenzgründen wäre der Bundesgesetzgeber daran gehindert, die Rechtsnachfolge im Gefahrenabwehrrecht (PolG, SOG, aber auch zB LBO, LWG etc) zu regeln. Der für das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht zuständige Landesgesetzgeber hat jedoch an keiner Stelle zu erkennen gegeben, dass die zivilrechtlichen Nachfolgetatbestände als öffentlichrechtliche Ermächtigungsgrundlagen zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen anwendbar sein sollen.709 Daher scheidet auch eine Gesamtrechtsnachfolge aus. Bei der durch Verfügung konkretisierten Verhaltensverantwortlichkeit lehnt auch 167 die hM im Falle der Einzelrechtsnachfolge mangels Nachfolgetatbestands einen Übergang der Polizei- und Ordnungspflicht ab.710 Für die Gesamtrechtsnachfolge soll sich der Rechtsgrund für den öffentlichrechtlichen Pflichtenübergang wieder aus den zivilrechtlichen Vorschriften (§§ 1922, 1967 BGB etc) ergeben.711 Auch insoweit greift jedoch der kompetenzrechtliche Einwand (Rn 166) durch.712 Fazit: Als Grundrechtseingriff muss die Pflichtennachfolge im Gefahrenabwehr168 recht gesetzlich angeordnet sein, um de iure anerkannt zu werden. Das ist nur in Teilbereichen des besonderen Gefahrenabwehrrechts erfolgt (zB § 4 III 1 BBodSchG, zT Regelung in der LBO zur Beseitigungsverfügung). Im allgemeinen Polizeiund Ordnungsrecht fehlen derartige Nachfolgetatbestände; eine „Rechtsnachfolge“ (besser: Pflichtennachfolge) kann es daher nicht geben. g) Auswahlermessen bei mehreren Verantwortlichen 169 Nicht selten ist eine Mehrheit von Personen für eine Gefahrenlage verantwortlich. So kann es neben einem Verhaltensstörer einen Zustandsstörer geben; auch können mehrere Verhaltensverantwortliche und/oder mehrere Zustandsverantwortliche existieren. Eine Person kann zudem verhaltens- und zustandsverantwortlich sein („Doppelstörer“), und daneben können weitere Verhaltens- bzw Zustandsstörer festgestellt werden. Zu der Frage, wer in solchen Fällen der „Störermehrheit“ heranzuziehen ist, sind im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht keine Regelungen getroffen. Behördliches Auswahlermessen bestimmt daher die Heranziehung des Pflichtigen.713 708 709

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BayVGH NVwZ-RR 2004, 648, 649. Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683) 272; abl zur hM auch zB Peine DVBl 1980, 941, 946; ders JuS 1997, 984, 986f; Rumpf VerwArch 78 (1987) 269, 284; Schenke POR Rn 295. Vgl nur etwa Rau Jura 2000, 37, 44; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 114. BayVGH ZfW 1989, 147, 150; SächsOVG LKV 1998, 62, 64; VG Berlin LKV 2000, 315, 316; Schink VerwArch 82 (1991) 357, 386; Schlabach/Simon NVwZ 1992, 143, 145; Rau Jura 2000, 37, 44. Abl aus sonstigen Gründen Dietlein Nachfolge im ÖR (Fn 683) 230 ff; Schenke POR Rn 296. VGH BW VBlBW 1995, 281 → JK Pol u OrdR Störer/7; BayVGH NJW 1993, 81; OVG Hamburg NVwZ 2001, 215, 219; HessVGH NVwZ 1992, 1111, 1113; NVwZ-RR 2004, 32; NdsOVG NVwZ 1990, 786, 787; OVG NW NVwZ-RR 1995, 635; OVG RP DÖV 1990, 844, 845; ThürOVG LKV 1997, 369; Garbe DÖV 1998, 632.

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2. Kap II 2 g aa

Jeder Störer ist für den gesamten Gefahrenzustand verantwortlich; 714 eine (dem 170 Grunde nach) nur anteilige Verantwortlichkeit kennt das Polizei- und Ordnungsrecht nicht.715 Zulässig ist auch die Inanspruchnahme mehrerer Störer, zB des Verhaltens- und des Zustandsverantwortlichen.716 Damit das Auswahlermessen pflichtgemäß betätigt werden kann, müssen alle Verantwortlichen ermittelt worden sein.717 Wird ein objektiv vorhandener weiterer Störer von der Behörde übersehen, liegt ein (partieller) Ermessensausfall (-mangel) vor und die Auswahlentscheidung ist ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.718 aa) Effektivität der Gefahrenabwehr als Ermessensdirektive: Maßstab für die 171 Störerauswahl ist entsprechend dem Zweck des Gefahrenabwehrrechts die Effektivität der Gefahrenabwehr.719 Unter mehreren Verantwortlichen ist derjenige heranzuziehen, der am wirksamsten die Gefahr beseitigen kann (rasch, gründlich, verlässlich etc). Wer dies konkret ist, muss anhand der Umstände des Einzelfalls ermittelt werden. Der Behörde müssen dabei die notwendigen Entscheidungsspielräume verbleiben. So kann sich die Verwaltung wegen einer umstrittenen Rechtsnachfolge bei der Verhaltensverantwortlichkeit an denjenigen unter mehreren Störern halten, an dessen Verantwortlichkeit es keinen Zweifel gibt.720 Hat die Behörde wegen tatsächlicher Ungewissheiten begründete Zweifel am Erfolg einer Heranziehung des Verhaltensverantwortlichen, darf sie die Gefahrenbeseitigungspflicht dem Zustandsverantwortlichen auferlegen.721 Verlangt die Durchführung einer angeordneten Gefahrenabwehrmaßnahme besonderen Sachverstand, der zB nur bei Fachfirmen vorhanden ist, so dass die Vornahme der Maßnahme erhebliche Kosten verursacht, ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Störer ein sachgerechter Auswahlgesichtspunkt.722 Das Gebot der effektiven Gefahrenabwehr steht nicht in einem Spannungsver- 172 hältnis zum Übermaßverbot, sondern ist ihm zugeordnet.723 Eine Maßnahme muss zur Gefahrenabwehr in erster Linie geeignet (dh zwecktauglich) sein. Können mehrere Verantwortliche die Gefahr gleich effektiv beseitigen, wird unter dem Aspekt der Erforderlichkeit derjenige pflichtig gemacht, bei dem der geringste Aufwand entsteht. Im Rahmen der Angemessenheit (Zumutbarkeit) kann der – auch von Art 3 I GG geforderte – Grundsatz der gerechten Lastenverteilung Berücksichtigung 714 715

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BayVGH NJW 1993, 81; OVG Berlin DÖV 1991, 557, 558. Bickel NVwZ 2004, 318, 320; Schenke POR Rn 284; aA Jochum NVwZ 2003, 526, 529 ff. – Zur Frage der Kostenaufteilung unten Rn 176. VGH BW NVwZ-RR 1994, 565, 568. – Garbe DÖV 1998, 632, 635 tritt sogar dafür ein, dass alle Störer zur Gefahrenbeseitigung verpflichtet werden. VGH BW NVwZ-RR 1993, 350. VGH BW NVwZ 1990, 179, 180; DVBl 1990, 1046; NVwZ-RR 1996, 553, 555; BayVGH BayVBl 2005, 442; HessVGH NVwZ-RR 2004, 32, 33. VGH BW VBlBW 1995, 281 → JK Pol u OrdR Störer/7; VGH BW NVwZ-RR 1996, 387, 390 → JK AbfG BW § 22 IV/1; BayVGH NJW 1993, 81; NJW 2004, 2768, 2770; HessVGH UPR 1995, 198; OVG NW NVwZ-RR 1995, 635. VGH BW NVwZ 2000, 1199 → JK Pol u OrdR Rechtsnachfolge/7. HessVGH NVwZ-RR 1998, 747, 749; OVG NW NVwZ 1997, 804, 805. HessVGH UPR 1995, 198, 199. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 9 Rn 89; unzutr Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 119.

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2. Kap II 2 g aa

Friedrich Schoch

finden, zumal der Innenausgleich unter mehreren Verantwortlichen (Rn 176) in der Praxis nicht befriedigend gelöst ist.724 Die gefahrenabwehrrechtlichen Ermessensdirektiven dürfen nicht durch „Faust173 formeln“ unterlaufen und das Ermessen weiter eingeengt werden. Die Behauptung, der Verhaltensverantwortliche sei grundsätzlich vor dem Zustandsverantwortlichen heranzuziehen,725 findet im geltenden Recht keine Stütze. Es ist auch verfassungsrechtlich (Art 14 I GG) nicht geboten, dass der Zustandsverantwortliche nur nachrangig in Anspruch genommen wird.726 Wenn sich die Behörde in einem Fall, in dem Verhaltens- und Zustandsstörer in gleicher Weise zur schnellen und wirksamen Gefahrenabwehr in der Lage sind, an den Verhaltensverantwortlichen hält, beruht dies nicht auf einer allgemeinen Vorrangregel, sondern kann zB im konkreten Fall mit dessen größerer Gefahrennähe begründet werden.727 Ein gesetzliches Rangverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des Verhaltensverantwortlichen und derjenigen des Zustandsverantwortlichen gibt es nicht.728 Das gilt auch für das besondere Gefahrenabwehrrecht; so kann zB der Reihenfolge der in § 4 III 1BBodSchG aufgelisteten Verantwortlichen keine rechtsnormative Rangfolge bei der Störerauswahl entnommen werden.729 Irgendeine Abfolge muss der Gesetzgeber schließlich bei jeder Aufzählung wählen. Wenn gesagt wird, die Existenz eines „Doppelstörers“ könne zu einer Verengung des behördlichen Ermessensspielraums führen,730 ist dies nur mit der Maßgabe zutreffend, dass das Gebot der effektiven Gefahrenabwehr gewahrt ist. Nicht maßgeblich für die behördliche Störerauswahl sind die zivilrechtlichen 174 Verhältnisse zwischen den Verantwortlichen.731 Das BVerwG hat zwar gemeint, es könne im Einzelfall ermessensfehlerhaft sein, wenn die Behörde bei der Störerauswahl ihr bekannte und unstreitige Regelungen des internen Ausgleichs völlig unberücksichtigt lasse.732 Maßgeblich ist indes der öffentlichrechtliche Normzweck für die Ermessensausübung; nur wenn er uneingeschränkt gewahrt bleibt, können 724

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VGH BW NVwZ-RR 1997, 267, 269; Götz POR Rn 260; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 504. BayVGH NJW 1993, 81; OVG Hamburg NVwZ 2001, 215, 219; HessVGH DÖV 1994, 172, 173; NdsOVG NVwZ 1990, 1001; OVG RP DÖV 1988, 80, 81; DÖV 1990, 844, 845; Becker UPR 2004, 1, 3; Götz POR Rn 256; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 504. BVerfGE 102, 1, 19 → JK Pol u OrdR Störer/10 (11); BayVGH NVwZ 2001, 821, 822. VGH BW VBlBW 1995, 281 → JK Pol u OrdR Störer/7. VGH BW DVBl 1990, 1046, 1047; NVwZ-RR 1992, 350; NVwZ-RR 1996, 387, 390 → JK AbfG BW § 22 IV/1; OVG NW NVwZ-RR 1995, 635. – Anders zum BauOrdR ThürOVG LKV 1997, 369. VGH BW NVwZ-RR 2003, 103, 105; BayVGH NJW 2004, 2768, 2770; Bickel NVwZ 2004, 1210, 1211; aA Becker UPR 2004, 1, 2; M. Tiedemann NVwZ-RR 2003, 1477 hält die Einstandsverantwortlichkeit nach § 4 III 4 Alt 1 BBodSchG für subsidiär. – Überblick zu Fragen der Störerauswahl im Rahmen des § 4 BBodSchG bei Kügel NJW 2004, 1570, 1573 f. HessVGH UPR 1995, 198, 199; Schenke POR Rn 287. VGH BW NVwZ 1998, 1195, 1196; BayVGH NVwZ 2001, 458 (dazu Gornig/Hokema JuS 2002, 21). BVerwG NVwZ 1990, 474, 475.

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2. Kap II 2 g bb

zB zivilrechtliche Vereinbarungen zwischen mehreren Gesamtschuldnern, so sie der Behörde bekannt sind, im Rahmen der Ermessensbetätigung eine Rolle spielen.733 Geht es nicht um die Störerauswahl in Bezug auf die Gefahrenabwehrmaßnahme 175 („Primärebene“), sondern (nach behördlich erledigter Gefahrenabwehr) um die Auswahl des Verantwortlichen bei der Kostenerstattung („Sekundärebene“), soll der Grundsatz der gerechten Lastenverteilung zum Tragen kommen; jeder Störer hafte nur für seinen Verursachungsanteil.734 Eine derartige Ermessensdirektive steht in Widerspruch zu denjenigen polizeirechtlichen Bestimmungen, die (zB bei den Kosten einer unmittelbaren Ausführung) eine gesamtschuldnerische Haftung normieren. Die Störerhaftung pro rata ist zudem nicht angezeigt, wenn der Innenausgleich zwischen den Verantwortlichen anerkannt wird (Rn 176). Schließlich kommt der Ausgleichsgedanke als Ermessenselement allenfalls in Betracht, wenn der jeweilige Verursachungsanteil der Verantwortlichen ohne größeren Aufwand von der Verwaltung ermittelt werden kann.735 Die „gerechte Lastenverteilung“ als Direktive für das Auswahlermessen auf der Sekundärebene ist auch keinesfalls das alleinige Kriterium. Öffentliche Interessen sind für die Ermessensbetätigung ebenfalls von Gewicht. So werden zB unabhängig von dem Verursachungsanteil die Ermessensgrenzen bei der Inanspruchnahme eines von mehreren gesamtschuldnerisch haftenden Verantwortlichen überschritten, wenn ein völlig ungeeigneter Gesamtschuldner ausgewählt wird und daher das Risiko besteht, dass der Kostenerstattungsanspruch nicht realisiert werden kann.736 bb) Gesamtschuldnerausgleich bei mehreren Verantwortlichen: Ist einer von 176 mehreren Verantwortlichen zur Gefahrenbeseitigung herangezogen worden, findet ein Gesamtschuldnerausgleich analog § 426 BGB statt.737 Die ablehnende Auffassung des BGH 738 überzeugt nicht und ist in ihrer Argumentation längst widerlegt.739 Bei der Gefahrenabwehr im Bodenschutzrecht ist der Gesamtschuldnerausgleich gesetzlich ausdrücklich vorgesehen (§ 24 II BBodSchG).740 Der rechtsdogmatischen Konstruktion nach wird die gesamtschuldnerische Haftung von § 24 733 734 735 736 737

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VGH BW NVwZ 2002, 1260, 1263; BayVGH NVwZ 2000, 450, 452. Garbe DÖV 1998, 632, 636; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 508 ff. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 125; noch restriktiver Götz POR Rn 260. BayVGH BayVBl 1999, 180, 181. Breuer NVwZ 1987, 751, 756; Kloepfer/Thull DVBl 1989, 1121, 1125 ff; Seibert DVBl 1992, 664, 673; Raeschke-Kessler DVBl 1992, 683, 690; ders NJW 1993, 2275, 2281; Spannowsky DVBl 1994, 560, 563f; Finkenauer NJW 1995, 432, 434; Haller ZUR 1996, 21, 25f; Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 123; Götz POR Rn 260; Schenke POR Rn 288 ff. BGH DÖV 1981, 843, 844 → JK Pol u OrdR Störer/2; zustimmend Papier NVwZ 1986, 256, 263; Schwachheim NVwZ 1988, 225, 227; Schwerdtner NVwZ 1992, 141, 143; Knemeyer POR Rn 340; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 510 ff. Seibert DÖV 1983, 964, 972; Kohler-Gehrig NVwZ 1992, 1049, 1051. Dazu Pützenbacher NJW 1999, 1137; Knoche NVwZ 1999, 1198; Schlette VerwArch 91 (2000) 41; Frenz NVwZ 2000, 647; Schönfeld NVwZ 2000, 648; von Westerholt NJW 2000, 931; Fluck UPR 2001, 253; Sandner NJW 2001, 2045; zu Fragen der Verjährung Hünnekens/Plogmann NVwZ 2003, 1216.

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2. Kap II 3 a

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II 1 BbodSchG vorausgesetzt, und es werden die Folgen iSe internen Ausgleichs der Sanierungspflichtigen (Verantwortlichen) geregelt.741

3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand a) Notstandspflicht im Gefahrenabwehrrecht 177 Die Beseitigung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erfolgt idR seitens der Verwaltung durch den Einsatz eigener Mittel oder durch die behördliche Inanspruchnahme eines Verantwortlichen. Die Heranziehung eines unbeteiligten Dritten kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Die Rechtsordnung muss jedoch Vorkehrungen für den Ausnahmefall treffen, dass weder die Verwaltung noch ein Verantwortlicher die Gefahrensituation abwehren kann, ein Dritter dazu aber in der Lage ist. Eine solche Fallgestaltung wird als polizeilicher bzw ordnungsbehördlicher Notstand bezeichnet.742 Die Notstandspflicht im Gefahrenabwehrrecht stellt einen Ausgleich divergieren178 der Interessen dar. Die zur Gefahrenabwehr verpflichtete Behörde soll angesichts der Gefahrenlage nicht untätig bleiben müssen; die Heranziehung eines unbeteiligten Dritten wird erlaubt. Dieser ist jedoch für die Gefahrensituation nicht verantwortlich; daher kann er nur umfänglich begrenzt (Rn 188) unter strengen Voraussetzungen (Rn 180 ff) verpflichtet werden, und außerdem steht ihm ein Entschädigungsanspruch zu (Rn 298). Dieses Konzept ist als eine „Grenzlinie rechtsstaatlichen Polizeirechts“ bezeichnet worden.743 Zum Rechtsstaat gehört aber auch, dass im Bereich der Inneren Sicherheit auf dem Gebiet des Gefahrenabwehrrechts keine Situationen eintreten, die die zuständigen Behörden zur Untätigkeit verdammen oder – im Gegenteil – zu Maßnahmen ohne rechtliche Bindung veranlassen (könnten). Die Notstandspflicht im Gefahrenabwehrrecht hat zwei praktisch bedeutsame 179 Anwendungsfelder: die Obdachlosenunterbringung und die Bekämpfung bestimmter Gefahren im Versammlungsrecht. Für das Versammlungsrecht hat das BVerfG ausdrücklich bestätigt, das die Grundsätze des polizeilichen Notstands zur Anwendung kommen können.744 Bei der Obdachlosenunterbringung markiert die Inanspruchnahme eines Wohnungseigentümers nur eine Variante der behördlichen Bekämpfung unfreiwilliger Obdachlosigkeit.745 Im Vordergrund steht in der Praxis die behördliche Einweisung von Obdachlosen in öffentliche Obdachlosenunter741

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Bickel NVwZ 2004, 318, 319 f; aA Jochum NVwZ 2003, 526, 529 ff, die § 24 II 1 BBodSchG wegen BVerfGE 102, 1 (vgl Rn 149) für obsolet hält und im Falle der Störermehrheit eine Begrenzung der Kostentragungspflicht dadurch erreichen will, dass bzgl der „Überlast“ jenseits des jeweiligen Verursachungsanteils über die Figur des „Nicht-so-Störers“ ein Entschädigungsanspruch wie beim Nichtstörer (Rn 298) gewährt werden solle. Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme im Grenzbereich zwischen Störerhaftung und polizeilichem Notstand, Diss Köln 1997, 29. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 126. BVerfG (K) DVBl 2001, 797, 799. Ausf dazu Peppersack Rechtsprobleme der Unterbringung Obdachloser in Räumlichkeiten Privater, 1999, 55 ff.

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2. Kap II 3 a

künfte.746 Gestritten wird mitunter über die Standards, die der Betroffene für sich reklamieren darf.747 Andere Fallgestaltungen betreffen den Anspruch des Obdachlosen auf Zuweisung einer (bestimmten) Unterkunft (Rn 116); ein Anspruch auf Zuweisung der früheren, zwangsgeräumten Wohnung besteht nicht.748 Die Zwangseinweisung bei einem Wohnungseigentümer, ein nach dem Zweiten Weltkrieg geläufiges Phänomen, kommt zwar allenfalls in zweiter Linie in Betracht, ist in der Praxis allerdings keineswegs bedeutungslos. Zwei Erscheinungsformen sind auseinanderzuhalten 749 (vgl auch Rn 189): die (unechte) Wiedereinweisung des Räumungsschuldners 750 (und potentiell Obdachlosen) in die von ihm bislang bewohnte und noch nicht geräumte Wohnung 751 sowie die Fremdeinweisung in eine leerstehende und fremde Wohnung.752 Zu beiden Formen der Zwangseinweisung sind die zuständigen Behörden, wenn die Voraussetzungen der Notstandspflicht vorliegen, befugt. Zuständig ist diejenige Behörde, in deren Bezirk die Gefahr (Obdachlosigkeit) eintritt, also abzuwenden ist; 753 unerheblich ist, wo der Obdachlose gemeldet ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Zwar ist die Bekämpfung der Obdachlosigkeit an sich eine Aufgabe der Sozial(hilfe)verwaltung 754 und die Unterkunftsicherung auf Dauer daher vom Sozialhilfeträger zu leisten,755 zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit bei akutem Wohnraumbedarf bietet das Sozialhilferecht 756 jedoch keine Handhabe, so dass auf das Polizei- und Ordnungsrecht zurückzugreifen ist.757 Dies gilt entsprechend für die Unterbringung obdachloser Asylbewerber, auch wenn insoweit an sich das AsylVfG (§§ 44 ff) 758 maßgeblich ist.759 746

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Aus der Praxis VGH BW DÖV 1992, 78; NJW 1993, 1027; DÖV 1994, 569; NVwZ-RR 1995, 326; DVBl 1996, 567; VBlBW 1999, 274; BayVGH NVwZ-RR 1991, 196; BayVBl 1993, 569; NVwZ-RR 2002, 575; OVG Bremen DÖV 1994, 221 → JK GG Art 11/1; HessVGH NVwZ 2003, 1402; NdsOVG NVwZ-RR 1989, 15; OVG NW DÖV 1982, 554. Zusammenfassend dazu Ruder NVwZ 2001, 1223, 1227. BayVGH NVwZ-RR 1991, 196. Roth DVBl 1996, 1401 differenziert zwischen Fremdeinweisung, echter Wiedereinweisung und unechter Wiedereinweisung. Dazu ausf Wieser Die polizeiliche Wiedereinweisung des Räumungsschuldners, 1999, 38 ff. Aus der Praxis BGHZ 131, 163; VGH BW VBlBW 1987, 423 (m Anm Götz) → JK PolG BW §§ 1, 3/1; VGH BW DÖV 1990, 573; NJW 1997, 2832; OVG Berlin DVBl 1980, 1050 → JK Pol u OrdR Nichtstörer/1; OVG NW NVwZ 1991, 692; DVBl 1991, 1372. Aus der Praxis VGH BW DÖV 1991, 121, 122; OVG Berlin NVwZ 1991, 691; NVwZ 1992, 501; OVG NW OVGE 35, 303; OVG SH NJW 1993, 413. BayVGH NVwZ-RR 2002, 575; HessVGH NVwZ 2003, 1402. VGH BW NJW 1993, 1027; NVwZ 1993, 1220; Ruder NVwZ 2001, 1223, 1228; Gusy PolR Rn 342. – Zur Kostentragungspflicht des Sozialhilfeträgers bei ordnungsbehördlicher Obdachlosenunterbringung BVerwGE 100, 136. VGH BW NVwZ-RR 1996, 439. SGB XII, Sartorius ErgBd Nr 412. HessVGH NJW 1984, 2305 → JK Pol u OrdR Entschl u Auswahlermessen/3; HessVGH NVwZ 1992, 503, 504; Enders DV 30 (1997) 29, 30; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 374; Gusy PolR Rn 342. Sartorius I Nr 567. BayVGH BayVBl 1995, 503; OVG Bremen DÖV 1994, 221 → JK GG Art 11/1; näher dazu Peppersack Unterbringung Obdachloser (Fn 745), 88 ff.

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2. Kap II 3 b bb

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b) Voraussetzungen für Notstandsmaßnahmen 180 Im geltenden Recht ist die Notstandspflicht als „Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen“ ausgeprägt, von engen Voraussetzungen abhängig gemacht und zudem dem Übermaßverbot unterworfen. Nach den einschlägigen (in Anlehnung an § 6 MEPolG formulierten) Bestimmungen 760 können Maßnahmen gegen einen Nichtverantwortlichen gerichtet werden, wenn 1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist, 2. Maßnahmen gegen die Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, 3. die Gefahrenabwehrbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und 4. der Nichtverantwortliche ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden kann. Notstandsmaßnahmen dürfen zudem nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist. 181 aa) Qualifizierte Gefahrenlage: Eine gegenwärtige erhebliche Gefahr liegt vor, wenn die Schädigung des Schutzguts bereits eingesetzt hat bzw unmittelbar bevorsteht und ein bedeutsames Rechtsgut bedroht ist (Rn 100).761 Die unfreiwillige Obdachlosigkeit erfüllt diese Voraussetzungen. Sie stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar,762 die herausragende Schutzgüter betrifft (Art 2 II 1 GG, ggf Art 1 I GG) und idR schon eingetreten ist bzw unmittelbar droht.763 Im Versammlungsrecht geht es zumeist um das demnächst bevorstehende Aufeinandertreffen von Demonstration und Gegendemonstration mit zu befürchtenden Gewalttätigkeiten, bei denen der körperlichen Unversehrtheit von Menschen (Art 2 II 1 GG) und dem Privateigentum (Art 14 I 1 GG) Schaden droht.764 182 bb) Aussichtslosigkeit der Gefahrenabwehr durch Verantwortlichen: Die Notstandspflicht kommt nur in Betracht, wenn Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen keine Aussicht auf eine erfolgreiche Gefahrenabwehr versprechen. Bei der Obdachloseneinweisung in die zuvor gekündigte Wohnung ist der Vermieter nicht „Störer“, da er von einem ihm durch die Rechtsordnung eingeräumten Recht Gebrauch macht (Rn 130); „Störer“ im Rechtssinne ist der Obdachlose.765 Maß760

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Art 10 I, II BayPAG; § 16 I, II ASOG Bln; § 7 I, II Bbg PolG, § 18 I, II BbgOBG; § 7 BremPolG; § 9 HessSOG; § 71 I SOG MV; § 8 NdsSOG; § 6 I, II PolG NW, § 19 I, II OBG NW; § 7 POG RP; § 6 SaarlPolG; § 10 SOG LSA; § 220 LVwG SH; § 10 I, II ThürPAG, § 13 I, II ThürOBG; § 20 I BPolG. – Abweichende Formulierungen bei identischem Normgehalt § 9 PolG BW; Art 9 III BayLStVG; § 10 I HbgSOG; § 7 SächsPolG. Wo eine „erhebliche“ Gefahr im Landesrecht nicht vorausgesetzt ist, kann sie nicht contra legem über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz postuliert werden; so aber Schenke POR Rn 314. BayVGH BayVBl 1995, 729, 730; OVG Bremen DÖV 1994, 221, 222 → JK GG Art 11/1; NdsOVG NVwZ-RR 2004, 777, 778 → JK AllgVwR Öff-rechtl Erstattungsanspruch/7; Ruder NVwZ 2001, 1223; unzutr VGH BW NVwZ-RR 1996, 439: öffentliche Ordnung. Ewer/von Detten NJW 1995, 353, 354; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 372, 377. Vgl nur etwa BVerwG DVBl 1999, 1740, 1742 → JK VwGO § 113 I 4/15; NdsOVG NdsVBl 2005, 49. OVG Bremen DÖV 1994, 221, 222 → JK GG Art 11/1; NdsOVG NVwZ 1992, 502, 503; Eckstein VBlBW 1994, 306, 307; Ruder NVwZ 2001, 1223, 1227; krit Lübbe Wohnraumbeschaffung durch Zwangsmaßnahmen, 1993, 38 ff; Enders DV 30 (1997) 29, 31.

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2. Kap II 3 b cc

nahmen gegen ihn versprechen idR jedoch keinen Erfolg.766 Wäre er mit eigenen Mitteln zur Gefahrenabwehr in der Lage, träte die unfreiwillige Obdachlosigkeit erst gar nicht ein. Im Versammlungsrecht ist die zuständige Behörde zwar verpflichtet, im Falle gewaltsamer Gegendemonstrationen Maßnahmen gegen die „Störer“ zu richten und die Durchführung der friedlichen Versammlung zu schützen.767 Realistischerweise muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die zur Gewaltanwendung entschlossenen Gegendemonstranten behördlichen Anordnungen kaum nachkommen werden. cc) Unmöglichkeit behördlicher Gefahrenabwehr: Als ultima ratio kommt die 183 Notstandspflicht im Gefahrenabwehrrecht nur in Betracht, wenn die drohende Gefahr anders als durch Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen nicht abgewehrt werden kann. Die zuständige Behörde muss vor einer Heranziehung des Nichtstörers alles ihr Mögliche und Zumutbare zur Beseitigung der Gefahrensituation getan haben.768 Nach hM darf der (evtl sehr hohe) finanzielle Aufwand keine Rolle spielen.769 Fiskalische Gesichtspunkte dürfen idR die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen nicht leiten (zB Kosteneinsparung). Es kann jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die den Geboten der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit unterworfene Verwaltung 770 bei extrem hohen Kosten eigener Maßnahmen ausnahmsweise auch unter fiskalischen Gesichtspunkten eine Notstandssituation annehmen darf.771 Das Problem liegt dann in der Quantifizierung, die indes nur im konkreten Fall unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten geleistet werden kann. Bei der Obdachlosenunterbringung muss die Gefahrenabwehrbehörde vor Inan- 184 spruchnahme eines Nichtverantwortlichen alle eigenen Unterbringungsmöglichkeiten (Obdachlosenunterkünfte) ausgeschöpft haben; vorrangig ist auch die Anmietung von Zimmern in Hotels und Pensionen,772 die Anmietung leerstehender Wohnungen, und sogar die vorübergehende Beherbergung in Wohnwagen oder Wohncontainern kommt in Betracht.773 Ausgeschlossen ist auch nicht die Anmietung von Räumen außerhalb des Bezirks der zuständigen Behörde.774 Dagegen kommt die Bereitstellung öffentlicher Gebäude, die anderen Zwecken gewidmet sind (zB Schulen, Verwaltungsgebäude), grundsätzlich nicht (allenfalls: ausnahms766 767

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OVG SH NJW 1993, 413. BVerfGE 69, 315, 360 f → JK GG Art 8/2; BVerfG (K) NVwZ 1998, 834, 836; SächsOVG SächsVBl 2005, 48, 49. Pieroth/Schlink/Kniesel § 9 POR Rn 78, 81: Alternativlosigkeit des Einschreitens gegen den Nichtstörer. VG Köln NVwZ-RR 1990, 414; Möller JuS 1995, 664; Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 335; Schenke POR Rn 317. § 34 II 1 BHO/LHO; § 25 I bzw 26 I GemHVO. VG Bremen NVwZ 1991, 706, 707; Lübbe Wohnraumbeschaffung (Fn 765), 45 f; Günther/Traumann NVwZ 1993, 130, 133 f. VGH BW NJW 1997, 2832, 2833; OVG SH NJW 1993, 413, 414; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 377. OVG NW NVwZ 1991, 692 (im konkreten Fall aber abgelehnt). Ewer/von Detten NJW 1995, 353 (356); zu restriktiv OVG SH NJW 1993, 413.

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2. Kap II 3 c

Friedrich Schoch

weise und zeitlich äußerst begrenzt) in Betracht, da eine nachhaltige Beeinträchtigung anderer Verwaltungsaufgaben nicht gerechtfertigt ist.775 Im Versammlungsrecht würde eine Lockerung der Restriktionen bei der Not185 standspflicht bedeuten, dass die friedliche Versammlung gegenüber den gewaltbereiten Gegendemonstranten zu Unrecht in die Rolle des Zweckveranlassers (Rn 138, 141) gedrängt wird.776 Die Polizei hat jedoch die friedlichen Demonstranten zu schützen. Als Nichtverantwortliche dürfen sie nur in Ausnahmesituationen mit einem Versammlungsverbot belegt werden; der Polizei muss es selbst unter Aufbietung aller Kräfte unmöglich sein, die befürchteten Gewalttätigkeiten zwischen friedlichen Demonstranten und gewaltbereiten Gegendemonstranten mit unübersehbar großen Personen- und Sachschäden zu verhindern. Dies ist zB bei einem präventiven Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung vor der Durchführung eines Castor-Transports nach Gorleben angenommen worden.777 Eine derartige Notstandssituation ist nicht anzuerkennen, wenn nicht alle zur Verfügung stehenden eigenen Polizeikräfte mobilisiert werden bzw wenn externe Kräfte von anderen Bundesländern oder von der Bundespolizei angefordert werden können.778 Ein polizeilicher Notstand kann auch durch Modifikation der Versammlungsumstände entfallen, ohne dass der Versammlungszweck vereitelt würde. Vor Erlass eines Versammlungsverbots gegenüber den Nichtstörern muss das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen ausgeschöpft sein, und ggf kommt auch die Kooperation mit dem Veranstalter der friedlichen Demonstration zur Veränderung der Versammlungsmodalitäten in Betracht.779 dd) Beachtung der Opfergrenze: Dem Nichtverantwortlichen darf weder eine 186 erhebliche eigene Gefährdung noch eine Verletzung höherwertiger Pflichten zugemutet werden. Die durch die Zwangseinweisung Obdachloser eintretenden Beeinträchtigungen sind dem privaten Eigentümer – zumal wenn es sich um eine „anonyme“ Gesellschaft (GmbH, KG, OHG etc) handelt 780 – grundsätzlich zumutbar.781 Anderes gilt zB, wenn der Wohnungseigentümer selbst obdachlos würde.782 c) Rechtsfolgen der Notstandspflicht 187 Liegen die Voraussetzungen des polizeilichen bzw ordnungsbehördlichen Notstands vor, darf der Nichtstörer zur Gefahrenabwehr herangezogen werden. Bei der Obdachlosenunterbringung in privaten Räumen ergehen zwei Verfügungen. Die 775

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Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 377; noch strikter OVG SH NJW 1993, 413; aA dagegen Ewer/von Detten NJW 1995, 353, 355. VG Freiburg VBlBW 2002, 497, 498. NdsOVG NdsVBl 2005, 49. BVerfG (K) DVBl 2001, 897, 901; BVerwG DVBl 1999, 1740, 1743 → JK VwGO § 113 I 4/15. VGH BW VBlBW 2002, 383, 385; VG Freiburg VBlBW 2002, 497, 499. Zu einer solchen Konstellation OVG Berlin NVwZ 1991, 691; nach Änderung der Verhältnisse korrigiert durch OVG Berlin NVwZ 1992, 501, 502. OVG SH NJW 1993, 413. Ewer/von Detten NJW 1995, 355, 356; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 377.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 3 e

Wohnraumbeschlagnahme 783 ist an den Wohnungseigentümer als Nichtstörer adressiert, die Einweisungsverfügung ergeht gegenüber dem (potentiell) Obdachlosen als Störer.784 Der Behörde ist Auswahlermessen eingeräumt, wenn verschiedene Nichtstörer herangezogen werden können (zB bei der Obdachlosenunterbringung: Privatwohnungen, Pensionen, Hotels). Übt die Behörde ihr Ermessen nicht (fehlerfrei) aus, ist die Heranziehung des in Anspruch genommenen Nichtstörers rechtswidrig.785 d) Umfang und Dauer von Notstandsmaßnahmen Die Notstandspflicht besteht nur solange, wie die Gefahrenabwehr nicht auf andere 188 Weise möglich ist. Die Behörde muss ihre Maßnahme demnach ständig unter Kontrolle halten. Bei der Obdachlosenunterbringung muss die Verwaltung auch nach der Wohnraumbeschlagnahme versuchen, den Eingewiesenen alsbald anderweitig unterzubringen.786 Ist zB die Einweisung in eine gemeindliche Obdachlosenunterkunft möglich geworden, muss die Wohnraumbeschlagnahme aufgehoben werden.787 Ansonsten hängt ihre Dauer, sofern keine gesetzliche Befristung vorgeschrieben ist,788 von den Umständen des konkreten Falles ab.789 Die Einweisung eines ehemals Obdachlosen in Privaträume soll dann nicht mehr gerechtfertigt sein, wenn der Eigentümer diese selbst nutzen möchte.790 e) Folgenbeseitigung und Ersatzansprüche Sind die Voraussetzungen der Notstandspflicht entfallen, muss die Inanspruch- 189 nahme des Nichtverantwortlichen beendet werden. Kommt die Behörde dieser Rechtspflicht nicht nach, stellt sich die Frage nach einem Anspruch des Nichtstörers auf Beseitigung der tatsächlichen Folgen des früheren behördlichen Tuns. In der Praxis ist die Frage bei der Einweisung Obdachloser in private Räume virulent geworden, wenn die Beschlagnahmefrist abgelaufen ist und der Eingewiesene die Wohnung nicht verlässt. In den Fällen der Fremdeinweisung (Rn 179) liegt ein typischer Fall des Folgenbeseitigungsanspruchs 791 vor.792 Folgenbeseitigung 783

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Rechtsgrundlage ist entweder eine Standardbefugnis (§ 33 I PolG BW; § 27 I SächsPolG) oder eine besondere Ermächtigung (Art 7 II Nr 3 BayLStVG) oder die Generalklausel. Enders DV 30 (1997) 29, 33; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 376f, 378; Ruder NVwZ 2001, 1223, 1227. OVG SH NJW 1993, 413, 414. OVG NW OVGE 35, 303, 304. VGH BW DÖV 1990, 573, 574; OVG NW DVBl 1991, 1372. § 33 III 2 PolG BW: maximal 6 Monate; dazu VGH BW DÖV 1991, 121, 122; NJW 1997, 2832, 2833. – § 27 III 2 SächsPolG: Wohnraumbeschlagnahme maximal 12 Monate. Überblick dazu bei Ewer/von Detten NJW 1995, 353, 356; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 378. OVG SH NJW 1993, 413, 414. Dazu Rüfner in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 49 Rn 17 ff. OVG Berlin NVwZ 1991, 691; NVwZ 1992, 501, 502; Roth DVBl 1996, 1401, 1402; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 379.

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2. Kap II 3 e

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kann der Wohnungseigentümer (und Räumungsgläubiger) nach hM auch bei (unechter) Wiedereinweisung verlangen, wobei lediglich rechtskonstruktiv umstritten ist, ob der Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) als Rechtsgrundlage fungiert 793 oder die Generalklausel heranzuziehen ist.794 Diese Auffassung ist zunehmend in die Kritik geraten. Da der Wohnungseigentümer nur die Wiederherstellung des status quo ante verlangen könne, könne er nur einen Zustand iSd vormals eingeleiteten Zwangsvollstreckung (Wohnungsräumung) beanspruchen, die er nun – da der zivilgerichtliche Titel nicht verbraucht sei – fortsetzen könne; werde dem Eigentümer ein Anspruch auf behördliche Exmittierung des Eingewiesenen zuerkannt, erhalte er mehr, als er vor der Wohnraumbeschlagnahme gehabt habe.795 An dieser Kritik ist richtig, dass dem Eigentümer das Vollstreckungs(kosten)risiko (teilweise) abgenommen würde, wenn auch die (unechte) Wiedereinweisung dem FBA zugeordnet würde. Allerdings darf zweierlei nicht übersehen werden. Der FBA ist nicht allein auf die Wiederherstellung des status quo ante gerichtet, sondern ebenso auf die Herstellung eines gleichwertigen Zustands.796 Übersieht man sodann den Faktor „Zeit“ nicht, besteht kein Zweifel daran, dass der Eigentümer ohne die Beschlagnahme auf Grund seines Räumungstitels längst eine freie (und ggf zu besseren Konditionen schon weitervermietete) Wohnung hätte.797 Was die Verfügbarkeit der Wohnung betrifft, wird der Eigentümer durch die Folgenbeseitigung also keineswegs besser gestellt; und das andauernde rechtswidrige Verweilen des Eingewiesenen ist allein auf die Verwaltungsmaßnahme zurückzuführen. Als Nichtstörer hat der im Wege des Notstands in Anspruch Genommene einen 190 Entschädigungsanspruch (Rn 298). Kommt die Behörde ihrer Folgenbeseitigungspflicht (Rn 189) nicht nach und entstehen dem Eigentümer im Falle der Obdachloseneinweisung Schäden (zB Mietzinsausfall), können diese aus Amtshaftung ersetzt verlangt werden.798 Ein Schadenersatzanspruch des Eigentümers gegenüber der Behörde besteht auch für die infolge der Wohnungseinweisung durch den Obdachlosen in den Räumen verursachten Schäden.799

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So zutr BGHZ 130, 332, 335 ff → JK GG Art 34/13; OVG Berlin NVwZ 1992, 501, 502; OVG NW DVBl 1991, 1372; Götz VBlBW 1987, 425; ders POR Rn 272; Würtenberger/ Heckmann/Riggert PolR BW Rn 480 f. So grdl VGH BW VBlBW 1987, 423 → JK PolG BW §§ 1, 3/1; ferner VGH BW DÖV 1990, 573f; DÖV 1996, 1056, 1057; NJW 1997, 2832, 2833. OLG Köln NJW 1994, 1012, 1013; Roth DVBl 1996, 1401, 1406 f; Enders DV 30 (1997) 29, 36 ff; Erichsen/Biermann Jura 1998, 371, 379; Masing DÖV 1999, 573, 576f; Schenke POR Rn 323. Schoch Jura 1993, 478, 484 und DV 34 (2001) 261, 271, Bumke JuS 2005, 22, 24. Eingeräumt von Roth DVBl 1996, 1401, 1408, der den FBA jedoch auf Herstellung des Zustandes begrenzt sieht, „der vor dem Eingriff tatsächlich bestanden hat“. BGHZ 130, 332 → JK GG Art 34/13. BGHZ 131, 163.

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2. Kap II 4 a

4. Standardmaßnahmen a) Begriff und Bedeutung Gefahrenabwehrmaßnahmen nach der Generalklausel sind nicht auf gesetzlich vor- 191 gegebene Inhalte festgelegt; dadurch kann atypischen Gefahrensituationen Rechnung getragen werden. Maßnahmen zur Abwehr bestimmter, häufig wiederkehrender Gefahrensituationen sind hingegen im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht typisiert.800 Die daraus hervorgehende Standardisierung von Eingriffsbefugnissen hat zunächst eine rechtspraktische Bedeutung und dient der Rechtsklarheit. Da es sich bei den Standardmaßnahmen um Grundrechtseingriffe handelt, wird ferner dem Gesetzesvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot Rechnung getragen. Schließlich können die Standardbefugnisse auch als gesetzliche Ausprägung des Übermaßverbots begriffen werden, indem bindend normiert ist, welche Maßnahmen in bestimmten Gefahrensituationen getroffen werden dürfen.801 Die Vorschriften zu den Standardmaßnahmen stellen spezielle Befugnisnormen 192 dar, die in ihrem Anwendungsbereich 802 eine abschließende Regelung treffen und den Rückgriff auf die Generalklausel ausschließen (Rn 56). Signifikante Abweichungen zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen bei Maßnahmen nach der Generalklausel bestehen in drei Punkten: Häufig sind die Eingriffsvoraussetzungen enger; mitunter genügt aber bereits ein Gefahrverdacht (Rn 95 ff) für das polizeiliche Einschreiten; vielfach werden Maßnahmen gegen Personen erlaubt,803 die nach den allgemeinen Regeln als „Nichtstörer“ (Rn 177 ff) zu qualifizieren sind.804 Standardmaßnahmen lassen sich nicht einheitlich dem System der Handlungs- 193 formen der Verwaltung 805 zuordnen. Die Befugnisnormen sind auch nicht auf bestimmte Handlungsformen festgelegt.806 Teilweise wird zum Erlass eines Verwaltungsakts ermächtigt (zB Platzverweisung, Aufenthaltsverbot), der ggf. mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden muss,807 teilweise ergehen Standardmaßnahmen 800 801

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Überblick bei Erichsen Jura 1993, 45 ff. Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 314. – Zur grundrechtsgebotenen Normierung von Standardbefugnissen Butzer VerwArch 93 (2002) 506, 522 ff. Es geht hier nur um präventive Maßnahmen; zu Parallelbefugnissen nach der StPO Erichsen Jura 1993, 45, 49; ausf Lambiris Klassische Standardbefugnisse im Polizeirecht, 2002, 102 ff. Ausdrückliche Klarstellung in Art 7 IV, 8 IV, 10 III BayPAG, Art 9 II 3 BayLStVG; §§ 13 IV, 14 V, 16 IV ASOG Bln; §§ 5 IV, 6 IV, 7 III BbgPolG, §§ 16 IV, 17 IV, 18 III BbgOBG; § 8 BremPolG; §§ 68, 70 IV SOG MV; § 9 NdsSOG; §§ 4 IV, 5 IV, 6 III PolG NW, §§ 17 IV, 18 IV, 19 III OBG NW; §§ 217, 219 IV LVwG SH; §§ 7 IV, 8 IV, 10 III ThürPAG, §§ 10 IV, 11 IV, 13 III ThürOBG; § 20 II BPolG. Ausf zum Abrücken von der „Störereigenschaft“ bei polizeilichen Standardmaßnahmen Möller-Bierth Polizeiliche Inanspruchnahme (Fn 742), 35 ff. Dazu Erichsen in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 11 Rn 1 f. Gusy PolR Rn 182. – AA – Standardmaßnahmen seien Verwaltungsakte – Götz POR Rn 278; ebenso iSe „Grundsatzes“ Schenke POR Rn 115 f; Würtenberger in: Achterberg/ Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 156. AA Schmitt-Kammler NWVBl 1995, 166 ff (Ermächtigung unmittelbar zu polizeilichen Tathandlungen).

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2. Kap II 4 b aa

Friedrich Schoch

(zB Sicherstellung, Wohnungsdurchsuchung) als Realakte (iSd unmittelbaren Ausführung der Maßnahme); 808 teilweise dürfen Standardmaßnahmen mit begleitenden Duldungsverfügungen sogleich ausgeführt werden (zB bei Überwindung eines Widerstands des Betroffenen bei Durchsuchungen).809 In denjenigen Fällen, in denen das unmittelbare Handeln durch Realakt erlaubt ist, bedarf es nicht der Konstruktion (genauer: Fiktion) einer konkludenten Duldungsverfügung; dieses gekünstelte Konstrukt ist überflüssig, zumal verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz auch gegen Verwaltungstathandeln zur Verfügung steht.810 Eine Systematisierung der Standardmaßnahmen nach einem einheitlichen Struk194 turmodell ist nicht (mehr) möglich. Die gesetzliche Einführung informationsbezogener Standardmaßnahmen auf Grund des Volkszählungsurteils des BVerfG 811 hat zu unübersichtlichen Rechtslagen schon im jeweiligen Landesrecht und insb auch zu Unterschieden zwischen den einschlägigen Landesgesetzen geführt.812 Die Systematisierungsvorschläge der Wissenschaft 813 folgen daher weniger gesetzlichen Ordnungsvorstellungen als vielmehr Zweckmäßigkeitskriterien. Auch wenn informationsbezogene Standardmaßnahmen immer weiter an Bedeutung gewinnen (werden), sollten die klassischen Standardbefugnisse des Polizeirechts (zumal für die akademische Ausbildung) nicht in den Hintergrund gerückt werden (b). Die wichtigsten informationellen Standardbefugnisse lassen sich in solche der Informationsbeschaffung (c) und der Informationsverarbeitung (d) gliedern. b) Klassische Standardmaßnahmen 195 Standardbefugnisse, die – unabhängig von den seit 1986 geschaffenen Ermächtigungen zur Datenerhebung und -verarbeitung – seit jeher Bestandteil des rechtsstaatlichen Polizei- und Ordnungsrechts gewesen sind, können als „klassisch“ bezeichnet werden.814 Auch unter diesen Maßnahmen befinden sich – zumeist in der Gestalt offener Informationserhebung – solche der Informationsbeschaffung. Spezifische Mittel der Informationserhebung (Rn 244 ff) kommen jedoch nicht bzw kaum zum Einsatz. Die folgende Darstellung orientiert sich an §§ 9, 10, 11 ff MEPolG. aa) Befragung und Auskunftsverlangen: Die Polizei bzw zuständige Ordnungs196 behörde kann eine Person befragen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person sachdienliche Angaben machen kann, die zur Wahrnehmung der 808 809

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814

Finger JuS 2005, 116, 117. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 12 Rn 10 f; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 315 ff; Lambiris Standardbefugnisse (Fn 802), 115 ff. Finger JuS 2005, 116, 117 f. BVerfGE 65, 1; dazu Kunig Jura 1993, 595; vgl ferner Dix Jura 1993, 571. Vgl dazu Riegel DÖV 1994, 814 ff; ferner Schwabe DVBl 2000, 1815 ff. Erichsen Jura 1993, 45: (1) Maßnahmen der offenen Datenerhebung, (2) Maßnahmen der verdeckten Datenerhebung, (3) sonstige Standardmaßnahmen. – Gusy PolR Rn 180: (1) Standardmaßnahmen der Gefahraufklärung, (2) Standardmaßnahmen der Gefahrbeseitigung. – Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 12 Rn 6 ff: (1) aktionelle Standardbefugnisse, (2) informationelle Standardbefugnisse zur (a) Datenerhebung [(aa) nach einer Generalklausel, (bb) nach Spezialermächtigungen] und (b) Datenverarbeitung. Ausf dazu Lambiris Standardbefugnisse (Fn 802), 18 ff.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 b bb

Aufgabe erforderlich sind.815 Bei dieser Standardbefugnis geht es um eine Anhörung des Betroffenen gegen seinen Willen.816 An der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bestehen keine Bedenken.817 Die Befragung ist als Aufforderung zu verstehen, eine Auskunft zu erteilen oder eine Aussage zu machen.818 Für die Dauer der Befragung kann die Person angehalten werden. Sie ist insb verpflichtet, Name, Vorname, Tag und Ort der Geburt, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit anzugeben. Zu weiteren Auskünften ist die Person nur verpflichtet, soweit für sie gesetzliche 197 Handlungspflichten bestehen. Hierbei muss es sich nicht um eine spezielle Auskunftspflicht handeln; es genügen Pflichten des Verwaltungsrechts (oder nach §§ 138, 323 c StGB), deren Unterlassung durch die zu befragende Person eine Gefahr iSd Polizei und Ordnungsrechts verursacht.819 Das Landesrecht sieht die Pflicht zu weiteren Angaben auch vor, wenn die Auskunft zur Abwehr einer konkreten Gefahr erforderlich ist.820 Der Betroffene ist über seine Auskunftspflicht und die Rechtsgrundlage hierfür bzw über die Freiwilligkeit der Auskunft zu belehren. Der Aussagepflicht korrespondiert ein Aussageverweigerungsrecht.821 Ein Berechtigungsschein 822 ist zur behördlichen Prüfung auszuhändigen, wenn 198 der Betroffene verpflichtet ist, den Berechtigungsschein mitzuführen.823 Spezialgesetzlich ist die Führerschein- und Fahrzeugscheinkontrolle geregelt (§ 36 V StVO). bb) Identitätsfeststellung: Die Identitätsfeststellung 824 ist die offene Erhebung 199 von Personalien bei dem Betroffenen selbst zur Klärung seiner Identität. Dazu kann die Polizei alle erforderlichen Maßnahmen treffen. Mittel zur Identitätsfeststellung sind das Anhalten und Befragen zur Person sowie das Verlangen nach Aushändi815

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§ 20 I PolG BW; Art 12 BayPAG; § 18 III ASOG Bln; § 11 BbgPolG, § 23 Nr 1 lit a BbgOBG; § 13 BremPolG; § 3 HbgGDatPol; § 12 HessSOG; § 28 SOG MV; § 12 NdsSOG; § 9 PolG NW, § 24 Nr 1 OBG NW; § 9a POG RP; § 11 I SaarlPolG; § 18 SächsPolG; § 14 SOG LSA; § 180 LVwG SH; § 13 ThürPAG, § 16 ThürOBG; § 22 BPolG. Einzelheiten bei Gusy NVwZ 1991, 614 ff. Vgl BVerfGE 92, 191 → JK GG Art 2 I/27 (zur Verfassungsmäßigkeit von § 163 b I StPO, § 111 OWiG). Robrecht SächsVBl 2001, 19. Einzelheiten dazu bei Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 281 ff. ZB § 25 a I Nr 1 POG RP; dazu VG Trier NJW 2002, 3268. § 18 VI ASOG Bln; § 3 III HbgGDatPol; § 12 II 2 HessSOG; § 28 II 2 SOG MV; § 12 V NdsSOG; 9 a III POG RP; § 11 I 4, 5 SaarlPolG; § 18 VI 2 SächsPolG; § 14 II SOG LSA; § 180 II 3 LVwG SH; § 16 III ThürOBG; § 22 III BPolG. – Ohne ausdrückliche Vorschrift gilt der Rechtssatz, dass sich niemand selbst belasten muss. Dazu § 26 III PolG BW; Art 13 III BayPAG; § 22 ASOG Bln; § 14 BbgPolG, § 23 Nr 1 lit c BbgOBG; § 11 V BremPolG; § 4 IV HbgGDatPol; § 18 VII HessSOG; § 30 SOG MV; § 13 III NdsSOG; § 13 PolG NW, § 24 Nr 5 OBG NW; § 10 III POG RP; § 9 III SaarlPolG; § 19 III SächsPolG; § 20 VII SOG LSA; § 182 LVwG SH; § 15 ThürPAG; § 23 IV BPolG. Waffenschein § 38 S 1 Nr 1a WaffG; Jagdschein § 15 I BJagdG; Genehmigungsurkunde im Personenbeförderungsrecht § 17 IV PBefG; Reisegewerbekarte § 60 c GewO; Führerschein § 4 II FeV; Fahrzeugschein § 24 StVZO. § 26 PolG BW; Art 13 BayPAG; § 21 ASOG Bln; § 12 BbgPolG; § 11 BremPolG; § 12 HbgSOG; § 18 HessSOG; § 29 SOG MV; § 13 NdsSOG; § 12 PolG NW; § 10 POG RP; § 9 SaarlPolG; § 19 SächsPolG; § 20 SOG LSA; § 181 LVwG SH; § 14 ThürPAG, § 15 ThürOBG; § 23 BPolG.

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2. Kap II 4 b bb

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gung mitgeführter Ausweispapiere. Notfalls kann der Betroffene festgehalten und durchsucht werden. Auch erkennungsdienstliche Maßnahmen (Rn 202) kommen als ultima ratio in Betracht. Bei den Voraussetzungen für die Identitätsfeststellung unterschied das Gefahren200 abwehrrecht traditionell vier Fallgruppen: (1) Abwehr einer (konkreten) Gefahr, (2) Aufenthalt an einem gefährlichen Ort, (3) Aufenthalt in bzw bei einem gefährdeten Objekt, (4) Kontrollstelle zur Verhinderung von Straftaten. Die Identitätsfeststellung zur Abwehr einer konkreten Gefahr unterliegt den allgemeinen Regeln des Gefahrenabwehrrechts; der Betroffene kann als Verantwortlicher bzw ausnahmsweise als Nichtverantwortlicher in Anspruch genommen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Gefahrenprognose iS einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Bedrohung eines Schutzguts stützen.825 Die anderen drei Fallgruppen normieren polizeiliche Vorfeldbefugnisse, die zT von den üblichen Voraussetzungen für Eingriffsmaßnahmen dispensieren. So kann sich die Identitätsfeststellung auf einen Nichtstörer beziehen, wenn er sich nur an einem der genannten Orte aufhält.826 Auf Grund der gesetzlichen Wertung genügt für die Identitätsfeststellung die abstrakte Gefahr des Eintritts einer Störung.827 Allerdings muss der abstrakte Gefahrverdacht wenigstens auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützt sein, wenn die Identität einer Person an einem gefährlichen Ort oder gefährdeten Objekt festgestellt werden soll. Das gilt auch für die sog Razzia.828 Bei ihr werden sämtliche Personen, die sich an einem bestimmten Ort aufhalten, einer Identitätsfeststellung unterzogen; ein Bündel weiterer Maßnahme schließt sich idR an (Datenabgleich, Durchsuchungen etc).829 Die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der EU hat im 201 Polizeirecht zur Einführung der sog Schleierfahndung geführt.830 Dabei handelt es sich um anlassunabhängige Personenkontrollen. Die Befugnis zur verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrolle dient der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Im Landesrecht wird zT nur ein Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km erfasst; zT werden auch Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen) und zT sogar der gesamte öffentliche Verkehrsraum einbezogen.831

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BayVGH BayVBl 1993, 429, 431. VGH BW VBlBW 1982, 338, 339 f. Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 14 Rn 32 ff; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 158. VG München NVwZ-RR 2000, 154, 155. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 334 ff. § 26 I Nr 6 PolG BW; Art 13 I Nr 5 BayPAG; § 12 I Nr 6 BbgPolG (vgl aber auch § 11 III BbgPolG); § 18 II Nr 6 HessSOG; § 19 I 1 Nr 5 SächsPolG; § 14 I Nr 5 ThürPAG. – Spezielle Befugnis für die Bundespolizei nach § 23 I Nr 3, I a BPolG. Andere Konzeption (Befugnis nur zur Befragung, bestimmte Lageerkenntnisse notwendig) § 18 VII ASOG Bln; § 14 III SOG LSA; § 9 a SaarlPolG; weniger streng § 12 VI NdsSOG. – Ferner Neuregelung § 27 a SOG MV (vgl Fn 833). Vgl ie von Filseck BWVP 1996, 272 ff; Schmid LKV 1998, 477 ff; Kutscha LKV 2000, 134 ff; Mahlmann LKV 2001, 102 ff. – Ausf Krane Schleierfahndung, 2003, 106 ff; vgl auch T. Peters Anlassunabhängige Personenkontrollen, 2004, 16 ff.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 b cc

Die Befugnisnormen sind seit ihrer Einführung (beginnend 1995 in Bayern) umstritten gewesen.832 Das LVerfG MV hat die Schleierfahndung für verfassungsmäßig erklärt, soweit die Polizei in einem Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km und bei öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs (sowie Küstenmeer) die Befugnis erhält, ohne gesetzlich festgelegte Eingriffsschwellen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität Identitätsfeststellungen zu treffen. In allen anderen Fällen sei die Schleierfahndung wegen Verletzung des Übermaßverbots verfassungswidrig, weil es an dem notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Einzelnen und einer Gefährdung eines zu schützenden Rechtsguts fehle; gesetzliche Ermächtigungen zur Identitätsfeststellung müssten Eingriffsschwellen festlegen, indem zB auf Lageerkenntnisse und polizeiliche Erfahrung abgestellt werde.833 Diese Entscheidung ist nicht unproblematisch.834 Gerichtlich werden gesetzgeberische Einschätzungsprärogativen usurpiert. Die Bekämpfung der organisierten und nicht organisierten grenzüberschreitenden Kriminalität (Menschenschmuggel, Waffenhandel, Drogenhandel, Bandendiebstahl, Autoschieberei etc) ist ein in hohem Maße verfassungslegitimes Ziel („staatliche Schutzpflicht“), zu dessen Verwirklichung die Schleierfahndung geeignet und erforderlich ist; bei der Beurteilung der Angemessenheit kommt dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu.835 Der BayVerfGH hat die Verfassungsmäßigkeit der Regelung zur Schleierfahndung anerkannt und dabei insbesondere keine Restriktionen aus dem Übermaßverbot abgeleitet: Die Identitätskontrolle stelle nur einen geringfügigen Grundrechtseingriff dar; die Eingriffsschwellen der ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrolle seien zwar niedrig ausgestaltet, andererseits diene die Kontrolle dem Schutz bedeutsamer Rechtsgüter, deren Verletzung strafbewehrt sei; da es um Gefahrenvorsorge gehe, könne auch ein „Zurechnungszusammenhang“ zwischen der Kontrolle und der Gefahr, der die Vorsorge gelte, sinnvollerweise nicht verlangt werden, da die Gefahr gleichsam anonym sei.836 cc) Erkennungsdienstliche Maßnahmen: Die Befugnis zur Durchführung erken- 202 nungsdienstlicher Maßnahmen 837 dient der Feststellung individueller körperlicher Merkmale zur Identifizierung von Personen. Anhand der äußerlich erkennbaren Merkmale soll insb die Wiedererkennung des Betroffenen gewährleistet werden. Typische 832

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Krit Lisken NVwZ 1998, 22 ff (mit Entgegnung Schwabe NVwZ 1998, 709 ff); Stephan DVBl 1998, 81 ff; Waechter DÖV 1999, 138 ff; Verfassungsmäßigkeit grds bejahend Möllers NVwZ 2000, 382 ff; Weingart BayVBl 2001, 33 ff. LVerfG MV DVBl 2000, 262 (m krit Anm Engelken). Vgl die Analysen von Schnekenburger BayVBl 2001, 129 ff, sowie Kastner VerwArch 92 (2001) 216 ff; abl Möllers ThürVBl 2000, 41 ff; grds zust Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 382 ff. Zurückhaltend zu § 14 III SOG LSA VerfG LSA NVwZ 2002, 1370 (m Bespr Martell NVwZ 2002, 1336). BayVerfGH DVBl 2003, 861, 865; dazu Bespr Horn BayVBl 2003, 545. § 36 PolG BW; Art 14 BayPAG; § 23 ASOG Bln; § 13 BbgPolG; § 11 a BremPolG; § 7 HbgGDatPol; § 19 HessSOG; § 31 SOG MV; § 15 NdsSOG; § 14 PolG NW; § 11 POG RP; § 10 SaarlPolG; § 20 SächsPolG; § 21 SOG LSA; § 183 LVwG SH; § 16 ThürPAG; § 24 BPolG.

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2. Kap II 4 b cc

Friedrich Schoch

erkennungsdienstliche Maßnahmen sind die Abnahme von Fingerabdrücken, die Aufnahme von Lichtbildern, die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale sowie Messungen. Der „genetische Fingerabdruck“ (DNA-Analyse) ist nicht mit umfasst, da es bei ihm nicht um die Feststellung äußerer Merkmale einer Person geht.838 Etwas anderes gilt insoweit nur, wenn das Landesrecht die DNA-Analyse im Rahmen erkennungsdienstlicher Maßnahmen ausdrücklich vorsieht.839 Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind nach dem Landespolizeirecht zulässig, 203 wenn entweder eine Identitätsfeststellung (Rn 199) auf andere Weise nicht bzw nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist oder – zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung – wenn der Betroffene einer Straftat verdächtig ist und Wiederholungsgefahr besteht. Die zweite Variante ist von § 81 b Alt 2 StPO abzugrenzen.840 Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten aufgenommen und Messungen sowie ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die landesgesetzlichen Vorschriften sind nur auf präventivpolizeiliche Maßnahmen außerhalb von Straftaten anwendbar (Rn 17). „Nichtbeschuldigte“ iSd §81 b Alt 2 StPO sind zB Strafunmündige, rechtskräftig Verurteilte oder Verdächtige, gegen die das Strafverfahren eingestellt worden ist.841 Wird hingegen die Beschuldigteneigenschaft bejaht,842 sind erkennungsdienstliche Maßnahmen nur nach § 81 b Alt 2 StPO zulässig.843 Erkennungsdienstliche Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straf204 taten verlangen Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Betroffene künftig als Verdächtiger in den Kreis möglicher Beteiligter einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen be- oder entlastend – fördern könnten.844 Daran kann es fehlen, wenn die Identität des Betroffenen der Polizei bekannt ist und die Feststellung seiner Identität auch in Zukunft keine Schwierigkeiten bereiten wird.845 Da erkennungsdienstliche Maßnahmen nur ergriffen werden dürfen, soweit sie „notwendig“ sind, genügt eine entsprechende behördliche Anordnung dem Bestimmtheitsgebot (§ 37 I VwVfG) nur, wenn sie die beabsichtigte Maßnahme konkret benennt.846 838

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Möller/Wilhelm Allg POR Rn 299; Schenke POR Rn 125; Würtenberger in: Achterberg/ Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 160; aA Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 14 Rn 57. Vgl § 19 III HessSOG; dazu Graulich NVwZ 2005, 271, 274; vgl ferner § 11a POG RP. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 81 b Alt 2 StPO vgl Rn 16 f; Verfassungsmäßigkeit bejahend VGH BW DÖV 1988, 83; abl Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 14 Rn 58. OVG RP DÖV 2001, 212, 213. Zum Begriff „Beschuldigter“ iSd § 81 b Alt 2 StPO NdsOVG NVwZ-RR 2004, 346; SächsOVG DÖV 2001, 211. VGH BW DÖV 2004, 440, 441 → JK StPO § 81 b/1; OVG Bbg LKV 2000, 163; OVG RP DÖV 2001, 212, 213. VGH BW DÖV 2004, 440, 441 → JK StPO § 81 b/1; NdsOVG NVwZ-RR 2004, 346; OVG NW DVBl 1999, 1228, 1229. Vgl – zu § 81 b Alt 2 StPO – BayVGH NVwZ-RR 1998, 496; anders bzgl „Rotlichtmilieu“ OVG RP DÖV 2001, 212, 213. NdsOVG NVwZ-RR 2004, 346.

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2. Kap II 4 b dd

Fehlt es an der Notwendigkeit einer weiteren Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen, sind diese zu vernichten, soweit andere Rechtsvorschriften nichts Abweichendes bestimmen. Die „Notwendigkeit“ ist anhand einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände im konkreten Fall zu ermitteln. Liegen die Voraussetzungen für eine weitere Aufbewahrung der Unterlagen nicht mehr vor, hat der Betroffene einen Anspruch auf ihre Vernichtung.847 dd) Vorladung und Vorführung: Vorladung und Vorführung sind klassische Standardmaßnahmen des Polizei- und Ordnungsrechts,848 die von vergleichbaren Maßnahmen nach der StPO abzugrenzen 849 und gegenüber verwandten Rechtsinstituten des Besonderen Verwaltungsrechts 850 subsidiär sind. Vorladung ist das rechtliche Gebot (Verwaltungsakt) an eine Person, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu erscheinen und dort bis zur Erledigung der in der Vorladung bezeichneten Angelegenheit zu verweilen.851 Die Vorladung dient der Durchführung polizeilicher Befragungen bzw erkennungsdienstlicher Maßnahmen. Eine Vorladung kann ausgesprochen werden, wenn entweder Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person sachdienliche Angaben machen kann, die für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe notwendig sind oder wenn die Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen erforderlich ist. Bei der Vorladung soll deren Grund angegeben werden; Rücksichtnahme auf die beruflichen Verhältnisse des Betroffenen und seine sonstigen Lebensverhältnisse ist geboten. Es besteht eine Pflicht zum Erscheinen und Bleiben; eine Pflicht zur Auskunft muss eigenständig ermittelt werden 852 (Rn 196 f). Die Vorladung kann mittels Vorführung zwangsweise durchgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass der Betroffene der Vorladung ohne hinreichenden Grund keine Folge leistet und das Zwangsmittel entweder zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen oder zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person (zT auch für bedeutende fremde Sach- oder Vermögenswerte) erforderlich ist. Die Vorführung ist iSd Art 104 GG idR eine Freiheitsbeschränkung, nicht jedoch eine Freiheitsentziehung 853 (Rn 218), kann also auf Grund eines förmlichen Gesetzes unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Form von der zuständigen Behörde angeordnet werden. Eine richterliche Anordnung ist nur vonnöten, wenn das Landesrecht dies ausdrücklich vorschreibt. Materiellrechtlich ist neben 847

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Schenke POR Rn 128; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 163. § 27 PolG BW; Art 15 BayPAG; § 20 ASOG Bln; § 15 BbgPolG, § 23 Nr. 1 lit d BbgOBG; § 12 BremPolG; § 11 HbgSOG; § 30 HessSOG; §§ 50, 51 SOG MV; § 16 NdsSOG; § 10 PolG NW, § 24 Nr 2 OBG NW; § 12 POG RP; § 11 SaarlPolG; § 18 SächsPolG; § 35 SOG LSA; §§ 199, 200 LVwG SH; § 17 ThürPAG, § 16 IV, V ThürOBG; § 25 BPolG. Gusy PolR Rn 226. Dazu Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 429. OVG NW DVBl 1982, 658. Lambiris Standardbefugnisse (Fn 802), 24; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 14 Rn 71; Schenke POR Rn 131; aA Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 431: keine Vorladung bei Fehlen einer Auskunftspflicht. BayObLG DVBl 1983, 1069; Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 440; Götz POR Rn 285; ebenso zum WPflG BVerwG DÖV 1990, 76; aA Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 14 Rn 80.

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den gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Vorführung das Übermaßverbot zu beachten. Danach kommt die Vorführung nicht in Betracht, wenn die Gefahrenabwehr auf andere Weise leichter zu bewerkstelligen ist.854 ee) Platzverweisung und Aufenthaltsverbot: Durch eine Platzverweisung oder 209 ein Aufenthaltsverbot wird einer Person aufgegeben, einen bestimmten Ort nicht (mehr) zu betreten. Die Platzverweisung ist eine vorübergehende (kurzfristige) Maßnahme (Entfernungsgebot oder Betretungsverbot) mit zeitlich und räumlich beschränkter Wirkung; das länger andauernde Aufenthaltsverbot kann sich auf einen größeren räumlichen Bereich (zB Stadtgebiet) beziehen und ggf mehrere Monate gelten.855 Bei der Bekämpfung der offenen Drogenszene finden Platzverweisung 856 und 210 Aufenthaltsverbot 857 in der Praxis ein breites Anwendungsfeld.858 Die Platzverweisung hat zudem Bedeutung zB zur Durchsetzung einer Versammlungsauflösung 859 und zur räumlichen Beschränkung eines Asylbewerbers,860 bei der Abwehr von drohenden Gewalttätigkeiten auf einem bestimmten Platz 861 und von Straftaten,862 zur Durchsetzung eines Verbots gegenüber Punkern zum Treffen bei „Chaostagen“ 863 und bei der Unterbindung von Einwirkungen eines Störers auf Gottesdienstbesucher.864 Gerichtlich nicht bestätigt wurden behördliche Aufenthaltsverbote zB gegen (vermeintliche) Angehörige der „Tuning-Szene“ 865, gegen Mitglieder der „Punk-Szene“ 866 und gegen Betreiber des „Hütchenspiels“.867 Die Platzverweisung stellt eine Freiheitsbeeinträchtigung dar. Die Art des Grund211 rechtsschutzes ist umstritten. Die Auffassungen reichen von Art 2 II 2 GG 868 über 854

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VG Gießen NVwZ-RR 1999, 376 (am Bspl polizeilicher Vorführung bei der Meldebehörde). OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 315 → JK BremPolG § 10/1; VG Schleswig NVwZ 2000, 464; VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 575, 576; VG Osnabrück NdsVBl 2003, 306. VGH BW DÖV 1997, 255 → JK Pol u OrdR Platzverweis/1; VGH BW DVBl 1998, 97; BayVGH NVwZ 2001, 1291. BayVGH DÖV 1999, 502 → JK BayLStVG Art 7/1; OVG Bremen NVwZ 1999, 314 → JK BremPolG § 10/1; OVG NW DÖV 2001, 216; NVwZ 2001, 231. Deger VBlBW 1996, 90; Haseloff-Grupp VBlBW 1997, 161; Scheithauer VBlBW 1997, 447; Cremer NVwZ 2001, 1218. BayVGH NVwZ 1988, 1055; BVerwG NVwZ 1989, 872; OVG Bremen DÖV 1987, 253. – Vor Auflösung einer Versammlung (§ 15 III VersG) ist die polizeirechtliche Platzverweisung wegen des Schutzes der Versammlungsteilnehmer durch Art 8 I GG unzulässig; BVerfG (K) NVwZ 2005, 80, 81 → JK GG Art 8/17. VGH BW DÖV 1998, 252. VG Schleswig NVwZ 2000, 464. VG Leipzig NVwZ 2001, 1317; VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 575. BayObLG NVwZ 2000, 467. OLG Köln NVwZ 2000, 350. VG Osnabrück NdsVBl 2003, 306. VGH BW NVwZ 2003, 115 (wegen unzul Allgemeinverfügung). HessVGH NVwZ 2003, 1400 (wegen – damals in Hessen – fehlender Rechtsgrundlage); dazu Hecker NVwZ 2003, 1334. Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 442; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 16 Rn 4; abl Deger VBlBW 1996, 90, 93; Braun Freizügigkeit und Platzverweis, 2000, 92 f.

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Art 11 GG 869 bis zu Art 2 I GG.870 Das Grundrecht auf Freiheit der Person ist nicht tangiert, weil Art 2 II 2 GG als Garantie der körperlichen Bewegungsfreiheit 871 gewahrt bleibt. Art 11 I GG greift auch nicht ein; zwar darf nach dem Grundrecht der Freizügigkeit ungehindert durch staatliche Gewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt oder Wohnung genommen werden, jedoch müssen Ortswechsel und Fortbewegung von gewisser Bedeutung und Dauer sein.872 Dies trifft in den Konstellationen der Platzverweisung (Rn 210) nicht zu. Die Platzverweisung stellt demnach einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 I GG) dar. Rechtsgrundlage für die Platzverweisung ist eine Standardbefugnis.873 Nur in Ba- 212 den-Württemberg fehlt eine solche Regelung, so dass die Generalklausel herangezogen werden muss.874 Besondere Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen normieren die Befugnisse zur Platzverweisung nicht. Die zuständige Behörde kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Besonders hervorgehoben ist in den Befugnisnormen die Platzverweisung gegen Personen, die den Einsatz der Feuerwehr bzw von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern. In der Substanz normieren die Standardbefugnisse der Landesgesetze keine ande- 213 ren Eingriffsvoraussetzungen als die Generalklausel; es muss eine Gefahr für ein Schutzgut vorliegen.875 Ist dies der Fall, muss die Platzverweisung 876 das Übermaßverbot beachten (vgl auch Rn 106). Ein Verstoß hiergegen wurde in Platzverweisungen gesehen, die in Form einer Allgemeinverfügung erlassen worden waren.877 Dagegen hat die Rechtsprechung keine Bedenken, wenn sich ein Betretensverbot auf das ganze Stadtgebiet bezieht.878 Für die Bestimmung des Adressaten der Maßnahme gelten die allgemeinen Regeln 879 (Rn 117 ff, 177 ff). Die Durch-

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Alberts NVwZ 1997, 45, 47; Hetzer ThürVBl 1997, 241 ff; Braun Freizügigkeit (Fn 868) 37 ff; abl Deger VBlBW 1996, 90, 92 f; Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 442. VGH BW DÖV 1997, 255, 256 → JK Pol u OrdR Platzverweis/1; Deger VBlBW 1996, 90, 93; Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 308. BVerfG (K) NVwZ 1983, 603; BVerfGE 105, 239, 247; Kunig Jura 1990, 306, 307; Kappeler BayVBl 2001, 336, 337 f. – BVerfGE 94, 166, 198; 96, 10, 21: kein Recht, sich unbegrenzt überall aufhalten zu dürfen. Schoch Jura 2005, 34, 35; Pieroth/Schlink Grundrechte, 20. Aufl 2004, Rn 791. Art 16 BayPAG; §§ 29 I, 29 a ASOG Bln; § 16 I BbgPolG, § 23 Nr 1 lit e BbgOBG; § 14 I BremPolG; § 12 a I HbgSOG; § 31 I HessSOG; § 52 I SOG MV; § 17 I NdsSOG; § 34 I PolG NW, § 24 Nr 13 OBG NW; § 13 I POG RP; § 12 I SaarlPolG; § 21 I SächsPolG; § 36 I SOG LSA; § 201 LVwG SH; § 18 I ThürPAG, § 17 I ThürOBG; § 38 BPolG. VGH BW DVBl 1998, 97; DÖV 1998, 252. VG Frankfurt/M NVwZ 1998, 770, 771; ausf Braun Freizügigkeit (Fn 868) 129 ff. BayVGH NVwZ 2001, 1291: mündl Anordnung zulässig, Bestimmtheit (§ 37 I VwVfG) nötig. VGH BW DÖV 1997, 255 → JK Pol u OrdR Platzverweis/1; VG Stuttgart NVwZ-RR 1998, 103. VGH BW DVBl 1998, 97. Götz POR Rn 287. – VG Schleswig NVwZ 2000, 464, 465: Platzverweisung gegenüber Nichtstörer.

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setzung einer Platzverweisung kann mittels Ingewahrsamnahme einer Person (Rn 218 ff) erfolgen.880 Bei dem (längerfristigen) Aufenthaltsverbot handelt es sich nicht um einen Ein214 griff in Art 2 II 2 GG; die körperliche Bewegungsfreiheit bleibt garantiert.881 Es liegt jedoch ein Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit (Art 11 I GG) vor.882 Daraus ergeben sich Probleme wegen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts (Art 11 II GG) und der Gesetzgebungskompetenz; außerdem muss das Zitiergebot (Art 19 I 2 GG) beachtet werden. Zweifel an der Kompetenzmäßigkeit landesrechtlicher Bestimmungen zur Einschränkung der Freizügigkeit im Bundesgebiet bestehen nicht. Zwar steht dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Freizügigkeit zu (Art 73 Nr 3 GG), so dass die Länder in diesem Bereich von der Gesetzgebung grundsätzlich ausgeschlossen sind (Art 71 GG); jedoch ist Regelungsgegenstand des Art 73 Nr 3 GG nach hM nur die interterritoriale Freizügigkeit (Zugang zwischen Staaten), so dass die Länder Regelungen zur interlokalen Freizügigkeit treffen dürfen.883 Die Rechtsgrundlagen für das Aufenthaltsverbot müssen den Anforderungen des 215 qualifizierten Gesetzesvorbehalts (Art 11 II GG) genügen. Soweit Standardbefugnisse bestehen,884 ist das der Fall.885 Im Übrigen ist die Eingriffsbefugnis zweifelhaft. Die Vorschriften zur Platzverweisung (Rn 212) können nicht herangezogen werden.886 Damit bleibt nur der Rückgriff auf die Generalklausel.887 Deren Heranziehung ist allerdings nicht unproblematisch.888 Denn es stellt einen Wertungs880 881

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BayObLG NVwZ 2000, 467, 468. BayVGH DÖV 1999, 520, 521 → JK BayLStVG Art 7/1; Kappeler BayVBl 2001, 336, 337 f; Götz POR Rn 287a. OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 315 → JK BremPolG § 10/1; OVG NW DÖV 2001, 216; Hetzer ThürVBl 1997, 241 ff; Hecker NVwZ 1999, 261, 262; ders NVwZ 2003, 1334, 1335; Robrecht SächsVBl 1999, 232, 234; Cremer NVwZ 2001, 1218, 1219, 1222; Schoch Jura 2005, 34, 37; Finger Die Polizei 2005, 82, 86; Wuttke Polizeirecht und Zitiergebot, 2004, 85 ff; aA Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 308: Art 2 I GG; ebenso VGH BW NVwZ 2003, 115, 116. OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 316 → JK BremPolG § 10/1; VG Leipzig NVwZ 2001, 1317, 1318; Alberts NVwZ 1997, 45, 47; Cremer NVwZ 2001, 1218, 1223; Neuner, Zulässigkeit und Grenzen polizeilicher Verweisungsmaßnahmen, 2003, 103 ff; Schoch Jura 2005, 34, 37 f; zweifelnd Hecker NVwZ 1999, 261, 262 f; ders NVwZ 2003, 1334, 1335. § 29 II ASOG Bln; § 16 II BbgPolG, § 23 Nr 1 lit e BbgOBG; § 14 II BremPolG; § 31 HessSOG; § 51 III SOG MV; § 17 IV NdsSOG; § 34 II PolG NW; § 13 III POG RP; § 12 III SaarlPolG; § 21 II SächsPolG; § 36 II SOG LSA; § 18 II ThürPAG, § 17 II ThürOBG. VG Leipzig NVwZ 2001, 1317 (zu § 21 II SächsPolG). OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 315 → JK BremPolG § 10/1; VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 575, 576; Cremer NVwZ 2001, 1218, 1220; aA VG Göttingen NVwZ-RR 1999, 169. BayVGH DÖV 1999, 520, 521 → JK BayLStVG Art 7/1; OVG NW DÖV 2001, 216; Götz POR Rn 287 a; differenzierend Cremer NVwZ 2001, 1218, 1222: Generalklausel bei Drogendealer, Spezialbefugnis notwendig bei Drogenabhängigen; krit Hecker NVwZ 1999, 261, 263: Trennung des Personenkreises nur sehr bedingt möglich. Abl HessVGH NVwZ 2003, 1400; VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2002, 575, 576; Alberts NVwZ 1997, 45, 47; Hecker NVwZ 1999, 261, 262; Butzer VerwArch 93 (2002) 506,

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2. Kap II 4 b ee

widerspruch dar, wenn die Platzverweisung gesetzlich als Standardmaßnahme ausgeprägt ist, während das eingriffsintensivere Aufenthaltsverbot auf die Generalklausel gestützt wird. Eine derartige Rechtslage konnte allenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden. Mittlerweile lässt sich nicht mehr behaupten, dass es beim Aufenthaltsverbot um die Abwehr atypischer Gefahren geht; zudem verlangt der qualifizierte Gesetzesvorbehalt (Art 11 II GG) eine spezifische gesetzliche Eingriffsermächtigung. Solange die Generalklausel herangezogen wurde, musste sie verfassungskonform restriktiv iSd Art 11 II GG ausgelegt und angewendet werden.889 Bei der Konkretisierung der landesgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalts- 216 verbot ist der Kriminalvorbehalt des Art 11 II GG zu beachten. Aufenthaltsverbote sind danach zulässig, um strafbaren Handlungen vorzubeugen.890 Das ist zB bei einem Aufenthaltsverbot für Personen der „Punk-Szene“ nicht der Fall, wenn damit bloße Belästigungen und Geschmacklosigkeiten bekämpft werden.891 Wird gegen Personen der „Tuning-Szene“ vorgegangen, müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade diese Personen Straftaten begehen werden.892 Wegen Art 11 II GG bezieht sich ein Aufenthaltsverbot nicht auf eine bestimmte „Szene“ (als solche); immer geht es darum, dass einzelne Personen – nach Maßgabe nachprüfbarer Erkenntnisse – Straftaten begehen werden.893 Auf der Rechtsfolgenseite der Befugnisnorm ist das Übermaßverbot zu beachten.894 Räumlich darf ein Aufenthaltsverbot – soweit Ausnahmen im Einzelfall beachtet werden (zB Zugang zu Ärzten, Rechtsanwälten etc) – auf ein ganzes Gemeindegebiet ausgedehnt werden.895 Zeitlich werden von der Rechtsprechung mehrmonatige Aufenthaltsverbote akzeptiert.896 Schwierigkeiten kann die Bestimmung des richtigen Adressaten der Maßnahme bereiten. Der Rückgriff auf die allgemeinen „Störer“-Vorschriften 897 ist problematisch. Vor dem Hintergrund des Art 11 II GG kommt das Aufenthaltsverbot nur gegen eine Person in Betracht, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen,

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537; Neuner, Verweisungsmaßnahmen (Fn 883) 118 f; Finger Die Polizei 2005, 82, 83; Wuttke Polizeirecht und Zitiergebot, 2004, 107; Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 453; Schenke POR Rn 134. OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 316 f → JK BremPolG § 10/1; Cremer NVwZ 2001, 1218, 1219. Hetzer ThürVBl 1997, 241, 245 f; Robrecht SächsVBl 1999, 232, 235 f. VGH BW NVwZ 2003, 115, 116: kein Aufenthaltsverbot gegen bestimmte Personen beim bloßen Niederlassen dieser Personen auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen oder beim Niederlassen überwiegend zum Alkoholgenuss oder bei bloß „stillem“ Betteln. VG Osnabrück NdsVBl 2003, 306: Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Szene“ oder „szenetypisches“ Aussehen reichen nicht für ein Aufenthaltsverbot. Finger Die Polizei 2005, 82, 84. Rspr hierzu zusammenfassend Hecker NVwZ 2003, 1334, 1336 f. VG Leipzig NVwZ 2001, 1317, 1319. ZB 6 Monate von OVG Bremen NVwZ 1999, 314, 317 → JK BremPolG § 10/1; OVG NW DÖV 2001, 216; abl Hecker NVwZ 1999, 261, 263. – Zur gesetzlichen Begrenzung auf 3 Monate VG Leipzig NVwZ 2001, 1317, 1319. Schloer DÖV 1991, 955 ff.

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2. Kap II 4 b ee

Friedrich Schoch

dass diese Person an dem betreffenden Ort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird.898 Als neue Standardmaßnahme bildet sich die Wohnungsverweisung bzw das 217 Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt heraus. An der Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Standardbefugnis 899 bestehen keine Bedenken.900 Wo es an speziellen Eingriffsermächtigungen fehlte, konnte vorübergehend auf die Generalklausel zurückgegriffen werden.901 Inzwischen können Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot nicht mehr als atypische Maßnahmen qualifiziert werden, bei denen eine Standardisierung vom Gesetzgeber nicht verlangt werden könnte. Das Phänomen der häuslichen Gewalt gehört seit geraumer Zeit zum Dienstalltag der Polizei, die hierauf mit Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot reagiert. Dabei handelt es sich um Eingriffe in spezielle Freiheitsgrundrechte (Art 11 I, 13 I, 14 I, uU 6 I GG), die zur Rechtfertigung landesgesetzlicher Spezialermächtigungen (Standardbefugnisse) bedürfen.902 Soweit die Rechtsprechung noch von einer „Phase der Erprobung“ spricht und den Rückgriff auf die Generalklausel erlaubt,903 kann darin nur eine rechtlich wenig überzeugende Konzession an die Praxis gesehen werden.904 Das Gewaltschutzgesetz des Bundes 905 steht der Anwendung des Landespolizeirechts nicht entgegen, sondern ist – im Gegenteil – auf die polizeiliche Wohnungsverweisung (und das Rückkehrverbot) als kurzfristige behördliche Interventionsmaßnahmen sogar angewiesen, soll es nicht teilweise leer laufen.906 Tatbestandlich setzen die landesgesetzlichen Standardbefugnisse zur Wohnungsverweisung eine gegenwärtige bzw dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person voraus.907 Probleme bereiten in der Praxis die Gefahrenprognose und die damit eng verknüpfte Beweisfrage.908 Liegen Anhaltspunkte für frühere körperliche Übergriffe und anhaltende Bedrohungen vor, ist das polizeiliche Einschreiten angesichts der zu schützenden hochrangigen Rechtsgüter tatbestandlich gedeckt.909 Der Wunsch des Gewaltopfers nach Rückkehr der gewalttätigen Person ist, da die Freiwilligkeit des Willensentschlusses zweifelhaft blieb, wegen der staatlichen Schutzpflicht gem 898 899

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Ohne klare Störer-Bestimmung OVG NW DÖV 2001, 216. § 29 a ASOG Bln; § 16 a BbgPolG; § 14 a BremPolG; § 12 a II HbgSOG; § 31 II HessSOG; § 52 II SOG MV; § 17 II NdsSOG; § 34 a PolG NW; § 13 II POG RP; § 12 II SaarlPolG; § 21 III SächsPolG; § 36 III SOG LSA; § 201 a LVwG SH. OVG NW NJW 2002, 2195 → JK PolG NW § 34 a/1; VG Gelsenkirchen NWVBl 2002, 361, 362; vgl auch BVerfG (K) NJW 2002, 2225. VG Stuttgart VBlBW 2002, 43; Einzelheiten bei Ruder VBlBW 2002, 11 ff. Petersen-Thrö SächsVBl 2004, 173, 175 f; Neuner Verweisungsmaßnahmen (Fn 883) 140 ff; Lang VerwArch 96 (2005), 283, 288 ff. VGH BW NJW 2005, 88, 89 → JK GG Art 11/2; zustimmend Gusy JZ 2005, 356 f; ebenso Seiler VBlBW 2004, 93, 94. Zutr Kritik von Proske VBlBW 2005, 141. BGBl I 2001, 3513; zur Umsetzung in das Landespolizeirecht Hermann NJW 2002, 3062 ff. VGH BW NJW 2005, 88, 89 → JK GG Art 11/2; VG Lüneburg NdsVBl 2003, 273, 274; Naucke-Lömker NJW 2002, 3525 ff. Näher dazu Kay NVwZ 2003, 521, 522f, 524 f; Petersen-Thrö SächsVBl 2004, 173, 176 ff. Collin DVBl 2003, 1499, 1502 f; Petersen-Thrö SächsVBl 2004, 173, 178 f. OVG NW NJW 2002, 2195, 2196 → JK PolG NW § 34 a/1.

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2. Kap II 4 b ff

Art 2 II 1 GG für unbeachtlich erklärt worden.910 Selbstmorddrohungen eines Lebenspartners rechtfertigen die Wohnungsverweisung des anderen Partners nicht, falls keine strafbare Handlung (vgl Art 11 II GG) dieses Partners vorliegt.911 Hinsichtlich des Adressaten der Maßnahme gelten die allgemeinen Regeln zur Verantwortlichkeit (Rn 126 ff). Bei wechselseitiger Gewaltanwendung wird derjenige Partner der Wohnung verwiesen, der den größeren Anteil an der gewaltsamen Auseinandersetzung trägt.912 Wird die Maßnahme ergriffen und durchgesetzt, müssen im konkreten Fall die Anforderungen des Übermaßverbots (Rn 105 ff) beachtet werden.913 ff) Ingewahrsamnahme: Der polizeiliche Gewahrsam stellt ein mit Hoheits- 218 gewalt hergestelltes Rechtsverhältnis dar, kraft dessen einer Person die Freiheit dergestalt entzogen wird, dass sie von der Polizei in einer dem polizeilichen Zweck entsprechenden Weise verwahrt und daran gehindert wird, sich fortzubewegen.914 Es handelt sich um eine kurzfristige präventivpolizeiliche Freiheitsentziehung (vgl Art 104 II 3 GG), für die eine Standardbefugnis normiert ist.915 Die Befugnisnormen sind verfassungsmäßig 916 und auch mit Art 5 EMRK vereinbar.917 Die im Anschluss an §§ 13 ff MEPolG normierten landesrechtlichen Vorschriften 219 stimmen in ihrer Grundstruktur und ihrem wesentlichen Inhalt überein, weisen aber im Detail Unterschiede auf. Der Schutzgewahrsam dient der Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben der in Gewahrsam genommenen Person (zB zur Verhinderung eines Selbstmords, Rn 74).918 Das Antreffen einer Person in leicht betrunkenem Zustand rechtfertigt den polizeilichen Schutzgewahrsam nicht.919 Der Präventivgewahrsam zielt auf die Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit (idR durch Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit).920 Unterfälle des Präventivgewahrsams stellen der (im Landesrecht zT ausdrücklich geregelte) Polizeigewahrsam zur Feststellung der Identität einer Per910 911 912 913 914

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VG Aachen NJW 2004, 1888, 1889. VGH BW NJW 2005, 88, 89 → JK GG Art 11/2. VG Lüneburg NdsVBl 2003, 273, 274. Näher dazu Petersen-Thrö SächsVBl 2004, 173, 179 ff; Storr ThürVBl 2005, 97, 102 f. OVG NW NJW 1980, 138; LG Hamburg NVwZ-RR 1997, 537, 538; Stoermer Der polizeirechtliche Gewahrsam, 1998, 25. § 28 I PolG BW; Art 17 BayPAG; § 30 ASOG Bln; § 17 BbgPolG, § 23 Nr 1 lit f BbgOBG; § 15 BremPolG; § 13 HbgSOG; § 32 HessSOG; § 55 SOG MV; § 18 NdsSOG; § 35 PolG NW, § 24 Nr 13 OBG NW; § 14 POG RP; § 13 SaarlPolG; § 22 SächsPolG; § 37 SOG LSA; § 204 LVwG SH; § 19 ThürPAG; § 39 BPolG. BayVerfGH NVwZ 1991, 664 (bzgl Bundesrecht: StPO, VersG); SächsVerfGH LKV 1996, 273, 275f → JK SächsVerf Art 16 I 2/1 (zum Bestimmtheitsgebot); VG Schleswig NJW 2000, 970 (bzgl Präventivgewahrsam); OLG Jena LKV 2005, 135. SächsVerfGH LKV 1996, 273, 276 f → JK SächsVerf Art 16 I 2/1; VGH BW DÖV 2005, 165, 166. Dazu ausf Stoermer Gewahrsam (Fn 914), 49 ff. VGH BW NVwZ-RR 2005, 247, 248. Gegen die Ingewahrsamnahme einer Person zum Schutz der öffentlichen Ordnung Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 358.

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son, zur Durchsetzung einer Platzverweisung bzw Wohnungsverweisung und zum Schutz privater Rechte dar.921 Der Präventivgewahrsam darf nicht zu einem Sanktionsinstrument mutieren, das 220 Aufgaben des Strafrechts wahrnimmt.922 Die Grenzziehung im konkreten Fall ist schwierig. So wird zB die präventivpolizeiliche Freiheitsentziehung bei Drogenhändlern mit der Erwägung gebilligt, da Platzverweisungen hartnäckig ignoriert worden seien, dürfe zur Bekämpfung der offenen Drogenszene der Polizeigewahrsam vorgenommen werden.923 Dem ist mit der Begründung widersprochen worden, die polizeiliche Ingewahrsamnahme dürfe nicht dazu eingesetzt werden, gewerbsmäßigen Straftätern (zB mit Kettenbeschlüssen von jeweils 48 Stunden Dauer) ständig die Freiheit zu entziehen.924 Ob eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 VersG eine solche „von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ ist, wird ebenfalls kontrovers beantwortet.925 In der nachhaltigen Störung der Nachtruhe ist ein Verstoß gegen § 117 I OWiG gesehen worden, der zum Polizeigewahrsam berechtige.926 Die wiederholte Teilnahme an Sitzblockaden und der damit verbundene wiederholte Gesetzesverstoß haben im Vorfeld eines „Castor-Transports“ zur gerichtlich bestätigten Ingewahrsamnahme von Demonstrationsteilnehmern geführt.927 Dagegen wurde die bloße „Neigung“ einer Person zu Verstößen gegen das Versammlungsrecht nicht als ausreichend für den Polizeigewahrsam angesehen; konkrete Verhaltensweisen der Person müssten hinzukommen, um eine rechtlich haltbare Gefahrenprognose abgeben zu können.928 Eine an sich zulässige polizeiliche Ingewahrsamnahme zur Identitätsfeststellung ist deshalb als rechtswidrig erachtet worden, weil die Freiheitsentziehung länger andauerte, als es zur Feststellung der Identität der Person erforderlich war.929 Die Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung 930 setzt voraus, 221 dass die Platzverweisung rechtmäßig gewesen ist.931 Zu beachten ist sodann das Übermaßverbot. Angesichts des massiven Grundrechtseingriffs muss die Ingewahrsamnahme „unerlässlich“ sein.932 Betrifft die Platzverweisung eine größere Menschenmenge (Versammlung, Ansammlung), muss dem Einzelnen zunächst Gelegenheit gegeben werden, sich aus der Menschenmenge zu entfernen und so eine Freiheitsentziehung zu vermeiden.933 921 922 923 924 925 926 927 928 929 930 931 932 933

Einzelheiten bei Stoermer Gewahrsam (Fn 914) 137 ff. Trute DV 32 (1999) 73, 88. OLG Hamburg NJW 1998, 2231; AmtsG Stuttgart NVwZ-RR 1998, 105. LG Berlin DÖV 2001, 42. Bejahend BayObLG NVwZ 1999, 106; verneinend LG Hannover NVwZ-RR 1999, 578. VG Schleswig NJW 2000, 970, 971. VGH BW DÖV 2005, 165, 167. OLG Jena LKV 2005, 135, 136. OLG Schleswig NVwZ 2003, 1412. Zur Verfassungsmäßigkeit BayVerfGH NVwZ 1991, 664, 668. OLG Köln NVwZ 2000, 350. Dazu BayObLG NVwZ 2000, 467, 468. OVG Bremen NVwZ 2001, 221, 223. – VG Hannover NVwZ-RR 1999, 578 lehnt Ingewahrsamnahme ab; „Vertreibung“ der von einem Platz zu entfernenden Personen genüge.

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Im Rechtssinne keine Ingewahrsamnahme iSd Standardbefugnis stellt der „Ver- 222 bringungsgewahrsam“ dar. Darunter wird eine polizeiliche Maßnahme verstanden, durch die Personen von einem bestimmten Ort entfernt und an einen abgelegenen Ort verbracht werden, um ihre baldige Rückkehr (zB zu einer Demonstration) zu verhindern.934 Von der Standardbefugnis zur polizeilichen Ingewahrsamnahme sind derartige Aktionen nicht gedeckt und damit unzulässig.935 Ergänzend kann nicht auf die Generalklausel zurückgegriffen werden; Art 104 II GG verlangt als gesetzliche Grundlage für die Freiheitsentziehung eine spezielle, dem Bestimmtheitsgebot genügende Befugnisnorm.936 Beim Präventivgewahrsam kann die Bestimmung des Pflichtigen schwierig sein; 223 dies gilt vor allem für die Ingewahrsamnahme nach Massenveranstaltungen. Der Rückgriff auf die allgemeinen Regeln (Störer, Nichtstörer) 937 kann bei der Ingewahrsamnahme zur Verhinderung von Straftaten in Konflikt geraten mit Art 5 I 2 lit c EMRK; danach muss der „Betreffende“ an der Begehung einer strafbaren Handlung gehindert werden.938 Beim Präventivgewahrsam muss also die Rechtsverletzung durch die Person drohen, die in Gewahrsam genommen werden soll.939 Da die Ingewahrsamnahme von Personen eine Freiheitsentziehung iSd Art 104 II 224 GG ist, muss über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams der Richter entscheiden. Der Richtervorbehalt 940 ist im Polizeirecht beachtet.941 Die richterliche Entscheidung muss „unverzüglich“ herbeigeführt werden.942 Der Staat hat die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters – jedenfalls zur Tageszeit – zu gewährleisten.943 Ist die vorherige richterliche Entscheidung unterblieben, muss sie unverzüglich nachgeholt werden (Art 104 II 2 GG). Rechtsschutz ist auch nach Erledigung der Ingewahrsamnahme zu gewäh934

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Mußmann VBlBW 1986, 52; Haase/Mordas ThürVBl 2002, 101; Butzer VerwArch 93 (2002) 506, 509; ausf Stoermer Gewahrsam (Fn 914) 122 ff. OLG Celle NVwZ-RR 2005, 252; LG Hamburg NVwZ-RR 1997, 537; AmtsG Ahaus NWVBl 2001, 321, 322; Maaß NVwZ 1985, 151; Mußmann VBlBW 1986, 52; Kappeler DÖV 2000, 227; Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 494; aA Leggereit NVwZ 1999, 263; wohl auch BayObLG BayVBl 1990, 347, 350; unklar Butzer VerwArch 93 (2002) 506, 536 f. LG Hamburg NVwZ-RR 1997, 537, 539; aA Stoermer Gewahrsam (Fn 914) 130 ff, der ua auf die „Notwendigkeit von Verbringungen“ verweist. BayObLG BayVBl 1990, 347, 350. Nach VGH BW DÖV 2005, 165, 166 umfasst der Begriff „strafbare Handlung“ iSd Art 5 I EMRK auf Grund der authentischen englischen und französischen Vertragssprache („offence“ bzw „infraction“; nicht „crime“ bzw „délit“) auch Ordnungswidrigkeiten iSd deutschen Rechts. OVG Bremen NVwZ 2001, 221; dazu Haase NVwZ 2001, 164. Allg dazu von Kühlewein Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht, 2001, 109 ff; krit zur Effektivität von Richtervorbehalten Kutscha NVwZ 2003, 1296, 1298 f. § 28 II, III PolG BW; Art 18 BayPAG; § 31 ASOG Bln; § 18 BbgPolG; § 16 BremPolG; § 13 a HbgSOG; § 33 HessSOG; § 56 SOG MV; § 19 NdsSOG; § 36 PolG NW; § 15 POG RP; § 14 SaarlPolG; § 22 VII, VIII SächsPolG; § 38 SOG LSA; § 204 VI LVwG SH; § 20 ThürPAG; § 40 BPolG. Dazu AmtsG Ahaus NWVBl 2001, 321, 322. BVerfGE 105, 239, 248.

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2. Kap II 4 b ff

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ren.944 Eine Ausnahme vom Richtervorbehalt kann nicht anerkannt werden, wenn anzunehmen ist, dass die richterliche Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. Die dazu bestehenden Gesetzesvorschriften sind verfassungskonform zu deuten. Danach soll eine sachlich nicht mehr gerechtfertigte Freiheitsentziehung nicht durch eine Vorführung vor den Haftrichter verlängert werden. Die nachträgliche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung bleibt jedoch vom Schutzzweck des Art 104 II GG grundsätzlich gefordert.945 Daher ist die pauschale These verfassungsrechtlich zweifelhaft, eine richterliche Entscheidung sei nicht einzuholen oder abzuwarten, wenn dadurch die Dauer des Gewahrsams verlängert würde.946 Die polizeiliche Freiheitsentziehung wird so gerichtlicher Kontrolle entzogen. Die hohe Bedeutung des Richtervorbehalts „als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehungen“ 947 wird mit jener pauschalen Annahme kaum respektiert. Das gerichtliche Verfahren ist in den Ländern unterschiedlich geregelt. Zuständig ist idR das Amtsgericht. Zwar handelt es sich bei den Streitigkeiten um die Rechtmäßigkeit der gefahrenabwehrrechtlichen Ingewahrsamnahme um „öffentlichrechtliche“ Streitigkeiten iSd § 40 I 1 VwGO, jedoch kann landesgesetzlich nach § 40 I 2 VwGO eine abdrängende Sonderzuweisung vorgenommen werden.948 Das Verfahren richtet sich – je nach Landesrecht – entweder nach dem FEVG 949 oder nach dem FGG.950 Für den nachträglichen Rechtsschutz gegen die Ingewahrsamnahme ist umstritten, ob der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten ist, weil das Amtsgericht nur über „Zulässigkeit und Fortdauer“ der Freiheitsentziehung entscheiden darf 951 oder ob zur Vermeidung einer Rechtswegspaltung für einen einheitlichen Lebenssachverhalt auch die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Freiheitsentziehung im Verfahren nach dem FEVG bzw FGG erfolgt.952 Um hinsichtlich der Wirkungen gerichtlicher Kontrolle keine Diskrepanz zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufkommen zu lassen, muss den gerichtlichen Entscheidungen im FGG-Verfahren – jedenfalls beim Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer beendeten Ingewahrsamnahme – materielle Rechtskraft (ebenso wie § 121 VwGO) zuerkannt werden.953 Wird im Verwaltungsrechtsweg der Kostenbescheid (Heranziehung zu Gebühren und Auslagen) wegen einer polizeilichen Ingewahrsamnahme angegriffen, muss das Verwaltungsgericht (unabhängig von einer evtl FGG-Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bzgl der Ingewahrsamnahme) als Vorfrage der Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids im Wege der 944

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BVerfG (K) NJW 1999, 3773 → JK GG Art 19 IV/20; BayObLG NJW 1998, 2455; OLG Hamburg DÖV 1998, 39; OLG Schleswig NVwZ 2003, 1412, 1413. BVerfGE 105, 239, 250 f. VGH BW DÖV 2005, 165, 167. So BVerfGE 105, 239, 251. NdsOVG NVwZ 2004, 760; Finger JuS 2005, 116, 119. Sartorius I Nr 617. Schönfelder Nr 112. ThürOVG LKV 1999, 511. OLG Schleswig NVwZ-Beilage I 3/2001, 47; NVwZ 2003, 1412, 1413; AmtsG Ahaus NWVBl 2001, 321; Trute DV 32 (1999) 73, 89. OLG Celle NVwZ-RR 2005, 181.

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2. Kap II 4 b gg

Inzidentkontrolle die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Gewahrsams klären, wenn das insoweit an sich zuständige Gericht über diese Frage noch nicht rechtskräftig entschieden hat.954 Die Dauer des Polizeigewahrsams wirft mitunter Fragen des Verfassungsrechts 955 225 und des Europarechts 956 auf. Die Regelungen zur möglichen Höchstdauer der Freiheitsentziehung sind im Landesrecht unterschiedlich getroffen.957 In der richterlichen Entscheidung ist die Dauer des Gewahrsams zu bestimmen. Der Polizeigewahrsam ist aufzuheben, sobald sein Zweck erreicht oder der Grund für die Maßnahme entfallen ist. gg) Durchsuchung von Personen und Sachen: Das Gefahrenabwehrrecht nor- 226 miert Standardbefugnisse für mehrere Arten von Durchsuchungen. Bei ihnen geht es um das zielgerichtete Aufspüren von Gegenständen, die sich im Verborgenen befinden. Durchsuchungsmaßnahmen stellen Grundrechtseingriffe dar. Die Durchsuchung von Personen (Rn 227) tangiert zumindest die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 I GG).958 Die Durchsuchung von Sachen (Rn 228) beeinträchtigt die Eigentumsfreiheit (Art 14 I 1 GG). Die Durchsuchung von Wohnungen (Rn 229 ff) greift in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 I GG) ein. Die Durchsuchung von Personen 959 zielt auf das Auffinden von Gegenständen, 227 die jemand verborgen in der Kleidung oder am Körper bei sich trägt. Abzugrenzen ist die Durchsuchung von der Untersuchung einer Person. Die Durchsuchung beschränkt sich auf die Körperoberfläche und die natürlichen Körperöffnungen (Mund, Nase, Ohren); die Untersuchung bezieht sich auf den körperlichen Zustand einer Person bzw auf das Körperinnere.960 Diese Standardbefugnis 961 ermächtigt nur zur Durchsuchung von Personen.962 Die Durchsuchung einer Person darf grundsätzlich nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten vorgenommen werden. Das Verfahren bei der Durchsuchung von Personen ist im Landesrecht nur zum Teil geregelt. Unterschiede im 954 955

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VGH BW NVwZ-RR 2005, 247; aA NdsOVG NVwZ 2004, 760. BayVerfGH NVwZ 1991, 664, 670: 2 Wochen verfassungsmäßig; SächsVerfGH LKV 1996, 273, 277 f → JK SächsVerf Art 16 I 2/1: pauschale Frist von 14 Tagen für alle Gewahrsamstatbestände verfassungswidrig. – Rechtspolitisch zur Thematik Lisken ZRP 1996, 332 ff. Vgl EGMR NJW 1999, 775 → JK EMRK Art 5 I/1. § 28 III PolG BW; Art 20 BayPAG; § 33 ASOG Bln; § 20 BbgPolG; § 18 BremPolG; § 13 c HbgSOG; § 35 HessSOG; §§ 55 V, 56 V 3 SOG MV; § 21 NdsSOG; § 38 PolG NW; § 17 POG RP; § 16 SaarlPolG; § 22 VII 3 u 4 SächsPolG; § 40 SOG LSA; § 204 V, VI LVwG SH; § 22 ThürPAG; § 42 BPolG. OVG NW DVBl 1982, 653: Eingriff in Art 2 II 2 GG; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 18 Rn 1: uU Eingriff in das allg Persönlichkeitsrecht, Art 2 I iVm 1 I GG. Dazu Robrecht LKV 2001, 391 ff. BayVGH NVwZ-RR 1999, 310; VG Regensburg BayVBl 1999, 347, 348. § 29 PolG BW; Art 21 BayPAG; § 34 ASOG Bln; § 21 BbgPolG; § 19 BremPolG; § 15 HbgSOG; § 36 I–IV HessSOG; §§ 53, 54 SOG MV; § 22 NdsSOG; § 39 PolG NW; § 18 POG RP; § 17 SaarlPolG; § 23 SächsPolG; § 41 SOG LSA; §§ 202, 203 LVwG SH; § 23 ThürPAG, § 18 ThürOBG; § 43 BPolG. § 36 V HessSOG enthält auch eine Befugnisnorm für die körperliche Untersuchung einer Person.

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2. Kap II 4 b hh

Friedrich Schoch

Detail gibt es zwischen den Ländern auch bei den materiellen Voraussetzungen für Durchsuchungsmaßnahmen. Im Kern der Regelungen besteht jedoch Übereinstimmung darin, dass eine starke Vernetzung mit anderen Standardmaßnahmen vorgenommen ist. Die Durchsuchung von Personen ist insb zulässig zur Identitätsfeststellung (Rn 199 ff), wenn die Person festgehalten (oder in Gewahrsam genommen) werden darf (Rn 202 ff, 218 ff), wenn eine Sicherstellung von Gegenständen (Rn 235 ff) zulässig ist, wenn sich die Person an gefährlichen oder gefährdeten Orten aufhält (Rn 200) oder wenn es um die Eigensicherung (Schutz des Polizeibeamten oder eines Dritten) geht.963 Die Durchsuchung von Sachen dient dem Auffinden von verborgenen Gegen228 ständen oder Personen in Sachen.964 Typischer Anwendungsfall hierfür ist die Durchsuchung eines Kfz. Die einschlägigen Befugnisnormen 965 weisen wiederum einen starken Zusammenhang mit anderen Standardmaßnahmen auf. Die Durchsuchung von Sachen ist zulässig zB zur Identitätsfeststellung, im Zusammenhang mit der Durchsuchung von Personen, zum Auffinden von Personen, zur Sicherstellung einer Sache, an gefährlichen und gefährdeten Orten sowie an Kontrollstellen.966 Überwiegend ist zum Verfahren die Anwesenheit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt (bzw eines Vertreters oder Zeugen) vorgeschrieben. Eine Spezialbefugnis zur Durchsuchung von Sachen (sowie Personen und Räumen) besteht im Vereinsrecht (§ 4 IV 2 VereinsG).967 hh) Durchsuchung und Betreten von Wohnungen: Das Eindringen der Polizei in 229 eine Wohnung stellt eine Beeinträchtigung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 I GG) dar.968 Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Anforderungen der qualifizierten Gesetzesvorbehalte (Art 13 I, VII GG) unterscheiden die Befugnisnormen 969 zwischen dem Betreten und Durchsuchen einerseits und dem bloßen Betreten andererseits. Wie bei Art 13 I GG gilt im Gefahrenabwehrrecht ein weiter Wohnungsbegriff. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, ferner Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.970 Geschützt ist die räumliche Privatsphäre. Die Durchsuchung einer Wohnung ist gekennzeichnet durch das ziel- und zweck230 gerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung im 963 964 965

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Einzelheiten bei Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 576 ff. Lambiris Standardbefugnisse (Fn 802) 31. § 30 PolG BW; Art 22 BayPAG; § 35 ASOG Bln; § 22 BbgPolG; § 20 BremPolG; § 15 a HbgSOG; § 37 HessSOG; §§ 57, 58 SOG MV; § 23 NdsSOG; § 40 PolG NW; § 19 POG RP; § 18 SaarlPolG; § 24 SächsPolG; § 42 SOG LSA; §§ 206, 207 LVwG SH; § 24 ThürPAG, § 19 ThürOBG; § 44 BPolG. Einzelheiten bei Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 594 ff. Vgl dazu OVG NW NWVBl 2003, 34. Zum grundrechtlichen Schutz der Wohnung Kunig Jura 1992, 476; Ruthig JuS 1998, 506. § 31 PolG BW; Art 23 BayPAG; § 36 ASOG Bln; § 23 BbgPolG; § 21 BremPolG; § 16 HbgSOG; § 38 HessSOG; § 59 SOG MV; § 24 NdsSOG; § 41 PolG NW; § 20 POG RP; § 19 SaarlPolG; § 25 SächsPolG; § 43 SOG LSA; § 208 LVwG SH; § 25 ThürPAG, § 20 ThürOBG; § 45 BPolG. BVerfGE 97, 228, 265; BVerwG DVBl 2005, 573, 574 → JK GG Art 13/8.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 b hh

Verborgenen bzw geheim hält und von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will.971 Es geht also darum, dass etwas Verborgenes (Personen oder Sachen), was bislang dem Augenschein oder Zugriff entzogen war, zu Tage gefördert werden soll.972 Die Wohnungsdurchsuchung ist stark von verfassungsrechtlichen Vorgaben ge- 231 prägt.973 Hinzu treten mittlerweile auch europarechtliche Direktiven.974 Nach dem Richtervorbehalt des Art 13 II GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Lediglich bei „Gefahr im Verzug“ (Rn 100) dürfen die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe eine Wohnungsdurchsuchung anordnen und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise durchführen. Der Begriff „Gefahr im Verzug“, der mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen (nicht: hypothetische Erwägungen, kriminalistische Alltagserfahrungen) zu begründen ist, ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche Anordnung ist die Ausnahme.975 Zur angemessenen Begrenzung, Messbarkeit und Kontrollierbarkeit muss die richterliche Anordnung hinreichend bestimmt sein. Sie muss das Ziel und den Rahmen der Durchsuchung so festlegen, dass bei den staatlichen Vollzugsorganen Missverständnisse ausgeschlossen sind und der Wohnungsinhaber weiß, was er dulden muss.976 Beruht die Wohnungsdurchsuchung auf einer nichtrichterlichen Anordnung, sind Auslegung und Anwendung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbar.977 In den Fällen einer behördlichen Durchsuchungsanordnung (und ihrer bereits erfolgten Durchführung) ist nachträglicher Rechtsschutz gegeben.978 Dieser bestimmt sich – je nach Rechtsweg und Verfahren außerhalb des Anwendungsbereichs von § 113 I 4 VwGO (analog) – ggf nach § 98 II 2 StPO (analog) 979 oder den einschlägigen FGG-Vorschriften.980 Auch für die nachträgliche gerichtliche Überprüfung der behördlichen Maßnahme gilt das Gebot wirksamen Rechtsschutzes.981 Die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wohnungsdurchsuchung sind eng 232 mit anderen Standardbefugnissen verknüpft. Die Wohnungsdurchsuchung ist – bei einzelnen Abweichungen zwischen den Landesgesetzen – ohne Einwilligung des

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BVerfGE 51, 97, 106 f; 75, 318, 325; 76, 83, 89; BVerwGE 47, 31, 46 f; 78, 251, 254. BVerwG DVBl 2005, 573, 574 → JK GG Art 13/8; OVG Hamburg DVBl 1997, 665, 666 → JK GG Art 13/7. Zur Rspr des BVerfG Kruis NJW 1999, 682 ff. EuGHE 2002, 9011 = NJW 2003, 35 (Tz 41 ff) zur notwendigen richterlichen Kontrolle von Durchsuchungsanordnungen bei Unternehmen, die im Verdacht von Verstößen gegen Wettbewerbsregeln stehen. BVerfGE 103, 142; dazu Bespr Ostendorf/Brüning JuS 2001, 1063; Lepsius Jura 2002, 259; ferner Pätzel DuD 2002, 752; BVerfG (K) NJW 2004, 3171; NJW 2005, 275, 276. BVerfG (K) NJW 2000, 943, 944. BVerfG (K) NJW 2002, 1333; VerfG Bbg NJW 2003, 2305, 2306. Schoch Jura 2001, 628, 630. BVerfG (K) NJW 2003, 2303, 2304. OLG Celle NVwZ 2003, 894; LG Ravensburg NVwZ-RR 2003, 650. BVerfG (K) NJW 2002, 1333.

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2. Kap II 4 b hh

Friedrich Schoch

Inhabers idR zulässig zum Zwecke der Vorführung bzw Ingewahrsamnahme einer Person, Sicherstellung einer Sache,982 Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr (Rn 100) für wichtige Schutzgüter, zT auch im Falle der Entführung einer Person. Erfolgt die Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Sicherstellung bzw Beschlagnahme von Identitätspapieren (Ausweis, Pass), müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich die Papiere in der Wohnung befinden; die vage Möglichkeit oder ein nur allgemeiner Verdacht genügen nicht zur Bejahung des „Gefahr“begriffs.983 Liegen insoweit hinreichend konkrete Anhaltspunkte vor, kann sogar eine „gegenwärtige Gefahr“ bejaht werden, wenn mit den Identitätspapieren Missbrauch betrieben werden soll (zB Fälschung).984 Soweit eine Wohnungsdurchsuchung im Landesrecht auch bei erheblichen Belästigungen der Nachbarschaft erlaubt wird, sind die Vorschriften nur bei verfassungskonformer Deutung mit Art 13 GG vereinbar.985 Während der Nachtzeit (§ 104 III StPO) ist eine Wohnungsdurchsuchung grundsätzlich unzulässig. Das Verfahren bei der Wohnungsdurchsuchung ist detailliert geregelt.986 Beson233 ders wichtig sind das Anwesenheitsrecht des Wohnungsinhabers und die Niederschrift zur Durchsuchungsmaßnahme. Das Betreten einer Wohnung zu anderen Zwecken als der Durchsuchung muss 234 den Anforderungen des Art 13 VII GG entsprechen.987 Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt ist im Landesrecht unterschiedlich ausgefüllt worden. In einigen Ländern dürfen Wohnungen zur Abwehr dringender Gefahren jederzeit betreten werden, wenn die Gefahrenabwehr nur dadurch möglich ist. Andere Landesgesetze verlangen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Wohnung ein „gefährlicher Ort“ ist (zB Verabreden von Straftaten) oder der Prostitution dient. Von Bedeutung sind die Vorschriften in erster Linie für die Ordnungsbehörden und deren Betretungs- und Nachschaubefugnisse (Gewerbeüberwachung, Wirtschaftsaufsicht etc).988 Die höchstrichterliche Rechtsprechung ignoriert die durch Art 13 VII GG normierten Vorgaben. Beim behördlichen Betreten von Betriebs- und Geschäftsräumen sollen wegen des insoweit nur geringen Schutzbedürfnisses behördliche Nachschaubefugnisse vom qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art 13 VII GG ausgenommen sein; lediglich das Übermaßverbot sei zu beachten.989 Auf Grund dieser richterrechtlichen Erfindung können entsprechende Maßnahmen auf eine polizei- und

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Dazu BayVGH BayVBl 1997, 634, 635. LG Ravensburg NVwZ-RR 2003, 650, 651. OLG Düsseldorf DÖV 2004, 397. Schwabe NVwZ 1993, 1173, 1174: durch Art 13 III GG aF (Art 13 VII GG nF) gedeckt; aA Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 639: Verfassungswidrigkeit der Vorschriften. § 31 V, VII, VIII PolG BW; Art 24 BayPAG; § 37 ASOG Bln; § 24 BbgPolG; § 22 BremPolG; § 16a HbgSOG; § 39 HessSOG; § 60 SOG MV; § 25 NdsSOG; § 42 PolG NW; § 21 POG RP; § 20 SaarlPolG; § 25 V–VII SächsPolG; § 44 SOG LSA; § 209 LVwG SH; § 26 ThürPAG, § 21 ThürOBG; § 46 BPolG. Vgl OVG Hamburg DVBl 1997, 665, 666 → JK GG Art 13/7: „Behebung der Raumnot“. Voßkuhle DVBl 1994, 611 ff; Ennuschat AöR 127 (2002) 252 ff; monographisch Figgener Behördliche Betretungsrechte und Nachschaubefugnisse, 2000. BVerfGE 32, 54, 75 ff; BVerwGE 78, 251, 254 f.

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Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 b ii

ordnungsrechtliche Generalermächtigung gestützt werden.990 Letztlich wird damit ein richterlicher Eingriffsvorbehalt als ungeschriebener Art 13 VIII kreiert.991 ii) Sicherstellung und Beschlagnahme: Im geltenden Polizei- und Ordnungsrecht 235 wird nur zT zwischen Sicherstellung und Beschlagnahme unterschieden. Die Sicherstellung 992 dient danach dem Schutz des Eigentümers oder rechtmäßigen Inhabers der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache. Die Beschlagnahme 993 erfolgt idR gegen den Willen des Berechtigten und dient dem Schutz Dritter oder der Allgemeinheit. Überwiegend folgen die Gesetzesbestimmungen 994 einem weiten Sicherstellungsbegriff, der beide Konstellationen umfasst. In der Sache ist jene Differenzierung dennoch von Bedeutung. Erfolgt die Sicherstellung zum Zweck der Eigentumsicherung, liegt – vergleichbar der GoA – eine Art „Sonderleistung“ der Polizei vor.995 Das mutmaßliche Einverständnis des Berechtigten mit der polizeilichen Maßnahme gewinnt rechtliche Bedeutung.996 Eine gegen den Willen des Berechtigten gerichtete Maßnahme stellt keine Sicherstellung iSd Eigentumsschutzes dar.997 Sicherstellung (iwS) ist die Beendigung des Gewahrsams des bisherigen Gewahr- 236 saminhabers und die Begründung amtlichen Gewahrsams über eine Sache durch die Verwaltung oder eine von ihr beauftragte Person.998 Durch die Sicherstellung entsteht ein öffentlichrechtliches Verwahrungsverhältnis. Rechtskonstruktiv kann eine Sicherstellung je nach Fallgestaltung durch Realakt 999 oder durch Verwaltungsakt 1000 erfolgen. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben. Sicherstellungsgründe (iwS) sind die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr bzw un- 237 mittelbar bevorstehenden Störung, der Schutz des Privateigentums oder die Verhinderung der missbräuchlichen Verwendung einer Sache (zB zur Tötung, Körperverletzung, Sachbeschädigung) durch eine rechtmäßig festgehaltene Person; zT erlaubt das Landesrecht die Sicherstellung auch zur Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.1001 990

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BVerwG DVBl 2005, 573 → JK GG Art 13/8; krit Hermes JZ 2005, 462 f; Mittag NVwZ 2005, 649 ff. Lepsius Jura 2002, 259, 260. § 32 PolG BW; § 26 SächsPolG. § 33 PolG BW; § 27 SächsPolG. Art 25 BayPAG; § 38 ASOG Bln; § 25 BbgPolG; § 23 BremPolG; § 14 HbgSOG; § 40 HessSOG; § 61 SOG MV; § 26 NdsSOG; § 43 PolG NW; § 22 POG RP; § 21 SaarlPolG; § 45 SOG LSA; § 210 LVwG SH; § 27 ThürPAG, § 22 ThürOBG; § 47 BPolG. OVG RP DVBl 1989, 1011, 1012; zum Schutzcharakter auch HessVGH DÖV 1999, 916 → JK HSOG § 40/1; SächsOVG SächsVBl 2002, 268, 269. SächsOVG SächsVBl 2002, 268, 269; VG Frankfurt/M NJW 2000, 3224, 3225. VG Stuttgart NVwZ-Beilage I 7/2000, 86, 87. OVG NW DVBl 1991, 1373. Bspl: HessVGH DÖV 1999, 916 → JK HSOG § 40/1: Sicherstellung eines Kfz in Form der unmittelbaren Ausführung der Maßnahme; ferner OVG MV NVwZ-RR 2000, 429: Sicherstellung eines Containers durch Realakt. Bspl: OVG NW DVBl 1991, 1373: Anordnung der Sicherstellung, dann Entgegennahme bzw Wegnahme der Sache. Einzelheiten bei Rachor in: Lisken/Denninger, F Rn 660 ff.

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2. Kap II 4 b ii

Friedrich Schoch

Behördliche Sicherstellungsmaßnahmen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr (Rn 100) sind zB die Beschlagnahme des Kfz eines Fahrers ohne Fahrerlaubnis,1002 die Beschlagnahme einer „Wagenburg“ (Bau- und Wohnwagen),1003 die Sicherstellung eines betriebsbereiten Radarwarngeräts 1004 oder eines verkehrswidrig benutzten einspurigen Liegerads.1005 Weitere Beispiele aus der Praxis sind die Sicherstellung von Wildkatzenfellen 1006 und die Beschlagnahme einer Turnhalle zur Asylbewerberunterbringung.1007 Gebilligt wurde auch die polizeiliche Sicherstellung von Werkzeugen, die benutzt wurden, um Kfz-Kilometerzähler zurückzustellen.1008 Die Wohnungsbeschlagnahme zwecks Obdachloseneinweisung (Rn 179) stellt einen weiteren Anwendungsfall dar. Die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung von Kamera und Film eines Pressever239 treters (Fotoreporters) zB wegen des Filmens eines Polizeieinsatzes hängt sehr von den Umständen des Einzelfalles ab.1009 Das Filmen und Fotografieren polizeilicher Einsätze ist an sich zulässig (Art 5 I 2 GG). Eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist aber gegeben, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass zB Lichtbilder entgegen §§ 22, 23 KUG 1010 unter Missachtung des Rechts der Polizeibeamten (oder Dritter) am eigenen Bild veröffentlicht werden sollen.1011 Das Abschleppen verbotswidrig abgestellter Fahrzeuge ist differenziert zu beur240 teilen. Keine Sicherstellung stellt das bloße „Umsetzen“ eines Fahrzeugs 1012 dar; seine Entfernung auf einen amtlichen Verwahrplatz ist jedoch eine Sicherstellung.1013 Wertungsprobleme im konkreten Fall wirft zT die Sicherstellung zum Eigentums241 schutz auf. Es geht idR um den Schutz eines nicht (richtig) gesicherten Kfz (zB offen stehende Seitenfenster). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist die polizeiliche Prognose grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass wegen eines zu befürchtenden Diebstahls des Kfz oder dessen Beschädigung eine Sicherstellung dem mut238

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VGH BW DÖV 1992, 80. VGH BW DVBl 1998, 96: Rechtswidrigkeit wegen Dauer der Beschlagnahme. VG Hannover NdsVBl 2001, 228; VG Aachen NVwZ-RR 2003, 684. VGH BW VBlBW 2001, 100. OVG NW DVBl 1991, 1373: Rechtswidrigkeit wegen Unbestimmtheit. VGH BW NVwZ 1993, 393. OVG Hamburg DÖV 2004, 928. Ausf Thäle VBlBW 1999, 48 ff. Schönfelder Nr 67. VGH BW VBlBW 2001, 102 (m Bespr Eckstein VBlBW 2001, 97) → JK Pol u OrdR Sicherstellung/Beschlagnahme/2; OVG RP DVBl 1998, 101; abl im konkreten Fall VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 → JK PolG BW § 34/1; OVG Saarland AfP 2002, 545; zu Rechtsschutzfragen BVerwGE 109, 203 → JK VwGO § 113 I/15. Ausdrücklich § 14 I 2 HbgSOG; § 22 II ThürOBG. Götz POR Rn 313; Pieroth/Schlink/Kniesel POR § 19 Rn 4; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 177; aA Schieferdecker Die Entfernung von Kraftfahrzeugen als Maßnahme staatlicher Gefahrenabwehr, 1998, 109 ff; Schenke POR Rn 164.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 c

maßlichen Willen des Eigentümers (Berechtigten) entspricht.1014 Anderes gilt allenfalls auf Grund konkreter gegenläufiger Anhaltspunkte im Einzelfall.1015 Die Verwahrung sichergestellter Sachen muss nach den gesetzlichen Vorgaben er- 242 folgen.1016 Sind die Voraussetzungen der Sicherstellung entfallen, ist die Sache dem Berechtigten herauszugeben; 1017 dieser hat hierauf einen Anspruch. Die Herausgabe ist aber ausgeschlossen, wenn dadurch erneut die Voraussetzungen für eine Sicherstellung eintreten würden.1018 Im Landesrecht ist zT die Einziehung beschlagnahmter Sachen vorgesehen.1019 Sie 243 ist zulässig, wenn die Sache nicht mehr herausgegeben werden kann, ohne dass die Voraussetzungen der Beschlagnahme erneut eintreten.1020 Detaillierte Bestimmungen gibt es zur Verwertung (zB durch Versteigerung oder Verkauf), Unbrauchbarmachung und Vernichtung sichergestellter Sachen.1021 Sichergestellte Tiere können, wenn eine Verwertung ausscheidet und die weiteren Voraussetzungen für die „Vernichtung“ vorliegen, getötet werden.1022 c) Informationserhebung Als Konsequenz des Volkszählungsurteils des BVerfG sind den klassischen Stan- 244 dardbefugnissen neue Standardbefugnisse hinzugefügt worden (Rn 194), die vornehmlich dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung tragen. Dieser Teil des Polizei- und Ordnungsrechts ist am disparatesten; der MEPolG von 1986 (Rn 38) vermag insoweit keine vereinheitlichende und systematisierende Prägung zu entfalten. Schon die Terminologie in den Landesgesetzen ist uneinheitlich. Zumeist wird zwischen „Datenerhebung“ und „Datenverarbeitung“ unterschieden. 1014

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BayVGH NJW 2001, 1960; HessVGH DÖV 1999, 916 → JK HSOG § 40/1; OVG RP DVBl 1989, 1011; SächsOVG SächsVBl 2002, 268. VG Frankfurt/M NJW 2000, 3224 (mit zweifelhaftem Vergleich zu Cabriolets); VG Stuttgart NVwZ-RR 2000, 591 (mit zweifelhaftem Hinweis auf automatische Wegfahrsperre); VG Berlin LKV 2002, 293 (mit zweifelhafter Differenzierung zwischen Kfz mit Berliner und auswärtigem Kennzeichen). § 32 III PolG BW; Art 26 BayPAG; § 39 ASOG Bln; § 26 BbgPolG; § 24 BremPolG; § 14 III HbgSOG; § 41 HessSOG; §§ 62, 63 SOG MV; § 27 NdsSOG; § 44 PolG NW; § 23 POG RP; § 22 SaarlPolG; § 29 SächsPolG; § 46 SOG LSA; §§ 211, 212 LVwG SH; § 28 ThürPAG, § 23 ThürOBG; § 48 BPolG. §§ 32 IV, 33 III PolG BW; Art 28 BayPAG; § 41 ASOG Bln; § 28 BbgPolG; § 26 BremPolG; § 14 III 1 HbgSOG; § 43 HessSOG; § 61 II, III SOG MV; § 29 NdsSOG; § 46 PolG NW; § 25 POG RP; § 24 SaarlPolG; §§ 26 IV, 27 III SächsPolG; § 48 SOG LSA; § 30 ThürPAG, § 25 ThürOBG; § 50 BPolG; vgl ferner § 210 II, III LVwG SH. VG Hannover NdsVBl 2001, 228, 229 am Bspl eines sichergestellten Radarwarngerätes. § 34 I PolG BW; § 25 IV BremPolG; § 14 VI HbgSOG; § 28 I SächsPolG. Voraussetzung ist die Rechtmäßigkeit einer Beschlagnahme, VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 → JK PolG BW § 34/1. § 34 II–IV PolG BW; Art 27 BayPAG; § 40 ASOG Bln; § 27 BbgPolG; § 25 BremPolG; § 14 IV–VI HbgSOG; § 42 HessSOG; § 64 SOG MV; § 28 NdsSOG; § 45 PolG NW; § 24 POG RP; § 23 SaarlPolG; §§ 28 II–IV, 29 II, III SächsPolG; § 47 SOG LSA; § 213 LVwG SH; § 29 ThürPAG, § 24 ThürOBG; § 49 BPolG. OVG NW DÖV 2001, 301, 302.

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2. Kap II 4 c aa

Friedrich Schoch

In Wahrheit geht es um die Beschaffung von Informationen und deren Verarbeitung. Das Polizeirecht ist in diesem Bereich als spezifisches Informationsrecht zu begreifen.1023 Systematisch kann zwischen der Erhebung (Beschaffung, Gewinnung) von Informationen und deren Verarbeitung (Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren, Löschen) unterschieden werden (vgl auch § 3 III, IV BDSG). Etliche der klassischen Standardmaßnahmen (zB Befragung, Identitätsfeststellung, erkennungsdienstliche Maßnahmen) dienen ebenfalls der Informationsgewinnung. Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich auf Grundlinien des spezifischen Polizeiinformationsrechts. aa) Allgemeine Grundsätze: Das Polizeirecht der Informationserhebung ist eine 245 in hohem Maße grundrechtssensible Materie.1024 Die spezifischen informationellen Standardbefugnisse zielen auf die Informationsgewinnung im Vorfeld konkreter Gefahrensituationen.1025 Das Stichwort von der „Informationsvorsorge“ 1026 deutet die Problematik an.1027 Polizeiliche Informationsgewinnung reicht hin bis zum Eingriff in Amts- und Berufsgeheimnisse.1028 Verfassungsgerichtlich sind der Landesgesetzgebung verschiedentlich Grenzen gezogen worden; 1029 hinzuweisen ist auf Verfassungsschranken beim Einsatz „besonderer Mittel“ der heimlichen Informationsbeschaffung (Rn 250) durch die Polizei 1030, Grenzen der Wohnraumüberwachung und den Schutz von Amts- und Berufsgeheimnisträgern 1031 sowie spezifische Anforderungen beim „Großen Lauschangriff“ (Art 13 IV GG).1032 Die verfassungsrechtlichen Klärungen, die das BVerfG in seiner Entscheidung zu den einschlägigen StPO-Vorschriften zur akustischen Wohnraumüberwachung vorgenommen hat,1033 gelten als maßgebliche grundrechtliche Direktiven für das Gesetzesrecht auch im Polizei- und Ordnungsrecht. Die spezifische polizeiliche Informationsbeschaffung unterliegt dem Gesetzes246 vorbehalt. Personenbezogene Informationen dürfen zu den im jeweiligen Gesetz genannten Zwecken erhoben werden. Außerdem gelten wichtige allgemeine Grundsätze: 1034 Nach dem Grundsatz der Unmittelbarkeit sind personenbezogene 1023 1024 1025 1026 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033

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Peitsch ZRP 1992, 127; Pitschas ZRP 1993, 174. Koch Datenerhebung und -verarbeitung in den Polizeigesetzen der Länder, 1999, 25 ff. Soiné DÖV 2000, 173; Schoch Staat 43 (2004) 347, 352 ff. Knemeyer FS Rudolf, 2001, 483; krit Trute GS Jeand’Heur, 1999, 403, 405 ff. Überblick dazu bei Kugelmann DÖV 2003, 781, 783 ff. Würtenberger/Schenke JZ 1999, 548. Anders BayVerfGH DVBl 1995, 347: Verfassungsmäßigkeit der Art 30–49 BayPAG. SächsVerfGH LKV 1996, 273 → JK SächsVerf Art 16 I 2/1. BbgVerfG LKV 1999, 450. LVerfG MV LKV 2000, 345. BVerfGE 109, 289, 325 ff; dazu Lepsius Jura 2005, 433 ff; ferner Denninger ZRP 2004, 101; I. Geis CR 2004, 338; Gusy JuS 2004, 457; Ruthig GA 2004, 587; Haas NJW 2004, 3082; Kutscha NJW 2005, 20. § 19 PolG BW; Art 30 BayPAG; § 18 ASOG Bln; § 29 BbgPolG; § 27 BremPolG; § 2 HbgGDatPol; § 13 VI–VIII HessSOG; § 26 SOG MV; § 30 NdsSOG; § 9 III–VI PolG NW; 26 V POG RP; § 25 SaarlPolG; § 37 II, IV, V SächsPolG; § 15 V–VII SOG LSA; § 178 LVwG SH; § 31 ThürPAG; § 21 III, IV BPolG.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 c bb

Informationen idR bei der betroffenen Person zu erheben; der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung verbietet die heimliche und ohne Wissen der betroffenen Person erfolgende Informationsgewinnung und erklärt die verdeckte Datenerhebung zur Ausnahme; der Grundsatz der Rechtsbelehrung bei der Datenerhebung schafft Transparenz und sichert den Persönlichkeits- und Rechtsschutz der betroffenen Person. bb) Rechtsgrundlagen: Die polizeilichen Informationsgewinnungsbefugnisse im 247 Rahmen der Gefahrenabwehr sind in zumeist umfänglichen Gesetzesvorschriften detailliert geregelt. Grund und Grenzen aller Arten der Informationserhebung sind der Polizei gesetzlich vorgegeben. Die offene Gewinnung von Informationen kann von den besonderen Mitteln der Informationserhebung (Rn 250), bei denen es idR um verdeckte Maßnahmen geht, unterschieden werden. Die Generalermächtigung zur Informationserhebung 1035 erlaubt die Gewinnung 248 personenbezogener Informationen zur Gefahrenabwehr im überkommenen Sinne und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (Rn 12 ff). Teilweise sind weitere Befugnisse zB zur Vorbereitung für Hilfeleistungen in Gefahrenfällen, zur Vorbereitung der Gefahrenabwehr oder zum Schutz privater Rechte vorgesehen.1036 Spezielle Befugnisnormen bestehen für Bild- und Tonaufzeichnungen bei öffent- 249 lichen Veranstaltungen und Ansammlungen (zT auch Versammlungen) sowie an besonders gefährdeten Objekten und auf öffentlichen Plätzen.1037 Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum 1038 wird verfassungsrechtlich und rechtspolitisch kontrovers diskutiert.1039 Erste Gerichtsentscheidungen zu dieser neuen Form der polizeilichen Informationsgewinnung bestätigten die Verfassungsmäßigkeit der Befugnisnormen und sahen jedenfalls in der bloßen Videoüberwachung (uU anders: Videoaufzeichnung) nicht einmal einen Grundrechtseingriff.1040 Der VGH BW hat die Befugnisnorm zur Videoüberwachung öffentlicher Räume (obschon auch in der 1035

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§ 20 II–V PolG BW; Art 31 BayPAG; § 18 I 2, 3, § 19 ASOG Bln; § 30 BbgPolG; § 28 BremPolG; §§ 5, 6 HbgGDatPol; § 13 HessSOG; § 27 SOG MV; § 31 NdsSOG; §§ 9 I, III, 11 PolG NW; § 26 I–IV POG RP; § 26 SaarlPolG; § 37 I, III SächsPolG; § 15 I–IV SOG LSA; § 179 LVwG SH; § 32 ThürPAG; § 21 I, II BPolG. Einzelheiten bei Koch Datenerhebung (Fn 1024), 93 ff; Bäumler in: Lisken/Denninger, J Rn 697 ff. § 21 PolG BW; Art 32 BayPAG; § 24, 24 a ASOG Bln; § 31 BbgPolG; § 29 BremPolG; § 8 HbgGDatPol; § 14 HessSOG; § 32 SOG MV; § 32 NdsSOG; §§ 15, 15 a PolG NW; § 27 POG RP; § 27 SaarlPolG; § 38 SächsPolG; § 16 SOG LSA; § 184 LVwG SH; § 33 ThürPAG; § 26 BPolG. Monographisch Büllesfeld Polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze zur Kriminalitätsvorsorge, 2002; Gras Kriminalprävention durch Videoüberwachung, 2003; Bartsch Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA, 2004. Waechter NdsVBl 2001, 77 mit Erwiderung Schwabe NdsVBl 2002, 39; Roggan NVwZ 2001, 134 mit Erwiderung Maske NVwZ 2001, 1248; Haase ThürVBl 2000, 169 und 197; Vahle NVwZ 2001, 165; Schwarz ZG 2001, 246; Fischer VBlBW 2002, 89; Schmitt Glaeser BayVBl 2002, 584; Schewe NWVBl 2004, 415; Henrichs BayVBl 2005, 289. VG Halle LKV 2000, 164; VG Karlsruhe NVwZ 2002, 117; m krit Bespr Achelpöhler/ Niehaus, DuD 2002, 731; dazu ferner Anderheiden JuS 2003, 438; vgl auch OLG Zweibrücken NVwZ 2003, 1411.

249

2. Kap II 4 c cc

Friedrich Schoch

Beobachtung bestimmter Örtlichkeiten mittels Bildübertragung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erblickend) für verfassungsrechtlich gerechtfertigt erachtet; als Maßnahme der Gefahrenvorsorge, die nicht das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraussetze, dürfe die Videoüberwachung in restriktiver Handhabung der Befugnisnorm jedoch nur bei „Kriminalitätsbrennpunkten“ zum Einsatz kommen.1041 cc) Besondere Mittel der Informationserhebung: Die Stärkung der Vorfeldbefug250 nisse der Polizei (Rn 12 ff) hat dazu geführt, dass im Polizeirecht besondere Mittel der Informationserhebung für die Gewinnung personenbezogener Daten vorgesehen worden sind.1042 Instrumente und Methoden hierfür sind die längerfristige Observation, der verdeckte Einsatz technischer Mittel (insb auch in oder aus Wohnungen) zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören oder Aufzeichnen des gesprochenen Wortes auf Tonträger, der Einsatz von V-Leuten (Vertrauenspersonen, dh Informanten) und verdeckten Ermittlern sowie die polizeiliche Beobachtung.1043 Neuerdings treten Befugnisse der präventiven Telekommunikationsüberwachung hinzu.1044 Ähnliches gilt für den Einsatz der Videoüberwachungstechnik zur automatisierten Erkennung amtlicher Kfz-Kennzeichen.1045 Nicht alle besonderen Mittel der Informationserhebung sind in allen Ländern erlaubt. Unterschiede zwischen den Gesetzen der Länder gibt es auch bzgl der Recht251 mäßigkeitsvoraussetzungen für den Einsatz jener Mittel. Kennzeichnend ist vielfach ihre Anwendung schon bei der Vermutung (auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte) über die Begehung von Straftaten. Sieht die einschlägige Befugnisnorm zB für den verdeckten Einsatz von technischen Mitteln in oder aus Wohnungen („Lauschangriff“) jedoch eine „unmittelbar bevorstehende Gefahr“ vor, müssen trotz des hohen Rangs der geschützten Rechtsgüter die Voraussetzungen des qualifizierten Gefahrbegriffs (Rn 100) erfüllt sein; eine zeitliche Verlagerung der Gefahrenabwehr in das „Vorfeld“ ist gesetzlich nicht erlaubt.1046 Deshalb unterliegt der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung in oder aus Wohnungen strengen Voraussetzungen. Kann die Polizei die gesetzlich geforderte gesteigerte Gefahrenlage nicht nachweisen, ist die Maßnahme rechtswidrig.1047 Signifikante Unterschiede zwischen den Ländern bestehen ferner beim Rang der 252 Schutzgüter. Notwendig ist zT eine (gegenwärtige) Gefahr für Leib, Leben oder 1041

1042

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1045 1046 1047

250

VGH BW NVwZ 2004, 498 → JK GG Art 2 I iVm 1 I/38; vgl dazu auch Anm Stephan VBlBW 2004, 28; von Stechow/von Foerster MMR 2004, 202. §§ 22 ff PolG BW; Art 33 ff BayPAG; §§ 25 ff ASOG Bln; §§ 32 ff BbgPolG; § 30 ff BremPolG; §§ 9 ff HbgGDatPol; §§ 15 ff HessSOG; §§ 33 ff SOG MV; §§ 34 ff NdsSOG; §§ 16 ff PolG NW; § 28 ff POG RP; § 28 SaarlPolG; §§ 39 ff SächsPolG; §§ 17 ff SOG LSA; §§ 185 ff LVwG SH; §§ 34 ff ThürPAG; § 28 BPolG. Vgl ie Huber ThürVBl 2005, 1 u 33. § 15 a HessSOG; §§ 33 a, 33 b NdsSOG; § 31 POG RP; § 34 a ThürPAG. – Vgl dazu Graulich NVwZ 2005, 271, 273 f; zu TK-Auskunftsrechten der Polizei LG Kaiserslautern NJW 2005, 443. § 14 V HessSOG; dazu Graulich NVwZ 2005, 271 f; allg Schieder NVwZ 2004, 778. OLG Karlsruhe DVBl 1999, 1229, 1230. BGH JZ 2004, 454, 457 m Anm Gusy.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 4 d aa

Freiheit einer Person. Eingriffsbefugnisse sind zT auch normiert zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. In einigen Ländern ist zB der verdeckte Einsatz technischer Mittel auch zum Schutz des Staates (Bestand sowie Sicherheit des Bundes oder eines Landes) erlaubt. Der Einsatz besonderer Mittel der Informationserhebung muss vielfach von der Behördenleitung angeordnet werden, zT bestehen sogar Richtervorbehalte. Erfolgt die Informationserhebung nicht offen, kommt der Benachrichtigung der betroffenen Person eine besondere Bedeutung (ua für den Rechtsschutz) zu.1048 Beim Einsatz eines verdeckten Ermittlers darf von dem gesetzlich ausnahmsweise zulässigen Absehen von der Unterrichtung Betroffener nur Gebrauch gemacht werden, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch die Unterrichtung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr für den Ermittler begründet wird.1049 d) Informationsverarbeitung Der Informationserhebung folgt die Informationsverarbeitung (insb Speicherung, 253 Veränderung, Nutzung); besondere Formen der Nutzung personenbezogener Informationen sind die Informationsübermittlung und der Informationsabgleich.1050 Die Ausgestaltung der Informationsverarbeitung ist detaillierten gesetzlichen Vorschriften unterworfen.1051 Die Divergenzen von Land zu Land sind zT erheblich. aa) Allgemeine Lehren: Auch die Informationsverarbeitung umfasst grund- 254 rechtssensible polizeiliche Maßnahmen. Dem Gesetzesvorbehalt kommt herausragende Bedeutung zu. Die Polizei darf personenbezogene Informationen in Akten oder Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies gesetzlich (zur Aufgabenerfüllung) zugelassen ist. Bedeutsam ist sodann die Zweckbindung. Die Informationsverarbeitung darf grundsätzlich nur zu dem Zweck erfolgen, zu dem die Informationen (rechtmäßig) erhoben worden sind. Die Dauer der Speicherung ist auf das notwendige Maß zu beschränken; zur Kontrolle sind Prüfungstermine und Aufbewahrungsfristen festzulegen. Dadurch soll eine unzulässige „Speicherung auf Vorrat“ ausgeschlossen werden. Die Praxis ist immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob erkennungsdienstliche 255 Unterlagen aus einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren für Zwecke der Gefahrenabwehr (Straftatenverhütung, Strafverfolgungsvorsorge) gespeichert und ggf genutzt werden dürfen. Die Rechtsprechung 1052 bejaht diese Frage, da die Landesgesetzgeber die Änderung des Nutzungszwecks der im Rahmen von Ermittlungsverfahren gewonnenen Informationen mit dem Ziel der weiteren Speicherung und

1048 1049 1050 1051

1052

BVerfG (K) DÖV 2001, 777, 779; ausf BVerfGE 109, 279, 363 ff. VGH BW NVwZ-RR 2003, 843, 845 f. Ausf dazu Koch Datenerhebung (Fn 1024) 160 ff. §§ 37 ff PolG BW; Art 37 ff BayPAG; §§ 42 ff ASOG Bln; §§ 37 ff BbgPolG; §§ 36a ff BremPolG; §§ 14 ff HbgGDatPol; §§ 20 ff HessSOG; §§ 36 ff SOG MV; §§ 38 ff NdsSOG; §§ 22 ff PolG NW; §§ 33 ff POG RP; §§ 30 ff SaarlPolG; §§ 43 ff SächsPolG; §§ 22 ff SOG LSA; §§ 188 ff LVwG SH; §§ 38 ff ThürPAG; §§ 29 ff BPolG. VGH BW DVBl 1992, 1309, 1311 f; BayVGH BayVBl 1996, 468, 469; BayVBl 1998, 115, 116 f; HessVGH DÖV 2005, 523; OVG SH NJW 1999, 1418.

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2. Kap II 4 d bb

Friedrich Schoch

Veränderung zu präventivpolizeilichen Zwecken für zulässig erklärt haben.1053 Damit wird der notwendigen bereichsspezifischen Regelung 1054 Rechnung getragen. Dies gilt auch, wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren nach § 153 a II StPO oder § 170 II StPO eingestellt worden ist.1055 Sogar im Falle des Freispruchs soll die fortdauernde Speicherung von personenbezogenen Daten erlaubt sein.1056 Handelt es sich um strafprozessual rechtswidrig erhobene Daten, die zum Zweck der Gefahrenabwehr weiter gespeichert und genutzt werden sollen, kommt dies aus rechtsstaatlichen Gründen allenfalls in Betracht, wenn es um den Schutz hochwertiger, verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechtsgüter geht.1057 bb) Informationsübermittlung und Informationsabgleich: Die Übermittlung per256 sonenbezogener Informationen an Dritte (andere Polizeidienststellen, sonstige Behörden) ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, jedoch grundsätzlich nur im Rahmen der Zweckbindung erlaubt. Die Übermittlung von Informationen des Polizeivollzugsdienstes an die allgemeine Polizeibehörde (Ordnungsbehörde) ist gesetzlich erlaubt, wenn sie zur Wahrnehmung der Aufgaben der letztgenannten Behörde erforderlich ist.1058 Der Informationsabgleich darf grundsätzlich nur gegenüber polizeirechtlich Verantwortlichen erfolgen; ist der Abgleich auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich oder geht es um eine polizeiliche Fahndung, bestehen Ausnahmen. Eine besondere Form des Informationsabgleichs stellt die Rasterfahndung 257 dar.1059 Bei ihr kann die Polizei von öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen die Übermittlung personenbezogener Informationen bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zweck des automatisierten Abgleichs mit anderen Informationsbeständen verlangen.1060 Es geht va um Namen, Anschriften, Tag und Ort der Geburt sowie fahndungsspezifische Sachkriterien. Die rechtliche Zulässigkeit der Rasterfahndung hängt von der Ausgestaltung des Landesrechts ab.1061 Soweit dieses lediglich verlangt, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Rasterfahndung zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist, bestehen keine prinzipiellen Bedenken. Soweit eine „gegenwärtige“ Gefahr gefordert ist, wurde diese 1053

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§ 38 I PolG BW; Art 38 II 1 BayPAG; § 42 III ASOG Bln; § 39 II BbgPolG; § 36 b V BremPolG; § 16 II HbgGDatPol; § 20 IV, V HessSOG; § 37 I, II SOG MV; § 39 III NdsSOG; § 24 II PolG NW; § 33 V POG RP; § 30 II SaarlPolG; § 43 II SächsPolG; § 23 SOG LSA; § 189 I, II LVwG SH; § 40 II ThürPAG; ebenso § 29 II BPolG. BVerfGE 65, 1, 46. VGH BW NVwZ-RR 2000, 287; DVBl 2001, 838. BVerfG (K) DVBl 2002, 1110. Näher zu der Problematik Schenke FG Hilger, 2003, 225, 239 ff. VGH BW VBlBW 2005, 107, 108 am Beispiel des Informationsaustausches zwischen Polizei und Fahrerlaubnisbehörde. Vgl dazu Fallbearbeitung Unkroth Jura 2004, 703. Einzelheiten dazu bei Lisken NVwZ 2002, 513 ff; Bausback BayVBl 2002, 713 ff; Achelpöhler/Niehaus DÖV 2003, 49 ff; Meister JA 2003, 83 ff; Horn DÖV 2003, 746 ff; Geis/Möller DV 37 (2004) 431 ff. § 40 I PolG BW; Art 44 BayPAG; § 47 ASOG Bln; § 46 BbgPolG; § 36i BremPolG; § 23 HbgGDatPol; § 26 HessSOG; § 44 SOG MV; § 45 a NdsSOG; § 31 PolG NW; § 38 POG RP; § 37 SaarlPolG; § 47 SächsPolG; § 31 SOG LSA; § 195 a LVwG SH; § 44 ThürPAG.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 5 a

bei der Rasterfahndung zur Terrorismusbekämpfung (nach den Anschlägen vom 11. 09. 2001 in den USA) überwiegend bejaht,1062 zT aber auch abgelehnt.1063 Die Bejahung der „gegenwärtigen Gefahr“ (vgl Rn 100) ist rechtlich wenig überzeugend. Darüber vermag auch die These von der „Dauergefahr“ kaum hinwegzutäuschen. Juristisch hat die Rechtsprechung eine Entgrenzung eingeführter Begriffe vorgenommen, die allenfalls eine nicht mehr vertretbare Konturenlosigkeit bewirkt.1064 Die rechtlich saubere Lösung besteht darin, ggf auf die Qualifizierung „gegenwärtig“ zu verzichten und die einfache konkrete Gefahr (Rn 84) für die Rasterfahndung ausreichen zu lassen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen nicht. Denn eine bestimmte gefahrenabwehrrechtliche „Verdachtsschwelle“ ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben.1065 cc) Rechte der betroffenen Person: Personenbezogene Informationen sind unter 258 bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen zu berichtigen, zu löschen oder zu sperren.1066 Die Vorschriften wirken individualschützend.1067 Die betroffene Person hat außerdem einen Auskunftsanspruch (zT auch Akteneinsichtsrecht).1068 Dem stehen bestimmte Auskunftsverweigerungsgründe entgegen. Entschieden wird auf Grund einer Abwägung der konfligierenden Belange. Vor einer vollständigen Verweigerung der Auskunft sind Teilauskünfte in Betracht zu ziehen.1069

5. Sondergesetzliche Eingriffsbefugnisse a) Vorrang von Spezialregelungen Die Rechtsordnung kennt sondergesetzliche Eingriffsbefugnisse zur Gefahrenab- 259 wehr in großer Zahl. IdR geht es um Spezialbefugnisse, die den Ordnungsbehörden (Sicherheitsbehörden) zustehen. Eine Vielzahl von Beispielen findet sich etwa im Ausländerrecht,1070 Bodenschutzrecht,1071 Gewerberecht,1072 Bauordnungsrecht 1073 1062

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OLG Düsseldorf DÖV 2002, 436 → JK PolG NW § 31/1; OVG RP DÖV 2002, 743; KG Berlin DuD 2002, 692. OLG Frankfurt/M NVwZ 2002, 626 und 627. – Konsequenz hieraus: Änderung des § 26 HessSOG durch G v 6. 9. 2002. Trute DV 36 (2003) 501, 508 ff; Schulze-Fielitz FS Schmitt Glaeser, 2003, 407, 419 ff. Bull FS Selmer, 2004, 29, 42. § 46 PolG BW; Art 45 BayPAG; § 48 ASOG Bln; § 47 BbgPolG; § 36k BremPolG; § 24 HbgSOG; § 27 HessSOG; § 45 SOG MV; § 39 a NdsSOG; § 32 PolG NW; § 39 POG RP; § 38 SaarlPolG; § 49 SächsPolG; § 32 SOG LSA; § 196 LVwG SH; § 45 ThürPAG; § 35 BPolG. VGH BW DVBl 1992, 1309 (m Anm Dronsch). § 45 PolG BW; Art 48 BayPAG; § 50 ASOG Bln; § 71 BbgPolG; § 25 HbgGDatPol; § 29 HessSOG; § 48 SOG MV; § 48 NdsSOG; § 40 POG RP; § 40 SaarlPolG; § 51 SächsPolG; § 198 LVwG SH; § 47 ThürPAG. BVerfG (K) DVBl 2001, 275, 277. Dazu Sailer in: Lisken/Denninger, D Rn 15 ff. Dazu → Breuer 5. Kap Rn 126a ff. Dazu → Badura/Huber 3. Kap Rn 147, 152 f. Dazu → Krebs 4. Kap Rn 219 ff.

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2. Kap II 5 b

Friedrich Schoch

oder Verkehrsrecht.1074 Die den Gefahrenabwehrbehörden (Sonderordnungsbehörden) dort eingeräumten Befugnisse dienen der Bekämpfung bereichsspezifischer Gefahren, also zB verkehrstypischer Gefahrenlagen. Bei der Gefahrenabwehr im Internet 1075 (zB Bekämpfung von Nazi-Propaganda) reagiert die Verwaltungspraxis mit dem Erlass von Sperrungsverfügungen gegen Access-Provider (Zugangsanbieter) wegen der Zugangsvermittlung zu fremden illegalen Inhalten.1076 Die entsprechende Rechtsgrundlage besteht in § 22 III iVm II MDStV 1077, falls es sich bei dem entsprechenden Angebot um Mediendienste (§ 2 I MDStV) und nicht etwa um Teledienste (§ 2 TDG 1078) handelt. Dem Grunde nach ist dieses Vorgehen rechtlich nicht zu beanstanden. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vor, kann ein Access-Provider jedenfalls als Nichtverantwortlicher iSd § 7 MDStV Adressat einer Sperrungsverfügung sein.1079 Allerdings müssen im konkreten Fall auch das Entschließungsermessen (Rn 102) und das Auswahlermessen (Rn 103) der Befugnisnorm rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein. Die Praxis zeigt, dass Sperrungsverfügungen im Einzelfall ermessensfehlerhaft sein können, weil zB eine Würdigung der Folgen für den AccessProvider unterblieben ist.1080 Die Anwendung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (insb der Rückgriff 260 auf die Generalklausel) ist ausgeschlossen, soweit die Spezialgesetze abschließende Regelungen treffen (Rn 53 ff). Das ist häufig der Fall in Bezug auf die Eingriffsvoraussetzungen und die zulässigen Maßnahmen. Dagegen ist der Rückgriff auf das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bei der Bestimmung der Verantwortlichen weithin zulässig und auch notwendig (Rn 123). Auf der Tatbestandsseite sind die abschließenden Spezialermächtigungen vielfach dadurch gekennzeichnet, dass sie engere Eingriffsvoraussetzungen normieren als die Generalklausel. Auf der Rechtsfolgenseite der speziellen Befugnisnormen müssen bei der Betätigung des Handlungsermessens nicht selten grundrechtliche Grenzziehungen beachtet werden. b) Beispiel: Gefahrenabwehr im Versammlungswesen 261 Exemplarisch für das Verhältnis zwischen spezialgesetzlichen Ermächtigungen und Generalklausel sowie für die jeweiligen Handlungsbefugnisse ist die Gefahrenabwehr im Versammlungswesen.1081 Auch insoweit gilt der Grundsatz, dass die Polizei- und Ordnungsbehörden die Gefahrenabwehraufgabe primär nach den besonderen gesetzlichen 1074 1075

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Dazu Hilse in: Lisken/Denninger, G Rn 79 ff. Dazu Zimmermann NJW 1999, 3145; monographisch Germann Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000. Vgl die Sperrungsverfügung der BezReg Düsseldorf, TKMR 2002, 405; dazu Spindler/ Volkmann K&R 2002, 398 (krit); Greiner CR 2002, 620 (zust); Engel MMR-Beilage 4/2003 (abl); Dietlein/Heinemann K&R 2004, 418 (zust). Mediendienste-Staatsvertrag, Sartorius III Nr 796. Teledienstegesetz, Sartorius ErgBd Nr 922. OVG NW NJW 2003, 2183; dazu Anm Spindler/Volkmann MMR 2003, 353 und Anm Vassilaki/Görling CR 2003, 367. VG Köln TKMR 2004, 171, 174 f. Enders Jura 2003, 34 ff u 103 ff; zur Entwicklung des Versammlungsrechts Kniesel/ Poscher NJW 2004, 422 ff.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap II 5 b

Regelungen durchführen; nur soweit spezialgesetzliche Bestimmungen fehlen oder nicht abschließend sind, gilt für die Durchführung der Gefahrenabwehr das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht.1082 Danach ist das allgemeine Gefahrenabwehrrecht zT verdrängt (Rn 55), zT nimmt es lückenfüllende Funktionen wahr (Rn 57) und zT ergänzt es vorhandene Spezialbefugnisse (Rn 58). Soweit das Versammlungsrecht – für öffentliche Versammlungen (§ 1 I VersG) – abschließende Regelungen enthält, müssen deren (idR strengen) Voraussetzungen beachtet werden.1083 Anschaulich können die strengen Eingriffsvoraussetzungen und die Einwirkung 262 der Grundrechte auf die Gefahrenabwehr im Versammlungswesen am Beispiel von Maßnahmen gegen öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel (§ 15 VersG) aufgezeigt werden.1084 Schutzgüter sind die öffentliche Sicherheit und Ordnung; insoweit besteht kein Unterschied zur Generalklausel (Rn 64). Die Gefahrenlage muss jedoch – auf „erkennbaren Umständen“ beruhend – als „unmittelbare“ Gefährdung eines Schutzguts qualifiziert werden können. Hierfür verlangt das BVerfG manifeste tatsächliche Anhaltspunkte (und nicht nur Verdachtsmomente oder Vermutungen) für die Gefahrenprognose.1085 Hieran scheitern in der Praxis viele Versammlungsverbote bei der gerichtlichen Kontrolle.1086 Liegt eine unmittelbare Gefährdung lediglich der öffentlichen Ordnung vor, rechtfertigt dies nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Versammlungsverbot grundsätzlich nicht; die Gefahrenabwehr muss idR durch Auflagen (= selbständige Verfügungen) bewerkstelligt werden.1087 Die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung ist nach § 15 VersG zulässig, wenn es nicht um den Inhalt von (Meinungs-)Äußerungen, sondern um die Art und Weise der Durchführung der Versammlung geht (zB aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Demonstranten; Aufzug von Rechtsextremisten an einem der Erinnerung des Holocaust dienenden Feiertag; Pflege von Riten und Symbolen der NS-Gewaltherrschaft).1088 Diese Restriktion beruht nicht (nur) auf Art 8 I GG; Gefahrenabwehrmaßnahmen, die auf Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen zielen, unterliegen (auch) den Anforderungen nach Art 5 I 1, II GG.1089 Gründe des Übermaßverbots verweisen idR auf den Erlass von Auflagen und hindern die Verwaltung an einem Verbot der Versammlung. 1082 1083 1084

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So zutreffend § 12 SOG MV; § 173 LVwG SH. Dazu am Bspl des § 5 VersG ThürOVG DVBl 1998, 104 → JK VersG § 5 Nr 4/1. Zur Rspr des BVerfG Hoffmann-Riem NVwZ 2002, 257 ff; zur Demonstrationsfreiheit für Rechtsextremisten ders NJW 2004, 2777 ff; zur Neuregelung der Versammlungsfreiheit bzgl rechtsextremistischer Versammlungen Leist NVwZ 2005, 500 ff sowie Poscher NJW 2005, 1316 ff. BVerfG (K) DVBl 2001, 721; DVBl 2001, 1132, 1133; NVwZ-RR 2002, 500; NVwZ 2002, 983; DVBl 2004, 235, 238 → JK GG Art 8/16. Vgl Übersicht zur Rspr von Laubinger/Repkewitz VerwArch 92 (2001) 585 ff und 93 (2002) 149 ff. BVerfG (K) DVBl 2001, 897, 899 f; zu einer Ausnahme BVerfG (K) DVBl 2001, 558 → JK GG Art 8/13. BVerfG DVBl 2004, 1230, 1232. BVerfG (K) DVBl 2001, 1134 und 1054, 1055 f; krit Battis/Grigoleit NJW 2004, 3459.

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2. Kap III 1

Friedrich Schoch

III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Zuständigkeitsordnung 263 Gefahrenabwehrmaßnahmen müssen, um rechtmäßig zu sein, von den zuständigen Behörden getroffen werden. Die Behördenzuständigkeit ist mit der Organisation der Polizei und der Ordnungsverwaltung verknüpft. Diese ist von Land zu Land unterschiedlich, so dass zu Einzelheiten auf Darstellungen des Landesrechts verwiesen werden muss.1090 264 In den Grundstrukturen bestehen weithin übereinstimmende Modelle. Sowohl im Einheitssystem als auch im Trennsystem (Rn 48 ff) sind für die Aufgabe der Gefahrenabwehr grundsätzlich die Ordnungsbehörden bzw (Polizei-)Verwaltungsbehörden bzw Sicherheitsbehörden zuständig, die Teil der allgemeinen inneren Verwaltung 1091 sind; die (Vollzugs-)Polizei (Polizeivollzugsdienst) verfügt über enumerative Einzelzuständigkeiten (va bzgl Standardmaßnahmen) sowie Eilkompetenzen und leistet Vollzugshilfe (Rn 48 ff). Innerhalb der grundsätzlich 1092 zuständigen Ordnungsverwaltung/Verwaltungs„polizei“ liegt die sachliche Zuständigkeit idR bei den unteren (dh örtlichen) Ordnungsbehörden/Polizeiverwaltungsbehörden.1093 Zuständige Kommunen handeln im „übertragenen Wirkungskreis“ (Rn 51), unterliegen also der Rechts- und Fachaufsicht staatlicher Behörden.1094 Örtlich zuständig ist grundsätzlich die Behörde, in deren Dienstbezirk die Gefahrenabwehraufgabe wahrzunehmen ist.1095 Das ist zB bei der gefahrenabwehrrechtlichen Behebung unfreiwilliger Obdachlosigkeit die Gemeinde, in der die Gefahr eintritt; nicht maß1090

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Baden-Württemberg: Würtenberger/Heckmann/Riggert PolR BW Rn 118 ff, 223 ff. – Bayern: Gallwas/Mößle Bay Polizei- und SicherheitsR Rn 101 ff. – Berlin: Prümm/Sigrist Allg Sicherheits- und OrdnungsR Rn 367 ff. – Hamburg: Hoffmann-Riem in: HoffmannRiem/Koch, Hamburgisches Staats- und VerwaltungsR, 147, 150 ff. – Hessen: Pausch POR in Hessen, 43 ff, 47 ff. – Niedersachsen: Waechter POR Rn 163 ff, 200 ff; Ipsen Nds POR Rn 655 ff. – Nordrhein-Westfalen: Frings/Spahlholz Recht der Gefahrenabwehr, Rn 62 ff, 158 ff. – Rheinland-Pfalz: Rühle POR B Rn 7 ff. – Saarland: Haus/Wohlfarth POR Rn 35 ff, 151 ff. – Sachsen: Wagner/Ruder PolR Rn 32 ff, 57 ff, 71 ff, 103 ff. – Sachsen-Anhalt: Karnop Gefahrenabwehr Rn 41 ff, 140 ff. – Schleswig-Holstein: Nissen in: Schmalz ua, Staats- u VerwR SH, 145, 170 ff; Schipper POR Rn 52 ff, 150 ff. Dazu Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 52 Rn 10 ff. Abzugrenzen ist mitunter auch gegenüber Sonder(ordnungs)behörden; VGH BW GewArch 1996, 246: Zuständigkeit des staatlichen Gewerbeaufsichtsamts (und nicht der Gemeinde als „Ortspolizeibehörde“) für Untersagung des Vertriebs technischer Arbeitsmittel. § 66 II PolG BW; § 2 ASOG Bln; § 5 BbgOBG; § 79 BremPolG; § 89 II HessSOG; § 4 II SOG MV; 97 I NdsSOG; § 5 OBG NW; § 90 POG RP; § 80 II SaarlPolG; § 68 II SächsPolG; § 89 II SOG LSA; § 165 II LVwG SH; § 4 I ThürOBG. – Zu der unspezifischen Regelung in Art 6 BayLStVG Knemeyer POR Rn 436. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 41 ff, 44 ff. § 68 PolG BW; § 4 BbgOBG; § 78 BremPolG; § 100 HessSOG; § 5 SOG MV; § 100 NdsSOG; § 4 OBG NW; § 91 POG RP; § 81 SaarlPolG; § 70 SächsPolG; § 88 SOG LSA; § 166 LVwG SH; § 4 III ThürOBG.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 a bb

geblich sind gewöhnlicher Aufenthalt oder Wohnsitz des Betroffenen.1096 Für das Einschreiten bei unzulässiger Plakatwerbung für Zigaretten ist die Ordnungsbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die Schutzgutverletzung aufgetreten ist; auf den Sitz des werbenden Unternehmens kommt es nicht an.1097

2. Handlungsformen zur Gefahrenabwehr Bestimmte Handlungsformen der Verwaltung sind den Gefahrenabwehrbehörden 265 im Polizei- und Ordnungsrecht grundsätzlich nicht vorgeschrieben (Ausnahme: PolVO bei der abstrakten Gefahr, Rn 271). Die Gesetze sprechen unspezifisch von „Maßnahmen“. Demnach verfügen die Behörden über alle Formen des Verwaltungshandelns für ihre Gefahrenabwehrmaßnahmen. a) Einzelfallmaßnahmen Im Rahmen der behördlichen Gefahrenabwehr dominieren Einzelfallmaßnahmen. Von überragender Bedeutung ist die Verfügung (Rn 267); auch der Verwaltungsrealakt gewinnt zunehmend an Gewicht (Rn 268 ff). Der verwaltungsrechtliche Vertrag hingegen spielt im Gefahrenabwehrrecht keine Rolle. aa) Verwaltungsakt: Maßnahmen der Gefahrenabwehrbehörden sind idR auf die Beseitigung einer konkreten Gefahr im Einzelfall gerichtet. Sofern die Behörde die Gefahr nicht selbst (oder durch beauftragte Dritte) bekämpft, ergeht eine Verfügung an den Verantwortlichen. Der befehlende Verwaltungsakt (Gebot oder Verbot, gerichtet auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen) ist das wichtigste Handlungsinstrument der Gefahrenabwehrbehörden. Für Gefahrenabwehrverfügungen gelten in formeller Hinsicht die allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen; 1098 Besonderheiten normiert das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht idR nicht. Kaum von Bedeutung ist im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht der Verwaltungsakt in Gestalt der Erlaubnis. Präventive Kontrollbefugnisse sind weitestgehend den zuständigen Fachbehörden (zB Umwelt-, Gewerbe-, Bauaufsichts-, Straßenbehörden) zugewiesen. Infolgedessen kommt die ordnungsbehördliche Erlaubnis im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht nur selten vor.1099 bb) Verwaltungsrealakt: Der auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolgs gerichtete Verwaltungsrealakt ist im Gefahrenabwehrrecht schon immer von Bedeutung gewesen. Etliche Standardmaßnahmen sind als Verwaltungstathandeln zu qualifizieren (Rn 193). Dasselbe gilt für bestimmte Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung (zB Anwendung eines Zwangsmittels). Auch die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme (Rn 287 ff) trifft keine „Regelung“ (§ 35 S 1 VwVfG), ist also ein Verwaltungsrealakt. Zunehmend werden behördliche Wissenserklärungen (Hinweise, Aufklärungen, Empfehlungen, Warnungen) als Gefahrenabwehrinstrumente eingesetzt.1100 Von be1096 1097 1098 1099 1100

VGH BW DVBl 1996, 566; BayVGH BayVBl 1995, 503; NVwZ-RR 2002, 575. OVG NW NVwZ 1999, 562. Dazu Erichsen in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 15 Rn 5 ff. Bspl: VG Weimar LKV 2002, 483 (ordnungsbehördliche Genehmigung zum Plakatieren). Vgl zB Gusy NJW 2000, 977 ff; Ibler FS Maurer, 2001, 145 ff; Käß WiVerw 2002, 197 ff.

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2. Kap III 2 b

Friedrich Schoch

sonderer Bedeutung sind behördliche Warnungen in Gefahrensituationen. Warnungen können als funktionales Äquivalent zur Allgemeinverfügung (§ 35 S 2 VwVfG) qualifiziert werden. Sie wirken auf die Warnungsadressaten (zB Verbraucher eines bestimmten Produkts) ein und dienen der Verhaltenssteuerung iSd Prävention (zB Meidung eines gefährlichen Produkts). Verwaltungsrealakte unterliegen den allgemeinen und ggf besonderen Recht270 mäßigkeitsanforderungen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts. So bestehen zB für Realakte in der Verwaltungsvollstreckung und für die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme spezifische Rechtmäßigkeitserfordernisse (Rn 290). Einen „Rabatt“ gibt es auch für behördliche Wissenserklärungen nicht. Greifen sie nicht in Rechte Einzelner ein, genügen eine Aufgabenzuweisungsnorm und kompetenzgemäßes behördliches Handeln. Hat die Maßnahme dagegen Eingriffsqualität, gilt der Gesetzesvorbehalt,1101 die Voraussetzungen der Befugnisnorm (zB Generalklausel 1102) müssen erfüllt sein, das Übermaßverbot ist zu beachten und selbstverständlich muss die zuständige Behörde von der Befugnisnorm Gebrauch gemacht haben.1103 Der Versuch des BVerfG, wenigstens Regierungen im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs unmittelbar von Verfassungs wegen zum Informationshandeln zu ermächtigen,1104 überzeugt in keiner Weise.1105 Es stellt eine reine Behauptung dar, wenn das BVerfG meint, für die Informationstätigkeit einer Regierung im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgabe der Staatsleitung bedürfe es über die Zuweisung dieser Aufgabe hinaus auch dann keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung, wenn das Informationshandeln zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führe.1106 Verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalten können sich auch Regierungen – würde das Grundgesetz in diesem Punkt vom BVerfG ernst genommen – nicht entziehen. Auf behördliche Warnungen zur Gefahrenabwehr kann jene unzutreffende Rechtsprechung des BVerfG unter keinen Umständen übertragen werden.

b) Gefahrenabwehrverordnungen 271 Zur Bekämpfung abstrakter Gefahren können die Ordnungsbehörden (Polizeiverwaltungsbehörden, Sicherheitsbehörden) Verordnungen erlassen. Die hierfür im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bestehenden generalklauselartigen

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BVerwG DVBl 1996, 807; BVerwGE 90, 112, 122. Vgl LG Stuttgart NJW 1989, 2257; OLG Stuttgart NJW 1990, 2690. Leidinger DÖV 1993, 925 ff; Murswiek DVBl 1997, 1021 ff; Haussühl VBlBW 1998, 90 ff; Lege DVBl 1999, 569 ff. BVerfGE 105, 252 und 279. Bethge Jura 2003, 327 ff; ferner Murswiek NVwZ 2003, 1 ff; H. Dreier DV 36 (2003) 105, 129 ff; Huber JZ 2003, 290 ff; Hellmann NVwZ 2005, 163 ff. Rspr bekräftigend BVerfG (K) NJW 2002, 3458, 3459; vgl auch BVerfG (K) NJW 2003, 1305, 1306 f.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 b aa

Ermächtigungsgrundlagen 1107 begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.1108 aa) Funktion und Bedeutung von Gefahrenabwehrverordnungen: Der Einsatz 272 von Verordnungen zur Gefahrenabwehr reicht in der Praxis vom Taubenfütterungsverbot bzgl verwilderter Haustauben 1109 über das verordnungsrechtliche Verbot des Bettelns 1110 sowie den Leinen- und Maulkorbzwang für bissige Hunde 1111 bis hin zum Verbot der Kontaktaufnahme mit Prostituierten in einem Sperrbezirk 1112 und zur Gefahrenabwehr bei umwelt- bzw gesundheitsschädlichem Verhalten.1113 Lange Zeit fungierte die verordnungsrechtliche Generalklausel unangefochten auch zur Bekämpfung der Gefahren, die von gefährlichen Hunden (Kampfhunden) ausgehen.1114 Die Rechtslage schien sich zu ändern, als das BVerwG – freilich unter Verkennung des Begriffs der „abstrakten Gefahr“ (Rn 275) – zum Schutz der Bevölkerung vor den von bestimmten Hunden (maßgeblich: Rassezugehörigkeit) ausgehenden Gefahren eine spezielle Rechtsgrundlage in einem Parlamentsgesetz forderte.1115 Die Rechtslage hat sich inzwischen jedoch normalisiert, nachdem das BVerfG in seiner „Kampfhundeentscheidung“ 1116 die rechtsdogmatischen Maßstäbe zurechtgerückt hat.1117 Der verordnungsrechtliche Schutz gegenüber Kampfhunden (Rn 275 a) ist danach (wieder) nach Maßgabe der Generalklausel zulässig.1118 1107

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§ 10 PolG BW; § 55 ASOG Bln; §§ 25, 26 BbgOBG; §§ 10 I 2, 48 BremPolG; § 1 HbgSOG; §§ 72–74 HessSOG; § 17 I SOG MV; § 55 NdsSOG; §§ 26, 27 OBG NW; § 43 POG RP; § 59 SaarlPolG; § 9 SächsPolG; § 94 SOG LSA; § 175 I LVwG SH; § 27 ThürOBG. – Bayern verfügt in Art 12 ff BayLStVG über eine Vielzahl spezieller Verordnungsermächtigungen. – Vgl. Schoch Jura 2005, 600 ff. VerfGH RP NVwZ 2001, 1273, 1274; VGH BW VBlBW 2002, 292; NdsOVG NVwZ-RR 2001, 742, 744. BayVerfGH BayVBl 2005, 172; VGH BW DÖV 1992, 19; NdsOVG NdsVBl 1997, 137 → JK GG Art 2 I/30. VGH BW DVBl 1999, 333 → JK Pol u OrdR PolVO/1; VGH BW VBlBW 1999, 101; dazu auch Höfling DV 33 (2000) 207 ff. BGH DÖV 1991, 697; VGH BW NVwZ 1992, 1105 → JK GG Art 3 I/17; NdsOVG NVwZ 1991, 693; OLG Oldenburg NVwZ 1991, 712. – Zu Bayern vgl Art 18 I BayLStVG. VGH BW DÖV 2001, 213. VGH BW NVwZ-RR 1996, 578: VO gegen nächtliche Lärmbelästigung durch Hundegebell; VGH BW VBlBW 1999, 101, NVwZ 2000, 457: Umweltschutz-VO bzgl Grün- und Erholungsanlagen. Einzelheiten zu dieser Problematik bei Hölscheidt NdsVBl 2000, 1 ff; Caspar DVBl 2000, 1580 ff, Kaltenborn NWVBl 2001, 249 ff; Gängel/Gansel NVwZ 2001, 1208 ff; Kunze NJW 2001, 1608 ff. BVerwGE 116, 347 (m krit Anm Ehlers DVBl 2003, 336) → JK Pol- u OrdR/Gefahrenbegriff/6; dem folgend NdsOVG NdsVBl 2005, 130; zutr aA VerfGH Bln NVwZ 2001, 1266, 1268; VerfGH RP NVwZ 2001, 1273, 1274; VGH BW VBlBW 2002, 292f; NdsOVG NVwZ 2001, 742, 743. – Spezialermächtigungen bestehen nach Art 37, 38 BayLStVG; § 1 a HbgSOG. BVerfGE 110, 141 → JK GG Art 12 I/75. Möstl Jura 2005, 48, 51 f; dem BVerfG zustimmend auch Pestalozza NJW 2004, 1840. VGH BW VBlBW 2003, 354; OVG MV DÖV 2005, 121; vgl auch BayVerfGH NVwZ-RR 2005, 176.

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2. Kap III 2 b bb

Friedrich Schoch

Gefahrenabwehrverordnungen sind ein wirksames Instrument zur Bekämpfung abstrakter Gefahren.1119 Sie sind unentbehrlich, um bei abstrakten Gefahrensituationen zeitlich, örtlich und sachlich flexibel reagieren zu können, ohne detaillierte Vorschriften des parlamentarischen Gesetzgebers abwarten zu müssen.1120 Der normative Gehalt der verordnungsrechtlichen Generalklausel ist – ähnlich wie bei der Generalklausel für Einzelfallmaßnahmen (Rn 63) – durch Rechtsprechung und Wissenschaft in dem verfassungsrechtlich gebotenen Maße präzisiert.1121 Die Generalklausel für Gefahrenabwehrverordnungen kommt allerdings nur zur Anwendung, wenn sie nicht durch Spezialregelungen ausgeschlossen ist.1122 Insoweit gelten ähnliche Überlegungen wie zur Generalklausel für Einzelfallmaßnahmen (Rn 53 ff). bb) Voraussetzungen für Gefahrenabwehrverordnungen: Formelle Rechtmäßig274 keitsvoraussetzung ist zunächst die Zuständigkeit des Verordnungsgebers. Diese ist – je nach räumlichem Geltungsbereich der Verordnung – allen Ebenen der Verwaltungshierarchie (von den Ministerien bis zu den örtlichen Behörden) eingeräumt.1123 Wird auf Landesebene der Geschäftsbereich von mehreren Ministerien berührt, sind auch gemeinsame Gefahrenabwehrverordnungen der Behörden zulässig.1124 Das Verfahren der Verordnungsgebung ist im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht nur zT geregelt (zB Vorlage an die Aufsichtsbehörde 1125). Bei der Verordnungsgebung auf örtlicher Ebene kann die Mitwirkung bzw Zuständigkeit der kommunalen Vertretungskörperschaft vorgesehen sein.1126 Ist dies der Fall, müssen im Verfahren einschlägige Vorschriften des Kommunalrechts 1127 beachtet werden.1128 Schließlich bestehen etliche Formerfordernisse.1129 Die Angabe der Rechtsgrundlage in der Verordnung ist zwingend.1130 Dagegen kann auf die ausdrückliche 273

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Hamann NVwZ 1994, 669 ff. VGH BW VBlBW 2002, 292, 293. BVerfGE 54, 143, 144 f. Bspl: VGH BW DÖV 1997, 646 → JK BImSchG § 22 II/1: Lärmbekämpfung von Anlagenlärm nur nach BImSchG. – SperrgebietsVO ergeht nach Art 297 EGStGB (Schönfelder Nr 85 a), HessVGH NVwZ-RR 1990, 472; NdsOVG NdsVBl 2003, 154; vgl auch BVerwG NVwZ 2005, 597. § 13 PolG BW; Art 42, 44 BayLStVG; § 55 ASOG Bln; §§ 25, 26 BbgOBG; § 49 BremPolG; § 1 I HbgSOG; §§ 72–74 HessSOG; § 17 SOG MV; § 55 NdsSOG; §§ 26, 27 OBG NW; § 43 POG RP; § 60 S 1 SaarlPolG; § 12 SächsPolG; § 94 SOG LSA; § 175 I LVwG SH; §§ 27 I, 28 ThürOBG. VGH BW VBlBW 2002, 292. § 16 I PolG BW; § 20 III SOG MV; § 62 NdsSOG; § 44 POG RP; § 64 SaarlPolG; § 15 I SächsPolG; § 101 I 2 SOG LSA; § 33 ThürOBG. – Vgl auch § 50 BremPolG; § 73 S 2 HessSOG. § 15 PolG BW; § 26 III BbgOBG; § 50 BremPolG; § 74 S 2 HessSOG; § 55 II NdsSOG; § 27 IV OBG NW; § 43 III POG RP; § 14 I SächsPolG; § 55 III LVwG SH. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 97 ff. VGH BW NVwZ-RR 2001, 462. § 12 PolG BW; § 29 BbgOBG; § 53 BremPolG; § 78 HessSOG; § 21 SOG MV; § 58 NdsSOG; § 30 OBG NW; § 46 POG RP; § 62 SaarlPolG; § 11 SächsPolG; § 97 SOG LSA; § 56 LVwG SH; § 32 ThürOBG. VGH BW DVBl 1999, 333 → JK Pol u OrdR PolVO/1.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 b bb

Bezeichnung des örtlichen Geltungsbereichs 1131 und die Angabe des Inkrafttretens der Verordnung 1132 verzichtet werden. Materiellrechtlich setzt der Tatbestand der Verordnungsermächtigung eine ab- 275 strakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung voraus, dh eine für eine unbestimmte Zahl von Fällen und eine unbestimmte Zahl von Personen bestehende Gefahr. Dies verlangt eine Sachlage, die nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Eintreten einer konkreten Gefahrenlage möglich erscheinen lässt; dabei ist der geforderte Wahrscheinlichkeitsgrad um so geringer, je hochrangiger das Schutzgut und je größer das Ausmaß des möglichen Schadens ist.1133 Es geht also um die verordnungsrechtliche Normierung eines Verhaltens, das regelmäßig und typischerweise zu einer Verletzung eines der Schutzgüter führt.1134 Bei der Festlegung der Regelungsziele und der zur Zielverwirklichung einzusetzenden Mittel verfügt der Verordnungsgeber über einen gerichtlich zu respektierenden Einschätzungs- und Prognosespielraum.1135 Danach liegt die Gefahrenabwehr durch Verordnung – zumal angesichts der Typisierung, die mit der Verordnungsgebung verbunden ist 1136 – bei bestimmten (Kampf-) Hunderassen (Rn 275 a) vor.1137 Dagegen ist das „stille“ Betteln keine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung 1138 (vgl auch Rn 82), ebenso wenig der Alkoholgenuss in Grün- und Erholungsanlagen.1139 Das Verbot der Kontaktaufnahme zu Prostituierten zwecks Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt kann rechtmäßig sein, wenn es vor unzumutbaren Beeinträchtigungen für unbeteiligte Frauen und Mädchen schützt.1140 Das verordnungsrechtliche Taubenfütterungsverbot ist rechtmäßig, da es ein gefahrenabwehrrechtliches Vorgehen gegen verwilderte (Haus-)Tauben (Taubenkot) zur Verhütung von Gefahren für das Eigentum und zum Schutz der menschlichen Gesundheit darstellt.1141 Der verordnungsrechtliche Schutz gegenüber gefährlichen Hunden (Kampfhun- 275a den) war zweifelhaft geworden (vgl Rn 272), nachdem das BVerwG gemeint hatte, nach dem fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand könne aus der Zugehörigkeit 1131 1132 1133

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OVG NW NWVBl 1997, 431, 432. VGH BW VBlBW 1999, 101, 102. VerfGH RP NVwZ 2001, 1273, 1274; Scheidler BayVBl 2004, 715, 717; Möstl Jura 2005, 48, 51. VGH BW NVwZ 2000, 457; DÖV 2001, 213 f; VBlBW 2002, 292, 293; OVG Bremen DÖV 1993, 576; NdsOVG NVwZ 1991, 693. BVerfG (K) NVwZ 2004, 975. BayVerfGH NVwZ-RR 2005, 176, 177; OVG Bremen NVwZ 2000, 1435, 1436. VerfGH RP NVwZ 2001, 1273, 1274; VGH BW VBlBW 2002, 292, 293; VBlBW 2003, 354; OVG MV DÖV 2005, 121, 122; OVG SH NVwZ 2001, 1300, 1302 → JK GG Art 3 I/34. – Die Frage kann allenfalls sein, ob die einzelnen Hunderassen zutr erfasst und abgegrenzt sind; das ist aber keine Frage der Ermächtigungsgrundlage, sondern va des Art 3 I GG. VGH BW DVBl 1999, 333, 334 → JK Pol u OrdR PolVO/1. VGH BW VBlBW 1999, 101, 103. VGH BW DÖV 2001, 213f. BayVerfGH BayVBl 2005, 172; VGH BW DÖV 1992, 79; BayVGH DÖV 1997, 468; NdsOVG NdsVBl 1997, 137 → JK 98 GG Art 2 I/30; Wohlfarth DÖV 1993, 152, 156.

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2. Kap III 2 b bb

Friedrich Schoch

eines Hundes zu einer bestimmten Rasse nicht auf dessen Gefährlichkeit geschlossen werden. Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden (Kampfhunden) bestimmter Rassen dienten daher nicht der Gefahrenabwehr, sondern der Gefahrenvorsorge. Derartige Maßnahmen müsse der parlamentarische Gesetzgeber in einem besonderen Gesetz 1142 treffen.1143 Demgegenüber hat das BVerfG auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse zutreffend festgestellt, dass der Normgeber (Gesetzgeber) bei abstrakter Betrachtung von der Annahme ausgehen dürfe, bestimmte Hunderassen (zB Pitbull-Terrier, American Staffordshire-Terrier) seien eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen.1144 Angesichts nachgewiesener Vorkommnisse 1145 habe der Gesetzgeber Anlass zum Handeln gehabt 1146, da nach dem Stand der Forschung die genetisch determinierte besondere Gefährlichkeit jener Rassen nicht generell ausgeschlossen werden könne.1147 In der Tat liegt bei wirklichkeitsnaher Betrachtung eine „abstrakte Gefahr“ (und nicht nur ein „Gefahrenverdacht“) vor, da der für die Gefährlichkeitsannahme geforderte Grad der Wahrscheinlichkeit von dem gefährdeten Rechtsgut (hier: Leib und Leben von Menschen) und der Art der zu befürchtenden Schäden abhängt.1148 Allerdings muss der Gesetzgeber die Entwicklung beobachten und zB auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ursachen aggressiven Verhaltens von Hunden der verschiedenen Rassen evtl reagieren.1149 Diese auf die parlamentarische Gesetzgebung bezogenen Ausführungen des BVerfG gelten uneingeschränkt für Gefahrenabwehrverordnungen zu gefährlichen Hunden.1150 Das BVerfG hat demnach die irrige Rechtsauffassung des BVerwG korrigiert.1151 „Kampfhundeverordnungen“ können demnach (wieder) auf die Generalklausel zum Verordnungserlass (Rn 271) gestützt werden.1152 Liegen die Voraussetzungen der Generalklausel vor, steht der Erlass der Gefah276 renabwehrverordnung im behördlichen Ermessen. Höherrangiges Recht darf nicht verletzt werden.1153 Beachtung verdienen va die Grundrechte. Gefahrenabwehrver1142

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Einige Länder (zB Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein) haben reagiert und Gesetze zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden erlassen; zu Sachsen vgl Helmert SächsVBl 2005, 33 ff; zum NdsHundG vgl NdsOVG NdsVBl 2005, 130, 131 f. BVerwGE 116, 347, 348 ff → JK Pol- u OrdR Gefahrenbegriff/6; erläuternd Trute DV 36 (2003) 501, 504 ff. BVerfGE 110, 141, 159 f; zustimmend Möstl Jura 2005, 48, 52. Scheidler BayVBl 2004, 715, 718 berichtet von jährlich etwa 50.000 Opfern von Hundebissen, wobei jedes dritte Opfer ein Kind sein soll. Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde v. 12. 4. 2001, BGBl I 530. BVerfGE 110, 141, 160 f → JK Pol- u OrdR Gefahrenbegriff/6. So ausdrücklich BVerfGE 110, 141, 163 → JK Pol- u OrdR Gefahrenbegriff/6; ebenso bereits Ehlers DVBl 2003, 336, 337. BVerfGE 110, 141, 166 → JK Pol- u OrdR Gefahrenbegriff/6. Ausdrücklich in diesem Sinne BVerfG (K) NVwZ 2004, 975. Möstl Jura 2005, 48, 51. Das hindert die Länder selbstverständlich nicht, in ihrem Gefahrenabwehrrecht eine spezielle Verordnungsermächtigung für das Halten gefährlicher Hunde vorzusehen; vgl zB § 25 a BbgOBG, § 71 a HessSOG. § 11 PolG BW; Art 45 I BayLStVG; § 27 BbgOBG; § 75 HessSOG; § 20 SOG MV; § 28 OBG NW; § 10 SächsPolG; § 95 SOG LSA; § 57 LVwG SH; § 30 ThürOBG.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 b bb

ordnungen zum Schutz gegenüber gefährlichen Hunden sind mit Blick auf die Kategorisierung der Hunderassen nur zT als mit Art 3 I GG vereinbar erachtet worden; 1154 vielfach wurde – unter Verkennung der Gestaltungskompetenz des Verordnungsgebers 1155 – auf Grund übertriebener Anforderungen an die Gleichbehandlung von Hunderassen ein Verstoß gegen Art 3 I GG angenommen.1156 Dabei wurde übersehen, dass der Verordnungsgeber auf Grund hinreichend sicherer Anhaltspunkte für unterschiedliche Gefährlichkeiten verschiedener Hunderassen differenzieren darf, die Entwicklung des Beißverhaltens von Hunden jedoch beobachten muss und die Gefahrenabwehrverordnung evtl anzupassen hat.1157 Bei den Gefahrhundeverordnungen können auch zB Art 12 I GG bzgl Hundezüchtern 1158 und Art 14 I GG 1159 oder Art 2 I GG bzgl Hundehaltern 1160 beachtlich sein. Dem Taubenfütterungsverbot steht Art 2 I GG nicht entgegen.1161 Beachtlich ist immer das Übermaßverbot.1162 Gefahrenabwehrverordnungen müssen dem Bestimmtheitsgebot genügen; 1163 277 darauf hat die Rechtsprechung immer wieder hingewiesen.1164 Werden verordnungsrechtliche Ge- oder Verbote nicht befolgt, liegt darin iSd der Generalklausel für Einzelfallmaßnahmen eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit (Rn 67, 69). Die Verordnung kann mittels vollstreckungsfähiger Verfügungen durchgesetzt werden.1165

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BayVerfGH NVwZ-RR 1995, 262; VerfGH Bln NVwZ 2001, 1266; VerfGH RP NVwZ 2001, 1273; VGH BW VBlBW 2002, 292; OVG Bbg NVwZ 2001, 223; OVG Hamburg NVwZ 2001, 1311; OVG MV NVwZ-RR 2001, 752; NdsOVG NVwZ-RR 2001, 742 (Übermaßverbot aber als verletzt erachtet); OVG NW NWVBl 1997, 431. Zutr BayVerfGH NVwZ-RR 1995, 262, 263; VGH BW VBlBW 2002, 292, 294. VGH BW NVwZ 1999, 1016; OVG Bremen DÖV 1993, 576; HessVGH NVwZ-RR 2002, 650; OVG SH NVwZ 2001, 1300 → JK GG Art 3 I/34. BVerfG (K) NVwZ 2004, 975, 976. OVG Bbg NVwZ 2001, 223, 225. NdsOVG NVwZ-RR 2001, 742, 745 f; OVG SH NVwZ 2001, 1300, 1306 → JK GG Art 3 I/34. VerfGH RP NVwZ 2001, 1273 f. BVerfGE 54, 143, 147; BayVerfGH BayVBl 2005, 172, 173; VGH BW DÖV 1992, 19, 20; NdsOVG NdsVBl 1997, 137, 138 → JK GG Art 2 I/30. VGH BW DÖV 2001, 213, 214 bei VO gegen Prostitution; OVG Bremen NVwZ 2000, 1435, 1437 bei KampfhundeVO; NdsOVG NVwZ-RR 2001, 742, 746f bei KampfhundeVO; OLG Hamm NVwZ 2002, 765, 766 bei Leinenzwang für Hunde. Ausdrücklich idS § 56 II ASOG Bln; § 28 I 1 BbgOBG; § 52 II BremPolG; § 76 I 1 HessSOG; § 18 I SOG MV; § 57 I NdsSOG; § 29 I 1 OBG NW; § 45 II POG RP; § 61 I SaarlPolG; § 96 I SOG LSA; § 58 I LVwG SH; § 31 I 1 ThürOBG. BVerfG (K) NVwZ 2004, 975, 976; VerfGH RP NVwZ 2001, 1273, 1274; VGH BW VBlBW 1999, 101, 102 und 2002, 292, 293; OVG Bbg NVwZ 2001, 223, 225; OVG MV NVwZ-RR 2001, 752, 753; OVG SH NVwZ 2001, 1300, 1305 → JK GG Art 3 I/34. VGH BW NVwZ-RR 1996, 578; VBlBW 2003, 354; VBlBW 2005, 28; OVG NW NWVBl 1997, 431; DVBl 1999, 1227; NVwZ 2000, 458.

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2. Kap III 2 c aa

Friedrich Schoch

c) Durchsetzung von Gefahrenabwehrmaßnahmen 278 Werden behördliche Verfügungen vom Pflichtigen nicht befolgt, müssen sie zwangsweise durchgesetzt werden.1166 Der Verwaltungszwang ist im Polizei- und Ordnungsrecht ausdrücklich vorgesehen. Dabei verfolgen die Länder – trotz weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung – hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen unterschiedliche Konzeptionen. Das Polizei- und Ordnungsrecht trifft zur Erzwingung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen zT eine Vollregelung; 1167 zT gilt das allgemeine Verwaltungsvollstreckungsrecht; 1168 zT ist der Verwaltungszwang für die (Vollzugs-)Polizei speziell geregelt,1169 während für die Ordnungsbehörden das allgemeine Verwaltungsvollstreckungsrecht gilt; 1170 schließlich gibt es in manchen Ländern polizeirechtliche Regelungen für den unmittelbaren Zwang, während für Zwangsgeld und Zwangshaft sowie für die Ersatzvornahme das allgemeine Vollstreckungsrecht zur Anwendung kommt.1171 279 aa) Zwangsmittel: Die gesetzlich zugelassenen Zwangsmittel stellen eine abschließende Auflistung dar. Der Verwaltungszwang fungiert nicht etwa als „Verwaltungsstrafe“; den Zwangsmitteln kommt vielmehr eine Beugefunktion zu.1172 Folglich geht es nicht um die Verlängerung einer Sanktion für pflichtwidriges Verhalten, sondern um die Durchsetzung der durch Verfügung (Rn 267) titulierten Pflicht. Daher ist zB das Vorgehen im Wege des Verwaltungszwangs einzustellen, wenn weitere Verstöße gegen eine Duldungs- oder Unterlassungspflicht nicht zu erwarten sind.1173 Ein Teil der Rechtsprechung lässt indes bei einem Verstoß gegen ein Unterlassungsgebot zB die Festsetzung und Beitreibung eines Zwangsgeldes oder die Anordnung der Zwangshaft auch dann noch zu, wenn eine weitere Zuwiderhandlung zB wegen Fristablaufs oder Erledigung der Grundverfügung nicht mehr möglich ist.1174 Andernfalls gehe die Androhung des Zwangsmittels ins Leere, weil sie kein Übel darstelle, das den Pflichtigen zu dem geforderten Unterlassen bewegen könne.1175 Rechtlich zweifelsfrei ist diese Judikatur nicht.1176 Es gilt der Grundsatz, dass die Androhung bzw Anwendung eines Zwangsmittels einzustellen ist, sobald der Pflichtige 1166 1167

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Allg zur Verwaltungsvollstreckung Horn Jura 2004, 447 ff und 597 ff. §§ 47 ff HessSOG; §§ 79 ff SOG MV; §§ 64 ff NdsSOG; §§ 44 ff SaarlPolG; §§ 53 ff SOG LSA. §§ 6 ff VwVG Bln; §§ 228 ff LVwG SH. Art 53 ff BayPAG; §§ 53 ff BbgPolG; §§ 50 ff PolG NW; §§ 51 ff ThürPAG. Art 18 ff, 29 ff BayVwZVG; §§ 15 ff BbgVwVG; §§ 55 ff VwVG NW; §§ 18 ff, 43 ff ThürVwZVG. §§ 49 ff PolG BW; §§ 40 ff BremPolG; §§ 17 ff HbgSOG; §§ 57 ff POG RP; §§ 30 ff SächsPolG. BVerwGE 117, 332, 338; VGH BW NVwZ-RR 1994, 620; SächsOVG SächsVBl 1996, 67, 68 und 1997, 239. OVG MV DÖV 1996, 927. OVG NW DVBl 1997, 674; DÖV 1997, 511; NVwZ-RR 1999, 802; NWVBl 2003, 183; OVG LSA DÖV 1996, 926 → JK SOG LSA § 53/1. Differenzierend HessVGH NVwZ-RR 1998, 154, 155: Einstellung des Verwaltungszwangs bei Aufhebung der Grundverfügung, zulässige Beitreibung eines festgesetzten Zwangsgeldes. Vgl Dünchheim NVwZ 1996, 117 ff; Brinktrine SächsVBl 2000, 101 ff.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 c aa

seiner Verpflichtung nachgekommen ist oder bei einem befristeten Gebot bzw Verbot die Frist verstrichen ist. Andernfalls werden der Zweck des Verwaltungszwangs und der präventive Grundgedanke gefahrenabwehrrechtlichen Handelns verfehlt; der Verwaltungszwang verliert seine Beugefunktion und erhält Strafcharakter.1177 Anderes gilt nur, wenn gesetzlich die Fortsetzung des Verwaltungszwangs (zB Beitreibung eines angedrohten Zwangsgeldes) trotz Erfüllung der Duldungs- oder Unterlassungspflicht erlaubt ist.1178 Das Zwangsgeld kommt als Zwangsmittel va bei der Verpflichtung zu einer Dul- 280 dung oder Unterlassung in Betracht. Es dient nicht der Ahndung von Unrecht, sondern fungiert als Beugemittel zur Durchsetzung des Verwaltungsakts.1179 Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht bzw festgesetzt werden.1180 Die zulässige Höhe ist gesetzlich bestimmt. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens erfolgt die Bestimmung der Höhe des anzudrohenden Zwangsgeldes nach behördlichem Ermessen, das durch das Übermaßverbot begrenzt ist; 1181 bei der Festsetzung des Zwangsgeldes besteht kein Ermessen, sie muss dem angedrohten Betrag entsprechen.1182 Die Höhe des Zwangsgeldes darf die Kosten einer Ersatzvornahme übersteigen.1183 Die Zwangshaft – die kein eigenständiges Zwangsmittel darstellt – kann bei Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes angeordnet werden.1184 Sie ist Beugehaft und nicht etwa Strafe und kommt nur als ultima ratio in Betracht.1185 Die Ersatzvornahme ist die Ausführung einer vertretbaren Handlung durch die 281 Verwaltung (oder einen von ihr beauftragten Dritten), zu der die Gefahrenabwehrverfügung den in Anspruch Genommenen verpflichtet. Die Ersatzvornahme erfolgt auf Kosten des Pflichtigen.1186 Wäre dieser der Verfügung nachgekommen, hätte er die Kosten ebenfalls tragen müssen. Der unmittelbare Zwang ist die behördliche Einwirkung auf Personen oder 282 Sachen durch körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder durch Waffen.1187 Dieses Zwangsmittel kommt zur Durchsetzung vertretbarer und unver1177 1178 1179

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VGH BW BWVP 1996, 207 f. BayObLG NVwZ-RR 1999, 785 zu Art 37 IV 2 BayVwZVG. VGH BW NVwZ-RR 1994, 620; OVG Bremen, NVwZ-RR 2004, 658, 659; NdsOVG NdsVBl 2003, 190, 192; OVG NW DÖV 1993, 398, 399; OVG RP DÖV 1992, 712, 713; SächsOVG SächsVBl 2004, 65; OVG SH DÖV 2000, 608, 609. Nach dem Landesrecht ist die erneute Androhung eines Zwangsgeldes zT erst zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos geblieben ist (OVG SH DÖV 2000, 608), zT ist das nicht der Fall (OVG Bbg LKV 1999, 151). SächsOVG SächsVBl 2004, 65; OVG LSA NVwZ-RR 2002, 808. OVG LSA NVwZ-RR 2002, 808. VGH BW VBlBW 2004, 226, 227. OVG NW NVwZ-RR 1997, 763; VG Meiningen NVwZ-RR 2000, 477; aA BayVGH NVwZ-RR 1997, 69, 70: Zwangshaft nur, wenn unmittelbarer Zwang keinen Erfolg verspricht. OVG NW DVBl 1997, 674; NVwZ-RR 1999, 802; NVwZ-RR 2004, 786, 787; VG Berlin NVwZ-RR 1999, 349. Zum normativen Gehalt von Ersatzvornahmekosten BayVGH BayVBl 2000, 407. § 50 I PolG BW; Art 61 I BayPAG; § 2 I UZwG Bln; § 6 I BbgPolG, § 27 I BbgVwVG; § 41 I BremPolG; § 18 I HbgSOG; § 55 I HessSOG; § 102 I SOG MV; § 69 I NdsSOG;

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2. Kap III 2 c aa

Friedrich Schoch

tretbarer Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen in Betracht. Beispiele sind der Wasserwerfereinsatz zur Durchsetzung der Platzverweisung (zB auch bei verbotenen oder aufgelösten Demonstrationen),1188 die Versiegelung einer Baustelle,1189 die Versiegelung eines Geländes 1190 und die zwangsweise Zuführung einer Schülerin zur Schule zwecks Durchsetzung der Schulpflicht.1191 Die Auswahl des Zwangsmittels muss – sofern keine speziellen gesetzlichen 283 Direktiven bestehen – das Übermaßverbot beachten. Die Behörde muss sich für dasjenige Zwangsmittel entscheiden, das den Pflichtigen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.1192 Welches Mittel dies ist, kann mitunter nicht leicht zu beurteilen sein.1193 Der unmittelbare Zwang kommt nur als ultima ratio in Betracht.1194 Gleichwohl kann er durchaus (zB zur Durchsetzung behördlicher Maßnahmen gegen illegale Demonstrationen) gerechtfertigt sein.1195 Auch bei der Durchsetzung der Schulpflicht wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Zuführung zur Schule) der Anordnung der Ersatzzwangshaft vorgezogen.1196 Bei unvertretbaren Handlungen kommt die Ersatzvornahme ohnehin nicht in Betracht. Insoweit stehen als probate Zwangsmittel das Zwangsgeld 1197 und (notfalls) die Zwangshaft 1198 zur Verfügung. Im Übrigen genießt die Ersatzvornahme vielfach Vorrang vor dem Zwangsgeld; zwingend ist das aber nicht immer.1199 Ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung 1200 gibt es keinen generellen Vorrang der Ersatzvornahme gegenüber dem Zwangsgeld.1201 Die Auswahl des Zwangsmittels hat vielmehr mit Blick auf die Umstände des konkreten Falls nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen. Bei Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes soll die Zwangshaft trotz der bestehenden Gesetzeslage (Rn 280) idR ausscheiden, da allein die Ersatzvornahme tunlich sei.1202

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§ 58 I PolG NW; § 67 I VwVG NW; § 58 I POG RP; § 49 II SaarlPolG; § 31 I SächsPolG; § 58 I SOG LSA; § 251 I LVwG SH; § 59 I ThürPAG. BVerfG (K) NVwZ 1999, 290, 292 → JK GG Art 19 IV/19. OVG MV NVwZ 1996, 488. VG Weimar NVwZ-RR 2000, 478. OVG Bremen NVwZ-RR 2004, 658. § 19 II VwVG BW; Art 29 III 2 BayVwZVG; § 9 II 2 VwVG Bln; § 18 I 2 BbgVwVG; § 13 II 2 BremVwVG; § 15 I HbgVwVG; § 58 I 2 VwVG NW; § 62 II VwVG RP; § 19 III SächsVwVG; § 45 II ThürVwZVG. – Im Übrigen folgt dies aus dem Übermaßverbot. Vgl Guldi VBlBW 1995, 462 ff; Horn Jura 2004, 447, 451. OVG Berlin NVwZ-RR 1998, 412, 413. BVerfG (K) NVwZ 1999, 290, 293 → JK GG Art 19 IV/19. OVG Bremen NVwZ-RR 2004, 658, 659. VGH BW NJW 2003, 234: Zwangsgeld bei Verstoß gegen Verbot von Nacktauftritten im Stadtgebiet. OVG NW NVwZ-RR 2004, 786: Anordnung von Ersatzzwangshaft zur Klärung der Identität und Nationalität eines Ausländers, zur Sicherung seiner Abschiebung und zur Durchsetzung seiner Passpflicht. Vgl SächsOVG LKV 1994, 412. Vgl zB § 11 I 2 BVwVG; § 32 S 2 BayVwZVG. VGH BW VBlBW 2004, 226; Horn Jura 2004, 447, 451. So VG Berlin NVwZ-RR 1999, 349, 350; VG Meiningen NVwZ-RR 2000, 476.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 c bb

bb) Verwaltungszwang im gestreckten Verfahren: Beim Verwaltungszwang im 284 gestreckten Verfahren unterscheidet sich das Polizei- und Ordnungsrecht nicht von der Vollstreckung von Verwaltungsakten zur Erzwingung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen nach Allgemeinem Verwaltungs(vollstreckungs)recht.1203 Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen müssen erfüllt, die Verfahrensvorschriften eingehalten und der ordnungsgemäße Einsatz eines zulässigen Zwangsmittels vorgenommen worden sein. Der Verwaltungsakt muss einen vollstreckbaren Inhalt haben. Das ist bei Gefah- 285 renabwehrverfügungen idR unproblematisch.1204 Die formelle Vollstreckbarkeit ist gegeben, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar ist (Bestandskraft) oder ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 II VwGO).1205 Ob die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungszwangs ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Die Verfügung muss jedenfalls wirksam, darf also nicht nichtig (§ 43 III VwVfG, § 112 III LVwG SH) sein.1206 Ist die Grundverfügung unanfechtbar, kommt es – sofern die Verfügung nicht nichtig ist – auf ihre Rechtmäßigkeit nicht an.1207 Das soll auch gelten, wenn die Verfügung im Zeitpunkt der Vollstreckung nicht unanfechtbar, sondern nur vorzeitig vollziehbar (§ 80 II VwGO) ist.1208 Hiergegen lässt sich einwenden, dass die noch mögliche gerichtliche Überprüfung der Verfügung noch gar nicht stattgefunden hat, so dass der Betroffene die Rechtmäßigkeit der Verfügung bestreiten kann. Die Konsequenz hieraus ist ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Grundverfügung und Vollstreckungsmaßnahme; die Rechtmäßigkeit der Verfügung ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungszwangs.1209 Der Pflichtige muss auch zivilrechtlich zur Durchführung der verfügten Maßnahme in der Lage sein. Die Mitberechtigung eines Dritten (zB Miteigentümer, Mieter, Pächter) an der störenden Sache macht zwar die Grundverfügung nicht rechtswidrig, stellt jedoch ein Vollstreckungshindernis dar (Rn 106). Dieses kann durch

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Dazu Erichsen in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 21 Rn 11 ff. Vgl zB VGH BW NJW 2003, 234: Verbot von Nacktauftritten im Stadtgebiet; BayVGH NVwZ-RR 1998, 310: Platzverweisung; OVG Bbg LKV 1999, 151: Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins; OVG NW NVwZ-RR 1999, 802: Aufenthaltsverbot; VG Berlin NVwZ-RR 1999, 349: Gebot zur Räumung eines Grundstücks; VG Düsseldorf NWVBl 2001, 1521: Anordnung von Reinigungsmaßnahmen wegen Asbestes. § 2 VwVG BW; Art 53 I BayPAG, Art 19 I BayVwZVG; § 6 I VwVG Bln; § 53 I BbgPolG, § 15 I BbgVwVG; § 11 I 2 BremVwVG; § 18 I HbgVwVG; § 47 I HessSOG; § 80 I SOG MV; § 64 I NdsSOG; § 50 I PolG NW, § 55 I VwVG NW; § 2 VwVG RP; § 44 I SaarlPolG; § 2 SächsVwVG; § 53 I SOG LSA; § 229 I LVwG SH; § 51 I ThürPAG, § 44 I iVm § 19 ThürVwZVG. Horn Jura 2004, 447, 448. OVG NW NVwZ-RR 2004, 786. So BVerfG (K) NVwZ 1999, 290, 292 → JK GG Art 19 IV/19; OVG NW NWVBl 1997, 218, 219; SächsOVG NVwZ-RR 1999, 101, 102; Weiß DÖV 2001, 275 ff; Geier BayVBl 2004, 389 ff. VGH BW NVwZ 1989, 163; VG Bremen NVwZ-RR 1998, 468; Götz POR Rn 382; Würtenberger in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II § 21 Rn 328.

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2. Kap III 2 c bb

Friedrich Schoch

Erlass einer Duldungsverfügung ausgeräumt werden.1210 Das gilt auch im Falle des Eigentumswechsels; die Durchsetzung der Verpflichtung des früheren Eigentümers setzt eine Duldungsanordnung gegen den neuen Eigentümer voraus.1211 Die Durchführung des Zwangsverfahrens beginnt mit der Auswahl des Zwangs286 mittels (Rn 283).1212 Das eigentliche Zwangsverfahren ist idR dreistufig angelegt (bei Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang zT nur zweistufig). Die Androhung des Zwangsmittels, ein Verwaltungsakt,1213 unterliegt detaillierten gesetzlichen Vorgaben.1214 Probleme bereiten mitunter die Bestimmtheit der Androhung,1215 insb die Bestimmung einer klaren Frist,1216 sowie die Androhung „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“; 1217 unterschiedlich behandelt wird im Landesrecht die Frage eines Kumulationsverbots (gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel).1218 Wird die Verpflichtung aus der Grundverfügung nicht innerhalb der in der Androhung auferlegten Frist erfüllt, folgt die Festsetzung des zuvor angedrohten Zwangsmittels.1219 Auch dabei handelt es sich um einen Verwaltungsakt.1220 Die Festsetzung des Zwangsmittels gibt dem Pflichtigen als nochmalige unmissverständliche Warnung letztmals Gelegenheit, den Verwaltungszwang durch Befolgung der Grundverfügung abzuwenden.1221 Bleiben Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels erfolglos, kommt es zu seiner Anwendung. Die Entscheidung hierüber ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Beim Zwangsgeld erfolgt die Durchführung der Zwangsmaßnahme durch Beitreibung.1222 Die Realisierung der Ersatzvornahme und die Anwendung unmittel-

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BayVGH NJW 2000, 3297, 3298; OVG Berlin LKV 1997, 368; OVG NW DVBl 1997, 674, 675; SächsOVG SächsVBl 2000, 294, 295; ThürOVG LKV 1997, 368; LKV 1998, 283, 284; von Kalm DÖV 1996, 463 ff. VGH BW NVwZ-RR 1995, 120. Näher zum Zwangsverfahren Horn Jura 2004, 597 ff. BVerwG DVBl 1989, 362; HessVGH NVwZ-RR 1998, 154, 155; ThürOVG LKV 1997, 370, 371. § 20 VwVG BW; Art 59 BayPAG, Art 36 BayVwZVG; § 13 VwVG Bln; § 59 BbgPolG, § 23 BbgVwVG; § 17 BremVwVG; § 18 II HbgVwVG; § 53 HessSOG; § 87 SOG MV; § 70 NdsSOG; § 56 PolG NW, § 63 VwVG NW; § 66 VwVG RP; § 50 SaarlPolG; § 20 SächsVwVG; § 59 SOG LSA; § 236 LVwG SH; § 57 ThürPAG, § 46 ThürVwZVG. VGH BW NVwZ-RR 1996, 612, 613 f; OVG LSA DÖV 1995, 385. VGH BW VBlBW 1995, 284, 285; OVG MV NVwZ-RR 1997, 762. Als unzulässig erkannt von VGH BW DVBl 1998, 230, 231 und VBlBW 2002, 297, 298 sowie NVwZ-RR 2003, 238; aA für das dortige Landesrecht NdsOVG NdsVBl 2003, 190. VGH BW BWVP 1996, 43, 44; NVwZ-RR 1997, 444, 445: zulässig; ebenso OVG Bbg LKV 1999, 151; ferner SächsOVG SächsVBl 2004, 65; LKV 2004, 180; anders OVG LSA DÖV 1995, 385 und OVG SH DÖV 2000, 608: unzulässig. Ausf zur Zwangsmittelfestsetzung Malmendier VerwArch 94 (2003) 25 ff. HessVGH NVwZ-RR 1998, 154, 155; OVG RP NVwZ 1994, 715. BVerwG DÖV 1996, 1046, 1047 → JK VwVG § 14/1; OVG NW DÖV 1997, 511: Festsetzung angemessene Zeit vor der Anwendung des Zwangsmittels. Dazu OVG Saarland DÖV 2003, 167 → JK VwVG § 6/1.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap III 2 c cc

baren Zwangs stellen einen Verwaltungsrealakt dar.1223 Die intensivste Anwendung unmittelbaren Zwangs ist der Schusswaffengebrauch.1224 cc) Unmittelbare Ausführung und Sofortvollzug: In akuten Gefahrensituationen 287 ist das gestreckte Verfahren der Zwangsanwendung zu aufwändig, um eine rasche Gefahrenbeseitigung bewirken zu können. Das Gefahrenabwehrrecht stellt zur Bewältigung derartiger Situationen das Rechtsinstitut der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme zur Verfügung 1225 oder es verweist auf den Sofortvollzug.1226 Die beiden Rechtsinstitute stimmen in ihrer Funktion überein, unterscheiden sich aber in der Rechtskonstruktion.1227 Die unmittelbare Ausführung ist eine klassische Maßnahme des Gefahrenabwehrrechts und kommt zum Einsatz, wenn die Gefahrenabwehr durch Inanspruchnahme des Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann. Der Sofortvollzug entspringt dem Allgemeinen Verwaltungs(vollstreckungs)recht und erlaubt Verwaltungszwang ohne vorausgehende Grundverfügung, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen bzw drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde innerhalb ihrer Befugnisse handelt. In denjenigen Ländern, die im Gefahrenabwehrrecht über beide Rechtsinstitute 288 verfügen, kann sich die Frage der Abgrenzung stellen. Diese ist bislang nicht gelungen.1228 Vorgeschlagen wird, dem Sofortvollzug Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen zuzuordnen, alle übrigen Maßnahmen der unmittelbaren Ausführung zuzuweisen.1229 Einen Anhaltspunkt dafür gibt es im Gesetz nicht. Vorrang sollte die unmittelbare Ausführung aus systematischen Gründen genießen, weil es sich bei ihr um ein genuin polizeirechtliches Instrument handelt.1230 Damit lassen sich zwanglos die Abschleppfälle bei verbotswidrig abgestellten 289 Fahrzeugen lösen.1231 Es kommt nicht darauf an, ob der Betreffende zB ein Haltverbotsschild zur Kenntnis genommen hat.1232 Die hM bevorzugt indes eine andere 1223

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BVerfG (K) NVwZ 1999, 290, 292 → JK GG Art 19 IV/19: Wasserwerfereinsatz der Polizei; VG Weimar NVwZ-RR 2000, 478: Versiegelung eines Geländes. Dazu BGH NJW 1999, 2533. § 8 PolG BW; Art 9 BayPAG, Art 7 III BayLStVG; § 15 ASOG Bln; § 7 HbgSOG; § 8 HessSOG; § 70 a SOG MV; § 6 POG RP; § 6 SächsPolG; § 9 SOG LSA; § 9 ThürPAG, § 12 ThürOBG. – Vgl dazu Köhler BayVBl 1999, 582 ff. Art 53 II BayPAG; § 6 II VwVG Bln; § 53 II BbgPolG, § 15 II BbgVwVG; § 11 II BremVwVG; § 47 II HessSOG; § 81 SOG MV; § 64 II NdsSOG; § 50 II PolG NW, § 55 II OBG NW; § 61 II VwVG RP; § 44 II SaarlPolG; § 53 II SOG LSA; § 230 LVwG SH; § 51 II ThürPAG, § 54 ThürVwZVG. Näher dazu Kugelmann DÖV 1997, 153 ff; Köhler BayVBl 1999, 582 ff; Wehser LKV 2001, 293 ff; Felix/Schmitz NordÖR 2003, 133 ff; Wehser LKV 2003, 253 ff; vgl auch Fallbearbeitung von Arnauld Jura 2003, 53 ff. Wehser LKV 2001, 293 ff hält eine Abgrenzung für nicht möglich. Denninger in: Lisken/Denninger, E Rn 145; Knemeyer POR Rn 359; Schenke POR Rn 564; abl Götz POR Rn 420. Vgl Kugelmann DÖV 1997, 153, 156 ff. Vgl etwa VGH BW DÖV 1991, 163, 164; DVBl 1991, 1370; BayVGH BayVBl 1991, 433, 435; OVG Hamburg NJW 1992, 1909; HessVGH NVwZ-RR 1995, 29; VG Leipzig LKV 1995, 165. VGH BW DÖV 1996, 84, 85; OVG Hamburg DÖV 1995, 783; HessVGH DÖV 1997, 466, 467 m Bespr Michaelis NJW 1998, 122; OVG NW NWVBl 2005, 176, 177.

269

2. Kap III 2 c cc

Friedrich Schoch

Lösung. Das Abschleppen eines unter Verstoß gegen ein Verkehrszeichen oder eine Verkehrseinrichtung rechtswidrig abgestellten Fahrzeugs soll idR eine Ersatzvornahme darstellen; in dem Verbot sei – als Grundverfügung – zugleich ein Wegfahrgebot enthalten.1233 Auf die Kenntnisnahmemöglichkeit dieses Verwaltungsakts soll es nicht ankommen, weil die StVO (insb §§ 39, 45) eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe zulasse.1234 Allerdings muss die hM bei ihrer Konstruktion regelmäßig die Androhung der Ersatzvornahme (Rn 286) für entbehrlich halten.1235 Rechtlich „sauber“ lösbar ist zudem in vielen Fällen die Zuständigkeitsfrage nicht. Da zuständige Vollstreckungsbehörde grundsätzlich die den Verwaltungsakt erlassende Behörde ist,1236 fehlt es der (Vollzugs-)Polizei idR an der Zuständigkeit für das Abschleppen eines verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs, weil das Verkehrszeichen idR von der unteren Straßenverkehrsbehörde (Ordnungsbehörde) angebracht worden ist.1237 Diese wenig überzeugende Konstruktion scheitert jedenfalls dort, wo es um die Beseitigung eines Verstoßes unmittelbar gegen die StVO (zB § 12) geht. Die Fiktion des gestreckten Verfahrens scheidet aus, da es an einer vollstreckbaren Grundverfügung fehlt. Es bleibt die unmittelbare Ausführung der Gefahrenabwehrmaßnahme.1238 Die Zuständigkeitsproblematik lässt sich insoweit auch beim Abschleppen von Fahrzeugen wegen Verstoßes gegen ein Verkehrszeichen leichter lösen.1239 Im Übrigen wird zunehmend ein Sofortvollzug in Form der Ersatzvornahme befürwortet.1240 Unmittelbare Ausführung einer Maßnahme und Sofortvollzug sind rechtmäßig, 290 wenn die Voraussetzungen (insb der Generalklausel) für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr erfüllt sind, die Eilbedürftigkeit des Einschreitens bejaht werden kann und die Durchführung der unmittelbaren Ausführung bzw des Sofortvollzugs bzgl der Maßnahmenvornahme rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Der – zusätzlichen – Fiktion einer Grundverfügung bedarf es nicht.

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BVerwGE 102, 316, 319; VGH BW NJW 1990, 2270, 2271; DÖV 2002, 1002; OVG Hamburg NJW 2005, 2247; HessVGH NVwZ-RR 1991, 28; NVwZ-RR 1999, 23, 24 → JK HessSOG §§ 8, 49, 53/1; OVG RP DÖV 1989, 172; OVG SH NVwZ-RR 2003, 647 → JK LVwVG SH § 238 I/1; VG Weimar ThürVBl 2001, 92, 93; vgl auch Michaelis Jura 2003, 298, 300 ff. BVerwGE 102, 316, 318; dazu Bespr Mehde Jura 1998, 297 ff. So zB VGH BW NVwZ-RR 2003, 558; OVG SH NVwZ-RR 2003, 647 → JK LVwVG SH § 238 I/1. Horn Jura 2004, 597. VGH BW VBlBW 2004, 213; dazu Bespr Remmert VBlBW 2005, 41. OVG Hamburg NJW 2001, 168, 169; NJW 2001, 3647 (m Bespr Schwabe NJW 2002, 652); HessVGH NJW 1999, 3650; OVG RP NJW 1999, 3573. Remmert VBlBW 2005, 41, 42 f. OVG NW DVBl 1996, 575 → JK VwVfG NW § 41/1; OVG NW DÖV 2000, 211; NWVBl 2001, 72; NJW 2001, 172.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap IV 1 a

IV. Kostenersatz und Entschädigung im Polizei- und Ordnungsrecht Gefahrenabwehrmaßnahmen sind mit (zT beträchtlichen) Kosten verbunden. Hat 291 der Verantwortliche auf Grund behördlicher Verfügung die Gefahr mit eigenen Mitteln beseitigt, entspricht die Kostentragungspflicht der polizei- und ordnungsrechtlichen Verantwortung (Rn 120). Ist die Gefahrenbeseitigung dagegen auf Kosten der Verwaltung erfolgt, stellt sich die Frage nach der Kostenabwälzung auf den Verantwortlichen. Wurde ein Nichtstörer in Anspruch genommen, ergeben sich Fragen nach dessen Entschädigung.

1. Kostenersatzansprüche der Verwaltung a) Vorbehalt des Gesetzes Die den Behörden durch die Gefahrenabwehr entstehenden Kosten (dh Personal- 292 und Sachausgaben) sind (zunächst) von diesen bzw ihrem Verwaltungsträger zu tragen.1241 Bliebe es dabei, entstünden Wertungsdivergenzen zwischen der (primären) gefahrenabwehrrechtlichen Verantwortlichkeit des Pflichtigen und der (sekundären) Kostentragungspflicht. Über den Etat der Gefahrenabwehrbehörden müsste die Allgemeinheit unerfüllte verwaltungsrechtliche Pflichten finanzieren. Von daher erklärt sich das Bemühen um eine Abwälzung behördlicher Aufwendungen für die Gefahrenabwehr auf Private.1242 Funktional kann die Kostentragungspflicht des an sich Verantwortlichen als Sur- 293 rogat für die ihm eigentlich obliegende Pflicht zur Gefahrenbeseitigung auf eigene Rechnung qualifiziert werden.1243 Die Ersatzpflicht stellt daher eine Sekundärleistungspflicht im Verhältnis zu der primären Gefahrenbeseitigungspflicht dar.1244 Allerdings können die Gefahrenabwehrbehörden die ihnen entstandenen Kosten nicht ohne entsprechende Rechtsgrundlage auf Private abwälzen. Die Kostenerhebung unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes.1245 Deshalb darf zB auf Grund einer entsprechenden gesetzlichen Regelung von den Fluggesellschaften eine Flugsicherheitsgebühr für die behördliche Fluggast- und Gepäckkontrolle verlangt werden.1246 Dagegen kann für den Polizeieinsatz bei Großereignissen (zB Sportveranstaltungen, Demonstrationen) ein Kostenersatz nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht (anders uU nach Gebührenrecht) nicht verlangt werden (vgl auch Rn 141). 1241

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Ausdrücklich § 82 PolG BW; § 44 BbgOBG; § 83 BremPolG; §§ 105 ff HessSOG; § 105 NdsSOG; § 45 OBG NW; § 103 SOG LSA. Gusy DVBl 1996, 722 ff; am Bspl des ehemaligen BGS Isensee FS Vogel, 2000, 93 ff. BayVGH BayVBl 1987, 404; Martensen DVBl 1996, 286, 291. VGH BW VBlBW 2002, 161. BVerwG NJW 1992, 2243; NdsOVG DVBl 1984, 57; Gusy DVBl 1996, 722, 727. – Vgl ferner Art 76 BayPAG; § 114 SOG MV; § 90 SaarlPolG; § 249 LVwG SH; § 75 ThürPAG, § 53 ThürOBG. BVerfG (K) DVBl 1998, 1220 (m Anm Zugmaier). – Vgl aber auch BVerwGE 120, 227, 235 ff zur unzulässigen Kostenerhebung des Staates für den Schutz auf Flugplätzen.

271

2. Kap IV 1 c

Friedrich Schoch

b) Kostenersatz für Gefahrenabwehrmaßnahmen 294 Für die Ersatzvornahme ist die Kostentragungspflicht des Verantwortlichen ausdrücklich vorgesehen.1247 Große praktische Bedeutung kommt ihr in denjenigen Ländern zu, in denen das Abschleppen eines verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs als Ersatzvornahme qualifiziert wird (Rn 289).1248 Umstritten kann im Einzelfall die Höhe der Kostenforderung sein. Beim unmittelbaren Zwang ist eine Kostenerstattung vielfach nicht normiert. Dagegen sind die Kosten der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme und des Sofortvollzugs durch Ersatzvornahme (Rn 287) vom gefahrenabwehrrechtlich Verantwortlichen zu tragen.1249 Allerdings sieht die Rechtsprechung in dem behördlichen Kostenerstattungsanspruch – entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut – eine Ermessensentscheidung.1250 Ausdrücklich vorgesehen ist die Kostenerstattung auch für die Sicherstellung einer Sache (zB eines Kfz).1251 295 Anspruchsvoraussetzung für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, für die Kostenersatz verlangt wird.1252 Daher erfolgt bei der Anfechtung eines Leistungsbescheids die inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme.1253 Für rechtswidriges Verwaltungshandeln muss nicht gezahlt werden. Eine Umgehung dieser Grundsätze des Polizeiund Verwaltungskostenrechts durch Heranziehung der ör GoA oder des Erstattungsanspruchs kommt nicht in Betracht.1254 c) Kostentragung bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht 296 Bei der Anscheinsgefahr (Rn 92) und dem Gefahrverdacht (Rn 95) ist zwischen der Handlungsebene und der Kostenebene zu unterscheiden.1255 Auf der primären Ebene der Gefahrenabwehr gilt die Betrachtungsweise ex ante. Dagegen ist die end1247

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§ 49 I PolG BW iVm § 25 VwVG BW; Art 55 I 2 BayPAG, Art 32 BayVwZVG; § 10 VwVG Bln; § 55 I BbgPolG, § 37 iVm § 19 I BbgVwVG; § 40 I BremPolG, § 15 BremVwVG; § 19 I HbgVwVG; § 49 I HessSOG; § 89 I SOG MV; § 66 I NdsSOG; § 52 I PolG NW, § 77 I VwVG NW; § 57 I POG RP iVm § 63 I VwVG RP; § 46 I SaarlPolG; § 30 I SächsPolG iVm § 24 I SächsVwVG; § 55 I SOG LSA; §§ 249 I u II, 238 I LVwG SH; § 53 I ThürPAG, § 50 I ThürVwZVG. Vgl zB VGH BW DÖV 2002, 1002; NVwZ-RR 2003, 558; OVG NW DÖV 2000, 211; NWVBl 2001, 72; DÖV 2001, 647; OVG SH NVwZ-RR 2003, 647 → JK LVwVG SH § 238 I/1; VG Weimar ThürVBl 2001, 92, 93. OVG Hamburg NJW 2001, 3647; allerdings muss der Betreffende im Zeitpunkt der behördlichen Maßnahme Verantwortlicher gewesen sein (VGH BW VBlBW 2002, 161) und die geltend gemachten Kosten müssen erstattungsfähig sein (HessVGH DVBl 1995, 370). VGH BW DÖV 1990, 163, 164f; HessVGH DÖV 1997, 466, 467; VG Leipzig LKV 1998, 39. BayVGH NJW 2001, 1960; HessVGH DÖV 1999, 916 → JK HSOG § 40/1; OVG NW NJW 2001, 1961 → JK Pol u OrdR Ersatzvornahme/3; SächsOVG SächsVBl 2002, 268. BVerwG DÖV 1996, 1046, 1047 → JK VwVG § 14/1; VGH BW NVwZ 1991, 686; OVG NW NWVBl 1997, 306, 307; OVG RP NVwZ 1994, 715; OVG Saarland NJW 1994, 878, 879; VG Düsseldorf NWVBl 2001, 152. Vgl zB OVG Hamburg NJW 2001, 168, 169; HessVGH NJW 1999, 3650, 3651; OVG RP NJW 1999, 3573. BGHZ 156, 394 → JK BGB § 677/1 u → JK BGB § 683/5. BayVGH DÖV 1996, 82.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap IV 2 a

gültige Kostentragungspflicht nach den tatsächlichen Umständen, dh nach einer objektiven Betrachtungsweise ex post zu entscheiden.1256 Diese Differenzierung führt dazu, dass die Behörde die Kosten zu tragen hat, 297 wenn sich herausstellt, dass objektiv eine Gefahr gar nicht vorlag oder eine vorhandene Gefahr von dem in Anspruch genommenen „Anscheinsstörer“ nicht verursacht worden war 1257 bzw ein gerechtfertigter Gefahrverdacht der herangezogenen Person nicht zugerechnet werden kann.1258 Der „Anscheinsstörer“ und der vermeintliche Verursacher eines Gefahrverdachts werden demnach auf der Sekundärebene wie ein Nichtstörer behandelt (vgl Rn 302).

2. Ersatzansprüche des Bürgers a) Entschädigungsanspruch des Nichtstörers Wird jemand im Wege des polizeilichen bzw ordnungsbehördlichen Notstands in 298 Anspruch genommen (Rn 177 ff), steht ihm ein Anspruch auf Entschädigung zu.1259 Der Notstandspflichtige hat für die Allgemeinheit ein Sonderopfer erbracht, für das er zu entschädigen ist.1260 Diese Regelung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts kommt allerdings nur zur Anwendung, wenn nicht in einem bestimmten Sachbereich eine abschließende Spezialregelung vorliegt.1261 Auf den Entschädigungsanspruch des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts kann auch dann nicht zurückgegriffen werden, wenn die Spezialbestimmungen enge Voraussetzungen aufweisen, die im konkreten Fall nicht erfüllt sind. Voraussetzung für den – verschuldensunabhängigen – Entschädigungsanspruch 299 ist die rechtmäßige behördliche Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen. Dem gleichgestellt ist die Heranziehung eines unbeteiligten Dritten.1262 Wer ohne behördliche Inanspruchnahme aus eigenem Antrieb zur Gefahrenabwehr beiträgt, hat keinen Anspruch.1263 Anderes gilt für den freiwilligen Nothelfer in einigen Ländern, wenn dieser mit Zustimmung der zuständigen Behörde tätig geworden ist.1264 1256

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BayVGH NVwZ-RR 1999, 99, 100; OVG NW DÖV 2001, 215 → JK Pol u OrdR Verdachtsstörer/1; Martensen DVBl 1996, 286, 291; ausf Bürmann Der Gefahrenverdacht – Kostentragung in der Eingriffsverwaltung, 2002. BayVGH BayVBl 1995, 309, 310; OVG Hamburg DVBl 1986, 734, 735. OVG Berlin NVwZ-RR 2002, 623 → JK Pol- u OrdR/unmittelbare Ausführung/1; OVG NW DVBl 1996, 1444; DÖV 2001, 215 → JK Pol u OrdR Verdachtsstörer/1. § 55 I 1 PolG BW; Art 70 I BayPAG, Art 11 I 1 BayLStVG; § 59 I Nr 1 ASOG Bln; § 70 BbgPolG, § 38 I lit a BbgOBG; § 56 I 1 BremPolG; § 10 III 1 HbgSOG; § 64 I 1 HessSOG; § 72 I SOG MV; § 80 I 1 NdsSOG; § 67 PolG NW, § 39 I lit a OBG NW; § 68 I 1 POG RP; § 68 I 1 SaarlPolG; § 52 I 1 SächsPolG; § 69 I 1 SOG LSA; § 221 I LVwG SH; § 68 I 1 ThürPAG. Instruktiv OLG Köln DÖV 1996, 86 → JK Pol u OrdR Störer/8. Bejaht für rechtmäßige Maßnahmen bzgl §§ 66 ff TierSG von BGHZ 136, 172 → JK GefAbwG Nds § 80/1; daran anschließend OLG Oldenburg NVwZ 2000, 475; dazu Braatz NVwZ 2000, 400 ff. SächsOVG SächsVBl 2003, 173, 174 → JK Pol-u OrdR Störer/13. VG Düsseldorf NVwZ-RR 1999, 743, 744. Vgl § 59 III ASOG Bln; § 56 II BremPolG; § 10 V HbgSOG; § 80 II NdsSOG; § 68 II SaarlPolG; § 69 III SOG LSA; § 68 II ThürPAG.

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2. Kap IV 2 c

300

Friedrich Schoch

Die Entschädigungspflicht umfasst den Ausgleich derjenigen Vermögensnachteile, die unmittelbare Folge (im haftungsrechtlichen Sinne) der behördlichen Maßnahme sind. Dies sind im Falle der behördlichen Einweisung eines Obdachlosen in eine Privatwohnung (Rn 179) ua der Mietausfall sowie Mietnebenkosten.1265 Zu ersetzen sind auch Schäden, die der Eingewiesene durch unsachgemäßen Gebrauch der Wohnung angerichtet hat.1266 Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn durch die Gefahrenabwehrmaßnahme die Person oder das Vermögen des Geschädigten geschützt worden ist.1267 Musste seitens der Verwaltung dem Nichtstörer Entschädigung geleistet werden, kann beim Verantwortlichen Regress genommen werden.1268 b) Schadensausgleich bei rechtswidrigen Maßnahmen

301 Bei rechtswidrigen Maßnahmen der Gefahrenabwehrbehörden ist im Landesrecht zT eine verschuldensunabhängige Haftung vorgesehen.1269 Fehlt es an entsprechenden Bestimmungen, ist der Geschädigte auf das Staatshaftungsrecht (Amtshaftung, enteignungsgleicher Eingriff) verwiesen. Der Begriff „Maßnahme“ in den Haftungstatbeständen wird in einem weiten Sinne verstanden.1270 Allerdings muss es sich um ein behördliches Vorgehen handeln, das als Hoheitsmaßnahme ein taugliches Instrument zur Gefahrenabwehr darstellt. Das ist bei einer bloßen Bitte der Behörde, der der Angesprochene nachkommt und dadurch bei sich selbst Schäden verursacht, nicht der Fall.1271 Die verschuldensunabhängige staatliche Unrechtshaftung kann in Konkurrenz zur Amtshaftung stehen.1272 Die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff ist dagegen kraft der Spezialbestimmung(en) ausgeschlossen. c) Ersatzansprüche bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht 302 Wird jemand auf Grund einer Anscheinsgefahr oder eines Gefahrverdachts in Anspruch genommen, kann er nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung für dadurch erlittene Vermögensnachteile Entschädigung wie ein Nichtstörer verlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die ex ante angenommene Gefahr nicht bestand und wenn der Betreffende die den Anschein bzw Verdacht begründenden

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BGHZ 130, 332 → JK GG Art 34/13. BGHZ 131, 163; OLG Köln NJW 2000, 3076. Dazu Treffer SächsVBl 1995, 225 f. § 57 PolG BW; Art 72 BayPAG; § 64 ASOG Bln; § 41 II BbgOBG; § 61 BremPolG; § 10 IV HbgSOG; § 69 HessSOG; § 75 III SOG MV; § 85 NdsSOG; § 42 II OBG NW; § 73 POG RP; § 73 SaarlPolG; § 57 SächsPolG; § 74 SOG LSA; § 224 II LVwG SH; § 73 ThürPAG. § 59 II ASOG Bln; § 38 I lit b BbgOBG; § 56 I 2 BremPolG; § 64 I 2 HessSOG; § 80 I 2 NdsSOG; § 39 I lit b OBG NW; § 68 I 2 POG RP; § 68 I 2 SaarlPolG; § 69 I 2 SOG LSA; § 68 I 2 ThürPAG. Einzelheiten bei Rinne/Schlick NVwZ 1997, 34, 39 f. BGH DVBl 1998, 328. SächsOVG SächsVBl 2003, 173, 175 → JK Pol-u OrdR Störer/13.

Polizei- und Ordnungsrecht

2. Kap IV 2 c

Umstände nicht zu verantworten hat.1273 Dieser Judikatur ist grundsätzlich zuzustimmen.1274 Bei der Zuordnung des Kostenrisikos ex post besteht der bei der Gefahrenabwehrmaßnahme ex ante vorhandene Zeitdruck nicht mehr. Deshalb ist die auf der Primärebene notwendige Einbeziehung des Verdachts- und Anscheinsstörers auf der Sekundärebene bei der Verteilung des Kostenrisikos nicht mehr gerechtfertigt. Die nun mögliche und der finanziellen Lastentragung angemessene Betrachtungsweise ex post ergänzt die Risikoverteilung auf der Sekundärebene bei der Limitierung von Kostenerstattungsansprüchen der Verwaltung (Rn 296 f).

1273 1274

BGHZ 117, 303; 126, 279; BGH DVBl 1996, 1312. Näher zur Detailkritik Schoch JuS 1993, 724 ff; Martensen DVBl 1996, 286, 291 f.

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DRITTES KAPITEL

Öffentliches Wirtschaftsrecht Peter Badura/Peter M. Huber

Gliederung I. Recht und Ordnung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht . . . . . 2. Der wirtschaftliche Prozess und die Wirtschaftspolitik . . . . . . . . a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik: Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik . . . . . . . c) Wirtschaftsstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staat und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationale und unionale Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . a) Die „Wirtschaftsverfassung“ des Grundgesetzes . . . . . . b) Das unionale Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . c) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ und ihre Europäisierung . . . . . . . . . . 3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit . . . . . . . . . a) Rechtsstaatliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Wirtschafts- und Unternehmensfreiheit . . . . . c) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirtschaftsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionale Wirtschaftsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . b) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern . . c) Selbstverwaltung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . d) Wirtschaftsverbände, Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . 2. Ziele, Wirkungsfelder und Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . a) Verwaltungszwecke und Rechtsformen . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirtschaftslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte . . . . . 3. Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag a) Zulassung von Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Atomanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Flugplätze, Flughäfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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277

3. Kap IV. Beihilfenrecht . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . 2. Staatliche Beihilfen . . 3. Gemeinschaftsbeihilfen a) Indirekter Vollzug b) Direkter Vollzug .

Peter Badura/Peter M. Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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108–120 108–111 112–118 119–120 119 120

V. Öffentliches Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand . . . a) Leistungsverwaltung, unternehmerisches Handeln . . b) Eisenbahnen, Post und Telekommunikation . . . . . c) Haushaltsrecht, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht d) Unionsrechtliche Bindungen . . . . . . . . . . . . . 2. Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufträge oberhalb der Schwellenwerte . . . . . . . . b) Aufträge unterhalb der Schwellenwerte . . . . . . . .

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121–135 122–131 122–124 125–127 128–130 131 132–135 132–134 135

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136–168 136–141 142–154

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143–147 148–153 154 155–168 155 156–160 161–164 165–168

VI. Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewerbefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Techniken gewerberechtlicher Regelung . . . . . . . . . . . a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht, Untersagungsermächtigung, Verbot mit Erlaubnisvorbehalt . . . . . . b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde, Zuverlässigkeit . . . . c) Weitere Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse . . . . . . . . . . . a) Stehendes Gewerbe, Reisegewerbe, Marktverkehr . . . . b) Handwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gaststättengewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beförderungsgewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gesetze AktienG (AktG) v 6.9.1965 (BGBl I 1089), zul geänd am 15. 12. 2004 (BGBl I 3408), Schönfelder Nr 51. Allgemeines EisenbahnG (AEG) v 27. 12. 1993 (BGBl I 2378, 2396), zul geänd am 27. 4. 2005 (BGBl I 1138), Sartorius I Nr 962. ArzneimittelG (AMG) idF v 11. 12. 1998 (BGBl I 3586), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius ErgBd Nr 272. Atomrechtliche VerfahrensVO (AtVfV) idF v 3. 2. 1995 (BGBl I 181), zul geänd am 25. 3. 2002 (BGBl I 1193). AußenwirtschaftsG v 28. 4. 1961 (BGBl I 481), zul geänd am 23. 12. 2004 (BAnz Nr 249, 24733). Bundes-ApothekerO idF v 19. 7. 1989 (BGBl I 1478), zul geänd am 15. 6. 2005 (BGBl I 1645). Bundes-TierärzteO idF v 20. 11. 1981 (BGBl I 1193), zul geänd am 15. 4. 2005 (BGBl I 1066). BundesbergG (BBergG) v 13. 8. 1980 (BGBl I 1310), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818). BundesärzteO idF v 16. 4. 1987 (BGBl I 1218), zul geänd am 15. 12. 2004 (BGBl I 3396). BundesnotarO (BNotO) v 24. 2. 1961 (BGBl I 98), zul geänd am 22. 3. 2005 (BGBl I 837), Schönfelder ErgBd Nr 98 a. BundesrechtsanwaltsO (BRAO) v 1. 8. 1959 (BGBl I 565), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3599), Schönfelder ErgBd Nr 98. GaststättenG idF v 20. 11. 1998 (BGBl I 3418), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 810.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht

3. Kap

G gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) idF v 26. 8. 1998 (BGBl I 2546), zul geänd am 9. 12. 2004 (BGBl I 3220), Schönfelder Nr 74. G für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) v 21. 6. 2004 (BGBl I 1918), Sartorius ErgBd Nr 833. G über das Apothekenwesen (ApoG) idF v 15. 10. 1980 (BGBl I 1993), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius ErgBd Nr 271. G über das Kreditwesen (KWG) idF v 9. 9. 1998 (BGBl I 2776), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3610), Sartorius ErgBd Nr 856. G über den Ladenschluß idF v 2. 6. 2003 (BGBl I 774), Sartorius I Nr 805. G über die Ausübung der Zahnheilkunde idF v 16. 4. 1987 (BGBl I 1225), zul geänd am 15. 12. 2004 (BGBl I 3396). G über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VersicherungsaufsichtsG) idF v 17. 12. 1992 (BGBl I 1993, 2), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3610). G über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (HeilpraktikerG) v 17. 2. 1939 (RGBl I 251), zul geänd am 23. 10. 2001 (BGBl I 2702). G über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung v 14. 8. 1963 (BGBl I 685), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). G über die Deutsche Bundesbank (BBankG) idF v 22. 10. 1992 (BGBl I 1782), zul geänd am 25. 6. 2004 (BGBl I 1383), Sartorius ErgBd Nr 855. G über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) v 24. 4. 1998 (BGBl I 730), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304), Sartorius I Nr 830. G über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen v 31. 7. 1951 (BGBl I 480), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3610). G über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (AtomG) idF v 15. 7. 1985 (BGBl I 1565), zul geänd am 6. 1. 2004 (BGBl I 2), Sartorius I Nr 835. G über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ idF v 11. 11. 1993 (BGBl I 1865), zul geänd am 2. 5. 2002 (BGBl I 1527). G über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ v 6. 10. 1969 (BGBl I 1861), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). G über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) v 19. 8. 1969 (BGBl I 1273), zul geänd am 23. 12. 2003 (BGBl I 2848), Sartorius I Nr 699. G über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht v 22. 4. 2002 (BGBl I 1310), zul geänd am 15. 12. 2004 (BGBl I 3416). G über die Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform v 24. 6. 1948 (WiGBl 17). G über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestimmungsG) v 4. 5. 1976 (BGBl I 1153), zul geänd am 8. 6. 2005 (BGBl I 1530), Schönfelder ErgBd Nr 82 a. G über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (SteuerberatungsG) idF v 4. 11. 1975 (BGBl I 2735), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3599). G über die Statistik für Bundeszwecke (BundesstatistikG – BStatG) v 22. 1. 1987 (BGBl I 462, ber 565), zul geänd am 9. 6. 2005 (BGBl I 1534). G über die Statistik im Handel und Gastgewerbe (Handelsstatistikgesetz – HdlStatG) v 10. 12. 2001 (BGBl I 3438) zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). G über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) idF v 5. 9. 2001 (BGBl I 2350),1 zul geänd am 24. 6. 2004 (BGBl I 1359). 1

Die Neufassung des UVPG schließt auch die Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – IVV-Richtlinie – (ABl Nr L 257/26) ein; Art 1 des Artikelgesetzes v 27. 7. 2001 (BGBl I 1950). – B. Becker DVBl 1997, 588; Feldmann DVBl 2001, 589; Koch/Siebel-Huffmann NVwZ 2001, 1081.

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3. Kap

Peter Badura/Peter M. Huber

G über eine Berufsordnung für Wirtschaftsprüfer (WirtschaftsprüferO) idF v 5. 11. 1975 (BGBl I 2803), zul geänd am 27. 12. 2004 (BGBl I 3846). G über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (VolkszählungsG 1987) v 8. 11. 1985 (BGBl I 2078). G über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (FilmförderungsG) idF v 24. 8. 2004 (BGBl I 2277). G zu den Verträgen v 25. 3. 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft (ZustimmungsG zum EWGVertrag) v 27. 7. 1957 (BGBl II 753). G zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BImSchG) idF v 26. 9. 2002 (BGBl I 3830), zul geänd am 22. 12. 2004 (BGBl I 3704), Sartorius I Nr 296. GewerbeO idF v 22. 2. 1999 (BGBl I 202), zul geänd am 30. 7. 2004 (BGBl I 2014), Sartorius I Nr 800. ZustG zum Vertrag über die Europ Union v 28. 12. 1992 (BGBl II 1251). G zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VergaberechtsänderungsG) v 26. 8. 1998 (BGBl I 2512). G zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (MOG) idF v 24. 6. 2005 (BGBl I 1847). G zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die Wohnsituation der Haushalte (Mikrozensusgesetz 2005) v 24. 6. 2004 (BGBl I 1350). G zur Einheitlichen Europäischen Akte v 28. 2. 1886 (Zustimmungsgesetz zur EEA) v 19. 12. 1986 (BGBl II 1107). G zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) v 8. 6. 1967 (BGBl I 582), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304), Sartorius I Nr 720. G zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (EisenbahnneuordnungsG – EneuOG) v 27. 12. 1993 (BGBl I 2378, ber 1994 I 2439) zul geänd am 23. 3. 2005 (BGBl I 931). G zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (PostneuordnungsG – PTNeuOG) v 14. 9. 1994 (BGBl I 2325). G zur Ordnung des Handwerks (HandwerksO) idF v 24. 9. 1998 (BGBl I 3074), zul geänd am 9. 6. 2005 (BGBl I 1534), Sartorius I Nr 815. G zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHK-G) v 18. 12. 1956 (BGBl I 920), zul geänd am 23. 3. 2005 (BGBl I 931). GüterkraftverkehrsG (GüKG) v 22. 6. 1998 (BGBl I 1485), zul geänd am 14. 3. 2005 (BGBl I 726), Sartorius I Nr 952. HypothekenbankG idF v 9. 9. 1998 (BGBl I 2674), zul geänd am 5. 4. 2004 (BGBl I 502). InvestitionszulagenG 2005 v 17. 3. 2004 (BGBl I 438), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3603). LuftverkehrsG (LuftVG) idF v 27. 3. 1999 (BGBl I 550), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius ErgBd Nr 975. Luftverkehrs-Zulassungs-O (LuftVZO) idF v 27. 3. 1999 (BGBl I 610), zul geänd am 4. 4. 2005 (BGBl I 992). LandwirtschaftsG v 5. 9. 1955 (BGBl I 565), zul geänd am 29. 10. 2001 (BGBl I 2785). PatentanwaltsO v 7. 9. 1966 (BGBl I 557), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 3599). PersonenbeförderungsG (PBefG) idF v 8. 8. 1990 (BGBl I 1690), zul geänd am 29. 12. 2003 (BGBl I 3076), Sartorius I Nr 950. PostG v 22. 12. 1997 (BGBl I 3294), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304), Sartorius ErgBd Nr 910. RechtsberatungsG v 13. 12. 1935 (RGBl I 1478), zul geänd am 21. 6. 2002 (BGBl I 2010), Schönfelder ErgBd Nr 99.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht

3. Kap

RiL 80/723/EWG der Kommission v 25. 6. 1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (ABl Nr L 195/35), zul geänd d RiL 2000/52/EG der Kommission v 26. 7. 2000 (ABl Nr L 193/75). RiL 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v 15. 12. 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl 1998 Nr L 15/14), geänd d RiL 2002/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v 10. 6. 2002 im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft (ABl Nr L 176/21). RiL 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v 31. 3. 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl Nr L 134/1, ber ABl Nr L 358/35), geänd d VO/EG Nr 1874/2004 der Kommission v 28. 10. 2004 (ABl Nr L 326/17). RiL 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 3. 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl Nr L 134/114, ber ABl Nr L 351/44), geänd d VO/EG Nr 1874/2004 der Kommission v 28. 10. 2004 (ABl Nr L 326/17). StrahlenschutzVO idF v 20. 7. 2001 (BGBl I 1714), zul geänd am 18. 6. 2002 (BGBl I 1869). TarifvertragsG (TVG) idF v 25. 8. 1969 (BGBl I 1323), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304), Schönfelder ErgBd Nr 81. TelekommunikationsG (TKG) v 22. 6. 2004 (BGBl I 1190), zul geänd am 14. 3. 2005 (BGBl I 721), Sartorius ErgBd Nr 920. Transparenzrichtlinie-G v 16. 8. 2001 (BGBl I 2141). ÜbergangsG über Preisbildung und Preisüberwachung (PreisG) v 10. 4. 1948 (WiGBl 27), fortgeltend gem G v 29. 3. 1951 (BGBl I 223), zul geänd am 18. 2. 1986 (BGBl I 265). UmwandlungsG v 28. 10. 1994 (BGBl I 3210, ber 1995 I 428), zul geänd am 9. 12. 2004 (BGBl I 3214), Schönfelder Nr 52a. VO über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) idF v 11. 2. 2003 (BGBl I 169) zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). VO/EWG Nr 404/93 des Rates v 13. 2. 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen (ABl Nr L 47/1), zul geänd d VO/EG Nr 2587/2001 des Rates v 19. 12. 2002 (ABl Nr L 345/13). VO/EG Nr 322/97 des Rates v 17. 2. 1997 über die Gemeinschaftsstatistiken (ABl Nr L 52/1), geänd d VO/EG Nr 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 9. 2003 (ABl Nr L 284/1). VO/EG Nr 659/1999 des Rates vom 22. 3. 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrages (ABl Nr L 83/1). VO/EG Nr 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates v 28. 1. 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl Nr L 31/1), geänd d VO/EG Nr 1642/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 7. 2003, ABl Nr L 245/4. VO/EG Nr 1/2003 des Rates v 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl 2003 Nr L 1/1), geänd d VO/EG Nr 411/2004 des Rates vom 26. 2. 2004 (ABl Nr 68/1). VO/EG Nr 1784/2003 des Rates v 29. 9. 2003 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl Nr L 270/78). VO/EG Nr 139/2004 des Rates v 20. 1. 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“, ABl Nr L 24/1). VO/EG Nr 1874/2004 der Kommission v 28. 10. 2004 zur Änderung der Richtlinien 2004/ 17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für die Anwendung auf Verfahren zur Auftragsvergabe (ABl Nr L 326/17).

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Peter Badura/Peter M. Huber

Literatur H.-W. Arndt Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: U. Steiner (Hrsg), BesVwR, 7. Aufl 2003, 875 ff. P. Badura Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1971. Ders Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, 205. B.-O. Bryde Außenwirtschaftsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 307 ff. K. Ballerstedt Wirtschaftsverfassungsrecht, in: GRe III/1, 1 ff. M. Brenner Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996. W. Brohm Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969. M. Burgi Funktionale Privatisierung, 1999. F. Curtius Entwicklungstendenzen im Genehmigungsrecht, 2005. J.Drexl Wettbewerbsverfassung, in: v. Bogdandy (Hrsg), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 747 ff. D. Ehlers Gewerbe-, Handwerks- und Gaststättenrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 96 ff. Ders/H. Pünder Energiewirtschaftsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 238 ff. W. Fikentscher Wirtschaftsrecht, 2 Bde, 1983. W. Frotscher Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 4. Aufl 2004. R. Groeschner Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992. F. Gygi/P. Richli Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl 1997. H. J. Hahn Währungsrecht, 1990. K. Hardach Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 1976. A. Hatje Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998. Ders Wirtschaftsverfassung, in: v. Bogdandy (Hrsg), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 683ff. D. Heckmann Ladenschlußrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 218 ff. E. Heinemann Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, 1963. E. R. Huber Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932; 2. Aufl, 2 Bde, 1953/54. Ders Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht (1956), in: Huber (Hrsg), Bewahrung und Wandlung, 1975, 215 ff. P. M. Huber Kampf um den öffentlichen Auftrag, 2002. Ders Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991. H. D. Jarass Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl 1997. J. A. Kämmerer Privatisierung, 2001. H. H. Klein Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968. M. Möstl Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999. F. Neumark (Hrsg), Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl, 4 Bde, 1977–83. H. C. Nipperdey Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl 1965. H. J. Papier Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl 1994, 799 ff. J. Pietzcker Die Zweiteilung des Vergaberechts, 2001. G. Püttner Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1989. H. C. Recktenwald (Hrsg), Geschichte der Politischen Ökonomie, 1971. R. Rhinow/G. Schmidt/G. Biaggini Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1998. G. Rinck/E. Schwark Wirtschaftsrecht, 6. Aufl 1986. F. Rittner Wirtschaftsrecht, 2. Aufl 1987. Ders Unternehmensfreiheit und Unternehmensrecht zwischen Kapitalismus, Sozialismus und Laborismus, 1998. S. Robinski/B. Sprenger-Richter Gewerberecht, 2. Aufl 2002.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht

3. Kap I 1

W. Rüfner Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967. U. Scheuner (Hrsg), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971. U. Schliesky Öffentliches Wettbewerbsrecht, 1997. R. Schmidt Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971. Ders Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts, Bd III, 2. Aufl 1996, 1141 ff. Ders Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990. Ders Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsverwaltungsorganisation, Wirtschaftsförderung, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 1 ff. Ders Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl 2004. E. Schmidt-Aßmann/K. P. Dolde (Hrsg), Beiträge zum öffentlichen Wirtschaftsrecht: Verfassungsrechtliche Grundlagen, Liberalisierung und Regulierung, öffentliche Unternehmen, Beiheft ZHR, 2005. J. A. Schumpeter Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942, 3. (dt) Aufl 1972. E. Steindorff Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl 1985. R. Stober Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989. Ders Wirtschaftsverwaltungsrecht in Europa, 1993. Ders Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 14. Aufl 2004. Ders Besonderes Wirtschaftsverwaltungsrecht, 13. Aufl 2004. R. Stober (Hrsg), Lexikon des Rechts. Gewerberecht, 1999. St. Storr Der Staat als Unternehmer, 2001. P. J. Tettinger Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980. W. Tilmann Wirtschaftsrecht, 1986. R. Weimar/R. Schimikowski Grundzüge des Wirtschaftsrechts, 2. Aufl 1993. K. Wenger Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, Bd I, 1989; Bd II, 1990. Ders (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 1, 1995. Ders (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, 1996. Ders Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1998. W. Zorn Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 2. Aufl 1974.

Zeitschriften Der Betriebsberater (BB); Der Betrieb (DB); Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW); Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS); Gewerbearchiv (GewArch) mit der Vierteljahresbeilage Wirtschaft und Verwaltung (WiV); Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau); Wirtschaft und Wettbewerb (WuW); Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht (WUR); Recht der Energiewirtschaft (RdE); Vergaberecht (VergabeR); Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR); Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU).

I. Recht und Ordnung der Wirtschaft 1. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht Die liberale Wirtschaftsidee und die von ihr bestimmte Rechtsordnung hatten die 1 Autonomie der Wirtschaft gegenüber dem politischen Prozess in besonders weitgehendem Umfang gefordert und verwirklicht. Dem entsprach das die politische Philosophie des Liberalismus beherrschende Theorem der Trennung von (monarchischem) Staat und (bürgerlicher) Gesellschaft, das den Staat und das von ihm 283

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geschaffene Recht auf die Funktion beschränkte, die naturrechtlich begründete „vorstaatliche“, dh gesellschaftlich regulierte Freiheit des Einzelnen zu achten und zu sichern. Dennoch ordnete der liberale Staat die Wirtschaft durch sein Recht, nicht anders wie der moderne Wohlfahrtsstaat, wenn auch nach anderen Grundsätzen. Er besaß in diesem auf das geregelte Sachgebiet abhebenden Sinn ein Sonderrecht der Wirtschaft. Da sich indessen das liberale Recht der Wirtschaft, der liberalen Wirtschaftsidee entsprechend, im Wesentlichen in den Zusammenhängen des Privatrechts und des Polizeirechts entwickelte, kam es nicht zur Ausbildung eines besonderen als „Wirtschaftsrecht“ 2 bezeichneten rechtswissenschaftlichen Arbeits- und Lehrgebietes. Immerhin brachte der durchgreifende industrielle Aufschwung seit der Reichsgründung 3 eine derart auffällige und alle Rechtsgebiete erfassende Fülle von spezifischen Rechtssätzen und rechtlichen Problemen hervor, dass die rechtliche Ordnung der Bedürfnisse des kapitalistischen Unternehmens, seiner Beziehungen zu den Abnehmern, des Wettbewerbs, der Assoziation der Unternehmer und der Arbeiter, des Arbeitsverhältnisses und des Arbeitsschutzes als Gegenstand eines besonderen Rechtsgebietes, des „Industrierechts“, betrachtet wurde.4 Das besondere Arbeits- und Lehrgebiet „Wirtschaftsrecht“, das sich nach dem 1. Weltkrieg ebenso wie das Arbeitsrecht verselbständigte,5 verdankt seine Entstehung weniger dem theoretischen Interesse an klassifizierender Systematik als der kurz vor der Jahrhundertwende einsetzenden und durch die Bedürfnisse des Krieges beschleunigten Umorientierung der Staatszwecke. Der Abschnitt „Das Wirtschaftsleben“ (Art 151–165) der Weimarer Reichsverfassung zeigt den Übergang von der liberalen Verfassungsidee zu einer neuen Staatsvorstellung, in der das Prinzip der privatautonomen Wirtschaftsfreiheit verbunden ist mit der Verantwortung des Staates für die soziale Gerechtigkeit. Die Verselbständigung des Rechtsgebiets „Wirtschaftsrecht“ ist eine Wirkung dieser Umwälzung der Verfassungs- und Wirtschaftsidee und es wurde und wird dementsprechend definiert als das Insgesamt der Rechtssätze, durch die der Staat Organisation und Funktionsweise der Wirtschaft ordnet, gestaltet und lenkt.6 Das Wirtschaftsrecht entfaltete sich zunächst als Annex des Privatrechts, was 2 insofern folgerichtig war und ist, als die wirtschaftsrechtlichen Regelungen als Beschränkungen der im Privatrechtsverkehr wirksamen Privatautonomie aufgefasst werden können. Die dem Wirtschaftsrecht eigentümliche „Sozialisierung des Rechtsstoffes“ (Nussbaum), in der sich die zunehmende staatliche Ingerenz in das Wirtschaftsgeschehen äußert, und der damit notwendig einhergehende Aufbau einer staatlichen Wirtschaftsverwaltung zum Vollzug der wirtschaftsrechtlichen Ermäch2

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4 5

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Piepenbrock Der Gedanke eines Wirtschaftsrechts in der neuzeitlichen Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1964; Cl. Zacher Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, 2002. E. R. Huber Dt Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd IV, 1969, 971 ff; Badura Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, 16 ff. Lehmann Grundlinien des deutschen Industrierechts, FS E Zitelmann, 1913. Nußbaum Das neue dt Wirtschaftsrecht, 1920, 2. Aufl 1922; Goldschmidt Reichswirtschaftsrecht, 1923; Hedemann Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929. Hedemann FS A. Hueck, 1959, 377; Rittner Wirtschaftsrecht, StaatsL 8 (1963) 817; Rinck Begriff und Prinzipien des Wirtschaftsrechts, 1971; Reich Markt und Recht, 1977.

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tigungen bedingten ein außerordentliches Vordringen des öffentlichen Rechts, das seinen ursprünglich polizeirechtlichen Charakter weit hinter sich ließ. Auf diese Weise hat sich nach und nach ein „Öffentliches Wirtschaftsrecht“ herausgebildet, das als Gesamtheit derjenigen Rechtssätze bezeichnet werden kann, die einem Träger öffentlicher Gewalt mit Blick auf die Gestaltung und Beeinflussung des Wirtschaftslebens spezifische Rechte und Pflichten zuweisen.7 Es umfasst das unionale und nationale Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht,8 das sich nicht strikt voneinander trennen lässt. Tendenziell regelt das Wirtschaftsverfassungsrecht jedoch die Grundlagen von Wirtschaftspolitik und -verwaltung auf der Ebene des Primärrechts bzw des GG, während das Wirtschaftsverwaltungsrecht jene Rechtssätze erfasst, durch die die öffentliche Hand mit den Zielen der Gefahrenabwehr, der Lenkung und der Förderung auf den wirtschaftlichen Prozess ordnend, gestaltend und leistend einwirkt, indem sie Aufgaben und Befugnisse der Verwaltung und öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten der am wirtschaftlichen Prozess Beteiligten begründet und beschränkt. Das ursprünglich selbständige Gewerberecht ist insoweit im Wirtschaftsverwaltungsrecht aufgegangen. Im Öffentlichen Wirtschaftsrecht tritt der Anspruch von Staat und EU zutage, die entwickelte Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen und zu gestalten.

2. Der wirtschaftliche Prozess und die Wirtschaftspolitik Die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen ist eine Funktion 3 der Entwicklung der Produktivkräfte (Ausbildungsstand der arbeitenden Bevölkerung, technologischer Fortschritt, Arbeitsteilung) und der Gestaltung der Produktionsverhältnisse (gesellschaftliche und rechtliche Organisation des wirtschaftlichen Prozesses). Da die Erhaltung und Vermehrung der Produktivität von der Rate des akkumulierten und für Investitionen verfügbaren Kapitals abhängen, sind die Arbeitsweise des Kreditapparats und die Verfügung über die Investitionsentscheidungen Schlüsselpunkte des wirtschaftlichen Systems. Die wirtschaftlichen Größen Versorgung und Produktivität sind allerdings für den Staat und seine Wirtschaftspolitik in die umfassenderen Ziele und Zusammenhänge der allgemeinen Politik, der Gesellschaftspolitik und der Sozialpolitik eingeordnet. Auch die Wirtschaftsordnung selbst weist mit dem „Produktionsfaktor“ Arbeit über sich hinaus; denn die Arbeit trägt nicht nur zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts bei; sie ist auch unentrinnbarer Schauplatz menschlicher Selbstverwirklichung. a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung Nach dem Maß der Selbständigkeit, das der wirtschaftliche Prozess gegenüber dem 4 politischen Prozess besitzt, oder anders gesagt, nach der Funktion des Staates im Wirtschaftsprozess, lassen sich die realen Wirtschaftsordnungen an zwei typisierend 7 8

Schmidt in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 1 Rn 8. E. R. Huber Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932, 2. Aufl, Bd I, II, 1953/54; Scheuner Das öffentliche Wirtschaftsrecht, in: Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Heft 28 (1934) 3; Stober Quellen zur Geschichte des Wirtschaftsverwaltungsrechts, 1986.

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vereinfachten Wirtschaftsformen messen.9 In der Wirtschaftsform der Verkehrs- oder Marktwirtschaft, deren institutionelle Voraussetzungen die Privatautonomie, das Privateigentum, die Berufs- und Gewerbefreiheit und die Vertragsfreiheit bilden, sind die wirtschaftlich relevanten Entscheidungen über Produktion, Investition, Distribution und Konsum dezentralisiert und den einzelnen Wirtschaftssubjekten überlassen. Bei dieser verkehrswirtschaftlichen Bedarfsdeckung gibt das individuelle Interesse den Ausschlag und werden die allein vorhandenen Einzelpläne der Unternehmer und Verbraucher nur durch den Tausch vergesellschaftet und den von Angebot und Nachfrage abhängigen Marktpreis koordiniert. Die Marktwirtschaft ist die von der liberalen Wirtschaftsidee ideologisch gerechtfertigte Wirtschaftsform der kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaften, in denen sie allerdings nur durch mehr oder weniger intensive Einrichtungen staatlicher Wirtschaftslenkung modifiziert verwirklicht ist. Demgegenüber war die Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft die von der marxistischen politischen Ökonomie ideologisch gerechtfertigte Wirtschaftsform der sozialistischen Staaten, in denen sie abgeschwächt durch die Beibehaltung der Geldwirtschaft, die mehr oder weniger weitgehende Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungen im Rahmen des Volkswirtschaftsplanes und die Zulassung marktwirtschaftlicher Enklaven verwirklicht war. Die Verfassung der DDR v 8. 4. 1968, dann idF v 7. 10. 1974, hatte die Grundlinien der Wirtschaftsordnung entsprechend den Grundsätzen der sozialistischen politischen Ökonomie verfassungsrechtlich festgelegt. Die Volkswirtschaft der DDR beruhte danach auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln; der „Leitung und Planung der Volkswirtschaft“ dienten die sozialistische Planwirtschaft und das sozialistische Wirtschaftsrecht (Art 9, 12 Verf DDR).10 In dieser – in Europa mittlerweile überwundenen – Wirtschaftsform waren die wirtschaftlich wesentlichen Entscheidungen mit Ausnahme der Konsumtionssphäre in der Hand des Staates, der alleiniger Eigentümer der Produktionsmittel war, zentralisiert. Bei der planwirtschaftlichen Bedarfsdeckung wurden die individuellen Wirtschaftspläne durch den von einer Zentralstelle für einen bestimmten Zeitabschnitt in Gesetzesform aufgestellten Gesamtplan ersetzt oder zumindest gebunden. Der staatliche Wirtschaftsplan legte auf der Grundlage von politischen Entscheidungen die Erzeugung und Verteilung nach

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Weber Grundriß der Sozialökonomik, 2. Aufl 1925, III/1, 59; Eucken Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl 1975; Heimann Wirtschaftssysteme und Gesellschaftssysteme, 1954; ders Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, 1963; Dahrendorf Markt und Plan, zwei Typen der Rationalität, 1966; Krüsselberg Marktwirtschaft und ökonomische Theorie, 1969; Heinze Autonome und heteronome Verteilung. Rechtsordnung staatlicher Lenkung von Produktion und Verteilung, 1970; Hensel Grundformen der Wirtschaftsordnung, 2. Aufl 1974; Hedtkamp Wirtschaftssysteme, 1974; Lindblom Jenseits von Markt und Staat, 1980; Bernholz/Breyer Grundlagen der Politischen Ökonomie, 2. Aufl 1984; Koslowski/Buchanan Ethik des Kapitalismus, 2. Aufl 1984. Heuer ua Sozialistisches Wirtschaftsrecht – Instrument der Wirtschaftsführung, 1971; ders Wirtschaftsrecht, 1985; Staatsrecht der DDR, 1978, 126ff, 207 ff – Brunner Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl 1979, bes 97 ff; Mampel Die sozialistische Verfassung der Dt Dem Republik, 2. Aufl 1982; Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987, BT-Drucks 11/11.

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den angenommenen Bedürfnissen des Gemeinwesens fest, so dass an die Stelle des für die Marktwirtschaft charakteristischen Tausches die Zuteilung trat.11 Da die institutionellen Grundlagen der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsord- 5 nungen im Rahmen des jeweiligen politischen Systems fast durchwegs verfassungsrechtlich gewährleistet sind, kann der Übergang von der verkehrswirtschaftlichen zur planwirtschaftlichen Wirtschaftsform und ugk nur durch eine sozialrevolutionäre Umwälzung erfolgen. Unter Sozialisierung (Vergesellschaftung) versteht man die in der Regel zur Verwirklichung der sozialistischen Wirtschaftsidee erfolgende Umgestaltung der Eigentumsordnung durch Aufhebung des privaten Sondereigentums an bestimmten oder allen Produktionsmitteln und deren Überführung in staatliches Eigentum (Verstaatlichung) oder in das Eigentum unter staatlicher Aufsicht stehender halbautonomer („gemeinwirtschaftlicher“) Wirtschaftssubjekte mit genossenschaftlicher Beteiligung der produzierenden Arbeiter.12 Werden lediglich einzelne Unternehmen oder Produktionsmittel vergesellschaftet, beschränkt sich die Wirkung dieser Teilsozialisierung auf eine Änderung der Eigentumsverteilung im Rahmen der beibehaltenen Eigentumsordnung. Der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems 1989/90 hat hingegen die Rückkehr zu einer privatwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Ordnung mit sich gebracht. Auch dieser Vorgang, der mehr oder weniger ausgedehnte Übergangszeiten beansprucht und außerordentliche Investitionen zur Rekonstruktion einer leistungsfähigen Wirtschaft voraussetzt, war eine Umwälzung der (jeweiligen) Verfassungsordnung. Exemplarisch dafür ist die Serie von Verfassungsänderungen des Jahres 1990 in der DDR bis hin zu den Verfassungsgrundsätzen v 17. 6. 1990 (GBl I 299); s Rn 21. b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik: Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik Die Wirtschaftspolitik besteht aus den sich in (staats-)leitenden und gesetzgeberi- 6 schen Akten niederschlagenden politischen Entscheidungen der EG-Organe sowie des Parlaments und der Regierung über die Ordnung, die Entwicklung und den Ablauf der Wirtschaft.13 Auf der Grundlage der privatwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Ordnung bilden die Sicherung des Wettbewerbs und der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts die leitende Zielsetzung der Wirtschaftspolitik. Die sozialstaatlichen Aufgaben fügen dieser Grundorientierung Ziele und Maßnahmen der Strukturpolitik und der Gesellschaftspolitik hinzu, in denen auch die Interdependenz mit der raumbezogenen Planung und der Sozialpolitik wirksam wird. Die Sicherung der Ernährung, der Rohstoffzufuhr und der Energieversorgung und ebenso die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch den Schutz von Natur und Umwelt (Art 20a GG, Art 95 III, 174 EG) haben Beschränkungen der Wirtschaftsfreiheit durch verschiedenartige Eingriffe 11

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Hensel Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, 2. Aufl 1959; Salin Politische Ökonomie, 5. Aufl 1967, 94 ff; Engelhardt ua, Zur marxistischen und neuen Politischen Ökonomie, SchrVfS NF Bd 112, 1981. Burdeau Die französischen Verstaatlichungen, 1984 (Beiheft 56 der ZHR). v Arnim Volkswirtschaftspolitik, 6. Aufl 1998.

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und Steuerungsmaßnahmen zur Folge. Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Beeinflussung, Förderung und Lenkung lassen sich als Ausdruck der sozialstaatlichen Wirtschaftspolitik verstehen. Die Teilintegration von Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung in der EU und die Außenwirtschaftspolitik tragen sowohl der Einordnung der nationalen Wirtschaft in den europäischen Binnenmarkt (Art 14 II EG) als auch ihrer Abhängigkeit von den internationalen und übernationalen Märkten Rechnung. Die europäische und weltwirtschaftliche Verflechtung machen die Sicherung des „Wirtschaftsstandortes Deutschland“ zum vorrangigen Ziel nationaler Wirtschaftspolitik.14 Die durch den Markt gesteuerte Wettbewerbswirtschaft ist nicht „staatsfrei“. Eine „Staatsfreiheit“ der Wirtschaft besteht nur unter dem Vorbehalt – der Bereitstellung der normativen Rahmenbedingungen von Produktion und Verteilung durch die staatliche Gesetzgebung; – der staatlichen Garantie der Rechte und Pflichten des Einzelnen und der Unternehmen, insbesondere durch Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und gerichtliche Durchsetzung des Rechts; – einer staatlichen Gewährleistung der Infrastruktur und der daseinsnotwendigen Versorgung, sei es durch Eigentätigkeit der öffentlichen Hand (Erfüllungsverantwortung), sei es durch Regulierung des privaten Angebots (Gewährleistungsverantwortung); – der Beeinflussung oder Förderung defizitärer Wirtschaftsbereiche durch mittelbare oder unmittelbare Wirtschaftslenkung, ggf durch Finanzhilfen oder Steuerbegünstigung (Beihilfen). Einschränkend ist dabei zu berücksichtigen, dass die staatliche Garantie für Freiheit und Wohlfahrt nurmehr unter den die Gestaltungsmacht des Staates relativierenden Bedingungen der europäischen Integration und der „offenen“ Weltwirtschaftsordnung 15 erfüllt werden kann. Die Wettbewerbspolitik ist bestrebt, auf den dafür geeigneten Märkten den Zu7 stand wirksamen Wettbewerbs herzustellen und zu erhalten, um die marktwirtschaftliche Steuerungsfunktion des Preises zu sichern. Sie wendet sich mit Hilfe wettbewerbs- und kartellrechtlicher Regelungen gegen den Wettbewerb gefährdende Unternehmenzusammenschlüsse (Fusionskontrolle), Verfälschungen und Beschränkungen des Wettbewerbs durch „unlauteres“ Verhalten, durch die Bildung oder Ausnutzung monopolistischer oder oligopolistischer Marktmacht und gegen Kartellabsprachen. Wesentlicher Ausdruck der marktwirtschaftlich orientierten Wettbewerbspolitik sind auf unionaler Ebene Art 81 f EG sowie die VO/EG Nr 1/2003 und VO/EG Nr 139/2004 („EG-Fusionskontrollverordnung“), auf nationaler Ebene das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Der „Ordo-Liberalismus“ der vor allem durch die Arbeiten von Walter Eucken bestimmten neoliberalen Frei-

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Bericht der BReg zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland, BR-Drucks 626/93; Fortschrittsbericht, BT-Drucks 12/8090. C. Chr. von Weizsäcker Logik der Globalisierung, 1999; Di Fabio Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001.

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burger Schule 16 erwartet durchweg die optimale Produktivität und Versorgung von den Mechanismen des Wettbewerbs. Die Wettbewerbspolitik bedarf angesichts der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Probleme der wirtschaftlichen Konzentration der Einfügung in eine umfassende Ordnungspolitik. Durch die Programmatik der „sozialen Marktwirtschaft“ nehmen der Staat und die EU in Anspruch, die Bedingungen des unverfälschten Wettbewerbs zu gewährleisten und Fehlentwicklungen oder Mängel der marktwirtschaftlichen Allokation sozial- und gesellschaftspolitisch zu korrigieren (s Art I-3 III VVE: „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“). Die Wachstumspolitik strebt eine Steigerung der Produktivität, des Sozialprodukts 8 und des Lebensstandards an; ihr Ziel ist eine angemessene Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere durch die Förderung der technologischen Innovation. Die Komplexität der wachstums- und konjunkturpolitischen Zielsetzung der Wirtschaftspolitik zeigt sich in dem Richtlinienbündel des § 1 StWG: 17 „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“ Dieses „magische Viereck“ aus prinzipiell gleichgewichtigen Zielen wird allerdings verschoben, seit das vorrangige Unionsrecht dem Ziel der Preisstabilität eine Präferenz einräumt (Art 4, 105 EG, 88 S 2 GG). Die Konjunkturpolitik zielt darauf ab, die Entwicklung der volkswirtschaftlichen 9 Gesamtnachfrage, die sich in den Ausgaben des Staates, der Unternehmen (Investitionen) und der Haushalte (Verbrauch) ausdrückt, möglichst gleichmäßig und frei von den Schwankungen der Übernachfrage und des Überangebots zu halten. Den konjunkturpolitischen Zielen dienen hauptsächlich global ansetzende und insofern mittelbar lenkende Steuerungsmaßnahmen der Wirtschaftspolitik. Maßnahmen der Finanzpolitik der öffentlichen Haushalte, der Währungspolitik, der Kreditpolitik und der Außenwirtschaftspolitik stehen im Vordergrund.18 Die Kreditpolitik ist hauptsächlich Sache des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), das aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den (unabhängigen) nationalen Notenbanken, in Deutschland der Bundesbank, besteht.19 Die Kreditpolitik beeinflusst über den Zinssatz und die Liquidität der Geschäftsbanken die Kreditaufnahme auf

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Eucken Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl 1975; Böhm Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, 1980, C. Chr. von Weizsäcker Ztschr. für Wirtschaftspolitik 47 (1998) 257. Stern/Münch/Hansmeyer Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl 1972, 35 ff; v der Lippe Stabilität und Wachstum, 1975. Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; Koller Der öffentliche Haushalt als Instrument der Staats- und Wirtschaftslenkung, 1983; Klein (Hrsg), Lehrbuch des öffentlichen Finanzrechts, 1987; Andel Finanzwissenschaft, 4. Aufl 1998. Art 88 GG; G über die Deutsche Bundesbank v 26. 7. 1957, idF v 22. 10. 1992 (BGBl I 1782), zul geänd am 25. 6. 2004 (BGBl I 1383); Art 105 ff EGV, Satzung des ESZB.

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dem Kapitalmarkt und damit die Investitionen. Die konjunkturpolitisch orientierte Finanzpolitik manipuliert einerseits durch Art und Maß der Besteuerung die für Investitionen und Konsum verfügbare Geldmenge und setzt andererseits als antizyklische oder kompensatorische „fiscal policy“ die haushaltswirtschaftlichen Ausgaben der öffentlichen Hand zur Dämpfung oder Ankurbelung der Konjunktur ein. Insofern als die Wachstumspolitik darauf gerichtet ist, zurückgebliebene oder 10 dem marktwirtschaftlichen Prozess nicht gewachsene Gebiete oder Wirtschaftszweige zu unterstützen oder zu entwickeln, ist sie regionale oder sektorale Strukturpolitik. Strukturpolitische Maßnahmen bestehen hauptsächlich darin, dass mit den Zielen der Verbesserung der sozialen und technischen Infrastruktur, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Begünstigung von Innovationen mit einer besonderen volkswirtschaftlichen Bedeutung und der Umstrukturierung ländlicher Gebiete eine eigene Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand entfaltet wird und Investitionen Privater durch Subventionen und steuerliche Vorteile angeregt und gefördert werden. Die Strukturpolitik steht in einem engen Zusammenhang mit der Raumordnungspolitik, nimmt aber ebenso Zielsetzungen der Arbeits- und Sozialpolitik, der Verkehrspolitik, der Energiepolitik und des Umweltschutzes in sich auf. Die regionale Strukturpolitik ist eine Schwerpunktförderung mit regionalen Aktionsprogrammen in abgegrenzten Fördergebieten. Sie ist auf unionaler Ebene als eigenständiger Politikbereich („wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“, Art 158 ff EG) ausgestaltet, dessen Instrumente vor allem der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (Art 160 EG) und die Strukturfonds (Art 161 EG) sind. Im nationalen Bereich ist die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur eine Gemeinschaftsaufgabe gem Art 91 a I Nr 2 GG.20 Die Errichtung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. 7. 1990 war der erste Schritt bei der strukturpolitischen Rekonstruktion der Wirtschaft in dem Gebiet der früheren DDR.21 Hauptfelder der sektoralen Strukturpolitik, die in breiten Bereichen von der regionalen Strukturpolitik nicht trennbar ist, sind die Landwirtschaft und der Kohlebergbau, neuerdings auch die Stahlindustrie. Soweit sie im nationalen Kontext betrieben werden, sind insbesondere unionsrechtliche Vorgaben im Bereich der Agrarpolitik (Art 32 ff EG) und der Beihilfenkontrolle (Art 88 III 3 EG) zu beachten. Die Verbesserung der Agrarstruktur ist ebenfalls eine Gemeinschaftsaufgabe.22 Die Mittelstandspolitik hat eine bis in die Weimarer Zeit zurückgehende Tradition (vgl Art 164 WRV). 20

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G über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ v 6. 10. 1969 (BGBl I 1861), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304); Dreiunddreißigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2004 bis 2007, BT-Drucks 15/2961. – Das Gesetz gibt dem Rahmenplan eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Außenwirkung (BVerwG NJW 1980, 1862). Carl AöR 114 (1989) 450; Schmidt (Hrsg), Aktuelle Fragen der regionalen Strukturpolitik, 1989. Staatsvertrag v 18. 5. 1990 (BGBl II 537); Einigungsvertrag v 31. 8. 1990 (BGBl II 889). Art 91 Abs 1 Nr 3 GG; G über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ idF v 2. 5. 2002 (BGBl I 1527); Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeitraum 2004 bis 2007, BT-Drucks 15/3151; Agrarpolitischer Bericht 2005, BT-Drucks 15/4801. – Der Rahmenplan hat keine Rechtssatzqualität (BVerwG DÖV 1987, 289).

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Die sozialgestaltende Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung durch Wachs- 11 tums- und Strukturpolitik und die verschiedenartigen Maßnahmen einer steuerund sozialpolitischen Umverteilung weisen über die durch Leistung und Eigentum vermittelte Güterzuteilung hinaus. Die Gesellschaftspolitik ist auf das Staatsziel und Rechtsprinzip der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet, das in der politischen Demokratie begründet ist. Sie stellt der Wirtschaftspolitik insgesamt die Aufgabe, jedermann die Chance zu gewährleisten, durch eigene Arbeit und Leistung einen selbstbestimmten Beitrag zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts zu erbringen. Dieser Anspruch der Gesellschaftspolitik stellt dem Gesetzgeber die Aufgabe, die gegebenen Grundlagen des wirtschaftlichen Prozesses nicht als allgemein gerechtfertigt zugrunde zu legen und die Ungleichheiten der Einkommens- und Vermögensverhältnisse durch Einzelmaßnahmen wie auch durch an langfristigen Perspektiven ausgerichtete Veränderungen insoweit zu revidieren, als die sozialen Ungleichheiten die demokratische Emanzipation hindern.23 Zu diesen Programmen und Vorhaben zählen die Vermögensbildung, die unternehmerische Mitbestimmung und die Förderung der Beschäftigung. Unter dem Grundgesetz ist die Sicherung der individuellen Leistung und ihres privatautonom verfügbaren Ertrages Ziel und Maßstab auch der Gesellschaftspolitik. Eine bis zur Parität betriebene Mitbestimmung, etwa nach dem Muster der Montanmitbestimmung, eine umverteilende Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen, vor allem bei Einrichtung überbetrieblicher Fonds, und die kollektive Bewirtschaftung von Arbeit („Recht auf Arbeit“) würden an die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen stoßen. Die durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) erweiterte Mitbestimmung im Unternehmen lässt ein leichtes Übergewicht der Anteilseigner bestehen.24 Eine gesellschaftspolitische Maßnahme anderer Zielrichtung ist die Privatisierung öffentlicher Unternehmen oder von Beteiligungen der öffentlichen Hand an Wirtschaftsunternehmen.25 Hand in Hand mit der verwandten Politik einer Stärkung der Wirtschaftsfreiheit durch Deregulierung haben Bund und Länder die Ent-

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Antwort der BReg auf eine Große Anfrage betr Entwicklung der Vermögen und ihrer Verteilung, BT-Drucks 13/3885; Jahreswirtschaftsbericht 2005 der Bundesregierung „Den Aufschwung stärken – Strukturen verbessern“, BT-Drucks 15/4700; Jahreswirtschaftsbericht 1997 der BReg „Reformen für Beschäftigung“, BT-Drucks 13/6800. BVerfGE 50, 290; 99, 367 → JK GG Art 3 I/31; Fitting/Wlotzke/Wißmann Mitbestimmungsgesetz, 2. Aufl 1978; Hanau/Ulmer Mitbestimmungsgesetz, 1981; Badura Paritätische Mitbestimmung und Verfassung, 1985; Nagel Mitbestimmung im Montankonzern und Grundgesetz, 1992; Th. Raiser Mitbestimmungsgesetz, 4. Aufl 2002. BVerfGE 12, 354 (VW-Werk). – Antwort der BReg auf eine Große Anfrage betr Perspektiven der Privatisierungspolitik des Bundes, BT-Drucks 14/4696 (20. 11. 2000). – Graf Vitzthum AöR 104 (1979) 580; Windisch (Hrsg), Privatisierung natürlicher Monopole im Bereich von Bahn, Post und Telekommunikation, 1987; Badura Direito e Justiça V, 1991, 31; J. Ipsen (Hrsg), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994; Schoch DVBl 1994, 962; Bull VerwArch 86 (1995) 221; Krölls GewArch 1995, 129; Kämmerer Privatisierung, 2001; Schmehl JuS 2001, 233 (Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe); Kempen Grenzen der Privatisierung, 2002.

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lastung des Staates von eigener Wirtschaftstätigkeit energisch vorangetrieben.26 Eine Aufgabe singulären Zuschnitts war die der Treuhandanstalt zugewiesene Privatisierung, Entflechtung und wettbewerbliche Strukturierung der früheren volkseigenen Betriebe in der DDR.27 c) Wirtschaftsstatistik 12 Sachgerechtigkeit und Erfolg der Wirtschaftspolitik im Allgemeinen und der zugrunde liegenden Beurteilungen und Projektionen im Besonderen sind von einer umfassenden und aktuellen Informiertheit der EG-Organe, des Parlaments und der Regierung über die für den wirtschaftlichen Prozess erheblichen Daten abhängig, die durch statistische Erhebungen vermittelt wird. Die amtliche Statistik liegt in den Händen von EUROSTAT, des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden und der statistischen Ämter der Länder. Das Kernstück des nationalen Statistikrechts ist das Bundesstatistikgesetz.28 Für die Wirtschaftsstatistik sind außerdem das Gesetz über die Statistik im Handel und Gastgewerbe (HdlStatG), das Mikrozensusgesetz 2005, das Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1987) sowie eine große Zahl fachstatistischer Gesetze und Rechtsvorschriften maßgebend. Das nationale Statistikrecht wird zunehmend auch durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bestimmt, insbes durch die VO/EG Nr 322/97 über die Gemeinschaftsstatistiken. Die mit Auskunftspflichten verbundene Erhebung personenbezogener und unternehmensbezogener Einzelangaben und deren statistische Verarbeitung muss, soweit eine Reidentifizierung möglich bleibt, den datenschutzrechtlichen Anforderungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 I iVm Art 1 I GG) und dem Schutz der Wirtschaftsfreiheit (Art 2 I, 12 I GG) genügen.29 Dem dienen insbes das Zweckbindungsgebot und das Statistikgeheimnis (§ 16 BStatG).

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Bericht der BReg zur Verringerung von Beteiligungen und Liegenschaften des Bundes, BTDrucks 12/6889; Beteiligungsbereicht 2002, unter: http://www.bundesfinanzministerium. de / cln_02 / nn_3264 / sid_B4007F54AE1D24E0DA8179545E1F8926 / nsc_true / DE / Bundesliegenschaften_und_Bundesbeteiligungen / Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik / Bundesbeteiligungen/node.html_nnn=true (Stand: 3. 5. 2005). – Korinek JBl 1991, 409; Storr Der Staat als Unternehmer, 11 ff. Art 25 EinV; G zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens – TreuhandG – v 17. 6. 1990 (GBl I 300); G zur abschließenden Erfüllung der verbleibenden Aufgaben der Treuhandanstalt v 9. 8. 1994 (BGBl I 2062). – Monopolkommission, Hauptgutachten 1990/1991 Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik, 1992, 18 ff; Birk FS Mahrenholz, 1994, 473; Badura Staatsrecht, 3. Aufl 2003, I 111. Dorer/Mainusch/Tubies BStatG, 1988; Meyer-Teschendorf/Hofmann DÖV 1998, 217. BVerfGE 27, 1; 65, 1; BVerwG GewArch 1991, 133. – Scholz/Pitschas Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 1984; v Arnim Volkszählungsurteil und Städtestatistik, 1987; Kunig Jura 1993, 595; Gola NJW 1997, 3411; Simitis NJW 1997, 281.

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II. Staat und Wirtschaft 1. Geschichte In der Geschichte der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung lassen sich bei 13 typisierender Betrachtung vier aufeinander folgende Entwicklungsstufen unterscheiden: der Merkantilismus des absolutistischen Staates, der Liberalismus des bürgerlichen Verfassungsstaates, der Wohlfahrtsstaat der parlamentarischen Demokratie 30 und seine zunehmende Europäisierung und Internationalisierung. In diesen Wirtschaftsformen äußern sich Aufstieg, Blüte, Auflösung und Renaissance der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Der Übergang von der auf dem Vorherrschen der agrarischen Produktion beruhen- 14 den Naturalwirtschaft des Mittelalters zur neuzeitlichen Verkehrswirtschaft auf der Grundlage von Handel und Gewerbe (Handwerk und Manufaktur) brachte die großräumigen Nationalwirtschaften mit der neuen Herrschaftsform des modernen Staates hervor. Die geldwirtschaftliche Staatsfinanzierung ermöglichte Bürokratie und stehendes Heer, die charakteristischen Voraussetzungen staatlicher Herrschaftsgewalt. Die Einsicht, dass die Blüte der nationalen Wirtschaft, vornehmlich von Handel und Gewerbe, die Grundlage territorialstaatlicher Macht sei, bildete die Richtlinie der merkantilistischen Wirtschaftspolitik. Deren Grundsätze waren außenwirtschaftlich die protektionistische Beschränkung der Einfuhr und das Streben nach einer aktiven Handelsbilanz mit dem Ziel der Autarkie, der Unterstützung der einheimischen Wirtschaft und der Ansammlung eines Edelmetallvorrats. Der Staat suchte Gewerbe und Handel durch vielfältige und sehr ins Einzelne gehende Reglementierung, durch Vergabe von Monopolprivilegien für neue Industrien und durch Gründung oder Übernahme zahlreicher Unternehmen anzuregen, zu fördern und zu beeinflussen. Für die kapitalistische Wirtschaftsweise der unter staatlichem Schutz im 17. und 15 18. Jahrhundert entstandenen und erstarkten Nationalwirtschaften erwies sich die merkantilistische Bevormundung und Reglementierung bald als lähmend. Ebenso wie die politische Theorie der Aufklärung die Staatsidee des Absolutismus in Frage stellte und endlich zerstörte, führte die Wirtschaftstheorie der Aufklärung zur Auf30

Lütge Dt Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl 1966 (Nachdruck 1975); Stolper Dt Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl 1966; Hausherr Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl 1981; Beutin/Kellenbenz Wirtschaftsgeschichte, 1973; Treue Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 2 Bde, 1973; Zorn Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd 2: Das 19. und 20. Jh, 1976; Engelsing Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, 2. Aufl 1976; Hardach Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jh, 1976; Wehler Bibliographie zur modernen dt Wirtschaftsgeschichte, 1976; Borchardt Grundriß der dt Wirtschaftsgeschichte, 1978. – Sombart Der moderne Kapitalismus, 2. Aufl 1916–27; Heckscher Der Merkantilismus, 2 Bde, 1932; Gerloff Staatstheorie und Staatspraxis des kameralistischen Verwaltungsstaates, 1937; Dobb Studies in the Development of Capitalism, 1946 (dt: Entwicklung des Kapitalismus, 1970); Tautscher Staatswissenschaftslehre des Kameralismus, 1947; Kuczynski Die Geschichte der Lage der Arbeitnehmer unter dem Kapitalismus, 40 Bde, 1948 ff; Borchardt Die industrielle Revolution in Deutschland, 1972; Blaich Die Epoche des Merkantilismus, 1973.

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lösung der absolutistischen Wirtschaftsform des Merkantilsystems. Die liberale Wirtschaftsidee forderte Freiheit der Wirtschaft vom Staat: Freihandel und Gewerbefreiheit. Gewerbefreiheit bedeutete die Beseitigung aller durch den Staat geschaffenen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Beschränkungen des Gewerbes und des Handels, soweit nicht polizeiliche Rücksichten eine bestimmte Einschränkung rechtfertigten. Dieses Prinzip richtete sich besonders gegen die aus der merkantilistischen Epoche hervorgegangenen monopolistischen Erscheinungen wie die Beherrschung einzelner Wirtschaftszweige durch staatliche Unternehmungen und durch von Monopolprivilegien geschützte Privatunternehmer, gegen ausschließliche Gewerbeberechtigungen und Zwangs- und Bannrechte 31 und gegen die Zwangskorporationen der Handwerker (Zünfte) und Kaufleute (Gilden). Der individualistische und rationalistische Grundsatz des Laissez-faire, der im Mittelpunkt der „klassischen“ Nationalökonomie des Liberalismus steht, leitet sich aus dem Axiom einer „natürlichen“ Ordnung der Wirtschaft ab, die der Staat durch sein Eingreifen nur verwirre. Die Triebfeder des nach den eingestifteten Gesetzen einer Wirtschaftsmechanik, nämlich den Marktgesetzen, funktionierenden wirtschaftlichen Prozesses sei der erwerbsorientierte und rationale Egoismus des homo oeconomicus, der mit seinem individuellen Wirtschaftserfolg zugleich die Prosperität der Nationalwirtschaft und die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse bewirke. „Das natürliche Bestreben jedes Menschen, seine Lage zu verbessern, ist, wenn es sich mit Freiheit und Sicherheit geltend machen darf, ein so mächtiges Prinzip, dass es nicht nur allein und ohne alle Hilfe die Gesellschaft zu Reichtum und Wohlstand führt, sondern auch hundert arge Hindernisse überwindet, mit denen die Torheit menschlicher Gesetze es allzu oft zu hemmen suchte“ (Adam Smith An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776). Die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen erfolgte im Rahmen der Stein16 Hardenbergschen Reformen.32 Aufnahme und Fortsetzung eines Gewerbes waren nunmehr grundsätzlich nur noch von der mit der Entrichtung der Gewerbesteuer gekoppelten Lösung eines Gewerbescheins abhängig gemacht.33 Die Verwirklichung der Gewerbefreiheit und die damit korrespondierende Entwicklung eines Gewerbepolizeirechts kamen in Preußen mit der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung v 17. 1. 1845 (GS 41) zum Abschluss, dem unmittelbaren Vorbild der mit zahlreichen Änderungen heute noch geltenden Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund v 21. 6. 1869. Das Allgemeine BergG für die Preußischen Staaten v 24. 6. 1865 (GS 705) löste die Regalität des Bergbaus34 durch das Prinzip der Bergbaufreiheit ab.

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Vgl §§ 7 ff GewO. – BVerwGE 38, 244 (§ 39 a S 1 GewO). E. R. Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd I, 2. Aufl 1967, 200 ff; Koselleck Preußen zwischen Reform und Revolution, 1967; Vogel Allgemeine Gewerbefreiheit, 1983; Ziekow GewArch 1985, 313; ders Freiheit und Bindung des Gewerbes, 1992; Stolleis in: Starck (Hrsg), Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, 1992, 15, 31 ff. § 50 (Allgem Grundsätze über Gewerbepolizei) der Geschäfts-Instruktion für die Regierungen in sämtlichen Provinzen v 26. 12. 1808 (GS 1806–1810, 481); Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-Steuer v 28. 10. 1810 (GS 1810/11, 79); G über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe v 7. 9. 1811 (GS 1810/11, 263). Ebel ZfB 109 (1968) 146.

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2. Nationale und unionale Wirtschaftsverfassung Im Zeichen der „Wirtschaftsverfassung“ finden die Auseinandersetzungen über die 17 grundlegenden Rechtsfragen der gegebenen Wirtschaftsordnung statt. Seitdem die Weimarer Reichsverfassung in dem Abschnitt „Das Wirtschaftsleben“ (Art 151 ff) die überkommenen Institutionen und Freiheiten des liberalen Wirtschaftsrechts durch verschiedenartige sozialistische und sozialreformerische Grundsätze, Einrichtungen und Programme (Art 151, 156, 165 WRV) überformt hat, stellt sich die Frage nach der verfassungsgestalteten Grundordnung der Wirtschaft und dem Zusammenhang zwischen „Wirtschaftsverfassung“ und „politischer“ Verfassung.35 Mit der sich vertiefenden Einordnung Deutschlands zunächst in die EWG, dann in die EU (EEA 1986/87; EU-V 1992/93, 1997/99, 2001/03, VVE 2004) tritt die Europäische Wirtschaftsverfassung in den Vordergrund der verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Auseinandersetzung. Der Begriff „Wirtschaftsverfassung“ wird in einem engeren und in einem weiteren 18 Sinn gebraucht, je nachdem ob damit nur die verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ordnung des Wirtschaftslebens oder die Gesamtheit der Rechtssätze gemeint sind, die Organisation und Ablauf des wirtschaftlichen Prozesses grundlegend und dauernd bestimmen, ohne Rücksicht auf ihren Rang als Verfassungs- oder Gesetzesrecht. Der weitere Begriff der Wirtschaftsverfassung ist unter dem Blickwinkel des betroffenen Gegenstandes, der Wirtschaft, gebildet und orientiert sich demnach daran, welche Rechtssätze und Rechtsinstitute für die reale Ordnung des Wirtschaftens prinzipiell bedeutsam und kennzeichnend sind. In diesem von einer metarechtlichen Fragestellung bestimmten Sinne umfasst das Wirtschaftsverfassungsrecht unter anderem das AktG, das GWB sowie das StWG. a) Die „Wirtschaftsverfassung“ des Grundgesetzes Der engere Begriff der Wirtschaftsverfassung wirft die Frage auf, welche Regelun- 19 gen das GG, das im Unterschied zur WRV und zu einigen Landesverfassungen (BayVerf, HessVerf, ThürVerf) keinen eigenen Abschnitt über das Wirtschaftsleben enthält, über die Aufgaben und Befugnisse des Staates zur Ordnung und Beeinflussung des wirtschaftlichen Prozesses trifft, und ob sich diese zu einer besonderen „Wirtschaftsverfassung“ des GG zusammenfügen. Praktische Relevanz besitzt sie vor allem im Hinblick auf die Grenzen, die die Verfassung der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung setzt. Weder die These Nipperdeys von der verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der „sozialen Marktwirtschaft“, die in erster Linie auf der angreifbaren Annahme einer Gewährleistung der Institutionen des Wettbewerbs und der Gewerbefreiheit 35

E. R. Huber Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931; ders Bewahrung und Veränderung 1975, 215; Raiser FS von Gierke, 1950, 181; Schmitt Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, 489; Zacher FS Böhm, 1965, 63; Karpen Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1990; Bleckmann JuS 1991, 536; Oppermann in: Coing ua (Hrsg), Staat und Unternehmen aus der Sicht des Rechts, 1993, 35; Papier in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 18; Badura FS Klaus Stern, 1997, 409; Nörr in: Acham/Nörr/Schefold (Hrsg), Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste, 1998, 356.

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durch die Freiheitsrechte der Art 2 I und 12 I GG beruht, noch die polemisch gegen eine Absicherung der ordoliberalen Wirtschaftspolitik durch einseitige Verfassungsauslegung gerichtete These Herbert Krügers, dass der Staat zwar nach Maßgabe der Verfassung okkasionell und pragmatisch in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, sich dabei aber nicht auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem festlegen dürfe, weil dem die relativistische Grundlinie der Demokratie entgegenstehe, haben sich durchzusetzen vermocht. Größere Durchschlagskraft hatte Ernst Rudolf Hubers These von der „gemischten Wirtschaftsverfassung“, der im GG ein spannungsvolles Gleichgewicht und einen durchdachten Ausgleich von grundrechtlichen Wirtschaftsfreiheiten und unterschiedlichen Sozialbindungen angelegt sah, die der Gesetzgeber unter Ausnutzung der Gesetzesvorbehalte durch seine gesamtwirtschaftliche Gestaltungsmacht verwirklichen dürfe. Das GG hat in Art 20 I die Idee des sozialen Rechtsstaates rezipiert. Es hat damit die Verantwortung des Staates für die Herstellung und Wahrung der sozialen Gerechtigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft verankert und vor allem dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, die fortdauernde Verwirklichung dieses Staatsziels und seiner Verheißungen durch evolutionäre Sozialgestaltung zu gewährleisten. Die dafür unabdingbare Gestaltungsfreiheit findet in der die Praxis des BVerfG seit dem Urteil zum InvestitionshilfeG beherrschenden These von der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des GG ihre sachgerechte Berücksichtigung.36 Das GG ist danach in dem Sinn neutral, dass der Gesetzgeber und, nach Maßgabe der gesetzlichen Ermächtigung (Art 80 I 2 GG), die normativ handelnde Exekutive jede ihnen sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen dürfen, sofern sie dabei die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, den sozialstaatlichen Auftrag, die rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätze und die grundrechtlichen Gewährleistungen beachten. Das Grundgesetz lässt in der Bestimmung wirtschaftspolitischer Ziele und der zu ihrer Verfolgung geeigneten Maßnahmen deshalb einen erheblichen (politischen) Beurteilungsund Handlungsspielraum, innerhalb dessen das freie Spiel der Kräfte auch durch wirtschaftspolitische Lenkungsmaßnahmen korrigiert werden darf.37 Die etwas missverständliche Formel von der wirtschaftspolitischen „Neutralität“ des Grundgesetzes darf aber angesichts der verfassungsrechtlichen Bindungen nicht als wirtschaftsverfassungsrechtliche Inhalts- oder Entscheidungslosigkeit des Grundgesetzes verstanden werden. Das GG enthält Festlegungen, Garantien, Rechte und Freiheiten mit wirtschaftsverfassungsrechtlicher Tragweite – in der Berufsfreiheit (Art 12 I), der Eigentumsgarantie (Art 14 I) oder der Koalitionsfreiheit (Art 9 III) – es zeigt aber eine deutliche Zurückhaltung in Fragen der Wirtschaftsordnung und -gestaltung. Dass das Grundgesetz im Ergebnis letztlich doch eine freiheitliche, marktwirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaftsverfassung etabliert, ist deshalb nicht die Konsequenz der institutionellen Verankerung einer bestimmten Wirtschaftsordnung bzw einer entsprechenden ordnungspolitischen Grundentscheidung, sondern der die staatlichen Eingriffsbefugnisse beschränkenden Freiheitsrechte.38 36

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BVerfGE 4, 7, 17 f; 7, 377, 400; 12, 341, 347; 14, 19, 23; 14, 263, 275; 22, 180, 204; 26, 16, 37; 27, 253, 283; 32, 273; 50, 290, 336 ff. BVerfGE 53, 135, 145. Everling FS Mestmäcker, 1996, 365, 367.

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Die Grundrechte schließen Freiheitsrechte („Abwehrrechte“), aber auch objektive Gewährleistungen, zB Institutsgarantien (Art 14 GG ua), und die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers direktiv bindende Schutzpflichten des Staates ein. Daneben enthält das Grundgesetz wirtschaftsverfassungsrechtlich erhebliche Aufgabennormen mit Staatszielbestimmungen unterschiedlicher Intensität und Prägekraft: – Sozialstaatssatz, Art 20 I, 23 I 1, 28 I 1 GG; – Konjunkturpolitische Direktive der Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Art 109 II, 104 a IV GG; – Sicherung der Preisstabilität, Art 88 S 2 GG; – Gesetzgebungsauftrag für das Recht der Wirtschaft und die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung, Art 74 I Nr 11 und 16 GG; – Infrastrukturgewährleistungspflicht des Bundes für Eisenbahnen, Post und Telekommunikation, Art 87 e IV, 87 f I GG; – Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art 20a GG. Anders als die Weimarer Reichsverfassung, die in ihrem Abschnitt „Das Wirt- 20 schaftsleben“, vor allem in dem sozialpolitischen Art 165 WRV, eine „Wirtschaftsverfassung“ mit der Tendenz einer „Wirtschaftsdemokratie“ proklamiert und die Wirtschaftsfreiheit einer expliziten Sozialbindung unterworfen hatte (Art 151 WRV), hat sich das Grundgesetz von der Aufnahme programmatischer „Lebensordnungen“ ferngehalten. Ein – nicht nur symbolischer – Ausgleich dafür ist der Sozialstaatssatz39. Er hebt die Verantwortung des Staates für die soziale Gerechtigkeit als eine vordringliche Staatsaufgabe hervor und gibt damit der Gesetzgebung, mit der dieser Aufgabe durch Schutz, Leistungen und Sozialgestaltung nachgekommen wird, eine ausdrückliche verfassungsrechtliche „Legitimation“.40 Vorsorge und Fürsorge, Schutz und Ausgleich zugunsten derjenigen, die durch Benachteiligung, Abhängigkeit oder sonstige Behinderung die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein nicht selbst zu sichern vermögen oder sonst eines besonderen Schutzes für ihre persönliche und soziale Entfaltung bedürfen, sind danach staatliche Verpflichtung.41 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die Reichweite des Sozialstaatssatzes mit Hilfe des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 I GG) verstärkt 42 und zeitweise sogar eine teilhaberechtliche Ergänzung grundrechtlicher Garantien zur Sicherung der Bedingungen von Freiheitsrechten erwogen.43 Der Sozialstaatssatz betrifft jedoch nicht nur den Ausgleich von Schutzund Hilfsbedürftigkeit und die Sicherung sozialer Chancengleichheit und Ver39

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41 42 43

Eichenhofer Soziale Grundrechte – verläßliche Grundrechte, in: ders (Hrsg), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung – was ist geblieben?, 1999, 207, 222 ff. Forsthoff/Bachof VVDStRL 12 (1954) 8, 37; E. R. Huber Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, 249; Weber Staat 4 (1965) 409; Badura DÖV 1968, 446; ders SGb 1980, 1; Böckenförde FS Arndt, 1969, 53; Barion DÖV 70, 15; Stern StR I, 521; Zacher FS Ipsen, 1977, 207; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II (3. Aufl 2004), § 28; Scheuner Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, 737; Isensee FS Broermann, 1982, 365; Blüm/Zacher (Hrsg), 40 Jahre Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland, 1989; Böckenförde FS Arndt, 1969, 53; Barion DÖV 1970, 15. BVerfGE 35, 202, 236; 35, 348, 355; 40, 121, 133; 44, 353, 375; 84, 90, 125. BVerfGE 42, 176; 45, 376, 387; 75, 348, 359. BVerfGE 33, 303, 331. – Badura Staat 14 (1975) 17, 32 ff.

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teilungsgerechtigkeit, sondern auch die gesellschaftspolitische Gesetzgebung im Bereich der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung. So ist es „für das ganze Volk von entscheidender Bedeutung“ und gehört es „zu der dem Staat obliegenden, ihm durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit vom Grundgesetz auch besonders aufgegebenen Daseinsvorsorge“, dass die „Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und der Mangel an Arbeitskräften auf der anderen Seite gemindert und behoben werden“.44 Das Sozialstaatsprinzip ist allerdings in besonderer Weise auf eine Ausgestaltung und Konkretisierung durch den Gesetzgeber angewiesen. Als isolierte „Anspruchsgrundlage“ taugt es nicht. Mit dem Prinzip des sozialen Rechtsstaats wird kein bestimmtes Modell der Wirtschaftsordnung und der Wirtschaftspolitik fixiert. Umfang und Ausmaß der Realisierung des sozialen Staatsziels und die Verwirklichung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sind nicht in erster Linie von staatlichen Interventionen abhängig, sondern von der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Einzelnen und der Unternehmen. Die – in ihrer Ausübung zu regulierenden – Verfassungsgarantien der Privatautonomie, der Vertragsfreiheit und des freien Wettbewerbs, des beruflichen und unternehmerischen Handelns und des Privatund Unternehmenseigentums sind deshalb Bedingungen des Sozialstaates und der Wirtschaftsfreiheit. Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands haben die beiden Staatsverträge 21 zur Herbeiführung der Rechts- und Wirtschaftseinheit 45 die Grundziele der sozialen Marktwirtschaft und der Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen ausdrücklich bekräftigt und zu deren Verwirklichung eine verhältnismäßig detaillierte Programmatik entwickelt. Darin kann eine verfassungsgestaltende Entscheidung über die Wirtschaftsordnung gesehen werden, auch wenn beide Staatsverträge jedenfalls für die Bundesrepublik Deutschland keinen Verfassungsrang besitzen. Beide Verträge verwirklichten 1990 staatspolitische Entscheidungen mit einer geschichtlichen Dimension und hatten bzw. haben eine grundlegende Bedeutung für die Integration der zentralen Verwaltungswirtschaft der DDR in die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Der Staatsvertrag vom Mai 1990 mit seinen Festlegungen über die Soziale Marktwirtschaft und die sie prägenden Grundsätze und Rechtsinstitute – Art 1 II, 2, 4 I, 11 StV in Verb mit dem Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze, bes A. II. Wirtschaftsunion – stellt dabei in gewisser Weise eine authentische Interpretation der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Staatsziele und Garantien des Grundgesetzes dar. Dagegen hat die – auch auf ältere Forderungen zurückgehende – Empfehlung in Art 5 EinV, sich im Zuge nach der Wiedervereinigung auch mit Überlegungen zur Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz zu befassen, nicht zum Erfolg geführt.

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BVerfGE 21, 245, 251. Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (Staatsvertrag) v 18. 5. 1990 (BGBl II 537); Einigungsvertrag v 31. 8. 1990 (BGBl II 889). – Schmidt-Preuß DVBl 1993, 236.

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b) Das unionale Wirtschaftsrecht Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung werden in erheblichem Umfang 22 durch das Unionsrecht bestimmt,46 das heute nach Maßgabe des am 1. 2. 2003 in Kraft getretenen Vertrages von Nizza vom 26. 2. 2001 gilt (zul geänd durch Art 11 ff. Beitrittsakte 2003, ABl 2003 Nr L 236/33). Seit der Einheitlichen Europäischen Akte v 1986/87 hat die wirtschaftliche Integration Europas und die Vollendung des Gemeinsamen Marktes in einem „Binnenmarkt“ zum 31. 12. 1992 (Art 14 EG) eine besondere Dynamik erhalten. Eine entscheidende Etappe auf diesem Weg war die zum 1. 1. 1999 in dritter Stufe verwirklichte Wirtschafts- und Währungsunion. Sie war bereits in der EEA konzipiert und ist dann nach Maßgabe des Vertrages von Maastricht in drei Stufen errichtet worden (Art 4 II, 105 ff EG).47 Im Kern besteht sie in der unwiderruflichen Festlegung der Wechselkurse im Hinblick auf die Einführung einer einheitlichen Währung – des Euro 48 –, verbunden mit der Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- und Wechselpolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen. Die Stabilitätsgarantie der europäischen Währung wird in nachhaltigem Wirtschaftswachstum und erfolg46

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Über Recht und Praxis der Europäischen Union unterrichten die jährlichen Berichte der BReg über die Integration der Bundesrepublik in die Europäische Union, zuletzt für Januar bis Dezember 2001, BT-Drucks 14/8565. – H.-P. Ipsen Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972; Schwarze Europäisches Verwaltungsrecht, 2 Bde, 1988; ders (Hrsg), EU-Kommentar, 2000; ders (Hrsg), Die rechtsstaatliche Einbindung der europäischen Wirtschaftsverwaltung, EuR Beiheft 2/2002; Brenner Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996; Schweitzer/Hummer Europarecht, 5. Aufl 1996; Steindorff EG-Vertrag und Privatrecht, 1996; Grabitz/Hilf Kommentar zur Europäischen Union, 3. Aufl 1997; Hatje Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998; Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999; Herdegen Europarecht, 6. Aufl 2004; Lenz EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl 2003; Oppermann Europarecht, 2. Aufl 1999; Geiger EUV/EGV, 4. Aufl 2004; Schwarze/Müller-Graff (Hrsg), Europäische Verfassungsentwicklung, EuR Beiheft 1/2000; Bieber/Epiney/Haag Die Europäische Union, 6. Aufl 2004; Streinz Europarecht, 6. Aufl 2003; Borchardt Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 2. Aufl 2002; P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl 2002; v. Bogdandy (Hrsg), Europäisches Verfassungsrecht, 2003; Della Cananea L’Unione europea, 2003; Streinz (Hrsg), EUV/EGV; De Quadros Direito da Uniao Europeia, 2004. Antworten der BReg auf eine Reihe Großer und Kleiner Anfragen zur Wirtschafts- und Währungsunion (BT-Drucks 13/3984), über die Zukunft der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion (BT-Drucks 13/2858, 13/2996, 13/4529, 13/4530) und über die Auswirkungen der Währungsunion (BT-Drucks 13/10416); Europäische Kommission, EURO 1999, Teil 1 Empfehlung und Teil 2 Bericht über den Konvergenzstand, 1998. – Steindorff EuZW 1996, 167; Möschel JZ 1998, 217; Selmayr AöR 124 (1999) 357. G zur Einführung des Euro (Euro-EinführungsG – EuroEG) v 9. 6. 1998 (BGBl I 1242); Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks 13/9347; Zwischenbericht v 28. 4. 1997 und Zweiter Bericht v 27. 3. 1998 des Arbeitsstabes Europäische Wirtschafts- und Währungsunion des Bundesministeriums der Finanzen und der Bundesministerien zur Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung (BT-Drucks 13/7727, 13/10251); Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks 13/10450. – Dittrich NJW 1998, 1269.

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reicher Wirtschaftspolitik gesehen (vgl Art 2 EG), zusätzlich gestützt durch die den beitretenden Mitgliedstaaten abverlangten Konvergenzkriterien,49 durch einen – in der Praxis freilich nur bedingt wirkungsvollen – Mechanismus zur Verhinderung übermäßiger Haushaltsdefizite 50 und durch das unabhängige Europäische System der Zentralbanken (Art 105 ff EG).51 Die notwendigen Änderungen des BBankG erfolgten durch die Novelle v 22. 12. 1997 (BGBl I 3274). In den letzten Jahren ist die Entwicklung des unionalen Wirtschaftsrechts neben der fortschreitenden – sekundärrechtlich gesteuerten 52 – Harmonisierung einzelner Referenzgebiete vor allem durch den immer umfassenderen Zugriff auf alle Bereiche der Daseinsvorsorge gekennzeichnet (Art 16, 86 EG); auf der Grundlage von Art III-122 VVE dürften die unionalen Vorgaben in diesem Bereich weiter zunehmen.53 Verfassungsrechtlich war zunächst die Ermächtigung in Art 24 I GG in Ver23 bindung mit dem Integrationsziel der Präambel Grundlage der Mitgliedschaft Deutschlands in den Europäischen Gemeinschaften. Auf Grund des durch die Novelle v 21. 12. 1992 geschaffenen Europa-Artikels 23 GG sind die Verträge von Maastricht (1992/93), Amsterdam (1997/99) und Nizza (2001/03) ratifiziert worden.54 Seitdem ist die Weiterentwicklung der europäischen Integration von verfassungsändernden Gesetzen abhängig 55; darüber hinaus ist auch die Europapolitik der Bundesregierung einschließlich ihres Abstimmungsverhaltens im Rat wesentlich der Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat unterworfen.56 Auch im Rahmen der europäischen Integration ist der Schutz der nationalen Verfassung Aufgabe der 49

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Art 121 EG; Protokoll Nr 21 des Unionsvertrages über die Konvergenzkriterien nach Art 121 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (1992). – Antwort der BReg auf eine Große Anfrage betr Teilnahmekriterien an der Europäischen Währungsunion, BT-Drucks 13/4531; Beschluß der BReg v 27. 3. 1998 zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, BT-Drucks 13/10250. Art 104 EG; Protokoll Nr 20 des Unionsvertrages über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (1992); zur Entwicklung seitdem EuGH NJW 2004, 2359 – Rs C-27/04 – Kommission/Rat (Defizitverfahren gg Deutschland und Frankreich) → JK 12/04 EGV Art 104/1. Galahan Die Deutsche Bundesbank im Prozeß der europäischen Währungsintegration, 1996; Menkhoff Geldpolitische Instrumente der europäischen Zentralbank, 1996; Stadler Der rechtliche Handlungsspielraum des europäischen Systems der Zentralbanken, 1996. Für den Postsektor siehe etwa RiL 97/67/EG (ABl 1998 Nr L 15/14); RiL 2002/39/EG (ABl Nr L 176/21). P. M. Huber L’armonizzazione dei servizi di interesse economico generale in europa es i suoi limit, Servizi pubblici e appalti, 1/2005, S. 85 ff. BVerfGE 89, 155; 97, 350 – A. Schmitt Glaeser Grundgesetz und Europarecht als Elemente Europäischen Verfassungsrechts, 1996; Scheuing Deutsches Verfassungsrecht und europäische Integration, in: Müller-Graff/Riedel (Hrsg), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, 1998, 157 ff. P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 4 Rn 13. Di Fabio Staat 32 (1993) 191; Everling DVBl 1993, 936; Scholz NVwZ 1993, 817; Badura FS Schambeck, 1994, 887; Breuer NVwZ 1994, 417; Magiera Jura 1994, 1; P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, §§ 11 Rn 50 ff, 19 Rn 10; P. M. Huber/D. Fröhlich FS v Arnim, 2004, 577, 590.

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nationalen Gerichte, insbes des BVerfG. Gegen die Anwendung von Rechtsakten der EG-Organe in Deutschland kann es aber erst dann eingreifen, wenn diese ihre Kompetenzen willkürlich überschreiten 57 oder sich Hoheitsrechte anmaßen, die ihnen verfassungsrechtlich (Art 23 I, 79 III GG) nicht übertragen werden könnten. Die Entscheidungs- und Regelungsvollmachten der EG-Organe sind nach dem 24 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung von einer vertragsbegründeten Kompetenzzuweisung abhängig (Art 5 EG); nur die vertragliche Ermächtigung durch die Mitgliedstaaten, nicht irgendein Rechtsakt der EG-Organe kann den Kompetenzraum der EU und der EG-Organe erweitern. Ihre Regelungs- und Entscheidungsbefugnisse sind jedoch nicht durch kompetenzrechtliche Materien umrissen, sondern durch die Ziele und Aufgaben bestimmt, aus denen sich die Befugnisse der Gemeinschaft ableiten.58 Das primäre, sekundäre und tertiäre Unionsrecht bildet eine einheitliche (Teil-) Rechtsordnung im Staaten- und Verfassungsverbund der EU, der gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten ein grundsätzlicher Anwendungsvorrang zukommt.59 Für die Mitgliedstaaten, ihre Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte kommt dieser vor allem dann zum Tragen, wenn sie das Unionsrecht umsetzen, ausführen oder anwenden.60 Die Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken, ist Sache der vor allem durch Richtlinien bewerkstelligten Rechtsangleichung (Art 94 ff, 249 III EG). Die mangelhafte Umsetzung einer Richtlinie kann zur Haftung des Mitgliedstaates im Wege eines Entschädigungsanspruchs führen, der seinen Rechtsgrund nach hM unmittelbar im Unionsrecht besitzt.61 Über diesen Tatbestand hinaus hat der EuGH den allgemeinen Rechtsgrundsatz aufgestellt, dass der Verstoß eines Mitgliedstaates gegen das Unionsrecht durch eine Handlung oder Unterlassung seiner Organe ihn zum Ersatz des dadurch verursachten Schadens verpflichtet, sofern der Verstoß eine Schutznorm zugunsten des Geschädigten betrifft und in dem Sinn „hinreichend qualifiziert“ ist, dass die dem Ermessen des Mitgliedstaates gesetzten Grenzen „offenkundig und erheblich“ überschritten worden sind.62 Er hat

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P. M. Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 5. Aufl 2005, Art 19 Abs 4 Rn 425. Everling EuR 1987, 214. EuGH Slg 1964, 1251 – Rs 6/64 – Costa/ENEL; BVerfGE 73, 339 → JK GG 24 I/1; 75, 223. Schwarze in: 40 Jahre Grundgesetz, Freiburger Ringvorlesung, 1990, 209; ders/Becker/ Pollak Die Implementation von Gemeinschaftsrecht, 1993. EuGH Slg 1991, I-5357 – Rs C-6/90 u C-9/90 – Francovich; EuGH Slg 1996, I-4845 – verb Rs C-178/94 ua – Dillenkofer/MP Travel Line; BGHZ 134, 30; Hailbronner JZ 1992, 284; Ossenbühl DVBl 1992, 993; Tomuschat FS Ulrich Everling, 1995, Bd II, 1585; Huff NJW 1996, 3190; P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 24 Rn 69 ff. EuGH Slg 1996, I-1029 – verb Rs C-46/93 u C-48/93 – Brasserie du pêcheur/Factortame III → JK EGV Art 5/1; Slg 1997, I-4051 – Rs C-373/95 – Maso; Slg 1998, I-2949 – Rs C-364/96; Slg 2000, I-5123 – Rs C-424/97 – Haim II → JK EGV Art 43/2; BGH DVBl 1997, 124. – Schockweiler EuR 1993, 107; Streinz EuZW 1993, 599; v Danwitz JZ 1994, 335; Detterbeck VerwArch 85 (1994) 159; Jarass NJW 1994, 881; Kopp DÖV 1994, 201;

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die unionsrechtlich radizierte bzw geforderte Staatshaftung damit an die außervertragliche Haftung der EG angepasst, die ihrerseits auf den allgemeinen Rechtsgrundsätzen beruht, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind (Art 288 II EG). Zu den auf die EU übertragenen Hoheitsrechten gehört auch die Aufgabe des ge25 richtlichen Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt, soweit die Verträge eine Jurisdiktion von EuGH, EuG und Gerichtlichen Kammern begründen. Die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge ist Aufgabe der unionalen Gerichtsbarkeit (Art 46 EU, Art 220 EG).63 Als „allgemeine Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“, gehören dazu namentlich die Grundrechte der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit.64 Der Unionsvertrag hat ein ausdrückliches Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit aufgenommen und die Rechtsprechung des EuGH insoweit kodifiziert. Nach Art 6 II EU achtet die EU die Grundrechte, wie sie in der am 4. 11. 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Die Konferenz von Nizza hat am 7. 12. 2000 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamiert, der bisher zwar keine normative Geltung beigelegt ist, die von unionalen wie nationalen Gerichten jedoch unabhängig davon als sog Soft law bereits Berücksichtigung findet 65. Die unionsrechtlichen „Grundrechte“ stellen materiellrechtliche Garantien rechtsstaatlicher Politik und Verwaltung dar, die eine Schranke für die Rechtsakte der – an das nationale Verfassungsrecht nur begrenzt und nur indirekt gebundenen – EG-Organe aufrichten, im Anwendungsbereich des Unionsrechts aber auch die Mitgliedstaaten binden (sa Art II-111 I 1 VVE)66.

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Everling EuZW 1995, 33; Ossenbühl FS Ulrich Everling 1995, 1031; Ehlers JZ 1996, 776; Streinz EuZW 1996, 201; Pfab Staatshaftung in Deutschland, 1997; Saenger JuS 1997, 865; Papier in: Rengeling (Hrsg), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 1998, Bd I, § 43. P. M. Huber in: Streinz (Hrsg), EUV/EGV, Art 220 Rn 11 f. EuGH Slg 1969, 419 – Rs 29/69 – Stauder; Slg 1979, 3727 – Rs 44/79 – Hauer; EuGH Slg 1989, 2859 – verb Rs 46/87 u 227/88 – Hoechst, Anm Scholz WuW 1990, 99. – Schwarze EuGRZ 1986, 293; Weber JZ 1989, 965; Everling in: Stern (Hrsg), 40Jahre Grundgesetz, 1990, 167; Pernice NJW 1990, 2409; Scholz FS Steindorff, 1990, 1413; Streinz DVBl 1990, 949; Lenz EuGRZ 1993, 585; Rengeling Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; Nettesheim EuZW 1995, 106; Ehlers (Hrsg), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2002; Schwarze FS Jochen F. Kirchhoff, 2002, 245. EuG Slg 2002, II-313 (Rn 57) – T-54/99 – max.mobil Telekommunikation Service GmbH/Kommission; Slg 2002, II-2365 (Rn 42, 47) – T-177/01 – Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission; BVerfGE 104, 219; Span. Tribunal constitucional, TC 292/2000 vom 30. 11. 2000; Streinz in: ders (Hrsg), EUV/EGV, GR-Charta Vorbem Rn 7 ff. EuGH Slg 1991, I-2925 – C-260/89 – ERT; Slg 1992, I-2575 – C-62/90 – Arzneimittelimporte; Slg 1997, I-3689 – C-368/95 – Familiapress; P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 8 Rn 59 ff; Streinz, EuropaR, Rn 368.

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Zur Wahrung des Rechts gehört unter subjektiv-rechtlichem Blickwinkel insbesondere die Gewährung von Individualrechtsschutz. Insoweit kommt der sonstigen Nichtigkeitsklage nach Art 230 IV EG besondere Bedeutung zu, die von natürlichen und juristischen Personen erhoben werden kann, wenn sie von Maßnahmen eines EG-Organs „unmittelbar“ und „individuell“ betroffen werden (zB einer Entscheidung der EU-Kommission, die eine nationale Beihilfe nicht genehmigt). Der EuGH interpretiert die Voraussetzungen der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit allerdings sehr restriktiv und verneint die Existenz eines – dem deutschen Recht vergleichbaren – umfassenden Individualrechtsschutzes. Eine grundrechtskonforme Auslegung von Art 230 IV EG im Lichte der unionalen Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art II-107 VVE) hält er für nicht zwingend.67 Im Unterschied zum Grundgesetz folgt der EG-V nicht dem Leitprinzip der „wirt- 26 schaftspolitischen Neutralität“, das dem Staatsinterventionismus bei Wahrung wirtschaftsfreiheitlicher und marktwirtschaftlicher Grundbedingungen breiten Raum gibt. Er ist ordnungspolitisch vielmehr auf Wirtschaftsfreiheit, Marktwirtschaft und unverfälschten Wettbewerb festgelegt (Art 2 EU; Art 2, 3, 4, 81 ff EG): „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“68. Marktfreiheit, Marktgleichheit und ein System unverfälschten Wettbewerbs sind somit die zentralen Grundsätze der unionalen Wirtschaftsverfassung.69 Die Grundfreiheiten (Art 23 ff EG) und die Wettbewerbsregeln (Art 81 ff EG) bilden vor diesem Hintergrund die Basis des unionalen Wirtschaftsrechts.70 Sie finden ihren Bezugspunkt im Binnenmarkt, dh in jenem Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des EG-V gewährleistet ist (Art 14 II EG). Der postulierte freie Wirtschaftsverkehr ist dabei nicht nur ein durch objektives Recht festgelegtes Programm, sondern zugleich in Grundfreiheiten des Einzelnen und der Unternehmen garantiert, die als subjektive öffentliche Rechte gegen die Mitgliedstaaten geltend gemacht werden können71. Sie stellen nicht nur bereichsspezifische Konkretisierungen des Diskriminierungsverbotes aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art 12 EG) dar, sondern verbürgen dem Einzelnen darüber hinaus einen grundsätzlichen Freiheitsanspruch im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr. Die wichtigste Folgerung daraus ist das vom EuGH entwickelte Ursprungs- oder Herkunftslandprinzip, dh die Geltung des Grundsatzes, dass Waren und Dienstleistungen in der gesamten EU verkehrsfähig sind, wenn sie den rechtlichen Anforderungen des Herkunftslandes genügen. Aus der Rechtsordnung des Bestimmungslandes stammende Hindernisse des innergemeinschaftlichen Han67

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EuGH Slg 1963, 197 – Rs 25/62 – Plaumann/Kommission; Slg 2001, I-8949 – Rs C-451/98 – Antillean Rice Mills/Rat; Slg 2002, I-6677 – Rs C-50/00 P – Union Pequenos Agricultores/Rat → JK 1/03 EGV Art 230 IV/2; NJW 2004, 2006 – Rs C-263/02 P – Jégo-Quéré → JK 12/04 EGV Art 230 IV/3; krit Braun/Kettner DÖV 2003, 58, 64 f; P. M. Huber in: Streinz (Hrsg), EUV/EGV, Art 220 Rn 16. Storr Der Staat als Unternehmer, 256 ff; P. M. Huber FS Badura, 2004, 897, 907 ff. Achtes Hauptgutachten der Monopolkommission 1988/1989, BT-Drucks 11/7582, 408 ff. Kilian Europäisches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl 2003; Nicolaysen Europarecht: 2. Das Wirtschaftsrecht im Binnenmarkt, 1996; Schwarze DVBl 1996, 881. P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 17 Rn 46.

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dels müssen nur hingenommen werden, wenn sie durch bestimmte zwingende Erfordernisse des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sind.72 Die Niederlassungsfreiheit (Art 43 EG) ist lex specialis zu den anderen Grundfreiheiten, wenn eine Firmengruppe mit Sitz in mehreren Mitgliedstaaten Waren und Dienstleistungen vertreibt;73 sie verbürgt das Recht zur Gründung von Zweigniederlassungen 74 und zur Verlegung des Verwaltungssitzes nach Maßgabe des Rechts des Herkunftslandes.75 Der Versuch der EU-Kommission, diesen Grundsatz für alle von Art 50 EG erfassten Tätigkeiten in einer sog Dienstleistungsrichtlinie festzuschreiben, Hindernisse für den freien Diensleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit unter Verzicht auf eine Harmonisierung zu beseitigen und den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Begrenzung dieser Grundfreiheiten weitgehend auszuschließen76, ist allerdings auf Widerstand gestoßen77. Als dritten Pfeiler des Binnenmarktes etabliert der EG-V schließlich „ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt“ (Art 3 lit g EG) und ein wesentliches Element zur Verwirklichung der Gemeinschaftsaufgaben (Art 2, 4 EG) darstellt. Dagegen überlässt der EG-V den Mitgliedstaaten grundsätzlich die politische Gestaltungsfreiheit hinsichtlich ihrer Eigentums- und Unternehmensordnung (Art 295 EG) 78, die Regelung der Dienste von allgemeinem und bis zu einem gewissen Grade auch (noch) der „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (Daseinsvorsorge, service public, gemeinwohlorientierte Dienstleistungen; Art 86 II und 16 EG, Art III-122 VVE) 79. c) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ und ihre Europäisierung 27 Da das Grundgesetz den Gesetzgeber auf das sozialstaatliche Verfassungsprogramm verpflichtet hat und so Ziel und Richtung der Wirtschaftspolitik der gesetzgeberischen Disposition entzieht, kann sich der Grundsatz der „wirtschaftspolitischen Neutralität“ des Grundgesetzes nur auf die Art und Weise der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, auf die Mittel der Wirtschaftspolitik beziehen.80 Hinsichtlich dieser Mittel hat die Neufassung des Art 109 GG durch das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v 8. 6. 1967 (BGBl I 581) insofern eine Verdeutlichung des Wirtschaftsverfassungsrechts bewirkt, als mit der Festlegung der staatlichen 72

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EuGH Slg 1979, 649 – Rs 120/78 – Cassis de Dijon. – Everling Die Cassis de Dijon Rechtsprechung des EuGH und ihre Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft, 1987. EuGH Slg 2001, I-837 – Rs C-108/96 – Strafverfahren gegen Dennis Mc Quen ua. EuGH Slg 1999, I-1459 – Rs C-212/97 – Centros EuGH Slg 2002, I-9919 – Rs C-208/00 – Überseering → JK 5/03 EGV Art 43/3. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt – KOM(2004) 2 endg/2; SEK (2004) 21; Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse – KOM(2004) 374 endg. European Parliament (ed), Hearing Internal Market Committee, Nov 11th 2004, 2005. Siehe aber Böhmann Privatisierungsdruck des Europarechts, 2001. EuGH Slg 2001, I-9067 – Rs C-53/00 – Ferring; Slg 2003, I-7747 – Rs C-280/00 – Altmark Trans; DVBl 2004, 555 – Rs C-264/01 ua – AOK Bundesverband/Ichtyol. BVerfGE 22, 180.

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Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ das an sich bereits vom Sozialstaatssatz umfasste Mandat zur Konjunktur- und Wachstumspolitik ausdrücklich bekräftigt wird. Die Bedeutung des Art 109 GG erschöpft sich nicht in der konjunkturpolitischen Einbindung der Haushalts- und Finanzpolitik, in der sozialstaatlich bedingten Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur und in der Ausrichtung der kommunalen Finanzhoheit an den konjunkturpolitischen Erfordernissen. Folgerichtig greift das aufgrund Art 109 GG erlassene StWG81 über den haushalts- und finanzwirtschaftlichen Verfassungsauftrag hinaus. Es bindet Bund und Länder nicht nur bei ihren finanziellen, sondern auch bei ihren wirtschaftspolitischen Maßnahmen an die in Art 109 GG nur in einer Generalklausel ausgedrückten, in § 1 StWG genauer angegebenen Grundsätze der Konjunktur- und Wachstumspolitik. Diese Grundsätze, wie auch die zugrunde liegende Generalklausel des Verfassungsrechts, bilden eine Direktive für Parlament und Regierung, sind aber nicht eine Grundlage für individuelle Ansprüche. Das Stabilitätsgesetz trifft vor allem eine Anzahl von Vorkehrungen zur Vorbereitung und Unterstützung konjunkturpolitischer Maßnahmen. Es verpflichtet die Bundesregierung zur Vorlage eines Jahreswirtschaftsberichtes (§ 2) 82 und zur Aufstellung von Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten („konzertierte Aktion“) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Wahrung der Ziele des § 1 (§ 3) und zur Vorlage zweijähriger Subventionsberichte (§ 12 II).83 Bund und Länder werden zu einer fünfjährigen Finanzplanung verpflichtet (§§ 9, 10, 14 StWG; §§ 50 ff HGrG).84 Zu den im Stabilitätsgesetz vorgesehenen Maßnahmen gehören Konjunkturausgleichsrücklagen und Kreditaufnahmen (§§ 5–8, 13, 14, 15), Kreditlimitierungen zu Lasten der öffentlichen Haushalte (§§ 19 ff) und Veränderungen des Steuersatzes der Einkommen- und der Körperschaftsteuer im Wege der Rechtsverordnung (§§ 26 Nr 3, 27). Wirklich bewährt haben sich diese Instrumente der auf die Lehren von J. M. Keynes zurückgehenden antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik freilich nicht. Ihre Bedeutung ist daher auch stark zurückgegangen. Hinzu kommt die Europäisierung der von Art 109 II GG und § 1 StWG angeordneten Verpflichtung der gesamten Haushaltswirtschaft auf das gesamtwirtschaft81

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Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; Stern/Münch/ Hansmeyer Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl 1973; Schmidt Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971; ders Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, 302 ff; Scheuner FS Schäfer, 1975, 109; Badura FS Ipsen, 1977, 367; Bleckmann JuS 1991, 536. – BVerfGE 79, 311, 331 ff zu Art 109 Abs 2 GG. Jahreswirtschaftsbericht 2005 der BReg, BT-Drucks 15/4700. – Dazu: Jahresgutachten 2004/05 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks 15/4300. Bericht der BReg über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2001 bis 2004 (19. Subventionsbericht), BT-Drucks 15/1635. Zuerst: Beschluß der BReg v 6. 7. 1968 über die Finanzplanung des Bundes bis 1971 (Bulletin 1968, Nr 73); zuletzt: Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008, BT-Drucks 15/3661 – Graf Vitzthum Parlament und Planung, 1978, 164 ff.

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liche Gleichgewicht. Indem die Art 4 und 105 EG und der sie innerstaatlich konkretisierende Art 885 S. 2 GG der Preisstabilität Vorrang vor den anderen Zielen des „magischen Vierecks“ einräumen, schränken sie – jedenfalls bei einer rechtstreuen Anwendung der unionsrechtlichen Vorgaben – die Möglichkeiten nationaler Konjunktur- und Wirtschaftspolitik empfindlich ein. Die Freiheit des Außenhandels ist der Grundsatz, auf dem das Außenwirtschafts28 recht der Bundesrepublik Deutschland beruht.85 Der „Freihandel“ ist das außenwirtschaftliche Pendant der Gewerbefreiheit. Das bedeutsamste Instrument für einen freien Welthandel und den Abbau des Protektionismus war lange Zeit das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade v 30. 10. 1947, BGBl 1951 II 173, 200). An dessen Stelle ist am 1. 1. 1995 die WTO getreten (World Trade Organization, Welthandelsorganisation, Vertrag v 15. 4. 1994, ABl EG Nr L 336/1).86 Auch die Außenwirtschaftspolitik Deutschlands und die Maßnahmen gegen außenwirtschaftliche Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (§§ 1, 4 StWG) 87 sind durch das Unionsrecht und die auf die EG-Organe übergegangene Außenhandelskompetenz (Art 131 EG) beschränkt. Die Ermächtigung der Bundesregierung in § 7 I Nr 2 und 3 AWG, durch Rechtsverordnung Exportbeschränkungen zu erlassen, um eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu verhüten, ist rechtswirksam.88

3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft 29 Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sichert die Entscheidungsvollmacht des parlamentarischen Gesetzgebers für alle die Regelungen und Maßnahmen auf dem Gebiete des Öffentlichen Wirtschaftsrechts, durch die individuelle Rechte oder Pflichten begründet, verändert oder beschränkt werden. In dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes liegt zugleich die Garantie

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AußenwirtschaftsG; AußenwirtschaftsVO idF v 22. 11. 1993 (BGBl I 1934) m Änderungen. – Schmidt VVDStRL 36 (1978) 65; ders Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, 199 ff; Fikentscher Wirtschaftsrecht, Bd I, 1983; Bryde in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 5; ders Außenwirtschaftsrecht in: R. Schmidt (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes Teil 2, 1996, § 14; Epping Außenwirtschaftsfreiheit, 1998; M. Weber JA 1990, 73; Hucko/Wagner Außenwirtschaftsrecht, 9. Aufl 2003; Gramlich WUR 1991, 22; A. v. Bogdandy VerwArch 83 (1992) 53; Pottmeyer DWiR 1992, 133; Ehlers/Wolffgang (Hrsg), Rechtsfragen der Ausfuhrkontrolle und Ausfuhrförderung, 1997. Beise Die Welthandelsorganisation (WTO), 2001; Krajewski Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), 2001; Grave Der Begriff der Subvention im WTO-Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, 2002. BVerfGE 30, 250 – AbsicherungsG von 1968. BVerwG DÖV 1992, 445. – Das Irak-Embargo wegen der Invasion in Kuwait beruhte konstitutiv auf der VO/EG Nr 2340/90 des Rates v 8. 8. 1990 (BGH JZ 1994, 725 m Anm Herdegen). Zur Staatshaftung: Kadelbach JZ 1993, 1134.

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der Freiheit des Einzelnen vor gesetzlosem oder gesetzwidrigem Zwang.89 Der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte Grundsatz, dass alle für die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten des Einzelnen „wesentlichen“ Regelungen durch Gesetz zu treffen sind,90 bestärkt – von anderen Folgerungen abgesehen – die rechtsstaatliche Anforderung, dass ein Gesetz, das zu Eingriffen der Verwaltung in Freiheit und Eigentum ermächtigt oder sonst grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen oder Wirkungen zur Folge haben kann, den Handlungsbereich der Exekutive hinreichend bestimmt abgrenzen muss. Einer gesetzlichen Grundlage bedürfen auch der Exekutive zuzurechnende eingriffsgleiche Auswirkungen hoheitlichen Handelns, die nicht auf einem Verwaltungsakt beruhen, sondern informelle oder faktische Verwaltungstätigkeiten sind.91 Der Vorrang des Gesetzes bedeutet für die Wirtschaftspolitik und auch sonst 30 nicht, dass die Funktion der Regierung praktisch oder dem Prinzip nach schlechthin in Abhängigkeit von der parlamentarischen Entscheidung und der Gesetzgebung zu sehen wäre. Die im Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems bestehende selbständige Initiative und Entscheidungsaufgabe der Regierung, dh insbes der Regierungschefs und der zuständigen Ressortminister in Bund und Ländern, hat in der Wirtschaftspolitik ein besonderes Gewicht. Auf die verfassungsrechtliche Grundbeziehung zwischen Parlament und Regierung kommt es nicht zuletzt für die in die politische Planung (Aufgabenplanung) eingebettete Wirtschaftsplanung an,92 dh für die planmäßige Wirtschaftslenkung durch verbindliche oder mittelbar wirksame Planungsakte staatlicher Organe. Der für die wohlfahrtsstaatliche Sozialgestaltung charakteristische instrumentale 31 Charakter des Gesetzes tritt im Bereich der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung besonders deutlich zutage. Das „Maßnahme-Gesetz“ 93 stellt nicht, wie das verwaltungsrechtliche Gesetz des liberalen Staates, in auf dauerhafte Geltung angelegter Abstraktheit der Exekutive Ermächtigungen zum „Vollzug“ im Einzelfall zur Verfügung, sondern greift als situationsbezogene normative Aktion selbst intervenierend und gestaltend in einen Sozialbereich ein, um in ihm einen gewünschten Zustand 89

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Jesch Gesetz und Verwaltung, 1961; Rupp Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965; Vogel/Herzog VVDStRL 24 (1966) 125, 183; Ossenbühl Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 62; Scheuner DÖV 1969, 565; ders GS Marcic, 1974, 889; Papier Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, 1973; Badura FS Steindorff, 1990, 835. BVerfGE 33, 125; 34, 304; 40, 237, 248 ff; 41, 251, 259 f; 45, 400, 417 f; 47, 46, 78 f; 49, 89, 124 ff. BVerwGE 71, 183 (Transparenzliste); 75, 109 (Subventionsbetreuer); 87, 37 (Diethylenglykol); BVerwG DVBl 1996, 807 (Warentest). – Bauer VerwArch 78 (1987) 241; Robbers DÖV 1987, 272; Murswiek DVBl 1997, 1021; Kloepfer Staatliche Informationen als Lenkungsmittel, 1998; Bethge JA 2003, 327; P. M. Huber JZ 2003, 290; Murswiek NVwZ 2003, 1; aA BVerfGE 105, 252 (Glykol); 105, 279 (Osho). Kaiser (Hrsg), Planung I–VII, 1965 ff; Scheuner FS f Weber, 1974, 369; Graf Vitzthum Parlament und Planung, 1978; Ritter Staat 19 (1980) 413. Beispiele InvestitionshilfeG v 7. 1. 1952 (BGBl I 7); Mitbestimmungs-ÄnderungsG v 27. 4. 1967 (BGBl I 505). – Ipsen AöR 78 (1953) 284; Forsthoff GS Jellinek, 1955, 221; K. Huber Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz, 1963; E. R. Huber in: ders (Hrsg), Bewahrung und Wandlung, 1975, 215, 265 ff; Schneider Gesetzgebung, 3. Aufl 2002, 142 ff.

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herzustellen oder zu erhalten. Die Charakterisierung eines Gesetzes als „Maßnahme-Gesetz“ führt zu keinen spezifischen verfassungsrechtlichen Maßstäben.94 Das „Plan-Gesetz“ legt für eine bestimmte Sachaufgabe und für einen bestimmten Zeitraum das Ziel und die Mittel der Aufgabenerfüllung fest.95 Planung durch Gesetz ist, wenn dafür besondere Gründe bestehen, auch in der Weise möglich, dass über die Gestattung eines Vorhabens entschieden werden soll.96 Das „RichtlinienGesetz“ normiert ein bestimmtes politisches Programm durch Abwägungsgrundsätze, die für das einschlägige Handeln der Exekutive, aber auch der künftigen Gesetzgebung verbindlich sein sollen.97 Das in der Gesetzgebung insgesamt zu beobachtende Bedürfnis, technische, 32 untergeordnete und situationsbezogene Regelungen durch eine Delegation der Verordnungsgewalt der Exekutive zu überlassen, macht sich im Bereich der Wirtschaftspolitik und auch sonst in Gestalt von gesetzlichen Ermächtigungen oder „Ermächtigungs-Gesetzen“ geltend. Die Rechtsverordnung ist ein Regelungsinstrument der Exekutive, mit der diese aufgrund Gesetzes, aber mit einer selbständigen Vollmacht normativen Ermessens, zu raschem, flexiblem und von spezialisiertem Sachverstand geleitetem Handeln im Wege der Rechtsetzung befähigt ist.98 Derartige Ermächtigungen sind im Bereich der Wirtschaftsverwaltung häufig Generalklauseln mit der Einräumung eines weit gespannten Spielraums normativer Gestaltung, wie zB in § 2 I PreisG und in § 11 EnergiewirtschaftsG. Sie sind mit dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit (Art 80 I 2 GG) vereinbar, wenn die Eigenart des geregelten Gegenstands eine genauere Substantiierung im Gesetz selbst ausschließt und die mit Hilfe von Zweck und Regelungszusammenhang des Gesetzes auszulegende Ermächtigungs-Generalklausel Programm, Tendenz und Reichweite der durch sie zugelassenen exekutivischen Rechtsetzung erkennen lässt.99 Dagegen schließt die Stellung der Rechtsverordnung unter dem Gesetz – vorbehaltlich ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ermächtigung (Art 115 k I, 119 GG) – gesetzesvertretende und -ändernde Rechtsverordnungen, wie sie sich im Öffentlichen Wirtschaftsrecht zuhauf finden, aus. Das wird auch durch Art 129 III GG bestätigt und kann weder unter Hinweis auf Praktikabilitätsbedürfnisse noch mit dem Argument relativiert werden, das betreffende Gesetz habe durch die Aufnahme eines Verordnungsvorbehalts seine eigene Abänderung bereits vorausgesehen.100 94 95

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BVerfGE 4, 7; 25, 371; P. M. Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art 19 Abs 1 Rn 63. Badura FS Hans Huber, 1981, 15. – Beispiel FernstraßenausbauG idF v 15. 11. 1993 (BGBl I 1878). BVerfGE 95, 1 (Südumfahrung Stendal) → JK GG Art 20 II 2/2, Anm Hufeld JZ 1997, 302; Schneller ZG 1998, 179. Beispiele: §1 StabG; das dem Staatsvertrag v 18. 5. 1990 (Fn 21) beigefügte Gemeinsame Protokoll über Leitsätze. Wilke AöR 98 (1973) 196; Lepa AöR 105 (1980) 337; Ossenbühl FS Huber, 1981, 283; Badura GS Martens, 1987, 25. – BVerwGE 70, 318. BVerfGE 8, 274, 311; 20, 257; 28, 66; 33, 358; 34, 52; 42, 191; 58, 283 → JK GG Art 12 I/7. – Hasskarl AöR 94 (1969) 85. P. M. Huber AllgVwR, 45; aA die hM BVerfGE 2, 307; 8, 155; Bauer in: Dreier, GG II, Art 80 Rn 18; Brenner in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 80 Abs 1 Rn 27; Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 19.

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Die Ausführung der Gesetze und die ohne besondere gesetzliche Ermächtigung 33 wahrgenommene Aufgabenerfüllung durch die Exekutive ist vielfach durch Verwaltungsvorschriften geregelt, die von der Bundesregierung (Art 84 II, 85 II GG), Ministerien oder sonstigen übergeordneten Behörden für die nachgeordneten Dienststellen kraft ihrer Amtsgewalt erlassen werden. Abgesehen von den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften 101 sind sie keine Rechtssätze. Soweit sie Instruktionen für die Ausübung von Ermessen geben, kann ihnen über den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 I GG) und den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes eine mittelbare, quasinormative „Außenwirkung“ zukommen. Denn im Rahmen der „Selbstbindung der Verwaltung“ können sie Grundlage von Rechten und Pflichten einzelner sein.102 Für die Wirtschaftsverwaltung bedeutsame Beispiele für die verwaltungsinterne Regelungsvollmacht der Exekutive sind etwa Subventions- oder Vergaberichtlinien. Die Zuständigkeiten zur wirtschaftspolitischen Gesetzgebung liegen weitgehend 34 in der Hand des Bundes, dem die Aufgabe zufällt, die Wirtschaftseinheit innerhalb Deutschlands zu wahren (vgl Art 72 II GG). Die zT sehr ausführlichen Bestimmungen einiger Landesverfassungen über das Wirtschaftsleben (insbes Art 151 ff BayVerf; Art 27 ff HessVerf) sind dadurch praktisch bedeutungslos.103 Der Bund besitzt für einzelne Bereiche teils ausschließliche (Art 73 Nr 4, 5, 6, 6 a, 7, 9 GG), teils konkurrierende (Art 74 I Nr 1, 11 a, 15, 16, 17, 18, 20 GG) Zuständigkeiten sowie allgemein für das „Recht der Wirtschaft“ (Art 74 I Nr 11 GG) die konkurrierende Kompetenz zur Gesetzgebung. Zur Materie „Recht der Wirtschaft“, die im weiten Sinn zu verstehen ist und durch die in dem Klammerzusatz angegebenen Gegenstände nur beispielhaft erläutert wird, gehören Gesetze, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen, alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnde Normen, die sich in irgendeiner Weise auf die berufliche Tätigkeit oder die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen.104 Zu dieser Materie zählen auch wirtschaftslenkende Ausgleichsabgaben, zB im Rahmen einer Marktordnung, sowie sonstige wirtschaftsbeeinflussende Sonderabgaben.105 Die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die Anforderungen an eine bundeseinheitliche 101

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BVerfGE 61, 82; 78, 214; BVerwGE 72, 300; 80, 257; BVerwG NVwZ 1988, 824; BayVGH NVwZ 1996, 284; OVG NW NVwZ 1988, 173; P. M. Huber Die TA Siedlungsabfall und ihre Bindungswirkung, 2000, 28; Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 53; siehe aber auch EuGH Slg 1991, I-2567 – Rs C-361/88 – TA-Luft; Slg 1991, I-2607 – Rs C-59/89. BVerwGE 34, 278; 35, 159; BVerwG DÖV 1979, 793; BVerwG DVBl 1982, 195; BVerwG NJW 1982, 1168. – Ossenbühl FS BVerwG, 1978, 433; ders in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 48 ff; Gerhardt NJW 1989, 2233; Hill NVwZ 1989, 401. Böckenförde/Grawert DÖV 1971, 119; Papier in: Starck/Stern (Hrsg), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, 1983, Bd III, 319. BVerfGE 4, 7, 13; 5, 25, 28 f; 8, 143, 148 f; 26, 246; 28, 119; 41, 344; 68, 319. – Rengeling BK, Art 74 Nr 11, Zweitbearb, 1983. BVerfGE 4, 7, 13 ff; 18, 315, 328; 37, 1, 16 f; 55, 274 (Anm Stettner DVBl 1981, 375; Osterloh JuS 1982, 421); 57, 139; 67, 256 (Anm Kirchhof ZIP 1984, 1423; Hofmann DVBl 1986, 537); 78, 249; 82, 159 → JK GG 101 I 2/5; 91, 186; BVerwG DVBl 1984, 1175.

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Regelung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung allerdings spürbar verschärft und will sie nur noch zulassen, wenn sich die Lebensverhältnisse in Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander zu entwickeln drohen, eine unzumutbare Rechtszersplitterung oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft drohen (Art 72 II GG).106 Mit Blick auf das LSchlG liegen diese Voraussetzungen zB nicht (mehr) vor, was es dem Bund verwehrt, eine grundlegende Neukonzeption in diesem Bereich zu verwirklichen.107 Am Übergewicht bundesrechtlicher Regelungen im nationalen Öffentlichen Wirtschaftsrecht wird dies gleichwohl nichts ändern.

4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit a) Rechtsstaatliche Anforderungen; Grundsätze der willkürfreien Sachgerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit 35 Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung und die Tätigkeit der zur Wirtschaftsverwaltung zuständigen Behörden finden in den Grundrechten direktive Gebundenheit und normative Begrenzung. Ist die öffentliche Hand in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen somit Verpflichtete der Grundrechte (Art 1 III GG), so folgt daraus, dass sie nicht zugleich grundrechtsberechtigt sein kann (Konfusionsthese).108 Das Grundgesetz kennt allerdings weder ein allgemeines Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit noch eine verfassungsrechtliche Festlegung der freien Unternehmensund Wettbewerbstätigkeit als eines leitenden Ordnungsprinzips für die Wirtschaftspolitik. Der Grundrechtsschutz der selbständigen Unternehmenstätigkeit und für die privatautonome Organisation der Unternehmen ist auf eine Anzahl von Grundrechtsverbürgungen mit unterschiedlichen Inhalten und Gesetzesvorbehalten verstreut.109 Neben den Basisfreiheiten des Berufs (Art 12 I GG), des Eigentums (Art 14 GG) und der (subsidiären) allgemeinen Handlungsfreiheit wirtschaftlicher Betätigung (Art 2 I GG) gehören hierzu die wirtschaftliche Assoziationsfreiheit (Art 9 I GG), die für das Gesellschaftsrecht und das Recht der Wirtschaftsverbände maßgebend ist, die wirtschaftliche Freizügigkeit im Bundesgebiet (Art 11 GG) und Art 5 I 1 GG, der nach hM auch die kommerzielle Wirtschaftswerbung schützt. Das unternehmerische Handeln und der Wirtschaftsverkehr vollziehen sich regelmäßig nach den Vorschriften und mit den Mitteln des Privatrechts. Die in den Grundrechten niedergelegte objektive Wertordnung entfaltet sich „durch das Medium“ der Privatrechtsordnung, mittelbar, hauptsächlich als Leitlinie für die Ermittlung der Vertragsgerechtigkeit und der allgemeinen Wertmaßstäbe, auf die die zivilrecht106 107 108

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BVerfGE 106, 62 (Altenpflege). BVerfG DVBl 2004, 2363 (Ladenschluss) → JK 11/04 GG Art 12 I/74. BVerfGE 61, 82; BVerfG NVwZ 2002, 1366 → JK 2/03 GG Art 134 III/1 (keine Berufung der Gemeinden auf Art 14 GG); P. M. Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 5. Aufl 2005, Art 19 Abs 3 Rn 251 mwN. Saladin/Papier VVDStRL 35 (1977) 7, 55; Badura DÖV 1990, 353; Ossenbühl AöR 115 (1990) 1; Papier in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, §18 Rn 27 ff; Kluth in: Schmidt-Aßmann/Dolde (Hrsg), Beiträge zum öffentlichen Wirtschaftsrecht, ZHR-Beiheft, 2005, 11, 19 ff.

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lichen Generalklauseln (§§ 138, 242, 315 BGB) verweisen.110 Bei ihrer Auslegung und Anwendung hat der Zivilrichter deshalb Bedeutung und Tragweite der betroffenen grundrechtlichen Schutzgüter zu berücksichtigen, konkretisiert er die den Staat treffende Schutzpflicht zugunsten derjenigen, die nicht selbst für deren Integrität Sorge tragen können. Ein gewisses Maß an Konstitutionalisierung des Privatrechts ist deshalb unvermeidbar.111 Jedes Gesetz, das Inhalt und Schranken eines Grundrechts bestimmt, muss mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 I GG) und mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. Diese beiden Verfassungsgrundsätze sind gerade für die sozialgestaltenden Rechtssätze des ordnenden und lenkenden Wirtschaftsgesetzgebers die ausschlaggebenden Maßstäbe. Sie entfalten ihre Bindungskraft im Sachzusammenhang mit dem durch eine staatliche Regelung oder Maßnahme berührten Grundrecht. Dasselbe gilt für den rechtstaatlichen Grundsatz der Rechtssicherheit, der Verlässlichkeit des Rechts, der für den Einzelnen vor allem Vertrauensschutz bedeutet. Im Unterschied zur Eigentumsgarantie, die den dem Einzelnen zustehenden vermögenswerten Rechten Bestandsschutz bietet, umfassen die anderen Wirtschaftsfreiheiten, die Berufsfreiheit und subsidiär die allgemeine Handlungsfreiheit, den Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand der dem wirtschaftlichen Handeln zugrunde gelegten Rechtslage. Damit ist nicht ein Vertrauen auf unverändertes Fortbestehen der dem Einzelnen günstigen Gesetze, sondern das Vertrauen darauf zu verstehen, dass ein Gesetz, das einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründet hat, nicht ohne besonderen und überwiegenden Grund des öffentlichen Interesses „rückwirkend“ nachteilig geändert wird. Eine gesetzliche Regelung verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz nach der über- 36 kommenen Rechtsprechung des BVerfG, wenn sie eine sachlich nicht gerechtfertigte „willkürliche“ Differenzierung oder Nichtdifferenzierung von Sachverhalten oder Personengruppen bewirkt, dh wenn sie ohne vernünftige, sich aus der Natur der Sache ergebende oder sonst sachlich einleuchtende Gründe gleiche Tatbestände ungleich oder ungleiche Tatbestände gleich behandelt und die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung evident ist.112 Die Beurteilung einer Regelung als „willkürlich“ bezieht sich nicht auf die Motive oder sonstige subjektive Beweggründe der an der gesetzgeberischen Entscheidung beteiligten Personen, sondern auf die tatsächliche und eindeutige „objektive“ Unangemessenheit einer Norm im Verhältnis zu der Sachlage, für die eine Regelung getroffen wird.113 Eine Regelung ist dann nicht willkürlich, wenn die durch sie bewirkte Unterscheidung oder Gleichsetzung durch einen sachlichen Grund des öffentlichen Interesses von hinreichendem Gewicht gerechtfertigt ist, wobei es zuerst Sache des Gesetzgebers ist, das öffentliche Interesse für den betroffenen Sachbereich zu definieren und die sachlich in Betracht 110 111

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BVerfGE 7, 198; 42, 143; 81, 242 → JK GG 1 III/5; 89, 214. Dazu Oeter AöR 119 (1994) 529; Isensee JZ 1996, 1085; Ruffert Verfassung und Privatrecht, 2001; Hermes VVDStRL 61 (2002) 119. BVerfGE 1, 14, 52; 19, 101, 115; 19, 354, 367 f; 26, 172, 185; 28, 227; 30, 59; 38, 187; 38, 213; 39, 316; 55, 72, 90. – Rupp FG für das BVerfG, 1976, II, 364; Hesse AöR 109 (1984) 174; P. Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 124. BVerfGE 2, 266, 281; 4, 144, 155; 42, 64, 73; 51, 1, 26 f.

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kommenden Regelungsbedürfnisse zu bestimmen. Das Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als Willkürverbot (Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit) geht auf die Weimarer Zeit zurück. Es gibt dem wirtschaftslenkenden Gesetzgeber, dessen Intention gerade die aus wirtschafts-, sozial- oder gesellschaftspolitischen Gründen gebotene Gestaltung, dh differenzierende Veränderung der Wirtschaftsstruktur oder der Wettbewerbsverhältnisse ist, erheblichen Spielraum.114 Beispielsweise ist es ein legitimes Mittel staatlicher Wirtschaftspolitik, einen gewissen Ausgleich zwischen schwächeren und leistungsfähigeren Mitgliedern einer Gruppe zu Lasten der zweiten herbeizuführen.115 Berührt die nach Art 3 I GG zu beurteilende Regelung zugleich andere Verfas37 sungsgüter, zB den Sozialstaatssatz oder grundrechtliche Positionen und Gewährleistungen 116, und das ist idR der Fall, so sind dem Gestaltungsraum engere Grenzen gezogen.117 Mit der „Neuen Formel“ hat das Bundesverfassungsgericht Art 3 I GG spezifischer als Gleichbehandlungsgebot gefasst. Nach dieser – auch dem gemeineuropäsichen Gleichheitssatz besser entsprechenden 118 – Konzeption setzt eine Ungleichbehandlung von Personengruppen und Sachverhalten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht voraus, dass sie die unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen vermögen.119 Empirisch erhebbare Sachgegebenheiten sind insoweit Voraussetzung und Grundlage der wertenden, dh differenzierenden Entscheidung des Gesetzgebers. Es war zunächst nicht sicher, ob damit auch eine erhöhte verfassungsgerichtliche Kontrolldichte in dem Sinne verbunden ist, dass sich die verfassungsrechtliche Prüfung auf die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erstreckt.120 Das kann mittlerweile jedoch als gesichtert gelten. Vor diesem Hintergrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgehalt und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit reichen.121 Dies geht einher mit einer differenzierten verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte, je nachdem, ob es sich um verhaltensbezo114

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Triepel Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, 1924, 26 ff; BVerfGE 110, 274, 293 (Ökosteuer). BVerfGE 4, 7, 18 f, 24; 12, 354, 367; 17, 210, 216 f; 18, 315, 331 f, 340; 19, 101; 21, 160; 25, 1, 12, 17; 30, 250, 270 f; 30, 292, 317, 319; 33, 171, 189 f; 36, 321, 330 ff; 40, 109. BVerfGE 88, 87, 96; 99, 367, 388; P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 524. BVerfGE 19, 101, 114; 21, 292, 299; 23, 50, 59 f; 37, 1, 28 ff. Art 3 II, 12, 34 II 2, 141 EG; EuGH Slg 1977, 1753 – verb Rs 117/76 u 16/77 – Ruckdeschel; Slg 1977, 1795 – verb Rs 124/76 u 20/77 – Maisgritz; Slg 1986, 3477 – verb Rs 201 u 202/85 – Marthe Klensch; 1997, I-6363 – C-409/95 – Marschall; P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 8 Rn 48 f, 70. BVerfGE 37, 342, 353f; 44, 263, 389 f; 55, 72, 88; 60, 123, 134; 62, 256, 274; 79, 106, 121 f; 82, 126, 146; 95, 143, 155. – Zacher AöR 93 (1968) 341; Sachs JuS 1997, 124; Krugmann JuS 1998, 7. So die abwM Katzenstein BVerfGE 74, 9, 28; s jedoch Hesse AöR 109 (1984) 174, 191; ders Grundzüge, 20. Aufl 1995, Rn 439. BVerfGE 92, 26, 51 (Arbeitnehmer auf im Zweitregister eingetragenen deutschen Handelsschiffen).

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gene, gruppen- oder personenbezogene Differenzierungskriterien handelt. Die Bindung des Gesetzgebers ist dabei umso enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art 3 III GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung von Minderheiten führt.122 Der allgemeine Gleichheitssatz bindet Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und 38 Rechtsprechung. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung, die unter Berücksichtigung der dem Grundgesetz zugrunde liegenden Wertentscheidungen nicht mehr verständlich ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen, verletzt das Willkürverbot.123 Für die gesetzesfreie (Wirtschafts-)Verwaltung kann der allgemeine Gleichheitssatz durch das Gebot der Gleichbehandlung und den rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz eine quasinormative Bindung bewirken, was in den Rechtsverhältnissen zwischen Verwaltungsträger und Bürger die Begründung von subjektiven öffentlichen Rechten und Pflichten nach sich ziehen kann. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist das maßgebliche verfassungsrechtliche 39 Kriterium für Art und Ausmaß zulässiger Grundrechtsbeschränkungen. Denn es gewährleistet, dass der Einzelne vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt in seine Freiheitssphäre und seinen Anspruch auf Gleichbehandlung bewahrt bleibt. Für das Öffentliche Wirtschaftsrecht bedeutet dies namentlich, dass das verfolgte wirtschaftspolitische Ziel stets ein hinreichendes Gewicht haben und die erfolgte Freiheitsbeeinträchtigung geeignet und erforderlich sein muss, um das Ziel zu verwirklichen.124 Es verstößt deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn für eine Erlaubnis Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in keinem Bezug zu der geplanten Tätigkeit stehen. Ist ein gesetzlicher Eingriff unerlässlich, so müssen die Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein und dürfen den Einzelnen nicht übermäßig belasten.125 Soweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein hinreichendes Gewicht für das mit einer gesetzlichen Regelung verfolgte Ziel fordert, ist er mit dem Maßstab der willkürfreien Sachgerechtigkeit verknüpft. Soweit er auf der Grundlage erfahrbarer tatsächlicher Gegebenheiten eine vernünftige Relation zwischen Ziel und Mittel sicherstellen will, stellt er angesichts der notwendigen Prognose- und Wertungsspielräume für den Gesetzgeber weniger einen subsumtionsfähigen Rechtssatz dar, aus dem allein mit juristischen Mitteln eine bestimmte Rechtsfolge abgeleitet werden könnte, als eine Richtlinie für die der politischen Entscheidung zugrunde zu legende Abwägung. Nichts anderes gilt für die „Geeignetheit“ oder „Zwecktauglichkeit“ einer wirt- 40 schaftspolitischen Maßnahme. Auch für die Beurteilung der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes steht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu. Nur ein Gesetz, das zur Erreichung seines Zweckes „schlechthin untauglich“ ist, verletzt rechtsstaat-

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BVerfGE 88, 87, 96; 99, 367, 388. BVerfGE 62, 189; 67, 90; 70, 93. Lerche Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 122 Rn 16 ff; Grabitz AöR 98 (1972) 568; Wendt AöR 104 (1979) 414; Schnapp JuS 1983, 850. – BVerfGE 21, 150; 27, 344, 352 f; 30, 292, 315 f; 33, 171, 186 ff; 37, 1; 40, 198, 222 ff. BVerfGE 55, 159, 165 (Falknerjagdschein).

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liche Grundsätze. Das ist nicht allein deswegen der Fall, weil sich nachträglich herausstellt, dass das Gesetz auf einer Fehlprognose beruht. Insoweit kommt es allein auf die „Gültigkeit“, nicht auf die „Richtigkeit“ der Prognose an, also darauf, ob sie sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung orientiert. Bei „komplexen Sachverhalten“ ist dem Gesetzgeber eine angemessene Zeit zum Sammeln von Erfahrungen zu konzedieren, was bei einer Veränderung des Kenntnisstandes allerdings verfassungsrechtliche Nachbesserungspflichten nach sich ziehen kann. Allein politischer, nicht verfassungsrechtlicher Natur ist dagegen die Frage, ob auch andere Maßnahmen zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zieles möglich und besser geeignet gewesen wären.126 In geringerem Umfang als die Eigentumsgarantie, die den dem Einzelnen zugeordneten vermögenswerten Rechten Bestandsschutz verbürgt, garantieren auch andere Wirtschaftsfreiheiten, die Berufsfreiheit und die – subsidiäre – allgemeine Handlungsfreiheit, dem Bürger ein gewisses Maß an Vertrauensschutz in den Fortbestand der seinem wirtschaftlichen Handeln zugrunde gelegten Rechtslage. Damit ist zwar kein Vertrauen in den unveränderten Fortbestand der ihm günstigen Gesetze gemeint, wohl aber das Vertrauen darauf, dass ein Gesetz, das Grundlage für eine schutzwürdige Disposition gewesen ist, nicht ohne besondere und überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses nachteilig geändert wird. b) Allgemeine Wirtschafts- und Unternehmensfreiheit 41 Die selbständige Erwerbstätigkeit des Unternehmers ist dadurch gekennzeichnet, dass er haftendes Kapital investiert, um gewerbsmäßig und im Wettbewerb Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Seine spezifische Leistung besteht in Initiative, Organisation und Wagnis, seine rechtlichen Mittel sind die Handlungsmöglichkeiten der Privatautonomie, vor allem die Vertragsfreiheit. Vorbehaltlich speziellerer Garantien, insbesondere des Art 12 I GG,127 umfasst das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art 2 I GG auch die Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr. Es steht dem Einzelnen und den juristischen Personen des Privatrechts zu, soweit sie nicht von der öffentlichen Hand beherrscht werden.128 Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit ist das Interesse jeder natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts, ihre Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen zu gestalten, so dass ihr dementsprechend auch die grundrechtlichen Gewährleistungen der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit 129 zu entnehmen sind. Sie schützt vor über126

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BVerfGE 29, 402; 30, 250; 33, 171, 181 f; 36, 66; 40, 198, 222 f; 50, 290, 331 ff; 71, 206, 215 f. – Ossenbühl FG BVerfG, 1976, I, 458; Badura FS Fröhler, 1980, 321. Manssen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art 12 Abs 1 Rn 67 ff, 267. – Der Umfang der Verdrängung ist umstritten. BVerfGE 66, 116, 130; 73, 261, 270 → JK GG 1 III/4; BVerfG NJW 1990, 1783 – HEW; NJW 1994, 1784; P. M. Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 5. Aufl 2005, Art 19 Abs 3 Rn 280. BVerfGE 8, 274, 328 f; Raiser JZ 1958, 1; ders Hundert Jahre Dt Rechtsleben, 1960, Bd I, 101; E. R. Huber Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966; Roscher Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974; Rittner AcP 188 (1988) 101; Höfling Vertragsfreiheit, 1991; Canaris FS Peter Lerche, 1993, 873.

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mäßigen Eingriffen des Staates in diese Schutzgüter und gebietet als objektive Wertentscheidung darüber hinaus die Sicherung ihrer normativen Bedingungen im Privatrechtsverkehr 130. Aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie ergibt sich deshalb insbesondere eine Pflicht der Zivilgerichte zur Inhaltskontrolle von Verträgen und zu ihrer Korrektur, wenn diese eine der beiden Vertragsparteien ungewöhnlich stark betreffen und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind.131 Aus Art 2 I GG ist als besondere Konkretisierung der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ferner die Freiheit selbstverantwortlicher unternehmerischer Disposition abgeleitet worden.132 Dadurch erfahren auch die unternehmerischen Entscheidungen über die Art und Weise, in der auf den Unternehmenserfolg hingearbeitet werden soll, über den Einsatz der Betriebs- und Investitionsmittel und über das Verhalten des Unternehmens im marktwirtschaftlichen Wettbewerb („Wettbewerbsfreiheit“), auch über die Preisgestaltung und die Werbung, einen eigenständigen grundrechtlichen Schutz gegenüber wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Geboten, Verboten und Pflichtbindungen. Der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit kommt für die Unternehmens- 42 tätigkeit nur zum Zuge, soweit nicht die spezielleren – und stärkeren – Grundrechte der Berufsfreiheit oder der Eigentumsgarantie einschlägig sind. Die hier notwendigen Abgrenzungen gegenüber der subsidiären Unternehmensfreiheit können nicht nur von einem vorweg definierten Schutzbereich der einzelnen Grundrechtsvorschriften aus vorgenommen werden. Sie müssen sich auch an Ziel und Wirkung der zu beurteilenden gesetzlichen Regelung orientieren. So sind im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung das Verhalten der Unternehmen im Wettbewerb und die Handlungsfreiheit im Bereich des Berufsrechts Gegenstand der Berufsfreiheit und demnach von Art 12 I GG erfasst, soweit sie berufsspezifisch, dh in Bezug auf die Verfolgung des Unternehmenszwecks oder die Berufsausübung, geregelt oder beschränkt werden.133 Die unternehmerische Nutzung von Eigentum genießt den Schutz des Art 14 GG, soweit der zu betrachtende Eingriff eine Schmälerung oder Beeinträchtigung der dem Unternehmenszweck gewidmeten vermögenswerten Rechte oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb be-

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Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, 61. BVerfGE 89, 214 (Bankbürgschaft) m Anm Wiedemann JZ 1994, 411; BGH JZ 2000, 674 m Anm Tiedtke. BVerfGE 4, 7, 15 f; 12, 341, 347 f; 29, 260, 266 f; 65, 196, 210; BVerfG DVBl 1991, 309; BVerwGE 30, 191; Nipperdey Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl 1965, 29 ff; Ipsen in: Kaiser (Hrsg), Planung II, 1966, 63, 93 ff; Ipsen AöR 90 (1965) 393, 430 ff; Scholz Entflechtung und Verfassung, 1981; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 2 ff (1994); Di Fabio ebd Art 2 Abs 1, Rn 76–126 (2001); Tsiliotis Der verfassungsrechtliche Schutz der Wettbewerbsfreiheit und seine Einwirkung auf die privatrechtlichen Beziehungen, 2000. BVerfGE 32, 311, 317; 50, 290, 361 ff; 95, 173, 188 → JK GG Art 12 I/45; Manssen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art 12 Abs 1 Rn 267.

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wirkt.134 Der Anwendungsbereich der allgemeinen Unternehmensfreiheit ist demgemäß schmal.135 c) Berufsfreiheit 43 Art 12 I GG schützt das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit, das Recht, eine frei gewählte und frei ausgeübte Tätigkeit zur Grundlage der Lebensführung und Daseinsgestaltung zu machen.136 Das Grundrecht wendet sich gegen unverhältnismäßige und nicht in der Sache begründete Einschränkungen der beruflichen Betätigung durch die öffentliche Gewalt. Es garantiert „die Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, das heißt zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen und damit seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung selbst zu bestimmen“, es sichert „die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit“.137 Zu dem Gewährleistungsinhalt des Grundrechts gehört auch eine auf die Privatrechtsbeziehungen des Wirtschafts- und Arbeitslebens gerichtete, in der objektiv-rechtlichen Dimension von Art 12 I GG wurzelnde Schutzpflicht des Staates, die sich primär an den Gesetzgeber wendet,138 aber auch bei der Auslegung des Privatrechts durch den Zivilrichter Bedeutung erlangen kann. Art 12 I GG gewährleistet neben der Berufsfreiheit die konnexen Rechte der freien Wahl des Arbeitsplatzes139 und der Ausbildungsstätte.140 Der sachliche Schutzbereich der Berufsfreiheit wird durch den Begriff des Berufes 44 bestimmt. Beruf ist jede erlaubte,141 für eine bestimmte Dauer und nicht nur vorübergehend ausgeübte Betätigung, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient, sei es als selbständiger Unternehmer oder sonst Berufstätiger („freier Beruf“), sei es in abhängiger Arbeit. Da das Grundrecht die freie Disposition darüber gewährleistet, durch welche berufliche Betätigung die materielle Daseinssicherung angestrebt wird, ist „Beruf“ nicht nur die einem sozial geprägten oder überkommenen „Berufsbild“ entsprechende Erwerbstätigkeit.142 Allerdings 134

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Demzufolge wird der Schutz der unternehmerischen Direktions- und Leitungsbefugnis der Eigentumsgarantie zugeordnet (Scheuner Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, 50 f). Erichsen in: Isensee/Kichhof, HdbStR VI, § 152 Rn 60 ff. Badura FS Herschel, 1982, 21; Pitschas Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983; Tettinger AöR 108 (1983) 92; Papier DVBl 1984, 801; Schneider/Lecheler VVDStRL 43 (1985) 7, 48; Breuer in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, §§ 147, 148. BVerfGE 30, 292, 334 f. BVerfGE 81, 242 (Karenzentschädigung zum Ausgleich eines Wettbewerbsverbots zu Lasten des ausgeschiedenen Handelsvertreters) → JK GG Art 1 III/5, m Anm Hermes NJW 1990, 1764; Wiedemann JZ 1990, 695. BAG NJW 1962, 1981; BAG NJW 1964, 568; BVerwGE 30, 65; 42, 296. BVerfGE 33, 303; 37, 104. BVerwGE 22, 286; zum Erfordernis einer restriktiven Interpretation dieses Kriteriums und dem Risiko einer Grundrechtsgeltung nach Maßgabe des Gesetzes BVerfGE 102, 197, 213; BVerwGE 96, 392 (Spielbanken); BVerfG, Beschl vom 27. 4. 2005 – 1 BvR 223/05; BVerwGE 96, 293 (Sportwetten); zur unionsrechtlichen Absicherung über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit EuGH, Urt v 6. 11. 2003 – Rs C-243/01 – Gambelli. Fröhler/Mörtel GewArch 1979, 105, 145; Scholz DB 1980, Beilage 5.

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darf der Gesetzgeber unter Wahrung der freiheitsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts in ausgestaltender und auch beschränkender Regelung typisierend Berufsbilder festlegen. Durch das Grundrecht geschützte Berufe sind auch die nur im Staatsdienst möglichen Beschäftigungen und die dem Staat oder einem sonstigen Verwaltungsträger vorbehaltenen Wirtschafts- oder Berufstätigkeiten, wie zB die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung143. Deshalb unterliegt sowohl die Monopolisierung einer Tätigkeit zugunsten des Staates, dh die Errichtung oder Beibehaltung eines Verwaltungsmonopols, als auch die Ausgestaltung der monopolisierten Tätigkeiten durch das Gesetz – neben den unionsrechtlichen Schranken 144 – auch den Grundsätzen des Art 12 I GG.145 Bei der Gruppe der „staatlich gebundenen“ 146 wie auch der freien Berufe stellt sich die grundrechtliche Frage dahin, ob und in welchem Maße die Aufnahme oder die Ausübung von Berufen, die typischerweise Belange der Allgemeinheit oder Rechte Dritter – der Mandanten des Rechtsanwalts, der Patienten des Arztes – berühren, besonderen Anforderungen oder Bindungen unterworfen werden darf. Der „personale Grundzug“ der Berufsfreiheit schließt das unternehmerische 45 Handeln und die Wirtschaftstätigkeit juristischer Personen zur Verfolgung des Unternehmenszwecks nicht von der Gewährleistung aus; als „Unternehmensfreiheit“ ist die freie Gründung und Führung von Unternehmen geschützt. Schutzgut des Art 12 GG ist bei juristischen Personen die Freiheit, eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbes ein Gewerbe zu betreiben, soweit diese Tätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann.147 Bestandteil der durch Art 12 I GG geschützten freien unternehmerischen Betätigung ist auch das Verhalten des Unternehmers im wirtschaftlichen Wettbewerb.148 Der Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers wird allerdings davon beeinflusst, ob personal bestimmte Erscheinungsformen der Berufstätigkeit oder Unternehmenstätigkeiten mit mehr oder minder großem sozialem Bezug betroffen sind.149 Im Hinblick darauf, dass die Unternehmenstätigkeit einer Handelsgesellschaft durch die gesellschaftsrechtliche Ordnung und Bindung ihrer organisatorischen Autonomie bestimmt wird, ergeben sich die grundrechtlichen Maßstäbe der Gesetzgebung aus Art 12 I iVm Art 9 I GG. Ein rechtsformunabhängiges, von der gesellschaftsrechtlichen Grundlage abgelöstes

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Siehe aber EuGH Slg 1991, I-1979 – Rs C-41/90 – Höfner und Elser; Slg 1997, I-7119 – Rs C-55/96 – Job Centre. EuGH Slg 1964, 1251 – Rs 6/64 – Costa/Enel; Slg 1997, I-5815 – Rs C-59/94 – EdF. BVerfGE 16, 6; 17, 371; 21, 261; 73, 301; BVerwG DÖV 1972, 647 (Fährregal). – Badura Das Verwaltungsmonopol, 1963, Tz 83; ders JbPostw 1977, 1978, 76; Hoffmann DVBl 1964, 457; Leisner AöR 93 (1968) 161; Obermayer NJW 1996, 1457; Kirchhof Verwalten durch „mittelbares“ Einwirken, 1977, 401 ff; Breuer in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 148 Rn 62 ff. BVerfGE 73, 280; BVerfG NJW 2002, 3090; 2003, 419 (Notare); Badura, StaatsR C 80; P. M. Huber FS Kriele, 1997, 389. BVerfGE 21, 261, 266; 50, 290, 362 f; 65, 196, 209 f; BVerwG JZ 1995, 93. BVerwGE 71, 183, 189 f. BVerfGE 50, 290, 362 ff.

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Unternehmensrecht stößt hier auf seine verfassungsrechtlichen Grenzen,150 es würde auch die Institutsgarantie des Privateigentums tangieren. Dass der Wortlaut von Art 12 I GG zwischen der Wahl und der Ausübung des 46 Berufes differenziert, hat Bedeutung lediglich für die unterschiedliche Reichweite der zulässigen gesetzlichen Regelung beruflicher Tätigkeit. Der Regelungsvorbehalt des Art 12 I 2 GG erstreckt sich – entgegen dem Wortlaut – nämlich nicht nur auf die Ausübung, sondern auch auf die Wahl eines Berufes, kann in Bezug auf diese aber nur unter erschwerten Voraussetzungen in Anspruch genommen werden.151. Die denkbaren „Stufen“, auf denen der Gesetzgeber die Berufsfreiheit regeln kann, unterscheiden sich nach dem Maß der durch sie bewirkten Freiheitsbeeinträchtigung und sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszuwählen; verhältnismäßig ist nur der geringste zur Erreichung des wirtschaftspolitischen Ziels ausreichende Eingriff. Die Regelungsstufen reichen von der bloßen Ordnung der Berufsausübung bis zur Beschränkung der Berufswahl durch subjektive oder gar objektive Zulassungsvoraussetzungen.152 Diese „Stufen“ sind freilich lediglich Anhaltspunkte der Interpretation, keine schematisch anzuwendenden Verfassungsvorgaben. So gibt es Regelungen der Berufsausübung, die eine derart einschneidende Wirkung haben, dass sie einer Beschränkung der Berufswahl nahe kommen, etwa wenn Berufsbilder typisiert, gegeneinander abgegrenzt und geschlossen werden.153 Entwickelt sich aus einer Tätigkeit mit festgelegtem Berufsbild für einen einfach zu beherrschenden Teilbereich ein eigener Beruf, so erlaubt Art 12 I GG Beschränkungen der Wahl dieses Berufs nur zur Abwehr schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut.154 Ebenso können subjektive Zulassungsvoraussetzungen ihrer Wirkung nach objektiven Zulassungsvoraussetzungen gleichkommen.155 Eine Regelung der Berufsausübung kommt nur dann in ihrer wirtschaftlichen Wirkung einer Zulassungsbeschränkung nahe – und beeinträchtigt damit die Freiheit der Berufswahl –, wenn die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, den gewählten Beruf ganz oder teilweise zur Grundlage ihrer Lebensführung oder – bei juristischen Personen – zur Grundlage ihrer unternehmerischen Erwerbstätigkeit zu machen.156 Die Freiheit der Berufswahl darf nur eingeschränkt werden, wenn und soweit der 47 Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend gebietet. Besteht die 150

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Biedenkopf FS Ludwig Raiser, 1974, 339; Reinhardt FS Günther Hartmann, 1976, 213; Rittner ZHR 144 (1980) 330; Badura FS Fritz Rittner, 1991, 1; Semler FS Peter Raisch, 1995, 291. BVerfGE 7, 377; 33, 303; 92, 140; Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art 12 Rn 14; Tettinger in: Sachs, GG, Art 12 Rn 8; aA Hufen NJW 1994, 2913; Lücke Die Berufsfreiheit, 1994. BVerfGE 7, 277 („Apotheken-Urteil“). – Rupp AöR 92 (1967) 212; Schwabe DÖV 1969, 734; Hesse AöR 95 (1970) 449. BVerfGE 11, 30 (Kassenarztrecht); 32, 1 (Apothekerassistenten); 81, 70 (Mietwagen); 82, 209 (KrankenhausfinanzierungsG). BVerfG 97, 12. BVerwGE 40, 17 („männliche Hebamme“). BVerfGE 13, 181, 187; 16, 147, 165; 30, 292, 314. – Zur generalisierenden Betrachtung bei Berufsausübungsregelungen allgemein: BVerfGE 37, 1.

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Beschränkung der Berufswahl in der Aufstellung bestimmter Voraussetzungen für die Aufnahme des Berufs, ist der tiefere Eingriff in Gestalt objektiver Zulassungsbedingungen, die an außerhalb der Person des Berufsbewerbers liegende Umstände – wie zB ein konkretes Bedürfnis – anknüpfen,157 nur zulässig, wenn subjektive Bedingungen 158 ungenügend wären. Bei der Begründung und Ausgestaltung von Verwaltungsmonopolen ist nach dem Grundgedanken des Art 33 II und IV GG die Eigenart der für einen Vorbehalt staatlicher Erledigung in Anspruch genommenen Aufgabe als besondere Rechtfertigung der Grundrechtseinschränkung zu berücksichtigen. Der freie Zugang zum Beruf und seiner Ausübbarkeit in selbständiger Form ist durch die öffentliche Aufgabe und durch die staatliche Organisationsgewalt eingeschränkt; diese Einschränkung muss für die gesetzlich vorbehaltene und geordnete öffentliche Aufgabe, die an sich eine beruflich ausübbare Tätigkeit ist, notwendig und verhältnismäßig sein. In seiner Entscheidung zum baden-württembergischen Spielbankenmonopol ist das Bundesverfassungsgericht deshalb davon ausgegangen, dass der Maßstab der Grundrechtsprüfung durch die Eigenart der „verstaatlichten“ Erwerbstätigkeit, mit der die Spielleidenschaft ausgenutzt wird, geprägt, und dh reduziert werde. Folgerichtig hat es die Anforderung, dass eine objektive Berufszulassungsbeschränkung nur zulässig ist, wenn sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragendes Gemeinschaftsgut zwingend geboten ist, für Berufe abgeschwächt, die – wie der Beruf des Spielbankenunternehmers – „durch atypische Besonderheiten gekennzeichnet sind“. Die Verknappung des Marktes durch das bestehende oder angestrebte Verwaltungsmonopol mehr als die Eigentümlichkeit des Gegenstandes – die an sich unerwünschte berufliche Tätigkeit – rechtfertigen hier einen breiteren Regelungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.159 Daran zeigt sich erneut, dass der Grundsatz der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit bei der Prüfung von Eingriffen in die Berufsfreiheit nicht auf eine schematische Skala oder Stufenfolge von Kriterien verkürzt werden darf. Eine an Art 12 I GG zu messende Regelung der Berufsausübung liegt bei allen 48 gesetzlichen Vorschriften und administrativen Maßnahmen vor, die bestimmt oder geeignet sind, in die eigenverantwortliche Gestaltung der Berufstätigkeit einzugreifen. Auch tatsächliche (faktische) Auswirkungen einer berufsspezifischen Regelung oder eine staatliche Planung und Subventionierung mit berufsregelnder Tendenz kann geeignet sein, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen.160 Steuervorschriften mit wirtschaftslenkender Nebenwirkung sind, sofern sie nicht prohibitiv die Aufnahme eines Berufes beeinflussen und dadurch die freie Berufswahl beschneiden, nach denselben Kriterien als Regelung der Berufsausübung zu beurteilen.161 Eine Norm, 157

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BVerfGE 9, 39; 14, 19; 21, 173; 21, 245; 21, 161; 25, 1; 40, 196; 86, 28 → JK GewO § 36/1; 87, 287, 316 ff (Inkompatibilitätsvorschriften bei Rechtsanwälten) → JK GG Art 12 I/30. BVerfGE 9, 383; 13, 97; 19, 330; 25, 236; 34, 71; 54, 301; 69, 209. BVerfGE 102, 197, 212 ff → JK GG Art 12 I/54.– Zu Lotterien Jarass DÖV 2000, 753. BVerfGE 13, 120, 137 (§ 3 IV DirRufV); 82, 209 (KrankenhausfinanzierungsG); BVerwG JZ 1991, 624 (Glykol-Wein-Liste). BVerfGE 13, 181; 16, 147; 38, 61; 47, 1, 21, 37 ff. – Selmer Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, 244 ff.

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welche die Berufstätigkeit selbst unberührt lässt, aber im Hinblick auf einen Beruf die Rahmenbedingungen verändert, unter denen er ausgeübt werden kann, berührt Art 12 I GG dann, wenn sie infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes steht und eine objektiv berufsregelnde Tendenz hat.162 Die gesetzliche Verpflichtung, auf Packungen von Tabakerzeugnissen Warnungen öffentlicher Stellen vor den Gesundheitsgefahren des Rauchens zu verbreiten, regelt die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten und berührt nicht die Freiheit der Meinungsäußerung.163 Regelungen, die die zukünftigen Chancen und Erwerbsmöglichkeiten beruflicher und gewerblicher Betätigung mindern, fallen nicht unter die auf Bestandsschutz beschränkte Eigentumsgarantie, sondern genießen nur den Schutz der Berufsfreiheit.164 Die Berufsausübung kann gesetzlich geregelt werden, soweit vernünftige Erwä49 gungen des Gemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen. Damit erschöpft sich der grundrechtliche Schutz praktisch in der Abwehr unverhältnismäßiger Beschränkungen. Eine solche hat das BVerfG im gesetzlichen Verbot erkannt, mehrere Facharztbezeichnungen zu führen,165 ebenso in dem Verbot, Impfstoffe an Ärzte zu versenden und dafür zu werben.166 Die Verfassung eröffnet dem Gesetzgeber zugleich ein erhebliches Maß an Regelungsspielraum und räumt ihm bei der Festlegung der zu verfolgenden berufs-, arbeits- und sozialpolitischen Ziele eine ebenso weite Gestaltungsfreiheit ein wie bei der Bestimmung wirtschaftspolitischer Ziele.167 Regelungen der Berufsausübung müssen ferner die Ungleichheiten berücksichtigen, die typischerweise innerhalb des Berufes bestehen, dessen Ausübung geregelt wird. Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im Ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte, Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, dann kann Art 12 I iVm Art 3 I GG verletzt sein.168 162

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BVerfGE 95, 267, 302 (Altschulden der früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR); BVerfG NVwZ 2002, 197 (Branntweinmonopol). BVerfGE 95, 173 → JK GG Art 12 I/45, m Anm Scholz NJW 1997, 2863 und Selmer JuS 1998, 73. – Das Tabakwerbeverbot der RiL 98/43/EG entbehrte einer hinreichenden gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung (EuGH Slg 2000, I-8419 – Rs C-376/98 → JK EGV Art 95/1). Die Neufassung der Richtlinie hat vor dem Gemeinschaftsrecht Bestand. BGH DVBl 1996, 797. BVerfG NJW 2003, 879. BVerfGE 107, 186 (§ 43 AMG aF). BVerfGE 7, 377, 405 f; 37, 1; 37, 271; 46, 120, 145; 68, 155, 171; 71, 183, 197; 72, 26, 31; 77, 308, 332, 334; 81, 70, 84 ff → JK GG Art 12 I/23; 81, 156, 188 f; 87, 363 (Nachtbackverbot). BVerfGE 30, 292, 327, 330 ff (strukturbedingte Sonderbelastung der unabhängigen Importeure durch die Erdöl-Bevorratungspflicht); 33, 171, 188 (sozialversicherungsrechtliche Honorarverteilungsmaßstäbe bei Kassenärzten); 59, 336, 356 (Ladenschlußzeiten für Friseure) → JK GG Art 12 I/6; 68, 155 (pauschalierte Erstattung von Fahrgeldausfällen wegen unentgeltlicher Beförderung von Schwerbehinderten).

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Einschränkungen der freien Wahl oder Ausübung eines Berufes bedürfen in 50 jedem Fall der Grundlage in einem hinreichend bestimmten Gesetz.169 Je nach der Intensität des Eingriffs muss dieses Gesetz die wesentlichen Merkmale einer der Exekutive erteilten Ermächtigung berufsregelnder Art festlegen. Wenn beispielsweise das Gesetz eine Eignungsprüfung für den Berufszugang aufstellt, muss dies rechtssatzförmig geregelt werden und solchen Regelungen zumindest zu entnehmen sein, welche Gesichtspunkte für die Beurteilung der geforderten persönlichen Eignung ausschlaggebend sein sollen.170 Bei einer (eingriffsrelevanten) 171 Subventionsvergabe muss das Gesetz Auswahlgesichtspunkte und Auswahlverfahren in einer Weise regeln, die der Eingriffsintensität bei den Konkurrenten Rechnung trägt.172 Mangels einer wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Spezialermächtigung kommt allerdings die sicherheits- oder polizeirechtliche Generalklausel als Rechtsgrundlage für die Berufsausübung betreffende Verfügungen in Betracht, wenn anders einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht begegnet werden kann.173 Die allgemein (organisationsrechtlich) der Gemeinde verliehene Satzungsautonomie schließt dagegen nicht die Befugnis ein, in die Berufsfreiheit einzugreifen.174 Das gleiche gilt für berufsständische Kammern. Sie sind aber idR aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung dazu berechtigt, in einer Berufsordnung berufliche Pflichten ihrer Angehörigen zu normieren, zB Werbebeschränkungen zum Schutz des Berufsbildes vor Verfälschung.175 Auch diese Regelungen und ihre Auslegung durch die Gerichte dürfen die Berufsausübung nicht unverhältnismäßig einschränken.176 Als „Grundfreiheit der Arbeit“ legt Art 12 I GG dem Gesetzgeber eine Schutz- 51 pflicht zugunsten der in abhängiger Arbeit ausgeübten Berufe auf, die vor allem in dem arbeitsrechtlichen Schutzprinzip zur Geltung kommt und auch die gerichtliche Auslegung und Anwendung der Gesetze leitet. Das Grundrecht ist insoweit eine freiheitsrechtliche Grundsatznorm, die Privatautonomie und Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien begrenzt und vor allem durch den Arbeitsrichter zu einem verhältnismäßigen Ausgleich – zu praktischer Konkordanz – gebracht werden muss. Staatliche Regelungen und Interventionen im Bereich des Arbeitsrechts und des Arbeitsmarktes haben darüber hinaus die unternehmerische Freiheit des Arbeit169 170 171 172 173 174

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BVerfGE 54, 224 u 237 (Anm Papier JZ 1980, 608); BVerwG DVBl 1982, 301. BVerfGE 80, 257 (Höchstalter für die Bestellung zum Anwaltsnotar). BVerwGE 90, 112 (Osho); OVG Berlin NJW 1975, 1938 (Pressesubvention). BVerfGE 82, 209 (KrankenhausfinanzierungsG). BVerwGE 10, 164; BVerwG DVBl 1970, 504; VGH BW DVBl 1972, 503. BVerwG NJW 1993, 411 (Verbot von Einwegerzeugnissen und Verpflichtung zur Rücknahme von Abfällen für den Einzelhandel in München). Verbot der Außenwerbung bei Apotheken, auch für apothekenübliche Waren, also nicht nur für Heilmittel, ist grundsätzlich zulässig (BVerwGE 72, 73; 89, 30); zur Vereinbarkeit von Werbeverboten mit der Berufsfreiheit der Apotheker vgl insgesamt BVerfGE 94, 372 → JK GG Art 12 I/42. BVerfGE 85, 248 (unverhältnismäßig weite Auslegung des ärztlichen Werbeverbots) → JK GG Art 12 I/29; BVerfG DVBl 2001, 1751 → JK GG Art 12 I/ 60 („umfassende Rechtsberatung“); NJW 2003, 2520 (verfassungswidrige Pflicht zur Mandatsniederlegung bei Sozietätswechsel des Anwalts).

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gebers und die Koalitionsfreiheit der Verbände und Gewerkschaften in Rechnung zu stellen.177 d) Eigentumsgarantie 52 Ihrer verfassungspolitischen Funktion nach reichen das Eigentum und seine Garantie weit über die Zuerkennung eines individualistischen Reservats hinaus. Art und Maß des Schutzes des Eigentums und der privatautonomen und privatwirtschaftlichen Verwendung des Eigentums bilden ein wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundkriterium für die Unterscheidung der Wirtschaftsordnungen. Wenn die Verfassung das Eigentum – und nicht nur das „persönliche Eigentum“ – schützt, geschieht das nicht nur aus Rücksicht auf die Eigentümer, sondern weil darin auch ein dem Prinzip nach nützliches Element der Gesellschaftsordnung gesehen wird. Dementsprechend kann und muss der Gesetzgeber die Verschiedenheit der Eigentumsarten – Unternehmenseigentum, Grundeigentum, Verbrauchseigentum etc – je nach ihrer sozialen und politischen Bedeutung berücksichtigen. Die Auseinandersetzung um die Eigentumsverfassung 178 ist in den Hauptpunkten zugleich eine Auseinandersetzung um die Wirtschaftsordnung und die Gestalt politischer Herrschaft. Das Eigentum wird einerseits geschützt, weil es die rechtliche Zuteilung der 53 gegenständlichen Grundlagen individueller Daseinsbehauptung und -gestaltung bewirkt. „Je höher … der einem Anspruch zugrunde liegende Anteil eigener Leistung ist, desto stärker tritt der verfassungsrechtlich wesentlich personale Bezug und mit ihm ein tragender Grund des Eigentumsschutzes hervor“.179 Auf der anderen Seite hat das Eigentum im Rahmen einer Wirtschaftsordnung mit prinzipiell marktwirtschaftlicher Produktion und Verteilung die Aufgabe, die privatautonome Entscheidung über den Gebrauch und den Verkehr der Güter (Produktionsmittel, Waren) zu ermöglichen, auf der die Dezentralisation des wirtschaftlichen Prozesses und die mit der gesellschaftlich erwünschten privaten Initiative verbundene individuelle Verteilung von Erfolg und Risiko beruhen.180 Für den Einzelnen ist das Eigentum eine materielle Sicherung seiner Lebensführung, letztlich seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit und seiner Freiheit. Für die Gesellschaft bedeutet die Existenz privaten und privatwirtschaftlich nutzbaren Eigentums die Grundlage einer Ordnung privaten Interesses und privater Initiative unter den Bedingungen einer dezentralen Wirtschaft. Ihrem Wortlaut nach stellt die grundrechtliche Garantie des Eigentums 181 den 54 „Inhalt“ des Eigentums seinen „Schranken“ gegenüber (Art 14 GG). Das könnte 177

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Badura FS Wilhelm Herschel, 1982, 21; H.-P. Schneider/Lecheler VVDStRL 43 (1985) 7, 48; Kluth DVBl 1999, 1145; Papier RdA 2000, 1. Zur Mitbestimmung so Rn 11, zum Unternehmensrecht so Rn 41 ff. BVerfGE 53, 257, 288 f → JK GG Art 14 I/4. Scheuner in: ders/Küng (Hrsg), Der Schutz des Eigentums, 1966, 43; Bericht „Mitbestimmung im Unternehmen“, BT-Drucks VI/334, 78; Rittner in: Marburger Gespräch über Eigentum – Gesellschaftsrecht – Mitbestimmung, 1967, 50; Badura Freiheit und Eigentum in der Demokratie, 1998. Weber GRe II, 331; Reinhardt/Scheuner Verfassungsschutz des Eigentums, 1954; Scheuner in: ders/Küng (Hrsg), Der Schutz des Eigentums, 1966, 5; ders Die staatliche Einwirkung

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die Vorstellung nahe legen, das Eigentum sei entsprechend der liberalen Formel von „Freiheit und Eigentum“ eine vorstaatliche Größe, die der staatlichen Ordnung, Begrenzung und Gestaltung gewissermaßen vorgegeben sei. Dies bedarf jedoch der Korrektur bzw Spezifizierung 182. Denn das einzelne eigentumsfähige vermögenswerte Recht ist ein Geschöpf des Gesetzes. Es ist das Gesetz, das den Inhalt des Eigentums nicht weniger bestimmt als seine Schranken – in einem dialektischen Verhältnis mit den Vorgaben des Art 14 I GG. So garantiert die in Art 14 I GG enthaltene – objektiv-rechtliche – Instituts- oder 55 Einrichtungsgarantie die prinzipielle Verbürgung der Privatnützigkeit des Eigentums und seiner Verwendung sowie die Lastengleichheit der einzelnen Eigentümer. Die Verfassung gewährleistet Privaten damit nicht nur das Vorhandensein eigentumsrechtlich geschützter Interessen, sondern auch das Privateigentum.183 Sie verbürgt insoweit die Existenz privatrechtlicher Rechtssätze, die Innehaben, Erwerb, Nutzung und verkehrswirtschaftliche Verwendung individueller Vermögensrechte als Grundlage privater Daseinsgestaltung und privatautonomer Wirtschaftsführung ermöglichen und ordnen. Sie verbindet die Gewährleistung des Eigentums mit dem Auftrag an den Gesetzgeber, den Inhalt des Eigentums zu bestimmen und damit auch die rechtliche Möglichkeit für den Einzelnen zu schaffen, vermögenswerte Rechte gesetzlich definierter Art zu erwerben und innezuhaben.184 Art 14 I GG unterwirft den Gesetzgeber bei der Regelung der Güterverteilung und bei der Bereitstellung der rechtlichen Ordnung für die vermögenswerten Rechte, ihre Ausgestaltung, Nutzung und die Verfügung über sie dabei insbesondere dem sog Untermaßverbot. Als grundrechtliche Gewährleistung („Rechtsstellungsgarantie“) schützt die Eigen- 56 tumsgarantie darüber hinaus vor beliebiger Beeinträchtigung oder Entziehung vermögenswerter Rechte durch die öffentliche Gewalt, namentlich bei der dem Gesetzgeber ebenfalls aufgetragenen Bestimmung der Schranken des Eigentums (Art 14 I 2 GG). Insoweit entfaltet sie hinsichtlich der durch die Rechtsordnung anerkannten einzelnen Vermögensrechte eine individuelle, die konkreten Rechte Einzelner betreffende Schutzwirkung. „Eigentum“ im Sinne des Grundrechts ist jedes erworbene und bestehende vermögenswerte Recht, also nicht nur das Sacheigentum des BGB, sondern auch

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auf die Wirtschaft, 1971, 43 ff; Papier VVDStRL 35 (1977) 55, 81 ff; ders in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 (2002); Binswanger Eigentum und Eigentumspolitik, 1978, bes 115 ff; v Brünneck Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984; Nüßgens/Boujong Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987; Böhmer NJW 1988, 2561; Kreft FS Geiger, 1989, 399; Leisner in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 149; Schoch Jura 1989, 113; Schwager/Krohn WM 1991, 33; Engel AöR 118 (1993) 169; Badura in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 10; Tomuschat (Hrsg), Eigentum im Umbruch, 1996; v Danwitz/Depenheuer/Engel Bericht zur Lage des Eigentums, 2002. BVerfGE 14, 263; 24, 367; 50, 290, 339. – M. Wolff Reichsverfassung und Eigentum, FS Kahl, 1923. Die Formulierung in BVerfGE 61, 82, 108 f, Art 14 I garantiere das Eigentum Privater, nicht das Privateigentum war auf die mangelnde Grundrechtsträgerschaft einer Gemeinde gemünzt und letztlich etwas zu pointiert. BVerfGE 58, 300, 334 f (Naßauskierung) → JK GG Art 14 I 2/13.

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schuldrechtliche, sachenrechtliche und gesellschaftsrechtliche Berechtigungen, durch eigene Leistung erworbene öffentlich-rechtliche Ansprüche sowie alle sonstigen konkretisierten Rechtspositionen, auf denen Lebensführung und wirtschaftliche Betätigung beruhen. Art 14 I GG gewährleistet das Recht, Sach- und Geldeigentum zu besitzen, zu nutzen, es zu verwalten und über es zu verfügen und sichert so die „privat verfügbare ökonomische Grundlage individueller Freiheit“. Dementsprechend schützt die Eigentumsgarantie nicht nur körperlich greifbare Sachen, sondern auch geldwerte Forderungen, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger privatnützig zugeordnet sind, auf Eigenleistungen beruhen und als materielle Grundlage persönlicher Freiheit dienen.185 Zu den geschützten Rechten des Privatrechts gehören gesellschaftsrechtliche Mitgliedschaftsrechte („Anteilseigentum“) in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung, sowohl hinsichtlich der in ihnen verkörperten vermögensrechtlichen Ansprüche als auch hinsichtlich der durch die Mitgliedschaft vermittelten Leitungsbefugnisse.186 „Eigentum“ sind auch solche Rechtspositionen des öffentlichen Rechts, die nicht nur auf staatlicher Gewährleistung oder Zuteilung beruhen, soweit das Schutzziel der Eigentumsgarantie nach dem rechtsstaatlichen Grundgedanken der Sicherung von individueller Freiheit und materiellen Vertrauenstatbeständen eine Gleichbehandlung mit den privatrechtlichen Vermögensrechten verlangt. Das gilt vor allem für die Anwartschaften und Ansprüche auf Renten aus der Sozialversicherung und auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.187 Kein Eigentum sind bloße Erwerbsaussichten oder Chancen, die zwar nach den gegebenen rechtlichen oder faktischen Verhältnissen, zB der Marktlage, bestehen, auf deren Fortbestehen aber nicht vertraut werden kann. Das Grundrecht ist keine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen. Der Tauschwert vermögenswerter Rechte unterfällt für sich genommen nicht dem Schutzbereich der Eigentumsfreiheit. Hoheitlich bewirkte Minderungen des Tausch- oder Marktwerts eines Eigentumsgutes berühren – anders als der direkte Zugriff auf den Marktwert – daher in der Regel nicht das Eigentumsgrundrecht. Dies gilt grundsätzlich auch für den Marktwert von Wertpapieren; nicht dieser Wert ist von Art 14 I GG geschützt, sondern seine Grundlage in Gestalt des Wertpapiers und der darin verbrieften Forderung.188 Staatliche Zuwendungen, die ausschließlich auf einer durch das öffentliche Interesse bestimmten Gewährung beruhen, ohne dass eine eigene Leistung des Begünstigten hinzutritt, an die der Eigentumsschutz anknüpfen könnte, wie insbesondere Subventionen, führen nicht zu einer eigentumsrechtlichen Rechtsposition; ggf könnte ein entstandener Vertrauenstatbestand bei Rechtsände185

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BVerfGE 83, 201, 211 ff (Vorkaufsrecht) → JK GG Art 14 III/8; 97, 350, 370 f (geldwerte Forderungen). BVerfGE 14, 263, 276 ff (Feldmühle); 50, 290, 339 ff (MitbG); 100, 289, 301 (Ausgleich für außenstehende oder ausgeschiedene Aktionäre). BVerfGE 53, 257, 289 ff (Versorgungsausgleich) → JK GG Art 14 I/4; 69, 272, 298 f (Krankenversicherung) → JK GG Art 14 I 1/22; 72, 9, 18 ff (Arbeitslosengeld) → JK GG Art 14 I 1/24. BVerfGE 95, 267, 300 ff (von der DM zum EURO); BVerfG NJW 2002, 3009 (Aufhebung der Steuerfreiheit von Zinsen aus bestimmten festverzinslichen Wertpapieren, „Sozialpfandbriefe“ ua).

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rungen berücksichtigt werden müssen (Art 2 I GG).189 Die Brennrechte im Rahmen des Branntweinmonopols haben lediglich bloße Erwerbschancen aus Marktordnungsgesichtspunkten rechtlich geordnet; sie sind kein Eigentum iSd Art 14 GG.190 Auch das Vermögen selbst genießt nicht den Schutz des Art 14 I GG, denn es ist selbst kein Recht, sondern (nur) der Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person. Daraus folgt, dass Art 14 I GG grundsätzlich 191 auch nicht vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungen schützt, weil diese nicht mittels eines bestimmten Eigentumsobjekts zu erfüllen sind, sondern aus dem fluktuierenden Vermögen bestritten werden.192 Das Grundrecht gibt schließlich keinen Anspruch auf staatliche Verschaffung von Rechten, zB auf Subventionen, selbst wenn sie zur Existenzsicherung erforderlich wären.193 Ein im Öffentlichen Wirtschaftsrecht bedeutsames Problem betrifft die Frage, ob 57 der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb im Hinblick auf Beeinträchtigungen durch Auswirkungen des Verwaltungshandelns, ggf auch durch den sozialgestaltenden und wirtschaftslenkenden Gesetzgeber als vermögenswertes Recht anerkannt werden kann.194 Beruht die Ausübung des Gewerbebetriebs auf einer öffentlich-rechtlichen Zulassung, ist der Bestand dieses Verwaltungsaktes, für den ggf Vertrauensschutz in Anspruch genommen werden kann (§§ 48, 49 VwVfG), von dem allein eigentumsrechtlich geschützten Gewerbebetrieb zu unterscheiden; die ins Werk gesetzte Genehmigung genießt Eigentumsschutz, sofern sie ein eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb ist.195 Der geschützte Gewerbebetrieb196 umfasst den sachlichen Bestand des Betriebs und alle seine einzelnen Erscheinungsformen („Ausstrahlungen“), die außerdem den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebs ausmachen, wie Geschäftsbeziehungen, good will und den Zu-

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BVerfGE 78, 249, 284 (Wohnungsbauförderung, Fehlbelegungsabgabe); 97, 67, 83 (Förderung des Schiffsbaus). BVerfG NVwZ 2002, 197 → JK GG Art 14 I/43. Siehe aber BVerfGE 102, 1 (Altlasten); Huber/Unger VerwArch 96 (2005) 139; Papier FS Maurer, 2001, 255. BVerfGE 65, 196, 209; 95, 267, 300. BVerfGE 80, 124, 137. In BVerfGE 51, 193, 122 f werden Zweifel daran angedeutet, ob ein selbständiger Schutz des „Gewerbebetriebs“ als Eigentum iSd Art 14 GG in Betracht komme; s ferner BVerfGE 68, 193, 222 f; 77, 84, 118; 81, 208, 227 f; krit an dem Recht am Gewerbebetrieb vom Standpunkt des Privatrechts bei Larenz/Canaris Lehrbuch des Schuldrechts, Bd II/2, 13. Aufl 1994, 537 ff; bejahend Badura FS f d Berliner Jurist Gesellschaft, 1984, 1; Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art 14 Rn 135; Fröhler Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1972. W. Weber AöR 91 (1966) 382, 400 f; Hösch Jb des Umwelt- und Technikrechts 1999, 121. BVerfGE 68, 193, 222 f → JK GG Art 19 III/5; BGHZ 23, 157; 45, 150; 48, 58; 48, 65; BGH NJW 1967, 1867; BGHZ 55, 261; 76, 387; 111, 349, 356; BayObLG BayVBl 1994, 540; BVerwGE 36, 248. – Buchner Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktischen Unternehmensschutz, 1971; Zuck Gewerbebetrieb und Enteignungsentschädigung, 1971; Löwisch/MeierRudolph JuS 1982, 237; Rinne DVBl 1993, 869; K. Schmidt JuS 1993, 985.

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gang zum Straßennetz („Kontakt nach außen“), nicht aber bloße Erwerbsmöglichkeiten, Gewinnaussichten, Hoffnungen oder Chancen. Gewährleistet wird die „Sach- und Rechtsgesamtheit“ des Betriebs in ihrer „Substanz“, dh das ungestörte Funktionieren des Betriebsorganismus, dessen Beeinträchtigung den Verfügungsberechtigten daran hindert, von der in dem Gewerbebetrieb verkörperten Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen. Der geschützte Umfang des Betriebs wird durch die jeweilige ökonomische und örtliche „Situation“ bestimmt, in der das Gewerbe betrieben wird, so dass vorteilhafte Umstände nur garantiert sind, wenn und soweit der Betriebsinhaber sich darauf verlassen darf, dass sie auf Dauer erhalten bleiben. Wirtschaftslenkende Maßnahmen, die – wie die Veränderung des Basiszinssatzes, die Herabsetzung eines Schutzzolls oder die Einführung oder Umgestaltung einer Marktordnung – lediglich die erkennbar situationsbedingten Erwerbschancen eines Gewerbebetriebs beeinflussen, stellen daher keinen entschädigungspflichtigen Eingriff in das Unternehmereigentum dar, sofern nicht ein besonderer Vertrauenstatbestand gegeben ist oder auf andere Weise ein Sonderopfer abverlangt wird.197 Wird der Unternehmer lediglich daran gehindert, ein bestimmtes Erzeugnis zu günstigen Bedingungen herzustellen, berührt dies den Betrieb als solchen in seinem ungestörten Funktionieren nicht; es wird dem Unternehmer nur die Möglichkeit vorenthalten, in einer bestimmten Weise Gewinn zu erzielen.198 Über diese Grundsätze der Eigentumsgarantie hinaus hat ein aus dem allgemeinen Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen oder wirtschaftslenkender Maßnahmen abgeleiteter „Plangewährleistungsanspruch“ keine Anerkennung gefunden.199 Kraft des wohlfahrtsstaatlichen Sozialgestaltungsauftrages, der in Art 14 II GG 58 individualistisch gewendet als Pflichtigkeit des Eigentümers erscheint („Eigentum verpflichtet“), ist es dem Staat aufgegeben, den privatautonomen Gebrauch des Eigentums, vornehmlich des produktiven Kapitals, unter Aufrechterhaltung seiner Funktion für den marktwirtschaftlichen Prozess in dem Maße durch rechtliche Ordnung und Gestaltung zu vergesellschaften, in dem es zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit erforderlich ist und in dem das Eigentum sozialschädliche Macht- und Ausbeutungschancen vermittelt. Soweit der Gesetzgeber die Sozialgebundenheit des Eigentums zur Geltung bringt, verfügt er über ein erhebliches Maß an Gestaltungsfreiheit. So ist beispielsweise die Abspaltung des Grundwassers 200 oder bestimmter Bodenschätze vom Grundeigentum und ihre Unterwerfung unter ein verselbständigtes System der Bewirtschaftung bzw von staatlich zu verleihenden Bergbauberechtigungen durch Gesetz eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigen-

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BGHZ 45, 83; BGH DÖV 1997, 127; BVerwG DVBl 1966, 751; EuGH Slg 1994, I-4973 – Rs C-280/93 – Bananenmarkt. BGHZ 111, 349 = JZ 1991, 36 m Anm Maurer. H. P. Ipsen VVDStRL 11 (1954) 129; ders in: Kaiser (Hrsg), Planung I, 1965, 35, 60 ff; ders in: Kaiser (Hrsg), Planung II, 1966, 63, 106 ff; ders FS Huber, 1973, 219; Oldiges Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, 1970; Brohm Jura 1986, 617; Badura in: Benda/ Maihofer/Vogel, HVerfR, § 10 Rn 69. BVerfGE 58, 300 (Nassauskiesung) → JK GG Art 14 I 2/13.

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tums iSd Art 14 I 2 GG.201 Das BBergG ist im Berechtsamswesen etwa zu einem öffentlich- rechtlichen Konzessionssystem übergegangen, in dessen Rahmen die Bezeichnung „Bergwerkseigentum“ für eine bestimmte, vom Grundeigentum geschiedene, beleihbare, Bergbauberechtigung hinsichtlich bergfreier Bodenschätze fortbesteht.202 Soweit die generelle und abstrakte Ausgestaltung von Eigentum bestimmter Art im Einzelfall auf bestehende Rechte stößt und diese beschneidet oder umwandelt und dadurch den Rechtsinhabern ein (unzumutbares) Sonderopfer abverlangt, muss ein Ausgleich durch Übergangsvorschriften, einen Befreiungsanspruch oder Entschädigung vorgesehen werden.203 Den Gesetzgeber kann schließlich auch eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht treffen, so etwa zugunsten des Mieters, angesichts der „Bedeutung, die die Wohnung als Mittelpunkt der menschlichen Existenz … hat“.204 Sofern eine wirtschaftslenkende Maßnahme oder Regelung den grundrechtlich 59 gesicherten Bereich des Gewerbebetriebs oder sonst eines vermögenswerten Rechtes berührt, kommt es für die Frage, ob darin nur eine entschädigungslos zu duldende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums oder ein durch Ausgleichszahlungen in seiner Intensität zu mindernder Eingriff zu sehen ist, darauf an, ob die Maßnahme – ihre Geeignetheit vorausgesetzt – im rechten Verhältnis zu der Schwere der den Eigentümer treffenden Einschränkung seiner Dispositionsfreiheit steht, mit anderen Worten, ob die Regelung notwendig (nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar) und für den Eigentümer zumutbar ist.205 Als Kriterium für die Schwere und Zumutbarkeit des Eingriffs ist von der in der Eigentumsgarantie vorausgesetzten Zweckbestimmung des Privateigentums, seiner „Privatnützigkeit“, auszugehen, nämlich seiner Funktion, im marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprozess Basis der privaten Initiative und des privaten Interesses zu sein. Ausschlaggebend ist demnach, ob eine wirtschaftslenkende Maßnahme die Privatnützigkeit des Eigentums respektiert, wesentlich beeinträchtigt oder gar beseitigt, etwa durch einen übermäßigen Zugriff der öffentlichen Hand auf das wirtschaftliche Substrat des Gewerbebetriebs oder durch Zerstörung seiner Rentabilität.206 Diese Grundsätze müssen auch für den Fall gelten, dass die Wirtschaftslenkung sich des Mediums der Besteuerung bedient; denn der Steueranspruch verkörpert nicht nur eine Geldleistungspflicht, sondern auch eine wirtschaftsverwaltungsrechtliche Beeinträchtigung des Unternehmereigentums. Damit stimmt die Rechtsprechung des BVerfG 201

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BVerwG JZ 1994, 197 (Kiesabbau in der früheren DDR); ferner BVerfG NJW 2003, 196 (Duldungsrecht des Grundeigentümers nach § 76 TKG) → JK 5/03 GG Art 14 I/45. §§ 6 ff BBergG. RegEntw: BT-Drucks 8/1315; Ausschußempfehlung und -bericht: BTDrucks 8/3965. – Westermann Freiheit des Unternehmers und des Grundeigentümers und ihre Pflichtbindungen im öffentl Interesse nach dem Referentenentwurf eines Bundesberggesetzes, 1973; Weitnauer JZ 1973, 75; Willecke Die dt Berggesetzgebung, 1977; Karpen AöR 106 (1981) 15; Piens/Schulte/Vitzthum BBergG, 1983; Kühne JuS 1988, 433. Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998; Schlette JuS 1996, 204. BVerfGE 18, 121, 131 f; BVerfG NJW 1993, 2035. BVerfGE 21, 74; 21, 150; 24, 367; 25, 112; 26, 215; 31, 229 und 275; 37, 132; 52, 1; 56, 249; 58, 300 → JK GG Art 14 I 2/13. – BGHZ 6, 270; 32, 208; 48, 193; 60, 126; BGH DVBl 1974, 625 u 627. – BVerwGE 15, 1; 24, 60. Forsthoff, VwR, 344; Reinhardt in: ders Scheuner (Fn 142), 10 ff; BGH NJW 1968, 294.

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überein, wonach die Eigentumsgarantie zwar nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten schützt, andererseits aber dennoch verletzt werden kann, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen.207 Vor allem mit dem sog Halbteilungsgrundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in Grundsatzentscheidungen zur Vermögensteuer und zur Erbschaftsteuer die Garantie des Eigentums und des Erbrechts für eine rechtsstaatliche Besteuerung fruchtbar gemacht und daraus auch Kriterien für den beherrschenden Maßstab der Steuergerechtigkeit (Art 3 I GG) gewonnen.208 Noch größer als gegenüber der Steuergewalt ist die Schwäche des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gegenüber der Geldentwertung.209 Ungerechte Auswirkungen der Geldentwertung können einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz zur Folge haben. Enteignungen sind nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie dürfen nur 60 durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt (Art 14 III GG). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Gesetz, das eine Enteignung bewirkt oder zulässt, sind eine wesentliche Ausprägung der Eigentumsgarantie. Denn diese sichert den konkreten Bestand des geschützten Eigentums in der Hand des Eigentümers, und der Eigentümer muss den hoheitlichen Zugriff auf den Bestand ihm zustehender konkreter Rechtspositionen nur unter der Voraussetzung dulden, dass das Wohl der Allgemeinheit den ihm abverlangten Rechtsentzug nach Art, Maß und Zeitpunkt erfordert.210 Wenn und soweit die gesetzlich vorgesehenen oder zugelassenen Enteignungszwecke eine nach dem Richtmaß des Wohls der Allgemeinheit vorrangige öffentliche Aufgabe darstellen und zudem sichergestellt ist, dass das Vorhaben, für das die Enteignung notwendig ist, zum Nutzen der Allgemeinheit verwirklicht werden wird, ist eine Enteignung auch zugunsten eines privatrechtlich organisierten und selbst eines privatwirtschaftlichen Unternehmens zulässig. Ergibt sich der Nutzen für das allgemeine Wohl, der mit einer Enteignung erzielt werden soll, nicht aus dem Unternehmensgegenstand selbst, sondern nur als mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit, müssen besondere Anforderungen an die gesetzliche Konkretisierung des nur mittelbar erfüllten und daher nicht von vornherein handgreiflichen Enteignungszwecks gestellt werden.211 Das Eigentumsrecht gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unions61 rechts, die aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten 207

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BVerfGE 4, 7, 16; 19, 119, 128 f; 30, 250; BVerfG NJW 76, 101 (substanzverzehrende Vermögensteuer); BVerwGE 90, 202, 207. – Kirchhof/v Arnim VVDStRL 39 (1981) 213, 286; Papier in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 18 Rn 97 ff. BVerfGE 93, 121; 93, 165. BVerfG HFR 1969, 347; BVerfGE 50, 57; 97, 350 (EURO); BFHE 89, 422; 90, 396; 102, 383; BFH BStBl II 1974, 572 und 582; BFH JuS 1976, 545. – V. Arnim Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, 1978; Schmidt FS Berliner Jur Gesellschaft, 1984, 665; Hahn Währungsrecht, 1990, 220 ff. BVerfGE 24, 267, 389; 38, 175, 180 f; 45, 297; 56, 249, 260 ff; 70, 191, 199f; 71, 137, 143. – Maurer FS Dürig, 1990, 293; Aust/Jacobs Die Enteignungsentschädigung, 1997. BVerfGE 66, 248 (§ 11 I EnWG); 74, 264 (Schaffung von Arbeitsplätzen in einem strukturschwachen Gebiet) → JK GG Art 14 III/5.

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als rechtsstaatliche Garantie abzuleiten sind (Art 6 I und II EU; Art II-77 VVE). Es unterliegt den durch das Gemeinwohl und die Ziele der EG erforderten Bindungen.212 Über deren Reichweite gehen die Auffassungen auseinander. In der Auslegung des EuGH hat die Berufung auf diese Bindungen jedenfalls bislang dazu geführt, dass noch kein einziger unionaler Rechtsakt wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie für nichtig erklärt worden ist.213 Der Vorbehalt des Art 295 EG, wonach der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt lässt, sichert dagegen lediglich ihre Entscheidungsfreiheit über Art und Abgrenzung des Sektors öffentlicher Wirtschaft, enthält aber keine Rechtszuweisung im Sinn einer unionsrechtlichen Eigentumsgarantie.214 Die verfassungsrechtliche Regelung der Sozialisierung in Art 15 GG 215 hat 62 mangels Vollzugs 216 keine praktische Bedeutung erlangt, ist – in den Grenzen des unionsrechtlich Zulässigen (Art 295 EG) – wirtschaftsverfassungsrechtlich aber jedenfalls deshalb bedeutsam, weil sie in besonders eindeutiger Weise zeigt, dass das GG nicht eine Festlegung der liberalen Wirtschaftsidee darstellt oder verlangt. Die Sozialisierung ist durch ihre auf Umschaffung der Eigentumsordnung gerichtete Zwecksetzung von der Enteignung geschieden. Da Art 15 GG den Gesetzgeber nicht zur Sozialisierung verplichtet und deshalb seine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gestaltungsfreiheit nicht berührt, besteht die rechtliche Wirkung dieser Vorschrift lediglich darin, dass sie einen etwaigen Sozialisierungswillen auf die aufgeführten Objekte der Produktionssphäre beschränkt, deren Sozialisierungsfähigkeit allerdings zugleich abstrakt feststellt, und dass sie durch die Verweisung auf die Regelung der Enteignungsentschädigung eine entschädigungslose Sozialisierung ausschließt.

III. Wirtschaftsverwaltung 1. Organisation a) Unionale Wirtschaftsverwaltung Auch wenn der Vollzug des Unionsrechts nach wie vor Aufgabe der Mitgliedstaaten 63 ist, erfolgt er in immer mehr Bereichen doch in einer Kooperation von Europäischer Kommission, anderen Einrichtungen der EU (Agenturen, Ämter, sonstige Stellen) und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.217 Die Beihilfenaufsicht der 212

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EuGH Slg 1974, 491 (Rn 14) – Rs 4/73 – Nold; Slg 1979, 3727 (Rn 17 ff) – Rs 44/79 – Hauer; Slg 1989, 2609 – Rs 5/88 – Wachauf; Slg 1994, I-4973 – Rs C-280/93 (Bananenmarkt); Müller-Michaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, 1997. P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 8 Rn 71. Everling FS Ludwig Raiser, 1974, 379. Ipsen/Ridder VVDStRL 10 (1952) 74, 124; Krüger GRe III/1, 267; Isensee DÖV 1978, 233; Badura in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 10 Rn 15 ff. – So Rn 5. Zu der aufgrund Art 41 HessVerf erfolgten Sozialisierung und deren Schicksal Krüger AöR 77 (1951/52) 46; H. P. Ipsen DÖV 1952, 225; ders FS Jahrreiß, 1964, 115. P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 20; ders FS Brohm, 2002, 127.

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Kommission nach Art 88 EG, VO/EG Nr 659/1999 218, der Vollzug des Kartellrechts nach Art 83 EG, VO/EG Nr 1/2003, der Vollzug des Lebensmittelrechts durch die Europäische Lebensmittelbehörde und das ihr angegliederte Netzwerk auf der Grundlage der sog BasisVO/EG Nr 178/2002 219 sind insoweit nur einige Beispiele. b) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern 64 Während die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts zur ausschließlichen oder konkurrierenden Kompetenz des Bundes gehört, ist die Ausübung öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft ganz überwiegend eine Angelegenheit der Länder (Art 30, 83, 84 GG). Die Formulierung der Wirtschaftspolitik hingegen liegt im Wesentlichen in der Hand der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministers, ebenso wie die abgeleitete Rechtsetzung durch Rechtsverordnungen (siehe auch Art 98 f EG); für diese ist meistens die Zustimmung des Bundesrates erforderlich (Art 80 II, 109 IV 3 GG). Zur periodischen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit ist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung errichtet worden.220 Die Bundesregierung nimmt in ihrem Jahreswirtschaftsbericht zu dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates Stellung (§ 2 I 2 Nr 1 StWG). Eine Ausübung von Wirtschaftsverwaltung durch den Bund erfolgt gemäß Art 87 65 III 1 GG mit Hilfe von Bundesoberbehörden, wie zB dem Bundeskartellamt,221 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen“,222 dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) 223 und dem Bundesamt für Güterverkehr,224 sowie von bundesunmittelbaren Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts 225, wie zB der Bundesanstalt für Land-

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P. M. Huber Recht der Europäischen Integration, § 17 Rn 110ff. P. M. Huber ZLR 31 (2004) 241; Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003. G über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung v 14. 8. 1963 (BGBl I 685); zul geänd durch G v 8. 6. 1967 (BGBl I 582). – Jahresgutachten 2004/05 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks 15/4300. – Heinze Staat 6 (1969) 433; Brohm FS Forsthoff, 1972, 37; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II (2. Aufl 1998), § 36; Molitor (Hrsg), Zehn Jahre Sachverständigenrat, 1973; Scholz DÖV 1973, 843; Kämper Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,1989. §§ 48 ff GWB. Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2001/ 2002 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (§ 50 GWB), BTDrucks 15/1226. – Günther ZHR 125 (1963) 38; 10 Jahre Bundeskartellamt, 1968. Art 87 f Abs 2 S 2 GG; §§ 66 f TKG, § 44 PostG; BT-Drucks 15/3917. Art 1 des G über die Zusammenlegung des Bundesamtes für Wirtschaft mit dem Bundesausfuhramt (BGBl I 2000, 1956). §§ 10 ff GüKG. Schuppert Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981.

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wirtschaft und Ernährung (BLE) 226 oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).227 Der Bund hat darüber hinaus die Deutsche Bundesbank als Währungs- und Notenbank errichtet (Art 88 GG).228 Sie war zunächst eine – jedenfalls aufgrund einfach-gesetzlicher Anordnung 229 – unabhängige (ministerialfreie) Anstalt des öffentlichen Rechts230. Die Maastricht-Novelle v 21. 12. 1992 hat Art 88 GG durch die (deklaratorische) Klarstellung ergänzt, dass die Aufgaben und Befugnisse der Bundesbank der Europäischen Zentralbank übertragen werden können. Sie hat dieser Klarstellung die Klausel hinzugefügt, dass die Europäische Zentralbank unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet sein muss, und damit konkludent die bis dahin nur durch Gesetz geregelte Unabhängigkeit der Bundesbank auch verfassungsrechtlich abgesichert. Zudem hat sie die Wahrung der Geldwertstabilität – in Modifikation von Art 109 II GG – als Staatsziel fixiert. Das BBankG wurde durch zwei Novellen den institutionellen Bestimmungen des EG-Vertrages über die Währungsunion (Art 112 ff EG) angepasst (Art 109 EG). Kraft des 6. BBankGÄndG vom 22. 12. 1997 (BGBl I 3274) sind die währungs- und kreditpolitischen Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank auf das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) übergegangen; seitdem handelt die Bundesbank gemäß den Leitlinien und Weisungen der Europäischen Zentralbank. Das 7. BBankGÄndG vom 23. 3. 2002 (BGBl I 1159) hat den Zentralbankrat durch einen achtköpfigen Vorstand (Bund vier, Länder vier Mitglieder) ersetzt und die Auflösung der neun Landeszentralbanken als eigenständige Organisationseinheiten und deren Unterordnung als weisungsabhängige Hauptverwaltungen unter die Zentrale verfügt. Der Vorstand mit der Zentrale am Sitz der Bank hat die Stellung einer obersten Bundesbehörde, die Hauptverwaltungen und Filialen haben die Stellung von Bundesbehörden. Die Deutsche Bundesbank ist nunmehr als Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland „integraler Bestandteil“ des ESZB. Sie wirkt an der Erfüllung seiner Aufgaben mit dem vorrangigen Ziel mit, die Preisstabilität zu gewährleisten, hält und verwaltet die Währungsreserven der Bundesrepublik Deutschland, sorgt für die bankmäßige Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Inland und

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G v 2. 8. 1994 (BGBl I 2018), zul geänd durch G v 31. 3. 2004 (BGBl I 484). RegEntw, BT-Drucks 14/7033; Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks 14/8389. – Pitschas (Hrsg), Integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht, 2002; Reiter/Geerlings DÖV 2002, 562. BVerwGE 41, 334; v Spindler/Becker/Starke Die Deutsche Bundesbank, 4. Aufl 1973; Stern, StR II, 463 ff; Gramlich BBankG, WährungsG, MünzG, 1988; Hahn Währungsrecht, 1990, 238 ff; Schmidt in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 1 Rn 135 ff; Reidt Konjunktursteuerung in: Jarass (Hrsg), Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl 1997, § 13 Rn 25 ff; Deutsche Bundesbank (Hrsg), Fünfzig Jahre Deutsche Mark. Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, 1998. Ob sie auch de jure unabhängig war, blieb bis zum Schluss umstritten, BVerfGE 62, 169, 183 (Sonderguthaben für Deutsche in der ehem. DDR). Kämmerer in: v Münch/Kunig, GG III, Art 88 Rn 4.

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mit dem Ausland und trägt zur Stabilität der Zahlungs- und Verrechnungssysteme bei (§ 3 BBankG). Der Schwerpunkt wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Zuständigkeiten liegt aller66 dings bei den Ländern, die nach Art 84 I GG idR zur Ausführung der Bundesgesetze berufen sind. Auf dieser Grundlage regeln sie in ihren Ausführungsgesetzen und -verordnungen namentlich die Zuständigkeit ihrer Behörden zum Vollzug des Bundesrechts. Die Gemeinden sind im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts zur Entfaltung kommunaler Wirtschaftsverwaltung befugt.231 In einigen gesamtwirtschaftlich wesentlichen Gebieten, wie dem Atomrecht (Art 87 c GG), kann durch Gesetz die Bundesauftragsverwaltung vorgesehen werden, die den obersten Bundesbehörden einen stärkeren Einfluss auf die Verwaltung der Länder, insbes ein Weisungsrecht, einräumt (Art 85 GG).232 Durch die Ausübung des Weisungsrechts nimmt der Bund die „Sachkompetenz“ für die Ausführung des Bundesgesetzes in Anspruch. Die „Wahrnehmungskompetenz“ aber bleibt bei den Ländern.233 c) Selbstverwaltung der Wirtschaft 67 Neben den staatlichen Behörden der Wirtschaftsverwaltung bestehen im Bereich der Industrie und des Handels, des Handwerks und der Landwirtschaft Einrichtungen einer „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ in Gestalt von Körperschaften des öffentlichen Rechts.234 Die ebenso wie die Kammern der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft auf dem Prinzip der körperschaftlichen Selbstverwaltung beruhenden Kammern der freien Berufe, zB der Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, die wegen der von ihnen angebotenen gehobenen Dienstleistungen und Geschäftsbesorgungen außerhalb des Gewerberechts stehen, werden als ein besonderer Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung angesehen.235 Bei den Kammern der Selbstverwaltung der Wirtschaft handelt es sich organisationsrechtlich und äußerlich um Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung mit einem bestimmten Bezirk, die für die Vertretung der Interessen ihrer körperschaftlich zusammengeschlossenen Mitglieder das Recht der Selbstverwaltung besitzen und unter Staatsaufsicht stehen. Die Bildung dieser Verwaltungseinheiten entspringt allerdings nicht dem Organisationsprinzip der Dezentralisation, dh dem Gedanken, eine Verwaltungsaufgabe durch Ausgliederung aus der unmittelbaren Staatsverwal231 232 233 234

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Stober JZ 1984, 105. Lukes/Birkhofer (Hrsg), Neuntes Dt Atomrechts-Symposium, RTW 64, 1991, 49 ff. BVerfGE 81, 310; 84, 25; 104, 249 (Biblis) mit SV Di Fabio und Mellinghoff 273. E. R. Huber Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958; Brohm Fg f v Unruh, 1983, 777; Tettinger DÖV 1995, 169; ders Kammerrecht, 1997; Kluth Funktionale Selbstverwaltung, 1997; Hendler DÖV 1986, 675. – Selbstverwaltung der Wirtschaft findet auch durch nicht rechtsfähige, bestimmten Behörden zugeordnete Gremien statt, wie zB die Frachtenausschüsse der Binnenschiffahrt gem §§ 21 ff BinSchVG aF (BVerwGE 31, 359). Brandstetter Der Erlaß von Berufsordnungen durch die Kammern der freien Berufe, 1971; Hahn Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung der verkammerten freien Berufe, 1974; Badura Dt Architektenbl 1979, BY 67; Papenfuß Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991; Becker-Platen Die Kammern der freien Heilberufe, Diss München 1998; Tettinger NWVBl 2002, 20.

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tung besser erledigen zu können, sondern der Absicht, die kollektive Interessenwahrung in einzelnen Wirtschaftszweigen durch die öffentlich-rechtliche Organisation der Interessenten zu begünstigen und bis zu einem gewissen Grade zu disziplinieren; neben den eigenen Angelegenheiten der Mitglieder spielen bei den Trägern der wirtschaftlichen Selbstverwaltung übertragene Angelegenheiten nur eine geringe Rolle. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der hier meist bestehenden Zwangsmit- 68 gliedschaft und damit der „Verkammerung“ der Wirtschaft überhaupt beurteilt sich nicht nach Art 9 I GG, dessen Schutzbereich nur die privatautonome Assoziation erfasst und deshalb die „negative“ Vereinigungsfreiheit nur bei privatrechtlichen Organisationsformen schützt. Die Praxis zieht die allgemeine Handlungsfreiheit heran; Art 2 I GG steht nicht im Wege, wenn sich der Staat bei der „legitimen Aufgabe der Förderung der Wirtschaft“ der Hilfe von Einrichtungen bedient, die er auf gesetzlicher Grundlage aus der Wirtschaft heraus sich selbst bilden lässt und die durch ihre Sachkunde die Grundlage dafür schaffen helfen, dass staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen.236 Die Errichtung einer derartigen Körperschaft ist nur durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes möglich. Das Gesetz bestimmt Aufgabe und Wirkungskreis (Verbandskompetenz) der Körperschaft. Eine Tätigkeit außerhalb dieser gesetzlichen Festlegung, insbes ein allgemeinpolitisches Mandat steht der Körperschaft nicht zu. Das Zwangsmitglied hat einen klagbaren Anspruch darauf, dass sich die Körperschaft in den Grenzen ihrer Verbandskompetenz hält.237 Die Satzungsgewalt der Körperschaft ist personell auf ihre Mitglieder und sachlich auf ihren gesetzmäßigen Aufgabenkreis beschränkt. Berufsverbände, wie die Rechtsanwaltskammern, sind Unternehmensvereinigungen iSd Art 81 EG, unterliegen also den unionalen Wettbewerbsregeln, soweit sie durch ihre Beschlüsse kraft autonomer Entscheidung Regeln über das Verhalten ihrer Mitglieder aufstellen. Dass sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und Berufspflichten durch Satzung normativ festlegen, steht dem nicht entgegen. Eine berufsständische Regelung der Berufspflichten beschränkt den innergemeinschaftlichen Wettbewerb, verstößt aber weder gegen Art 81 I EG, noch gegen das Niederlassungsrecht (Art 43 EG) und die Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EG), wenn die Kammer bei vernünftiger Betrachtung annehmen kann, dass die Regelung trotz der notwendig mit ihr verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen für die ordnungsgemäße Ausübung des Berufes, wie er in dem betreffenden Mitgliedstaat geordnet ist, erforderlich ist.238 236

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BVerfGE 15, 235; 32, 54; BVerfG DVBl 2002, 407 → JK GG Art 2 I/35; BVerwGE 107, 169; BVerwG NJW 1997, 814. – Gornig WiVerw 1998, 157. BVerfGE 33, 125 (Facharzt-Urteil); BVerwGE 64, 298 (Ärztekammer), Anm Redeker NJW 1982, 1266; BVerwG GewArch 1996, 465 (Warentest durch Landwirtschaftskammer); BVerwG NVwZ-RR 2001, 93 → JK GG Art 2 I/34. – Ress GS Dietrich Schultz, 1987, 305; Meßerschmidt VerwArch 81 (1990) 55; Kannengießer WiVerw 1998, 182. EuGH Slg 2002, I-1577 – Rs C-309/99 – Wouters (Schutz der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts durch ein Sozietätsverbot mit einer Wirtschaftsprüfergesellschaft), m Anm Eichele EuZW 2002, 182; Henssler JZ 2002, 983; Römermann/Wellige BB 2002, 633.

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Die Industrie- und Handelskammern 239 haben die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Die Kammern wirken an der Berufsausbildung mit. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen gehört nicht zu ihren Aufgaben. Kammerzugehörige, die durch Beiträge (Grundbeiträge und Umlagen) die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Kammern aufzubringen haben, sind natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Kammerbezirk entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten und mit dieser gewerbesteuerpflichtig sind;240 von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind die nicht in das Handelsregister eingetragenen freiberuflich tätigen Personen und Inhaber land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe (§ 2 IHKG). Der Inhaber eines Handwerksbetriebs, der außerdem eine nicht-handwerkliche Gewerbetätigkeit ausübt, gehört mit diesem Betriebsteil der Kammer an. Das Beitragsrecht ist durch die Novellen v 21. 12. 1992 (BGBl I 2133) und v 23. 7. 1998 (BGBl I 1887, ber 3158) reformiert und deutlicher an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen ausgerichtet worden (§ 3 III und IV IHKG).241 Die Pflichtmitgliedschaft in einer Industrie- und Handelskammer und die damit verbundene Beitragslast sind weiterhin verfassungsmäßig.242 Die Handwerkskammern 243 haben die Aufgabe, die Interessen des Handwerks 70 zu wahren und zu fördern und an der Berufsausbildung mitzuwirken (§§ 90 ff HwO). Eine betriebliche Beratung der Mitglieder hält sich im Rahmen der Kammeraufgaben, nicht jedoch eine wirtschaftliche Betätigung der Kammer.244 Die 69

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Frentzel/Jäckel/Junge Industrie- und Handelskammergesetz, 6. Aufl 1999; Leibholz Die Stellung der Industrie- und Handelskammern in Gesellschaft und Staat, 1966; Stober Die Industrie- und Handelskammer als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992; ders GewArch 1992, 41; ders DÖV 1993, 333; Jahn JA 1995, 972; Axer GewArch 1996, 453. BVerwGE 16, 295; 22, 58; 55, 1; BVerwG GewArch 1984, 350; BVerwG GewArch 2002, 69. R. Jahn GewArch 1993, 129; ders GewArch 1995, 457; ders GewArch 1998, 356; ders NVwZ 1998, 1042; ders GewArch 1999, 449; Schulte Westenberg NJW 1994, 27. Entwicklung der Beiträge BT-Drucks 14/9175. BVerfG DVBl 2002, 407 → JK GG Art 2 I/35, Anm Jahn JuS 2002, 434; ders GewArch 2002, 98. Fröhler Die Staatsaufsicht über die Handwerkskammern, 1957; ders Das Organisationsrecht der Handwerksordnung, 1973; Chesi Struktur und Funktionen der Handwerksorganisation in Deutschland seit 1933, 1966; Kolbenschlag/Patzig Die dt Handwerksorganisation, 1968; Stober Rechtsfragen bei Mitgliederklagen auf Einhaltung des Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiches innerhalb der Handwerksorganisation, 1984; Kopp WiVerw 1994, 1; Degenhart DVBl 1996, 551. OVG Lüneburg GewArch 1986, 201. – Ress GS Schultz, 1987, 305.

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Mitgliedschaft der Handwerkskammer beim Deutschen Handwerkstag und beim Zentralverband des Deutschen Handwerks dient der Erfüllung der Kammeraufgaben und kann rechtlich nicht beanstandet werden.245 Mitglieder der Handwerkskammern sind die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe im Kammerbezirk sowie die Gesellen und Lehrlinge dieser Gewerbetreibenden. Die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe tragen durch Beiträge zur Deckung der Kosten bei, die durch die Errichtung und Tätigkeit der Handwerkskammer entstehen (§ 113 HwO).246 Die Handwerksinnungen stellen einen freiwilligen Zusammenschluss der selbst- 71 ständigen Handwerker desselben Handwerks oder verwandter Handwerke auf der Kreisebene dar und sollen die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder fördern (§§ 52 ff HwO). Sie werden von der zuständigen Handwerkskammer beaufsichtigt (§ 75 HwO) 247 und sind fachlich zu Landesinnungsverbänden (§ 79 HwO) und örtlich zu Kreishandwerkerschaften (§ 86 HwO) zusammengeschlossen. Die Landesinnungsverbände und die Kreishandwerkerschaften sind in Rechtsformen des Privatrechts organisiert. Die Tariffähigkeit der Innungen und Innungsverbände (§§ 54 III Nr 1, 82 Nr 3 HwO) verletzt Art 9 III GG nicht.248 Innungen und Innungsverbände sind für den Wirkungskreis, in dem sie Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen, nicht grundrechtsfähig. Soweit sie dagegen durch einen hoheitlichen Eingriff als Interessenvertretung und nicht in ihrer Funktion als Teil der staatlichen Verwaltung betroffen sind, können sie sich auf Grundrechte berufen.249 Für das Recht der Landwirtschaftskammern besteht eine bundesrechtliche Rege- 72 lung, die gemäß Art 74 I Nr 17 GG möglich wäre, noch nicht. In einer Anzahl von Bundesländern sind jedoch Landwirtschaftskammern auf landesrechtlicher Grundlage errichtet worden.250 Die Veröffentlichung von Warentests durch eine Landwirtschaftskammer ohne gesetzliche Grundlage überschreitet die Verbandskompetenz der Kammer und verletzt die Berufsfreiheit der betroffenen Hersteller (Art 12 I GG).251 In Anlehnung an die in Art 165 WRV vorgesehenen Wirtschaftsräte, in denen 73 Vertreter der Unternehmer und der Arbeitnehmer zusammenwirken sollten, hatten Bremen 252 und Rheinland-Pfalz 253 – mittlerweile aufgelöste – Wirtschaftskammern 245

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BVerwG NJW 1987, 338 m Anm Pietzcker NJW 1987, 305 und Siegert/Sternberg GewArch 1986, 300. BVerwG NJW 1977, 1893; BVerwG GewArch 2002, 245. BVerwG GewArch 1992, 302. BVerfGE 20, 312. BVerfGE 68, 193 → JK GG Art 19 III/5; 70, 1, 20f; BVerfG NVwZ 1994, 262. – Seidl FS Zeidler, 1987, Bd 2, 1459. Vgl zB das niedersächs Gesetz über Landwirtschaftskammern idF v 10. 2. 2003 (GVBl 61, 176), zul geänd am 5. 11. 2004 (GVBl 412). Der Bayer Bauernverband ist eine Körperschaft des öffentl Rechts mit freiwilliger Mitgliedschaft; VO Nr 106 v 29. 10. 1946 (BayRS 7800-2-E), Bek v 17. 2. 1960 (StAnz Nr 9). – Sauer Landwirtschaftliche Selbstverwaltung, 1957. BVerwG GewArch 1996, 465. Art 46 BremVerf aF; BremischesWirtschaftskammerG v 23. 6. 1950 (GVBl 71). Art 71 ff VerfRhPfalz aF.

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errichtet. Das Grundgesetz hat lediglich eine gemeinwirtschaftliche Selbstverwaltung für sozialisierte Produktionsmittel in Betracht gezogen, davon ist jedoch kein Gebrauch gemacht worden (Art 15). Nach dem Vorbild des Reichswirtschaftsrates der Weimarer Republik 254 und der Wirtschaftsräte in einigen westeuropäischen Verfassungen ist vor allem in den 1970er Jahren immer wieder eine quasi-parlamentarische Repräsentation der organisierten Interessen der Wirtschaft in einem „Bundeswirtschaftsrat“ oder „Wirtschafts- und Sozialrat“ gefordert worden.255 Ein derartiges Verfassungsorgan, das – ähnlich dem mittlerweile abgeschafften Bayerischen Senat 256 – beratend oder beschließend (sei es auch nur im Rahmen eines Rechts zur Gesetzesinitiative) an der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung oder an der gesamten Gesetzgebungstätigkeit einschließlich des Haushaltsgesetzes beteiligt wäre, würde zum Grundsatz der parlamentarischen Demokratie in einen gewissen Widerspruch treten und könnte – wenn es institutionalisierte Mitwirkungsrechte haben soll – jedenfalls nicht ohne eine Verfassungsänderung errichtet werden. Während ein Wirtschafts- und Sozialrat als Werkzeug überbetrieblicher Mitbestimmung oder als korporativ-professionelle Ergänzung des Parlamentarismus verstanden wird, stehen die auf anderen Vorstellungen beruhenden Arbeitskammern ihrem Prinzip nach in einer Spannungslage zu den Koalitionen und der Koalitionsfreiheit.257 Die EU hat den Einfluss der organisierten Interessen in beratenden Einrichtungen institutionalisiert, nämlich in dem Wirtschafts- und Sozialausschuss von EG und EAG (Art 257 ff EG).258 d) Wirtschaftsverbände, Koalitionsfreiheit 74 Als privatrechtlich organisierte Vereinigungen des Wirtschaftslebens bestehen die Koalitionen (Art 9 III GG) und die Wirtschafts- oder Unternehmensverbände (Art 9 I GG). Koalitionen sind freiwillige und überbetriebliche Vereinigungen entweder von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern („Gegnerfreiheit“) mit dem Ziel der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, aber nicht notwendig mit Tarifwilligkeit und Streikbereitschaft.259 Wirtschaftsverbände sind

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Art 165 WRV; VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat v 4. 5. 1920 (RGBl 858). Entwurf eines Gesetz über die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates: BT-Drucks VI/2514. – Bryde Zentrale wirtschaftspolitische Beratungsgremien in der parlamentar Verfassungsordnung, 1972; Steinberg DÖV 1972, 837; Rupp Die „öffentlichen“ Funktionen der Verbände und die demokratisch-repräsentative Verfassungsordnung, SchrVfS 74/II, 1973, 1251; Donner DVBl 1974, 183; Böckenförde Staat 15 (1976) 457; Stern JöR 25 (1976) 103; Saipa AöR 102 (1977) 497; Menzel Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980. G zur Abschaffung des Bayerischen Senates v. 20. 2. 1998 (GVBl 42). – BayVerfGHE 52, 104; Sachs JuS 2000, 705. BVerfGE 38, 281. – Zacher Arbeitskammern im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1971; Gass DÖV 1960, 778; Mronz Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973. Zellentin Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG und Euratom, 1962; Brüske Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europ Gemeinschaften, 1979. BVerfGE 18, 18; Ramm JuS 1966, 223; BAGE 21, 98; 23, 320; BAG JZ 1977, 470. – Badura ArbRGgwart 15 (1978) 17.

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Vereinigungen von fachlich gleichartigen Unternehmen zur Wahrung und Förderung der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Interessen und deren Zusammenschlüsse in regionalen und bundesweiten Spitzenverbänden, wie zB der Bundesverband der Deutschen Industrie.260 Die Wirtschaftsverbände können für ihren Bereich Wettbewerbsregeln261 aufstellen und bei der Kartellbehörde deren Eintragung in das Register für Wettbewerbsregeln beantragen (§§ 24 ff GWB). Ein von ihnen ausgeübter diskriminierender Organisationszwang ist kartellrechtlich verboten (§§ 21, 33 GWB). Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind präsumtive Partner einer „konzertierten Aktion“ (§ 3 StabG). Die Koalitionsfreiheit (Art 9 III GG) ist, über ihre individualrechtliche Wirkung 75 hinaus, ein tragender Grundsatz der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung.262 Sie gewährleistet jedermann das Recht, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben, sich in ihnen zu betätigen und aus ihnen auszutreten. Das Grundrecht ist auch ein Bestands- und Betätigungsrecht der Koalitionen selbst. Zu dem geschützten Tätigkeitsbereich der Koalitionen gehören alle Vorkehrungen und Verhaltensweisen, die der Erhaltung und Organisation der Koalition und der Verfolgung ihrer koalitionsmäßigen Ziele dienen, so beispielsweise die Tätigkeit im Rahmen der Betriebsverfassung, die Werbung neuer Mitglieder, der Abschluss von Tarifverträgen (Tarifautonomie)263 und der Arbeitskampf (Streik, Aussperrung).264 Die 260

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Nicklisch Die Koppelung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgeberverbänden, 1972; Völpel Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972; Steinberg ZRP 1972, 207; ders PVS 14 (1973) 27; Leßmann Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, 1976; v Arnim Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977; Berg DV 11 (1978) 71; Ipsen ZGR 1980, 548; Schmidt in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 1 Rn 79 ff. BGHZ 46, 168; Oehler Wettbewerbsregeln als Instrument der Wettbewerbspolitik, 1968 (Rez Schüller ORDO XXI [1970], 407). Dietz GRe III/1, 417; Weber Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1955; Scholz Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971; ders Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, 1972; Badura RdA 1974, 129; ders RdA 1976, 275; Farthmann/Coen in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 19; Seiter AöR 109 (1984) 88; Löwisch/Rieble in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2000, §§ 242–280. – BVerfGE 4, 96; 17, 319; 18, 18; 19, 303; 20, 312; 28, 295; 34, 307; 38, 281; 38, 386; 42, 133; 44, 322; 50, 290, 366 ff; 51, 77, 87 f; 55, 7; 57, 220, 244 ff; 58, 233; 60, 162, 169 f; 84, 212; 93, 352; 94, 268. TarifvertragsG idF v 25. 8. 1969 (BGBl I 1323). Materialien zur Entstehung des TVG v 9. 4. 1949, ZfA 4 (1973) 129; Herschel ebd, 183. – BVerfGE 4, 96; 34, 307; 44, 322; 50, 290, 369; 55, 7, 20 ff; 58, 233, 246 ff; 84, 212, 224 f; 92, 365 → JK GG Art 9 III/12; 94, 268, 282 ff; 100, 271, 282 ff; 103, 293, 304 ff. – Wiedemann TVG, 6. Aufl 1999; Sachs RdA 1989, 25; Jarass NZA 1990, 505; Lerche FS Steindorff, 1990, 897; Saecker/Oetker Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 1992; Farthmann/Coen in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 19 Rn 46 ff; Söllner NZA 1996, 897; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, 1997; Zöllner/Loritz Arbeitsrecht, 5. Aufl 1998, 365 ff; Picker Die Tarifautonomie in der deutschen Arbeitsverfassung, 2000; Brox/Rüthers/Henssler Arbeitsrecht, 16. Aufl 2004, Rn 679 ff. BVerfGE 38, 386; 84, 212 (Richardi JZ 1992, 27); 88, 103 (Isensee DZWir 1994, 309; Jachmann ZBR 1994, 1); 92, 365; BAG 1, 291; BAG AP Nr 41 zu Art 9 GG Arbeitskampf;

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3. Kap III 1 d

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Koalitionsfreiheit der Koalitionen und die Koalitionsfreiheit der Einzelnen können in Konflikt geraten, entweder im Hinblick auf die Organisation und Willensbildung der Koalitionen 265 – „innerverbandliche Demokratie“, Organisationszwang – oder im Verhältnis der Koalitionen zu den Nichtorganisierten und deren „negativer“ Koalitionsfreiheit 266 – bes Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in tariflichen Regelungen. Die Koalitionsfreiheit enthält drittens die Gewährleistung eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems im Sinne des kollektiven Arbeitsrechts mit frei gebildeten Koalitionen als Tarifparteien (Institutsgarantie).267 Sie statuiert im Bereich der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den grundsätzlichen Vorrang der Tarifautonomie vor einer zwingenden gesetzlichen Regelung und garantiert so einen „Kernbereich“ verbandsmäßiger Aushandlung und Entscheidung. Art 9 III GG verleiht den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen offen stehenden Bereich ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol. Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln (Art 74 I Nr 12 GG). Auch Einschränkungen der Tarifautonomie sind verfassungsgemäß, wenn der Gesetzgeber mit ihnen den Schutz der Grundrechte Dritter oder den Schutz von mit Verfassungsrang ausgestatteten Gemeinwohlbelangen bezweckt und wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.268 Beispielsweise können gesetzliche Regelungen, die zu Eingriffen in die Tarifautonomie der Arbeitnehmerkoalitionen führen, zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gerechtfertigt sein.269

265

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269

BAG 23, 292; 33, 140; BAG EzA § 615, 7 BGB Betriebsrisiko; BAG SAE 1983, 217; BAG JZ 1986, 596; BAG JZ 1989, 750 m Anm Konzen; BAG JZ 1989, 85 m Anm Löwisch. – Lerche Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968; Scheuner RdA 1971, 327; Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975; ders RdA 1986, 165; Konzen AcP 1977, 1977, 473; Scholz/Konzen Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht, 2. Aufl 1982; Picker Der Warnstreik, 1983; Badura DB 1985, Beilage Nr 14/85; Buchner RdA 1986, 7; Richardi RdA 1986, 146; Scholz ZFA 1990, 377. Richardi AöR 93 (1968) 243. – Zur Zulässigkeit des Ausschlusses eines Gewerkschaftsmitglieds: BGH NJW 1973, 35; BGHZ 102, 265; BGH NJW 1991, 485. BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG JZ 1981, 23; BVerfG NJW 2000, 3704 (ArbeitnehmerEntsendegesetz) mit Anm R. Scholz SAE 2000, 266; BAG JZ 1969, 105. – Biedenkopf JZ 1961, 346; Gamillscheg Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966; Leventis Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, 1974; Seiter JZ 1979, 657; ders JZ 1980, 749; Hanau/Kroll JZ 1980, 181. BVerfGE 4, 96; 50, 290, 366 ff. BVerfGE 103, 293, 306 (Anrechnung von Zeiten einer Kur auf den tariflichen Erholungsurlaub). – Rupp JZ 1998, 919. BVerfGE 100, 271 (Lohnabstandsklauseln bei bestimmten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, § 275 II SBG III).

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2. Ziele, Wirkungsfelder und Werkzeuge a) Verwaltungszwecke und Rechtsformen Die Aufgaben des Staates für die Wirtschaftspolitik, im Grundgesetz durch die Ver- 76 fassungsidee des sozialen Rechtsstaates und die konjunkturpolitische Maxime, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen, nur der Grundlinie nach vorgezeichnet (Art 20 I, 109 II GG), werden durch die Gesetzgebung bestimmt. Sie erscheinen auf der Ebene des Vollzugs als Verwaltungszwecke behördlichen Handelns. Die Eigenart dieser Verwaltungszwecke und das Bedürfnis nach einem den wahrzunehmenden Aufgaben angepassten Instrumentarium des Vorgehens haben eine bewegliche Vielfalt von Rechtsformen hervorgebracht.270 Das gilt für die Organisation, besonders aber für die Entscheidungsverfahren und Tätigkeitsformen der planenden, beeinflussenden, lenkenden, gebietenden und leistenden Verwaltung. Der punktuelle „Eingriff“ der Exekutive ist jenseits der klassischen Wirtschaftsüberwachung daher vielfach in größere Zusammenhänge der Planung, Ordnung und Gestaltung eingebettet. Unter dem Blickwinkel der die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisse bestimmenden Verwaltungszwecke sind die eingesetzten Rechtsformen des Verwaltungshandelns dabei häufig austauschbar, wie etwa die weitgehende funktionale Äquivalenz von Verkaufsverboten und Verbraucherwarnungen zeigt.271 Der Staat verlässt sein durch Verfassung und Gesetz vorgezeichnetes Wirkungs- 77 feld auch dann nicht, wenn er sich privatrechtlicher Gestaltungsformen bedient. Art und Umfang der Bindung der Exekutive werden allerdings durch die Wahl der organisatorischen und funktionellen Rechtsformen beeinflusst, sind also im Lichte parlamentarisch vermittelter politischer Verantwortlichkeit – im Hinblick auf das demokratische Legitimationsniveau 272 – und rechtsstaatlicher Messbarkeit nicht bedeutungslos. Ausschlaggebend bleibt freilich die Unterscheidung des in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsform wahrgenommenen Verwaltungshandelns von der privatautonomen und privatwirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen und der privaten Haushalte.273 270

271 272 273

Forsthoff Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959; E. R. Huber Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl Bd I, 1953, 47 ff; Lerche DÖV 1961, 486; Badura DÖV 1966, 624; Rüfner Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967; Stern Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, 1969; Bachof/Brohm VVDStRL 30 (1972) 193, 245; Steindorff FS Ludwig Raiser, 1974, 621; Haverkate Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983; Bohne VerwArch 75 (1984) 343; Becker DÖV 1985, 1003; Ossenbühl Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986; Bauer VerwArch 78 (1987) 241; Robbers DÖV 1987, 272; Brohm NJW 1994, 281. BVerfGE 105, 252 (Glykol); P. M. Huber JZ 2003, 290 ff. P. M. Huber FS Badura, 2004, 900. Folgerichtig können sich staatlich beherrschte Beteiligungsgesellschaften nicht auf Grundrechte berufen (BVerfGE 45, 63, 78 f; 61, 82, 100 ff; BVerfG NJW 1980, 1093; BVerfG NJW 1990, 1783); P. M. Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 5. Aufl 2005, Art 19 Abs 3 Rn 284; dagegen Schmidt-Aßmann BB Beilage 34, 1990; Koppensteiner NJW 1990, 3105.

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Die in privatrechtlichen Organisations- oder Handlungsformen auftretende Verwaltung verfolgt unterschiedliche Verwaltungszwecke. Das ist hauptsächlich bei den weitgefächerten Aktivitäten der Leistungsverwaltung zu beachten. Die Verwaltungstätigkeit im Rahmen der „Daseinsvorsorge“ (Forsthoff) bzw der Infrastrukturverantwortung (Hermes) gewährt Leistungen und Vorteile zum Zwecke der Befriedigung durch die Hilfsquellen der Begünstigten oder die Arbeitsweise des Marktes typischerweise nicht gedeckter Bedürfnisse, wie bei der Sozialversicherung oder den (kommunalen) Versorgungsbetrieben (Energie, Wasser, Abwasser, Abfallbeseitigung, Telekommunikation, Post, öffentlicher Verkehr). Insoweit rechnet auch die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand dort, wo sie eine öffentliche Versorgungsaufgabe erfüllt, wie bei dem Großteil der Dienstleistungsangebote der Gemeindebetriebe, zur Leistungsverwaltung. In anderen Fallgruppen der Leistungsverwaltung wird vorherrschend ein Gestaltungs- oder Lenkungszweck verfolgt, vor allem bei der Subventionsverwaltung. Von der Leistungsverwaltung unterschieden wird traditionell das fiskalische Verwaltungshandeln, also die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand und die Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Beteiligung des Staates und sonstiger Verwaltungsträger, besonders der 78 Gemeinden, am Privatrechtsverkehr führt zu der schon in der Weimarer Zeit (H. Fleiner) thematisierten Frage, ob die Exekutive sich damit den rechtsstaatlichen und verwaltungsrechtlichen Bindungen entziehen kann und wie ein Privater über Privatautonomie und Vertragsfreiheit verfügt. Die über Jahrzehnte dominierende Lehre vom „Verwaltungsprivatrecht“ (Hans J. Wolff) hat hier eine Unterscheidung danach getroffen, ob die Exekutive öffentliche Verwaltung in privatrechtlicher Form ausübt, also die Gestaltungsmöglichkeit des Privatrechts nur als eine äußerliche Form für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben verwendet, oder aber als ununterscheidbarer Teilnehmer des allgemeinen Privatrechtsverkehrs („fiskalisch“) auftritt. Nur im ersten Fall – zB bei der Vergabe von Subventionen als Darlehen oder Bürgschaft – soll die Tätigkeit der Exekutive trotz ihrer privatrechtlichen Einkleidung nach Grund, Inhalt und Wirkung Ausübung vollziehender Gewalt und deshalb „verwaltungsprivatrechtlich“ gebunden sein.274 Das gilt auch bei einer vereins- oder gesellschaftsrechtlichen Verselbständigung einer bestimmten Verwaltungsaufgabe; ein (nur) der Organisationsform nach privatrechtliches Unternehmen der Daseinsvorsorge gehört zur öffentlichen Hand und unterliegt den Bindungen des öffentlichen Rechts, etwa den Zugangsansprüchen zu öffentlichen Einrichtungen der Kommunen.275 Demgegenüber betrachtet die Praxis – entgegen vielfacher Kritik – die Beteiligung der Exekutive am Privatrechtsverkehr im Rahmen des Auftragswesens der öffentlichen Hand („fiskalische Hilfsgeschäfte“) und der Wirtschaftstätigkeit öffentlicher Unternehmen („erwerbswirtschaftliche“ Staatstätigkeit), soweit nicht unmittelbar Verwaltungszwecke erfüllt werden, als keinen spezifischen Bindungen unterliegende Verwaltungstätigkeit. Selbst eine Bindung an die Grundrechte scheidet danach aus, soweit die öffentliche Hand nicht kraft besonde274

275

BGHZ 29, 76; 52, 325; 65, 284, 287; 91, 84, 96 ff; BGH DVBl 1985, 793. – Wolff/Bachof/ Stober, VwR I, § 23 Rn 29 ff; Siebert FS Niedermeyer, 1953, 215; Ehlers DVBl 1983, 422; ders Verwaltung in Privatrechtsform, 1984; Lerche FS Günther Winkler, 1997, 581. BVerfGE 45, 63, 78 ff; BVerwG NJW 1990, 134.

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rer Vorschriften über Vorrechte verfügt, wie zB durch die Exklusivlizenz der Post (§ 51 PostG), oder nicht im Einzelfall zu Lasten Dritter, insbes privatwirtschaftlicher Konkurrenten, Verwaltungspotential lenkend eingesetzt wird. Der Unterschied, den die Lehre vom Verwaltungsprivatrecht bei der Grundrechtsgeltung für die in Rechtsformen des Privatrechts auftretende öffentliche Hand annimmt, beruht auf der Überlegung, dass die Wahrnehmung leistender oder gestaltender Verwaltungszwecke ohne Rücksicht auf die Rechtsform des Handelns rechtsstaatlicher Bindung unter Überlagerung der Ordnungsprinzipien des Privatrechts bedarf, dass die Normen und Grundsätze des Privatrechts im Regelfall jedoch ausreichen, wenn die öffentliche Hand in sonstiger Weise am Privatrechtsverkehr teilnimmt. Nimmt sie dagegen Vorrechte in Anspruch oder macht sie in anderer Weise zulässig oder missbräuchlich von den nur ihr zu Gebote stehenden Mitteln und Möglichkeiten Gebrauch, gewinnen die Grundrechte eine selbständige Schutzwirkung, die Auslegung und Anwendung des Privatrechts modifizieren kann.276 Die Publifizierung des Vergaberechts und die Herausbildung eines Öffentlichen Wettbewerbsrechts lassen diese Unterscheidung allerdings zunehmend überholt erscheinen. Es ist schon zweifelhaft, ob es überhaupt (Verwaltungs-)Rechtsverhältnisse geben kann, in denen sich Grundrechtsträger gegenüber der öffentlichen Hand nicht auf Grundrechte berufen können. Denn die öffentliche Hand ist – nach mittlerweile überwiegender Auffassung277 – ausweislich von Art 1 III GG stets unmittelbar an die Grundrechte gebunden, auch im Rahmen ihrer traditionell als „fiskalisch“ bezeichneten Aktivitäten. Das Handeln Privater und das privatrechtliche Handeln der öffentlichen Hand sind kategorial zu unterscheiden. Ihre Gleichsetzung liefe im Ergebnis darauf hinaus, den Grundrechten gegenüber der öffentlichen Hand lediglich eine mittelbare (Dritt-) Wirkung zuzusprechen und wäre mit Art 1 III GG nicht vereinbar. Zum einen gelten die Grundrechte in den Rechtsverhältnissen zwischen dem Einzelnen und der öffentlichen Hand, anders als zwischen Privaten, unmittelbar und direkt. Zum andern kommt es für die Aktivierung des Grundrechtsschutzes weder auf die Ziele noch auf die Modalitäten des Verwaltungshandelns an, und damit auch nicht darauf, ob dieses unmittelbar oder nur mittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient. Entscheidend ist vielmehr vor allem, welche Auswirkungen das der öffentlichen Hand zurechenbare Handeln auf die Rechtssphäre des Einzelnen hat.278 Schließlich wird man, wenn negatorischer Grundrechtsschutz vor allem dort gefordert ist, wo der Staat mit seiner überlegenen Rechts- und Wirtschaftsmacht die Freiheitssphäre des Einzelnen beeinträchtigt, auch in der Indienstnahme eines privatrechtlich organisierten Unternehmens durch die öffentliche Hand, in seiner Beherrschung durch diese, den entscheidenden Ansatzpunkt für die Aktivierung der Grundrechtsbindung sehen müssen, unabhängig

276

277

278

Vgl BVerwG NJW 1995, 2938; VGH Kassel NVwZ 1996, 816. – Badura FS Walter Odersky, 1996, 159, 166 ff; Lerche (Fn 214) 591 ff. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 4. Aufl 1999, Art 1 Abs 3 Rn 196; P. M. Huber FS Badura, 910; Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, 39. BVerfGE 105, 262 (Glykol); 105, 279 (Osho); P. M. Huber JZ 2003, 290.

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davon, ob diese Indienstnahme durch Kapitalbeteiligung, gesetzliche Vorkehrungen, gesellschaftsvertragliche oder andere Vereinbarung geschieht.279 b) Wirtschaftsüberwachung 280 79 Einzelne Zweige wirtschaftlicher Betätigung oder bestimmte wirtschaftliche Handlungsweisen werden durch das Gesetz im öffentlichen Interesse oder zum Schutz spezifisch betroffener Dritter Anforderungen unterworfen, deren Einhaltung durch die Behörde mit Hilfe der gesetzlichen Kontrollbefugnisse sichergestellt werden kann.281 Die gesetzlichen Anforderungen, die der Abwehr von Gefahren oder Nachteilen dienen sollen, aber auch auf Gestaltung von Wirtschaftsabläufen zielen können, erscheinen als Maßstäbe der Behörde, die auf dieser Grundlage von ihren Eingriffsbefugnissen je nach der Ermächtigung – diese kann vom repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt über die als Risikoentscheidung oder präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltete Kontrollerlaubnis bis zum bloßen Verbotsvorbehalt reichen – Gebrauch macht. Genehmigungspflichten sind eine Technik präventiver Wirtschaftsüberwachung, während Anzeigepflichten die Behörde auf einen Sachverhalt repressiven Einschreitens aufmerksam machen können. Aufgaben und Befugnisse der Wirtschaftsüberwachung finden sich herkömmlich 80 im Gewerberecht, dessen „gewerbepolizeiliche“ Normen die Wahrung bestimmter Standards der Zuverlässigkeit und der Sachkunde oder der räumlichen und sachlichen Mittel der Gewerbeausübung sicherstellen sollen, zB im Reisegewerbe, im Gaststättenrecht und im Verkehrsgewerbe.282 Als ein Zweig der Gewerbeaufsicht war bis zum Erlass des Bundes-Immissionsschutzgesetzes v 15. 3. 1974 auch die Überwachung lästiger Anlagen ausgestaltet (vormals §§ 16 ff GewO, jetzt §§ 4 ff BImSchG). Eingehend geregelt – neuerdings weitgehend in Umsetzung von EGRichtlinien – sind die Versicherungsaufsicht über private Versicherungsunternehmen. Das Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht hat im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen durch Zusammenlegung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen und des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) errichtet und damit eine sektorübergreifende „Allfinanzaufsicht“ geschaffen.283 Im Bereich der Telekommunikation (§§ 2, 279 280

281

282 283

P. M. Huber FS Badura, 911; Möstl Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 92. Zur Unterscheidung von Aufsicht und Überwachung Gröschner Das Überwachungsrechtsverhältnis, 46; ihm folgend P. M. Huber ThürVBl 1999, 97; Schuppert DÖV 1998, 831. Bullinger VVDStRL 22 (1965) 264; Stein Die Wirtschaftsaufsicht, 1967; Scholz Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971; Ehlers, Heckmann u Ehlers/ Pünder in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 2, § 3 u § 4; Mösbauer Staatsaufsicht über die Wirtschaft, 1990; Schmidt Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, 338 ff; Triantafyllou Haftungsrechtliche Probleme der Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991; Gröschner Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992. Su unter VI. RegEntw, BT-Drucks 14/7033; Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks 14/8389. – Pitschas (Hrsg), Integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht, 2002; Reiter/Geerlings DÖV 2002, 562.

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6 ff TKG) und des Postwesens (§§ 2, 5 ff PostG) hat der Gesetzgeber dagegen eine besondere Form der Wirtschaftsüberwachung, die Regulierung geschaffen. Sie liegt in den Händen einer Regulierungsbehörde (Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen), die die Aufgabe hat, den Wettbewerb zu fördern und ein Angebot flächendeckend bereitzustellender angemessener und ausreichender Dienstleistungen zu gewährleisten.284 Die Reform des Energiewirtschaftsrechts beruht vor allem auf unionsrechtlichen 81 Anstößen. Zwar enthält der EG-V kein besonderes „Energiekapitel“ und auch keine spezifischen energiepolitischen Ermächtigungen, so dass unionale Rechtsakte im Bereich Energie (Art 3 I lit u EG) nur nach Maßgabe sonstiger Regelungszuständigkeiten in Betracht kommen.285 Zur Durchsetzung der Dienstleistungsfreiheit und des Niederlassungsrechts und zur Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten Elektrizitätsmarktes ergingen nach einem langwierigen Entscheidungsprozess die Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v 19. 12. 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl Nr L 27/20).286 Ihr umkämpftes Kernstück war die Organisation des Netzzugangs, für die – bei Geltung objektiver, transparenter und nichtdiskriminierender Kriterien – der Netzzugang auf Vertragsbasis und das Alleinabnehmersystem zugelassen wurden (Art 16 ff der Richtlinie). Es folgte die Richtlinie 98/30/EG v 22. 6. 1998 betr gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl Nr L 204/1).287 Diese Richtlinien wurden durch das „Binnenmarktpaket für die leitungsgebundene Energieversorgung“ (ABl 2003 Nr L 176) abgelöst, das aus der EU-Stomrichtlinie 2003/54/EG, der EU-Gasrichtlinie 2003/55/EG sowie der EU-Verordnung zum grenzüberschreitenden Stromhandel (VO/EG Nr 1228/2003) besteht. Zur Reform des Energierechts und zur Umsetzung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie diente zunächst das (Artikel-) Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v 24. 4. 1998, das in Art 1 das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) enthielt. Die „Gebietsmonopole“ der Energieversorgungsunternehmen wurden ihres rechtlichen Schutzes entkleidet. Die behördliche Überwachung auf dem Energiesektor schloss nach wie vor bestimmte im Interesse der Allgemeinheit zu gewährleistende Anforderungen an die leitungsgebundene Energieversorgung ein, die im Fall der Aufnahme der Versorgung anderer auch durch einen Genehmigungsvorbehalt gesichert wurden (§ 3 EnWG aF). Die Überwachung orientierte sich im Grundsatz aber bereits am Prinzip des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Das am 15. 4. 2005 vom Bundestag verabschiedete Zweite Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts hat das Energiewirtschaftsrecht weiter verändert. In Umsetzung des „Binnenmarktpakets für die leitungsgebundene Energieversor284

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Badura FS Großfeld, 1999; Hermes Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998; Trute FS Winfried Brohm, 2002, 169. – S Rn 125 ff. Lukes ET 1998, 26; Baur/Blask ET 2002, 636; E. Brandt/Witthohn ET 2002, 253. Baur ET 1997, 624; Mombaur DÖV 1997, 571; Lukes BB Beilage 12/1998; Säcker/Busche ET 1998, 18. Zu dem Vorschlag der Kommission vom 13. 3. 2001 für eine Änderung der beiden Richtlinien: Scholz ET 2001, 678; Baur/Lückenbach ET 2002, 420.

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gung“ soll es eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas sicherstellen (§ 1 I). Dazu statuiert es ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für den Betrieb von Energieversorgungsnetzen (§ 4) und eine Anzeigepflicht für die Belieferung von Haushaltskunden (§ 5). Es ordnet die Entflechtung der vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen an (§§ 6 ff) und enthält ausführliche Bestimmungen über die Regulierung des Netzbetriebs (§§ 11 ff), den Netzzugang (§ 20 ff) und die Versorgung der Letzverbraucher. Mit Blick auf sie beründet es – wie andere Infrastrukturgesetze – eine Grundversorgungsplicht (§ 36). Das Kartellrecht – GWB und Art 81 ff EG 288 – bleibt anwendbar, soweit das EnWG 2005 und die ihm zugrunde liegenden Richtlinien keine abschließenden Regelungen enthalten (§ 111). Das ist hinsichtlich der zentralen Regelungen über die Regulierung des Netzbetriebs allerdings der Fall. Auch die §§ 19 und 20 GWB (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Diskriminierungsverbot) gelten nur vorbehaltlich energiewirtschafsrechtlicher Spezialregelungen. Das EnWG 2005 überträgt der RegTP auch die Überwachung der Energieversorgungsnetze und benennt sie in „Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen“ um.289 Gegen ihre Entscheidungen ist – obwohl es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art handelt – die Beschwerde zum OLG eröffnet (§ 75), gegen dessen Entscheidungen die Rechtsbeschwerde zum BGH offen steht (§ 86). Das Erfordernis der Umweltverträglichkeit der Energieversorgung ist ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen (§ 1 EnWG). Die das Energierecht im Zuge der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte beherrschende Unternehmens- und Wettbewerbsfreiheit wird durch Rechtsvorschriften des Umwelt- und Klimaschutzes gebunden, die eine Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen nach dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) gewährleisten sollen (Art 20 a GG).290 Die Begünstigung der Stromgewinnung aus Wasserkraft, Windkraft, Sonnenenergie, Deponiegas, Klärgas und Biomasse durch eine Abnahmepflicht und eine subventionsorientierte Bemessung der von dem abnahmepflichtigen Energieversorgungsunternehmen zu zahlenden Entgelte wird fortgeführt. Das Stromeinspeisungsgesetz v 7. 12. 1990, dessen Vergütungsregelung vergeblich verfassungs-

288

289 290

Papier FS Berliner Jurist Gesellschaft, 1984, 529; Büdenbender Die Kartellaufsicht über die Energiewirtschaft, 1995; ders/Heintschel von Heinegg/Rosin Energierecht I. Recht der Energieanlagen, 1999; Tettinger Recht der Energiewirtschaft in: R. Schmidt (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes Teil I, 1995, § 7; Rittner/Engel AöR 122 (1997) 469; E. Brandt Energierecht, 2001; Kuxenko DÖV 2001, 141; Theobald/Theobaldt Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2001; Badura Umweltschutz und Energiepolitik, in: Rengeling (Hrsg), Hb zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2. Aufl 2002, Bd II, §82; Bartsch/Köhling/Salje/U. Scholz (Hrsg), Stromwirtschaft, 2002; 6; Baur (Hrsg), Regulierter Wettbewerb in der Energiewirtschaft, 2002; Danner Energiewirtschaftsrecht, Stand März 2002; Lippert Energiewirtschaftsrecht, 2002; Scholtka NJW 2002, 483. BT-Drucks 15/3917 idF v BT-Drucks 15/5268. Salje UPR 1998, 201; Büdenbender DVBl 2002, 800; Zimmer DÖV 2002, 201; Ewer in: H.-J. Koch (Hrsg), Umweltrecht, 2002, § 9.

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rechtlich 291 und europarechtlich 292 angegriffen worden war, ist durch das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) abgelöst worden.293 Das Gesetz für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) v 19. 3. 2002 (BGBl I 1092) strebt neben der Erfüllung der allgemeinen ökologischen Ziele vor allem eine Minderung der Kohlendioxid-Emmissionen im Interesse des Klimaschutzes an.294 Die nukleare Energieerzeugung wird im Gegensatz dazu mittelfristig auslaufen.295 Die wettbewerbsrechtliche (kartellrechtliche) Überwachung und die Preisüber- 82 wachung dienen der Sicherung grundlegender überfachlicher Verhaltensanforderungen im Wettbewerb und in der Vertragsgestaltung. Das Kartellrecht (Art 81 f EG, VO/EG Nr 1/2003, GWB, VO/EG Nr 139/2004) 296 schützt die Wettbewerbsordnung und den marktwirtschaftlichen Wettbewerb einschließlich einer präventiven und repressiven Konzentrationskontrolle.297 Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen oder den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes zu verfälschen, unterliegen den Wettbewerbsregeln des Unionsrechts.298 Das inner291

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BGH NJW 1997, 574; BVerfG RdE 1996, 105; BVerfG DVBl 2002, 548. – Friauf ET 1995, 597; Ossenbühl ET 1996, 54; ders RdE 1997, 46; dagegen Scholz ET 1995, 600; Theobald NJW 1997, 550. Die Vergütungsregelung des StrEG stellte keine staatliche Beihilfe iSd Art 92 Abs 1 S 1 EGV (jetzt Art 87 Abs 1 S 1 EG) dar; denn sie führt nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel auf die Unternehmen, die den Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen (EuGH Slg 2001, I-2099 – Rs C-379/98 – PreußenElektra). – Gellermann DVBl 2000, 509; Koenig/Kühling NVwZ 2001, 768; Martinez Sorìa DVBl 2001, 882; Pünder JURA 2001, 591; Ruge EuZW 2001, 241; Witthohn ET 2001, 466. Gent ET 2000, 600; Oschmann ET 2000, 460; Raabe NJW 2000, 1298; E. Brandt/ Reshöft/Steiner EEG, 2001. Raabe/N. Meyer NJW 2000, 2253; Salje Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz, 2001; ders ET 2001, 601; Adam/Czernik ET 2002, 701; Stevens ET 2002, 355. G zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v 22. 4. 2002 (BGBl I 1351). – Kühne/Brodowski NJW 2000, 1458. Möschel Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983; Frankfurter Kommentar, 3. Aufl Stand 2004; Rittner Wettbewerbs- und Kartellrecht, 6. Aufl 1999; ders ZHR 160 (1996) 180; Müller-Henneberg/Schwartz/Hootz (Hrsg), Gemeinschaftskommentar, 4. Aufl Stand 2003; Bechtold NJW 1998, 2769; ders Kartellgesetz, 3. Aufl 2002; ders Uhlig NJW 1999, 3526; ders NJW 2001, 3159; Böge GewArch 2000, 217; Emmerich Kartellrecht, 9. Aufl 2001; Immenga/Mestmäcker Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 3. Aufl 2001; Langen/ Bunte Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 10. Aufl 2005. – Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2001/2002, BT-Drucks 15/1226. Scholz Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971; ders Entflechtung und Verfassung, 1981; Kleinmann/Bechtold Kommentar zur Fusionskontrolle, 2. Aufl 1989; Windbichler Unternehmensverträge und Zusammenschlußkontrolle, 1977; Selmer Unternehmensentflechtung und Verfassung, 1981; Cannenbley/Moosecker Fusionskontrolle, 1982. – Fünfzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2002/2003, BT-Drucks 15/3610, 15/3611. Müller-Laube JuS 1991, 184; Wolf EuZW 1994, 233; Immenga/Mestmäcker EG-Wettbewerbsrecht, 2001; Schröter/Jacob/Mederer Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2002.

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staatliche Wettbewerbsrecht bleibt daneben nur anwendbar, soweit nicht abschließende Regelungen des Gemeinschaftsrechts oder Entscheidungen der Kommission maßgebend sind. Der Begriff des Unternehmens im Wettbewerbsrecht umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung.299 Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.300 Eine Tätigkeit unterliegt allerdings dann nicht den Wettbewerbsregeln des EG-V, wenn es sich um eine Tätigkeit von „allgemeinem Interesse“ handelt, sie nach ihrer Art und ihrem Gegenstand keinen Bezug zum Wirtschaftsleben hat, wie zB die durch das SGB V determinierte Tätigkeit der Krankenkassen und ihrer Verbände. Sie ist eine rein soziale Aufgabe, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielung betrieben wird.301 Keine wirtschaftliche Tätigkeit ist ferner die Ausübung hoheitlicher Befugnisse, wie zB die Überwachung zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung im Meeresbereich.302 Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, gelten die Wettbewerbsregeln nur, soweit ihre Anwendung nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert (Art 16, 86 II EG).303 Die allgemeine Preisüberwachung mit Hilfe der die „Aufrechterhaltung des Preisstandes“ als Maßstab verwendenden Generalklausel des § 2 PreisG erlaubt nur ordnungssichernde Regelungen und Verfügungen, nicht dagegen eine aktiv wirtschaftsgestaltende Preislenkung.304 Die Vorschrift des § 2 PreisG ermächtigt zum Erlass von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Preise bei öffentlichen Aufträgen.305 Fachlich speziellere Ermächtigungen erlauben weitergehende Bindungen und Eingriffe, zB bei der Gestaltung von Verkehrstarifen oder im Energiepreisrecht. Während die Wirtschaftsüberwachung das wirtschaftliche Verhalten Privater 83 daraufhin überwacht, ob es mit den maßgeblichen Normen des Wirtschaftsverwaltungsrechts übereinstimmt, und diese Übereinstimmung notfalls erzwingt, wird bei der Indienstnahme Privater für die Erfüllung von Verwaltungszwecken die privatwirtschaftliche Tätigkeit insgesamt oder in einzelnen Hinsichten im öffentlichen Interesse in Anspruch genommen.306 Das kann in der Weise geschehen, dass Private 299

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EuGH Slg 1991, I-1979 (Rn 21) – C-41/90 – Höfner und Elser; Slg 2002, I-1577 – Rs C-309/99 – Wouters; Slg 2002, I-691 – Rs C-218/00 – Cisal/INAIL → JK EGV Art 81/2. EuGH Slg 1998, I-3851 (Rn 36) – C-35/96 – Italien Zollspediteure. EuGH Slg 1993, I-637 (Rn 18, 19) – verb Rs C-195/91 u C-160/91 – Poucet und Pistre; DVBl 2004, 555 – Rs C-264/01 ua – AOK Bundesverband/Ichtyol. EuGH Slg 1997, I-1547 (Rn 22, 23) – C-343/95 – Diego Cali & Figli. EuGH Slg 1993, I-2533 – Rs C-320/91 – Corbeau; Slg 1994, I-1477 – Rs C-393/92 – Almelo. ÜbergangsG über Preisbildung und Preisüberwachung (PreisG) v 10. 4. 1948 (WiGBl 27), fortgeltend gem Ges v 29. 3. 1951 (BGBl I 223). – BVerfGE 8, 274; 53, 1 m Anm Meng DVBl 1980, 613; 65, 248. – Hauptkorn Preisrecht, 2000. BVerwG DVBl 1999, 1364. BVerfGE 22, 380; 30, 292; 57, 139; 68, 155. – Wolff/Bachof/Stober VwR III, § 90; Ipsen in: FG Kaufmann, 1950, 141; ders AöR 90 (1965) 393; Vogel Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959; Rupp Privateigentum an Staatsfunktionen?, 1963;

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zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe dadurch herangezogen werden, dass ihnen einzelne öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, wie zB bei der Durchführung der Währungsumstellung durch die Banken, beim Abzug und der Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben durch den Arbeitgeber 307 oder bei der Pflicht von Verkehrsunternehmen, Schwerbehinderte unentgeltlich zu befördern. Verfassungsrechtlich handelt es sich um eine Regelung der Berufsausübung, deren Zulässigkeit an Art 12 I GG iVm Art 3 I GG zu messen ist. Darüber hinaus wird im Fall des „beliehenen Unternehmers“ einer natürlichen 84 Person oder einer juristischen Person des Privatrechts die Befugnis übertragen, gegenüber Dritten öffentlich-rechtlich zu handeln, wie zB bei den Technischen Überwachungsvereinen (§ 29 StVZO).308 Die Beleihung darf kraft des organisatorischen Gesetzesvorbehalts nur durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes erfolgen.309 c) Wirtschaftslenkung Unter Wirtschaftslenkung versteht man alle staatlichen Maßnahmen, durch die auf 85 den wirtschaftlichen Prozess eingewirkt werden soll, um einen wirtschafts-, sozialoder gesellschaftspolitisch erwünschten Zustand oder Ablauf des Wirtschaftslebens herzustellen oder zu erhalten, ohne Rücksicht auf die Rechtsform der Maßnahmen als verwaltungsrechtliches oder zivilrechtliches Gesetz, als Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder privatrechtliches Rechtsgeschäft.310 Mittelbare Wirkungen werden auch mit Hilfe wirtschaftslenkender Sonderabgaben angestrebt.311 Wirtschaftslenkung entspringt dem Sozialgestaltungsauftrag des Staates und unterscheidet sich einerseits von der rechtlichen Ordnung des Privatrechtsverkehrs nach dem Maßstab der Privatautonomie und andererseits von der Begründung von Aufgaben und Befugnissen zur Abwehr von Gefahren und Risiken für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ein Beispiel für die wirtschaftslenkende Regulierung des Absatzes einzelner Pro- 86 dukte sind die für die Ernährungswirtschaft charakteristischen Marktordnungen (siehe Art 34 I 2 lit c EG).312 Bei einer Marktordnung werden der Wettbewerb und die durch ihn ausgeübten Wirkungen auf den Preis, den Inhalt der Austauschbeziehungen, die Art und Weise des Warenverkehrs und die Produktionsstruktur ganz oder teilweise durch öffentlich-rechtliche Regelungen ersetzt. Der Grund dafür ist, dass wegen struktureller Gegebenheiten in dem betroffenen Bereich unter den Be-

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Ossenbühl/Gallwas VVDStRL 29 (1971) 137, 211; v Heimburg Verwaltungsaufgaben und Private, 1982. Geißler, Der Unternehmer im Dienste des Steuerstaats, 2001. BVerwGE 29, 166; BGH DÖV 1968, 135; Steiner Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975; Kirchhof Verwalten durch „mittelbares“ Einwirken, 1977; Püttner/Losch in: Jeserich/Pohl/v Unruh (Hrsg), Dt Verwaltungsgeschichte, Bd 5, 1987, 368. OVG Münster JZ 1980, 93. BVerwGE 71, 183/190. – Müller-Graff Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984; Kluth ZHR 162 (1998) 657. BVerfGE 82, 159 → JK GG 101 I 2/5; 91, 186. – Breuer DVBl 1992, 485. Hensel Marktordnung, HDSW 7, 1961, 161; Götz Marktordnungsrecht, in: Hdwb des Agrarrechts II, 1982, Sp 448.

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dingungen marktwirtschaftlicher Konkurrenz wirtschaftspolitisch unerwünschte Nachteile für die Produzenten oder die Konsumenten eintreten würden. Durch die Marktordnung wird mit Hilfe eines vielgestaltigen Bündels gesetzlicher und administrativer Maßnahmen ein Ausgleich der bis zu einem gewissen Grade widerstreitenden Ziele der befriedigenden Versorgung der Verbraucher und der angemessenenen Entlohnung der Produzenten über den (gelenkten) Preis angestrebt, wie etwa durch die Festsetzung von Höchst-, Mindest-, Richt- und Interventionspreisen. Staatliche Kontroll- und Überwachungspflichten zur Durchführung einer Marktordnung verlagern das unternehmerische Risiko zwar nicht auf den Staat; die weitgehende Festsetzung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch den Staat bzw die EG vermindert dieses jedoch spürbar. Gleichwohl dient die Aufsicht nur dem Allgemeininteresse, nicht auch dem Schutz der am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Unternehmen.313 Die Marktordnung ist ein Instrument der Wirtschaftslenkung, das – neben dem an Bedeutung immer weiter verlierenden – Montanbereich hauptsächlich in der landwirtschaftlichen Produktion zur Anwendung kommt. Ein anschauliches Beispiel ist die auf Art 34 EG beruhende Getreidemarktordnung 314 oder die Bananenmarktordnung (VO/EWG Nr 404/93), die die Einfuhr von Bananen aus Drittstaaten mit differenzierenden Präferenzen kontingentiert und hohen Zöllen unterwirft. Dies hat mit aller Schärfe die Frage aufgeworfen, unter welchen Voraussetzungen der EG-Agrarmarkt durch protektionistische Maßnahmen geschützt werden darf. Dies beurteilt sich nicht nur nach EG-Recht (insbes Art 33, 131 EG), sondern auch nach dem Vertragsrecht der WTO.315 Nachdem das Streitbeilegungsorgan der WTO (Panel) einen Verstoß gegen das Vertragsrecht festgestellt hatte, ist die BananenmarktVO geändert worden (VO/EG Nr 1637/98 des Rates v 20. 7. 1998, ABl Nr L 210/28). Unionsrechtliche Beanstandungen der Gültigkeit der Bananenmarkt-Verordnung blieben dagegen erfolglos,316 und das Bundesverfassungsgericht hat – in der Sache freilich angreifbar 317 – die Vorlage eines Verwaltungsgerichts, in der die

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BGH NJW 1987, 585 (Milchmarktordnung). GetreideG idF v 3. 8. 1977 (BGB I 1521), zul geänd durch G v 26. 2. 1993 (BGBl I 278); VO/EG Nr 1784/2003 des Rates v 29. 9. 2003 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl Nr L 270/78); G zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (MOG); G über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen idF v 26. 10. 1995 (BGBl I 1490). – Boest Die Agrarmärkte im Recht der EWG, 1984; Barnstedt Die Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, 1988; Eiden DVBl 1988, 1087. Antwort der BReg auf eine Kleine Anfrage betr Negative Auswirkungen der EG-Bananenmarktordnung auf den Bananenwelthandel, BT-Drucks 12/7230. – J. Sack EuZW 1992, 619; M. Hahn/G. Schuster EuR 1993, 261; Manservisi EuZW 1994, 209; C. Schmid NJW 1998, 190; T. Stein EuZW 1998, 261. EuGH Slg 1994, I-4973 – Rs C-280/93 – Bundesrepublik Deutschland/Rat; Slg 1995, I-3799 – Rs C-466/93 – Atlanta Frachthandelsgesellschaft. Coppel/O’Neill CMLR 29 (1992) 669; P. M. Huber EuZW 1997, 517; ders Recht der Europäischen Integration, § 8 Rn 67; Selmer Die Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsschutzes durch den EuGH, 1998, 118; Storr Staat 36 (1997) 547.

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Verfassungsmäßigkeit der Anwendung der Bananenmarktordnung im Hinblick auf Art 23 I, 14 I, 12 I und 3 I GG verneint wurde, als unzulässig verworfen. Deren Begründung hatte jedenfalls nach Auffassung des BVerfG nicht dargelegt, dass die unionale Rechtsentwicklung nach Ergehen der Solange II-Entscheidung (BVerfGE 73, 339, 378–381) unter den vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard abgesunken sei 318 bzw diesen nicht in vollem Umfang erreicht hatte. In immer größerem Umfang erfolgt Wirtschaftslenkung heute durch informales oder schlichtes Verwaltungshandeln, insbesondere durch Informationen, Warnungen, Empfehlungen uam. Die dadurch hervorgerufenen Folgen können sich sowohl als (rechtswidrige) Eingriffe in ein Grundrecht darstellen 319 als auch mit den Grundfreiheiten des EG-V kollidieren.320 d) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte Die wirtschaftslenkenden Gesetze und die zu ihrem Vollzug ergehenden Rechts- 87 verordnungen und Verwaltungsakte der Exekutive greifen mit sehr vielgestaltigen Rechtswirkungen in die unternehmerischen Entscheidungen und den Privatrechtsverkehr ein. Ein Hauptansatzpunkt dieser Rechtssätze und Maßnahmen ist die Vertragsfreiheit, die etwa durch preisrechtliche Regelungen, öffentlich-rechtliche Genehmigungspflichten oder dadurch beschränkt sein kann, dass ein Kontrahierungszwang die freie Wahl des Vertragspartners ausschließt. Durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes kann ein bestimmtes Verhalten geboten 321 88 oder verboten 322 sein oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zugunsten der Behörden der Wirtschaftsverwaltung 323 begründet werden. Genehmigungspflichten für die Aufnahme wirtschaftlicher Berufe, für bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten oder für bestimmte Verträge ermöglichen zur Gewährleistung gesetzlicher Anforderungen als präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt eine vorbeugende Überwachung im Interesse der Gefahrenabwehr, der Wirtschaftslenkung oder sonstiger Verwal-

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BVerfGE 102, 147; VG Frankfurt/M., EuZw 1997, 182. BVerfGE 105, 252 (Glykol); 105, 279 (Osho); BVerwGE 71, 183 (Transparenzliste); 75, 109 (Subventionsbetreuer); 87, 37 (Glykol); BVerwG DVBl 1996, 807 (Warentest). – Bauer VerwArch 78 (1987) 241; Robbers DÖV 1987, 272; Murswiek DVBl 1997, 1021; ders., NVwZ 2003, 1; Kloepfer Staatliche Informationen als Lenkungsmittel, 1998; Bethge JA 2003, 327; P. M. Huber JZ 2003, 290. Art 28 EG: EuGH Slg 1982, 4005 – Rs 249/81 – „Buy Irish“; Slg 2002, I-9977 – Rs C-325/00 – Markenqualität aus deutschen Landen → JK 4/03 EGV Art 28/2; W. Schroeder in: Streinz (Hrsg), EUV/EGV, Art 28 Rn 65. ZB ein Beimischungszwang zur Sicherung der Verwertung von Rohstoffen inländischer Erzeugung (zB früher nach dem Gesetz über die Unterbringung von Rüböl aus inländischem Raps und Rüben v 12. 8. 1966, BGBl I 497). – BayVGH DVBl 1970, 977; BVerwG NJW 1974, 2247 und 2250. ZB das Verbot des Vertriebs und des Ankaufs bestimmter Waren im Reisegewerbe (§ 56 GewO). ZB die allgemeine Auskunftspflicht nach der VO über Auskunftspflicht v 13. 7. 1923 (RGBl 1923 I 723) oder die zahlreichen Auskunftspflichten im Rahmen der Wirtschaftsüberwachung (ua §§ 14, 24 KWG; § 18 II EnWG; § 127 TKG; §§ 9, 39 GWB).

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tungszwecke.324 Nebenbestimmungen, die begünstigenden Verwaltungsakten beigefügt werden, insbes Auflagen, sollen sicherstellen, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden, wie zB bei Erlaubnissen (§ 5 I GastG, § 15 III PBefG, ua), oder das mit der Entscheidung angestrebte Ziel nachhaltig erreicht wird, wie zB bei der Bewilligung einer Subvention (§ 36 VwVfG).325 Im Rahmen der Regulierung im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation sieht bzw sah das Gesetz die Erlaubnis in Gestalt einer Lizenz vor (§§ 6 ff TKG 1996, 150 III TKG 2005; §§ 5 ff PostG). Die Erteilung der behördlichen Genehmigung für eine Anlage oder eine wirtschaftliche Tätigkeit schließt es aus, den bestimmungsgemäßen Betrieb eines Unternehmens innerhalb der von der Genehmigung festgesetzten Grenzen als polizeiwidrige Störung zu werten und mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts einzuschreiten. Die Genehmigung hat insoweit eine Legalisierungswirkung,326 die auch einem negatorischen Anspruch des Privatrechts entgegengehalten werden kann.327 Wirtschaftslenkende Verwaltungsakte zeichnen sich des weiteren dadurch aus, 89 dass sie zwischen einer Gruppe von Verwaltungsunterworfenen, die durch dieselbe wirtschaftliche Situation verbunden sind, eine bestimmte Ordnung herstellen und in diesem Sinne nicht nur individuelle Verhaltensweisen, sondern kollektive Wirkungen erreichen (wollen). Diese Verwaltungsakte sind nicht allein von dem zweiseitigen Verwaltungsrechtshältnis zwischen der Verwaltung und dem Adressaten her rechtlich zu erfassen, sondern eingebettet in multipolare – wechselbezügliche (Schmidt-Preuß) – Verwaltungsrechtsverhältnisse zwischen dem Verwaltungsträger, dem Adressaten und Dritten. Indem sie auf ökonomische oder gesellschaftliche Sachverhalte einwirken, entfalten sie eine „Dritt-“ oder „Doppelwirkung“ 328 – bei Subentionen oder Ausnahmegenehmigungen nach § 23 I LSchlG 329 etwa durch die Veränderung der Wettbewerbslage zu Lasten der Konkurrenten, bei der Genehmigung eines Linienverkehrs zu Lasten der bereits tätigen Altunternehmer (vgl § 13 II Nr 2 PBefG). Die Rechtsvorschriften, die der Behörde die Grundlage zur Entscheidung über derartige Verwaltungsakte bieten, normieren zugleich mit den Voraussetzungen für die Genehmigung oder Bewilligung die im Interesse und zum Schutz des Drittbetroffenen für nötig gehaltenen Anforderungen und verleihen ihm insoweit typischerweise auch ein subjektives öffentliches Recht.330 Der Dritte kann daher aus diesen Bestimmungen einen Abwehranspruch oder – sofern dem Verwaltungsakt keine Hindernisse entgegenstehen – einen Anspruch auf Nebenbestimmungen zur Sicherung seiner Rechte ableiten. 324

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Dörschuck Typen- und Tarifgenehmigungen im Verwaltungsrecht, 1988; Gromitsaris VerwArch 88 (1997) 52. BVerwGE 6, 282, 291; 24, 129; 29, 261. – Lange AöR 102 (1977) 337. BVerwGE 55, 118; BGH JZ 2000, 1004 m Anm Ehlers ebd 1007 → JK VwVfG § 43/3. Schröder/Jarass VVDStRL 50 (1991) 196, 238. Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 17 Rn 20; Mußgnug NVwZ 1988, 33. – S die besondere Vorschrift des § 80 a VwGO für den vorläufigen Rechtsschutz. BVerwGE 65, 167 (Klett-Passage); OVG Bremen NVwZ 2002, 873 → JK 1/03, VwGO § 47 II/24. P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 298; T. Koch Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000.

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Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine begünstigende Erlaubnis oder 90 Bewilligung nicht nur die Erwerbschancen, sondern auch die Rechtsstellung eines Konkurrenten des Begünstigten berührt, ist bisher vornehmlich unter dem prozessrechtlichen Blickwinkel der Verfassungsbeschwerde und der Klagebefugnis bei der Verwaltungsklage (§ 42 II VwGO; „Konkurrentenklage“) behandelt worden. Der Dritte („Konkurrent“) ist in einer ihn zur Verwaltungsklage berechtigenden Weise beschwert, wenn zwischen ihm und dem Adressaten des Verwaltungsaktes ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und wenn er sich kraft der einschlägigen Rechtsvorschriften oder kraft des grundrechtlich geschützten Rechts auf gleiche Wettbewerbsfreiheit (Art 12 I, 3 I GG) auf eine durch die Verwaltungsmaßnahme betroffene Rechtsposition berufen kann, die durch eine Rechtsverletzung verkürzt worden sei.331 Das wirtschaftliche Interesse eines Gewerbetreibenden, dass die Zahl seiner Konkurrenten nicht durch Neuzulassung vermehrt oder durch Ausschluss vermindert werde, genießt allerdings idR keinen rechtlichen Schutz, es sei denn das Gesetz hat aus besonderen Gründen eine derartige Rechtsstellung geschaffen. Auf dieser Grundlage ist eine Klagebefugnis des vorhandenen Taxiunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Kraftdroschkenverkehrs (§ 13 IV PBefG aF) vor der Novellierung der Zulassungsvorschrift verneint,332 die Klagebefugnis des Altunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Linienverkehrs (§ 13 II PBefG) dagegen bejaht worden.333 Gegen die Subventionierung eines Konkurrenten ist dem Dritten eine Anfechtungsmöglichkeit zugesprochen worden, wenn er geltend macht, dass seine schutzwürdigen Interessen willkürlich, nämlich in Form der Verzerrung der Wettbewerbslage durch Verletzung der Chancengleichheit, vernachlässigt worden seien.334 Für den interventionistischen Charakter des Wirtschaftsverwaltungsrechts kenn- 91 zeichnend ist die Rechtsfigur des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts.335 Rechtsfolge dieses Verwaltungsaktes ist die Begründung, Veränderung oder Aufhebung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse oder Rechte. Besonders häufig ist der Fall, dass das Wirksamwerden eines privatrechtlichen Rechtsgeschäfts von einer Genehmigung abhängig ist, so zB beim Grundstücksverkehr und im Mietpreisrecht.336 Wenn die Wirkung des Verwaltungsaktes auf das private Rechtsgeschäft eingetreten ist, ist ein Widerruf ex tunc grundsätzlich ausgeschlossen.337 331

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BVerwG NJW 1980, 2764 (Festsetzung von Pflegesätzen für Krankenhäuser); BVerwGE 65, 167; OVG Bremen NVwZ 2002, 873 → JK 1/03, VwGO § 47 II/24 (Ausnahmegenehmigungen nach § 23 I LadSchlG); BVerwG DVBl 1984, 91 (Genehmigung nach dem GüKG). – P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991; Schenke NVwZ 1993, 718; Erichsen Jura 1994, 385; Wieland DV 32 (1999) 217. BVerwGE 16, 187; OVG Münster NJW 1980, 2323. BVerwGE 9, 340; BVerwG VerwRspr 20, 487. BVerwGE 30, 191 (Anm Scholz NJW 1969, 1044; Mössner JuS 1971, 131). – Scholz WiR 1 (1972) 35; Zuleeg Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage, 1974; Badura FS f d Berliner Jurist Gesellschaft, 1984, 1. E. R. Huber WirtschaftsverwaltungsR, I, 72 ff; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994; Wertenbruch GS Schmidt, 1966, 89. BVerwG DÖV 1968, 54; OVG Münster JuS 1968, 340; BGH NJW 1965, 41; Kieckebusch VerwArch 57 (1966) 17, 162. BVerwGE 29, 314; differenzierend BVerwG JZ 1977, 794.

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3. Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag a) Zulassung von Vorhaben 92 Eine Gruppe wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Genehmigungspflichten hat in verschiedenartiger und komplexer Ausgestaltung raumbezogene und raumbeeinflussende Vorhaben zum Gegenstand, die der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit durch den Unternehmer des Vorhabens dienen. Exemplarisch dafür sind die Genehmigungspflichten für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen und von Flugplätzen. Unternehmer ist hier regelmäßig eine Kapitalgesellschaft mit alleiniger oder wesentlicher Beteiligung der öffentlichen Hand, die durch das Vorhaben öffentliche Aufgaben der Energie- oder Verkehrswirtschaft erfüllt. Die Unternehmergenehmigung besteht rechtstechnisch aus einer Genehmigung, mehreren Genehmigungen oder einer Planfeststellung, auch aus einer Kombination dieser Gestattungsakte, sowie aus vorbereitenden landesplanerischen oder fachplanerischen Entscheidungen. Je nach der rechtlichen Ausgestaltung wird das durch den Antrag des Unternehmers bestimmte Vorhaben in einer Entscheidung oder in mehreren aufeinander aufbauenden Entscheidungen einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Anforderungen unterworfen. Die Eigenart dieser Genehmigungen besteht darin, dass sie zugleich eine dem Unternehmer auf seinen Antrag hin erteilte Erlaubnis und eine Planungsentscheidung im Hinblick auf das zuzulassende Vorhaben sind. Im Falle der Zulassung des Vorhabens kommen die öffentlich-rechtlichen Anforderungen und die staatliche Schutzpflicht zugunsten der betroffenen privaten Belange in den Nebenbestimmungen der Gestattung zur Geltung. Da regelmäßig eine oft sehr große Zahl von Dritten in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen ist, für deren Integrität den Staat idR grundrechtliche Schutzpflichten treffen, die er durch die Etablierung multipolarer – kehrseitiger – Verwaltungsrechtsverhältnisse erfüllt, in denen die Verwaltung Garant des gesetzlich normierten Interessenausgleichs ist, handelt es sich bei den die Errichtung oder den Betrieb des Vorhabens verbindlich zulassenden und regelnden Gestattungsentscheidungen um Verwaltungsakte mit Drittwirkung. Die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens beruht auf einer durch 93 die gesetzlichen Anforderungen und Richtlinien geleiteten Abwägung und Ausgleichung des Anspruchs des Unternehmers, der berührten öffentlichen Interessen und der rechtlich geschützten Interessen der durch das Vorhaben und seine voraussichtlichen Auswirkungen betroffenen Dritten. Sie begründet eine öffentlich-rechtliche Rechtsstellung des Unternehmers. Entsprechend den gesetzlichen Entscheidungsprämissen übt die Behörde bei der Zulassung des Vorhabens planerische Gestaltungsfreiheit aus, zB bei der Billigung des Standortes.338 Dieses „Planungs338

Die Behörde hat sich in dem projektbezogenen Fachplanungsverfahren auf die rechtliche Prüfung des von dem Unternehmer gewählten Standortes zu beschränken, sofern sich nicht eine andere Standortwahl anbietet oder „aufdrängt“ (BVerwG DÖV 1974, 418; BVerwG NJW 1980, 953; BVerwG DVBl 1992, 1435; BVerwG DVBl 1996, 925). – Zur Standortvorsorgeplanung: Blümel DVBl 1977, 301; Brocke Rechtsfragen der landesplanerischen Standortvorsorge für umweltbelastende Großanlagen, 1979; Wahl DÖV 1981, 597.

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ermessen“ hat auf der Grundlage der gesetzlichen Planungsaufgabe und der gesetzlichen Anforderungen die Grundsätze der gebotenen Planrechtfertigung gegenüber den betroffenen privaten Rechten, der umfassenden „Bewältigung“ der durch das Vorhaben aufgeworfenen „Probleme“ und des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots zu beachten.339 Die Unternehmergenehmigung ist eine fachplanerische Entscheidung, die sich in 94 die Gesamtplanungen der Bodenbeanspruchung einzufügen hat. Die Abstimmungspflicht des § 4 II ROG führt zu einer Beteiligung der Landesplanungsbehörden, die eine einfache landesplanerische Beurteilung abgeben oder ein Raumordnungsverfahren (§ 15 ROG) durchführen. Ziele der Raumordnung und Landesplanung lösen die Anpassungspflicht nach § 4 I ROG aus, die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung werden, ggf aufgrund spezieller Raumordnungsklauseln, wie zB in § 6 II 1 LuftVG, im Wege der landesplanerischen Beurteilung ermittelt und vorgegeben.340 Die örtliche Bauleitplanung hingegen muss grundsätzlich hinter der fachplanerischen Entscheidung zurücktreten (vgl §§ 7, 38 BauGB).341 Die im Wege der Genehmigung oder der Planfeststellung erfolgende Entschei- 95 dung über die Zulassung des Vorhabens vollzieht die gesetzlichen Voraussetzungen und erfüllt zugleich eine Planungsaufgabe.342 Die gesetzlichen Voraussetzungen sind zum Teil zwingende Anforderungen und zum Teil Optimierungsgebote für die planerische Abwägung. Neben den jeweils fachgesetzlich spezifischen Entscheidungsregeln sind die allgemeinen Grundsätze des Planungsrechts und des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts zu beachten. Das Fachplanungsrecht für Verkehrswege und Verkehrsanlagen ist in neuerer Zeit wesentlich weiterentwickelt worden, allerdings hauptsächlich hinsichtlich der Verfahrensvorschriften343. Zu den fachübergreifenden Anforderungen, die jeweils in fachspezifischen Kriterien zum Ausdruck kommen, gehört die Umweltvorsorge. Soweit die Prüfung der Umweltverträglichkeit des Vorhabens im Fachgesetz nicht näher oder nicht ausreichend bestimmt ist, findet das UVPG Anwendung.344

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BVerwGE 34, 301; 45, 309; 47, 144; 48, 56; 71, 150; 71, 166; 72, 282; BVerwG DVBl 1992, 1233. – Hoppe DVBl 1974, 641, ders DVBl 1977, 136; Blümel DVBl 1975, 695; Weyreuther DÖV 1977, 419; Korbmacher DÖV 1978, 589; ders DÖV 1982, 517; Steinberg/ Berg/Wedel Fachplanung, 3. Aufl 2000, 175 ff; Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 23 ff. Forsthoff/Blümel Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970; Ronellenfitsch WiV 1985, 168. – BVerwG DVBl 1984, 627. BVerwGE 79, 318; BVerwG DVBl 1989, 458. Sparwasser/Engel/Voßkuhle Umweltrecht, 5. Aufl 2003; Hoppe/Beckmann/Kauch Umweltrecht, 2. Aufl 2000; Steinberg/Berg/Winkel Fachplanung, 3. Aufl 2000; J. Wolf Umweltrecht, 2002; Badura FS Hoppe, 2000, 167; Breuer FS Brohm, 2002, 3. Auf das nur für die neuen Bundesländer geltende VerkehrswegeplanungsbeschleunigungsG v 16. 12. 1991 (BGBl I 2174) folgten das die verschiedenen Fachplanungsgesetze novellierende PlanungsvereinfachungsG v 17. 12. 1993 (BGBl I 2123) sowie das GenehmigungsverfahrensbeschleunigungsG v 12. 9. 1996 (BGBl I 1354). Das Nähere → Breuer 5. Kap Rn 49 ff.

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Im Komplex der Unternehmergenehmigung geht der wesentlichen Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens ein förmliches Verwaltungsverfahren voraus.345 Eine Eigentümlichkeit ist die gesetzlich vorgesehene oder zugelassene Stufung des Verfahrens.346 Im Atomrecht ist die Anlagengenehmigung in der Regel projektbegleitend in mehrere aufeinander folgende Teilgenehmigungen, ggf je mit akzessorischen Freigabebescheiden, aufgespalten, und außerdem ein Vorbescheid zulässig, insbes zur Wahl des Standortes (§§ 7ff AtG). Durch die Förmlichkeiten des Verfahrens sollen hauptsächlich die Beteiligung und das rechtliche Gehör der Betroffenen gesichert werden. Erfahrungsgemäß werden gegen größere Vorhaben zahlreiche, vielfach formularmäßige Einwendungen erhoben, so dass es zu einem „Massenverfahren“ kommt.347 Das Verfahrensrecht trägt der Eigenart des Massenverfahrens zB dadurch Rechnung, dass die individuelle Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses durch dessen öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden darf, wenn außer an den Träger des Vorhabens mehr als 50 individuelle Zustellungen vorzunehmen wären (§ 74 V VwVfG).348 Den Gemeinden, deren Gebiet durch das Vorhaben oder seine Auswirkungen 97 berührt wird, kommt planungsrechtlich eine besondere Stellung zu; zu ihren Gunsten ist ein Anhörungs- und Abwägungsgebot zu beachten. Die Mitwirkung an Planungen und Maßnahmen, die das Gemeindegebiet oder Teile dieses Gebietes nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen, gehört zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde. Die kommunale Planungshoheit schließt, unabhängig von einer ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung (wie zB in § 10 II Nr 1 LuftVG), ein „Recht der Gemeinden auf Mitwirkung an überörtlichen, aber ortsrelevanten Planungen“ ein.349 Diese Rechtsposition eröffnet der Gemeinde jedoch nicht einen umfassenden Abwehranspruch, sondern nur einen relativen Schutz konkreter Planungen und der grundsätzlichen Fähigkeit, die städtebauliche Entwicklung ihres Gebietes eigenverantwortlich zu bestimmen.350 Die Gemeinde kann sich auch auf die Beeinträchtigung ihres Grundeigentums berufen, genießt dafür allerdings nicht den Schutz der Eigentumsgarantie.351 Gemeinden und private Drittbetroffene können die verbindlichen Entscheidungen 98 über die Zulassung des Vorhabens mit der Anfechtungsklage angreifen und Plan96

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Hoppe/Schlarmann/Buchner Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 3. Aufl 2001; Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39. Wahl DÖV 1975, 373; Schmidt-Aßmann FG f das BVerwG, 1978, 569; Wieland DVBl 1991, 616; Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 32 ff. Blümel FS Weber, 1974, 539; Kopp DVBl 1980, 320; Henle BayVBl 1981, 1; Badura JA 1981, 33, 34 f. – Die Auswahl von Musterverfahren bei einer Vielzahl von verwaltungsgerichtlichen Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluß (vgl § 93 a VwGO) ist verfassungsrechtlich zulässig (BVerfGE 54, 39). BVerwG DVBl 1983, 901. BVerwGE 31, 263, 266; BVerfGE 56, 298 (Anm Blümel VerwArch 73 (1982) 329; Steinberg JuS 1982, 578); 76, 107; BVerwGE 77, 128 (Breitbandverkabelung); BVerwG DÖV 1992, 748 (Sonderabfalldeponie). BVerwG DVBl 1974, 562; BayVGH BayVBl 1986, 370; Lerche FS BayVGH, 1979, 223. BVerfGE 61, 82, m Anm Badura JZ 1984, 14; BVerwGE 100, 388.

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ergänzungsansprüche auf Beifügung von Nebenbestimmungen mit der Verpflichtungsklage verfolgen. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) setzt allerdings voraus, dass der Kläger selbst in einem rechtlich geschützten Interesse betroffen ist. Für die Klagebefugnis in atomrechtlichen Streitigkeiten beispielsweise kommt es darauf an, ob der Kläger geltend macht, dass ihm durch die angefochtene Genehmigung ein höheres Risiko zugemutet wird, als er nach den Schutzbestimmungen des Atomrechts tragen muss.352 Überdies können im Anfechtungsprozess nur solche Rechtsmängel gerügt werden, für die eine individuelle rechtliche Betroffenheit bestehen kann (§ 113 I 1 VwGO). Der subjektiv-rechtliche Charakter des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bleibt in „Großverfahren“ unberührt.353 Die Verbandsklage ist unzulässig, soweit sie gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassen ist (§ 61 BNatSchG).354 Schließlich hat es die häufig lange Dauer der Hauptsacheverfahren bei technischen Großvorhaben zu einem Charakteristikum der verwaltungsgerichtlichen Praxis werden lassen, dass dem vorläufigen Rechtsschutz (§§ 80, 80 a, 80 b VwGO) ein ungewöhnliches Gewicht zugefallen ist.355 Der Schutz, den ein privater Drittbetroffener mit der Verwaltungsklage gegen das 99 Vorhaben oder seine Auswirkungen sucht, beruht materiellrechtlich auf dem durch Gesetz und Verfassung begründeten Störungsabwehranspruch gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen von Leben, Gesundheit oder Eigentum. Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Vorhabens schutzwürdigen Interessen eines nachteilig betroffenen Dritten eine subjektivrechtliche Ausgestaltung geben, kann ein Dritter die Zulassung des Vorhabens im Ganzen oder in einzelnen Punkten angreifen, die Ergänzung der Planungs- oder Genehmigungsentscheidung durch Schutzbestimmungen verlangen oder äußerstenfalls Entschädigung für unvermeidbare Rechtsbeeinträchtigungen fordern. Auf allgemeine Belange, zB des Naturschutzes, kann sich der Dritte dabei nicht berufen. Nur wenn die Zulassung des Vorhabens einen Dritten mit enteignender Wirkung beeinträchtigt – sei es, dass sein Grundstück für die Ausführung des Vorhabens benötigt werden wird, sei es, dass er durch die Auswirkungen des Vorhabens schwer und unerträglich betroffen werden wird –, kann er gegen die Entscheidung die Verletzung öffentlicher Belange geltend machen (sog enteignungsrechtliche Vorwirkung); denn kraft der Eigentumsgarantie muss eine enteignende Rechtsverkürzung in jeder Hinsicht gesetzmäßig sein.356 Rechte Einzelner können sich weiter unmittelbar und allein aus der Verfassung ergeben, soweit wegen der mangelnden oder mangelhaften Regelung der nuklearen Gefahren, des Fluglärms oder der Luftverschmutzung oder durch einen rechtswidrigen Vollzug der materiell- oder verfahrensrechtlichen Vorschriften in diesem 352 353 354 355

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BVerwGE 70, 365; OVG Lüneburg DVBl 1984, 887. BVerwG DÖV 1982, 323. BVerwG DÖV 1981, 268. BVerfGE 35, 263; 53, 30; BVerfG NVwZ 1984, 429; BVerfG GewArch 1985, 16; BVerwG DVBl 1974, 566; BVerwG DÖV 1982, 323; VGH Bad-Württ DÖV 1979, 521; BayVGHE 27, 115; BayVGH NVwZ 1982, 130; BayVGH DVBl 1984, 882. – Papier in: Rechtsfragen der Genehmigung von Kraftwerken, VEnergR 41/42, 1978, 86; Martens Suspensiveffekt, Sofortvollzug und vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz bei atomrechtlichen Genehmigungen, 1983. BVerwGE 67, 74.

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Bereich ein Rechtsnachteil durch die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht nach Art 2 II 1 oder 14 GG entsteht (Untermaßverbot).357 Soweit das Gesetz auch den Schutz von im Ausland belegenen Rechtsgütern einbegreift, steht das Territorialitätsprinzip der Klagebefugnis des ausländischen Rechtsinhabers nicht entgegen.358 b) Atomanlagen 100 Die Genehmigungspflicht für Atomanlagen gehört zu den Überwachungsvorschriften des AtG.359 Der Genehmigung bedarf, wer eine ortsfeste Anlage zur Erzeugung oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe errichtet, betreibt oder sonst innehat oder die Anlage oder ihren Betrieb wesentlich verändert (§ 7 I AtG). Eine Änderung ist im Sinn des § 7 I AtG wesentlich und damit genehmigungsbedürftig, wenn sie nach Art oder Umfang geeignet erscheint, die in den Genehmigungsvoraussetzungen festgelegten Sicherheitsanforderungen zu berühren und deswegen, auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Anlagenteile und Verfahrensschritte der genehmigten Anlage, die Genehmigungsfrage erneut aufwirft.360 Der Genehmigung bedürfen auch die Stilllegung einer Anlage sowie der sichere Einschluss der endgültig stillgelegten Anlage oder der Abbau der Anlage oder von Anlageteilen (§ 7 III AtG). Die Entscheidung über die Genehmigung hat die Einhaltung der in § 7 II AtG festgelegten nuklearspezifischen und nicht-nuklearspezifischen (§ 7 II Nr 6 AtG) Anforderungen sicherzustellen, die sich aus der in § 1 AtG ausgesprochenen Zielsetzung des Gesetzes ableiten. Zweck des Gesetzes war ursprünglich, die Erforschung, die Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern (§ 1 Nr 1 AtG aF), wobei der Schutzzweck stets Vorrang hatte vor dem Förderungszweck.361 Die Politik des „Ausstiegs“ aus der Kernenergie führte auf Grund der sog Atomkonsensvereinbarung zwischen der Bundesregierung und einer

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BVerfGE 53, 30; 56, 54; BVerfG NJW 1983, 2931. – Ossenbühl DÖV 1981, 1; ders DVBl 1981, 65; Badura FS Eichenberger, 1982, 481; ders FS Lukes, 1989, 3. BVerwG JZ 1987, 351 (atomrechtl Anlagengenehmigung), dazu Rauschning ArchVR 25, 1987, 312; Weber DVBl 1987, 377. Ronellenfitsch Das atomrechtl Genehmigungsverfahren, 1983; Breuer Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; Marburger ET 1984, 209; Rengeling Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; Haedrich Atomgesetz, 1986; Schneider/Steinberg Schadensvorsorge im Atomrecht zwischen Genehmigung, Bestandsschutz und staatlicher Aufsicht, 1991; Lukes/Birkhofer (Hrsg), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991; Steinberg (Hrsg), Reform des Atomrechts, 1994; Kloepfer Umweltrecht, 3. Aufl 2004, § 15; Roller DÖV 1998, 657; Schmidt-Preuß NVwZ 1998, 553; ders ET 1998, 750; ders DVBl 2000, 767; Rodi NJW 2000, 7. – Antwort der BReg auf eine Große Anfrage betr Zukunft der friedlichen Nutzung der Kernenergie – Zukunft der Entsorgung, BT-Drucks 14/5162 (25. 1. 2001). BVerwG DVBl 1997, 52 (KKW Krümmel, Veränderung des Reaktorkerns) m Anm v Danwitz RdE 1997, 55 und Steinberg/Roller DVBl 1997, 57; Raetzke Die Veränderungsgenehmigung für Kernkraftwerke nach § 7 Atomgesetz, 2001. BVerwG DVBl 1972, 678.

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Mehrheit von Kernkraftwerksbetreibern zu dem Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität v 22. 4. 2002 (BGBl I 1351).362 Dieses bestimmt in § 1 Nr 1 AtG nun die geordnete Beendigung der Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität und die Sicherstellung des geordneten Betriebs bis zum Zeitpunkt der Beendigung als Gesetzeszweck. Folgerichtig werden für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität und von Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe keine Genehmigungen mehr erteilt, § 7 I 2 AtG. Dies gilt nicht für wesentliche Veränderungen von Anlagen oder ihres Betriebs, § 7 I 3 AtG. Soweit es sich um den Schutz vor Gefahren der Kernenergie oder der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen handelt, wird das Immissionsschutzrecht durch die atomrechtlichen Vorschriften verdrängt (§ 8 I AtG, § 2 II BImSchG). Hinsichtlich der sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen schließt die atomrechtliche Genehmigung die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung nach §§ 4 ff BImSchG ein (§ 8 II AtG). Der – für die gegenständliche Reichweite des Genehmigungsvorbehalts entschei- 101 dende – Anlagenbegriff wird dadurch bestimmt, dass das Genehmigungserfordernis nach § 7 I AtG in erster Linie dem nuklearspezifischen Gefahrenschutz dient. Der Genehmigung bedarf die Anlage daher so, wie sie nach dem konkreten Konzept des Errichters zur Genehmigung gestellt ist, auch wenn sie abstrakt in eine Mehrzahl auch räumlich und betrieblich trennbarer – und dann selbständig rechtlich zu beurteilender – Anlagen aufteilbar wäre. Demgemäß unterliegt bei einer Anlage zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe auch die Errichtung des in räumlichem und betrieblichem Zusammenhang mit der Aufarbeitung stehenden Eingangslagers für die aufzuarbeitenden Brennelemente sowie die Errichtung der Anlagenwache und des Anlagenzauns der atomrechtlichen Genehmigungspflicht.363 Zentrale Genehmigungsvoraussetzung ist, dass die nach dem Stand von Wissen- 102 schaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist (§ 7 II Nr 3 AtG).364 Ungewissheiten jenseits einer „Schwelle praktischer Vernunft“, die durch die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens bedingt ist, dürfen als „Restrisiko“ außer Betracht gelassen werden.365 Diesseits dieser Schwelle umfasst das Erfordernis der Schadensvorsorge über die Gefahrenabwehr hinaus auch die Risikovorsorge. Bei der Entscheidung über die Genehmigung besitzt die Behörde – ungewöhnlich für einen präventiven Genehmi362

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GesEntw, BT-Drucks 14/6890 und 14/7261; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks 14/7825. – Di Fabio Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999; Ossenbühl AöR 124 (1999) 1; Koch NJW 2000, 1529; ders/Roßnagel NVwZ 2000, 1; Kruis DVBl 2000, 441; Langenfeld DÖV 2000, 929; Schmidt-Preuß NJW 2000, 1524; Schorkopf NVwZ 2000, 1111; Stüer/Loges NVwZ 2000, 9; H. Wagner NVwZ 2001, 1089; Kühne/Brodowski NJW 2002, 1458. BVerwGE 72, 300, 329; BVerwG DVBl 1988, 973 (Wackersdorf); Rupp DVBl 1989, 345. StrSchV idF v 20. Juli 2001 (BGBl I 1714), zul geänd am 18. 6. 2002 (BGBl I 1869); G v 23. 9. 1990 (BGBl II 885). BVerfGE 49, 89; Rengeling DVBl 1988, 257.

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gungsvorbehalt und insoweit von besonderer Eingriffsintensität – einen Spielraum pflichtgemäßen Ermessens, um auch nicht vorhersehbaren Umständen Rechnung tragen zu können. Abweichend von dem ursprünglich angeordneten Vorrang der schadlosen Verwertung („Wiederaufarbeitung“) hat die Neufassung des § 9 a I AtG durch das G zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung bestimmt, dass radioaktive Reststoffe sowie ausgebaute und abgebaute radioaktive Anlagenteile ab dem 1. 7. 2005 nur noch geordnet beseitigt werden dürfen („direkte Endlagerung“). Die weiteren Novellierungen des § 9 a AtG haben eine Entsorgungsverantwortung der Länder für die Zwischenlagerung und eine entsprechende Verantwortung des Bundes für die Endlagerung begründet und dem Bund die Möglichkeit eröffnet, diese Aufgabe auf Dritte zu übertragen (§ 9 a III 3 AtG).366 Die Gewährleistungsverantwortung des Staates bleibt jedoch bestehen367. c) Flugplätze, Flughäfen 103 Die luftrechtliche Zulassung von Flugplätzen ist unterschiedlich geregelt für Flughäfen, für Landeplätze mit oder ohne beschränkten Bauschutzbereich und für Segelfluggelände.368 Flughäfen sind Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorhergesehenen Flugbetriebs einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen; sie sind Flughäfen des allgemeinen Verkehrs (Verkehrsflughäfen) oder solche für besondere Zwecke (§ 38 LuftVZO). Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über den Luftverkehr (Art 73 Nr 6 GG) erstreckt sich auch auf Regelungen, die die Zulassung von Flughäfen sowie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Flughafenunternehmer und den vom Luftverkehr beeinträchtigten Grundstücken betreffen.369 Flughäfen dürfen nur mit Genehmigung (§ 6 LuftVG) und nach vorheriger Plan104 feststellung (§§ 8 ff LuftVG)370 angelegt und betrieben werden. Die Genehmigung ist eine Entscheidung über den Antrag des Unternehmers, dem sie eine Anlagen- und Betriebserlaubnis gibt, und zugleich eine überschlägige und vorläufige Planungsentscheidung, durch die ohne abschließende rechtliche Verbindlichkeit die rechtliche Grundlage für das Planfeststellungsverfahren und den Planfeststellungsbeschluss

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Menzer DVBl 1998, 820. P. M. Huber DVBl 2001, 239. §§ 6 ff LuftVG; §§ 38 ff Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO). – Hofmann/Grabherr Luftverkehrsgesetz, 2. Aufl Stand 2005; Schwenk Handbuch des Luftverkehrsrechts, 3. Aufl 2005; Badura FS Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, 27; R. Hartmann Genehmigung und Planfeststellung für Verkehrsflughäfen und Rechtsschutz Dritter, 1994; Delbanco Die Änderung von Verkehrsflughäfen, 1998; Zielke Verkehrsaufteilung in Flughafensystemen, 1998; Birmanns Internationale Verkehrsflughäfen, 2001; Ziekow (Hrsg), Flughafenplanung, Planfeststellungsverfahren, Anforderungen an die Planungsentscheidung, 2002. HessStGH DÖV 1982, 320 (BVerfGE 60, 175); dazu Steinberg ZRP 1982, 113. Die zu der Genehmigung hinzutretende Planfeststellung ist durch die Novelle v 5. 12. 1958 (BGBl I 899) eingeführt worden. – Beine ZLR 7, 1958, 363; ders ZLW 10, 1961, 3.

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geschaffen wird.371 Mit der Genehmigung ist die Festlegung des Ausbauplanes verbunden, der den Bauschutzbereich umschreibt (§ 12 LuftVG).372 Dem Genehmigungsvorbehalt unterliegt auch die wesentliche Erweiterung oder Änderung der Anlage oder des Betriebs des Flugplatzes (§ 6 IV 2 LuftVG).373 Die Aufeinanderfolge von Genehmigung und Planfeststellung und die Zuordnung der Regelungsgehalte und Gestattungswirkungen dieser beiden Zulassungsakte hat zu weitläufigen Zweifelsfragen geführt und ist lange kritisiert worden. Für das Gebiet der neuen Länder hat § 10 I Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz eine vom LuftVG abweichende Regelung getroffen: Die Anlegung und der Betrieb neuer Verkehrsflughäfen bedürfen keiner vorherigen Genehmigung. Die Planfeststellungsbehörde regelt den Betrieb des Flughafens und legt den Ausbauplan fest. Nach dem Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens ist eine Genehmigung nach § 6 I LuftVG zu erteilen.374 Sachlich damit im Wesentlichen übereinstimmend bestimmt jetzt § 8 VI LuftVG: Die Genehmigung nach § 6 ist nicht Voraussetzung für ein Planfeststellungsverfahren oder ein Plangenehmigungsverfahren. Die Bundeswehr, der Bundesgrenzschutz, die Polizei und ausländische, in Deutschland stationierte Streitkräfte können bei Bau und Betrieb ihrer Flugplätze von den Vorschriften des Luftverkehrsrechts, außer von den Bestimmungen über den Bauschutzbereich und die Luftfahrthindernisse abweichen, soweit dies zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist. Eine Planfeststellung entfällt, wenn militärische Flugplätze angelegt oder geändert werden sollen (§ 30 I LuftVG).375 Für die zivile Nutzung eines aus der militärischen Trägerschaft entlassenen ehemaligen Militärflugplatzes ist eine Änderungsgenehmigung erforderlich (§ 8 V LuftVG). Über die Genehmigung befindet die zuständige Landesbehörde im Auftrag des 105 Bundes, mit Ausnahme der dem Bundesminister für Verkehr vorbehaltenen Prüfung und Entscheidung, inwieweit durch die Anlegung und den Betrieb eines Verkehrsflughafens die öffentlichen Interessen des Bundes berührt werden (Art 87 d GG, § 31 II Nr 4 LuftVG); die dem Bund vorbehaltene Entscheidung hat einen nur verwaltungsinternen Charakter. Die Entscheidung über die Genehmigung ergeht in Ausübung von Planungsermessen nach den materiellen Richtlinien des § 6 LuftVG. Dem Unternehmer können Regelungen des Flugbetriebs auferlegt werden. Da erst das Planfeststellungsverfahren die verbindliche Regelung der Rechtsbeziehungen zu 371

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BVerwG DÖV 1969, 283; BVerwG DVBl 1969, 362; BVerwG DVBl 1971, 415; BVerwG DÖV 1974, 418 m Anm Wahl DÖV 1975, 373; BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1980, 135. Das im Bauschutzbereich eintretende Erfordernis der Zustimmung der Luftfahrtbehörde zu Baugenehmigungen hat für sich allein grds keine enteignende Wirkung (BGH ZLW 21, 1972, 179; BGH DVBl 1974, 430), kann aber im Fall der Verweigerung der Zustimmung, die eine nur verwaltungsinterne und nicht selbständig anfechtbare Verwaltungshandlung ist, zu einer entschädigungspflichtigen Enteignung führen (§ 19 LuftVG). BVerwG DVBl 1989, 363. Ronellenfitsch DVBl 1994, 441. BVerwG NVwZ 1988, 1122; BVerwG DVBl 1989, 363; BVerwG JZ 1995, 510 (Tieffluggebiet) m Anm Ossenbühl; VGH Kassel NJW 1989, 470; Deiseroth DVBl 1989, 9; Giemulla/Most DVBl 1990, 508; Ronellenfitsch DÖV 1994, 45.

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den Drittbetroffenen, insbes den Flughafennachbarn, zur Folge hat (§§ 9, 11 LuftVG), können Drittbetroffene die Genehmigung mangels Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) nicht angreifen.376 Das gilt auch für die in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinden. Diese sind jedoch an dem Genehmigungsverfahren – und ggf an einem vorgängigen Raumordnungsverfahren – zu beteiligen, haben hier ein Recht auf Information und Anhörung und können eine Verletzung dieses „formellen“ Beteiligungsrechts im Wege der Anfechtungsklage geltend machen.377 Da dieses nur formelle Recht der planerischen Vorwirkung der Genehmigung Rechnung tragen soll, entfällt es, wenn – wie jetzt nach § 8 VI LuftVG möglich – das Genehmigungsverfahren der Planfeststellung nachfolgt. Die Genehmigung oder ihre Änderung können allerdings auch für sich allein Rechte Dritter beeinträchtigen. Eine durch ein genehmigungspflichtiges Vorhaben materiell in ihrer Planungshoheit betroffene Gemeinde kann unter bestimmten Voraussetzungen die Abwehr einer Rechtsbeeinträchtigung und auch einen Anspruch auf Durchführung eines Genehmigungsverfahrens und dessen Abschluss durch eine Sachentscheidung geltend machen.378 Flugschulen und Flugcharterunternehmen, denen an einem Flughafen ein Benutzungsrecht eingeräumt ist, können verlangen, dass ihre gewerblichen und wirtschaftlichen Belange angemessen berücksichtigt werden, wenn ihre gewerbliche Betätigung durch eine Änderung der Genehmigung wesentlich erschwert wird.379 Wenn dem Genehmigungsverfahren ein Planfeststellungsverfahren nicht vorausgeht oder folgt, hat die Genehmigung einen die Zulassung des Flugplatzes insgesamt erfassenden Regelungsgehalt; der betroffene Anwohner hat demnach gemäß § 6 LuftVG ein Recht auf angemessenen Schutz vor Fluglärm durch die Genehmigung.380 Die Planfeststellung erfolgt auf Grund eines förmlichen Verwaltungsverfahrens 106 durch Planfeststellungsbeschluss oder – ohne das Anhörungsverfahren, aber mit derselben Rechtswirkung wie ein Planfeststellungsbeschluss – durch Plangenehmigung, wenn Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden oder diese ihr Einverständnis erklärt haben und wenn mit den in ihrem Aufgabenkreis berührten Trägern öffentlicher Belange das Benehmen hergestellt worden ist (§§ 8 ff LuftVG, §§ 72 ff VwVfG). Betriebliche Regelungen und die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Hochbauten auf dem Flugplatzgelände können Gegenstand der Planfeststellung sein. Das Planungsvereinfachungsgesetz hat das Verfahren und den Rechtsschutz Drittbetroffener neu geordnet.381 Planfeststellung und Plangenehmigung können bei Änderungsvorhaben von unwesentlicher Bedeutung unterbleiben (§ 8 III 1 LuftVG). Die Beseitigung eines in der Abfertigungskapazität eines Flughafens aufgetretenen Engpasses durch einen Erweiterungsbau erfordert regelmäßig nicht die Durch376

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BVerwG DÖV 1969, 283. – Vgl auch BVerfG DVBl 1981, 374 (1. 8. 1980) m Anm Schmidt-Aßmann DVBl 1981, 334. BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1979, 517; BVerwG DÖV 1980, 135; BVerwG DVBl 1988, 532; Grabherr ZLW 1977, 247. – Vgl auch BVerfG DVBl 1981, 374 (12. 5. 1980). BVerwG DVBl 1989, 363. BVerwG DVBl 1989, 1097. BVerwG DVBl 1989, 1051. Steinberg/Berg NJW 1994, 488; Steiner NVwZ 1994, 313.

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führung eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens.382 Flughafenhochbauten sind an sich planfeststellungsfähig, unbeschadet der notwendigen Baugenehmigung (§ 8 IV LuftVG). Planfeststellungsbehörde ist die von der Landesregierung bestimmte Behörde, die in Bundesauftragsverwaltung handelt (Art 87 d GG, § 10 LuftVG).383 Bei der Entscheidung über die Planfeststellung, die in Ausübung planerischer Gestaltungsfreiheit zu treffen ist, sind die entsprechend geltenden Anforderungen nach § 6 II und III LuftVG maßgebend.384 Die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die rechtlich geschützten Interessen Dritter müssen, sofern sie nicht der Planfeststellung überhaupt entgegenstehen, aufgrund der gebotenen planerischen Abwägung durch Auflagen (§ 9 I 1 LuftVG) oder Entschädigung ausgeglichen werden.385 Von besonderem Gewicht ist der Schutz gegen Fluglärm.386 In § 29 b LuftVG ist hierfür eine beim Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden zu beachtende allgemeine Grundpflicht aufgestellt. Die normativen Vorkehrungen zur Bekämpfung des Fluglärms und ihr Vollzug im Einzelfall müssen der in Art 2 II GG begründeten Schutzpflicht des Staates genügen. Ihre Erfüllung kann nicht ausschließlich davon abhängen, welche Maßnahmen nach dem „Stand der Technik“ möglich sind; maßgebliches Kriterium ist letztlich, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf.387 Wegen der Fluglärmimmissionen, die von einem – nicht planfeststellungspflichtigen – Militärflugplatz ausgehen, kann ein Entschädigungsanspruch nach Aufopferungsgrundsätzen wegen enteignenden Eingriffs in Betracht kommen.388 Gemeinden und private Betroffene können die Planfeststellung angreifen, soweit sie in ihren Rechten berührt sind und die Verletzung von Vorschriften rügen können, die ihren Schutz bezwecken. Entsprechend dem Sach- und Regelungsgehalt der 382

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BVerwG NVwZ 2001, 566 (Berlin-Tegel). Mit einer gegen eine Baugenehmigung für Flughafenhochbauten gerichteten Verwaltungsklage können Drittbetroffene rügen, die planerische Abwägung ihrer dem Vorhaben entgegenstehenden Belange sei ihnen rechtswidrig vorenthalten worden, indem anstelle des an sich gebotenen Planfeststellungsverfahrens nur ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt worden sei (BVerwG DVBl 2002, 272 – Berlin-Tegel). Das Gesetz schreibt den Landesregierungen nicht vor, für die Anhörung der Beteiligten und für die Planfeststellung verschiedene Behörden zu bestimmen (BVerwG NJW 1980, 1706). BVerwGE 69, 256; 75, 214. BVerwGE 56, 110; 69, 256; BVerwG DÖV 1991, 853; VGH BW DVBl 1990, 108; Quaas NVwZ 1991, 16. Dazu auch das G zum Schutz gegen Fluglärm v 30.3.1971 (BGBl I 282), zul geänd am 29. 10. 2001 (BGBl I 2785), das ua die Festsetzung von Lärmschutzbereichen und die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen vorsieht. Der in § 3 des Gesetzes und in der Anlage als Maßstab vorgesehene äquivalente Dauerschallpegel wird auch im Rahmen der Planfeststellung zur Ermittlung der Lärmbelastung herangezogen. – Bericht der BReg. über die Erfahrungen bei der Durchführung des Fluglärmgesetzes, BT-Drucks 8/2254. – BayVGH BayVBl 1998, 463 (Nachtflugverkehr). BVerfGE 56, 54. BGH JZ 1994, 259 m Anm Ossenbühl ebd 263; BGH DÖV 1995, 733.

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Entscheidung müssen die Verwaltungsgerichte jedenfalls „die umfassende Nachprüfung der luftverkehrsrechtlichen Gesichtspunkte innerhalb der Planung“ – ohne Beschränkung durch die materiell nicht angreifbaren Vorentscheidungen durch die Genehmigung, sofern diese vorausgegangen war – im Rahmen des Verfahrens gegen den Planfeststellungsbeschluss vornehmen.389 Die Aufgaben der Flugsicherung, die der sicheren, geordneten und flüssigen Ab107 wicklung des Luftverkehrs dient und auch die Festlegung der An- und Abflugverfahren eines Flughafens umfasst, lagen früher in der Hand der Bundesanstalt für Flugsicherung. Das 37. ÄndG zum Grundgesetz v 14. 7. 1992 (BGBl I 1254) ließ es ausdrücklich zu, Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung auch in privatrechtlicher Organisationsform zu erfüllen (Art 87 d I 2 GG).390 Daraufhin hat das Zehnte Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes 1992 das Gesetz über die Bundesanstalt für Flugsicherung aufgehoben, die Flugsicherung in den Vorschriften der §§ 27 c ff LuftVG neu geregelt und den Bundesminister für Verkehr ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile ausschließlich vom Bund gehalten werden, mit der Wahrnehmung von in § 27 c LuftVG genannten Aufgaben zu beauftragen (§§ 31 b I, 31d I LuftVG). Auf Grund dieser Ermächtigung ist durch VO v 11. 11. 1992 (BGBl I 1928) die Deutsche Flugsicherung GmbH als Flugsicherungsunternehmen beauftragt worden. Die Flugplankoordinierung erfolgt heute nach Maßgabe des Rechts der EG (§§ 27 a I LuftVG, VO/EWG Nr 95/93 des Rates v 18. 1. 1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl Nr L 14/1).391

IV. Beihilfenrecht 1. Allgemeines 108 Die öffentlichen Finanzhilfen, die als Subventionen oder Beihilfen an Unternehmen oder sonstige Anbieter von Waren oder Dienstleistungen vergeben werden, verfolgen im Regelfall Ziele der regionalen oder sektoralen Strukturpolitik.392 Die subventionsweise zugewandte Begünstigung knüpft im Hinblick auf ein bestimmtes öffentliches Interesse an das privatwirtschaftlich bestimmte Unternehmens- oder Betriebsziel an und führt dem Begünstigten Mittel zu, die das Unternehmen oder der Betrieb marktwirtschaftlich nicht erworben hat. Die dadurch bewirkte Kostenentlastung und die daraus abgeleitete Übernahme des unternehmerischen Risikos durch den 389 390 391

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BVerfG DVBl 1981, 374 (1.8.1980). Lerche FS Franz Klein, 1994, 527. Zul geänd durch VO/EG Nr 793/2004 v 21. 4. 2004 (ABl Nr L 138/50). – Badura FS Friauf, 1996, 529, 537 f. Köttgen DVBl 1953, 485; Ipsen Öffentliche Subventionierung Privater, 1956; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 92; Götz Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966; Ipsen/Zacher VVDStRL 25 (1967) 257, 308; Badura WiV 1978, 137; Jarass JuS 1980, 115; Friauf 55. DJT, 1984, Sitzungsbericht M; Schmidt in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 1 Rn 147 ff; Haverkate in: R. Schmidt (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bes Teil 1, 1995, § 4; Dickersbach NVwZ 1996, 962; Krüdewagen GewArch 1999, 235; Rodi Die Subventionsordnung, 2000.

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öffentlichen Haushalt hat seinen Grund darin, dass das geförderte Unternehmen oder der Betrieb eine strukturpolitische Bedeutung aufweist, die im öffentlichen Interesse die Förderungswürdigkeit auslöst und die Abgrenzung des begünstigten Unternehmens oder der begünstigten Gruppe von Wirtschaftssubjekten rechtfertigt. Durch die Praxis der Wirtschaftsförderung, wie sie bei der Lenkung der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung, bei der energie- und sozialpolitischen Beeinflussung des Kohlenbergbaus und bei den regionalen Strukturmaßnahmen zu beobachten sind, werden wesentliche Wirtschaftszweige, einzelne Wirtschaftsregionen oder selbst einzelne Unternehmen von besonderer regionaler oder sektoraler Bedeutung in Produktions- und Wettbewerbsbedingungen, in Struktur und Wachstum zum Medium der Wirtschaftslenkung und von politischen Entscheidungen abhängig. Die Wirtschaftsförderung ist Sache der EU, des Staates, aber auch der Gemeinden, denen sie in den Grenzen ihrer Selbstverwaltungsaufgabe erlaubt ist.393 Ihre Förderungswerkzeuge sind ua Werbung, Standortmarketing, Märkte und Messen, Finanzhilfen, Realförderung, Bereitstellung von Grundstücken sowie eine gewerbefreundliche Bauleitplanung. Der reißend angeschwollene Umfang der Wirtschaftsförderung durch staatliche 109 Finanzhilfen, die nur zu einem Teil auf einem besonderen Gesetz beruhen und häufig nur aufgrund eines Ansatzes im Haushaltsgesetz nach Maßgabe von Richtlinien der Exekutive ausgeschüttet werden, korrespondiert mit einem hier besonders auffälligen Einfluss der organisierten Interessen. Politisch gesprochen hat die vereinfachende Paradoxie eine gewisse Berechtigung, mit Subventionen interveniere „weniger der Staat in die Wirtschaft als die Wirtschaft in den Staat“ (Volkmar Götz). Die Verpflichtung der Subventionspolitik auf die sehr allgemeinen Richtlinien des § 1 StabG (§ 12 I StabG) verspricht kaum eine Bändigung des Subventionismus, doch bringt der von der Bundesregierung alle zwei Jahre vorzulegende Subventionsbericht (§ 12 II-IV StabG) 394 wenigstens eine größere Durchsichtigkeit. Zu einer stärkeren Planmäßigkeit der Wirtschaftsförderung hat er bislang nicht beigetragen. Die ordnungs- und wettbewerbspolitischen Risiken des Subventionswesens lassen sich nur durch strenge und unbestechliche Festlegung und Überwachung des öffentlichen Interesses bei der Einführung, Abwicklung und Beibehaltung der einzelnen Förderungsmaßnahmen in Grenzen halten.395 Die Abgrenzung des Kreises der durch eine bestimmte Subvention zu begünstigenden Wirtschaftssubjekte ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung, die neben freiheitsrechtlichen Anforderungen396 vor allem dem Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit (Art 3 I GG) unter-

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Köttgen Der heutige Spielraum kommunaler Wirtschaftsförderung, 1963; Altenmüller DVBl 1981, 619; Lange Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981; Knemeyer WiV 1989, 92; Ehlers (Hrsg), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990. – BVerwG JZ 1990, 591 m Anm Ehlers. Bericht der BReg über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2001 bis 2004 (19. Subventionsbericht), BT-Drucks 15/1635. Antwort der BReg auf eine Große Anfrage: Subventionspolitik der BReg, BT-Drucks 8/3429. – Ehlers DVBl 1993, 861. Siehe BVerwGE 75, 109 (Subventionsbetreuer); 90, 112 (Osho).

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liegt.397 Die durch die Subventionierung bewirkte Veränderung der Chancengleichheit im (unternehmerischen) Wettbewerb bedarf der sachlichen Rechtfertigung durch ein hinreichend gewichtiges öffentliches Interesse, dh ein definiertes strukturpolitisches Ziel. Das Bestreben, durch eine Begrenzung und Reduzierung des Subventionswesens 110 den finanzpolitischen Spielraum der öffentlichen Hand zu sichern,398 der ordnungspolitischen Irregularität fortdauernder Subventionierung und insbes der Erhaltungssubventionen Rechnung zu tragen und solche Förderungsmaßnahmen zurückzuführen, die ihren Zweck verfehlt haben oder wegen veränderter Umstände nicht mehr erfüllen,399 ist durch eine Kette von Fehlschlägen gekennzeichnet. Besondere Umstände der Regional- und Sozialpolitik können auch die zeitweilige Fortführung von ordnungspolitisch sachwidrigen Förderungsmaßnahmen rechtfertigen; s zB das Gesetz zur Neuordnung der Steinkohlesubventionierung v 17. 12. 1997 (BGBl I 3048). Die Gewährung einer Subvention begründet grundsätzlich keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand für das Interesse an einer Weitergewährung der Förderung.400 Der Nutzen und der Erfolg einer Subvention und die Frage ihrer finanzpolitischen „Beherrschbarkeit“ sind Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Beurteilung.401 Subventionsmaßnahmen können verfassungsrechtlich durch den allgemeinen 111 sozialstaatlichen Schutz- und Gestaltungsauftrag, aber auch durch grundrechtliche Schutzpflichten gerechtfertigt sein, wie zB im Fall der privaten Ersatzschulen (Art 7 IV GG). Grundrechtliche Schutzpflichten finden ihren Grund in der Förderung individueller Freiheit. Deshalb ist es selbstverständlich, dass der Geschützte eine angemessene Eigenleistung erbringen muss und nicht etwa vom allgemeinen unternehmerischen Risiko, insbes im Wettbewerb mit anderen Anbietern, freizustellen ist 402.

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v Münch AöR 85 (1960) 270; Kreussler Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber, 1973. – BVerwG DÖV 1973, 317. S das SubventionsabbauG v 26. 6. 1981 (BGBl I 537); RegEntw, BT-Drucks 9/92; Finanzplan des Bundes 1980 bis 1984, BT-Drucks 9/51; Stellungnahme des BRates und Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks 9/217. – Stern/Werner Subventionsabbau. Notwendigkeit und Möglichkeiten, 1987. Die Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau soll eine Fehlleitung von Subventionen durch die Erhebung einer Abschöpfungsabgabe ausgleichen (BVerfGE 78, 249). BVerfGE 72, 175 betr eine zins- und tilgungsbegünstigte Darlehensförderung. Hansmeyer Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, 1963; ders FinArch 30, 1971/72, 103; Andel Subventionen als Instrument des finanzwirtschaftlichen Interventionismus, 1970; G. Kirchhoff Subventionen als Instrument der Lenkung und Koordinierung, 1973; Schetting Rechtspraxis der Subventionierung, 1973; Gröbner Subventionen. Eine kritische Analyse, 1983; Hansmann Der Schutz des öffentlichen Finanzinteresses bei der Gewährung von Subventionen, 1993. BVerfGE 75, 40, 68.

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2. Staatliche Beihilfen Das nationale öffentliche Wirtschaftsrecht hat keine einheitliche Begrifflichkeit für 112 Subventionen oder Beihilfen hervorgebracht, und insofern auch kein umfassendes Regelungsregime. Von zentraler Bedeutung ist jedoch die Definition der „Zuwendung“ in § 14 HGrG, §§ 23, 44 BHO, worunter der Gesetzgeber „Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Leistungen an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung zur Erfüllung bestimmter Zwecke“ versteht. Wirtschaftsverwaltungsrechtlich gesehen sind Subventionen Geldleistungen, die in Verfolgung eines bestimmten wirtschaftsgestaltenden Zweckes an einen privaten Unternehmer als Angehörigen eines zu fördernden Wirtschaftszweiges oder wegen des Standortes seines Betriebes durch einen Verwaltungsträger im Rahmen eines besonderen Rechtsverhältnisses in Gestalt von Zuschüssen, Krediten,403 Zinserleichterungen, Prämien oder Bürgschaften vergeben werden. Subvention im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften über den Subventionsbetrug (§ 264 StGB) ist eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an (private oder öffentliche) Betriebe oder Unternehmen, die wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und der Förderung der Wirtschaft dienen soll (§ 264 VII StGB).404 In einem weiteren Sinn können auch alle vermögenswerten Zuwendungen und Vorteile, die nicht als Geldleistungen vergeben, sondern als Realförderung dargeboten werden, dem Subventionswesen zugerechnet werden. Steuervergünstigungen ergeben sich aus steuerrechtlichen Ausnahmevorschriften, die für die öffentliche Hand zu Mindereinnahmen führen. Sie sind mangels eines besonderen Subventionsverhältnisses nur bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise den Finanzhilfen gleichzustellen („verdeckte“ Subventionen, Verschonungssubventionen) 405, wirtschaftsverwaltungsrechtlich aber keine Subventionen. Die Investitionszulage, jetzt nach dem Investitionszulagengesetz 2005, ist keine Steuervergünstigung, sondern eine Finanzhilfe.406 Ob die Vergabe von Subventionen/Beihilfen dem Vorbehalt des Gesetzes unter- 113 liegt, ist noch immer umstritten. Die hM geht nach wie vor davon aus, dass nur Eingriffe in Freiheit und Eigentum dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, nicht aber der Bereich der Leistungsverwaltung. Die Subventionsvergabe aber stellt klassische Leistungsverwaltung dar. Damit genügt die generelle Bereitstellung staatlicher Mittel im Haushaltsplan und Haushaltsgesetz.407 Erfolgt die Subventionsvergabe nicht aufgrund eines besonderen Gesetzes, dient als direktiver Maßstab für den Inhalt der Verwaltungsvorschriften (Richtlinien), die als normative Grundlage für die Entscheidung über Subventionierungsanträge durch das zuständige Ministerium erlassen werden, der Zweck der Subvention, wie er durch den Haushaltsansatz der zu vergebenden Mittel festgelegt ist. Subven403

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Hier ergeben sich besondere Rechtsgestaltungen, wenn sich die Verwaltung zur Kreditvergabe einer Bank bedient: BVerwGE 30, 211; BGH NJW 1964, 2060; BayVerfGH NJW 1961, 163; BayVGH DVBl 1967, 383. Findeisen JZ 1980, 710; Ranft NJW 1986, 3163. BVerfGE 110, 274 (Ökosteuer). BVerwG NJW 1985, 1972 (zu § 4 a InvZulG 1975). BVerwGE 58, 45.

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tionsrichtlinien steuern als sog ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften diese nicht gesetzesakzessorische Verwaltungstätigkeit. Sie sind ungeachtet einer mittelbaren Außenwirkung aufgrund des Zusammenhangs des tatsächlichen Verwaltungshandelns mit den rechtsstaatlichen Grundsätze der Gleichbehandlung („Selbstbindung“ der Verwaltung, Art 3 I GG) und des Vertrauensschutzes jedoch keine Rechtsnormen.408 Im Übrigen ist zwischen der dem parlamentarischen Budgetrecht unterliegenden haushaltswirtschaftlichen Bereitstellung der zu vergebenden Mittel und der normativen Grundlage des Subventionsverhältnisses der öffentlichen Hand zu dem Subventionsempfänger (Subventionsstatut) zu unterscheiden. Das Haushaltsgesetz bezieht sich nur auf das erstgenannte Rechtsverhältnis und begründet mangels Außenwirkung für sich allein keine individuellen Ansprüche Begünstigter (§ 3 II HGrG). Daher kommt es auch nicht als eine dem Gesetzesvorbehalt entsprechende gesetzliche Grundlage für Subventionsgewährungen in Betracht.409 Eine besondere gesetzliche Grundlage ist jedoch dann erforderlich, wenn die Förderung des Begünstigten in Grundrechte Dritter, insbesondere seiner Konkurrenten eingreift. Dies ist jedenfalls anzunehmen, wenn sie in einem notwendigen Zusammenhang mit der Belastung eines Dritten steht, wie zB bei Ausgleichsabgaben und -leistungen, oder wenn die Verwaltung zielgerichtet in den Gewährleistungsanspruch eines Grundrechts eingreift, wie zB bei Pressesubventionen,410 bei der Filmförderung,411 oder bei Förderungen im Bereich der Religion.412 Aber auch darüber hinaus kann die Gewährung einer Subvention mit individueller Wirkung ein „Eingriff“ in grundrechtlich geschützte Interessen oder Rechte sein, zB durch Veränderung der Chancengleichheit einer Wettbewerbsbeziehung. Sie unterliegt in diesem Fall dem Vorbehalt des Gesetzes.413 Die Vergabe von Subventionen erfolgt im Einzelfall durch Bewilligungsbescheid 114 und regelmäßig aufgrund einer Ermessensentscheidung. Ein Anspruch des Bewerbers auf Gewährung oder Weitergewährung einer Subvention kann sich durch normative Rechtsbegründung und sonst nur kraft Gleichheitssatzes oder kraft eines besonderen Vertrauenstatbestandes, zB einer Zusage, ergeben.414 Unter engen Voraussetzungen kann nach Grundsätzen der willkürfreien Folgerichtigkeit oder „System“gebundenheit ein Anspruch unmittelbar auf Zahlung eines bestimmten Subventionsbetrages gegeben sein.415 Besondere Fallgestaltungen können es recht-

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BVerwG DVBl 1996, 814. BVerfGE 38, 121. BVerfGE 80, 124; VG Berlin DÖV 1975, 134 m Anm Scholz; OVG Berlin DVBl 1975, 905. – Schenke GewArch 1977, 313. G über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (FilmförderungsG) idF v 24. 8. 2004 (BGBl I 2277). BVerwGE 90, 112 (Badura JZ 1993, 33; P. M. Huber/Kohnen ZG 8 [1994] 75 ff); OVG NW DVBl 1990, 999. Jarass NVwZ 1994, 473. – Su Rn 89. BGH JZ 1975, 485; OVG Hamburg GewArch 1975, 20; OVG Münster DVBl 1980, 648. – A. Schwerdtfeger Vertrauensschutz und Plangewährleistung im Subventionsrecht, Diss München 1993. BVerwGE 55, 349 m Anm Erichsen VerwArch 71 (1980) 289.

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fertigen, eine Subvention durch öffentlich-rechtlichen Verwaltungsvertrag zu gewähren.416 Eine rechtsfehlerhaft gewährte und eine zweckwidrig verwendete Subvention kann durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden. Voraussetzung für die Entstehung des Erstattungsanspruchs ist die Rücknahme der fehlerhaften Bewilligung oder – bei Zweckverfehlung – der Widerruf der rechtmäßigen Bewilligung (§§ 48, 49 III, 49 a VwVfG).417 Die Rückforderung der gewährten Subventionsleistungen erfolgt durch Verwaltungsakt, dessen Rechtsgrund § 49 a I 2 VwVfG ist.418 Den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit kommt beim Widerruf einer Subventionsbewilligung wegen Zweckverfehlung eine ermessenslenkende, den Widerruf im Regelfall gebietende Bedeutung zu.419 Subventionen stellen durchweg zumindest in ihren Wirkungen eine Beeinflussung 115 der Wettbewerbsverhältnisse dar; die Strukturpolitik, von der sich typischerweise der jeweilige Subventionszweck ableitet, zielt gerade auf die Beeinflussung der Bedingungen ab, unter denen die begünstigte Wirtschaftsleistung den Markt erreicht. Es können sich deshalb über das Subventionsverhältnis zwischen der Verwaltung und dem Begünstigten hinaus rechtlich fassbare Beziehungen auch zu beeinträchtigten Konkurrenten des Begünstigten ergeben. Die Beeinträchtigung der Konkurrenten kann in ihrem willkürlichen Ausschluss aus dem Kreis der Subventionsempfänger 420 oder in einer spürbaren Verminderung ihrer Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Insoweit als eine Subventionsvergabe die Chancengleichheit im Wettbewerb (Art 3 I GG) oder die Wettbewerbsfreiheit (Art 12 I GG) eines Konkurrenten des Begünstigten und damit die rechtlich geschützten Interessen eines Drittbetroffenen berührt, ist sie ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Dagegen steht den nachteilig betroffenen Konkurrenten ein „Begünstigungsabwehranspruch“ zu, sei es, dass eine solche Subvention ohne gesetzliche Grundlage vergeben worden ist, sei es, dass dies unter Verstoß gegen das Gesetz geschehen ist.421 Subventionen und Zuwendungen nach nationalem Recht fallen unter unions- 116 rechtlichem Blickwinkel unter den umfassenderen, auch Steuervergünstigungen etc einbeziehenden Begriff der Beihilfe und unter das Beihilfeverbot der Art 87 ff EG.422

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BVerwG NVwZ 1992, 769; HessVGH NVwZ 1990, 879; Henke Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979; Menger FS Ernst, 1980, 301. – Ein Konkurrent kann Rechtsschutz im Wege der Feststellungsklage erlangen (OVG Münster GewArch 1984, 227, m Anm Knuth JuS 1986, 523). Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks 13/1534; Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drucks 13/3868. – Heße NJW 1996, 2779; Gröpl VerwArch 88 (1997) 23. BVerwG NJW 1977, 1838. – Oldiges NVwZ 2001, 626. BVerwG DÖV 1997, 1006. BVerwGE 30, 191. – P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, 375 ff und passim. P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 375. Börner/Bullinger (Hrsg), Subventionen im Gemeinsamen Markt, 1978; Rengeling JZ 1984, 795; Leisner GewArch 1990, 377; Liebrock EuR 1990, 20; Ossenbühl DÖV 1998, 811; Oldiges NVwZ 2001, 280.

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Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte „Beihilfen“423 gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb des europäischen Binnenmarktes verfälschen oder zu verfälschen drohen, sind untersagt, sofern sie nicht durch Gruppenfreistellung (zB in der Landwirtschaft, Art 36 EG) oder besondere Entscheidung von Kommission und Rat (Art 88 EG) zugelassen werden. Die jeweils handelnde Stelle des Mitgliedstaates, die eine Beihilfe einzuführen oder umzugestalten beabsichtigt, hat dies der Kommission zu notifizieren (Art 88 III EG iVm Art 2 VO/EG Nr 659/1999). Für die Anwendbarkeit der Beihilfevorschriften ist nicht danach zu unterscheiden, ob die Beihilfe unmittelbar vom Staat oder von öffentlichen oder privaten Einrichtungen gewährt wird, die von ihm zur Durchführung der Beihilferegelung errichtet oder beauftragt wurden; denn die Beihilfevorschriften könnten sonst umgangen werden. Damit jedoch Vergünstigungen als Beihilfen iSd Art 87 I EG eingestuft werden können, müssen sie zum einen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein.424 Nicht unter den Tatbestand des Beihilfeverbots fallen dagegen Leistungen des 117 Staates, die bei Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nur die – tatsächlichen – Mehrkosten des Unternehmens für diese Dienstleistung ausgleichen sollen und erforderlich sind, um dem Unternehmen die besondere Aufgabenerfüllung unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen (Art 86 II EG). Die Beihilfenaufsicht der EU-Kommission greift deshalb nicht, wenn der Empfänger (1.) mit der Aufgabe tatsächlich betraut und seine Verpflichtungen klar definiert sind, (2.) die Parameter objektiv und transparent sind und zuvor festgelegt wurden, (3.) der Ausgleich nicht über das hinaus geht, was zur Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung erforderlich ist, und (4.) der Maßstab eines durchschnittlich gut geführten Unternehmens zugrunde gelegt wird.425 Eine unter Verstoß gegen das Unionsrecht erfolgte Beihilfengewährung ist nach 118 den Vorschriften des nationalen Rechts (§ 48 VwVfG) zurückzunehmen, die gezahlte Zuwendung ist zurückzufordern (§ 49 a VwVfG). Die nationalen Rechtsvorschriften sind dabei so anzuwenden, dass die unionsrechtlich gebotene Rückforderung nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse in vollem Umfang berücksichtigt wird (Effektivitätsgebot). Die damit verbundene Europäisierung des nationalen Rechts bewirkt, dass sich ein Unternehmen bei Verstoß gegen die Notifizierungspflicht oder bei einer abschlägigen Entscheidung der EU-Kommission nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Dem ist bei der Anwendung der §§ 48 II 2, 3, IV und 49 a II 2 VwVfG Rechnung zu tragen, so dass derjenige, der sich der Einhaltung des Notifizierungsverfahrens nicht vergewissert, stets grob fahrlässig handelt und auch eine längst 423

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Dieser Begriff ist weiter gefasst als der deutsche Subventionsbegriff (EuGH Slg 1990, I-307 – Rs C-301/87; Slg 1996, I-3547 – Rs C-39/94; Slg 1996, I-4551 – Rs C-241/94; Slg 2000, I-6857 – Rs C-156/98 → JK EGV Art 87/1 = EuZW 2000, 723 m Anm Heidenhain – steuerbegünstigte Investitionen); Herrmann ZEuS 2004, 415. EuGH Slg 2002, I-4397 – Rs C-482/99 – Stardust. EuGH Slg 2003, I-7747 – Rs C-280/00 – Altmark Trans.

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3. Kap IV 3 a

verbrauchte Beihilfe in vollem Umfang erstatten muss.426 Das betroffene Unternehmen kann die Entscheidung der Kommission, mit der im Einzelfall eine Subventionsgewährung untersagt wird, mit der Nichtigkeitsklage angreifen (Art 230 IV EG).427 Grundlegend anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn eine Notifizierung nach Art 88 III EG iVm Art 2 VO/EG Nr 659/1999 erfolgt ist und die Kommission die Beihilfe zu Unrecht als gem Art 87 II, III EG mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen hat. Auch dann ist der Beihilfenbescheid zwar rechtswidrig, und auch dann bemisst sich seine Aufhebung nach den §§ 48, 49 a VwVfG. Anders als im Fall fehlender Notifizierung oder im Fall einer Beanstandung der Beihilfe greifen die den Vertrauensschutz relativierenden Anforderungen des unionsrechtlichen Effektivitätsgebotes hier jedoch nicht. Insoweit hat es mit der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten sein Bewenden. Das nicht begünstigte, drittbetroffene Konkurrenzunternehmen kann allerdings vor dem EuG gegen eine Freistellungsentscheidung klagen.428

3. Gemeinschaftsbeihilfen a) Indirekter Vollzug Ähnlich verhält es sich bei Gemeinschaftsbeihilfen, wenn die Beihilfe der Verwirk- 119 lichung eines unionsrechtlich und nicht national bestimmten Förderungszieles dient, wenn also ein Fall des indirekten Vollzugs vorliegt. Die Rückforderung von Beihilfen, die aufgrund von Rechtsvorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts gewährt worden sind, ist durch die nationalen Behörden grundsätzlich nach nationalem Recht zu bemessen.429 Allerdings steht die nationale Behörde hier von vornherein im Dienste unionaler Zielsetzungen. Die Art 87 f EG greifen insoweit nicht ein, und deshalb bedarf es grundsätzlich auch keiner unionsrechtlichen Modifizierung der deutschen Vorschriften.430 Das ist seit 1983, seit der Rs „Deutsche Milchkontor“ anerkannt 431, so dass der von den §§ 48 II-IV, 49 III und 49 a II VwVfG statuierte Vertrauensschutz in diesen Fällen grundsätzlich zum Tragen

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EuGH Slg 1983, 2633 – verb Rs 205 bis 215/82; Slg 1990, I-3437 – Rs C-5/89 – BUGAlutechnik; Slg 1997, I-1591 – Rs C-24/95 – Alcan II m Anm Classen JZ 1997, 724; BVerwGE 92, 81; BVerwG NVwZ 1995, 703; DVBl 1999, 44 (BVerfG NJW 2000, 2015); OVG NW JZ 1992, 1080 m Anm Fastenrath. – Triantafylloú NVwZ 1992, 436; Richter DÖV 1995, 846; Happe NVwZ 1998, 26; P. M. Huber KritV 82 (1999) 359; ders Recht der Europäischen Integration, § 24 Rn 9. EuGH Slg 1994, I-833 – Rs C-188/92 – Textilwerke Deggendorf. EuGH Slg 1993, I-2487 – Rs C-198/91; Slg 1993, I-3203 – Rs C-225/91 – Matra; – J.-P. Schneider DVBl 1996, 1301. BVerwG BayVBl 1987, 87; BVerwG DVBl 1993, 727. – Papier in: Die Bedeutung der Europ Gemeinschaften für das dt Recht und die dt Gerichtsbarkeit, 1989, 51. BVerwGE 95, 213, 226 ff. – Zu Widerruf und Rücknahme einer Nichtvermarktungsprämie aufgrund der VO/EWG 1078/77; P. M. Huber, AllgVwR, 205. EuGH Slg1983, 2633 (Rn 31 f) – verb Rs 205 bis 215/82 – Deutsche Milchkontor.

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Peter Badura/Peter M. Huber

kommt 432 – vorbehaltlich spezialgesetzlicher Regelungen, etwa in Art 8 ZK 433. Der EuGH hat dies ausdrücklich klargestellt, als er im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, bei dem es um die Rückforderung von Gemeinschaftsbeihilfen ging, das Argument der Kommission zurückwies, eine Rückzahlung der in Rede stehenden Beihilfe sei ua deshalb geboten, weil er auch in der Rs Alcan II eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung im Rahmen von § 49 a II 2 VwVfG für unzulässig erklärt habe: „Diese im Rahmen des Artikels 93 [88] … getroffene Feststellung läßt sich jedoch nicht auf die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Gemeinschaftsbeihilfen übertragen. Wie sich aus den … Schlußanträge(n) des Generalanwalts ergibt, sind diese beiden Sachverhalte nämlich unterschiedlich gelagert …“.434 Allerdings verlangt der EuGH auch in diesen Fällen, dass dem Interesse der Gemeinschaft „in vollem Umfang Rechnung getragen“ werden muss. Das hat konkret zur Folge, dass das von §§ 48 I 1, 49 III VwVfG vorgesehene Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert wird, dass die Behörde maW verpflichtet wird, rechtmäßige Zustände dort wiederherzustellen, wo sie die Möglichkeiten dazu hat.435 Im MOG, der wesentlichen Rechtsgrundlage für den Vollzug der Gemeinsamen Marktorganisationen in Deutschland, ist dies ausdrücklich geregelt (§ 10 I, II MOG) 436. Dasselbe würde auch aus der Europäisierung der §§ 48 I, 49 a II und III VwVfG folgen.437 Dahinter steht eine – im Vergleich zu Deutschland – stärkere Akzentuierung des Grundsatzes der Vertragsmäßigkeit der Verwaltung, die rechtswidriges Verhalten grundsätzlich missbilligt und dies – vorbehaltlich der gegenläufigen Anforderungen des Vertrauensschutzes – weniger zu tolerieren bereit ist. Ihre Wurzeln hat diese Wertung im französischen Verwaltungsrecht und der dort stärkeren Gewichtung des Legalitätsprinzips. Demgegenüber haben die Interessen rechtswidrig begünstigter Einzelner grundsätzlich zurückzutreten. Diese Wertung hat auch in das Allgemeine Verwaltungsrecht der Union Eingang gefunden und überlagert nunmehr die andersartigen Wertungen des deutschen Allgemeinen Verwaltungsrechts, soweit dieses auf den indirekten und mittelbaren Vollzug des Unionsrechts Anwendung findet. Hinter der unterschiedlichen Gewichtung von Gesetzmäßigkeitsprinzip und individueller Nutzenmaximierung stehen freilich grundsätzlich verschiedene Auf-

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EuGH Slg 1998, I-4767 (Rn 31, 37) – Rs C-298/96 – Oelmühle Hamburg; BVerwGE 74, 357; NVwZ 1988, 349; 1992, 474; NJW 1992, 703; 1992, 705. Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 458 f. EuGH Slg 1998, I-4767 – Rs C-298/96 – Oelmühle Hamburg. EuGH Slg 1983, 2633 (Rn 17 f, 22) – verb Rs 205 bis 215/82 – Deutsche Milchkontor; Slg 1998, I-4767 (Rn 23) – Rs C-298/96 – Oelmühle Hamburg; Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 458 ff, 463 mit einer differenzierenden Stellungnahme zu der Frage, ob sich allein aus dem Unionsrecht eine zwingende Pflicht zur Rücknahme ableiten lässt. BayVGH BayVBl 1995, 212 f. EuGH Slg 1982, 1503, 1535 – verb Rs 146, 192 u 193/81 – BayWA/BALM; Slg 1983, 2633, 2666 – verb Rs 205 bis 215/82 – Deutsche Milchkontor, die dieses Ergebnis aus entsprechenden EG-Verordnungen abgeleitet haben.

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3. Kap V

fassungen vom Verhältnis zwischen Staat (Union) und Gesellschaft, zwischen Grundrechten und Gesetz438. b) Direkter Vollzug Von erheblicher Bedeutung sind schließlich die von den EG-Organen selbst ver- 120 gebenen Gemeinschaftsbeihilfen. Darunter versteht man Geldzahlungen an andere Rechtsträger, die unmittelbar von der EG bewilligt und bewirtschaftet werden. Solche Beihilfen finden sich zB im Rahmen der europäischen Regionalpolitik, wo sie ua der Verbesserung von Infrastruktur, Handel, Handwerk, Fremdenverkehr und Industrie dienen sollen439. Beihilfen im weitesten Sinne sind aber auch Geldzahlungen, die die EG im Rahmen anderer Politiken, etwa der allgemeinen und beruflichen Bildung (Art 149 EG) oder der Industriepolitik (Art 157 EG), an Bürger und Einrichtungen der Mitgliedstaaten verteilt (zB Sokrates-Programm, JeanMonet-Programm, Phare-Programm etc). Neben der Ermächtigungsnorm (Einzelkompetenz) kann hierbei insbesondere auch die Grundrechtskonformität (Art 6 II EU) Probleme bereiten. Eine Bindung der EG an die Art 87ff EG besteht hingegen nicht. Art 87 I EG spricht eindeutig nur von „staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen“, so dass eine Bindung der EG-Organe an diese Vorschriften grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn sie das Sekundärrecht ausdrücklich anordnet.

V. Öffentliches Wettbewerbsrecht Traditionellerweise unterscheidet das Allgemeine Verwaltungsrecht im Bereich der 121 privatrechtlichen Handlungsformen zwischen der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Wege des sog Verwaltungsprivatrechts und dem sog fiskalischen Verwaltungshandeln, das nicht unmittelbar der Erfüllung spezifischer Verwaltungszwecke dient. Zwar muss jedes Handeln eines Trägers öffentlicher Verwaltung letztlich auch einem öffentlichen Interesse dienen. Bei der fiskalischen Betätigung geschieht dies jedoch nur mittelbar und unspezifisch. Fiskalisches Verwaltungshandeln kommt in zweierlei Erscheinungsformen vor: als wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und als öffentliche Auftragsvergabe.440 In beiden Fällen geht es in der Sache um Voraussetzungen und Bedingungen einer Teilnahme der öffentlichen Hand am Wettbewerb – sei es als Anbieter, sei es als Nachfrager. Das lässt es vorzugswürdig erscheinen, die Fragen des fiskalischem Verwaltungshandelns 438

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Zum Rechtsschuz zwischen Individualrechtsschutz und objektiver Rechtmäßigkeitskontrolle als einem zentralen Ausschnitt aus diesem Problembereich siehe BVerfGE 60, 253; P. M. Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art 19 Abs 4 Rn 356; ders EuR 1991, 31, 32 ff; ders Allgemeines Verwaltungsrecht, 89 f; Lorenz Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsschutzgarantie, 1973, 130; Masing Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 IV Rn 9; mit anderem Akzent Classen VerwArch 88 (1997) 645, 677. Grabitz NJW 1989, 177 ff, P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 408 f. P. M. Huber, AllgVwR 253.

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unter dem spezifischeren Gesichtspunkt eines „Öffentlicher Wettbewerbsrechts“ zu erfassen.441

1. Unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand a) Leistungsverwaltung, unternehmerisches Handeln 122 An die traditionelle Unterscheidung zwischen der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben in Privatrechtsform, dem sog Verwaltungsprivatrecht 442, und der sonstigen Teilnahme der öffentlichen Hand am Wettbewerb, dem sog fiskalischen Staatshandeln, das allenfalls mittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient, anknüpfend, wird die unternehmerische Betätigung üblicherweise dem fiskalischen Verwaltungshandeln zugeordnet. Da die öffentliche Hand aber stets nur tätig werden darf, um öffentliche Aufgaben zu erfüllen,443 und da angesichts fließender Übergänge keine sinnvolle Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Aufgabenerfüllung möglich ist, nicht zuletzt aber auch vor dem Hintergrund der im Vordringen begriffenen rechtsverhältnisdogmatischen Betrachtungsweise im Öffentlichen Recht 444 erweist sich diese Zuordnung jedoch nicht als tragfähig. Die Landesgesetzgeber haben von ihr mittlerweile denn auch Abstand genommen und sehen insbesondere in den Kommunalordnungen Regelungen über gemeindliche oder öffentliche Unternehmen vor, die beide Bereiche erfassen 445. Nicht auf den Zweck, sondern auf die Tätigkeit und ihre Auswirkungen abstellend wird die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand als das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen im Wirtschaftsverkehr beschrieben, „ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeit in privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Organisationsoder Handlungsformen ausgeübt wird und ob sich die öffentliche Hand dabei eines rechtlich verselbständigten Wirtschaftssubjekts bedient“.446 „Unternehmerische Betätigung“ kann also durch die Verwaltungsträger selbst erfolgen, durch Unternehmen in ihrer alleinigen Trägerschaft (Eigengesellschaften) oder durch von ihr beherrschte sog gemischt-wirtschaftliche Unternehmen. Sie reicht von der gemeinwohlorientierten Leistungsverwaltung in oft gleitenden Übergängen bis zu unternehmerischem Handeln im Marktverkehr ohne besondere öffentlich gebundene Zielsetzung, besonders im Bereich der Industriebeteiligungen.447 Die öffentliche 441 442 443 444

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Begriffsbildend insoweit Schliesky Öffentliches Wettbewerbsrecht, 1997. Wolff/Bachof/Stober, VwR I, § 23 Rn 29 ff. § 65 I Nr 1 BHO, Art 65 I Nr 1 BayHO, § 65 I Nr 1 ThürLHO. Bauer AöR 113 (1988) 582; ders DV 25 (1992) 301; Gröschner Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992; ders DV 30 (1997) 301; P. M. Huber in: ders (Hrsg), ThürStVerwR, 2. Teil Rn 34; krit Pietzcker DV 30 (1997) 281. Art 86 ff BayGO; §§ 71 ff ThürKO. Badura Wirtschaftsverwaltungsrecht, Voraufl, Rn 114. Klein Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968; Emmerich Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969; Scholz AöR 97 (1972) 301; ders in: Duwendag (Hrsg), Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, 113; Janson Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europ Gemeinschaft, 1980; Badura FS Schlochauer, 1981, 3; ders ZHR 146 (1982) 448; ders FS Steindorff, 1990, 835; Dickersbach WiV 1983, 187; Püttner Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl 1985; Brede/v Loesch

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Wirtschaftstätigkeit kann zwar durch wirtschafts- oder sozialpolitisch orientierte Modifikation der Preise oder Konditionen bis zu einem gewissen Grade wirtschaftslenkend eingesetzt werden, ist aber nicht planmäßig zu einem „gemeinwirtschaftlichen“ Sektor der Gesamtwirtschaft ausgestaltet. Die öffentliche Hand wird unternehmerisch tätig, wenn sie Waren oder Dienstleistungen im Wirtschaftsverkehr anbietet, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeit in privatrechtlichen oder in öffentlich-rechtlichen Organisations- oder Handlungsformen ausgeübt wird und ob sich die öffentliche Hand dabei eines rechtlich verselbständigten Wirtschaftssubjekts bedient. Die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand kann im öffentlichen Interesse Zweckbindungen unterliegen oder dienstbar gemacht werden, wie zB bei den öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsunternehmen der Kredit- und der Versicherungswirtschaft (Landesbanken, Sparkassen, KfW) oder neuerdings bei der Eisenbahn. Die unternehmerisch auftretende öffentliche Hand bedient sich regelmäßig der 123 Beteiligung an Kapitalgesellschaften. Das Haushaltsrecht (§ 65 BHO) legt Voraussetzungen fest, unter denen der Staat sich an einem Unternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts beteiligen darf. Das öffentlich-rechtliche Organisationsrecht, zB Art 87 ff GG, setzt der Wahl privatrechtlicher Rechtsformen und der Ausgliederung von Verwaltungsaufgaben in Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften allerdings Grenzen.448 Der bei der Verfolgung eines spezifischen öffentlichen Interesses aus Gründen des Demokratieprinzips 449 notwendige Einfluss auf den Unternehmenszweck und die Geschäftsführung des Unternehmens, soweit er gesellschaftsrechtlich dem Anteilseigner überhaupt eröffnet ist, setzt idR voraus, dass die öffentliche Hand über die Mehrheit des Anteilsbesitzes verfügt. Nach der verallgemeinerungsfähigen Abgrenzung der EG-Transparenz-Richtlinie (Art 2 RiL 2000/52/EG) ist öffentliches Unternehmen jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstigen Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Von einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wird gesprochen, wenn der private Anteilsbesitz mindestens über die zur Verhinderung einer Satzungsänderung erforderliche Sperrminorität (§ 179 II AktG) verfügt.450 Kapitalanteile, die von einem Träger öffentlicher Verwaltung gehalten werden, gehören als private Rechte an einem Rechts-

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(Hrsg), Die Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, 1986; Berg GewArch 1990, 225; Ehlers JZ 1990, 1089; Wieland in: Blaurock (Hrsg), Das Recht der Unternehmen in Europa, 1993, 9; Brohm NJW 1994, 281; J.- P. Schneider DVBl 2000, 1250; Storr Der Staat als Unternehmer, 2001; Ehlers Empfiehlt es sich, das Recht der öffentlichen Unternehmen im Spannungsfeld von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb national und gemeinschaftsrechtlich neu zu regeln? Gutachten E zum 64. DJT 2002; Th. Mann JZ 2002, 819; Stober NJW 2002, 2357. – Der Bundesminister der Finanzen ist Herausgeber des jährlich erscheinenden Berichts: Beteiligungen des Bundes. Badura FS Werner Lorenz 1991, 3. Weniger restriktiv Scholz/Aulehner ArchPT 45 (1993) 221. P. M. Huber FS Badura, 900. Schmidt-Aßmann BB 1990, Beilage 34; Merten FS Heinz Krejci, 2001, I, 2003.

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subjekt des Privatrechts zum Finanzvermögen, weil ihre Zweckbestimmung nicht durch Widmung öffentlich-rechtlich gesichert ist. Das gilt ohne Rücksicht darauf, dass der Anteilseigner bei seinem Handeln öffentlich-rechtlichen Bindungen unterliegt und ob er dabei unmittelbar einen besonderen öffentlichen Zweck verfolgt.451 Die kommunale Wirtschaftstätigkeit,452 für deren Zulässigkeit und Handhabung 124 nach dem Vorbild der §§ 67 ff DGO in den Gemeindeordnungen besondere Vorschriften bestehen, ist zum größten Teil nicht erwerbswirtschaftliche, sondern leistungsverwaltungsrechtliche Wirtschaftsbetätigung.453 Denn das Gemeinderecht erlaubt die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen und ebenso Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ua nur, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt. Neuerdings ist eine Weiterentwicklung des Kommunalwirtschaftsrechts zu einem kommunalen Unternehmensrecht zu beobachten.454 Die öffentlichen Sparkassen der kommunalen Gebietskörperschaften unterliegen landesrechtlicher Regelung (s auch Art 99 EGBGB).455 Die kommunalrechtlichen Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde sichern die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Gebietskörperschaften und bringen einen allgemeinen ordnungspolitischen Grundsatz der Subsidiarität kommunaler Wirtschaftsteilhabe zur Geltung. Sie sind von den Landesgesetzgebern idR nicht als Schutznormen zugunsten privater Gewerbetreibender gedacht ge451 452

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BVerwG VIZ 1995, 532. S die Kommentierungen zu den Gemeindeordnungen, → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 118 ff sowie: Surén Gemeindewirtschaftsrecht, 1960; Köttgen in: Hundert Jahre Dt Rechtsleben, 1960, II, 577; Stern/Püttner Die Gemeindewirtschaft, 1965; Scholz/Pitschas Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, 1982; Erichsen Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, 1987; Cronauge/Westermann Kommunale Unternehmen, 4. Aufl 2003; Badura DÖV 1998, 818; Ehlers DVBl 1998, 497; F. Becker DÖV 2000, 1032; Hösch Die kommunale Wirtschaftstätigkeit, 2000; Britz NVwZ 2001, 380; Grawert in: Chr. Reichard (Hrsg), Kommunen am Markt, 2001, 9; J. Ipsen FS Dietrich Rauschning 2001, 645; Ruffert VerwArch 92 (2001) 27. Oebbecke in: Schmidt-Aßmann/Dolde (Hrsg), Beiträge zum öffentlichen Wirtchaftsrecht, 2005, 183. – BVerfGE 61, 82, 106 ff; BVerwGE 39, 329; BVerwG NJW 1978, 1539. Dies ist der wesentliche Grund, der die Gemeinden daran hindert, mit Hilfe ihrer gesellschaftsrechtlichen Befugnisse neuartige Mitbestimmungsformen einzuführen, sofern sie sich dadurch ihres letztentscheidenden Einflusses begeben; OLG Bremen NJW 1977, 1153 unter Aufhebung von LG Bremen DVBl 1977, 50 m Anm Röper. – Ossenbühl Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972; Schneider DÖV 1972, 598; Püttner DVBl 1984, 165; Ehlers JZ 1987, 218; Schäfer Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1988. Art 86 ff BayGO. – Gesetzentwurf der StReg zur Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts und anderer kommunalrechtlicher Vorschriften, Bayer. LT-Drucks 13/10828. – Köhler BayVBl 2000, 1; Britz NVwZ 2001, 380; Zugmaier BayVBl 2001, 233; Brenner AöR 127 (2002) 222. Schliersbach Das Sparkassenrecht in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West, 1981; Stern/Burmeister Die kommunalen Sparkassen, 1972; Weides DÖV 1984, 41; Nierhaus DÖV 1984, 662; ders/Stern Regionalprinzip und Sparkassenhoheit im europäischen Binnenmarkt, 1992. – BVerfGE 75, 192 → JK GG Art 19 III/6; BVerfG NVwZ 1995, 370; BVerwG DÖV 1972, 350; BayVGHE 26, 177; BayVGH DVBl 1982, 500; OVG Münster DVBl 1984, 504.

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wesen und begründeten deshalb nach überwiegender Auffassung auch keine vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgenden negatorischen „Fiskusabwehransprüche“.456 Angesichts der damit verbundenen Rechtsverweigerung des Öffentlichen Wirtschaftsrechts ist die Zivilgerichtsbarkiet auf die Hilfskonstruktion verfallen, den – bis dahin rechtsschutzlos gestellten – privaten Konkurrenten öffentlicher Unternehmen bei einer Verletzung der Vorschriften über die kommunale Wirtschaftstätigkeit Unterlassungsansprüche auf der Grundlage von § 1 UWG (Vorsprung durch Rechtsbruch) zu eröffnen, die vor den Zivilgerichten geltend zu machen waren.457 Dem ist der Bundesgerichtshof neuerdings entgegengetreten.458 Er hat dabei – dogmatisch überzeugend – festgestellt, dass die Vorschrift des § 1 UWG nicht bezwecke, den Marktzutritt zu verhindern, um bestimmte Marktstrukturen zu erhalten, sondern dass sie auf die Unterbindung solcher Verhaltensweisen im Wettbewerb ziele, die nach den Gesamtumständen auch als Wettbewerbsmaßnahmen unlauter seien. Die kommunalrechtlichen Schranken öffentlicher Wirtschaftstätigkeit hat er dagegen als Festlegung einer bestimmten „Marktstruktur“ angesehen, die den Schutz des lauteren Wettbewerbs nicht berühren. Vor diesem Hintergrund beginnt sich die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum Schutznormcharakter der Vorschriften über die kommunale Wirtschaftstätigkeit in jüngster Zeit (endlich) zu wandeln und den grundrechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen.459 Dagegen umfasst die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art 28 II GG) zwar eine Wirtschaftstätigkeit der Gemeinde im Rahmen der Daseinsvorsorge, auch für Förderungs- und Versorgungsaufgaben neuer Art; sie schützt die Gemeinde aber nicht vor privater Konkurrenz.460 Durch die gesetzliche Beschränkung der kommunalen Wirtschaftstätigkeit auf einen öffentlichen Zweck und die Subsidiaritätsklausel werden Art 28 II GG und die parallelen Garantien des Landesverfassungsrechts daher nicht verletzt.461 b) Eisenbahnen, Post und Telekommunikation Bundesbahn und Bundespost, ursprünglich die beiden großen Verkehrsanstalten 125 des Bundes, durchlaufen einen Strukturwandel von der anstaltlichen Leistungsverwaltung über neue Formen öffentlicher Unternehmen bis hin zu einer Privati456

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BVerwGE 39, 329; BVerwG DVBl 1996, 152; VGH BW VBlBW 1983, 78 → JK GO BW § 102/1. – Anders: Heintzen Rechtliche Grenzen und Vorgaben für eine wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, 1998; P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 82, 324; Otto GewArch 2001, 360; Schick NVwZ 2002, 129. OLG Hamm DVBl 1998, 792 (Gelsengrün); OLG Düsseldorf DVBl 2000, 284; OLG Düsseldorf NVwZ 2002, 248; OLG Karlsruhe DÖV 2001, 431 → JK GO BW § 102/3. BGHZ 150, 343 (Elektroarbeiten – Aufhebung von OLG München GewArch 2000, 279), unter Abweichung von BGH DVBl 1965, 362 (Blockeis II); Anm H. Meyer NVwZ 2002, 1075. VerfGH RP NVwZ 2000, 801; OVG Münster NVwZ 2003, 1520; P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 316. BayVGH NVwZ 1997, 481 → JK Verf Bay Art 11 II/1. VerfGH RP DVBl 2000, 992 m Anm Henneke; Ruffert NVwZ 2000, 763 → JK GG Art 28 II 1/25. – Jarass DÖV 2002, 489.

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sierung des Leistungsangebots und selbst der infrastrukturellen Versorgungswege (Schienennetz, Übertragungswege der Telekommunikation). Aus der Kompetenznorm des Art 87 I GG, wonach die Bundeseisenbahnen und die Bundespost in bundeseigener Verwaltung zu führen waren, ergaben sich auch Grundsätze für die Organisation und die Aufgaben von Bundesbahn und Bundespost, so dass die weit reichenden Strukturreformen einer Verfassungsänderung bedurften. Dem Grundgesetz sind demzufolge neben den sonst notwendigen Änderungen, zB Art 73 Nrn 6 und 6 a, Art 143 a, Art 143 b GG, ein Eisenbahn-Artikel (Art 87 e GG) 462 und ein Post-Artikel (Art 87 f GG) 463 eingefügt worden, in denen zugleich organisatorische und materielle Regelungen und Direktiven für die Gesetzgebung festgelegt sind. Die Reformen sind maßgeblich durch das Unionsrecht und durch bereichsspezifische EG-Richtlinien bestimmt, mit denen die Dienstleistungsfreiheit (Art 49 ff EG), der unverfälschte Wettbewerb (Art 81 ff EG) und die gemeinsame Politik auf dem Gebiet des Verkehrs (Art 70 ff EG) verwirklicht werden. Das Eisenbahnneuordnungsgesetz (ENeuOG) 1993 hat die hoheitliche Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes von den als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes getrennt 464 und durch Art 2 ENeuOG die Deutsche Bahn AG gegründet und ihr das betriebsnotwendige Bundeseisenbahnvermögen zugewiesen. Sie erbringt Eisenbahnverkehrsleistungen zur Beförderung von Gütern und Personen und betreibt die Eisenbahninfrastruktur (Schienenwege); die Bereiche Personennahverkehr, Personenfernverkehr, Güterverkehr und Fahrweg wurden zunächst innerorganisatorisch getrennt und dann in neu gegründete Aktiengesellschaften ausgegliedert. Die Anteile des Bundes an der Deutsche Bahn AG können privatisiert werden, soweit es sich um den Unternehmensteil „Fahrweg“ handelt, jedoch nur aufgrund eines Gesetzes und nur mit der Maßgabe, dass die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleibt. Er gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbes den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen (s Art 106 a GG, Art 4 ENeuOG), Rechnung getragen wird. Die das „Eisenbahninfrastrukturpaket“ bildenden drei Richtlinien der EG-Kommission v 26. 2. 2001 haben die Liberalisierung des Eisenbahnwesens im Hinblick auf die Trennung von Fahrweg (Netz) und Betrieb weiter vorangetrieben.465 Die allgemeine Regelung des 462

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G zur Änderung des Grundgesetzes v 20. 12. 1993 (BGBl I 2089). – Gesetzesentwurf der BReg, BT-Drucks 12/5015; Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 12/6280. – Schmidt-Aßmann/Röhl DÖV 1994, 577. G zur Änderung des Grundgesetzes v 30. 8. 1994 (BGBl I 2245). – Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks 12/7269; Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 12/8108. Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks 12/5014; Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, BT-Drucks 12/6269. – Dürr Bahnreform, 1994; Fromm DVBl 1994, 187; Freise/Wittenberg GewArch 1996, 353; Hommelhoff/Schmidt-Aßmann ZHR 160 (1996) 521; Ronellenfitsch DÖV 1996, 1028; Repkewitz NVwZ 1998, 1049; Kämmerer Privatisierung, 2001, 497ff; Fehling DÖV 2002, 793; W. Kunz (Hrsg), Eisenbahnrecht, 2002 ff; Gersdorf in: Schmidt-Aßmann/Dolde (Hrsg), Beiträge zum öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2005, 131. Berschin DVBl 2002, 1079; Ronellenfitsch DVBl 2002, 657.

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Eisenbahnwesens enthält das durch Art 5 ENeuOG neugefasste Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG), in dem sich auch die Regelungen und Ermächtigungen der Eisenbahnaufsicht (§§ 5 f AEG) und der Planfeststellung für die Schienenwege und Betriebsanlagen der Eisenbahn (§§ 18 ff AEG) finden.466 Die Eisenbahnaufsicht obliegt dem Eisenbahn-Bundesamt, einer Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr (Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes, Art 3 ENeuOG).467 Die Postreform erfolgte in drei Schritten. Das Gesetz zur Neustrukturierung des 126 Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz) v 8. 6. 1989 (BGBl I 1026) hat die unternehmerischen und betrieblichen Aufgaben der drei Teilbereiche der Deutschen Bundespost – Postdienst, TELEKOM, Postbank – von den politischen und hoheitlichen Aufgaben des Bundesministers für Post und Telekommunikation auch organisatorisch getrennt. Der postalische Beförderungsvorbehalt (§ 2 PostG), das Übertragungswegemonopol, das Funkanlagenmonopol und das Telefondienstmonopol (§ 1 II und IV FAG aF) blieben zunächst bestehen, doch wurde in dem sich technologisch und wirtschaftlich rapide entwickelnden Sektor der Telekommunikation eine weitgehende Öffnung für den Wettbewerb herbeigeführt. Das Telekommunikationsrecht ist dadurch zu einem eigenständigen, komplexen Rechtsgebiet geworden, in dem sich das Fernmelderecht zunehmend mit wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Bestimmungen verbindet.468 Die Leistungsbeziehungen der Unternehmen der Bundespost wurden durchgehend privatrechtlich gestaltet. Die durch Art 87 f GG ermöglichte Postreform II durch das PTNeuOG 1994 hat die Unternehmen der Bundespost in Aktiengesellschaften umgewandelt, deren Anteilsrechte, soweit sie dem Bund zustehen, von einer Anstalt des öffentlichen Rechts wahrgenommen werden, der durch Bundesgesetz weitere nicht die hoheitlichen Aufgaben des Bundes und nicht die Unternehmenstätigkeit betreffende Aufgaben zugewiesen werden können.469 Die Dienstleistungen im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation, deren flächendeckend angemessene und ausreichende Erbringung der Bund nach Maßgabe eines Gesetzes zu sichern hat, 466

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Das BundesbahnG v 13. 12. 1951 (BGBl I 955) mit seinen Änderungen wurde aufgehoben. – Schmidt-Aßmann/Fromm Aufgaben und Organisation der Dt Bundesbahn in verfassungsrechtlicher Sicht, 1986. Grupp DVBl 1996, 591; Studenroth VerwArch 87 (1996) 97. Scherer Telekommunikationsrecht und Telekommunikationspolitik, 1985; ders (Hrsg), Telekommunikation und Wirtschaftsrecht, 1988; ders in: Internation. Handbuch für Rundfunk und Fernsehen, 1990/91, A 148; ders ArchPT 1993, 261; ders (ed), Telecommunication Laws in Europe, 4th ed, 1998; Otto Entmonopolisierung der Telekommunikation, 1989; Thieme JuS 1989, 791; Ungerer/Costello Telekommunikation in Europa, 1989; Badura FS für Werner Thieme, 1993, 877; Ch. König EuZW 1998, 655; Kloepfer Informationsrecht, 2002, 447 ff. – RiL der Kommission v 28. 6. 1990 (90/388/EWG) über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste (ABl Nr L 192/10); EuGH Slg 1992, I-5833 – verb Rs 271, 281 u 289/90 m Anm Emmerich JuS 1993, 777. Entwurf der BReg für das Postneuordnungsgesetz, BT-Drucks 12/7270 (6718); Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation, BT-Drucks 12/8060. – Gramlich NJW 1994, 2785; Herres ArchivPT 1994, 302.

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werden „als privatwirtschaftliche Tätigkeiten“ durch die aus dem früheren Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen Unternehmen und andere Wettbewerber angeboten. Die Frage der formellen und materiellen Privatisierung wird durch die Übergangsvorschrift des Art 143 b GG in Umrissen gesteuert. Das Postneuordnungsgesetz ließ die bisherigen Verwaltungsmonopole des Bundes auf dem Gebiet der Post und der Telekommunikation für eine befristete Übergangszeit bestehen (Art 5, Art 6 PTNeuOG). Die hoheitlichen Befugnisse des Bundes wurden in dem Gesetz über die Regulierung der Telekommunikation und des Postwesens (Art 7 PTNeuOG) geregelt. Die an die Stelle der befristeten Teile des Postneuordnungsgesetz tretende Gesetz127 gebung kann als Postreform III bezeichnet werden. Das TKG 2004 470 verfolgt den Zweck, durch Regulierung im Bereich der Telekommunikation den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten sowie eine Frequenzordnung festzulegen. Zur Wahrnehmung der sich aus diesem Gesetz – und dann aus dem Postgesetz – ergebenden Aufgaben wurde die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP, heute Bundesnetzagentur) als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft mit Sitz in Bonn errichtet. Das Übertragungswegemonopol der Telekom AG endete am 31. 7. 1996, das Sprachtelefondienstmonopol am 31. 1. 1997; neue Anbieter in diesen Bereichen bedurften zunächst einer Lizenz. Die verfassungsrechtlich gebotene Grundversorgung wird durch Universaldienstleistungen gewährleistet.471 Das PostG regelt die Regulierung, die Lizenzen und den Universaldienst im Bereich des Postwesens.472 Der Deutsche Post AG steht bis zum 31. 12. 2007 eine befristete gesetzliche Exklusivlizenz für die gewerbsmäßige Beförderung näher bezeichneter Brief- und Infosendungen zu.473 Dieser übergangsweise beibehaltene reservierte Dienst ist verfassungsrechtlich zugelassen (Art 143 b II 1 GG)474. Wie schon vorher die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte war die Neu470

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Beck’scher TKG-Kommentar, 2. Aufl 2003; Scheurle/Mayen TKG, 2002; Manssen ArchPT 1998, 236. Scherer NJW 1998, 1607; Windthorst Der Universaldienst im Bereich der Telekommunikation, 2000. Basedow (Hrsg), Das neue Wirtschaftsrecht der Postdienste, 1995; v Arnauld DÖV 1998, 437; Gramlich NJW 1998, 866; Beck’scher PostG-Kommentar, 2. Aufl 2004. Die zunächst bis zum 31. Dezember 2002 eingeräumte Exklusivlizenz ist durch das Erste ÄndGPostG v 2. 9. 2001 (BGBl I 2271) bis zum 31. Dezember 2007 verlängert worden; RegEntw, BT-Drucks 14/6121; Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, BT-Drucks 14/6325. Die dagegen erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken (R. Scholz Postmonopol und Grundgesetz, 2001) schlagen nicht durch (v Danwitz Verfassungsfragen der gesetzlichen Exklusivlizenz der Deutschen Post AG, 2002). Durch das Zweite ÄndGPostG v 30. 1. 2002 (BGBl I 572) sind die Bestimmungen der §§ 52 bis 54 PostG der Verlängerung der Exklusivlizenz angepaßt worden. Das Dritte ÄndGPostG v 16. 8. 2002 (BGBl I 3218), mit dem die RiL 2002/39/EG umgesetzt wird, senkt die Gewichts- und Preisgrenze der Exklusivlizenz zum 1. 1. 2006 auf 50 Gramm bzw das Zweieinhalbfache des Grundpreises ab. Die abgehende grenzüberschreitende Briefbeförderung ist ab dem 1.1.2003 freigegeben (§ 51 nF PostG). BVerfGE 108, 370; P. M. Huber FS Schmitt Glaeser, 2003, 509.

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ordung des Postwesens wesentlich durch Vorgaben des Unionsrechts beeinflusst (RiL 97/67/EG über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität; RiL 2002/39/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft). Das Angebot von Postdienstleistungen kann durch den Mitgliedstaat mit Garantie und besonderen Vorkehrungen ausgestattet werden, um die Infrastrukturerfordernisse zu gewährleisten (Art 86 II EG).475 c) Haushaltsrecht, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht Gesetzliche Bestimmungen über die Unternehmenstätigkeit der öffentlichen Hand 128 finden sich vor allem im Haushaltsrecht;476 individuelle Abwehransprüche lassen sich daraus nach hM nicht ableiten. Versuche, Beschränkungen aus dem Verfassungsrecht zu gewinnen, nämlich aus einem vorgeblich geltenden Grundsatz der „Subsidiarität“ der Staatstätigkeit oder aus einem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz privater Wettbewerbsfreiheit (Art 2 I GG), haben keine allgemeine Anerkennung gefunden. Auch ein grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Anspruch auf Unterlassung „unverhältnismäßiger“ Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand wird durch Art 2 I, 12 I GG nicht begründet.477 Allerdings kann ein grundrechtlich erheblicher „Eingriff durch Konkurrenz“ 478 dann in Betracht kommen, wenn das Gesetz der öffentlichen Hand Vorrechte einräumt (zB ein Verwaltungsmonopol), oder wo die öffentliche Wirtschaftstätigkeit nach Zielsetzung oder Wirkung so gravierende Auswirkungen auf grundrechtliche Schutzgüter privatwirtschaftlicher Konkurrenten entfaltet, dass diese als der öffentlichen Hand zurechenbare „Eingriffe“ qualifiziert werden müssen.479 In diesen Fällen einer im Grunde interventionistischen Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die nur durch oder aufgrund Gesetzes zugelassen werden darf 480, gelten die an den jeweiligen Schutzinhalten der beeinträchtigten Grundrechte auszurichtenden Anforderungen des Grundsatzes der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie das Willkürverbot des allgemeinen Gleichheitssatzes.481 Dagegen ist eine Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die nicht als privilegierte Teilnahme am Wettbewerb erfolgt und als mittelbare Wirkung zu Lasten Privater lediglich eine dem Wettbewerbsprinzip immanente Ver475

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EuGH Slg 1993, I-2533 – Rs C-320/91 – Corbeau m Anm Schroeder ArchPT 1994, 132. – Bekanntmachung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter staatlicher Maßnahmen betr Postdienste (98/C 39/02), ABl Nr C 39/2. § 65 BHO (§ 60 Wirtschaftsbestimmungen für die Reichsbehörden v 11. 12. 1929) sowie die entspr Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen. BVerwGE 17, 306; Ossenbühl Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Dt Bundespost, 1980, 113 ff; Papier in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 18 Rn 44 ff. – Anders Isensee DB 1979, 145. Scholz AöR 97 (1972) 301, 305 f; ders FS Sieg, 1976, 507, 518 f. – VG Münster NVwZ 1982, 522. P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 325; ders FS Badura, 2004, 916; Löwer VVDStRL 60 (2001) 416; Pielow NWVBl 1999, 369. P. M. Huber FS Badura, 920. Badura FS Steindorff, 1990, 835.

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schärfung des marktwirtschaftlichen Konkurrenzdrucks zur Folge hat, grundsätzlich kein (Grundrechts-)Eingriff 482. Die Grundrechte schützen nicht generell vor öffentlicher Konkurrenz.483 Die bei Gelegenheit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ausgeübte „Randnutzung“ von Verwaltungsmitteln, wie insbes die von Post und Bahn betriebene Reklame, ist als solche zulässig und bedarf angesichts ihrer Geringfügigkeit auch keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung.484 Die öffentliche Hand unterliegt als Aktionär den Vorschriften des Aktienrechts, 129 soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (§§ 394, 395 AktG). Auch der Staat oder eine Gebietskörperschaft kann deshalb herrschendes Unternehmen in einer Unternehmensverbindung (§ 17 AktG) sein.485 Das Aktienrecht setzt der Durchsetzung öffentlicher Interessen zudem Grenzen, denn es verpflichtet die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands auf das Unternehmensinteresse, das mit den Interessen des Anteilseigners nicht notwendig identisch ist.486 Für das Entsendungsund Weisungsrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften beim Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist seit dem AktienG 1965 allein das Aktienrecht einschließlich des Konzernrechts maßgebend (§§ 101 II, 103 II, 394, 395; §§ 15 ff, 311 AktG); kommunalrechtliche Vorschriften des Landesrechts über Sonderrechte bei Beteiligungen der Gemeinde (Eigengesellschaft, gemischtwirtschaftliches Unternehmen) können neben den abschließenden Regelungen des Aktienrechts keinen Bestand haben.487 Andrerseits ist aber auch das Gesellschaftsrecht – wie jedes einfache Recht – dem Vorrang der Verfassung unterworfen.488 Das kann, da der Gesetzgeber die AG offenkundig auch zum Instrument des Verwaltungshandelns bestimmt hat (arg e §§ 394, 395 AktG), insbesondere dazu zwingen, die Weisungsungebundenheit der Aufsichtsratsmitglieder im Interesse des Demokratieprinzips zu modifizieren.489 Die Umwandlung einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts in eine Handelsgesellschaft („Formwechsel“) richtet sich nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts. Für die gesellschaftsrechtlichen Rechtsfolgen gelten die Vorschriften der §§ 301 ff des UmwG.490 Die öffentliche Hand ist nicht nur mit ihrer Unternehmenstätigkeit, sondern mit 130 jeder wirtschaftlichen Betätigung, selbst wenn sie in öffentlich-rechtlichen Rechtsformen stattfindet, dem Wettbewerbsrecht (UWG, GWB) unterworfen, vorausgesetzt, 482 483

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Löwer VVDStRL 60 (2001) 445. BVerwGE 39, 329; BVerwG NJW 1988, 1277; BVerwG DVBl 1996, 152; VGH BW NJW 1995, 274. – Pieroth/Hartmann DVBl 2002, 421. BVerwG JZ 1989, 688 (postfremde Werbebeilage, die dem Postgiroteilnehmer mit dem Kontoauszug übersandt wird). BGHZ 69, 334 zu § 320 V 3 AktG. – Zöllner ZGR 1976, 1; Rittner FS Flume, 1978, 241; Hohrmann Der Staat als Konzernunternehmer, 1983; Ipsen FS Berliner Jur. Gesellschaft, 1984, 265. Leisner WiV 1983, 212; HansOLG Hamburg ET 1990, 269 (HEW). BGHZ 69, 334; Fischer AG 1982, 85; P. M. Huber StWiss 8 (1997), 433; R. Schmidt ZGR 1996, 345. v. Danwitz AöR 120 (1995) 616; P. M. Huber FS Badura, 906. v. Danwitz AöR 120 (1995) 616; P. M. Huber FS Badura, 906; offen BGHZ 36, 296; aA R. Schmidt ZGR 1996, 354. H. Schmidt in: Lutter/Winter (Hrsg) Umwandlungsgesetz, 3. Aufl 2004, 2868.

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3. Kap V 1 d

dass sie zu einem Dritten in ein Wettbewerbsverhältnis tritt und in ihrem Angebotsoder Nachfrageverhalten nicht normativ gebunden ist (vgl § 130 I GWB).491 Das gilt auch dann, wenn die Wirtschaftstätigkeit (unmittelbar) einer öffentlichen Aufgabe dient oder sonstwie dem „Kompetenzkern“ der Aufgabe des Verwaltungsträgers zuzuordnen ist.492 Überschreitet ein Verwaltungsträger durch eine wirtschaftliche Betätigung die ihm gesetzlich zugewiesene Aufgabe, kann darin im Verhältnis zu einem mit ihm in einem Wettbewerbsverhältnis stehenden Gewerbetreibenden oder Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten liegen, auf dessen Unterlassen er im ordentlichen Rechtsweg in Anspruch genommen werden kann („Vorsprung durch Rechtsbruch“).493 Die Entscheidung der öffentlichen Hand, überhaupt eine konkurrenzwirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, ist der Nachprüfung durch die ordentlichen Gerichte allerdings entzogen. Zu einem wettbewerbsrechtlich begründeten Unterlassungsanspruch kann das Wettbewerbsverhalten der öffentlichen Hand regelmäßig erst dann führen, wenn sie sich dabei sittenwidriger Mittel bedient, beispielsweise unter Missbrauch ihrer Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft („Missbrauch amtlicher Autorität“), oder wenn sie sonst aus der Verbindung hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Interessen einen unzulässigen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern erlangt oder erstrebt, zB durch Preisunterbietung („unlautere Verquickung“).494 d) Unionsrechtliche Bindungen Die öffentlichen Unternehmen der Mitgliedstaaten sind dem Unionsrecht und insbes 131 den Wettbewerbsregeln der Art 81ff EG unterworfen (Art 86 I EG),495 die Kommission trifft nähere Regelungen (Art 86 III EG).496 Als öffentliches Unternehmen iSd EG-Wettbewerbsregeln ist jede der öffentlichen Hand zuzurechnende Tätigkeit anzusehen, mit der Waren oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt angeboten werden, ohne Rücksicht auf die Rechtsform und auf den verfolgten Zweck. Eine Tätigkeit, die ihrer Art, ihrem Gegenstand und den für sie geltenden Regeln 491

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BGHZ 66, 229; 67, 81; BGH GRUR 1982, 425; BGHZ 110, 371 (Erwerb von Senderechten durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten). – Mestmäcker NJW 1969, 1; Scholz ZHR 132 (1969) 97; ders NJW 1978, 16; Badura Postarch 1981, 262 ff; Ulmer ZHR 146 (1982) 466; Immenga NJW 1995, 1921; A. Fuchs FS Brohm, 2002, 275. Abw Brohm NJW 1994, 281. BGHZ 82, 375 – Brillen-Selbstabgabestelle einer AOK, Augenoptiker. BGH GewArch 1987, 13 – Gemeindliche Wirtschaftstätigkeit im Bestattungswesen; BGH DÖV 1993, 573 m Anm Schliesky DÖV 1994, 114 – Vermessungstätigkeit. EuGH Slg 1988, 2479 – Rs 30/87 – Bodson; Slg 1991, I-1223 – Rs C-202/88 – Telekommunikations-Endgeräte; EuGH Slg 1991, I-1979 – Rs C-41/90 – Arbeitsvermittlungsmonopol; Slg 1991, I-5889 – Rs C-179/90 – Hafen von Genua. – Mestmäcker Europäisches Wettbewerbsrecht, 1974; ders RabelsZ 52, 1988, 526; Immenga/ders EG-Wettbewerbsrecht, Bd I, 1997; Junker ZGR 1990, 249; Hailbronner NJW 1991, 593; Badura ZGR 1997, 291; Burgi VerwArch 93 (2002) 255. RiL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen v 25. 6. 1980 (ABl Nr L 195/35), zul geänd d RiL 2000/52/EG (ABl Nr L 193/75); EuGH Slg 1982, 2545 – verb Rs 188 bis 190/80. – Transparenzrichtlinie-G v 16. 8. 2001 (BGBl I 2141) zur Umsetzung der RiL 2000/52/EG.

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nach sich typischerweise als die Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstellt oder eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter wahrnimmt (sog Dienstleistungen von allgemeinem Interesse), weist keinen wirtschaftlichen Charakter auf, der die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln rechtfertigen würde.497 Die unionsrechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre öffentlichen Unternehmen und die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln werden darüber hinaus durch die besondere Vorschrift des Art 86 II EG eingeschränkt, wonach für Unternehmen, die mit sog Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, die Vorschriften des Vertrages, insbes die Wettbewerbsregeln, nur gelten, soweit ihre Anwendung nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.498

2. Vergaberecht a) Aufträge oberhalb der Schwellenwerte 132 Nach Schätzungen der EU-Kommission macht das Volumen der öffentlichen Auftragsvergabe in der EU ca 10–15 % des BIP aus. 499 Es liegt daher auf der Hand, dass die ausgedehnte Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand, vor allem im Bausektor, einen so bedeutsamen Teil der Gesamtnachfrage einnimmt, dass sie als Medium antizyklischer Konjunkturpolitik geeignet ist (§§ 6 I, 10, 11 StabG). Das Auftragswesen der öffentlichen Hand umfasst die Beschaffung von Waren, 133 Bau- und Dienstleistungen im Wege entgeltlicher Verträge des Privatrechts zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsverträgen führen sollen (§§ 97 ff GWB). Traditionell wurde das öffentliche Auftragswesen als eine Angelegenheit sparsamer und wirtschaftlicher Verwendung öffentlicher Mittel angesehen und deshalb dem Haushaltsrecht zugeordnet.500 Detaillierte Regelungen erfolgten in diesem Rahmen durch Verwaltungsvorschriften, insbes die Verdingungsordnungen.501 Das Schutzbedürfnis der konkurrierenden Anbieter und die Beachtung des Gleichbehandlungsgebots wurden

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EuGH Slg 1993, I-637 (Rn 18, 19) – Rs C-173/91 – Poucet und Pistre; DVBl 2004, 555 – Rs C-264/01 ua – AOK Bundesverband/Ichtyol. EuGH Slg 1993, I-2533 – Rs C-320/91 – Corbeau; Slg 1994, I-1477 – Rs C-393/92 – Almelo; Slg 1997, I-5815 – Rs C-159/94 – EdF; Slg 2001, I-9067 – Rs C-53/00 – Ferring; Slg 2003, I-7747 – Rs C-280/00 – Altmark Trans. EU-Kommission, Grünbuch, Das öffentliche Auftragswesen in der EU, KOM(96) 583 endg. Forsthoff Der Staat als Auftraggeber, 1963; Pietzcker Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978; ders AöR 107 (1982) 61; ders NVwZ 1983, 121; Dohmen JbDBP 1985, 198; Broß VerwArch 84 (1993) 395. Ingenstau/Korbion Kommentar zur VOB AB/DIN 1960/61, 14. Aufl 2001; Nicklisch/ Weick Verdingungsordnung für Bauleistungen, Teil B, 3. Aufl 2001; Ebisch/Gottschalk Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 7. Aufl 2001; Beck’scher VOB-Kommentar, VOB/A 2001, VOB/B 1997, VOB/C 2003.

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3. Kap V 2 a

durch das Wettbewerbsrecht erfasst; 502 unter engen Voraussetzungen wurde dem übergangenen Bieter bei Verstoß gegen die Verdingungsvorschriften ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo zuerkannt.503 In die Vergabebedingungen haben auch sozial- und wirtschaftspolitische Ziele Eingang gefunden, die teilweise gesetzlich, teilweise aber auch nur in Verwaltungsvorschriften geregelt waren (sog vergabefremde Kriterien). Der durch derartige Vorschriften individualisiert Begünstigte konnte bei rechtswidriger Nichtbeachtung der ihm zukommenden Präferenz, die ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis – neben den privatrechtlichen Rechtsbeziehungen des Auftragswesens – begründete, Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten erheben.504 Eine grundlegende Veränderung des Rechts der öffentlichen Aufträge ist durch 134 eine Reihe von EG-Richtlinien eingetreten, die darauf abzielen, den Markt zu öffnen, transparente und nachprüfbare Vergabeverfahren zu sichern und das öffentliche Beschaffungswesen im Binnenmarkt jenseits bestimmter Schwellenwerte nach einheitlichen Verfahren zu gestalten (aktuell RiL 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste; RiL 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge; VO/EG Nr. 1874/2004 der Kommission zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für die Anwendung auf Verfahren zur Auftragsvergabe).505 Diese sehen – in Abweichung von den wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Traditionen Deutschlands – namentlich vor, dass dem rechtswidrig übergangenen Bieter ein Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften zustehen muss, den er in einem Nachprüfungsverfahren und auch gerichtlich geltend machen kann. Dem hat der Gesetzgeber zunächst durch eine „haushaltsrechtliche Lösung“ Rechnung zu tragen versucht, die zwar die Nachprüfung durch Vergabeprüfstellen und Vergabeüberwachungsausschüsse einführte, dem Bieter aber nach wie vor individuelle, einklagbare Ansprüche versagte (§§ 57 a ff HGrG; VergabeVO v 22. 2. 1994, BGBl I 321; NachprüfungsVO v 22. 2. 1994, BGBl I 324). Der EuGH hat diese Lösung als mangelhaft beanstandet;506 zudem bestanden auch verfas-

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BGHZ 36, 91 = JZ 1962, 176 m Anm Stern = DVBl 1962, 298 m Anm Zeidler; BVerwG GewArch 1970, 285. – Zur Frage des Schadensersatzes, auch nach Kartellrecht (§§ 26 II, 35 GWB), bei willkürlicher „Auftragssperre“ OLG Stuttgart JuS 1974, 456; OLG Düsseldorf DÖV 1981, 537 m Anm Pietzcker. BGH DÖV 1992, 450 (VOB/A); BGH DÖV 1993, 307 (VOL/A). – Faber DÖV 1995, 403. BVerwG BB 1969, 1084; BVerwG DVBl 1970, 866 m Anm Hoffmann-Becking VerwArch 62 (1971) 191; BVerwG DÖV 1971, 705. – Bettermann DVBl 1971, 112. Hailbronner WiV 1994, 173; Rittner NVwZ 1995, 313; Boesen NJW 1997, 345; Brenner Jb des Umwelt- und Technikrechts 1997, 141; ders FS Martin Kriele, 1997, 1431; Broß VerwArch 88 (1997) 521; K. M. Frank Die Koordinierung der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union, 2000; Schwarze EuZW 2000, 133; Prieß Handbuch des europäischen Vergaberechts, 2. Aufl 2001. EuGH Slg 1995, I-2303 – Rs C-433/93. – Boersen EuZW 1998, 551.

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sungsrechtliche Zweifel.507 Das VgRÄG 1998 hat daraufhin das Vergaberecht aus dem Haushaltsrecht herausgelöst und (nur) in dem unionsrechtlich geforderten Umfang, dh oberhalb der Schwellenwerte, als Bestandteil des Wettbewerbsrechts neu geordnet (§§ 97 ff GWB; VgV).508 An das Vergaberecht gebunden sind öffentliche Auftraggeber (§ 98 GWB), dh alle öffentlichen Stellen oder privatrechtliche Unternehmen, soweit sie nicht im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht-gewerblicher Art wahrnehmen.509 Die Anwendung des Vergaberechts ist, wie gesagt, im Einzelfall vom Erreichen bestimmter Schwellenwerte abhängig, die je nach der Art der Beschaffungsaufträge abgestuft sind (zB 5 Mio Euro für Bauaufträge).510 Neuerer Ansicht zufolge ist die Vergabe öffentlicher Aufträge, obwohl sie nicht unmittelbar Ausübung öffentlicher Verwaltung ist, als Wahrnehmung einer Rechte Dritter berührender Aufgabe der Exekutive an die Grundrechte gebunden.511 Öffentliche Aufträge sind an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu vergeben (§ 97 IV GWB). Eine gesetzliche Bindung des öffentlichen Auftraggebers, Beschaffungsaufträge nur an „tariftreue“ Bieter zu erteilen, gerät in Konflikt mit der Koalitionsfreiheit (Art 9 III GG).512 Dagegen haben vergabefremde Kriterien, soweit sie zuvor bekannt gemacht werden, nicht diskriminierend wirken und mit den allgemeinen Wertungen des Unionsrechts in Übereinstimmung stehen, die Billigung des EuGH erfahren.513 Die Bieter haben Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält und dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag erteilt (§ 97 VII GWB) 514. Unbeschadet der Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden und Vergabeprüfstellen unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge der Nachprüfung durch unabhängige Vergabekammern, die das in seinen Rechten verletzte Unternehmen anrufen und damit den Zuschlag blockieren kann. Gegen Entscheidungen der Vergabekammer ist sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht (Vergabesenat) statthaft. Ein bereits erteilter Zuschlag bzw der Vertragsabschluss mit dem erfolgreichen Bieter, kann zwar nicht aufgehoben werden (§ 114 II GWB); um der unionsrechtlichen Anforderung gerecht zu werden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die dem Abschluss des Vertrages über den öffentlichen Auftrag vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, wel507 508

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P. M. Huber Kampf um den öffentlichen Auftrag, 2002. Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks 13/9340. – Byok NJW 1998, 2774; Pietzcker ZHR 162 (1998) 427; ders Die Zweiteilung des Vergaberechts, 2001; H. Thieme/Correll DVBl 1999, 884; Byok/Jaeger (Hrsg), Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl 2005; Reidt/Stickeler/Glaks Vergaberecht, 2. Aufl 2003; Byok NJW 2001, 2295; Beck’scher VOB-Kommentar, VOB/A 2001; A. Vetter NVwZ 2001, 745. EuGH Slg 1998, I-73 – Rs C-44/96 – Mannesmann Anlagenbau Austria; Slg 1998, I-6821 – Rs C-360/96 – Gemeente Arnhem. – F. Wollenschläger EWG 2005, Heft 7 (iE). P. M. Huber JZ 2000, 877; ders BayVBl 2000, 193. Hermes JZ 1997, 909; P. M. Huber JZ 2000, 877, 878 ff; Puhl VVDStRL 60 (2001) 456. BGH DB 2000, 465. – Löwisch DB 2001, 1090; Scholz RdA 2001, 193. S auch Kling EuZW 2002, 229 (Tariftreue und EG-Dienstleistungsfreiheit). EuGH Slg 1988, 4635 – Rs 31/87 – Beentjes/Niederlande; Slg 2000, I-7446 – Rs C-225/98 – Nord Pas de Calais; Brenner JUTR 1997, 141; P. M. Huber ThürVBl 2000, 193. P. M. Huber Kampf um den öffentlichen Auftrag, 17.

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chem Bieter er den Auftrag erteilt, einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, sieht § 13 VgV aber vor, dass der übergangene Bieter mit einer angemessenen Frist vor Vertragsabschluss zu informieren ist;515 wird dagegen verstoßen, ist der Vertrag nichtig (§ 13 S 6 VgV). b) Aufträge unterhalb der Schwellenwerte Aufträge unterhalb der Schwellenwerte werden nach wie vor nur durch die §§ 16, 135 29 f HGrG, §§ 24, 54 f BHO bzw ihr landesrechtliches Pendant und die auf der Grundlage von § 55 II BHO/LHO fortgeltenden Basisparagraphen der VOB/A und der VOL/A 516 gesteuert. Eine die Bieter schützende Qualität soll diesen Bestimmungen nicht zukommen, Primärrechtsschutz insoweit nicht eröffnet sein.517 Diese Auffassung missachtet die Bindungen aus Art 12 I, 3 I GG ebenso wie jene aus dem EG-V.518 Mangels anderweitiger gesetzlicher Regelungen steht bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte daher der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen.519

VI. Gewerberecht 1. Gewerbefreiheit Die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund v 21. 6. 1869 sollte eine gegen- 136 über dem allgemeinen Polizeirecht spezialgesetzliche bundesrechtliche Gesamtregelung des Gewerbewesens nach dem Grundsatz der Gewerbefreiheit sein, der Beschränkungen der gewerblichen Tätigkeit nur zulässt, wenn und soweit die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung es erfordert. Dieses Gesetz, sehr häufig geändert, galt lange idF v 26. 7. 1900. Nunmehr gilt die Gewerbeordnung idF v 22. 2. 1999.520 Der Grundsatz der Gewerbefreiheit (§ 1 I GewO) besagt, dass jedermann jede 137 gewerbliche Tätigkeit ausüben darf, ohne bei Beginn und Fortsetzung des Gewerbebetriebs anderen administrativen Beschränkungen – durch Erlaubnispflichten, die die Aufnahme des Gewerbes von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, oder durch Untersagungsmöglichkeiten – unterworfen zu sein, als sie durch Bundesgesetz festgelegt sind. Vorschriften, die die Ausübung eines Gewerbes regeln oder zu derartigen Regelungen ermächtigen, werden durch die Gewerbefreiheit nicht be-

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EuGH Slg 1999, I-7671 – Rs C-81/98 – Alcatel Austria. – Malmendier DVBl 2000, 963; Otting NVwZ 2001, 775; Vetter NVwZ 2001, 745, 747. VOB/A idF v 29. 10. 2002, BAnz Nr 202 S 19; VOL/A idF v 17. 9. 2002, BAnz Nr 216 S 13. VG Gelsenkirchen NWVBl 2005, 40. Hermes JZ 1997, 909; P. M. Huber JZ 2000, 877, 878 ff; Puhl VVDStRL 60 (2001) 456; siehe auch ÖstVfGH, Urt v 30. 1. 2000 – G 110, 111/99-8. OLG Koblenz, Beschluss v 25. 5. 2005 – 7 B 10356; aA VG Gelsenkirchen NWVBl 2005, 40. Frotscher in: R. Schmidt (Hrsg), Öffentl Wirtschaftsrecht, Bes Teil 1, 1995, § 1; Stober (Hrsg), Lexikon des Rechts. Gewerberecht, 1999; Tettinger/Wank GewO, 7. Aufl 2004; Kempen NVwZ 2000, 1115; Hahn GewArch 2002, 41; Landmann/Rohmer GewO, 2 Bde, Lsbl; Robinski/Sprenger-Richter Gewerberecht, 2. Aufl 2002.

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rührt. Als charakteristisches Beispiel einer Regelung der Gewerbeausübung ist das LSchlG zu nennen.521 Die Gewerbefreiheit war das tragende Prinzip der liberalen Wirtschaftsverfassung. Anders als noch die Weimarer Reichsverfassung (s dort Art 151 III) kennt das GG ein selbständiges Grundrecht der Gewerbefreiheit nicht; sie ist in dem umfassenderen Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 I GG) aufgegangen. Die GewO sieht, entsprechend ihrem Regelungsprogramm, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gewerbefreiheit und der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit (§§ 41, 105 GewO). Sie enthielt deshalb bis vor kurzem in ihrem Titel VII wesentliche Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der gewerblichen Arbeitnehmer und enthält neuerdings unter der Überschrift „Arbeitnehmer“ allgemeine arbeitsrechtliche Grundsätze. Die Grundnorm über die „freie Gestaltung des Arbeitsvertrages“ bestimmt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Abschluss, Inhalt und Form des Arbeitsvertrages frei vereinbaren können, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften, Bestimmungen eines anwendbaren Tarifvertrages oder eine Betriebsvereinbarung entgegenstehen (§ 105 GewO). Der sachliche Anwendungsbereich der Gewerbefreiheit und damit des Gewerbe138 (polizei)rechts wird durch den von der GewO nicht genau abgegrenzten,522 sondern vorausgesetzten Begriff der gewerbsmäßigen Ausübung eines Gewerbes bestimmt. Darunter versteht man jede erlaubte 523, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe und die bloße Verwaltung eigenen Vermögens. Dieser Begriff des Gewerbes ist nicht systematisch gebildet, sondern erklärt sich aus der der Gewerbefreiheit historisch zugrunde liegenden wirtschaftspolitischen Zielsetzung. „Gewerbsmäßigkeit“ bedeutet, dass das Gewerbe selbständig,524 auf Erwerb gerichtet 525 und nachhaltig (auf eine gewisse Dauer berechnet) ausgeübt werden muss. Die Erwerbsabsicht fehlt bei Tätigkeiten, die einen „idealen“ (gemeinnützigen) Zweck verfolgen, und bei öffentlichen Unternehmen der Leistungsverwaltung (zB Verkehrs- und Versorgungsbetriebe). Die „Gewerbsfähigkeit“ fehlt bei der Verwaltung eigenen Vermögens, den persönlichen Dienstleistungen höherer Art (Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, freie

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BVerfGE 13, 237; 59, 336 → JK Art 12 I/6; BVerwG GewArch 1994, 117 (Tankstellen). – Stober Ladenschlußgesetz, 4. Aufl 2000; Theis Ladenschlußgesetz, 1991; Grabenwarter Ladenschlußrecht, 1992; Schunder Das Ladenschlußgesetz heute, 1994; Kollmer GewArch 1997, 92. Die Aufzählung in § 6 GewO ist nicht erschöpfend. VG Berlin GewArch 2000, 203 (keine generelle Sittenwidrigkeit von „Swinger Club“). BVerwG DÖV 1977, 401. – Das Merkmal der Selbständigkeit, dh des auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübten Gewerbes, gilt für das Reisegewerbe nicht (Mußmann GewArch 1979, 166 gegen OLG Düsseldorf GewArch 1979, 125). Die Absicht der Gewinnerzielung im Sinne des Gewerberechts ist auch dann gegeben, wenn die im voraus festgelegte Gegenleistung als Spendenbeitrag bezeichnet wird und wenn die Erträge idealen Zwecken zugeführt werden; auch soweit der Verkauf an Mitglieder erfolgt, liegt gewerbliche Betätigung vor (BVerwG NVwZ 1995, 473 und GewArch 1998, 110 und 416 – Scientology Church).

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Unterrichtstätigkeit ua),526 den wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten, der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (zB Notare) und der sog Urproduktion. Urproduktion ist die auf die Gewinnung roher Naturerzeugnisse gerichtete Wirtschaftstätigkeit, so Land- und Forstwirtschaft 527, Wein- und Gartenbau 528, Jagd und Fischerei, Bergbau. Die zugrunde liegende Kompetenznorm des Art 74 I Nr 11 GG knüpft an den überkommenen Begriff und Regelungsbereich des Gewerberechts an.529 Gewerbe sind die industrielle und handwerkliche Produktion und Verarbeitung, der Groß-, Einzel- und Kleinhandel und die wirtschaftlichen Dienstleistungen (zB Verkehrsund Vermittlungsgewerbe, Vermietungen530 und Verpachtungen, Touristikgewerbe, Fotografen). Durch die Novelle v 1974 ist ein Gewerbezentralregister eingerichtet worden (§§ 149 ff GewO). Der Grundsatz der Gewerbefreiheit besagt einerseits, dass das Gewerberecht 139 abschließend durch Bundesrecht geregelt ist, und andererseits, dass die gewerberechtlichen Vorschriften über Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs abschließendes Spezialgesetz gegenüber der polizeilichen Generalklausel sind. § 1 I GewO ist ein Satz des einfachen Bundesrechts, der für bestimmte Berufe – die Gewerbe – landesrechtliche und polizeiliche Regelungen der Zulassung zum Beruf ausschließt, für den Bundesgesetzgeber aber keine Schranke darstellt, während die Berufsfreiheit (Art 12 I GG) als Grundrecht alle Berufe gegen bestimmte Beschränkungen durch Bundes- wie durch Landesgesetz schützt. Das Grundrecht der Berufsfreiheit umfasst auch die Gewerbefreiheit, ist jedoch im Unterschied zu dem überkommenen und durch § 1 I GewO fortbestehenden Inhalt der Gewerbefreiheit „personal“ geprägt.531 Die praktische Bedeutung von § 1 I GewO besteht deshalb zum einen darin, landesrechtliche Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs auszuschließen (Art 125 Nr 1, 74 I Nr 11; 72 I GG), soweit die GewO oder Nebengesetze – die Formulierung „durch dieses Gesetz“ ist insoweit missverständlich – nicht ausdrücklich eine Öffnung für das Landesrecht enthalten (wie zB in §§ 33 b GewO). Zum andern schließt er auch auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs aus, soweit nicht ausdrücklich eine Regelung aufgrund des allgemeinen Polizeirechts zugelassen

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BVerwG DVBl 1987, 1075; OVG NW DÖV 2001, 829. Der Verkauf selbstgebackenen Brotes durch einen Landwirt kann gewerbsmäßiger Einzelhandel sein (BayObLG BayVBl 1970, 324). Ein mit einer Gärtnerei verbundenes Ladengeschäft ist insoweit Gewerbebetrieb (Einzelhandel), als in ihm nicht selbst erzeugte, zugekaufte Waren feilgeboten werden (OVG Lüneburg BB 1966, 678). BVerfGE 41, 344. BVerwG DVBl 1973, 857; BVerwG GewArch 1993, 196 (Ferienwohnungen). – Der Betrieb eines Dauercampingplatzes mit 1200 Standplätzen ist Ausübung eines stehenden Gewerbes, nicht nur eine außerhalb des Gewerberechts liegende bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (BVerwG DÖV 1977, 403). BVerfGE 50, 290, 362.

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ist.532 Ein polizeiliches Einschreiten gegenüber einer von der Gewerbefreiheit geschützten Tätigkeit kommt deshalb nur hinsichtlich der Art und Weise der Gewerbeausübung in Frage, um diese mit den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Einklang zu halten. Ein Verbot des Gewerbebetriebs ist aufgrund des allgemeinen Polizeirechts nicht zulässig, jedoch bleibt eine polizeiliche Anordnung hinsichtlich der Gewerbeausübung auch dann rechtmäßig, wenn sie praktisch bewirkt, dass die weitere Ausübung des Gewerbebetriebs unmöglich wird.533 Die durch die Gewerbefreiheit nicht geschützten (nichtgewerblichen) Wirtschafts140 tätigkeiten sind nach Maßgabe der Art 74 I Nr 11, Art 72 I GG landesgesetzlicher Regelung zugänglich. Das bereitet insbesondere mit Blick auf Tätigkeiten, die der Wertordnung der Verfassung generell zuwiderlaufen, daher nicht „erlaubt“ sind und dem Gewerbebegriff nicht unterfallen, mitunter Abgrenzungsschwierigkeiten 534. Im Übrigen hat der Bund „Ausnahmen und Beschränkungen“ im Sinne des § 1 I GewO außerhalb des kodifikatorischen Zusammenhangs der GewO durch eine große Anzahl von Nebengesetzen (also nicht nur „durch dieses Gesetz“) festgelegt. Die wichtigsten dieser Nebengesetze sind: die HwO, das GastG, das PBefG und das GüKG. Unter dem rechtlich nicht fest umrissenen Sammelbegriff der „Freien Berufe“ 535 141 werden verschiedenartige selbständige Berufstätigkeiten zusammengefasst, die Dienstleistungen höherer Art erbringen und deshalb nicht dem Gewerberecht unterliegen. Die Freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt (§ 1 II Partnerschaftsgesellschaftsgesetz). Die wichtigsten von ihnen sind Gegenstand besonderer Gesetze, in denen eine typisierende Ausformung von „Berufsbildern“ erfolgt ist. Charakteristisch für diese gesetzlichen Regelungen sind eine Reglementierung der Berufsausbildung, qualifizierte Sachkundenachweise als Bedingung der Berufszulassung und die Bindung der Berufsausübung durch öffentlich-rechtliche Pflichten. Die früher deutlicher berufsständische Ordnung dieser Berufe, deren Zusammenfassung in Kammern mit Zwangsmitgliedschaft und besondere Pflichtbindung ist seit einiger Zeit durch die striktere Interpretation der Berufsfreiheit durch das

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Gefahrenabwehr bei Märkten etc (§ 71 a GewO): BVerfG GewArch 2002, 154; OVG Münster GewArch 2001, 71 (Laserdrom als Störung wegen Verstoßes gegen Art 1 I GG). PrOVGE 92, 99, 106 f; 100, 127; RG RVerwBl 1937, 143; BVerwG DVBl 1965, 768; BVerwGE 38, 209. – E. R. Huber Wirtschaftsverwaltungsrecht I, 696; Lorenz BB Beilage Nr 19/73. BVerwGE 64, 274; 84, 314 (Peep Show) hat diese am Maßstab von § 33 a II Nr. 2 GewO gemessen, obwohl man angesichts des von der Rechtsprechung angenommenen Verstoßes gegen Art 1 I GG auch die Gewerbsmäßigkeit hätte verneinen können. Bericht der BReg über die Lage der freien Berufe in der Bundesrepublik Deutschland (2002) BT-Drucks 14/9499. – Steindorff Freie Berufe-Stiefkinder der Rechtsordnung?, 1980; Jarass NJW 1982, 1833; Tettinger NJW 1987, 294; Ring Wettbewerbsrecht der freien Berufe, 1989; Raisch FS Rittner, 1991, 471; Pitschas in: R. Schmidt (Hrsg), Öffentl Wirtschaftsrecht, Bes Teil 2, 1996, § 9.

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BVerfG (Art 12 I GG) einem Prozess der Liberalisierung ausgesetzt. Signifikant dafür ist die Lockerung der Werbeverbote etwa bei den Anwälten536 und den Apothekern.537 Unter den nichtgewerblichen Heilberufen sind die Ärzte 538, die Zahnärzte 539, die Tierärzte 540 und die Heilpraktiker 541 hervorzuheben. Die Apotheker werden zum Gewerbe gerechnet,542 was mit dem Wortlaut von § 6 GewO schwerlich zu vereinbaren ist. Sie verfügen aber über ein eigenes Berufsrecht.543 Zu den rechtsberatenden Berufen zählen die Rechtsanwälte 544, Patentanwälte 545 und Rechtsbeistände für bestimmte Spezialmaterien.546 Die Besonderheiten des Notarwesens weisen die Notare den freien, jedoch „staatlich gebundenen“ Berufen zu.547 Freie Berufe sind weiter Wirtschaftsprüfer 548 und Steuerberater 549. Die Berufe der 536

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BVerfGE 76, 196; BVerfGE 101, 312 → JK GG Art 12 I/51; BVerfG NJW 2001, 3324 → JK GG Art 12 I/60. BVerfGE 94, 372 → JK GG Art 12 I/42; BVerwGE 89, 30. BundesärzteO idF v 16. 4. 1987 (BGBl I 1218), zul geänd durch G v 15. 12. 2004 (BGBl I 3396). – BVerfGE 11, 30; 33, 125; 85, 248 → JK GG Art 12 I/29; BVerfG DVBl 2002, 691 (zulässige Werbung mit der Bezeichnung als Knie- bzw Wirbelsäulenspezialist); BVerwG NJW 1998, 2759 (Werbeverbot). – Schenke NJW 1991, 2313. G über die Ausübung der Zahnheilkunde idF v 16. 4. 1987 (BGBl I 1225), zul geänd durch G v 15. 12. 2004 (BGBl I 3396). – BVerfGE 12, 144; 25, 236; BGH GewArch 1972, 303. Bundes-TierärzteO idF v 20. 11. 1981 (BGBl I 1193), zul geänd d G v 15. 4. 2005 (BGBl I 1066). – BVerfGE 38, 312. G über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung v 17. 2. 1939 (RGBl I 251), zul geänd durch G v 23. 10. 2001 (BGBl I 469). – BVerwG Buchholz 418.04 § 1 HeilprG Nr 1; BVerwG GewArch 1993, 406. BVerfGE 5, 25. G über das Apothekenwesen idF v 15. 10. 1980 (BGBl I 1993), zul geänd durch VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304); Bundes-ApothekerO idF v 19. 7. 1989 (BGBl I 1478, 1842), zul geänd durch G v 15. 12. 2004 (BGBl I 3396). – BVerfGE 7, 377; 17, 232; 38, 373; 53, 96; 94, 372; BVerwGE 72, 73; 89, 30; BVerwG NJW 1992, 588; BVerwG NJW 1999, 881 (Autoschalter). BundesrechtsanwaltsO v 1. 8. 1959 (BGBl I 565), zul geänd durch G v 21. 12. 2004 (BGBl I 3599). – BVerfGE 22, 114; 28, 21; 34, 293; 39, 238; 52, 256; 76, 171; 76, 196; 87, 287. – Papier NJW 1987, 1308; Zuck NJW 1990, 1025; Prütting (Hrsg), Die deutsche Anwaltschaft zwischen heute und morgen, 1990; Kleine-Cosack NJW 1994, 2249; ders Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Aufl 2003. PatentanwaltsO v 7. 9. 1966 (BGBl I 557), zul geänd durch G v 21. 12. 2004 (BGBl I 3599). RechtsberatungsG v 13.12.1935 (RGBl I 1478), zul geänd d G v 21. 6. 2002 (BGBl I 2010). – BVerfGE 10, 185; 41, 378; 75, 246; BVerwGE 2, 85; 7, 349; 59, 138. BundesnotarO v 24. 2. 1961 (BGBl I 98), zul geänd durch G v 22. 3. 2005 (BGBl I 837). – BVerfGE 16, 6; 17, 371; 47, 285; 54, 237; 73, 280 → JK Art 20 III/24; 80, 257; 80, 269; BVerfG NJW 1997, 45; BVerfG JZ 1998, 1062 (Sozietät von Anwaltsnotar und Wirtschaftsprüfer); BGH JZ 1994, 790 m Anm Zuck; Bohrer Das Berufsrecht der Notare, 1991; Arndt/Lerch/Sandkühler Bundesnotarordnung, 5. Aufl 2003; Eylmann NJW 1998, 2929. G über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer idF v 5. 11. 1975 (BGBl I 2803), zul geänd durch G v 27. 12. 2004 (BGBl I 3846). – Badura Berufsrechtl Fragen der Abschlußprüfung nach dem Entwurf eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes, 1983. – BVerfGE 54, 237, 239 f; Markus Der Wirtschaftsprüfer, 1996. G über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten idF v 4. 11.

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freien Architekten und Ingenieure fallen in die Kompetenz des Landesgesetzgebers.550 Das Recht der freien Berufe hat durch die fortschreitende Verwirklichung des Binnenmarktes und – damit einher gehend – der Dienstleistungs- (Art 49 ff EG) und Niederlassungsfreiheit (Art 43 ff EG), vor allem durch Richtlinien zur Rechtsangleichung („Koordinierung“) und zur gegenseitigen Anerkennung von Berufszugangsberechtigungen,551 tief greifende Veränderungen erfahren.552

2. Techniken gewerberechtlicher Regelung 142 Die behördliche Überwachung der Gewerbebetriebe erfolgt mit Hilfe eines abgestuften rechtstechnischen Instrumentariums und ist an durch die Eigenart der betroffenen Gewerbe bestimmten materiellen Maßstäben orientiert. a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht, Untersagungsermächtigung, Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 143 Die wesentlichen formalen Techniken gewerberechtlicher Regelung sind die Anzeigepflicht, die Untersagungsermächtigung und das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Durch eine Anzeigepflicht soll die Verwaltung einen Überblick darüber gewinnen, wie viele und welche Gewerbebetriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich vorhanden sind. Neben der für alle stehenden Gewerbebetriebe geltenden und außer für die gewerberechtliche Überwachung auch für die Gewerbestatistik notwendigen allgemeinen Anzeigepflicht (§§ 14, 15 I, 146 II Nr 1 GewO) 553 hat das Gewerberecht 554 vielfältige besondere Anzeigepflichten begründet, zB für Handwerker (§ 16 HwO) und für Gastwirte (§ 4 II GastG). Eine Untersagungsermächtigung gibt der zuständigen Behörde die Befugnis, die Fortsetzung eines erlaubten oder erlaubnisfreien Gewerbebetriebs aus bestimmten Gründen des öffentlichen Wohls ganz oder zum Teil zu verbieten. Ein allgemeiner Untersagungsvorbehalt besteht nur bei

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1975 (BGBl I 2735), zul geänd durch G v 21. 12. 2004 (BGBl I 3599). – BVerfGE 21, 227; 34, 252; 54, 301; 55, 185; 59, 302; 60, 215; 69, 209. ZB Bayer ArchitektenG idF v 31. 8. 1994 (GVBl 934, BayRS 2133-1-I); G zum Schutze der Berufsbezeichnung Ingenieur v 27. 7. 1970 (BayRS 702–2-W). – BVerfGE 26, 246; Jagenburg NJW 1997, 2277. RiL 77/249/EWG des Rates zur Erleichterung der tatsächlichen Dienstleistungsfreiheit der Rechtsanwälte; RiL 89/48/EWG des Rates über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl 1989 Nr L 19/16); dazu das G v 6. 7. 1990 (BGBl I 1349); RechtsanwaltsRiL 98/5/EG (ABl 1998 Nr L 77/36). EuGH Slg 1974, 631 – Rs 2/74 – Reyners; Slg 1988, 1123 – Rs 427/85 – Kommission/Deutschland (Gouvernantenklausel); Slg 2001, I-8615 – Rs C-268/99 – Aldona Malgorzata Jany ua/Staatssecretaris von Justitie (Prostitution); Müller Dienstleistungsmonopole im System des EWGV, 1988; Blumenwitz NJW 1989, 621; Everling EuR 1989, 338; ders Der Gegenstand des Niederlassungsrechts in der Europ Gemeinschaft, 1990. BVerwG GewArch 1993, 196; OVG Saarlouis NJW 1992, 2846. Steuerrechtl Anzeigepflicht für gewerbliche Betriebe: §§ 138, 139 AO.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht

3. Kap VI 2 a

Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (§ 35 GewO). Daneben gibt es besondere Untersagungsermächtigungen mit anderen Anknüpfungspunkten, zB § 59 GewO; § 16 III HwO. Wenn das Gesetz die Ausübung eines Gewerbes oder den Betrieb einer Anlage von 144 einer Erlaubnis (Genehmigung, Konzession) abhängig macht und so eine Erlaubnispflicht begründet, ist die Ausübung des Gewerbes und der Betrieb der Anlage so lange verboten, bis die Erlaubnis erteilt ist. Dieses Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hat im Gegensatz zu einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt, mit dem eine an sich unerwünschte Tätigkeit für den Regelfall unterbunden und nur aus besonderen Gründen zugelassen werden soll,555 nur eine verwaltungstechnische, formelle Bedeutung; es dient dazu, die Ausübung des betreffenden Gewerbes einer vorbeugenden (präventiven) Kontrolle im Einzelfall zu unterwerfen.556 Wo das Gesetz eine derartige präventive Kontrolle für unverhältnismäßig hält, begnügt es sich mit einer besonderen Anzeigepflicht, zB bei bestimmten Arten des Reisegewerbes (§ 55 c GewO) und bei den handwerksähnlichen Gewerben (§ 18 HwO). Aus dem Grundsatz der Gewerbefreiheit bzw aus Art 12 I GG ergibt sich, dass 145 die gewerberechtlichen Erlaubnisse „gebundene“ Erlaubnisse sind, dh dass die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen, die vom Gesetz für die Erteilung der Erlaubnis aufgestellt sind, verpflichtet ist, die Erlaubnis zu erteilen. Wer ein erlaubnispflichtiges Gewerbe beginnen will, die Erlaubnis ordnungsmäßig beantragt hat und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat ein subjektiv öffentliches Recht auf Erteilung der Erlaubnis. Je nachdem, ob sich eine Erlaubnis nur auf den Gewerbetreibenden und seine gewerberechtlich relevanten Eigenschaften oder ob sie sich nur auf eine bestimmte Anlage bezieht, unterscheidet man persönliche und dingliche Erlaubnisse (Personal- und Sachkonzessionen). Der Regelfall ist die raumoder sachgebundene Personalerlaubnis, bei der die Erlaubnis einem bestimmten Gewerbetreibenden für bestimmte Räume, Anlagen oder Gerätschaften erteilt wird, so dass sowohl ein Wechsel in der Person des Gewerbetreibenden 557 als auch ein Wechsel oder eine wesentliche Änderung der Betriebsräume oder Einrichtungen eine erneute Erlaubnispflicht auslöst.558 Die reine Personalerlaubnis, zB die Zulassung zum selbständigen Betrieb eines Handwerks, ist grundsätzlich 559 an die Person des Erlaubnisempfängers gebunden. Die Erlaubnis wird im Regelfall in Form eines schriftlichen Bescheids erteilt, der 146 neben dem Ausspruch der Gewerbeerlaubnis die für erforderlich gehaltenen Auflagen enthält; in einigen Fällen ist eine besondere urkundliche Form vorgeschrieben, 555

556 557

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Beispiele: Zulassung von Spielbanken (§ 33 h Nr 1 GewO; Spielbankengesetz v 14. 7. 1933, RGBl I 480); BVerfGE 28, 119; OVG Münster GewArch 1968, 89. Vorschriften über die allgem Sperrzeit und deren Verkürzung für einzelne Betriebe (§ 18 I GastG); BVerwG DÖV 1977, 405. E. R. Huber WirtschaftsverwaltungsR, I, 696 ff; Gromitsaris DÖV 1997, 401. Sonderregelungen bestehen für den Betrieb durch Stellvertreter (zB §§ 45, 47 GewO; § 9 GastG) und in Gestalt des „Witwenprivilegs“ (zB § 46 GewO; § 10 GastG). ZB die Konzession einer Privatkrankenanstalt (§ 30 I 2 Nrn 1, 2 GewO); die gaststättenrechtl Erlaubnis (§§ 3 I, 4 I Nr 2 GastG); der Betrieb von Spielgeräten (§ 33 c iVm § 33 e GewO). Vgl § 4 HwO.

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3. Kap VI 2 b

Peter Badura/Peter M. Huber

zB die Reisegewerbekarte (§§ 55, 60 c GewO) oder die (konstitutive) Erlaubnisurkunde gem § 3 III a GüKG, Art 3 VO/EWG Nr. 881/92 (Gemeinschaftslizenz). Eine besondere Gestalt der Erlaubnis ist die Eintragung in ein Register, zB die Eintragung in die Handwerksrolle (§§ 1, 10, 17 HwO). Soweit die Voraussetzungen für die Aufhebung einer erteilten Erlaubnis spezialgesetzlich geregelt sind, wie zB in §§ 33 d IV, V GewO, § 15 GastG, sind die Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten nicht anwendbar. Wird ein erlaubnispflichtiges Gewerbe ohne Erlaubnis ausgeübt, dh ohne Erlaub147 nis begonnen oder trotz Aufhebung der Erlaubnis fortgesetzt, kann die Fortsetzung des Betriebes durch die zuständige Behörde verhindert werden (§ 15 II GewO).560 Da diese Vorschrift einen allgemeinen gewerberechtlichen Grundsatz ausspricht, gilt sie nicht nur – wie der Regelungszusammenhang nahe legt – für stehende Gewerbebetriebe nach der GewO, sondern für alle erlaubnispflichtigen Gewerbe, bei denen eine entsprechende Vorschrift 561 fehlt, zB für die Personenbeförderung. Missverständlich ist freilich, dass § 15 II GewO von der „Verhinderung“ der Fortsetzung des Betriebes spricht und damit die Anwendung von Verwaltungszwang zu gestatten scheint. Richtigerweise ermächtigt er jedoch lediglich zum Erlass einer sog Stilllegungsverfügung. Dieser Verwaltungsakt stellt erst die Grundverfügung dar, deren Vollstreckung sich nach den landesrechtlichen Vorschriften richtet. Das Einschreiten nach § 15 II GewO, § 16 III HwO etc. steht im Ermessen der Behörde. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt dabei, dass vor dem Einschreiten gegen einen ohne Erlaubnis ausgeübten Gewerbebetrieb (sog formelle Illegalität) geprüft wird, ob nicht nach den einschlägigen Vorschriften eine nachträgliche Erteilung der Erlaubnis in Betracht kommt, vorausgesetzt, dass der Gewerbetreibende einen Erlaubnisantrag stellt oder eine Entscheidung von Amts wegen möglich ist (zB § 10 I HwO). b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde, Zuverlässigkeit 148 Die materiellen Maßstäbe, in denen sich die vom Gewerberecht hinsichtlich der einzelnen Gewerbe verfolgten Ziele ausdrücken und die als Anknüpfungspunkte für die Erteilung und den Widerruf einer vorgesehenen Erlaubnis und für die etwa vorgesehene Untersagung eines Gewerbebetriebs dienen, beziehen sich einerseits (und vornehmlich) auf die Person des Gewerbetreibenden, andererseits auf das sachliche Substrat des Gewerbebetriebs. Als objektive Bedingungen für die Ausübung eines Gewerbes fordert das Gesetz etwa die Eignung der Betriebsräume 562 oder der Betriebseinrichtung 563 für den beabsichtigten Gewerbebetrieb oder den Nachweis eines bestimmten Betriebskapitals, wenn das fragliche Gewerbe den Kunden in besonderer Weise von der Solvenz des Gewerbetreibenden abhängig macht.564 560

561 562 563 564

Wird das Gewerbe nach einer Untersagung gem § 35 GewO fortgesetzt, ist im Wege des Verwaltungszwangs vorzugehen. § 16 III, IV HwO – BVerwGE 59, 5; BVerwG GewArch 1979, 96. §§ 30 I 2 Nrn 2–4 GewO; § 4 I Nr 2, 3 GastG; §§ 2 I Nr 6, 21 ApothekenG. § 33 e GewO; § 13 I Nr 1 PBefG. §§ 34 I 3 Nr 2, 34 a I 3 Nr 2, 34 b IV Nr 2 GewO; §§ 33 I 1 Nr 1, 10, 10 a, 10 b KWG.

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3. Kap VI 2 b

Die wichtigsten subjektiven Anknüpfungspunkte sind Zuverlässigkeit und Sachkunde; für einzelne Gewerbe ist eine bestimmte gesundheitliche Eignung erforderlich.565 Die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit und Sachkunde im Rahmen der behördlichen Entscheidung über die Genehmigung einer Gewerbetätigkeit oder einer sonstigen zulassungspflichtigen Tätigkeit erfolgt ausschließlich im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung eines allgemeinen Schutzzwecks. Individualinteressen sind dadurch nicht betroffen, so dass aus derartigen Anforderungen ein Schutzanspruch Dritter nicht abgeleitet werden kann.566 Unter dem grundrechtlichen Blickwinkel der freien Berufswahl (Art 12 I GG) ist 149 das Erfordernis der Sachkunde 567 eine intensivere Beschränkung als das Erfordernis der Zuverlässigkeit und muss daher durch besondere aus der Eigenart des jeweiligen Gewerbes hervorgehende Gründe gerechtfertigt sein, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Die Meisterprüfung als Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks (§ 7 I a HwO) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen,568 weil Existenz und Leistungsfähigkeit des Handwerks als eines gemeinschaftsnotwendigen Berufsstandes von diesem besonderen Sachkundenachweis abhängen, während im Fall des Einzelhandels die allgemein aufgestellte Voraussetzung einer besonderen Sachkunde (§ 3 II Nr 1 aF EHG) eine unverhältnismäßige Einschränkung der freien Berufswahl war.569 Die geläufigste Anforderung, die das Gewerberecht für die Person des Gewerbe- 150 treibenden aufstellt, ist die „Zuverlässigkeit“. Mit diesem gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff wird nicht ein moralischer, sondern ein gewerbepolizeilicher Tatbestand bezeichnet. Die Zuverlässigkeit fehlt, wenn der Gewerbetreibende nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr für eine ordnungsmäßige Ausübung seines Gewerbes bietet.570 Dieses Merkmal ist zwar jeweils auf ein bestimmtes Gewerbe bezogen, so dass die dadurch ausgedrückten Anforderungen nicht für alle Gewerbe gleich, sondern je nach der Art des Gewerbes verschieden sind, beschränkt aber seine Anforderungen nicht auf die eigentliche gewerbliche Tätigkeit. Das Erfordernis der Zuverlässigkeit bezieht sich auf das gesamte Verhalten im gewerblichen Verkehr, so dass beispielsweise ein Bauunternehmer nicht nur bei einem Versagen auf bautechnischem Gebiet unzuverlässig ist, sondern auch dann, wenn seine Betriebsführung einen „Mangel an wirtschaftlichem und sozialem Verantwortungsbewusstsein“ offenbart.571 Das ist in erster Linie dann der Fall, wenn der Gewerbetreibende hartnäckig und in erheblicher Weise die für seine Betriebsführung einschlägigen gesetzlichen Verpflichtungen

565 566 567 568 569 570 571

§ 2 I Nr 7 ApothekenG. VGH BW GewArch 1988, 240. § 34 b V GewO; § 33 I 1 Nr 4 KWG; § 3 II 1 Nr 3 GüKG. BVerfGE 13, 97; VGH Bad-Württ DVBl 1998, 539. BVerfGE 19, 330; 34, 71. BVerwGE 65, 1. – Laubinger/Repkewitz VerwArch 89 (1998) 145, 337, 609. BVerwG DÖV 1958, 548. – Hat ein Güternahverkehrsunternehmer ausschließlich in seiner Freizeit bei der Führung seines Privatwagens Verkehrsdelikte begangen, seinen Betrieb aber ordnungsmäßig geführt, so ist er nicht unzuverlässig für die Ausübung seines Gewerbes (BVerwGE 36, 288).

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3. Kap VI 2 b

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verletzt oder der allgemeinen Strafrechtsordnung zuwiderhandelt;572 typische Sachverhalte sind, dass der Gewerbetreibende nachhaltig seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt und dass er fortlaufend die Sozialversicherungsbeiträge der bei ihm Beschäftigten nicht abführt.573 Unzuverlässig ist ein Gastwirt, der in seinen Räumen die Begehung strafbarer Handlungen duldet.574 Der Begriff der Zuverlässigkeit ist auf den beabsichtigten oder ausgeübten Gewerbebetrieb und auf dessen Betriebsart ausgerichtet, so dass die Unzuverlässigkeit nicht unbedingt einen charakterlichen Mangel des Gewerbetreibenden voraussetzt.575 Wo das Gesetz keine Sachkunde fordert, kann ihr Fehlen keine Unzuverlässigkeit begründen.576 Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) v 20. 12. 2001 (BGBl I 3983) hat die Behandlung der Prostitution im Rahmen der gewerberechtlichen Beurteilung der Unzuverlässigkeit zwar nicht verändert, sondern verfolgt die sozialpolitische Zielsetzung, die Situation der Prostituierten zu verbessern.577 Eine unionsrechtskonforme Auslegung des Gewerberechts muss jedoch berücksichtigen, dass die selbständig ausgeübte Prostitution als eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung angesehen wird und unter den Schutz der Niederlassungs- (Art 43 EG),578 uU aber auch der Dienstleistungsfreiheit fällt. Das schließt es generell aus, die „Unzuverlässigkeit“ auf die Prostitution zu stützen. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit kommt es nicht auf ein moralisches oder 151 strafrechtliches Verschulden, sondern auf eine (gewerbe)polizeiliche Zurechnung an, dh darauf, ob nach dem bisherigen Verhalten des Gewerbetreibenden damit zu rechnen ist, dass er im Zusammenhang mit seiner gewerblichen Tätigkeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzen und dadurch eine Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder Einzelner herbeiführen wird.579 Die Unzuverlässigkeit kann daher auch aus weit zurückliegenden Straftaten 580 und selbst aus Tatsachen gefolgert werden, die vor Beginn der Gewerbeausübung liegen,581 sofern sie für die Einschätzung des künftigen Verhaltens eine Bedeutung haben können. Weiterhin ergibt sich daraus, dass auch die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei bestimmten Gewerben Unzuverlässigkeit begründen kann.582 Schließlich 572

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Ist eine Bestrafung erfolgt, darf sich die Behörde nicht mir dem Strafregisterauszug oder dem Strafausspruch als solchem begnügen, sondern muss den dem Strafurteil zugrundeliegenden Sachverhalt selbst gewerberechtlich würdigen (BVerwG VerwRspr 16, 983; BVerwG DVBl 1966, 443; BVerwG GewArch 1991, 195 zu § 24 II LuftVZO). BVerwGE 23, 280; 28, 202; 65, 1 (Stukkateur); BVerwG NVwZ 1988, 432; BVerwG DÖV 1992, 218; VGH BW GewArch 1991, 69. BVerwG JZ 1978, 642. BVerwGE 39, 247; BVerwG DÖV 1973, 822. BVerwGE 22, 286 (Astrologe). Pauly GewArch 2002, 217; anders Caspar NVwZ 2002, 1322 (für Liberalisierung der gaststättenrechtlichen „Unsittlichkeit“). EuGH Slg 2001, I-8615 – Rs C-268/99 – Jany → JK EGV Art 43/2. BVerwGE 36, 288; BVerwG DÖV 1985, 834; OVG Lüneburg GewArch 1962, 269. BVerwG GewArch 1993, 414; BVerwG GewArch 1995, 116. BVerwGE 24, 38. Zu dem durch § 1 II GewO eintretenden Schutz bei Rechtsänderungen: BVerwGE 24, 34. BVerfG NVwZ 1995, 1096; BVerwGE 22, 16; VGH BW GewArch 69, 33; BayVGH GewArch 1979, 37; OVG Hbg GewArch 1994, 286.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht

3. Kap VI 2 c

erklärt sich aus diesem Gesichtspunkt, dass seit jeher auch der Umstand die Unzuverlässigkeit anzeigen kann, dass der Gewerbetreibende einem Dritten (insbes dem Ehegatten), der die für das Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, Einfluss auf den Gewerbebetrieb einräumt oder nicht willens oder nicht in der Lage ist, einen solchen Einfluss hintanzuhalten (sog Strohmannverhältnis).583 Die Zuverlässigkeit ist eine häufige Erlaubnisvoraussetzung,584 die Unzuver- 152 lässigkeit ein häufiger Widerrufstatbestand für die erteilte Erlaubnis, wie zB §§ 15 II iVm § 4 I Nr 1 GastG 585, § 3 V GüKG. Die Zuverlässigkeit ist auch ein Maßstab für die Gewerbeüberwachung nach 153 § 38 GewO. Soweit ein Gewerbe keiner Erlaubnispflicht unterliegt, gilt die allgemeine Ermächtigung für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 GewO.586 Sie ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; denn sie verbietet dem Betroffenen für die Dauer ihrer Wirksamkeit, das Gewerbe auszuüben. Dennoch sind im Falle der Anfechtungsklage wegen des Antragserfordernisses in § 35 VI GewO Änderungen der Sach- oder Rechtslage nach dem Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht zu berücksichtigen.587 Der Gewerbetreibende muss eine günstige Änderung der Verhältnisse zunächst durch einen Wiedergestattungsantrag bei der Behörde geltend machen. Maßnahmen, wie die Schließung der Betriebs- oder Geschäftsräume oder die Wegnahme der Arbeitsmittel, mit denen die Ausübung des untersagten Gewerbes verhindert werden soll, vollziehen die Gewerbeuntersagung, sind also Maßnahmen des Verwaltungszwangs.588 c) Weitere Anforderungen Der Grundgedanke des an der Gewerbefreiheit orientierten Gewerberechts ist die 154 Verhinderung von Gefahren oder Nachteilen, die von der Ausübung eines Gewerbes für das öffentliche Interesse oder für die schutzwürdigen Belange der Arbeitnehmer und des Publikums ausgehen können. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob und in welcher Weise eine gewerbliche Tätigkeit zum Schutz von Gemeininteressen oder von Rechten Dritter durch Gesetz beschränkt ist oder aufgrund Gesetzes beschränkt werden kann. Über die „gewerbepolizeiliche“ Gefahrenabwehr hinaus können dabei auch Belange des Verbraucherschutzes oder sozialpolitische Ziele, wie im LSchlG,589 zur Geltung kommen. Der verfassungs583 584

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BVerwGE 9, 222; 65, 12; BayVGH BayVBl 1964, 375; BayVGH GewArch 1980, 334. §§ 30 I 2 Nr 1, 33 d III, 34 a I 3 Nr 1, 34 b IV Nr 1 GewO; § 4 I Nr 1 GastG; § 2 I Nr 4 ApothekenG; § 13 I Nr 2 PBefG, § 3 II Nr 1 GüKG. Widerruf einer Gaststättenerlaubnis BVerwG DÖV 1977, 406 und JZ 1978, 642 (§ 15 II iVm § 41 Nr 1 GastG). BVerwGE 65, 1; BVerwG GewArch 1982, 298, 299, 301 und 303; BVerwG DÖV 1993, 618; BVerwG NVwZ 1994, 374; BayVGH GewArch 1992, 191. – K. H. Klein in: FS Partsch, 1989, 425; Laubinger VerwArch 89 (1998) 145, 337. BVerwG 65, 1; BVerwG GewArch 1991, 110; BVerwG GewArch 1994, 114; BVerwG GewArch 1995, 200; BVerwG GewArch 1996, 24. Laubinger/Repkewitz VerwArch 89 (1998) 609; Kempen NVwZ 1999, 360. Zur kompetenzrechtlichen Versteinerungsgefahr wegen Art 125 IIa, 72 II GG BVerfG DVBl 2004, 889 (Ladenschluss) → JK 11/04, GG Art 12 I/74.

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3. Kap VI 3 a

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rechtlich gewährleistete Schutz von Sonn- und Feiertagen (Art 140 GG, Art 139 WRV) kann nach näherer gesetzlicher Regelung das Verbot von Tätigkeiten umfassen, die mit der verfassungsrechtlich festgelegten Zweckbestimmung des Sonnund Feiertages nicht vereinbar sind.590

3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse a) Stehendes Gewerbe, Reisegewerbe, Marktverkehr 155 Die GewO unterscheidet nach der Art der Gewerbeausübung stehendes Gewerbe (Titel II), Reisegewerbe (Titel III) und Marktverkehr (Titel IV). Die Grundform ist der stehende Gewerbebetrieb; jede Gewerbeausübung, die nicht Reisegewerbe oder Marktverkehr ist, fällt darunter. Die GewO nimmt die Abgrenzung nicht derart vor, dass jede Gewerbeausübung aufgrund einer gewerblichen Niederlassung (§ 42 II GewO) stehender Gewerbebetrieb und jede Gewerbeausübung ohne eine solche Reisegewerbe wäre; vielmehr orientiert sich die Abgrenzung an dem besonderen Zweck, der mit der Sonderregelung für das als besonders kontrollbedürftig angesehene Reisegewerbe 591 verfolgt wird. Der stehende Gewerbebetrieb ist grundsätzlich bloß anzeige- (§ 14 GewO) 592 und nur nach besonderer Bestimmung (§§ 30ff GewO – „Gewerbetreibende, die einer besonderen Genehmigung bedürfen“ – sowie die Nebengesetze) erlaubnispflichtig. Der entscheidende Unterschied zwischen dem stehenden Gewerbebetrieb und dem Reisegewerbe besteht darin, dass bei letzterem die Initiative zur Erbringung der Leistung vom Anbietenden ausgeht, beim stehenden Gewerbe dagegen die Kunden um Angebote nachsuchen.593 Die sich in einer intensiven Gewerbeüberwachung (§§ 56, 57, 59, 60 c GewO) äußernde besondere Kontrollbedürftigkeit knüpft an das Merkmal an, dass eine Gewerbeausübung außerhalb einer oder ohne eine gewerbliche Niederlassung „ohne vorhergehende Bestellung“ erfolgt (§§ 42 I, 55 I GewO), und das ist zugleich das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium. Schutzzweck des § 55 GewO ist es, die Verbraucher vor unlauteren Geschäftsmethoden zu schützen. Das Reisegewerbe ist deshalb grundsätzlich erlaubnispflichtig (§ 55 II GewO: „Reisegewerbekarte“) und nur ausnahmsweise erlaubnisfrei (§§ 55 a, 55 b, 55 c GewO). Die Sonderstellung des ambulanten Gewerbes ist im Laufe der Zeit allerdings abgeschwächt und das Reisegewerbe „von nicht mehr zeitgemäßen Beschränkungen“ befreit worden.594

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BVerwGE 79, 118; 90, 337; OVG Rh-Pf GewArch 1993, 16. – Kästner DÖV 1994, 464. BGH NJW 1980, 1585; BayObLG GewArch 1979, 167. Die gesetzl Statuierung der Anzeigepflicht schließt die Ermächtigung für die Behörde ein, die Anzeige nach Vordruck zu verlangen (BVerwG NJW 1977, 772). Auf die Erteilung der Anmeldebestätigung gem § 15 I GewO kann der Anzeigepflichtige verzichten (BVerwGE 38, 160). BVerfG GewArch 2000, 480. RegEntw BT-Drucks 10/1125; Ausschußbericht BT-Drucks 10/1646. – Schönleiter GewArch 1984, 317.

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3. Kap VI 3 b

Der Marktverkehr 595 ist durch den Grundsatz der Marktfreiheit privilegiert (§ 70 I GewO). Marktfreiheit bedeutet, dass der Besuch sowie der Kauf und Verkauf der zum Marktverkehr zugelassenen Waren 596 auf den festgesetzten Messen, Ausstellungen und Märkten (§ 69 GewO) von administrativer Beschränkung grundsätzlich frei sind, dh den Erlaubnis- und Anzeigepflichten des Gewerberechts, insbes der Titel II und III der GewO, nicht unterliegen, so dass im Marktverkehr ua die Anzeigepflicht des § 14 GewO und das Erfordernis der Reisegewerbekarte entfallen. Dem Veranstalter eines festgesetzten Volksfestes steht bei der Auswahl der Art der zuzulassenden Geschäfte im Hinblick auf seine Gestaltungsbefugnis ein weiter Spielraum zu; allerdings darf die allen geeigneten Bewerbern zukommende Zulassungschance nicht durch eine jahrelange und ausschließliche Vergabe der Stellplätze nach dem Grundsatz „bekannt und bewährt“ leer laufen (§ 70 I, III GewO).597 b) Handwerk Das Handwerk nahm seit jeher in mehr oder weniger ausgeprägter Weise eine Sonder- 156 stellung im Rahmen des Gewerberechts ein. Die Entwicklung zu einem besonderen Handwerksrecht erfolgt zunächst durch verschiedene Novellen zur GewO, hauptsächlich durch die Handwerkernovelle v 26. 7. 1897, auf welche die früher in Titel VI behandelten Handwerkskammern zurückgehen, und durch die Handwerksnovelle v 11. 2. 1929, die die Handwerksrolle einrichtete (vormals Titel VI a). Mit dem – mehrfach geändert bis heute fortgeltenden – Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) v 28. 12. 1965 kam es auch gesetzestechnisch zu einer Verselbständigung des Handwerksrechts. Dieses Gesetz gilt heute idF v 24. 9. 1998 (BGBl I 3074).598 Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes 157 Gewerbe ist die Eintragung in die Handwerksrolle, die von der Handwerkskammer als ein Verzeichnis der selbständigen Handwerker ihres Bezirks geführt wird (§§ 6 ff HwO). Die Eintragung in die Handwerksrolle entspricht der Erteilung einer gewerblichen Erlaubnis; sie ist personenbezogen, nicht betriebsbezogen.599 Die Entscheidung über die Eintragung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt, gegen den auch die IHK klagebefugt ist (§ 12 HwO). Das gleiche gilt für die Mitteilung, dass die 595

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Das Recht des Marktverkehrs ist durch das Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der GewO v 5. 6. 1976 (BGBl I 1773) durchgreifend umgestaltet worden. Regierungsentwurf, BT-Drucks 7/3859; Ausschußbericht, BT-Drucks 7/4846. – Wirth Marktverkehr, Marktfestsetzung, Marktfreiheit, 1985; Frotscher Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 4. Aufl 2004, Rn 314 ff. Zu Volksfesten vgl § 60 b GewO. BayVGH GewArch 1991, 230 (Erlanger Bergkirchweih); OVG Lüneburg NJW 2003, 531 → JK 6/03 GewO § 70/1. Eyermann/Fröhler/Honig Handwerksordnung, 3. Aufl 1973; Musielak/Detterbeck Das Recht des Handwerks, 3. Aufl 1995; Kolb GewArch 1998, 217; Schwannecke/Heck GewArch 1998, 305; Czybulka NVwZ 2000, 136; Hahn GewArch 2001, 441; Leisner GewArch 2001, 1, 51; Webers WiVerw 2001, 260. VGH BW DÖV 2002, 170.

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3. Kap VI 3 b

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Eintragung oder die Löschung der Eintragung beabsichtigt sei (§§ 11, 13 III HwO).600 Die Eintragung in die Handwerksrolle ist für die Frage, ob der Eingetragene selbständiger Handwerker ist, eine die Innung bindende Feststellung (§ 58 HwO).601 Wird der selbständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften der HwO ausgeübt, kann die Fortsetzung des Betriebs untersagt und die Ausübung des untersagten Gewerbes durch Betriebsschließung verhindert werden (§ 16 III, IV HwO). Die Untersagung eines Handwerksbetriebs führt zur Löschung in der Handwerksrolle.602 Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle – und damit für die 158 Zulassung zum Beruf des selbständigen Handwerkers – ist grundsätzlich der Befähigungsnachweis in Form der Meisterprüfung in dem zu betreibenden oder einem diesem verwandten Handwerk (§§ 7 Ia, 45 ff HwO).603 Der große Befähigungsnachweis im Handwerk durch den „Meisterbrief“ ist ungeachtet der am Wettbewerbsprinzip orientierten Kritik auch in der neueren gesetzlichen Fortentwicklung des Handwerksrechts festgehalten und gestärkt worden.604 Durch Rechtsverordnung kann als Grundlage für ein geordnetes und einheitliches Meisterprüfungswesen bestimmt werden, welche Tätigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten den einzelnen Handwerken zuzurechnen (Berufsbild) und welche Anforderungen in der Meisterprüfung zu stellen sind (§ 45 HwO). Das „Berufsbild“ zahlreicher Handwerke ist auf diesem Wege fixiert worden. Die gemäß § 7 II HwO erlassene Verordnung über die Anerkennung von Prüfungen bei der Eintragung in die Handwerksrolle und bei Ablegung der Meisterprüfung v 2. 11. 1982 (BGBl I 1475) legt fest, welche anderen Prüfungen der Meisterprüfung für die Ausübung des betreffenden Handwerks gleichartig sind. Der selbständige Betrieb eines handwerksähnlichen Gewerbes unterliegt nicht der Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle, sondern nur einer besonderen Anzeigepflicht (§ 18 HwO; Anlage B zur HwO). Der Inhaber eines in handwerksähnlicher Form betriebenen Nebenbetriebs eines zur Industrie- und Handelskammer gehörenden Unternehmens ist nicht in das Verzeichnis der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe (§ 19 HwO) einzutragen.605 In besonderen Fällen kann die Eintragung in die Handwerksrolle auch ohne Meisterprüfung mithilfe einer Ausnahmebewilligung erreicht werden (§§ 7 III, 8, 9 HwO). Diese Regelung durchbricht nicht die Bedingung des Befähigungsnachweises, sondern nur den Grundsatz, dass dieser Nachweis gerade durch die Meisterprüfung

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BVerwGE 88, 122; BVerwG DÖV 1961, 511. BVerwG DÖV 1988, 346. BVerwG BayVBl 1993, 439. Dieser handwerksrechtliche Sachkundenachweis ist keine Verletzung der Berufsfreiheit (BVerfGE 13, 97). – Die Aufzählung der „verwandten“ Handwerke in der Anlage zu der VO über verwandte Handwerke v 18. 12. 1968 (BGBl I 1355) idF d VO v 9. 12. 1991 (BGBl I 2169) ist abschließend (BVerwG GewArch 1994, 115). Initiativentwurf für das Zweite ÄndGHandwO, BT-Drucks 13/9388; Antwort der BReg auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks 13/10676. BVerwG GewArch 1994, 248.

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zu erbringen ist.606 Die Ausnahmetatbestände sind wegen der in dem Erfordernis des großen Befähigungsnachweises liegenden empfindlichen Eingriffe in die Freiheit selbständiger Berufsausübung „grundrechtsfreundlich“, großzügig auszulegen und anzuwenden. Die Ablegung der Meisterprüfung ist für den Antragsteller unzumutbar, wenn die mit ihr verbundene Belastung nach den Umständen des Einzelfalls deutlich höher als in der Vielzahl der Fälle ist. Namentlich der persönlichen und familiären Situation des Bewerbers kann eine besondere Bedeutung zukommen.607 Die Ausnahmebewilligung ist für nichtdeutsche Unionsbürger besonders geregelt (§ 9 HwO; EWG/EWR-HandwerksVO v 4. 8. 1996 [BGBl I 469], zul geänd d G v 25. 3. 1998 [BGBl I 596]). Die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit (Art 43, 49 EG) stehen der materiellen Anforderung des großen Befähigungsnachweises nicht entgegen. Doch darf die Verrichtung handwerklicher Tätigkeiten für Angehörige anderer Mitgliedstaaten der EU nicht von einem Verfahren zur Erteilung der Erlaubnis abhängig gemacht werden, das geeignet ist, die Ausübung dieser Freiheiten zu verzögern oder zu erschweren, nachdem die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Tätigkeiten bereits geprüft worden sind und festgestellt worden ist, dass die Voraussetzungen erfüllt sind.608 Ein Gewerbebetrieb ist ein Handwerksbetrieb, wenn er eines der in der Positiv- 159 liste (Anlage A zur HwO) aufgeführten Gewerbe (Handwerk) zum Gegenstand hat und wenn er handwerksmäßig ausgeübt wird (§ 1 II HwO). Die Aufzählung und Abgrenzung der einzelnen Handwerkszweige in der Positivliste knüpft an die tatsächlich bestehenden Verhältnisse an, insbes an die traditionellen Berufsbilder des Handwerks, und berücksichtigt dabei die typischen Besonderheiten der einzelnen handwerklichen Gewerbe. Erweiterungen der in der Positivliste aufgeführten Gewerbe sind dem Gesetzgeber vorbehalten.609 Das ÄndG v 24. 12. 2003 hat die Positivliste durchforstet und auf 41 Handwerke um mehr als die Hälfte reduziert. Die Beurteilung, ob eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit ein Handwerk zum Gegenstand hat, bringt in der Regel keine Schwierigkeiten mit sich.610 Die Ausübung eines nichthandwerklichen Gewerbes kann sich durch Tätigkeiten, die sich für das betreffende Handwerk nur als untergeordnet darstellen, mit einem Handwerk überschneiden. Ein derartiger Gewerbebetrieb wird dadurch nicht zum Hand-

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BVerwG GewArch 1993, 121; BVerwG GewArch 1994, 250; BVerwG DÖV 1995, 648. – Heck GewArch 1995, 217. BVerwG DVBl 2002, 201 (Bäcker). EuGH Slg 2000, 7919 – Rs C-58/98 – Josef Corten → JK EGV Art 49/4. – Diefenbach GewArch 2001, 353; Streinz JuS 2001, 388. BVerwG GewArch 1994, 199. Montage von Ölfeuerungen als Bestandteil des Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerks, Nr 33 der Positivliste (BVerwG VerwRspr 20, 623); Fassadenverkleidung als Bestandteil des Dachdeckerhandwerks, Nr 6 der Positivliste (GewArch 1979, 377). Das praxiseigene Labor des Zahnarztes ist grds nicht Ausübung des Zahntechniker-Handwerks (BVerwG GewArch 1979, 305; Badura Zahnärztl Mitteilungen 1978, 597). Die gewerbsmäßige Restaurierung alter Möbel ist idR nicht als – eigenschöpferische – künstlerische Tätigkeit höherer Art, sondern als Handwerksausübung zu bewerten (BayObLG DÖV 1987, 548).

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werksbetrieb.611 Bei der Auslegung und Anwendung des § 1 II HwO im Hinblick auf die Abgrenzung des die Meisterprüfung nicht voraussetzenden „Minderhandwerks“ vom Betrieb eines Handwerksbetriebs einerseits und von einem Einzelhandelsgeschäft andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Eingriff in die Berufsfreiheit nur entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zulässig ist.612 Da die Qualifizierung eines Gewerbebetriebes als Handwerksbetrieb die besonderen Zulassungsvoraussetzungen und Pflichten des Handwerksrechts zur Folge hat, insbesondere die Notwendigkeit, in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, und die Zwangsmitgliedschaft in der Handwerkskammer, wird die Frage, ob ein Handwerk handwerksmäßig betrieben wird, dann praktisch bedeutsam, wenn ein Gewerbetreibender sich weigert, die Eintragung in die Handwerksrolle zu beantragen, oder wenn er die Löschung in der Handwerksrolle begehrt. Es handelt sich dabei um die Abgrenzung handwerklicher und industrieller Betriebsweise. Ausschlaggebend bei dieser Abgrenzung ist die Rolle, die der Gebrauch von Maschinen in dem Betrieb spielt.613 Die kennzeichnende Eigenart der industriellen Betriebsweise besteht darin, dass die erbrachte Arbeitsleistung einem von maschinellen Fertigungs- und Behandlungsvorgängen bestimmten technischen Prozess ihre Prägung verdankt, so dass die Kenntnisse und Fertigkeiten des Betriebspersonals sich nicht unmittelbar auf den Arbeitsgegenstand, sondern auf die technische Wirkungsweise der maschinellen Hilfsmittel beziehen. Für die Annahme industrieller Betriebsweise spricht es, wenn die Verwendung von Maschinen keinen Raum lässt für die Entfaltung von Handfertigkeit und es im Wesentlichen auf die Bedienung der Maschinen ankommt. Für die Annahme handwerklicher Betriebsweise spricht es, wenn man sich der Maschinen nur zur Erleichterung der Arbeit und zur Unterstützung der Handfertigkeit bedient, eine einwandfreie und fachgerechte Arbeitsleistung ohne qualifizierte Handarbeit also nicht erreicht werden kann. Es kommt nicht auf das Ausmaß der Verwendung von technischen Hilfsmitteln überhaupt und auf die Betriebsgröße als solche an, sondern auf die Funktion der Maschinen für die Arbeitsweise des Betriebs und den Zusammenhang der Betriebsgröße und Betriebsorganisation mit der Wirkungsweise der maschinellen Arbeitsprozesse. Die Abgrenzung kann letztlich nur nach den Umständen des Einzelfalles und dem Gesamtcharakter des Betriebes erfolgen, wobei auch die Arbeitsteilung zwischen unternehmerischer 611

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Das Anlegen von befahrbaren Wegen und (Park-)Plätzen im Zusammenhang mit (landschafts-)gärtnerisch geprägten Anlagen gehört zum Berufsbild des nichthandwerklichen Gewerbes des Garten- und Landschaftsbauers; insoweit überschneiden sich die Berufsbilder dieses Gewerbes und des Straßenbauer-Handwerks (BVerwG GewArch 1993, 329). BVerfG NVwZ 2001, 187 → JK GG Art 12 I/56 – Elektrohandwerk. BVerwGE 17, 230 und 25, 66 (industrielle „Expreß-Schuhbar“); BVerwG GewArch 64, 108 (industrielle Schnellreinigung; vgl Nr 34 Anlage B zur HwO); BVerwG GewArch 64, 248 und 249 (grafisches Gewerbe); BVerwGE 20, 263 (industrielles Baugewerbe), dazu Honig JuS 1966, 436; BVerwG GewArch 1979, 262 (handwerkl Herstellung von Backwaren); BVerwG GewArch 1979, 377 (handwerkl Dachdeckerei); Fröhler/Dannbeck Zur Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1965; Söllner Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1973; Schwarz GewArch 1988, 1; ders WiV 1989, 207; Degenhart DVBl 1996, 551; Leisner GewArch 1997, 393. – Kriterium der handwerkl Arbeit für die Auslegung eines Tarifvertrages BAG GewArch 1982, 335.

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Leitung und technischer Tätigkeit und das Ausmaß des Kapitaleinsatzes ins Gewicht fallen. Eine wesentliche Konsequenz der den Handwerksbetrieb kennzeichnenden persönlichen Leistung des selbständigen Handwerksmeisters ist das Gebot der „Meisterpräsenz“ im Betrieb und die Notwendigkeit, dass der Betriebsleiter der ein Handwerk betreibenden juristischen Person (§ 7 I 1 HwO) die fachlich-technische Leitung des Handwerksbetriebs innehaben muss.614 Die Berufsbildung im Handwerk und vor allem die Ausbildung der Lehrlinge 160 und der Gesellen ist eine wesentliche Aufgabe der Handwerksbetriebe. Sie ist durch Art 2 Berufsbildungsreformgesetz vom 23. 3. 2005 (BGBl. I 931) eingehend neu geregelt worden (§§ 21 ff HwO). Im Interesse einer geordneten und einheitlichen Berufsausbildung kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die in Anlage A und B aufgeführten Gewerbe durch eine – nicht zustimmungspflichtige – Rechtsverordnung Ausbildungsberufe staatlich anerkennen und entsprechende Ausbildungsordnungen erlassen. Die Regelung und Überwachung der Berufsausbildung gehört zu den Aufgaben der Handwerkskammern (§ 91 I Nr 4 bis 7 HwO) und der Innungen (§ 54 I Nr 3 bis 6 HwO). c) Gaststättengewerbe Das GastG 615 begründet eine Erlaubnispflicht für den Betrieb einer Schankwirt- 161 schaft, einer Speisewirtschaft und eines Beherbergungsbetriebs im stehenden Gewerbe sowie für den Tatbestand, dass jemand als selbständiger Gewerbetreibender im Reisegewerbe 616 von einer für die Dauer der Veranstaltung ortsfesten Betriebsstätte aus Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht (§§ 1, 2 GastG). Ein Gaststättengewerbe liegt sowohl vor, wenn der Betrieb jedermann, als auch wenn er nur bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Der Verkauf von Flaschenbier nach Ladenschluss und außerhalb der Abgabe von Reisebedarf in einem aus Tankstelle, Selbstbedienungsgetränkemarkt und Stehausschank bestehenden Mischbetrieb unterliegt den Vorschriften des Gaststättengesetzes.617 Verschiedene Formen der Ausübung des Gaststättengewerbes sind von der Erlaubnispflicht ausgenommen, zB die Verabreichung unentgeltlicher Kostproben und von alkoholfreien Getränken aus Automaten (§ 2 II–IV) sowie die Erbringung gastgewerblicher Leistungen anlässlich der Beförderung von Personen durch Verkehrsunternehmen, nicht mehr jedoch in Bahnhofsgaststätten (§ 25 II GastG). Der Verkauf von Getränken, zubereiteten Speisen, Tabak- und Süßwaren von einer Schankoder Speisewirtschaft aus „über die Straße“ zum alsbaldigen Verzehr oder Verbrauch ist als „Gassenschank“ Bestandteil des Gaststättengewerbes und nicht zusätzlich Ausübung von Einzelhandel (§ 7 II GastG). 614

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BVerwGE 88, 122; VG Göttingen GewArch 1994, 423. – Badura GewArch 1992, 201; Schmitz WiVerw 1999, 88. Metzner GaststG, 6. Aufl 2002; Michel/Kienzle/Pauly GaststG, 14. Aufl 2003; Hahn GewArch 1995, 89, 94 ff; ders GewArch 1997, 41, 45 ff. Das Gaststättenrecht ist für diese Art des Reisegewerbes eine Sonderregelung gegenüber dem Titel III der GewO (§ 13 GastG). BayObLG DÖV 1998, 161.

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Die Erlaubnis ist für eine bestimmte Betriebsart und für bestimmte Räume zu erteilen; sie ist eine raumgebundene Personalerlaubnis (§ 3 I GastG). Zum Schutze der Allgemeinheit, der Gäste, des Personals und der Bewohner des Betriebsgrundstücks und der Nachbargrundstücke können der Erlaubnis jederzeit Auflagen beigefügt werden, § 5 I GastG.618 Die Vorschrift ist insoweit lex specialis gegenüber § 36 II Nr. 4 VwVfG. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Erlaubniserteilung erstrecken sich auf die Zuverlässigkeit des Antragstellers, die ordnungsgemäße Beschaffenheit der für die Gewerbeausübung vorgesehenen Räume, die im Hinblick auf die örtliche Lage des Betriebs oder auf die Verwendung der Räume sonst berührten öffentlichen Interessen und den Nachweis lebensmittelrechtlicher Kenntnisse (§ 4 I GastG). § 4 I Nr 1 GastG hat keine nachbarschützende Wirkung.619 Die Anforderung, dass der Gewerbebetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage 163 oder auf die Verwendung der Räume dem öffentlichen Interesse nicht widersprechen darf und insbes immissionsschutzrechtlich unbedenklich sein muss (§ 4 I Nr 3 GaststG), ist zum Teil Gegenstand anderer Rechtsvorschriften und besonderer Genehmigungsvorbehalte, besonders im Rahmen des Baurechts und des Immissionsschutzrechts.620 Wird eine anderweitig erforderliche Genehmigung abgelehnt, steht das der Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis nicht unter allen Umständen entgegen. Das gilt vor allem für die Ablehnung einer Baugenehmigung;621 diese ist lediglich faktische Voraussetzung für die Ausnutzung der Gaststättenerlaubnis. Die Gaststättenbehörde, die über einen Erlaubnisantrag zu einem Zeitpunkt entscheidet, in dem eine bindende baurechtliche Vorentscheidung (noch) nicht vorliegt, darf auch über baurechtliche Fragen befinden.622 Eine erteilte Baugenehmigung dagegen hat durch ihre feststellende Regelung Bindungswirkung für die gaststättenrechtliche Erlaubnis, soweit es um die Grundstücksnutzung und die darauf bezogenen öffentlichen und privaten Belange geht.623 Über die zulässigen Betriebszeiten einer Gaststätte ist im Rahmen der Gaststättenerlaubnis zu entscheiden. Sind jedoch Betriebszeitenregelungen Ausdruck der Betriebsart, zB Tagescafe, Nachtlokal (vgl § 3 I GastG), fällt die Entscheidung in die Sachkompetenz der Baugenehmigungsbehörde.624 Durch Rechtsverordnung der Landesregierung ist für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten eine Sperrzeit allgemein fest162

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BVerwGE 31, 15; BVerwG GewArch 1996, 425; BayVGH GewArch 1990, 218; OLG Hamm DVBl 1975, 584 m Anm Götz; VGH Kassel GewArch 1979, 24. BVerwG GewArch 1998, 254. Zu den sonstigen öffentlichen Interessen, zB des Straßenverkehrs: BVerwGE 10, 91; BVerwG NJW 1957, 1043; VGH BW GewArch 1964, 39; OVG Koblenz GewArch 1964, 174. BVerwGE 80, 259 m Anm Czermak BayVBl 1990, 602. BVerwGE 84, 11, 15. Durch die bestandskräftige Baugenehmigung für eine Trinkhalle ist nicht nur deren Vereinbarkeit mit den Immissionsschutzanforderungen des § 15 I 2 BauNVO bindend festgestellt, sondern auch, dass sich die von der Nutzung der Trinkhalle typischerweise ausgehenden Immissionen im Rahmen des § 4 I Nr 3 GastG halten (BVerwGE 80, 259). BVerwG NVwZ 1992, 569; BayVGH GewArch 1987, 99.

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zusetzen (§ 18 GastG). Diese Ermächtigung gilt auch für Spielhallen. Bei der Ausübung dieser Ermächtigung ist eine Gesamtwürdigung der örtlichen Verhältnisse, der Besonderheiten des jeweiligen Gewerbes und der berührten öffentlichen und privaten Belange anzustellen und insbes auch dem Bedürfnis der Nachbarschaft auf Nachtruhe Rechnung zu tragen.625 Wie hier Gaststätten- und Immissionsschutzrecht ineinander greifen, lässt sich am Beispiel des Biergartens „Waldwirtschaft“ in Großhesselohe bei München gut veranschaulichen.626 Das Erfordernis, dass der Antragsteller durch eine Bescheinigung der für den Ort 164 seiner gewerblichen Niederlassung zuständigen Industrie- und Handelskammer nachweisen muss, dass er oder sein Stellvertreter über die Grundzüge der für den in Aussicht genommenen Betrieb notwendigen lebensmittelrechtlichen Kenntnisse unterrichtet worden ist und mit ihnen als vertraut gelten kann (§ 4 I Nr 4 GastG), ist die berufsrechtlich bedeutsamste Anforderung an die Erlaubniserteilung; die Erwägungen über Art und Umfang dieses „Unterrichtungsnachweises“ haben in den Ausschussberatungen des Bundestages eine beherrschende Rolle gespielt. Ein allgemeiner Sachkundenachweis, wie er von der Interessenvertretung des Gaststättengewerbes gefordert worden war und wie ihn der Rechtsausschuss bei Speisewirtschaften für notwendig gehalten hatte, wurde vom Wirtschaftsausschuss aus rechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen abgelehnt, ist in die als Gesetz beschlossene Fassung nicht eingegangen und hätte auch angesichts der durch Art 12 I GG festgelegten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer subjektiven Zulassungsbeschränkung, die das BVerfG im Hinblick auf den Sachkundenachweis im Einzelhandel verdeutlicht hatte,627 kaum gerechtfertigt werden können.628 d) Beförderungsgewerbe Das PBefG unterwirft die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Per- 165 sonen mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsbussen und mit Kraftfahrzeugen einem Genehmigungsvorbehalt (§ 2 I PBefG) und einer – in der tradtionellen Terminologie „Aufsicht“ genannten – Überwachung (§ 54 PBefG).629 Die neben subjektiven Anforderungen zu erfüllenden objektiven Genehmigungsvoraussetzungen sind danach differenziert, ob Linienverkehr oder Gelegenheitsverkehr betrieben werden soll (§ 13 PBefG). Die Genehmigung eines Linienverkehrs mit Omnibussen schließt keine Entschei- 166 dung über die von den Straßenanliegern zu duldenden Immissionen ein und kann deshalb von den Anliegern nicht im Hinblick auf verkehrsbedingte Immissionen

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BVerwG GewArch 1992, 346 und 393; 1995, 155, 382 und 426; BVerwG DVBl 1996, 1201; BayVGH DVBl 1996, 1195. BVerwG JZ 1999, 787; BayVGH NVwZ 1995, 1021 (Biergärten). BVerfGE 19, 330. Stober Der Befähigungsnachweis im Gastgewerbe als Rechtsproblem, 1986; Kienzle WiV 1987, 95. BVerfGE 11, 168; BVerwGE 23, 314; 30, 242; 31, 184; 55, 159; 64, 238; 79, 208. – Bidinger Personenbeförderungsrecht, Lsbl; Fromm/Sellmann NVwZ 1994, 547/551 ff; Sellmann NVwZ 1995, 1167; Fehling DV 34 (2001) 25.

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angegriffen werden.630 Straßenbahnen einschließlich Hoch- und Untergrundbahnen sowie Oberleitungsbusse bedürfen für die Betriebsanlagen der Planfeststellung (§§ 28 ff, 41 PBefG),631 die zusätzlich zu der verkehrswirtschaftlichen Genehmigung (§§ 9 ff PBefG) erforderlich ist. Der Linienverkehr berührt die öffentlichen Verkehrsinteressen in höherem Maße; das Gesetz schützt hier auch den Bestand eines vorhandenen Unternehmens mit der Folge entsprechender „Konkurrentenabwehransprüche“ gegenüber Neubewerbern.632 Bei mehreren Bewerbern um die Genehmigung eines Linienverkehrs ist im Rahmen dieses wechselseitigen, multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisses eine verkehrswirtschaftliche Auswahlentscheidung zu treffen, mit der über die Rechtsansprüche aller Bewerber auf Erteilung der Genehmigung entschieden wird. Die Gewährung eines Rechtsanspruches bietet, wenn keiner der gesetzlich vorgesehenen Versagungsgründe eingreift, Schutz davor, dass dieser Anspruch durch die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung an einen Dritten vereitelt wird. Schon im Vorfeld hat die Genehmigungsbehörde potentiellen Bewerbern/Konkurrenten die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen, um ihnen eine sachgerechte Entscheidung über die Beteiligung an dem Genehmigungsverfahren zu ermöglichen.633 Die Genehmigung ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, kein Dauerverwaltungsakt. Wenn Genehmigungsvoraussetzungen nachträglich entfallen, wird die Genehmigung nicht rechtswidrig; sie kann gem § 25 PBefG widerrufen werden. Der Erfolg der Anfechtungsklage, mit der der abgelehnte Bewerber die Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung an seinen Konkurrenten angreift und einen entsprechenden „Konkurrentenverdrängungsanspruch“ 634 geltend macht, richtet sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.635 Beim Gelegenheitsverkehr mit Taxen ist die Genehmigung zu versagen, wenn die 167 öffentlichen Verkehrsinteressen dadurch beeinträchtigt werden, dass durch die Neuzulassung das örtliche Taxigewerbe in seiner Funktionsfähigkeit bedroht wird.636 Bei der abwägenden Bewertung der öffentlichen Verkehrsinteressen hat die Genehmigungsbehörde einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum.637 Die nähere Regelung der Neuzulassung von Taxen mit Hilfe eines Beobachtungszeitraums und eines qualifizierten Prioritätsgrundsatzes, die wegen Art 12 I GG durch das Gesetz vorzunehmen war, ist ein Beispiel für eine Ausgestaltung der Verteilungsgerechtigkeit bei einem reglementierten Dienstleistungsmarkt. Das Verbot, Mietwagen auf öffentlichen Straßen und Plätzen taxiähnlich bereitzustellen und dort Beförderungsaufträge entgegenzunehmen, schützt den stärker reglementierten Droschkenverkehr, an dessen Existenz und Funktions630 631 632 633 634 635 636 637

BVerwG DVBl 1990, 774. BVerwG DVBl 1988, 538. P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 304. BVerwG NJW 2003, 2629 → JK 4/04 GG Art 12 I/71. P. M. Huber Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 94. BVerwG DVBl 2000, 1614. BVerwG DVBl 1990, 50. BVerwG NJW 1989, 3233 für den Linienverkehr; BVerwGE 79, 208 für die prognostische Beurteilung bei der Zulassung neuer Taxen.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht

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fähigkeit ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht. Das Rückkehrgebot für Mietwagen (§ 49 IV 3 PBefG) sichert als verhältnismäßige Regelung der Berufsausübung dieses Verbot.638 Der gewerbliche Güterkraftverkehr ist nach dem GüKG erlaubnispflichtig, so- 168 weit sich nicht aus dem unmittelbar anwendbaren Unionsrecht, insbesondere aus der VO/EG Nr 881/92 etwas anderes ergibt (§§ 3 I, 6 S 2 Nr 1 GüKG).639 Die Durchführung von gewerblichem Güterkraftverkehr in Deutschland ist allein von der Erfüllung subjektiver Berufszulassungsvoraussetzungen abhängig (persönliche Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit, fachliche Eignung). Um den deutschen Transportunternehmen gleiche Wettbewerbschancen innerhalb des europäischen Binnenmarktes und des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) zu eröffnen, sind die früheren Kontingentierungen im Güterfernverkehr (Kabotage) und die Nahzone 1998 abgeschafft worden640. Auch der Tarifzwang wurde im Zuge der Liberalisierung der Verkehrsmärkte beseitigt.641. Der unionsrechtlich induzierte Abbau und zT Wegfall der Reglementierung des Güterkraftverkehrs haben den Aufgabenkreis der vormaligen Bundesanstalt für den Güterfernverkehr grundlegend verändert. Sie ist infolgedessen in das Bundesamt für Güterverkehr umgewandelt worden, eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, der die Verwaltungsaufgaben des Bundes auf dem Gebiet des Güterkraftverkehrs zugewiesen sind, insbes die Überwachung der gesetzlichen Pflichten der in- und ausländischen Unternehmen des gewerblichen Güterkraftverkehrs (§§ 11 II GüKG).

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BVerfGE 81, 70. Lammich/Pöttinger Gütertransportrecht, Lsbl; Trinkaus/Maiwurm/Joseph/Niehüsener/ Vorrath Güterkraftverkehrsrecht, Lsbl. G zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts v 22. 6. 1998 (BGBl I 1485); Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks 13/9314. G zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr v 13. 8. 1993 (BGBl I 1489).

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VIERTES KAPITEL

Baurecht Walter Krebs

Gliederung I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben, Begriff und Gegenstände des Baurechts . . . . . . . a) Privates Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentliches Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnis des Städtebaurechts zum Bauordnungsrecht . 2. Die verfassungsrechtliche Vorordnung des Baurechts . . . . . . a) Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung für das öffentliche Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzgebungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verwaltungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden . . . . . . . . . . . c) Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Baurecht und Baufreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . II. Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben, Leitvorstellungen und Prinzipien der Raumordnung . 2. Zielsetzung der Raumordnungsplanung und Typen planerischer Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zielsetzung der Raumordnungsplanung . . . . . . . . . . . b) Typen planerischer Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Raumordnungsplanung auf der Ebene des Bundes . . . . . . . a) Inhalt der Raumordnungsgrundsätze des Bundes . . . . . . b) Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze des Bundes . 4. Raumordnungsplanung auf der Ebene der Länder . . . . . . . a) Rahmenrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Vorgaben für Raumordnungspläne . . . . . bb) Besondere Vorgaben für Raumordnungspläne . . . . . . b) Landesrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Raumordnungsplanung für das gesamte Landesgebiet . . bb) Regionalplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwirklichung der Landesraumordnungsplanung . . . . . . 5. Sonstige Instrumente der Raumordnung . . . . . . . . . . . . a) Landesplanerische Untersagung . . . . . . . . . . . . . . .

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9–15 9 10–14 15 16–25 26–33 27–30 31–33

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34–72 36–37

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38–41 38 39–41 42–45 43 44–45 46–61 46–52 48–51 52 53–60 54–57 58–60 61 62–66 63–64

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4. Kap b) Raumordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutzfragen des Raumordnungsrechts . . . a) Rechtsschutzkonstellationen . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne . . . .

Walter Krebs . . . .

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65– 66 67– 72 67 68– 72

III. Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typen der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Flächennutzungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bebauungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorhabenbezogener Bebauungsplan gem § 12 BauGB . . . . 2. Aufstellung der Bauleitpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Planungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anpassungs- und Entwicklungspflichten . . . . . . . . . . . . . c) Abwägungsgebot und Planungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . aa) Bauleitplanung und Struktur der Planungsnormen . . . . . . bb) Rechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufstellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Außerkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans . . . . . . . . . . . . aa) § 30 I BauGB bzw § 30 II BauGB . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen und Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich . . . . . . . . . . . e) Zulässigkeit von Vorhaben aufgrund besonderen Grundrechtsschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Instrumente und Maßnahmen zur Verwirklichung und Sicherung der Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen . . . . b) Grundstücksteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemeindliche Vorkaufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umlegung und vereinfachte Umlegung . . . . . . . . . . . . . . e) Erschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Städtebauliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderes Städtebaurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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73–189 73– 88 75– 81 75– 77 78– 81 82– 88 82– 85 86– 87 88 89–121 89– 93 94– 96 97–107 97– 99 100–104 105–107 108–115 116–120 121 122–142 122–126

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127–128 127 128

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129–131 132–137

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138–141 142

408

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. . 143–175 . . 144–147 148–149, 153 . . 154–157 . . 158–160 . . 161–164 . . 165–171 . . 166 . . 167–168 . . 169 . . 170 . . 171 . . 172–175 . . 176–181

Baurecht

4. Kap

a) Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen . b) Stadtumbau . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erhaltungssatzung und städtebauliche Gebote 6. Planschadensrecht . . . . . . . . . . . . . . . .

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177–180 180a 180b 181 182–189

IV. Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionen des Bauordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ästhetische Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ökologische Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die baurechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bauaufsichtsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zulassung von Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genehmigungsbedürftige Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Genehmigungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anspruch auf Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausnahmen und Befreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Wirksamkeit, Geltungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht-genehmigungsbedürftige Vorhaben . . . . . . . . . . . . . 5. Bauüberwachung und (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände a) Bauüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände . . . . . . . . . aa) Ermächtigungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestandsschutz rechtmäßig errichteter Anlagen . . . . . . . . cc) Vorgehen gegen rechtswidrig errichtete Anlagen . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190–227 190–200a 191–195 196–199 200 200a 201 202 203–215 204–214 204 205 206 207 208–209 210–213 214 215 216–227 216–217 218–227 219–221 222 223–227

V. Rechtsschutzfragen des Städtebau- und Bauordnungsrechts 1. Gerichtlicher Rechtsschutz gegen städtebauliche Pläne . a) Prinzipale Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . b) Individualrechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . 2. Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung . . . . . . . a) Verpflichtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen . . . . . . 3. Drittschutz (Nachbarschutz) . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des „Nachbarn“ . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfachgesetzlicher Drittschutz . . . . . . . . . . . c) Unvermittelter grundrechtlicher Drittschutz . . . . . d) Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

228–245 228–229 228 229 230–231 230 231 232–245 233 234–238 239 240–245

. . . . . . . . . . . .

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Gesetze Bund: RaumordnungsG (ROG) v 18. 8. 1997 (BGBl I 2081), zul geänd am 3. 5. 2005 (BGBl I 1224), Sartorius I Nr 340.

409

4. Kap

Walter Krebs

Baugesetzbuch (BauGB) idF v 23. 9. 2004 (BGBl I 2414), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 300. VO über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung – BauNVO) idF v 23. 1. 1990 (BGBl I 132), zul geänd am 22. 4. 1993 (BGBl I 466), Sartorius I Nr 311. VO über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (WertermittlungsVO – WertV) v 6. 12. 1988 (BGBl I 2209), zul geänd am 18. 8. 1997 (BGBl I 2081), Sartorius ErgBd Nr 310. VO über die Ausarbeitung und die Darstellung des Planinhalts (PlanzeichenVO – PlanzV) v 18. 12. 1990 (BGBl I 1991, 58), Sartorius ErgBd Nr 312. G über Naturschutz und Landschaftspflege (BundesnaturschutzG – BNatSchG) v 25. 3. 2002 (BGBl I 1193), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 2005, 186), Sartorius I Nr 880. G über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) idF v 5. 9. 2001 (BGBl I 2350), zul geänd am 3. 5. 2005 (BGBl I 1224), Sartorius I Nr 295. Länder: Baden-Württemberg: LandesplanungsG (LPlG BW) v 10. 10. 1983 (GBl 621) idF v 10. 7. 2003 (GBl 385), zul geänd am 14. 12. 2004 (GBl 882). LandesbauO (BauO BW) für Baden-Württemberg v 8. 8. 1995 (GBl 617), zul geänd am 27. 10. 2004 (GBl 771). Bayern: Bayerisches LandesplanungsG (LPlG Bay) v 27. 12. 2004 (GVBl 2004, 521). Bayerische BauO (BauO Bay) idF 4. 8. 1997 (GVBl 433, ber GVBl 1998, 270), zul geänd am 9. 7. 2003 (GVBl 419). Berlin: G zum Staatsvertrag über die Aufgabe und Trägerschaft sowie Grundlagen und Verfahren der gemeinsamen Landesplanung zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg (Landesplanungsvertrag) v 4. 7. 1995 (GVBl 407), zul geänd am 26. 6. 2001 (GVBl 208). BauO für Berlin (BauO Bln) idF v 3. 9. 1997 (GVBl 421, ber 512), zul geänd am 16. 7. 2001 (GVBl 260). Brandenburg: Brandenburgisches LandesplanungsG (LPlG Bbg) idF v 12. 12. 2002 (GVBl I 2003, 9). G zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg idF v 12. 12. 2002 (GVBl I 2003, 2). Brandenburgische BauO (BauO Bbg) idF v 16. 7. 2003 (GVBl I 210), zul geänd am 9. 10. 2003 (GVBl I 273). Bremen: Bremische LandesbauO (BauO Brem) v 27. 3. 1995 (GBl 211), zul geänd am 8. 4. 2003 (GBl 159). Hamburg: Hamburgische BauO (BauO Hbg) v 1. 7. 1986 (GVBl 183), zul geänd am 5. 10. 2004 (GVBl 375). Hessen: Hessisches LandesplanungsG (LPlG Hess) v 6. 9. 2002 (GVBl I 548). Hessische BauO (BauO Hess) v 18. 6. 2002 (GVBl I 274).

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Baurecht

4. Kap

Mecklenburg-Vorpommern: G über die Raumordnung und Landesplanung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LPlG MV) idF v 5. 5. 1998 (GVOBl 503, ber 613). LandesBauO Mecklenburg-Vorpommern (BauO MV) idF v 6. 5. 1998 (GVOBl 468, ber 612), zul geänd am 16. 12. 2003 (GVOBl 690). Niedersachsen: Niedersächsisches G über Raumordnung und Landesplanung (ROG Nds) v 18. 5. 2001 (GVBl 301), zul geänd am 5. 11. 2004 (GVBl 412). Niedersächsische BauO (BauO Nds) idF v 10. 2. 2003 (GVBl 89), zul geänd am 5. 11. 2004 (GVBl 404). Nordrhein-Westfalen: LandesplanungsG (LPlG NW) idF v 3. 5. 2005 (GV 430). BauO für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NW) idF v 1. 3. 2000 (GV 256), zul geänd am 4. 5. 2004 (GV 259). Rheinland-Pfalz: LandesplanungsG (LPlG RP) v 10. 4. 2003 (GVBl 41). LandesbauO Rheinland-Pfalz (BauO RP) v 24. 11. 1998 (GVBl 365), zul geänd am 12. 5. 2005 (GVBl 154). Saarland: Saarländisches LandesplanungsG (LPlG Saarl) v 12. 6. 2002 (ABl 1506). BauO für das Saarland (BauO Saarl) v 27. 3. 1996 (ABl 477), zul geänd am 19. 5. 2004 (ABl 1498). Sachsen: G zur Raumordnung und Landesplanung des Freistaates Sachsen (LPlG Sachs) v 14. 12. 2001 (GVBl 716). Sächsische BauO (BauO Sachs) idF v 28. 5. 2004 (GVBl 200). Sachsen-Anhalt: LandsplanungsG des Landes Sachsen-Anhalt (LPlG LSA) v 28. 4. 1998 (GVBl 255), zul geänd am 16. 7. 2003 (GVBl 158). BauO Sachsen-Anhalt (BauO LSA) v 19. 7. 2004 (GVBl 408). Schleswig-Holstein: G über die Landesplanung (LPlG SchlH) idF v 10. 2. 1996 (GVOBl 232), zul geänd am 16. 9. 2003 (GVOBl 503). G über Grundsätze zur Entwicklung des Landes idF v 31. 10. 1995 (GVOBl 364). LandesbauO für das Land Schleswig-Holstein (BauO SchlH) idF v 10. 1. 2000 (GVOBl 47, ber 213), zul geänd am 15. 6. 2004 (GVOBl 153). Thüringen: Thüringer LandesplanungsG (LPlG Thür) v 18. 12. 2001 (GVBl 485). Thüringer BauO (BauO Thür) idF v 16. 3. 2004 (GVBl 349).

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4. Kap

Walter Krebs

Literatur Allgemeines: W. Arenz/W. Cholewa/H. Dyong/H.-J. von der Heide Raumordnung in Bund und Ländern, Lsbl (Stand: November 2003). U. Battis Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 4. Aufl 1999. U. Battis/M. Krautzberger/R.-P. Löhr Baugesetzbuch, 9. Aufl 2005. W. Bielenberg/P. Runkel/W. Spannowsky Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Lsbl (Stand: September 2004). W. Brohm Öffentliches Baurecht, 3. Aufl 2002. H. Brügelmann ua Baugesetzbuch, Lsbl (Stand: Oktober 2003). D. Dörr Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 544 ff. W. Erbguth Bauplanungsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 627 ff. W. Erbguth/J. Schoeneberg Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 2. Aufl 1992. W. Erbguth/J. Wagner Grundzüge des öffentlichen Baurechts, 4. Aufl 2005. W. Ernst/W.Zinkahn/W.Bielenberg/M.Krautzberger Baugesetzbuch, Lsbl (Stand: September 2004). H.-C. Fickert/H. Fieseler Baunutzungsverordnung, 10. Aufl 2002. K. Finkelnburg Bauplanungsrecht, in: ders/Ortloff (Hrsg), Öffentliches Baurecht, Bd I, 5. Aufl 1998 (6. Aufl 2004). K.-H. Friauf Baurecht, in: v Münch (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl 1988, 477 ff. W. Hoppe/C. Bönker/S. Grotefels Öffentliches Baurecht, 3. Aufl 2004. W. Hoppe/J. Schoeneberg Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und des Landes Niedersachsen, 1987. M. Hoppenberg/de Witt (Hrsg), Handbuch des öffentlichen Baurechts, Lsbl (Stand: September 2004). H. Jäde/F. Dirnberger/J. Weiß Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung, 4. Aufl 2005. H.-J. Koch/R. Hendler Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 4. Aufl 2004. M. Oldiges Baurecht, in: U. Steiner (Hrsg), BesVwR, 7. Aufl 2003, 531 ff. K. M. Ortloff Bauordnungsrecht, Nachbarschutz, Rechtsschutz, in: Finkelnburg/Ortloff (Hrsg), Öffentliches Baurecht, Bd II, 5. Aufl 2005. F.-J. Peine Öffentliches Baurecht, 4. Aufl 2003. W.-R. Schenke Bauordnungsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 748 ff. O. Schlichter/R. Stich/H. Driehaus/S. Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 3. Aufl 2003/2005, Lsbl (Stand: 4. EL). E. Schmidt-Aßmann Grundfragen des Städtebaurechts, 1972. H. Schrödter (Hrsg), Baugesetzbuch, 6. Aufl 1998. U. Steiner Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders (Hrsg), BesVwR, 7. Aufl 2003, 829 ff. B. Stüer Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 3. Aufl 2005. B. Stüer Der Bebauungsplan, 2. Aufl 2001. Zur Einarbeitung in das Landesrecht: G. H. Reichel/B. H. Schulte Handbuch Bauordnungsrecht, 2004. Baden-Württemberg: H. Dürr Baurecht für Baden-Württemberg, 11. Aufl 2004. G. Schlez Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 4. Aufl 1996.

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Baurecht

4. Kap

K. Schlotterbeck/A. v Arnim/G. Hager Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 5. Aufl 2003. E. Schmidt-Aßmann/H.-H. Trute Raumordnung und Landesplanung, in: Maurer/Hendler (Hrsg), Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1990, 351 ff. Bayern: H. Jäde/M. Weinl/F. Dirnberger Die neue Bayerische Bauordnung, Lsbl (Stand: Juni 2004). A. Simon/J. Busse Bayerische Bauordnung, Lsbl (Stand: November 2004). Berlin: H. Dürr/A. Korbmacher Baurecht für Berlin, 2. Aufl 2001. D. Hahn/M. Radeisen Bauordnung für Berlin, 2. Aufl 2000. Brandenburg: H. Jäde/F. Dirnberger/V. Reimus Bauordnungsrecht Brandenburg, Lsbl (Stand: November 2004). V. Reimus/M. Semtner/R. Langer Die neue Brandenburgische Bauordnung, 2. Aufl 2004. Hamburg: I. Alexejew/E. Haase/P. Großmann/E. Möhl Hamburgisches Bauordnungsrecht, Lsbl (Stand: September 2003). Hessen: E. Allgeier/J. v Lutzau Die Bauordnung für Hessen, 7. Aufl 2003. H. Dürr/H. Hinkel Baurecht Hessen, 2. Aufl 2005. G. Hermes Baurecht, in: Meyer/Stolleis (Hrsg), Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, 5. Aufl 2000, 361 ff. Mecklenburg-Vorpommern: H. Dürr/M. Sauthoff Baurecht Mecklenburg-Vorpommern, 2005. Niedersachsen: U. Große-Suchsdorf/D. Lindorf/H. K. Schmalz ua Niedersächsische Bauordnung, 7. Aufl 2002. H. Meier Raumordnung und Landesplanung, in: Faber/Schneider (Hrsg), Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1985, 329 ff. Nordrhein-Westfalen: H. Dürr/A. Middeke Baurecht Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl 2005. H. Gädtke/H.-G. Temme/D. Heintz Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, 10. Aufl 2003. F. Thiel/W. E. Moog/E. W. Klauke Baurecht in Nordrhein-Westfalen, Lsbl (Stand: Oktober 2004). Rheinland-Pfalz: H. Dürr/C. Seiler-Dürr Baurecht Rheinland-Pfalz, 2. Aufl 2005. R. Stich/H. Gabelmann/K. W. Porger Landesbauordnung Rheinland-Pfalz, Lsbl (Stand: Juli 2003). Sachsen: H. Dürr/A. Ebner Baurecht Sachsen, 3. Aufl 2005. H. Jäde/F. Dirnberger/G. Böhme Bauordnungsrecht Sachsen, Lsbl (Stand: Oktober 2004). Sachsen-Anhalt: H. Dürr/D. Bücken-Thielmeyer/R. Himstedt Baurecht Sachsen-Anhalt, 2005. H. Jäde/F. Dirnberger/G. Weber Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, Lsbl (Stand: Juni 2003). Schleswig-Holstein: H.Domning/G.Möller/M. Suttkus Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, Lsbl (Stand: Juni 2004). H. Dürr/H. Alberts Baurecht Schleswig-Holstein, 2005.

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4. Kap I 1 a

Walter Krebs

Thüringen: H. Dürr/M. Aschke Baurecht Thüringen, 2. Aufl 2005. H. Jäde/M. Weinl/F. Dirnberger/T. Michel Bauordnungsrecht Thüringen, Lsbl (Stand: Oktober 2004).

I. Einführung 1. Aufgaben, Begriff und Gegenstände des Baurechts 1 Jedermann lebt in Raum und Zeit. Gestalt und Gestaltung des Raumes berühren die Lebensverhältnisse jedes einzelnen, zT elementar. Wohnen, Arbeiten und Erholen sind mehr oder minder auch abhängig von den natürlichen und künstlichen Gegebenheiten des Raumes. Jede Beanspruchung des Raumes sowohl durch Private als auch durch Einrichtungen des Staates trifft auf viele, häufig unterschiedliche Interessen. Dieser Umstand erklärt nicht nur die Notwendigkeit eines Ausgleichs privater und öffentlicher Interessen durch eine rechtliche Ordnung der Raumnutzung. Die vielfältige Betroffenheit von privaten und öffentlichen Belangen durch raumbezogene Maßnahmen verdeutlicht auch, dass es zahlreicher, richtiger: zahlloser Regelungen bedarf, um diese rechtliche Ordnung zu erstellen: rechtliche Regelungen über die Entwicklung des Raumes, Regelungen über die konkrete Nutzbarkeit des Raumes in Gemeinden, Regelungen über die Anforderungen an Gebäude, Regelungen zum Ausgleich privater Nutzungsinteressen. Von daher verwundert es nicht, dass sich Regelungen über die Nutzbarkeit und Nutzung von Grund und Boden in vielen Teilen der gesamten Rechtsordnung finden. a) Privates Baurecht 2 Die rechtliche Ordnung der Raumgestaltung und Bodennutzung ist zwar vornehmlich, aber nicht exklusiv Aufgabe des öffentlichen Rechts. Auch im Zivilrecht gibt es Normen, die sich auf die Nutzung von Grund und Boden und insbesondere auf die Errichtung von Bauwerken beziehen oder zumindest im Einzelfall dafür Bedeutung erlangen können. Zu dem in diesem Sinn privaten Baurecht 1 zählen zB die Vorschriften des BGB über Grundeigentum und Nachbarrecht (§§ 903 ff BGB); baurechtliche Bedeutung können zudem auch das Werkvertragsrecht (§§ 631ff BGB) und das Deliktsrecht (§§ 823 ff BGB) haben. Die aufgrund von Art 124 EGBGB erlassenen Nachbarrechtsgesetze der Bundesländer 2 enthalten ua privatrechtliche Vorschriften über Grenzabstände für Gebäude, Fenster- und Lichtrechte, Nachbarwände und Grenzwände.

1 2

Dazu H. Locher/U. Locher Das private Baurecht, 7. Aufl 2005. Vgl die Nachw der gesetzlichen Fundstellen und der Kommentarliteratur bei Bassenge in: Palandt, BGB, 64. Aufl 2005, Art 124 EGBGB Rn 2. Zum Verhältnis des öffentlichen zum privaten Nachbarrecht Dolderer DVBl 1998, 19 ff.

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Baurecht

4. Kap I 1 b bb

b) Öffentliches Baurecht Im öffentlichen Recht gibt es neben dem eigentlichen „Baurecht“ zahlreiche Rechts- 3 gebiete, die zwar nicht spezifisch baurechtlicher Natur sind, sich aber entweder zT auch auf die Raumgestaltung und Bodennutzung und auf bauliche Anlagen sowie deren Nutzung beziehen oder jedenfalls im Einzelfall dafür bedeutsam sein können. Zu diesen Rechtsgebieten zählen zB das Immissionsschutzrecht, Naturschutzrecht, Wasserhaushaltsrecht, Waldrecht, Atomrecht, Abfallrecht sowie das Wohnungsbauförderungsrecht. Versteht man unter öffentlichem Baurecht die Gesamtheit der rechtlichen Regelungen, „die sich auf die Zulässigkeit, die Ordnung und die Förderung der Errichtung von baulichen Anlagen sowie auf die bestimmungsgemäße Nutzung dieser Anlagen beziehen“,3 dann lassen sich viele Vorschriften der genannten Rechtsgebiete diesem Begriff zuordnen. Rechtssystematisch wird der Begriff des öffentlichen Baurechts aber als Oberbegriff für die Rechtsmaterien des Städtebaurechts (Bauplanungsrecht) und des Bauordnungsrechts verwendet. Bei einem erweiterten Begriffsverständnis, das das Recht der Raumgestaltung und -planung einbezieht, gehören zum öffentlichen Baurecht auch die Rechtsmaterien des Raumordnungsrechts. aa) Raumordnungsrecht: Unter dem gesetzlich nicht definierten Begriff der 4 Raumordnung kann – mit dem BVerfG 4 – die „zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes“ verstanden werden. Ziel der Raumordnung ist es, die unterschiedlichen individuellen und kollektiven Ansprüche an die Raumnutzung auf überörtlicher Ebene übergreifend aufeinander abzustimmen. Sie bezieht sich sowohl auf die vorfindlichen als auch auf die anzustrebenden Gegebenheiten des Raumes und umfasst zum einen die Entwicklung und Durchsetzung von Leitvorstellungen für eine übergreifende Ordnung des Raumes sowie zum anderen die Abstimmung und Koordination der raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen der verschiedenen staatlichen Träger dieser Aufgabe (Bund, Länder, Kommunen). Die Aufgabe des Raumordnungsrechts liegt insbesondere in der Zusammenfügung der Planungen unterschiedlicher Planungsstufen (Planung des Bundes, Landesplanung, Regionalplanung, Ortsplanung) zu einem konsistenten Planungssystem. Insoweit ist das Raumordnungsrecht auch mit dem Städtebaurecht verklammert. bb) Städtebaurecht, häufig auch als Bauplanungsrecht bezeichnet, ist flächen- 5 bezogen und bezieht sich auf die Raumnutzung und Raumgestaltung innerhalb der Gemeinde nach städtebaulichen Gesichtspunkten. Es ist weitestgehend bundesrechtlich im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt, das die Rechtsmaterie in ein Allgemeines und ein Besonderes Städtebaurecht unterteilt. Das Erste Kapitel des BauGB – „Allgemeines Städtebaurecht“ – regelt ua die verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Voraussetzungen für die Aufstellung kommunaler Bauleitpläne (Flächennutzungsplan/Bebauungspläne), die – auch rechtlich (§1 IV BauGB) – im Verbund des Planungssystems der Raumordnung stehen und die Raumnutzung in der Gemeinde nach überörtlichen und örtlichen Gesichtspunkten vorbereiten und leiten. Dabei enthalten sie sowohl Festlegungen und Vorgaben für den gemeindlichen Planungs3 4

Friauf 8. Aufl, 483. Dies ist die übliche Definition. BVerfGE 3, 407, 425.

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prozess als auch rechtsverbindliche Maßgaben für die Grundstücksnutzung durch den Bürger. Das allgemeine Städtebaurecht regelt weiterhin die Frage, ob ein Grundstück bebaubar ist und – unter städtebaulichen Gesichtspunkten – wie es bebaubar ist (zB Wohnen, Gewerbe, Geschosszahlen). Darüber hinaus enthält es das Planschadensrecht und zahlreiche bodenrechtliche Vorschriften, die der Durchsetzung der in den Bauleitplänen festgelegten Planungsvorstellungen dienen: Bestimmungen über den Bodenverkehr und Umlegungen („Bodenordnung“), Enteignungen, die Erschließung von Grundstücken sowie Maßnahmen für den Naturschutz. In einem Zweiten Kapitel – „Besonderes Städtebaurecht“ – befasst sich das BauGB insbesondere mit Maßnahmen zur Bewältigung besonderer städtebaulicher Problemlagen. So sollen mit Hilfe von Sanierungsmaßnahmen städtebauliche Missstände in Gebieten mit veralteter Bausubstanz beseitigt und mit Hilfe von Entwicklungsmaßnahmen Siedlungsgebiete erweitert und entwickelt bzw neu erstellt werden. Darüber hinaus soll durch Maßnahmen des Stadtumbaus und der „Sozialen Stadt“ eine nachhaltige und sozial ausgewogene Stadtentwicklung gewährleistet werden. cc) Bauordnungsrecht: Anders als das flächenbezogene Bauplanungsrecht ist das 6 Bauordnungsrecht objektbezogen und regelt die ordnungsrechtlichen Anforderungen an ein konkretes Bauwerk. Es dient zum einen der Gefahrenabwehr (ehemals: „Baupolizeirecht“) und zum anderen der Verhütung von Verunstaltungen, der Wahrnehmung sozialstaatlicher Anliegen sowie der Sicherung ökologischer Standards.5 dd) Verhältnis des Städtebaurechts zum Bauordnungsrecht: Beide Regelungs7 komplexe stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern weisen materiellrechtliche Überschneidungsbereiche auf und sind verfahrensrechtlich miteinander verklammert. So stellt das flächenbezogene Städtebaurecht materiell-rechtliche Anforderungen an das konkrete Bauwerk insofern, als sich dieses in den festgelegten Charakter des jeweiligen Gebietes einzufügen hat. Andererseits stellt das objektbezogene Bauordnungsrecht nicht nur Anforderungen an die Konstruktion und Gestaltung der baulichen Anlagen, sondern enthält auch Regelungen über die Beziehungen des Bauwerks zu seiner Nachbarschaft. Dabei kann die Rechtsanwendung im Einzelfall besondere Rechtsprobleme aufwerfen, wenn sich die städtebaulichen und bauordnungsrechtlichen Bestimmungen nicht nur ergänzen, sondern einander mit unterschiedlichen Anforderungen gegenüberstehen.6 So kann es beispielsweise zu einem Konflikt zwischen planungsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich überbaubarer Grundstücksflächen und bauordnungsrechtlichen Maßgaben für freizuhaltende Abstandsflächen kommen. Derartige Konflikte erfordern allgemeine (Art 31 GG) wie besondere Kollisionsnormen (zB § 6 I 3 MBO 7). Eine verfahrensrechtliche 5 6

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Ortloff in: Finkelnburg/Ortloff (Hrsg), BauR II, 7 f. Vgl auch § 3 I MBO sowie u Rn 190 ff. Dazu ausf Proksch Das Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1981, 43 ff. Vgl auch BVerwG NVwZ 1994, 1008, 1008 f. §§ 5 I 2, 6 V BauO BW; Art 6 I 2, 3, 4 BauO Bay; § 6 I 2, 3, 4 BauO Bln; § 6 I 2 BauO Bbg; § 6 I 2, 3, 4 BauO Brem; § 6 I 2 BauO Hbg; § 6 I 2, 3, 4 BauO Hess; § 6 I 2, 3, 4 BauO MV; § 8 I, II, III BauO Nds; § 6 I 2, 3, 4 BauO NW; § 8 I 2, 3, 4 BauO RP; § 7 I 2, 3, 4 BauO Saarl; § 6 I 3 BauO Sachs; § 6 I 2, 3, 4 BauO LSA; § 6 I 2, 3, 4 BauO SchlH; § 6 I 3 BauO Thür.

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Verklammerung von Städtebaurecht und Bauordnungsrecht erfolgt bei genehmigungsbedürftigen Vorhaben im bauordnungsrechtlich geregelten Baugenehmigungsverfahren und im Übrigen zB in den ebenfalls bauordnungsrechtlich geregelten Verfahren der Bauüberwachung und der (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände.8 Ein konkretes Bauvorhaben muss sowohl den städtebaulichen als auch den bauordnungsrechtlichen Vorschriften genügen, so dass bei der Prüfung seiner Rechtmäßigkeit idR sowohl die planungsrechtliche als auch die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu untersuchen ist.9

2. Die verfassungsrechtliche Vorordnung des Baurechts Ebenso wie jedermann von Gestalt und Gestaltung des Raumes mehr oder minder 8 intensiv betroffen ist, haben mehr oder minder alle Untergliederungen des politischen Gemeinwesens und Mitglieder der Gesellschaft Anteil an den Entscheidungen über die Raumgestaltung. Das gilt sowohl für den Staat in seiner Erscheinungsform vielgestaltiger Untergliederungen, der mit gesetzgeberischen und exekutiven Entscheidungen die Gestaltung und Entwicklung des Raumes betreibt, als auch für Private, die insbesondere mit ihren Entscheidungen über die bauliche und sonstige Nutzung von Grund und Boden an der Raumgestaltung beteiligt sind. Eine rechtliche Ordnung des Gesamtgeschehens muss daher einerseits eine Zuständigkeitsordnung sein, andererseits aber auch inhaltliche Vorgaben für staatliche und private Raumgestaltungsentscheidungen enthalten. Das Verfassungsrecht als Teil dieser rechtlichen Ordnung enthält Aussagen sowohl in der einen wie in der anderen Hinsicht. a) Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung für das öffentliche Baurecht aa) Gesetzgebungszuständigkeiten: Nach dem prinzipiellen grundgesetzlichen Ver- 9 teilungsmodus für die Gesetzgebungskompetenzen haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit nicht das GG dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht (Art 70 I GG). Wenn und soweit die Voraussetzungen des Art 72 II GG vorliegen, hat der Bund das Gesetzgebungsrecht ua für den Grundstücksverkehr und das Bodenrecht (Art 74 I Nr 18 GG) und darf ua für die Bodenverteilung und die Raumordnung (Art 75 I 1 Nr 4 GG) Rahmenvorschriften erlassen. Der Inhalt dieser Begriffe ist und war insbesondere in der Vergangenheit nicht unumstritten.10 Praktische Aktualität erlangte der Streit anlässlich des Projektes eines (Bundes-) Baugesetzes, das das Bau-, Boden-, Planungs-, Anlieger- und Umlegungsrecht im Zusammenhang und bundeseinheitlich regeln sollte. Zur Klärung des Umfanges der Bundeskompetenzen ersuchten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung das BVerfG um die Erstattung eines Rechtsgutachtens,11 das diesem Antrag am 16. 6. 8

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Zum Baugenehmigungsverfahren vgl u Rn 210 ff. Zu den Verfahren der Bauüberwachung und der (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände vgl u Rn 216 ff. In der genannten Reihenfolge, vgl OVG Hamburg BRS 27, Nr 117; Friauf (Fn 3) 490. Dazu Kunig in: v Münch/Kunig, GG III, Art 74 Rn 81 ff und Art 75 Rn 32 ff. Nach § 97 BVerfGG aF, aufgehoben durch G v 21. 7. 1956 (BGBl I 662).

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1954 entsprach.12 Das BVerfG geht davon aus, dass sich weder aus den im GG aufgeführten Einzelzuständigkeiten noch aus der „Natur der Sache“ 13 eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Gesamtmaterie des Baurechts herleiten lässt. Aus der „Natur der Sache“ habe der Bund eine ausschließliche Vollkompetenz nur hinsichtlich der „Raumplanung für den Gesamtstaat“.14 Für die Raumordnung im Übrigen (Landesplanung) komme ihm nur die in Art 75 I 1 Nr 4 GG vorgesehene Rahmengesetzgebungskompetenz zu, dh die Befugnis zu einer gesetzlichen Regelung, die einer landesgesetzlichen Ausfüllung fähig und bedürftig sein muss.15 Für das Städtebaurecht folgte nach dem Baurechtsgutachten des BVerfG aus Art 74 Nr 18 GG aF unter der Voraussetzung des Art 72 II GG eine Bundeszuständigkeit für die städtebauliche Planung, die Baulandumlegung, die Zusammenlegung von Grundstücken, den Bodenverkehr, die Bodenbewertung, soweit sie sich auf diese Gebiete bezieht, sowie die Erschließung.16 Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v 27. 10. 1994 17 wurde Art 74 I Nr 18 GG geändert und das Recht der Erschließungsbeiträge von der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit ausgenommen. Seither unterfällt es der Kompetenz der Länder. Daneben verbleibt die Gesetzgebungsbefugnis für das Bauordnungsrecht und – im Rahmen des Raumordnungsrechts des Bundes – für das Landesplanungsrecht bei den Ländern. bb) Rechtsquellen: Der Bund hat seine ihm kraft „Natur der Sache“ zugestan10 dene Vollkompetenz für die Bundesraumordnung nicht vollständig ausgeschöpft. Das Raumordnungsgesetz (ROG) v 8. 4. 1965 stellte im Wesentlichen einen – weiten – Rahmen für die Landesraumordnung dar. Im neugefassten ROG v 18. 8. 1997 18 macht der Bund von seiner Vollkompetenz dadurch Gebrauch, dass er bundesweit geltende Leitvorstellungen und Grundsätze der Raumordnung normiert, die Rechtswirkungen bestimmter planerischer Aussagen mit unmittelbarer Geltung festlegt und zudem – wenige – Bestimmungen zur Raumordnung im Bund trifft. Im Übrigen enthält das Gesetz rahmenrechtliche Vorgaben für die Raumordnung in den Ländern. Diese findet ihre landesrechtlichen Grundlagen in den Landesplanungsgesetzen sowie in Raumordnungsplänen, die zT in Gesetzesform gefasst sind.19 Von seinen städtebaurechtlichen Gesetzgebungskompetenzen hat der Bund weit11 gehend Gebrauch gemacht. Die erste bundesrechtliche Kodifikation enthielt das Bundesbaugesetz (BBauG) v 23. 6. 1960, das später durch das Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) ergänzt wurde. Beide Gesetze fasst das Baugesetzbuch

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BVerfGE 3, 407 ff. Krit Schmidt-Aßmann FS Weyreuther, 1993, 73, 75 ff. Zu diesem „ungeschriebenen“ Kompetenztitel vgl näher BVerfGE 11, 89, 96 ff; 22, 180, 217; 26, 246, 257; Degenhart Staatsrecht I, 20. Aufl 2004, Rn 134. BVerfGE 3, 407, 427 f. Der Inhalt dieser Bundeskompetenz ist gleichwohl nicht abgeklärt. Vgl Art 75 II GG. BVerfGE 3, 407, 439. Nach alledem ist der Begriff des „Bodenrechts“ (Art 74 I Nr 18 GG) weiter zu verstehen als der der „Bodenordnung“ iSd BauGB, vgl o Rn 5. BGBl I 3146. Inkraftgetreten am 1. 1. 1998 gem Art 11 I des G zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung – BauROG v 18. 8. 1997 (BGBl I 2081). Zum Raumordnungsrecht u Rn 34 ff.

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(BauGB) aus dem Jahre 1986 zusammen.20 Seit der Wiederherstellung der Deutschen Einheit gilt es auch in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin, wurde dort allerdings zunächst durch eine Überleitungsvorschrift modifiziert und durch das Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch (BauGBMaßnG) 21 v 17. 5. 1990 ergänzt.22 Bereits 1993 wurden einige der Regelungen des BauGBMaßnG in das BauGB übernommen.23 Die Sonderregelungen für die neuen Bundesländer wurden zT gestrichen und zT in das BauGBMaßnG aufgenommen, das zugleich auch in den alten Bundesländern in Kraft gesetzt wurde. Durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (BauROG) v 18. 8. 1997 24 wurden die unterschiedlichen städtebaurechtlichen Rechtsquellen im BauGB wieder zusammengeführt. Das BauGB wurde ua durch aus dem BauGBMaßnG stammende Regelungen ergänzt bzw modifiziert 25 und gilt seit dem 1. 1. 1998 einheitlich in allen Bundesländern. Zuletzt hat es durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) v 24. 6. 2004 26 umfangreiche Änderungen erfahren, die in erster Linie seiner Anpassung an europarechtliche Vorgaben 27 dienen.28 Aufgrund dessen wurde das BauGB am 23. 9. 2004 neu bekannt gemacht.29 Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) 30, die nunmehr auf § 9 a BauGB beruht, 12 ergänzt die Bestimmungen des BauGB über die gemeindliche Bauleitplanung und die planungsrechtliche Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen. Ua vertypt und konkretisiert sie die Festsetzungen der Bebauungspläne, deren Bestandteil sie nach §1 III 2 BauNVO zT werden kann.31 Darüber hinaus kann sie über § 34 II 20

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Zum Inhalt vgl o Rn 5. Zur Entwicklung des Städtebaurechts davor und insgesamt Ehebrecht-Stüer FS Hoppe, 2000, 39 ff. Eine Übersicht zum BauGBMaßnG idF v 1990 bei Jäde UPR 1991, 50 ff. Es sollte insbes helfen, den damaligen Engpass in der Wohnraumversorgung durch rechtliche Erleichterungen des Wohnungsbaus zu beseitigen und war zunächst bis zum 1. 6. 1995 und dann bis zum 31. 12. 1997 befristet. Durch Art 2 des G zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland – InvWoBaulG v 22. 4. 1993 (BGBl I 446). Dazu zB Krautzberger NVwZ 1993, 520 ff; Lüers ZG 1993, 225 ff. BGBl I 2081. Dazu zB Battis/Krautzberger/Löhr NVwZ 1997, 1145 ff; Lüers ZfBR 1997, 231 ff, 275 ff. BGBl I 1359. Laut amtlicher Fußnote im BGBl dient das EAG Bau der Umsetzung der Richtlinien 2001/ 42/EG v 27. 6. 2001 (ABl EG Nr L 197, 30; sog Plan-UP-Richtlinie) sowie 2003/35/EG v 26. 5. 2003 (ABl EU Nr L 156, 17). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs wurde es ferner „zum Anlass genommen, der gemeindlichen Bauleitplanung ein einheitliches und übersichtliches Verfahren zur Verfügung zu stellen, mit dem den komplexen Anforderungen an die räumliche Planung effizient Rechnung getragen werden kann und das seiner besonderen Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung in Deutschland gerecht wird“ (vgl BT-Drucks 15/2250, 29). Vgl zu den Änderungen Finkelnburg NVwZ 2004, 897 ff. BGBl I 2414. Dazu zB Boeddinghaus BauNVO; Fickert/Fieseler BauNVO; König/Roeser/Stock BauNVO. Dazu u Rn 85.

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BauGB auch Bedeutung für die Zulässigkeit von Bauvorhaben in bestimmten Ortsteilen erlangen, die nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans liegen.32 Die aufgrund von § 9 a Nr 4 BauGB erlassene Planzeichenverordnung (PlanzV) 13 bestimmt im Wesentlichen die technischen Darstellungsmöglichkeiten und Planzeichen, die die Gemeinden bei der Erstellung der Bauleitpläne verwenden können. Die aufgrund von § 199 I BauGB ergangene Wertermittlungsverordnung (WertV) regelt, wie der Wert eines Grundstücks zu bestimmen ist, sofern es auf ihn im Zusammenhang mit städtebaulichen Maßnahmen ankommt. Das Bauordnungsrecht fällt in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder und 14 ist damit – ähnlich wie zB das Kommunalrecht – unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen zugänglich. Dem wirkt faktisch eine Musterbauordnung (MBO) entgegen, die eine Bund-Länder-Kommission 1959 erstmals erarbeitet hat und deren jetziger Fassung ein Beschluss v 8. 11. 2002 der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder (ARGEBAU) zugrunde liegt.33 An der MBO haben sich die landesgesetzlichen Landesbauordnungen (LBauOen) aller Bundesländer ausgerichtet. Allerdings haben die Länder bezüglich ihrer seit 1994 getroffenen Regelungen zur Vereinfachung, Beschleunigung oder Abschaffung des Baugenehmigungsverfahrens erst 2002 eine Abstimmung durch Änderung der MBO herbeigeführt. Insofern differiert das Landesrecht vielfach.34 cc) Verwaltungszuständigkeiten: Gem Art 83 GG führen grundsätzlich die Län15 der die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus. Die Länder haben also nicht nur die Verwaltungszuständigkeit für das landesgesetzlich geregelte Bauordnungsrecht, sondern auch für das bundesrechtlich geregelte Städtebaurecht. b) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden 16 Das Verfassungsrecht enthält nicht nur in Art 83 GG Vorgaben für die Verteilung exekutiver Entscheidungszuständigkeiten. Zudem bestimmt Art 28 II 1 GG im Verbund mit den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen,35 dass den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muss, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Sofern staatliche Entscheidungen über Raumgestaltung und Raumnutzung in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich gemeindlicher Selbstverwaltung fallen, werden die Gesetze über die Art und Weise der gemeindlichen Beteiligung an diesen Entscheidungen und die Gesetzesanwendung durch die Verfassungsgarantie mitbestimmt.

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Dazu u Rn 131. Der Text findet sich bei Jäde Musterbauordnung, 2003, sowie im Internet unter http:// www.is-argebau.de, Gliederungspunkt „MBO 2002“ (Stand: 22. 6. 2005). Dazu u Rn 212, 215. Zur Novellierung der MBO Jäde ZfBR 2002, 21 ff; ders NVwZ 2003, 668 ff. Zum Verhältnis der grundgesetzlichen zu den landesverfassungsrechtlichen Garantien → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 31.

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Tatsächlich sind die Gemeinden im Bereich des Baurechts einerseits in den gesam- 17 ten staatlichen Entscheidungsprozess in vielfältiger Weise einbezogen und andererseits bei ihren Entscheidungen durch gesetzliche Vorgaben oder Entscheidungen anderer Verwaltungsträger vielfach fremdbestimmt. So weist zB §1 III 1 BauGB die Aufstellung der Bauleitpläne den Gemeinden zu, statuiert aber zugleich dieses Planungsrecht als Planungspflicht, „sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“.36 Zwar sind die Bauleitpläne gem § 2 I 1 BauGB von der Gemeinde „in eigener Verantwortung“ aufzustellen, allerdings unterliegen sie inhaltlich dabei einer Anpassungspflicht an die ihnen vorgegebenen Ziele der Raumordnung (§1 IV BauGB). Nach § 203 BauGB ist sogar eine Übertragung von Planungsaufgaben auf eine andere Gebietskörperschaft (Abs 1) oder auf Verbandsgemeinden, Verwaltungsgemeinschaften bzw ähnliche gesetzliche Zusammenschlüsse (Abs 2) zulässig,37 und nach § 205 BauGB ist der Zusammenschluss verschiedener Gemeinden zu Planungsverbänden nicht nur freiwillig (Abs 1), sondern auch zwangsweise möglich,38 „wenn dies zum Wohl der Allgemeinheit dringend geboten ist“ (Abs 2 S 1). Im Übrigen unterliegen die gemeindlichen Flächennutzungspläne gem § 6 I BauGB der staatlichen Genehmigungspflicht. Das gilt unter den Voraussetzungen des § 10 II BauGB auch für bestimmte Bebauungspläne.39 Die Gemeinden stehen damit auch bei städtebaulichen Entscheidungen unter staatlicher Aufsicht. Bei der Wahrnehmung der Aufgaben der Bauordnung, sofern das Gesetz sie nicht ohnehin anderen Verwaltungsträgern zuweist,40 kann diese Aufsicht über eine Rechtsaufsicht hinausgehend zu einer inhaltlichen Aufsicht gesteigert sein. Die Zulässigkeit derartiger Modifikationen und Beeinflussungen gemeindlicher 18 Entscheidungsprozesse hängt von Art 28 II 1 GG bzw den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Garantien ab, soweit die von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben zu den „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ zählen. Dieser schwierige und in seinem Verständnis umstrittene Begriff bedarf hier keiner näheren Erörterung. Er ist zum einen oben 41 dargelegt, und zum anderen besteht zumindest grundsätzlich Einigkeit, dass die (Raum-)Planungshoheit, verstanden als die „Befugnis, für das eigene Gebiet die Grundlagen der Bodennutzung festzulegen“,42 dem verfassungsrechtlichen Garantiebereich zuzuordnen ist.43 Die Zuwei36 37

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Dazu u Rn 89 ff. Zur – im konkreten Fall unzulässigen – Übertragung der Flächennutzungsplanung auf die brandenburgischen Ämter VerfG Bbg LKV 2002, 516 ff = DVBl 2002, 789 (LS). Beispiel für eine Zwangsverbandsbildung nach dem damals geltenden, inhaltsgleichen § 4 II BBauG: OVG Lüneburg BRS 28, Nr 16. Nach Maßgabe des § 246 I a BauGB können die Länder bestimmen, dass Bebauungspläne, die keiner Genehmigung bedürfen, der Aufsichtsbehörde anzuzeigen sind. Dazu u Rn 115. Zu den die Aufgaben des Bauordnungsrechts wahrnehmenden Bauaufsichtsbehörden vgl u Rn 202. → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 14 ff. → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 23. BVerfGE 56, 298, 317 f → JK GG Art 28 II/5; 76, 107, 117 f → JK BVerfGG § 91/1; BVerwGE 81, 95, 106; 90, 96, 100; VGH Mannheim NVwZ 1996, 281, 283; Stüer NVwZ 2004, 814, 815; Oebbecke FS Hoppe, 2000, 239, 240 f; Widera Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung gemeindlicher Planungshoheit, 1985, 83 ff jeweils mwN.

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sung der Bauleitplanung in die eigene Verantwortung der Gemeinden durch § 2 I 1 BauGB ist demnach eine verfassungsrechtliche Konsequenz, und die genannten Planungs-, Anpassungs- und Genehmigungspflichten müssen sich an Art 28 II 1 GG messen lassen. Die Raumordnung von Bund und Ländern ist demgegenüber schon begrifflich 19 „überörtliche“ Planung und damit gerade keine „örtliche Angelegenheit“ iSd kommunalen Selbstverwaltungsgarantien. Allerdings kann die schon erwähnte Pflicht der Gemeinden, ihre Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen (§ 1 IV BauGB 44), die gemeindliche Autonomie in der Verwirklichung der eigenen Planungsabsichten beachtlich einschränken, so dass sich die Frage nach der Vereinbarkeit der überörtlichen Raumordnung mit dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden stellt.45 Insofern ist zunächst zu bedenken, dass die überörtliche Planung ebenso als staatliche Angelegenheit geboten ist wie die örtliche. Überörtliche Planung muss sich aber notwendig örtlich auswirken und kann schon von daher nicht von vornherein unzulässig sein. Man mag deshalb die Restriktionen der gemeindlichen Planungen als Beschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit sehen, die so weit zulässig bleibt, wie sie die Selbstverwaltungsgarantie nicht aushöhlt,46 oder aber die Anpassungspflicht nicht als Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht, sondern vielmehr als zulässige Beschreibung seines Umfanges deuten, solange die staatlichen Planungsinstanzen bei der Ausgestaltung hinreichend Rücksicht auf die gemeindlichen Belange nehmen.47 Jedenfalls besteht vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen staatlichen und gemeindlichen Planungsbefugnissen. Von daher wird zT ein „neues Selbstverwaltungsverständnis“ gefordert, das „jedenfalls in den Überschneidungsbereichen ein Kondominium staatlicher und kommunaler Planungshoheit“ anerkenne, welches durch Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Gemeinde an den höherstufigen Planungen 48 herzustellen sei.49 Gegen eine solche Konzeption bestehen indes Bedenken. Die parallele Diskussion in der Grundrechtsdogmatik lehrt, dass die Einräumung von Verfahrensbeteiligungen („status processualis“) als flankierender Freiheitsschutz der zusätzlichen Absicherung der geschützten Autonomie, nicht aber der Kompensation von Autonomieverlusten zu dienen hat.50 Demnach ist auch ein Ausgleich von überörtlicher und örtlicher Pla-

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Zusätzlich enthalten zT die LPlGe wie zB §§ 32 f LPlG NW Anpassungspflichten. Dazu Rn 39 m Fn 140. Dazu Brohm DÖV 1989, 429 ff; Hoppe FS v Unruh, 1983, 555 ff; Langer VerwArch 80 (1989) 352 ff; BVerfGE 76, 107, 117 ff → JK BVerfGG § 91/1; VerfGH NW StuGR 1990, 33, 35, 55 f = DVBl 1990, 417, 419 – gekürzt. Vgl auch Blümel/Pfeil VerwArch 88 (1997) 353 ff zum Verhältnis Raumordnungsverfahren – kommunale Selbstverwaltungsgarantie. BVerfGE 76, 107, 118 → JK BVerfGG § 91/1; Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg), BauGB, § 1 Rn 34. In diesem Sinne Friauf (Fn 3) 494 f. Dazu u Rn 49, 57. Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 36; vgl auch Pappermann JuS 1973, 689, 691. Erichsen Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 1997, 374. Zur Notwendigkeit von Verfahrensregelungen zur Verwirklichung realer Freiheit BVerfGE 52, 380,

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nung geboten. Daraus folgt, dass ein pauschaler Vorrang der überörtlichen Raumplanung mit der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie unvereinbar sein muss, so dass eine Ermächtigung zu staatlicher Einflussnahme auf die Planung rein örtlicher Angelegenheiten unzulässig wäre.51 Vielmehr muss der Gemeinde die Möglichkeit planerischer Berücksichtigung und Entwicklung der eigenen Bedürfnisse bleiben.52 Meint man, die Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 II 1 GG verleihe den Gemeinden eine Rechtsstellung, die in ihren Strukturen dem grundrechtlichen Abwehrstatus ähnele,53 ist zu erwägen, den Ausgleich zwischen staatlicher und gemeindlicher Planung nach den Grundsätzen des Übermaßverbotes vorzunehmen.54 Das Übermaßverbot ist jedoch vornehmlich ein Strukturprinzip des abwehrrechtlichen Grundrechtsschutzes.55 Das spricht gegen seine Anwendbarkeit im Bereich institutioneller Garantien und im Bereich der staatlichen Funktionengliederung. Das Übermaßverbot hat im Rahmen des Art 28 I 1 GG daher zumindest insofern keinen Anwendungsbereich, als es um gesetzliche Ausgestaltungen der institutionellen kommunalen Selbstverwaltungsgarantie 56 und nicht um Eingriffe in die individuelle Rechtsstellung einer einzelnen Gemeinde geht.57 Beschränkungen der institutionellen Garantie des Art 28 II 1 GG sind also nicht am Übermaßverbot, sondern vielmehr an dem spezifischen „verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip“ 58 des Art 28 II 1 GG zu messen, demzufolge der Vorrang der gemeindlichen Aufgabenwahrnehmung in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nur ausnahmsweise aus „überwiegenden Gründen“ 59 durchbrochen werden darf. Mag auch die Dichte der damit bestehenden Bindung des Gesetzgebers weniger hoch sein als eine durch das Übermaßverbot bewirkte,60 so werden sich beide doch zumindest

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389; NJW 1981, 1436, 1437; Häberle VVDStRL 30 (1972) 43 ff; Goerlich Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981. BVerwGE 6, 342, 347. Zum Verhältnis von kommunaler Selbstverwaltung und Planung insbes Hoppe FS v Unruh, 1983, 555 ff; Oebbecke FS Hoppe, 2000, 239 ff. Vgl so zB Erichsen (Fn 50) 375 f; Oebbecke FS Hoppe, 2000, 239, 242; J. Ipsen ZG 1994, 194, 199 ff, 211 f; Schink VerwArch 81 (1990) 385, bes 402. BVerfGE 76, 107, 119 ff → JK BVerfGG § 91/1; 103, 332, 366 f; VerfGH NW StuGR 1990, 33, 35, 55 f = DVBl 1990, 417, 419 – gekürzt; Oebbecke FS Hoppe, 2000, 239, 250 f; Schink VerwArch 81 (1990) 385, bes 402; Erichsen (Fn 50) 375 f; Erbguth/Wagner Grundzüge des öffentlichen Baurechts, § 2 Rn 17; Stüer Handbuch, Rn 75. Schmidt-Aßmann FS Sendler, 1991, 121, 135 f; Ossenbühl FS Lerche, 1993, 151, 160 ff; Frenz DV 28 (1995) 33, 36 ff; vgl auch D. Merten FS Schambeck, 1994, 349, 372 ff; Krebs Jura 2001, 228, 233. Vgl BVerfGE 79, 127 (bes 150 ff) → JK GG Art 28 II/17. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 20 ff; ders FS Sendler, 1991, 121, 135 ff; Ossenbühl FS Lerche, 1993, 151, 160 ff; Schoch VerwArch 81 (1990) 18, 33 ff; Schink VerwArch 81 (1990) 385 ff. Vgl Schmidt-Aßmann FS Sendler, 1991, 121, 136; Clemens NVwZ 1990, 834, 835, die eine – analoge – Anwendung des Übermaßverbotes bei gezielten individuellen Eingriffen nicht ausschließen. BVerfGE 79, 127, 150 → JK GG Art 28 II/17. BVerfGE 79, 127, 154 → JK GG Art 28 II/17. Vgl Schmidt-Aßmann FS Sendler, 1991, 121, 137 f.

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ähneln.61 Für das Verhältnis von überörtlicher und örtlicher Planung bedeutet das ua, dass der Gesetzgeber nicht nur sicherzustellen hat, dass die Gemeinden in höherstufigen Planungsverfahren zu beteiligen sind, sondern auch, dass ihre Belange mit den Belangen der überörtlichen Planung abzuwägen sind.62 Die Frage des verfassungsrechtlichen Schutzes der Gemeinden bei der Wahrneh20 mung von Bauordnungsaufgaben wird man differenziert zu beantworten haben. Jedenfalls können Entscheidungen der Bauaufsichtsbehörden auch planerischen Charakter haben und damit das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde berühren. Das ist etwa dann der Fall, wenn die zuständige Behörde bei der Genehmigung eines Bauvorhabens von den planerischen Festsetzungen der Gemeinde abweichen will. § 36 BauGB verlangt deshalb dafür das Einvernehmen mit der Gemeinde. Im Übrigen wirkt sich bei der Beurteilung der Bauordnungsaufgaben die Entwicklung des Bauordnungsrechts aus dem Baupolizeirecht 63 aus. „Baupolizei“ ist als „Polizei“ traditionell keine gemeindliche, sondern staatliche Aufgabe. Konsequenz dieses Verständnisses ist es, dass die Bauaufsichtsbehörden, sofern es sich um gemeindliche Behörden handelt, einer staatlichen Aufsicht unterstellt sind, die über die Rechtmäßigkeitsaufsicht hinausgeht. Diese Sicht ist plausibel, soweit Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrgenommen werden. Sie wird aber fraglich, wo der Vollzug des Bauordnungsrechts anderen Funktionen wie zB der Wahrnehmung bauästhetischer Standards dient, da lokale Kulturpflege ohne weiteres als „örtliche Angelegenheit“ iSd Art 28 I 1 GG angesehen werden kann. Bezeichnenderweise sehen die Landesbauordnungen für örtliche Gestaltungsvorschriften eine Regelung durch Satzung, dh durch das typische Regelungsinstrument der Selbstverwaltungskörperschaften 64 und nicht durch ordnungsbehördliche Verordnung vor.65 Zählt eine Aufgabe zu den „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ iSd 21 Art 28 II 1 GG und der entsprechenden Normen des Landesverfassungsrechts, so ist den Gemeinden die Befugnis gegeben, sie „in eigener Verantwortung“ zu regeln. Aus dieser verfassungsrechtlichen Aufgaben- und Modalitätsgarantie folgt nun nicht, dass jegliche Minderung des gemeindlichen Aufgabenbestandes oder jegliche Begrenzung kommunaler Autonomie verfassungsrechtlich unzulässig wäre. So ist eine der Einfügung der kommunalen Gebietskörperschaften in das Gesamtgefüge staatlicher Verwaltungsorganisation und der selbstverständlichen Rechtsbindung 61 62

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Vgl Schink VerwArch 81 (1990) 385, 401; Brohm BauR, § 9 Rn 6 ff. Erbguth/Wagner (Fn 54) Rn 14; Stüer (Fn 54) Rn 75; ders NVwZ 2004, 814. Vgl auch BVerwG NJW 1978, 119, 120; NVwZ 1993, 167, 168. Bezogen auf eine Entscheidung nach § 38 BauGB aF OVG Koblenz DVBl 1995, 251, 251 f. Dazu statt anderer Friauf (Fn 3) 486 ff sowie u Rn 191. Vgl → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 94. § 74 BauO BW; Art 91 BauO Bay; § 81 VIII BauO Bbg; § 81 BauO Hess; § 86 III 1 BauO MV; § 97 I BauO Nds; § 86 BauO NW; § 88 BauO RP; § 85 BauO Saarl; § 89 BauO Sachs; § 90 III 1 BauO LSA; § 92 BauO SchlH; § 83 BauO Thür. In Bremen werden örtliche Bauvorschriften nach § 87 BauO Brem als „Ortsgesetz“ erlassen. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg ergehen örtliche Gestaltungsvorschriften hingegen als RVO, vgl § 76 I Nr 1 BauO Bln, § 81 I Nr 6–8 BauO Hbg. Zum Erlass örtlicher Bauvorschriften durch die Gemeinde Manssen Stadtgestaltung durch örtliche Bauvorschriften, 1990; ders DV 24 (1991) 33 ff.

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der Gemeinden (Art 20 III GG) korrespondierende Rechtsaufsicht verfassungsrechtlich wenn nicht geboten, so doch zulässig. Die Aufsicht darf bei reinen Selbstverwaltungsangelegenheiten allerdings nicht über die Rechtsaufsicht hinausgehen. Beschneidungen des gemeindlichen Aufgabenbestandes und Schmälerungen der 22 gemeindlichen Selbstverwaltung sind zwar nicht per se unzulässig. Ihnen gegenüber wirken aber die verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen, die Art 28 II 1 GG und das entsprechende Landesverfassungsrecht vorhalten. So stellt Art 28 II 1 GG die Selbstverwaltungsgarantie ausdrücklich unter Gesetzesvorbehalt. Als weiterer Schutzmechanismus tritt das „verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip“ des Art 28 II 1 GG 66 hinzu, so dass Begrenzungen und Restriktionen des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, wie schon die obige Diskussion zur Zulässigkeit überörtlicher Planungen gezeigt hat, besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müssen. Der Gesetzesvorbehalt steht zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht in einem ambivalenten Verhältnis. Zum einen trägt er zum Schutz des Selbstverwaltungsrechts bei, da es exklusiv dem Gesetzgeber vorbehalten ist, Abstriche am kommunalen Aufgabenbestand und an der gemeindlichen Selbstverwaltung vorzunehmen. Begrenzungen des Selbstverwaltungsrechts bedürfen zwar nicht notwendig immer der Form des formellen Gesetzes, müssen aber, sofern sie nicht gesetzesförmlich vorgenommen werden, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung haben.67 Demnach kann auch die Verbindlichkeit der Ziele der Raumordnung nicht davon abhängen, ob sie in Gesetzesform ergehen.68 Notwendig ist nur, dass ihnen ein Gesetz zugrundeliegt, das ihre Aufstellung vorsieht. Zum anderen gefährdet der Gesetzesvorbehalt Aufgaben und Autonomie der Gemeinden. Gesetzliche Minderungen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden sind daher nur zulässig, wenn sie sich an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen halten. Dabei ist umstritten, ob diese Grenze nur durch die schon erwähnte Aufgabenverteilungsregel des Art 28 II 1 GG markiert wird,69 oder ob über diesen relativen Schutz hinaus die Verfassungsgarantien auch eine absolute, gesetzesfest garantierte Substanz aufweisen.70 Vergegenwärtigt man sich den Sinn und Zweck der institutionellen Garantie des Art 28 II GG, so wird man der letzteren Auffassung zu folgen und die gesetzgeberisch unübersteigbare Grenze dort festzumachen haben, wo die gemeindliche Selbstverwaltung als verfassungsrechtlich gewollte Einrichtung leer zu laufen droht. Um diese Grenzlinie zu markieren, sind Kernbereichslehren entwickelt worden, auf die hier verwiesen werden kann.71 Zu diesem Kernbereich zählt nach nahezu unumstrittener Auffassung in der Literatur die Befugnis, Be66 67

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Vgl o Rn 19. BVerfGE 26, 228, 237; 56, 298, 309 → JK GG Art 28 II/5; 76, 107, 117 → JK BVerfGG § 91/1. Vgl dazu u Rn 71. So v Mutius StuGR 1981, 161, 163 f; Schink DVBl 1983, 1165, 1171 f. Dafür BVerfGE 1, 167, 174 f; 38, 258, 278 f; 76, 107, 118 → JK BVerfGG § 91/1; 79, 127, 146 ff → JK GG Art 28 II/17; 91, 228, 238 f → JK GG Art 28 II/22; Stern, StR I, § 12 II 4 d (S 416); Erichsen (Fn 50) 371 ff; Funke/Schroer ZG 1986, 256, 261. Vgl → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 21 sowie ausf Erichsen (Fn 50) 371 ff.

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bauungspläne aufzustellen,72 und nach umstrittener Auffassung auch die zur Aufstellung von Flächennutzungsplänen.73 Man sollte diesem Streit und der Schwierigkeit der Bestimmung des Kernbereichs allerdings keine allzu große praktische Bedeutung zumessen, weil einerseits auch der Kernbereich keinen fest umrissenen Aufgabenkatalog garantiert 74 und andererseits jenseits des Kernbereichs der staatliche Zugriff auf die Gemeinden vor dem Aufgabenverteilungsprinzip des Art 28 II 1 GG Bestand haben muss. Zu beachten ist, dass der beschriebene – absolute – Schutz institutionell garan23 tiert ist. Dh zum einen, dass es sich um einen objektivrechtlichen Schutz handelt, und zum anderen, dass er nicht individuell, also nicht zugunsten der einzelnen Gemeinde wirkt. Demnach wäre zB eine totale Verlagerung der örtlichen Planungsaufgaben auf staatliche Verwaltungsbehörden mit der institutionellen Garantie – absolut – unzulässig, während der Entzug von Planungsaufgaben im Einzelfall (§ 203 BauGB) nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. Art 28 II GG enthält jedoch nicht nur eine objektivrechtliche Gewährleistung, 24 sondern garantiert den Gemeinden auch eine subjektive Rechtsstellung. Diese verleiht den Gemeinden die Prozessführungs- bzw Klagebefugnis, mit deren Hilfe sie (verfassungs-)rechtlich unzulässige Eingriffe in ihren Selbstverwaltungsbereich gerichtlich abwehren können.75 Daher können die Gemeinden Maßnahmen staatlicher Bauaufsichtsbehörden, zB Baugenehmigungen, anfechten, wenn diese ihre Planungshoheit verletzen.76 Das kann im Einzelfall auch durch einen Verstoß gegen eine bauordnungsrechtliche Bestimmung geschehen, wenn diese der Sicherung der Planungsbefugnisse der Gemeinde zu dienen bestimmt ist.77 Anfechtbar sind bei Betroffenheit des Selbstverwaltungsrechts auch Planfeststellungen im Rahmen von Fachplanungen.78 72

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Vgl Just in: Hoppe/Bönker/Grotefels (Hrsg), BauR, § 2 Rn 35; Erbguth/Wagner (Fn 54) Rn 13; Funke/Schroer ZG 1986, 256, 262. Gegen die Zugehörigkeit zum Kernbereich Clemens NVwZ 1990, 834, 838. Die Rspr hat bisher offengelassen, inwieweit die Planungshoheit zum Kernbereich zählt, BVerfGE 56, 298, 313 → JK GG Art 28 II/5; 76, 107, 118 f → JK BVerfGG § 91/1; 103, 332, 366; VGH Mannheim NVwZ 1990, 390, 390. Differenzierend → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 21. Für ihre Zugehörigkeit zum Kernbereich zB Stüer (Fn 54) Rn 18; Löhr Die kommunale Flächennutzungsplanung, 1977, 111; Funke/Schroer ZG 1986, 256, 262. Dagegen Schmidt-Aßmann Fortentwicklung des Rechts im Grenzbereich zwischen Raumordnung und Städtebau, 1977, 37 ff; ders VerwArch 71 (1980) 117, 130; Heinemann DÖV 1982, 189, 191 ff. Offengelassen in VerfG Bbg LKV 2002, 516, 516 = DVBl 2002, 789 (LS). Vgl BVerfGE 79, 127, 146 → JK GG Art 28 II/17. Redeker/v Oertzen, VwGO, § 42 Rn 103. Zur umstrittenen Frage, ob und wo dieser Rechtsschutzanspruch verfassungsrechtlich fundiert ist, vgl Schmidt-Aßmann in: Maunz/ Dürig, GG, Art 19 Abs 4 Rn 43 und Schenke in: BK, Art 19 Abs 4 Rn 38. BVerwGE 22, 342, 347; NVwZ 1982, 310, 311 → JK GG Art 28 II/6; NVwZ 1985, 566, 566; VGH München NVwZ 1998, 205 ff. OVG Lüneburg NVwZ-RR 1995, 498; VGH München NVwZ 1998, 205 ff; vgl auch BVerwG NVwZ 2000, 1048 ff. Vgl im Zusammenhang mit einem luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren BVerwG NJW 1980, 718, 719; mit dem damaligen § 36 BBahnG BVerwGE 31, 263, 264; NVwZ 1984, 584, 584; mit einem abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren VGH

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Die objektiv- wie subjektivrechtlichen Gewährleistungen der verfassungsrecht- 25 lichen Selbstverwaltungsgarantien wirken nicht nur vertikal gegenüber staatlichen Instrumenten, sondern auch horizontal im Verhältnis der Gemeinden untereinander.79 Einfachgesetzliche Konsequenz dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe ist das interkommunale Abstimmungs- bzw Abwägungsgebot 80 des § 2 II BauGB, dh die Pflicht, die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen. Verletzungen dieses Gesetzes durch grenznahe Planungen kann die nachteilig betroffene Nachbargemeinde gerichtlich angreifen.81 c) Grundrechte Das Verfassungsrecht enthält nicht nur Regelungen über die Verteilung von Gesetz- 26 gebungs- und Verwaltungszuständigkeiten, also Vorgaben für die staatliche Zuständigkeitsordnung, sondern ebenso für die Verteilung von Entscheidungszuständigkeiten im Verhältnis Staat – Gesellschaft. Mit dem für die Grundrechte häufig verwendeten Begriff der „negativen Kompetenzbestimmungen“ 82 wird der normative Gehalt der verfassungsrechtlichen Freiheitsrechte zwar nicht hinreichend erfasst. Er bringt aber zutreffend zum Ausdruck, dass zugunsten der freien, also selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Entfaltung der Persönlichkeit staatliche Entscheidungsgewalt begrenzt sein muss und dass jenseits dieser Grenze der gesellschaftliche Entscheidungsbereich verfassungsrechtlich geschützt ist. Da jedermann in Raum und Zeit lebt, ist private Lebensgestaltung „raumbeanspruchend“. Die grundrechtlich abgesicherte Persönlichkeitsentfaltung bedarf daher des „räumlichen Substrats“, so dass sich die Frage nach dem Grundrechtsschutz für private Entscheidungen über die Raumnutzung stellt. Sie kann angesichts der differenzierten Grundrechtsgewährleistungen nur für jedes Grundrecht isoliert aufgeworfen und beantwortet werden. In unserem Zusammenhang stellt sich nicht nur, aber besonders bedeutsam die Frage nach dem Grundrechtsschutz für die bauliche Nutzung von Grund und Boden. aa) Baurecht und Baufreiheit: Das Grundeigentum genießt grundrechtlichen 27 Eigentumsschutz.83 Die Frage, ob die privatautonome Entscheidung des Grundeigentümers über das Ob und Wie der Bebauung des Grundeigentums („Baufreiheit“) in dem Grundrechtsschutz für das Grundeigentum mitenthalten ist, muss da-

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Mannheim NVwZ 1996, 281 ff; zum Gesamtkomplex ausf Stühler JuS 1999, 234 ff; Stüer NVwZ 2004, 814, 818 f. Brohm (Fn 61) § 9 Rn 10 ff; Hoppe FS Wolff, 1973, 307 ff. Vgl Friauf (Fn 3) 495; Peine BauR, Rn 389; vgl zu einem weitergehenden, hinsichtlich seiner rechtsdogmatischen Konstruktion aber zweifelhaften Gebot „kompetenzieller Rücksichtnahme“ Brohm (Fn 61) § 9 Rn 16f mwN. BVerwGE 40, 323, 329f; 84, 209, 216; NVwZ 1995, 694, 694 f. Zu sog „Factory-OutletCentern“ (FOC) BVerwGE 117, 25 ff → JK BauGB § 35/2; dazu zB Uechtritz NVwZ 2003, 176 ff mwN. Zur Betroffenheit von § 2 II BauGB bei Erteilung einer Baugenehmigung ohne vorherige Planaufstellung OVG Münster DÖV 2000, 644 f → JK BauGB § 2 II/2. Hesse VerfR, Rn 291; Bothe in: AK-GG, Art 31 Rn 11 ff. BVerfGE 35, 263, 276; 52, 1, 30 → JK GG Art 14 I/3; 58, 300, 336 ff → JK GG Art 14 I 2/13; 74, 264, 281 → JK GG Art 14 III/5; BVerwGE 50, 49, 55 ff.

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her wesentlich mit Hilfe des Regelungsgehaltes des Art 14 I GG beantwortet werden.84 Angesichts der grundgesetzlichen Konzeption des Eigentumsschutzes fällt die Antwort nicht gerade leicht, und es verwundert kaum, dass darüber, in welchem rechtsdogmatischen Verhältnis Art 14 I GG zu den einfachgesetzlichen Baurechtsbestimmungen steht, insbesondere, ob die Baufreiheit eine nur einfachgesetzlich zugeteilte Befugnis darstellt oder verfassungsunmittelbar zum Schutzbereich des Art 14 I GG zählt, heftiger Streit herrscht.85 Dieser führt letztlich bis in tief verwurzelte ideologische Vorurteile, die hier nicht aufgearbeitet werden können, und bis zu grundrechtstheoretischen Grundannahmen, die hier nicht im Einzelnen entfaltet werden sollen. Einfacher ist es wieder, die Ursache dieser Schwierigkeiten zu erklären. Art 14 I 28 Satz 1 GG schützt als Grundrecht, also auch subjektivrechtlich, das Eigentum verfassungsunmittelbar, wohingegen Art 14 I Satz 2 GG die Inhalts-, also nicht nur die Schrankenbestimmung eben dieses Eigentums dem (einfachen) Gesetzgeber zuweist. Die Vorschrift überlässt die Ausgestaltung der grundrechtlichen Freiheit damit gerade den Staatsorganen, vor deren Entscheidungen sie den Grundrechtsträger nach Art 1 III GG schützen will, und ist damit auf den ersten Blick paradox: Stellt man sich Eigentum als eine verfassungsunmittelbar geschützte Freiheit vor, erscheinen zumindest eigentumsmindernde Regelungen eigentlich nur als Schranken-, nicht als Inhaltsbestimmung, während sich eine erst den Inhalt des Eigentums festlegende Regelung kaum mit der Vorstellung einer bereits vom Grundrecht selbst geschützten Freiheit zu vertragen scheint. Wenn Art 14 I GG dennoch beides für möglich hält, kann Eigentum weder eine vorfindliche, gleichsam „fertige“ Freiheit iS eines beliebigen Umgangs mit Gütern sein, die nur noch „nachträglichen“ Beschränkungen zugänglich ist, noch eine nur einfachgesetzlich eingeräumte Rechtsposition. Die erstere Auffassung würde die Angewiesenheit der Eigentumsfreiheit auf die Rechtsordnung unterschätzen und den verfassungsrechtlichen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber verkennen, letztere das „Selbstgewicht“ der Verfassung 86 missachten und eine Überprüfung der einfachgesetzlichen Eigentumsregelung am Grundrecht ausschließen. Daher kann auch weder ein Verständnis von Baufreiheit iS einer verfassungsunmittelbar und prinzipiell allumfassend gewährleisteten Möglichkeit beliebiger baulicher Nutzung jedes Grundstücks, noch ein Verständnis von Baufreiheit als ausschließlich durch unterverfassungsrechtliche Rechtsnormen und nur nach deren Maßgabe zugewiesene Nutzungsmöglichkeit der

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Vgl zur möglichen Betroffenheit anderer Grundrechte B. H. Schulte Rechtsgüterschutz durch Bauordnungsrecht, 1982, 40, 158 ff. Ist der Bauherr nicht Eigentümer des Grundstücks, kommt anstelle von Art 14 I GG Art 2 I GG in Betracht, vgl Menger/Erichsen VerwArch 56 (1965) 374, 387f. Zu Aspekten des Grundrechtsschutzes der „Bau-Kunst“ durch Art 5 III GG BVerwG NJW 1995, 2648 ff → JK GG Art 5 III/17; VG Berlin NJW 1995, 2650 ff; Schütz JuS 1996, 458 ff; Voßkuhle BayVBl 1995, 613 ff; Zeiss ZfBR 1997, 286 ff. Dazu Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 57 ff; Schmidt-Aßmann Grundfragen, 89 ff; Breuer Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, 162 ff; Ehlers VVDStRL 51 (1992) 211, 217 ff. Leisner JZ 1964, 201, 202.

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Konstruktion des Grundrechts gerecht werden. Keine der beiden oben genannten Auslegungsalternativen vermag deshalb zu überzeugen. Eigentum iSd Art 14 I GG muss demnach beides zugleich sein: eine von der Ver- 29 fassung geschützte Freiheitschance und eine für den Gesetzgeber inhaltlich gestaltbare Freiheit. Dem BVerfG ist deshalb zuzustimmen, wenn es einerseits betont, dass Art 14 I GG einen eigenständigen, dh auch dem Gesetzgeber vorgegebenen und ihn bindenden Eigentumsbegriff enthält,87 und andererseits darauf hinweist, dass sich die „konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie … erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (ergibt), die nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist“.88 Der Inhalt des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs ist sowohl durch die Privatnützigkeit der vermögenswerten Güter und der Verfügungsbefugnis des Rechtsträgers über sie 89 als auch durch die soziale Bindung dieser Rechtsposition gekennzeichnet. Beide Elemente sind vom Grundrecht „mitgedacht“ und vom Gesetzgeber mit Hilfe des Übermaßverbotes in einen Ausgleich zu bringen. Verfassungsrechtlich geschützte Baufreiheit ist also die vom Gesetzgeber in dieser Weise grundrechtskonform ausgestaltete bauliche Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks. Das bedeutet, dass nicht jedes Allgemeininteresse eine Verkürzung privater Interessen am Umgang mit Grund und Boden rechtfertigt und dass das Ausmaß staatlicher Gestaltungsbefugnis vom (verfassungs-)rechtlichen Stellenwert der geltend gemachten Allgemeininteressen abhängt. Die scheinbare Widersprüchlichkeit von Inhalts- und Schrankenbestimmung löst sich in der zeitlichen Dimension auf. Was sich im Rückblick auf den status quo als Schranke darstellt, ist zukunftsgerichtet eine Inhaltsbestimmung.90 Der so konzipierte Grundrechtsschutz ist mit einem – im Übrigen auch unhistorischen 91 – Verständnis des gewährleisteten Eigentums iS einer statischen, unveränderlichen Größe unvereinbar. Der Ausdruck „Baufreiheit“ darf weder über die dynamische Eigenart der verfassungsrechtlichen Gewährleistung noch darüber hinwegtäuschen, in welch unterschiedlichem Ausmaß diese Freiheit gesetzlich ausgestaltet ist. So kann Planungsrecht die bauliche Nutzung eines Grundstücks völlig ausschließen und auch das Bauordnungsrecht die Wahlmöglichkeiten des Bauherrn hinsichtlich des „Wie“ des Bauens erheblich reduzieren.92 Verfassungsrecht ist nicht nur eine verbindliche Vorgabe für das Baurecht und 30 Beurteilungsmaßstab für seine Gültigkeit. Es kann auch die Normauslegung und -anwendung mitbestimmen. So regelt zB § 35 II BauGB, dass sonstige, dh nicht durch § 35 I BauGB erfasste Vorhaben 93 im Außenbereich zugelassen werden „können“, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträch87 88

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BVerfGE 58, 300, 335 → JK GG Art 14 I 2/13. BVerfGE 53, 257, 292 → JK GG Art 14 I/4; vgl zB auch BVerfGE 90, 226, 236 → JK GG Art 14 I/37; BVerwGE 117, 287, 303 → JK § 35/3. BVerfGE 24, 367, 389; 50, 290, 339; 53, 257, 290 f → JK GG Art 14 I/4; 79, 283, 289; 88, 366, 377; 89, 1, 6 → JK GG Art 14 I 1/32; 91, 207, 220 → JK GG Art 14 I/38; 100, 226, 240. Ehlers VVDStRL 51 (1992) 211, 225. Vgl Schmidt-Aßmann (Fn 85) 89 ff; dens DVBl 1972, 627, 631. Vgl auch Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 58. Sog „privilegierte“ Vorhaben, vgl u Rn 133.

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tigt. Dieses der Behörde eingeräumte Ermessen wird vor dem Hintergrund des Art 14 I GG regelmäßig grundrechtskonform zugunsten des Bauherrn zu reduzieren sein.94 Das Bauordnungsrecht wird idR erst dann relevant, wenn das Grundstück planungsrechtlich bebaubar, Baufreiheit also prinzipiell realisierbar ist. Auch insofern hat der Gesetzgeber die grundrechtlich gebotene Aufgabe, die einander widerstreitenden Interessen in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. So leuchtet etwa ein, wenn der Gesetzgeber aus Gründen der Gefahrenabwehr die private Gestaltungsbefugnis über die Art und Weise eines Bauvorhabens einengt; nicht immer dieselbe Plausibilität haben aber baugestalterische Restriktionen zugunsten ästhetischer Interessen. Das legt eine zurückhaltende Auslegung und Anwendung der Normen nahe, die derartige Zwecke verfolgen. Aus der grundrechtlichen Absicherung der gesetzlich eingeräumten Dispositionsmöglichkeiten über die bauliche Nutzung des Grundstücks folgt zugleich das Gebot, Baurechtsnormen nur bei Beachtung des Übermaßverbotes anzuwenden; getroffene Maßnahmen müssen also geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Aus diesem Grund kommen bestimmte städtebauliche oder bauordnungsrechtliche Zwangsmaßnahmen wie zB eine Enteignung 95 oder eine Abrissverfügung 96 nur als ultima ratio in Betracht. bb) Leistungsrechtliche Aspekte: Die soeben besprochene – abwehrrechtliche – 31 Bedeutung der Grundrechte ist ein äußerst bedeutsamer, bei weitem aber nicht der einzige Aspekt im Spektrum des Problemfeldes Grundrechte und Baurecht. Die allgemeine Grundrechtsdogmatik ist zwar für den abwehrrechtlichen Grundrechtsschutz am weitesten ausgeformt, erschöpft sich aber nicht in diesem Teilaspekt.97 Insofern ist zumindest als Fragestellung anzumerken, ob nicht die Bedeutung der Grundrechte für das Baurecht über den Freiheitsschutz für den Bauherrn hinausgeht und ob nicht auch eine grundrechtliche Inpflichtnahme des Staates zugunsten einer Raumgestaltung denkbar ist, die für eine Ausübung grundrechtlicher Freiheit („reale Freiheit“ 98) unverzichtbar ist. Das BVerfG hat 1972 in der berühmten numerus-clausus-Entscheidung darauf hingewiesen, dass das grundrechtlich gewährleistete Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art 12 I GG) „ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos“ sei.99 Diese Feststellung ließe sich auch für das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 I GG) treffen. Wie eine Fortführung dieses Gedankens heißt es zB in Art 106 I Verf Bay: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung“.100 94

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BVerwGE 18, 247, 249 ff; Roeser in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 35 Rn 55; aA Dähne Jura 2003, 455, 460; Ortloff NVwZ 1988, 320 ff. Dazu u Rn 165 ff. Dazu u Rn 218 ff. Zum Überblick Krebs in: Grundfragen und Grundlagen des Zivilrechts, Strafrechts und Öffentlichen Rechts (Jura-Extra), 1990, 60, 67 ff. Hesse FS Smend, 1962, 71, 85; Krebs in: Merten/Papier, HdbGR II, § 31 Rn 1. BVerfGE 33, 303, 331. Vgl auch Art 28 I Verf Bln; Art 47 I Verf Bbg; Art 14 Verf Brem; Art 17 III Verf MV; Art 6 a Verf Nds; Art 29 II Verf NW; Art 63 Verf RP; Art 7 I Verf Sachs; Art 40 I Verf LSA; Art 15 S 1 Verf Thür.

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Nun ist allerdings zu bedenken, dass das Grundgesetz in Abkehr von der WRV 32 und anders als einige Landesverfassungen auf die ausdrückliche Normierung sozialer Grundrechte weitgehend verzichtet und stattdessen den Sozialstaat als Staatsstruktur- und -zielbestimmung (Art 20 I, 28 I GG) verankert hat. Danach sind alle staatlichen Organe und insbesondere der Gesetzgeber verpflichtet, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen.101 Daher ist auch die Feststellung zutreffend, dass die Raum- und Städtebauplanung eine sozialstaatliche Pflicht ist.102 Allerdings ist die Verwirklichung des sozialen Auftrags damit prinzipiell dem demokratischen Entscheidungsprozess überantwortet. Man kann jedoch die verfassungsrechtlich begründete soziale Inpflichtnahme des Staates konkreter mit Hilfe der Grundrechte formulieren. Die Grundrechte lassen sich als Konkretisierungen des Sozialstaates und damit nicht nur als subjektivrechtliche Abwehrrechte zum Schutz rechtlicher Freiheitschancen, sondern auch als – zumindest objektivrechtliche – Verpflichtungen des Staates zugunsten der von ihnen thematisierten faktischen Handlungsmöglichkeiten verstehen.103 Ihnen wachsen damit Schutzpflichten für die jeweilige Freiheit zu, so dass sie auch rechtsverbindliches Sozialprogramm 104 des Staates sind. Vor diesem Hintergrund erscheinen viele Baurechtsnormen als Erfüllung sozialstaatlicher Grundrechtspflichten. So ist zB gem §1 I, II 2 Nr 1 ROG der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland so zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern, dass „die freie Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft und in der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen“ gewährleistet ist. Nach § 1 VI Nr 2 BauGB sind die „Wohnbedürfnisse der Bevölkerung“ ein für die gemeindliche Bauleitplanung relevanter Belang, und nach § 3 I MBO 105 sind bauliche Anlagen so zu errichten, dass insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Fraglich ist, ob die abstrakten grundrechtlichen Schutzpflichten in konkrete, ein- 33 klagbare Handlungspflichten umschlagen können. Nähme man dies an, könnte zB die Bestimmung des § 1 III 2 BauGB, nach der auf die Aufstellung von Bauleitplänen kein Anspruch besteht, verfassungsrechtlich fragwürdig werden. Insofern ist zu vergegenwärtigen, dass der Staat nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen grundrechtlich zu konkreten Leistungshandlungen verpflichtet sein kann. Zum einen hat der Staat in Fällen, in denen die Befriedigung sozialer Bedürfnisse vorwiegend gesellschaftlich organisiert ist (zB Wohnraumwirtschaft) nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Zum anderen zwingt die Endlichkeit staatlicher Ressourcen zu einer Prioritätensetzung, die nicht völlig verrechtlicht werden kann, weil ansonsten die Grundrechte gegen den demokratischen Entscheidungsprozess ausgespielt würden. Das BVerfG 101

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BVerfGE 22, 180, 204; 36, 237, 249 f; 69, 272, 314 → JK GG Art 14 I 1/22; 75, 348, 359 f; vgl auch BVerfGE 82, 60, 80. Friauf (Fn 3) 483. Vgl dazu Krebs (Fn 97) 67 ff; ders (Fn 98) Rn 111 jeweils mwN sowie Häberle VVDStRL 30 (1972) 43, 100 ff; Jarass AöR 110 (1985) 363 ff; Scherzberg DVBl 1989, 1128 ff; Böckenförde Staat 29 (1990) 1 ff. Auch die sozialen Grundrechte der Landesverfassungen haben entgegen ihres zT missverständlichen Wortlauts lediglich Programmcharakter. Eine entsprechende Regelung findet sich in allen LBauOen; vgl u Rn 191 m Fn 659.

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4. Kap II

Walter Krebs

geht daher zu Recht davon aus, dass nur bei einer besonderen Gefährdungslage für Grundrechtsgüter die verfassungsrechtlich eingeräumten Handlungspielräume der staatlichen Organe durch konkrete Handlungspflichten reduziert sein können.106 Immerhin ist damit die (ausnahmsweise) Möglichkeit einer auch subjektivrechtlich abgesicherten Handlungspflicht nicht völlig ausgeschlossen. Das spricht dafür, dass § 1 III 2 BauGB nur die verfassungsrechtliche Normallage konkretisiert.107

II. Raumordnungsrecht 34 Das Raumordnungsrecht 108 befasst sich mit der Planung für eine Ordnung des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland und seiner Teilräume 109 sowie mit der Umsetzung dieser Raumplanung.110 Raumplanung geht der gemeindlichen Bauleitplanung 111 und den Fachplanungen 112 vor. Sie ist daher übergeordnete Planung.113 Räumlich reicht Raumplanung über den Bezirk einer Gemeinde hinaus. Sie ist also überörtlich. Schließlich ist sie zusammenfassend bzw überfachlich,114 weil sie sämtliche raumbedeutsamen Aktivitäten 115 koordiniert. Auf Bundesebene ist das Raumordnungsrecht im Raumordnungsgesetz (ROG 116) 35 geregelt. Es enthält sowohl unmittelbar geltende (§§ 1–5, 18–23 ROG) als auch 106

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BVerfGE 33, 303, 333; 56, 54, 81 → JK GG Art 2 II 1/2; 75, 40, 67 → JK GG Art 7 IV/1. Vgl auch Krebs (Fn 98) Rn 114. Ähnlich – noch zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 2 III BauGB aF – W. Schrödter in: H. Schrödter (Hrsg), BauGB, § 2 Rn 50 a. Anders Frenz BayVBl 1991, 673, 675. Ausf hierzu Fackler Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte eines Individualanspruchs auf Bauleitplanung, 1989. Ausdrücklich gegen einen Anspruch auf Bauleitplanung, aber ohne Rückgriff auf die Grundrechte BVerwG DÖV 1997, 251, 252; BauR 2001, 1060, 1060; NordÖR 2004, 284, 285. § 6 S 1 ROG bezeichnet die Raumordnung der Länder in ihrem Gebiet als Landesplanung. „Raumordnung“ wird hier als Oberbegriff für die Raumordnung im Bund und in den Ländern verwendet. Nach § 18 a ROG gehört dazu nunmehr auch die sog deutsche ausschließliche Wirtschaftszone, dh eine maximal 200 Seemeilen breite Meereszone, die nicht zum Staatsgebiet gehört, in der der Bundesrepublik Deutschland aber bestimmte Hoheitsbefugnisse völkerrechtlich zugewiesen sind. Dazu Erbguth NuR 2004, 91 ff, bes 91, 93 ff. Damit wurden insbes auch die Voraussetzungen für sog „Offshore-Windenergieanlagen“ geschaffen, vgl dazu zB Erbguth/Mahlburg DÖV 2003, 665 ff; Maier UPR 2004, 103 ff. Zur historischen Entwicklung des Raumordnungsrechts Appold FS Hoppe, 2000, 21 ff. Dazu u Rn 73 ff. BVerwG NVwZ 2004, 1240, 1241; Stüer UPR 2002, 333 ff. Mit „Fachplanungen“ sind konkrete staatliche Projektplanungen gemeint (Ausbau eines Gewässers, Bau einer Autobahn etc). Zum Fachplanungsrecht vgl die Nachw bei Stüer (Fn 54) Rn 1402 Fn 1. BVerfGE 3, 407, 425: „Sie ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und weil sie vielfältige Fachplanungen zusammenfaßt und aufeinander abstimmt“. Vgl Steiner in: ders, BesVwR, Abschn VI Rn 3. Zum Begriff der raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen u Rn 38. Ein Überblick zum Inhalt des ROG bei Dolderer NVwZ 1998, 345 ff; Runkel NUR 1998, 449 ff; Appold FS Hoppe, 2000, 21, 29 ff.

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4. Kap II 1

rahmenrechtliche Regelungen, die der Umsetzung durch Landesrecht bedürfen (§§ 6–17 ROG). Dabei ist das Bundesrecht zunehmend auch europarechtlichen Einflüssen ausgesetzt.117

1. Aufgaben, Leitvorstellungen und Prinzipien der Raumordnung Aufgabe der Raumordnung ist es gem § 1 I 1 ROG, den Gesamtraum der Bundes- 36 republik Deutschland und seine Teilräume zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern.118 Die inhaltlichen Gesichtspunkte, nach denen dies zu erfolgen hat, nennt § 1 II ROG. Die Norm ist kein bloßer Programmsatz, sondern unmittelbar geltendes Recht für die Raumordnung des Bundes und der Länder.119 Leitvorstellung der Raumordnung ist gem § 1 II 1 ROG eine nachhaltige Raumentwicklung,120 die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt. Diese Leitvorstellung konkretisiert § 1 II 2 ROG. Danach sind die freie Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft und in der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen zu gewährleisten, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln, die Standortvoraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungen zu schaffen, Gestaltungsmöglichkeiten der Raumordnung langfristig offen zu halten, die prägende Vielfalt der Teilräume zu stärken, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen herzustellen, die räumlichen und strukturellen Ungleichgewichte zwischen den bis zur Herstellung der Einheit Deutschlands getrennten Gebieten auszugleichen und die räumlichen Voraussetzungen für den Zusammenhalt in der Europäischen Gemeinschaft und im größeren europäischen Raum zu schaffen. Diese unterschiedlichen Anforderungen an die Ordnung, Sicherung und Entwicklung des Raumes kollidieren vielfach. Da das Gesetz sie als prinzipiell gleichgewichtig ansieht, bestimmt § 1 I 2 Nr 1 ROG, dass sie aufeinander abzustimmen und auftretende Konflikte auszugleichen sind. Jede Fläche ist Teil eines übergeordneten Gebietes und setzt sich zugleich aus Teil- 37 gebieten zusammen. Das Gebiet eines Landes ist zB im Verhältnis zum Bundesgebiet Teilraum, im Verhältnis zum Gebiet seiner Gemeinden dagegen übergeordneter Gesamtraum. Ob eine Raumnutzung den Anforderungen zB des § 1 II ROG entspricht, hängt oft davon ab, ob man dies aus der Sicht des Gesamt- oder des Teilraumes beurteilt. Die Sicherung der Trasse einer Autobahn 121 kann zB nachteilige Auswirkungen für das Gebiet einer Gemeinde haben, gleichzeitig aber aus Sicht des 117

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Vgl dazu Jarass DÖV 1999, 661 ff; Kadelbach FS Hoppe, 2000, 897, 898 ff; Wahl FS Hoppe, 2000, 913, 917 ff. Zu den Änderungen des ROG durch das EAG Bau Erbguth NuR 2004, 91 ff; Schreiber UPR 2004, 50 ff. Dazu zählt nach § 1 I 2 Nr 2 ROG auch die Vorsorge für einzelne Raumfunktionen und -nutzungen. Hoppe in: ders/Schoeneberg (Hrsg), RaumO, Rn 535 zu § 1 ROG aF. Missverständlich insofern Koch/Hendler BauR, 39f. Zum Begriff Frenz UPR 2003, 361 ff; Krautzberger/Stemmler FS Hoppe, 2000, 317 ff; ausf Bode Der Planungsgrundsatz der nachhaltigen Raumentwicklung, 2003. Sie kann Inhalt von Raumordnungsplänen sein, vgl § 7 II 1 Nr 3 a ROG.

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4. Kap II 2 a

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Landes oder Bundes besonders bedeutsam sein. Denkbar ist ein System der Raumordnung, demzufolge sich die Teilräume jeweils an den Erfordernissen des übergeordneten Gesamtraumes auszurichten haben. Auch ein umgekehrtes Modell ist vorstellbar. Das ROG hat sich für keine dieser Konzeptionen entschieden und stattdessen in § 1 III ROG das Gegenstromprinzip 122 normiert. Danach soll sich einerseits die Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Teilräume in die Gegebenheiten und Erfordernisse des Gesamtraumes einfügen. Andererseits soll die Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraumes die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Teilräume berücksichtigen. Das bedeutet, dass zB die raumbezogenen Gegebenheiten und Erfordernisse des Gebietes einer Gemeinde den Erfordernissen der übergeordneten Räume weder vollständig unter- noch übergeordnet werden dürfen.123

2. Zielsetzung der Raumordnungsplanung und Typen planerischer Aussagen a) Zielsetzung der Raumordnungsplanung 38 Wichtigstes Instrument der Raumordnung ist die Raumordnungsplanung.124 Sie hat zum Ziel, zur Verwirklichung der Aufgaben der Raumordnung verbindliche Vorgaben für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen zu treffen. Den Begriff der raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen definiert § 3 Nr 6 ROG. Er umfasst alle Planungen, Vorhaben und sonstigen Maßnahmen, durch die Raum in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebietes beeinflusst wird, einschließlich des Einsatzes der hierfür vorgesehenen öffentlichen Finanzmittel. Beispiele sind Flächennutzungs- und Bebauungspläne, Planfeststellungen, Förderungsprogramme zur Industrieansiedlung, Ausweisungen von Naturschutzgebieten, die Errichtung von Anlagen, der Bau von Straßen, Wasserwegen, Flughäfen 125 etc.126 122 123

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Dazu Hoppe (Fn 119) Rn 536 ff zu § 1 IV ROG aF. Sollen raumbezogene Planungen dieser inhaltlichen Vorgabe entsprechen, bedarf es einer kooperativen Gestaltung der Planungsverfahren. Das Gegenstromprinzip ist daher Grundlage wechselseitiger Mitwirkungs- und Abstimmungspflichten zwischen den unterschiedlichen Planungsträgern. Vgl dazu die Vorgaben an die Landesgesetzgebung zB in §§ 7 VI, 8 II, 9 I 2, III, IV, 14 ROG sowie Braese Das Gegenstromverfahren in der Raumordnung, 1982, bes 82 ff. Zur variierenden Begriffsbildung Peine (Fn 80) Rn 119 ff; Brohm (Fn 61) § 2 Rn 23 sowie § 36 Rn 8 ff. Erbguth NVwZ 2003, 144, 145. Vgl auch u Rn 48 Fn 170. Vgl die Kataloge bei Koch/Hendler (Fn 119) 36; Erbguth/Schoeneberg RaumO, Rn 24; Brummund DVBl 1988, 77 ff; Runkel in: Bielenberg/ders/Spannowsky, RaumO, § 3 Rn 231 ff sowie die Begr zu § 3 im Entw der BReg zum BauROG (Fn 18), BT-Drucks 13/6392, 1. Für „raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen“ iSd § 3 I ROG aF wurde zT angenommen, es müsse sich um „öffentlich-rechtliche“ bzw „hoheitliche“ (Erbguth/ Schoeneberg RaumO, Rn 24) Maßnahmen handeln. § 4 I 2 Nr 2, IV ROG zeigt durch die Nennung von „raumbedeutsamen Maßnahmen von Personen des Privatrechts“, dass das ROG diese Differenzierung nicht mehr trifft.

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Baurecht

4. Kap II 2 b

b) Typen planerischer Aussagen Das ROG kennt verschiedene Typen raumplanerischer Aussagen, durch die die er- 39 forderlichen verbindlichen Vorgaben für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen getroffen werden. Ziele der Raumordnung 127 sind gem § 3 Nr 2 ROG „verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums“.128 Das Ausmaß ihrer Verbindlichkeit, also ihre Bindungswirkung regelt § 4 ROG.129 Gem § 4 I 1 ROG sind Ziele der Raumordnung von öffentlichen Stellen 130 bei ihren raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen 131 zu beachten.132 Beachtung heißt, sich an die Zielvorgaben zu halten und keine gegenläufigen Raumnutzungen umzusetzen. Ziele der Raumordnung sind also strikt bindende Vorgaben 133 für öffentliche Stellen, die auch im Rahmen von Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen dieser Stellen über ihre raumbedeutsamen Planungen oder Maßnahmen keiner Relativierung zugänglich sind 134 („unüberwindbare Belange“ 135). In gleicher Weise binden Ziele der Raumordnung gem § 4 III ROG auch Personen des Privatrechts, die in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen durchführen, sofern an ihnen öffentliche Stellen mehrheitlich beteiligt sind oder die von ihnen durchgeführten raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen überwiegend 127

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Dazu BVerwGE 119, 54 ff, insbes 58; Ronellenfitsch FS Hoppe, 2000, 355 ff; Schroeder UPR 2000, 52 ff; Schulte NVwZ 1999, 942 ff; Hoppe NWVBl 1998, 461 ff; ders DVBl 1993, 681 ff. Zur Frage des Drittschutzes von Zielen der Raumordnung Dolde in: Huff/ Schunder (Hrsg), Sonderheft für Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Weber zum 65. Geburtstag, 2001, 12 ff. Die Definition zeigt, dass Ziele der Raumordnung nur in Raumordnungsplänen der Träger der Landes- und Regionalplanung enthalten sein können. Auf der Ebene des Rechts des Bundes, der keine Raumordnungspläne erlassen kann, gibt es daher keine Ziele der Raumordnung. Vgl zur Raumordnungsplanung auf Ebene des Bundes u Rn 42 ff. Vgl dazu BVerwGE 119, 217, 223 f; Runkel ZfBR 1999, 3 ff. Zum Bestimmtheitserfordernis bei planerischen Zielaussagen BVerwG NVwZ 2002, 869, 870 ff. Das sind gem § 3 Nr 5 ROG alle Bundes- und Landesbehörden, kommunalen Gebietskörperschaften sowie bundesunmittelbaren oder unter Landesaufsicht stehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Zu diesem Begriff vgl § 3 Nr 6 ROG sowie o Rn 38. Ist für eine raumbedeutsame Maßnahme einer öffentlichen Stelle die Zulassungsentscheidung einer anderen öffentlichen Stelle erforderlich, sind beide an die Ziele der Raumordnung gebunden, § 4 I 2 Nr 1 ROG. BVerwGE 119, 217, 223; Hoppe in: ders/Bönker/Grotefels (Hrsg), BauR, § 6 Rn 8. Ausnahmen bestehen nur für bestimmte raumbedeutsame Bundesmaßnahmen (§ 5 ROG) sowie dann, wenn die Länder von der Möglichkeit des § 11 ROG Gebrauch gemacht haben, für Einzelfälle ein Zielabweichungsverfahren zu normieren, vgl dazu auch BVerwGE 119, 54, 62. BVerwGE 90, 329, 332 ff; 119, 217, 223; VGH München BayVBl 1997, 178, 179; Hoppe DVBl 1993, 681, 682; Halama FS Schlichter, 1995, 201, 201; Dolderer NVwZ 1998, 345, 346; Goppel BayVBl 1998, 289, 290 ff; Ronellenfitsch FS Hoppe, 2000, 355, 364. Vgl zu diesem Begriff u Rn 102.

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4. Kap II 2 b

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mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.136 Im Übrigen binden Ziele der Raumordnung Private bei ihren raumbedeutsamen Maßnahmen grundsätzlich 137 nicht. Allerdings sind nach § 4 IV ROG bei behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit privater raumbedeutsamer Maßnahmen die Erfordernisse der Raumordnung nach Maßgabe der für diese Entscheidung geltenden Vorschriften zu berücksichtigen.138 Erfordert zB ein Genehmigungstatbestand für ein privates Vorhaben die Berücksichtigung öffentlicher Belange, haben insofern die Ziele der Raumordnung in die behördliche Genehmigungsentscheidung einzufließen. Dies gilt insbesondere auch für die Genehmigung von Bauvorhaben im sog Außenbereich nach § 35 III 2, 3 BauGB.139 Fachgesetze können die gebundenen Stellen darüber hinaus ausnahmsweise verpflichten, Ziele der Raumordnung aktiv durch Einleitung von Planungen und Maßnahmen zu realisieren.140 Die Grundsätze der Raumordnung 141 sind ein zweiter Typus raumplanerischer 40 Aussagen. Grundsätze der Raumordnung sind nach § 3 Nr 3 ROG „allgemeine Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums in oder auf Grund von § 2 als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen“.142 Der Umfang ihrer Bindungswirkung ergibt sich ebenfalls aus § 4 ROG. Gem § 4 II ROG sind die Grundsätze der Raumordnung 143 von öffentlichen Stellen 144 bei „raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen nach Absatz 1“, also 136

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Ziele der Raumordnung sind also zB von der im Bundeseigentum stehenden Bahn-AG beim Schienenneu- bzw -ausbau zu beachten, vgl Begr zu § 4 des Entw der BReg zum BauROG (Fn 126). Dazu auch Hendler DVBl 2001, 1233, 1235; ausf zu § 4 III ROG Kment DVBl 2003, 1018 ff mwN. Anderes gilt, wenn Fachgesetze weitergehende Bindungswirkungen anordnen, vgl § 4 V ROG. Zu derartigen sog „Raumordnungsklauseln“ Koch/Hendler (Fn 119) 54; Wagner DVBl 1990, 1024 ff. Zum Begriff der Berücksichtigung vgl u Rn 40. Nach BVerwG NVwZ 2003, 1261, 1263 und OVG Koblenz NuR 2004, 465 ff sind Ziele der Raumordnung bereits dann zu berücksichtigen, wenn sie sich noch in Aufstellung befinden. Eine strenge behördliche Beachtungspflicht besteht nach § 4 I 2 Nr 2, IV 2 ROG bei Planfeststellungen und -genehmigungen über raumbedeutsame Maßnahmen Privater. Vgl zum Ganzen auch Reidt ZfBR 2004, 430 ff. Vgl u Rn 67 ff m Fn 263 u 264. Zur Frage, ob § 1 IV BauGB eine entsprechende Erstplanungspflicht auslöst, vgl u Rn 95. ZT enthalten die LPlGe der Länder Planungsgebote, mit deren Hilfe Gemeinden verpflichtet werden können, Bauleitpläne entsprechend den Zielen der Raumordnung aufzustellen, vgl § 21 LPlG BW; Art 30 I LPlG Bay; § 23 I ROG Nds; § 33 II LPlG NW; § 23 I LPlG RP; § 6 III LPlG Saarl; § 16 I LPlG Thür. Dazu Hoppe DVBl 1993, 681 ff; Brummund Die Grundsätze der Raumordnung, 1989. Zur Abgrenzung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung durch § 7 I 3 ROG Hoppe DVBl 1999, 1457 ff. Der Verweis auf § 2 ROG verdeutlicht, dass bereits das ROG bundesrechtliche Raumordnungsgrundsätze enthält. Nach Maßgabe des § 2 III ROG können die Länder weitere Grundsätze der Raumordnung aufstellen. Zu den „sonstigen Erfordernissen der Raumordnung“, die die Norm nennt, vgl die Definition in § 3 Nr 4 ROG. Vgl die Definition in § 3 Nr 5 ROG sowie o Fn 130.

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4. Kap II 3

insbesondere 145 bei eigenen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen in der Abwägung oder bei der Ermessensausübung nach Maßgabe der dafür geltenden Vorschriften zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass bei Ermessens- oder Abwägungsentscheidungen öffentlicher Stellen über ihre raumbedeutsamen Planungen oder Maßnahmen die Raumordnungsgrundsätze in diese Entscheidung einfließen müssen, anderen relevanten Belangen dabei aber als prinzipiell gleichrangig gegenübertreten. Sie sind damit – anders als die Ziele der Raumordnung – einer Relativierung im Prozess der Ermessensausübung oder Abwägung zugänglich („überwindbare Belange“ 146). Das Gesetz stellt auch insoweit den öffentlichen Stellen die in § 4 III ROG genannten Personen des Privatrechts gleich.147 § 4 IV ROG sieht zudem auch in Bezug auf die Raumordnungsgrundsätze vor, dass sie bei behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Maßnahmen von Privaten nach Maßgabe der für diese Entscheidungen geltenden Vorschriften zu berücksichtigen sind.148 Um Wirksamkeit zu entfalten, müssen sowohl die Ziele als auch die Grundsätze 41 der Raumordnung bestimmten Rechtmäßigkeitsanforderungen genügen. Dazu müssen idR 149 die Rechtmäßigkeitsanforderungen für die Planwerke, deren Bestandteil sie sind, erfüllt sein.150 Außerdem müssen die Festlegungen hinreichend bestimmt oder bestimmbar sein (§ 3 Nr 2 ROG), ohne ihren als „Vorgabe“ bzw „allgemeine Aussage“ notwendig übergreifenden Charakter zu verlieren.151

3. Raumordnungsplanung auf der Ebene des Bundes Eine auf das gesamte Bundesgebiet bezogene, umfassende Bundesraumordnungs- 42 planung sieht das ROG nicht vor. Lediglich die Grundsätze der Raumordnung des § 2 II ROG enthalten unmittelbar geltende Vorgaben des Bundes in Gesetzesform für sämtliche raumbedeutsamen Maßnahmen.

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Die Berücksichtigungspflicht besteht gem § 4 II iVm § 4 I 2 Nr 1 ROG zudem bei behördlichen Entscheidungen über raumbedeutsame Maßnahmen anderer öffentlicher Stellen sowie nach § 4 II iVm § 4 I 2 Nr 2 ROG bei Planfeststellungen und -genehmigungen über raumbedeutsame Maßnahmen von Privaten. Vgl zu diesem Begriff u Rn 102. Vgl schon o Rn 39. Insoweit gilt dasselbe wie bei den Zielen der Raumordnung, vgl o Rn 39. Zu Unbeachtlichkeits- und Planerhaltungsregelungen u Rn 51. Zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen an Raumordnungspläne, die ua Grundsätze und Ziele der Raumordnung enthalten, u Rn 48 ff. Zum Rahmencharakter der Ziele der Raumordnung sowie zum erforderlichen Bestimmtheitsgrad Paßlick Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, 1986, 30 ff, 109 ff; Krautzberger (Fn 46) § 1 Rn 38 f; Hoppe in: ders/Bönker/Grotefels (Hrsg), BauR, § 6 Rn 9. Zum Bestimmtheitserfordernis vgl auch BVerwGE 119, 54, 60; BauR 2002, 1063, 1063 f sowie Schmidt-Aßmann (Fn 85) 158 f: „Bestimmtheit ist nicht identisch mit einem Höchstmaß an Konkretheit“.

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4. Kap II 3 b

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a) Inhalt der Raumordnungsgrundsätze des Bundes 43 Die bundesgesetzlichen Grundsätze der Raumordnung treffen Aussagen zu den wichtigsten für den Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland relevanten Belangen. Dabei enthalten die Nummern 1–7 des § 2 II ROG räumliche, die Nummern 8–15 fachliche Grundsätze. Die räumlichen Grundsätze betreffen die übergreifende Raum- (Nr 1), Siedlungs- (Nr 2), Freiraum- (Nr 3) und Infrastruktur (Nr 4) sowie die verdichteten (Nr 5), ländlichen (Nr 6) und strukturschwachen Räume (Nr 7). Die fachlichen Grundsätze befassen sich mit den Naturgütern (Nr 8), der Wirtschaftsstruktur (Nr 9), der Land- und Forstwirtschaft (Nr 10), dem Wohnen (Nr 11), dem Verkehr (Nr 12), der Kulturlandschaft (Nr 13), der Erholung, der Freizeit und dem Sport (Nr 14) sowie der Verteidigung (Nr 15). b) Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze des Bundes 44 Die bereits beschriebene Bindungswirkung der Grundsätze der Raumordnung 152 bedeutet auf der Ebene des Bundes, dass seine Behörden, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sowie die von § 4 III ROG erfassten Personen des Privatrechts die in § 2 II ROG enthaltenen Vorgaben bei allen erfassten Ermessens- und Abwägungsentscheidungen über raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen nach Maßgabe des jeweils geltenden Rechts zu berücksichtigen haben (§ 4 II, IV ROG). Dergestalt fließen die Grundsätze des § 2 II ROG zB in die Bestimmung der Linienführung einer Bundeswasserstraße durch den Bundesminister für Verkehr 153 oder in die Planfeststellung bzw -genehmigung der Schienenwege von Eisenbahnen des Bundes durch das Eisenbahn-Bundesamt 154 ein. Insbesondere durch Abstimmung der verschiedenen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen des Bundes und der Europäischen Union mit Hilfe rechtlich unverbindlicher Leitbilder 155 wirkt zudem das für Raumordnung zuständige Bundesministerium auf die Verwirklichung der Grundsätze des § 2 II ROG hin (§ 18 I 1 ROG).156 Schließlich hat der Bund nach Maßgabe des § 18 IV ROG darauf Einfluss zu nehmen, dass die Personen des Privatrechts, an denen er beteiligt ist, bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die Grundsätze des § 2 II ROG berücksichtigen.157 152 153

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Vgl Rn 40. Vgl § 13 Bundeswasserstraßengesetz – WaStrG idF der Bekanntmachung v 4. 11. 1998 (BGBl I 3294), zul geänd durch VO v 25. 5. 2005 (BGBl I 1537). Vgl § 18 Allgemeines Eisenbahngesetz – AEG v 27. 12. 1993 (BGBl I 2378, 2396, ber 1994 I 2439), zul geänd durch G v 27. 4. 2005 (BGBl I 1138) iVm § 3 I Nr 1 des Gesetzes über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes – BEVVG v 27. 12. 1993 (BGBl I 2378, 2394), zul geänd durch G v 27. 4. 2005 (BGBl I 1138). Ein solches Leitbild ist zB der „Raumordnungspolitische Orientierungsrahmen“ (http:// www.bbr.bund.de/inFosite/download/orientierungsrahmen.pdf [Stand: 22. 6. 2005]; vgl auch BT-Drucks 12/6854, 168 f), den das zuständige Bundesministerium 1992 als Fortführung des Bundesraumordnungsprogramms von 1975 erarbeitet hat. Dazu Baumheier/Wagner VerwArch 83 (1992) 97, 109 f. Vgl zu Aspekten der Vorgängerregelung des § 4 I 1 ROG aF Hoppe/Erbguth DVBl 1983, 1213, 1214 f. Das gilt, obwohl diese zT bereits selbst gebunden sind (vgl § 4 III Nr 1 ROG), und ge-

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4. Kap II 4 a

Auf Landesebene haben die Behörden des Landes und seine juristischen Personen 45 des öffentlichen Rechts, die kommunalen Gebietskörperschaften sowie die von § 4 III ROG erfassten Personen des Privatrechts die Vorgaben des § 2 II ROG gleichermaßen zu berücksichtigen.158 Die bundesrechtlichen Raumordnungsgrundsätze beeinflussen dergestalt zB die durch die Länder aufzustellenden wasserwirtschaftlichen Maßnahmenprogramme 159 oder die von Flurbereinigungsbehörden zu treffenden Entscheidungen.160 Insbesondere determinieren sie den Inhalt der von den Ländern aufzustellenden Raumordnungspläne: § 7 I 1 ROG bestimmt, dass die Grundsätze der Raumordnung in Raumordnungsplänen zu konkretisieren sind.161

4. Raumordnungsplanung auf der Ebene der Länder a) Rahmenrechtliche Vorgaben Die §§7–10 ROG enthalten rahmenrechtliche Vorgaben für die landesrechtliche 46 Ausgestaltung der Raumordnungsplanung auf der Ebene der Länder.162 Landesrecht muss also sicherstellen, dass auf Landesebene die nachfolgend dargestellten Anforderungen des ROG erfüllt werden (§ 6 S 1 ROG).163 § 22 S 1 ROG gewährte den Ländern zur Rechtsanpassung an die Neufassung des ROG eine Frist von vier Jahren ab dessen Inkrafttreten. Diese Frist ist am 1. 1. 2002 abgelaufen. Die durch das EAG Bau neu gefassten Vorschriften über die Umweltprüfung und den Umweltbericht (§ 7 V–X ROG) sind bis zum 31. 12. 2006 umzusetzen (§ 22 S 2 ROG).164

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schieht durch Einwirkung auf die Vertreter des Bundes in den jeweiligen Entscheidungsgremien. §§ 3 Nr 5, 4 II, III, IV ROG. Vgl § 36 I Wasserhaushaltsgesetz – WHG idF v 19. 8. 2002 (BGBl I 3245), zul geänd durch G v 3. 5. 2005 (BGBl I 1224). Vgl § 37 II Flurbereinigungsgesetz – FlurbG idF v 16. 3. 1976 (BGBl I 546), zul geänd durch G v 20. 12. 2001 (BGBl I 3987). § 3 Nr 6 ROG stellt zudem klar, dass Raumordnungspläne raumbedeutsame Planungen iSd Gesetzes sind. Zur landesrechtlichen Ausgestaltung der Raumordnungsplanung vgl u Rn 53 ff. Von unmittelbar geltenden Normen des ROG nF abweichendes Landesrecht ist gem Art 31 GG unwirksam. ZB begrenzen §§ 3, 5 I 2, II LPlGMV – dem ROG aF entsprechend – die Bindungswirkung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung entgegen dem unmittelbar geltenden § 4 III ROG nF auf öffentlich-rechtlich organisierte Stellen. § 22 LPlGNW ordnet die Bindungswirkung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung auch für Private iSd § 4 III ROG ausdrücklich nur hinsichtlich der Regionalpläne an, trifft aber keine Regelung über die Bindungswirkung des Landesentwicklungsprogramms und -plans. Nicht ganz eindeutig ist die Rechtslage auch in Schleswig-Holstein. Gem § 4 I LPlG SchlH sind nur öffentlich-rechtlich organisierte Stellen an Raumordnungspläne gebunden. Gem § 4 II LPlG SchlH haben die Träger öffentlicher Verwaltung darauf hinzuwirken, dass die juristischen Personen, an denen sie beteiligt sind, zur Verwirklichung der Raumordnungspläne beitragen. § 4 III 1 LPlG SchlH formuliert: „Will … eine juristische Person des Privatrechts nach Absatz 2 von Zielen eines Raumordnungsplanes abweichen, so ist die Landesplanungsbehörde … zu unterrichten“. Demnach scheint das Gesetz auch eine Bindung dieser Stellen an die Ziele eines Raumordnungsplans zu kennen. Vgl dazu Schreiber UPR 2004, 50 ff.

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4. Kap II 4 a aa

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Bis dahin sind diese Vorschriften und § 10 II Nr 1 ROG unmittelbar in den Ländern anwendbar (§ 22 S 3 ROG). Nach § 8 I 1 ROG ist grundsätzlich 165 für das Gebiet eines jeden Landes ein zu47 sammenfassender, übergeordneter Raumordnungsplan aufzustellen. Unter den Voraussetzungen des § 9 ROG sind zudem untergeordnete Regionalpläne zu erlassen, die den für das Gebiet des gesamten Landes bestehenden Raumordnungsplan jeweils konkretisieren.166 § 7 ROG enthält „Allgemeine Vorschriften über Raumordnungspläne“, die sich sowohl auf Raumordnungspläne für das gesamte Gebiet eines Landes als auch auf Regionalpläne beziehen.167 Diese allgemeinen Anforderungen werden in §§ 8, 9 ROG durch besondere Anforderungen ergänzt. aa) Allgemeine Vorgaben für Raumordnungspläne: Zum Inhalt von Raumord48 nungsplänen bestimmt § 7 II ROG, dass sie Festlegungen zur Raumstruktur enthalten sollen, die insbesondere 168 Aussagen zur anzustrebenden Siedlungs- und Freiraumstruktur (§ 7 II S 1 Nr 1 u 2 ROG) und zu den zu sichernden Standorten und Trassen für Infrastruktur (§ 7 II S 1 Nr 3 ROG) treffen.169 Bedeutung hat letzteres vor allem im Zusammenhang mit der Ausweisung von Standorten für Verkehrsflughäfen erlangt.170 § 7 ROG enthält keine Vorgabe zur Rechtsform von Raumordnungsplänen. Ihre 48 a Auswahl ist daher dem Landesrecht überlassen.171 § 7 ROG geht jedoch davon aus, dass Raumordnungspläne Ziele der Raumordnung enthalten.172 Deren Rechtswirkung statten §§ 4, 5 ROG mit unmittelbarer Geltung aus.173 Darüber hinaus kön165 166 167

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Ausnahmen bestehen für die Stadtstaaten. Dazu Rn 53. Vgl § 9 II 1 ROG. Gem § 3 Nr 7 ROG bezeichnet das ROG die Raumordnungspläne für das Gebiet eines ganzen Landes und Regionalpläne zusammenfassend als Raumordnungspläne. § 7 ROG bezieht sich daher sowohl auf Raumordnungspläne für das Gebiet eines ganzen Landes als auch auf Regionalpläne. Vgl Runkel UPR 1997, 1, 6: „inhaltliche Kernbereiche von Raumordnungsplänen“. Ähnlich Dolderer NVwZ 1998, 345, 347. Nach Maßgabe des § 7 III ROG sollen Raumordnungspläne zudem Festlegungen zur Integration von Fachplanungen in die Raumordnungsplanung treffen. Vgl dazu die Begr zu § 7 des Entw der BReg zum BauROG (Fn 126). Zur Festlegung von Gebieten als Vorrang-, Vorbehalts- oder Eignungsgebiet (§ 7 IV ROG) Grotefels FS Hoppe, 2000, 369 ff; Erbguth DVBl 1998, 209 ff; Busse BayVBl 1998, 293, 293 f. § 7 I 2 ROG ermöglicht auch die Aufstellung räumlicher oder sachlicher Teilpläne. Dazu und zur Abgrenzung sachlicher Teilpläne („Fachprogramme“, „Entwicklungspläne“) von Fachplanungen Brohm (Fn 61) § 37 Rn 10. Vgl VGH Kassel NVwZ 2003, 329, 330 f; OVG Frankfurt/Oder v 10. 2. 2005 – 3 D 104/03, jeweils zur Nichtigkeit der Ausweisung von Standorten für Flughafenerweiterungen im Landesentwicklungsplan wegen Mängeln in der Abwägung. Dazu auch Erbguth NVwZ 2003, 144 ff; Koch/Wieneke NVwZ 2003, 1153 (1155 f); Steinberg/Steinwachs NVwZ 2004, 531 ff. Zur Verkehrssteuerung durch Instrumente des Raumordnungsrechts im Allgemeinen Ramsauer NVwZ 2004, 1041 ff; Erbguth NVwZ 2000, 28 ff, bes 35. Zu den unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen Rn 56, 60. § 7 I S 2 ROG ordnet ausdrücklich an, dass in den Raumordnungsplänen „Ziele der Raumordnung als solche zu kennzeichnen“ sind. Vgl dazu o Rn 39 f. Es bedarf insoweit also keiner landesrechtlichen Umsetzung.

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4. Kap II 4 a aa

nen Raumordnungspläne nach § 2 III ROG auch Grundsätze der Raumordnung enthalten. Ihre Bindungswirkung folgt ebenfalls unmittelbar aus § 4 ROG. Zum Aufstellungsverfahren gibt § 7 VI ROG vor, dass bei der Aufstellung von 49 Raumordnungsplänen die Beteiligung der öffentlichen Stellen (§ 3 Nr 5 ROG) und der Öffentlichkeit in der Weise vorzusehen ist, dass diesen frühzeitig und effektiv Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf des Raumordnungsplans und zu dessen Begründung gegeben wird.174 Zudem ist nach § 7 V ROG nunmehr entsprechend europarechtlicher Vorgaben vorzusehen, dass bei der Aufstellung und Änderung von Raumordnungsplänen grundsätzlich eine Umweltprüfung durchgeführt und ein Umweltbericht erstellt wird.175 Die nach § 7 VI ROG vorzusehende Gelegenheit zur Stellungnahme öffentlicher Stellen und der Öffentlichkeit muss sich auch auf den Umweltbericht erstrecken. Nach § 7 VIII ROG ist vorzusehen, dass den Raumordnungsplänen eine Begründung beizufügen ist, die ua Angaben darüber enthalten muss, wie der Umweltbericht sowie die nach § 7 VI ROG abgegebenen Stellungnahmen berücksichtigt wurden und welche Gründe nach Abwägung mit alternativen Planungsmöglichkeiten für die Festlegungen des Plans entscheidungserheblich waren. Schließlich ist vorzusehen, dass der Raumordnungsplan mit seiner die Umweltprüfung betreffenden Begründung öffentlich bekannt zu machen (§ 7 IX ROG) und die erheblichen Auswirkungen seiner Durchführung auf die Umwelt zu überwachen (§ 7 X ROG) sind. Raumordnungspläne sollen gem § 7 I 1 ROG die Raumordnungsgrund- 50 sätze 176 nach Maßgabe der Leitvorstellung und des Gegenstromprinzips (§ 1 II, III 174

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Zu den diesen Vorschriften zugrundeliegenden Vorgaben des europäischen Rechts Grotefels/Uebbing NuR 2003, 460 ff. Nach der noch vor Erlass des ROG 1998 ergangenen Entscheidung BVerwGE 95, 123, 129 ff binden Ziele der Raumordnung, die unter Missachtung der gesetzlichen Mitwirkungsrechte der Gemeinden aufgestellt werden, diese nicht. Es ist davon auszugehen, dass dies auch nach § 7 VI ROG nF gilt, da die Vorschrift die bisherigen Beteiligungsvorschriften lediglich erweitern, im Übrigen aber den Rechtsgedanken des § 7 V ROG aF übernehmen soll, der zwingend nur eine Beteiligung derjenigen Stellen vorsah, für die eine Beachtenspflicht nach § 4 I, III ROG begründet werden sollte (§ 7 V ROG aF), vgl BT-Drucks 15/2250, 71. Vgl auch § 16 UVPG. Eine Ausnahme von der Pflicht zur Erstellung eines Umweltberichts kann nach § 7 V 5 ROG nur für den Fall vorgesehen werden, dass ein Raumordnungsplan nur geringfügig geändert wird und die Änderung voraussichtlich keine erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt haben wird. Allerdings kann die Feststellung, dass eine geringfügige Änderung eines Raumordnungsplans voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben wird, nur unter Beteiligung der öffentlichen Stellen getroffen werden, deren Aufgabenbereich von den Umweltauswirkungen betroffen werden kann (§ 7 V 6 ROG). Zur Umweltprüfung nach den Änderungen des ROG durch das EAG Bau vgl auch Schreiber UPR 2004, 50 ff; Erbguth NuR 2004, 91, 92 f. In Bezug genommen sind damit zunächst die Grundsätze der Raumordnung des Bundes (§ 2 II ROG). Haben die Länder gem § 2 III ROG weitere Grundsätze der Raumordnung aufgestellt, müssen Raumordnungspläne auch höherrangige landesrechtliche Grundsätze konkretisieren. Enthält zB ein Landesplanungsgesetz Raumordnungsgrundsätze, sind diese durch den auf das gesamte Land bezogenen Raumordnungsplan zu konkretisieren. Enthält dieser wiederum Grundsätze der Raumordnung, sind diese in den Regionalplänen zu konkretisieren.

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ROG) für den jeweiligen Planungsraum für einen idR mittelfristigen Zeitraum konkretisieren. Für die Verwirklichung dieses inhaltlich vagen, aber rechtlich verbindlichen Zielprogramms bestehen rechtliche Vorgaben und Grenzen.177 Zunächst müssen Raumordnungspläne dem Verfassungsrecht, insbesondere Art 28 II 1 GG,178 sowie zwingenden höherstufigen Planvorgaben 179 entsprechen. Darüber hinaus ist nach § 7 VII 1 ROG landesrechtlich vorzusehen, dass im Prozess der Planung die Grundsätze der Raumordnung gegeneinander und untereinander abzuwägen sind. Gem § 7 VII 2 ROG sind der Umweltbericht und die Stellungnahmen nach § 7 VI ROG in der Abwägung zu berücksichtigen. Alle sonstigen öffentlichen sowie privaten Belange sind ebenfalls zu berücksichtigen, soweit sie jeweils erkennbar und bedeutsam sind.180 § 7 VII 4 ROG trifft schließlich Aussagen zur Behandlung bestimmter naturschutzrechtlicher Belange.181 Nicht jeder Rechtsfehler bei der Aufstellung eines Raumordnungsplans bewirkt 51 dessen Unwirksamkeit. Gem § 10 I ROG ist landesrechtlich vorzusehen, dass die Beachtlichkeit einer Verletzung von Form- und Verfahrensvorschriften von der Einhaltung einer Rügefrist von längstens einem Jahr nach Bekanntmachung des Raumordnungsplans abhängig gemacht wird. Nach Maßgabe von § 10 II, III ROG können die Länder weitere Fehler für unbeachtlich (§ 10 II ROG) bzw für behebbar 182 (§ 10 III ROG) erklären. bb) Besondere Vorgaben für Raumordnungspläne: Im Hinblick auf Raumord52 nungspläne für das Gebiet eines jeden Landes ist gem § 8 II ROG eine Pflicht zur Planabstimmung mit den Raumordnungsplänen benachbarter Länder vorzusehen.183 Regionalpläne sind gem § 9 I 1 ROG in den Ländern aufzustellen, deren 177

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Vgl ausf zur Struktur von Planung und zur Rechtsbindung im Prozess der Planung u Rn 97 ff. Vgl schon o Rn 16 ff. ZB darf ein Regionalplan nicht Zielen der Raumordnung, die im Raumordnungsplan für das gesamte Landesgebiet enthalten sind, widersprechen. § 7 VII 3 ROG entscheidet die zuvor umstrittene Frage, inwieweit bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen private Belange zu berücksichtigen sind. Das ist insbes von Bedeutung, wenn Ziele der Raumordnung durch fachgesetzliche Anordnung (vgl zB § 35 III 2, 3 BauGB) ausnahmsweise unmittelbar gegenüber Privaten Wirksamkeit entfalten. Das kann vor deren Grundrechten regelmäßig nur Bestand haben, wenn die durch sie geschützten privaten Interessen in der raumordnerischen Abwägung berücksichtigt wurden. Dem trägt § 7 VII 3 ROG Rechnung, vgl BVerwGE 118, 33, 42 ff; NVwZ 2003, 1261, 1261 f; Runkel DVBl 1997, 698, 703; Hendler DVBl 2001, 1233, 1240; ders UPR 2003, 401 ff. Vgl zu § 35 III 2, 3 BauGB u Rn 67 ff m Fn 263 u 264 sowie Rn 80 m Fn 299. § 7 VII 4 ROG dient ua der Umsetzung von Vorgaben der Richtlinie des Rates der EWG 92/43/EWG v 21. 5. 1992, ABl L 206 v 22. 7. 1992, 7, zul geänd durch VO des Europäischen Parlaments und des Rates Nr 1882/2003 v 29. 9. 2003, ABl L 284 v 31. 10. 2003, 1 – Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Zur parallelen Vorschrift des § 214 IV BauGB u Rn 119. Ausf zu § 10 ROG Wiggers Planerhaltung im Recht der Raumordnung, 2003. Darüber hinaus sieht § 16 ROG die Möglichkeit der Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen (§ 3 Nr 6 ROG) mit Nachbarstaaten vor, wenn die Grundsätze von Gegenseitigkeit und Gleichwertigkeit gewahrt werden. Dazu Moersch BayVBl 2004, 40 ff.

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Gebiet die Verflechtungsbereiche mehrerer Zentraler Orte oberster Stufe umfasst.184 Regionalpläne sind nach § 9 II 1 ROG aus dem Raumordnungsplan für das Landesgebiet zu entwickeln.185 Gem § 9 II 2 ROG ist landesgesetzlich anzuordnen, dass Flächennutzungspläne und sonstige städtebauliche Planungen entsprechend dem Gegenstromprinzip (§ 1 III ROG) in der Abwägung nach § 7 VII ROG zu berücksichtigen sind.186 Gem §§ 9 III, IV ROG sind bestimmte Abstimmungs- und Beteiligungspflichten zu konstituieren. Schließlich ermöglicht § 9 VI ROG die Einführung des sog „regionalen Flächennutzungsplans“.187 b) Landesrechtliche Ausgestaltung Fast alle Länder haben Landesplanungsgesetze erlassen, die die grundlegenden Re- 53 gelungen zur Landesplanung enthalten.188 Eine Ausnahme besteht für die Stadtstaaten Bremen und Hamburg. Dort übernimmt – § 8 I 2 ROG entsprechend – der Flächennutzungsplan die Funktion eines für das gesamte Landesgebiet bestehenden Raumordnungsplans. Auf den Erlass von Landesplanungsgesetzen wurde verzichtet. Besonderheiten bestehen auch in Brandenburg und in Berlin. Diese Länder haben durch Staatsvertrag 189 vereinbart, die Raumordnung für das Gesamtgebiet beider Länder 190 gemeinsam wahrzunehmen.191 Die darüber hinaus notwendigen

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Ist eine Planung angesichts bestehender Verflechtungen über die Grenzen eines Landes erforderlich, sind im gegenseitigen Einvernehmen die notwendigen Maßnahmen, wie eine gemeinsame Regionalplanung oder eine gemeinsame informelle Planung, zu treffen (§ 9 I 2 ROG). Gemeint sind Regionen wie das Rhein-Main-Gebiet, das Rhein-Neckar-Gebiet oder der Großraum Hamburg, vgl die Begr zu § 9 des Entw der BReg zum BauROG (Fn 126). Zur entsprechenden Vorschrift des § 8 II 1 BauGB, derzufolge Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind, vgl u Rn 94 ff. Dazu OVG Greifswald NVwZ 2001, 1063, 1064 f; VGH Mannheim BauR 2003, 1444 f sowie zum Gegenstromprinzip bereits o Rn 37 m Fn 123. Zu diesem Instrument und zur damit verbundenen Problematik einer Umverteilung der Entscheidungsgewichte zwischen der Landesraumordnung und der örtlichen Bauleitplanung Runkel UPR 1997, 1, 7 f; Spannowsky DÖV 1997, 757 ff; ders UPR 1999, 409 ff. Zur landesrechtlichen Umsetzung am Beispiel Sachsen-Anhalts Schmidt-Eichstaedt/Reitzig LKV 2000, 273 ff; am Beispiel Nordrhein-Westfalens Kreibohm/Zülka NWVBl 2003, 334 ff. Zu den Rechtsgrundlagen vgl die Übersicht, die diesem Beitrag vorangestellt ist. Zu den Rechtsfolgen der Unvereinbarkeit landesplanungsrechtlicher Regelungen mit dem ROG nF vgl Rn 46 m Fn 163. Vertrag über die Aufgabe und Trägerschaft sowie Grundlagen und Verfahren der gemeinsamen Landesplanung zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg (Landesplanungsvertrag – LPlVertrag) v 6. 4. 1995, GVBl Bbg I 214 u GVBl Bln 407, zul geänd durch Staatsvertrag v 5. 1. 2001, GVBl Bbg I 142 u GVBl Bln 208. Nachstufige Raumordnungsplanung findet auf der Ebene jedes Landes statt. Zu Bedenken gegen die Vereinbarkeit der getroffenen Vereinbarung mit dem ROG nF vgl u Rn 55 m Fn 207. Zu verfassungsrechtlichen Grenzen vgl u Rn 54 m Fn 198. Dazu Wimmer LKV 1998, 127 ff; Battis LKV 1999, 347 ff. Vgl auch Priebs DÖV 1996, 541 ff.

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landesrechtlichen Regelungen enthält in Berlin das AGBauGB 192, in Brandenburg das LPlG Bbg und das RegBkPlG Bbg.193 aa) Raumordnungsplanung für das gesamte Landesgebiet: Die Wahrnehmung 54 der Aufgaben der Raumordnungsplanung für das gesamte Landesgebiet ist unterschiedlich organisiert. Eine dreistufige Verteilung von Zuständigkeiten und Kompetenzen auf eine oberste, eine obere bzw höhere und eine untere Landesplanungsbehörde findet sich in Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.194 In BadenWürttemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen 195 konzentriert sich die Landesplanung auf das zuständige Ministerium sowie auf die Bezirksregierungen bzw Regierungspräsidien. Ebenfalls zweistufig erfolgt die Aufgabenwahrnehmung in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und in Thüringen.196 Das Saarland und Schleswig-Holstein 197 benennen dagegen nur das Umwelt- bzw das Innenministerium als Landesplanungsbehörde. Berlin und Brandenburg haben für die Raumordnungsplanung für das Gesamtgebiet beider Länder eine gemeinsame Landesplanungsabteilung eingerichtet.198 Anders als das derzeit geltende ROG, das ausschließlich den Begriff des Raum55 ordnungsplans verwendet, differenzierte § 5 I, II ROG aF begrifflich zwischen Programmen und Plänen, ohne diese jedoch näher zu definieren. Das erklärt, weshalb sich diese Terminologie in uneinheitlicher Verwendung in den derzeitigen Landesplanungsgesetzen findet. Uneinheitlich ist auch der Standort der beiden Typen planerischer Aussagen,199 also der Ziele und der Grundsätze der Raumordnung. In 192

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Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs – AGBauGB idF der Bekanntmachung v 7. 11. 1999 (GVBl Bln 578). Vgl die Übersicht der Gesetze, die diesem Beitrag vorangestellt ist. Art 4 LPlG Bay; § 3 LPlG RP; § 16 I–III LPlG LSA. In Bayern ist der obersten Landesplanungsbehörde zudem nach Art 10 LPlG Bay ein Landesplanungsbeirat beigeordnet. § 30 LPlG BW; § 20 LPlG Hess; §§ 3, 4 LPlG NW; § 23 LPlG Sachs. In Nordrhein-Westfalen und Sachsen nimmt allerdings darüber hinaus die untere Verwaltungsstufe Aufgaben der allgemeinen Aufsicht wahr, vgl § 5 LPlG NW; § 23 IV 2 LPlG Sachs. In Mecklenburg-Vorpommern ist gem § 10 LPlG MV das für Raumordnung und Landesplanung zuständige Ministerium oberste Landesplanungsbehörde, der als untere Landesplanungsbehörden Ämter für Raumordnung und Landesplanung nachgeordnet sind. Dem Ministerium ist zudem gem § 11 I LPlG MV ein beratender Landesplanungsbeirat beigeordnet. In Niedersachsen ist das zuständige Fachministerium gem § 24 I 1 ROG Nds oberste Landesplanungsbehörde; die Landkreise und kreisfreien Städte nehmen gem § 24 I 2 ROG Nds die Aufgaben der unteren Landesplanungsbehörden wahr. In Thüringen sind gem § 2 I LPlG Thür das zuständige Ministerium und das Landesverwaltungsamt Behörden der Landesplanung. Dem Ministerium ist nach § 6 I LPlG Thür ein Landesplanungsbeirat beigeordnet. § 1 III LPlG Saarl: Ministerium für Umwelt; § 8 I LPlG SchlH: Innenministerium. In beiden Ländern ist der Landesplanungsbehörde gem § 13 LPlG Saarl bzw § 9 LPlG SchlH ein Landesplanungs(bei)rat beigeordnet. Art 2 I LPlVertrag (Fn 189). Zu verfassungsrechtlichen Grenzen derartiger Kooperationen Rudolf in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 105 Rn 79 ff. Die in der Landeszuständigkeit verbleibenden Aufgaben nimmt in Brandenburg die zuständige oberste Landesbehörde wahr, § 2 LPlG Bbg. Zur Stadt- und Bereichsentwicklungsplanung in Berlin vgl § 4 AGBauGB (Fn 192). Dazu o Rn 39 f.

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Bayern und Mecklenburg-Vorpommern enthält das Landesplanungsgesetz die Raumordnungsgrundsätze,200 während die landesgebietsbezogenen Ziele der Raumordnung in einem Landesentwicklungsprogramm 201 oder Landesraumordnungsprogramm 202 aufgestellt werden. In Baden-Württemberg, Hessen, RheinlandPfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind sowohl die Grundsätze als auch die landesgebietsbezogenen Ziele der Raumordnung in einem Landesentwicklungsplan bzw -programm enthalten.203 Schleswig-Holstein formuliert die Grundsätze der Raumordnung in einem besonderen Gesetz und die landesgebietsbezogenen Ziele der Raumordnung in einem Landesraumordnungsplan.204 In Nordrhein-Westfalen enthält das Landesentwicklungsprogramm Grundsätze und allgemeine Ziele der Raumordnung, die durch konkretere Ziele der Raumordnung in einem Landesentwicklungsplan präzisiert werden.205 Mit anderer Bezeichnung folgt auch Niedersachsen diesem Modell.206 Ähnlich enthält für das gemeinsame Plangebiet 207 von Berlin und Brandenburg das Landesentwicklungsprogramm übergreifende Grundsätze und Ziele der Raumordnung, die die Landesentwicklungspläne durch weitere Grundsätze und Ziele der Raumordnung konkretisieren.208 Auch die Rechtsformen der unterschiedlichen Planwerke differieren. Die 56 Grundsätze der Raumordnung werden unabhängig von ihrem systematischen Standort im Einzelnen (Landesplanungsgesetz, Landesentwicklungsplan bzw -programm etc) häufig durch eine Rechtsverordnung 209 oder durch ein Gesetz 210 be200 201 202 203

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Art 2 LPlG Bay; § 2 LPlG MV. Art 11 I LPlG Bay. § 6 I LPlG MV. § 7 I 2 LPlG BW; §§ 2 III, 6, 7 LPlG Hess; §§ 7 I 1 LPlG RP; § 2 I LPlG Saarl; § 3 I 2 LPlG Sachs; §§ 3 I, II, 4 I LPlG LSA; §§ 8 I 1, 9 I LPlG Thür. Vgl §§ 3 I, 5 I LPlG SchlH zum Standort der Ziele der Raumordnung und § 2 I LPlG SchlH iVm dem G über Grundsätze zur Entwicklung des Landes – LandesentwicklungsgrundsätzeG SchlH v 31. 10. 1995 (GVOBl 364) zu den Grundsätzen der Raumordnung. §§ 16 S 2, 17 LPlG NW. § 5 II, III ROG Nds. Art 1 I LPlVertrag (Fn 189) lautet: „Die vertragsschließenden Länder betreiben eine auf Dauer angelegte gemeinsame Raumordnung und Landesplanung. Sie nehmen alle damit zusammenhängenden Aufgaben nach Maßgabe dieses Vertrages für das Gesamtgebiet beider Länder (gemeinsamer Planungsraum) gemeinsam wahr“. Angesichts des Wortlauts von § 8 I 1 ROG, demzufolge für „das Gebiet eines jeden Landes“ ein Raumordnungsplan aufzustellen ist, erscheint die Schaffung eines gemeinsamen Planungsraumes rechtlich nicht völlig unproblematisch. Die vom ROG vorgesehenen Möglichkeiten einer landesübergreifenden Zusammenarbeit im Bereich der Raumordnung (vgl zB § 9 I 2 ROG) greifen zumindest nicht unmittelbar. Art 7 I, 8 I 1 LPlVertrag (Fn 189). § 8 I 7 LPlG RP; §§ 2 I 2, 3 VI 1 LPlG Saarl; § 7 I LPlG Sachs; § 10 IV LPlG Thür. In Baden-Württemberg wird der Landesentwicklungsplan gem § 9 I 1 LPlG BW vom Wirtschaftsministerium als der obersten Raumordnungs- und Landesplanungsbehörde iSd § 30 I LPlG BW aufgestellt. Gem § 10 I LPlG BW kann die Landesregierung den Landesentwicklungsplan durch Rechtsverordnung für verbindlich erklären; sie muss es aber nicht. In Bayern und Mecklenburg-Vorpommern sind sie Bestandteil des Landesplanungsgesetzes (vgl Fn 200), in Schleswig-Holstein eines gesonderten Gesetzes (vgl Fn 204). Die Plan-

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schlossen.211 In Bezug auf die Pläne, die die landesgebietsbezogenen Ziele der Raumordnung enthalten, lässt sich feststellen, dass häufig der gesamte Plan 212, zumindest aber die in ihm enthaltenen Ziele der Raumordnung 213 als Rechtsverordnung beschlossen werden. In Sachsen-Anhalt ist dagegen der die landesgebietsbezogenen Ziele der Raumordnung enthaltende Landesentwicklungsplan (noch) Gesetz,214 während der entsprechende Plan in Baden-Württemberg und SchleswigHolstein durch Feststellung der Landesregierung bzw der Landesplanungsbehörde zustande kommt.215 In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist der die allgemeinen Ziele der Raumordnung enthaltende Plan Gesetz 216 und der die konkreteren Ziele der Raumordnung enthaltende Plan Rechtsverordnung.217, 218 Die durch §§ 3–5 ROG bestimmte rechtliche Bindungswirkung 219 kommt den Grundsätzen und Zielen der Raumordnung aber unabhängig davon zu, welche Rechtsform sie oder die sie enthaltenden Pläne aufweisen.

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werke, die in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen (vgl Fn 205, 206) die Grundsätze der Raumordnung enthalten, werden ebenfalls als Gesetz beschlossen, § 16 S 1 LPlG NW; §§ 5 II, 6 III ROG Nds. In Sachsen-Anhalt gilt derzeit noch das G ü den Landesentwicklungsplan des Landes Sachsen-Anhalt v 23. 11. 1999 (GVBl 244), zul geänd durch G v 8. 4. 2004 (GVBl 244). Gem § 5 III 1, 4 LPlG LSA ist jedoch ein neuer Landesentwicklungsplan durch Rechtsverordnung zu beschließen, und bereits vor einem solchen Beschluss ist die Landesregierung gem § 5 III 2, 3 LPlG LSA ermächtigt, einzelne Ziele der Raumordnung durch Rechtsverordnung zu ändern. Eine Modifikation ergibt sich in Berlin und Brandenburg. Das die allgemeinen Grundsätze enthaltende Landesentwicklungsprogramm wird gem Art 7 I 1 LPlVertrag (Fn 189) als Staatsvertrag zwischen den beiden Ländern vereinbart. Die gemeinsamen Landesentwicklungspläne, die gem Art 8 I 1 LPlVertrag weitere Grundsätze der Raumordnung enthalten können, werden gem Art 8 VI 1 LPlVertrag von den Regierungen der beiden Länder jeweils als Rechtsverordnung mit Geltung für das eigene Hoheitsgebiet beschlossen. § 8 IV 1 LPlG Hess; § 7 III 1 LPlG MV; § 11 I 7 LPlG RP; § 3 VI 1 LPlG Saarl; § 7 I LPlG Sachs; § 10 IV LPlG Thür. Dies gilt nach wie vor für Bayern, da dort die Grundsätze der Raumordnung unmittelbar im Gesetz festgesetzt sind, Art 17 II LPlG Bay. Vgl o Fn 210. § 9 IV LPlG BW; § 7 III LPlG SchlH. In Baden-Württemberg kann der Landesentwicklungsplan jedoch von der Landesregierung durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärt werden, § 10 I LPlG BW. §§ 5 II, 6 III ROG Nds; § 16 S 1, 2 LPlG NW. §§ 5 III, 6 IV 1 ROG Nds; § 18 I 2 LPlG NW. Dem ähnelt die Rechtslage in Berlin und Brandenburg. Dort wird das die allgemeinen Ziele der Raumordnung enthaltende Landesentwicklungsprogramm gem Art 7 I 1 LPlVertrag (Fn 189) als Staatsvertrag zwischen den beiden Ländern vereinbart. Die gemeinsamen Landesentwicklungspläne, die gem Art 8 I 1 weitere Ziele enthalten können, werden gem Art 8 VI 1 LPlVertrag von den Landesregierungen jeweils als Rechtsverordnung mit Geltung für das eigene Hoheitsgebiet beschlossen. Vgl o Rn 39 f.

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Alle Landesplanungsgesetze enthalten Bestimmungen zum Verfahren der Aufstel- 57 lung der auf das gesamte Landesgebiet bezogenen Pläne,220 zur Beteiligung anderer Stellen an diesem Verfahren 221 sowie zur in § 8 II ROG vorgesehenen Abstimmung der Raumordnungspläne benachbarter Länder.222 Mit Ausnahme von SchleswigHolstein haben die Bundesländer auch Fehlerfolgenregelungen zur Ausfüllung der rahmenrechtlichen Vorgaben des §10 ROG geschaffen.223 Regelungsbedarf besteht zT noch im Hinblick auf die Anforderungen des § 7 VII ROG zum Vorgang und zu den Kriterien der Abwägung.224 Eigene Vorschriften über die Umweltprüfung haben bisher nur Bayern und Nordrhein-Westfalen in ihre Landesplanungsgesetze aufgenommen.225 bb) Regionalplanung: Regionalpläne sind untergeordnete Raumordnungspläne 58 für Teilgebiete eines Landes. Sie konkretisieren die für das Gebiet des gesamten Landes bestehenden Raumordnungspläne, aus denen sie zu entwickeln sind,226 durch weitere, gebietsbezogene Grundsätze und Ziele der Raumordnung. Mit Ausnahme

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§§ 9 I–IV, 10 I LPlG BW; Art 12–15, 17 LPlG Bay; § 8 I–V LPlG Hess; § 7 LPlG MV; § 6 ROG Nds; §§ 16 S 3, 14, 15, 18 LPlG NW; § 8 I LPlG RP; § 3 I–VI LPlG Saarl; §§ 3 I 1, 6 I–IV, 7 I LPlG Sachs; § 5 I–IV LPlG LSA; § 7 I–III LPlG SchlH; §§ 8 IV, 10 LPlG Thür. Zum Verfahren der gemeinsamen Landesplanung in Berlin und Brandenburg Art 7, 8 LPlVertrag (Fn 189). § 9 III LPlG BW; Art 13 LPlG Bay; § 8 III LPlG Hess; §§ 7 I, II, III 1, 11 I LPlG MV; § 6 II ROG Nds; §§ 14, 16, S 3 LPlG NW; § 8 I 1–5 LPlG RP; § 3 II 2, 3, III, V 2 HS 2, VI 2, § 13 LPlG Saarl; § 6 I LPlG Sachs; §§ 3 XIII, 5 I, II, IV LPlG LSA; § 7 I 2–4, II LPlG SchlH; §§ 6 I, 10 II LPlG Thür. Zu Beteiligungsrechten bei der Landesplanung von Berlin und Brandenburg Art 7 II-VII, 8 IV, V LPlVertrag (Fn 189). Vgl §§ 1 Nr 2, 9 III Nr 3, 4, § 27 LPlG BW; Art 1 II Nr 2, 13 III LPlG Bay; Art 7 VI LPlVertrag (Fn 189); §§ 8 III 2 Nr 1, 14 LPlG Hess; §§ 1 I 1 Nr 3, 7 I 1 LPlG MV; §§ 2, 6 II 1 Nr 7 ROG Nds; § 3 Nr 3 LPlG NW; §§ 4 I 1 Nr 1 b, 8 I 1 LPlG RP; §§ 1 II, 3 III Nrn 6, 7 LPlG Saarl; § 6 I 1 Nr 5 LPlG Sachs; § 3 X LPlG LSA; § 1 I Nr 2 LPlG SchlH sowie § 1 III LPlG Thür, die sich allerdings unterschiedlicher Regelungstechniken bedienen, so dass die Abstimmung unterschiedlich intensiv ausfällt. Dazu schon o Rn 51. Fehlerfolgenregelungen für die auf das gesamte Landesgebiet bezogenen Planwerke enthalten derzeit nur § 5 LPlG BW; Art 20 LPlG Bay; § 15 ROG Hess; § 5 III-V LPlG MV; § 10 ROG Nds; § 6 VII, VIII LPlG RP; § 4 LPlG Saarl; § 8 LPlG Sachs; § 9 LPlG LSA; § 14 LPLG Thür sowie Art 9 LPlVertrag (Fn 189). § 23 LPlG NW bezieht sich hingegen nur auf Regionalpläne. Die meisten Bundesländer haben die Vorgaben des § 7 VII ROG in der vor dem EAG Bau (Fn 26) geltenden Fassung zwischenzeitlich umgesetzt, vgl § 3 II LPlG BW; Art 14 LPlG Bay; § 6 VI ROG Hess; § 4 I ROG Nds; § 14 I, V LPlG NW; §§ 1 IV 2, 6 I LPlG RP; § 3 I LPlG Saarl; § 6 III LPlG Sachs; § 3 IV LPlG LSA; § 8 IV LPlG Thür sowie Art 7 IV LPlVertrag (Fn 189). Mit Ausnahme von Bayern und Nordrhein-Westfalen fehlt jedoch noch eine Umsetzung von § 7 VII 2 ROG, wonach die Berücksichtung des Umweltberichts sowie der Stellungnahmen nach § 7 VI ROG vorzusehen ist. § 3 LPlG MV sowie § 1 I LandesentwicklungsgrundsätzeG SchlH (Fn 204) sehen lediglich eine Pflicht zur Abwägung der Grundsätze der Raumordnung gegeneinander und untereinander vor. Art 12 LPlG Bay; § 15 LPlG NW; vgl schon o Rn 49. Vgl § 9 II 1 ROG. Zur entsprechenden Vorschrift des § 8 II 1 BauGB, derzufolge Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind, vgl u Rn 94 ff.

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4. Kap II 4 b bb

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des Saarlandes und der Stadtstaaten 227 haben alle Länder eine Regionalplanung institutionalisiert.228 Aus § 9 IV ROG lässt sich rückschließen, dass für die Organisation der Auf59 gabenwahrnehmung der Regionalplanung theoretisch zwei Grundmodelle zur Verfügung stehen: Regionalplanung kann entweder durch Zusammenschlüsse von Gemeinden und Gemeindeverbänden in regionalen Planungsgemeinschaften oder durch staatliche Stellen erfolgen.229 Regionalplanung ist zumindest auch eine staatliche Aufgabe.230 Folglich ist bei Wahl des ersten Modells ein hinreichender staatlicher Einfluss auf die Regionalplanung sicherzustellen.231 Andererseits kann Regionalplanung sehr konkrete Vorgaben für die gemeindliche Planung enthalten. Deshalb ist bei Wahl des zweiten Modells ein ausreichender Einfluss der Gemeinden und Gemeindeverbände durch entsprechende Beteiligungsrechte zu gewährleisten.232 Die Länder haben sich durchweg nicht für die Umsetzung eines der beiden Grundmodelle entschieden, sondern Mischformen entwickelt. Deshalb variiert die Organisation der Aufgabenwahrnehmung der Regionalplanung erheblich. Entsprechend differieren auch die Verfahrens- und Beteiligungsregelungen.233 Als Rechtsform des Regionalplans ist in Baden-Württemberg, Brandenburg, Nie60 dersachsen und Sachsen die der Satzung 234 vorgesehen. In Mecklenburg-Vorpom227 228

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Zur Stadt- und Bereichsentwicklungsplanung in Berlin vgl § 4 AGBauGB (Fn 192). §§ 11–13, 15, 31 ff LPlG BW; Art 5 ff, 18–20 LPlG Bay; §§ 1 ff RegBkPlG Bbg; §§ 9 ff, 21 ff LPlG Hess; §§ 8 f, 12 ff LPlG MV; §§ 7 ff, 26 ROG Nds; §§ 6 ff, 19 ff LPlG NW; §§ 9 ff LPlG RP; §§ 4 f, 9 ff LPlG Sachs; §§ 6 f, 17 f LPlG LSA; §§ 6, 7 a LPlG SchlH; §§ 2 II–III, 3 ff, 11 ff LPlG Thür. Sog „verbandlich-kommunale“ und „staatliche“ Regionalplanung, vgl Brohm (Fn 61) § 37 Rn 17; Erbguth/Schoeneberg (Fn 126) Rn 100; Peine (Fn 80) Rn 279. Vgl Brohm (Fn 61) § 37 Rn 17 sowie o Rn 19. Nach Schmidt-Aßmann AöR 101 (1976) 520, 534 ist Regionalplanung dagegen als „Aufgabe eines staatlich-kommunalen Kondominiums“ zu beschreiben. Das kann zB durch Mitwirkungs-, Weisungs- und Aufsichtsrechte geschehen. Zur Diskussion um das erforderliche Ausmaß der Aufsicht und ihre Qualifikation Erbguth/Schoeneberg (Fn 126) Rn 101 mwN. Das stellt die rahmenrechtliche Vorgabe des § 9 IV ROG ausdrücklich sicher. Zum insoweit inhaltsgleichen § 5 III 2 ROG aF betont das BVerwG NVwZ 2002, 869, 871: „Dieses bundesrechtlich normierte Beteiligungsrecht darf durch den Landesgesetzgeber nicht angetastet werden, denn es ist im Gegensatz zur Mitwirkung anderer Stellen oder zu sonstigen verfahrensrechtlichen Anforderungen, die zur einfachgesetzlichen Disposition stehen, verfassungsrechtlich fundiert. Es ist unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass eine Zielaussage für die von ihr betroffene Gemeinde eine Anpassungspflicht auslöst. Denn es stellt als Ausfluss der Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 Abs 2 Satz 1 GG, die auch die kommunale Planungshoheit umfasst, eine Kompensation für den mit § 1 Abs 4 BauGB verbundenen Eingriff in das System der gemeindlichen Bauleitplanung dar. Die Gemeinde wird durch diese Einbindung in den überörtlichen Planungsprozess davor bewahrt, zum bloßen Objekt einer höherstufigen Gesamtplanung degradiert zu werden.“ Eine ausf Darstellung bei Koch/Hendler (Fn 119) 85 ff. Zur Unmöglichkeit, die verschiedenen Ausgestaltungen dem einen oder anderen Grundmodell zuzuordnen, Brohm (Fn 61) § 37 Rn 18. § 12 VII LPlG BW; § 2 VIII 1 RegBkPlG Bbg; § 8 III 1 ROG Nds; § 7 II LPlG Sachs.

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4. Kap II 5

mern werden Regionalpläne durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärt.235 Die Gesetze der übrigen Länder treffen keine Aussage zur Rechtsform der Regionalpläne. Unabhängig von der Rechtsform entfalten Regionalpläne oder zumindest die in ihnen enthaltenen Grundsätze und Ziele der Raumordnung idR 236 Rechtsverbindlichkeit nicht schon durch entsprechenden Beschluss des Planungsträgers, sondern erst nach staatlicher Genehmigung, Verbindlicherklärung oder Feststellung.237 c) Verwirklichung der Landesraumordnungsplanung Wesentlich für die Verwirklichung der Raumordnungsplanung der Länder ist wie- 61 derum die Bindungswirkung, die den in den Raumordnungsplänen enthaltenen Grundsätzen und Zielen der Raumordnung nach §§ 3–5 ROG zukommt. Sie bewirkt, dass alle öffentlichen Stellen des Bundes und der Länder sowie die von § 4 III ROG erfassten privatrechtlich organisierten Stellen die in Raumordnungsplänen enthaltenen Grundsätze und Ziele der Raumordnung bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen nach Maßgabe des § 4 ROG beachten bzw berücksichtigen müssen.238 Praktisch bedeutsam ist hierbei insbesondere die Bindung der gemeindlichen Bauleitplanung.239 Daneben verpflichtet § 13 S 1 ROG dazu, landesrechtlich sicherzustellen, dass die Träger der Landes- und Regionalplanung auch im Übrigen auf die – tatsächliche – Verwirklichung der Raumordnungspläne zB durch Förderung der Zusammenarbeit von Gemeinden 240 hinwirken.241

5. Sonstige Instrumente der Raumordnung Zur effektiven Wahrnehmung der Aufgaben der Raumordnung 242 bedarf es weite- 62 rer Instrumente zur Vorbereitung, Sicherung und Durchsetzung der Raumordnungspläne sowie zur Abstimmung sonstiger raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen. Zu diesen Instrumenten zählen die landesplanerische Untersagung und das Raumordnungsverfahren.243 235 236

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§ 9 V LPlG MV. § 9 V LPlG MV: Verbindlicherklärung durch RVO der Landesregierung; § 7 I, III 1 LPlG SchlH: Planungsträger ist idR (Ausnahme: § 7 a LPlG SchlH) die Landesplanungsbehörde, die den Plan auch feststellt. Vgl § 13 I LPlG BW; Art 19 II 2 LPlG Bay; § 2 VIII RegBkPlG Bbg; § 11 I 2, II, III LPlG Hess; §8 III 1 HS 2 ROG Nds; §§ 20 VII, 21, 22 LPlG NW; § 10 II LPlG RP; § 7 II, III LPlG Sachs; § 7 VI 2 LPlG LSA; § 12 III LPlG Thür. Vgl o Rn 39 f. Vgl zur Frage, ob Ziele der Raumordnung gemeindliche Erstplanungspflichten auslösen, o Rn 39 Fn 140 sowie u Rn 95 Fn 365. Zu den in § 13 S 4 ROG angesprochenen Städtenetzen Ritter DÖV 1995, 393 ff; Sinning Raumforschung und Raumordnung 1995, 198 ff. § 13 S 2–4 ROG erläutert, welche Unterstützungs- und Koordinationsmaßnahmen vorgesehen werden müssen oder können. § 13 S 5 ROG hebt hervor, dass vertragliche Vereinbarungen zur Vorbereitung und Verwirklichung der Raumordnungspläne geschlossen werden können. Dazu o Rn 36. Zu weiteren Instrumenten wie zB den Raumordnungsberichten und -katastern, landesplanerischen Gutachten zB Koch/Hendler (Fn 119) 116 ff.

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4. Kap II 5 a

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a) Landesplanerische Untersagung 63 Während der Aufstellung eines Raumordnungsplans besteht die Gefahr, dass raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen begonnen werden, die die spätere Realisierung des in Aufstellung befindlichen Raumordnungsplans erschweren oder verhindern.244 § 12 I Nr 2 ROG ordnet deshalb an, landesrechtlich vorzusehen, dass raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen von öffentlichen Stellen und Personen des Privatrechts iSd § 4 III ROG zeitlich befristet untersagt werden können, wenn zu befürchten ist, dass durch sie die Verwirklichung von in Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung befindlichen Zielen der Raumordnung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert würde.245 Dementsprechend bestehen in den Landesgesetzen Untersagungstatbestände, die das Verfahren unterschiedlich ausgestalten.246 § 12 II ROG erstreckt die befristete Untersagungsmöglichkeit auch auf bestimmte behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen Privater.247 64 Sind raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen genehmigungs- oder anzeigepflichtig, wird ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht im Genehmigungsoder Anzeigeverfahren überprüft. Dergestalt ist für den Regelfall sichergestellt, dass sie den vorrangigen Zielen der Raumordnung tatsächlich entsprechen. Unterliegen raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen keiner Genehmigungs- oder Anzeigepflicht,248 kann mangels vorgängiger aufsichtsbehördlicher Kontrolle der Fall eintreten, dass sie Zielen der Raumordnung widersprechen. Nach § 12 I Nr 1 ROG ist deshalb zur Durchsetzung der Beachtungspflicht des § 4 ROG landesrechtlich vorzusehen, dass raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen von öffentlichen Stellen und Personen des Privatrechts iSd § 4 III ROG zeitlich unbefristet untersagt werden können, wenn Ziele der Raumordnung entgegenstehen.249 244

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Beispiel nach Grotefels in: Hoppe/Grotefels (Hrsg), BauR, 1. Aufl 1995, § 4 Rn 16: Eine Gemeinde setzt durch Bebauungsplan Flächen als Baugebiet fest, die im Raumordnungsplan als Erholungsgebiet ausgewiesen werden sollen. Das Instrument der Untersagung ähnelt insoweit den baurechtlichen Instrumenten der Veränderungssperre bzw der Zurückstellung von Baugesuchen, dazu u Rn 144 ff. § 20 I Nr 2 LPlG BW; Art 24 I 1 Nr 2 LPlG Bay; Art 14 I Nr 2 LPlVertrag (Fn 189); § 16 II LPlG Hess; § 16 I Nr 2 LPlG MV; § 22 I Nr 2 ROG Nds; § 34 LPlG NW; § 19 III Nr 2 LPlG RP; § 7 I Nr 2 LPlG Saarl; § 18 II LPlG Sachs; § 11 I Nr 2 LPlG LSA; § 15 LPlG SchlH; § 18 I Nr 2 LPlG Thür. Anpassungsbedarf besteht allerdings nach wie vor in den Ländern, in denen die Bindungswirkung der Ziele der Raumordnung entgegen § 4 III ROG auf öffentlich-rechtlich organisierte Stellen beschränkt ist, vgl Fn 163. § 12 I ROG zeigt, dass sich der landesrechtliche Untersagungstatbestand auch auf Stellen iSd § 4 III ROG beziehen soll, indem er ausdrücklich auf § 4 III ROG verweist. Dazu Schoen NuR 2000, 138, 139; vgl § 20 II LPlG BW; Art 24 I 2 LPlG Bay; Art 14 II LPlVertrag (Fn 189); § 16 I Nr 2 HS 2 LPlG MV; § 22 II ROG Nds; § 19 IV LPlG RP; § 7 II LPlG Saarl; § 18 II 2 LPlG Sachs; § 11 II LPlG LSA; § 18 II LPlG Thür. So zB idR die gemeindlichen Bebauungspläne. Dazu u Rn 115. Vgl § 20 I Nr 1 LPlG BW; Art 24 I 1 Nr 1 LPlG Bay; Art 14 I Nr 1 LPlVertrag (Fn 189); § 16 I LPlG Hess; § 16 I Nr 1 LPlG MV; § 22 I Nr 1 ROG Nds; § 19 III Nr 1 LPlG RP; § 7 I Nr 1 LPlG Saarl; § 18 I LPlG Sachs; § 11 I Nr 1 LPlG LSA; §18 I Nr 1 LPlG Thür. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein besteht hinsichtlich dieser Vorgabe noch Anpassungsbedarf.

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4. Kap II 5 b

b) Raumordnungsverfahren Nach Maßgabe des § 15 ROG haben die Länder 250 Regelungen über ein Raumord- 65 nungsverfahren zu treffen.251 Das Raumordnungsverfahren zielt darauf ab, raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen untereinander und mit den Erfordernissen der Raumordnung 252 abzustimmen. Gegenstand des projektbezogenen Verfahrens sind einzelne raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen. Welche Projekte dem Raumordnungsverfahren unterliegen, bestimmt die Raumordnungsverordnung (ROV) 253 des Bundes. Die Länder können darüber hinaus weitere raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen dem Raumordnungsverfahren unterwerfen.254 Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist die Feststellung,255 ob das jeweilige 66 Projekt mit den Erfordernissen der Raumordnung übereinstimmt (vgl § 15 I 2 Nr 1 ROG) und wie es unter den Gesichtspunkten der Raumordnung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen abgestimmt oder durchgeführt werden kann (vgl § 15 I 2 Nr 2 ROG). Diese Feststellung entfaltet dem Projektträger gegenüber keine unmittelbaren Rechtswirkungen.256 Insbesondere ersetzt sie die erforderlichen spezialgesetzlichen Genehmigungen, Planfeststellungen bzw -genehmigungen oder sonstigen behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit des Vorhabens nicht.257 Die Rechtsfolgen der Feststellung erschließen sich bundesrechtlich 250

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Den Stadtstaaten ist die Einführung eines Raumordnungsverfahrens nach § 15 VIII 1 ROG freigestellt. Berlin hat sich durch Art 16 LPlVertrag (Fn 189) zur gemeinsamen Durchführung von Raumordnungsverfahren mit Brandenburg verpflichtet. Dazu Wahl FS Sendler, 1991, 199 ff; Hopp NuR 2000, 301 ff. § 15 ROG entspricht weitgehend der schon vor 1998 bestehenden Rechtslage. Dementsprechend bestehen in allen Ländern im einzelnen unterschiedliche Regelungen zum Raumordnungsverfahren, die nur in Details an die seinerzeitige Neufassung des ROG angepasst werden mussten bzw müssen, vgl §§ 18 f LPlG BW; Art 21 ff LPlG Bay; Art 16 LPlVertrag (Fn 189); § 18 LPlG Hess; § 15 LPlG MV; §§ 12 ff ROG Nds; §§ 28 ff LPlG NW; § 17 LPlG RP; §§ 8 ff LPlG Saarl; §§ 15 f LPlG Sachs; § 15 LPlG LSA; §§ 14–14 b LPlG SchlH; §§ 19 f LPlG Thür. Zum Anpassungsbedarf aufgrund des ROG 1998 Runkel UPR 1997, 1, 8; zu den Unterschieden der landesrechtlichen Regelungen die Übersicht bei Erbguth/Schoeneberg (Fn 126) Rn 145. Vgl zum Begriff § 3 Nr 1 ROG: Erfordernisse der Raumordnung sind Ziele, Grundsätze und sonstige Erfordernisse der Raumordnung. Sonstige Erfordernisse der Raumordnung sind in Aufstellung befindliche Ziele, Ergebnisse förmlicher landesplanerischer Verfahren wie des Raumordnungsverfahrens und landesplanerische Stellungnahmen, § 3 Nr 4 ROG. V 13. 12. 1990 (BGBl I 2766), zul geänd durch G v 18. 6. 2002 (BGBl I 1914, 1921). Sie ist noch aufgrund von § 6 a II 1 ROG idF der Bekanntmachung v 19. 7. 1989 (BGBl I 1461) erlassen worden und findet ihre Rechtsgrundlage nunmehr in § 17 II ROG. Vgl § 6 S 2 ROG sowie Koch/Hendler (Fn 119) 114. Diese Feststellung wird landesrechtlich oft landesplanerische oder raumordnerische Beurteilung genannt, vgl § 18 III LPlG BW; Art 22 VI 1 LPlG Bay; § 15 II LPlG MV; § 29 IX–XII LPlG NW; § 10 I LPlG Saarl; § 15 V 1 LPlG Sachs; § 15 IX 1 LPlG LSA; § 14 b I 1 LPlG SchlH; § 20 VII LPlG Thür. Vgl auch § 16 II 1 ROG Nds: „landesplanerische Feststellung“; § 17 X LPlG RP: „raumordnerischer Entscheid“. Zu den Rechtswirkungen der Feststellung vgl Zoubek Das Raumordnungsverfahren, 1978, 154 ff; Koch/Hendler (Fn 119) 116; Hopp NuR 2000, 301, 304. So nunmehr ausdrücklich § 18 V 2 LPlG BW; § 17 XI LPlG RP; § 14 b II 1 HS 2 LPlG SchlH; § 20 IX 2 LPlG Thür; vgl auch § 16 V ROG Nds; § 29 XIV LPlG NW.

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4. Kap II 6 b

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aus §§ 3, 4 ROG. Nach § 3 Nr 4 ROG ist die Feststellung „Erfordernis der Raumordnung“. Für diese gilt die Berücksichtigungspflicht 258 des § 4 II–IV ROG. Sie bewirkt zum einen, dass bei Ermessens- oder Abwägungsentscheidungen von öffentlichen Stellen und Personen des Privatrechts iSd § 4 III ROG über ihre raumbedeutsamen Planungen oder Maßnahmen das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens in diese Entscheidung einfließt. Zum anderen ist bei behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Maßnahmen von Privaten das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens nach Maßgabe der für diese Entscheidungen geltenden Vorschriften zu berücksichtigen.

6. Rechtsschutzfragen des Raumordnungsrechts a) Rechtsschutzkonstellationen 67 Die denkbaren Rechtsschutzbegehren im Bereich des Raumordnungsrechts sind vielfältig. So kann sich zB eine Gemeinde gegen die Festlegung bestimmter Ziele der Raumordnung zur Wehr setzen wollen. Umgekehrt kann die Gemeinde aber auch an der Festlegung derartiger Ziele interessiert sein. Auch private Vorhabenträger können Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne begehren, soweit sie durch § 35 III 2, 3 BauGB an die darin ausgewiesenen Ziele der Raumordnung gebunden sind und ihnen aufgrund dessen die Zulassung eines Bauvorhabens versagt wurde oder versagt zu werden droht. Weiterhin kann zB ein Regionalplanungsträger die staatliche Genehmigung bzw Verbindlicherklärung eines Regionalplans begehren, die unter Berufung auf entgegenstehende höherstufige Ziele der Raumordnung versagt wurde. Rechtsschutz kann auch gegen das Verlangen der Landesplanungsbehörden auf Anpassung von Bauleitplänen, gegen Planungsgebote oder gegen Untersagungsverfügungen 259 gesucht werden. Der Vielfalt der denkbaren Rechtsschutzbegehren entspricht die Vielfalt der einschlägigen Rechtsschutzformen. Von ihnen hängen die näheren Modalitäten der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ab. Besondere Schwierigkeiten weist der im Folgenden im Mittelpunkt stehende Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne auf.260 b) Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne 68 Raumordnungspläne bzw die in ihnen enthaltenen Ziele der Raumordnung können Gegenstand inzidenter gerichtlicher Kontrollen sein. Kommt es für die Entscheidung einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder Feststel258

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Zum Begriff der Berücksichtigung o Rn 40. Die Bindungswirkung entspricht der dort dargestellten Bindungswirkung der Grundsätze der Raumordnung. Vgl zum vorläufigen Rechtsschutz gegen Untersagungsverfügungen die Vorgabe des § 12 III ROG. Dazu Weidemann Gerichtlicher Rechtsschutz der Gemeinden gegen regionale Raumordnungspläne, 1983; Kment Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002; ders DVBl 2004, 214 ff; ders DÖV 2003, 349 ff; ders NVwZ 2003, 1047 ff; Böttger/Broosch UPR 2002, 420 ff; Hendler DVBl 2001, 1233 ff; Blümel VerwArch 84 (1993) 123 ff; Heintschel von Heinegg NWVBl 1994, 441 ff; Sauer VBlBW 1995, 465 ff; vgl auch Bertrams FS Hoppe, 2000, 975 ff.

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lungsklage auf die Rechtsverbindlichkeit solcher Pläne bzw Ziele an, unterliegen sie der gerichtlichen Überprüfung.261 Praktische Bedeutung hat dies insbesondere in der bereits erwähnten Konstellation der Verweigerung einer Baugenehmigung für ein Bauvorhaben im sog Außenbereich 262 erlangt, wenn Flächen für gleichartige Vorhaben durch einen Raumordnungsplan an anderer Stelle ausgewiesen sind (§ 35 III 3 BauGB).263 Will sich eine Gemeinde 264 unmittelbar gegen einen Raumordnungsplan gericht- 69 lich zur Wehr setzen, kommt dafür zum einen die kommunale Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG (Art 93 I Nr 4b GG) bzw – bei entsprechender landesrechtlicher Regelung 265 – vor dem jeweiligen Landesverfassungsgericht in Betracht. Zum anderen erscheint ein Antrag auf prinzipale verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem § 47 I Nr 2 VwGO möglich, wenn das Landesrecht diese fakultative Normenkontrolle eingerichtet hat.266 Sowohl die prinzipale Normenkontrolle nach § 47 I Nr 2 VwGO als auch die 70 bundes- oder landesrechtlichen kommunalen Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Rechtsnormen. Die prinzipale Normenkontrolle bezieht sich auf „im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften“. Die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art 93 I Nr 4 b GG knüpft an „Gesetze“ an. Gesetze iSd Norm sind „alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen, die Außenwirkung gegenüber einer Kommune entfalten“.267 Die landes(verfassungs)rechtlichen Normen, die den Gemeinden (verfassungs)gerichtlichen Rechtsschutz eröffnen, nennen als Beschwerdegegenstand „(Landes-)Gesetze“ 268, „Rechtsvorschriften“ 269 oder „Landesrecht“ 270. Das ROG enthält keine Aussagen zur Rechtsform der Raumordnungspläne oder 71 der in ihnen enthaltenen Ziele der Raumordnung. Geben Landesplanungsgesetze

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Bei Planwerken in Gestalt eines förmlichen Gesetzes haben die Verwaltungsgerichte allerdings Art 100 I GG zu beachten. Dazu u Rn 132 ff. BVerwGE 118, 33, 37 ff. Vgl auch Kment Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002, 252 ff, 360 ff. Zur prinzipalen Normenkontrolle von Raumordnungsplänen auf Antrag von Privatpersonen Kment Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002, 232 ff, 305 ff; ders NVwZ 2003, 1047 ff; Böttger/Broosch UPR 2002, 420, 423 ff; ablehnend Bartlsperger Raumplanung zum Außenbereich, 2003, 223 ff, 232 f. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 31 mwN. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 101. BVerfGE 76, 107, 114 → JK BVerfGG § 91/1; vgl auch BVerfGE 56, 298, 309 → JK GG Art 28 II/5; 71, 25, 34; Kment DVBl 2004, 214, 215 f mwN. Art 76 Verf BW; Art 100 Verf Bbg; Art 53 Nr 8 Verf MV; Art 54 Nr 5 Verf Nds; Art 130 I Verf RP; Art 123 Verf Saarl; Art 90 Verf Sachs; Art 75 Nr 7 Verf LSA. Ausf zur Ausgestaltung der Kommunalverfassungsbeschwerde in den Bundesländern Kment DVBl 2004, 214, 220 ff. Art 55 I VerfGHG Bay. Der BayVerfGH weist dem landesverfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsrecht Grundrechtsähnlichkeit und insoweit den Gemeinden die Möglichkeit der Popularklage zu. Vgl BayVerfGH, NVwZ 1984, 711 ff. § 46 StGHG Hess; § 52 VerfGHG NW. Art 80 I Nr 2 Verf Thür sowie § 31 II VerfGHG Thür nennen den Beschwerdegegenstand nicht ausdrücklich.

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für die Raumordnungspläne oder für die in ihnen enthaltenen Ziele der Raumordnung als Rechtsform die Rechtsverordnung oder die Satzung vor, oder sind Ziele der Raumordnung in Gesetzen enthalten,271 handelt es sich schon aufgrund der gesetzlichen Zuordnung um Rechtsvorschriften. Aber auch für den Fall, dass das Landesrecht keine ausdrückliche Zuordnung vornimmt,272 ist man sich inzwischen 273 einig, dass den Plänen bzw den Zielen der Raumordnung die Qualität einer Rechtsnorm mit Außenwirkung gegenüber rechtlich selbständigen Normadressaten, also etwa den Gemeinden, zukommt.274 Die den Zielen der Raumordnung zukommende Bindungswirkung des § 4 ROG und der damit verbundene Verpflichtungs- bzw Verbindlichkeitscharakter kann nur kraft Rechtssatzes begründet werden.275 Fraglich kann allenfalls sein, ob in diesen Konstellationen der Plan insgesamt oder nur die Ziele der Raumordnung als die der gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Rechtsnormen anzusehen sind.276 Insofern ist zu vergegenwärtigen, dass sich die Rechtsnormqualität des Plans auf die Planaussagen beschränkt, die Rechtsverbindlichkeit beanspruchen. Das sind regelmäßig nur die Ziele der Raumordnung. Kontrollmaßstäbe für die Rechtmäßigkeit 277 festgelegter Ziele der Raumordnung 72 sind zum einen die jeweils einschlägigen Kompetenz- und Verfahrensregelungen. Zum anderen ist die Einhaltung der Vorschriften zu prüfen, die Rechtsvorgaben für den Planinhalt enthalten. Das sind zB die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, das Bestimmtheitsgebot, höherstufige Planvorgaben, die bundesrechtlichen Grund271

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Vgl zu den unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen der Rechtsform der Pläne die Nachw bei Rn 56 zu den auf das gesamte Landesgebiet bezogenen Raumordnungsplänen und bei Rn 60 zu Regionalplänen. Vgl die Nachw bei Rn 56 zu den auf das gesamte Landesgebiet bezogenen Raumordnungsplänen und bei Rn 60 zu Regionalplänen. Zur früheren Diskussion vgl die ausf Darstellung bei Erbguth DVBl 1981, 57 ff. BVerwGE 119, 217, 220 f; NVwZ 2002, 869, 870; BVerfG DÖV 1993, 118 ff; E 76, 107, 114 → JK BVerfGG § 91/1 für die Regelungen in Teil II des LROP Nds; VerfGH NRW, StuGR 1990, 33, 34 = (gekürzt) DVBl 1990, 417, 417 für Ausweisungen des Gebietsentwicklungsplans; VGH München BayVBl 1982, 726, 726 f für einzelne Ziele der Landesplanung nach Art 26 LPlG Bay; VGH München BayVBl 1984, 240, 241 f für einen sachlichen Teilabschnitt des Regionalplans über die Bestimmung von Kleinzentren; OVG Lüneburg ZfBR 1986, 287, 287 (LS) für Ziele der Raumordnung in Teil II des LROP Nds. Aus der Literatur zB Grooterhorst NuR 1986, 276, 279 ff mwN; Sauer VBlBW 1995, 465, 467 ff; Heintschel von Heinegg NWVBl 1994, 441, 442; Goppel BayVBl 1998, 289, 290 f; Kment DÖV 2003, 349, 350; ders DVBl 2004, 214, 217. Vgl auch Steiner in: ders, BesVwR, Abschn VI Rn 89: „rechtsnormähnliche Hoheitsakte sui generis“. Die Qualifizierung als Rechtsnorm hat lange Zeit Schwierigkeiten bereitet, weil man den Rechtsnormbegriff abstrakt-generellen Regeln des Außenrechts vorbehalten hat und Ziele der Raumordnung sich den insoweit zur Verfügung stehenden traditionellen Handlungsformen und deren Rechtmäßigkeitsanforderungen nicht unmodifiziert anpassen lassen. Explizit auf den Plan stellen ab Löhr DVBl 1980, 13, 15; Grooterhorst NuR 1986, 276, 279. Demgegenüber eher an die Ziele anknüpfend BVerwGE 119, 217, 221 f; Steiner in: ders, BesVwR, Abschn VI Rn 75; Ronellenfitsch FS Hoppe, 2000, 355, 368; Sauer VBlBW 1995, 465 ff; Goppel BayVBl 1998, 289, 291. Zu den Rechtmäßigkeitsanforderungen sowie zu Fehlerfolgenregelungen vgl o Rn 48 ff. Ausf zu den Kontrollmaßstäben Halama FS Schlichter, 1995, 201, 211 ff.

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sätze der Raumordnung des § 2 II ROG und das Abwägungsgebot (vgl § 7 VII ROG). Beim Abwägungsgebot ist die Kontrollintensität wegen des planerischen Gestaltungsspielraums zurückgenommen. Insoweit weist die Kontrolle von Raumordnungsplänen und Zielen der Raumordnung Parallelen mit der gerichtlichen Kontrolle gemeindlicher Bauleitplanung auf.278

III. Städtebaurecht 1. Typen der Bauleitplanung Der Vorgang der Entscheidungsfindung über eine „nachhaltige städtebauliche Ent- 73 wicklung“ (§ 1 V 1 BauGB) ist die Bauleitplanung. Ihre Aufgabe ist es gem § 1 I BauGB, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde „vorzubereiten und zu leiten“. Der Prozess der Bauleitplanung mündet in Bauleitpläne, für die das BauGB zwei Typen vorsieht, nämlich den Flächennutzungsplan und den Bebauungsplan (§ 1 II BauGB 279). Dabei ist der gesamte Planungsprozess vom BauGB als zweistufige Abfolge geregelt. Zunächst ist als „vorbereitender Bauleitplan“ (§ 1 II BauGB) der Flächennutzungsplan aufzustellen, und aus ihm heraus soll als „verbindlicher Bauleitplan“ der Bebauungsplan entwickelt werden (§ 8 II 1 BauGB). Bevor der Flächennutzungsplan aufgestellt ist, darf ein Bebauungsplan nur dann aufgestellt, geändert, ergänzt oder aufgehoben werden, wenn dringende Gründe es erfordern und der Plan der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung des Gemeindegebiets nicht entgegenstehen wird („vorzeitiger Bebauungsplan“, § 8 IV BauGB). Nach § 8 III BauGB können Flächennutzungsplan und Bebauungsplan gleichzeitig aufgestellt, geändert, ergänzt oder aufgehoben werden („Parallelverfahren“ 280). Nur ausnahmsweise darf auf den Flächennutzungsplan verzichtet werden, wenn der Bebauungsplan zur Ordnung der städtebaulichen Entwicklung ausreicht (§ 8 II 2 BauGB). Pläne können die verschiedensten Rechtsformen – zB Verwaltungsakt oder Ge- 74 setz – haben und in den verschiedensten Gestaltungen erscheinen.281 Für die von den Bauleitplänen zu leistenden Darstellungen und Festsetzungen der unterschiedlichen Bodennutzungen wird der üblicherweise sprachlich formulierte Rechtssatz häufig ein ungenügendes, teilweise ungeeignetes Ausdrucksmittel sein. Daher sah früher § 9 I BBauG für den Bebauungsplan ausdrücklich die Verwendung von „Zeichnung, Farbe, Schrift oder Text“ vor. Das galt unausgesprochen auch für den Flächennutzungsplan, und an dieser Rechtslage hat sich durch den Wegfall dieses Zusatzes in

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Dazu u Rn 228 f. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan nach Maßgabe des § 12 BauGB ist ein Unterfall des Bebauungsplans. Dazu u Rn 88. Vgl dazu BVerwG NVwZ 1985, 485 ff. Ausf zum Verhältnis der Bauleitpläne zueinander Finkelnburg FS Weyreuther, 1993, 111 ff. Vgl zu den verschiedenen Formen und Gestaltungen von Plänen im Raumordnungsrecht schon o Rn 56, 60.

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§ 9 I BauGB ersichtlich nichts geändert.282 Das folgt auch aus der Ermächtigung des § 9 a Nr 4 BauGB zum Erlass einer Planzeichenverordnung (PlanzVO), die für die äußere Gestaltung der Bauleitpläne verbindlich ist.283 Die Gemeinde hat zwischen den genannten Medien die Wahl. Erforderlich ist nur, dass die Planaussagen klar und unmissverständlich sind.284 Dafür bietet sich häufig die Kombination der Festsetzungsmittel an. Der Text dient oft der Erläuterung der zeichnerischen Darstellung. a) Flächennutzungsplan 75 aa) Inhalt: Der Flächennutzungsplan soll nach § 5 I 1 BauGB für das gesamte (Ausnahme: § 5 I 2 BauGB) Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in Grundzügen darstellen. Ihm kommt die doppelte Aufgabe der Umsetzung übergeordneter Planungen und der Steuerung nachfolgender Planungen zu.285 Damit verknüpft der Flächennutzungsplan die überörtliche Raumordnung 286 mit der für das jeweilige Gemeindegebiet. Seinen programmatischen Charakter verdeutlicht das Gesetz mit der Forderung, dass er an den „voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde“ (§ 5 I 1 BauGB) auszurichten ist. Der Flächennutzungsplan soll damit die künftige städtebauliche Entwicklung in der Gemeinde darstellen und steuern. § 5 BauGB nennt als Inhalte eines Flächennutzungsplans Darstellungen (Abs 2), 76 Kennzeichnungen (Abs 3 sowie Abs 2 Nr 1 HS 2) und nachrichtliche Übernahmen (Abs 4 S 1). Seine programmatischen Aussagen über die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde kommen im Wesentlichen in den Darstellungen zum Ausdruck. Welche der in dem nicht erschöpfenden 287 Katalog des § 5 II BauGB genannten Darstellungsmöglichkeiten die Gemeinde in den Flächennutzungsplan aufnimmt, steht in ihrem Ermessen („können“) und hängt von ihrem planerischen Konzept ab. Der Flächennutzungsplan stellt insbesondere die Nutzungsformen für die einzelnen Gemeindegebiete dar, so zB Baugebiete und -flächen (Nr 1), Verkehrs- (Nr 3) oder Grünflächen (Nr 5).288 Einzelheiten der Darstellbarkeit der baulichen Nutzung (§ 5

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Vgl nur Gaentzsch in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 5 Rn 22. Text und Kommentar bei Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, Abschn PlanzeichenVO. Vgl dazu auch BVerwG NVwZ-RR 2001, 422, 423. Dazu BVerwGE 42, 5 ff; 95, 123, 124 ff; OVG Münster NVwZ 1999, 79, 80f; NVwZ-RR 2001, 14, 15 f; Boeddinghaus ZfBR 1993, 161 ff. Zu Aufgabe und Funktion Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg), BauGB, § 5 Rn 1 ff. Dazu o Rn 34 ff. Brohm (Fn 61) § 6 Rn 8; W. Schrödter (Fn 107) § 5 Rn 18. Die Darstellung von Grünflächen kann ebenso wie zB die von Wasserflächen, Wald oder Flächen iSd § 5 II Nr 10 BauGB auch dazu dienen, im Flächennutzungsplan schon vorgezeichnete Eingriffe in Natur und Landschaft auszugleichen. Vgl dazu § 1 a III BauGB sowie u Rn 102 a. Gem § 5 II a BauGB können derartige Ausgleichsflächen solchen Flächen, auf denen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, ganz oder teilweise zugeordnet werden.

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II Nr 1 BauGB) werden durch die BauNVO näher bestimmt.289 Für Darstellungen mit den Rechtswirkungen des § 35 III 3 BauGB können sachliche Teilflächennutzungspläne aufgestellt werden (§ 5 II b BauGB). Nach § 5 V BauGB ist dem Flächennutzungsplan eine Begründung beizufügen, in der die Ziele, Zwecke und wesentliche Auswirkungen des Plans darzulegen sind und in der der Umweltbericht nach § 2 IV BauGB einen gesonderten Teil darstellt (§ 2 a BauGB). Nach § 6 V 3 BauGB ist dem Flächennutzungsplan auch eine zusammenfassende Erklärung beizufügen über die Art und Weise, wie die Umweltbelange und die Ergebnisse der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung berücksichtigt wurden, und aus welchen Gründen der Plan nach Abwägung mit den geprüften, in Betracht kommenden anderweitigen Planungsmöglichkeiten gewählt wurde.290 Nach § 5 I 3 BauGB unterliegt der Flächennutzungsplan einer periodischen Überprüfung nach spätestens 15 Jahren. Aus seinem Charakter als „vorbereitender Bauleitplan“ folgt für den Flächennutzungsplan, dass er der weiteren Konkretisierung durch den Bebauungsplan zugänglich sein muss. Daher beschränkt § 5 I 1 BauGB den Flächennutzungsplan auf die Darstellung der Grundzüge.291 Eine parzellenscharfe Darstellung gehört nicht zu den Grundzügen und ist nicht Aufgabe des Flächennutzungsplans, sondern des Bebauungsplans. Die – technisch unumgängliche – grenzscharfe zeichnerische Darstellung bringt allerdings eine „überschießende Genauigkeit“ 292 mit sich, die mehr enthält, als zu den Grundzügen zählt. Dieses Übermaß an Präzision wird jedoch durch die Begründung und die zusammenfassende Erklärung relativiert. bb) Rechtswirkungen: Der Gesetzgeber hat die Rechtswirkungen des Flächennutzungsplans differenziert geregelt. Rechtsverbindlichkeit kommt ihm zunächst für die gemeindeinterne Planung zu. Bebauungspläne sind nach § 8 II 1 BauGB „aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln“. Damit unterstreicht das Gesetz seine Funktion als Steuerungsinstrument für die städtebauliche Entwicklungsplanung in der Gemeinde. Der Flächennutzungsplan hat aber auch gemeindeexterne planbindende Rechtswirkungen. Gem § 7 S 1 BauGB haben andere öffentliche Planungsträger, insbesondere Fachplanungsträger, ihre jeweiligen Planungen grundsätzlich dem Flächennutzungsplan anzupassen, sofern sie gem §§ 4, 13 BauGB an der Planaufstellung beteiligt worden sind und dem Plan nicht widersprochen wird.293 Gem § 9 II 2 ROG ist zudem landesrechtlich vorzusehen, dass bei der Aufstellung von Regionalplänen Flächennutzungspläne in der zu treffenden Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen sind.294 Gegenüber dem Bürger kann der Flächennutzungsplan zwar erhebliche faktische Bedeutung erlangen, etwa wenn durch seine Darstellung eine Fläche zum Baugebiet hochgestuft wird (sog Bauerwartungsland). Der Flächennutzungsplan verleiht aber 289 290

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Vgl §§ 1 I, II, 16 I BauNVO. Krit zu diesem Erfordernis Finkelnburg NVwZ 2004, 897, 901: „Zu den beachtlichen Verfahrens- und Formvorschriften … gehört die Bestimmung … zum Glück nicht. Das gibt der Praxis Raum, sich mit der Vorschrift zu arrangieren“. Zur Regelungstiefe der Darstellungen Graf BauR 2004, 1552 ff. Löhr (Fn 285) § 5 Rn 8. Zur Beteiligung im Aufstellungsverfahren u Rn 112. Zum im Übrigen in weitem Umfang bestehenden Vorrang der Fachplanung vgl u Rn 102 m Fn 386 und Rn 142. Dazu o Rn 52.

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keinen Anspruch auf Erteilung einer seinem Inhalt entsprechenden Baugenehmigung.295 Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans richtet sich die Zulässigkeit eines Bauvorhabens ausschließlich nach dessen Festsetzungen (§ 30 BauGB).296 Im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) bleibt er nach Auffassung des BVerwG für die Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben ebenfalls außer Betracht.297 Andererseits ist der Flächennutzungsplan für den Bürger keineswegs rechtlich bedeutungslos. Vielmehr äußert er auch ihm gegenüber Rechtswirkungen insofern, als nach § 35 III 1 Nr 1 BauGB ein Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigen und damit unzulässig sein kann, wenn es den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht. Das gilt auch für die sog privilegierten Vorhaben des § 35 I BauGB.298 Ihnen können nach § 35 III 3 BauGB öffentliche Belange auch dann entgegenstehen, wenn für sie durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.299 Wegen seiner differenziert gestalteten Rechtswirkungen bereitet die Bestimmung 81 der Rechtsnatur des Flächennutzungsplans 300 Schwierigkeiten. Die Rechtsform der Satzung hat § 10 BauGB dem Bebauungsplan vorbehalten. Im Hinblick darauf, dass der Flächennutzungsplan nicht an den Bürger adressiert ist, wurde ihm eine unmittelbare Rechtswirkung „nach außen“ (§ 35 VwVfGe) abgesprochen.301 Er sollte eine hoheitliche Maßnahme eigener Art ohne Rechtsnormqualität sein.302 Daran ist richtig, dass sich der Flächennutzungsplan den vertypten Rechtsformen des Außenrechts nicht zuordnen lässt. Hält man den Begriff der Rechtsnorm für eine Kategorie des Außenrechts, ist auch die Aussage nachvollziehbar, der Flächennutzungsplan sei keine Rechtsnorm. Gleichwohl ist diese Begrifflichkeit fragwürdig, weil sie suggeriert, der Flächennutzungsplan habe keine Rechtsqualität. Das ist aber gerade nicht der Fall. Er hat sogar – wie gezeigt 303 – auch Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger.304 295

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BGH DVBl 1976, 774, 775; BGHR BauGB § 42 Abs 1 Nutzung, zulässige 2; VGH München BayVBl 1971, 63. Bzw im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB nach dessen Inhalt. Vgl § 30 II BauGB sowie u Rn 88. BVerwGE 35, 256, 257 f; 62, 151, 152 f. BVerwGE 68, 311, 313 ff. Dazu Hoppe DVBl 1991, 1277 ff. Allerdings führt der Widerspruch gegen den Flächennutzungsplan auch nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit des Vorhabens, vgl BVerwGE 68, 311, 314 f → JK BBauG § 35/2; NVwZ 1991, 161f; Krautzberger (Fn 46) § 35 Rn 50 ff. Vgl zu den damit aufgeworfenen Rechtsfragen BVerwGE 117, 287 ff → JK BauGB § 35/3; 118, 33 ff; sowie Hoppe DVBl 2003, 1345 ff; Kment NVwZ 2003, 1047 ff; sa o Rn 50 m Fn 180, Rn 67 ff m Fn 263 u 264 sowie u Rn 135. Ausf dazu Löhr Die kommunale Flächennutzungsplanung, 1977, 133 ff mwN. ZB VGH Mannheim BRS 27, Nr 17; Friauf (Fn 3) 507; Gaentzsch (Fn 282) § 5 Rn 3. Vgl jetzt aber BVerwGE 117, 287, 303 → JK BauGB § 35/3: Der Flächennutzungsplan mit Darstellungen iSv § 35 III 3 BauGB „erlangt über die mittelbaren Wirkungen des § 35 III 1 BauGB hinaus unmittelbare Außenwirkungen“. BVerwG NVwZ 1991, 262, 263 → JK VwGO § 47/17; OVG Lüneburg DVBl 1971, 322, 323; VGH Mannheim BRS 27, Nr 17; Finkelnburg in: ders/Ortloff (Hrsg), BauR I, 56; Peine (Fn 80) Rn 35, 463. Vgl o Rn 80. BVerwGE 117, 287, 303 → JK BauGB § 35/3 spricht davon, dass soweit „die Gemeinde

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b) Bebauungsplan aa) Inhalt: „Der Bebauungsplan enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für 82 die städtebauliche Ordnung“ (§ 8 I 1 BauGB). Er soll also auch gegenüber dem Bürger die Bodennutzung rechtlich regeln. Zu diesem Zweck muss der Bebauungsplan anders als der „vorbereitende“ Flächennutzungsplan seine Festsetzungen „parzellenscharf“ treffen. Er kann sich wie der Flächennutzungsplan auf das ganze Gemeindegebiet erstrecken, was selten vorkommen wird, oder aber auch, wenn städtebauliche Erfordernisse dies gebieten, nur für ein einzelnes Grundstück Festsetzungen treffen.305 Regelmäßig bezieht er sich jedoch auf größere oder kleinere Teile des Gemeindegebiets. Die Inhalte des Bebauungsplans regelt § 9 BauGB. Danach kann der Bebauungsplan „Festsetzungen“ (Abs 1), „Kennzeichnungen“ (Abs 5) und „nachrichtliche Übernahmen“ (Abs 6) enthalten. Ihm ist notwendig eine Begründung beizufügen (Abs 8), die die Angaben nach § 2a BauGB enthalten muss, sowie eine zusammenfassende Erklärung 306 (§ 10 IV BauGB). Eine Sonderregelung zum Inhalt einer besonderen Form des Bebauungsplans, dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan, enthält § 12 III 1, 2 BauGB.307 Der Bebauungsplan ist idR eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grund- 83 eigentums iSd Art 14 I 2 GG.308 Seine rechtsverbindlichen Regelungen müssen daher auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Deshalb sind die in § 9 I BauGB genannten Festsetzungen erschöpfend.309 Zusätzlich enthält § 9 IV BauGB eine Ermächtigung zugunsten des Landesrechts.310 Der Katalog möglicher Festsetzungen muss allerdings nicht ausgeschöpft werden; welche Festsetzungen die Gemeinde trifft, hängt von ihrer planerischen Konzeption ab. Enthält der Bebauungsplan zumindest die in § 30 I BauGB genannten Festsetzungen, handelt es sich um einen sog qualifizierten Bebauungsplan, sonst um einen vom Gesetz sog einfachen Bebauungsplan (§ 30 III BauGB). Diese Differenzierung ist für die Beurteilung der Zulässigkeit von Bauvorhaben rechtserheblich.311 § 9 I BauGB stellt klar, dass Festsetzungen allein „aus städtebaulichen Gründen“ 84 getroffen werden können.312 Die Norm sagt aber nicht, wie detailliert die Fest-

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von dem Darstellungsprivileg Gebrauch macht“, der Flächennutzungsplan „über die mittelbaren Wirkungen des § 35 III 1 BauGB hinaus unmittelbare Außenwirkungen“ erhält. Zu den insofern aufgeworfenen Rechtsschutzfragen vgl auch die Bspr von Kment NVwZ 2004, 314 f. BVerwG NJW 1969, 1076; Brohm (Fn 61) § 6 Rn 18. Vgl dazu schon o Rn 76. Dazu u Rn 88. Dazu o Rn 28. BVerwG DVBl 1993, 1097, 1097; NVwZ 1995, 696, 697. Für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan entbindet § 12 III 2 BauGB die Gemeinde von dem Festsetzungskatalog des § 9 I BauGB. Dazu u Rn 88. ZB § 86 IV BauO NW. Zu ihrer Problematik Gelzer FS Redeker, 1993, 395 ff. Dazu u Rn 122 ff. Zur Rechtswidrigkeit von Festsetzungen aus anderen Zielsetzungen BVerwGE 114, 247, 249 f m Bespr Selmer JuS 2002, 302 f (Denkmalschutz); VGH Mannheim VBlBW 2002, 124 ff; VGH München BayVBl 2001, 564 f sowie u Rn 101 m Fn 356.

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setzungen sein müssen. Aus seiner „phasenspezifischen Funktion“ 313 folgt, dass der Bebauungsplan einerseits konkret genug sein muss, um den notwendigen Interessenausgleich (§ 1 V–VII BauGB) zu leisten, soweit er nicht schon durch den Flächennutzungsplan geschaffen wurde. Andererseits hat der Bebauungsplan aber nicht die Funktion, alle Einzelheiten nachfolgender Genehmigungsverfahren für Einzelprojekte vorwegzunehmen.314 Die in § 9 I BauGB aufgelisteten möglichen Festsetzungen beziehen sich entweder 85 auf die bauliche Nutzung von Baugrundstücken oder auf die nichtbauliche Nutzung von Flächen. Für die Zulässigkeit von Festsetzungen 315 über die Art und das Maß der baulichen Nutzung (§ 9 I Nr 1 BauGB) enthält die BauNVO verbindliche Vorgaben; zugleich konkretisiert sie die dort genannten Begriffe und ergänzt den Bebauungsplan. Nach § 1 III 1 BauNVO erfolgt die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung durch die Entscheidung des Plangebers für einen der in § 1 II BauNVO klassifizierten Baugebietstypen (zB reine Wohngebiete, Mischgebiete, Gewerbegebiete). Die für den festgesetzten Baugebietstyp zulässigen Nutzungsformen ergeben sich aus §§ 2–15 BauNVO. ZB bestimmt § 3 III Nr 1 BauNVO, dass in reinen Wohngebieten neben Wohngebäuden auch dem Bedarf des Gebietes dienende Läden und nicht störende Handwerksbetriebe zulässig sind. Nach § 1 III 2 BauNVO wird die jeweils einschlägige Vorschrift der §§ 2–14 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans, sofern nicht eine der näher geregelten Ausnahmen vorliegt. Ähnlich ist die Regelungstechnik für Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung. § 16 II BauNVO regelt, wie das Maß der baulichen Nutzung bestimmt werden darf, zB durch Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse oder der Höhe der baulichen Anlagen.316 Unter den nach § 9 I BauGB möglichen Festsetzungen über die nichtbauliche Nutzung haben die des § 9 I Nr 20 BauGB (Festsetzungen bzgl des Boden-, Natur- und Landschaftsschutzes) und des § 9 I Nr 24 BauGB (Festsetzungen ua bzgl von der Bebauung freizuhaltender Schutzflächen) besondere praktische Bedeutung. Sie können – zusammen zB mit der Festsetzung von Flächen für Wald (§ 9 I Nr 18 b BauGB), Grünflächen (§ 9 I Nr 15 BauGB) oder Anpflanzungen (§ 9 I Nr 25 BauGB) – ua dazu dienen, im Bebauungsplan angelegte Eingriffe in Natur und Landschaft 317 auszugleichen. § 9 I a BauGB bestimmt, wo inner- oder außerhalb des Plangebiets Flächen und Maßnahmen zum Ausgleich festgesetzt werden können. Nach § 9 II BauGB können Festsetzungen in besonderen Fällen (also aus besonderen städtebaulichen Gründen) befristet werden. Damit können zB zeitlich begrenzte Zwischennutzungen einschließlich der Folgenutzung festgesetzt werden.318 313 314

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Löhr (Fn 285) § 9 Rn 4 b. Zur notwendigen Bestimmtheit von Festsetzungen BVerwG DÖV 1995, 822, 822 f; OVG Münster NVwZ 1999, 79, 80. IdR unzulässig sind Bebauungspläne, die sich ausschließlich auf die Festsetzung unzulässiger baulicher Nutzungen beschränken, BVerwGE 40, 258 ff. Vgl aber auch BVerwG NVwZ 1991, 875, 876 f; VGH Kassel NVwZ 1993, 906, 907 f sowie ausf von und zu Franckenstein BayVBl 1997, 202 ff; Brohm (Fn 61) § 14 Rn 5 f. Zu Einzelheiten der BauNVO vgl Fickert/Fieseler BauNVO. Vgl § 1 a III BauGB sowie u Rn 102 a. Die Regelung soll einem Bedürfnis in der Planungspraxis Rechnung tragen, „in Anbetracht der zunehmenden Dynamik im Wirtschaftsleben und den damit verbundenen kür-

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bb) Rechtswirkungen: Die Festsetzungen des Bebauungsplans sind gem § 8 I 1 86 BauGB rechtsverbindlich. Seine Geltung ist vom Gesetzgeber nicht befristet, so dass bei Aufstellung des Bebauungsplans noch nicht abschließend feststehen kann, wer von ihm im Verlaufe seiner Geltung betroffen sein wird. Insofern weist der Bebauungsplan Elemente eines allgemeinen Rechtssatzes auf. Andererseits trifft er Regelungen für konkrete Grundstücke und ähnelt damit dinglichen Einzelfallregelungen (vgl § 35 S 2 HS 2 VwVfGe). Diese unterschiedlichen Elemente des Bebauungsplans und die damit verbundenen unterschiedlichen Beurteilungsmöglichkeiten lösten die Diskussion über seine Rechtsnatur 319 aus, in deren Verlauf alle denkbaren Alternativen vertreten wurden: Rechtsnorm, Verwaltungsakt und Hoheitsakt eigener Art.320 Der Gesetzgeber hat diesen rechtstheoretischen Streit zwar nicht entschieden, ihm aber seine rechtsdogmatische und -praktische Bedeutung genommen, indem er bestimmt hat, dass der Bebauungsplan von der Gemeinde als Satzung zu beschließen sei (§ 10 I BauGB). Der Bebauungsplan ist damit rechtlich (auch prozessrechtlich: § 47 I Nr 1 VwGO) wie eine Satzung zu behandeln; ihm kommt damit eine rechtssatzmäßige Bindung zu.321 Die rechtliche Bedeutung des Bebauungsplans liegt darin, dass er in seinem Gel- 87 tungsbereich die (nicht-)bauliche Nutzung der Grundstücke negativ und positiv determiniert. Negativ determinierend ist der Bebauungsplan insofern, als die Zulässigkeit von Bauvorhaben davon abhängt, dass sie seinen Festsetzungen nicht widersprechen (§§ 30ff BauGB), und er so eine planwidrige Bodennutzung verhindert. Unter diesem Aspekt sind Bebauungspläne „weniger auf ,Durchführung‘ ihrer Festsetzungen als auf den Ausschluss planwidriger Maßnahmen angelegt“.322 Sie sind in dieser Hinsicht Ausdrucksform einer Auffangplanung, die auf die tatsächliche Verwirklichung der Planvorstellungen durch private Bauwillige angewiesen ist. Das Städtebaurecht belässt es aber nicht bei dieser Funktion, sondern weist auch Elemente einer positiven Determination der Bodennutzung auf. Der Bebauungsplan

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zeren Nutzungszyklen von Vorhaben die zeitliche Nutzungsfolge berücksichtigen zu können“, BT-Drucks 15/2250, 34. Zur praktischen Anwendung des § 9 II BauGB ausf Kuschnerus ZfBR 2005, 125 ff; vgl auch Schieferdecker BauR 2005, 320 ff. Dazu ausf zB Bielenberg (Fn 283) § 10 Rn 26 ff; Schmidt-Aßmann (Fn 85) 63 f; Imboden VVDStRL 18 (1960) 113 ff; Obermayer VVDStRL 18 (1960) 144, 164 ff. Für Rechtsnorm zB PrOVGE 25, 387, 390; BVerwGE 26, 282, 283; Obermayer VVDStRL 18 (1960) 144, 164 ff; aus jüngerer Zeit VGH Mannheim NVwZ 2004, 357, 358 unter Berufung auf die Rspr des BVerwG; Breuer NVwZ 1982, 273, 275; Schmidt-Aßmann DVBl 1984, 582, 586. Für Verwaltungsakt zB VGH Stuttgart ESVGH 6, 200, 205. Zum Hoheitsakt eigener Art Forsthoff DVBl 1957, 113, 115. BVerwGE 25, 243, 250; DVBl 1975, 492, 493. Gem § 246 II 1 BauGB bestimmen die Länder Berlin und Hamburg, welche Form der Rechtsetzung an die Stelle der Satzung tritt. In Berlin wird der Bebauungsplan als Rechtsverordnung festgesetzt, §§ 6 V, 7 II 2 AGBauGB (Fn 192); dazu und zu Zuständigkeitsfragen Wilke FS Hoppe, 2000, 385, 391 ff. In Hamburg wird der Bebauungsplan idR durch Rechtsverordnung, ausnahmsweise durch Gesetz festgestellt, § 3 I, II G über die Feststellung von Bauleitplänen und ihre Sicherung – BauleitplanfeststellungsG idF v 30. 11. 1999 (GVBl 271), zul geänd durch G v 6. 9. 2004 (GVBl 356). Das Land Bremen kann nach § 246 II 2 BauGB eine solche Bestimmung treffen, hat von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht. BVerwG DVBl 1972, 119, 122.

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schafft die rechtliche Voraussetzung für eine Reihe behördlicher Maßnahmen, die auf die Planverwirklichung und -sicherung zielen. Zu ihnen zählen zB das Baugebot (§ 176 BauGB), das Pflanzgebot (§ 178 BauGB) und das Rückbau- und Entsiegelungsgebot (§ 179 BauGB), aber auch etwa das allgemeine Vorkaufsrecht der Gemeinde (§ 24 I 1 Nr 1 BauGB), die Umlegung (vgl § 45 BauGB) und die Enteignung (§ 85 I Nr 1 BauGB).323 cc) Vorhabenbezogener Bebauungsplan gem § 12 BauGB: Bebauungspläne exis88 tieren idR nur für Teile des Gemeindegebietes. Daher kann es vorkommen, dass ein Privater auf einer unbeplanten Fläche ein Bauvorhaben durchführen will, das zulässigerweise nur dann verwirklicht werden kann, wenn zuvor ein Bebauungsplan aufgestellt wird.324 Gleichermaßen ist der Fall denkbar, dass ein Vorhaben auf einem beplanten Grundstück erst nach Planänderung oder -aufhebung zulässig ist.325 Ist einerseits die Gemeinde an der Durchführung des Vorhabens durch den Privaten interessiert, und ist dieser auf der anderen Seite willens, an der Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen für sein Vorhaben ua durch Einsatz von Finanzmitteln mitzuwirken, kann auf das Instrument des vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach Maßgabe des § 12 BauGB zurückgegriffen werden.326 Der Erlass eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans kommt nach § 12 I 1 BauGB in Betracht, wenn der Vorhabenträger einen mit der Gemeinde abgestimmten Plan über die Durchführung seines Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) vorlegt, er bereit und in der Lage ist, das Vorhaben auch tatsächlich durchzuführen, und er sich gegenüber der Gemeinde vertraglich zur Durchführung des Vorhabens innerhalb einer bestimmten Frist sowie zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise verpflichtet (Durchführungsvertrag).327 Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Gemeinde einen vorhaben323 324

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Zu diesen Instrumenten vgl u Rn 143 ff. Das ist der Fall, wenn das Vorhaben weder nach § 34 noch nach § 35 BauGB zulässig ist. Zur Zulässigkeit von Vorhaben gem §§ 34, 35 BauGB u Rn 129 ff. Das ist der Fall, wenn das Vorhaben den Festsetzungen des vorhandenen Bebauungsplans widerspricht und weder ausnahme- noch befreiungsfähig ist. Dazu u Rn 127 f. § 12 BauGB wurde durch das BauROG (Fn 18) in das BauGB eingefügt. Vorläuferregelungen zur damals sog Satzung über den Vorhaben- und Erschließungsplan enthielt zunächst für die neuen Bundesländer und für Ost-Berlin § 55 der Bauplanungs- und Zulassungsverordnung – BauZVO v 20. 6. 1990 (GBl DDR I Nr 45, 739), der durch § 246 a I 1 Nr 6 BauGB idF v 1990 für die neuen Bundesländer und für Ost-Berlin in das BauGB übernommen wurde. Diese Bestimmung wurde später leicht modifiziert in den fortan bundeseinheitlich geltenden § 7 BauGBMaßnG integriert. Dazu zB Pietzcker Der Vorhabenund Erschließungsplan, 1993. Zur Rechtsentwicklung allgemein Stich ZfBR 1999, 304 ff. Zum Verfahren nach § 12 BauGB vgl ausf Erbguth/Wagner (Fn 54) § 5 Rn 199 ff; Erbguth VerwArch 89 (1998) 189, 193 ff; Menke NVwZ 1998, 577 ff; Grziwotz JuS 1999, 245 ff; Dolderer UPR 2001, 42 ff; Grigoleit DV 33 (2000) 79, 97 ff; Kuschnerus BauR 2004, 946 ff; Köster ZfBR 2005, 147 ff. Der öffentlich-rechtliche Durchführungsvertrag ist nach § 12 I 1 BauGB „vor dem Beschluß nach § 10 Abs 1“, also vor dem Satzungsbeschluss über den Bebauungsplan abzuschließen. Er unterliegt dem Schriftformerfordernis des § 11 III BauGB und kann zusätzlich weitergehende, auch nicht-städtebauliche Aspekte zum Gegenstand haben, vgl Brohm (Fn 61) § 7 Rn 26; Krautzberger (Fn 46) § 12 Rn 8; Burmeister VBlBW 2002, 245 ff.

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bezogenen Bebaungsplan erlassen, durch den die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt wird. Ob dieser Bebauungsplan ergeht, liegt im planerischen Ermessen der Gemeinde.328 § 12 IV BauGB stellt es der Gemeinde zudem frei, einzelne Flächen außerhalb des Vorhaben- und Erschließungsplans in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan einzubeziehen. Der vorhabenbezogene Plan ist nach § 12 I 1 BauGB ein Bebauungsplan.329 Im Grundsatz hat er daher die Inhalte eines Bebauungsplans,330 unterliegt dessen Rechtsbindungen 331 und teilt dessen rechtliche Bedeutung.332 Allerdings ist der vorhabenbezogene Bebauungsplan anders als die sonstigen Bebauungspläne nicht vorrangig auf den „Ausschluss planwidriger Maßnahmen angelegt“,333 sondern von vornherein auf die Verwirklichung eines konkreten Vorhabens 334 bezogen. Dem tragen die Regelungen des § 12 II–VI BauGB ebenso Rechnung wie dem Umstand, dass der vorhabenbezogene Bebauungsplan auf privaten Vorarbeiten beruht und mit Verpflichtungen des Vorhabenträgers einhergeht.335 Hervorzuheben ist ua die Sonderregelung zum Inhalt des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Gem § 12 III 1 BauGB wird der vom Vorhabenträger ausgearbeitete, mit der Gemeinde abgestimmte Vorhaben- und Erschließungsplan Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Gleichzeitig entbindet § 12 III 2 BauGB die Gemeinde insoweit von dem sonst durch § 9 BauGB bzw durch die BauNVO zwingend vorgegebenen Katalog der Festsetzungsmöglichkeiten.336

2. Aufstellung der Bauleitpläne a) Planungspflicht Nach § 1 III 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, „sobald 89 und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“. Die Norm wiederholt nicht nur die aus der verfassungsrechtlich abgesicherten Pla328

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Ein Anspruch des Vorhabenträgers auf Planaufstellung besteht nicht. Vgl § 12 II 1 iVm § 1 III 2 BauGB sowie u Rn 92. § 12 II 1 BauGB gewährt jedoch dem Vorhabenträger einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einleitung des Planungsverfahrens; dazu VGH München BauR 2000, 365 ff; NVwZ 2000, 1060f; Krautzberger (Fn 46) § 12 Rn 22. Zu möglichen Schadensersatzansprüchen bei Verletzung dieser Pflicht Fischer DVBl 2001, 258 ff sowie dazu, dass umgekehrt auch kein Anspruch darauf besteht, dass ein bereits beschlossener Plan nicht wieder aufgehoben oder abgeändert wird, wenn sich die planerische Konzeption der Gemeinde ändert, Burmeister VBlBW 2002, 245, 250 mwN. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Bezug auf die sonstige Bauleitplanung Erbguth VerwArch 89 (1998) 189, 203 ff. Dazu o Rn 82 ff. Dazu u Rn 89 ff. Dazu o Rn 86 f. BVerwG DVBl 1972, 119, 122. Vgl o Rn 87. Zum Vorhabenbegriff in diesem Zusammenhang Brohm (Fn 61) § 7 Rn 24. Zur Bestimmtheit der Festsetzungen bzgl der/s Vorhaben(s) vgl BVerwGE 119, 45 ff. Die Abweichungen werden im jeweiligen Zusammenhang erläutert. Zum Regelfall o Rn 83.

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nungshoheit 337 folgende Planungsbefugnis der Gemeinden, sondern begründet auch deren Planungspflicht im Hinblick auf das „Ob“ und das „Wann“ der Planung.338 In dem „Soweit“ des § 1 III 1 BauGB klingt außerdem schon der Umfang („Wieviel“) der Planung und damit der Zusammenhang mit ihrem „Wie“ an. Die Planungspflicht bezieht sich sowohl auf die Flächennutzungs- als auch auf die Bebauungsplanung und kann auch hinsichtlich nur weniger oder sogar nur eines Grundstücks bestehen.339 Bestimmungsfaktor für die Planungspflicht ist die in § 1 III 1 BauGB genannte Erforderlichkeit. Ihr Maßstab kann die planerische Konzeption der Gemeinde sein.340 Sie ist dafür aber nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr verdichtet sich das Planungsermessen zur strikten (Erst)Planungspflicht, wenn qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorliegen.341 Der Begriff der Erforderlichkeit lässt sich unter Rückgriff auf § 1 I BauGB, auf 90 die Aufgaben- und Funktionsbestimmung der Planung sowie auf das Gebot gerechter Abwägung (§ 1 VII BauGB) näher entfalten.342 Nach dem in § 1 I, III 1 BauGB zum Ausdruck kommenden Entwicklungs- und Ordnungsprinzip soll die städtebauliche Entwicklung nicht sich selbst überlassen, sondern vorbereitend und leitend durch Pläne (Planmäßigkeitsprinzip) gesteuert werden.343 Aus der schon angesprochenen phasenspezifischen Funktion 344 folgt, dass sich die Erforderlichkeit des konkreten Bauleitplans danach richtet, was im Gesamtprozess der Ordnung der städtebaulichen Entwicklung von ihm an Konflikten zu bewältigen ist. So machen §§ 29 ff BauGB deutlich, dass selbst der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nicht alle Gebietsteile der Gemeinde von einem Bebauungsplan erfasst sein müssen. Schließlich ist zu bedenken, dass der Bebauungsplan Inhalts- und Schrankenbestimmung iSd Art 14 I 2 GG ist.345 Er unterliegt damit nicht nur dem planungsrechtlichen Erforderlichkeitsgebot, sondern findet seine Zulässigkeitsgrenze auch in dem grundrechtlichen Erforderlichkeitsgebot als Element des Übermaßverbotes, das sich wie ein Planungsverbot auswirken kann. Im Übrigen ist die Frage der Planungspflicht auch eine solche der gerechten Abwägung zwischen den betroffenen privaten und öffentlichen Interessen (§ 1 V–VII BauGB).346 Nach alledem wird deutlich, dass die in 337 338 339 340

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Vgl o Rn 18 ff. Zur Planungshoheit und Planungspflicht Stüer NVwZ 2004, 814 ff. BVerwG DÖV 1969, 644, 644; Krautzberger (Fn 46) § 1 Rn 28. Vgl BVerwG DVBl 1971, 759, 762; NVwZ 1999, 1338, 1338; W. Schrödter (Fn 107) § 1 Rn 33; vgl auch BVerwG DÖV 1997, 251, 252. Zur Funktion der planerischen Konzeption der Gemeinde für die Bestimmung der Erforderlichkeit der Planung vgl BVerwGE 119, 25, 31 f. BVerwGE 119, 25, 32. Auch das interkommunale Abstimmungsgebot (§ 2 II BauGB) kann eine Planungspflicht begründen, vgl BVerwGE 119, 25, 35. Ausf zum Begriff der Erforderlichkeit Weyreuther DVBl 1981, 369 ff; Bender FS Weyreuther, 1993, 125 ff; nicht erforderlich ist ein Bebauungsplan, wenn seiner Verwirklichung auf unabsehbare Zeit rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen, BVerwG NVwZ 2004, 856, 856. Dazu näher Schmidt-Aßmann BauR 1978, 99 ff. Vgl o Rn 84. Vgl dazu o Rn 27 ff. Vgl zB OVG Münster NWVBl 1993, 468, 469.

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§ 1 III 1 BauGB angesprochene Erforderlichkeit der Planung einen weiten Beurteilungsspielraum eröffnet. Dieser ist ähnlich der Ermessenskontrolle (§ 114 S 1 VwGO) gerichtlich nur begrenzt bei grober Verkennung der skizzierten Grundlinien des Entscheidungsspielraums überprüfbar.347 Dieselbe Reduktion der Kontrolldichte gilt grundsätzlich für die staatliche Rechtsaufsicht über die Gemeinden. Hingewiesen sei aber auf besondere Planungspflichten der Gemeinden, die sich aus Spezialvorschriften ergeben können.348, 349 Bauleitplanung geschieht zur Ordnung der städtebaulichen Entwicklung und da- 91 mit prinzipiell im Allgemeininteresse. Daraus folgt nicht nur, dass die Planungspflicht des § 1 III 1 BauGB grundsätzlich objektivrechtlichen Charakter hat, sondern auch, dass eine Bauleitplanung, die ausschließlich an privaten Interessen ausgerichtet ist, ohne dass ihr zugleich städtebauliche Erfordernisse zugrunde liegen, unzulässig ist.350 Die Regelung des § 1 III 2 BauGB, nach der auf die Aufstellung von Bauleitplänen kein Anspruch besteht, entspricht diesem Regelbefund. Darauf, dass sich – in Ausnahmefällen – aus grundrechtlichen Schutz- und Handlungspflichten eine Abweichung von diesem Regelbefund ergeben kann, ist schon hingewiesen worden.351 Gem § 1 III 2 HS 2 BauGB kann auch durch Vertrag kein Anspruch auf Aufstel- 92 lung eines Bauleitplans begründet werden.352 Faktisch entsteht im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Bauleitplans eine Vertragskonstellation zum einen dann, wenn eine Gemeinde mit ihrer Planung Zwecke verfolgt, die sich nur mit Hilfe privater Vorhabenträger erfüllen lassen. Diese wiederum haben häufig ihre eigenen zeitlichen und inhaltlichen Vorstellungen von der Realisierung ihrer Projekte und sind an einer Minimalisierung auch des finanziellen Planungsrisikos interessiert. Zum anderen entstehen Vertragskonstellationen in solchen Situationen, die zur Aufstellung vorhabenbezogener Bebauungspläne führen.353 Beide Fallgestaltungen drängen auf Verständigung und führen zu einem übereinstimmenden Interesse an einer vertraglichen Vorwegbindung der Planung. § 1 III 2 HS 2 BauGB bestimmt, dass eine derartige vertragliche Vorwegbindung aber zumindest nicht in der vertraglichen Verpflichtung der Gemeinde zur Aufstellung eines Bauleitplans bestehen darf. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass andernfalls der gesetzlich offen 347

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Vgl BVerwGE 34, 301, 304; DVBl 1989, 369 ff. Zur Verletzung dieses Spielraums VGH Mannheim VBlBW 2002, 124 ff. Zu den Kontrollmaßstäben vgl noch u Rn 105 ff. Vgl zB § 188 I BauGB sowie die in einigen LPlGen enthaltenen Planungspflichten. Dazu o Rn 39 m Fn 140. Zur (Un)Zulässigkeit einer Negativplanung BVerwG NVwZ 2004, 477, 479. BVerwGE 40, 258, 261 ff; DÖV 1997, 251, 252. Das schließt nicht aus, dass die Gemeinde private Belange zum Anlass einer Bauleitplanung nehmen und sich dabei an den Wünschen der Grundeigentümer orientieren darf, VGH Mannheim NVwZ-RR 1997, 684, 684 f. Davon geht ersichtlich auch § 12 BauGB aus. Vgl o Rn 33. Zur Diskussion um die Zulässigkeit von Planabreden vor dem BauROG (Fn 18) zB Krebs VerwArch 72 (1981) 49 ff; Schmidt-Aßmann/Krebs Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, 2. Aufl 1992, 87 ff mwN; Bielenberg (Fn 283) § 2 Rn 78 ff. Zum Instrument des „städtebaulichen Vertrages“ (§ 11 BauGB) vgl noch u Rn 172 ff. Dazu o Rn 88.

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strukturierte Planungsprozess funktionslos würde. Verpflichtet sich eine Gemeinde dennoch durch – öffentlich-rechtlichen 354 – Vertrag zur Planaufstellung, ist dieser gem § 59 I VwVfGe iVm § 134 BGB iVm § 1 III 2 HS 2 BauGB 355 nichtig.356 Das heißt aber nicht, jegliche Planabreden zu verwerfen.357 Abreden im Zusam93 menhang mit Planungsvorgängen, die die gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Bindungsfeindlichkeit des planerischen Abwägungsprozesses und das Aufstellungsverfahren beachten, können durchaus zulässig sein. Deshalb sind in Literatur und Praxis anstelle von rechtlicher Bindung des Planungsinhalts „Ersatzbindungen“ in Betracht gezogen worden,358 zB eine Übernahme des Planungsrisikos oder eine Planungsgarantieabrede.359 Auch wenn dergestalt die Planung rechtlich ungebunden bleibt, kann die faktische Einflussnahme durch die Ersatzbindung im Einzelfall doch so gewichtig sein, dass die Planung abwägungsfehlerhaft und damit rechtswidrig wird. Dann ist auch die entsprechende vertragliche Ersatzbindung als unwirksam anzusehen.360 b) Anpassungs- und Entwicklungspflichten 94 Raumplanung erfolgt in gestuften Entscheidungsverfahren, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sein müssen, wenn nicht das Planungssystem insgesamt Funktionsverluste hinnehmen soll. Das gilt hinsichtlich der verschiedenen Planungen ein und desselben Planungsträgers, erst recht aber auch für die Planungen unterschiedlicher Planungsträger. Aus diesem Grund sind die überörtliche und örtliche Raumplanung miteinander und untereinander verzahnt. Die Anpassungspflicht des § 1 IV BauGB 361 ist auf die Abstimmung der gemeindlichen Bauleitplanung mit der staatlichen Raumordnung gerichtet, während die Entwicklungspflicht des § 8 II 1 BauGB auf die Verklammerung der örtlichen Bauleitplanungen untereinander abzielt. 354

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Die vertragliche Verpflichtung zur Aufstellung eines Bauleitplans kann nur öffentlich-rechtlich erfüllt werden. Ein entsprechender Vertrag ist daher öffentlich-rechtlich, vgl Battis in: ders/Krautzberger/Löhr (Hrsg), BauGB, § 1 Rn 31; Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn 352) 85. Wie hier – Deutung des § 1 III 2 HS 2 BauGB bzw der parallelen Vorgängernormen des § 2 III HS 2 BauGB aF und des § 6 II 3 HS 2 BauGBMaßnG als Verbotsgesetz – Brohm (Fn 61) § 7 Rn 9, 18; Jäde in: ders/Dirnberger/Weiß (Hrsg), BauGB, § 1 Rn 48; Krautzberger (Fn 354) § 1 Rn 31. Erkennt man § 1 III 2 HS 2 BauGB lediglich deklaratorischen Charakter zu – so Bönker in: Hoppe/Bönker/Grotefels (Hrsg), BauR, § 3 Rn 102 – ergibt sich die Nichtigkeit eines solchen Vertrages gleichermaßen aus § 59 I VwVfGe iVm § 134 BGB iVm den funktionslos werdenden Vorschriften des BauGB über die Notwendigkeit der Abwägung der Planung und über das Verfahren der Planaufstellung. Krit zB Ebsen JZ 1985, 57, 60 ff; Simon BayVBl 1974, 145, 147; vgl auch Bielenberg (Fn 283) § 2 Rn 78. Dazu Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn 352) 93 mwN sowie Dolde/Uechtritz DVBl 1987, 446, 448 ff. BGHZ 76, 16 ff → JK VwVfG § 59/1. Dazu Papier JuS 1980, 498, 501; Ebsen JZ 1985, 57, 60 ff; Dolde/Uechtritz DVBl 1987, 446, 448 f; Jäde BayVBl 1992, 549 ff. So Ebsen JZ 1985, 57, 61; dagegen Dolde/Uechtritz DVBl 1987, 446, 449. Vgl die Parallelvorschrift des § 4 I ROG und die Planungspflichten in einigen LPlGen. Dazu o Rn 39 m Fn 140.

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Die in § 1 IV BauGB genannten, für die Bauleitplanung beachtlichen Ziele der 95 Raumordnung sind verbindliche Vorgaben zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes in Raumordnungsplänen (§ 3 Nr 2 ROG).362 Anpassen iSd § 1 IV BauGB bedeutet, dass die Gemeinden die Ziele der Raumordnung zu beachten haben. Sie sind im Umfang ihrer jeweiligen Konkretisierung als rechtsverbindliche Vorgaben für die örtliche Raumplanung der gemeindlichen Disposition entzogen und damit einer Relativierung im Prozess der bauleitplanerischen Abwägung nicht zugänglich.363 § 1 IV BauGB verpflichtet die Gemeinden auch zur nachträglichen Anpassung an geänderte Zielvorgaben 364 und kann eine gemeindliche „Erstplanungspflicht“ auslösen.365 Als nicht disponible, rechtlich vorgegebene Daten begrenzen die Ziele der Raumordnung den verfassungsrechtlich geschützten 366 Planungsspielraum der Gemeinden. Sie dürfen ihm daher nur einen Rahmen setzen, der ausfüllungs- und konkretisierungsfähig bleiben muss.367 Die Anpassungspflicht des § 1 IV BauGB bewirkt, dass die landesplanerischen 96 Zielvorstellungen über das Medium der gemeindlichen Bauleitplanung Außenwirkung entfalten. Das Planungskonzept der Gemeinde wird durch den Bebauungsplan außenrechtsverbindlich. Folgerichtig verpflichtet § 8 II 1 BauGB den Bebauungsplan auf die gemeindliche Grundkonzeption der Raumplanung, wie sie im Flächennutzungsplan Ausdruck gefunden hat. Das kann freilich nur in dem Umfang gelten, wie der Planungsstand fortgeschritten ist. Die Möglichkeiten des Verzichts auf den Flächennutzungsplan (§ 8 II 2 BauGB), des sog „Parallelverfahrens“ (§ 8 III 1 BauGB) und des „vorzeitigen Bebauungsplans“ (§ 8 IV BauGB) 368 modifizieren daher die Entwicklungspflicht des § 8 II 1 BauGB. Der Begriff der Entwicklung weist auf die Entwicklungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Flächennutzungsplans hin und meint, dass der Bebauungsplan den Flächennutzungsplan „konkreter ausgestaltet und damit zugleich verdeutlicht“.369 Da „Entwickeln“ auch nicht dasselbe wie „Übereinstimmen“ bedeutet, darf der Bebauungsplan vom Flächennutzungsplan 362 363 364

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Zu ihnen und zu ihren Rechtmäßigkeitsanforderungen o Rn 39, 41, 49 ff. Vgl BVerwGE 90, 329, 332 ff und ausf o Rn 39 mwN. Schmidt-Aßmann VerwArch 71 (1980) 117, 134 f; Krautzberger (Fn 46) § 1 Rn 32; Runkel in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, § 1 Rn 65 b; in zeitlicher Hinsicht einschränkend Gaentzsch (Fn 282) § 1 Rn 39. Str, vgl gegen eine „Erstplanungspflicht“ Brohm (Fn 61) § 12 Rn 9; Schlarmann DVBl 1980, 275, 278 f; dafür Krautzberger (Fn 46) § 1 Rn 32; Schmidt-Aßmann (Fn 73) 20 f. Ausf zum Streit Grooterhorst Die Wirkung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung gegenüber Bauvorhaben nach § 34 BBauG, 1985, 66 ff. BVerwGE 90, 329, 332 f ließ diese Frage noch offen. Nach BVerwGE 119, 25, 38 ff → JK BauGB § 1 III/1 begründet § 1 IV BauGB eine gemeindliche Erstplanungspflicht, wenn die Verwirklichung von Zielen der Raumordnung bei Fortschreiten einer „planlosen“ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde. Zum Verhältnis der Erstplanungspflichten aus § 1 III und IV BauGB BVerwGE 119, 25, 42 f → JK BauGB § 1 III/1. Vgl o Rn 16 ff. Dazu o Rn 41. Dazu o Rn 73. BVerwGE 48, 70, 70. Vgl auch BVerwGE 56, 283, 285 f; NVwZ 2000, 197, 198.

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abweichen, solange er sich im Rahmen der vom Flächennutzungsplan dargestellten „Grundzüge“ (§ 5 I 1 BauGB) hält. Wegen der grenzscharfen und damit „überschießenden Genauigkeit“ 370 muss sich der Bebauungsplan zB nicht notwendig an die im Flächennutzungsplan dargestellten räumlichen Grenzen der Nutzung halten.371 Er darf sich aber bei entwicklungsbedingten Abweichungen nicht in Widerspruch zum Flächennutzungsplan setzen und muss seine Grundkonzeption unberührt lassen.372 Übersteigen die planerischen Festsetzungen den vorgegebenen Entwicklungsrahmen, ist er nicht aus dem Flächennutzungsplan „entwickelt“ iSd § 8 II BauGB. Das ist er auch dann nicht, wenn ein Flächennutzungsplan unzulässigerweise fehlt oder ungültig ist. Ein Bebauungsplan, der zwar aus den Darstellungen eines Flächennutzungsplans entwickelt worden ist, aber einem Ziel der (geänderten) Regionalplanung widerspricht, verstößt dennoch gegen § 1 IV BauGB.373 c) Abwägungsgebot und Planungsmaßstäbe 97 aa) Bauleitplanung und Struktur der Planungsnormen: Bauleitplanung ist ein mehrphasiger informationsverarbeitender Entscheidungsprozess. Diese Strukturmerkmale hat die Bauleitplanung mit anderen administrativen Entscheidungsprozessen gemeinsam, wenn auch in aller Regel die Entscheidungsphasen nicht so stark ausgebildet sind und der konventionell geübte juristische Blick eher gewohnt ist, auf das Entscheidungsergebnis zu schauen und den prozesshaften Charakter der Entscheidung auszublenden. Die Besonderheit der Bauleitplanung als örtliche Raumplanung besteht zum einen in der Fülle und Vielgestaltigkeit („Komplexität“) des zu verarbeitenden Problemstoffes. Zudem ist sie stets auch zukunftsorientiert und auf Zukunftsgestaltung gerichtet. Daraus folgt, dass der Prozess der raumplanerischen Problemlösung und Entscheidungsfindung durch ein hohes Maß an wertenden und prognostischen Elementen gekennzeichnet ist, der nicht ohne Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume der Planer durchführbar ist. Dieser Umstand spricht dagegen, Verlauf und Ergebnis der Bauleitplanung rechtlich im Einzelnen vorzuprogrammieren. Sinnvolle administrative Raumplanung ist nicht als mechanistischer Gesetzesvollzug vorstellbar. Andererseits ist staatliche und gemeindliche Raumplanung keine Enklave für rechtsfreies Verwaltungshandeln. Daher muss rechtsstaatliche Planung rechtlich zu binden und rechtlich gebunden sein. Im Städtebaurecht kann es also nicht um das „Ob“ der Rechtsbindung der Planung, sondern muss es um das „Wie“ und „Wieviel“ gehen. Häufig wird zur Lösung dieses Problems auf die unterschiedlichen Modalitäten 98 rechtlicher Programmierung hingewiesen. Planungsnormen seien als Finalpro-

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Vgl o Rn 77. BVerwGE 48, 70, 72 ff; BauR 1979, 206, 208 → JK BBauG § 8/1; NVwZ 2000, 197, 198; OVG Münster BauR 2000, 358, 359. BVerwGE 48, 70, 72 ff; 56, 283, 285 f; NVwZ 2000, 197, 198; VGH Mannheim BRS 60, Nr 56. Vgl zur Windenergienutzung bei ausgewiesenen Konzentrationsflächen OVG Koblenz DÖV 2004, 841 ff. BVerwGE 117, 351, 356: Insofern tritt das Entwicklungsgebot des § 8 II 1 BauGB hinter das Anpassungsgebot des § 1 IV BauGB zurück.

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gramme 374 strukturiert, die im Gegensatz zur Struktur eines Konditionalprogramms dem Planer größere Freiräume ließen. Mit einem rechtlichen Konditionalprogramm ist der Steuerungsmodus eines „klassischen“ Rechtssatzes gemeint, der mit Hilfe von Tatbestand und Rechtsfolge („Wenn-Dann-Schema“) dem Rechtsanwender einen bestimmten Verhaltensbefehl erteilt, wenn eine bestimmte Voraussetzung (Bedingung: „conditio“) eintritt. Das Finalprogramm verpflichtet demgegenüber zur Erreichung eines bestimmten Zwecks (oder Ziels: „finis“) und überlässt dem Rechtsanwender, mit welchem Verhalten er den vorgegebenen Zweck erfüllt.375 Beide Begriffe sind allerdings keine Rechtsbegriffe. Ihre Unterscheidung ist idealtypisch und in erster Linie von entscheidungs- und organisationstheoretischem Erkenntnisinteresse. Überträgt man die Unterscheidung auf Rechtssätze, lässt sich ein Finalprogramm auch als Konditionalprogramm formulieren, und es kann in der Zielsetzung so konkret und bestimmt abgefasst sein, dass seine Ausführung nur wenige Handlungsalternativen offen lässt. Andererseits kann auch ein Konditionalprogramm je nach Bestimmtheitsgrad große Handlungsspielräume eröffnen. Man denke an die ordnungsbehördliche Generalklausel. Vor dem Hintergrund dieser Überlegung wird man nicht annehmen können, dass 99 die von einem Finalprogramm belassenen Handlungsspielräume zwangsläufig großzügiger und qualitativ anders geartet sind als die, die ein Konditionalprogramm einräumt. Ebenso fragwürdig wird dann aber die Annahme, dass das von einer als Finalprogramm formulierten Planungsnorm zugestandene Ermessen („Planungsfreiheit“) sich qualitativ von dem Ermessen unterscheidet, das der konditional programmierten Verwaltung zur Verfügung stehen kann („Verwaltungsermessen“).376 Der Begriff des Ermessens beschreibt als Rechtsbegriff einen Entscheidungsspielraum des Rechtsanwenders, der nur begrenzt rechtlich kontrolliert werden darf.377 Diese rechtliche Eigenschaft haben die von Planungs- oder anderen Normen eröffneten Entscheidungsspielräume gemeinsam. Planungsermessen und Verwaltungsermessen weisen demnach als Rechtsbegriffe keine (qualitativen) Unterschiede auf. Vielmehr haben sie als deskriptive Begriffe ihre Funktion darin, dass sie auf die typische Eigenart von Planungsnormen hinweisen. Diese besteht darin, dem Planer regelmäßig das Planungsermessen zuzugestehen, das ihm angesichts der beschriebenen Eigenart der von ihm zu bewältigenden Aufgaben zustehen muss. Insofern mag man beschreibend feststellen, dass sich Verwaltungsermessen 374

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ZB Hoppe DVBl 1974, 641, 644; Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 40; Erbguth DVBl 1981, 1230, 1231; Brohm (Fn 61) § 11 Rn 3; Stüer Bebauungsplan, Rn 453; ders (Fn 54) Rn 9, 579; krit dazu zB Koch/Hendler (Fn 119) § 17 Rn 4 ff; Weitzel Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens, 1998, 99 ff sowie Rubel Planungsermessen, 1982, passim. Zu den Begriffen Hoppe DVBl 1974, 641, 643. Von ihrer Herkunft her handelt es sich nicht um rechtswissenschaftliche Begriffe, vgl Luhmann Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966, 36 ff. So aber zB Badura FS 25jähr. Bestehen des Bayer Verfassungsgerichtshofs, 1972, 157 ff; Hoppe DVBl 1974, 641, 644; vgl auch Brohm (Fn 61) § 11 Rn 4 ff. Zur Möglichkeit einer konditionalen Deutung von Planungsnormen bzw kritisch zu der Unterscheidung von konditionalen und finalen Normprogrammen überhaupt Di Fabio FS Hoppe, 2000, 75, bes 91 ff. Dazu Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 10 Rn 10 ff.

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und Planungsermessen quantitativ unterscheiden.378 Auch ist die Unterscheidung zwischen Finalprogramm und Konditionalprogramm in unserem Zusammenhang nicht sinnlos, sondern behält eine heuristische Funktion: Der Begriff des Finalprogramms hilft, die besondere Modalität der Rechtsbindung der Bauleitplanung zu verstehen. bb) Rechtsbindung: Der Prozess bauleitplanerischer Problemlösung und Ent100 scheidungsfindung ist in verfahrensmäßiger und inhaltlicher Hinsicht rechtlich gebunden. Zur Herstellung der Rechtsbindung hat sich der Gesetzgeber der Kombination unterschiedlicher Bindungstechniken bedient, deren Verständnis zudem dadurch erschwert wird, dass sie von Literatur und Rechtsprechung mit ganz unterschiedlichen Ausdrücken bezeichnet werden. Für die nachfolgende Darstellung kann daher nicht auf eine „übliche“ Terminologie zurückgegriffen werden. Die Grobstruktur der inhaltlichen Rechtsbindung besteht aus folgenden Elementen: – aus einem rechtsverbindlichen Zielprogramm, – aus „Beachtens-“ bzw „Berücksichtigungspflichten“, dh Rechtspflichten, je nach Einzelfall bestimmte Umstände („Belange“) mit einer bestimmten Gewichtung in den Planungsvorgang einzustellen, sowie 101 – dem Abwägungsgebot, dh der Berechtigung und Verpflichtung, bei der Aufstellung der Bauleitpläne „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“ (§ 1 VII BauGB). Als final-programmierte Planung muss die Bauleitplanung ein rechtsverbindliches Ziel haben. Dieses Zielprogramm formuliert § 1 V BauGB iVm § 1 I und III 1 BauGB in Gestalt von Oberziel und Unterzielen. § 1 V BauGB nennt fünf „generelle Planungsziele“,379 deren erstes als oberstes Ziel der Bauleitplanung verstanden werden kann und mit Hilfe von § 1 I und III 1 BauGB vervollständigt werden muss: die Gewährleistung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, durch Vorbereitung und Leitung der Bodennutzung in der Gemeinde,380 wobei das Prinzip der Nachhaltigkeit durch den Nebensatz betont wird.381 Dieses oberste Ziel der Bauleitplanung wird in § 1 V 1 u 2 BauGB weiter aufgefächert in „sozialgerechte Bodennutzung“, „menschenwürdige Umwelt“, „Schutz und Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen“, letztere jeweils „auch in Verantwortung für den allgemeinen Klimaschutz“, und „Baukultur“ 382, die im Orts- und Landschaftsbild 378

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Schmidt-Aßmann in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg (Hrsg), BBauG, § 1 Rn 306. Die Kommentierung Schmidt-Aßmanns zu § 1 BBauG in der Vorauflage des Kommentars von Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger wird zT bei Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, § 1 Rn 181 wiedergegeben. Erbguth/Wagner (Fn 54) § 5 Rn 119 f. Erbguth/Wagner (Fn 54) § 5 Rn 121; vgl auch Gaentzsch (Fn 282) § 1 Rn 51. Vgl auch BT-Drucks 15/2250, 37. Die „Baukultur“ als Grundsatz des Planungsinstrumentariums geht nach BT-Drucks 15/ 2250, 37 zurück auf einen vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vorgelegten Statusbericht (BT-Drucks 14/8966), der eine wahrnehmbare baukulturelle Integrations- und Kulturleistung der Gesellschaft als Beitrag für attraktive Städte, für eine stabile Wirtschaftsentwicklung und für mehr Qualität im Erscheinungsbild der gebauten Um-

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zu erhalten und entwickeln ist. Dieses Zielprogramm ist insgesamt sehr grobmaschig und gibt dem Planer hinreichend Gestaltungsspielraum. Es setzt diesem allerdings auch rechtliche Grenzen. Die positive Verpflichtung auf die städtebauliche Entwicklung durch Ordnung der Bodennutzung verbietet den Einsatz des planerischen Instrumentariums zugunsten anderer Ziele,383 zB für Wettbewerbspolitik. Die Beachtens- bzw Berücksichtigungspflichten hat das Gesetz unterschiedlich 102 intensiv ausgestaltet. Einige – wenige – Belange werden vom Gesetz als strikt beachtlich angesehen, dh, sie sind dem von § 1 VII BauGB vorgesehenen Abwägungsprozess entzogen und damit nicht zugunsten anderer Belange relativierbar („unüberwindbare Belange“). Aus dem Städtebaurecht 384 sind zu diesen, vom Gesetz als strikt beachtliche Vorgaben angesehenen Belangen die Ziele der Raumordnung 385 (§ 1 IV BauGB) und die privilegierten Fachplanungen iSd § 38 BauGB 386 zu zählen. Andere zu berücksichtigende Belange bilden das „Abwägungsmaterial“, dh, sie müssen mit ihrem jeweiligen Gewicht in den Abwägungsprozess eingebracht werden, sind damit aber zugunsten der anderen Belange relativierbar („überwindbare Belange“). Solche Belange finden sich zT in gesetzlichen Regelungen außerhalb des BauGB. ZB hat das BVerwG § 50 BImSchG als eine Regelung charakterisiert, „die nach ihrem Inhalt (,so weit wie möglich‘), nur bei der Abwägung des Für und Wider

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welt fordere. Dabei wird „Baukultur“ nicht nur als eine ästhetische Angelegenheit bezeichnet, sondern als „Ausbalancieren und Integrieren vieler Qualitätsaspekte, neben der Architektur auch des Ingenieurwesens, der Landschafts- und Freiflächenplanung, des Städtebaues, des Denkmalschutzes, der Kunst am Bau. Der Begriff bezieht sich dementsprechend nicht nur auf Gebäude, sondern auf die gesamte gebaute Umwelt“ (BT-Drucks 14/8966, 2). Vgl OVG Münster NWVBl 1993, 468, 468; OVG Lüneburg NVwZ 1990, 576, 576 ff. Dementsprechend wiederholt § 9 I BauGB für den Bebauungsplan, dass in ihm Festsetzungen nur aus „städtebaulichen Gründen“ getroffen werden dürfen. Dazu o Rn 84 m Fn 292. Aus dem Fachplanungsrecht vgl zB § 1 III FStrG (Verbot höhengleicher Kreuzungen für Bundesautobahnen), dazu BVerwGE 71, 163 ff. In dieser viel rezipierten Entscheidung werden derart strikt beachtliche gesetzliche Vorgaben des Fachplanungsrechts „Planungsleitsätze“ genannt und den relativierbaren „Optimierungsgeboten“ gegenübergestellt. Zu Belangen des Bodenschutzes u Fn 413. Vgl o Rn 39. Dem Wortlaut nach stellt § 38 BauGB lediglich bestimmte Planfeststellungs- und -genehmigungsverfahren von der Anwendung der §§ 29 bis 37 BauGB frei. Das BVerwG hat zum insoweit strukturgleichen § 38 BauGB aF festgestellt, der Normtext bringe das Verhältnis des Bauplanungsrechts zu den von § 38 BauGB erfassten Fachplanungen nur unvollständig zum Ausdruck. Nach ihrem Sinn und Zweck nehme die Norm die von ihr erfassten Fachplanungen von der Planungshoheit der Gemeinde aus, BVerwGE 81, 111, 112. Das bedeute ua, dass planerische Aussagen in Bauleitplänen, die sich inhaltlich nicht mit bestehenden Fachplanungen vereinbaren lassen, von der Gemeinde nicht getroffen werden dürfen, BVerwGE 81, 111, 116 f; DVBl 1998, 46, 47. Vgl auch Schmaltz in: H. Schrödter (Hrsg), BauGB, § 38 Rn 14 ff; Stüer UPR 1998, 408, 410; Schoch FS Hoppe, 2000, 711, 719 ff sowie zur Auslegung des § 38 BauGB nF BVerwG UPR 2001, 33 f. Vgl auch u Rn 142. Zum Verhältnis von Planfeststellung und städtebaulicher Planung auch Schmidt-Eichstädt NVwZ 2003, 129 ff.

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in der konkreten Problembewältigung beachtet werden kann“.387 Im Übrigen sind derart zu berücksichtigende Belange in dem offenen („insbesondere“) Katalog des § 1 VI BauGB aufgezählt. § 1 VI BauGB konkretisiert die generellen Planungsziele zu „Leitpunkten“,388 die beim Planungsvorgang Beachtung verlangen. Welche der genannten Belange mit welchem Gewicht in die Planung eingehen müssen, hängt wesentlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.389 Praktisch besonders bedeutsam sind die Umweltbelange. Diese listet § 1 VI Nr 7 102a BauGB in einem umfangreichen Katalog auf. Ihre Ermittlung und Bewertung findet im Rahmen der Umweltprüfung 390 statt. Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz enthält § 1a BauGB. Dabei dient § 1 a II BauGB mit seiner sog Bodenschutzklausel (S 1 HS 2) und der sog Umwidmungssperrklausel (S 2) dem sparsamen und schonenden Umgang mit Grund und Boden. Die in § 1 a II 1 u 2 BauGB genannten Grundsätze sind in der Abwägung nach § 1 VII BauGB zu berücksichtigen (§ 1a II 3 BauGB). § 1 a III BauGB ergänzt § 1 VI Nr 7 a) und § 1 VII BauGB. Die genannten Belange sind nicht nur in der planerischen Abwägung (§ 1 VII BauGB) zu berücksichtigen. Bei einer erheblichen Beeinträchtigung dieser Belange enthalten § 1a III 2–5 BauGB Regelungen für einen Ausgleich.391 Dabei verklammert die Norm ebenso wie § 1 a IV BauGB die Bauleitplanung mit den naturschutzrechtlichen Regelungen über Eingriffe in Natur und Landschaft.392 § 1a IV BauGB verweist bei erheblichen Beeinträchtigungen des Belangs aus § 1 VI Nr 7 b) BauGB auf das BNatSchG.393 Nach §§ 35 S 2, 34 I 2, II–V iVm §§ 33, 22 I BNatSchG wird die Planung in diesen Fällen in der Regel unzulässig. Somit kann dieser Belang bei einer erheblichen Beeinträchtigung zu einem zu beachtenden Belang werden. Im Zentrum der planerischen Entscheidungsfindung steht die Abwägung der im 103 konkreten Planungsfall erheblichen Belange. Das Abwägungsgebot (§ 1 VII BauGB) ähnelt in seiner Rechtssatzstruktur dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und macht damit darauf aufmerksam, dass Planung einerseits nicht 387

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BVerwGE 71, 163, 165. Vgl auch BVerwGE 108, 248, 253; OVG Münster NVwZ-RR 2001, 432, 433: „Abwägungsdirektive“. Eine die Anforderungen des § 50 S 2 BImSchG übernehmende Regelung enthält § 1 VI Nr 7 h) BauGB. Vgl zu § 50 BImSchG auch Rn 104 m Fn 403. Schmidt-Aßmann (Fn 378) § 1 Rn 308. Sie werden zT als „Planungsleitlinien“ bezeichnet, zB Krautzberger (Fn 46) § 1 Rn 47; Hoppe (Fn 133) § 5 Rn 25. BVerwG DVBl 1993, 662, 664. Dazu u Rn 109 a. Zum Eingriffs- und Ausgleichsbebauungsplan sowie allgemein zur Regelung des § 1 a III BauGB und deren Problematik ausf Tophoven NVwZ 2004, 1052 ff mwN. Zur Problematik von Ausgleichsmaßnahmen auf Vorrat Stich BauR 2003, 1308 ff. Zu Eingriffen in Natur und Landschaft vgl auch die Beiträge in NuR 2004 Heft 1, Köck NuR 2004, 1 ff; Wolf NuR 2004, 6 ff; Stüer NuR 2004, 11 ff; Bunzel NuR 2004, 15 ff. Über diesen Verweis werden auch die Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG v 2. 4. 1979) und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie, 92/43/EWG v 21. 5. 1992) für das Bauplanungsrecht verbindlich. Vgl zu diesem Zusammenhang auch Bönker (Fn 356) § 3 Rn 115 ff, bes 131 ff.

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ohne Prognosen und Wertungen auskommt und als schöpferischer Vorgang nur begrenzt rechtlich programmierbar ist, andererseits aber keineswegs ein rechtsungebundener, dezisionistischer Akt des Planers sein kann. Der rechtliche Bindungsgehalt des Abwägungsgebots 394 weist eine dynamische und eine statische Komponente auf, bezieht sich auf Vorgang und Ergebnis der Planung.395 Die Komplexität des von der Planung zu leistenden Interessenausgleichs kommt darin zum Ausdruck, dass die jeweils betroffenen Belange in dreifacher Hinsicht abzuwägen sind und abgewogen sein müssen: öffentliche Belange untereinander, private Belange untereinander und öffentliche und private Belange gegeneinander. Die gesetzliche Formulierung verdeutlicht, dass weder die öffentlichen noch die privaten Belange per se Vorrang genießen. Das Abwägungsgebot ist weder Optimierungsgebot zu Gunsten noch Minimalisierungsgebot zu Lasten der Baufreiheit.396 Im Übrigen fallen unter die privaten Belange nicht nur die (grund-)rechtlich geschützten Eigentümerinteressen, sondern zB auch die von Mietern und Pächtern sowie weitere Interessen, die durch die Planung absehbar betroffen werden.397 Dabei geht der Begriff des privaten Belangs über den des subjektiven Rechts hinaus und kann auch rechtlich nicht geschützte Interessen erfassen.398 § 1 VII BauGB verpflichtet die Gemeinde, die öffentlichen und privaten Belange 104 gerecht abzuwägen. Zur Auffüllung dieser „Generalklausel reinsten Wassers“ 399 haben Lehre und Gerichte eine Reihe von Planungsgrundsätzen 400 entwickelt, deren normativer Gehalt nicht immer leicht zu fassen ist. ZT haben sie den Charakter rechtlicher Teilaussagen des allgemeinen Gebots (zB „Gebot der Abwägungsbereitschaft“). Andere Grundsätze sind eher Funktionsbeschreibungen des Abwägungsvorgangs („Gebot der Konfliktbewältigung“ 401) oder Interpretationshilfen, die einzelne Aspekte der Generalklausel besonders hervorheben („Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdige Interessen“ 402) und dergestalt helfen, den normativen Gehalt der allgemeinen Verpflichtung für den Einzelfall sichtbar zu machen. Je konkreter diese Planungsgrundsätze werden, desto mehr verliert ihr 394

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Dazu ausf Ibler JuS 1990, 7 ff; Schulze-Fielitz Jura 1992, 201 ff; Hoppe DVBl 1994, 1033 ff; ders (Fn 133) § 5 Rn 1 ff. BVerwGE 45, 309, 315; 47, 144, 146; Schmidt-Aßmann (Fn 378) § 1 Rn 309. Zur Baufreiheit o Rn 27 ff. Vgl zB BVerwGE 59, 87, 101 → JK VwGO § 47/4; NVwZ 2000, 1413, 1414; VGH München NVwZ 1997, 1016, 1017f. ZB das Interesse, von heranrückender Bebauung oder Verkehr sowie dem davon ausgehenden Lärm verschont zu bleiben, BVerwGE 107, 215, 222 f → JK BauGB § 1 VI/1; NVwZ 2001, 431, 432 → JK VwGO § 47 II 1/23. Vgl auch Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 54; Peine (Fn 80) Rn 362 f. Zu Fragen des Rechtsschutzes in diesem Zusammenhang u Rn 228 m Fn 827. Schmidt-Aßmann (Fn 378) § 1 Rn 324. Vgl im einzelnen Hoppe (Fn 133) § 5 Rn 140 ff; Schmidt-Aßmann BauR 1978, 99 ff; Stüer (Fn 54) Rn 694 ff. Dazu VGH Mannheim VBlBW 2002, 206 ff; Hoppe (Fn 133) § 5 Rn 140 ff; Pfeifer DVBl 1989, 337 ff; Weyreuther BauR 1975, 1, 5 f. Dazu zusammenfassend OVG Berlin BauR 1985, 434 ff sowie Hoppe (Fn 133) § 5 Rn 153 ff; Erbguth/Wagner (Fn 54) § 5 Rn 164; Jäde JuS 1999, 961 ff. Vgl auch Krebs FS Hoppe, 2000, 1055 ff. Zum sog Gebot der Rücksichtnahme vgl noch u Rn 237f.

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Aussagegehalt an Allgemeingültigkeit. Sie bleiben aber hilfreich als Gesichtspunkte, die bei der konkreten Problemlösung herangezogen werden können, freilich nicht müssen. Das wird zB an dem auch in § 50 BImSchG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der möglichsten Trennung unverträglicher Nutzungen 403 deutlich, der allerdings regelmäßig modifiziert werden muss, wenn es um die Problematik städtebaulicher „Gemengelagen“,404 dh um die Nutzungskonflikte bei einem Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungsarten geht. cc) Kontrollmaßstäbe: Konsequenz einer rechtlich nur begrenzt vorprogram105 mierbaren Bauleitplanung ist der hohe Anteil autonomer Entscheidungsgehalte an den Planungsentscheidungen. Dem entspricht es, dass die Rechtskontrolle über die gemeindliche Bauleitplanung, insbesondere durch die Gerichte, eingeschränkt ist. Es erscheint daher auf den ersten Blick widersprüchlich, wenn die Rechtsprechung die generellen Planungsziele des § 1 V BauGB und die in § 1 VI BauGB gesetzlich formulierten Belange als unbestimmte Rechtsbegriffe ansieht, deren Auslegung und Anwendung uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegen.405 Der Streit über diese Auffassung 406 ist bei näherer Betrachtung nicht von einer derart praktischen Bedeutung, dass er hier ausdiskutiert werden müsste. Der autonome Entscheidungsanteil des Planers an der Bauleitplanung manifestiert sich wesentlich in dem Abwägungsvorgang. Dessen Kontrolle wird auch von den Gerichten restriktiv gehandhabt.407 Die Gerichte dürfen insoweit nur eine Überschreitung der Entscheidungsspielräume der planenden Gemeinde kontrollieren und sanktionieren. Das bedeutet, dass nur solche Planmaßstäbe zugleich Kontrollmaßstäbe für die gerichtliche Überprüfung der Planung sein können, deren Missachtung eine Überschreitung des administrativen Entscheidungsspielraums darstellt. In der gerichtlichen Praxis hat die Entwicklung von Kontrollmaßstäben für die 106 Abwägung zu einer Abwägungsfehlerlehre 408 geführt, deren Grundstruktur das BVerwG schon 1969 409 aufgezeigt hat: „Das Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb 403

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Dazu Söfker (Fn 378) § 1 Rn 228 ff; BVerwGE 45, 309, 327; DÖV 2002, 483; OVG Lüneburg NVwZ-RR 2002, 172, 173; OVG Koblenz NVwZ-RR 2002, 329, 330f → JK BauGB § 1 VI/3. Dazu zB Ritter NVwZ 1984, 609 ff; Drosdzol NVwZ 1985, 785 ff; Dolde DVBl 1983, 732 ff. BVerwGE 34, 301, 308; vgl dazu auch die Würdigung von Hoppe DVBl 2003, 697 ff sowie BVerwGE 45, 309, 323. Zur Kritik an der Rspr Papier NJW 1977, 1714, 1715; Gassner DVBl 1981, 4, 5. Vgl BVerwGE 34, 301, 308f; 47, 144, 146; VGH Mannheim NVwZ-RR 2001, 716, 717 f; VBlBW 2002, 203, 203. Dazu BVerwGE 34, 301, 309; 45, 309, 314 f; 47, 144, 146; Finkelnburg (Fn 302) 200; Söfker (Fn 378) § 1 Rn 187 ff. BVerwGE 34, 301, 309.

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des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet“. In der bekannten Flachglas-Entscheidung hat das Gericht 1974 erläuternd und ergänzend hinzugefügt,410 „dass sich die damit umrissenen Anforderungen grundsätzlich sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis richten. Eine Ausnahme gilt einzig für die mit dem ersten Satz angesprochene Notwendigkeit einer Abwägung überhaupt; sie kann – mit Rücksicht auf ihren Inhalt – allein im Hinblick auf den Abwägungsvorgang praktisch werden. Im Übrigen aber verlangt das Abwägungsgebot sowohl vom Abwägungsvorgang als auch vom Abwägungsergebnis, dass gewichtige Belange nicht einfach übersehen werden (zweiter Satz) und die Gewichtung verschiedener Belange in ihrem Verhältnis zueinander nicht in einer Weise erfolgt, durch die die objektive Gewichtigkeit eines dieser Belange völlig verfehlt wird (dritter Satz)“. Diese Grundsätze sind bis heute weitestgehend anerkannt.411 Einzelfallprobleme werden sich regelmäßig diesem Prüfungsraster zuordnen las- 107 sen. So kann die vertragliche Vorabbindung der Gemeinde im Hinblick auf eine bestimmte Planung 412 dazu führen, dass eine „sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet“ (Abwägungsausfall). Die unzureichende oder unvollständige Ermittlung zB des Ausmaßes einer Altlast 413 kann zur Folge haben, dass nicht in die Abwägung eingestellt wird, „was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss“ (Abwägungsdefizit). Die unzureichende Einschätzung etwa der Gewichtigkeit der Belange einer Religionsgemeinschaft 414 kann bewirken, dass „die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt“ (Abwägungsfehleinschätzung) oder der Ausgleich zwischen den berührten Belangen „in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht“ (Abwägungsdisproportionalität). d) Aufstellungsverfahren Das BauGB enthält in den §§ 2–4 c, 6, 10 sowie 13 Regelungen über das Verfahren 108 zur Aufstellung der Bauleitpläne.415 Die bundesrechtlichen Vorschriften regeln das Verfahren allerdings nicht abschließend. Ergänzend tritt das Landesrecht hinzu. Da die Bauleitplanung in den Verantwortungsbereich der Gemeinden fällt (§ 2 I 410 411

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BVerwGE 45, 309, 315. Dazu Schulze-Fielitz Jura 1992, 201 ff. Vgl statt vieler Krautzberger (Fn 46) § 1 Rn 93 ff; Söfker (Fn 378) § 1 Rn 187 ff; Brohm (Fn 61) § 13 Rn 15 ff, jew mwN. Dazu o Rn 92. Vgl BGHZ 106, 323, 325 ff; BGHZ 109, 380, 385 ff → JK BGB § 839/3; VGH Mannheim ESVGH 49, 266, 267 ff; Raeschke-Kessler NJW 1993, 2275 ff mwN; zu den Anforderungen an die Ermittlung von Altlasten nach Inkrafttreten des Bundesbodenschutzgesetzes – BBodSchG v 17. 3. 1998 (BGBl I 502), zul geänd durch G v 9. 12. 2004 (BGBl I 3214) Louis/Wolf NuR 2002, 61, 69 ff; Kratzenberg UPR 1997, 177, 179 ff. Vgl VGH München NVwZ 1997, 1016 ff. Zu den Neuerungen durch das EAG Bau vgl die Übersicht bei Wagner/Engel BayVBl 2005, 33 ff.

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BauGB), enthalten die Gemeindeordnungen zB Regelungen über die gemeindeinterne Zuständigkeit für die Bauleitplanung, die näheren Modalitäten der Beschlüsse der Gemeindeorgane wie zB über die Befangenheit von Mitgliedern der Gemeindevertretung sowie über allgemeine Verfahrensfehlerfolgen.416 Die Grundzüge des Aufstellungsverfahrens für Flächennutzungs- und Bebauungspläne 417 stimmen im Wesentlichen überein. Gem § 1 VIII BauGB gelten die Vorschriften des BauGB über die Aufstellung von Bauleitplänen auch für ihre Änderung, Ergänzung 418 und Aufhebung. Unter den Voraussetzungen des § 13 I BauGB kann die Gemeinde das vereinfachte Verfahren anwenden. Dann kann sie nach § 13 II, III BauGB die Beteiligung nach §§ 3, 4 BauGB vereinfachen sowie von der Umweltprüfung, dem Umweltbericht und der Angabe nach § 3 II 2 BauGB absehen. Außerdem entfällt dann auch die Überwachung nach § 4 c BauGB. Nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers (§ 2 I 2 BauGB) wird der – offi109 zielle – Beginn des Verfahrens durch einen ortsüblich bekanntzumachenden Beschluss markiert, einen Bauleitplan aufzustellen (Planaufstellungsbeschluss 419). In ihm ist das Plangebiet zu bestimmen. Inhaltliche Aussagen zur beabsichtigten Planung sind nicht erforderlich. Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind gem § 2 II 1 BauGB aufeinander abzustimmen (sog interkommunales Abstimmungsgebot). Nach § 2 II 2 BauGB kann sich die Nachbargemeinde auch auf die ihr durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.420 § 2 III BauGB enthält nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung eine Verfahrensgrundnorm, die dennoch lediglich deklaratorische Bedeutung haben soll.421 Zu den nach § 2 III BauGB zu ermittelnden und zu bewertenden Belangen 109a gehören auch die Umweltbelange des § 1 VI Nr 7 und § 1 a BauGB.422 Für sie verlangt § 2 IV BauGB die Durchführung einer Umweltprüfung.423 Die Umweltprüfung 424 ist nach der Konzeption des § 2 III, IV BauGB kein eigenständiges Verfahren, sondern Bestandteil des Aufstellungsverfahrens, in dem 416

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Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 61, 98 f. Zur städtebaurechtlichen Fehlerfolgenregelung u Rn 116 ff. Zur zweistufigen Abfolge der Bauleitplanungen vgl o Rn 73. Zum Verfahren der Planergänzung bei einem fehlerhaften Bauleitplan nach § 214 IV BauGB vgl u Rn 119. Nach BVerwGE 79, 200, 204 f besteht allerdings keine bundesrechtliche Verpflichtung, einen Aufstellungsbeschluss zu fassen. Sein Vorliegen sei daher auch keine Wirksamkeitsvoraussetzung eines späteren Bebauungsplanes. Vgl zur Erweiterung des § 2 II BauGB durch das EAG Bau Hoppe/Otting DVBl 2004, 1125 ff; Uechtritz NVwZ 2004, 1025 ff; Kment UPR 2005, 95 ff; krit auch Bönker (Fn 356) § 3 Rn 143. BT-Drucks 15/2250, 42. Zu § 2 III BauGB Hoppe NVwZ 2004, 903, 904 f. Dazu o Rn 102 a. Die Einführung einer Umweltprüfung bei der Aufstellung von Bauleitplänen dient der Umsetzung der sog Plan-UP-Richtlinie (2001/42/EG) v 27. 6. 2001. Vgl hierzu und zur Abwägungsproblematik krit Krautzberger/Stüer DVBl 2004, 914 ff; Hoppe NVwZ 2004, 903 ff, zugleich zur „Umweltprüfung im Gefüge der bauleitplanerischen Abwägung“. Ausf zu fachlich-methodischen Anforderungen an die Umweltprüfung Mitschang ZfBR 2004, 653 ff.

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unter Anwendung der Anlage zum BauGB die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen zu ermitteln und in einem Umweltbericht zu beschreiben und zu bewerten sind. Der Umweltbericht bildet nach § 2 a S 3 BauGB einen gesonderten Teil der Begründung des Bauleitplans. Erhebliche Umweltauswirkungen liegen schon dann vor, wenn einer der Belange des § 1 VI Nr 7 oder des § 1 a BauGB berührt ist. § 2 IV 3 BauGB relativiert die Anforderungen an die Umweltprüfung. Nach § 2 IV 2 BauGB legt die Gemeinde fest, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad die Ermittlung der Belange für die Abwägung erforderlich ist (sog Scoping). Das Ergebnis der Umweltprüfung wird also ebenso wie die anderen ermittelten abwägungsrelevanten Belange in die Abwägung eingestellt, § 2 IV 4 BauGB. Diese Norm stellt aber auch klar, dass die Umweltbelange in der Abwägung mit den anderen Belangen grds überwunden werden können.425 Durch § 2 IV 5 BauGB sollen Doppelprüfungen verhindert werden. § 3 BauGB sieht eine zweistufige Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Nach § 3 I 1 110 BauGB ist die Öffentlichkeit möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, die Alternativen und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung zu unterrichten. Der Öffentlichkeit ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben. Von dieser frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung kann nur in den Fällen des § 3 I 2 BauGB sowie im vereinfachten Verfahren nach § 13 II Nr 1 BauGB abgesehen werden. Die Öffentlichkeit umfasst die Allgemeinheit, dh jede natürliche oder juristische Person kann sich an der Bauleitplanung beteiligen, ohne ein irgendwie geartetes Interesse nachweisen zu müssen.426 Ist die Planung so weit fortgeschritten, dass ein beschlussfähiger Planentwurf 111 vorliegt, ist der Entwurf öffentlich auszulegen (§ 3 II BauGB). Nach § 3 II 3 BauGB sollen die Träger öffentlicher Belange von der Auslegung benachrichtigt werden. Gem § 3 II 2 BauGB ist durch ortsübliche Bekanntmachung auf die Auslegung sowie darauf hinzuweisen, dass während der Auslegungsfrist Stellungnahmen abgegeben werden können und nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen bei der Beschlussfassung unberücksichtigt bleiben können. Die fristgerecht abgegebenen Stellungnahmen hat die Gemeinde zu prüfen und den Einwendern das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen, § 3 II 4 BauGB.427 Werden die Stellungnahmen nicht berücksichtigt, müssen sie der höheren Verwaltungsbehörde vorgelegt werden, sofern es sich um einen genehmigungsbedürftigen Bauleitplan handelt (§ 3 II 6 BauGB). Auch die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange sind nach §§ 4 I 1, 112 3 I 1 HS 1 BauGB frühzeitig zu unterrichten und zur Äußerung auch im Hinblick auf den erforderlichen Umfang und Detaillierungsgrad der Umweltprüfung aufzufordern. Anschließend holt die Gemeinde nach § 4 II BauGB die Stellungnahmen der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange ein, die diese innerhalb eines Monats abzugeben haben. Für den Begriff der Träger öffentlicher Belange ist entscheidend, ob die fragliche Stelle als eigenständige Verwaltungseinheit öffent425

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Einige Belange sind aber strikt zu beachten und entziehen sich der einfachen Abwägung, vgl o Rn 102 a und Krautzberger/Stüer DVBl 2004, 914, 923 f. Bönker (Fn 356) § 3 Rn 192. Dies muss jedoch nicht vor dem Satzungsbeschluss (dazu Rn 114) geschehen, BVerwG NVwZ 2003, 206 f.

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liche Aufgaben wahrnimmt 428 und ob ihr Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann. § 4 III BauGB begründet die Verpflichtung der Behörden, die Gemeinde bei unvorhergesehenen nachteiligen Auswirkungen der Durchführung des Bauleitplans auf die Umwelt zu unterrichten und ergänzt so die Verpflichtung der Gemeinde aus § 4 c BauGB (Monitoring).429 In § 4a BauGB sind gemeinsame Vorschriften zur Beteiligung enthalten. Nach 112a § 4 a I BauGB dienen die Vorschriften über die Beteiligung insbesondere der vollständigen Ermittlung und zutreffenden Bewertung der berührten Belange. Nach § 4 a II BauGB kann die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden gleichzeitig erfolgen. Bei Änderung oder Ergänzung des Entwurfs infolge des Verfahrens nach §§ 3 II, 4 II BauGB regelt § 4 a III BauGB die erneute Auslegung. § 4 a IV BauGB sieht die Nutzung elektronischer Medien vor. Für grenzüberschreitende Auswirkungen trifft § 4 a V BauGB spezielle Regelungen. § 4 a VI BauGB schließlich beinhaltet die Rechtsfolgen für nicht rechtzeitig abgegebene Stellungnahmen und ordnet eine beschränkte Präklusion an.430 Gem § 4 b BauGB kann die Gemeinde insbesondere zur Beschleunigung des Bau113 leitplanverfahrens die Vorbereitung und Durchführung von Verfahrensschritten nach den §§ 2 a bis 4 a BauGB einem Dritten übertragen. In welcher Beziehung dieser Dritte zur Gemeinde steht, ist umstritten.431 Es ist davon auszugehen, dass §4 b BauGB die durch § 2 I 1 BauGB begründete Zuständigkeit der Gemeinde, die Bauleitpläne in eigener Verantwortung aufzustellen, unverändert lässt.432 Die Zuständigkeit der Gemeinde für das Aufstellungsverfahren sowie für die daraus hervorgehende Entscheidung über die Planaufstellung beinhaltet grundsätzlich die Verpflichtung der Gemeinde, alle zur Zuständigkeitswahrnehmung erforderlichen Schritte selbst, dh in organisationsrechtlich zurechenbarer Weise vorzunehmen.433 Die Gemeinde muss also durch Amtswalter tätig werden, deren Handeln und Entscheiden ihr rechtlich als eigenes zugerechnet wird. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, auf fremde Entscheidungen zurückzugreifen und diese – nach Kontrolle – zu übernehmen. Das liegt daran, dass die Übernahme einer fremden Entscheidung 428

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Bönker (Fn 356) § 3 Rn 216. Das ist zB der Fall bei der Nachbargemeinde, Naturschutzbehörden, Industrie- und Handelskammern und Kirchen. Dies gilt auch für Träger, die in Privatrechtsform ihnen zugewiesene öffentliche Versorgungsaufgaben wahrnehmen, Jäde (Fn 355) § 4 Rn 3. Dazu u Rn 115 a. Vgl dazu Bönker (Fn 356) § 3 Rn 231. Umstritten ist darüber hinaus zB die Rechtsnatur des Vertrages zwischen der Gemeinde und dem Dritten oder die Frage, ob Dritter auch derjenige sein darf, der Träger eines Vorhabens ist, für das nach § 12 BauGB ein vorhabenbezogener Bebauungsplan aufgestellt wird, oder derjenige, der zugleich Partner eines städtebaulichen Vertrages iSd § 11 BauGB ist. Zu diesen Fragen zB Reidt NVwZ 1998, 592 ff; Schmidt-Eichstaedt BauR 1998, 899 ff; Wagner BauR 1997, 709 ff; Battis (Fn 354) § 4 b Rn 1 ff. Battis (Fn 354) § 4 b Rn 7 sowie ausf Remmert Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, 2003, 206 ff, 214 f. Bezogen auf den Verpflichtungsgehalt jeder Zuständigkeitszuweisung Pietzcker in: Starck (Hrsg), Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat, 1988, 17, 55; Remmert (Fn 432) 217 ff.

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eine eigene Entscheidung nicht vollständig ersetzen kann.434 Ermöglicht § 4 b BauGB also einerseits den Einsatz eines Dritten im Planaufstellungsverfahren und lässt er andererseits die Zuständigkeit der Gemeinde aus § 2 I 1 BauGB unberührt, so muss auch der Dritte iSd § 4 b BauGB organisationsrechtlich Amtswalter der planaufstellenden Gemeinde sein. Dann gilt sein Handeln und Entscheiden rechtlich als das der Gemeinde. Prinzipiell darf eine Verwaltungseinheit zur Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten allerdings – das fordern Art 33 IV GG und das rechtsstaatliche Rationalitätsgebot – nur auf solche Amtswalter zurückgreifen, die zu ihrem eigenen, dauerhaft beschäftigten Personal zählen.435 § 4 b BauGB ist daher verfassungskonform so zu interpretieren, dass er den Einsatz Dritter nur für Sondersituationen erlaubt, in denen der planaufstellenden Gemeinde ausnahmsweise kein geeignetes eigenes Personal zur Verfügung steht. In diesem Fall darf die Gemeinde Amtswalter einsetzen, mit denen sie kein Beamten- oder Angestelltenverhältnis, sondern beispielsweise ein Dienst- oder Werkvertrag verbindet. Nach Abschluss des Auslegungsverfahrens beschließt das Repräsentativorgan 114 der Gemeinde (Gemeinderat, Gemeindevertretung) über einen Flächennutzungsplan durch einfachen Beschluss, über einen Bebauungsplan durch Satzungsbeschluss (§ 10 I BauGB). Nach § 246 II BauGB können die Stadtstaaten eine andere Rechtsform für den Bebauungsplan wählen.436 Nach Beschlussfassung durch die Gemeinde ist der Flächennutzungsplan gem 115 § 6 I BauGB der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung 437 vorzulegen. Die Genehmigungsbehörde übt gem § 6 II BauGB eine bloße Rechts-, keine Zweckmäßigkeitsaufsicht aus. Wird die Erteilung der Genehmigung nicht innerhalb von drei Monaten abgelehnt, gilt sie nach § 6 IV 4 BauGB als erteilt. Bebauungspläne sind grundsätzlich weder genehmigungs- noch anzeigepflichtig.438 Gem § 10 II BauGB bedürfen lediglich der selbständige (§ 8 II 2 BauGB), der vor Bekanntmachung des Flächennutzungsplans bekannt gemachte (§ 8 III 2 BauGB) und der vorzeitige Bebauungsplan (§ 8 IV BauGB) der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Nach Maßgabe des § 246 I a BauGB steht es den Ländern frei, genehmigungsfreie Bebauungspläne einem Anzeigeverfahren zu unterziehen.439 Für die Stadtstaaten 434 435

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Remmert (Fn 432) 230 f. Art 33 IV GG gebietet für die Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse prinzipiell den Einsatz von Beamten. Dazu → Kunig 6. Kap Rn 31 ff. Das rechtsstaatliche Rationalitätsgebot verlangt darüber hinaus für die Wahrnehmung aller übrigen Befugnisse den prinzipiellen Einsatz von auf Dauer beschäftigten Angestellten, Remmert (Fn 432) 462 ff. Vgl o Rn 86 m Fn 321. Die Genehmigung kann auch unter Auflagen erteilt werden. Das ergibt sich aus § 36 VwVfGe. Die Norm ist anwendbar, da die Genehmigung Verwaltungsakt ist. Dagegen kommt eine Genehmigungserteilung unter einer Befristung, einer auflösenden Bedingung oder unter Widerrrufsvorbehalt nicht in Betracht. Sie widerspräche der Entscheidung des BauGB für eine prinzipiell unbefristete Geltung der Bauleitpläne, die nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren aufgehoben oder vom zuständigen Gericht für nichtig erklärt werden können. Vgl W. Schrödter (Fn 107) § 6 Rn 16; Löhr (Fn 285) § 6 Rn 15. Krit zum Wegfall des früher bestehenden Anzeigeverfahrens Stollmann UPR 1997, 9 ff. Vgl dazu Jäde (Fn 355) § 246 Rn 3 ff.

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enthält § 246 I BauGB zudem eine Sonderregelung. Den Abschluss des Aufstellungsverfahrens bildet die öffentliche Bekanntmachung des Bauleitplans (§§ 6 V, 10 III BauGB), wobei die Begründung (§§ 5 V, 9 VIII BauGB) und die zusammenfassende Erklärung beizufügen sind (§§ 6 V 3, 10 IV BauGB). Nach § 4 c BauGB überwachen die Gemeinden die erheblichen Umweltauswir115a kungen, die auf Grund der Durchführung der Bauleitpläne eintreten, um unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen frühzeitig zu ermitteln und geeignete Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen (sog Monitoring).440 Sie nutzen hierfür die schon im Umweltbericht angegebenen Überwachungsmaßnahmen und die Informationen der Behörden nach § 4 III BauGB (Unterrichtung durch die Behörden bei Feststellung nachteiliger Umweltauswirkungen). e) Fehlerfolgen 116 Die Fehlerfolgen eines Hoheitsaktes beurteilen sich idR nach seiner Rechtsform. Rechtswidrige Satzungen werden nach überkommener Auffassung als nichtig angesehen.441 Damit müsste ein rechtswidriger Bebauungsplan, der wie eine Satzung beschlossen wird (§ 10 I BauGB), prinzipiell nichtig sein. Soweit dasselbe auch für sonstige Rechtsnormen und einfache Ratsbeschlüsse angenommen wird,442 müsste auch der rechtswidrige Flächennutzungsplan dieses Rechtsschicksal teilen. Die Gemeindeordnungen haben diese Grundsätze allerdings modifiziert, indem sie die rechtliche Relevanz von Verfahrensfehlern für die Geltung von Satzungen und Flächennutzungsplänen abgeschwächt haben.443 Einen noch weitergehenden, tiefen Einschnitt in das Dogma von der Nichtigkeit rechtswidriger Satzungen enthalten für Bauleitpläne 444 die Regelungen der §§ 214, 215 BauGB. Die §§ 214, 215 BauGB beschränken die – inzidente oder prinzipale – verwaltungsgerichtliche Kontrolle und Sanktion der Bauleitplanung. Demgegenüber bleibt bei genehmigungsbedürftigen Bauleitplänen 445 der Kontrollmaßstab im Genehmigungsverfahren von den §§ 214, 215 BauGB unberührt (§ 216 BauGB).446

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Dazu Stüer/Sailer BauR 2004, 1392 ff. Zum „Nichtigkeitsdogma“ und seinen Modifikationen in Bezug auf Satzungen Maurer AllgVwR, § 4 Rn 48; Hill DVBl 1983, 1 ff; Pietzcker DVBl 1986, 806 ff; Ossenbühl NJW 1986, 2805 ff. Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 114. Vgl dazu ausf Menke Das kommunale Mitwirkungsverbot bei der Bauleitplanung, 1990, 86 ff, 163 ff. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 98 f. §§ 214–216 BauGB beziehen sich außer auf die Bauleitpläne auch auf sonstige Satzungen nach dem BauGB. Dazu o Rn 115. Für Bebauungspläne, die idR genehmigungsfrei sind, hat § 216 BauGB kaum Bedeutung. Etwas anderes kann sich nur ergeben, wenn Landesrecht nach Maßgabe des § 246 I a BauGB für Bebauungspläne eine Anzeigepflicht einführt. Dann hat die Aufsichtsbehörde die Verletzung solcher Rechtsvorschriften geltend zu machen, die die Versagung der Genehmigung eines Flächennnutzungsplans rechtfertigen würden (§ 246 I a 2 BauGB). Dazu zählen gem § 216 BauGB auch die in §§ 214, 215 BauGB genannten Rechtsfehler.

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§§ 214, 215 BauGB normieren ein System der Fehlerfolgen.447 § 214 I BauGB re- 117 gelt die Beachtlichkeit der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, § 214 II BauGB Verstöße gegen Vorschriften über das Verhältnis des Bebauungsplans zum Flächennutzungsplan. In § 214 III BauGB ist der maßgebende Zeitpunkt für die Abwägung festgelegt und sind die Folgen von Mängeln im Abwägungsvorgang geregelt. Das ergänzende Verfahren zur Behebung von Fehlern ist in § 214 IV BauGB geregelt. § 215 BauGB enthält Rügefristen, nach deren Ablauf bestimmte nicht geltend gemachte Fehler unbeachtlich werden. Im Einzelnen lassen sich die Fehlerfolgen nach ihrem Gewicht stufen: 118 (1) Stets beachtlich sind – zunächst die von §§ 214, 215 BauGB nicht erfassten materiellen Rechtsverstöße, insbesondere Fehler im Abwägungsergebnis,448 ebenso Verstöße gegen §§ 1 III, IV, 9 I BauGB; – darüber hinaus die in § 214 I 1 Nr 4 BauGB genannten Verfahrensfehler; – schließlich die grds nach § 215 I BauGB nur befristet beachtlichen Mängel, wenn der Hinweis nach § 215 II BauGB unterblieben ist. (2) Nur bei fristgerechter Rüge 449 beachtlich sind die in § 215 I BauGB genannten Fehler. Nach § 215 II BauGB ist bei Inkraftsetzung des Plans auf die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verletzung von Vorschriften sowie auf die Rechtsfolgen hinzuweisen. Unterbleibt dieser Hinweis, so beginnt die Frist nicht zu laufen.450 (3) Stets unbeachtlich sind – die nicht in § 214 I BauGB aufgeführten Verstöße gegen Verfahrens- und Formvorschriften des BauGB; – die Verfahrens- und Formfehler, die zwar in § 214 I BauGB aufgeführt sind, aber die in einzelnen Bestimmungen dieser Norm aufgestellten Voraussetzungen für ihre Beachtlichkeit nicht erfüllen (sog „interne Unbeachtlichkeitsklauseln“); – Verstöße gegen die in § 214 II BauGB genannten Anforderungen an das Verhältnis des Flächennutzungsplans zum Bebauungsplan. § 214 IV BauGB sieht die Möglichkeit eines ergänzenden Verfahrens 451 vor, des- 119 sen Durchführung im Ermessen der Gemeinde steht. Zwar entfaltet der Plan bis zur Behebung der Mängel keine Rechtswirkungen, er kann aber auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Durch das ergänzende Verfahren können Verfahrens- und Formfehler sowie Festsetzungs- und Abwägungsmängel behoben werden. In diesem Verfahren werden die fehlerhaften Verfahrensschritte nachgeholt. 447

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Ausf zu §§ 214, 215 BauGB nF Erbguth DVBl 2004, 802 ff; Uechtritz ZfBR 2005, 11 ff; Quaas/Kukk BauR 2004, 1541 ff jew mwN. Vgl auch Stelkens UPR 2005, 81 ff. Vgl auch Stelkens UPR 2005, 81, 82 ff mwN und ausführlicher Auseinandersetzung mit dem Wortlaut von § 214 III 2 HS 1 BauGB. Solange die Rügefrist läuft, ist der Fehler jedoch noch beachtlich und im Normenkontrollverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen, auch wenn er bislang weder gegenüber der Gemeinde noch im Normenkontrollantrag gerügt wurde, VGH Mannheim VBlBW 2002, 304, 305 m Anm Quaas VBlBW 2002, 289, 290. Zum Umfang der gerichtlichen Prüfungspflicht vgl u Rn 228 m Fn 823. Jäde (Fn 355) § 216 Rn 10 f mwN auch zu der Frage, ob und mit welchen Folgen der Hinweis nachgeholt werden kann. Vgl dazu Bönker (Fn 356) § 17 Rn 47 ff mwN.

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Die Fehlerfolgenregelung der §§ 214, 215 BauGB ist das Ergebnis einer Fortentwicklung der Rechtslage des Bundesbaugesetzes (§§ 155 a–155 c BBauG) und des BauROG 1998 (§§ 214–215 a BauGB aF). Die Rechtsentwicklung war von Beginn an von verfassungsrechtlicher Skepsis begleitet.452 Maßstabsnormen für den die Fehlerfolgen regelnden Gesetzgeber sind in erster Linie Art 20 III GG sowie Art 19 IV GG. Art 20 III GG normiert den Vorrang des Gesetzes. Er enthält aber keine ausdrückliche Regelung über die Sanktion eines exekutiven Rechtsverstoßes und lässt sich auch nicht als strikte Verpflichtung des Gesetzgebers interpretieren, die in Art 20 III GG vorgesehene Rechtsbindung der Verwaltung durch eine ausnahmslose Nichtigkeitsdrohung für rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen abzusichern.453 Der Blick auf die Fehlerfolgenregelungen beim Verwaltungsakt (§§ 43 III, 44 VwVfGe) und beim öffentlich-rechtlichen Vertrag (§ 59 VwVfGe) zeigt, dass der Gesetzgeber die Folgen von Gesetzesverstößen differenziert regeln kann und unter Abwägung zwischen verschiedenen rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätzen zu regeln hat. Von daher hängt die Verfassungsmäßigkeit der Fehlerfolgenregelung davon ab, ob sie dem Erfordernis einer ausgewogenen Verhältnisbestimmung zwischen den Anforderungen an die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Geboten der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und des Gerichtsschutzes entspricht. Das wurde in der Literatur schon für §§ 214 ff BauGB aF zT bezweifelt.454 Die Rechtsprechung hat sich im Hinblick auf Teilaspekte der Fehlerfolgenregelungen des Instruments der restriktiven, verfassungskonformen Gesetzesinterpretation bedient.455 Auch gegen die Neuregelung durch das EAG Bau werden Bedenken geltend gemacht.456 f) Außerkrafttreten

121 Da Bauleitpläne in ihrer Geltung zeitlich nicht befristet sind, treten sie grundsätzlich durch Aufhebung außer Kraft. § 1 VIII BauGB bestimmt ausdrücklich, dass die Vorschriften des BauGB über die Aufstellung von Bauleitplänen auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung gelten. Rechtsdogmatisch zweifelhaft ist die Annahme, dass ein Bebauungsplan durch entgegenstehendes Gewohnheits452

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Dolde BauR 1990, 1 ff; Kirchhof NJW 1981, 2382 ff; Gubelt NJW 1979, 2071, 2074 ff; Schmidt-Aßmann NJW 1976, 1913, 1915 f. Zur Neuregelung der §§ 214, 215 BauGB durch das EAG Bau vgl Uechtritz ZfBR 2005, 11 ff; Erbguth DVBl 2004, 802, 806 ff. Hill DVBl 1983, 1, 5; Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn 352) 198, 207 f; Schmidt-Aßmann DVBl 1984, 582, 587; Ossenbühl NJW 1986, 2805, 2807. ZB Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 127 und Brohm (Fn 61) § 13 Rn 30 für § 215 I Nr 2 BauGB aF im Hinblick auf Art 19 IV GG; Dolde BauR 1990, 1, 6 ff für § 215 I Nr 2 BauGB aF im Hinblick auf Art 19 IV GG, Art 20 III GG, einzelne Grundrechte bzw das Übermaßverbot. Vgl auch Peine NVwZ 1989, 637 ff, der für eine verfassungskonforme Auslegung eintrat. Schmaltz DVBl 1990, 77 ff hielt die Regelungen dagegen für unbedenklich. ZB BVerwGE 64, 33, 34 ff → JK BBauG § 155 b/1; BGH ZfBR 1982, 264, 265, jew zu § 155 b II 2 BBauG. Vgl auch BVerwG NVwZ 1983, 30, 31; NVwZ 1992, 662, 662 f sowie die Übersicht bei Battis (Fn 354) Vorb §§ 214–216 Rn 11 ff. Vgl nur Uechtritz ZfBR 2005, 11, 17 ff; Stelkens UPR 2005, 81, 88 je mwN. Die Rspr musste sich noch nicht mit den §§ 214, 215 BauGB nF befassen.

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recht 457 oder durch sog „Funktionsverlust“ wegen grundlegender und dauerhafter Änderung der tatsächlichen Verhältnisse außer Kraft treten könne.458 Bei Ungewissheit über die Rechtsgültigkeit eines Bebauungsplans darf weder die Plangenehmigungsbehörde 459 noch die Gemeinde selbst den Plan verwerfen. Vielmehr ist die Gemeinde gehalten, den Plan im Aufhebungsverfahren (§ 1 VIII BauGB) zu beseitigen.460 Außer in diesem Verfahren kann der Bebauungsplan unter den Voraussetzungen des § 47 VwGO im Verfahren der prinzipalen verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle für unwirksam erklärt werden.461

3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben a) Allgemeines Soweit die Bodennutzung in der Gemeinde durch Bauleitpläne vorbereitet und ge- 122 leitet wird (§ 1 I BauGB), muss auch rechtlich sichergestellt sein, dass sich die tatsächliche bauliche Entwicklung plankonform vollzieht. Auch für den Fall, dass Bauleitpläne, insbesondere Bebauungspläne, fehlen, muss die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung rechtlich gewährleistet sein. Die §§ 30 ff BauGB enthalten deshalb Vorschriften über die planungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben.462 Zu deren Umsetzung tragen insbesondere 463 die Instrumente des Bauordnungrechts bei. Die §§ 30 ff BauGB finden gem § 29 I BauGB zum einen auf Aufschüttungen und 123 Abgrabungen größeren Umfangs sowie auf Ausschachtungen und Ablagerungen einschließlich Lagerstätten Anwendung. Zum anderen beziehen sie sich – und das ist ihr wesentlicher Anwendungsbereich – auf Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben. Bauliche Anlagen iSd § 29 I BauGB sind Anlagen, „die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind“.464 Mit dieser Definition ist das Begriffselement des Bauens („Schaffen von Anlagen“) ausgedrückt, zu dem einschränkend das Merkmal der bodenrechtlichen Relevanz hinzukommt: Dieses liegt vor, wenn das Vorhaben die Belange des § 1 VI BauGB in nicht unerheblicher Weise 457 458

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BVerwGE 26, 282, 284 f; 54, 5, 9. BVerwGE 54, 5, 8 ff; aus jüngerer Zeit zB NVwZ-RR 1997, 513, 513 m Bespr Selmer JuS 1998, 467 f; BauR 2000, 854 f m Bespr Selmer JuS 2000, 1128 f; NVwZ 2001, 1055 f; BVerwGE 108, 71, 76. Grundsätzlich zust Grooterhorst Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen durch nachträgliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, 1988, bes 96 ff. Vgl auch die Übersicht bei Tysper BauR 2001, 349 ff; Bier UPR 2004, 335 ff. Zur Genehmigungsbedürftigkeit von Bauleitplänen o Rn 115. Vgl BVerwGE 75, 142 ff → JK BauGB § 2 IV/1; OVG Münster NVwZ 1982, 636, 636 f. Dazu u Rn 228. Nach Auffassung des BVerwG kann im Wege der Normenkontrolle auch das Außerkrafttreten wegen Funktionslosigkeit festgestellt werden, BVerwGE 108, 71, 72 ff. Allgemein zur Zulässigkeit von Bauvorhaben und deren Prüfung in der Fallbearbeitung Dolderer Jura 2004, 752 ff. Vgl daneben zB § 6 I Nr 2 BImSchG. BVerwGE 44, 59, 62.

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4. Kap III 3 a

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berühren kann und damit ein Bedürfnis nach planungsrechtlicher Kontrolle hervorruft.465 Auch das Bauordnungsrecht hat bauliche Anlagen zum Regelungsgegenstand 124 (§ 1 I 1 MBO: „Dieses Gesetz gilt für bauliche Anlagen …“). Allerdings hat der Begriff der baulichen Anlage je nach Gesetzeszusammenhang unterschiedliche Funktionen. Die Begriffe der baulichen Anlage iSd § 29 I BauGB und iSd Bauordnungsrechts sind folglich nicht identisch. Sie sind aber in weiten Bereichen inhaltsgleich 466 und tragen so zu einer materiellen und verfahrensrechtlichen Verknüpfung von Bauordnungsrecht und Städtebaurecht bei. Zum einen wird – soweit erforderlich 467 – die bauordnungsrechtlich vorgesehene Baugenehmigung nach den einschlägigen Bestimmungen nur erteilt, wenn die Anlage – auch – den planungsrechtlichen Erfordernissen genügt.468 Mit Hilfe der bauordnungsrechtlichen Bauüberwachung und der bauordnungsrechtlichen Instrumente der (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände 469 werden zum anderen sowohl die bauordnungs- als auch die -planungsrechtliche Rechtmäßigkeit baulicher Anlagen iSd Bauordnungsrechts sichergestellt. Den Bauaufsichtsbehörden obliegt damit insofern auch der Vollzug der Planungsentscheidungen der Gemeinde. Das kann zu Kollisionen mit der gemeindlichen Planungshoheit insbesondere dann führen,470 wenn die Bauaufsichtsbehörde kein Organ der betroffenen Gemeinde ist.471 Das BauGB schafft insofern Kompensation durch gemeindliche Einvernehmenserfordernisse. Sie bewirken, dass die Bauaufsichtsbehörde bestimmte Entscheidungen nur im Einvernehmen mit der Gemeinde treffen darf.472 Die Systematik der gesetzlichen Regelung über die planungsrechtliche Zulässig125 keit von Vorhaben folgt deren Lage in bestimmten planungsrechtlichen Gebietstypen: 465

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Halama in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 29 Rn 6 ff; Löhr (Fn 285) § 29 Rn 14 ff, jew m Bsp für bauliche Anlagen aus der Rspr. Insoweit hatte auch die Neufassung des § 29 BauGB durch das BauROG (Fn 18) zu keiner Änderung geführt, vgl BVerwGE 114, 206, 209 f; Battis/Krautzberger/Löhr NVwZ 1997, 1145, 1159. Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 175. Zu Einzelheiten der Abgrenzung Krautzberger in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, § 29 Rn 22 ff. Vgl u Rn 203, 215. Zur Abkoppelung des Vorhabenbegriffs des § 29 BauGB vom bauordnungsrechtlichen Genehmigungs- oder Anzeigeerfordernis Battis/Krautzberger/Löhr NVwZ 1997, 1145, 1159. Vgl u Rn 205. Vgl u Rn 216 ff. Vgl schon o Rn 20. Zu den Bauaufsichtsbehörden vgl u Rn 202. §§ 36, 14 II 2 BauGB. Zum Verhältnis von § 36 BauGB zur Planungshoheit der Gemeinde aus § 2 I 1 BauGB und zur Veränderungssperre nach Erteilung des Einvernehmens BVerwGE 120, 138, 143 ff. Zu Rechtsfragen des § 36 BauGB Hellermann Jura 2002, 589 ff; Horn NVwZ 2002, 406 ff; Schlotterbeck VBlBW 2001, 15 ff; Lasotta DVBl 1998, 255 ff; ders BayVBl 1998, 609 ff; vgl auch VGH Mannheim VBlBW 2004, 56 ff → JK BauGB § 36 I 1/6 sowie – unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung – BVerwG NVwZ 2005, 83f; zum Beginn der Frist des § 36 II 2 HS 2 BauGB BVerwG NVwZ 2005, 213 ff.

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4. Kap III 3 b aa

(1) Vorhaben im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten (§ 30 I BauGB) oder eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB (§ 30 II BauGB),473 (2) Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB), (3) Vorhaben im sog Außenbereich, dh außerhalb der von (1) und (2) bezeichneten Gebiete (§ 35 BauGB). Die gesetzliche Systematik verdeutlicht die Funktion der Vorschriften über die planungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines qualifizierten bzw vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Ihnen muss es darum gehen, planerische Kriterien („Planersatzfunktion“) 474 aufzustellen, mit deren Hilfe sich die städtebauliche Entwicklung ordnen lässt. Die Zulässigkeit der Bauvorhaben beurteilt sich nach den jeweiligen Maßgaben, 126 die für die unter (1), (2) und (3) genannten planungsrechtlichen Bereiche gelten. Keinen zusätzlichen planungsrechtlichen Bereich, wohl aber einen weiteren positiven Zulässigkeitstatbestand 475 schafft § 33 BauGB.476 Die Norm setzt voraus, dass ein Vorhaben in einem Gebiet, für das ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, nach den §§ 30, 34 oder 35 BauGB planungsrechtlich (noch) unzulässig ist, und kann ausnahmsweise dazu führen, dass das Vorhaben trotzdem im Hinblick auf die künftigen planerischen Festsetzungen genehmigt werden kann und muss.477 Dies setzt im Hinblick darauf, dass nach § 33 I Nr 2 BauGB künftige Festsetzungen des Bebauungsplans dem Vorhaben nicht entgegenstehen dürfen, vor allem voraus, dass die Planung schon so weit fortgeschritten ist, dass man eine hinreichend sichere Prognose über den Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans treffen kann (sog Planreife).478 b) Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans aa) § 30 I BauGB bzw § 30 II BauGB stellen folgende Voraussetzungen auf: 127 (1) Das Vorhaben muss im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten bzw vorhabenbezogenen Bebauungsplans liegen. (2) Das Vorhaben darf den Festsetzungen des Bebauungsplans bzw beim vorhabenbezogenen Bebauungsplan auch dessen sonstigem Inhalt 479 nicht wider473

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Ein qualifizierter Bebauungsplan muss die in § 30 I BauGB genannten Festsetzungen enthalten, vgl o Rn 83. Zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan vgl o Rn 88. BVerwGE 119, 25, 30 → JK BauGB § 1 III/1: §§ 34, 35 BauGB „gelten als Planersatzvorschriften, nicht als Ersatzplanung“. BVerwGE 20, 127, 130 ff; Krautzberger (Fn 46) § 33 Rn 1; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, § 33 Rn 16; dazu ausf Bartholomäi BauR 2001, 725 ff. Zu den Voraussetzungen der einzelnen Tatbestände ausf Bönker (Fn 356) § 7 Rn 80 ff; Stock (Fn 475) § 33 Rn 20 ff; Uechtritz/Buchner BauR 2003, 813 ff insbes zur Bedeutung von BVerwGE 117, 25 ff → JK BauGB § 35/2. Zu diesem Urteil noch u Rn 135 m Fn 511. BVerwGE 20, 127, 131. BVerwG BRS 33, Nr 34; vgl ausf OVG Münster BauR 2001, 1394 ff. Dazu, dass beim vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Gemeinde gem § 12 III 2 BauGB nicht an den Festsetzungskatalog des § 9 BauGB bzw der BauNVO gebunden ist, vgl o

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4. Kap III 3 b bb

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sprechen, oder es muss nach § 31 I BauGB eine Ausnahme zugelassen bzw nach § 31 II BauGB eine Befreiung erteilt worden sein. Zu beachten ist, dass auch kein Widerspruch zu den nach § 1 III 2 BauNVO zum Planbestandteil gewordenen Vorschriften der BauNVO 480 bestehen darf. (3) Die Erschließung muss gesichert sein. Den Begriff der Erschließung verwendet das Gesetz an verschiedenen Stellen (vgl §§ 123ff BauGB), allerdings nicht einheitlich. Die Erschließung iSd § 30 I BauGB umfasst zumindest den Anschluss des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz, die Versorgung mit Elektrizität und Wasser und die Abwasserbeseitigung.481 Sie ist gesichert, wenn die Anlagen spätestens bis zur Fertigstellung der baulichen Anlage benutzbar sein werden.482 bb) Ausnahmen und Befreiungen: Die Abstraktheit des Bebauungsplans kann 128 dazu führen, dass seine Anwendung im Einzelfall den Bauwilligen übermäßig belastet oder städtebaulichen Interessen zuwiderläuft. § 31 BauGB eröffnet deshalb der Baugenehmigungsbehörde die Möglichkeit, Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines – einfachen, qualifizierten oder vorhabenbezogenen – Bebauungsplans zu erteilen. Ausnahmen (§ 31 I BauGB) sind solche Abweichungen vom Bebauungsplan, die schon der Bebauungsplan selbst nach Art und Umfang ausdrücklich vorsieht. Sie stellen also keine Durchbrechung des planerischen Konzepts dar, sondern realisieren nur die Möglichkeiten einer städtebaulichen Entwicklung, wie sie die planende Gemeinde selbst ins Auge gefasst hat.483 Demgegenüber ist die Erteilung einer Befreiung (§ 31 II BauGB) von den Festsetzungen des Bebauungsplans eine Abweichung vom planerischen Konzept. Sie ermöglicht damit die Durchführung von Bauvorhaben, die sonst nur bei entsprechender Planänderung zulässig wären. § 31 II BauGB normiert drei Befreiungstatbestände: (1) Entweder muss das Wohl der Allgemeinheit die Befreiung erfordern,484 oder (2) die Abweichung muss städte-

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Rn 88. Vorhabenbezogene Bebauungspläne werden daher häufig nicht die Mindestfestsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans enthalten. Bei isolierter Betrachtung des § 30 III BauGB könnte man daher bezweifeln, ob sich die Zulässigkeit eines Vorhabens im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans tatsächlich nur nach dessen Inhalt bemisst, oder ob nicht zusätzlich § 34 bzw § 35 BauGB heranzuziehen ist. Die Systematik des § 30 BauGB lässt aber erkennen, dass die einzelnen Absätze der Norm die unterschiedlichen Fallgruppen – qualifizierter Bebauungsplan (Abs 1), vorhabenbezogener Bebauungsplan (Abs 2), einfacher Bebauungsplan (Abs 3) – jeweils abschließend regeln. Diese Interpretation entspricht im Ergebnis auch der gesetzgeberischen Intention (vgl Begr zu § 30 im Entw der BReg zum BauROG [Fn 126]). Vgl auch Winkler NVwZ 1997, 1193, 1193; Battis/Krautzberger/Löhr NVwZ 1997, 1145, 1159 f. Vgl o Rn 85. Löhr (Fn 285) § 30 Rn 16; Söfker (Fn 378) § 30 Rn 40; Dürr in: Brügelmann (Hrsg), BauGB, § 30 Rn 15. BVerwG DVBl 1977, 41, 43; DVBl 1986, 685, 685. Die Eingriffsregelung der §§ 18, 19 BNatSchG bzw des entsprechenden Landesrechts kann einem Anspruch auf Genehmigung nach § 30 BauGB nicht entgegengesetzt werden, vgl § 21 II 1 BNatSchG. Vgl Erbguth/Wagner (Fn 54) § 8 Rn 20; Brohm (Fn 61) § 19 Rn 6. Dazu BVerwGE 56, 71 ff. Hierunter soll auch ein dringender Wohnbedarf fallen, vgl VGH Mannheim NVwZ 1999, 670.

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4. Kap III 3 c

baulich vertretbar sein, oder (3) die Durchführung des Plans würde zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen.485 Für alle drei Fälle verlangt § 31 II BauGB zusätzlich, dass die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Schließlich dürfen in allen drei Fällen die „Grundzüge der Planung nicht berührt werden“ (§ 31 II HS 1).486 § 31 I und § 31 II BauGB stellen die Zulassung einer Ausnahme bzw die Erteilung einer Befreiung in das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.487 Das bedeutet, dass bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Bewilligung der Abweichung besteht.488 c) Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) Die Zulässigkeit eines Vorhabens im planungsrechtlichen Bereich des § 34 BauGB 129 (sog Innenbereich) setzt voraus, dass (1) das Vorhaben im räumlichen Geltungsbereich des § 34 BauGB liegt; (2) kein Widerspruch zu den Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans vorliegt (§ 30 III BauGB) bzw nach § 31 I BauGB eine Ausnahme zugelassen oder nach § 31 II BauGB eine Befreiung erteilt wurde; (3) das Vorhaben sich iSd § 34 I BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung „einfügt“ bzw von diesem Erfordernis gem § 34 IIIa BauGB abgewichen werden kann oder – hinsichtlich der Art des Vorhabens – die Voraussetzungen des § 34 II BauGB vorliegen;

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Gemeint sind nicht persönliche, sondern nur bodenbezogene Härten, vgl BVerwGE 51, 71, 74; Schmaltz (Fn 386) § 31 Rn 29. Solche liegen zB vor, wenn das Grundstück wegen seines besonderen Zuschnitts nur begrenzt oder erschwert bebaubar ist. § 31 II BauGB beschränkt die Möglichkeit der Befreiung nicht mehr auf den „Einzelfall“. Daraus wird geschlossen, dass Befreiungen nun nicht mehr nur in Einzelfällen, sondern auch bei mehreren, vergleichbaren Fällen in Betracht kommen. Allerdings findet auch eine Befreiung in mehreren gleichgelagerten Fällen jedenfalls dort ihre Grenze, wo die Grundzüge der Planung berührt sind, so dass ggf eine Abänderung des Bebauungsplans erforderlich wird, vgl Löhr (Fn 285) § 31 Rn 26 mwN sowie BVerwG NVwZ 1999, 1110, 1110. Einer Atypik bedarf es nach Wegfall des Einzelfallerfordernisses nicht mehr, VGH Mannheim NVwZ 2004, 357, 359 f → JK BauGB § 31 II/4 mit zustimmender Bspr Herrmann NVwZ 2004, 309. BVerwGE 117, 50, 55 → JK BauGB § 31 II/3 m Anm Jung BauR 2003, 1509, auch zur Planänderungsabsicht als Ermessenserwägung; BGHZ 82, 361, 369; Bönker (Fn 356) § 7 Rn 44 f; Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 210 f. Dazu, dass dieses Ermessen häufig „auf Null“ reduziert sein kann, Söfker (Fn 378) § 31 Rn 61. Das ist nicht ganz unumstritten. Auf die Erteilung einer Ausnahme besteht nach VG Münster DVBl 1967, 298 ff bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein strikter Rechtsanspruch. Nach VGH Mannheim BauR 1990, 340 f besteht zumindest im Fall des § 31 II Nr 1 BauGB weder ein Anspruch auf eine Befreiung noch ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber, weil sonst der Bauherr zum Sachwalter öffentlicher Belange gemacht würde.

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(4) keine der in § 34 I 2 BauGB bzw § 34 III BauGB 489 bezeichneten öffentlichen Belange entgegenstehen und (5) die Erschließung gesichert 490 ist. Ein Vorhaben liegt im räumlichen Geltungsbereich des § 34 BauGB, wenn es sich 130 außerhalb des Geltungsbereichs eines qualifizierten Bebauungsplans, aber innerhalb eines „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ befindet. Mit der letzteren gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde gemeint, der nach Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.491 Es darf sich nicht nur um eine „Splittersiedlung“ handeln. Vielmehr muss ein tatsächlicher Bebauungszusammenhang bestehen, der trotz vorhandener Baulücken den Eindruck von Geschlossenheit vermittelt.492 Zur griffigeren Handhabung dieser etwas vagen gesetzlichen Vorgabe ermöglicht § 34 IV BauGB den Gemeinden, den Anwendungsbereich von § 34 BauGB durch sog Abgrenzungs- bzw Klarstellungs- (S 1 Nr 1),493 Entwicklungs- (S 1 Nr 2) oder Ergänzungssatzungen (S 1 Nr 3) festzulegen.494 Die Satzungen gem § 34 IV 1 Nr 2, 3 BauGB können die Zulässigkeit von Vorhaben erheblich erweitern. § 34 V und VI BauGB stellen daher besondere Anforderungen an ihren Inhalt und an das Verfahren ihrer Aufstellung, die zT den Anforderungen an Bauleitpläne 495 entsprechen. Die Planersatzfunktion des § 34 BauGB wird insbesondere deutlich an dem ge131 setzlichen Erfordernis, dass sich das Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss. Ein „Einfügen“ 496 iSd § 34 I 1 BauGB setzt voraus, dass sich das Vorhaben innerhalb des durch die Umgebung gezogenen Rahmens der tatsächlich vorhandenen Bebauung hält.497 Es darf ihn ausnahmsweise überschreiten, 489

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Zu dieser Regelung und deren Anwendungsproblemen Uechtritz NVwZ 2004, 1025, 1029 ff. Dazu schon o Rn 127. BVerwGE 31, 22, 26. Vgl zur Bestimmung des „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ zB BVerwGE 31, 20 f; 31, 22, 26 ff; NVwZ 1999, 527, 527 f m Bespr Selmer JuS 1999, 1137 f; ZfBR 2000, 426, 426 f; NVwZ-RR 2001, 83; NVwZ 2001, 70, 70 f m Bespr Selmer JuS 2001, 405 f; BauR 2002, 277 f. Die Abgrenzungs- bzw Klarstellungssatzung wird zT als deklatorisch bezeichnet, vgl zB Brohm (Fn 61) § 20 Rn 7. Zweifel am nur deklaratorischen Charakter bei Jeand’ Heur NVwZ 1995, 1174 ff. Zu den Satzungen gem § 34 IV 1 Nr 1, 2 BauGB Hofherr in: Schlichter/Stich/Driehaus/ Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 34 Rn 74 ff; vgl auch OVG Bautzen NVwZ-RR 2001, 426 ff. Zur Ergänzungssatzung gem § 34 IV 1 Nr 3 BauGB Erbguth/Wagner (Fn 54) § 8 Rn 49 ff. Dazu o Rn 89 ff. Ausf dazu BVerwGE 55, 369, 381 ff; vgl aus der neueren Rspr zB BVerwGE 75, 34 ff; DÖV 1997, 831f. Sa Dolderer Jura 2004, 752, 755 f. Beispiele: In einem allg Wohngebiet ist ein gewerblicher Garagenhof unzulässig – OVG Münster NWVBl 1991, 12, 13. Eine private Benzinzapfstelle in einem ausschließlich zum Wohnen genutzten Gebiet ist unzulässig – VGH München BRS 27, Nr 48. Eine Diskothek kann im unbeplanten Innenbereich zulässig sein, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem Mischgebiet entspricht – BVerwG ZfBR 1982, 90 f. In einem Kerngebiet kann

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wenn dadurch keine boden- bzw planungsrechtlichen Spannungen erzeugt werden,498 und ist in jedem Fall unzulässig, wenn es die gebotene Rücksichtnahme auf die in seiner unmittelbaren Nachbarschaft vorhandene Bebauung vermissen lässt.499 Entspricht ein Baugebiet hinsichtlich seiner Bebauung einem der in der BauNVO genannten Baugebiete, so ist nach § 34 II BauGB hinsichtlich der Art der Nutzung allein 500 darauf abzustellen, ob das Bauvorhaben nach den Kriterien der BauNVO zulässig ist. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der Bauweise verbleibt es bei § 34 I BauGB. Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung kann nach § 34 III a BauGB abgewichen werden.501 d) Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich Dem Außenbereich sind alle Gebiete zuzurechnen, die weder von § 30 I, II BauGB 132 noch von § 34 BauGB erfasst werden. Außenbereiche sind demnach alle Gebiete, die nicht im räumlichen Geltungsbereich eines qualifizierten oder eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans und außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegen. Der Begriff des Außenbereichs ist damit ein reiner Rechtsbegriff; die Assoziationen von „Stadtferne“ und „freier Natur“, die der sprachliche Ausdruck hervorruft, können zwar, müssen aber durchaus nicht auf die Gebiete zutreffen, die von § 35 BauGB erfasst werden.502 Das BauGB geht davon aus, dass der Außenbereich bevorzugt für bestimmte 133 Nutzungsarten zur Verfügung stehen soll. § 35 BauGB unterscheidet daher die sog privilegierten Vorhaben (Abs 1 Nr 1–7), die unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind, und die sonstigen Vorhaben, die im Einzelfall zugelassen werden können (Abs 2). Der Katalog der privilegierten Vorhaben in § 35 I BauGB ist abschließend.503 „Essentiale der Privilegierung ist jeweils eine bestimmte Nutzungsart,

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sich ein Multiplex-Kino in die Umgebung einfügen – OVG Berlin BauR 1999, 1004 ff. Eine Spielhalle mit 150 qm Spielfläche ist typischerweise in einem allg Wohngebiet nicht zulässig – OVG Münster NWVBl 1991, 13 f. In einem allg Wohngebiet kann eine kleine Gaststätte zulässig sein, wenn sie der Versorgung des Gebietes dient – OVG Münster BauR 2001, 1392 f; VG Minden NWVBl 2001, 360 ff. Sog „Wagenburgen“ sollen als bauplanungsrechtlich nicht vorgesehene „alternative“ Wohnformen weder in einem Wohn-, noch in einem Gewerbe- oder Mischgebiet zulässig sein – OVG Berlin BRS 60, Nr 206. In einem reinen Wohngebiet kann eine Kleintierarztpraxis zulässig sein – OVG Münster NWVBl 1993, 355 f. Ein dreigeschossiges Mietshaus ist in einem unbeplanten, ländlichen Bereich mit ein- und zweigeschossiger Bebauung unzulässig – OVG Lüneburg BRS 25, Nr 43. Derartige Spannungen entstehen zB, wenn das Vorhaben städtebauliche Belange iSd § 1 V–VII BauGB beeinträchtigt und so uU Planungserfordernisse auslöst. Dazu BVerwG BauR 2000, 245 sowie Söfker (Fn 378) § 34 Rn 31. BVerwGE 55, 369, 386; NVwZ 1995, 698, 699; NVwZ 1999, 879, 880 m Bespr Selmer JuS 2000, 409 f; BauR 2001, 212, 213. Die Errichtung eines Minaretts soll gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht verstoßen, OVG Koblenz NVwZ 2001, 933, 934. Ein Rückgriff auf § 34 I BauGB ist insoweit ausgeschlossen, BVerwG NVwZ 1990, 557, 558. Vgl dazu Bönker (Fn 356) § 7 Rn 154 ff. Vgl auch Roeser (Fn 94) § 35 Rn 5. Krautzberger (Fn 46) § 35 Rn 1; Söfker (Fn 378) § 35 Rn 18; Stollmann JuS 2003, 855, 856.

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also die bauliche Anlage in ihrer privilegierten Funktion“.504 Nutzungsänderungen können daher zu einer Entprivilegierung führen. Das kann Schwierigkeiten bei einem wirtschaftlichen Strukturwandel, insbesondere im landwirtschaftlichen Bereich, hervorrufen. Ua diesem Problem versucht § 35 IV BauGB Rechnung zu tragen.505 Zulässigkeitsvoraussetzungen für Vorhaben im Außenbereich sind: 134 – für privilegierte Vorhaben (1) es muss einer der Privilegierungstatbestände des § 35 I Nr 1–7 BauGB erfüllt sein; (2) es darf kein Widerspruch zu einem einfachen Bebauungsplan vorliegen (§ 30 III BauGB) bzw es muss nach § 31 I BauGB eine Ausnahme zugelassen oder nach § 31 II BauGB eine Befreiung erteilt worden sein; (3) öffentliche Belange dürfen nicht entgegenstehen, und (4) die Erschließung muss gesichert sein; (5) für Vorhaben nach § 35 I Nr 2–6 BauGB muss eine Verpflichtungserklärung nach § 35 V 2 BauGB abgegeben worden sein, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen. – für sonstige Vorhaben im Außenbereich (1) es darf kein Widerspruch zu einem einfachen Bebauungsplan vorliegen (§ 30 III BauGB) bzw es muss nach § 31 I BauGB eine Ausnahme zugelassen oder nach § 31 II BauGB eine Befreiung erteilt worden sein; (2) öffentliche Belange dürfen nicht beeinträchtigt sein, und (3) die Erschließung muss gesichert sein. Die öffentlichen Belange, die einem privilegierten Vorhaben „nicht entgegen135 stehen“ (§ 35 I BauGB) und von einem sonstigen Vorhaben „nicht beeinträchtigt“ (§ 35 II BauGB) sein dürfen, sind beispielhaft („insbesondere“) in § 35 III 1 BauGB aufgezählt.506 Zu ihnen zählen auch die Darstellungen im Flächennutzungsplan (§ 35 III 1 Nr 1 BauGB), die dergestalt mittelbar Außenwirkung erlangen können.507 Gleichwohl darf der Flächennutzungsplan auch in diesen Fällen nicht wie ein rechtsverbindlicher Außenrechtssatz gehandhabt werden.508 Seine Darstellun504 505 506

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Friauf (Fn 3) 528; vgl auch BVerwGE 47, 185, 188. Dazu noch u Rn 137. Praktisch bedeutsam ist zB der Belang „Hervorrufung schädlicher Umwelteinwirkungen“. Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist in § 3 I BImSchG legaldefiniert. Diese Definition kann auch im Anwendungsbereich des § 35 III BauGB herangezogen werden, BVerwGE 52, 122, 126. In Hinsicht auf seine drittschützende Funktion hat die Rechtsprechung in diesem Belang zudem einen gesetzlichen Ausgangspunkt des Gebotes der Rücksichtnahme erkannt, vgl zB BVerwG NVwZ 2000, 552, 553 → JK BauGB § 35 I/3. Häufig beschäftigt hat die Rspr ua auch der Belang „Gefahr einer Splittersiedlung“ (Nr 7), vgl dazu zB BVerwGE 25, 161 ff; 27, 137 ff; 54, 73, 76 ff. Vgl o Rn 80 f. Zur Wirkung von Zielen der Raumordnung gegenüber Außenbereichsvorhaben § 35 III 2 BauGB sowie Söfker (Fn 378) § 35 Rn 116 ff; Jäde (Fn 355) § 35 Rn 227 ff; Krautzberger (Fn 46) § 35 Rn 72. Dazu auch o Rn 39 und u Fn 516. Dies gilt wohl trotz BVerwGE 117, 287 ff → JK BauGB § 35/3 (vgl Rn 81 m Fn 301) auch weiterhin.

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gen können nur „entgegenstehend“ sein, wenn sie „sachlich und räumlich hinreichend konkret sind“.509 Nach § 35 III 2 BauGB können auch Ziele der Raumordnung einem Vorhaben entgegenstehen. Durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung können zudem Konzentrations- oder Vorrangflächen für Vorhaben nach § 35 I Nr 2–6 BauGB ausgewiesen werden. Eine solche Darstellung steht einem an anderer Stelle geplanten Vorhaben derselben Art nach § 35 III 3 BauGB in der Regel als öffentlicher Belang entgegen.510 Ein nicht benannter Belang kann das Erfordernis einer förmlichen Planung sein, wenn das Vorhaben einen Koordinierungsbedarf auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des § 35 BauGB, sondern nur eine Abwägung im Rahmen einer förmlichen Planung Rechnung zu tragen vermag.511 Die Feststellung, ob öffentliche Belange einem Vorhaben iSd § 35 I BauGB ent- 136 gegenstehen oder durch ein Vorhaben iSd § 35 II BauGB beeinträchtigt werden, erfordert eine Gegenüberstellung des Vorhabens mit den berührten Belangen und kommt nicht ohne Wertungen aus. Die Normanwendung weist damit abwägungsähnliche Strukturen auf,512 ist aber Rechtsanwendung und daher auch gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar.513 Die sprachliche Differenzierung zwischen Abs 1 („entgegenstehen“) und Abs 2 („beeinträchtigen“) bringt zum Ausdruck, dass privilegierte Vorhaben nach der Vorstellung des Gesetzes gerade vorzugsweise im Außenbereich durchgeführt werden sollen. Das ist bei der Normanwendung zu berücksichtigen.514 Stehen öffentliche Belange dem Vorhaben nicht entgegen bzw sind diese nicht beeinträchtigt, besteht ein Rechtsanspruch auf die Genehmigung. Aus Gründen des Grundrechtsschutzes 515 gilt dies – entgegen dem Wortlaut von § 35 II BauGB („können“) – auch für die Zulässigkeit „sonstiger Vorhaben“.516 509 510

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BVerwGE 68, 311, 311 (LS 1) → JK BBauG § 35/2; vgl auch o Rn 80 m Fn 282. Zu Konzentrationsflächen, deren Ausschlusswirkung und deren Bindungskraft einer Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie deren Vereinbarkeit mit Art 14 I GG BVerwGE 117, 287 ff → JK BauGB § 35/3; 118, 33, 42 ff. BVerwGE 117, 25 ff → JK BauGB § 35/2 m Anm Uechtritz NVwZ 2003, 176 ff; Wurzel/ Probst DVBl 2003, 197 ff; Nickel/Kopf UPR 2003, 22 ff. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein interkommunaler Abstimmungsbedarf iSd § 2 II BauGB besteht, BVerwGE 117, 25, 32 f → JK BauGB § 35/2. Sie wurde früher – auch in der 11. Aufl Rn 136 – durchwegs als „Abwägung“ bezeichnet. Vgl BVerwGE 28, 148, 150; 28, 268, 274; Krautzberger (Fn 46) § 35 Rn 45 ff. Das BVerwG spricht inzwischen von einer sog „nachvollziehenden Abwägung“ iS einer „konkretisierenden Rechtsanwendung“, BVerwGE 115, 17, 24ff; BVerwGE 117, 287, 302 → JK BauGB § 35/3. BVerwGE 115, 17, 24; Brohm (Fn 61) § 21 Rn 18 mwN. In der Entscheidung BVerwGE 68, 311, 314 f → JK BBauG § 35/2 betont das Gericht, der Gesetzgeber gehe zwar von der generellen Zulässigkeit der privilegierten Vorhaben im Außenbereich aus, er habe aber die Frage des konkreten Standorts privilegierter Vorhaben nicht „planartig“ entschieden, sondern der Prüfung am Maßstab öffentlicher Belange unterworfen. Auch für privilegierte Vorhaben gelte das Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs. Das kommt nun auch in § 35 V 1 BauGB zum Ausdruck. Vgl ferner OVG Bautzen SächsVBl 2000, 244, 245 f. Dazu o Rn 30. BVerwGE 18, 247, 250 f; Söfker (Fn 378) § 35 Rn 73; aA Ortloff NVwZ 1988, 320 ff. Der

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§ 35 IV BauGB ordnet an, dass bestimmte öffentliche Belange (Widerspruch gegen Darstellungen des Flächennutzungs- oder eines Landschaftsplans, Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft, Splittersiedlung) gesetzlich näher bestimmten sonstigen Vorhaben iSd § 35 II BauGB nicht entgegengehalten werden dürfen, soweit diese im Übrigen außenbereichsverträglich sind. § 35 IV 1 Nr 1 BauGB betrifft zB den Fall, dass ein vorhandenes, wegen landwirtschaftlicher Nutzung privilegiertes Gebäude durch Nutzungsänderung entprivilegiert werden soll. Lässt der Flächennutzungsplan die angestrebte Nutzung nicht zu, wäre das Vorhaben grds gem § 35 II, III BauGB unzulässig. Unter den Voraussetzungen des § 35 IV 1 Nr 1 BauGB ist dieser Belang jedoch nicht zu berücksichtigen. In gleicher Weise erleichtern § 35 IV 1 Nr 2–6 BauGB die Zulässigkeit bestimmter Ersatz- und Erweiterungsbauten. Die Norm begünstigt auf diese Weise die Zulassung bestimmter Vorhaben iSd § 35 II BauGB, indem diese sich nicht an den genannten Belangen messen lassen müssen. Auch im Außenbereich können sich im Laufe der Zeit gewachsene Siedlungsstrukturen entwickeln. Neue, nicht privilegierte Vorhaben sind dort allerdings häufig unzulässig, weil sie idR öffentliche Belange beeinträchtigen. Will die Gemeinde die Zulassung derartiger Vorhaben einerseits erleichtern, ist aber andererseits die Aufstellung eines Bebauungsplans nach ihrer städtebaulichen Konzeption nicht erforderlich (vgl § 1 III BauGB),517 kann sie nach Maßgabe des § 35 VI BauGB eine Außenbereichssatzung 518 erlassen. Durch sie wird bestimmt, dass Wohnzwecken dienenden, nicht privilegierten Vorhaben nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Diese Rechtsfolge kann die Gemeinde gem § 35 VI 2 BauGB auf Vorhaben erstrecken, die kleineren Handwerks- oder Gewerbebetrieben dienen. § 35 VI 4–7 BauGB regeln die Voraussetzungen und das Verfahren der Aufstellung der Satzungen. e) Zulässigkeit von Vorhaben aufgrund besonderen Grundrechtsschutzes?

138 Baufreiheit ist die durch grundrechtskonforme Rechtsregelungen eingeräumte Befugnis zur baulichen Nutzung des Grundeigentums.519 Die so erworbene Rechtsposition genießt den Grundrechtsschutz des Art 14 I GG. Das bedeutet, dass in ihren

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Anspruch besteht allerdings nur, wenn dem Vorhaben die den §§18, 19 BNatSchG entsprechenden landesrechtlichen Regelungen des Naturschutzrechts nicht entgegenstehen. Sie finden – im Gegensatz zu Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils – auf Vorhaben im Außenbereich uneingeschränkt Anwendung, vgl § 21 II 2 BNatSchG. Auch dürfen sonstige Vorschriften nicht entgegenstehen, § 29 II BauGB. Das gilt insbes gem § 35 III 2 BauGB auch für Ziele der Raumordnung, die – soweit sie inhaltlich hinreichend konkretisiert sind – auch privilegierten Vorhaben unüberwindbar entgegenstehen. Vgl dazu o Rn 39 sowie Rn 135 m Fn 507 und 510. Dazu o Rn 89 f. Dazu Krautzberger (Fn 46) § 35 Rn 117 ff. Zur – umstrittenen – Konzeption des Art 14 I GG vgl o Rn 27 ff.

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4. Kap III 3 e

Bestand nur nach Maßgabe der Art 14 I, III GG eingegriffen werden darf. Deshalb kann zB die Beseitigung 520 einer rechtmäßig errichteten baulichen Anlage nicht allein mit der Begründung angeordnet werden, sie widerspreche zwischenzeitlich geändertem Planungsrecht und sei insofern planungsrechtlich unzulässig 521 („passiver Bestandsschutz“). Es fragt sich, ob darüber hinaus die verfassungsrechtliche Sicherung des status quo auch zu unmittelbar aus Art 14 I GG abzuleitenden Ansprüchen auf die Zulassung von Vorhaben führen kann. Davon ging jedenfalls im Ergebnis die frühere Rechtsprechung des BVerwGs aus.522 Danach sollten zum einen bauliche Maßnahmen zur Erhaltung und zeitgemäßen Nutzung einer rechtmäßig errichteten baulichen Anlage auch dann zulässig sein, wenn sie im Widerspruch zum einfachgesetzlichen Planungsrecht standen („aktiver Bestandsschutz“).523 Bedurften vorhandene Anlagen zur Wahrung ihrer Funktionsfähigkeit baulicher Änderungen, Erweiterungen oder Nutzungsänderungen, hielt die Rechtsprechung diese aufgrund des sog überwirkenden Bestandsschutzes auch entgegen dem einfachgesetzlichen Planungsrecht für zulässig.524 War ein Grundstück einmal legal baureifes Bauland gewesen, konnte schließlich auch bei späterem Verlust dieser Eigenschaft 525 aus Art 14 I GG ein Bebauungsanspruch bestehen. „Eine derart eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition setzt zweierlei voraus, nämlich erstens, daß überhaupt irgendwann ein Anspruch auf die Zulassung der Bebauung entstanden ist, und zweitens, daß dieser Anspruch nach Art. 14 Abs. 1 GG gegen eine entschädigungslose Entziehung geschützt, also mit anderen Worten ,Eigentum‘ im Sinne der Vorschrift geworden ist“.526 Das sollte der Fall sein, wenn sich nach „der Verkehrsauffassung aus der gegebenen Situation die Bebaubarkeit eines Grundstücks aufdrängt“.527 Dergestalt konnte zB der einfachgesetzlichem Pla-

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Zur Beseitigungsanordnung vgl u Rn 219 ff. Vgl BVerwGE 72, 362, 363 → JK GG Art 14 I/23: „Der Bestandsschutz berechtigt …, eine rechtmäßig errichtete bauliche Anlage in ihrem Bestand zu erhalten und sie wie bisher zu nutzen“. Zu der Frage, wann diese Berechtigung – insbesondere bei zwischenzeitlicher Nutzungsaufgabe – endet, BVerwGE 98, 235, 240 f; NVwZ 2001, 557, 558; OVG Münster BauR 1997, 811 ff; OVG Schleswig NordÖR 2001, 180 f. Vgl dazu, dass bei genehmigten baulichen Anlagen dieser Schutz auch der Regelung der Baugenehmigung entnommen werden kann, u Rn 222 sowie Uechtritz DVBl 1997, 347, 347. Zu Nutzungsansprüchen aus „Bestandsschutz“: BVerwGE 27, 341, 343 f; 50, 49, 55 ff; 72, 362, 363 → JK GG Art 14 I/1. Zu Nutzungsansprüchen aus „eigentumskräftig verfestigter Anspruchsposition“: BVerwGE 26, 111, 117 ff; 27, 341, 342 ff; 47, 126, 130 ff; 49, 365, 371 f. BVerwGE 47, 126, 128 f; 72, 362, 363 → JK GG Art 14 I/1. BVerwGE 49, 365, 370; 50, 49, 56; 72, 362, 364 → JK GG Art 14 I/1. In einem beplanten Gebiet kann die Baulandeigenschaft durch Bebauungsplanänderung oder -aufhebung verloren gehen. Im nicht qualifiziert beplanten Innenbereich kann ein Grundstück seine Baulandeigenschaft durch eine tatsächliche Veränderung der Umgebung oder durch Neufassung der gesetzlichen Zulassungstatbestände verlieren. Im Außenbereich verliert ein Grundstück seine Baulandeigenschaft ebenfalls bei entsprechender Änderung der gesetzlichen Zulassungstatbestände. BVerwGE 26, 111, 117 f, Herv nicht im Original. BVerwGE 47, 126, 131; vgl auch BVerwGE 49, 365, 372; 67, 84, 92.

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nungsrecht widersprechende Ersatzbau eines zerstörten, nach früherem Planungsrecht aber rechtmäßig errichteten Bauwerks zulässig sein.528 Das BVerwG entwickelte diese Rechtsprechung unter der Geltung früherer Fas139 sungen der §§ 30 ff BauGB bzw BBauG. Der ihr zugrundeliegende Gedanke fand später in §§ 34 III, 35 IV BauGB aF sowie in § 4 II, III BauGBMaßnG Ausdruck.529 Das BVerwG hat daraufhin seine Rechtsprechung geändert 530 und entschieden: „Die Fallgruppen, für die der Anspruch aus ,eigentumskräftig verfestigter Anspruchsposition‘ ursprünglich gedacht war, hat der Gesetzgeber inzwischen normiert. Das gilt insbesondere für den Fall des Wiederaufbaus nach Brandzerstörung (vgl. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB). Fälle nicht ausgenutzter Baulandqualität von Grundstücken sind vom Planschadensrecht (nunmehr §§39 ff. BauGB) erfaßt; weitergehende Ansprüche bestehen nicht. Im übrigen lassen sich im beplanten und unbeplanten Innenbereich mit Hilfe der §§ 31, 34 Abs. 2 und 3 BauGB angemessene Ergebnisse erreichen“.531 „Im Anwendungsbereich“ des § 34 III 1 Nr 2 BauGB aF 532 sowie im Außenbereich 533 hat das Gericht darüber hinaus zumindest den Rückgriff auf einen grundrechtlich begründeten „überwirkenden Bestandsschutz“ für ausgeschlossen 534 gehalten und zudem formuliert, dass „ein Bestandsschutz, soweit damit eine eigenständige Anspruchsgrundlage gemeint sein soll, zu verneinen ist, wenn eine gesetzliche Regelung vorhanden ist“.535 Im Grundsatz ist mit dem BVerwG davon auszugehen, dass eine vorhandene ver140 fassungskonforme gesetzliche Regelung über die bauliche Nutzung eines Grundstücks den unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte verwehrt.536 Wann in den hier angesprochenen Fallgestaltungen der Rückgriff unmittelbar auf Art 14 I GG 528 529

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Vgl BVerwGE 47, 126, 131. Dazu nunmehr § 35 IV 1 Nr 3 BauGB und u Rn 141. § 34 III BauGB aF lautete: „Nach den Absätzen 1 und 2 unzulässige Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen von zulässigerweise errichteten baulichen und sonstigen Anlagen können im Einzelfall zugelassen werden, wenn 1. die Zulässigkeit aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit erforderlich ist oder 2. das Vorhaben einem Betrieb dient und städtebaulich vertretbar ist …“. § 4 II BauGBMaßnG erstreckte diese Möglichkeit auf Wohngebäude. § 35 IV BauGB aF (1998) und § 4 III BauGBMaßnG erfassten zusammen im Wesentlichen dieselben Fallgruppen wie § 35 IV BauGB. Vgl aus der Diskussion dieser Rspr in der Literatur zB Wahl FS Redeker, 1993, 245 ff; Uechtritz FS Gelzer, 1991, 259 ff; Fickert FS Weyreuther, 1993, 327 ff; Sieckmann NVwZ 1997, 853 ff; Hoppe/Krane FS 100 Jahre Allg Baugesetz Sachsen, 2000, 389 ff. BVerwGE 85, 289, 294. Vgl ferner BVerwGE 106, 228, 233 ff mwN. Zu dieser Entscheidung vgl Aichele/Herr NVwZ 2003, 415 ff. BVerwGE 84, 322, 344; NVwZ 1999, 523, 524 f. Dem zust zB Söfker (Fn 378) § 34 Rn 84 ff. BVerwG ZfBR 1991, 83, 85; ZfBR 1991, 221, 224; VGH München BayVBl 1996, 87, 87. Diese Rspr hat das BVerwG für § 35 BauGB in einer späteren Fassung bestätigt, BVerwGE 106, 228, 235f. In der Entscheidung BVerwG DVBl 1993, 1097, 1098 ließ das Gericht noch offen, ob es im Übrigen an der Figur des Nutzungsanspruchs aufgrund „überwirkenden Bestandsschutzes“ festhält. BVerwGE 88, 191, 203 mit Bezug auf eine bauordnungsrechtliche Vorschrift. Zu der Frage, ob sich im Einzelfall ein über die §§ 30 ff BauGB hinausgehender Bebauungsanspruch aus Art 5 III GG – Kunstfreiheit – ergeben kann, BVerwG DVBl 1993, 1008 ff. Dazu auch Brohm JuS 1999, 1097, 1102 mwN.

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ausgeschlossen ist, hängt zunächst davon ab, inwieweit die planungsrechtlichen Zulässigkeitstatbestände abschließend sind, also auch die Fälle regeln, in denen ein Grundeigentümer bereits zuvor eine als Eigentum grundrechtlich geschützte Nutzungsbefugnis erworben hat. Stellen sich die §§ 30 ff BauGB als in dieser Weise abschließend konzipiert heraus, ist zu fragen, ob die durch sie dann uU bewirkte Beeinträchtigung von zuvor entstandener grundrechtlicher Freiheit den Anforderungen des Art 14 I, III GG standhält. Soweit das der Fall ist, sind die Zulassungstatbestände als abschließend zu verstehen. Soweit das allerdings nicht der Fall ist, sind sie verfassungskonform als nicht abschließend auszulegen. Mustert man die §§ 30ff BauGB vor diesem Hintergrund, stellt man fest, dass 141 §35 IV BauGB für die angesprochenen Konstellationen im Außenbereich eine ausdrückliche und differenzierte Regelung enthält.537 Sie dürfte abschließend 538 und aus Sicht des Art 14 I GG nicht zu beanstanden sein. Im Übrigen fehlen entsprechende Regelungen. Durch den durch das BauROG 1998 erfolgten Wegfall des § 34 III BauGB aF war zwar eine gesetzliche Regelung für die Fallgruppen des „Bestandsschutzes“ und der „eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition“ im Bereich des § 34 BauGB entfallen. Man durfte gleichwohl nicht annehmen, der Gesetzgeber habe entsprechende Zulassungsansprüche abschließend ausschließen wollen.539 Daher ist insofern der unmittelbare Rückgriff auf Art 14 I GG zulässig, soweit es sich nicht um Fallgestaltungen handelt, die nunmehr von § 34 III a BauGB geregelt sind. Im Hinblick auf qualifiziert beplante Gebiete hängt die Einschätzung der gesetzlichen Regelungen als abschließend ua davon ab, ob man meint, dass die in den angesprochenen Fallgestaltungen beeinträchtigten, grundrechtlich geschützten Nutzungsbefugnisse durch die Befreiungsmöglichkeiten des § 31 II BauGB 540 sowie das Planschadensrecht 541 hinreichend iSd Art 14 I, III GG berücksichtigt sind. f) Ausnahmen Die Zulassungstatbestände der §§ 30, 34, 35 BauGB gelten nicht in vollem Umfang 142 bzw nicht ausnahmslos für alle Vorhaben. § 37 BauGB ermöglicht für näher bestimmte bauliche Maßnahmen des Bundes und der Länder Abweichungen von den 537 538

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Vgl o Rn 137. Vgl dazu auch BVerwGE 120, 130, 137. AA zu § 35 IV BauGB Sieckmann NVwZ 1997, 853, 856 f. Vgl o Fn 533. Für diese Sicht spricht auch die Entstehungsgeschichte der Neufassung des § 34 BauGB durch das BauROG. Die Begr zu § 34 des Entw der BReg (Fn 126) ging davon aus, dass gleichzeitig mit dem BauGB auch die BauNVO novelliert würde. Die beabsichtigten Änderungen der BauNVO hätten zu einer erheblichen Erleichterung bei der Zulassung von Vorhaben in den hier angesprochenen Konstellationen geführt. Angesichts der zudem erleichterten Befreiungsmöglichkeit nach § 31 II BauGB hielt man die Beibehaltung der Regelung des § 34 III BauGB nicht für notwendig. AA zB Hoppe/Krane FS 100 Jahre Allg Baugesetz Sachsen, 2000, 389, 407 sowie Gehrke/Brehsan NVwZ 1999, 932, 936, die für die Wiedererrichtung von Gebäuden im Innenbereich statt dessen vorschlagen, eine Prägung der Umgebung durch den zerstörten Altbestand anzunehmen, so dass sich der Ersatzbau in diese iSd § 34 I BauGB einfügt. Dazu o Rn 128. Dazu u Rn 182 ff.

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4. Kap III 4 a

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planungsrechtlichen Anforderungen.542 § 38 BauGB enthält für Planfeststellungsund -genehmigungsverfahren für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung sowie für Verfahren für die Errichtung und den Betrieb von öffentlich zugänglichen Abfallbeseitigungsanlagen nach dem BImSchG eine Freistellung von der Anwendung der §§ 29–37 BauGB (sog privilegierte Fachplanungen 543). Städtebauliche Belange sind in diesen Verfahren lediglich zu berücksichtigen.544 Da Vorhaben, über deren Zulässigkeit in den genannten Verfahren entschieden wird, keiner – zusätzlichen – Baugenehmigung bedürfen, bedeutet das, dass sie auch entgegen den §§ 29 ff BauGB errichtet werden können.

4. Instrumente und Maßnahmen zur Verwirklichung und Sicherung der Bauleitplanung 143 Bauleitplanung ist als Zielprogramm der städtebaulichen Entwicklung darauf angelegt, durch plankonforme Nutzung des beplanten Gebiets verwirklicht zu werden. Diesem Ziel dienen einige vom BauGB den Gemeinden und zuständigen Behörden zur Verfügung gestellte Maßnahmen und Instrumente. Sie sind überwiegend im Ersten Kapitel des BauGB (Allgemeines Städtebaurecht) geregelt. Ergänzend treten Regelungen aus dem Zweiten Kapitel (Besonderes Städtebaurecht) hinzu. a) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen 144 Vor Inkrafttreten eines Bebauungsplans besteht die Gefahr, dass die Verwirklichung der Planungsabsichten der Gemeinde durch tatsächliche bauliche Maßnahmen unmöglich oder erschwert wird. Dem sollen die Veränderungssperre und die Zurückstellung von Baugesuchen entgegenwirken. Die Veränderungssperre enthält, zeitlich befristet, abstrakte Verbotstatbestände für Bauvorhaben iSd § 29 BauGB (§ 14 I Nr 1 BauGB) sowie für näher bestimmte Veränderungen von Grundstücken oder baulichen Anlagen (§ 14 I Nr 2 BauGB). Die Zurückstellung von Baugesuchen bewirkt bei genehmigungsbedürftigen Vorhaben eine zeitlich befristete Aussetzung des Baugenehmigungsverfahrens bzw sonst eine zeitlich befristete, vorläufige Untersagung des Vorhabens im konkreten Fall. Der Anwendungsbereich beider Instrumente überschneidet sich, ist aber nicht deckungsgleich. Als Instrumente zur Sicherung der gemeindlichen Planung setzen sowohl die Veränderungssperre als auch die Zurückstellung von Baugesuchen nach § 15 I BauGB voraus, dass die Gemeinde gem § 2 I 2 BauGB für das betreffende Gebiet einen förmlichen Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst hat (§§ 14 I, 15 I BauGB). Es ist nicht erforderlich, dass der Aufstellungsbeschluss selbst bereits Aussagen über die beabsichtigte Planung enthält; allerdings muss die Planung insgesamt einen Stand erreicht haben, „der ein Mindestmaß dessen erkennen läßt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll“.545 Die Zurückstellung 542 543 544 545

Dazu Ritgen DÖV 1997, 1034 ff; Mampel UPR 2002, 92 ff. Vgl dazu schon o Rn 102 m Fn 359 sowie Lasotta DVBl 1998, 255 ff. Zu dem Begriff der Berücksichtigung o Rn 39 und Rn 102. BVerwGE 51, 121, 128; 120, 138, 146 f; Hager/Kirchberg NVwZ 2002, 400, 401 f. Vgl auch OVG Bautzen SächsVBl 2000, 193, 195; VGH Mannheim VBlBW 2002, 200, 200.

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4. Kap III 4 a

von Baugesuchen nach § 15 III BauGB 546 dient ebenfalls der Sicherung der gemeindlichen Planung und setzt voraus, dass die Gemeinde beschlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen. Die Veränderungssperre wird nach § 16 I BauGB als Satzung beschlossen. Ihre 145 Geltung ist nach § 17 I 1 BauGB zunächst auf zwei Jahre befristet; 547 die Gemeinde kann die Frist bis zu zweimal um jeweils ein Jahr verlängern (§ 17 I 3, II BauGB) und dann erneut beschließen, wenn die Voraussetzungen für den Erlass fortbestehen (§ 17 III BauGB).548 Die Zurückstellung von Baugesuchen erfolgt durch die Bauaufsichtsbehörde und ist ein Verwaltungsakt. Sie dient der Sicherung der Planungshoheit der Gemeinde, ist also kein Ausfluss eigener Entscheidungsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörde. Sie erfolgt aufgrund eines entsprechenden Antrags der Gemeinde, dem die Behörde stattzugeben hat (§ 15 I bzw III BauGB), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 15 I oder III BauGB vorliegen. Die Zurückstellung von Baugesuchen ist zeitlich (§ 15 I bzw III BauGB) befristet. Inhaltlich enthält die Veränderungssperre das Verbot, die in § 14 I BauGB näher 146 bezeichneten Vorhaben durchzuführen. Soweit kein Ausnahmetatbestand (§ 14 II–IV BauGB) vorliegt, ist während ihrer Geltungsdauer die Verwirklichung der entsprechenden Vorhaben planungsrechtlich unzulässig. Die Zurückstellung von Baugesuchen hat demgegenüber keinen Einfluss auf die materiell-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens.549 Sie löst lediglich dem Baubeginn, der Nutzungsänderung etc entgegenstehende Verfahrenshindernisse aus, die mit Fristablauf automatisch entfallen. Zulässige Veränderungssperren und Zurückstellungen von Baugesuchen sind 147 rechtmäßige Eigentumsbeeinträchtigungen, die prinzipiell entschädigungslos hinzunehmen sind. Wird die Veränderungssperre über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren hinaus aufrechterhalten, ist den Betroffenen gem § 18 I BauGB eine Entschädigung zu leisten, die zT als Enteignungsentschädigung (Art 14 III GG) angesehen wird.550 Fraglich ist, welche Rechtsfolgen rechtswidrige Veränderungssperren oder Zurückstellungen von Baugesuchen auslösen 551 und ob sie – wie auch andere sog faktische Bausperren 552 – als enteignungsgleiche Eingriffe Entschädi-

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Zum Bestimmtheitserfordernis hinsichtlich des Plangebiets OVG Weimar NVwZ-RR 2002, 415, 416 f → JK BauGB § 14/1. Vgl dazu auch Finkelnburg NVwZ 2004, 897, 901. Zu Einzelfragen der Fristberechnung Bielenberg/Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger (Hrsg), BauGB, (Fn 475) § 17 Rn 8 ff; Hager/Kirchberg NVwZ 2002, 400, 403 ff. Zu Besonderheiten in den Stadtstaaten § 246 I, II BauGB. Dazu zB BVerwG NVwZ 1993, 474, 474 f; OVG Lüneburg NVwZ-RR 2002, 417 ff. BVerwG DÖV 1972, 497, 498. ZB Friauf (Fn 3) 538. Vgl auch Breuer in: H. Schrödter (Hrsg), BauGB, § 18 Rn 1 ff. Zu § 18 I 1 BauGB als „selbstständige andere Veränderungssperre“ Schäling NVwZ 2003, 149 ff. Die Frage stellt sich ähnlich bei rechtswidrig verzögerter Behandlung oder rechtswidriger Ablehnung von Bauanträgen sowie bei von der Behörde rechtswidrig verhinderten Bauanträgen. Zu den verschiedenen faktischen Bausperren Hager/Kirchberg NVwZ 2002, 538, 540 f; Grabe BauR 1999, 1419, 1419 ff; Berkemann FS Weyreuther, 1993, 389 ff.

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gungsansprüche begründen.553 Faktische Bausperren sind – soweit rechtswidrig – keine Enteignungen iSd Art 14 III GG, sondern rechtswidrige Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art 14 I GG. Als Abwehrrecht räumt Art 14 I GG bei einer rechtswidrigen Beeinträchtigung, also bei einer Grundrechtsverletzung Abwehransprüche ein, die mit Hilfe des Primärrechtsschutzes (zB einer Verpflichtungsklage auf Erlass einer Baugenehmigung) gerichtlich durchzusetzen sind.554 Nur soweit der Primärrechtsschutz die Eigentumsminderung nicht zu kompensieren vermag, kommt ein Rückgriff auf den enteignungsgleichen Eingriff in Betracht.555 Gleiches gilt, wenn die Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes für den Betroffenen nicht zumutbar 556 war.557 b) Grundstücksteilung 148 Die Teilung von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans birgt die Gefahr einer Durchkreuzung der im Plan zum Ausdruck gekommenen planerischen Vorstellungen. Die in § 19 I BauGB legal definierte Grundstücksteilung ist gleichwohl 558 grds genehmigungsfrei. § 19 II BauGB bestimmt aber, dass durch die Teilung eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans keine Verhältnisse entstehen dürfen, die den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen.559 Eine bauordnungsrechtliche Teilungsgenehmigung kann allerdings landesrechtlich eingeführt werden.560 Grundstücksteilungen in Umlegungsgebieten (§ 51 I 1 Nr 1 BauGB), städtebau149 lichen Sanierungsgebieten (§ 144 II Nr 5 BauGB) und Entwicklungsbereichen (§ 169 I Nr 3 iVm § 144 II Nr 5 BauGB) bedürfen allerdings einer Genehmigung. Diese Normen sind leges speciales zu § 19 BauGB. Rn 150–152 entfallen 153

Der Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen dient § 22 BauGB. Danach können die Gemeinden, die oder deren Teile überwiegend durch den Fremdenverkehr geprägt sind, durch Bebauungsplan oder sonstige Satzung bestimmen, dass die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum oder Teileigentum einem Genehmigungsvorbehalt unterliegt. Das soll den Gemeinden helfen, dem Problem der schleichenden Umstrukturierung von Fremdenverkehrsgemeinden 553

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In diesem Sinne Hager/Kirchberg NVwZ 2002, 538, 541; Nüßgens/Boujong Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rn 165 ff mwN. BVerfGE 58, 300, 320, 324 → JK GG Art 14 I 2/13. Kreft FS Geiger, 1989, 399, 413; vgl auch Maurer AllgVwR, § 26 Rn 95 ff. Vgl BGHZ 90, 17, 31 f → JK GG Art 14/20; 91, 20, 24; Bielenberg (Fn 283) § 18 Rn 26. Daneben kommen Ansprüche aus Amtshaftung in Betracht, dazu Hager/Kirchberg NVwZ 2002, 538, 541. Sie war nach § 20 BauGB aF genehmigungspflichtig. Zur Begründung der Abschaffung der Genehmigungspflicht vgl BT-Drucks 15/2250, 32. Vgl zur Neuregelung Finkelnburg NVwZ 2004, 897, 902. Finkelnburg NVwZ 2004, 897, 902. Davon haben bisher Gebrauch gemacht: § 4 III BauO Bbg; § 94 BauO Nds; § 8 BauO NW; § 7 BauO Sachs.

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4. Kap III 4 c

durch eine überhandnehmende Vermehrung von Zweitwohnungen wirksam zu begegnen.561, 562 c) Gemeindliche Vorkaufsrechte Das BauGB räumt den Gemeinden zwei Arten von Vorkaufsrechten ein. Nach § 24 I 154 BauGB besteht ein gesetzliches Vorkaufsrecht („Allgemeines Vorkaufsrecht“) an Grundstücken, die in den von § 24 I 1 Nr 1–6 BauGB näher bezeichneten Gebieten liegen. Betroffen sind zB Grundstücke „im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke 563 oder für Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich im Sinne des § 1a Abs. 3 564 festgesetzt ist“ (§ 24 I 1 Nr 1 BauGB). Die „Besonderen Vorkaufsrechte“ werden gem § 25 I 1 Nr 1, 2 BauGB durch Satzung begründet, zB im Geltungsbereich eines Bebauungsplans an unbebauten Grundstücken. Die Vorkaufsrechte bestehen nur an Grundstücken, nicht an Wohnungseigentum oder Erbbaurechten (§§ 24 II, 25 II 1 BauGB). Durch das Vorkaufsrecht entsteht ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwi- 155 schen der Gemeinde und dem Grundstückseigentümer.565 Konsequenterweise wird das öffentlich-rechtliche Vorkaufsrecht durch Verwaltungsakt ausgeübt (§ 28 II 1 BauGB). Dieser Verwaltungsakt hat privatrechtsgestaltende Wirkungen, die sich nach den einschlägigen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften bestimmen (§ 28 II 2 BauGB). Durch die Ausübung des Vorkaufsrechts kommt ein privatrechtlicher Kaufvertrag 566 zwischen der Gemeinde 567 und dem Verpflichteten, dh dem Verkäufer, zustande, und zwar „unter den Bestimmungen …, welche der Verpflichtete mit dem Dritten vereinbart hat“ (§ 464 II BGB). Damit bemisst sich prinzipiell auch der Kaufpreis nach der Vereinbarung zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien. In Bezug auf die Kaufpreisgestaltung bestehen allerdings Ausnahmen. § 28 IV BauGB betrifft den Fall, in dem die Gemeinde ein Vorkaufsrecht gem § 24 I 1 Nr 1 BauGB ausübt, also im Hinblick auf ein Grundstück, das im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt und dort für öffentliche Zwecke oder für Ausgleichsflächen oder -maßnahmen iSd Naturschutzrechts vorgesehen ist. Könnte das Grundstück auch enteignet werden, richtet sich der Kaufpreis nach dem enteignungsrechtlichen Entschädigungswert.568 Eine weitere Ausnahme enthält § 28 III BauGB. Danach be561 562

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Vgl dazu Greiving DVBl 2001, 336, 336 f sowie Gaentzsch (Fn 282) § 22 Rn 1. Durch das EAG Bau wurde § 22 BauGB ua deshalb geändert, um in Fällen, in denen die Gemeinde von der Ermächtigung zum Erlass der Satzung keinen Gebrauch gemacht hat, das Grundbuchverfahren zu erleichtern und das Negativzeugnis entbehrlich zu machen, vgl BT-Drucks 15/2250, 52 f. ZB Verkehrs- oder Grünflächen, Versorgungs- oder Entsorgungsflächen. Dazu o Rn 102 a, 85. Vgl Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 259; Bönker (Fn 356) § 9 Rn 63 ff. Zu seiner Abwicklung Grziwotz NVwZ 1994, 215 ff. Ausnahmsweise kommt der Vertrag zwischen dem Verpflichteten und einem Dritten zustande, wenn die Gemeinde das Vorkaufsrecht nach Maßgabe des § 27a BauGB zugunsten eines Dritten ausübt. Dazu u Rn 169.

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4. Kap III 4 d

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misst sich der von der Gemeinde zu zahlende Betrag abweichend von § 28 II 2 BauGB nach dem Verkehrswert des Grundstücks (§ 194 BauGB), wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert „in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet“. Dem Verkäufer steht dann allerdings das Recht zu, innerhalb einer näher bestimmten Frist vom Vertrag zurückzutreten (§ 28 III 2 BauGB), wodurch das Vorkaufsrecht gegenstandslos wird. § 26 BauGB regelt den Ausschluss des Vorkaufsrechts ua zugunsten gesetzlich 156 privilegierter Käufer (§ 26 Nr 1, 2 BauGB) oder zB für den Fall, dass das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt wird (§ 26 Nr 4 BauGB). Darüber hinaus hat der Käufer die Möglichkeit der Abwendung des Vorkaufsrechts, wenn er sich verpflichtet, das Grundstück entsprechend den städtebaurechtlichen Bestimmungen und städtebaulichen Belangen zu verwenden; § 27 BauGB trifft dazu eine nähere Regelung. Schließlich kann die Gemeinde nach § 28 V BauGB durch öffentliche Erklärung für das ganze Gemeindegebiet oder sämtliche Grundstücke einer Gemarkung auf die Ausübung des Vorkaufsrechts widerruflich verzichten. Die städtebaurechtlichen Vorkaufsrechte dienen nicht nur der Sicherung der Bau157 leitplanung, sondern auch der gemeindlichen Bodenpolitik. Mit ihrer Hilfe kann die Gemeinde, auch ohne das äußerste Mittel der Enteignung anzuwenden, Grundstücke erwerben, um ihre städtebaulichen Vorstellungen zu verwirklichen. Sie kann damit zB Hortungskäufen spekulierender, aber nicht bauwilliger Privater vorbeugen. Allerdings unterbindet das Gesetz auch Hortungskäufe durch die Gemeinde. § 89 BauGB regelt eine Veräußerungspflicht der Gemeinde unter Berücksichtigung städtebaulicher und sozialpolitischer Belange (§ 89 III BauGB). d) Umlegung und vereinfachte Umlegung 158 Da im Bebauungsplan die Flächennutzungen unabhängig vom Grenzverlauf der Grundstücke festgesetzt werden können, kann der vorhandene Zuschnitt der Grundstücke einer plankonformen Gestaltung eines Gebietes im Wege stehen. Die Planverwirklichung ist in diesen Fällen auf einen Neuzuschnitt der Grundstücke bzw auf die Änderung von Grundstücksgrenzen angewiesen. Hierfür stehen nach dem BauGB die bodenrechtlichen Instrumente der Umlegung (§§ 45 ff BauGB) und der vereinfachten Umlegung (§§ 80 ff BauGB) zur Verfügung.569 Mit der Umlegung 570 können im Geltungsbereich eines Bebauungsplans sowie 159 innerhalb bestimmter im Zusammenhang bebauter Ortsteile bebaute und unbebaute Grundstücke „in der Weise neu geordnet werden, dass nach Lage, Form und Größe für die bauliche oder sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltete Grundstücke entstehen“ (§ 45 BauGB). Dabei werden die im „Umlegungsgebiet“ (§ 52 BauGB) gelegenen Grundstücke rechnerisch zu einer „Umlegungsmasse“ vereinigt (§ 55 I 569

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Insbes die Umlegung weist Ähnlichkeiten mit der Flurbereinigung nach dem FlurbereinigungsG v 16. 3. 1976 (BGBl I 546 ff), zul geänd durch G v 20. 12. 2001 (BGBl I 3987) auf. Vgl hierzu BVerfGE 74, 264 ff → JK GG Art 14 III/5. Dazu ausf zB Dieterich Baulandumlegung, 4. Aufl 2000; Schmidt-Aßmann Studien zum Recht der städtebaulichen Umlegung, 1996; Stock ZfBR 2004, 536, 538 ff zur Rechtslage nach dem EAG Bau.

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BauGB). Aus dieser Umlegungsmasse werden die nach dem Bebauungsplan festgesetzten oder erforderlichen Gemeinbedarfsflächen ausgeschieden (§ 55 II BauGB), und die verbleibende „Verteilungsmasse“ (§ 55 IV BauGB) wird den beteiligten Grundstückseigentümern zugeteilt (§ 59 I BauGB). Obwohl bei der Umlegung der Eigentümer idR sein konkretes Grundstück oder Teile davon verliert und dafür ein anderes oder anders geschnittenes Grundstück zurückerhält, soll es sich prinzipiell nicht um eine Enteignung handeln.571 Nach Auffassung des BGH bedeutet die Umlegung vielmehr „ihrem Wesen nach eine ungebrochene Fortsetzung des Eigentums an einem verwandelten Grundstück“.572 Das BVerfG erkennt zwar an, dass es sich um die Entziehung einer konkreten Rechtsposition handelt. Diese diene allerdings nicht der hoheitlichen Güterbeschaffung, sondern dem Ausgleich privater Interessen und soll aus diesem Grunde keine Enteignung sein.573 Nach § 80 I BauGB kann die Gemeinde eine Umlegung iSd § 45 BauGB als ver- 160 einfachte Umlegung aurchführen, wenn die in § 46 I BauGB bezeichneten Voraussetzungen vorliegen und wenn mit der Umlegung lediglich unmittelbar aneinander grenzende oder in enger Nachbarschaft liegende Grundstücke oder Teile von Grundstücken untereinander getauscht oder Grundstücke, insbesondere Splittergrundstücke oder Teile von Grundstücken einseitig zugeteilt werden. Die §§ 80–84 BauGB enthalten dazu nähere Regelungen.574 e) Erschließung Unter den heutigen Gegebenheiten ist ein Baugebiet erst dann in umfassender Hin- 161 sicht nutzbar, wenn es in verkehrsstruktureller, technischer und sozialer Hinsicht in seine Umgebung eingebunden, dh „erschlossen“ ist. Das BauGB verwendet den Begriff der „Erschließung“ allerdings nicht in diesem umfassenden und nicht einmal in einem einheitlichen Sinn. So ist der Begriff der Erschließung iSd Zulässigkeitstatbestände für bauliche Vorhaben (§§ 30 ff BauGB) grundstücksbezogen und umfasst zumindest den Anschluss des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz, die Versorgung mit Elektrizität und Wasser und die Abwasserbeseitigung.575 Der Begriff der Erschließung iSd §§ 123 ff BauGB ist demgegenüber gebietsbezogen und geht insofern über den grundstücksbezogenen Erschließungsbegriff hinaus.576 Unter Erschließung iSd §§ 123 ff BauGB versteht man die erstmalige 577 Herstellung von Erschließungsanlagen, die dazu dienen, das Baugebiet in baurechtlich zulässiger Weise nutzen zu können.578 Zu diesen Erschließungsanlagen zählen nicht nur Anlagen zur 571

572 573

574 575 576 577 578

BVerwGE 12, 1, 2; Löhr (Fn 285) Vor §§ 45–84 Rn 9; Breuer (Fn 550) § 45 Rn 20 ff. Offen gelassen in BVerwGE 85, 96, 98 f. Zur Umlegung im Lichte des Eigentumsschutzes Spannowsky UPR 2004, 321 ff mwN. BGHZ 100, 148, 156. BVerfGE 104, 1, 9 f → JK GG Art 14 I/42 m Bespr Selmer JuS 2002, 201 f. So auch Haas NVwZ 2002, 272, 273 f; vgl auch Christ DVBl 2002, 1517 ff. Vgl dazu Stock ZfBR 2004, 536 ff. Vgl o Rn 127. Löhr (Fn 285) § 123 Rn 12; Brohm (Fn 61) § 26 Rn 4. BVerwG NVwZ 1988, 355, 356. Vgl Ernst/Grziwotz in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, § 123

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Ableitung von Abwasser sowie zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser (vgl § 127 IV 2 BauGB), sondern zB auch Sammelstraßen innerhalb der Baugebiete (vgl § 127 II Nr 3 BauGB) sowie uU auch Parkflächen und Grünanlagen (§ 127 II Nr 4 BauGB). Die Erschließungslast, dh die Pflicht zur Herstellung der erforderlichen Anlagen, 162 tragen prinzipiell die Gemeinden (§ 123 I BauGB). Dieser Pflicht korrespondiert – grundsätzlich – kein Rechtsanspruch auf Erschließung (§ 123 III BauGB). Trotz dieses ausdrücklichen gesetzlichen Hinweises kann sich nach Ansicht des BVerwGs die gemeindliche Erschließungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zu einem von dem bauwilligen Bürger einklagbaren Anspruch auf Herstellung der für die funktionsgerechte Nutzung unerlässlichen Erschließungsmaßnahmen verdichten.579 Die Kosten der Herstellung gesetzlich näher bezeichneter Erschließungsanlagen 163 kann die Gemeinde durch Erhebung von Erschließungsbeiträgen 580 auf die Eigentümer der erschlossenen Grundstücke abwälzen. Das Erschließungsbeitragsrecht ist in den §§ 127 ff BauGB enthalten. Allerdings ist durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v 27. 10. 1994 581 die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für diese Materie entfallen. Jedoch gelten die §§ 127 ff BauGB gem Art 125 a I GG als Bundesrecht fort, bis es durch Landesrecht ersetzt wird. Von dieser Ersetzungsmöglichkeit haben die Länder bisher im Prinzip keinen Gebrauch gemacht.582 Die Gemeinden können bis zu 90 vH der Kosten der Herstellung von Erschließungsanlagen auf die betroffenen Eigentümer umlegen. Gem § 129 I 3 BauGB haben sie lediglich einen Anteil von mindestens 10 vH selbst zu tragen. Das gilt nur dann nicht, wenn eine Gemeinde gem § 124 I BauGB die Durchführung der Erschließung – nicht die Erschließungslast 583 – durch Vertrag auf einen Dritten überträgt (vgl § 124 II 2, 3 BauGB). Mit einem solchen öffentlich-rechtlichen Erschließungsvertrag 584 übernimmt ein Dritter die Pflicht, Erschließungsanlagen auf eigene Kosten herzustellen. Soweit der Gemeinde dadurch Kosten erspart bleiben, kann sie von den betroffenen Grundstückseigentümern keine Beiträge erheben.

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580 581 582

583

584

Rn 4b f; Driehaus in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 123 Rn 1 ff. BVerwGE 64, 186, 189 ff; DÖV 1993, 713 ff; BauR 2000, 247, 248 f; vgl auch § 124 III 2 BauGB sowie dazu BVerwG NVwZ-RR 2002, 413. Dazu ausf Driehaus Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl 2004. Vgl o Rn 9. Art 5 a des bayerischen Kommunalabgabengesetzes – KAG idF der Bekanntmachung v 4. 4. 1993 (GVBl 264), zul geänd durch G v 26. 7. 2004 (GVBl 280) enthält ergänzende Details zu § 127 II Nr 4 BauGB. Das Berliner Erschließungsbeitragsgesetz – EBG v 12. 7. 1995 (GVBl 444), zul geänd durch G v 15. 10. 2001 (GVBl 540) ersetzt die §§ 127 ff BauGB nicht, sondern konkretisiert diese nur in dem Umfang, in dem dies in den Flächenstaaten gem § 132 BauGB jew durch Satzung der Gemeinde geschieht. Nach außen bleibt die Gemeinde für die Erschließung verantwortlich, vgl zB Brohm (Fn 61) § 26 Rn 23. Vgl dazu noch u Rn 174. Dieser Vertrag ist nicht zu verwechseln mit einem privatrechtlichen Werkvertrag, den eine Gemeinde mangels eigener Hilfskräfte zB mit einem Bauunternehmen abschließt.

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4. Kap III 4 f bb

Dem die Durchführung der Erschließung vertraglich übernehmenden Dritten, der von der Gemeinde nicht das Recht der Beitragserhebung erwirbt, bleibt es unbenommen, seinen Aufwand durch privatrechtliche Vereinbarungen mit Grundstückskäufern oder Mietern abzudecken. Von den Erschließungsverträgen sind die sog Folgekostenverträge zu unterschei- 164 den. Das sind öffentlich-rechtliche Verträge, in denen sich Dritte zur Übernahme solcher Folgelasten verpflichten, die über die beitragsfähige Erschließung eines Gebiets hinaus entstehen können (zB die Errichtung eines Kindergartens).585 Sie haben in § 11 I 1 Nr 3 BauGB eine gesetzliche Regelung gefunden. f) Enteignung Die Verwirklichung der durch das Städtebaurecht und insbesondere durch Bebau- 165 ungspläne vorgezeichneten städtebaulichen Ordnung erfordert idR entweder die freiwillige Bereitschaft der privaten Eigentümer, die Nutzung ihrer Grundstücke an diesem Programm auszurichten, oder aber eine Einflussnahme auf den Eigentümer durch staatlichen Zwang. Letzterer wird sich regelmäßig in Nutzungsbeschränkungen und -lenkungen erschöpfen, kann aber im äußersten Fall auch den Entzug von Grundeigentum und seine Übertragung auf einen Dritten erfordern. Die aus städtebaulichen Gründen notwendige Enteignung ist in den §§ 85 ff BauGB geregelt.586 aa) Gegenstand: Nach § 86 BauGB können durch Enteignung Grundeigentum 166 und dingliche Rechte am Grundeigentum (zB Dienstbarkeiten) entzogen oder belastet werden (§ 86 I Nr 1, 2 BauGB), obligatorische Rechte zum Erwerb, Besitz oder zur Nutzung von Grundstücken (zB auf Kauf, Miete) entzogen (§ 86 I Nr 3 BauGB) oder solche Rechte begründet werden (§ 86 I Nr 4 BauGB). Schon von ihrem Gegenstand her, aber auch im Übrigen, ist die städtebauliche Enteignung der sog klassischen Enteignung 587 stark angenähert. Diese war und ist von ihrem Charakter her ein gemeinwohlmotivierter „Zwangskauf“ von Grund und Boden. Sie besteht in dem Entzug von Grundeigentum oder dinglichen Rechten durch Verwaltungsakt aufgrund Gesetzes zu Zwecken des Gemeinwohls gegen Entschädigung und in der Übertragung des Grundeigentums oder der dinglichen Rechte auf ein im öffentlichen Interesse liegendes privates 588 oder staatliches Unternehmen. Der mit der klassischen Enteignung verbundene Eingriff in private Rechte ist stets Enteignung iSd Art 14 III GG, ohne dass es dafür einer Heranziehung der Theorien zur Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung bedarf.589 bb) Zulässigkeit: Die Zulässigkeit der städtebaulichen Enteignung ist dement- 167 sprechend verfassungsrechtlich gebunden und setzt voraus, dass

585 586 587

588

589

Dazu noch u Rn 173. Dazu ausf Finkelnburg (Fn 302) § 24; Just (Fn 72) § 11. Dazu zB Frenzel Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, 1978, 36 ff; Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, 145 ff; Maurer FS Dürig, 1990, 293, 295 ff; Schmidt-Aßmann JuS 1986, 833, 834. Zu den Voraussetzungen einer Enteignung zugunsten Privater vgl BVerfGE 74, 264, 284 ff → JK GG Art 14 III/5 sowie Frenzel (Fn 587) 97 ff. Zu den Theorien im einzelnen zB Ossenbühl (Fn 587) 167 ff.

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4. Kap III 4 f bb

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– die Enteignung entweder durch Gesetz (sog Legalenteignung) oder aufgrund eines Gesetzes (sog Administrativenteignung) erfolgt (Gesetzesvorbehalt); – die Enteignung dem Wohl der Allgemeinheit dient; – die Enteignung das Übermaßverbot beachtet; – das Enteignungsgesetz Art und Ausmaß der Entschädigung regelt; – ein „rechtssicherndes Verfahren“ 590 gewährleistet ist, dh ein Verfahren, in dem eine „enteignungsrechtliche Gesamtabwägung aller Gemeinwohlgesichtspunkte und widerstreitenden Interessen unter Prüfung auch der Erforderlichkeit des Vorhabens“ 591 vorgenommen wird. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben liefern eine Grobstruktur zur Übersicht 168 über die Enteignungsvorschriften des BauGB: Die städtebauliche Enteignung ist wie die sog klassische Enteignung eine Administrativenteignung, die aufgrund eines Gesetzes (§§ 85 ff BauGB) durch Verwaltungsakt (§ 112 I BauGB 592) durchgeführt wird. Dabei bestimmt § 87 I BauGB ausdrücklich, dass die Enteignung im einzelnen Fall nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert. Dieses Gemeinwohlerfordernis wird durch die in § 85 BauGB abschließend 593 normierten Enteignungszwecke konkretisiert. Diese bieten zugleich den Ansatzpunkt für die Anwendung des Übermaßverbotes. Die Enteignung muss demnach geeignet sein, die in § 85 BauGB genannten Zwecke zu fördern,594 also zB „entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten“ (§ 85 I Nr 1 BauGB). Zumindest mittelbar lässt sich das Erfordernis der Geeignetheit als Teilelement des Übermaßverbotes auch § 87 I BauGB entnehmen, da im Falle der Zweckuntauglichkeit die Enteignung nicht vom Wohl der Allgemeinheit „erfordert“ ist. Unmittelbar spricht die Norm dagegen die Voraussetzung der Erforderlichkeit der Enteignung an 595 und bringt insbesondere zum Ausdruck, dass die Enteignung als der intensivste Eingriff in das Eigentum ultima ratio sein muss (§ 87 I BauGB: „… und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann“). Das Prinzip der Erforderlichkeit gilt auch im Hinblick auf das Ausmaß der Enteignung (§ 92 BauGB) und hat mit dem Vorrang des freihändigen Erwerbs (§ 87 II BauGB) seinen verfahrensrechtlichen Niederschlag gefunden.596 Schließlich erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ieS) eine Abwägung zwischen der Förderung der Enteignungszwecke (dem Gemeinwohl) und dem Eingriff in das Eigentumsgrundrecht des Betroffenen.597

590 591 592

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594 595 596 597

Schmidt-Aßmann JuS 1986, 833, 833. BVerfGE 74, 264, 293 f → JK GG Art 14 III/5. Der Enteignungsbeschluss gem § 112 I BauGB ist Verwaltungsakt, vgl Breuer (Fn 550) §112 Rn 1; Dyong in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg), BauGB, § 112 Rn 5 e. Battis (Fn 354) § 85 Rn 1; Halama in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 85 Rn 11. Vgl zB Halama (Fn 593) § 87 Rn 38. Dazu Halama (Fn 593) § 87 Rn 39 ff; Runkel (Fn 364) § 87 Rn 54 ff. Vgl Battis (Fn 354) § 87 Rn 4. Vgl von Brünneck NVwZ 1986, 425, 429 f; Halama (Fn 593) § 87 Rn 42 ff.

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4. Kap III 4 f dd

cc) Entschädigung: Die von der sog Junktim-Klausel des Art 14 III 2 GG ver- 169 langte gesetzliche Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung 598 enthalten §§ 93 ff BauGB. Der von Art 14 III GG und §§ 93 ff BauGB benutzte Begriff der Entschädigung macht deutlich, dass es sich nicht um Schadensersatz handelt. Schadensersatz will das schädigende Ereignis ungeschehen machen, ist also auf die Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (vgl § 249 I BGB). Die enteignungsrechtliche Entschädigung will demgegenüber das Sonderopfer ausgleichen, das der Betroffene durch die Enteignung tragen muss (Kompensation, nicht Restitution).599 Die Entschädigung soll den Substanzverlust ausgleichen.600 Sie erfolgt in Geld (§ 99 BauGB), durch Beschaffung von Ersatzland (§ 100 BauGB) oder durch Gewährung von anderen Rechten (§ 101 BauGB). Werden die enteigneten Grundstücke nicht zu dem Enteignungszweck verwendet, kann der enteignete frühere Eigentümer einen Anspruch auf sog Rückenteignung (§ 102 BauGB) haben. Nach § 95 I BauGB bemisst sich die Entschädigung nach dem Verkehrswert (§194 BauGB) des Gegenstands der Enteignung. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet, § 95 I 2 BauGB. Aufgrund der sog Reduktionsklauseln 601 des § 95 II BauGB bleiben allerdings bestimmte Wertsteigerungen, -änderungen und -erhöhungen unberücksichtigt, so zB Planungsgewinne, die durch „Heraufzonung“ des Grundstücks eingetreten sind. Soweit mit der Enteignungsentschädigung das Sonderopfer des Enteigneten nicht ausgeglichen wird (sog Folgeschäden 602), besteht ein zusätzlicher Entschädigungsanspruch gem § 96 BauGB. dd) Verfahren: Die städtebauliche Enteignung wird in einem gesetzlich detailliert 170 geregelten Verfahren (§§ 104 ff BauGB) durchgeführt, das nach § 104 I BauGB in die Zuständigkeit der vom Landesrecht bestimmten höheren Verwaltungsbehörde (Enteignungsbehörde) fällt. Die Zulässigkeit der Enteignung setzt im Hinblick auf das Verfassungsgebot der Erforderlichkeit zunächst voraus, dass sich der Antragsteller ernsthaft, aber vergeblich um den freihändigen Erwerb des Grundstücks bemüht hat (§ 87 II BauGB).603 Das eigentliche Enteignungsverfahren beginnt mit dem Antrag (§ 105 BauGB) des Antragsbefugten, dh derjenigen natürlichen oder juristischen Person, die die Absicht hat, einen der in § 85 BauGB genannten Enteignungszwecke zu verwirklichen. Die Enteignungsbehörde hat zunächst auf eine Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken (§ 110 I BauGB). Diese wirkt wie ein Enteignungsbeschluss (§ 110 III 1 BauGB), der gefasst werden muss, wenn eine Einigung nicht zustande kommt. Der Enteignungsbeschluss (§ 112 I BauGB) setzt zugleich Art und Höhe der Entschädigung fest. Er wird durch die Ausführungsanordnung (§ 117 BauGB) ausgeführt, der dingliche Wirkung zukommt (§ 117 V 1 598

599 600 601 602 603

Vgl dazu im einzelnen BVerfGE 46, 268, 285; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 592 ff. Dazu Papier (Fn 598) Art 14 Rn 603 ff; Ossenbühl (Fn 587) 207 ff. BGHZ 57, 359, 368; Ossenbühl (Fn 587) 209 f. Battis (Fn 354) § 95 Rn 1; Weiß in: Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, § 95 Rn 10. BGHZ 55, 294, 297; Breuer (Fn 550) § 96 Rn 1. Vgl schon o Rn 168 und u Rn 174.

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4. Kap III 4 g

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BauGB). In dringenden Fällen kann eine vorzeitige Besitzeinweisung (§ 116 BauGB) erfolgen. ee) Rechtsweg: Über die Zulässigkeit von städtebaulichen Enteignungen müssten 171 an sich die Verwaltungsgerichte (§ 40 I 1 VwGO) und über die Höhe der Entschädigung aufgrund der Sonderzuweisung des Art 14 III 4 GG die ordentlichen Gerichte entscheiden. Um eine Zweigleisigkeit des Rechtsweges zu vermeiden, hat der Gesetzgeber ua für alle mit der Enteignung zusammenhängenden Entscheidungen den „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ (§ 217 BauGB) vor den Kammern für Baulandsachen bei den Landgerichten eingerichtet. Die Kammern für Baulandsachen entscheiden nach § 220 I 2 BauGB in der Besetzung von zwei Richtern des Landgerichts einschließlich des Vorsitzenden sowie einem hauptamtlichen Richter des Verwaltungsgerichts. Entsprechend „gemischt“ ist die Besetzung des Senats für Baulandsachen bei dem Oberlandesgericht, der über die Berufung entscheidet (§ 229 I BauGB). Revisionsinstanz ist der Bundesgerichtshof (§ 230 BauGB). g) Städtebauliche Verträge 172 Die bisherige Darstellung des hoheitlichen städtebaulichen Instrumentariums könnte den Eindruck erwecken, die Gemeinden gingen zur Sicherung und Verwirklichung ihrer städtebaulichen Planung ausschließlich oder vornehmlich mit Befehl und Zwang vor. Tatsächlich ist die Realisierung gemeindlicher Planungsabsichten aber in hohem Maße auf die Mitwirkungsbereitschaft Betroffener angewiesen. Rechtsformen kooperativen Verwaltungshandelns gehören daher seit langem zum unverzichtbaren Instrumentarium des Städtebaurechts. Dabei erfüllen städtebauliche Verträge im Verhältnis zum einseitig hoheitlichen Instrumentarium eine in der Praxis unverzichtbare Ergänzungs- und Ersatzfunktion, indem sie die amtlichen Verfahren erleichtern und zT den Einsatz der Zwangsinstrumente ganz oder teilweise überflüssig machen. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Praxis des Städtebaurechts ein Besonderes Vertragsrecht herausbildet. Positivrechtlich zeigt sich diese Entwicklung 604 ua in § 11 BauGB. § 11 I 1 BauGB stellt ausdrücklich klar: „Die Gemeinde kann städtebauliche Verträge schließen“.605 § 11 I 2 BauGB nennt beispielhaft („insbesondere“) mögliche Gegenstände derartiger Verträge, für die § 11 II und III BauGB ua mit der Angemessenheitsklausel sowie dem Schriftformerfordernis Rechtmäßigkeitsanforderungen normieren.606 Als Typen städtebaulicher Verträge unterscheidet § 11 I 2 BauGB Verträge zur 173 Vorbereitung oder Durchführung städtebaulicher Maßnahmen durch den Vertrags604

605

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Ausf zu städtebaulichen Verträgen vor der Geltung von § 11 BauGB bzw der Vorläuferregelung des § 6 BauGBMaßnG Schmidt-Aßmann/Krebs (Fn 352). Zu § 6 BauGBMaßnG H.-J. Birk Die neuen städtebaulichen Verträge, 2. Aufl 1996; Scharmer NVwZ 1995, 219 ff. Zum Überblick über Typen städtebaulicher Verträge Schmidt-Aßmann FS Gelzer, 1991, 117 ff; Krebs DÖV 1989, 969 ff; Busse BayVBl 1994, 353 ff; Stüer DVBl 1995, 649 ff. Zu § 11 BauGB Hamann Der Verwaltungsvertrag im Städtebaurecht, 2003; Oerder BauR 1998, 22 ff; Erbguth VerwArch 89 (1998) 189, 210 ff; Brohm FS 100 Jahre Allg Baugesetz Sachsen, 2000, 457 ff; Bick DVBl 2001, 154 ff. Zur Inhaltskontrolle städtebaulicher Verträge anhand § 11 II BauGB BGH NVwZ 2003, 371 ff.

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4. Kap III 4 g

partner auf eigene Kosten (Nr 1), Verträge zur Förderung oder Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele (Nr 2), Verträge zur Übernahme von Kosten oder sonstigen Aufwendungen infolge städtebaulicher Maßnahmen (Nr 3) sowie solchen zur Nutzung von Netzen und Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung sowie von Solaranlagen für die Wärme-, Kälte- und Elektrizitätsversorgung (Nr 4). ZT greift das Gesetz damit Vertragstypen auf, die sich bereits vorher in der Praxis herausgebildet hatten. Das betrifft zB die in § 11 I 2 Nr 3 BauGB angesprochenen Folgekostenverträge,607 dh Verträge über solche Aufwendungen für die Herrichtung eines Baugebietes, die den Gemeinden jenseits abgabenrechtlich erstattungsfähiger Kosten entstehen. Gleiches gilt für die durch § 11 I 2 Nr 1 BauGB erfasste „freiwillige Umlegung“.608 Damit sind Vertragstypen gemeint, mit deren Hilfe sich Private, mit oder ohne Beteiligung der Gemeinde, freiwillig über einen Neuzuschnitt ihrer Grundstücke einigen, so dass sich die amtliche Umlegung 609 ganz oder teilweise erübrigt. Die nur partielle gesetzliche Regelung der städtebaulichen Verträge in § 11 174 BauGB bedeutet keine rechtliche Verwerfung der in der Norm nicht erwähnten Vertragstypen. Im Gegenteil bestimmt § 11 IV BauGB ausdrücklich, dass die „Zulässigkeit anderer städtebaulicher Verträge … unberührt“ bleibt. In Bezug genommen sind damit zum einen Verträge auf der Grundlage anderweitiger Bestimmungen des BauGB, die den Einsatz eines Vertrages voraussetzen oder zumindest von der Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung ausgehen. Nach der Reprivatisierungsnorm des § 89 BauGB hat die Gemeinde zB Grundstücke „zu veräußern“, die sie durch Ausübung des Vorkaufsrechts oder Enteignung erworben hat. Nach § 110 I BauGB hat die Enteignungsbehörde zur Vermeidung eines Enteignungsbeschlusses auf eine „Einigung“, dh auf einen öffentlich-rechtlichen 610 Enteignungsvertrag hinzuwirken. Die Enteignung erübrigt sich auch bei „freihändigem“, also vertraglichem 611 Erwerb des Grundstücks, um den sich der Antragsteller gemäß § 87 II BauGB ernsthaft bemüht haben muss. Zu einem öffentlich-rechtlichen Vertrag, dem schon erwähnten Erschließungsvertrag,612 ermächtigt § 124 I BauGB. Ebenfalls ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist der Sanierungsträgervertrag,613 der in § 159 BauGB eine detaillierte gesetzliche Regelung gefunden hat. Eine Aufforderung an die Gemeinden, städtebauliche Verträge zu schließen, findet sich in § 171 c BauGB für den Stadtumbauvertrag und in § 171 e V 4 BauGB für Verträge bzgl Maßnahmen der Sozialen Stadt. § 1 III 2 HS 2 BauGB lässt einen Rückschluss auf den Rahmen 607

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Dazu schon o Rn 164 sowie mit Vertragsmustern Grziwotz/Döring Baulanderschließung, 1993, 170 ff. Dazu BVerwG NVwZ 2002, 473, 475; Dieterich (Fn 570) Rn 465 ff; Schmidt-Aßmann/ Krebs (Fn 352) 42 ff. Dazu o Rn 158 ff. BGH NJW 1973, 656 f; Battis (Fn 354) § 110 Rn 2. Die Rechtsnatur des Vertrages ist umstritten; für privatrechtlich zB BGHZ 50, 284, 287; 84, 1, 3 ff; Ehlers Verwaltung in Privatrechtsform, 1983, 447; aA Gassner Der freihändige Grunderwerb der öffentlichen Hand, 1983, 150 ff. Vgl o Rn 163. Dazu Birk BauR 1999, 205 ff; Pietzcker FS Hoppe, 2000, 439, 442 ff. Dazu zB Fislake in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 159 Rn 9 ff.

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4. Kap III 5 a

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der (Un-)Zulässigkeit von Planungsverträgen zu, deren besondere Rechtsprobleme bereits angesprochen wurden.614 § 12 I BauGB ermächtigt schließlich ausdrücklich zum Abschluss eines Durchführungsvertrages im Rahmen der Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes.615 Unberührt iSd § 11 IV BauGB bleibt zudem die Zulässigkeit derjenigen Verträge, 175 die nach wie vor gesetzlich weder geregelt noch erwähnt sind. Beispielhaft sei auf die Baudispensverträge hingewiesen, die zT eine jahrzehntealte Tradition haben.616 Mit ihnen verpflichtet sich die Behörde zur Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung,617 im Gegenzug übernimmt der Bauherr zB Verpflichtungen hinsichtlich des Baugrundstücks.

5. Besonderes Städtebaurecht 176 Die Überschrift des Zweiten Kapitels des BauGB (§§ 136 ff) „Besonderes Städtebaurecht“ 618 ist insofern gerechtfertigt, als es im Wesentlichen Sonderregelungen für besondere städtebauliche Problemlagen enthält und dafür das Allgemeine Städtebaurecht ergänzt und modifiziert. a) Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen 177 Das Sanierungsrecht ist ein sachlich, räumlich und zeitlich begrenztes Sonderrecht 619 zur „Behebung städtebaulicher Missstände“ (§ 136 II 1 BauGB) durch „städtebauliche Sanierungsmaßnahmen“ (§ 136 I, II BauGB). Das BauGB konzipiert die Sanierung als gebietsbezogene Gesamtmaßnahme 620 in der Verantwortung der Gemeinde und gliedert das Sanierungsverfahren in die Vorbereitung (§§ 140 ff BauGB) und die Durchführung (§§ 146 ff BauGB) der Sanierung. Die Vorbereitung der Sanierung besteht aus den in § 140 BauGB aufgelisteten 178 Maßnahmen. Dazu zählt insbesondere die „vorbereitende Untersuchung“ (§§ 140 Nr 1, 141 BauGB). Sie dient ua dem Ziel, der Gemeinde Gewissheit darüber zu verschaffen, ob ein bestimmtes Gebiet städtebauliche Missstände aufweist und als Sanierungsgebiet ausgewiesen werden soll. Zur Beurteilung städtebaulicher Missstände normiert § 136 III BauGB einen Kriterienkatalog. Ob die Gemeinde ein Gebiet durch eine „Sanierungssatzung“621 (§ 142 III BauGB) förmlich als Sanierungsgebiet festlegt, steht in ihrem Ermessen (§ 142 I 1 BauGB). Eine Festlegung als 614 615 616

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Vgl o Rn 92 f. Dazu o Rn 88. Dazu E. Schulze Verwaltung und Wirtschaft, 1964, 23 ff; von Campenhausen DÖV 1967, 662 ff; Ehlers DVBl 1986, 529 ff. Vgl auch BGH DVBl 1967, 36 ff sowie zu Garagendispensverträgen u Rn 194. Dazu o Rn 128 und u Rn 206. Ausf Darstellungen bei Brohm (Fn 61) §§ 33–35; Finkelnburg (Fn 302) §§ 35 f; Bönker (Fn 356) § 13. Roeser (Fn 94) § 136 Rn 1. Vgl Krautzberger NVwZ 1987, 647, 649. Zu Besonderheiten in den Stadtstaaten vgl § 246 II BauGB.

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4. Kap III 5 b

Sanierungsgebiet löst weit reichende Rechtsfolgen aus,622 die zT im Allgemeinen Städtebaurecht (vgl §§ 24 I 1 Nr 3, 87 III 3, 88 S 2 BauGB), im Übrigen im Besonderen Städtebaurecht geregelt sind (vgl §§ 144, 145, 152ff BauGB). Die Gemeinde kann sich allerdings auch für das sog vereinfachte Verfahren entscheiden und in der Sanierungssatzung den Einsatz der Instrumente des Besonderen Städtebaurechts teilweise ausschließen (§ 142 IV BauGB). Die Durchführung der Sanierung umfasst nach § 146 I BauGB die Ordnungs- 179 und die Baumaßnahmen innerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets, die nach den Zielen und Zwecken der Sanierung erforderlich sind. Die Ordnungsmaßnahmen zählen gem § 147 BauGB zum Aufgabenbereich der Gemeinden, wohingegen die Durchführung der Baumaßnahmen den Eigentümern überlassen ist, „soweit die zügige und zweckmäßige Durchführung durch sie gewährleistet ist“ (§ 148 I BauGB). Zur Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vorbereitung und Durchführung der Sanierung kann sich die Gemeinde eines besonders qualifizierten Beauftragten (insbesondere: Sanierungsträger) bedienen, dessen Bestellung, Rechtsstellung und Aufgaben der Gesetzgeber einer eingehenden und differenzierten Regelung unterworfen hat (§§ 157ff BauGB). Ist die Sanierung durchgeführt, hat die Gemeinde die Sanierungssatzung aufzuheben. Dasselbe gilt, wenn sich die Sanierung als undurchführbar erweist oder die Sanierungsabsicht aus anderen Gründen aufgegeben wird (§ 162 I BauGB). Im Gegensatz zum Sanierungsrecht, das sich auf vorhandene Gebiete mit städte- 180 baulichen Missständen bezieht, gilt das Recht der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen 623 für Gebiete, in denen neue Siedlungseinheiten, dh neue Orte, Ortsteile oder Ortserweiterungen geschaffen werden sollen (vgl § 165 II BauGB). Das Instrumentarium, das der Gemeinde dazu zur Verfügung steht, entspricht im Wesentlichen dem des Sanierungsrechts (§ 169 I BauGB). b) Stadtumbau Durch das EAG Bau neu eingefügt wurden die §§ 171a–171d BauGB, die Vor- 180a schriften über den Stadtumbau beinhalten.624 Durch diese soll nach der Gesetzesbegründung der besonderen und zunehmenden Bedeutung von Stadtumbaumaßnahmen in Reaktion auf Strukturveränderungen vor allem in Demografie und Wirtschaft und den damit einhergehenden Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung Rechnung getragen werden.625 Stadtumbaumaßnahmen können nach § 171 a I BauGB anstelle oder ergänzend zu sonstigen Maßnahmen nach dem BauGB durchgeführt werden. § 171 a II BauGB definiert die Stadtumbaumaßnahmen, die nach § 171 a III 1 BauGB dem Wohl der 622

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Dazu, dass die städtebauliche Sanierung auch bei sehr langer Dauer keine Enteignung iSd Art 14 III GG ist, BVerwG DÖV 1997, 30, 30 f. Dazu Ax BauR 1996, 803 ff; Busch FS Hoppe, 2000, 405 ff; Stich GewArch 2001, 137 ff. Zur städtebaulichen Bedeutung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme Krautzberger WiVerw 1993, 85 ff; Porger WiVerw 1999, 36 ff. Einführend in die Neuregelungen Goldschmidt BauR 2004, 1402 ff; auch zur Sozialen Stadt ders DVBl 2005, 81 ff. BT-Drucks 15/2250, 32.

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4. Kap III 5 d

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Allgemeinheit dienen und insbesondere die Erreichung der in § 171 a III 2 BauGB genannten Ziele fördern sollen. Nach § 171 b II BauGB stellt die Gemeinde unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ein städtebauliches Entwicklungskonzept auf, das Grundlage für die Festlegung des Stadtumbaugebiets nach § 171 b I 1 BauGB ist. Nach § 171 c S 1 BauGB soll die Gemeinde Stadtumbaumaßnahmen auf der Grundlage von städtebaulichen Verträgen iSd § 11 BauGB insbesondere mit den beteiligten Eigentümern durchführen. In § 171 c S 2 sind mögliche Inhalte solcher Verträge nicht abschließend („insbesondere“) aufgezählt. Zur Sicherung von Durchführungsmaßnahmen kann die Gemeinde nach § 171 d I BauGB durch Satzung ein Gebiet bezeichnen, in dem bestimmte Vorhaben und Maßnahmen der Genehmigung bedürfen.626 § 171 d III BauGB begründet in bestimmten Fällen einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Unter den Voraussetzungen des § 171 d II BauGB können Baugesuche zurückgestellt werden. c) Soziale Stadt 180b § 171 e BauGB dient der Unterstützung der Programmziele des im Jahre 1999 eingeleiteten Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“.627 Die Gemeinde stellt nach § 171 e IV, V BauGB unter Beteiligung der Betroffenen und der öffentlichen Aufgabenträger ein Entwicklungskonzept auf, das Grundlage für den Beschluss nach § 171 e III BauGB ist. Durch diesen wird das Gebiet festgelegt, in dem die städtebaulichen Maßnahmen der Sozialen Stadt (Maßnahmen zur Stabilisierung und Aufwertung von durch soziale Missstände benachteiligten Teilen des Gemeindegebiets, § 171 e II 1 BauGB) gem § 171 e I BauGB durchgeführt werden können. Nach § 171 e IV, V BauGB bestehen Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten von Betroffenen (§ 137 BauGB) und öffentlichen Aufgabenträgern (§ 139 BauGB). Insbesondere sollen nach § 171 e V 4 BauGB städtebauliche Verträge geschlossen werden. d) Erhaltungssatzung und städtebauliche Gebote 181 Das Besondere Städtebaurecht ergänzt das Instrumentarium des Allgemeinen Städtebaurechts schließlich um solche Instrumente, mit denen die Gemeinden aktiv auf das städtebauliche Geschehen einwirken können. Nach §§ 172 ff BauGB kann die Gemeinde durch Bebauungsplan oder durch Satzung zur Erhaltung und Erneuerung der städtebaulichen 628 Eigenart eines Gebiets beitragen (Erhaltungssatzung 629). §§175ff BauGB ermächtigen die Gemeinden zu Baugeboten (§ 176 BauGB), Modernisierungs- und Instandsetzungsgeboten (§ 177 BauGB), Pflanzgeboten (§ 178 BauGB) und Rückbau- und Entsiegelungsgeboten (§ 179 BauGB).630

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Zu den Anwendungsmöglichkeiten dieses Satzungstyps Goldschmidt BauR 2004, 1707 ff. BT-Drucks 15/2250, 32. Zum Verhältnis dieser Vorschriften zum Denkmalschutzrecht vgl BVerfG DVBl 1987, 465 f; BVerwGE 114, 247 ff. Ausf dazu Finkelnburg (Fn 302) § 21. Zu den städtebaulichen Geboten zB Stüer DÖV 1988, 337 ff; Schlichter FS Weyreuther, 1993, 349 ff; Runkel ZfBR 1990, 163 ff.

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4. Kap III 6

6. Planschadensrecht Der Bebauungsplan enthält für den Bürger rechtsverbindliche Festsetzungen über 182 die Nutzungsmöglichkeiten der im Plangebiet gelegenen Grundstücke.631 Die Festsetzungen können für die Nutzungsberechtigten günstig sein, zB wenn der Bebauungsplan zuvor nicht bestehende Nutzungsmöglichkeiten eröffnet oder bestehende erweitert. Sie können aber im Fall einer Nutzungsbeschränkung oder eines Nutzungsentzugs für die Berechtigten auch ungünstig sein. Das Planschadensrecht der §§ 39 ff BauGB regelt, unter welchen Voraussetzungen Entschädigungen dafür zu leisten sind, dass jemand von einer Planungsmaßnahme nachteilig betroffen wird. Die Notwendigkeit derartiger Regelungen erscheint auf den ersten Blick keines- 183 falls selbstverständlich. Der Bebauungsplan geht aus einer Abwägung privater und öffentlicher Belange hervor (§ 1 VII BauGB) und hat damit auch Ausdruck eines verhältnismäßigen Ausgleichs mit den grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Privaten zu sein.632 Von daher liegt es nahe, den Bebauungsplan im Grundsatz als eine aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung vorgenommene Inhaltsund Schrankenbestimmung iSd Art 14 I 2 GG zu verstehen, die prinzipiell entschädigungslos hinzunehmen ist.633 Wenn §§ 39 ff BauGB gleichwohl einen Anspruch für durch Planung verursachte Vermögensnachteile (Planungsschäden) gewähren, könnte man das Planschadensrecht des BauGB als Entschädigungsregelung iSd Art 14 III GG deuten, die deshalb erforderlich sei, weil ein Bebauungsplan – ausnahmsweise – auch enteignend wirken,634 also eine „Administrativenteignung“ (Enteignung aufgrund eines Gesetzes) sein könne.635 §§ 39 ff BauGB müssen demgegenüber differenzierter beurteilt werden. Zum 184 einen ist der Hinweis zutreffend, dass „das Gesetz nicht gehindert ist, auch über den Bereich der Enteignung hinaus Entschädigungsansprüche zu gewähren“.636 Zum anderen kann grundrechtsdogmatisch das Übermaßverbot auch eine Entschädigungsleistung für eine Inhalts- und Schrankenbestimmung erfordern.637 Schließlich ist es keinesfalls unproblematisch, den Bebauungsplan überhaupt im Regelungsbereich des Art 14 III GG anzusiedeln.638 Jedenfalls können §§ 39 ff BauGB keine vollständige „Regelung“ einer (Administrativ-)Enteignung sein. Eine Enteignung erfordert die Einhaltung aller von Art 14 III GG aufgestellten Voraussetzungen,639 und die von Art 14 III 2 GG geforderte Entschädigungsregelung stellt nur eine dieser Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen dar. Nur bei Vorliegen einer auch im Übrigen zulässigen Enteignung durch Bebauungsplan 640 kann das Planschadensrecht 631 632 633 634 635

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Vgl o Rn 82 ff. Zur Abwägung vgl o Rn 97 ff. BVerfG NVwZ 1999, 979 f. So auch Friauf (Fn 3) 545 f. Vgl Finkelnburg (Fn 302) § 16 (S 193). So noch Erbguth/Wagner Bauplanungsrecht, 3. Aufl 1998, Rn 334 f; jetzt Erbguth/Wagner (Fn 54) § 7 Rn 13 mit Hinweis auf die Erfordernisse sowohl der Inhalts- und Schrankenbestimmung wie der Enteignung. Friauf (Fn 3) 546. BVerfGE 58, 137, 149 f → JK GG Art 14 I/12; Ehlers VVDStRL 51 (1992) 211, 232 ff. Ablehnend Peine (Fn 80) Rn 925. Dazu o Rn 167 ff. Vgl auch die Hinweise von Battis (Fn 354) Vorb §§ 39–44 Rn 5.

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4. Kap III 6

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der §§39 ff BauGB eine Enteignungsentschädigung iSd Art 14 III GG sein. Ein an sich unzulässig enteignender Bebauungsplan wird nicht durch §§ 39 ff BauGB legalisiert. Auch löst er nicht primär Entschädigungs-, sondern Abwehransprüche aus. Systematisch lassen sich im Planschadensrecht der §§ 39 ff BauGB drei Arten von 185 Entschädigungsregelungen unterscheiden: – Entschädigung für entwertete Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Bestand eines Bebauungsplans getätigt wurden (§ 39 BauGB); – Entschädigung für die Festsetzung von öffentlichen Flächen, Belastungen und Bindungen (§§ 40, 41 BauGB) und – Entschädigung bei Änderung oder Aufhebung einer zulässigen Nutzung (§ 42 BauGB).641 Für das Verhältnis der Anspruchsgrundlagen zueinander bestimmt die Konkurrenzklausel des § 43 III BauGB, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 40 und 41 I BauGB „eine Entschädigung nur nach diesen Vorschriften zu gewähren“ ist. Das betrifft im Wesentlichen aber nur das Verhältnis zwischen § 42 BauGB und §§ 40, 41 I BauGB.642 Der Vertrauenstatbestand des § 39 BauGB gewährt Entschädigung für die durch 186 Planänderung verursachte Entwertung von Aufwendungen (zB Architektenhonorare), die im Vertrauen auf den Bestand eines Bebauungsplans gemacht wurden. Entschädigungsberechtigt sind nicht nur Eigentümer, sondern auch „sonstige Nutzungsberechtigte“, also Berechtigte auf Grund dinglicher (zB Erbbaurecht) oder obligatorischer (zB Miete, Pacht) Berechtigung. Voraussetzung ist das Vertrauen in einen „rechtsverbindlichen“ Bebauungsplan, so dass ein rechtsunwirksamer Bebauungsplan keinen Entschädigungsanspruch auszulösen vermag.643 Der Anspruchsberechtigte kann die Entschädigung nach § 39 S 1 BauGB „in Geld“ verlangen. Inwieweit eine entschädigungsrechtliche Gleichstellung geboten ist, wenn Aufwendungen im Vertrauen auf den Fortbestand einer nach §§ 34, 35 BauGB bestehenden, zulässigen Nutzung getätigt worden sind, ist umstritten.644 Einem Grundstückseigentümer können auch dadurch Vermögensnachteile ent187 stehen, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 9 I BauGB) die privatnützige Nutzung seines Grundstücks zugunsten einer fremdnützigen vermindern. § 40 I BauGB listet 14 dieser Fälle auf und sucht den Eigentümer dadurch zu entschädigen, dass er ihm einen Anspruch auf Übernahme des Grundstücks durch die öffentliche Hand einräumt (§ 40 II BauGB). Der Eigentümer kann damit im praktischen Ergebnis eine Enteignung erzwingen,645 hat allerdings auch nur die Wahl zwischen der Abgabe des Grundstücks oder der Hinnahme der verminderten Nutzungsmög641

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Zu Ansprüchen aus § 42 BauGB bei Ausweisung eines Vorranggebietes für Windkraftanlagen im Flächennutzungsplan Heuwinkel NdsVBl 2004, 298 ff. Entschädigungsansprüche außerhalb des Planschadensrechts bleiben unberührt. Zwischen § 41 II BauGB und § 42 BauGB gibt es ebensowenig Überschneidungen wie zwischen § 39 S 1 BauGB und §§ 40–42 BauGB. BGHZ 84, 292, 295 f. Dazu Remmert DVBl 1995, 221 ff. Friauf (Fn 3) 548.

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4. Kap III 6

lichkeit. Das soll mit Art 14 GG vereinbar sein, weil die Verwirklichung der Festsetzungen idR ohnehin den Erwerb des Grundstücks erfordere.646 Auch § 41 BauGB gewährt Entschädigungsansprüche für fremdnützige Belastungen des Grundstücks. Enthält der Bebauungsplan Festsetzungen über Geh-, Fahr- und Leitungsrechte, kann der Eigentümer nach § 41 I BauGB die Begründung einer entschädigungspflichtigen Dienstbarkeit verlangen; 647 bei Festsetzungen über Bepflanzungen räumt § 41 II BauGB unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf angemessene Entschädigung „in Geld“ ein. Für die Fälle, in denen §§ 40 und 41 I BauGB nicht eingreifen (vgl § 43 III 188 BauGB), gewährt der „Auffangtatbestand“ 648 des § 42 BauGB einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, wenn die zulässige Nutzung eines Grundstücks 649 durch den Bebauungsplan 650 aufgehoben oder geändert wird und dadurch eine „nicht nur unwesentliche Wertminderung des Grundstücks“ eintritt (§ 42 I BauGB). Die Entschädigungsleistung regelt das Gesetz differenziert. Innerhalb einer Frist von sieben Jahren ab Zulässigkeit der Nutzung wird die Entschädigung abstrakt für die verminderte Nutzungsmöglichkeit berechnet, dh unabhängig davon, ob der Berechtigte von der Nutzungsmöglichkeit auch Gebrauch gemacht hat (§ 42 II BauGB). Danach kommt es darauf an, inwieweit der Berechtigte die Nutzung auch tatsächlich ausgeübt hat (§ 42 III BauGB). Das bewirkt einen mittelbaren Druck auf den Eigentümer zu plankonformer Grundstücksnutzung. Zur Entschädigung verpflichtet ist in erster Linie der durch eine Festsetzung Be- 189 günstigte (§ 44 I 1 BauGB). Dient eine Festsetzung der Beseitigung oder Minderung von Auswirkungen, die von der Nutzung eines anderen Grundstücks ausgehen, kann dessen Eigentümer zur Entschädigung verpflichtet sein (§ 44 II BauGB). Zumindest subsidiär haftet stets die Gemeinde (§ 44 I 2, 3 BauGB).

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Vgl Battis (Fn 354) § 40 Rn 3; Finkelnburg (Fn 302) § 16 (S 196). Vgl Einzelheiten zB bei Paetow in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow (Hrsg), Berliner Kommentar, § 41 Rn 3 ff. Battis (Fn 354) § 42 Rn 1. Die Zulässigkeit der Nutzung kann sich auch aus §§ 34, 35 BauGB ergeben, vgl Finkelnburg (Fn 302) § 16 (S 199); Schieferdecker in: Hoppe/Bönker/Grotefels (Hrsg), BauR, § 8 Rn 22. Zu der umstr Frage, ob die Aufhebung der Nutzung außer durch Bebauungsplan oder sonstige städtebauliche Satzung auch dadurch erfolgen kann, dass die Nutzungsmöglichkeiten in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil durch die Erteilung von Baugenehmigungen allmählich umstrukturiert werden, BGHZ 64, 366 ff; 81, 347 ff; Paetow (Fn 647) § 42 Rn 10 mwN.

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4. Kap IV 1

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IV. Bauordnungsrecht 1. Funktionen des Bauordnungsrechts 190 Das Bauordnungsrecht 651 regelt im Wesentlichen materielle Anforderungen an das Baugrundstück und an bauliche Anlagen.652 Darüber hinaus regelt es den Vollzug dieser Normen sowie den des Städtebaurechts 653 durch die Bauaufsichtsbehörden. Die materiellen Anforderungen lassen sich hauptsächlich in solche der Gefahrenabwehr und solche der Festlegung ästhetischer und sozialer Mindeststandards gruppieren. Darüber hinaus finden sich auch Festlegungen ökologischer Standards.654 Das diese Anforderungen regelnde Bauordnungsrecht ist allerdings in den LBauOen nicht nach den genannten Funktionen geordnet. Das würde auch Schwierigkeiten bereiten, weil sich die Funktionen überschneiden können und eine Norm mehrere Funktionen zugleich haben kann. Sowohl im Baugenehmigungsverfahren als auch bei der Aufsicht über errichtete Anlagen haben die Bauaufsichtsbehörden nicht nur auf die Einhaltung des Städtebaurechts und des Bauordnungsrechts zu achten. Vielmehr formulieren die LBauOen ganz allgemein, dass die Baugenehmigung nur erteilt werden darf, „wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen“.655 Ebenso kommt zB die Anordnung der Beseitigung einer baulichen Anlage in Betracht, sobald sie „im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert“ wurde (§ 80 S 1 MBO 656). Den Bauaufsichtsbehörden obliegt daher im Grundsatz auch die Überprüfung der Voraussetzungen von Normen zB des Wege-, Verkehrs-, Gewerbe-, Immissionsschutz-, Naturschutz- 657 oder Denkmalschutzrechts. Insofern lässt sich sagen, dass zu den Funktionen des Bauordnungsrechts auch der Schutz außerbaulicher Belange zählt.658

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Zu aktuellen Entwicklungen im Bauordnungsrecht vgl den jährlich erscheinenden Bericht von Ortloff zul NVwZ 2004, 934 ff. Bauliche Anlagen sind nach der Legaldefinition der LBauOen „mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen“ (§ 2 I 1 MBO). Zum Verhältnis des bauplanungsrechtlichen zum bauordnungsrechtlichen Begriff der „baulichen Anlage“ vgl o Rn 123 f. Zum Verhältnis der Rechtsmaterien zueinander vgl o Rn 7. Vgl Brohm (Fn 61) § 5 Rn 1. Vgl so oder ähnlich § 62 I 1 BauO Bln; § 67 I BauO Bbg; § 74 I 1 HS 1 BauO Brem; § 69 I 1 BauO Hbg; § 75 I 1 BauO NW; § 70 I 1 BauO RP; § 73 I 1 BauO Saarl; § 77 I 1 BauO LSA; § 78 I 1 BauO SchlH. Enger § 58 I 1 BauO BW; Art 72 I BauO Bay; § 64 I BauO Hess; § 72 I 1 BauO MV; § 75 I BauO Nds; § 72 I 1 BauO Sachs; § 70 I 1 BauO Thür sowie § 72 I MBO 2002. Vgl § 65 BauO BW; Art 82 BauO Bay; § 70 I 1 BauO Bln; § 74 I BauO Bbg; § 82 I BauO Brem; § 76 I 1 BauO Hbg; § 7 I 1 BauO Hess; § 80 I 1 BauO MV; § 89 I 1, 2 Nr 4 BauO Nds; § 81 S 1 BauO RP; § 82 I 1 BauO Saarl; § 80 BauO Sachs; § 84 III 1 BauO LSA; § 86 I 1 BauO SchlH; § 77 BauO Thür. Vgl zB o Rn 136 m Fn 486. So Friauf (Fn 3) 555. Zu den Grenzen der Prüfungskompetenz der Bauaufsichtsbehörden im Baugenehmigungsverfahren vgl aber auch u Rn 211.

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Baurecht

4. Kap IV 1 a

a) Gefahrenabwehr Zu den klassischen, vom Staat stets wahrgenommenen Aufgaben gehören die der 191 Gefahrenabwehr. In seinem berühmten § 10 Teil II Titel 17 (§ 10 II 17) bestimmte das PrALR v 1. 6. 1794: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey“. Die Wahrnehmung der in § 10 II 17 PrALR normierten Aufgabe der Gefahrenabwehr fiel in Preußen in die Zuständigkeit der Polizei („Baupolizei“). Die bauordnungsrechtlichen Generalklauseln knüpfen auffällig an diese baupolizeiliche Tradition an, wenn es heißt, dass bauliche Anlagen so „anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instandzuhalten (sind), daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden“ (§ 3 I MBO 659). Die gesetzlich getroffene Begriffswahl ähnelt der der allgemeinen ordnungs- und polizeirechtlichen Aufgabenzuweisungs- und Ermächtigungsnormen.660 Das spricht dafür, die Begriffe „Gefahr“ und „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ entsprechend dem ordnungs- und polizeirechtlichen Verständnis auszulegen.661 Die Einzelvorschriften des materiellen Bauordnungsrechts erschöpfen sich aber nicht in Konkretisierungen der Generalklausel. Vielmehr können sie auch Anforderungen enthalten, die über die der Generalklausel hinausgehen. Die Generalklausel behält aber für den Bereich der Gefahrenabwehr die Funktion eines Auffangtatbestandes. Neben der Generalklausel und den übrigen materiellrechtlichen Einzelvorschrif- 192 ten in den LBauOen finden sich weitere Bestimmungen zur Verwirklichung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen in den Rechtsverordnungen,662 zu deren Erlass die LBauOen ausdrücklich ermächtigen (§ 85 MBO 663). Eine Fülle von technischen Bestimmungen über das Bauwerk und seine Ausführung enthalten zudem die ua in der Generalklausel angesprochenen „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ bzw die „durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln“ (§ 3 III 1 MBO). Diese sind im Wesentlichen in den 659 660 661

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Vgl § 1 I 1, 2 BauO Nds; § 3 II BauO SchlH; § 3 I (1) aller übrigen LBauOen. Dazu → Schoch 2. Kap Rn 52. Grotefels in: Hoppe/Bönker/Grotefels (Hrsg), BauR, § 14 Rn 12; Schenke in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 9 Rn 45 ff. Soweit die obersten Bauaufsichtsbehörden ermächtigt werden, „zur Verwirklichung der in § 3 Abs. 1 und 2 bezeichneten Anforderungen“ durch Rechtsverordnungen Vorschriften zu erlassen (vgl § 85 I MBO), muss wie bei den polizei- und ordnungsrechtlichen Verordnungsermächtigungen auch das Vorliegen einer abstrakten Gefahr genügen. ZT verzichten die Ordnungs- und PolizeiGe inzwischen auf die Normierung des Schutzgutes „öffentliche Ordnung“, vgl zB § 8 I PolG NW. In Berlin zB FeuerungsVO v 20. 8. 1996 (GVBl 454); Verordnung über die Evakuierung von Rollstuhlbenutzern (EvakVO) v 15. 6. 2000 (GVBl 361). Vgl § 73 BauO BW; Art 90 BauO Bay; § 76 BauO Bln; § 80 BauO Bbg; § 86 BauO Brem; § 81 BauO Hbg; § 80 BauO Hess; § 85 BauO MV; § 95 BauO Nds; § 85 BauO NW; § 87 BauO RP; § 86 BauO Saarl; § 88 BauO Sachs; § 89 BauO LSA; § 91 BauO SchlH; § 82 BauO Thür.

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4. Kap IV 1 a

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von sachverständigen Gremien des deutschen Normenausschusses erarbeiteten Regelwerken der DIN-Normen sowie in den VDI-Vorschriften und den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften enthalten. Durch ihre gesetzliche Einbeziehung erhalten die technischen Regeln zwar nicht den Charakter von Rechtsnormen.664 Werden sie aber beachtet, kann davon ausgegangen werden, dass das Vorhaben den gesetzlichen Anforderungen, auf die sich die Regeln jeweils beziehen, entspricht.665 Die LBauOen stellen zum einen – sehr detaillierte – Anforderungen an die bau193 liche Anlage selbst, etwa unter dem Gesichtspunkt der Standsicherheit, des Brandschutzes und des Wärmeschutzes. Hierzu zählen auch Vorschriften über die Beschaffenheit von Bauteilen, Baustoffen, von Wänden, Treppen, Aufzügen und haustechnischen Anlagen etc. Zum anderen stellen die LBauOen Anforderungen an das Grundstück selbst und an die Art und Weise seiner Bebauung. So darf ein Gebäude nur errichtet werden, wenn das Grundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt.666 Besonderer Erwähnung bedarf dabei die Regelung über Abstandsflächen (insbesondere früher sog Bauwiche).667 Mit Abstandsflächen sind die prinzipiell freizuhaltenden Flächen zwischen den Gebäuden gemeint.668 Sie dienen unterschiedlichen Zwecken, zB der Versorgung der Räume mit Tageslicht, der Durchlüftung der Freiräume und dem Brandschutz. Der Konzeption der von § 6 MBO vorgesehenen Abmessungen liegt die Vorstellung zugrunde, dass mit der Wahrung des einen Belanges zugleich die anderen Belange mitberücksichtigt werden können, so dass der Gesamtheit der Abstandsregelungen ein einheitliches Maß zugrunde gelegt werden kann.669 Zum Schutz des ruhenden Verkehrs vor Überlastung ist die Errichtung einer bau194 lichen oder anderen Anlage davon abhängig, dass Garagen oder Stellplätze in ausreichender Größe und geeigneter Beschaffenheit vorhanden sind.670 Sie sind auf 664

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BVerwG BauR 2000, 859, 860, 861 f. Zur Problematik der technischen Regeln im Recht zB Brohm (Fn 61) § 5 Rn 9 ff. Ortloff in: Finkelnburg/Ortloff (Hrsg), BauR, 22 f; Dürr/Korbmacher Baurecht für Berlin, Rn 254. § 4 I MBO. So oder ähnlich § 4 I BauO BW; Art 4 I Nr 2 BauO Bay; § 4 I BauO Bln; § 4 I Nr 2 BauO Bbg; § 4 I Nr 2 BauO Brem; § 4 I 2 BauO Hbg; § 4 I BauO Hess; § 4 I BauO MV; § 5 I BauO Nds; § 4 I Nr 1 BauO NW; § 6 II Nr 1 BauO RP; § 5 I BauO Saarl; § 4 I BauO Sachs; § 4 I BauO LSA; § 4 II BauO SchlH; § 4 I BauO Thür. § 6 MBO. Vgl §§ 5 f BauO BW; Art 6 BauO Bay; §§ 7 ff BauO Nds; § 8 BauO RP; § 7 BauO Saarl und jew § 6 aller übrigen LBauOen. Im Hinblick auf die Abstandsflächenregelung kann es zu Überschneidungen bauplanungsund bauordnungsrechtlicher Regelungen kommen, vgl o Rn 7. Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 292; vgl zu den Abstandsflächen weiter Ortloff (Fn 665) 27 ff. Vgl § 37 BauO BW; Art 52 II BauO Bay; § 43 I, II, VI BauO Bbg; § 49 I BauO Brem; § 48 I BauO Hbg; § 44 I BauO Hess; § 48 I BauO MV; § 47 II 1 BauO Nds; § 51 I BauO NW; § 47 I BauO RP; § 47 I BauO Saarl; § 49 I BauO Sachs; § 53 I BauO LSA; § 55 I BauO SchlH; § 49 I BauO Thür. § 86 I Nr 4 iVm § 49 MBO 2002 sieht hingegen nur die Möglichkeit vor, dass Gemeinden durch Ortssatzung eine derartige Pflicht zur Schaffung von Stellplätzen begründen können. In Berlin sind Stellplätze für Kfz gem § 48 I 1 BauO Bln nur bei der Errichtung öffentlich zugänglicher Gebäude und insoweit auch nur in aus-

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dem Baugrundstück oder „in zumutbarer Umgebung davon“ herzustellen. In baulich verdichteten Gebieten oder in Gebieten mit alter Bausubstanz ist aber uU die Schaffung von Parkraum für den Bauherrn ausgeschlossen oder aus städtebaulichen Gründen untunlich. Auch kann die Herstellung von Stellplätzen oder Garagen bauplanungsrechtlich unzulässig (§ 12 VI BauNVO) oder, soweit die Herstellungspflicht noch unmittelbar in der LBauO angeordnet ist, von den Gemeinden untersagt oder eingeschränkt sein.671 Um die Bebaubarkeit des Grundstücks – oder die wesentliche Änderung oder Nutzungsänderung der baulichen Anlage – nicht schon aus diesem Grund auszuschließen, sehen die LBauOen 672 die Möglichkeit der Ablösung der Stellplatzpflicht vor. Danach „kann“ die Bauaufsichtsbehörde mit Einverständnis der Gemeinde auf die an sich erforderliche Schaffung von Parkraum verzichten, wenn der zur Herstellung Verpflichtete einen Geldbetrag an die Gemeinde nach Maßgabe einer gemeindlichen Satzung zahlt.673 Zum Verfahren der Geltendmachung des Ablösebetrages enthält die MBO keine Regelung. Demgegenüber bestimmt § 51 V 3 BauO NW: „Den Geldbetrag zieht die Gemeinde ein“.674 Diese Vorschrift ermächtigt zum Erlass eines Verwaltungsakts,675 stellt andererseits aber – wie auch die entsprechenden Vorschriften der anderen LBauOen – keine dem Abschluss eines Verwaltungsvertrages („Garagendispensvertrag“) „entgegenstehende Rechtsvorschrift“ iSd § 54 S 1 VwVfGe dar.676 § 43 III 1 BauO Bbg sieht demgegenüber den öffentlich-rechtlichen Vertrag als alleinige Handlungsform der Gemeinde zur Ablösung der Stellplatzpflicht vor. Bauordnungsrechtlichen Anforderungen an das Grundstück und die Art und 195 Weise seiner Bebauung kann das Baugrundstück selbst häufig nicht oder nur schwer genügen. Daher sieht das Gesetz in einigen Fällen vor, dass derartige Voraussetzungen durch Inanspruchnahme anderer Grundstücke erfüllt werden können, wenn diese Inanspruchnahme „öffentlich-rechtlich gesichert“ ist.677 Als Instrument zur

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reichender Zahl für schwer Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer herzustellen. Im Übrigen besteht in Berlin lediglich eine Stellplatzpflicht im Hinblick auf Fahrräder. Vgl insoweit nun auch § 49 III MBO. So oder ähnlich § 74 II Nr 3 BauO BW; Art 91 II Nr 4 BauO Bay; § 81 IV Nr 2 BauO Bbg; § 49 V BauO Brem; § 48 VI BauO Hbg; § 44 I 2 Nr 6 BauO Hess; § 48 V 3 BauO MV; § 47 II 3 BauO Nds; § 51 IV Nr 2 BauO NW; § 47 IV 1 iVm § 88 III Nr 3 BauO RP; § 47 III 1 iVm § 85 I Nr 8 BauO Saarl; § 55 V 4 BauO SchlH; § 49 I 3 BauO Thür. Vgl § 37 V BauO BW; Art 53 BauO Bay; § 43 III BauO Bbg; § 49 VI BauO Brem; § 49 BauO Hbg; § 44 I 2 Nr 8 BauO Hess; § 48 VI BauO MV; § 47 a I BauO Nds; § 51 V BauO NW; § 47 IV BauO RP; § 47 III iVm § 85 I Nr 9 BauO Saarl; § 49 II 1 BauO Sachs; § 53 II BauO LSA; § 55 V 2, VI BauO SchlH; § 49 III BauO Thür sowie § 49 II iVm § 86 I Nr 4 MBO 2002. Nach BVerwG BauR 2005, 375 ff ist der Stellplatzablösebetrag verfassungsmäßig und keine unzulässige Sonderabgabe. Die übrigen LBauOen beschränken sich auf eine der MBO entsprechende Regelung. OVG Münster NJW 1983, 2834, 2834 f. Vgl zB OVG Lüneburg BauR 1987, 672, 673; OVG Münster DVBl 1977, 903, 904; BauR 1985, 69, 70 und insbes Ehlers DVBl 1986, 529 ff. Zum Dispensvertrag schon o Rn 175. Im Hinblick auf Abstandsflächen: § 6 II 3 MBO. So oder ähnlich § 7 I 1 BauO BW; Art 7 V 1 BauO Bay; § 6 II BauO Bbg; § 6 II 2 BauO Brem; § 7 S 1 BauO Hbg; § 7 I BauO Hess;

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Herstellung dieser öffentlich-rechtlichen Absicherung baurechtlicher Anforderungen kennen die LBauOen die Baulast 678 (§ 83 MBO 679). Mit der Baulast können nicht nur bauordnungsrechtliche, sondern auch bauplanungsrechtliche Anforderungen an ein Grundstück sichergestellt werden.680 Die Übernahme einer Baulast bedeutet, dass der Grundstückseigentümer durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung 681 gegenüber der Bauaufsichtsbehörde eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung 682 zu einem Verhalten in Bezug auf sein Grundstück übernimmt, die sich nicht ohnehin schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergibt. Die in das Baulastenverzeichnis eingetragene Verpflichtung 683 kann von der Bauaufsichtsbehörde mit den Mitteln der Bauaufsicht durchgesetzt werden. b) Ästhetische Anforderungen 196 Die Baugestaltung war in Form des Schutzes vor baulichen Verunstaltungen schon im PrALR angesprochen. § 65 I 8 PrALR bestimmte: „In der Regel ist jeder Eigenthümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder ein Gebäude zu verändern wohl befugt“. § 66 I 8 PrALR ergänzte: „Doch soll zum Schaden oder zur Unsicherheit des gemeinen Wesens, oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze, kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden“. Unter „Verunstaltung“ verstand das PrOVG die „Herbeiführung eines positiv häßlichen, jedes offene Auge verletzenden Zustandes“.684 Zur Pflege der örtlichen Eigenart und Bauweise, der Schonung alter Ortsbilder und der Erhaltung von Baudenkmälern ergingen in Preußen später das Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden v 2. 6. 1902685 und das Gesetz gegen die Verunstal-

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§ 7 I 1 BauO MV; § 9 II BauO Nds; § 7 I 1 BauO NW; § 9 I 1 BauO RP; § 8 VI 1 BauO Saarl; § 6 II 2 BauO Sachs; § 7 I 1 BauO LSA; § 7 I 1 BauO SchlH; § 6 II 3 BauO Thür. Dazu BVerwG NVwZ 1995, 377, 377 f; Broß VerwArch 86 (1995) 483 ff; Schwarz BauR 1998, 446 ff. Zu zivilrechtlichen Aspekten Masloh NJW 1995, 1993 ff. §§ 71 f BauO BW; § 73 BauO Bln; § 85 BauO Brem; § 79 BauO Hbg; § 75 BauO Hess; § 83 BauO MV; §§ 92 f BauO Nds; § 83 BauO NW; § 86 BauO RP; § 83 BauO Saarl; § 83 BauO Sachs; § 87 BauO LSA; § 89 BauO SchlH; § 80 BauO Thür. In § 65 BauO Bbg ist statt der Baulast eine öffentlich-rechtliche Sicherung durch eine in das Grundbuch einzutragende beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu Gunsten der Gebietskörperschaft vorgesehen. Die BauO Bay kennt kein Sicherungsinstrument dieser oder ähnlicher Art. Ortloff (Fn 665) 82 ff; in Bezug auf planungsrechtliche Baulasten einschränkend Dürr/ Korbmacher (Fn 665) Rn 266 mwN. BGH DVBl 1981, 922, 923 mwN; Brohm (Fn 61) § 4 Rn 16. Ortloff (Fn 665) 79; Grotefels (Fn 661) § 15 Rn 104; Dürr/Korbmacher (Fn 665) Rn 263. § 83 I 2 MBO. Nach § 73 I 3 BauO Bln; § 85 II 2 BauO Brem; § 79 I 2 BauO Hbg; § 75 I 2 BauO Hess; § 83 I 2 BauO MV; § 92 I 2 BauO Nds; § 83 I 3 BauO NW; § 86 I 2 BauO RP; § 83 I 2 BauO Saarl; § 83 I 2 BauO Sachs; § 87 I 2 BauO LSA; § 89 I 2 BauO SchlH; § 80 I 2 BauO Thür wird die Baulast durch Eintragung im Baulastverzeichnis wirksam. Keine ausdrückliche Regelung zur konstituierenden Wirkung der Eintragung in § 71 I BauO BW. PrOVGE 9, 353, 382 – Kreuzberg-Urteil, auch abgedruckt in DVBl 1985, 219 ff. Dazu Weyreuther Eigentum, öffentliche Ordnung und Baupolizei, 1972. GS 159.

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tung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden v 15. 7. 1907.686 Reichsrechtlich wurde die Verunstaltungsabwehr Gegenstand der Regelung der Baugestaltungsverordnung v 10. 11. 1936.687 Der Verunstaltungsschutz gehört also zu den traditionellen Funktionen des Bauordnungsrechts. Die normativen Restriktionen privater Bauvorhaben müssen sich heute an den 197 Grundrechten, insbesondere an Art 14 I und II GG messen lassen.688 Die staatliche Beschränkung der Gestaltungsabsichten des Bauherrn zugunsten ästhetischer Belange wirft in grundrechtlicher Hinsicht deshalb besondere Probleme auf, weil bei Heranziehung des Übermaßverbotes 689 die staatlich verfolgten bauästhetischen Interessen keineswegs stets Vorrang vor denen des Bauherrn haben müssen. Insbesondere steht nicht fest, dass die staatliche oder gemeindliche Vorstellung von der Bauwerks- oder Stadtbildgestaltung stets das gegenüber den Vorstellungen Privater bessere ästhetische Konzept sein muss. Dies legt eine restriktive Auslegung und Anwendung der auf die Baugestaltung zielenden Vorschriften nahe. Diesen Vorgaben kommen die Formulierungen der bauordnungsrechtlichen Vor- 198 schriften entgegen, die die Anforderungen an die Baugestaltung überwiegend als „Verunstaltungsschutz“ ausformen.690 Danach dürfen bauliche Anlagen „nicht verunstaltet wirken“ und sind mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht „verunstalten“ (§ 9 MBO 691). An Werbeanlagen 692 werden dabei erhöhte Anforderungen gestellt.693 Bei der Errichtung oder Änderung baulicher Anlagen kann verlangt werden, dass die Oberfläche des Grundstücks erhalten oder verändert wird, um eine Störung des Straßen-, Ortsoder Landschaftsbildes zu vermeiden.694

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GS 260. RGBl I 938. Dazu o Rn 27 ff. Vgl o Rn 30. Noch weitergehend ist zB die Verpflichtung zur gärtnerischen Anlage und Unterhaltung nicht überbauter Flächen, § 8 I MBO; § 9 I BauO BW; Art 5 I BauO Bay; § 8 I, II BauO Bln; § 7 I BauO Bbg; § 7 II BauO Brem; § 9 I BauO Hbg; § 8 I 1 Nr 2 BauO Hess; § 8 I BauO MV; § 14 II, III BauO Nds; § 9 I BauO NW; § 10 IV BauO RP; § 11 I BauO Saarl; § 8 I Nr 2 BauO Sachs; § 9 I BauO LSA; § 9 I BauO SchlH; § 9 I Nr 2 BauO Thür. Vgl § 11 I, II BauO BW; Art 3 I 3, 11 BauO Bay; § 10 BauO Bln; § 8 BauO Bbg; § 12 BauO Brem; § 12 I, II BauO Hbg; § 9 BauO Hess; § 10 BauO MV; §§ 1 III, 53 BauO Nds; § 12 BauO NW; § 5 BauO RP; § 4 BauO Saarl; § 9 BauO Sachs; § 12 BauO LSA; § 14 BauO SchlH; § 12 BauO Thür. § 10 MBO; § 11 III Nr 1 BauO BW; Art 11 II BauO Bay; § 11 BauO Bln; § 9 BauO Bbg; § 13 BauO Brem; § 13 BauO Hbg; § 53 BauO MV; § 49 BauO Nds; § 13 BauO NW; § 52 BauO RP; § 15 BauO Saarl; § 13 BauO LSA; § 10 BauO Sachs; § 15 BauO SchlH; § 13 BauO Thür. Soweit Werbeanlagen bauliche Anlagen iSd Landesbauordnungen darstellen, gelten für sie zudem die allgemeinen Bauordnungsvorschriften. VGH München BRS 65, Nr 148f; OVG Koblenz BauR 2003, 868f; OVG Berlin BRS 65, Nr 151. Vgl § 10 Nr 1 BauO BW; Art 10 I BauO Bay; § 8 IV BauO Bln; § 7 II BauO Bbg; § 7 IV BauO Brem; § 8 II BauO MV; § 9 III BauO NW; § 10 I BauO RP; § 5 V 2 Nr 1 BauO Saarl; § 9 II BauO LSA; § 9 IV BauO SchlH.

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Der Begriff der Verunstaltung bringt schon seinem Wortsinn nach zum Ausdruck, dass er nur auf die Abwehr ästhetischer Missgriffe zielt, nicht aber den Bauherrn zur Übernahme der baugestalterischen Vorstellungen der Bauaufsichtsbehörde zwingt.695 Das BVerwG versteht unter dem Begriff der Verunstaltung, der umfassender gerichtlicher Überprüfung unterliegt, einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht bloß beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand.696 Dabei ist umstritten, über welche ästhetische Sensibilität der die Frage der Verunstaltung beurteilende „Beschauer“ verfügen muss. Das BVerwG setzt auch insoweit das Maß nicht allzu hoch an, wenn es „das Empfinden jedes für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters …, also des sogenannten gebildeten Durchschnittsmenschen“ für maßgeblich erachtet.697 Unter Zugrundelegung dieser Kriterien kann das Gericht das (Nicht-)Vorliegen einer Verunstaltung ohne Hinzuziehung von Sachverständigen, ggf nach Augenscheinnahme, selbst beurteilen.698 Nicht nur auf negative Verunstaltungsabwehr, sondern auch auf positive Baugestaltung können die örtlichen Bauvorschriften gerichtet sein, die die Gemeinden erlassen dürfen (§ 86 MBO 699). c) Soziale Standards

200 Aufgrund von Art 20 I, 28 I 1 GG hat der Staat ein Mandat zur Verfolgung sozialstaatlicher Belange. Die Wahrnehmung wohlfahrts- und sozialpflegerischer Aufgaben gehört daher zu den verfassungsrechtlich legitimen Funktionen auch des Bauordnungsrechts. Sie kommen zwar nicht immer in den bauordnungsrechtlichen Generalklauseln,700 wohl aber in zahlreichen Einzelvorschriften zum Ausdruck. Zu ihnen zählen etwa Vorschriften über die Bereitstellung von Spielflächen für Kinder 701 und die Mindestausstattung von Wohnungen 702 sowie Regelungen zum 695

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OVG Münster NVwZ 1993, 89, 89; OVG Hamburg BRS 42, Nr 134 (S 307); Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 296. BVerwGE 2, 172, 176 f. Der Begriff der Verunstaltung genügt den rechtsstaatlichen Geboten der Rechtsklarheit und -sicherheit, BVerfG NVwZ 1985, 819 f (Vorprüfungsausschuss). BVerwGE 2, 172, 177; 27, 129, 130 f; OVG Münster BRS 35, Nr 130; OVG Mannheim BRS 39, Nr 144. Hoppe GS F. Klein, 1977, 190, 206; OVG Berlin BRS 20, Nr 122. Vgl § 74 BauO BW; Art 91 BauO Bay; § 81 BauO Bbg; § 87 BauO Brem; § 81 BauO Hess; § 86 BauO MV; § 56 BauO Nds; § 86 BauO NW; § 88 BauO RP; § 85 BauO Saarl; § 89 BauO Sachs; § 90 BauO LSA; § 92 BauO SchlH; § 83 BauO Thür. Sozialstaatliche Belange kommen positiv in § 3 IV BauO BW; § 3 I 2 BauO Brem; § 1 II BauO Nds; § 3 I Nr 5 BauO Saarl; § 3 III BauO LSA; § 3 I BauO SchlH zum Ausdruck. Vgl auch § 4 BauO RP. Kaum hingegen in § 3 der übrigen LBauOen. Vgl § 8 II MBO; § 9 II BauO BW; Art 8 BauO Bay; § 8 III BauO Bln; § 7 III BauO Bbg; § 8 BauO Brem; § 10 BauO Hbg; § 8 II BauO Hess; § 8 III–V BauO MV; § 9 II BauO NW; § 11 BauO RP; § 10 II BauO Saarl; § 8 II BauO Sachs; § 9 III–V BauO LSA; § 10 BauO SchlH; § 9 II BauO Thür. Vgl § 48 MBO; §§ 35 f BauO BW; Art 46 ff BauO Bay; §§ 45 ff BauO Bln; § 41 BauO Bbg; §§ 47 f BauO Brem; § 45 BauO Hbg; § 43 BauO Hess; §§ 45 ff BauO MV; §§ 44 f BauO Nds; §§ 49 f BauO NW; §§ 44 ff BauO RP; § 46 BauO Saarl; § 48 BauO Sachs; §§ 50 ff BauO LSA; §§ 52 ff BauO SchlH; § 46 BauO Thür.

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4. Kap IV 2

Schutz von besonders schutzbedürftigen Personengruppen 703. Im Übrigen können auch nicht spezifisch sozialstaatliche Vorschriften soziale Funktionen (mit-)erfüllen, zB die Regelungen über Abstandsflächen,704 die neben der Gefahrenabwehr auch dem „Nachbarfrieden“ dienen können.705 d) Ökologische Standards Gem Art 20a GG schützt der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen. Dementspre- 200a chend finden sich in mehreren Bestimmungen der MBO und der LBauOen ökologische Standards.706 Zudem müssen bereits aufgrund der Generalklausel des § 3 I MBO bauliche Anlagen so beschaffen sein, dass die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden.707 Um bauordnungsrechtliche und ökologische Belange in Ausgleich zu bringen, sehen einige Landesbauordnungen außerdem eine Privilegierung von Windenergieanlagen hinsichtlich der einzuhaltenden Abstandsflächen vor.708

2. Die baurechtliche Verantwortlichkeit Nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht haftet der Verantwortliche für die Beseiti- 201 gung der Gefahr. Dabei ist die „Verursachung“ wesentliches Kriterium für die Begründung der polizei- und ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit.709 Auch das Bauordnungsrecht, das in weiten Teilen Gefahrenabwehrrecht („Baupolizeirecht“) ist, knüpft im Grundsatz an dieses Kriterium an. Allerdings nehmen die LBauOen auf die Besonderheiten der Sachmaterie Rücksicht und gestalten in den Regelungen über „Die am Bau Beteiligten“ die baurechtliche Verantwortlichkeit differenziert aus (§§ 52ff MBO 710). Im Hinblick auf die Errichtung, Änderung, Nutzungsände-

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§ 50 MBO sowie § 39 BauO BW; Art 51 BauO Bay; § 51 BauO Bln; § 45 BauO Bbg; § 53 BauO Brem; § 52 BauO Hbg; § 46 BauO Hess; § 52 BauO MV; § 48 BauO Nds; § 55 BauO NW; § 51 BauO RP; § 50 BauO Saarl; § 50 BauO Sachs; § 57 BauO LSA; § 59 BauO SchlH; § 53 BauO Thür. Vgl o Rn 193. Vgl Dürr/Korbmacher (Fn 665) Rn 222: „Wohnfrieden“; ebenso Hahn/Radeisen BauO Bln, § 6 Rn 1. Vgl §§ 8 I, 11 IV, 13 MBO. Vgl § 1 I 2 BauO Nds; § 3 I Nr 4 BauO Saarl; Art 3 I BauO Bay sowie jew § 3 I der übrigen LBauOen. § 13 I Nr 7 a BauO Nds; § 6 X 2–5 BauO NW; § 8 X Nr 2 BauO RP. Zu den baurechtlichen Problemen von Windenergieanlagen Jeromin BauR 2003, 820 ff. Dazu → Schoch 2. Kap Rn 117 ff. §§ 41 ff BauO BW; Art 55 ff BauO Bay; §§ 52 ff BauO Bln; §§ 46 ff BauO Bbg; §§ 54 ff BauO Brem; §§ 53 ff BauO Hbg; §§ 47 ff BauO Hess; §§ 54 ff BauO MV; §§ 57 ff BauO Nds; §§ 56 ff BauO NW; §§ 54 ff BauO RP; §§ 52 ff BauO Saarl; §§ 52 ff BauO Sachs; §§ 58 ff BauO LSA; §§ 60 ff BauO SchlH; §§ 54 ff BauO Thür. Auch außerhalb des Abschnitts über die am Bau Beteiligten enthalten die LBauOen gelegentlich Bestimmungen über den Verantwortlichen, vgl zB § 12 III BauO BW; Art 12 III BauO Bay; § 12 III BauO Bln; § 10 III BauO Bbg; § 14 III BauO Brem; § 14 III BauO Hbg; § 11 III BauO MV; § 17

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4. Kap IV 3

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rung und den Abbruch baulicher Anlagen haften nicht nur der Bauherr, sondern „im Rahmen ihres Wirkungskreises“ auch andere am Bau beteiligte Personen (idR Entwurfsverfasser, Unternehmer, Bauleiter) für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Dabei sind die jeweiligen Verantwortungsbereiche an den verschiedenen Funktionen der Beteiligten (Planen – Ausführen – Überwachen) und an den durch berufliche Standards geprägten Anforderungsprofilen ausgerichtet. Diese spezialgesetzlichen Regelungen schließen in ihrem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf die im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht normierte Verhaltensverantwortlichkeit aus.711 Die Verantwortlichkeit der am „Bau Beteiligten“ endet jedoch mit der Fertigstellung des jeweiligen Vorhabens. Im Anschluss gelten daher für die Verantwortlichkeit bzgl der Vereinbarkeit von baulicher Anlage und Grundstück mit dem öffentlichen Recht die allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Grundsätze.712

3. Bauaufsichtsbehörden 202 Zuständig für den Vollzug der jeweiligen LBauO sowie anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften über die Errichtung, Änderung, Nutzung oder den Abbruch baulicher Anlagen sind die Bauaufsichtsbehörden (vgl § 57 I 2 MBO). Der Behördenaufbau entspricht dem der Verwaltungsorganisation im jeweiligen Bundesland, dh in den Flächenstaaten ist er regelmäßig 713 dreistufig,714 bei nur zweistufigem Verwaltungsaufbau entsprechend zweistufig.715 Die Bauaufsicht bezeichnet § 58 I MBO undifferenziert als „Aufgabe des Staates“.716 In der untersten Instanz, der grundsätzlich die eigentlichen Vollzugsaufgaben zukommen, sind idR 717 kommunale Stellen zuständig. Diese nehmen die Aufgaben der Bauaufsicht als Auftragsangelegenheiten bzw als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung 718 wahr.719 Die Bauaufsichtsbehörden handeln als Sonderpolizei- bzw Sonderordnungsbehörden.720

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III BauO Nds; § 14 III BauO NW; § 53 III BauO RP; § 11 IV BauO Saarl; § 11 II, III BauO Sachs; § 14 IV BauO LSA; § 16 IV BauO SchlH; § 14 III BauO Thür. Grotefels (Fn 661) § 15 Rn 4; Schenke (Fn 661) § 9 Rn 66. Ortloff (Fn 665) 124; Grotefels (Fn 661) § 15 Rn 9. Vgl insofern die jew Landesorganisationsgesetze. § 57 I MBO sowie § 46 BauO BW; Art 59 BauO Bay; § 52 BauO Hess; § 60 I BauO NW; § 58 BauO RP; § 57 I BauO Sachs; § 63 BauO LSA; § 59 BauO Thür. Vgl § 51 BauO Bbg; § 59 BauO MV; § 63 I BauO Nds; § 58 I BauO Saarl; § 65 BauO SchlH. Vgl nun auch § 57 I BauO Saarl. Anderes gilt zB in den Stadtstaaten sowie zT in Baden-Württemberg und im Saarland. Auftragsangelegenheit: Art 60 I BauO Bay; § 65 II BauO Nds; § 58 IV BauO RP; § 58 I BauO Saarl; § 64 I BauO LSA; § 59 I Nr 1 BauO Thür. Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung: § 47 IV 1 BauO BW; § 52 I BauO Bbg; § 52 I 2 BauO Hess; § 59 I 2 BauO MV; § 60 II 1 BauO NW iVm §§ 12, 3 OBG NW; § 58 I BauO Sachs; § 65 III BauO SchlH. Diese Differenzierung ist für die Aufsicht über die Bauaufsichtsbehörden rechtserheblich. Dazu → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 44. Der Rechtscharakter der Aufgaben richtet sich nach dem differenzierten Aufgabenzuschnitt des jew Landesrechts. Dazu → SchmidtAßmann/Röhl 1. Kap Rn 33 ff. Dazu Lisken in: ders/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl 2001, Abschn C Rn 2.

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4. Kap IV 4 a aa

4. Zulassung von Vorhaben Die Bauaufsichtsbehörden haben dafür Sorge zu tragen, dass bei der baulichen Nut- 203 zung von Grundstücken die öffentlich-rechtlichen Vorschriften, besonders die des öffentlichen Baurechts, eingehalten werden.721 Dazu steht ihnen ein differenziertes Instrumentarium zur Verfügung, mit dessen Hilfe sie sowohl präventiv (vorgängige Kontrolle) als auch repressiv (nachgängige Kontrolle) auf das Baugeschehen einwirken können. Mit der vorgängigen Kontrolle baulicher Vorhaben beschäftigen sich die Vorschriften über ihre Zulassung. Dabei sehen die LBauOen als gesetzlichen Regelfall die Genehmigungsbedürftigkeit der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und des Abbruchs baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen vor (§ 59 I MBO 722). Hiervon bestehen aber verschiedene Ausnahmen.723 a) Genehmigungsbedürftige Vorhaben aa) Genehmigungsarten: Die Baugenehmigung zielt grundsätzlich auf eine umfas- 204 sende Kontrolle des ganzen Bauvorhabens vor Baubeginn. Eine partielle, dh nur auf bestimmte Normen ausgerichtete Kontrolle des Vorhabens attestiert der Vorbescheid (§ 75 MBO 724), dessen Erteilung der Bauherr durch eine sog Bauvoranfrage beantragen kann. Der praktisch bedeutsamste Fall ist dabei die Abklärung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens („Bebaubarkeit“ des Grundstücks). In dieser Fallgestaltung wird der Vorbescheid daher auch Bebauungsgenehmigung 725 genannt. Der Vorbescheid steht in seiner rechtlichen Bedeutung – bezogen auf den jeweiligen Kontrollumfang – der Baugenehmigung gleich und ist insofern ein vorweggenommener Teil der Baugenehmigung. Er berechtigt allerdings noch nicht zum Bauen.726 Vergleichbare Rechtswirkungen hat die Typengenehmigung,727 die für 721

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Vgl die generalklauselartige Aufgabenumschreibung in § 58 II 1 MBO; § 47 I 1 BauO BW; Art 60 II 1 BauO Bay; § 52 II 1 BauO Bbg; § 61 I 1 BauO Brem; § 58 I 1 BauO Hbg; § 53 II 1 BauO Hess; § 60 I 1 BauO MV; § 65 I 1 BauO Nds; § 61 I 1 BauO NW; § 59 I 1 HS 1 BauO RP; § 57 II 1 BauO Saarl; § 58 II 1 BauO Sachs; § 64 II 1 BauO LSA; § 66 I 1 BauO SchlH; § 60 II 1 BauO Thür. Zu den Grenzen des bauaufsichtlichen Prüfungsumfanges im Baugenehmigungsverfahren vgl u Rn 211. Vgl § 49 BauO BW; Art 62 BauO Bay; § 55 BauO Bln; § 54 BauO Bbg; § 64 BauO Brem; § 60 BauO Hbg; § 54 I 1 BauO Hess; § 62 BauO MV; § 68 BauO Nds; § 63 I 1 BauO NW; § 61 BauO RP; § 60 I BauO Saarl; § 59 I BauO Sachs; § 66 I BauO LSA; § 68 I BauO SchlH; § 62 I BauO Thür. Dazu u Rn 215. Vgl § 57 BauO BW; Art 75 BauO Bay; § 59 BauO Bln; § 59 BauO Bbg; § 69 BauO Brem; § 65 BauO Hbg; § 66 BauO Hess; § 68 BauO MV; § 74 BauO Nds; § 71 BauO NW; § 72 BauO RP; § 76 BauO Saarl; § 75 BauO Sachs; § 72 BauO LSA; § 72 BauO SchlH; § 73 BauO Thür. Dazu BVerwG NJW 1984, 1473f → JK BauNVO § 11 III/1; VGH München NVwZ 1994, 307; Ortloff NVwZ 1983, 705 ff; Goerlich NVwZ 1985, 90 ff. Zum Verhältnis von Vorbescheid und Baugenehmigung OVG Münster NVwZ 1997, 1006f; VGH Mannheim BRS 63, Nr 184 (bes S 788 f) → JK LBO BW § 57 I 1/1. Vgl § 65 BauO Bln; § 77 BauO Brem; § 72 BauO Hbg; § 75 BauO MV; § 78 BauO NW; § 75 BauO RP; § 80 BauO LSA; § 81 BauO SchlH. Einige Landesbauordnungen sehen im Anschluss an § 66 IV 3 MBO die Typengenehmigung nicht mehr vor, sondern haben sie

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4. Kap IV 4 a cc

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bauliche Anlagen erteilt werden kann, die in derselben Ausführung an mehreren Stellen errichtet werden sollen (zB Fertighäuser). Auch sie ersetzt die Baugenehmigung nicht, die Prüfung im Baugenehmigungsverfahren beschränkt sich aber auf die Besonderheiten des konkreten Falles. Eine nicht auf die ganze bauliche Anlage, sondern nur auf Teile davon bezogene Kontrolle bescheinigt die Teilbaugenehmigung (§ 74 MBO 728). bb) Anspruch auf Genehmigung: Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn die 205 Voraussetzungen des jeweiligen Genehmigungstatbestandes vorliegen. Das ist idR der Fall, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.729 Da die Normen über die Genehmigungserteilung die Voraussetzungen eines subjektiven öffentlichen Rechts 730 erfüllen, hat der Bauherr unabhängig davon, ob und inwieweit die Baufreiheit unmittelbar durch Art 14 I GG grundrechtlich gewährleistet ist,731 nach Maßgabe dieser Normen einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Baugenehmigung. Der Behörde ist kein Ermessen eingeräumt, so dass es sich um eine sog gebundene Erlaubnis handelt, die zu erteilen ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Erlaubnisnorm vorliegen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist im Verwaltungsverfahren der der endgültigen behördlichen Entscheidung.732 cc) Ausnahmen und Befreiungen bzw Abweichungen: Ist das Vorhaben in ein206 zelnen Aspekten nicht baurechtskonform, darf die Behörde die rechtlichen Hindernisse durch „Ausnahmen“ und „Befreiungen“ von Vorschriften der jeweiligen LBauO 733 ausräumen.734 Ausnahmen sind Abweichungen von Vorschriften der

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durch eine engere Typenprüfung ersetzt, vgl § 68 BauO BW; § 66 VI BauO Bbg; § 83 BauO Nds; § 67 BauO Saarl; § 66 IV BauO Sachs; § 63d V 2 BauO Thür. Vgl § 61 BauO BW; Art 76 BauO Bay; § 63 BauO Bln; § 75 BauO Brem; § 69 IV BauO Hbg; § 67 I BauO Hess; § 73 BauO MV; § 76 BauO Nds; § 76 BauO NW; § 73 BauO RP; § 75 BauO Saarl; § 74 BauO Sachs; § 78 BauO LSA; § 79 BauO SchlH; § 71 BauO Thür. Zur Teilbaugenehmigung zB Grotefels (Fn 661) § 15 Rn 70 ff. Vgl auch OVG Münster NWVBl 1996, 392 ff. Vgl § 62 I BauO Bln; § 67 I BauO Bbg; § 74 I BauO Brem; § 69 I BauO Hbg; § 75 I 1 BauO NW; § 70 I 1 BauO RP; § 77 I 1 BauO LSA; § 78 I 1 BauO SchlH. Gem § 75 I BauO Nds ist die Genehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme „dem öffentlichen Baurecht“ entspricht. Gem § 58 I 1 BauO BW ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn das Vorhaben keinen „von der Baurechtsbehörde“ zu prüfenden, gem § 72 I MBO; Art 72 I 1 BauO Bay; § 64 I BauO Hess; § 72 I BauO MV; § 73 I 1 BauO Saarl; § 72 I BauO Sachs; § 70 I BauO Thür ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn das Vorhaben keinen „im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren“ bzw „Baugenehmigungsverfahren“ zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Zum damit angesprochenen Prüfungsumfang im Genehmigungsverfahren vgl u Rn 211. Dazu Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 11 Rn 30 ff. Dazu o Rn 27 ff. Zum Beurteilungszeitpunkt im gerichtlichen Verfahren vgl u Rn 230. Für das Bauplanungsrecht vgl § 31 BauGB. Dazu o Rn 128. Vgl § 56 BauO BW; § 61 BauO Bln; § 72 BauO Brem; §§ 66 f BauO Hbg; § 63 BauO Hess; § 70 BauO MV; §§ 85 f BauO Nds; § 76 BauO SchlH. Das gilt auch bei verfahrensfreien Vorhaben, vgl § 56 VI BauO BW; § 61 III BauO Bln; § 65 VI 2 BauO Brem; § 63 III BauO Hess; § 70 IV BauO MV; §§ 85 f BauO Nds; § 76 IV BauO SchlH sowie bei genehmi-

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Baurecht

4. Kap IV 4 a dd

LBauO, „die als Sollvorschriften aufgestellt sind oder in denen Ausnahmen vorgesehen sind“, wohingegen eine Befreiung (sog Dispens) eine Abweichung von „zwingenden Vorschriften“ erlaubt.735 Diese Terminologie ist unglücklich gewählt, weil sie den unzutreffenden Eindruck erweckt, „Sollvorschriften“ seien disponibles Recht. § 67 MBO 2002 sowie einige LBauOen vermeiden daher diese Differenzierung und sehen die Möglichkeit von „Abweichungen“ vor.736 In der Sache ist die Unterscheidung zwischen „Ausnahme“ und „Befreiung“ verfahrensrechtlich deshalb erheblich, weil nach den LBauOen einiger Bundesländer über eine Befreiung nur auf Antrag entschieden wird.737 Die Zulassung einer Ausnahme hat die Behörde dagegen von Amts wegen zu prüfen.738 Insbesondere die in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellte Befreiung erlaubt eine flexible Handhabung des Baurechts. Mit ihr können Härten ausgeglichen werden, die etwa dadurch entstehen, dass sich die Rechtslage vor dem für die Beurteilung des Vorhabens maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung, aber nach Einreichung des Bauantrages, zuungunsten des Bauwilligen ändert. Auch kann, wenn im Einzelfall die Beseitigung einer rechtswidrigen Anlage unvertretbar erscheint, der rechtswidrige Zustand mit Hilfe eines Dispenses legalisiert werden.739 dd) Nebenbestimmungen: Die Sicherstellung baurechtlicher Erfordernisse kann 207 die Behörde auch dadurch erreichen, dass sie die Baugenehmigung mit einer Nebenbestimmung versieht. Deren Zulässigkeit richtet sich prinzipiell nach § 36 VwVfGe. ZT sehen die LBauOen die Beifügung von Nebenbestimmungen auch ausdrücklich vor.740 Praktisch bedeutsam ist insbesondere die Auflage, mit der dem

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gungsfreigestellten bzw anzeigepflichtigen Vorhaben, vgl § 51 V BauO BW; § 56a III 4 BauO Bln; § 65 VI 2 BauO Brem; § 70 IV BauO MV; § 74 VIII BauO SchlH. Zu verfahrensfreien, genehmigungsfreigestellten und anzeigepflichtigen Vorhaben vgl u Rn 215. So oder ähnlich § 61 I, II BauO Bln; § 72 I, III BauO Brem; §§ 66 f BauO Hbg; § 70 I, III BauO MV; §§ 85 I, 86 I BauO Nds; § 76 I, III BauO SchlH; anders § 56 III–V BauO BW. Vgl Art 70 BauO Bay; §§ 60f BauO Bbg; § 63 BauO Hess; § 73 BauO NW; § 69 BauO RP; § 68 BauO Saarl; § 67 BauO Sachs; § 75 BauO LSA; § 63 e BauO Thür. Auch Abweichungen können sowohl bei verfahrensfreien als auch bei genehmigungsfreigestellten bzw anzeigepflichtigen Vorhaben gestattet werden, vgl § 67 II 2 MBO; § 68 III 1 BauO Saarl; § 63 e II 2 BauO Thür sowie – nur für verfahrensfreie Vorhaben – § 69 II BauO RP. So nach § 61 II 1 BauO Bln; § 72 III BauO Brem; § 67 BauO Hbg; § 70 III BauO MV; § 86 I BauO Nds; § 76 III BauO SchlH. Bei verfahrensfreien sowie genehmigungsfreigestellten bzw anzeigepflichtigen Vorhaben ist für Ausnahmen, Befreiungen und Abweichungen stets ein schriftlicher Antrag erforderlich, vgl die in Fn 734, 736 genannten Bestimmungen. Soweit anstelle von Ausnahmen und Befreiungen nur noch „Abweichungen“ vorgesehen sind (vgl o Fn 736), ist für diese gem § 60 I 1 BauO Bbg; § 63 II BauO Hess; § 68 II BauO Saarl; § 67 II BauO Sachs; § 75 II 1 BauO LSA; § 63 e II BauO Thür stets ein Antrag erforderlich; vgl auch § 67 II MBO. Gem Art 70 II 2 BauO Bay; § 73 II BauO NW; § 69 II 1 BauO RP sind nur Abweichungen bei verfahrensfreien Vorhaben schriftlich zu beantragen. Zur Möglichkeit eines Dispenses auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung Bleckmann DÖV 2003, 155 ff. Vgl § 72 III MBO; § 69 II 1 BauO Hbg; § 64 III BauO Hess; § 72 III 1 BauO MV; § 72 III 1 BauO Sachs; § 77 III BauO LSA; § 78 III BauO SchlH; § 70 III 1 BauO Thür. Nur für bestimmte Vorhaben § 58 IV 1 BauO BW; § 75 II BauO Nds. Demgegenüber setzen die

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4. Kap IV 4 a ee

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Bauherrn im Zusammenhang mit der ihm erteilten Genehmigung zusätzliche, selbständig erzwingbare Verpflichtungen auferlegt werden können.741 Keine Auflage, auch keine Art von Nebenbestimmung, ist die irrigerweise so bezeichnete „modifizierende Auflage“.742 Wird eine Baugenehmigung unter einer sog „modifizierenden Auflage“ erteilt, handelt es sich vielmehr um eine von der beantragten Erlaubnis abweichende Genehmigung.743 ee) Regelungsgehalt: Die rechtliche Bedeutung der Baugenehmigung besteht zum 208 einen in der Feststellung, dass dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, zum anderen in der Erlaubnis, mit der Bauausführung zu beginnen 744 und das geplante Vorhaben ins Werk zu setzen sowie schließlich in der Erlaubnis, die der Baugenehmigung entsprechende bauliche Anlage der Genehmigung entsprechend zu nutzen („Nutzungsgenehmigung“ 745). Unsicherheit besteht in der Einschätzung, welche dieser Gehalte konstitutiv bzw deklaratorisch sind. Nach wohl allgemeiner Ansicht soll es sich bei der durch das Gesetz für bestimmte Vorhaben erklärten Notwendigkeit, eine Baugenehmigung einzuholen, rechtstechnisch um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handeln.746 Dem entspricht die Auffassung, die Baugenehmigung verleihe „nicht etwa ein Recht zum Bauen“,747 sondern setze das Recht zu bauen gerade voraus. Das rechtsdogmatische Verständnis der Baugenehmigung hängt zum einen davon 209 ab, was man unter dem Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts versteht, und zum anderen davon, in welchem Verhältnis man den Regelungsgehalt der Baugenehmigung zur grundrechtlichen Gewährleistung der Baufreiheit sieht. Aus § 35 VwVfGe folgt, dass die Baugenehmigung nur dann und so weit Verwaltungsakt ist, als sie

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Zulässigkeit der Beifügung einer Nebenbestimmung nur voraus Art 72 III BauO Bay; § 74 IV BauO Brem; § 70 I 3 HS 2 BauO RP; § 73 II 2 BauO Saarl. Vgl Henneke in: Knack, VwVfG, § 36 Rn 40. Zum Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen u Rn 231. ZB die Genehmigung eines Baus unter der Voraussetzung, dass statt des beantragten Satteldachs ein Flachdach verwendet wird, VGH Mannheim BRS 28, Nr 113. Zur „modifizierenden Auflage“ BVerwG BRS 28, Nr 111; Weyreuther DVBl 1984, 365 ff; Ehlers VerwArch 67 (1976) 369 f. Vgl auch BVerwG NVwZ 1984, 366, 366 → JK VwVfG § 36/2; OVG Münster NWVBl 1989, 99, 99. So oder ähnlich § 72 VI MBO (Zugang der Baugenehmigung sowie Erfüllung weiterer Voraussetzungen); § 59 I 1 BauO BW (Erteilung des Baufreigabescheins); Art 72 V BauO Bay; § 62 VI BauO Bln; § 68 I BauO Bbg (Zugang der Baugenehmigung sowie Erfüllung weiterer Voraussetzungen); § 74 VI BauO Brem; § 70 I BauO Hbg; § 65 I BauO Hess; § 72 VI BauO MV; § 78 I 1 BauO Nds; § 75 V BauO NW; § 77 I BauO RP (Zustellung der Baugenehmigung sowie Erfüllung weiterer Voraussetzungen); § 73 VI BauO Saarl (Zugang der Baugenehmigung sowie Erfüllung weiterer Voraussetzungen); § 72 VI BauO Sachs (Zugang der Baugenehmigung sowie Erfüllung weiterer Voraussetzungen); § 77 VI BauO LSA; § 78 VI BauO SchlH; § 70 VI BauO Thür (Zugang der Baugenehmigung sowie Erfüllung weiterer Voraussetzungen). Vgl OVG Lüneburg BauR 2005, 381 f; OVG Münster BRS 42, Nr 163; Brohm (Fn 61) § 28 Rn 26; Peine (Fn 80) Rn 1071. Vgl nur Schenke (Fn 661) § 9 Rn 92; Peine (Fn 80) Rn 1071; Stüer (Fn 54) Rn 1068 mwN. BGHZ 65, 182, 186; Friauf (Fn 3) 558.

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4. Kap IV 4 a ff

Regelungscharakter hat. Aus Art 14 I GG ergibt sich, dass die Baufreiheit in der gesetzlich grundrechtskonform ausgestalteten und konkretisierten Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks besteht.748 Wenn die Baugenehmigung die (Bau-)Rechtskonformität des Vorhabens bescheinigt, enthält sie zunächst schon deshalb eine Regelung, weil sie in Konkretisierung und Individualisierung 749 der abstrakten Baurechtsnormen über die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Gesetzen iSd Art 14 I 2 GG entscheidet. Sie hat damit die Funktion, rechtsverbindlich festzustellen, dass das Bauvorhaben den Schutz des Art 14 I 1 GG genießt. Die Bedeutung einer derartigen Regelung ergibt sich daraus, dass die grundrechtliche Baufreiheit durch die sie ausgestaltenden gesetzlichen Vorschriften nicht nur von inhaltlichen Anforderungen geprägt, sondern auch unter einen „Verfahrensvorbehalt“ gestellt ist. Daraus folgt, dass die Intensität des Grundrechtsschutzes eines genehmigungsbedürftigen Vorhabens nicht unabhängig davon sein kann, ob diesem die Genehmigung erteilt oder versagt wurde.750 Daraus folgt auch, dass einem genehmigten Bau grundsätzlich 751 kein Verbot eines Baubeginns mehr entgegenstehen darf. Die Aufhebung des Bauverbots – der sog „verfügende Teil“ – ist damit ebenso wenig oder viel deklaratorisch oder konstitutiv wie der sog „feststellende“ Teil. Beides sind Regelungsgehalte der Baugenehmigung.752 ff) Verfahren: Das Genehmigungsverfahren wird durch den Bauantrag des Bau- 210 herrn eingeleitet.753 Dieser ist schriftlich entweder bei der unteren Bauaufsichtsbehörde (§ 68 I MBO 754) oder bei der Gemeinde 755 einzureichen. Mit dem Bauantrag sind alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen (§ 68 II 1 MBO 756). Der Bau-

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Dazu o Rn 27 ff. Als Regelung erfüllt der Verwaltungsakt wesentlich eine Konkretisierungs- bzw Individualisierungsfunktion. Vgl Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 12 Rn 28. Vgl noch u Rn 222 ff. Ausnahme: Die Baugenehmigung wird erteilt, es bedarf aber zur Ausführung des Vorhabens noch einer weiteren Genehmigung in einem anderen Verfahren. Dazu u Rn 211. Zur umstrittenen Frage, wie weit die Bestandskraft eines die Baugenehmigung versagenden Verwaltungsaktes reicht, vgl BVerwGE 48, 271 ff m Anm Drexelius NJW 1976, 817 f; Krebs VerwArch 67 (1976) 411 ff; Sendler FS Ernst, 1980, 403 ff. Fraglich ist, ob die Bauaufsichtsbehörde den Bauherrn zur Stellung eines Antrags zwingen kann, wenn dieser eine genehmigungsbedürftige Anlage ohne Genehmigung errichtet hat. Dagegen OVG Münster VBlNW 2003, 223 f. Dazu auch Baumanns Verfahrensrecht und Praxis der Bauaufsicht, 1982, Rn 302 mwN. § 62 I 2 BauO Bbg; § 68 I BauO Brem; § 63 I 1 BauO Hbg; § 60 I BauO Hess; § 66 I BauO MV; § 69 I 1 BauO NW; § 69 I BauO Saarl; § 68 I BauO Sachs; § 70 I BauO LSA; § 64 I BauO Thür. Vgl § 52 I 1 BauO BW; Art 67 I 1 BauO Bay; § 71 I BauO Nds; § 70 I 2 BauO SchlH. In Rheinland-Pfalz kann an die Stelle der Gemeinde die Verbandsgemeindeverwaltung treten, vgl § 63 I 1 BauO RP. Vgl § 52 I 1 BauO BW; Art 67 II 1 BauO Bay; § 57 II 1 BauO Bln; § 62 II BauO Bbg; §68 II 1 BauO Brem; § 63 I 2 BauO Hbg; § 60 II 1 BauO Hess; § 66 II 1 BauO MV; § 71 II 1 BauO Nds; § 69 I 1 BauO NW; § 63 II 1 BauO RP; § 69 II 1 BauO Saarl; § 68 II 1 BauO Sachs; § 70 II 1 BauO LSA; § 70 II 1 BauO SchlH; § 64 II 1 BauO Thür.

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herr und der Entwurfsverfasser haben den Bauantrag, der Entwurfsverfasser die Bauvorlagen zu unterschreiben (§ 68 IV 1 MBO 757). Der behördlichen Kontrolle im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren unter211 liegen prinzipiell alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften. In einigen LBauOen 758 ist aber nunmehr ausdrücklich festgeschrieben, dass die Baugenehmigungsbehörde die Vereinbarkeit des Vorhabens mit denjenigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, über deren Einhaltung in einem gesonderten Verfahren und durch eine andere Behörde selbständig durch Verwaltungsakt entschieden wird,759 nicht nur nicht feststellen, sondern überhaupt nicht prüfen darf. Die Baugenehmigung darf in diesem Fall mithin nicht deswegen versagt werden, nur weil anderweit erforderliche Genehmigungen noch ausstehen.760 In anderen LBauOen ist demgegenüber ausdrücklich bestimmt, dass die Baugenehmigung erst erteilt werden darf, wenn die für das Vorhaben im Übrigen erforderlichen Genehmigungen vorliegen.761 Eine Konzentrationswirkung der Baugenehmigung sieht nur § 67 I 2 BauO Bbg vor. Soweit eine ausdrückliche Regelung fehlt,762 ist umstritten, ob die Baugenehmigungsbehörde die Voraussetzungen derjenigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die aufgrund sondergesetzlicher Regelung Gegenstand eines eigenständigen Verfahrens sind und damit nicht unter ihre Kompetenz zur Sachentscheidung fallen, gleichwohl prüfen 757

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So oder ähnlich § 52 II 1 BauO BW; Art 67 IV 1 BauO Bay; § 57 IV 1 BauO Bln; § 62 IV BauO Bbg; § 68 IV 1 BauO Brem; § 64 I BauO Hbg; § 60 V 1 BauO Hess; § 66 IV 1 BauO MV; § 69 II 1 BauO NW; § 63 III BauO RP; § 69 III 1 BauO Saarl; § 68 IV BauO Sachs; § 70 IV 1 BauO LSA; § 70 IV 1 BauO SchlH; § 64 IV 1 BauO Thür. Vgl § 58 I 1 BauO BW; Art 72 I 1 BauO Bay; § 64 I BauO Hess; § 72 I 1 BauO MV; § 73 I 1 BauO Saarl; § 72 I BauO Sachs; § 70 I BauO Thür, die bestimmen, dass die Baugenehmigung bereits dann zu erteilen ist, wenn das Vorhaben keinen „von der Baurechtsbehörde“ bzw keinen „im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren“ oder „Baugenehmigungsverfahren“ zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Ebenso § 72 I iVm § 64 MBO 2002. Etwa nach §§ 2 ff Gaststättengesetz – GaststättenG idF der Bekanntmachung v 20. 11. 1998 (BGBl I 3418), zul geänd durch VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). VGH Mannheim NVwZ 2000, 1068, 1068. Vgl § 65 V 1 BauO RP; § 73 V BauO SchlH. Nach § 75 III 2 BauO NW lässt die Baugenehmigung zwar die aufgrund anderer Vorschriften bestehende Verpflichtung zur Einholung von Genehmigungen unberührt. Daraus folgt aber nur, dass die Baugenehmigung keine Konzentrationswirkung entfaltet. Es folgt jedoch nicht daraus, dass die Baugenehmigung auch bereits erteilt werden kann, wenn anderweit erforderliche Genehmigungen noch ausstehen. Denn nach § 72 I 1 Nr 2 BauO NW hat die Bauaufsichtsbehörde zu prüfen, ob die Erteilung der Baugenehmigung von der Erteilung einer weiteren Genehmigung „abhängig“ ist. Die Baugenehmigung bildet den „Schlusspunkt“ der für genehmigungsbedürftige Bauvorhaben durchzuführenden öffentlich-rechtlichen Zulässigkeitsprüfung. Die materielle Prüfungskompetenz für die Erteilung der anderen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen obliegt nicht der Bauaufsichtsbehörde. Im Erg ebenso OVG Münster BauR 2002, 451, 453 ff (bes 456); BauR 2002, 457, 458; DÖV 2004, 302 ff → JK BauO NW § 75/2. Keine diesbezügliche Regelung trifft auch § 75 I BauO Nds, demzufolge die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn das Vorhaben „dem öffentlichen Baurecht entspricht“, weil § 2 X BauO Nds das „öffentliche Baurecht“ denkbar weit definiert, vgl Ortloff (Fn 665) 120.

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und ggf – sofern die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht erfüllt sind – von der Erteilung der Baugenehmigung absehen muss bzw darf oder – falls deren Voraussetzungen erfüllt sind – die Entscheidung der für die Sachentscheidung zuständigen Behörde abwarten muss.763 Zahlreiche Vorschriften sehen die Beteiligung anderer Behörden und Rechtsträger am Baugenehmigungsverfahren vor,764 wozu die meisten LBauOen ausdrückliche Verfahrensbestimmungen enthalten.765 Fast alle LBauOen regeln die Beteiligung privater Dritter (Nachbarn, Angrenzer), dies allerdings in unterschiedlicher, zT fragwürdig restriktiver Art und Weise.766 Die erforderliche Kontrollintensität richtet sich nach dem Kontrollbedürfnis. Da- 212 her setzen viele LBauOen 767 bestimmte Vorhaben nur einem vereinfachten Genehmigungsverfahren aus, in dem neben der planungsrechtlichen Zulässigkeit lediglich die Erfüllung einiger, im Gesetz ausdrücklich genannter bauordnungsrechtlicher Anforderungen überprüft wird.768 Zumeist handelt es sich um Wohnbauvorhaben geringer Höhe, soweit sie überhaupt einem Genehmigungsverfahren unterliegen,769 sowie um landwirtschaftliche Betriebsgebäude und eingeschossige sonstige Gebäude. IdR hat die Baugenehmigungsbehörde im vereinfachten Verfahren innerhalb einer bestimmten Frist zu entscheiden, nach deren Ablauf die beantragte Genehmigung als „erteilt gilt“ (sog fingierte Genehmigung).770 Die im vereinfachten Verfah763

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Dafür etwa VGH Kassel NuR 1982, 228, 228; VG Berlin Das Grundeigentum 1999, 911, 911 u 913; Gaentzsch NJW 1986, 2787, 2792 f. Dagegen VGH München BayVBl 1993, 370 ff (zu Art 74 I BauO Bay aF: „Die Baugenehmigung darf nur versagt werden, wenn das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht.“) und OVG Greifswald LKV 1998, 460 ff. Nach OVG Bautzen LKV 1995, 405, 406 (zu § 70 I 1 BauO Sachs aF: „Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.“) und Ortloff (Fn 665) 121 kann die Baugenehmigung unter der aufschiebenden Bedingung erteilt werden, dass die Genehmigung der anderen Behörde beigebracht wird. Zur Entwicklung des Meinungsstandes Mampel BauR 2002, 719 ff. ZB § 36 I BauGB; § 9 II Bundesfernstraßengesetz – FStrG idF der Bekanntmachung v 20. 2. 2003 (BGBl I 286), zul geänd durch G v 22. 4. 2005 (BGBl I 1128). § 69 MBO. Vgl § 53 BauO BW; Art 69 BauO Bay; § 60 I BauO Bln; § 63 III-V BauO Bbg; § 71 BauO Brem; § 61 I BauO Hess; § 69 I BauO MV; § 73 BauO Nds; § 72 II–V BauO NW; § 65 V BauO RP; § 70 II, III BauO Saarl; § 69 I BauO Sachs; § 73 II, III BauO LSA; § 73 I BauO SchlH; § 67 I BauO Thür. Das betrifft zB den Kreis der zu beteiligenden Dritten. Während zB Art 71 I BauO Bay; § 70 BauO Sachs und § 77 I BauO SchlH eine Beteiligung der Eigentümer „benachbarter“ Grundstücke vorsehen (vgl auch § 70 MBO), erfordern etwa § 55 I 1 BauO BW; § 64 BauO Bbg sowie § 74 I 1 BauO NW nur die Beteiligung der Eigentümer „angrenzender“ Grundstücke. Vgl § 63 MBO; Art 73 BauO Bay; § 60a BauO Bln; § 57 BauO Bbg; § 67 BauO Brem; § 57 BauO Hess; § 63 BauO MV; § 75 a BauO Nds; § 68 BauO NW; § 66 BauO RP; § 64 BauO Saarl; § 63 BauO Sachs; § 67 BauO LSA; § 75 BauO SchlH; § 63 b BauO Thür. Zum vereinfachten Genehmigungsverfahren Jäde UPR 1995, 81, 83 ff; Herbert/Keckemeti/ Dittrich ZfBR 1995, 67, 68 ff. Zu Vorhaben, die keinem Genehmigungsverfahren unterliegen, vgl u Rn 215. § 67 IV 2 BauO Brem; § 57 II 3 BauO Hess; § 63 VII 2 BauO MV; § 66 IV 5 BauO RP; § 64 III 5 BauO Saarl; § 75 XI BauO SchlH; § 63b II 2 BauO Thür. Dazu Ortloff FS Gelzer, 1991, 223 ff.

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ren erteilte bzw die fingierte Genehmigung stellen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften nur insoweit fest, als die Prüfungskompetenz der Genehmigungsbehörde im vereinfachten Verfahren reicht.771 Den Abschluss des Genehmigungsverfahrens bildet entweder die abschlägige oder 213 die stattgebende Entscheidung über den Bauantrag und ihre Bekanntgabe – bei Stattgabe in Schriftform (Bauschein) – an den Bauherrn. Vielfach ist geregelt, dass für den Fall, dass Einwendungen von Nachbarn bzw Angrenzern nicht entsprochen wurde, auch ihnen die Entscheidung bekanntzugeben bzw zuzustellen ist (§ 70 IV MBO).772 gg) Wirksamkeit, Geltungsdauer: Als Verwaltungsakt wird die Baugenehmigung 214 mit Zugang wirksam (§ 43 I 1 VwVfGe). Maßgebend für den Inhalt der Baugenehmigung ist die Genehmigungsurkunde. Die Baugenehmigung hat insofern dingliche Wirkung, als sie auch für und gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn gilt (§ 58 III MBO 773). Sie wird „unbeschadet der privaten Rechte Dritter“ erteilt (§ 72 IV MBO 774), bescheinigt also nicht die Privatrechtskonformität des Bauvorhabens.775 Wird die Baugenehmigung nicht ins Werk gesetzt, ist ihre Geltungsdauer zeitlich befristet (§ 73 MBO).776 Sie wird nur für ein konkretes Vorhaben erteilt und deckt insofern nur die einmalige Ausführung des genehmigten Vohabens.777 b) Nicht-genehmigungsbedürftige Vorhaben 215 Die Genehmigungsbedürftigkeit von Vorhaben ist gem § 59 I MBO 778 der gesetzliche Regelfall. Eine erste Ausnahme hiervon bilden die genehmigungsfreien Vorhaben,779 die ohne jegliches bauaufsichtliches Verfahren errichtet werden dür771

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Vgl Uechtritz NVwZ 1996, 640, 646 f. Zu den Konsequenzen für den Rechtsschutz vgl u Rn 244. Vgl § 58 I 5 BauO BW; Art 71 I 6 BauO Bay; § 64 V BauO Bbg; § 73 V 2 BauO Brem; § 68 IV 5 BauO Hbg; § 62 III 1 BauO Hess; § 71 IV BauO MV; § 75 IV BauO Nds; § 74 IV 1 BauO NW; § 70 III 2 BauO RP; § 71 IV 1 BauO Saarl; § 70 IV BauO Sachs; § 76 IV 1 BauO LSA; § 77 V BauO SchlH; § 68 VI BauO Thür. Es besteht eine korrespondierende Pflicht der Bauaufsichtsbehörde, den Bauherrn unverzüglich von einem Nachbarwiderspruch zu unterrichten, vgl BGH NVwZ 2004, 638 ff → JK GG Art 34/26. Vgl § 58 II BauO BW; Art 60 I 3 BauO Bay; § 62 IV BauO Bln; § 67 V BauO Bbg; § 74 I HS 2 BauO Brem; § 69 II 2 BauO Hbg; § 53 V BauO Hess; § 72 II BauO MV; § 75 VI BauO Nds; § 75 II BauO NW; § 70 I 2 BauO RP; § 57 V BauO Saarl; § 58 III BauO Sachs; § 77 II BauO LSA; § 78 II BauO SchlH; § 60 IV BauO Thür. Vgl § 58 III BauO BW; Art 72 IV BauO Bay; § 62 V BauO Bln; § 67 VI BauO Bbg; § 74 II HS 1 BauO Brem; § 69 II 3 BauO Hbg; § 64 V BauO Hess; § 72 IV BauO MV; § 75 III 1 BauO NW; § 70 I 2 BauO RP; § 73 IV BauO Saarl; § 72 IV BauO Sachs; § 77 IV BauO LSA; § 78 IV BauO SchlH; § 70 IV BauO Thür. Entgegenstehende private Rechte Dritter dürfen daher die Genehmigungserteilung nicht verhindern. Vgl § 62 BauO BW; Art 77 BauO Bay; § 64 BauO Bln; § 69 BauO Bbg; § 76 BauO Brem; § 71 BauO Hbg; § 64 VII BauO Hess; § 74 BauO MV; § 77 BauO Nds; § 77 BauO NW; § 74 BauO RP; § 74 BauO Saarl; § 73 BauO Sachs; § 79 BauO LSA; § 80 BauO SchlH; § 72 BauO Thür. VGH Kassel BauR 2003, 1875 ff. Vgl o Rn 203 m Fn 722. Vgl § 61 MBO; § 50 BauO BW; Art 63 BauO Bay; § 56 BauO Bln; § 55 BauO Bbg; § 65

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fen.780 Hierbei handelt es sich um untergeordnete, für die Gefahrenabwehr unbedeutendere Anlagen.781 Eine weitere Ausnahme stellen die Vorhaben dar, die lediglich einem sog „Genehmigungsfreistellungs-“ bzw „Bauanzeigeverfahren“ 782 unterstellt sind. Danach kann der Bauherr innerhalb einer bestimmten Frist nach Einreichung von Bauunterlagen bzw -anzeige ohne behördliche Genehmigung mit der Bauausführung beginnen.783 Dem Genehmigungsfreistellungs- oder Anzeigeverfahren unterliegen idR Wohngebäude geringer Höhe, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans iSd § 30 I, II BauGB liegen, den Festsetzungen des jeweiligen Plans nicht widersprechen und ggf weitere Voraussetzungen erfüllen.784 Die fehlende Genehmigungsbedürftigkeit entbindet die verfahrensfreien 785 und die von der Genehmigung freigestellten bzw anzeigepflichtigen Vorhaben 786 selbstverständlich nicht von der Pflicht zur Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an bauliche Anlagen. Fliegende Bauten, dh solche, die geeignet und bestimmt sind, an verschiedenen Orten aufgestellt und zerlegt zu werden (zB Karusselle oder Zirkuszelte), bedürfen

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V BauO Brem; § 61 I BauO Hbg iVm Baufreistellungsverordnung – BauFreiVO v 5. 1. 1988 (GVBl 1), zul geänd durch VO v 21. 1. 1997 (GVBl 10); §§ 55, 80 IV 1 Nr 1 BauO Hess; §§ 64 f BauO MV; § 69 BauO Nds; §§ 65 f BauO NW; § 62 BauO RP; § 61 BauO Saarl; § 61 BauO Sachs; § 69 BauO LSA; § 69 BauO SchlH; § 63 BauO Thür. Terminologisch klarer – in Abgrenzung zu den „genehmigungsfreigestellten“ bzw „anzeigepflichtigen“ Vorhaben – als „verfahrensfreie Vorhaben“ bezeichnet. So auch die Terminologie des § 61 MBO; § 50 BauO BW; § 65 BauO Brem; § 61 BauO Saarl; § 61 BauO Sachs sowie des § 63 BauO Thür. An sich genehmigungsfreie Vorhaben können genehmigungspflichtig werden, wenn ein Funktionszusammenhang mit einem genehmigungspflichtigen Vorhaben besteht, OVG Berlin BRS 48, Nr 125. Vgl § 62 MBO; Art 64 BauO Bay; § 56 a BauO Bln; § 58 BauO Bbg; § 66 BauO Brem; § 56 BauO Hess; § 67 BauO RP; § 63 BauO Saarl; § 62 BauO Sachs; § 68 BauO LSA; § 74 BauO SchlH; § 63 a BauO Thür. In der gesetzlichen Bezeichnung anders, aber in der Ausgestaltung ähnlich § 51 BauO BW („Kenntnisgabeverfahren“); § 61 I BauO Hbg iVm Verordnung über anzeigebedürftige Bauvorhaben – BauanzeigeVO v 18. 5. 1993 (GVBl 99), zul geänd durch VO v 21. 1. 1997 (GVBl 10); § 69 a BauO Nds; § 67 BauO NW; § 74 BauO SchlH. Zu Einzelheiten der unterschiedlich ausgestalteten Verfahren vgl Jäde UPR 1995, 81 ff; zum Rechtsschutz des Nachbarn vgl u Rn 242 f. Anders als beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erhält der Bauherr keine „fingierte Genehmigung“. Dazu o Rn 212. Zu den Einzelheiten vgl die Länderübersicht bei Ortloff (Fn 665) 99 ff. Vgl § 59 II MBO; § 50 V BauO BW; Art 63 VI BauO Bay; § 56 V BauO Bln; § 55 I BauO Bbg; § 65 VI BauO Brem; § 61 II BauO Hbg; § 54 II BauO Hess; § 65 V BauO MV; § 69 VI 1 BauO Nds; §§ 65 IV, 66 2 BauO NW; § 62 III BauO RP; § 60 II iVm § 61 BauO Saarl; § 59 II iVm § 61 BauO Sachs; § 69 V BauO LSA; § 62 II 1 BauO Thür. So ausdrücklich § 59 II MBO; Art 64 VI iVm Art 63 VI BauO Bay; § 56 a VI BauO Bln; § 58 V iVm § 57 II BauO Bbg; § 66 IX BauO Brem; § 61 I BauO Hbg iVm § 1 V der Verordnung über anzeigebedürftige Bauvorhaben – BauanzeigeVO v 18. 5. 1993 (GVBl 99), geänd durch VO v 21. 1. 1997 (GVBl 10); § 54 II BauO Hess; § 67 V 8 iVm § 65 IV BauO NW; § 67 IV iVm § 62 III BauO RP; § 60 II iVm § 63 BauO Saarl; § 59 II iVm § 62 BauO Sachs; § 68 VII iVm § 69 V BauO LSA; § 62 II 1 BauO Thür. Ähnlich § 51 IV BauO BW; § 64 I 4 BauO MV; §§ 69 a III Nrn 2 b, c, 3 BauO Nds; § 74 VII 2 iVm § 66 I BauO SchlH.

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keiner Bau-, dafür aber vor ihrer ersten Aufstellung einer Ausführungsgenehmigung (§ 76 II MBO 787). Bei an sich genehmigungsbedürftigen öffentlichen Bauvorhaben kann unter näher geregelten Voraussetzungen an die Stelle der Baugenehmigung die Zustimmung der oberen Bauaufsichtsbehörde treten (§ 77 MBO 788). Die Notwendigkeit einer an sich erforderlichen Baugenehmigung entfällt zudem, wenn sondergesetzliche Genehmigungen die Überprüfung des Vorhabens an den Normen des öffentlichen Baurechts und damit die Baugenehmigung mitumfassen (sog Konzentrationswirkung).789

5. Bauüberwachung und (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände a) Bauüberwachung 216 Die Bauüberwachung soll die rechtmäßige Bauausführung sicherstellen und erstreckt sich zB auf die Prüfung, ob den Bauvorlagen entsprechend gebaut wird, auf den Nachweis der Brauchbarkeit der Baustoffe oder auf die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten der am Bau Beteiligten. Zur Wahrnehmung dieser Kontrolle räumen die LBauOen den Behörden spezielle Befugnisse ein.790 Innerhalb des gesetzlich festgelegten zeitlichen und sachlichen Rahmens der Überwachung steht deren Umfang in der Beurteilungsprärogative bzw im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Gesetzlich besonders institutionalisiert sind die Überwachungsmaßnahmen nach 217 Fertigstellung des Rohbaus und nach abschließender Fertigstellung der baulichen Anlage. Sie sind in den Bundesländern unterschiedlich als Bauabnahme 791 oder als Bauzustandsbesichtigung bzw als Anzeigepflichten und Prüfungsrecht 792 ausgestal787

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Vgl § 69 II BauO BW; Art 85 II BauO Bay; § 66 II BauO Bln; § 71 II 1 BauO Bbg; § 78 II BauO Brem; § 73 II BauO Hbg; § 68 II BauO Hess; § 76 II BauO MV; § 84 II BauO Nds; § 79 II BauO NW; § 76 II BauO RP; § 77 II BauO Saarl; § 76 II BauO Sachs; § 81 II 1 BauO LSA; § 82 II BauO SchlH; § 74 II BauO Thür. Vgl § 70 BauO BW; Art 86 BauO Bay; § 67 BauO Bln; § 72 BauO Bbg; § 79 BauO Brem; § 62 I 2 BauO Hbg; § 69 BauO Hess; § 77 BauO MV; § 82 BauO Nds; § 80 BauO NW; § 83 BauO RP; § 75 BauO Sachs; § 82 BauO LSA; § 83 BauO SchlH; § 75 BauO Thür. Gem § 62 BauO Saarl ist bei bestimmten an sich genehmigungsbedürftigen Vorhaben des Bundes nur eine Benachrichtigung der Bauaufsichtsbehörden erforderlich. Vgl § 60 MBO; Art 87 BauO Bay; § 62 X BauO Bln; § 67 II 1 BauO Bbg; § 64 III BauO Brem; § 62 II BauO MV; §§ 68 II, 70 I, II BauO Nds; § 63 II BauO NW; §§ 70 VI, 84 BauO RP; § 60 III BauO Saarl; § 60 BauO Sachs; § 66 II BauO LSA; § 68 II BauO SchlH. Nach BVerwG BauR 2004, 1745, 1748 besteht dann schon keine Sachkompetenz der Bauordnungsbehörde. Zur Konzentrationswirkung der Baugenehmigung vgl o Rn 211. § 81 MBO; § 66 BauO BW; Art 78 BauO Bay; § 71 BauO Bln; § 75 BauO Bbg; § 83 BauO Brem; § 77 BauO Hbg; § 79 BauO Hess; § 81 BauO MV; § 79 BauO Nds; § 81 BauO NW; § 78 BauO RP; § 78 BauO Saarl; § 81 BauO Sachs; § 85 BauO LSA; § 78 BauO SchlH; § 78 BauO Thür. Vgl § 67 BauO BW; § 76 BauO Bbg; § 84 BauO Brem; § 80 BauO Nds. Vgl § 82 MBO; Art 78 III–VI BauO Bay; § 72 BauO Bln; § 77 IV–VII BauO Hbg; § 74 BauO Hess; § 82 BauO MV; § 82 BauO NW; § 78 II–IX BauO RP; § 79 BauO Saarl; § 82 BauO Sachs; § 86 BauO LSA; § 88 BauO SchlH; § 79 BauO Thür.

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tet. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Zulässigkeit der Inbetriebnahme der baulichen Anlage geregelt. b) (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände Der tatsächliche Zustand eines Grundstücks und seine bauliche Nutzung können 218 aus vielen Gründen baurechtlichen Vorschriften widersprechen. So kann zB bei genehmigungsbedürftigen Anlagen eine Baugenehmigung rechtswidrig erteilt worden sein. Eine genehmigungsbedürftige Anlage kann ungenehmigt sein, aber trotzdem den baurechtlichen Anforderungen entsprechen – oder nicht. Von der Genehmigung freigestellte bzw anzeigepflichtige Anlagen sowie verfahrensfreie Vorhaben können abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen errichtet sein. Schließlich kann eine rechtmäßig errichtete bauliche Anlage Baurecht widersprechen, weil sich der Bau mit oder ohne Zutun des Bauherrn oder Dritter verändert hat (zB Anbau, Umbau, Zerfall, Nutzungsänderung), oder es ist zwar der Bau unverändert geblieben, aber die Rechtslage hat sich geändert. Zur (Wieder-)Herstellung der Übereinstimmung von Baurecht und tatsächlichem Zustand kommen verschiedene Maßnahmen in Betracht: zB die Anordnung der Baueinstellung, die Verfügung eines Nutzungsverbotes oder die Anordnung der Beseitigung der baulichen Anlage.793 Der Einsatz dieser Instrumente ist an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden. aa) Ermächtigungsgrundlagen: Die rechtliche Determination der Behörde ist 219 relativ schwach, soweit diese jenseits rechtlichen Zwangs durch Hinweise, Ratschläge oder Anregungen auf die (Wieder-)Herstellung baurechtmäßiger Zustände hinwirkt. Will sie dagegen durch Gebot oder Verbot die Verpflichtungsadressaten des Baurechts zu einem bestimmten Verhalten rechtlich verpflichten, so stößt sie idR auf die Grundrechte der Betroffenen (zB Art 14 I 1, 13 I, 12 I 1, 2 I GG). Grundrechtsrelevante Maßnahmen unterfallen dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt; sie dürfen also nur durch oder aufgrund Gesetzes ergehen. Ermächtigungsgrundlagen für Ge- bzw Verbote oder tatsächliche Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde sind in den LBauOen zT spezialgesetzlich geregelt. IdR enthalten die Gesetze eine Spezialermächtigung für die Baueinstellung (§ 79 MBO 794) und für die Beseitigung baulicher Anlagen (§ 80 MBO 795). Soweit derartige Regelungen fehlen oder für eine andere Maßnahme eine Spezialermächtigung nicht vorhanden ist, ist fraglich, 793

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Daneben kann ein Bußgeldverfahren eingeleitet werden, vgl § 84 I Nr 3 MBO; § 75 IV BauO BW; Art 89 I, II BauO Bay; § 75 II BauO Bln; § 79 V BauO Bbg; § 88 III BauO Brem; § 80 III BauO Hbg; § 76 BauO Hess; § 84 III BauO MV; § 91 BauO Nds; § 84 BauO NW; § 89 BauO RP; § 87 III BauO Saarl; § 87 III BauO Sachs; § 88 III BauO LSA; § 90 III BauO SchlH; § 81 III BauO Thür. Vgl § 64 BauO BW; Art 81 BauO Bay; § 69 BauO Bln; § 73 I, II BauO Bbg; § 81 BauO Brem; § 75 BauO Hbg; § 71 BauO Hess; § 79 BauO MV; § 89 I 2 Nrn 1, 2 BauO Nds; § 80 BauO RP; § 81 BauO Saarl; § 79 BauO Sachs; § 84 I BauO LSA; § 85 BauO SchlH; § 76 BauO Thür. Vgl § 65 BauO BW; Art 82 BauO Bay; § 70 BauO Bln; § 74 BauO Bbg; § 82 BauO Brem; § 76 I 1 BauO Hbg; § 72 I 1 BauO Hess; § 80 BauO MV; § 89 I 2 Nr 4 BauO Nds; § 81 BauO RP; § 82 BauO Saarl; § 80 BauO Sachs; § 84 III BauO LSA; § 86 BauO SchlH; § 77 BauO Thür.

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4. Kap IV 5 b aa

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ob auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel zurückgegriffen werden kann. Gem § 58 II 2 MBO können die Bauaufsichtsbehörden „in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen“. Mit dieser Formulierung 796 wird zumindest nicht ausdrücklich die Befugnis zum Eingriff begründet und es wird zudem auf eine nähere Regelung von Eingriffsvoraussetzungen verzichtet. Insofern kann man zweifeln, ob die Generalklauseln eine Eingriffsermächtigung normieren.797 Verneint man das, ist als Ermächtigungsgrundlage die (polizei-)ordnungsrechtliche Generalklausel heranzuziehen.798 Die Ermächtigungsnormen räumen den Behörden durchweg ein Entschließungs220 und Auswahlermessen ein. Die Ermessensausübung ist zum einen an Art 3 I GG gebunden. Das bedeutet, dass die Behörde bei mehreren oder gleichartigen Baurechtsverstößen mehrerer Bauherren nicht willkürlich vorgehen darf.799 Im Übrigen ist gem § 40 VwVfGe das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben. Dabei kann sich im Einzelfall eine Ermessensreduktion iS eines Zwanges zum Einschreiten aus der erheblichen Gefährdung wichtiger Rechtsgüter ergeben.800 Werden Normen verletzt, die dem Schutz von Rechtsgütern Dritter dienen, kann diesen ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über das Einschreiten, bei Ermessensreduktion auch ein Anspruch auf das Tätigwerden der Bauaufsichtsbehörden zustehen.801 Soweit die Behörden Grundrechte beschränken, sind sie an das in den allgemei221 nen Polizei- und Ordnungsgesetzen speziell normierte Übermaßverbot gebunden. Sie dürfen also keine ungeeigneten, nicht erforderlichen oder unverhältnismäßigen Maßnahmen treffen. Der durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (ieS) geschaffene Zwang zum Ausgleich der Individualrechtsgüter mit den von den Baurechtsnormen geschützten Allgemeingütern oder Interessen privater Dritter erfordert ein je nach Baurechtsverstoß und Schwere des Eingriffs abgestuftes Vorgehen der Behörden. 796

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So oder ähnlich § 47 I 2 BauO BW; Art 60 II 2 BauO Bay; § 52 II 2 BauO Bbg; § 61 I 2 BauO Brem; § 58 I 2 BauO Hbg; § 53 II 2 HS 1 BauO Hess; § 60 I 2 BauO MV; § 61 I 2 BauO NW; § 59 I 1 HS 2 BauO RP; § 57 II 2BauO Saarl; § 58 II 2 BauO Sachs; § 64 II 2 BauO LSA; § 66 I 2 BauO SchlH; § 60 II 2 BauO Thür. Vgl ferner § 65 I 1 BauO Nds. Die BauO Bln enthält keine § 59 II 2 MBO entsprechende Generalklausel. Kritisch Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 327; aA zB Brohm (Fn 61) § 29 Rn 17; Schoch Jura 2005, 178, 178, der die Generalklauseln als Ermächtigungsgrundlage insbesondere für präventive behördliche Maßnahmen wie das Verbot der künftigen Errichtung baurechtswidriger Anlagen sieht. Dazu → Schoch 2. Kap Rn 52 ff. Das OVG Münster hat die Frage nach der Ermächtigungsnorm gelegentlich pragmatisch offengelassen und auf beide in Betracht kommenden Vorschriften abgestellt, vgl OVG Münster NJW 1984, 883, 883: „§ 76 NRWBauO i.V. mit § 14 NRWOBG“; OVG Münster E 35, 153, 158: „§§ 1 und 14 OBG iVm § 76 BauO“. Dazu Götz NJW 1979, 1478, 1481 ff; Schoch Jura 2005, 178, 183; BVerwG BRS 57, Nr 248. Gern DVBl 1987, 1194, 1195; weitergehend OVG Berlin NJW 1983, 777, 778. Dazu grundlegend BVerwGE 11, 95 m Anm Bachof DVBl 1961, 128 ff. Vgl auch Sarnighausen NJW 1993, 1623 ff. Zur Rechtsstellung des Dritten gegenüber von der Genehmigung freigestellten bzw nur anzeigepflichtigen Vorhaben vgl u Rn 242.

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4. Kap IV 5 b cc

bb) Bestandsschutz rechtmäßig errichteter baulicher Anlagen: Bei genehmi- 222 gungsbedürftigen Vorhaben hat die Baugenehmigung ua die Funktion, rechtsverbindlich festzustellen, dass das Bauvorhaben den Schutz des Art 14 I 1 GG genießt.802 Das erklärt, dass eine der Genehmigung entsprechende bauliche Anlage vor dem Rückgriff auf die abstrakt-generelle Baurechtsordnung geschützt ist. Da die Baugenehmigung ein Verwaltungsakt ist, dessen Rechtsgeltung von seiner Wirksamkeit, nicht aber von seiner Rechtmäßigkeit abhängt, gilt dies – bei Wirksamkeit der Genehmigung – unabhängig davon, ob diese erteilt werden durfte oder nicht.803 Diesen einfach- und grundrechtlichen Schutz genießt der wirksam genehmigte Bau grundsätzlich auch gegenüber nachträglichen Rechtsänderungen (Bestandsschutz 804). Er erstreckt sich jedoch nur auf den der Baugenehmigungsbehörde im konkreten Verfahren eingeräumten Prüfungsumfang.805 Auch von der Genehmigung freigestellte bzw anzeigepflichtige sowie verfahrensfreie bauliche Anlagen 806 können grundrechtlich in ihrem Bestand geschützt sein. Da es bei ihnen aber an einer Genehmigung fehlt, die den Grundrechtsschutz vermittelt, muss ihr grundrechtlicher Schutz davon abhängen, ob sie baurechtskonform errichtet wurden. Allerdings schützt Art 14 I GG das Eigentum nicht vor jedweder Schmälerung auf alle Zeiten. Nachträgliche Eigentumsbeschränkungen sind daher nicht prinzipiell ausgeschlossen. Sie müssen jedoch auf gesetzlicher Grundlage beruhen und dem Übermaßverbot entsprechen. Bei nachträglicher Rechtsänderung darf zB verlangt werden, dass bestehende oder nach genehmigten Bauvorlagen bereits begonnene bauliche Anlagen der neuen Rechtslage angepasst werden, wenn dies im Einzelfall „wegen der Sicherheit oder Gesundheit erforderlich ist“.807 cc) Vorgehen gegen rechtswidrig errichtete bauliche Anlagen: Wie soeben festge- 223 stellt kommt bei genehmigungsbedürftigen Anlagen ein Einschreiten bei Vorliegen einer wirksamen Genehmigung nur ausnahmsweise in Betracht. Einem genehmigungsbedürftigen Vorhaben kann aber aus verschiedenen Gründen die erforderliche Genehmigung auch fehlen (formelle Illegalität). Der Bauherr kann auf die Stellung eines Bauantrages und die Einholung einer Genehmigung verzichtet haben (sog Schwarzbau); er kann den Bau anders als genehmigt ausgeführt oder ihn nachträglich verändert haben; schließlich kann die ursprüngliche Baugenehmigung aufgehoben worden sein. Dabei kann der ungenehmigte Bau den baurechtlichen Anforderungen entsprechen – oder nicht. Die sog materielle Baurechtswidrigkeit kann ursprünglich – oder zwischenzeitlich – vorhanden gewesen sein und fortdauern – oder nicht. Diese unterschiedlichen Fallgestaltungen gebieten eine differenzierte Be802 803 804 805

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Vgl o Rn 208 f. Friauf DVBl 1971, 713, 722. Zum planungsrechtlichen Bestandsschutz vgl o Rn 138 ff. So reduziert das vereinfachte Genehmigungsverfahren aufgrund seines regelmäßig begrenzten Prüfungsumfangs (vgl o Rn 212) den Bestandsschutz für die bauliche Anlage, vgl Wehr DV 38 (2005) 65, 70. Dazu o Rn 215. So oder ähnlich § 76 I BauO BW; § 77 III 1 BauO Bln; § 78 I BauO Bbg; § 89 I BauO Brem; § 83 II BauO Hbg; § 53 III BauO Hess; § 87 I BauO MV; § 99 II BauO Nds; § 87 I BauO NW; § 85 I BauO RP; § 91 I BauO LSA; § 93 I BauO SchlH; § 84 I BauO Thür. Vgl auch BVerfG BauR 1996, 235 ff.

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4. Kap IV 5 b cc

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urteilung der rechtlichen Konsequenzen ungenehmigten Bauens. Auch eine als Grundsatz verstandene rechtliche Aussage wie die, dass eine Abriss- oder Beseitigungsverfügung formelle und materielle Illegalität voraussetze,808 kann allenfalls eine die rechtliche Tendenz beschreibende „Daumenregel“ sein.809 Die Zulässigkeit behördlicher Maßnahmen in diesen Konstellationen hängt 224 zunächst wesentlich davon ab, inwieweit auch das genehmigungsbedürftige, aber genehmigungslose Bauwerk grundrechtlich geschützt ist. Auch insofern muss differenziert werden. Der ungenehmigte Bau ist jedenfalls (Sach-)Eigentum und wird zumindest unter diesem Aspekt von Art 14 I GG erfasst. Ein Vorgehen gegen den Eigentümer steht also unter Gesetzesvorbehalt (Art 14 I 2 GG) und muss dem Übermaßverbot genügen. Ist das genehmigungsbedürftige Bauwerk nicht genehmigt, so ist damit allerdings noch nicht festgestellt, dass es auch den grundrechtlichen „Baufreiheitsschutz“ genießt. Ungenehmigtes Bauen verstößt gegen die Normen, die die grundrechtlich geschützte Baufreiheit unter einen Verfahrensvorbehalt stellen. Dieser Umstand rechtfertigt idR bei einem noch nicht fertig gestellten Bau die Verfügung einer Baueinstellung,810 bei einem noch nicht bezogenen Bauwerk ein Nutzungsverbot.811 Im Übrigen hängt der Grundrechtsschutz des ungenehmigten Bauwerks davon 225 ab, welche (grund-)rechtliche Bedeutung man der Baugenehmigung beimisst. Die hier vertretene Auffassung, dass die Genehmigung die grundrechtliche Baufreiheit rechtsverbindlich feststellt, schließt den Grundrechtsschutz formell illegalen Bauens nicht ipso iure aus. Steht die Übereinstimmung des Bauwerks mit den baurechtlichen Anforderungen fest, ist es also genehmigungsfähig, dann genießt es insofern auch Grundrechtsschutz und ist zB in aller Regel vor Abriss geschützt. Ist der ungenehmigte Bau im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung nicht genehmigungsfähig, muss wiederum differenziert werden: Ist der Bau zu irgendeinem früheren Zeitpunkt einmal genehmigungsfähig gewesen, so soll ihm Bestandsschutz zukommen, wenn seit der Genehmigungsfähigkeit ein „beachtlicher“ Zeitraum, der mit mindestens drei Monaten veranschlagt wird, verstrichen ist.812 War und ist der Bau nicht genehmigungsfähig, so muss das Ausmaß der behördlichen Befugnisse auch davon abhängen, gegen welche Rechtsnormen die bauliche Anlage verstößt. Da die Maßnahme nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen darf, muss die Behörde eine 808 809

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811 812

Vgl Oldiges in: Steiner, BesVwR, Absch IV Rn 331; Ortloff (Fn 665) 198. So kann im Einzelfall die formelle Illegalität für den Erlass einer Beseitigungsverfügung ausreichen, Selmer NJW 1968, 173, 174 unter Hinw auf OVG Lüneburg NJW 1967, 2281. Vgl auch OVG Münster BRS 23, Nr 205 sowie Kischel DVBl 1996, 185 ff. AA Fischer NVwZ 2004, 1057 ff mit Kritik an den Begriffen der formellen und materiellen Illegalität. Zur bauordnungsrechtlichen Behandlung ungenehmigter DDR-Altbauten vgl OVG Weimar ThürVBl 2003, 134 ff mit Anm Lieder ThürVBl 2004, 173 ff. OVG Münster BRS 16, Nr 132; BRS 20, Nr 191; Oldiges in: Steiner, BesVwR, Abschn IV Rn 331 f. Eine Baueinstellung kann auch dann verfügt werden, wenn das Baugenehmigungsverfahren noch erfolgreich nachgeholt werden kann, vgl VGH Mannheim NVwZRR 2005, 10 f. Vgl Ortloff (Fn 665) 229 ff; Peine (Fn 80) Rn 1123; Brohm (Fn 61) § 29 Rn 15. ZB BVerwG BRS 24, Nr 193; BauR 1979, 228, 229; BRS 33, Nr 37; BRS 35, Nr 206. Anders zB Schmaltz (Fn 386) § 30 Rn 18; Schoch Jura 2005, 178, 182.

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4. Kap V 1 a

Güterabwägung durchführen. Es kommt daher darauf an, welchen rechtlichen Stellenwert das von der verletzten Norm geschützte Rechtsgut besitzt. Für die Eingriffsbefugnisse kann etwa von Bedeutung sein, ob das Grundstück planungsrechtlich überhaupt bebaubar oder nicht bebaubar ist und gegen welche bauordnungsrechtlichen Anforderungen verstoßen wurde. Die zuletzt genannten Grundsätze gelten gleichermaßen für Anlagen, die entwe- 226 der verfahrensfrei sind oder einem Freistellungs- oder Anzeigeverfahren unterliegen und rechtswidrig errichtet wurden. Für alle Fallgestaltungen fordert das Gebot des Interventionsminimums jedenfalls, dass die Abriss- oder Beseitigungsverfügung als einschneidendste Maßnahme nur als ultima ratio eingesetzt wird.813 Nach ausdrücklicher Regelung in einigen Bundesländern 814 gilt die Abbruchver- 227 fügung auch gegen den Rechtsnachfolger. Nach verbreiteter Auffassung soll dies auch dann gelten, wenn eine ausdrückliche Regelung fehlt.815 Das ist fragwürdig, weil auch in die Grundrechte des Rechtsnachfolgers nur eingegriffen werden darf, wenn ein Gesetz dazu ermächtigt.816

V. Rechtsschutzfragen des Städtebauund Bauordnungsrechts 1. Gerichtlicher Rechtsschutz gegen städtebauliche Pläne a) Prinzipale Normenkontrolle Nach § 47 VwGO ist gegen bestimmte untergesetzliche Rechtsnormen teils obliga- 228 torisch (§ 47 I Nr 1 VwGO), teils fakultativ (§ 47 I Nr 2 VwGO) 817 die prinzipale Normenkontrolle eröffnet. In unserem Zusammenhang ist die obligatorische Normenkontrolle nach § 47 I Nr 1 VwGO von besonderer Bedeutung, da in diesem Verfahren das OVG über die Gültigkeit von Satzungen, die nach den Vorschriften 813 814

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Schoch Jura 2005, 178, 181. § 58 III MBO; Art 60 II 3 BauO Bay; § 52 V BauO Bbg; § 53 V BauO Hess; § 80 I 3 BauO MV; § 89 II 3 BauO Nds; § 81 S 3 BauO RP; § 57 V BauO Saarl; § 58 III BauO Sachs; § 60 IV BauO Thür. Für bauordnungsrechtliche Pflichtennachfolge auch ohne ausdrückliche Regelung OVG Bremen NJW 1985, 2660, 2660; NordÖR 1999, 373 f; Ortloff JuS 1981, 574, 577 f; Brohm (Fn 61) § 29 Rn 20. Das OVG Münster NVwZ-RR 1998, 159, 160 ist der Auffassung, eine Rechtsnachfolge in die Verantwortlichkeit sei die notwendige Konsequenz der durch die dingliche Wirkung der Baugenehmigung (vgl dazu o Rn 214) bewirkten Rechtsnachfolge in die Bauherreneigenschaft. Dazu krit Nolte/Niestedt JuS 2000, 1172, 1173 mwN; vgl auch die umfangreiche Übersicht über Rspr und Lit bei Guckelberger VerwArch 90 (1999) 499, 508 ff. Schoch JuS 1994, 1026, 1030 f. Im Ergebnis ebenso VGH Kassel NJW 1976, 1910, 1910; DÖV 1987, 302, 302; Stober NJW 1977, 123 ff. Nach BVerwGE 119, 217 ff gehören dazu auch die in einem Regionalplan enthaltenen Ziele der Raumordnung.

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4. Kap V 1 a

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des BauGB erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 II BauGB entscheidet.818 Zu den Satzungen iSd Norm gehört insbesondere 819 der Bebauungsplan (§ 10 BauGB).820 Nicht als Satzung wird der Flächennutzungsplan beschlossen,821 der nach dem Wortlaut daher an sich auch nicht im Verfahren nach § 47 VwGO überprüft werden kann.822 Allerdings gibt die (Neu-)Regelung des § 35 III 3 BauGB 823 Anlass, den Rechtscharakter des Flächennutzungsplans 824 und damit auch die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen ihn neu auszuloten. Der Antrag im Normenkontrollverfahren ist darauf gerichtet, die angegriffene Norm für unwirksam zu erklären.825 Diesen Antrag kann nach § 47 II 1 VwGO jede natürliche oder juristische Person sowie jede Behörde innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Norm stellen. Für natürliche oder juristische Personen verlangt § 47 II 1 VwGO,826 dass sie geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (Antragsbefugnis). Die Anforderungen des § 47 II 1 VwGO entsprechen damit weitgehend denen des § 42 II VwGO.827 818 819

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Vgl hierzu Kohl JuS 1993, 320 ff; Kintz JuS 2000, 1099 ff. Kontrollgegenstand können darüber hinaus zB die Veränderungssperre (§ 16 I BauGB), Satzungen nach § 34 IV BauGB, die Sanierungssatzung (§ 142 BauGB) etc sein. Ein nur planreifer Bebauungsplan iSd § 33 I BauGB ist der prinzipalen Normenkontrolle nicht zugänglich, vgl BVerwG BauR 2002, 445 f. Dazu Jäde BayVBl 2003, 449 ff. Vgl aber § 246 II BauGB, der den Stadtstaaten den Gebrauch anderer Rechtsformen erlaubt. Zu den Einzelheiten der Bebauungsplanung in Hamburg o Rn 86 m Fn 321. Nach einer vom BVerfG gegen den Wortlaut des Gesetzes getroffenen Entscheidung (BVerfGE 70, 35 ff → JK VwGO § 47/11) sind auch die Gesetze prüfungsfähig, mit denen in Hamburg zT die Bebauungspläne festgestellt werden. Vgl o Rn 81. BVerwG NVwZ 1991, 262 f; Redeker/v Oertzen, VwGO, § 47 Rn 17; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 18. Dazu o Rn 135. Vgl unter dem hier angesprochenen Aspekt BVerwGE 117, 287, 303 → JK BauGB § 35/3. Nach BVerwGE 68, 12, 14 → JK VwGO § 47/10 kann der Antrag auch auf die Feststellung gerichtet sein, „daß eine während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrages außer Kraft getretene Norm ungültig war“. Für diesen „Fortsetzungsfeststellungsantrag“ verlangt das BVerwG ein „berechtigtes Interesse an der Feststellung“. Anträge von Behörden sind nur bei Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses zulässig. Eine Behörde kann den Normenkontrollantrag also nur stellen, wenn sie die Norm, um deren Gültigkeit gestritten wird, zu vollziehen oder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zumindest zu beachten hat. Die Einzelheiten sind str, vgl zB VGH Kassel BRS 62, Nr 53; OVG Bautzen NVwZ 2002, 110, 112 f. BVerwGE 107, 215, 217 → JK BauGB § 1 VI/1. Die Antragsbefugnis ist regelmäßig gegeben, „wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft“, BVerwG DÖV 1998, 76, 76 f (LS 1); NVwZ 1998, 732, 732 (LS 1). Sie kann auch gegeben sein, wenn das Grundstück außerhalb des Plangebiets liegt, BVerwG NVwZ 2001, 431, 432 → JK VwGO § 47 II 1/23. Zum subjektiven Recht iSd § 47 II 1 VwGO auf fehlerfreie Abwägung (§ 1 VII BauGB) BVerwGE 107, 215, 220 ff → JK BauGB § 1 VI/1; Schenke VerwArch 90 (1999) 310, 317 ff; krit Steinberg FS Schlichter, 1995, 599, 607. Das Interesse, mit einem nicht bebauten Grundstück in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans einbezo-

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4. Kap V 2 a

Der Antrag ist begründet, wenn die angegriffene Norm „ungültig“ ist (§ 47 V 2 VwGO). Ob das der Fall ist, beurteilt sich nach materiellem Recht. Für den Bebauungsplan sei auf die Ausführungen zu seinen Kontrollmaßstäben 828 und den Fehlerfolgen 829 verwiesen. b) Individualrechtsschutzverfahren Auf die Gültigkeit eines Bebauungsplans kann es auch im Rahmen von Anfech- 229 tungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs- oder allgemeinen Leistungsklagen ankommen, etwa dann, wenn ein Nachbar (oder eine Nachbargemeinde) eine Baugenehmigung anficht, die nur bei Gültigkeit eines Bebauungsplans rechtmäßig ist. In diesem Fall ist der Richter berechtigt und verpflichtet, die Gültigkeit des Bebauungsplans zu überprüfen und ihn bei seiner Ungültigkeit nicht anzuwenden. Einer derartigen „inzidenten Normenkontrolle“ ist nicht nur der Bebauungs-, sondern auch der Flächennutzungsplan zugänglich.830 Prozessual vorstellbar ist auch eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen den Bebauungs- bzw Flächennutzungsplan. Sie ist allerdings nur erfolgreich, wenn dem Kläger ein entsprechender Unterlassungsanspruch zusteht.831 Zumindest theoretisch ist es auch prozessual nicht ausgeschlossen, dass der Kläger eine Klage auf Erlass eines Bauleitplans erhebt. Sie wird beim Flächennutzungsplan wohl immer, beim Bebauungsplan idR daran scheitern, dass dem Kläger kein Anspruch auf Bauleitplanung zusteht.832

2. Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung a) Verpflichtungsklage Stehen einem genehmigungsbedürftigen Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen 230 Vorschriften entgegen, hat der Bauherr einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung.833 Dieser Anspruch ist ein Recht iSd §§ 42 II, 113 V 1 VwGO und kann vom Bauherrn notfalls im Wege der Verpflichtungsklage gem § 42 I VwGO vor den Verwaltungsgerichten durchgesetzt werden. Steht der Bauaufsichtsbehörde

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gen zu werden, ist aber für sich genommen kein abwägungserheblicher Belang, der dem Eigentümer die Antragsbefugnis vermitteln kann, BVerwG NVwZ 2004, 1120f → JK VwGO § 47 II 1/27. Vgl o Rn 105 ff. Die Prüfung ist nicht auf die vom Antragsteller geltend gemachten oder dessen geschützten Belange berührenden Nichtigkeitsgründe beschränkt, BVerwG NVwZ 2001, 431, 432 (LS 2) → JK VwGO § 47 II 1/23. Vgl zum Umfang der Prüfungspflicht auch BVerwG NVwZ 2002, 83 ff sowie Quaas VBlBW 2002, 289, 290 f. Vgl o Rn 116 ff. Vgl auch BVerwG DVBl 1973, 34 ff; Gaentzsch (Fn 266) § 5 Rn 4. Vgl BVerwGE 54, 211, 214 ff; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 I Rn 169. Unzulässig ist demgegenüber aber ein vorzeitiger Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 47 VI VwGO, OVG Bautzen NVwZ 1998, 527, 527 f. § 1 III 2 BauGB. Für den Bebauungsplan vgl o Rn 33, 91 f. Das ergibt sich auch ohne Rückgriff auf die Grundrechte aus den § 72 I MBO entsprechenden Normen der LBauOen. Vgl o Rn 205.

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4. Kap V 2 b

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bei der Entscheidung über den Bauantrag noch ein Ermessensspielraum zu (etwa bei der Entscheidung über eine „Ausnahme“ iSd § 31 I BauGB), kann die Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage 834 erhoben werden. Die Erteilung einer Baugenehmigung im Wege einstweiliger Anordnung wird als grundsätzlich unzulässig angesehen.835 Da sich die Klageart nach dem Klagebegehren richtet, ist die Verpflichtungsklage auch dann einschlägig, wenn die Bauaufsichtsbehörde den Erlass der begehrten Baugenehmigung deshalb verweigert, weil eine für diesen Erlass notwendige Beteiligung einer anderen Behörde oder Körperschaft fehlt. So kann zB die Gemeinde ihr Einvernehmen gem § 36 BauGB versagt haben. Nach Auffassung des BVerwGs 836 ist die Gemeinde gem § 65 II VwGO beizuladen; die rechtskräftige Verurteilung der Bauaufsichtsbehörde mache die Zustimmung der Gemeinde entbehrlich.837 Ein Fall der notwendigen Beiladung gem § 65 II VwGO liegt auch dann vor, wenn die Entscheidung des Gerichts über die Verpflichtung der Behörde zum Erlass der Baugenehmigung auch Dritten (zB Nachbarn) gegenüber nur einheitlich erfolgen kann. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die für den Anspruch auf die Baugenehmigung erforderliche Baurechtmäßigkeit des Vorhabens vorliegt, ist der Abschluss der mündlichen Verhandlung. Das gilt auch, wenn sich die Sach- und Rechtslage bis dahin zuungunsten des Klägers verschlechtert hat.838 Im Einzelfall können dadurch entstehende Härten durch die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen kompensiert werden.839 b) Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen 231 Ist die Baugenehmigung mit einer Nebenbestimmung versehen, stellt sich die Frage, ob der Bauherr die Nebenbestimmung – isoliert – anfechten kann.840 Mit der Anfechtungsklage macht der Bürger einen materiellen Anspruch auf vollständige oder teilweise Aufhebung eines Verwaltungsakts geltend.841 Die Zulässigkeit einer An834

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Die Möglichkeit der Erhebung einer derart modifizierten Verpflichtungsklage ergibt sich im Rückschluss aus § 113 V 2 VwGO. Schoch in: ders/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn 156; Ortloff (Fn 665) 318. Das soll nach VGH Kassel NVwZ-RR 2003, 814 ff → JK VwGO § 123 I 2/2 mit krit Anm Maaß NVwZ 2004, 572 ff auch dann gelten, wenn die Zulässigkeit des Bauvorhabens durch Änderung der Bauleitplanung in Gefahr gerät. AA Rolshoven BauR 2003, 646 ff. BVerwGE 42, 8, 10 ff; vgl auch Ortloff (Fn 665) 319; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 65 Rn 23. Nach BVerwGE 51, 310, 311 f; DVBl 1993, 657, 658 ist die im Baugenehmigungsverfahren zu beteiligende höhere Verwaltungsbehörde nicht notwendig beizuladen, wenn sie Teil der Verwaltungsorganisation des Beklagten ist. AA Erichsen VwR u VwGerichtsbkt I, 109 ff: Es müsse ein Bescheidungsurteil gem § 113 V 2 VwGO ergehen. Vgl zu § 36 BauGB auch die Nachweise in Fn 472. Vgl Schenke (Fn 661) § 9 Rn 123. Dazu o Rn 128, 206. Ausf zum Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen Remmert VerwArch 88 (1997) 112 ff; Pietzcker NVwZ 1995, 15 ff; Störmer DVBl 1996, 81 ff; Hufen/Bickenbach JuS 2004, 867 ff, 966 ff. Pietzcker (Fn 831) § 42 Abs 1 Rn 3.

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Baurecht

4. Kap V 2 b

fechtungsklage gegen eine Nebenbestimmung hängt daher davon ab, ob es möglich ist, dass ein Anspruch auf isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung besteht (vgl § 42 II VwGO). Erhält der Bauherr die beantragte Baugenehmigung unter Beifügung einer Auflage, hat er infolge der – wirksam – erteilten Genehmigung einerseits das grundrechtlich geschützte Recht, das Vorhaben wie beantragt zu errichten.842 Gleichzeitig begründet die Auflage allerdings eine rechtliche Verhaltenspflicht 843 für den Fall, dass der Bauherr von seinem grundrechtlich geschützten Recht aus der Baugenehmigung Gebrauch macht. Dadurch wird der Bauherr in seiner Baufreiheit beeinträchtigt. Rechtswidrige Grundrechtsbeeinträchtigungen begründen einen Anspruch auf Aufhebung der Beeinträchtigung. Erhält also der Bauherr eine wirksame Baugenehmigung unter Beifügung einer uU rechtswidrigen Auflage, so ist es möglich, dass er einen grundrechtlichen Anspruch auf deren Aufhebung hat. Diesen Anspruch kann er im Wege der Anfechtungsklage verfolgen. Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn der Anspruch auf Aufhebung der Auflage besteht. Das hängt davon ab, ob die die Grundrechtsbeeinträchtigung bewirkende Auflage rechtswidrig ist.844 Bedingungen und Befristungen verändern den Inhalt der beantragten Genehmigung. Sie begründen aber keine rechtlichen Verhaltenspflichten. Sie beeinträchtigen daher für sich genommen den Bauherrn nicht in seiner Baufreiheit und lösen auch bei Rechtswidrigkeit keine grundrechtlichen Ansprüche auf ihre isolierte Aufhebung aus. Hat der Bauherr aus den einschlägigen Vorschriften der LBauOen845 einen Anspruch auf die begehrte, unbedingte oder unbefristete Baugenehmigung, ist dieser Anspruch durch Erteilung einer bedingten oder befristeten Genehmigung nicht erfüllt. Der Bauherr muss folglich im Wege der Verpflichtungsklage die Erteilung einer unbedingten bzw unbefristeten Baugenehmigung einklagen.846 Die Klage ist begründet, wenn die Voraussetzungen des Genehmigungstatbestandes erfüllt sind.

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Zu diesem Regelungsgehalt der Baugenehmigung vgl o Rn 208 f. Zum Regelungsgehalt der Auflage vgl o Rn 207. Auf die Frage, ob die verbleibende Genehmigung rechtmäßig ist oder ob sie ohne die Auflage erteilt worden wäre, kommt es nicht an, vgl Remmert VerwArch 88 (1997) 112, 125; Pietzcker NVwZ 1995, 15, 19. AA BVerwGE 81, 185, 186; 112, 221, 224; vgl auch Erichsen Jura 1990, 214, 217 mwN. § 72 I MBO bzw die entsprechenden Vorschriften des Landesrechts, vgl o Rn 205 m Fn 729. So – jew für Bedingungen – VGH Mannheim VBlBW 1995, 29, 29 → JK VwVfG §36/6; OVG Berlin BRS 58, Nr 124; aA Erichsen JK aaO mwN. AA auch BVerwGE 81, 185, 186; 112, 221, 224: Unabhängig von der Art der Nebenbestimmung müsse eine Anfechtungsklage erhoben werden. Für die Zulässigkeit der Klage dürfe die isolierte Aufhebbarkeit nur nicht offenkundig von vornherein ausscheiden, es wird also nach der Trennbarkeit von Hauptverwaltungsakt und Nebenbestimmung gefragt. Im Rahmen der Begründetheit prüft das BVerwG, ob der Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Krit dazu Axer Jura 2001, 748, 752 f; Brüning NVwZ 2002, 1081 f.

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4. Kap V 3 a

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3. Drittschutz (Nachbarschutz) 232 Die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten einem Dritten zur Verfügung stehen, der sich durch ein geplantes oder vorhandenes Bauwerk in seinen Interessen beeinträchtigt sieht, stößt auf ein vielschichtiges Problemfeld. Zum einen ist damit das Verhältnis zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem „Nachbarrecht“ angesprochen. Wie eingangs 847 erwähnt, ist der Ausgleich der durch die bauliche Nutzung von Grund und Boden betroffenen privaten Interessen auch Gegenstand privatrechtlicher Regelungen. Der durch eine bauliche Anlage ausgelöste Konflikt kann daher uU auch mit Hilfe einer zivilrechtlichen Klage ausgetragen werden. Im Übrigen kommt es aber auf die öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten an. Hierfür ist entscheidend, ob und wie potentiell betroffene Drittinteressen subjektiv(öffentlich-)rechtlich bewehrt sind und wie sie verfahrensmäßig durchgesetzt werden können. Diese Frage hat in Rechtsprechung und Literatur eine breite, zumeist unter dem Schlagwort „Nachbarschutz“ geführte Diskussion ausgelöst.848 a) Begriff des „Nachbarn“ 233 Zur wirksamen Wahrnehmung seiner Interessen kann es für den Nachbarn wichtig sein, auf die Entscheidungen der Bauaufsichtsbehörden einzuwirken. So kann er zB an der Aufhebung behördlicher Entscheidungen (zB einer ihn belastenden Baugenehmigung) oder an der Herbeiführung einer solchen Entscheidung (zB Erlass einer Beseitigungsanordnung) interessiert sein. Da der hierfür einschlägige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz als Individualrechtsschutz konzipiert ist, kommt es darauf an, ob und inwieweit das öffentliche Baurecht Interessen des Nachbarn durch subjektive öffentliche Rechte absichert. Diese Fragestellung als eine solche nach der Existenz und dem Inhalt „nachbarschützender Normen“ zu bezeichnen, ist zumindest terminologisch missverständlich. Ein derartiger Sprachgebrauch suggeriert, dass es für das hier angeschnittene Problem auf den Begriff des Nachbarn ankomme und die Nachbareigenschaft über den durch öffentlich-rechtliche Rechtssätze vermittelten Schutz individueller Interessen entscheide. Der Adressatenkreis subjektiver öffentlicher Rechte lässt sich demgegenüber nur von der jeweiligen Norm her bestimmen, so dass „Nachbar“ im Baurecht jeder Dritte ist, dessen Interessen ein Rechtssatz des öffentlichen Baurechts in seinen Schutzzweck (mit-)aufgenommen hat.849 Die umstrittenen Fragen, ob der geschützte „Nachbar“ notwendig Angrenzer oder ob er dinglich berechtigt sein muss, ob also eine nur obligatorische Rechtsstellung (zB Miete, Pacht) noch keinen Nachbarschutz auszulösen vermag,850 sind daher in dieser Abstraktheit nicht zu beantworten. Vielmehr ist die Frage nach dem Schutz Dritter im Baurecht ein Problem der Interpretation von Einzelvorschriften. Man sollte solche Normen daher besser „drittschützende“ Baurechtsnormen nennen. 847 848 849 850

Vgl o Rn 2. Zum Überblick vgl Dürr DÖV 2001, 625 ff; Muckel JuS 2000, 132 ff. Zutreffend Ortloff (Fn 665) 252; Schoch Jura 2004, 317, 318. Vgl dazu Kühl Die Rechtsstellung der obligatorisch Berechtigten im öffentlichen Baurecht, 1996; BVerwG NVwZ 1998, 956, 956.

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Baurecht

4. Kap V 3 b

b) Einfachgesetzlicher Drittschutz Subjektive öffentliche Rechte Dritter können sowohl in den Grundrechten als auch 234 in Normen des einfachen Rechts enthalten sein. Die Bestimmung des subjektivrechtlichen Gehalts einfachgesetzlicher Baurechtsvorschriften wirft deshalb besondere Schwierigkeiten auf, weil keinesfalls alle Baurechtsvorschriften potentiell drittschützenden Charakter haben und der Normtext nur selten ausdrücklich über seine subjektivrechtlichen Gehalte Auskunft gibt (zB in negativer Hinsicht § 1 III 2 BauGB, in positiver § 6 V 4 BauO Bln 851). Nach der Begriffsbestimmung des subjektiven öffentlichen Rechts 852 kommt es darauf an, ob der objektivrechtliche Rechtssatz auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Es reicht also nicht aus, dass die Wahrnehmung der (objektivrechtlichen) rechtssatzmäßigen Verpflichtung durch die Behörden den Dritten („Nachbarn“) tatsächlich begünstigt; 853 vielmehr muss diese Begünstigung von der Norm auch bezweckt sein. Die Herausarbeitung von Gesichtspunkten, die sich als die Einzelauslegung von Normen übergreifende Interpretationskriterien eignen, hat sich als überaus schwierig erwiesen. Im Städtebaurecht stellt das BVerwG darauf ab, ob sich „aus individualisierenden 235 Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet“.854 Im Hinblick auf städtebauliche Normen verfährt die Rechtsprechung insofern restriktiv, als sie Vorschriften des BauGB (früher: BBauG) nur selten generell drittschützenden Charakter zumisst.855 Drittschützend sollen aber zB § 31 II BauGB 856 und § 34 II BauGB 857 sowie zumindest partiell zB § 34 I BauGB, § 35 I BauGB sowie § 15 I BauNVO 858 sein. Für den Drittschutz be851

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§ 6 V 4 BauO Bln lautet: „Den Abstandsflächen nach Satz 1 kommt zur Hälfte ihres Maßes, mindestens jedoch zu 3 m, nachbarschützende Wirkung zu“. Zu parallelen Normen vgl u Rn 236 m Fn 864. Dazu Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 11 Rn 30 ff. Vgl BVerwG DVBl 1994, 697 ff → JK BauGB § 35/1. Die Behörde kann einem Dritten aber durch Zusage ein subjektives öffentliches Recht auf Einhaltung objektivrechtlicher Verpflichtungen einräumen, vgl BVerwGE 49, 244, 247 f. BVerwG NVwZ 1987, 409, 409 → JK BauGB § 31 II/1 m Anm Goerlich JZ 1988, 406 ff. Verneint wurde eine drittschützende Wirkung zB für das Abwägungsgebot des § 1 BBauG BVerwGE 54, 211 ff; für § 2 BBauG BVerwG DVBl 1982, 1096, 1096 → JK BBauG § 2 VII/2; für § 8 II 1 BBauG BVerwGE 54, 211 ff. Vgl zu § 1 VI BauGB aF (wortgleich mit § 1 VII BauGB) jedoch nunmehr BVerwGE 107, 215 ff → JK BauGB § 1 VI/1. BVerwG NVwZ 1987, 409, 409 → JK BauGB § 31 II/1 m Anm Goerlich JZ 1988, 406 ff; aA VGH München BayVBl 2003, 599, 600, der eine drittschützende Wirkung des § 31 II BauGB nur bei konkreter Rücksichtslosigkeit annimmt. BVerwGE 94, 151 ff → JK BauGB § 34/3 m Anm Schmidt-Preuß DVBl 1994, 288 ff unter Änderung der bisherigen Rechtsprechung; für § 34 II BauGB iVm § 4 BauNVO als Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart OVG Münster NVwZ-RR 2004, 245. Vgl – jew unter Hinzuziehung des sog „Rücksichtnahmegebots“ – zu § 15 I BauNVO BVerwGE 67, 334, 339; VGH München BayVBl 2003, 599 f; zu § 34 I BauGB BVerwG DVBl 1992, 1101, 1101 f; VGH München BRS 65, Nr 190; zu § 35 BauGB BVerwGE 52, 122, 125 f; NVwZ 1983, 609, 609. Zum „Rücksichtnahmegebot“ u Rn 237 f. Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets kann sich auch aus § 15 I 1 BauNVO ergeben, vgl BVerwG NVwZ 2002, 1384 f.

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4. Kap V 3 b

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sonders relevant sind die Festsetzungen des Bebauungsplans. Hierzu vertrat das BVerwG früher die Auffassung, dass grundsätzlich allein „der Ortsgesetzgeber berechtigt [ist], je nach den tatsächlichen Gegebenheiten eines Planbereichs Festsetzungen drittschützend auszugestalten oder nicht“.859 Nunmehr soll die Gemeinde insofern zwar weiterhin „im Grundsatz frei“ sein,860 doch gelte dies nicht bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, da eine nicht nachbarschützende Gebietsfestsetzung durch die Gemeinde gegen das Abwägungsgebot des § 1 VII BauGB verstoßen würde.861 Folgt man dem, sind zumindest die Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung kraft Bundesrechts als drittschützend anzusehen.862 Im Bauordnungsrecht ist die Rechtspraxis nicht nur im Hinblick auf die teilweise 236 differierenden Normen der LBauOen unübersichtlich, sondern auch deshalb, weil inhaltlich übereinstimmende Vorschriften der verschiedenen LBauOen von den jeweils zuständigen Oberverwaltungsgerichten unterschiedlich ausgelegt werden.863 Drittschützend können zB die Vorschriften über den seitlichen Grenzabstand von Bauwerken (Bauwiche, Abstandsflächen 864), Vorschriften mit feuer- und gesundheitspolizeilichem Inhalt 865 und die Vorschriften über die Anordnung von Garagen und Stellplätzen 866 sein; die Baugestaltungsvorschriften sollen es hingegen regelmäßig nicht sein.867 Keine subjektiven Rechte sollen die Vorschriften über die einzelnen bauaufsichtsrechtlichen Verfahren vermitteln.868 Fraglich ist, ob insbesondere im Städtebaurecht, aber auch im Bauordnungs237 recht 869 darüber hinaus einem sog Gebot der Rücksichtnahme Drittschutz abzuge-

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BVerwG DVBl 1986, 187, 188 → JK BBauG § 15/1; vgl auch BVerwG BRS 40, Nr 192; BRS 42, Nr 123; NVwZ 1993, 1100, 1100. Vgl hierzu krit Krebs FS Hoppe, 2000, 1055, 1066 f. BVerwGE 94, 151, 155 → JK BauGB § 34/3 m Anm Schmidt-Preuß DVBl 1994, 288 ff. Vgl Schoch Jura 2004, 317, 319 mwN. Festsetzungen bzgl des Maßes der baulichen Nutzung (§§ 16 ff BauNVO) sollen im Zweifel keinen Drittschutz vermitteln, da sie lediglich grundstücksbezogene Normen seien und ausschließlich städtebaulichen Belangen dienten, so VGH Mannheim NVwZ-RR 1993, 347, 347 → JK BauNVO § 23/1; OVG Münster BauR 1992, 60, 61; anders, wenn die Festsetzungen erlassen wurden, um private Belange zu schützen, BVerwG BauR 1995, 823, 823; OVG Münster BauR 1992, 60, 61. Differenziert wird hinsichtlich des drittschützenden Charakters bei Festsetzungen bzgl der Bauweise und überbaubaren Grundstücksflächen, vgl Ortloff (Fn 665) 276 f. Vgl dazu die Übersicht bei Ortloff (Fn 665) 282 ff. Vgl OVG Münster BRS 32, Nr 98; BRS 42, Nr 119; NVwZ 1986, 317 → JK VwGO § 113 I 1/3; BRS 52, Nr 100; VGH München BRS 44, Nr 100. § 5 VII 3 BauO BW; § 6 V 4 BauO Bln sowie § 6 V 5 BauO Brem bestimmen ausdrücklich, dass bzw in welchem Umfang die Vorschriften über die Abstandsflächen drittschützend sind. OVG Münster BRS 27, Nr 103; BRS 39, Nr 48; VGH Mannheim BRS 40, Nr 207. OVG Lüneburg DVBl 1975, 915; BRS 42, Nr 127; BRS 54, Nr 101; verneinend VGH Kassel NJW 1983, 2461, 2461. OVG Lüneburg BRS 44, Nr 118; OVG Saarlouis BRS 44, Nr 162; OLG Karlsruhe BauR 1990, 459; differenzierend Ortloff (Fn 665) 286 f. Ein Dritter soll sich daher nicht darauf berufen können, dass ein Bauvorhaben rechtsfehlerhaft genehmigungsfreigestellt wurde, vgl Seidel NVwZ 2004, 139, 140 f mwN. Vgl dazu Ortloff NVwZ 1985, 13, 19 f; Sarnighausen NVwZ 1993, 1054 ff.

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winnen ist.870 Ein solches Gebot ist aus dem Anliegen entstanden, vor dem Hintergrund eines in subjektivrechtlicher Hinsicht restriktiven Normverständnisses einem Dritten gleichwohl Rechtsschutz einzuräumen, wenn er im Einzelfall in besonderer Weise beeinträchtigt ist. So soll etwa § 34 I BauGB nicht generell Drittschutz zukommen, sondern nur, wenn der Dritte in besonders qualifizierter Weise betroffen ist.871 Für die Diskussion des Problems ist eine Rückbesinnung auf die grundrechtsdogmatische Fundierung der Schutznormlehre 872 hilfreich.873 Diese Lehre gebietet, die Suche nach rechtlichem Schutz für nachteilig betroffene Drittinteressen vor dem unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte bei den einfachrechtlichen Rechtsnormen anzusetzen, also zu fragen, ob eine einfachrechtliche Norm eine „Schutznorm“ ist. Dieses Gebot gründet auf der Annahme, dass die Grundrechte, in unserem Zusammenhang insbesondere Art 14 I GG, den Gesetzgeber und den untergesetzlichen Normgeber verpflichten, bei der Regelung der Nutzung von Grund und Boden nicht nur die Privatinteressen und die Allgemeininteressen, sondern auch konfligierende Privatinteressen untereinander in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen.874 Von daher kann eine unterverfassungsrechtliche Norm in Erfüllung dieser Grundrechtspflicht gebieten, bei der Entscheidung über die zulässige Nutzung eines Grundstücks auch auf die Interessen von Drittbetroffenen (Nachbarn) Rücksicht zu nehmen. Das Problem des „Gebots der Rücksichtnahme“ und des Drittschutzes ist damit vorrangig ein Problem grundrechtskonformer Norminterpretation. Diese kann im Einzelfall durchaus ergeben, dass die Schwere der faktischen Beeinträchtigung Tatbestandsvoraussetzung der Schutznorm ist, die Norm also rechtlichen Drittschutz erst vermittelt, „wenn eine bestimmte Schwelle der Beeinträchtigung erreicht wird“.875 Vor diesem (grundrechts-)dogmatischen Hintergrund wird auch die Rechtspre- 238 chung des BVerwGs zum Gebot der Rücksichtnahme 876 verständlich. Das Gericht hatte die Auffassung vertreten, dass diesem Gebot „drittschützende Wirkung zukommt, soweit in dadurch qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf besondere Rechtspositionen Rücksicht zu nehmen ist, und dass zweitens ein solcher Fall auch dann gegeben sein kann, wenn unabhängig von der besonderen rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen ihr Betroffensein wegen der gegebenen Umstände so handgreiflich ist, daß dies die notwendige Qualifizierung, Individualisierung und Eingrenzung bewirkt“.877 Die Rechtsprechung des BVerwGs hat ein lebhaftes literarisches Echo ausgelöst.878 Dabei war das Rücksichtnahmegebot, 870 871 872

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Dazu Krebs FS Hoppe, 2000, 1055 ff. Vgl dazu die Nachw o Fn 858. Dazu Schmidt-Aßmann (Fn 75) Art 19 Abs 4 Rn 127 ff mwN; Bauer AöR 113 (1988) 582 ff. Überblick bei Krebs in: v Münch/Kunig, GG I, Art 19 Rn 60 sowie dems FS Hoppe, 2000, 1055, 1064 ff. Vgl Krebs FS Hoppe, 2000, 1055, 1062 ff. Zur Konzeption von Art 14 I GG o Rn 27 ff. BVerwG NVwZ 1987, 409, 409 → JK BauGB § 31 II/1. Zur Rechtsprechungsgeschichte vgl Krebs FS Hoppe, 2000, 1055, 1057 ff. BVerwGE 52, 122, 131; ähnlich BVerwG BRS 38, Nr 186; OVG Münster NVwZ 1983, 414, 415 → JK GG Art 14 I/16. Vgl Schrödter DVBl 1977, 726 ff; Müller NJW 1979, 2378 ff; Breuer DVBl 1982, 1065 ff;

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wohl nicht zuletzt wegen seines Namens („Gebot“), dem Missverständnis ausgesetzt, als praeterlegaler Maßstab zur Einräumung von Drittschutz eingesetzt zu werden. Das BVerwG hat aber klarstellend und zutreffend darauf hingewiesen, dass es ein das gesamte Baurecht umfassendes außergesetzliches Rücksichtnahmegebot nicht gebe. Vielmehr seien die einzelnen Normen auf ihren Drittschutzgehalt zu untersuchen. „Deswegen sind es auch die einfachrechtlichen Vorschriften selbst, nicht aber ein außerhalb dieser Vorschriften stehendes Gebot der Rücksichtnahme, die Drittschutz vermitteln“.879 Das Rücksichtnahmegebot ist also dogmatisch kein „Gebot“, weil es kein Rechtssatz ist, sondern ein Interpretationskonzept, dh eine Theorie („Rücksichtnahmelehre“ 880). c) Unvermittelter grundrechtlicher Drittschutz 239 Wenn das einfache Recht die beeinträchtigten Drittinteressen nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt, ist fraglich, ob sich der Dritte unmittelbar auf seine Grundrechte berufen kann. Dazu ist zunächst zu erinnern, dass die Grundrechte keine unmittelbare Rechte- und Pflichtenbeziehung zwischen den privaten Nachbarn konstituieren. Es geht also in erster Linie darum, inwieweit die Grundrechte Drittschutz vor behördlichen Maßnahmen leisten. Diese Frage wirft vielfach deshalb besondere Probleme auf, weil die der Grundrechtsbindung unterliegenden Bauaufsichtsbehörden in den Freiheitsbereich des Dritten (Nachbarn) regelmäßig nicht unmittelbar durch rechtlichen Zwang, sondern mittelbar dadurch eingreifen, dass sie das (unmittelbar) beeinträchtigende Verhalten Privater (zB ein Bauvorhaben) mit hoheitlichen Maßnahmen steuern (zB eine Baugenehmigung erteilen). Dass die Grundrechte auch vor solchen „mittelbaren“ Freiheitsverkürzungen schützen, ist im Grundsatz ebenso anerkannt, wie weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass nicht jede mittelbare Beeinträchtigung grundrechtlich thematisierter Freiheiten den Grundrechtsschutz auszulösen vermag.881 Entscheidend ist daher, welche Art und Weise an Betroffenheit die unmittelbare Inanspruchnahme der Grundrechte rechtfertigen kann. Die Rechtsprechung hat diese „Grundrechtsschwelle“ sehr hoch angesiedelt und dem Dritten etwa Grundrechtsschutz aus Art 14 I GG 882 nur dann zugestanden, wenn durch die Baugenehmigung die Grundstückssituation „nachhaltig

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Redeker DVBl 1984, 870 ff; Schlichter DVBl 1984, 875 ff; Alexy DÖV 1984, 953 ff; Peine DÖV 1984, 963 ff. BVerwG NVwZ 1987, 409, 410 → JK BauGB § 31 II/1; vgl auch BVerwG DVBl 1992, 564, 567; DVBl 1994, 697, 698 → JK BauGB § 35/1; NVwZ 1999, 879, 880. Klarstellend BVerwGE 107, 215, 219 f → JK BauGB § 1 VI/1: Das Rücksichtnahmegebot gebe es nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze, nicht aber als ein das gesamte Bauplanungsrecht umfassendes allgemeines Gebot iS einer eigenständigen rechtlichen Kategorie. Zu diesem Urteil vgl die Anm Schmidt-Preuß DVBl 1999, 103 ff. Vgl auch BVerwG NVwZ 2005, 328, 329. Krebs FS Hoppe, 2000, 1055, 1070. Vgl dazu Erichsen StaatsR u VerfGerichtsbkt I, 3. Aufl 1982, 58f; Pieroth/Schlink Grundrechte, 20. Aufl 2004, Rn 238 ff; vgl auch BVerwGE 44, 244, 246 ff. In Betracht kommen auch andere Grundrechte, zB Art 2 II GG, vgl BVerwGE 54, 211, 222 f; NJW 1980, 2368, 2369; OVG Münster NJW 1984, 1982 ff.

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verändert“ und der Dritte dadurch „schwer und unerträglich“ betroffen ist.883 Diese Kriterien werden nicht häufig erfüllt sein, so dass der durch das einfache Recht vermittelte Drittschutz in der Regel intensiver ausfällt als der unvermittelte grundrechtliche Drittschutz. Soweit abschließende drittschützende Regelungen des einfachen Rechts vorhanden sind, kann ein weitergehender, unmittelbar auf Art 14 I 1 GG beruhender Drittschutz ohnehin nicht bestehen.884 d) Verfahrensfragen Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes eines Dritten richtet sich 240 nach dessen Begehren. Will der Dritte einem genehmigten Vorhaben die Rechtsgrundlage entziehen, muss er versuchen, die Baugenehmigung im Wege von Widerspruch und Anfechtungsklage 885 zu beseitigen.886 Ist dem Dritten die Baugenehmigung nicht bekanntgegeben worden (§ 43 I 1 VwVfGe), läuft für ihn weder die Widerspruchsfrist des § 70 I VwGO (Monatsfrist) noch die des § 58 II VwGO (Jahresfrist). Hatte er jedoch sichere Kenntnis von der Baugenehmigung oder hätte er sie haben müssen, kann er die Möglichkeit der Erhebung von Widerspruch und Anfechtungsklage verwirken.887 Die erforderliche Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) ist gegeben, wenn nach dem Sachvortrag des Klägers die Verletzung seiner Rechte nicht ausgeschlossen ist. Der gegen die Baugenehmigung klagende Dritte muss demnach Tatsachen vortragen, nach denen die Verletzung einer auch seine Interessen schützenden Norm möglich erscheint. Durch die ausdrückliche Zustimmung zum Bauvorhaben verzichtet der Dritte auf seine Abwehransprüche und deren Geltendmachung.888 Macht er sie dennoch geltend, liegt ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) vor.889 Die Anfechtungsklage des Dritten ist gem § 113 I 1 VwGO begründet, soweit die Baugenehmigung rechtswidrig und der Dritte dadurch in seinen Rechten verletzt ist.890 Das setzt voraus, dass die Bauge883

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BVerwGE 32, 173 ff; 44, 244, 246 ff; vgl zu dieser Rspr auch Krebs FS Menger, 1985, 191, 205 ff. BVerwGE 89, 69, 78; DVBl 1997, 61, 62. Vgl auch o Rn 138, 140 zur insoweit vergleichbaren Fragestellung beim sog Bestandsschutz. Ausnahmsweise kann auch eine vorbeugende Unterlassungsklage zulässig sein, vgl BVerwG DVBl 1971, 746 ff; Pietzcker (Fn 831) § 42 I Rn 165 f. Im Regelfall soll aus der gerichtlichen Aufhebung der Baugenehmigung ein Anspruch des Dritten auf Erlass einer Abrissverfügung gegen den Bauherrn folgen, vgl zB BVerwG BauR 2000, 1318 f; aA OVG Greifswald UPR 2004, 80 ff → JK LBO MV § 80 I 1/1. BVerwGE 44, 294, 298 ff; 78, 85 ff → JK VwGO § 47/14; OVG Münster BauR 2000, 381, 381 f → JK Allg VerwR Verwirkung/2; Bauer DV 23 (1990) 211 ff. OVG Lüneburg NdsVBl 2003, 212 ff; VG Gera ThürVBl 2002, 13f. Zu den Voraussetzungen eines auch den Rechtsnachfolger bindenden Verzichts auf die Einhaltung drittschützender Normen VGH Kassel DVBl 1995, 525, 525 → JK Allg VerwR Verzicht/1; Schlemminger/Fuder NVwZ 2004, 129, 131 ff; Schröer/Dziallas NVwZ 2004, 134 ff. OVG Münster VBlNW 2003, 468 ff → JK GG Art 12/69. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (vgl o Rn 212) ist der Prüfungsumfang deutlich reduziert. Nur hinsichtlich der geprüften Vorschriften ist insoweit eine Rechtsverletzung des Klägers iSd § 113 I 1 VwGO möglich, vgl VGH München BayVBl 2003, 342 f. Vgl auch u Rn 244.

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nehmigung gegen drittschützende Normen verstößt oder – bei Nicht-Existenz drittschützender Normen – in besonders qualifizierter Weise 891 in Grundrechte eingreift. Verstößt die Genehmigung ausschließlich gegen nur objektivrechtliche Normen, ist die Anfechtungsklage des Dritten trotz Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung unbegründet.892 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ist der Zeitpunkt ihres Erlasses,893 nachträgliche Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn sind jedoch zu berücksichtigen.894 Vorläufigen Rechtsschutz 895 eines Dritten gegen einen Verwaltungsakt gewährt 241 die VwGO grundsätzlich dadurch, dass dessen Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben (§ 80 I 2 HS 2 VwGO). Das hat zur Folge, dass der Adressat des Verwaltungsaktes von der jeweiligen Regelung keinen Gebrauch machen darf.896 Nach § 80 II 1 Nr 3 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung jedoch ua in den „durch Bundesgesetz […] vorgeschriebenen Fällen“. Einen solchen Fall beinhaltet § 212 a I BauGB. Danach haben „Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens [...] keine aufschiebende Wirkung“. Das bedeutet, dass bei einem genehmigten Vorhaben der Bauherr trotz Widerspruchs oder Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Baugenehmigung 897 zunächst weiter bauen darf. Der Dritte kann nur nach §§ 80 a I Nr 2, 80 IV VwGO behördlichen oder nach §§ 80 a III, 80 V VwGO vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz erlangen. § 212 a BauGB verlagert dergestalt die Verfahrenslast vom Bauherrn auf den Dritten.898 Will der Dritte ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde durch Erlass eines Ver242 waltungsaktes (zB einer Abrissverfügung) gerichtlich erzwingen, muss er in der 891 892

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Vgl o Rn 239. Verstößt die Baugenehmigung gegen eine drittschützende Vorschrift, kann der Dritte nach OVG Berlin DVBl 1993, 120 → JK VwGO § 113 I 1/7; NVwZ-RR 1999, 9, 10 die Aufhebung der Baugenehmigung nur hinsichtlich der Teile des gesetzwidrigen Vorhabens erreichen, durch die er in seinen Rechten verletzt wird, ohne dass es auf die Teilbarkeit der Genehmigung ankommt. Für Aufhebung der gesamten Baugenehmigung OVG Lüneburg BRS 52, Nr 97; OVG Münster ZMR 1992, 564; OVG Bautzen SächsVBl 1999, 137, 138. BVerwG NVwZ 1998, 1179, 1179 → JK VwVfG § 48/18; Grziwotz AöR 113 (1988) 213, 218 ff. OVG Münster BRS 64, Nr 84; VG Gera ThürVBl 2005, 19 ff. Zum Überblick Brühl JuS 1995, 627 ff, 722 ff, 818 ff, 916 ff. Das gilt iE unabhängig von der „Vollziehungs-“ und „Wirksamkeitstheorie“, dazu Erichsen/Klenke DÖV 1976, 833 ff. Die Baugenehmigung ist „bauaufsichtliche Zulassung“ iSd § 212 a BauGB. Str ist dies für den Bauvorbescheid. Eine Anwendung des § 212 a BauGB auf diesen befürwortet zB OVG Lüneburg NVwZ-RR 1999, 716, 716. Abgelehnt wird sie vom VGH München NVwZ 1999, 1363, 1363 → JK VwGO § 80 I/4; VG Dessau BauR 2000, 1733 ff. Auf Befreiungen soll § 212 a BauGB nach OVG Schleswig BauR 1998, 1223 Anwendung finden, ebenso auf Abweichungsentscheidungen (vgl zum Begriff o Rn 206 m Fn 701), OVG Münster DVBl 1999, 788, 789. Uneinigkeit besteht darüber, ob § 212 a BauGB darüber hinausgehend eine generelle materielle Wertung des Gesetzgebers zu Gunsten des Vollzugsinteresses beinhaltet, zustimmend Huber NVwZ 2004, 915 ff mwN; aA VGH München NVwZ-RR 2003, 9 ff → JK VwGO §§ 80, 80 a/4.

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Hauptsache nach Durchführung eines erfolglosen Vorverfahrens (§ 68 II VwGO) Verpflichtungsklage gem § 42 I VwGO erheben. Ein solches Begehren ist in unterschiedlichen Fallgestaltungen denkbar. So kann sich der Dritte zB gegen einen Schwarzbau 899 oder gegen ein zwar genehmigtes, aber nachträglich gefährlich gewordenes Bauwerk zur Wehr setzen wollen. Insbesondere kommt ein Verpflichtungsbegehren in Betracht, wenn ein Dritter ein behördliches Einschreiten gegen ein verfahrensfreies oder ein genehmigungsfreigestelltes bzw anzeigepflichtiges Vorhaben durchsetzen will. Diesen Vorhaben liegt gerade keine anfechtbare Baugenehmigung zugrunde. Materiellrechtliche Anspruchsgrundlage für ein solches Begehren ist die Norm, die die Behörde zur gewünschten Maßnahme ermächtigt – sofern sie auch den Drittschutz bezweckt. Räumt diese Norm der Behörde Ermessen ein, kann ein Verpflichtungsurteil nur im Falle einer Ermessensreduktion 900 ergehen; andernfalls erhält der Dritte ein Bescheidungsurteil. Die durch die jüngsten Baurechtsnovellen erfolgten Freistellungen bestimmter (Wohn-)Bauvorhaben von der Genehmigungspflicht 901 könnten demnach auf den ersten Blick die Rechtsstellung des Dritten verschlechtert haben.902 Mussten früher Widerspruch und Anfechtungsklage des Dritten gegen die erteilte Baugenehmigung bei Verstoß des Bauvorhabens gegen drittschützende Normen Erfolg haben,903 steht nunmehr bei von der Genehmigung freigestellten Vorhaben das Vorgehen gegen rechtswidrige Vorhaben idR selbst dann im Ermessen der Behörde, wenn der Baurechtsverstoß auf der Verletzung drittschützender Normen beruht.904 Daher wird erwogen, diesen Rechtsnachteil zu Lasten des Dritten dadurch zu kompensieren, ihm bei Verletzung drittschützender Normen einen strikten Rechtsanspruch auf Tätigwerden der Bauaufsichtsbehörden zuzugestehen. Es müsse in diesen Fällen von einer prinzipiellen Ermessensreduktion im Rahmen der einschlägigen Befugnisnormen ausgegangen werden.905 Dieses rechtspolitische Anliegen lässt sich de lege lata rechtsdogmatisch so aber nicht umsetzen. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht gezwungen, den Verstoß gegen drittschützende Normen generell mit einer staatlichen Eingriffspflicht zu sanktionieren, sondern kann den notwendigen Interessenausgleich auch der pflichtgemäßen Ermessensausübung durch die Behörde überantworten. Daher kann auch das in den Befugnisnormen eingeräumte Ermessen nicht mit Hilfe grundrechtskonformer Interpretation reduziert werden. Die

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Vgl o Rn 223. Vgl dazu schon o Rn 220. Vgl o Rn 215. Vgl aber Fn 904. Vgl o Rn 240. Das galt allerdings auch nach der früheren Rechtslage, wenn der Bauherr das Bauvorhaben trotz aufgehobener Baugenehmigung weiter verwirklicht bzw das Bauvorhaben zum Zeitpunkt der Aufhebung der Baugenehmigung schon verwirklicht war. Vgl VGH München NVwZ 1997, 923, 923; VGH Mannheim BauR 1995, 219, 220; Degenhart NJW 1996, 1433, 1437 f; Uechtritz NVwZ 1996, 640, 643; Muckel JuS 2000, 132, 136; Martini DVBl 2001, 1488, 1492 ff; Schoch Jura 2005, 178, 184 mwN. Ortloff NVwZ 1998, 932, 933 f befürwortet daneben die Annahme eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs des Nachbarn gegen den Bauherrn. Dagegen Mampel NVwZ 1999, 385 ff.

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Frage nach einer Ermessenreduktion zugunsten des Dritten bleibt damit Einzelfallfrage.906 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Eingriffsverfügung ist grundsätzlich der Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung.907 Will der Dritte im vorläufigen Rechtsschutz ein Einschreiten der Bauaufsichts243 behörde erzwingen, kann er den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 I VwGO beantragen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang das im vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich geltende Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache, soweit durch eine Entscheidung irreparable Tatsachen geschaffen werden.908 Relevant wird dies zB bei der Durchsetzung einer Abrissverfügung – die gerichtliche Anordnung einer vorläufigen Nutzungsuntersagung oder Baueinstellung hingegen ist grundsätzlich möglich.909 Wendet sich ein Dritter gegen ein im vereinfachten Verfahren genehmigtes Vorha244 ben, muss er uU sowohl Anfechtungs- als auch Verpflichtungsklage erheben. Das liegt daran, dass eine im vereinfachten Verfahren erteilte Baugenehmigung die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften nur insoweit feststellt, als diese Prüfungsgegenstand des Baugenehmigungsverfahrens waren.910 Eine Anfechtungsklage des Dritten gegen die Baugenehmigung ist daher nur erfolgreich, wenn diese gegen drittschützende Normen verstößt, die Gegenstand der behördlichen Prüfung waren; verstößt das Vorhaben gegen im vereinfachten Verfahren nicht geprüfte drittschützende Normen, muss der Dritte Verpflichtungsklage, gerichtet auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde, erheben.911 Diese „Zweigleisigkeit“ 912 der Rechtsbehelfe setzt sich entsprechend in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes fort. Drittschutzfragen treten schließlich auch in der Konstellation auf, in der ein Bau245 herr – uU auf Antrag eines Dritten – eine bauaufsichtliche Verfügung zur (Wieder-) Herstellung rechtmäßiger Zustände erhält. Legt der Bauherr dagegen Widerspruch oder Anfechtungsklage ein, hat sein Rechtsbehelf gem § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung.913 Das bedeutet, dass der Bauherr zunächst weiterbauen darf. Der Dritte kann hiergegen bei der Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehung gem § 80 a II VwGO beantragen. Gerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz steht ihm nach Maßgabe des § 80 a III VwGO zu. Danach kann das Gericht auf Antrag Maßnahmen nach § 80 a II VwGO treffen, also selbst anstelle der Behörde die sofortige Vollziehung anordnen. 906

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Vgl BVerwG NVwZ 1998, 395, 395; Seidel NVwZ 2004, 139, 142, der alternativ einen privatrechtlichen Nachbarschutz über § 823 II BGB iVm § 1004 BGB (analog) für möglich und sinnvoll hält. Vgl zur Problematik auch Schoch Jura 2004, 317, 324 f u ders Jura 2005, 178, 184 mwN zum Streitstand. Vgl Gerhardt (Fn 822) § 113 Rn 66 m Fn 307. Vgl Erichsen Jura 1984, 644, 653. Bönker (Fn 356) § 18 Rn 107; Ortloff (Fn 665) 345. Vgl o Rn 212. Vgl BVerwG NVwZ 1998, 58 → JK VwGO § 43/10; OVG Bautzen BRS 60, Nr 106; Uechtritz NVwZ 1996, 640, 647. Uechtritz NVwZ 1996, 640, 647. Eine bauaufsichtliche Eingriffsverfügung fällt nicht unter § 212 a BauGB.

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FÜNFTES KAPITEL

Umweltschutzrecht Rüdiger Breuer

Gliederung I. Grundlagen des Umweltschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aufgabenstellung des staatlichen Umweltschutzes . . . . . . . 2. Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . a) Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestandsschutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gemeinlastprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Prinzip der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Gesetzesvorbehalt und die Bestimmtheit des Gesetzes auf dem Gebiet des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates . . . . . . . . 5. Negative grundrechtliche Schranken des Umweltschutzes . . . . . 6. Umweltschutz als Staatsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung und Einteilung des Umweltschutzrechts . . 1. Umweltschutzrecht als Rechtsgebiet . . . . . . . . . 2. Der mediale Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . a) Umweltmedium Boden . . . . . . . . . . . . . . b) Umweltmedium Wasser . . . . . . . . . . . . . c) Umweltmedium Luft . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der kausale Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . a) Atom- und Strahlenschutzrecht . . . . . . . . . . b) Chemikaliengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lebensmittel-, Futtermittel- und Arzneimittelrecht d) Gentechnikgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der vitale Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der integrierte Umweltschutz . . . . . . . . . . . . a) Der konkurrierend integrierte Umweltschutz . . . b) Der konvergierend integrierte Umweltschutz . . . 6. Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltgesetzbuchs 7. Die Europäisierung des Umweltrechts . . . . . . . .

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36– 36– 38– 38 39 40 41– 42 43 44 45 46 47 48– 48– 50 51– 54–

III. Die Instrumente des staatlichen Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . 1. Planungs- und Verteilungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Modelle einer umfassenden Umweltschutzplanung . . . . . . . . . .

56 37 40

46

50 49d 53 56

57–115 59– 69 59– 60

551

5. Kap

2.

3. 4.

5.

6. 7.

Rüdiger Breuer

b) Umweltleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fachplanungen des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Umweltschutz in der raumbezogenen Gesamtplanung . . . . . e) Der Umweltschutz bei Fachplanungen anderer Verwaltungsbereiche Administrative Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anmeldepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt . c) Administrative Verbote und andere repressive Verfügungen . . . . d) Administrative Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Administrative Warnungen und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . Abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgleichsabgaben bei Eingriffen in Natur und Landschaft . . . . b) Abwasserabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wasserpfennig in Baden-Württemberg, Grundwasserabgabe in Hessen und ähnliche Abgaben für die Wasserentnahme in anderen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Lizenzentgelt im nordrhein-westfälischen Modell der Sonderabfallentsorgung und der Altlastensanierung . . . . . . . . . . . . Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentlich-rechtliche Gestattungsakte und privatrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperationsinstrumente im Verhältnis Staat – Wirtschaft . . . . . . Instrumentarium der öffentlichen Eigenregie . . . . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare öffentliche Eigenregie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare öffentliche Eigenregie . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausnahmen von der öffentlichen Eigenregie . . . . . . . . . . . .

61 62– 66– 68– 70– 71 72– 77– 83 84 85– 86– 93–

65 67 69 83 76 82

98 92 94

95– 95a 96– 98 99–109 99–101 102–109 110 111–115 111–112 113 114–115

IV. Das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Landschaftsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingriffe in Natur und Landschaft . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Bestandsschutz . . . . . . . . . . . b) Besonderer Biotopschutz . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Artenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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116–126 116–118 119–120 121–124 121–123 124 125 126

V. Bodenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätze und Pflichten des Bodenschutzes 3. Ergänzende Vorschriften für Altlasten . . . 4. Wertausgleich . . . . . . . . . . . . . . .

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126a–126h 126a–126b 126c–126 f 126g 126h

VI. Wasserrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die allgemeine wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung . a) Verwaltungs- und verfassungsrechtliche Grundsätze . . . . . b) Die Rechtsinstitute der Erlaubnis und der Bewilligung . . . . c) Erlaubnis- oder bewilligungspflichtige Benutzungen . . . . . d) Die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung einer Erlaubnis oder Bewilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

127–166 127–129a 130–158 130–132 133–135 136–140

552

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141–144

Umweltschutzrecht

5. Kap

e) Die emissionsbezogenen Einleitungsanforderungen des § 7a WHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Stoffbezogene Anforderungen der EG-Richtlinien . . . . . . . . g) Immissionsbezogene Instrumente der Gewässerbewirtschaftung . h) Nebenbestimmungen, nachträgliche Beschränkungen und Widerruf einer Erlaubnis oder Bewilligung . . . . . . . . . . . . . . . i) Anforderungen an Anlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe oder zum Umgang mit solchen Stoffen . . . . . . . . . . j) Betriebsbeauftragte für Gewässerschutz . . . . . . . . . . . . . k) Überwachung, Gewässeraufsicht und repressives Einschreiten der Wasserbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Festsetzung von Wasserschutzgebieten . . . . . . . . . . . . . 4. Unterhaltung und Ausbau oberirdischer Gewässer . . . . . . . . . 5. Wasser- und Bodenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145–147 148 149–151 152–154 155 156 157–158 159–161 162–163 164–166

VII. Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Genehmigungsbedürftige Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen . . . . . . . . . . . b) Betreiberpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Außer-immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen d) Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Inhalt und Wirkung der Anlagengenehmigung . . . . . . . . . . f) Vorbescheid und Teilgenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . g) Nachträgliche Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Untersagung, Stillegung und Beseitigung von Anlagen, Widerruf der Anlagengenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Anlagenbezogene Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der produktbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen des Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderregelung des Fluglärmschutzgesetzes . . . . . . . . . . . 6. Der allgemeine handlungsbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . 7. Der gebietsbezogene Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 8. Exkurs: Treibhausgas-Emissionshandel . . . . . . . . . . . . . . .

167–222 167–171 172–207 174 175–190 191 192–194 195–199 200 201–204

VIII. Atom- und Strahlenschutzrecht . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung . a) Rechtsbegriffliche Voraussetzungen . . b) Versagungsermessen . . . . . . . . . . c) Atomrechtliche Änderungsgenehmigung d) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfragen der nuklearen Entsorgung . . 4. Atomrechtliche Haftung . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

223–237 223–225 226–232 227–230 231 231a 232 233–235 236–237

IX. Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfallbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

238–266 238–243 244–248

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

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. . . . . . . . .

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. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

205–206 207 208–211 212 213–218 213–217 218 219 220–222 222a–222g

553

5. Kap

Rüdiger Breuer

3. Grundsätze und Handlungspflichten im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abfallwirtschaftspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abfallentsorgungsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Grenzüberschreitende Abfallverbringung . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

249–257 258–259 260 261–262 263 264–266

Gesetze Bund: UmweltinformationsG (UIG) idF v 22. 12. 2004 (BGBl I 3704), Sartorius I Nr 294. G über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) idF v 5. 9. 2001 (BGBl I 2350), zul geänd am 24. 6. 2004 (BGBl I 1359), Sartorius I Nr 295. UmwelthaftungsG (UmweltHG) v 10. 12. 1990 (BGBl I 2634), zul geänd am 19. 7. 2004 (BGBl I 2674), Schönfelder Nr 28. G zur Ausführung der VO (EG) Nr 761/2001 des europäischen Parlaments und des Rates v 19. 3. 2001 über die freiweillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) (UmweltauditG – UAG) v 4. 9. 2002 (BGBl I 3490), zul geänd am 4. 12. 2004 (BGBl I 3166). G zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (BundesBodenschutzG – BBodSchG) v 7. 3. 1998 (BGBl I 502), zul geänd am 9. 12. 2004 (BGBl I 3214), Sartorius I Nr 299. G über Naturschutz und Landschaftspflege (BundesnaturschutzG – BNatSchG) v 25. 3. 2002 (BGBl I 1193), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 880. G zur Ordnung des Wasserhaushalts (WasserhaushaltsG – WHG) idF 19. 8. 2002 (BGBl I 3245), zul geänd am 3. 5. 2005 (BGBl I 1224), Sartorius I Nr 845. G über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (AbwasserabgabenG – AbwAG) idF v 18. 1. 2005 (BGBl I 114), Sartorius ErgBd Nr 846. G über Wasser- und Bodenverbände (WasserverbandsG – WVG) v 12. 2. 1991 (BGBl I 405), zul geänd am 15. 5. 2002 (BGBl I 1578). G zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (KrW-/AbfG) v 27. 9. 1994 (BGBl I 2705), zul geänd am 22. 12. 2004 (BGBl I 3704), Sartorius I Nr 298. G zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (ChemikalienG – ChemG) idF v 25. 7. 1994 (BGBl I 1703), zul geänd am 13. 5. 2004 (BGBl I 934). G zum Schutz der Kulturpflanzen (PflanzenschutzG – PflSchG) idF v 14. 5. 1998 (BGBl I 971, ber 1527, 3512), zul geänd am 19. 8. 2004 (BGBl II 1154), Sartorius I Nr 863. G zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-ImmissionsschutzG – BImSchG) idF v 26. 9. 2002 (BGBl I 3830), zul geänd am 22. 12. 2004 (BGBl I 3704), Sartorius I Nr 296. G zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotoren (BenzinbleiG – BzBlG) v 5. 8. 1971 (BGBl I 1234), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). G zum Schutz vor Fluglärm v 30. 3. 1971 (BGBl I 282), zul geänd am 29. 10. 2001 (BGBl I 2785), Sartorius ErgBd Nr 980. G über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (AtomG – AtG) idF v 15. 7. 1985 (BGBl I 1565), zul geänd am 6. 1. 2004 (BGBl I 2), Sartorius I Nr 835.

554

Umweltschutzrecht

5. Kap

G zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastungen (StrahlenschutzvorsorgeG – StrVG) v 19. 12. 1986 (BGBl I 2610), zul geänd am 25. 11. 2003 (BGBl I 2304), Sartorius ErgBd Nr 836. G zur Regelung der Gentechnik (GentechnikG – GenTG) idF v 16. 12. 1993 (BGBl I 2066), zul geänd am 21. 12. 2004 (BGBl I 186), Sartorius I Nr 270. Länder: Es wird auf die Gesetzessammlungen für die einzelnen Länder und die nachfolgend angegebene Sammlung von Burhenne verwiesen. Textsammlungen: W. Burhenne Umweltrecht, Systematische Sammlung der Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder (Losebl). M. Kloepfer Umweltschutz, Textsammlung des Umweltrechts der Bundesrepublik Deutschland (Losebl).

Literatur R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle Umweltrecht, 5. Aufl 2003. M. Bothe/L. Gündling Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1978. M. Bothe/L. Gündling Neuere Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1990. R. Breuer Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl 2004. R. Breuer Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes, 1989. R. Breuer Empfiehlt es sich, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, gegebenenfalls mit welchen Regelungsbereichen? Gutachten B zum 59. Deutschen Juristentag, 1992. R. Breuer Entwicklungen des europäischen Umweltrechts – Ziele, Wege und Irrwege, 1993. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998. C. Callies Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001. K.-P. Dolde (Hrsg) Umweltrecht im Wandel, 2001. U. Di Fabio Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994. A. Epiney Umweltrecht in der Europäischen Union, 2. Aufl 2005. W. Erbguth Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, 1987. W. Frenz Europäisches Umweltrecht, 1998. W. Hoppe Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980) 211 ff. W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch Umweltrecht, 2. Aufl 2000. O. Kimminich/H. Frhr v Lersner/P.-C. Storm Handwörterbuch des Umweltrechts, 2 Bde, 2. Aufl 1994. M. Kloepfer Systematisierung des Umweltrechts, 1978. M. Kloepfer Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978. M. Kloepfer Umweltrecht, 3. Aufl 2004. M. Kloepfer/K. Meßerschmidt Innere Harmonisierung des Umweltrechts, 1986. H.-J. Koch (Hrsg) Umweltrecht, 2002. K.-H. Ladeur Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995. R. v. Landmann/G. Rohmer (Begr) Umweltrecht, hrsg. von K. Hansmann, 4 Bde, Losebl.Kommentar. G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996. P. Marburger Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, Gutachten C zum 56. Deutschen Juristentag, 1986.

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5. Kap I 1

Rüdiger Breuer

P.-C. Mayer-Tasch Umweltrecht im Wandel, 1978. D. Murswiek Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985. H. P. Prümm Umweltschutzrecht, 2. Aufl 1998. D. Rauschning Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980) 167 ff. H.-W. Rengeling (Hrsg) Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2 Bde, 2. Aufl 2003. J. Salzwedel (Hrsg) Grundzüge des Umweltrechts, 1982, teilweise: 2. Aufl (Losebl). J. Sanden Umweltrecht, 1999. R. Schmidt/H. Müller Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl 2001. H. Schulte Umweltrecht, 1999. D. Sellner Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 2. Aufl 1988. R. Stober Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989. P.-C. Storm Umweltrecht, 7. Aufl 2001. P.-C. Storm Handbuch der Umweltverträglichkeitsprüfung (Losebl). C.-H. Ule/H.-W. Laubinger Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht? Gutachten B zum 52. Deutschen Juristentag, 1978. J. Wolf Umweltrecht, 2002.

I. Grundlagen des Umweltschutzrechts 1. Die Aufgabenstellung des staatlichen Umweltschutzes 1 Das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 1 beginnt mit der zutreffenden Feststellung, daß der Umweltschutz keine neue Aufgabe ist, die Eingriffe des Menschen in den Naturhaushalt jedoch erst in der hochindustrialisierten Gesellschaft unserer Zeit zu einer ernsten, weltweiten Gefahr geworden sind. Die Ausgangslage des Jahres 1971 spiegelt sich in dem Befund der Bundesregierung wider, daß immer mehr Rohstoffe verbraucht werden, mehr Land überbaut wird und mehr Eingriffe in die Biosphäre notwendig sind. Die Ursachen dieser Umweltkrise sind tiefreichend und komplex. Als auslösende Faktoren haben die modernen Naturwissenschaften, die Technik und die industrielle Produktion gewirkt. Die Abhängigkeit von der Technik und der industriellen Produktion dürfte irreversibel sein.2 Erst spät ist erkannt worden, daß das technische, industrielle und ökonomische Wachstum wegen der Knappheit der Umweltressourcen begrenzt ist.3 In die1

2

3

BT-Drucks VI/2710, 7; fortgeführt im Umweltbericht ’76, BT-Drucks 7/5684; Umweltbericht 1990, BT-Drucks 11/7168. Vgl zum Begriff und zur Rolle der Technik: Marburger Die Regeln der Technik im Recht, 1979, 7 ff; zum historischen Prozeß der Industrialisierung Lütge Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 4. Aufl 1979, 577 ff. Bewußtseinsbildend haben vor allem gewirkt: Carson The silent Spring, 1962; Meadows Die Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972; vgl ferner Rehbinder ZRP 1970, 259 ff; Picht ZRP 1971, 152 ff; Situationsanalysen des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) in den Umweltgutachten 1974 (BTDrucks 7/2802), 1978 (BT-Drucks 8/1938), 1987 (BT-Drucks 11/1568), 1994 (BT-Drucks 12/6995), 1996 (BT-Drucks 13/4108), 1998 (BT-Drucks 13/10196), 2000 (BT-Drucks 14/3363), 2002 (BT-Drucks 14/8792) und 2004 (BT-Drucks 15/3600).

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Umweltschutzrecht

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sem Bewußtsein bekennt sich die Bundesregierung in ihrem Umweltbericht 1990 4 zu der ethischen Forderung nach einem verantwortlichen Umgang mit der Technik. Zugleich hebt sie die Einsicht hervor, daß die Antwort auf die Risiken des technischen Fortschritts nicht in einem „generellen Verzicht oder Ausstieg“, sondern nur in dem umweltpolitischen sowie in dem rechtlichen Bemühen um die Minimierung und Beherrschung der Risiken bestehen kann. Aufgrund der angedeuteten Fakten ist der Umweltschutz zu einer Schicksalsauf- 2 gabe des modernen Staates geworden. Einerseits tritt der „Staat der Industriegesellschaft“ 5 als planender und gestaltender Promotor des technischen Fortschritts sowie der industriellen und ökonomischen Expansion auf. Damit sichert und erweitert er die volkswirtschaftliche Basis der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge.6 Andererseits ist es ein Gebot des Sozialstaatsprinzips, daß der moderne Staat die Aufgabe des Umweltschutzes wahrnimmt.7 Dies kann nur dadurch geschehen, daß der Staat den Zugriff auf die Umweltressourcen sowie die Zulässigkeit von Umweltrisiken und -belastungen reglementiert, um die ökologische Existenzkrise abzuwenden und ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Hierzu ist eine gesellschaftliche Selbstregulierung nicht imstande. Darüber vermag auch die neuere Propagierung des „schlanken Staates“, der Deregulierung und Privatisierung 8 nicht hinwegzutäuschen. So verfehlt eine Überforderung des Staates oder eine Überschätzung des staatlichen Ordnungsrechts wäre, so illusorisch ist die Vorstellung eines staatlichen Rückzuges von der ordnungsrechtlichen Regulierungsaufgabe des Umweltschutzes.9 Verfassungsrechtlicher Ausdruck dieser Einsicht ist die Staatsaufgabennorm des Art 20 a GG.10 Allerdings ist nicht ohne Grund Kritik an einer „Übernormierung und Über- 3 instrumentierung“ im Bereich des Umweltschutzes geübt worden.11 Gerade durch diese Eigenschaft wird die Effektivität rechtlicher Regelungen eher geschwächt als gestärkt.12 Dennoch bleibt zu fragen, ob der planende, gestaltende und verteilende 4 5

6

7

8

9 10 11 12

BT-Drucks 11/7168, 25. Hierzu mit Krit an der „technischen Realisation“ Forsthoff Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, 39 ff, 42 ff, 75 ff. Vgl Krüger Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl 1966, 582 ff, 796 ff; grundlegend zur Daseinsvorsorge: Forsthoff Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938. Vgl Bullinger in: Das Verursacherprinzip und seine Instrumente, 1974, 78; Stern StaatsR I, 2. Aufl 1984, 908 f; Bull Die Staatsaufgaben nach dem GG, 2. Aufl 1977, 224 ff; Kölble DÖV 1977, 3; Breuer in: Wenz/Issing/Hofmann (Hrsg), Ökologie, Ökonomie und Jurisprudenz, 1987, 21 ff; ferner, allerdings die Effektivität verneinend Steiger Mensch und Umwelt, 1975, 70; aA Rauschning VVDStRL 38 (1980) 185 f. Vgl statt vieler: Stober (Hrsg), Deregulierung im Wirtschafts- und Umweltrecht, 1990; Lübbe-Wolff Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996; Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hrsg), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, 305 ff; allgem Schmidt-Preuß und Di Fabio VVDStRL 56 (1997) 169 ff, 235 ff; Faber Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme im UmwR, 2000. So auch SRU, BT-Drucks 14/8792, Tz 182 ff. Dazu u Rn 34. So Kloepfer DVBl 1979, 644; Hoppe VVDStRL 38 (1980) 243 f. Allgem dazu Grimm (Hrsg), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990.

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Rüdiger Breuer

Sozialstaat nicht eine überbordende, freiheitsmindernde Ingerenz in gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse reklamiert. So wird ein Machtzuwachs des Staates in neuen Zuständigkeiten und Befugnissen gesehen, die den Umweltschutz verstärken und die technische, industrielle und ökonomische Expansion beschränken oder steuern sollen. Diese Sicht gipfelt in der These: „Die ökologisch bedingte Investitionslenkung ist partiell längst Wirklichkeit.“ 13 Der moderne Staat ist angesichts der Schicksalsaufgabe des Umweltschutzes zu 4 einer schwierigen Gratwanderung gezwungen. Der sozialstaatliche Verfassungsauftrag verträgt weder auf dem Feld der Ökonomie noch auf dem Feld der Ökologie eine Preisgabe der Lebensgrundlagen. Gewiß stehen die Ziele des wirtschaftlichen Wachstums und des Umweltschutzes in einem ausgleichsbedürftigen Spannungsverhältnis. Erkennt man die Technik, die Industrialisierung und ein stabiles volkswirtschaftliches Sozialprodukt aufgrund des entstandenen irreversiblen Abhängigkeitsverhältnisses als existentielle Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins, so erweist sich die Vorstellung eines antithetischen Gegensatzes zwischen Ökonomie und Ökologie 14 als unhaltbar. Umweltschutz kann nur von einer intakten Volkswirtschaft in hinreichendem Maße finanziert werden. Zudem wirkt der Umweltschutz volkswirtschaftlich nicht nur hemmend, sondern in selektiver Weise auch fördernd auf das Volumen der Investitionen und Arbeitsplätze ein.15 Schließlich ist die Erhaltung einer intakten Umwelt existentielle Voraussetzung einer intakten Gesellschaft und Volkswirtschaft.16 Mit der Einsicht in die schicksalhafte Bedeutung des staatlichen Umweltschutzes 5 ist eine Aufgabenerweiterung und Akzentverschiebung verbunden, die Eckard Rehbinder 17 treffend gekennzeichnet hat. Den Ausgangspunkt bildet der anthropozentrische Interessenschutz, der in erster Linie dem Leben und der Gesundheit des Menschen sowie daneben dem allgemeinen menschlichen Wohlbefinden und wirtschaftlichen, durch Umweltbelastungen betroffenen Interessen dient. Die modernere Ausprägung des Umweltschutzes präsentiert sich als ressourcenökonomischer und ökologischer Interessenschutz. Er ist auf die Erhaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, auf den Schutz der Biosphäre, der Ökosysteme und der natürlichen Kreisläufe sowie insgesamt auf den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt gerichtet. Auf internationaler Ebene finden sich diese Leitgedanken seit der Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung (Rio-Deklaration) vom 13. 6. 1992 18 13 14

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So Kloepfer DVBl 1979, 640. Vgl statt vieler: Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 363 ff; differenzierend zum Thema „Umwelt und Wirtschaft“ auch SRU, BT-Drucks 14/3363, Tz 93 ff. Vgl hierzu Cansier Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, 38 ff, insbes 43 ff; Kunze Umweltschutz-Investitionen und Wirtschaftswachstum, 1975, 16, 29 ff; OECD-Expertenbericht „Wirtschaft und Umwelt – Die Verflechtung von Ökonomie und Ökologie“, 1983; Umweltbericht 1990 der BReg, BT-Drucks 11/7168, 33 ff; zur aktuellen Problemlage: Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BTDrucks 13/10196, Tz 249 ff. So Jöhr in: v Walterskirchen (Hrsg), Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, 1972, 72 ff; Kunze (Fn 15) 12. RabelsZ 40 (1976) 369 ff. UN-Dok A/Conf 151/5/Rev 1, in: ILM 31 (1992) 876; deutsche Übersetzung in: Breuer/

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Umweltschutzrecht

5. Kap I 2 a

im Postulat der nachhaltigen und dauerhaften Entwicklung (sustainable development).19

2. Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes Dem staatlichen Umweltschutz liegt eine Reihe rechtspolitischer Prinzipien zu- 6 grunde, die ihrer Natur nach unbestimmt und mehrdeutig sind, wenngleich sie neuerdings im deutschen wie im europäischen Recht verankert worden sind (Art 34 EinigungsV, Art 174 EGV, früher Art 130 r EGV aF).20 Um so wichtiger erscheint aus rechtlicher Sicht die systematische Aufschlüsselung der verschiedenen Bedeutungsgehalte und Ausprägungen dieser Prinzipien. a) Vorsorgeprinzip Der Umweltbericht ’76 der Bundesregierung 21 umschreibt das Vorsorgeprinzip mit 7 den programmatischen Worten, daß Umweltpolitik sich nicht in der Abwehr drohender Gefahren und der Beseitigung eingetretener Schäden erschöpfe. Vorsorgende Umweltpolitik verlange darüber hinaus, daß die Naturgrundlagen geschützt und schonend in Anspruch genommen würden. Daran knüpft der Bericht die Feststellung, daß mit der Befolgung des Vorsorgeprinzips ständig wachsende Ansprüche an „die administrativ-planerischen Bereiche der Umweltpolitik“ gestellt würden. Durch vorausschauende und gestaltende planerische Maßnahmen müsse erreicht werden, daß alle gesellschaftlichen und staatlichen Kräfte sich umweltschonend verhielten und bei ihren Entscheidungen mögliche Umweltauswirkungen berücksichtigten. Das Vorsorgeprinzip setzt mithin das kategorische Schutzprinzip und die „unbedingt“ gebotene Gefahrenabwehr voraus. Auf der politischen Ebene dienen die „Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge durch Vermeidung und stufenweise Verminderung von Schadstoffen“ vom 19. 9. 1986 22 dazu, umweltpolitische Konzepte der Vorsorge zu konkretisieren und für verschiedene Problem- und Aktionsfelder zu entfalten. Mit mißverständlicher Terminologie beschreibt die Bun-

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Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg), Jahrbuch des Umwelt- und TechnikR 1993, UTR Bd 21, 1993, 411 ff. Vgl Ruffert in: UTR Bd 21 (Fn 18) 397 ff; Hohmann NVwZ 1993, 311 ff; Schröder WiVerw 1995, 65 ff; Näheres unter Rn 18 a. Auflistung des Vorsorgeprinzips, des Verursacherprinzips und des Kooperationsprinzips in: Umweltbericht ’76 der BReg, BT-Drucks 7/5684, 8f; Umweltbericht 1990 der BReg, BT-Drucks 11/7168, 26 f; zur Unbestimmtheit und zu Kollisionslagen solcher Prinzipien Kloepfer Systematisierung des UmwR, 1978, 103 ff; ders UmwR, § 4 Rn 1 ff; zur Vielfalt und zur Harmonisierung der Prinzipien des Umweltschutzes Kloepfer/Meßerschmidt Innere Harmonisierung des UmwR, 1986, 67 ff; Erbguth Rechtssystematische Grundfragen des UmwR, 1987, 92 ff; Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 1 Rn 76 ff; Sparwasser/Engel/ Voßkuhle UmwR, Rn 2/8 ff; vgl a die Erwähnung dieser Prinzipien in den EG-Aktionsprogrammen für den Umweltschutz v 22. 11. 1973 (ABl EG, C 112), 17. 5. 1977 (ABl EG, C 139), 7. 2. 1983 (ABl EG, C 46), 19. 10. 1987 (ABl EG, C 328) und 17. 5. 1993 (ABl EG, C 138). BT-Drucks 7/5684, 8. BT-Drucks 10/6028.

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desregierung indessen im Umweltbericht 1990 die Vorsorge „in einem weiten Sinne“ als Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Zukunftsvorsorge.23 Jedenfalls ist das Vorsorgeprinzip noch „inhaltlich und instrumentell unbestimmt“ sowie begrifflich klärungs- und präzisierungsbedürftig.24 Es umfaßt zwei Systemvarianten.25 Zum einen ist die Umweltplanung eine Ausdrucks- und Handlungsform des Vor8 sorgeprinzips.26 Der Zusammenhang ergibt sich aus der Aufgabenstellung des ressourcenökonomisch und ökologisch orientierten Umweltschutzes, der sachlich auf Bewirtschaftung, Pflege und gezielte Verteilung der knappen Ressourcen und zeitlich auf die Zukunft gerichtet ist. Damit ist er dem Wesen nach Vorsorge und auf die Grundlage der Planung angewiesen. Den allgemeinen Merkmalen der Planung entsprechend, zeichnet sich die planerische Systemvariante des Vorsorgeprinzips dadurch aus, daß sie kein generell-abstraktes Gleichmaß, sondern in „zweckrationaler dezisionistischer Folgerichtigkeit“ 27 eine konkrete Selektion und Differenzierung verwirklicht. Es geht hierbei um eine restriktive, koordinierte und zukunftgerichtete Umweltpolitik nach finalen Maßstäben und Prioritäten. Die Selektion und Differenzierung kann sich insbesondere auf bestimmte Räume, bestimmte Ressourcen, Qualitäten und Belange der Umwelt, bestimmte Anlagen und Stoffe sowie bestimmte Energieträger beziehen. Auch die neueren, durch internationale und europarechtliche Anstöße verstärkten Bestrebungen zur Festlegung und Verwirklichung von Umweltqualitätszielen 28 sind der planerischen Systemvariante des Vorsorgeprinzips zuzurechnen. Zum anderen kann das Prinzip der gefahrenunabhängigen Vorsorge auch nach 9 dem generell-abstrakten Gleichmaß des klassischen Gesetzes 29 betrieben werden. So kann das Gesetz bestimmen, daß zur Vorsorge gegen bestimmte Umweltbelastungen die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen im Rahmen der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit allgemein, insbesondere in stark wie in schwach belasteten Gebieten gleichmäßig geboten sind. Insoweit kann von der klas23 24

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BT-Drucks 11/7168, 26. So der SRU, BT-Drucks 8/1938, Tz 1936; auch Rehbinder in: Salzwedel (Hrsg), Grundzüge des UmwR, Rn 04/17 ff; ders in: FS Sendler, 1991, 272 ff; Fleury Das Vorsorgeprinzip im UmwR, 1995. Wie hier Trute Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im BImSchG, 1989, 29 ff, 54 ff, 112 ff (risiko- und raumbezogene Vorsorge); ähnlich, aber teilweise abw Kloepfer UmwR, § 4 Rn 12, der zwischen einer „sicherheitsrechtlichen“ Interpretation des Vorsorgeprinzips als Risiko- bzw Gefahrenvorsorge und einer Ressourcenvorsorge im bewirtschaftungsrechtlichen Sinne unterscheidet; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 2/18 ff (Risiko- und Ressourcenvorsorge); ferner Rehbinder in: Simonis (Hrsg), Präventive Umweltpolitik, 1988, 129 ff, der als Erscheinungsformen der Vorsorge ein rechtsatzförmiges Prinzip und ein Strukturprinzip unterscheidet. Hoppe VVDStRL 38 (1980) 228 ff; Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 7 Rn 1. So die Charakterisierung des Raumplans bei Imboden VVDStRL 18 (1960) 124. Vgl dazu SRU, BT-Drucks 13/10196, Tz 59 ff; UBA (Hrsg), Ziele für die Umweltqualität, 2000; Rehbinder NuR 1997, 313 ff; Köck ZUR 1997, 79 ff; Wolf UmwR, Rn 201 ff; Breuer AöR 127 (2002) 523, 556 ff. Grundlegend hierzu Forsthoff Über Maßnahme-Gesetze, in: GS W. Jellinek, 1955, 221 ff; Zeidler Maßnahmegesetz und „klassisches“ Gesetz, 1961.

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5. Kap I 2 c

sisch-gesetzlichen Systemvariante des Vorsorgeprinzips gesprochen werden. Ein derartiges Postulat des gefahrenunabhängigen, gleichmäßigen und generell-abstrakt gebotenen Umweltschutzes kann im Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG erblickt werden.30 Ferner hat die gesetzliche Systemvariante im KrW-/AbfG von 1994 mit seinen Prinzipien der Abfallvermeidung und Abfallverwertung einen positivrechtlichen Ausdruck gefunden.31 b) Bestandsschutzprinzip Bisher hat das Bestandsschutzprinzip nicht die gebührende Beachtung gefunden. Es 10 zielt auf den Schutz des vorgefundenen Umweltbestandes. So verstanden, entbehrt es einerseits des zukunftgerichteten, gestalterischen Elements, das dem Vorsorgeprinzip innewohnt. Anders als dieses bietet es auch keine Handhabe zur Verbesserung der vorgefundenen Situation durch verschärfte Restriktionen. Andererseits ist es strikter als das Vorsorgeprinzip, das im Rahmen der pfleglichen Bewirtschaftung und Ressourcenverteilung immerhin das Hinzutreten zusätzlicher Umweltbelastungen zuläßt – ein Phänomen, das sich insbesondere an der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung und dem Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG aufzeigen läßt.32 Demgegenüber enthält das Bestandsschutzprinzip ein Verschlechterungsverbot.33 Einen positivrechtlichen Niederschlag hat das Bestandsschutzprinzip in den 11 §§ 18 ff BNatSchG gefunden. Danach sind vermeidbare „Eingriffe in Natur und Landschaft“ zu unterlassen, unvermeidbare Eingriffe auszugleichen und unvermeidbare, nicht im erforderlichen Maße ausgleichbare Eingriffe zu untersagen, wenn „die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft im Range vorgehen“ (§ 19 Abs 1–3 BNatSchG).34 Bestimmte Biotope (wie zB Moore, Sümpfe, Bruch-, Sumpf- und Auwälder sowie Fels- und Steilküsten) genießen nach § 30 BNatSchG einen speziellen und verschärften Bestandsschutz. Allerdings können die Länder Ausnahmen hiervon zulassen, „wenn die Beeinträchtigungen der Biotope ausgeglichen werden können oder die Maßnahmen aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls notwendig sind“ (§ 30 Abs 2 Satz 1 BNatSchG). c) Verursacherprinzip Das Verursacherprinzip wird weithin als bloßes Kostenzurechnungsprinzip verstan- 12 den. In dieser Funktion soll seine Anwendung den Grundgedanken der Marktwirtschaft verwirklichen und den Anstoß für ökologisch wirksame und zugleich öko30 31

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Hierzu u Rn 184 ff. Vgl Kunig in: Kunig/Paetow/Versteyl (Hrsg), KrW-/AbfG, 2. Aufl 2003, § 4 Rn 10; Frenz Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im AbfallR, 1996, 81. Vgl u Rn 183 ff. Vgl Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 373 f („Status-quo-Erhaltung“); ders (Fn 24) 91; Kloepfer Systematisierung (Fn 20) 106 („Mindest-Status-quo-Erhaltung“); ders UmwR, § 4 Rn 35 f; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 2/22, 6/126. Vgl u Rn 121 ff.

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5. Kap I 2 c bb

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nomisch effiziente Maßnahmen geben.35 Die Kostenbelastung kann jedoch unter rechtlichen und rechtspolitischen Gesichtspunkten nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit der materiellen Verantwortlichkeit für die Vermeidung, Verminderung und Beseitigung von Umweltbelastungen gewürdigt werden. Nach zutreffender Erkenntnis „handelt es sich bei direkter Verhaltensregulierung oder anreizausübenden Abgaben nur um alternative durch das Verursacherprinzip gedeckte Mittel zur Durchsetzung umweltpolitischer Vermeidungsziele“.36 Durch die verwaltungsrechtliche Regelung der Pflichten zur Vermeidung, Verminderung und Beseitigung von Umweltbelastungen sollte bereits die materielle Verantwortlichkeit an einem richtungweisenden Zurechnungskonzept orientiert werden. Auch hierfür bietet sich das Verursacherprinzip an. Es wird nur dann in umweltpolitisch konsequenter Weise verwirklicht, wenn es sowohl der verwaltungsrechtlichen Regelung der materiellen Verantwortlichkeit als auch der Regelung der Kostenbelastung zugrunde gelegt wird. Damit wird es als übergreifendes Zurechnungsprinzip für die materielle Verantwortlichkeit und die Kostenbelastung begriffen.37 aa) Die erste Systemvariante des Verursacherprinzips baut auf verwaltungsrecht13 lichen Regelungen auf, wonach der Verursacher von Umweltbelastungen verpflichtet ist, diese auf ein rechtlich vorgeschriebenes Ausmaß zu begrenzen. Die umweltpolitische Zielsetzung solcher Regelungen besteht typischerweise darin, möglichst Vermeidungspflichten, hilfsweise Verminderungspflichten und erst in letzter Linie Beseitigungspflichten zu begründen. Die Kostenbelastung folgt nach dieser Systemvariante dem Grunde wie dem Umfang nach der materiellen Verantwortlichkeit. Jedenfalls hat der Verursacher die effektiv aufgewendeten Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungskosten (Ist-Kosten) zu tragen. Konsequenterweise sollten ihm darüber hinaus auch die Kosten auferlegt werden, die er zur pflichtgemäßen Vermeidung, Verminderung und Beseitigung der von ihm verursachten Umweltbelastungen hätte aufwenden müssen (Soll-Kosten). bb) Die zweite Systemvariante des Verursacherprinzips umfaßt sämtliche Maxi14 men der erstgenannten Variante, geht jedoch einen wesentlichen Schritt weiter. Unberührt bleibt hiervon allerdings die verwaltungsrechtliche Regelung der Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungspflichten des Verursachers. Die entscheidende Erweiterung liegt im Bereich der Kostenbelastung, die zwar noch dem Grunde nach der materiellen Verantwortlichkeit folgt, dem Umfang nach jedoch darüber hinausgeht. Der Verursacher hat hiernach nicht nur die Vermeidungs-, Ver35

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So die BReg, Umweltbericht ’76, BT-Drucks 7/5684, 8; Umweltbericht 1990, BT-Drucks 11/7168, 27; auch die EG-Aktionsprogramme für den Umweltschutz (Fn 20); dazu Kahl Umweltprinzip und GemeinschaftsR, 1993, 23 ff; allgem Frenz Das Verursacherprinzip im Öffentl Recht, 1997, 39 ff. Rehbinder Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, 1973, 36. So auch Rupp JZ 1971, 401; Salzwedel Studien zur Erhebung von Abwassergebühren, 1972, 52 f; Rehbinder (Fn 36) 34 ff; Poppe Verursacherprinzip und Umweltschutz, Diss Marburg 1975; Kloepfer UmwR, § 4 Rn 41 ff; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 2/31 ff; zur nachfolgenden Systematisierung Bullinger (Fn 7) 69 ff; zu unterschiedlichen Bedeutungen des Verursacherprinzips auch: Schottelius in: FG Weitnauer, 1980, 397 ff; krit, aber nicht überzeugend Adams JZ 1989, 787 ff, der das Verursacherprinzip als „Leerformel“ und „Begriffsmüll“ bezeichnet; dagegen auch Kirchgässner JZ 1990, 1042 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap I 2 e

minderungs- und Beseitigungskosten zu tragen, sondern zusätzlich alle verbleibenden, von der verwaltungsrechtlichen Regelung der Verhaltenspflichten akzeptierten Umweltbelastungen finanziell auszugleichen. cc) Die dritte Systemvariante des Verursacherprinzips koppelt die Kostenbe- 15 lastung letztlich ganz von den Maximen des Aufwands und Ausgleichs ab. Der Verursacher hat hiernach über die Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungskosten hinaus für die verbleibenden, von der verwaltungsrechtlichen Regelung der Verhaltenspflichten akzeptierten Umweltbelastungen ein Entgelt zu entrichten. Das Entgelt soll der Knappheit des in Anspruch genommenen Umweltgutes entsprechen und so hoch bemessen sein, daß für die Verursacher ein genügender wirtschaftlicher Anreiz besteht, die Umweltbelastungen auf ein politisch erwünschtes Ausmaß zu beschränken. Die erste Systemvariante des Verursacherprinzips läßt sich grundsätzlich mit 16 traditionellen verwaltungsrechtlichen Pflichten- und Eingriffsregelungen verwirklichen. Die modifizierende Auferlegung der Soll-Kosten kann individuell bei pflichtwidrigem Unterlassen über den klassischen Verwaltungszwang, insbesondere im Rahmen der Ersatzvornahme,38 erfolgen, aber auch im Wege einer generellen Pflichtenablösung durch öffentliche Abgaben verallgemeinert werden.39 Als Weg für die zusätzliche Kostenbelastung entsprechend der zweiten oder dritten Systemvariante des Verursacherprinzips bietet sich ebenfalls die Erhebung öffentlicher Abgaben an, die im Sinne der einen oder der anderen Variante ausgestaltet sein können.40 d) Gemeinlastprinzip Soweit das Umweltschutzrecht nicht dem Verursacherprinzip folgt und die Kosten 17 für die Vermeidung, Verminderung und Beseitigung von Umweltbelastungen oder -schäden der öffentlichen Hand zur Last fallen, wird vom Gemeinlastprinzip gesprochen.41 Einigkeit besteht darüber, daß dem Verursacherprinzip – in welcher Systemvariante auch immer – der Vorrang vor dem Gemeinlastprinzip gebührt. Ebenso wird jedoch allgemein anerkannt, daß aus faktischer Notwendigkeit oder politischer Opportunität Ausnahmen zugunsten des Gemeinlastprinzips angezeigt sind. Dafür spielen vor allem Feststellungs-, Zurechnungs- und Quantifizierungsprobleme eine Rolle. e) Kooperationsprinzip Obwohl der Umweltschutz zu einer Schicksalsaufgabe des modernen Staates ge- 18 worden ist, bildet er keine alleinige Domäne des Staates. Vielmehr bedarf der Umweltschutz in besonderem Maße der Kooperation des Staates mit den gesellschaft38 39 40 41

Allgem hierzu Erichsen in: ders /Ehlers, AllgVwR, § 21 Rn 11 ff. Vgl u Rn 95 und 8. Aufl, 647 f (frühere Beiträge zur Altölbeseitigung). Vgl u Rn 86 ff und 93 f zu Umweltabgaben des geltenden Rechts. Hierzu Kloepfer Systematisierung (Fn 20) 108; ders DVBl 1979, 643; ders UmwR, § 4 Rn 52 ff; Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 382 f; ders in: Salzwedel (Fn 24) Rn 04/107 ff; Sanden UmwR, § 4 Rn 14.

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5. Kap I 2 f

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lichen Kräften, insbesondere der Wirtschaft. Der erforderliche technische Sachverstand findet sich primär im gesellschaftlich-wirtschaftlichen Bereich. Zudem fehlt dem Rechtsstaat das Durchsetzungsvermögen für einen umfassenden Oktroi in allen umweltrelevanten Lebensbereichen. Das Kooperationsprinzip dient dem Ziel, aus der Mitwirkung der Betroffenen am umweltpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß „ein ausgewogenes Verhältnis zwischen individuellen Freiheiten und gesellschaftlichen Bedürfnissen“ herzustellen, ohne den Grundsatz der staatlichen Verantwortlichkeit in Frage zu stellen.42 Soweit der Bundesgesetzgeber auf einem umweltrechtlichen Sachgebiet eine kompetenzgemäße Vollregelung getroffen und dabei die gemeinsame Umweltverantwortung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne des Kooperationskonzepts ausgestaltet hat, sieht das BVerfG landesgesetzliche Lenkungsabgaben sowie verhaltenslenkende kommunale Steuern als systemwidrig und unzulässig an.43 f) Prinzip der Nachhaltigkeit 18a Das seit der Rio-Deklaration vom 13.6.1992 aus der internationalen Sphäre in das europäische und deutsche Recht vorgedrungene Prinzip der Nachhaltigkeit 44 geht auf ältere Wurzeln zurück. Es wird jedoch gegenwärtig auf disparate Sachverhalte und Leitgedanken bezogen. Deshalb ist es bis heute trotz – oder wegen – seiner omnipräsenten Beschwörung amorph und juristisch fragwürdig geblieben. Auf erneuerbare Ressourcen wie zB den Wald und den Rohstoff Holz bezogen, bedeutet es, daß die Nutzung die reale Substanz und deren fortwährende Erneuerung nicht zerstören oder gefährden darf.45 Bei nicht erneuerbaren Ressourcen wie den fossilen Energieträgern Kohle, Erdöl und Erdgas läßt sich die Nachhaltigkeit nur so verstehen, daß eine Nutzung, dh ein Verbrauch, nur insoweit erfolgen darf, als der Bedarf künftiger Generationen aus der verbleibenden Restsubstanz oder mittels der Substi42

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BReg, BT-Drucks 7/5684, 9; 11/7168, 27; allgem zum Kooperationsprinzip: Rengeling Das Kooperationsprinzip im UmwR, 1988; Grüter UmwR und Kooperationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, 1989; Lübbe-Wolff NuR 1989, 295 ff; Kloepfer UmwR, § 4 Rn 56 ff; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 2/48 ff (abl zur Qualifikation als Rechtsprinzip); Schrader DÖV 1990, 326 ff; Müggenborg NVwZ 1990, 909 ff; zu den Kooperationsinstrumenten u Rn 110. So BVerfGE 98, 83 (landesrechtliche Abfallabgaben); BVerfGE 98, 106 (kommunale Verpackungssteuern); dazu Di Fabio NVwZ 1999, 1153 ff; mit Recht krit Bothe NJW 1998, 2333 ff; Sendler NJW 1998, 2875 ff; Murswiek DV 33 (2000) 241, 269 ff; ders ZUR 2001, 7 ff; Franzius AöR 126 (2001) 403, 422 ff; zur insoweit notwendigen Differenzierung zwischen den versch Abgabenarten Breuer/Faßbender WiVerw 1995, 1, 34 ff. Vgl oben Fn 18, 19; Art 2 EUV, Art 2, 6 EGV; dazu Frenz Europäisches UmwR, 1997, Rn 6 f, 41 ff; § 1 Abs 5 Satz 1 BauGB, § 1 Abs 2 Satz 1 ROG; §§ 1, 2 BNatSchG, § 1 a Abs 1 Satz 1 WHG; UBA (Hrsg), Nachhaltiges Deutschland, Wege zu einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, 1997; SRU, BT-Drucks 14/3363, Tz 1 ff; BT-Drucks 14/8792, Tz 1 ff; Rehbinder in: Salzwedel (Fn 24) Rn 04/57 ff; ders in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 721 ff; Sanden UmwR, § 4 Rn 1 ff; Bückmann/Lee/Simonis UPR 2002, 168 ff; eingehend Appel Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, 15 ff, 242 ff, 408 ff, 490 ff. Rausch Die Umweltschutzgesetzgebung, 1977, 271 ff.

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tution durch andere Ressourcen gesichert ist oder zumindest erwartet werden kann. Diese herkömmlichen Postulate versagen indessen, wenn man die Nachhaltigkeit iS der dauerhaft umweltgerechten Entwicklung auf die Gesamtheit der natürlichen Lebensgrundlagen, des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastungen bezieht. Sie bedeutet dann ebenso pauschal wie komplex, daß der physische Fortbestand der natürlichen Lebensgrundlagen und somit der Menschheit dauerhaft sowie in hinreichendem oder wünschenswertem Maße gesichert werden muß. Offen ist, welche konkreten und rechtspraktischen Folgen hieraus für die Sollbeschaffenheit bestimmter Umweltmedien und -elemente sowie für bestimmte Anlagen, Nutzungshandlungen und höchstzulässige Verschmutzungen, zB für Emissionsgrenzwerte, erwachsen. Bezieht man überdies die Nachhaltigkeit iS der Drei-Säulen-Theorie auf die Belange nicht nur der Ökologie, sondern auch der Ökonomie und der sozialen Sicherheit,46 so geht es in noch komplexerer Weise um das menschenwürdige Überleben der Menschheit sowie um sozial- und umweltverträgliche, weltweit und dauerhaft realisierbare Lebensverhältnisse. Dabei bleibt vollends offen, ob eine dahingehende menschheitsgeschichtliche Leitvorstellung noch als rechtliches Postulat oder nur noch als politisches Ziel verstanden werden soll. Vergegenwärtigt man sich die vielfältigen und wechselnden, immer wieder gegenläufigen, aber derart global unter Berufung auf die Nachhaltigkeit propagierten Thesen und Rezepte des Umweltschutzes, so kann man grundsätzlich nur von einem politischen Ziel sprechen. In rechtlichen Kategorien läßt sich das globalisierte Prinzip der Nachhaltigkeit allenfalls als Gestaltungs- oder Ermessensdirektive gegenüber der Legislative und der Exekutive verstehen. Weitergehende Vorstellungen eines rechtlichen Postulats der Nachhaltigkeit sind illusionär.47 Um so leichter werden sie zum Einfallstor für Ideologien und politische Propaganda.

3. Der Gesetzesvorbehalt und die Bestimmtheit des Gesetzes auf dem Gebiet des Umweltschutzes Der Umweltschutz stellt wegen seiner Komplexität, seiner schwierigen Grundsatz- 19 und Einzelprobleme sowie seiner Abhängigkeit vom dynamischen Fortschritt der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der technischen und industriellen Entwicklung erhebliche Anforderungen an den Gesetzgeber.48 Dennoch muß die gesetzliche Regelung des Umweltschutzes dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen. Nach der „Wesentlichkeitstheorie“ ist der Gesetzgeber verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen, der staatlichen Regelung zugänglichen Entscheidungen selbst zu treffen.49 46 47

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So alle in den Fn 19, 44 genannten Stimmen. Krit auch Reinhardt in: Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg), Die Bewältigung von Langzeitrisiken im Umwelt- und TechnikR, UTR Bd 43, 1998, 73 ff; Streinz DV 31 (1998) 449 ff. Vgl hierzu Breuer AöR 101 (1976) 49 ff. So BVerfGE 33, 1; 33, 125, 159 f; 33, 303, 337, 346; 34, 165, 192; 40, 237, 248 f; 41, 251, 259; st Rspr; auch Kisker NJW 1977, 1317 ff; Kloepfer JZ 1984, 685 ff; Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 62 Rn 41 ff.

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5. Kap I 3

Rüdiger Breuer

Auf dieser Grundlage hat das BVerfG 50 für das Atomrecht ausgesprochen, daß die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie unter der Geltung des Grundgesetzes „wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheits- und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen Lebensverhältnisse und wegen der notwendigerweise damit verbundenen Art und Intensität der Regelung eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes“ sei. Sie zu treffen sei allein der Gesetzgeber berufen. Zugleich hat das BVerfG in wegweisenden Ausführungen aus dem Gesetzesvorbehalt hergeleitet, daß der Gesetzgeber verpflichtet sein könne „nachzufassen“. Habe er nämlich eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht absehbare Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt werde, so könne er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten sei.51 Auf die verfassungsgerichtlichen Erkenntnisse gestützt, hat namentlich der Hess20 VGH 52 auf dem Gebiet der Gentechnik vielbeachtete und problematische Folgerungen aus der Wesentlichkeitstheorie gezogen. Nach der dort zugrunde gelegten These dürfen Anlagen, in denen mit gentechnischen Methoden gearbeitet wird, nur aufgrund einer ausdrücklichen Zulassung durch den Gesetzgeber errichtet und betrieben werden. Selbst für die umstrittene Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von Anlagen, in denen unter Verwendung gentechnisch veränderter Mikroorganismen ein Zwischenprodukt für in weiteren Verfahrensschritten herzustellendes Humaninsulin gewonnen werden sollte, bildeten nach der Ansicht des HessVGH weder das BImSchG und die 4. BImSchV noch andere Fachgesetze eine ausreichende Rechtsgrundlage. Diese Haltung hat auf der parlamentarischen Ebene zur zügigen Verabschiedung des „Gesetzes zur Regelung von Fragen der Gentechnik“ 53 beigetragen. Damit dürfte der Streit um den Gesetzesvorbehalt auf dem Gebiet der Gentechnik vorerst seine Erledigung gefunden haben. Das offenbar gewordene Grundsatzproblem, das der Gesetzesvorbehalt und die technische Sicherheit aufwerfen, ist jedoch nicht bewältigt. Es läuft auf die verfassungsrechtliche Gretchenfrage hinaus, ob der sozialstaatlich erweiterte Gesetzesvorbehalt dazu führt, daß die wissenschaftliche, wirtschaftliche und allgemeine Handlungsfreiheit blockiert ist, solange der Gesetzgeber keine positive Zulassungsentscheidung getroffen hat. Als Lösung des Problems kann schwerlich eine pauschale Gesetzesabhängigkeit der grundrechtlichen Freiheit „in grundlegenden normativen Bereichen“ postuliert werden.54 In engem Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt steht das verfassungsrecht21 liche Erfordernis der Bestimmtheit des Gesetzes. Hiermit ist es nach der Auffassung 50 51 52 53

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BVerfGE 49, 89, 124 ff (Kalkar); 53, 30, 56 (Mülheim-Kärlich). BVerfGE 49, 130 ff. NVwZ 1990, 276. V 20. 6.1990 (BGBl I 1080); nunmehr idF v 16. 12. 1993 (BGBl I 2066), zul geänd d G v 21. 12. 2004 (BGBl 2005 I 186); zum GentechnikR u Rn 45. Krit auch Sendler NVwZ 1990, 231ff; Graf Vitzthum VBlBW 1990, 48ff; Deutsch NJW 1990, 339; Rupp JZ 1990, 91; Wahl/Masing JZ 1990, 553 ff; Kloepfer in: FS Lerche, 1993, 755 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap I 3

des BVerfG 55 vereinbar, wenn der Gesetzgeber die Erteilung der atomrechtlichen Anlagengenehmigung davon abhängig macht, daß „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist“ (§ 7 Abs 2 Nr 3 AtomG). Das Gericht hat sich damit zur notwendigen Flexibilität gesetzlicher Normen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der technischen Sicherheit bekannt. Es sieht das hierbei unentrinnbar verbleibende Maß an Unbestimmtheit in der Natur des menschlichen Erfahrungswissens begründet. Diese Grundsätze sind auf breite Zustimmung gestoßen.56 Sie sind für das ge- 22 samte Recht des Umweltschutzes und der Technik gültig. Eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers setzt indessen einen evidenten Verfassungsverstoß voraus.57 Unbestimmte Rechtsbegriffe wie diejenigen der allgemein anerkannten Regeln der Technik, des Standes der Technik sowie des Standes von Wissenschaft und Technik weisen eine beträchtliche Weite und Offenheit auf. Nur in wenigen Teilbereichen werden sie durch Rechtsverordnungen konkretisiert. So bleibt die notwendige Konkretisierung weithin Verwaltungsvorschriften der Exekutivspitze 58 und technischen Regeln privatrechtlich organisierter Vereine 59 überlassen. Umwelt- und Technikstandards, die das Gesetzesrecht erst vollziehbar machen,60 werden regelmäßig in diese Rechtsformen gegossen. Soweit die Gesetze auf den Stand der Technik oder den Stand von Wissenschaft und Technik verweisen und damit die rechtlichen Anforderungen an die jeweilige Grenze des erreichten Fortschritts vorverlagern, wird allerdings in ungewissen Grenzfragen ein naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisspielraum bezeichnet; in dessen nachzuweisender Bandbreite wird nicht das insoweit absurde Postulat einzig richtiger Lösungen erhoben, sondern zur Entscheidung des vorerst Ungewissen ein administrativer Standardisierungsspielraum eröffnet.61 Insoweit fungieren normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften als angemessenes Instrument einer konstitutiven, gleichwohl flexibel handhabbaren Regelung.

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BVerfGE 49, 133 ff. Vgl Fiedler JZ 1979, 184 ff; Erichsen VerwArch 70 (1979) 249 ff; Breuer NJW 1979, 1865 f; Ossenbühl DÖV 1981, 1 f. BVerfGE 56, 54, 81 → JK GG Art 2 II 1/2 (Fluglärm). Allgem zur Bedeutung von Verwaltungsvorschriften Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 39 ff; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 65 Rn 4 ff, 14 ff, 39 ff; zur europarechtlichen Problematik bei der Umsetzung von EG-Richtl u Rn 148, 181 a. Vgl u Rn 110. Vgl Salzwedel NVwZ 1987, 276 ff; Breuer in: UTR Bd 9, 1989, 43 ff; ders in: ders (Hrsg), Regelungsmaß und Steuerungskraft des UmwR, 2000, 27 ff. Vgl dazu im Anschluß an BVerwGE 72, 300, 316 f und OVG Lüneburg NVwZ 1985, 357 f: Breuer NVwZ 1988, 104, 119 ff; ders in: UTR Bd 9, 1989, 64 ff; ders NVwZ 1990, 211, 222; ders in: UTR Bd 45, 1998, 172 ff, 196 ff; auch Jarass NJW 1987, 1225, 1229; ferner u Rn 146, 181, 229.

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5. Kap I 4 a

Rüdiger Breuer

4. Positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates 23 Es ist heute allgemein anerkannt, daß die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern zugleich objektive verfassungsrechtliche Wertentscheidungen enthalten und Schutzpflichten begründen.62 Auf dem Gebiet des Umweltschutzes können solche Schutzpflichten aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 GG) und aus der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG), nicht aber aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) erwachsen.63 24 a) In materieller Hinsicht geht es darum, inwieweit im Lichte der Grundrechte Umweltgefahren oder -belastungen vom Staat verhindert oder vom Bürger hingenommen werden müssen. Hierzu hat das BVerfG 64 entschieden, daß die „in die Zukunft hin offene Fassung“ des § 7 Abs 2 Nr 3 AtomG einem dynamischen Grundrechtsschutz diene; sie helfe, den gesetzlichen Schutzzweck jeweils bestmöglich zu verwirklichen. Andererseits folgt das Gericht der Einsicht, daß das Atomgesetz – wie auch das sonstige Recht des Umweltschutzes und der technischen Sicherheit – zwar keinen Schaden, wohl aber ein Restrisiko in Kauf nimmt. Darin erblickt das BVerfG jedoch keine Grundrechtsverletzung: Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließe, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen könnten, „hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen“.65 Für die Gestaltung der Sozialordnung müsse es insoweit bei „Abschätzungen anhand praktischer Vernunft“ bewenden. Was die Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern betreffe, so habe der Gesetzgeber durch die atomrechtlichen Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zulasse, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheine, daß solche Schadensereignisse einträten. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft hätten ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens. Sie seien unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen. 25 Diese Grundsätze verdienen Zustimmung. Sie sind auf andere Bereiche des Umweltschutzes übertragbar. Der zugrunde gelegte Standard der praktischen Vernunft bedeutet: Die Schutz- und Vorsorgemaßnahmen müssen zwar um so umfassender, fortschrittlicher und zuverlässiger sein, je größer die drohenden Umweltgefahren oder -belastungen sind. Ein Schadensereignis braucht jedoch nicht mehr in Betracht gezogen zu werden, wenn es aufgrund der Schutz- und Vorsorgemaßnahmen und des Erkenntnisstandes der führenden Naturwissenschaftler und Techniker praktisch nicht vorstellbar ist, daß ein solches Ereignis eintritt.66 Als Befolgung des Prinzips 62

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Vgl statt vieler: Ossenbühl NJW 1976, 2109 ff; Isensee in: ders/Kirchhof, HdbStR V, § 111; speziell: Roßnagel Grundrechte und Kernkraftwerke, 1979. BVerwGE 54, 211, 220 f. BVerfGE 49, 89, 149 ff (Kalkar); 53, 30, 57 ff (Mülheim-Kärlich). BVerfGE 49, 143. Breuer DVBl 1978, 836 f; vgl u Rn 226 f.

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Umweltschutzrecht

5. Kap I 4 a

der praktischen Vernunft erweist sich die vergleichende Risikobewertung. Die isolierte Betrachtung einer bestimmten Technologie oder Anlagenart liefe auf eine sachwidrige Verengung der gebotenen Risikobewertung hinaus. Vielmehr gilt es, die relative Sicherheit und das Restrisiko einer konkreten Technik mit den Risiken verfügbarer technischer Alternativen und sonstiger zivilisatorischer und technischer Umweltfaktoren sowie mit dem natürlichen Lebensrisiko zu vergleichen.67 Soweit eine staatliche Schutzpflicht „erst aus den in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidungen hergeleitet wird“, kann ein grundrechtlicher Anspruch auf gesetzgeberische Aktivitäten nur in den Grenzen anerkannt werden, die sich aus der Gewaltenteilung, dem demokratischen Prinzip und der Verantwortung des vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers ergeben. Daher müssen dem Gesetzgeber angemessene Erfahrungs- und Anpassungsspielräume zugestanden werden, falls die Entscheidung von „mannigfachen wirtschaftlichen, politischen und haushaltsrechtlichen Gegebenheiten“ abhängt oder verläßliche, auf amtlichen Untersuchungen beruhende Erkenntnisse über komplexe Wirkungszusammenhänge – etwa über die Auswirkungen von Luftverunreinigungen auf Mensch und Natur – noch nicht vorliegen.68 Eine Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht liegt mithin erst vor, wenn die staatlichen Organe angesichts untragbar gewordener Umweltverhältnisse gänzlich untätig geblieben oder die bisherigen Maßnahmen evident unzureichend sind, also gegen das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verstoßen.69 Demgemäß waren zB die seinerzeit umstrittenen und problematischen, zwischenzeitlich wieder außer Kraft getretenen und letztlich durch die Richtlinie 2002/3/EG und die 33. BImSchV abgelösten Regelungen des Ozongesetzes 70 nach der Erkenntnis des BVerfG 71 weder evident unzureichend noch offensichtlich ungeeignet. Sie enthielten daher keine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten. Ebenso reichen die Regelungen der 26. BImSchV 72 zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht im Hinblick auf Gesundheitsgefahren durch elektromagnetische Felder aus.73 67 68

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Breuer NVwZ 1990, 211, 215; ders in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 915 ff. BVerfGE 56, 54, 73 ff → JK GG Art 2 II 1/2 (Fluglärm); BVerfG NJW 1983, 2931, 2932 → JK GG Art 2 I 1/8 und 1998, 3264 → JK GG Art 14/3 (Waldschäden); krit dazu v Hippel NJW 1998, 3254 ff; Murswiek DV 33 (2000) 241 ff; vgl auch BGHZ 102, 350 (Waldschäden); BVerwGE 109, 29 (Ozon, Sommersmog); dazu Brüning JuS 2000, 955 ff; Breuer DVBl 1986, 852 f; allgem zum Rechtsschutz gegen das Unterlassen von Rechtsnormen Schenke VerwArch 82 (1991) 307 ff. BVerfGE 56, 54, 89 f → JK GG Art 2 II 1/2; 77, 170, 214 f; 79, 174, 201 f; krit hierzu Steinberg NJW 1996, 1985, 1988 f; zum Untermaßverbot zB Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 4 Rn 75; Unruh Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, 96 ff. V 19. 7. 1995 (BGBl I 930): Einfügung der §§ 40 a–40 e, 62 a BImSchG; krit dazu Kutscheidt NJW 1995, 3153 ff; zur RL 2002/3/EG v 12. 2. 2002 (ABl EG, L 67/14) und zur 33. BImSchV v 13. 7. 2004 (BGBl I 1612) Hansmann in Landmann/Rohmer, UmwR II, 2.33, Vorbem Rn 1 ff. BVerfG NJW 1996, 651; abl hierzu Wollenteit/Wenzel NuR 1997, 69 ff; vgl auch BVerwGE 109, 29 und die wN in Fn 68. Verordnung über elektromagnetische Felder – 26. BImSchV – v 16. 12. 1996 (BGBl I 1966). BVerfG JZ 1997, 897 → JK GG Art 2 II 1/4; auch Ossenbühl/Di Fabio Rechtliche Kontrollen ortsfester Mobilfunkanlagen, 1995; Determann Neue, gefahrverdächtige Techno-

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5. Kap I 5 a

Rüdiger Breuer

b) In formeller Hinsicht entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß der Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit es für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist.74 Das BVerfG hat diese Erkenntnis im Mülheim-Kärlich-Beschluß 75 auf die grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 GG) sowie auf die Anwendung der Vorschriften über das behördliche und das gerichtliche Verfahren bei der Anlagengenehmigung ausgedehnt – eine Dimension des Grundrechtsschutzes, die alle Zulassungsverfahren umweltrelevanter Großvorhaben erfaßt. Allerdings stellt nicht jeder formellrechtliche Fehler in einem derartigen Zulassungsverfahren eine Grundrechtsverletzung dar. Eine formellrechtlich bedingte Grundrechtsverletzung kommt jedoch in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde oder das Gericht solche Verfahrensvorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art 2 Abs 2 oder Art 14 Abs 1 GG genannten Rechtsgüter erlassen hat.76 c) Insgesamt betrachtet, zielen die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates 27 auf dem Gebiet des Umweltschutzes nicht auf eine Optimierung, sondern lediglich auf die Wahrung eines unabdingbaren, zur Aufrechterhaltung der individuellen Freiheit erforderlichen Minimalstandards des Umweltschutzes. Ein umfassendes, auf Optimierung gerichtetes „Umweltgrundrecht“ oder „Grundrecht auf Umweltschutz“ gibt es bundesverfassungsrechtlich nicht; es wäre zudem nicht praktikabel.77 26

5. Negative grundrechtliche Schranken des Umweltschutzes 28 a) Grundlage negativer grundrechtlicher Schranken des Umweltschutzes ist bei raumbezogenen Maßnahmen der Staatsgewalt vor allem die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG. Inwieweit umweltschutzrechtliche Regelungen und Vollzugsakte als entschädigungsfrei zulässige Sozialbindung des Eigentums fungieren, den Bestand des Eigentums garantiewidrig verletzen oder äußerstenfalls als legitimierte, aber entschädigungspflichtige Enteignung qualifiziert werden müssen, ließ sich früher vor dem Hintergrund des weiten Enteignungsbegriffs 78 abstrakt schwer be-

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logien als Rechtsproblem, Beispiel: Mobilfunk-Sendeanlagen, 1996; krit Murswiek DV 33 (2000) 249 ff. BVerfGE 37, 132, 141, 148; 39, 276, 294; 44, 105, 119 ff; 45, 422, 439 ff; 46, 325, 343 → JK GG Art 14 I/1; 49, 220, 225; 51, 324, 346 ff; 52, 214, 219; vgl im Schrifttum Redeker in: FG BVerwG, 1978, 519 ff; ders NJW 1980, 1593 ff; auch Häberle VVDStRL 30 (1972) 86 ff. BVerfGE 53, 30, 65 f. BVerfGE 53, 65 f. BVerwGE 54, 211, 219; Breuer in: FG BVerwG, 1978, 110; Kloepfer Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, 27 ff; ders DVBl 1988, 305, 314 f; Soell NuR 1985, 205 ff; Murswiek ZRP 1988, 14 ff; verfassungspolitisch für ein „UmweltgrundR“ im GG: Fraktion DIE GRÜNEN, BT-Drucks 11/663; Brönneke ZUR 1993, 342 ff. Grundlegend: BGHZ 6, 270, 278 ff; vgl ferner Breuer Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, 43 ff; ders in: Schrödter (Hrsg), BauGB,

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Umweltschutzrecht

5. Kap I 5 a

antworten. Die traditionelle Rechtsprechung operiert – ungeachtet des Gegensatzes zwischen Sonderopfer- und Schweretheorie – nahezu einhellig mit der Abgrenzungsformel der „Situationsgebundenheit des Grundeigentums“.79 Der BGH hat diese Formel zunächst in dem Sinne gebraucht, daß eine entschä- 29 digungsfreie Sozialbindung des Eigentums vorliegt, wenn die bisher zulässige, der faktischen Beschaffenheit und Lage des Grundstücks angemessene Nutzung aufrechterhalten bleibt und lediglich eine anderweitige, auch bisher nicht zulässige, wenngleich bei der faktischen Situation ebenfalls mögliche Nutzung unterbunden wird.80 Später hat der BGH der Situationsgebundenheit des Grundeigentums die zusätzliche und andersartige Bedeutung unterschoben, daß eine entschädigungsfreie Sozialbindung des Eigentums auch dann vorliegt, wenn eine bisher zulässige Bodennutzung eingeschränkt wird, die nicht mehr den gegenwärtigen Anschauungen und Vorschriften entspricht und deshalb von einem „einsichtigen Eigentümer“ nicht fortgeführt oder (wieder) aufgenommen würde.81 Darüber hinaus hat der BGH eine unterbundene Nutzungsmöglichkeit, die – wie zB ein geplanter Gesteinsabbau – erst in 30 Jahren realisiert werden soll, wegen der tatsächlichen Unsicherheiten als „fernliegend“ und „entschädigungsrechtlich irrelevant“ angesehen.82 Im gleichen Sinne hat das BVerwG 83 der Festsetzung eines Naturschutzgebietes eine enteignende Wirkung abgesprochen, wenn durch sie die vorbereitete, bisher zulässige Schaumlavaausbeute eines Berges unterbunden wird, mit der der Berechtigte noch nicht begonnen hatte und deren Vornahme „sich nach der gegebenen Situation nicht aufdrängt“. Das BVerfG hat bei seiner Neukonzeption der Eigentumsgarantie im Naßauskie- 30 sungsbeschluß 84 bestätigt, daß bei der Sozialbindung des Eigentums das bürgerliche Recht und die öffentlich-rechtlichen Gesetze zusammenwirken. Nach der Erkenntnis des BVerfG – wie auch des BVerwG 85 – steht es mit dem Grundgesetz in Einklang, daß das Wasserhaushaltsgesetz das unterirdische Wasser zur Sicherung der funktionsfähigen Wasserbewirtschaftung – insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung – einer vom Grundstückseigentum getrennten öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung unterstellt hat. Deren Qualifizierung als entschädigungsfreie Sozialbindung erstreckt sich auf das restriktive Bewirtschaftungssystem des Wasser-

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7. Aufl 2005, § 39 Rn 1 ff, 6 ff; das BVerfG hat den Enteignungsbegriff lange nicht definiert, neuerdings jedoch die Rückkehr zum engen „klassischen“ Enteignungsbegriff iS der Güterbeschaffung vollzogen; so BVerfGE 100, 226, 239 f → JK GG Art 14/41; 104, 1, 9 f → JK GG Art 14 I/43; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 14 Rn 524 ff. Grundlegend: BGHZ 23, 30; 48, 193; BVerwGE 49, 365; vgl ferner Breuer Bodennutzung (Fn 78) 134 ff; ders in: Schrödter (Fn 78) § 42 Rn 15, 17; Weyreuther Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums, 1983; Nüßgens/Boujong Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, Rn 198 ff. So etwa BGHZ 23, 30 (Grünflächenfestsetzung). BGHZ 48, 193, 196 f. BGHZ 98, 341, 349. BVerwGE 49, 365. BVerfGE 58, 300, 335 f, 338 ff → JK GG Art 14 I 2/13. BVerwGE 55, 220, 239 f; NJW 1978, 2311, 2312.

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5. Kap I 5 b

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haushaltsgesetzes,86 das behördliche Bewirtschaftungsermessen (§ 6 WHG) und das Verbot des Kiesabbaus, soweit dieser mit einer Grundwasserbenutzung verbunden ist. Ausschlaggebend hierfür ist die besondere Umwelt- und Sozialrelevanz des Grundwassers. Zutreffend hat das BVerfG 87 betont, daß das Verbot der Grundwasserbenutzung und des hiervon abhängigen Kiesabbaus mit Rücksicht auf die verbleibenden Nutzungsmöglichkeiten nicht zu einer „Substanzentleerung des Grundeigentums“ oder einer „totalen Sozialbindung“ führt. Im Anschluß daran hat der BGH 88 seine gegenteilige Rechtsprechung 89 aufgegeben. Nach heute gesicherter Erkenntnis ist ein Gesetz, das den verfassungsrechtlichen 31 Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums überschreitet, wegen eines Verstoßes gegen Art 14 Abs 1 GG verfassungswidrig und nichtig. Es kann nicht etwa in eine entschädigungspflichtige Enteignung iSd Art 14 Abs 3 GG umschlagen oder in eine solche umgedeutet werden.90 Dies gilt auch für Nutzungsverbote, die dem Umweltschutz dienen, aber die Privatnützigkeit des Eigentums aufheben. Unverändert besteht jedoch das alte Abgrenzungsproblem fort, wie weit die gesetzliche und entschädigungsfreie Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums reichen kann und welche gesetzlichen und gesetzesvollziehenden Eingriffe in die Eigentümerrechte jenseits dieses Gestaltungsrahmens liegen und demgemäß nur unter Zuerkennung kompensatorischer Entschädigungs- oder Ausgleichsleistungen zulässig sind.91 Auch hierfür bieten die heute durchweg als Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums qualifizierten Nutzungsverbote und -beschränkungen des Umweltschutzrechts reiches Anschauungsmaterial.92 Abzulehnen ist die Annahme einer verfassungsunmittelbaren, also außergesetzlichen Grundpflicht des Bürgers zum Umweltschutz.93 b) Geringere Beachtung haben bisher die grundrechtlichen Schranken produkt32 bezogener Kontrollen des Umweltschutzes gefunden. Problematisch erscheint insoweit die ungewollte wettbewerbsverzerrende und vermögensschädigende Wirkung behördlicher Zulassungs- oder Anmeldeverfahren, die sich für den ersten Hersteller wesentlich schwieriger, langwieriger und kostspieliger gestalten können als für spätere, die Ergebnisse des früheren Verfahrens vorfindende Hersteller.94 Jenseits einer 86 87 88 89 90

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Hierzu u Rn 75, 130 ff. BVerfGE 58, 345 → JK GG Art 14 I 2/13. BGHZ 84, 223; 84, 230; NuR 1982, 277. BGH NJW 1978, 2290; hierzu Sendler und Breuer ZfW 1979, 65 ff, 78 ff. BVerfGE 52, 1, 27f → JK GG Art 14 I/3; 58, 300, 320 → JK GG Art 14 I 2/13; 79, 174, 192; Böhmer Staat 24 (1985) 157, 192 ff; ders NJW 1988, 2561, 2573 f. So auch Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, § 18, 3 d; Leisner AgrarR 1984, Beil. I, 29 f. Symptomatisch BVerfG 100, 226 (Denkmalschutz); BVerwGE 84, 361 → JK GG Art 14 III/7 und 94, 1 (zur Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsklauseln sowie zu deren Umdeutung im Sinne ausgleichspflichtiger Inhaltsbestimmungen); BVerwGE 112, 373 (Naturschutz); ähnlich nunmehr auch BGHZ 121, 328; 123, 242; 126, 379; krit zum Ganzen Breuer NuR 1996, 537 ff; vgl ferner Ossenbühl (Hrsg), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990 (Beiträge von Isensee, Ronellenfitsch, Ossenbühl und Tomuschat). AA Führ NuR 1998, 6 ff; zutreffend Leisner Umweltschutz durch Eigentümer, 1987, 60 ff. Vgl hierzu Bullinger NJW 1978, 2121 ff, 2173 ff; Scholz Konkurrenzprobleme bei behörd-

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Umweltschutzrecht

5. Kap I 5 b

gewissen Opferschwelle verstößt eine derartige Wettbewerbsverzerrung gegen Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG. Eine hiermit zusammenhängende Vermögensschädigung kann gegen Art 14 Abs 1 GG verstoßen oder Entschädigungsansprüche nach Maßgabe des Art 14 Abs 3 GG auslösen, sofern die eigentums- oder enteignungsrechtliche Opferschwelle überschritten ist. Der Gesetzgeber muß das Zulassungs- oder Anmeldeverfahren so ausgestalten, daß solche Nachteile des ersten Herstellers vermieden werden. Hierfür bietet sich vor allem das Instrument eines Verwertungsverbots zu Lasten späterer Hersteller an.95 Auf grundrechtliche Schranken stößt der produktbezogene Umweltschutz ferner, 33 wenn der Hersteller den Behörden geheimhaltungsbedürftige Daten geschäftlicher oder betrieblicher Art mitteilen muß. Einigkeit dürfte darüber bestehen, daß der Hersteller einen grundrechtlichen Geheimhaltungsschutz genießt. Inwieweit dieser Schutz aus der Wettbewerbsfreiheit des Art 2 Abs 1 GG, aus der Berufs- und Gewerbefreiheit des Art 12 Abs 1 GG oder aus der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG herzuleiten ist und konkrete Gebote oder Verbote beinhaltet, bedarf noch weiterer Klärung.96 Gelegenheit hierzu geben vor allem der Vollzug des Chemikaliengesetzes 97 sowie die Umsetzung und Anwendung der EG-Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen 98 und der Vollzug des Umweltinformationsgesetzes.99 Regelmäßig ist der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im gesamten Umweltschutzrecht ein relativer.100 Demgemäß muß der Unternehmer der verfahrensleitenden Behörde aufgrund spezifizierter Informationspflichten auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse mitteilen. Damit korrelieren Geheimhaltungs- und sonstige Schutzpflichten dieser Behörde.

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lichen Produktkontrollen, 1983; Zuleeg/Schefold Die Zweitanmelderproblematik, bga-Berichte 2/1983. So Bullinger NJW 1978, 2124 ff, 2173 ff. Vgl hierzu Schröder Geheimhaltungsschutz im Recht der Umweltchemikalien, I (1980) und II (1982); ders UPR 1985, 394 ff; ders ZHR 155 (1991) 471 ff. Ursprünglich v 16. 9. 1980 (BGBl I 1718), gegenwärtig idF v 20. 6. 2002 (BGBl I 2090), zul geänd d G v 13. 5. 2004 (BGBl I 934). RL 2003/4/EG v 28. 1. 2003, ABl EG, L 41/26; dadurch Aufhebung der RL 90/313/EWG v 7. 6. 1990, ABl EG, L 158/56; zu den hierdurch aufgeworfenen Problemen des Geheimnisschutzes Engel NVwZ 1992, 111 ff; ders Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, 1993, 81 ff, 108 ff; allgem zur Umsetzung der RL 2003/4/EG Schrader ZUR 2004, 130 ff. IdF v 23. 8. 2001 (BGBl I 2218); dazu Turiaux NJW 1994, 2319 ff; Kollmer NVwZ 1995, 858 ff (Klagemöglichkeit); Theuer NVwZ 1996, 326 ff; Heselhaus EuZW 2000, 298 ff; Rossi UPR 2000, 175 ff; ders Infomationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, 2004, 118 ff; Kloepfer UPR 2005, 41 ff; zu den Informationsmitteln BVerwG NJW 1997, 753 → JK UIG § 4 I/2; OVG NW DVBl 1995, 1020. Näher dazu Breuer NVwZ 1986, 171 ff; zum Geheimnisschutz auch: Röger UIG, 1995, § 8 Rn 26 ff; Berg GewArch 1996, 177 ff; VG München NVwZ 1996, 410 → JK UIG § 4/1.

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6. Umweltschutz als Staatsziel 34 In jüngerer Zeit haben zunächst zahlreiche Landesverfassungen den Umweltschutz zum Staatsziel oder zur Staatsaufgabe erklärt.101 Diese Bestimmungen geben jedoch nicht mehr her als der „relative“ sozialstaatliche Wahrnehmungsauftrag zugunsten des Umweltschutzes.102 Sie begründen kein Abwehrrecht gegen hoheitliche Maßnahmen 103 und erst recht keinen Anspruch auf staatliche Schutz- oder Pflegemaßnahmen. Im übrigen vermögen solche Staatsziel- oder Staatsaufgabenbestimmungen den elementaren Konflikt zwischen der ökologischen und der ökonomischen Existenzsicherung nicht zu lösen. Dieses Dilemma haben auch die Entwürfe offenbart, die – frühere Vorschläge aufnehmend – in der 11. Legislaturperiode dem Bundestag sowie in der 12. Legislaturperiode der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates vorgelegen haben.104 So sah der Entwurf des Bundesrates zur Einfügung eines Art 20 a GG 105 zum einen die Bestimmung vor, daß die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen unter dem Schutz des Staates stehen; zum anderen sollte hiernach dem Gesetzgeber ein „relativer“ Handlungsauftrag erteilt und bestimmt werden, daß Bund und Länder „das Nähere in Gesetzen unter Abwägung mit anderen Rechtsgütern und Staatsaufgaben“ regeln. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt eine solche Staatszielbestimmung eine bloße Deklamation dar, die inhaltlich nicht über den „relativen“ sozialstaatlichen Wahrnehmungsauftrag hinausgeht und somit juristisch leerläuft. Gerade deshalb ist jedoch zu besorgen, daß sie einen subjektivistischen und eigendynamischen „Interpretationswettbewerb“ herausfordern und die politischen Konfliktentscheidungen letztlich den Gerichten zuspielen würde.106 Verstärkte Bedenken im Hinblick auf die „Entfesselung“ und einen ökologischen Dezisionismus der dritten Gewalt rief der Entwurf einer Staatszielbestimmung hervor, demzufolge die natürlichen Lebensgrundlagen – ohne Gesetzes- oder Regelungsvorbehalt – „unter dem besonderen 101

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So Art 3 c Verf BW; Art 3 Abs 2, 141 Abs 1 und 2 BayVerf; Art 31 Abs 1 BerlVerf; Art 2 Abs 1, 39, 40 Verf Bbg; Art 11 a, 65 Abs 1 Verf Brem; Vorspruch Abs 5 Verf Hbg; Art 26 a HessVerf; Art 2, 12 Verf M-V; Art 1 Abs 2 Verf Nds; Art 29 a Verf NW; Art 69 Verf Rh-Pf; Art 59 a SaarlVerf; Art 10 SächsVerf; Art 35 Verf LSA; Art 7 Verf S-H; Art 31 ThürVerf. Dazu o Rn 2 ff. BayVerfGH NVwZ 1986, 631. BT-Drucks 11/885 (BRat); 11/10 (SPD-Fraktion); 11/663 (Fraktion DIE GRÜNEN); auch 11/7905 (Rechtsausschuß des BT); 12/6000, 15, 65 ff (Gemeinsame Verfassungskommission). BT-Drucks 11/885. Ebenso Depenheuer DVBl 1987, 809, 813; Klein DVBl 1991, 729, 736; Merten DÖV 1993, 368 ff; krit auch Rupp DVBl 1985, 999 ff; Rauschning DÖV 1986, 489 ff; Michel NuR 1988, 272 ff; Isensee in: ders/Kirchhof, HdbStR III, § 57 Rn 128 ff; skeptisch Soell NuR 1985, 211 ff; aA Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn 139 ff; Wienholtz AöR 109 (1984) 532, 546 ff; v Mutius WiVerw 1987, 51 ff; Stiens/Voß in: UTR Bd 21, 1993, 3 ff; zum Problem ferner Michel Staatszwecke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes im GG, 1986, 268 ff; Kloepfer DVBl 1988, 305 ff; Müller-Bromley Staatszielbestimmung Umweltschutz im GG? 1990; Sommermann DVBl 1991, 34 ff; Tsai Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpolitik des Staates, 1996.

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Schutz des Staates stehen“ sollten.107 Damit würden die Relativitäts-, Abwägungsund Interpretationsprobleme nicht gelöst, sondern verschwiegen und infolgedessen eher verschärft. Der alternative Entwurf einer Staatszielbestimmung, die den „ökologischen Belangen“ einen generellen Vorrang gegenüber „ökonomischen Erfordernissen“ gewähren sollte,108 strebte dagegen eine substantielle Verfassungsänderung an. Indessen lag die Problematik dieses Entwurfs in seinem verfassungspolitischen Aktionismus sowie in der Rigorosität seiner umwelt-, wirtschafts- und sozialpolitischen Präferenzen. Trotz der rechtlichen Bedenken haben alle im Bundestag vertretenen Parteien an der politischen Absicht festgehalten, das Grundgesetz durch die Erklärung des Umweltschutzes zum Staatsziel oder zur Staatsaufgabe zu ändern. Am Ende der 11. Legislaturperiode (1990) scheiterte dieses Vorhaben jedoch daran, daß sich für keinen der vorgelegten Entwürfe die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit (Art 79 Abs 2 GG) fand. Während der 12. Legislaturperiode sind die Vorschläge zur Einführung eines Staatsziels Umweltschutz in die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates eingegangen, die gemäß Art 5 des Einigungsvertrages eingesetzt war. In ihrem Bericht vom 5. 11. 1993 hat die Verfassungskommission nach mühevollen Prozeduren die Einfügung eines Art 20 a GG vorgeschlagen. Danach schützt der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“.109 Kurz vor Abschluß der 12. Legislaturperiode haben Bundestag und Bundesrat mit verfassungsändernder Mehrheit diese Bestimmung beschlossen und zum geltenden Verfassungsrecht erhoben.110 Sie enthält ein objektivrechtliches, anderen Verfassungsprinzipien gleichgeordnetes Staatsziel, das einerseits in einen Gestaltungsauftrag an den parlamentarischen Gesetzgeber, andererseits aber auch in eine verfassungsunmittelbare Pflicht der Verwaltung und der Rechtsprechung mündet. Dabei läßt die Klausel „nach Gesetz und Recht“ die zentrale Frage offen, welche Staatsorgane im Streit- und Zweifelsfall die letztverbindliche Entscheidung über Inhalte und Grenzen des Umweltschutzes zu treffen haben. Die Rechtspraxis wird ausbaden müssen, was der dilatorische Formelkompromiß des Art 20 a GG an politischem Dissens verbirgt.111

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So der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, BT-Drucks 11/10. So der Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN, BT-Drucks 11/663. BT-Drucks 12/6000, 15, 65 ff; vgl dazu Robert Umweltschutz und Grundgesetz: Zum Meinungsstreit der politischen Parteien über eine notwendige Verfassungsänderung, 1993; Uhle DÖV 1993, 947 ff. G zur Änderung des GG v 27. 10. 1994 (BGBl I 3146); ergänzt d G v 26. 7. 2002 (BGBl I 2862) (Tierschutz); dazu Faller Staatsziel „Tierschutz“, 2005, 105 ff. Die Rspr hat sich bisher, soweit ersichtlich, nur zu Randfragen des Art 20 a GG geäußert; so BVerwG NJW 1995, 2648 → JK GG Art 5 III/17 (verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit); BVerwG NVwZ 1996, 901 (kein Verfassungspostulat einer Verbandsklage); allgem zu Art 20 a GG: Kloepfer DVBl 1996, 73 ff; Murswiek NVwZ 1996, 222 ff; Uhle UPR 1996, 55 ff; ders JuS 1996, 96 ff; Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher Jura 1996, 42 ff; Murswiek DV 33 (2000) 263 ff; Callies Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, 104 ff.

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7. Gesetzgebungskompetenzen 35 Der Bund hat keine umfassende Gesetzgebungskompetenz für den Umweltschutz. Er verfügt jedoch über Gesetzgebungskompetenzen auf wichtigen Teilgebieten des Umweltschutzes. Auf dieser Grundlage ist das geltende Umweltschutzrecht heute überwiegend Bundesrecht und als solches auch entwicklungsfähig.112 Erwähnung verdient in erster Linie die im Jahre 1972 eingefügte 113 konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (Art 74 Abs 1 Nr 24 GG). Auf dem Gebiet des Atomrechts hat der Bund seit 1959 114 eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art 74 Abs 1 Nr 11 a GG). Einschlägig ist auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für „den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz“ (Art 74 Abs 1 Nr 20 GG). Demgegenüber steht dem Bund für den Naturschutz, die Landschaftspflege sowie den Wasserhaushalt lediglich eine Rahmengesetzgebungskompetenz zu (Art 75 Abs 1 Nr 3 und 4 GG). Schließlich decken einige weitgespannte Bundesgesetzgebungskompetenzen die Mitregelung konkurrierender oder konvergierender Belange des Umweltschutzes. Dies gilt etwa für die Kompetenzen auf den Gebieten des Rechts der Wirtschaft (Art 74 Abs 1 Nr 11 GG), der Bauleitplanung (Art 74 Abs 1 Nr 18 GG), der Raumordnung (Art 75 Abs 1 Nr 4 GG) sowie des Straßen- und Schienenwegebaues (Art 74 Abs 1 Nr 22 und 23 GG). Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Sachbereich der Gentechnik wurde von der Bundesregierung zu Recht „aus einer Gesamtschau verschiedener Kompetenzen des Grundgesetzes“ hergeleitet.115

II. Abgrenzung und Einteilung des Umweltschutzrechts 1. Umweltschutzrecht als Rechtsgebiet 36 Ob das Umweltschutzrecht ein eigenes, geschlossenes Rechtsgebiet bildet, ist bis in die jüngste Zeit bestritten oder zumindest bezweifelt worden. Otto Kimminich 116 meinte noch im Jahre 1973, das Umweltschutzrecht sei kein Rechtsgebiet, weil es keine bestimmte, klar abgrenzbare Fläche von menschlichen Betätigungen erfasse. Diese Einschätzung kann jedenfalls aufgrund der neueren Gesetzgebung nicht aufrechterhalten werden. Zwar ist der Umweltschutz auch aus heutiger Sicht eine problembezogene Querschnittaufgabe, die nicht auf einen bestimmten Lebensbereich beschränkt ist. Entscheidend ist jedoch, ob die dem Umweltschutz dienenden 112

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So auch im Hinblick auf das Vorhaben eines UGB (u Rn 51 ff) Peine NuR 2001, 421 ff mwN; aA Gramm DÖV 1999, 540 ff. G v 12. 4. 1972 (BGBl I 593). G v 12. 5. 1959 (BGBl I 813). BT-Drucks 11/5622, 21 f; zum GentechnikR u Rn 45. Das Recht des Umweltschutzes, 2. Aufl 1973, 11 ff.

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Gesetze eine solche Regelungsdichte und Geschlossenheit erreichen, daß sie sich zu einem ganzheitlichen, von anderen Gesetzen unterscheidbaren Normenwerk zusammenfügen. Diese Voraussetzung ist heute in der Bundesrepublik Deutschland – ebenso wie in anderen Staaten 117 – erfüllt. Das deutsche Umweltschutzrecht ist durch eine Vielzahl sich ergänzender Gesetze verdichtet, systematisiert und ausgeformt worden.118 Allerdings bietet es auf den ersten Blick ein verwirrendes Bild. Es setzt sich aus 37 zahlreichen, durchaus verschiedenartigen Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zusammen.119 Seine Systematik 120 wird jedoch erkennbar, wenn man neben den allgemeinen Regelungen der Organisation,121 der Umweltstatistik,122 des freien Zugangs zu Umweltinformationen,123 des sog Umweltaudit,124 der privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Umwelthaftung 125 und des Um117

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Dazu Bothe Ausländisches UmwR I (1971), II (1973), III (1974), IV (1975) und V (1977); Bothe/Gündling Tendenzen des UmwR im internat Vergleich, 1978; dies Neuere Tendenzen des UmwR im internat Vergleich, 1990; Kloepfer/Mast Das UmweltR des Auslandes, 1994; Kromarek in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 189 ff (UGB-Wunsch in Frankreich). Ähnlich Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 365 ff; Steiger in: Salzwedel (Hrsg), Grundzüge des UmwR, 9 ff; Storm UmwR, 27 ff, 33 ff; Erbguth (Fn 20) 48 ff; hierzu neigend auch Kloepfer Systematisierung (Fn 20) 68 ff, 99 f; ders UmwR, § 1 Rn 59 ff; Steiger AöR 117 (1992) 100 f. Vgl die Textsammlungen von Burhenne und Kloepfer (o vor Rn 1). Ansätze hierzu bei Kloepfer Systematisierung (Fn 20) 79 ff; ders UmwR, § 1 Rn 65 ff; im Rahmen von Rechtsvergleichen: Steiger/Kimminich UmweltschutzR und -verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, 1983. G über die Errichtung eines Umweltbundesamtes v 22. 7. 1974 (BGBl I 1505), zul geänd d G v 2. 5. 1996 (BGBl I 660); G über die Errichtung eines Bundesamts für Strahlenschutz v 9. 10. 1989 (BGBl I 1830), zul geänd d G v 3. 5. 2000 (BGBl I 636); G über die Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz v 6. 8. 1993 (BGBl I 1458); Erlaß über die Einrichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit v 10. 8. 1990 (GMBl 831); Erlaß über die Errichtung eines „Arbeitskreises Sport und Umwelt“ beim BMU v 20. 1. 1995 (GMBl 386). G über Umweltstatistiken v 21. 9. 1994 (BGBl I 2530), zul geänd d G v 19. 12. 1997 (BGBl I 3158). UmweltinformationsG (UIG) v 22. 12. 2004 (BGBl I 3704); zur Umsetzung der RL 2003/4/ EG; vgl o Rn 33. Zunächst VO (EWG) 1836/93 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung v 29. 6. 1993 (ABl EG, L 168/1, ber ABl EG 1995, L 203/17); abgelöst d VO (EG) 761/2001 v 19. 3. 2001 (ABl EG, L 114/1, ber ABl EG 2002, L 327/10); G zur Ausführung der VO (EWG) 1836/93 v 19. 3. 2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) (UmweltauditG) v 4. 9. 2002 (BGBl I 3490), zul geänd d G v 4. 12. 2004 (BGBl I 3166); krit hierzu sowie allgem zur zunehmenden Vielgestaltigkeit der Instrumente im deutschen und europäischen UmweltR Breuer, NVwZ 1997, 833 ff. Privatrechtlich: G über die Umwelthaftung v 10. 12. 1990 (BGBl I 2634), zul geänd d G v 19. 7. 2002 (BGBl I 2674); öffentlich-rechtlich: RL 2004/35/EG v 21. 4. 2004 (ABl EU, L 143/56); dazu Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg), Umwelthaftung nach

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weltstrafrechts (§§ 324 ff StGB) die besonderen Regelungen des medialen, des kausalen, des vitalen und des integrierten Umweltschutzes unterscheidet. Gegenstand des medialen Umweltschutzes sind die „klassischen“ Umweltmedien Boden, Wasser und Luft. Der kausale Umweltschutz setzt demgegenüber bei bestimmten gefährlichen Stoffen an. Der vitale Umweltschutz zeichnet sich dadurch aus, daß er unmittelbar auf den Schutz von Tieren oder Pflanzen als Elementen der menschlichen Umwelt gerichtet ist. Demgegenüber ist der integrierte Umweltschutz in eine übergreifende Aufgabenstellung eingebunden. In diesem Rahmen kann er mit gegenläufigen Belangen konkurrieren oder mit gleichgerichteten Belangen konvergieren.

2. Der mediale Umweltschutz 38 a) Der spezifische Schutz des Umweltmediums Boden ist neuerdings vor allem im Bundes-Bodenschutzgesetz 126 verankert. Zuvor war er überwiegend, aber unvollkommen im Bundesnaturschutzgesetz 127 als Rahmengesetz und in den Naturschutzund Landschaftspflegegesetzen der Länder 128 geregelt. Hieran hat sich mit dem Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes nichts geändert. Allerdings gehen der Schutzzweck und der Regelungsgehalt der Naturschutzgesetze in zweifacher Hinsicht über den Schutz des Bodens hinaus. Erstens richten sich die Ziele und Grundsätze des modernen Naturschutz- und Landschaftspflegerechts – abweichend vom Reichsnaturschutzgesetz vom 26. 6. 1935 129 – in umfassender Weise auf die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts, die Regenerationsfähigkeit und die nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie den Erholungswert von Natur und Landschaft.130 Dazu gehört auch ein medialer Schutz der Gewässer und der Luft durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Der mediale Schutz des Bodens bildet jedoch nach wie vor den Kern dieser Gesetze.131 Zweitens umfaßt das Naturschutz- und Landschaftspflegerecht den unmittelbaren Schutz wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere, also einen wichtigen Teilbereich des vitalen Umweltschutzes.132 Aus umweltpolitischer Sicht hat zunächst die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung vom 6. 2. 1985 133 über den lückenhaften

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neuem EG-Recht, UTR Bd 81, 2005 (mit Beiträgen von Ruffert, Wagner, Dolde, Hager und Nell). G zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-BodenschutzG – BBodSchG) v 17. 3. 1998 (BGBl I 502), zul geänd d G v 9. 12. 2004 (BGBl I 3214); vgl hierzu den Überblick bei Vierhaus NJW 1998, 1262 ff; zur Entstehung des G Ladeur UPR 1995, 1 ff; Erbguth/Stollmann UPR 1996, 281 ff; Czybulka UPR 1997, 15 ff (Kompetenzfragen); Näheres u Rn 126a ff. IdF v 12. 3. 1987 (BGBl I 889); später idF v 21. 9. 1998 (BGBl I 2994); abgelöst d BNatSchG v 25. 3. 2002 (BGBl I 1193), zul geänd d G v 21. 12. 2004 (BGBl 2005 I 186). Zusammenstellung bei Burhenne UmwR, Bde 2 u 3, 071511 (BW) – 079011 (THÜ). V 26. 6. 1935 (RGBl I 821); zur Fortgeltung als LandesR BVerfGE 8, 186. Vgl §§ 1, 2 BNatSchG; hierzu u Rn 116 ff. Vgl vor allem §§ 18–21, 22–38 BNatSchG; hierzu u Rn 121 ff, 125. Vgl §§ 39–55 BNatSchG. BT-Drucks 10/2977.

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und unvollkommenen Bodenschutz des seinerzeitigen Gesetzesrechts 134 hinausgegriffen. Verseuchungen des Bodens mit umweltgefährdenden Schadstoffen haben als „Altlasten“ insbesondere an alten Deponie- und Industriestandorten Lücken des speziellen Umweltschutzrechts hervortreten lassen und anfänglich einen Rückgriff auf die allgemeinen polizeirechtlichen Haftungsgrundlagen erforderlich gemacht.135 Das Vorhaben eines Bundes-Bodenschutzgesetzes ist in der 12. Legislaturperiode des Bundestages nicht verwirklicht worden; damit unterblieb zunächst auch eine bundesgesetzliche Altlastenregelung.136 Mit dem Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes am 1. 3. 1999 haben die landesgesetzlichen Voll- und Teilregelungen des Altlastenproblems aus der vorangegangenen Phase 137 ihre Kompetenzgrundlage verloren (Art 72 Abs 1 GG). Allerdings verbleibt den Ländern die Kompetenz zu ergänzenden Regelungen des Bodenschutzes. Diese müssen jedoch auf die vorrangigen Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes abgestimmt werden. b) Der spezifische Schutz des Umweltmediums Wasser unterliegt dem Recht der 39 „Wasserwirtschaft“ oder des „Wasserhaushalts“. Diese beiden Begriffe sind identisch. Sie umfassen die rechtlichen Regeln „für die haushälterische Bewirtschaftung des in der Natur vorhandenen Wassers nach Menge und Güte“.138 Die allgemeinen Rechtsgrundlagen für den medialen Schutz der oberirdischen Gewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers finden sich im Wasserhaushaltsgesetz 139 als Rahmengesetz des Bundes und in den Landeswassergesetzen.140 Eine wichtige Ergänzungsfunktion erfüllt das Abwasserabgabengesetz,141 das seit dem 1. 1. 1981 das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer mit einer Abgabepflicht belastet. c) Das Umweltmedium Luft wird nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz 142 40 in umfassender Weise gegen schädliche Umwelteinwirkungen geschützt. Immissio134 135

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Dazu Peine in: UTR Bd 3, 1987, 201 ff (mwN). Dazu Koch Bodensanierung nach dem Verursacherprinzip, 1985; Papier Altlasten und polizeirechtliche Störerhaftung, 1985; ders DVBl 1985, 873 ff; ders NVwZ 1986, 256 ff; Kloepfer NuR 1987, 7 ff; Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg), Altlasten und UmwR, UTR Bd 1, 1986; Breuer JuS 1986, 359 ff; ders NVwZ 1987, 751 ff; Knopp AltlastenR in der Praxis, 1992, 38 ff; Seibert DVBl 1992, 664 ff; Brandt AltlastenR, 1993; zur Amtshaftung des Trägers der Bauleitplanung bei der Überplanung einer Altlast BGHZ 106, 323 m Anm von Papier DVBl 1989, 508 f und Ossenbühl JZ 1989, 1125 f; BGHZ 108, 224; 109, 380 → JK BGB § 839/3; 110, 1; 113, 367; 117, 363; BGH NJW 1993, 384; BGHZ 121, 65; BGH NVwZ 1994, 91; BGHZ 123, 363; Jochum NVwZ 1989, 635 ff; Dörr/Schönfelder NVwZ 1989, 933 ff; Wurm UPR 1990, 201 ff; Ossenbühl DÖV 1992, 761 ff; Raeschke-Kessler DVBl 1992, 683 ff; ders NJW 1993, 2275 ff. Vgl dazu: Vorschläge zur Regelung der Altlasten im Rahmen des Bodenschutzes, Auszüge aus dem Referentenentwurf BBodSchG und aus dem Vorschlag zum UGB-BT, Diskussionsgrundlage zum 60. DJT, Verh. des 60. DJT, Bd I, Teil B, 1994; Breuer DVBl 1994, 899 ff; Oerder NJW 1994, 2181 ff; Papier JZ 1994, 819 ff; Erbguth/Stollmann NuR 1994, 319 ff; Lindemann/Eickhoff NuR 1994, 330 ff. Vgl die 11. Aufl, Rn 38 mit Fn 130, 131. BVerfGE 15, 1, 15. IdF v 19.8.2002 (BGBl I 3245), zul geänd d G v 3. 5. 2005 (BGBl I 1224). Zusammenstellung bei v Lersner/Berendes Hdb des Dt WasserR, Bd 2–6. IdF v 18. 1. 2005 (BGBl I 114). IdF v 26. 9. 2002 (BGBl I 3830), zul geänd d G v 22. 12. 2004 (BGBl I 3704).

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nen sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs 2 BImSchG „auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen“. Den Immissionsschutzgesetzen der Länder 143 bleibt nur noch ein enger Spielraum für ergänzende Regelungen. Wichtige Spezialgesetze des Bundes auf dem Sektor des medialen Schutzes der Luft sind das Fluglärmschutzgesetz,144 das die Festsetzung von Lärmschutzbereichen für bestimmte Verkehrsflughäfen und militärische Flugplätze vorschreibt, und das Benzinbleigesetz,145 das im Interesse der Luftreinhaltung den Gehalt an Blei und anderen Metallverbindungen in Ottokraftstoffen beschränkt hat.

3. Der kausale Umweltschutz 41 Die Medienunabhängigkeit des kausalen Umweltschutzes ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die gefährlichen Stoffe ihre Wirkungen nicht über eines der zuvor erwähnten Umweltmedien entfalten könnten. Wesentlich ist, daß der kausale Umweltschutz nicht einem medienbezogenen, sondern einem stoffbezogenen Ansatz folgt. Er sucht bestimmte Gefahrenquellen zu erfassen, indem er das Inverkehrbringen bestimmter Stoffe oder den Umgang mit ihnen reglementiert. Die systematische Unterscheidung zwischen medialem und kausalem Umweltschutz darf allerdings nicht im Sinne einer trennscharfen Abgrenzung mißverstanden werden. Es gibt vielmehr zahlreiche Berührungen und Überschneidungen zwischen diesen beiden Arten des Umweltschutzes. So enthalten zB die §§ 32 ff BImSchG im Interesse des medialen Schutzes der Luft stoffbezogene Regelungen über die Beschaffenheit von Anlagen, Stoffen, Erzeugnissen, Brennstoffen und Treibstoffen.146 Einer eindeutigen Zuordnung entzieht sich zB das Waschmittelgesetz,147 das einerseits dem medialen Schutz der Gewässer dient und andererseits als Regelung des kausalen, stoffbezogenen Umweltschutzes verstanden werden kann. a) Das Atom- und Strahlenschutzrecht 148 nimmt innerhalb des kausalen Um42 weltschutzes eine herausragende Sonderstellung ein. Es regelt Tätigkeiten, die sich auf Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe beziehen. Der frühere Förderungszweck, der auf die Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gerichtet war (§ 1 Nr 1 AtomG aF), ist entfallen. Nunmehr geht der Gesetzeszweck dahin, die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden und bis zum Zeitpunkt der Beendigung den geordneten Betrieb sicherzustellen (§ 1 Nr 1 AtomG nF). Unter den wei143 144 145 146 147 148

Zusammenstellung bei Burhenne UmwR, Bd 5, 131511 (BW)–1390105 (THÜ). V 30. 3.1971 (BGBl I 282), zul geänd d VO v 29. 10. 2001 (BGBl I 2785). V 5. 8. 1971 (BGBl I 1234), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). Hierzu u Rn 212. IdF v 5. 3. 1987 (BGBl I 875), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). AtomG idF v 15. 7. 1985 (BGBl I 1565), zul geänd d G v 6. 1. 2004 (BGBl I 2); StrahlenschutzV v 20. 7. 2001 (BGBl I 1714), geänd d VO v 18. 6. 2002 (BGBl I 1869); StrahlenschutzvorsorgeG v 19. 12. 1986 (BGBl I 2610), zul geänd d G v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304); vgl im übrigen die Zusammenstellung der Rechtsnormen bei Kloepfer Umweltschutz, Nr 900 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap II 3 b

teren Gesetzeszwecken hat der Schutzzweck (§ 1 Nr 2 AtomG) seinen Vorrang behalten.149 Der stoffbezogene Ansatz des Atom- und Strahlenschutzrechts zeigt sich in der Vielzahl der genehmigungspflichtigen Tatbestände. Hierunter fallen die Einfuhr und Ausfuhr, die Beförderung und der nicht-staatliche Besitz von Kernbrennstoffen, die Errichtung, der Betrieb, die sonstige Innehabung und die wesentliche Änderung einer ortsfesten Anlage zur Bearbeitung oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Brennelemente sowie die Bearbeitung, Verarbeitung und sonstige Verwendung von Kernbrennstoffen außerhalb genehmigungspflichtiger Anlagen (§§ 3–9 AtomG). Ergänzend regelt die Strahlenschutzverordnung ua den Umgang mit radioaktiven Stoffen (§§ 7–10), Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen (§§ 11–14), die Beschäftigung in fremden Anlagen oder Einrichtungen (§ 15), die Beförderung radioaktiver Stoffe (§§ 16–18) und deren grenzüberschreitende Verbringung (§§ 19–22). Der stoffbezogene Ansatz liegt auch der Regelung über die Verwertung radioaktiver Reststoffe und die Beseitigung radioaktiver Abfälle (§§ 9 a–9 c AtomG) zugrunde. Die Strahlung, die von den genehmigungspflichtigen Anlagen und Handlungen ausgehen kann, beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Umweltmedium, etwa die Luft. Sie kann vielmehr auf sämtliche Umweltmedien sowie auf die Güter des vitalen Umweltschutzes einwirken. Während das Atomgesetz und die Strahlenschutzverordnung präventive Genehmigungsvoraussetzungen, insbesondere Auslegungsmerkmale für kerntechnische Anlagen und Geräte, regeln, sucht das Strahlenschutzvorsorgegesetz die nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl zutage getretenen Rechtsunsicherheiten zu beheben. Es ermächtigt und verpflichtet die Bundes- und Landesbehörden, die Radioaktivität der Umwelt zu überwachen sowie durch Verordnungen und andere Maßnahmen die Strahlenexposition der Menschen und die radioaktive Kontamination der Umwelt bei „nuklearen Ereignissen“ unter Beachtung des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung aller Umstände so gering wie möglich zu halten.150 b) Das weiteste Feld des kausalen Umweltschutzes ist im Jahre 1980 durch das 43 Chemikaliengesetz 151 erschlossen worden. Dieses Gesetz dient dem Zweck, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu schützen, insbesondere sie erkennbar zu machen, sie abzuwenden und ihrem Entstehen vorzubeugen (§ 1 ChemG). Nach der Legaldefinition sind Stoffe „chemische Elemente oder chemische Verbindungen, wie sie natürlich vorkommen oder hergestellt werden, einschließlich der zur Wahrung der Stabilität notwendigen Hilfsstoffe und der durch das Herstellungsverfahren bedingten Verun149 150 151

Grundlegend: BVerwG DVBl 1972, 678, 680 (Würgassen); zum Atomausstieg u Rn 223 ff. Dazu im einzelnen Czajka NVwZ 1987, 556 ff; Rengeling DVBl 1987, 204 ff. IdF v 20. 6. 2002 (BGBl I 2090), zul geänd d G v 13. 5. 2004 (BGBl I 934); dazu Rehbinder Das Recht der Umweltchemikalien, 1978; ders in Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 61; Kloepfer NJW 1981, 17 ff; ders ChemikalienG, 1982; ders UmwR, § 19 Rn 28 ff; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 1/11, 11/457 ff; Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 33 Rn 1 ff; ChemikalienR, Schr der Gesellsch für Rechtspolitik, Bd 3, 1986 (Beiträge von Kloepfer, Rehbinder, Breuer und Marburger); krit bilanzierend Peine Jura 1993, 337 ff.

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5. Kap II 3 c

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reinigungen, mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stablität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können“ (§ 3 Nr 1 ChemG); die Zubereitungen werden definiert als „aus zwei oder mehreren Stoffen bestehende Gemenge, Gemische oder Lösungen“ (§ 3 Nr 4 ChemG). Eine Reihe von spezialgesetzlich reglementierten Stoffen ist allerdings in mehr oder minder weitreichendem Umfang aus dem Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes ausgeklammert (§ 2 ChemG). Ergänzende, den Arbeits- und Gesundheitsschutz einschließende Regelungen über das Inverkehrbringen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen sowie über den Umgang mit Gefahrstoffen trifft die Verordnung über gefährliche Stoffe (GefahrstoffV).152 Eine rechtspraktische Schlüsselstellung nimmt die Verordnung über Verbote und Beschränkungen des Inverkehrbringens gefährlicher Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse nach § 17 ChemG (ChemVerbotsV) 153 ein. Durch diese beiden Verordnungen ist ua das 1972 erlassene Gesetz über den Verkehr mit DDT abgelöst, das Verbot der Herstellung und Verwendung sowie des Inverkehrbringens von DDT jedoch aufrechterhalten worden.154 Die europäische Prägung des Chemikalienrechts wird künftig maßgeblich verstärkt und zu einer weitgehenden Ablösung des nationalen Rechts führen, wenn der Kommissionsentwurf vom 29. 10. 2003 für eine „Verordnung des Europäsichen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH)“ 155 verabschiedet wird. Als Spezialgesetze des kausalen Umweltschutzes fungieren auf dem Gebiet des Schutzes vor gefährlichen chemischen Stoffen insbesondere das Pflanzenschutzgesetz,156 das Düngemittelgesetz 157 und das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter.158 c) Zum kausalen Umweltschutz muß ferner das Lebensmittel-, Futtermittel- und 44 Arzneimittelrecht 159 gerechnet werden. Die Besonderheit dieser Rechtsmaterien besteht darin, daß die erfaßten Stoffe bestimmungsgemäß auf den Körper und die Gesundheit des Menschen einwirken, und zwar Lebens- und Arzneimittel direkt und Futtermittel indirekt über den Belastungspfad tierischer Lebensmittel. Für alle drei Stoffgruppen spielen heute technische, in der Regel chemische Herstellungs- und 152 153 154 155

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157 158 159

IdF v 23. 12. 2004 (BGBl I 3758), zul geänd d VO v 23. 12. 2004 (BGBl I 3859). IdF v 13. 6. 2003 (BGBl I 867), geänd d VO v 23. 12. 2004 (BGBl I 3855). Vgl Kloepfer UmwR, § 12 Rn 41, § 19 Rn 144. KOM (2003) 644 endg; dazu SRU, Umweltgutachten 2004, BT-Drucks 15/3600, Tz 990 ff; v Holleben/Scheidmann StoffR 2004, 16 ff; dies EuZW 2004, 262 ff; Breier/Hendrix StoffR 2004, 59 ff; Rengeling DVBl 2005, 393 ff. IdF v 14. 5. 1998 (BGBl I 971, ber 1527, 3512), zul geänd d G v 19. 8. 2004 (BGBl I 1154); das PflSchG liegt systematisch an der Grenze zum vitalen Umweltschutz, wird hier jedoch aufgrund des übergreifenden Zwecks und des Sachzusammenhangs dem kausalen, stoffbezogenen Umweltschutz zugeordnet; so auch Kloepfer UmwR, § 17 Rn 178 ff. V 15. 11. 1977 (BGBl I 2134), zul geänd d VO v 29. 10. 2001 (BGBl I 2785). V 6. 8. 1975 (BGBl I 2121), zul geänd d G v 6. 8. 2002 (BGBl I 3082). G über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen idF v 9. 9. 1997 (BGBl I 2296), zul geänd d G v 13. 5. 2004 (BGBl I 934); G über den Verkehr mit Arzneimitteln idF v 11. 12. 1998 (BGBl I 3586), zul geänd d G v 9. 12. 2004 (BGBl I 3214); FuttermittelG idF v 25. 8. 2000 (BGBl I 1358), zul geänd d G v 21. 7. 2004 (BGBl I 1756).

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5. Kap II 3 d

Bearbeitungsverfahren eine ausschlaggebende Rolle. Daraus erwachsen nicht nur die erstrebten Fortschritte für die physische Versorgung des Menschen, sondern auch spezifische Risiken.160 Das Lebensmittel-, Futtermittel- und Arzneimittelrecht dient vorwiegend der Kontrolle solcher Umweltrisiken. d) An der Schnittstelle zwischen dem kausalen und dem vitalen Umweltschutz 45 präsentiert sich das Gentechnikgesetz.161 Es verfolgt einen doppelten Zweck. Sein Schutzzweck geht dahin, Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen; daneben dient das Gesetz dem Förderungszweck, den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen (§ 1 GenTG). Was den Anwendungsbereich betrifft, so folgt das Gesetz einem kombinierten Anlagen- und Tätigkeitskonzept. Es gilt demgemäß für gentechnische Anlagen und Arbeiten, Freisetzungen und grundsätzlich auch für das Inverkehrbringen von Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen (§ 2 Abs 1 GenTG). Die gentechnische Anlage ist nach der Legaldefinition eine Einrichtung, in der gentechnische Arbeiten iS des Gesetzes „im geschlossenen System durchgeführt werden und bei der spezifische Einschließungsmaßnahmen angewendet werden, um den Kontakt der verwendeten Organismen mit Menschen und der Umwelt zu begrenzen und ein dem Gefährdungspotential angemessenes Sicherheitsniveau zu gewährleisten“ (§ 3 Nr 4 GenTG).162 Der Rechtsbegriff der gentechnischen Arbeiten umfaßt zum einen die Erzeugung gentechnisch veränderter Organismen und zum anderen die Vermehrung, Lagerung, Zerstörung oder Entsorgung sowie den innerbetrieblichen Transport gentechnisch veränderter Organismen sowie deren Verwendung in anderer Weise, soweit noch keine Genehmigung für die Freisetzung oder das Inverkehrbringen zum Zweck des späteren Ausbringens in die Umwelt erteilt wurde (§ 3 Nr 2 GenTG). Diese Bestimmungen werden von dem Bestreben des Gesetzgebers beherrscht, grundsätzlich lückenlos jeglichen Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen zu erfassen, und zwar von deren Erzeugung bis zu den abschließenden Tätigkeiten der Entsorgung, der Freisetzung oder des Inverkehrbringens. Systematisch betrachtet, erweist sich das Gentechnikgesetz somit als Normierung des kausalen Umweltschutzes in bezug auf das stoffliche Risikopotential gentechnisch veränderter Organismen.163 Daß die Humangenetik vom Anwendungsbereich dieses Geset160 161 162

163

Vgl etwa den Contergan-Fall (BVerfGE 42, 263). IdF v 16. 12. 1993 (BGBl I 2066), zul geänd d VO v 21. 12. 2004 (BGBl I 186). Näher zum Anlagenbegriff des GenTG Turck NVwZ 1992, 659 ff; Fluck UPR 1993, 81 ff; Krekeler DVBl 1995, 765 ff; Kutscheidt NVwZ 1997, 111 ff. Näher zum Ganzen Kloepfer/Delbrück DÖV 1990, 897 ff; Hirsch/Schmidt-Didczuhn NVwZ 1990, 713 ff; Fluck BB 1990, 1716 ff; Fritsch/Haverkamp BB 1990, Beil 31 zu Heft 25; Breuer in: UTR Bd 14, 1991, 37; Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher Standortgefährdung, 1992; Graf Vitzthum DÖV 1994, 336 ff; zur Novellierung des GenTG (Fn 161) Graf Vitzthum ZG 1993, 236 ff; Simon/Weyer NJW 1994, 759 ff; Wahl/Melchinger JZ 1994, 973 ff; Breuer NuR 1994, 157, 169; rechtsvergleichend Dederer GentechnikR im Wettbewerb der Systeme, 1998; Pohl Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch ver-

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5. Kap II 3 e

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zes ausgeklammert ist, entspricht der systematischen Abgrenzung des spezifischen Umweltschutzrechts und der Erkenntnis, daß die gentechnische Manipulation am Menschen bereits aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen besondere und andersartige Probleme in sich birgt. e) Stoffbezogene Regelungen des kausalen Umweltschutzes enthält schließlich 46 das Abfallrecht. Es hat seine allgemeine Grundlage im (Bundes-)Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (KrW-/AbfG) 164 und in den ergänzenden Landesgesetzen 165 gefunden. Über den früheren Rahmen der Abfallbeseitigung hinausreichend und den kausalen, stoffbezogenen Ansatz konsequent ausfüllend, umfaßt der gesetzliche Geltungsbereich die Vermeidung, die stoffliche und energetische Verwertung sowie die Beseitigung von Abfällen (§ 2 Abs 1 KrW-/AbfG). Der bundesgesetzliche Abfallbegriff folgt dem EG-Recht 166 und ist denkbar weit definiert. Abfälle sind danach alle beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I des KrW-/AbfG aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muß (§ 3 Abs 1 Satz 1 KrW-/AbfG). Die wesentliche, begriffs- und gesetzesinterne Unterscheidung zwischen Abfällen zur Verwertung und solchen zur Beseitigung ist ebenfalls formal und konturenschwach gefaßt: Abfälle zur Verwertung sind Abfälle, die verwertet werden; Abfälle, die nicht verwertet werden, sind Abfälle zur Beseitigung (§ 3 Abs 1 Satz 2 KrW-/AbfG). Die Entledigung liegt vor, wenn der Besitzer bewegliche Sachen einer Verwertung iSd Anhangs II B oder einer Beseitigung iSd Anhangs II A zuführt oder die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt (§ 3 Abs 2 KrW-/AbfG). Da die Verwertungs- und Beseitigungsverfahren in den genannten Anhängen nur grob umschrieben sind, bleibt der Abfallbegriff wie auch der Anwendungsbereich des KrW-/AbfG außerordentlich weit. Ebenso wie im EG-Recht, jedoch anders als im früheren deutschen Abfallrecht schließen sich die Tatbestandsmerkmale des Abfalls und die Eigenschaft eines Stoffes als Wirtschaftsgut nicht mehr aus. Auch ein wertvolles Wirtschaftsgut kann demgemäß Abfall (zur Verwertung) im Rechtssinne sein.167 Mit dem weiten Abfallbegriff korrespondiert die Prinzipienwende des Abfallrechts von der öffentlichen Daseinsvorsorge zur primären und grundsätzlich privaten Verursacherverantwortung der Abfallerzeuger und -besitzer gemäß den §§ 4 ff KrW-/ AbfG.168

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änderter Organismen, 2002; zusamenfassend Di Fabio/Kreiner in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 63. V 27. 9. 1994 (BGBl I 2705), zul geänd d G v 22. 12. 2004 (BGBl I 3704). Zusammenstellung bei Burhenne UmwR, Bd 8, 471511 (BW) – 479011 (THÜ). RL 75/442/EWG v 15. 7. 1975 (ABl EG, L 194/39), zul geänd d VO 1882/2003/EG v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1). Vgl statt vieler Petersen in: UTR Bd 30, 1995, 55; Bartlsperger VerwArch 86 (1995) 58 ff; Versteyl in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn 31) Einl Rn 102, 105 ff; Kunig ebd, § 3 Rn 45; Paetow ebd, § 27 Rn 40. Breuer in: Das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Heft 24, 1997, 3 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap II 5 a

4. Der vitale Umweltschutz Rechtsgrundlage des vitalen, unmittelbar auf den Schutz von Tieren und Pflanzen 47 gerichteten Umweltschutzes sind – wie bereits erwähnt 169 – das Bundesnaturschutzgesetz sowie die Naturschutz- und Landschaftspflegegesetze der Länder für die wildwachsenden Pflanzen und wildlebenden Tiere. Ergänzend treten als herkömmliche Grundlagen des vitalen Umweltschutzes das Bundeswaldgesetz,170 das Tierschutzgesetz 171 sowie die Jagd- und Fischereigesetze 172 hinzu. Der Klarstellung halber ist hinzuzufügen, daß der vitale Umweltschutz nicht den unmittelbaren Schutz der menschlichen Gesundheit umfaßt. Spezifischer Umweltschutz bezieht sich begriffsnotwendig auf die Pflege und Kontrolle der menschlichen Umwelt, nicht unmittelbar auf die Erhaltung und Pflege der menschlichen Physis.

5. Der integrierte Umweltschutz a) Der konkurrierend integrierte Umweltschutz zeichnet sich dadurch aus, daß er in 48 eine übergreifende Aufgabenstellung und einen Zielkonflikt mit gegenläufigen Belangen eingebunden ist. Seine Reichweite muß somit im Wege eines gesetzlich vorgezeichneten Kompromisses ausgelotet werden. Vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Ökonomie und Ökologie gebührt dem konkurrierend integrierten Umweltschutz besondere Aufmerksamkeit. Sein wichtigstes Anwendungsfeld liegt im Recht der Raumplanung. Hierunter fällt sowohl die raumbezogene Gesamtplanung in Gestalt der Bauleitplanung 173 sowie der Raumordnung und Landesplanung 174 als auch die raumbezogene, nicht umweltspezifische Fachplanung, die insbesondere durch Planfeststellungen für bestimmte Großvorhaben wie überörtliche Straßen, Schienenwege oder Flughäfen erfolgt.175 Der Umweltschutz bildet für die gesamte Raumplanung entweder ein Planungsziel oder einen gewichtigen abwägungserheblichen Belang.176 Die insofern erforderliche Abwägung geschieht in der Umweltverträglichkeits- 49 prüfung. Deren Rechtsgrundlage bildet auf europäischer Ebene die Richtlinie des 169 170 171 172 173 174

175

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O Rn 38. V 2. 5. 1975 (BGBl I 1037), zul geänd d G v 21. 6. 2005 (BGBl I 1818). IdF v 25. 5. 1998 (BGBl I 1105, ber 1818), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). Zusammenstellung bei Burhenne UmwR, Bd 6, 170511 (BW) – 1790175 (THÜ). §§ 1 ff, insbes § 1 Abs 6 Nr 7, § 1 a, § 2 Abs 4 BauGB; hierzu → Krebs 4. Kap Rn 73 ff. RaumordnungsG v 18. 8. 1997 (BGBl I 2081), geänd d G v 24. 6. 2004 (BGBl I 1359); Zusammenstellung der LandesplanungsG bei Bielenberg/Erbguth/Söfker Raumordnungsund LandesplanungsR des Bundes und der Länder, Bd 1, Abschn D und E; dazu → Krebs 4. Kap Rn 38 ff. §§ 17 ff FStrG, §§ 18 ff AEG, §§ 28 ff PBefG, §§ 8 ff LuftVG; für die neuen Bundesländer modifiziert d das VerkehrswegeplanungsbeschleunigungsG v 16. 12. 1991 (BGBl I 2174), zul geänd d G v 21. 12. 2004 (BGBl I 3644); dazu Reinhardt DtZ 1992, 258 ff; Ronellenfitsch LKV 1992, 115 ff; Paetow DVBl 1994, 94 ff; bundesweite Änderungen im PlanungsvereinfachungsG v 17. 12. 1993 (BGBl I 2133); dazu Steinberg/Berg NJW 1994, 488 ff; Steiner NVwZ 1994, 313 ff; krit zum Ganzen Ronellenfitsch DVBl 1994, 441 ff. Vgl zu dieser Unterscheidung BVerwGE 48, 56, 62 f; Hoppe DVBl 1977, 137; Breuer NuR 1980, 93; näher zum Ganzen u Rn 66 ff.

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Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG).177 Hierzu ist die verschärfende Änderungsrichtlinie 97/11/EG 178 ergangen. Auf der Ebene des deutschen Bundesrechts ist die Umsetzung durch das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten“ (UVPG) 179 erst verspätet und unter erheblichen Schwierigkeiten erfolgt.180 Als noch schwieriger hat sich die Beratung und Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. 7. 2001 181 erwiesen, nachdem zuvor die Umsetzung mittels eines ersten Teils eines Umweltgesetzbuchs gescheitert war und die vielfältigen, auf der europarechtlichen Ebene angelegten Brüche und Unklarheiten des integrierten Umweltschutzes zutage getreten waren.182 Die Kompliziertheit dieser ineinandergreifenden Regelungen europäischen und nationalen Rechts läßt Verwirrung und Unsicherheit bei der künftigen Rechtsanwendung befürchten. Mit dem UVP-Gesetz soll sichergestellt werden, daß bei bestimmten öffentlichen 49a und privaten Vorhaben zur wirksamen Umweltvorsorge nach einheitlichen Grundsätzen die Auswirkungen auf die Umwelt frühzeitig und umfassend ermittelt, beschrieben und bewertet werden; das Ergebnis der Umweltverträglicheitsprüfung soll so früh wie möglich bei allen behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit berücksichtigt werden (§ 1 UVPG). Es handelt sich mithin weder um ein selbständiges Verfahren noch um einen zusätzlichen Gestattungsakt, sondern um einen unselbständigen und vorbereitenden Verfahrensteil im Rahmen anderweitig (fachgesetzlich) vorgeschriebener Genehmigungs-, Erlaubnis- oder Planfeststellungsverfahren (§ 2 Abs 1 Satz 1 UVPG). Die Umweltverträglichkeitsprüfung umfaßt die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Aus177

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ABl EG, L 175/40; abgedr in NVwZ 1987, 305, zul geänd d RL 2003/35/EG v 26. 5. 2003 (ABl EG, L 156/17). ABl EG, L 73/5; abgedr in NVwZ 1997, 1200; dazu Becker NVwZ 1997, 1167 ff. V 12. 2. 1990 (BGBl I 205), neugefaßt d Bek v 5. 9. 2001 (BGBl I 2350), zul geänd d G v 3. 5. 2005 (BGBl I 1224). Vgl zum Ganzen Cupei Umweltverträglichkeitsprüfung, 1986; Bunge Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Verwaltungsverfahren, 1986; Storm/Bunge Hdb der Umweltverträglichkeitsprüfung; Bartlsperger DVBl 1987, 1 ff; Hoppe/Püchel DVBl 1988, 1 ff; Erbguth NVwZ 1988, 969 ff; Steinberg DVBl 1988, 995 ff; Weber Die Umweltverträglichkeitsrichtlinie im deutschen Recht, 1988; Hundertmark Die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung, 1988; Weber/Hellmann NJW 1990, 1625 ff; Soell/Dirnberger NVwZ 1990, 705 ff; Erbguth VerwArch 81 (1990) 327 ff; ders DV 1991, 283 ff; Jarass NuR 1991, 201 ff; Schöneberg Umweltverträglichkeitsprüfung, 1993; Landel Die Umweltverträglichkeitsprüfung in parallelen Zulassungsverfahren, 1995; Steinberg DÖV 1996, 221 ff; SchmidtPreuß DVBl 1996, 485 ff; Mayen NVwZ 1996, 319 ff; Heitsch NuR 1996, 453 ff; Ladeur UPR 1996, 419 ff; Gassner UPR 1996, 429 ff; zur UVP bei immissionsschutzrechtlichen Anlagen Moench/Spoerr NVwZ 1996, 631 ff. BGBl I 1950. Dazu Schröder NuR 2000, 481 ff; rückblickend Wasielewski in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 213 ff; für die Umsetzung durch ein UGB I seinerzeit Sendler in: UTR Bd 45, 1998, 7 ff; zur erfolgten Umsetzung Feldmann DVBl 2001, 589 ff; Günter NuR 2002, 317 ff; Wolf UmwR, Rn 428 ff.

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wirkungen eines Vorhabens auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, Kulturgüter und sonstige Sachgüter sowie die Wechselwirkung zwischen den Schutzgütern (§ 2 Abs 1 Satz 2 UVPG). Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird durch die ausführliche, gemäß der UVP-Änderungsrichtlinie erweiterte Liste „UVP-pflichtige Vorhaben“ abgesteckt (§ 3 UVPG iVm Anlage 1). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Mitgliedstaaten europarechtlich nicht befugt sind, bestimmte Klassen von Vorhaben von der UVP-Pflicht auszunehmen oder diese alleine von der Größe des Vorhabens (etwa durch Schwellenwerte) abhängig zu machen.183 Demgemäß bedarf es in jedem Einzelfall eines Listenvorhabens der Feststellung, ob eine UVP-Pflicht besteht. Hierbei kommt es auf Art, Größe und Leistung des Vorhabens sowie die Umstände des Einzelfalles an (§§ 3 a–3 c, Modifizierungen nach §§ 3 d–3 f UVPG). Das Verfahren beginnt mit einer Vorprüfung und einer Abstimmung des Untersuchungsrahmens (§ 5 UVPG, sog Scoping). Auf der Grundlage der beizubringenden und auszulegenden Unterlagen (§ 6 UVPG) ist die Öffentlichkeit einzubeziehen (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 9 UVPG). Die materielle Relevanz der Umweltverträglichkeitsprüfung bleibt jedoch im 49b Zwiespalt eines gesetzlichen Orakelspruchs: Die zuständige Behörde bewertet die Umweltauswirkungen des Vorhabens auf der Grundlage der zusammenfassenden Darstellung nach § 11 UVPG und berücksichtigt diese Bewertung bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf eine wirksame Umweltvorsorge iS der §§ 1, 2 Abs 1 Satz 2 und 4 UVPG „nach Maßgabe der geltenden Gesetze“ (§ 12 UVPG). Ob diese Vorschrift materiellrechtlich alles beim alten, nämlich bei den einschlägigen Fachgesetzen, läßt 184 oder eine Optimierung der Umweltverträglichkeit verlangt,185 ist umstritten. Die Rechtspraxis neigt bisher dazu, die UVP als formelles Erfordernis „herunterzuspielen“.186 So sieht das BVerwG 187 in der rechtswidrig unterlassenen UVP einen reinen Verfahrensfehler; mit dessen Rüge hat der Bürger demnach im Klageweg nur Erfolg, wenn der Verfahrensmangel nachweislich auf die Sachentscheidung von Einfluß gewesen ist. Der EuGH betont zwar die Umsetzungs- und Anwendungspflicht der Mitgliedstaaten hinsichtlich der UVP, stellt jedoch an deren Durchführung geringe sachliche Anforderungen.188 Ein konnexes Feld des integrierten Umweltschutzes ist auf der europarechtlichen 49c Ebene durch die Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 189 abgesteckt worden. 183 184

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EuGH Slg 1996, I-2323 (Rn 49 ff); 1998, I-6135 (Rn 38 ff); 1998, I-5901 (Rn 64 f). So wohl zu Recht Beckmann in: Hoppe (Hrsg), UVPG, 2. Aufl 2002, § 12 Rn 76, 78, 104; Erbguth/Schink UVPG, 2. Aufl 1996, § 12 Rn 39 ff, 99 ff. So Soell/Dirnberger NVwZ 1990, 705 ff; Steinberg DVBl 1990, 1369, 1370 f, 1373; Bohne in: UTR Bd 15, 1991, 34 f. Vgl Hien NVwZ 1997, 422 ff; Schwab NVwZ 1997, 428 ff; jeweils mwN. BVerwGE 100, 238 → JK UVP-RL Art 2 ff/1; vgl des weiteren BVerwGE 98, 339; OVG Koblenz ZUR 1995, 146, 149 f (Unterbleiben der gebotenen UVP als Indiz für einen Fehler des Abwägungsvorgangs). EuGH Slg 1995, I-2189 (Großkrotzenburg); dazu Callies NVwZ 1996, 339 ff; vgl jedoch EuGH NVwZ 2005, 673 zur unzureichenden Umsetzung der UVP-RL in Deutschland. ABl EG, L 257/26; abgedr in NVwZ 1997, 363 ff; zul geänd d RL 2003/87/EG v 13. 10. 2003 (ABl EU, L 275/32); Überblick und Analysen bei Dolde NVwZ 1997, 313 ff;

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Die Richtlinie ist am 30. 10. 1996 in Kraft getreten (Art 22) und war bis spätestens drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umzusetzen (Art 21). Nach ihrem Art 1 bezweckt sie die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung infolge der im Anhang I genannten Tätigkeiten. Sie sieht Maßnahmen zur Vermeidung und, sofern dies nicht möglich ist, zur Verminderung von Emissionen aus den genannten Tätigkeiten in Luft, Wasser und Boden vor, um – unbeschadet der UVP-Richtlinie und des sonstigen Gemeinschaftsrechts – ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen. Bei den aufgeführten Tätigkeiten handelt es sich um die Errichtung und den Betrieb von industriellen Anlagen der Energiewirtschaft, der Herstellung und Verarbeitung von Metallen, der mineralverarbeitenden und der chemischen Industrie, der Abfallbehandlung sowie einer Reihe sonstiger Industriezweige. Damit sind vorwiegend die genehmigungsbedürftigen Anlagen iS der §§ 4 ff BImSchG und der 4. BImSchV erfaßt. Diese Vorschriften, die im deutschen Umweltschutzrecht eine zentrale Rolle spielen und für einen dynamischen, juristisch und technologisch „harten“ Umweltschutz stehen, sind erst durch das Umsetzungsgesetz vom 27. 7. 2001 190 den europarechtlichen Vorgaben des integrierten Umweltschutzes angepaßt worden. Dessen Inhalt wird anhand verschiedener Bestimmungen der Richtlinie (Art 1, 7, 9 Abs 1, Erwägungsgründe 7, 8, 9, 15) dahin umschrieben, daß eine Koordinierung und Zusammenfassung der Entscheidungen über Emissionen in Luft, Wasser und Boden herzustellen ist, damit ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt und nicht nur für ein bestimmtes Umweltmedium erreicht wird; dabei soll insbesondere einer unausgewogenen Verlagerung von Umweltverschmutzungen von einem Medium auf ein anderes vorgebeugt werden.191 Die neue Regelung der Betreiberpflichten (Art 3 der IVU-Richtlinie, umgesetzt durch § 5 Abs 1 BImSchG nF) enthält indessen in bedenklichem Maße finale, ebenso umfassende wie vage und deshalb abwägungsoffene Optimierungspostulate.192 Infolgedessen läuft der vielgepriesene integrierte Umweltschutz auf relative und variable Anforderungen, planerische Abwägungen und flexible, einzelfallbezogene Verwaltungsentscheidungen hinaus. Hierunter leidet die Bestimmtheit und Justitiabilität der Verhaltensnormen. Für das deutsche Anlagengenehmigungsrecht ist dies kein Fortschritt, sondern ein Einbruch.193 Auf der europarechtlichen Ebene hat schließlich die Richtlinie 2001/42/EG vom 49d 27. 6. 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen von Plänen und Programmen 194 einen weiteren Imperativ zum integrierten Umweltschutz ausgesprochen. Diese Richtlinie war bis zum 21. 7. 2004 in nationales Recht umzusetzen. Ihr Ge-

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Becker DVBl 1997, 588 ff; Zöttl NuR 1997, 158 ff; ders Integrierter Umweltschutz in der neuesten Rechtsentwicklung, 1998, 86 ff; Martini Integrierte Regelungsansätze im ImmissionsschutzR, 2000, 132 ff, 310 f. BGBl I 1950; vgl o Rn 49; speziell Sellner in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 401 ff. Dolde NVwZ 1997, 313, 314 mwN. Vgl zum Gegensatz zwischen konditionaler und finaler Rechtsetzung Breuer AöR 127 (2002) 523, 558 ff; Appel (Fn 44) 157 ff. Krit auch Rebentisch NVwZ 1995, 949 ff; Steinberg/Koepfer DVBl 1997, 973 ff; Di Fabio NVwZ 1998, 329 ff; Masing DVBl 1998, 549 ff; Breuer AöR 127 (2002) 565 ff; vgl u Rn 207 a, b. ABl EG, L 197/30.

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genstand wird mit den Kurztiteln „Strategische Umweltprüfung“ und „Plan-Umweltprüfung“ bezeichnet. Sie verfolgt das Ziel, „im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden“ (Art 1). Der Anwendungsbereich der Richtlinie besteht zum einen in Plänen und Programmen, die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der UVP-pflichtigen Projekte 195 gesetzt wird; des weiteren ist die Richtlinie auf Pläne und Projekte anwendbar, bei denen angesichts der voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Art 6 oder 7 der FFH-Richtlinie 196 für erforderlich erachtet wird (Art 3 Abs 1). Nach Art 4 Abs 1 der Richtlinie ist die Umweltprüfung während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans oder Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren durchzuführen. Durch die im einzelnen vorgeschriebenen Verfahrensschritte der „Plan-Umweltprüfung“ soll abermals ein frühzeitiger, integrierter, auf Öffentlichkeitsbeteiligung, Information sowie umfassende Berücksichtigung, Abwägung und fortwährendes „Monitoring“ ausgerichteter Umweltschutz verfolgt werden. Obwohl das Verhältnis der „Plan-UP“ zur „Projekt-UVP“, die Notwendigkeiten und Möglichkeiten sowie der tiefere Sinn einer erneuten Novellierung und Komplizierung des deutschen Umweltschutz-, Planungsund Wirtschaftsverwaltungsrechts zweifelhaft erscheinen, ist die Richtlinie 2001/ 42/EG im Bereich des Baurechts durch das EAG Bau vom 24. 6. 2004 in deutsches Recht umgesetzt worden.197 b) Der konvergierend integrierte Umweltschutz ist ebenfalls in eine übergrei- 50 fende Aufgabenstellung eingebunden. Seine Ziele und die Schutzziele der übergreifenden Aufgabenstellung stehen jedoch nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in einem Verhältnis gleichgerichteter Ergänzung. Diese Merkmale erfüllt zB das Gesundheitsrecht,198 das unmittelbar die Erhaltung und Pflege der menschlichen Physis bezweckt und daher nicht dem vitalen Umweltschutz zugerechnet werden kann. Die staatliche Gesundheitsfürsorge hat es heute weithin mit sog Zivilisationskrankheiten zu tun, die nachweislich oder vermutlich Folgen des Lebens in der 195

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RL 85/337/EWG (ABI EG, L 175/40), zul geänd d RL 2003/35/EG v 26. 5. 2003 (ABl EG, L 156/17). RL 92/143/EWG (ABl EG, L 206/7), zul geänd d VO 1882/2003/EG v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1; vgl u Rn 116 ff. BGBl I 1359; vgl zum Ganzen Spannowsky UPR 2000, 201 ff; Ginsky UPR 2002, 47 ff; Schmidt/Rütz/Bier DVBl 2002, 357 ff; Pietzcker/Fiedler DVBl 2002, 929 ff; Hendler DVBl 2003, 227 ff; Krautzberger/Stüer DVBl 2004, 914 ff; Schink NVwZ 2005, 615 ff. Vgl insbes das InfektionsschutzG (IfSG) v 20. 7. 2000 (BGBl I 1045), geänd d G v 24. 12. 2003 (BGBl I 2954); FleischhygieneG idF v 30. 6. 2003 (BGBl I 1242), zul geänd d G v 4. 11. 2004 (BGBl I 2688, 3657); Zusammenstellung der einschlägigen Rechtsnormen bei Etmer Dt GesundheitsR, Bd 1–4.

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technisierten Umwelt sind.199 In einem ähnlichen Verhältnis gleichgerichteter Ergänzung stehen der Schutz des Menschen gegen die Gefahren im Umgang mit technischen Geräten und der Umweltschutz. Demgemäß bildet auch das Recht der technischen Sicherheit und des Arbeitsschutzes ein Anwendungsfeld des konvergierend integrierten Umweltschutzes. Die wichtigste Grundlage dieses Rechtsgebiets ist das Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (Geräte- und Produktsicherheitsgesetz).200

6. Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltgesetzbuchs 51 Trotz der Regelungsdichte und der systematischen Konsistenz des geltenden deutschen Umweltschutzrechts provoziert die Vielfalt der einschlägigen Rechtsnormen die Frage, ob die Systematik und Übersichtlichkeit dieses Rechtsgebiets – nicht zuletzt im Interesse eines effektiven Vollzuges – durch den Erlaß eines allgemeinen Umweltgesetzbuchs verbessert werden kann. Teilweise an frühere Vorschläge von Michael Kloepfer 201 anknüpfend, hat eine rechtswissenschaftliche Arbeitsgruppe im Auftrag des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Jahre 1990 einen Entwurf für den Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuchs vorgelegt.202 Ende des Jahres 1993 hat eine abermals durch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingesetzte, aus Rechtswissenschaftlern bestehende Kommission ihre Arbeiten an einem Entwurf für den Besonderen Teil eines Umweltgesetzbuchs abgeschlossen. Dieser umfaßt die Sachgebiete Immissionsschutz, Kernenergie und Strahlenschutz, Naturschutz und Landschaftspflege, Gewässerschutz und Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Abfallentsorgung, gefährliche Stoffe und Bodenschutz.203 Im September 1997 hat die überwiegend mit Praktikern besetzte Unabhängige 52 Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ihren Entwurf eines Umweltgesetzbuchs vorgelegt.204 Dieser Entwurf stellt keine bloße Überarbeitung des „Professorenentwurfs“ von 1990/93, sondern eine eigenständige Vorlage dar. Einen neuen Akzent setzt er im Allgemeinen Teil ua mit dem Vorschlag, die gerichtliche Überprüfung von behördlichen Prognosen und Bewertungen, die technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, auf die Einhaltung der vorge199

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Vgl Baier Die Wirklichkeit der Industriegesellschaft als Krankheitsfaktor, in: Der Kranke in der modernen Gesellschaft, Neue wiss Bibl 22, 37 ff; zur Bedeutung der Gesundheit im UmwR Salzwedel NuR 1988, 161 ff. IdF v 6. 1. 2004 (BGBl I 2). Systematisierung (Fn 20) 86 ff; ZfU 1979, 145 ff; Kloepfer/Meßerschmidt Innere Harmonisierung des UmwR, 1986. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann unter Mitw von Kunig Umweltgesetzbuch – Allg Teil, Berichte 7/90 des UBA, 1991; dies DVBl 1991, 339 ff; Kloepfer JZ 1992, 817 ff. Jarass/Kloepfer/Kunig/Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann Umweltgesetzbuch – Bes Teil, Berichte 4/94 des UBA, 1994; Kloepfer DVBl 1994, 305 ff. BMU (Hrsg), UGB-KomE, 1998; Überblick bei Kloepfer/Durner DVBl 1997, 1081 ff; Bohne (Hrsg), Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1998.

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schriebenen Verfahren und die materielle „Nachvollziehbarkeit“ zu beschränken (§ 43 UGB-KomE).205 Im Besonderen Teil umfaßt der Entwurf neben den überkommenen Bereichen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Boden-, Gewässer- und Immissionsschutzes, der Kernenergie und des Strahlenschutzes, der gefährlichen Stoffe und der Abfallwirtschaft eine Reihe weiterer Teilgebiete. Hierbei handelt es sich um das Gentechnikrecht, den Waldschutz, Teile des Rechts der Bodenertragsnutzung, insbesondere der Landwirtschaft, die Planung und Errichtung von Verkehrswegen, das Energierecht sowie aus dem Bergrecht Regelungen zu einer bedarfsgerechten und umweltverträglichen Standortplanung für den Abbau von Bodenschätzen und zur Rekultivierung. Der zeitweise verfolgte Plan, zur Umsetzung der IVU-Richtlinie 96/61/EG 206 Teile des UGB-Entwurfs als „Erstes Buch“ in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, ist vorerst gescheitert.207 Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltgesetzbuchs mag auf den ersten Blick 53 bestechend erscheinen. Dieser Eindruck wird – vordergründig gesehen – dadurch verstärkt, daß einige ausländische Staaten sich in jüngerer Zeit Umweltschutzgesetze gegeben haben,208 die der deutschen Gesetzgebung als Vorbilder empfohlen werden. Bei näherer Betrachtung löst ein solches Kodifikationsvorhaben jedoch eher Skepsis aus. Deren Grund liegt nicht in fehlender „Machbarkeit“ der Kodifikation. Vielmehr kommt es darauf an, ob die anvisierte gesetzliche Umschichtung mit dem umfassenden Ziel einer Harmonisierung und Arrondierung des Umweltschutzrechts in der realen Situation einen Zugewinn an Rechtssicherheit und -beständigkeit sowie an Transparenz und Steuerungskraft erwarten läßt. Jedenfalls vermögen rechtsbegriffliche Abstrahierungen und Systematisierungen, gesetzliche Gebote eines integrierten oder optimalen Umweltschutzes und umfassende, aber gerade deshalb offene Abwägungsgebote den wünschenswerten rechtsstaatlichen Zugewinn nicht zu gewährleisten. Sie lassen vielmehr befürchten, daß die Konkretisierung des gebotenen Umweltschutzes in abwägende Einzelfallentscheidungen verlagert und dadurch flexibilisiert würde. Notwendig sind indessen möglichst klare und bestimmte, vollzugsfreundliche und justitiable Verhaltensnormen. Diese gilt es insbesondere in Umwelt- und Technikstandards 209 zu kleiden, nämlich in normative Umweltqualitätskriterien sowie Grenz- oder Richtwerte. In aller Regel können solche Standards nicht durch parlamentarisches Gesetz, sondern nur durch die Exekutive festgelegt werden, sei es als Rechtsverordnung oder als Verwaltungsvorschrift. Dabei gilt es, offene Fragen der Naturwissenschaften und der Technik auf der Basis eines sachverständigen Diskurses sowie eines nachvollziehbaren Ermittlungs- und Entscheidungsverfahrens vertretbaren und allgemein verbindlichen Regelungen zuzuführen. Die umfassende Umschichtung der parlamentsgesetzlichen 205 206 207

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Vgl dazu Breuer in: UTR Bd 45, 1998, 161 ff. Dazu o Rn 49 c. Für diesen Plan Sendler in: UTR Bd 45, 1998, 7 ff; zum Scheitern o Rn 35, 49; vgl zum Ganzen Wasielewski in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 213 ff. Vgl hierzu die Nachw in Fn 117. Allgem hierzu Feldhaus UPR 1982, 137 ff; Salzwedel NVwZ 1987, 276 ff; Breuer in: UTR Bd 9, 1989, 43 ff; ders in: Regelungsmaß und Steuerungskraft des UmwR, 2000, 27 ff; Hendler in: UTR Bd 40, 1997, 61 ff.

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Grundlagen ist für diese Vorgänge der gesetzeskonkretisierenden Standardisierung kaum förderlich. Hinzu kommt, daß fortwährende, nur unzureichend abgestimmte „Aktionen“ des EG-Rechts in Gestalt von Umweltrichtlinien 210 auf absehbare Zeit einen kodifikatorischen Ruhezustand wahrscheinlich nicht eintreten lassen, sondern immer wieder neue Umsetzungen im nationalen Gesetzesrecht erfordern werden. All dies wird sich durch ein (nationales) Umweltgesetzbuch nicht ändern. Zudem würde eine solche Kodifikation in ambivalenter Weise die traditionellen Sachgebiete und Zusammenhänge der geltenden Rechtsordnung zerreißen.211 Insgesamt würde sie aufgrund dieser „Rahmenbedingungen“ die Kontinuität der Rechtsentwicklung eher beeinträchtigen als fördern. Aus praktischer Sicht wäre sie schwerlich imstande, das vielbeschworene Vollzugsdefizit des Umweltschutzrechts 212 abzubauen. Der internationale Vergleich zeigt, daß die Umweltschutzgesetze anderer Staaten kaum über abstrakte und formale Regelungen hinausgelangt sind und bisweilen nach Inhalt und Bedeutung lediglich die Stelle fehlender Einzelgesetze einnehmen.213

7. Die Europäisierung des Umweltrechts 54 In jüngerer Zeit ist das Recht des Umweltschutzes in zunehmendem Maße europäisiert worden. Vor allem haben die einschlägigen EG-Richtlinien sämtliche Sektoren des tradierten, im nationalen Recht verankerten Umweltschutzes durchdrungen und zudem neue, meist querschnittartig angelegte Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes geschaffen. So sind die sektoral ansetzenden Richtlinien des Immissions-, Gewässer- und Naturschutzes sowie der Abfallwirtschaft und Abfallbeseitigung 214 in den letzten Jahren durch übergreifende Richtlinien teils ergänzt und teils abgelöst worden. Dieser Art sind insbesondere die Richtlinien über die Umweltverträglichkeitsprüfung, den integrierten Umweltschutz und die Umweltinformationen.215 Hierdurch bedingt ist das nationale und somit auch das deutsche Umweltrecht regelmäßig nur noch im Zusammenhang mit den Vorgaben des EG-Rechts zu verstehen. Die europarechtlichen Kompetenzgrundlagen der einschlägigen Richtlinien stützen sich zum einen auf den Titel „Umwelt“ (Art 174–176 EGV, Art 130 r–130 t EGV aF) sowie für den Sektor der Kernenergie auf den EAG-Vertrag,216 210 211

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Krit dazu Breuer NVwZ 1997, 833 ff. Im gleichen Sinne Ule in: FS Fröhler, 1980, 379 f; näher zum Ganzen Breuer Gutachten B zum 59. DJT, 1992, B 57 ff; zur weiteren Diskussion Hansmann und Dolde in: Verh des 59. DJT, Bd II, 1992, N 8 ff, 33 ff; Rehbinder und Breuer UPR 1995, 361 ff, 365 ff; insoweit übereinstimmend auch Dolde in: Verh. des 59. DJT, Bd II, 1992, N 35 ff. Vgl hierzu statt vieler: Ule/Laubinger Gutachten B zum 52. DJT, 1978, 13 ff; Hoppe VVDStRL 38 (1980) 216 ff; Rehbinder Das Vollzugsdefizit im UmwR und UmwelthaftungsR, 1996. Vgl hierzu Bothe/Gündling Tendenzen (Fn 117); Kloepfer/Mast (Fn 117). Hierzu sei auf die sektoralen Abschnitte dieses Beitrags verwiesen. Vgl o Rn 37, 49 ff; Überblicke auch bei Rengeling in: ders (Hrsg), EUDUR, Bd II/2, 2. Aufl 2003, §§ 92, 93; Barth/Demmke/Ludwig NuR 2001, 133 ff. EURATOM-Vertrag v 25. 3. 1957 (BGBl II 1014, 1679), idF des EUV v 7. 2. 1992 (BGBl 1993, II 1253, 1286); geänd d Vertrag v 24. 6. 1994 (BGBl II 2022) idF des Beschlusses

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zum anderen auf den Titel der Rechtsangleichung im Binnenmarkt (Art 95 EGV, Art 100 a EGV aF). Die Wahl der richtigen Kompetenzgrundlage bereitet bisweilen erhebliche Schwierigkeiten.217 Sie stellt indessen die Weichen für das maßgebliche Verfahren der Beschlußfassung sowie für die verbleibenden Regelungskompetenzen der Mitgliedstaaten. Schutzmaßnahmen der Gemeinschaft im Politikbereich „Umwelt“ sind Mindestanforderungen. Sie hindern die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen (Art 176 EGV, Art 130 t EGV aF). Dagegen verfügen die Mitgliedstaaten im Geltungsbereich einer binnenmarktbezogenen Rechtsangleichung nur noch über begrenzte Befugnisse zu nationalen Alleingängen im Interesse eines verstärkten Umweltschutzes (Art 95 Abs 4 ff EGV, Art 100 a Abs 4, 5 EGV aF).218 In jedem Fall ist eine EG-Richtlinie nach Maßgabe des Art 249 Abs 3 EGV (Art 189 Abs 3 EGV aF) für die Mitgliedstaaten verbindlich und demgemäß in nationales Recht umzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Richtlinien nach der Rechtsprechung des EuGH durchaus dichte, ins einzelne gehende Regelungen treffen können,219 einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht genießen,220 der Umsetzung durch bürgerverbindliche Rechtsnormen bedürfen und bei unterlassener, verspäteter oder unzureichender Umsetzung eine unmittelbare Rechtswirkung entfalten können.221 All dies verleiht gerade auch den EG-Umweltrichtlinien juristische Durchsetzungskraft. Dennoch ist das Verhältnis zwischen dem europäischen und dem nationalen, ins- 55 besondere dem deutschen Umweltrecht durchaus spannungsvoll. Einerseits beklagt die EG-Kommission, daß die Mitgliedstaaten die Umweltrichtlinien häufig nicht, verspätet oder unzureichend in nationales Recht umsetzen.222 Daraus resultieren zahlreiche, nahezu gegen alle Mitgliedstaaten gerichtete Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art 226 EGV (Art 169 EGV aF) und entsprechende Verurteilungen der betroffenen Staaten, auch der Bundesrepublik Deutschland, durch den EuGH.223 Andererseits werden die einschlägigen Richtlinien seitens der Mitgliedstaaten vielfach als unübersichtlich und fremdartig und die hieraus abgeleiteten Rechtsfolgen als überraschend, traditionswidrig und interventionistisch empfunden.224 Dieser

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v 1. 1. 1995 (ABl EG, L 1/1), zul geänd d EU-Beitrittsakte 2003 v 16. 4. 2003 (ABl EG, L 236/33); vgl dazu Pelzer in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 58. Vgl Frenz (Fn 44) Rn 65 ff, 89 ff mwN. Vgl Palme Nationale Umweltpolitik in der EG, 1992. Frenz (Fn 44) Rn 198. Grundlegend EuGH Slg 1964, 1251; Streinz EuropaR, Rn 168 ff mwN. Grundlegend EuGH Slg 1974, 1337; anerkannt durch BVerfGE 75, 223, 249 ff; Streinz EuropaR, Rn 394 ff; Frenz (Fn 44) Rn 204 ff. EG-Kommission, 20. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des GemeinschaftsR (2002), KOM 2003/0669/endg. EuGH Slg 1991, I-825; 1991, I-2567; 1991, I-2607; 1991, I-4983; 1996, I-5729; 1996, I-6739; 1996, I-6747; 1999, I-7837; 2002, I-2753; 2003, I-1439; 2003, I-2001; zum Ganzen Faßbender Die Umsetzung von Umweltstandards der Europäischen Gemeinschaft, 2001, 82 ff, 207 ff. So Salzwedel NVwZ 1991, 946, 947; Breuer Entwicklungen des europäischen UmwR – Ziele, Wege und Irrwege, 1993; ders NVwZ 1997, 833 ff; ders NVwZ 1998, 100 ff; zu den

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Eindruck entsteht insbesondere, soweit und solange man an drei Grundeinsichten und Kernforderungen festzuhalten versucht, die dem deutschen Umweltrecht zugrunde liegen. Danach gebührt erstens der systematischen und konditionalen Rechtsetzung, der strikten Gesetzesbindung und gleichmäßigen bürgerverbindlichen Anforderungen prinzipiell der Vorzug gegenüber offenen Abwägungen und kasuistischen Opportunitätsentscheidungen. Zweitens werden konkretisierte und quantifizierte, in untergesetzliche Regeln gekleidete Umwelt- und Technikstandards angestrebt und gegenüber einer pragmatischen, politisch oder ökonomisch flexibilisierten Umweltbewirtschaftung vorgezogen. Drittens steht hiernach der öffentlichen, demokratisch legitimierten und gesetzlich gebundenen Verwaltung eine hoheitliche, ordnungsrechtlich verstandene Regelungsbefugnis gegenüber den privaten Umweltnutzern und -verschmutzern zu. Diesen Postulaten liegt das Bestreben zugrunde, individualisierbare Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Bürger mit Ansprüchen, Verpflichtungen und justitiablen, formell- wie vor allem auch materiellrechtlichen Entscheidungsvoraussetzungen zu normieren. Gerade hierdurch wird im deutschen Umweltrecht das Vorsorge- und das Verursacherprinzip konkretisiert. Dagegen nimmt die Europäische Gemeinschaft die Mitgliedstaaten in die Pflicht. Aus dieser supranationalen Rechtsbeziehung erklärt sich der Aktionismus und Finalismus des europäischen Umweltrechts.225 Von den mehrjährigen, politisch verstandenen Umweltaktionsprogrammen 226 ausgehend, betreibt die Gemeinschaft mit ihren neueren Umweltrichtlinien keine konditionale Rechtsetzung. Vielmehr ergreift sie „Aktionen“, indem sie den Mitgliedstaaten Umweltziele weist und sie zu Maßnahmenprogrammen und Bewirtschaftungsplänen verpflichtet. Dazu gehört, daß die Mitgliedstaaten die gesetzten Umweltziele durch die „praktisch wirksame“ Umsetzung und Vollziehung der Richtlinien verwirklichen, also den „effet utile“ gewährleisten müssen.227 Auch die staatlichen Pflichten zur Öffentlichkeitsbeteiligung, zur Umweltinformation und zur Berichterstattung gegenüber der EG-Kommission 228 fügen sich in die supranationale Inpflichtnahme der Mitgliedstaaten ein. Diese werden so für ihre Rechtsetzung und ihr Verwaltungshandeln rechenschaftspflichtig. Letztlich müssen sie für die gebotene Aktionsgefolgschaft und Zielverwirklichung geradestehen. Hieran gemessen ist es nicht zielführend, wenn ein Mitgliedstaat – wie die Bundesrepublik Deutschland – durch konditionale Rechtsetzung, strikte Gesetzesbindung und gleichmäßige Standards auf die ordnungsrechtliche Regelungsstrenge, individualisierbare Rechtsverhältnisse und justitiable,

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praktischen Schwierigkeiten Hansmann NVwZ 1995, 329 ff; kritisch, allerdings differenzierend, auch Kloepfer NVwZ 2002, 645 ff. Zum Gegensatz zwischen konditionaler und finaler Rechtsetzung Breuer AöR 127 (2002) 523 ff; Appel (Fn 44) 157 ff, auch 201 ff, 282 ff. Vgl insbes das 5. Umweltaktionsprogramm von 1993: Gemeinschaftsprogramm für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung, ABl EG, C 138/1; ebenso das 6. Umweltaktionsprogramm v 22. 7. 2002, ABl EG, L 242/1. Vgl dazu Streinz EuropaR, Rn 398, 406, 498, 672, 810 mwN. Vgl Masing Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997; auch Schoch NVwZ 1999, 457, 461 ff; Halfmann VerwArch 91 (2000) 74, 83 f, 91 ff; Faßbender (Fn 223) 114 ff.

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insbesondere auch materiellrechtliche Bindungen setzt. Obwohl die hierbei bevorzugten, an den Verschmutzungsquellen ansetzenden Nutzungs- und Emissionsbeschränkungen besonders effektiv sind, wird hierdurch der europarechtliche Makel eines fehlenden Maßnahmenprogramms nicht getilgt.229 Der Regelungs- und Kontrollansatz bleibt verschieden – je nachdem, ob primär (wie im deutschen Umweltrecht) die privaten Nutzer oder (wie im europäischen Recht) die Mitgliedstaaten in die Pflicht genommen werden. Hinzu kommt, daß die europäische Rechtsetzung in Gestalt der Umweltrichtlinien 56 das Ergebnis von inter- und supranationalen Verhandlungen sind, die zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen geführt werden.230 Die kompromißhaften Formeln und Inhalte der Richtlinien gleichen daher vielfach diplomatischen Klauseln und völkerrechtlichen Vertragstexten. Damit unterscheiden sie sich notwendigerweise von bürgerverbindlichen, möglichst justitiablen und subsumtionsfähigen Rechtsnormen. Mit diesem Strukturproblem hängt zusammen, daß die europäische Rechtsetzung sich immer mehr zu einem Wettbewerb der Systeme entwickelt.231 Die neueren EG-Umweltrichtlinien folgen – anders als die älteren Richtlinien – anderen als den dargelegten deutschen Vorstellungen. Vielmehr stammen der Aktionismus und Finalismus der neueren Richtlinien, verbunden mit den hochfliegenden Visionen des integrierten Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung sowie mit einer flexiblen Abwägungsoffenheit, vor allem aus dem britischen Recht.232 Mit dem französischen Rechtssystem der Planification unter zentralistischen und exekutivischen Vorzeichen 233 mag diese Ausrichtung vereinbar sein. Mit dem ordnungsrechtlichen System, der konditionalen Normstruktur und der materiellrechtlichen Strenge des deutschen Umweltrechts verträgt sie sich schlecht.

III. Die Instrumente des staatlichen Umweltschutzes Der staatliche Umweltschutz verfügt über ein Bündel von Instrumenten unter- 57 schiedlicher Provenienz und Wirkungsweise. Die Akzentverschiebung vom anthropozentrischen zum ressourcenökonomisch und ökologisch orientierten Umweltschutz 234 hat das rechtliche Instrumentarium nachhaltig beeinflußt. Der anthropozentrische Umweltschutz konnte prinzipiell durch punktuelle und reagie229 230

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Dazu insbes EuGH Slg 1999, I-7837; krit Faßbender (Fn 223) 99 ff. Halfmann Entwicklungen des deutschen StaatsorganisationsR im Kraftfeld der europäischen Integration, 2000, 258 ff; Breuer NuR 2000, 541, 548. Breuer NVwZ 1997, 833ff; ders NuR 2000, 541, 548; zum Anpassungsdruck auf das deutsche Genehmigungs- und UmwR auch Wahl in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 237 ff. Instruktiv dazu Bohne in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg), Strukturen des europäischen VerwaltungsR, 1999, 217, 221 ff; vgl auch Breuer AöR 127 (2002) 556 ff. Zur Planification Bauchet in: Kaiser (Hrsg), Planung III, 1968, 249 ff; vgl auch Breuer AöR 127 (2002) 542 ff. Vgl Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 369 ff; Kloepfer Systematisierung (Fn 20), 73; ders UmwR, § 1 Rn 19 ff; Breuer Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutzes, 1989, 18 ff.

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rende Eingriffe des Staates auf der Grundlage oder nach dem Muster der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr gewährleistet werden.235 Demgegenüber verlangt der ressourcenökonomisch und ökologisch orientierte Umweltschutz nach einer Gesamtbetrachtung sowie nach aktiver staatlicher Vorsorge, Planung und Verteilung.236 Indessen ist der anthropozentrische durch den ressourcenökonomisch und ökologisch orientierten Umweltschutz nicht verdrängt, sondern lediglich überlagert worden. Der Schutz des Menschen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch bestimmte Anlagen, Stoffe und Handlungen bildet nach wie vor ein Kernstück des staatlichen Umweltschutzes.237 Im übrigen ist dieser auf den Einsatz planvollziehender oder planunabhängiger, auf den Einzelfall zugeschnittener Kontrollinstrumente ebenso angewiesen wie auf die planerische Gesamtsteuerung. Derartige Kontrollinstrumente stehen im klassischen Arsenal der Eingriffsverwaltung bereit. Das Umweltschutzrecht greift hierauf zurück, indem es Anmeldepflichten des Bürgers sowie gesetzliche, präventiv oder repressiv motivierte Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, administrative Verbote und andere repressive Verfügungen normiert.238 Das öffentlich-rechtliche Kontroll-, Planungs- und Verteilungsinstrumentarium 58 des staatlichen Umweltschutzes ist in einigen Teilbereichen durch abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente ergänzt worden.239 Daneben fungieren die interprivaten Ansprüche als Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung 240 und die Handhaben des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts als klassische Sanktionsinstrumente.241 Die notwendige Kooperation im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft vollzieht sich im Wege besonderer Instrumente organisations- und verfahrensrechtlicher Art.242 Schließlich kann der Staat bestimmte umweltrelevante Aktivitäten in unmittelbare oder mittelbare Eigenregie übernehmen.243 235

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Zur Luftverunreinigung und zum Immissionsschutz in Preußen bis zur GewO 1869 Mieck in: Technikgeschichte Bd 34 (1967) 36 ff. Vgl Hoppe VVDStRL 38 (1980) 228 ff; Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 409 ff; zur „Instrumentenharmonisierung“ im UmweltschutzR: Kloepfer/Meßerschmidt (Fn 20) 102 ff; auch Erbguth (Fn 20) 103 ff, 123 ff, 145 ff. Vgl Umweltbericht ’76 der BReg, BT-Drucks 7/5684, Tz 11, 13, 21; SRU, Umweltgutachten 1978, BT-Drucks 8/1938, Tz 17 ff; Umweltbericht 1990, BT-Drucks 11/7168, 28, 48; v Lersner Verwaltungsrechtliche Instrumente des Umweltschutzes, 1983, 12 ff. Direkte administrative Verhaltenssteuerung; so Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 387 ff. Vgl u Rn 85 ff. Vgl u Rn 99 ff. Vgl zu den komplexen Problemen des Verhältnisses zwischen strafrechtlichem und verwaltungsrechtlichem Umweltschutz Heine/Meinberg Gutachten D zum 57. DJT, 1988; Sitzungsbericht L zum 57. DJT, 1988, mit Referaten von Keller, Ossenbühl und Hamm; ferner Winkelbauer Zur Verwaltungsakzessorietät des UmweltstrafR, 1985; Breuer DÖV 1987, 169 ff; ders NJW 1988, 2072 ff; ders AöR 115 (1990) 448 ff; Meurer NJW 1988, 2065 ff; Dahs/Redeker DVBl 1988, 803 ff; Hansmann NVwZ 1989, 913 ff; Tröndle NVwZ 1989, 918 ff; Schröder VVDStRL 50 (1991) 196 ff; im Anschluß an die Novellierung der §§ 324 ff StGB durch das 2. UmweltkriminalitätsG v 27. 6. 1994 (BGBl I 1440) Breuer JZ 1994, 1077 ff; Otto Jura 1995,134 ff; Rogall GA 1995, 299 ff. Vgl u Rn 110; auch o Rn 18. Vgl u Rn 111 ff.

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1. Planungs- und Verteilungsinstrumente a) Modelle einer umfassenden Umweltschutzplanung Angesichts der Knappheit der natürlichen Ressourcen, der manifesten ökologischen 59 Existenzkrise und der Notwendigkeit der Umweltschutzplanung mag auf den ersten Blick der Gedanke einer staatlichen Globalsteuerung aller wirtschaftlichen und sozialen, öffentlichen und privaten Aktivitäten durch eine umfassende Umweltschutzplanung 244 bestechend erscheinen. Indessen lehren die Erfahrungen mit den Modellen und Versuchen einer integrierten staatlichen Gesamt-, Aufgaben- oder Entwicklungsplanung, daß mit der Globalität die Operationalität und Durchsetzbarkeit der Planung schwindet.245 Einer staatlichen Globalsteuerung durch Umweltschutzplanung kann keine günstigere Prognose zugebilligt werden.246 Was die rechtliche Realisierbarkeit betrifft, so ist zutreffend darauf hingewiesen worden, daß die staatliche Globalsteuerung aller wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten in ein geschlossenes System der Investitionslenkung hineinführt. Ein derartiges Modell würde nicht nur den politischen, sondern auch den verfassungsrechtlichen Rahmen der marktwirtschaftlichen, auf unternehmerischer Freiheit beruhenden Ordnung sprengen 247 – es sei denn, die staatliche Globalsteuerung würde sich auf indikative Daten und persuasive Anregungen beschränken und dadurch an Durchsetzbarkeit noch mehr einbüßen. Als „integrierende Umweltschutzpläne“ werden Modelle einer eigenständigen und 60 isolierten Gesamtplanung des Umweltschutzes diskutiert.248 Auch die Praktikabilität dieser Modelle begegnet grundsätzlichen Einwänden. So ist auf den hohen, schwer zu befriedigenden Koordinationsbedarf einer solchen Gesamtplanung sowie auf ihren anspruchsvollen, derzeit ebenfalls nicht zu befriedigenden Bedarf an ökologischem Grundwissen verwiesen worden.249 Darüber hinaus müßte eine hochgezüchtete, aber isolierte Gesamtplanung des Umweltschutzes an Realitätsferne leiden. b) Umweltleitplanung Realistischer erscheint das in jüngerer Zeit de lege ferenda vorgeschlagene Modell 61 einer Umweltleitplanung, die nicht als umfassende Gesamtplanung, sondern – am Vorbild der Landschaftsplanung (§§ 13 ff BNatSchG) orientiert – als Zusammenführung der verschiedenen raumbezogenen Umweltfachplanungen ausgestaltet werden soll. Sie soll vor allem ebenfalls raumbezogene Aussagen enthalten, namentlich Festlegungen von ökologischen Vorranggebieten und umweltspezifischen Gütestandards, aber auch objektbezogene Maßnahmen zB des Arten- und Biotopschutzes festlegen. Funktional betrachtet, soll sie zunächst die vielfältigen Umweltbelange zu einem internen Ausgleich bringen, um sodann gegenüber umweltfremden Vorhaben und Belangen sowie in der raumbezogenen Gesamtplanung die externe Position des 244 245 246 247 248

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Hierfür BMI Baum in: Umwelt Nr 70 v 29. 6. 1979, 1. Vgl etwa Wagener DÖV 1977, 587 ff, insbes 589, 591 f. So auch Hoppe VVDStRL 38 (1980) 254 ff. Vgl Hoppe VVDStRL 38 (1980) 255 f (Fn 99 mwN). So Boese/Eckstein/Schier Voraussetzungen und Nutzen integrierender Umweltschutzpläne (maschinenschriftlich), Umweltforschungsplan des BMI, Querschnittsfragen, FE-Vorhaben 101 01 013, 1972. So Hoppe VVDStRL 38 (1980) 259 ff.

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Umweltschutzes zu stärken.250 Dieses Modell führt in abgewogener und aussichtsreicher Weise über das Instrumentarium des geltenden Rechts hinaus. Es darf jedoch nicht mit perfektionistischen Bindungsklauseln oder hochfliegenden juristischen Erwartungen überfrachtet werden. In diesem Sinne werden bezeichnenderweise neben den rechtlichen „Verbindlichkeitsgehalten“ die darstellenden, informierenden, argumentierenden und empfehlenden Funktionsweisen der vorgeschlagenen Umweltleitplanung hervorgehoben.251 Eine abgeschwächte Variante dieses Modells stellt die Umweltgrundlagenplanung dar, die von der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch vorgeschlagen worden ist. Sie soll in die Raumordnung und Landesplanung integriert sein, jedoch eine eigene zusammenfassende Darstellung der Umweltbelange enthalten.252 c) Fachplanungen des Umweltschutzes 62 Es beruht offenbar auf der Notwendigkeit der Umweltschutzplanung und der mangelnden Praktikabilität einer staatlichen, gesamtplanerisch aufgezogenen Globalsteuerung aller umweltrelevanten Aktivitäten wie auch einer isolierten Gesamtplanung des Umweltschutzes, wenn einschlägige Fachplanungen im jüngeren deutschen Recht eine zunehmende Verbreitung gefunden haben.253 So wird der mediale Schutz des Bodens durch die moderne Landschaftsplanung 63 (§§ 13 ff BNatSchG) sowie die planerische Festsetzung von Naturschutzgebieten, Nationalparken, Biosphärenreservaten, Landschaftsschutzgebieten und Naturparken (§§ 22 ff BNatSchG) gelenkt.254 Der mediale Schutz des Wassers wird durch verschiedene, sich ergänzende Fachpläne gesteuert. Solche Pläne sind die Planfeststellungen für Gewässerausbauten (§ 31 WHG), die planerische Festsetzung von Wasser- und Heilquellenschutzgebieten (§ 19 WHG) sowie das Maßnahmenprogramm (§ 36 WHG) und der Bewirtschaftungsplan (§ 36 b WHG) für jede Flußgebietseinheit (§ 1 b WHG). Auf dem Sektor des Immissionsschutzes fungieren die Festsetzung von Untersuchungsgebieten (§ 44 Abs 2 BImSchG), Luftreinhaltepläne (§ 47 BImSchG) und Lärmminderungspläne (§ 47 a BImSchG) als Akte der Fachplanung.255 Im Rahmen des kausalen Umweltschutzes werden allgemeine Regelungen über die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen durch Abfallwirtschafts250 251

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Vgl Erbguth (Fn 20) 146 ff; Schmidt-Aßmann DÖV 1990, 169, 175, 176 ff. So Schmidt-Aßmann DÖV 1990, 169, 176, 179; hierauf baut der „Professoren-Entwurf“ für ein UGB-AT (Fn 202) 46 ff, 185 ff, mit dem Vorschlag einer eigenständigen Umweltleitplanung (§§ 19–25) auf; dazu Breuer (Fn 211) B 98 ff; zust Erbguth DVBl 1992, 1122, 1131 f; krit und eher für eine Fortentwicklung der Landschaftsplanung Hoppe NJW 1992, 1993 ff; ders DVBl 1992, 1381 ff; ders in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 267 ff; Gassner NuR 1993, 358 ff. UGB-KomE (Fn 204) 132 f, 566 ff; Hoppe in: FS Blümel, 1999, 177 ff; ders (Fn 252); Schulte in: FS Hoppe, 2000, 153 ff. Vgl Schmidt-Aßmann DÖV 1979, 1 ff; ders DÖV 1990, 169 ff; Kölble DÖV 1979, 478 ff; Breuer RdWW 20, 81 ff; Erbguth (Fn 20) 103 ff; ders in: FS Hoppe, 2000, 631 ff; Kloepfer/Meßerschmidt (Fn 20) 102 f, 105 ff; Kloepfer UmwR, § 5 Rn 7 ff, 10; Hoppe/Beckmann/ Kauch UmwR, § 7; Stüer/Hermanns DVBl 2002, 435 ff. Vgl u Rn 119 f und 125. Vgl u Rn 220 ff.

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pläne der Länder (§ 29 KrW-/AbfG) und einzelfallbezogenene Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Deponien durch Planfeststellungen oder Plangenehmigungen (§ 31 Abs 2, §§ 32 ff KrW-/AbfG) getroffen.256 Die Rechtsnatur der genannten Fachpläne differiert in auffälliger Weise. Die was- 64 serwirtschafts- und abfallrechtlichen Planfeststellungen sind – ebenso wie die Planfeststellungen für Vorhaben anderer Sachbereiche – Verwaltungsakte, da sie mit bürgerverbindlicher Außenwirkung einen Einzelfall in Gestalt des konkreten Bauvorhabens regeln.257 Als Rechtsnormen sind die Schutzgebietsfestsetzungen auf den Sektoren des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie der Wasserwirtschaft zu qualifizieren.258 Daran dürfte die Legaldefinition der Allgemeinverfügung in § 35 Satz 2 VwVfG nichts geändert haben. Zum einen bestimmen die einschlägigen Landesgesetze ausdrücklich, daß die genannten Schutzgebiete durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung festgesetzt werden.259 Diese Spezialvorschriften gehen gegenüber § 35 Satz 2 VwVfG vor. Zum anderen können Schutzgebietsfestsetzungen materiell nicht als sachbezogene oder „dingliche“ Verwaltungsakte iSd § 35 Satz 2 VwVfG qualifiziert werden, da sie primär eine generell-abstrakte, aus Geboten, Verboten und Duldungspflichten bestehende Handlungsregelung enthalten und der Gebietsbezug dahinter zurücktritt.260 Vom Inhalt her fällt der hohe Grad an Spezialisierung und Zersplitterung sowie 65 die teilweise wechselseitige Überlagerung der Umweltfachplanung auf. Darin liegt kein Zeichen der Stärke, sondern eher ein Grund für Reibungsverluste sowie für eine potentielle Schwäche, die sich gegenüber der Fachplanung für umweltbelastende Großvorhaben sowie im Rahmen der raumbezogenen Gesamtplanung auswirken kann.261 Allerdings nötigt gerade die mangelnde Praktikabilität einer ge256 257

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Vgl u Rn 174, 261 f. Vgl BVerwG DÖV 1974, 568; Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 62 Rn 120; Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 9; Breuer Die hoheitliche raumgestaltende Planung, 1968, 61 ff; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 4/125, 128 ff, 156 ff; zur Unterscheidung zwischen Kontrollerlaubnis und Planfeststellung Wahl DVBl 1982, 51 ff. BVerwGE 18, 1, 3 f; 29, 207; BVerwG NJW 1958, 1600; Sieder/Zeitler/Dahme WHG, § 19 Rn 56–58; Breuer (Fn 257) 54, 56 ff, 159 ff; ders Öffentl und priv WasserR, 3. Aufl 2004, Rn 836. §§ 21, 22 NatSchG BW; Art 7 Abs 3, 8 Abs 1, 10 Abs 3 BayNatSchG; §§ 19 Abs 2, 20 Abs 2 BlnNatSchG; § 19 Abs 1, 21, 22 BbgNatSchG; §§ 18, 19 Abs 1, 20 Abs 1 BremNatSchG; §§ 15, 16 Abs 1, 17 Abs 1 HambNatSchG; §§ 12, 13 iVm § 16 Abs 1 HessNatSchG; § 21 NatSchG M-V; §§ 24, 26 NdsNatSchG; § 16 Abs 2 Satz 1 und Abs 4 Nr 2 LG NW; §§ 18 Abs 1, 19 Abs 1, 21 Abs 1 LPflG Rh-Pf; §§ 18 Abs 1, 19 Abs 1, 20 Abs 1 SaarlNatSchG; §§ 16 Abs 1, 17 Abs 1, 19 Abs 1, 20 Abs 1 SächsNatSchG; § 29 Abs 1 NatSchG LSA; §§ 15 a, 16 Abs 1, 17 Abs 1 LPflG Schl-H; §§ 12 Abs 1, 13 Abs 1, 14 Abs 1, 15 Abs 1, 16 Abs 1, 17 Abs 1 ThürNatSchG. – § 110 WG BW; Art 35 BayWG; § 22 WG Bln; § 47 Abs 2 BremWG; § 29 Abs 1 HessWG; § 48 Abs 2 NdsWG; § 14 Abs 1 Satz 1 WG NW; § 13 Abs 1 WG Rh-Pf; § 37 Abs 1 SaarlWG; § 4 Abs 1 WG Schl-H. Breuer RdWW 20, 84 f; aA Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 12 Rn 59 ff; Götz NJW 1976, 1427; diff Ebersbach Rechtliche Aspekte des Landverbrauchs am ökologisch falschen Platz, 1985, 116 ff. Vgl Hoppe VVDStRL 38 (1980) 246; Erbguth (Fn 20) 124 ff; Schmidt-Aßmann DÖV 1990, 169, 173; Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 7 Rn 36.

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samtplanerisch aufgezogenen Globalsteuerung sowie auch einer isolierten Gesamtplanung des Umweltschutzes zu differenzierten Fachplänen. Notwendig bleibt jedoch die Zusammenführung dieser Pläne und anderweitiger Fachplanungen in einer raumbezogenen, dem Interessenausgleich dienenden Gesamtplanung.262 d) Der Umweltschutz in der raumbezogenen Gesamtplanung 66 Der Umweltschutz gehört zu den Planungszielen der raumbezogenen Gesamtplanung. Auf der überörtlichen Ebene der Raumordnung und Landesplanung gelten die normativen Grundsätze des § 2 Abs 2 Nr 8 BROG.263 Für den Schutz, die Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft, insbesondere des Naturhaushalts, des Klimas, der Tier- und Pflanzenwelt sowie der Wälder, für den Schutz des Bodens und des Wassers, für die Reinhaltung der Luft sowie für die Sicherung der Wasserversorgung, für die Vermeidung und Entsorgung von Abwasser und Abfällen und für den Schutz der Allgemeinheit vor Lärm ist zu sorgen. Diese Grundsätze sind gemäß § 2 Abs 3 BROG durch Landesgesetze ergänzt und verfeinert worden. Auf der örtlichen Ebene der Bauleitplanung bilden die Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt sowie der Schutz und die Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen allgemeine Planungsziele (§ 1 Abs 5 Satz 2 BauGB). Als detaillierte Planungsleitlinien sind ua gemäß § 1a BauGB die Belange des Umweltschutzes, auch durch die Nutzung erneuerbarer Energien, des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere des Naturhaushalts, des Wassers, der Luft und des Bodens einschließlich seiner Rohstoffvorkommen, sowie das Klima zu berücksichtigen (§ 1 Abs 6 Nr 7 BauGB).264 In der Abwägung der Bauleitplanung nach § 1 Abs 7 BauGB sind ua die Vermei66a dung und der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft (Eingriffsregelung nach dem BNatSchG) zu berücksichtigen (§ 1 a Abs 3 Satz 1 BauGB). Aus dieser Verweisung ergibt sich, daß die rechtsbegrifflichen Voraussetzungen des Eingriffs in Natur und Landschaft sowie des Vermeidungs- und des Ausgleichsgebots aus den §§ 18, 19 Abs 1 und 2 Satz 1 BNatSchG 265 zu entnehmen sind. Andererseits bestimmen sich die eingriffsbezogenen Entscheidungsmaßstäbe und Rechtsfolgen nach den flexiblen Grundsätzen der planerischen Abwägung. Dies folgt aus der Rückverweisung im BNatSchG: Sind aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten, ist über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz (§ 19 Abs 2 und 4 BNatSchG) nach den Vorschriften des BauGB zu entscheiden (§ 21 Abs 1 BNatSchG). Der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe erfolgt durch geeignete Darstel262

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So auch Hoppe VVDStRL 38 (1980) 289 ff; darauf reagiert das Modell der Umweltleitplanung sowie der Umweltgrundlagenplanung, vgl o Rn 61. IdF v 19. 8. 1997 (BGBl I 2681); dazu Kratzenberg NVwZ 1989, 1129, 1130; zuvor LübbeWolff NVwZ 1987, 399 f; allgem zum Umweltschutz in der Raumordnung und Landesplanung Schmidt-Aßmann in: Salzwedel (Hrsg), Grundzüge des UmwR, 1982, 152 ff; Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 7 Rn 40 ff. Vgl dazu Erbguth/Wagner BauplanungsR, 4. Aufl 2005, § 3 Rn 16 ff; Battis in: FS Hoppe, 2000, 303 ff. Dazu u Rn 121 ff.

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lungen nach § 5 Abs 2 a BauGB „als Flächen zum Ausgleich“ im Flächennutzungsplan und durch Festsetzungen nach § 9 Abs 1 a BauGB „als Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich“ im Bebauungsplan (§ 1 a Abs 3 Satz 1 BauGB). Aufgrund der Neuregelung durch das BauROG 1998 können diese Darstellungen und Festsetzungen gemeindeweit auch an anderer Stelle als am Ort des Eingriffs erfolgen (§ 1 a Abs 3 Satz 2 BauGB). Insbesondere werden dadurch räumlich getrennte, jedoch sachlich zusammenhängende Eingriffs- und Ausgleichsbebauungspläne ermöglicht.266 Die Eingriffsprüfung und -regelung auf der Ebene der raumbezogenen Gesamtplanung 267 ist zu begrüßen. Gleichwohl bleibt das Verhältnis zwischen Bauund Naturschutzrecht 268 nicht nur wegen der gesetzlichen Zirkelverweisung, sondern auch in sachlicher Hinsicht ambivalent und konfliktträchtig. Zum einen stehen die rechtsbegrifflichen Anforderungen an planbedingte Eingriffe in Natur und Landschaft letztlich unter Abwägungsvorbehalt. Zum anderen sind in Plan- und Planaufstellungsgebieten (§§ 30, 33 BauGB) sowie im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) die Vorschriften der Eingriffsregelung nicht anzuwenden (§ 21 Abs 2 Satz 1 BNatSchG). Auf der einzelfallbezogenen Stufe einer (Bau-)Genehmigung findet insoweit mithin keine naturschutzrechtliche Eingriffsprüfung mehr statt. Nur noch für Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB und planfeststellungsersetzende Bebauungspläne (zB nach § 17 Abs 3 FStrG) bleibt eine konkrete und projektbezogene Eingriffsprüfung geboten (§ 21 Abs 2 Satz 2 BNatSchG). Speziell auf den Immissionsschutz gerichtet, jedoch sämtliche Ebenen der Ge- 66b samtplanung wie auch alle Fachplanungen übergreifend, stellt § 50 BImSchG ein planungsrechtliches Gebot der Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung auf: Bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen sind die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, daß schädliche Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete wie auch sonstige schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden. Durch diese Anforderungen wirkt der Umweltschutz „konkurrierend integriert“.269 Die raumbezogene Gesamtplanung wird dadurch zu einem Instrument des Umweltschutzes mit der spezifischen Aufgabe einer übergreifenden Koordination und Konfliktbewältigung. Allerdings gewährt § 50 BImSchG den Planbetroffenen keine subjektivrechtlichen Positionen.270 266

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Vgl dazu Erbguth/Wagner (Fn 264) § 3 Rn 52 ff; zur Aufwertung des Flächennutzungsplans in diesem Zusammenhang Müller/Mahlburg DVBl 1998, 1110 ff. Dazu bereits auf der Basis der §§ 8 a–8 c BNatSchG idF des G v 22. 4. 1993 (BGBl I 466) BVerwGE 104, 68; BVerwG NVwZ 1997, 1216; OVG Münster NVwZ 1996, 274. Vgl dazu Lüers UPR 1997, 348ff; Wagner UPR 1997, 387, 392 ff; Krautzberger NuR 1998, 455 ff; Schmidt NVwZ 1998, 337 ff; Louis NuR 1998, 113 ff. Vgl o Rn 48; zum Inhalt des § 50 BImSchG auch BVerwGE 71, 163; Hansmann in Landmann/Rohmer, UmwR I, § 50 BImSchG Rn 33 ff; zur Kritik an der Effizienz des Umweltschutzes in der Raumplanung Kuhl Umweltschutz im materiellen RaumordnungsR, 1977, 35 ff; Henneke Raumplanerisches Verfahren und Umweltschutz, 1977, 238 ff; Hoppe VVDStRL 38 (1980) 241 ff; Louis/Kathe UPR 1994, 247 ff. BVerwG DVBl 1974, 777, 778 f; BVerwGE 68, 58, 61; VGH Kassel DÖV 1976, 393; Feldhaus BImSchR, § 50 Anm II 5; Hansmann (Fn 269) § 50 Rn 70; jew mwN; Marcks NuR 1984, 44, 48; Kloepfer UmwR, § 14 Rn 168.

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Bereits vor dem Inkrafttreten des § 50 BImSchG hat das BVerwG 271 aus den allgemeinen Planungszielen, Planungsleitlinien und Abwägungserfordernissen des Bauplanungsrechts den Grundsatz entwickelt, daß Industriegebiete und zum Wohnen bestimmte Gebiete nach Möglichkeit räumlich angemessen voneinander getrennt werden sollen. Ebenso ist zB die Ausweisung eines Mischgebietes (§ 6 BauNVO) in unmittelbarer Nachbarschaft eines landwirtschaftlichen, eine Schweinehaltung umfassenden Betriebes ohne Schutzvorkehrungen jedenfalls dann unzulässig, wenn ein Wohngebiet an anderer Stelle des Gemeindegebietes – wenn auch mit höheren Erschließungskosten – ausgewiesen werden könnte.272 Allerdings ist das grundsätzliche Gebot der Trennung von schutzbedürftigen und umweltbelastenden Nutzungen in zwei Richtungen ausnahmefähig. Zum einen kann die gebotene Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung unter ungünstigen Voraussetzungen, insbesondere bei der „Überplanung gewachsener Strukturen“, durch andere planerische Festsetzungen erfolgen, zB durch die interne Gliederung oder Einschränkung der zusammentreffenden Nutzungen (§ 1 Abs 4 BauNVO), stoffbezogene Verwendungsverbote (§ 9 Abs 1 Nr 23 BauGB) oder die Festsetzung von Schutzflächen sowie Flächen für besondere Anlagen oder Vorkehrungen zum Immissionsschutz (§ 9 Abs 1 Nr 24 BauGB).273 Zum anderen kann der Anforderungshorizont der gebotenen Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung unter besonderen Umständen herabgesetzt sein. Ein solcher Fall kann eintreten, wenn die Bauleitplanung eine die Situation prägende, die Schutzwürdigkeit schonungsbedürftiger Nutzungen vermindernde Vorbelastung antrifft 274 oder wenn eine umweltbelastende Nutzung von besonderer Bedeutung ist und an anderer Stelle oder auf andere Weise nicht festgesetzt werden kann.275 e) Der Umweltschutz bei Fachplanungen anderer Verwaltungsbereiche

68 Als Schranke fungiert der konkurrierend integrierte Umweltschutz bei Fachplanungen in Verwaltungsbereichen, welche die Zuständigkeit für umweltbelastende Vorhaben umschließen. Solche Vorhaben sind vor allem Gegenstand der Planfeststellungen für Bundesfernstraßen und Landesstraßen, für Schienenwege der Eisenbahnen, für Anlagen der Magnetschwebebahnen, für Betriebsanlagen der Straßenbahnen einschließlich der U-Bahnen, für Flughäfen und Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich, für Telegrafenlinien, für Abfalldeponien und Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, für Ausbauten von Gewässern und ihren Ufern zu Zwecken der Wasserwirtschaft oder der Schiffahrt und für öffentliche Wege und Straßen sowie wasserwirtschaftliche, bodenverbessernde und land-

271 272 273

274 275

BVerwGE 45, 309, 327. OVG Koblenz ZfBR 1979, 174. Hierzu v Holleben GewArch 1978, 41 ff; Söfker ZfBR 1979, 19 ff; Hoppe in: FS Ernst, 1980, 215 ff; Dolde NJW 1980, 1659; ders DVBl 1983, 732 ff; Selmer BB 1988, Beil 15 zu Heft 30; W. Schrödter in: Schrödter (Fn 78) § 9 Rn 111 ff, 139 ff; Kraft DVBl 1998, 1048 ff; zur drittschützenden Wirkung solcher Festsetzungen BVerwGE 80, 184 ff. Vgl BVerwGE 51, 15, 39 ff; 56, 110, 131; OVG Lüneburg GewArch 1979, 345. BVerwG DÖV 1977, 752, 753; Dolde NJW 1980, 1659.

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Umweltschutzrecht

5. Kap III 2

schaftsgestaltende Anlagen im Rahmen der Flurbereinigung.276 Positivrechtliche Anforderungen des Umweltschutzes an die Planfeststellungen ergeben sich aus der am Bestandsschutzprinzip ausgerichteten Regelung über Eingriffe in Natur und Landschaft (§§ 18–20 BNatSchG) 277 sowie aus dem Gebot der Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung im Hinblick auf die Immissionslage (§ 50 BImSchG). Zwar ist ein Verkehrslärmschutzgesetz nicht zustande gekommen.278 Durch die Verkehrslärmschutzverordnung 279 hat der Lärmschutz bei Straßen und Schienenwegen jedoch eine positivrechtliche Konkretisierung erfahren. Auf der Grundlage dieser Verordnung können die Betroffenen nunmehr nach § 42 BImSchG eine Entschädigung für Schallschutzmaßnahmen geltend machen.280 Die Planfeststellungsgesetze enthalten ergänzende Regelungen über Schutzauflagen und Entschädigungspflichten.281 Das BVerwG 282 unterscheidet zwischen gemeinnützigen Planfeststellungen aus 69 Gründen des Allgemeinwohls und privatnützigen Planfeststellungen für Vorhaben, die allein im privaten Interesse ausgeführt werden sollen. Die rechtlichen Schranken gemeinnütziger Planfeststellungen sind vor allem im Hinblick auf den verkehrsbezogenen Immissionsschutz 283 entwickelt worden. Eine privatnützige Planfeststellung, die insbesondere für private Gewässerausbauten erforderlich ist, unterliegt strengeren Anforderungen. Sie vermag Eingriffe in Rechte Dritter nicht zu rechtfertigen und muß außerdem versagt werden, wenn sie unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit führen würde.284

2. Administrative Kontrollinstrumente Trotz der zunehmenden Verbreitung und Bedeutung der Planungs- und Verteilungs- 70 instrumente ist der Umweltschutz gleichermaßen auf administrative Kontrollinstrumente angewiesen, die dem Gesetzes- oder Planvollzug im Einzelfall dienen. Sie entstammen dem klassischen, polizeirechtlich geprägten Arsenal der Eingriffsverwaltung.

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Vgl §§ 72 ff VwVfG; §§ 17 ff FStrG; §§ 18 ff AEG; § 2 MBPlG (Magnetschwebebahnen); §§ 28 ff PBefG; §§ 8 ff LuftVG; §§ 31 ff KrW-/AbfG; § 9 b AtomG; § 31 WHG; §§ 14 ff WaStrG; § 41 FlurbG; zu den Änderungen dieser Vorschriften durch das VerkehrswegeplanungsbeschleunigungsG v 16. 12. 1991 und das PlanungsvereinfachungsG v 17. 12. 1993 Nachw o in Fn 175; zur Rechtsprechung Stüer/Hermanns DVBl 2002, 514 ff. Vgl u Rn 121 ff, auch o Rn 11. Vgl u Rn 213 ff. 16. BImSchV v 12. 6. 1990 (BGBl I 1036); vgl u Rn 216. Vgl zur Rechtslage vor Erlaß der 16. BImSchV BVerwGE 80, 184, 191; Steinberg/Berg/ Wickel Fachplanung, 3. Aufl 2000, § 4 Rn 5 ff, 109 ff; zur Anwendung der 16. BImSchV BVerwG NVwZ 1998, 1071; Kühling/Herrmann FachplanungsR, 2. Aufl 2000, Rn 418 ff. So § 74 Abs 2 Satz 2 und 3 VwVfG; § 9 Abs 2 LuftVG; § 19 Abs 1 WaStrG. BVerwGE 55, 220, 226 ff; 56, 110, 118 ff; 59, 253, 257; NuR 1981, 25; NVwZ 1985, 340; 1986, 205; BVerwGE 79, 318; krit Breuer in: FS Hoppe, 2000, 667, 677 ff. Vgl u Rn 213 ff. BVerwGE 55, 220, 227, 229.

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5. Kap III 2 b aa

Rüdiger Breuer

a) Anmeldepflichten 71 Anmelde- oder Anzeigepflichten des Bürgers sind in formeller und grundsätzlich auch in materieller Hinsicht das mildeste Instrument zur Kontrolle umweltrelevanter Tätigkeiten. Sie können zwei unterschiedliche Funktionen erfüllen. Zum einen kann eine Anmeldepflicht einer einmaligen, der Vornahme einer umweltrelevanten Handlung vorgeschalteten Eröffnungskontrolle dienen. Damit erfüllt sie die gleiche Funktion wie ein präventives gesetzliches Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Erlaubnis oder Genehmigung. Diesen Merkmalen entspricht die Anmeldepflicht nach den §§ 4 ff ChemG. Der Gesetzgeber hat ihr den Vorzug vor einer Zulassungspflicht in Gestalt eines Genehmigungsvorbehalts gegeben, weil das Anmeldeverfahren europarechtlich vorgegeben ist, einfacher und praktikabler als ein Zulassungsverfahren erschien 285 und die grundrechtsrelevanten Wettbewerbsverzerrungen 286 dadurch abgeschwächt werden. Zum anderen kann eine Anmeldepflicht einer fortlaufenden, umweltrelevante Tätigkeiten begleitenden Befolgungskontrolle dienen. Diese Funktion erfüllen zB die Anzeige- und Nachweispflichten im Rahmen der Überwachung der Abfallentsorgung (§§ 40 ff KrW-/AbfG) sowie die Pflicht des Anlagenbetreibers zur Abgabe einer Emissionserklärung (§ 27 BImSchG). b) Gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt 72 Unter den administrativen Kontrollinstrumenten des Umweltschutzes nehmen gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt eine Schlüsselstellung ein. Auch im Umweltschutzrecht muß insoweit unterschieden werden, ob es sich um ein präventives Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Unbedenklichkeitserklärung oder um ein repressives Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Befreiung 287 handelt. 73 aa) Ein präventives Verbot der ersteren Art liegt zB dem Vorbehalt der rechtlich gebundenen personenbezogenen Transportgenehmigung für die gewerbsmäßige Einsammlung und Beförderung von Abfällen zur Beseitigung nach § 49 KrW-/AbfG zugrunde. Diese Genehmigung ist zu erteilen, wenn keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers oder der für die Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes verantwortlichen Personen ergeben und der Einsammler, Beförderer und die von ihnen beauftragten Dritten die notwendige Sach- und Fachkunde besitzen (§ 49 Abs 2 Satz 1 KrW-/AbfG) 288. Auch die sachbezogene Anlagengenehmigung nach den §§ 4 ff BImSchG beruht auf einem 285

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BT-Drucks 8/3319, 17; zur Festlegung auf ein Anmeldeverfahren durch die EG-Richtlinie v 18. 9. 1979 (79/831/EWG) Rehbinder in: Dokumentation zur 4. wiss Fachtagung der Gesellsch für UmwR, 1980, 119 f; Breuer in: ChemikalienR, 1986, 175 f, 193 ff; Kloepfer UmwR, § 19 Rn 34 ff, 68 ff; Peine Jura 1993, 342 f. Vgl o Rn 32. Vgl dazu Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 46 Rn 44 ff; Maurer, AllgVwR, § 9 Rn 51 ff. Vgl zu diesen Genehmigungsvoraussetzungen Versteyl in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 49 Rn 36 ff; zuvor zu § 12 AbfG: BVerwG DVBl 1981, 985; VGH Kassel NJW 1987, 393; VGH Mannheim NVwZ 1990, 482.

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Umweltschutzrecht

5. Kap III 2 b cc

präventiven Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen, rechtlich vollauf gebundenen Unbedenklichkeitserklärung.289 bb) Auf der Grenze zwischen einem präventiven und einem repressiven Verbot ist 74 der Vorbehalt der atomrechtlichen Anlagengenehmigung angesiedelt. Einerseits steht der Genehmigungsbehörde ein Versagungsermessen zu, wenn die rechtsbegrifflichen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs 2 AtomG erfüllt sind 290. Der Grund für die Einräumung dieses Ermessens besteht darin, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie mit spezifischen, noch nicht vollständig geklärten Risiken verbunden ist.291 Andererseits steht der ursprüngliche Förderungszweck des § 1 Nr 1 AtomG aF der Annahme entgegen, dem Vorbehalt der atomrechtlichen Anlagengenehmigung liege ein repressives Verbot zugrunde. Ein solches Verbot wäre auch mit dem Grundrechtsschutz des Unternehmers aus den Art 12 Abs 1 und 14 Abs 1 GG nicht vereinbar.292 Auf eine knappe Formel gebracht, beruht die Genehmigungspflicht nach § 7 AtomG auf einem präventiven, aber potentiell restriktiven Verbot. Sie ist indessen durch den gesetzlichen Beendigungszweck und die Genehmigungssperre für neue Anlagen (§§ 1 Nr 1, 7 Abs 1 AtomG nF) zum Auslaufmodell geworden.293 cc) Demgegenüber geht die wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung der 75 §§ 1a ff WHG von einem repressiven Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Befreiung aus.294 Benutzungen der Gewässer sind grundsätzlich nur als öffentlich-rechtliche Sondernutzungen auf der Grundlage einer befugnisverleihenden und widerruflichen Erlaubnis oder einer rechtsverleihenden und nur begrenzt widerrufbaren, aber befristeten Bewilligung zulässig (§ 2 Abs 1 WHG). Wenn die rechtsbegrifflichen Voraussetzungen der §§ 6, 7 a Abs 1 WHG und bei einem Bewilligungsverfahren die weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs 2 bis 4 WHG erfüllt sind, steht die Erteilung der Erlaubnis oder Bewilligung im Ermessen der Wasserbehörde. Das Wasserdargebot unterliegt hierdurch einer strengen öffentlichen Bewirtschaftung.295 Die Benutzungen der Gewässer sind aus dem Eigentum iSd Art 14 Abs 1 GG ausgegliedert.296 Befugnisse und Rechte zur Gewässerbenutzung ergeben sich nicht aus 289

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BVerwGE 55, 250, 253 ff = DVBl 1978, 591 m Anm v Breuer; Rengeling Der Stand der Technik bei der Genehmigung umweltgefährdender Anlagen, 1985, 10; Jarass BImSchG, 6. Aufl 2005, § 4 Rn 33; aA Murswiek Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, 353 ff: Luftbewirtschaftungsermessen der Genehmigungsbehörde. BVerfGE 49, 89, 144 ff mwN; zum europarechtlichen „Anpassungsdruck“ Wahl (Fn 231); auch Kugelmann DVBl 2002, 1238 ff. BR-Drucks 244/58, 6 f; BT-Drucks III/759, 59; BVerfGE 49, 89, 146. Vgl BVerfGE 49, 89, 144 ff. Vgl u Rn 223 ff. Vgl Czychowski/Reinhardt WHG, 8. Aufl 2003, § 2 Rn 3; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 1 Rn 24, § 2 Rn 2a f; Breuer (Fn 258) Rn 158; Kimminich in: BK, Art 14 (Drittbearb) Rn 176. Vgl u Rn 139 ff; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, Vorbem vor § 1 Rn 10; Breuer (Fn 258) Rn 158; Czychowski in: FG BVerwG, 1978, 129 ff; Baisch Bewirtschaftung im WasserR – Die wasserrechtliche Bewirtschaftungserlaubnis zwischen Prävention und Repression, 1996; Hasche Das neue Bewirtschaftungsermessen im WasserR, 2005, 7 ff, 277 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 58, 300; vgl o Rn 28 ff, u Rn 132; auch Breuer (Fn 258) Rn 171 ff.

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5. Kap III 2 b cc

Rüdiger Breuer

dem Grundeigentum (§ 1 a Abs 4 WHG), anderen privaten Rechten oder der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern aus einer öffentlich-rechtlichen Zuteilung. Verglichen mit anderen Sektoren des Umweltschutzes, zeichnet sich die wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung dadurch aus, daß die Zulassungskontrolle durch die Umweltfachplanung dirigiert und an restriktiven Zielen orientiert wird. Die erste Schaltstelle dieses Bewirtschaftungssystems besteht in dem rechtsbegrifflichen Merkmal des Wohls der Allgemeinheit, dessen Beeinträchtigung nach § 6 WHG zur Versagung der beantragten Erlaubnis oder Bewilligung zwingt. Was das Wohl der Allgemeinheit erfordert, kann vielfach nur anhand der einschlägigen, insbesondere der wasserwirtschaftlichen Fachpläne und der hierin vorgezeichneten räumlichen und funktionalen Differenzierung beurteilt werden.297 Die zweite Schaltstelle des wasserwirtschaftsrechtlichen Bewirtschaftungssystems ist das Versagungsermessen nach § 6 WHG. Wenn die Voraussetzungen einer Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung oder einer anderweitigen Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht dargetan sind, kann die Wasserbehörde hiernach die beantragte Erlaubnis oder Bewilligung mit der Begründung ablehnen, daß die fragliche Benutzung in dem betreffenden Gebiet eine unübersehbare wasserwirtschaftliche Entwicklung auslösen könne.298 Die Behörde darf im Rahmen ihres Ermessens angesichts unsicherer Prognosen Vorsicht walten lassen und, über eine Gefahrenabwehr und Risikovorsorge hinausgehend, eine Pflege quantitativer und qualitativer Reserven betreiben.299 Ein repressives Verbot liegt auch dem Genehmigungsvorbehalt für die Rodung 76 und die Umwandlung von Wald in eine andere Nutzungsart nach der Rahmenvorschrift des § 9 BWaldG und den landesgesetzlichen Ausfüllungsvorschriften zugrunde. Eine rechtsbegriffliche Bindung besteht nur in negativer Hinsicht: Die Genehmigung „soll“ versagt werden, wenn die Erhaltung des Waldes überwiegend im öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Wald für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die forstwirtschaftliche Erzeugung oder die Erholung der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist (§ 9 Abs 1 Satz 3 BWaldG). Im übrigen hat die Forstbehörde ein Planungs- und Bewirtschaftungsermessen nach Maßgabe eines umfassenden Abwägungsgebotes (§ 9 Abs 1 Satz 2 BWaldG).300 Dies entspricht der „Sozialfunktion des Waldes“ 301 sowie dem Charakter der Rodung als „substanzvernichtender Gebrauchs-Nutzung“.302

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Vgl Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 6 Rn 16; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 6 Rn 16; Breuer (Fn 258) Rn 391 f. BVerwG ZfW 1965, 98, 106, insoweit in BVerwGE 20, 219 nicht abgedr; OVG Münster ZfW 1979, 58. Breuer (Fn 258) Rn 372, 393, 408. So im wesentlichen auch Schmidt-Aßmann NuR 1986, 98 ff (mwN); aA Büllesbach NVwZ 1991, 22, 25. OVG Münster NuR 1983, 322; Ebersbach AgrarR 1972, 129 ff; Kimminich in: BK, Art 14 (Drittbearb) Rn 169. Breuer ZfW 1979, 93 f.

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Umweltschutzrecht

5. Kap III 2 c bb

c) Administrative Verbote und andere repressive Verfügungen Das repressive Einschreiten der Verwaltung gegen Schädigungen, Gefährdungen 77 oder Belastungen der Umwelt richtet sich teils nach allgemeinen Regeln, teils nach spezifischen und differenzierten Vorschriften des Umweltschutzrechts. Wesentliche Bedeutung kommt dabei der Unterscheidung zu, ob die Handlung oder Anlage, die Gegenstand der repressiven Verfügung ist, formell legal oder illegal ist. Formelle Legalität liegt – ebenso wie im Baurecht – vor, wenn die fragliche Handlung oder Anlage erlaubt, genehmigt oder durch einen sonstigen Akt zugelassen ist.303 aa) Gegen eine formell legale Handlung oder Anlage kann nur nach den Regeln 78 über die Rücknahme, den Widerruf und die nachträgliche Einschränkung oder Durchbrechung des Zulassungsaktes eingeschritten werden.304 Ist der Zulassungsakt von Anfang an rechtswidrig, die formell legale Handlung oder Anlage also materiell illegal, so kann er unter den Voraussetzungen des § 48 VwVfG zurückgenommen werden. Abgesehen von § 17 Abs 2 AtomG, enthält das Umweltschutzrecht keine Spezialregelungen der Rücknahme. Selbst § 17 Abs 2 AtomG bestimmt lediglich, daß Genehmigungen und allgemeine Zulassungen zurückgenommen werden können, wenn eine ihrer Voraussetzungen bei der Erteilung nicht vorgelegen hat. Ist der Zulassungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, die fragliche Handlung oder Anlage in diesem Zeitpunkt also formell und materiell legal, so greifen weithin umweltschutzrechtliche Spezialregelungen über den Widerruf sowie nachträgliche Einschränkungen und Durchbrechungen des Zulassungsaktes ein. Solche Regelungen finden sich für das Immissionsschutzrecht der genehmigungsbedürftigen Anlagen in den Vorschriften über nachträgliche Anordnungen, Untersagungs-, Stillegungs- und Beseitigungsverfügungen sowie den Widerruf der Anlagengenehmigung (§§ 17, 20, 21 BImSchG 305), für das Atomrecht in den Vorschriften über „nachträgliche Auflagen“ und den Widerruf der Anlagengenehmigung sowie sonstiger Genehmigungen und „allgemeiner Zulassungen“ (§ 17 AtomG) und für das Wasserwirtschaftsrecht in den Vorschriften über den gesetzlichen Vorbehalt nachträglicher Anordnungen, den generell zulässigen Widerruf der Erlaubnis und die ausnahmsweise zulässige Beschränkung oder den äußerstenfalls möglichen Widerruf der Bewilligung (§§ 5, 7, 10, 12 WHG).306 bb) Gegen eine formell illegale Handlung oder Anlage kann die zuständige Fach- 79 behörde aufgrund der polizei- oder ordnungsrechtlichen Generalklausel einschreiten. Der Verstoß gegen das Umweltschutzrecht stellt eine Verletzung der „öffentlichen Sicherheit“ iSd Polizei- und Ordnungsrechts dar.307 Die Frage, ob neben der zuständigen Fachbehörde auch die allgemeine Polizei- oder Ordnungsbehörde für

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IdS auch Schwabe NJW 1978, 2313; näher Breuer (Fn 258) Rn 802 ff; zum BauR → Krebs 4. Kap Rn 223. Grundlegend für die Baugenehmigung Friauf DVBl 1971, 722; → Krebs 4. Kap Rn 222; jeweils mwN. Vgl u Rn 201 ff und 205 f. Vgl u Rn 153; näher Breuer (Fn 258) Rn 627 ff. Vgl → Schoch 2. Kap Rn 66 ff; ferner Gassner NuR 1981, 6 ff; speziell zu den „Altlasten“ o Rn 38 und u Rn 126a ff.

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5. Kap III 2 c cc

Rüdiger Breuer

derartige repressive Eingriffe zuständig ist, muß aufgrund des jeweiligen Landesrechts unterschiedlich beantwortet werden.308 Anders als im Baurecht, wo eine Beseitigungsverfügung oder ein anderer definiti80 ver Eingriff nicht auf die bloße formelle Illegalität einer baulichen Anlage gestützt werden kann,309 erwachsen im Umweltschutzrecht aus der formellen und der materiellen Illegalität keine prinzipiell unterschiedlichen Rechtsfolgen. Eine formell illegale, umweltrechtlich gestattungsbedürftige Handlung oder Anlage ist regelmäßig als schlechthin illegal zu behandeln. Eine Berufung auf die materielle Legalität ist ohne formelle Legalität grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere für das Wasserwirtschaftsrecht im Falle illegaler Benutzungen oder Ausbauten von Gewässern 310 sowie für das Abfallrecht im Falle illegaler Abfallentsorgung.311 Der Grund für die Abweichung vom Baurecht liegt in der spezifischen Sozialrelevanz des Umweltschutzes sowie in der typischen Irreversibilität von Schädigungen und Belastungen der Umwelt. cc) Allerdings erfüllt das rechtsstaatliche Übermaßverbot, das die Postulate der 81 Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit umschließt,312 auch für das repressive Einschreiten gegen Schädigungen, Gefährdungen und Belastungen der Umwelt eine dirigierende und limitierende Funktion. Dies gilt bei formell legalen wie bei formell illegalen Handlungen und Anlagen. So kann bei formeller Legalität eine Untersagungsverfügung oder der Widerruf einer Genehmigung trotz Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen rechtswidrig sein, wenn der Eingriffszweck auch durch eine nachträgliche Anordnung in Gestalt einer bloßen Genehmigungsbeschränkung oder Nebenbestimmung erreicht werden kann.313 Ebenso kann das gänzliche Verbot einer formell illegalen Handlung oder Anlage rechtswidrig sein, wenn zur Erreichung des Eingriffszwecks eine bloße Nutzungs- oder Betriebsbeschränkung ausreicht.314 Das repressive Einschreiten gegen formell legale Handlungen oder Anlagen be82 gegnet außerdem den verfassungsrechtlichen Schranken der Eigentumsgarantie. Der Widerruf einer Anlagengenehmigung oder deren Einschränkung durch eine ruinös wirkende nachträgliche Anordnung kann den Tatbestand einer entschädigungspflichtigen Enteignung (Art 14 Abs 3 GG) oder einer ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art 14 Abs 1 Satz 2 GG) erfüllen, sofern der Widerrufs- oder Anordnungsgrund nicht in der Sphäre des Genehmigungsadressaten liegt.315 Der Widerruf kann unter Gesichtspunkten des Investitions- und Ver308 309 310

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Vgl für das WasserR Breuer (Fn 258) Rn 800 mwN. Diff → Krebs 4. Kap Rn 223 mwN. BVerwG NJW 1978, 2311; ZfW 1991, 230; NVwZ-RR 1994, 202; OVG Münster ZfW 1974, 379; OVG Hamburg DVBl 1979, 235; VGH BW ZfW 1981, 170; Breuer (Fn 258) Rn 803 f. VGH BW DÖV 1977, 332. Grundlegend Lerche Übermaß und VerfassungsR, 1961, 21; ferner Wendt AöR 104 (1979) 414 ff; zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch Grabitz AöR 98 (1973) 568 ff. Sellner ImmissionsschutzR und Industrieanlagen, 2. Aufl 1988, Rn 477, 518. OVG Münster ZfW 1974, 379; Breuer (Fn 258) Rn 805; auch Sellner (Fn 313) Rn 488. Vgl Johlen NJW 1976, 2156; Schenke DVBl 1976, 741 ff; Schoch DVBl 1990, 549 ff; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 6. Aufl 2001, § 49 Rn 125 ff (unter Hinw auf die neuere

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Umweltschutzrecht

5. Kap III 3

trauensschutzes selbst dann enteignend wirken, wenn die Genehmigung unter Widerrufsvorbehalt erteilt worden war.316 Ob insoweit die öffentlich-rechtliche Genehmigungsposition oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Schutzobjekt der Eigentumsgarantie anzusehen ist,317 mag hier offen bleiben. Jedenfalls sind die umweltrechtlichen Vorschriften über den Widerruf einer Genehmigung oder deren Einschränkung durch nachträgliche Anordnungen mit Entschädigungsregelungen gekoppelt, die den Anforderungen der Junktimklausel (Art 14 Abs 3 Satz 2 GG) genügen. d) Administrative Überwachung Damit die zuständigen Fachbehörden ihre Zulassungskontrolle sowie Verbote und 83 andere repressive Verfügungen auf eine hinreichend breite und fundierte Informationsbasis stützen können, sehen die Umweltschutzgesetze eine administrative Überwachung vor. Diese zeichnet sich durch Permanenz und einen sektoral umfassenden Ansatz aus. Im Verhältnis zu den punktuell angesetzten Instrumenten der Zulassungskontrolle und des repressiven Einschreitens erfüllt sie eine Vorbereitungs- und Hilfsfunktion. Ihre Anwendungsfelder sind vor allem die wasserwirtschaftsrechtliche Überwachung (§ 21 WHG), die anlagenbezogene Ermittlung von Emissionen und Immissionen (§§ 26–31 BImSchG), die gebietsbezogene Überwachung der Luftverunreinigung (§§ 44–47 BImSchG) und die allgemeine Überwachung auf dem Sektor des Immissionsschutzes (§ 52 BImSchG),318 die staatliche Aufsicht über die friedliche Nutzung der Kernenergie (§ 19 AtomG), die chemikalienrechtliche Überwachung (§ 21 ChemG) sowie die Überwachung auf dem Sektor der Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung (§§ 40 ff KrW-/AbfG). Als rechtliche Instrumente der Überwachung stehen den zuständigen Fachbehörden Befugnisse zu administrativen Messungen, Untersuchungen und Einsichtnahmen zur Verfügung, ferner korrespondierende Duldungspflichten sowie Meß-, Buchführungs-, Nachweis-, Auskunfts- und Anzeigepflichten auf seiten der Eigentümer, Besitzer, Anlagenbetreiber und sonstigen Unternehmer.

3. Administrative Warnungen und Empfehlungen In der Verwaltungspraxis des Umwelt- und Gesundheitsschutzes gewinnen admini- 84 strative Warnungen und Empfehlungen eine zunehmende Bedeutung.319 Dabei han-

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Eigentumsdogmatik gemäß BVerfGE 58, 300, 322 ff → JK GG Art 14 I 2/13; 83, 201, 211 f → JK GG Art 14 III/8). BGHZ 25, 266, 270; vgl für die kraft Gesetzes widerrufliche wasserrechtliche Erlaubnis OVG Münster ZfW 1968, 195, 200; VGH BW ZfW 1982, 240; Salzwedel RdWW 19, 46 ff, 56 ff; Breuer (Fn 258) Rn 656. Vgl hierzu Breuer Bodennutzung (Fn 78) 184 f. Vgl u Rn 207. Vgl Ossenbühl Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986; ders in: UTR Bd 3, 1987, 27 ff; Lübbe-Wolff NJW 1987, 2705 ff; Dolde Behördliche Warnungen vor nicht verkehrsfähigen Lebensmitteln, 1987; Schulte DVBl 1988, 512 ff; ders Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995, 59 ff, 55 ff, 132, 139 ff, 176 ff, 209 ff; Pinger JuS

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5. Kap III 3

Rüdiger Breuer

delt es sich um ein nicht-imperatives, schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln, das sich in der Form des Realakts an den Bürger wendet und auf Information, Beratung, Überzeugung oder Überredung zielt. Derartige Warnungen und Empfehlungen liegen außerhalb des klassischen Instrumentariums der Eingriffsverwaltung. Sie scheinen sich demgemäß im gesetzesfreien Raum zu bewegen. Der rechtsstaatlichen Grundrechts- und Gesetzesbindung scheinen sie sich zu entziehen. Ihre vielfach eingriffsgleichen Auswirkungen auf das Produktions-, Markt- und Wettbewerbsgeschehen sowie die prinzipielle, heute anerkannte Relevanz faktischer und mittelbarer Grundrechtseingriffe zwingen jedoch zur Anwendung rechtsstaatlicher Schranken. So stellt zB die Veröffentlichung von Transparenzlisten bestimmter Produkte mit der Angabe von sog Qualitätssicherungskennzeichen einen Eingriff in die unternehmerische Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) dar; sie bedarf daher einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.320 Die Veröffentlichung einer Liste rechtswidrig hergestellter oder beschaffener Produkte kann indessen entweder auf eine spezialgesetzliche oder auf die polizeirechtliche Eingriffsermächtigung gestützt werden und verletzt somit keine Grundrechte des betroffenen Unternehmers.321 Das gleiche gilt allgemein für Warnungen und Empfehlungen, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sind.322 Eine dahingehende spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage enthält neuerdings § 8 Abs 4 Satz 3 GPSG.323 Darüber hinaus wird man die zutreffende, objektive, neutrale und sachkundige Produktinformation stets als rechtmäßig ansehen müssen. Sie stellt keine Grundrechtsbeeinträchtigung dar, da sie ein Element der staatlichen Informationsverantwortung, der freiheitlichen Grundrechtsordnung und eines transparenten, funktionsfähigen Wettbewerbs ist.324 Einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage sowie einer besonderen Rechtfertigung am Maßstab der Grundrechte (insbesondere aus Art 12 Abs 1 und Art 14 Abs 1 GG) bedarf es dagegen, soweit eine administrative Warnung oder Empfehlung in bezug auf ein rechtmäßiges Produkt oder Verhalten über die bloße Information des Bürgers hinausgeht und eine subjektive Wertung oder einen Appell enthält.325 Sofern die Warnungen den Rechtmäßigkeitsanforderungen nicht ge-

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1988, 53 ff; Philipp Staatliche Verbraucherinformationen im Umwelt- und GesundheitsR, 1989; Gröschner DVBl 1990, 619 ff; Kloepfer JZ 1991, 737 ff; Leidinger DÖV 1993, 926 ff; Lege DVBl 1999, 569 ff; Gusy NJW 2000, 977 ff; allgem zum „dezenten Staat“ im UmwR Volkmann JuS 2001, 521 ff. BVerwGE 71, 183 (Arzneimittel-Transparenzlisten). Unklar BVerwGE 87, 37 → JK GG Art 12/5; OVG Münster NJW 1986, 2783 → JK GG Art 12/2 (Liste diethylenglykolhaltiger Weine); zu Recht krit Schoch DVBl 1991, 667 ff; diff Ossenbühl ZHR 155 (1991) 332 ff. Ossenbühl Umweltpflege (Fn 319) 3, 27 f; Lübbe-Wolff NJW 1987, 2712. G über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (GPSG) v 6. 1. 2004 (BGBl I 2); dazu Klindt NJW 2004, 465 ff; Potinecke DB 2004, 55 ff. So auch BVerfGE 105, 252 → JK GG Art 4 I, II/23 a; krit dazu Murswiek NVwZ 2003, 1 ff; P. M. Huber JZ 2003, 299 ff; zuvor Lübbe-Wolff NJW 1987, 2719 ff; Leidinger DÖV 1993, 930; aA Ossenbühl Umweltpflege (Fn 319) 57 ff. Insoweit zutr Ossenbühl Umweltpflege (Fn 319) 14 ff, 33 ff; so auch Dolde (Fn 319) 21; Philipp (Fn 319) 199 ff; anders wohl Lübbe-Wolff NJW 1987, 2712.

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5. Kap III 4 a

nügen, kommen Amtshaftungsansprüche aus § 839 BGB iVm Art 34 GG in Betracht.326

4. Abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente Diskussionen über die Erhebung öffentlicher Abgaben im Interesse des Umwelt- 85 schutzes pflegen mit einem Bekenntnis zum Verursacherprinzip eingeleitet zu werden.327 Ebenso wie das Verursacherprinzip unterschiedliche Systemvarianten umschließt,328 folgen jedoch auch die umweltbezogenen öffentlichen Abgaben des geltenden Rechts unterschiedlichen Zielsetzungen und Systemprinzipien. a) Ausgleichsabgaben bei Eingriffen in Natur und Landschaft Für den medialen Schutz des Bodens hat die Regelung über Eingriffe in Natur und 86 Landschaft (§§ 18–20 BNatSchG nF, früher § 8 BNatSchG aF) zentrale Bedeutung. Das Gesetz schreibt in mehrfacher Abstufung die Vermeidung solcher Eingriffe, konkret-kompensatorische Maßnahmen zum Ausgleich unvermeidbarer Beeinträchtigungen und eventuell ökologisch-kompensatorische Ersatzmaßnahmen vor.329 Schließlich gestattet die bundesrahmengesetzliche Regelung die landesgesetzliche Einführung von Ausgleichsabgaben (Ersatzzahlungen) für unvermeidbare, weder durch Ausgleichs- noch durch Ersatzmaßnahmen kompensierbare Eingriffe (§ 8 Abs 9 BNatSchG aF, § 19 Abs 4 BNatSchG nF).330 Derartige Ausgleichsabgaben sind in fast allen Bundesländern vorgesehen.331 326

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Vgl LG Stuttgart NJW 1989, 2257; OLG Stuttgart WUR 1990, 43 m Anm v Schoch; LG Göttingen NVwZ 1992, 98; dazu Fiebig NVwZ 1992, 37 f; allgem Ossenbühl ZHR 155 (1991) 329 ff; ders StaatshaftungsR, 5. Aufl, 1998, 47 ff. Vgl statt vieler: Salzwedel Studien zur Erhebung von Abwassergebühren, 1972, 52 f; Kloepfer DÖV 1975, 593 ff; Dahme AbwAG, 1976, 75; Berendes Das neue AbwAG, 3. Aufl 1995, 4 f, 138 f; Meßerschmidt Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, 86 ff; Hendler AöR 115 (1990) 577, 587; Breuer DVBl 1992, 485 ff; Köck JZ 1993, 59 ff; mit anderem Definitionsansatz werden unter Umweltabgaben öffentliche Abgaben verstanden, die schwerpunktmäßig im Interesse des Umweltschutzes erhoben werden; so Wasmeier Umweltabgaben und EuropaR, 1995, 12 ff; zum Ganzen Sacksofsky Umweltschutz durch nicht-steuerliche Abgaben, 2000. Vgl o Rn 12 ff. Zu § 8 BNatSchG aF: Breuer NuR 1980, 93 ff mwN; Gassner NuR 1984, 81 ff; Gaentzsch NuR 1986, 89 ff; Ronellenfitsch NuR 1986, 284 ff; Pielow NuR 1987, 165 ff; Kuchler NuR 1991, 465 ff; Berkemann NuR 1993, 101 ff; zu §§ 18–20 BNatSchG nF und den bewirkten Änderungen: Gellermann NVwZ 2002, 1023, 1039 f; Stich UPR 2002, 161, 166 ff; Sparwasser/Wöckel NVwZ 2004, 1189 ff; Wolf UmwR, Rn 1096 ff. So BVerwGE 74, 308, 313 f; 81, 220 → JK GG Art 75 III/1; VGH BW ESVGH 34, 152; Heiderich NuR 1979, 19 ff; Eckardt NuR 1979, 133 ff; Breuer NuR 1980, 96 ff; Kuchler NuR 1991, 472; Berkemann NuR 1993, 106f; Sparwasser/Wöckel NVwZ 2004, 1193 ff; Sacksofsky (Fn 327) 47 f; aA Schroeter DVBl 1979, 18 f; Fickert BayVBl 1978, 691 f; Bettermann in: UTR Bd 3, 1987, 113, 129 ff; im Anschluß an die Rspr des BVerwG und die hM zur Bewertungsmethodik der Ausgleichsabgabe („Monetarisierung“) Marticke NuR 1996, 387 ff. Überblick bei Kloepfer UmwR, § 11 Rn 103 ff.

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5. Kap III 4 a bb

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aa) Nach § 12 a NdsNatSchG und § 22 NatSchG LSA läßt das Land Ersatzmaßnahmen auf Kosten des Verursachers durchführen, wenn dieser nicht selbst für die Ersatzmaßnahmen sorgt. Hierbei handelt es sich nicht um echte Ausgleichsabgaben, sondern um Kosten der Ersatzvornahme im Hinblick auf die dem Verursacher obliegenden Ersatzmaßnahmen. Diese Kostenpflicht verwirklicht die erste Systemvariante des Verursacherprinzips unter Beschränkung auf die Ist-Kosten.332 Nachteilig ist, daß der Verursacher hiernach nicht zur Zahlung verpflichtet werden kann, wenn die Durchführung von Ersatzmaßnahmen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. bb) Soweit Gesetze anderer Länder Ausgleichsabgaben vorsehen, geschieht dies 88 gerade für den Fall, daß unvermeidbare und nicht ausgleichbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft auch durch Ersatzmaßnahmen nicht kompensiert werden können. Damit wird für schwerwiegende Eingriffe, bei denen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ausscheiden, die Verursacherhaftung aufrechterhalten. Derartige Abgabepflichten wahren ebenfalls den Rahmen der ersten Systemvariante des Verursacherprinzips, schließen indessen die Soll-Kosten ein.333 In diesem Sinne koppelt § 5 Abs 3 LG NW die Abgabe weiterhin an fiktive Ersatzmaßnahmen: Können die durch einen nicht ausgleichbaren, aber vorrangigen Eingriff verursachten Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft nicht behoben werden, weil die erforderlichen Ersatzmaßnahmen nicht oder nicht ihrem Zweck entsprechend durchgeführt werden können, so hat der Verursacher ein „Ersatzgeld“ an den Kreis oder die kreisfreie Stadt zu entrichten. Die Höhe des „Ersatzgeldes“ bemißt sich nach den Kosten, die der Verursacher für die Ersatzmaßnahmen hätte aufwenden müssen. Es ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu verwenden.334 Ähnlich soll nach einigen Landesgesetzen 335 eine Ausgleichsabgabe aufgrund 89 einer Rechtsverordnung erhoben werden können, wenn der Verursacher eine Ersatzmaßnahme nicht selbst durchführen kann oder sinnvolle Ersatzmaßnahmen nicht möglich sind. Die Ausgleichsabgabe soll hiernach zweckgebunden sein für die Finanzierung von Maßnahmen, durch die Werte oder Funktionen des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes hergestellt oder in ihrem Bestand gesichert werden, die dem zerstörten Gut entsprechen. Auch diese Abgabenpflicht versagt allerdings, wenn Maßnahmen zur Herstellung eines funktional gleichartigen oder ähnlichen Zustandes sowie zur Kompensierung einer Beeinträchtigung von Natur und Landschaft, zB der Vernichtung eines Feucht- oder Ufergebietes, auf dem gesamten Territorium des betreffenden Landes nicht möglich sind. Gleiches gilt für die „Ausgleichszahlung“ nach § 5 a LPflG Rh-Pf, § 7 Abs 6 ThürNatSchG und § 15 Abs 6 NatSchG M-V. Diese Abgaben sind jedoch von den Kosten der Ersatzmaßnahmen abgekoppelt. Sie sind für nicht ausgleichbare und auch durch Ersatzmaßnahmen nicht kompensierbare Eingriffe zu leisten und zweckgebunden für die Finanzierung 87

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Vgl o Rn 13; Bullinger in: Das Verursacherprinzip und seine Instrumente, 1974, 70. Vgl o Rn 13; Bullinger (Fn 332). Ähnlich § 15 BbgNatSchG. So § 11 Abs 5 Nr 2 und Abs 7 BremNatSchG; § 9 Abs 7 HambNatSchG; § 8 b Abs 1 LPflG Schl-H; § 6 b Abs 1 Satz 1 HessNatSchG.

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5. Kap III 4 a bb

von Maßnahmen zur Verbesserung und Sicherung des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes; hierbei soll „ein sachlicher und räumlicher Bezug zu dem jeweiligen, nicht ausgleichbaren Eingriff“ bestehen (so § 5a Abs 2 LPflG Rh-Pf). Deshalb ist nach der weitergehenden Vorschrift des § 11 Abs 4 SaarlNatSchG 90 eine ebenfalls subsidiäre Ausgleichsabgabe zu entrichten, soweit Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht durchführbar sind. Die Abgabe ist in einem allgemeineren Sinne zweckgebunden, nämlich für alle Maßnahmen, die der Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege dienen; Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen haben dabei jedoch Vorrang. Andere Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege dürfen aus dem Abgabenaufkommen nur subsidiär finanziert werden. Damit wird der Kompensationszweck der Ausgleichsabgabe aufgelockert, aber nicht aufgegeben. Ähnlich bestimmt § 9 Abs 4 SächsNatSchG, daß die Ausgleichsabgabe nur für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege, „möglichst mit räumlichem Bezug zum Eingriff“, verwendet werden darf.336 Noch weiter ist die Zweckbindung der Ausgleichsabgabe in den §§ 11 Abs 5 91 Satz 3 und 50 Abs 4 NatSchG BW gelockert worden. Hiernach ist die Abgabe an einen Naturschutzfonds zu leisten, der die allgemeine Aufgabe hat, die Bestrebungen für die Erhaltung der natürlichen Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen zu fördern und zur Aufbringung der benötigten Mittel beizutragen. In einem Katalog beispielhaft genannter Einzelaufgaben ist die Förderung von Maßnahmen zum Schutz der Natur und zur Pflege der Landschaft lediglich gleichrangig neben anderen Einzelaufgaben wie der Anregung und Förderung der Forschung und modellhaften Untersuchung auf dem Gebiet der natürlichen Umwelt aufgeführt (§ 50 Abs 4 NatSchG BW). Auch nach § 11 Abs 3 Satz 3 und 4 NatSchG BW sind Ausgleichsabgaben jedoch nur zu entrichten, soweit ein Eingriff nicht durch Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen kompensiert werden kann. Das baden-württembergische Recht hält mithin ebenfalls, dem System des § 19 BNatSchG entsprechend, an der Subsidiarität der Ausgleichsabgabe und insoweit am Grundsatz möglichst gleichartiger oder zumindest ähnlicher Kompensation durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen fest.337 In systematischer Hinsicht wird diese Ausgleichsabgabe aufgrund ihrer Zweckbestimmung von der hM 338 als verfassungsrechtlich zulässige Sonderabgabe qualifiziert. Ähnlich ist nach § 14 Abs 6 NatSchG Bln das Aufkommen aus der dort geregelten Ausgleichsabgabe nur in dem allgemeinen Sinne zweckgebunden, daß es für Maßnahmen einzusetzen ist, die dem Naturschutz und der Landschaftspflege dienen. Auch hiernach sind jedoch Ausgleichsabgaben nur zu entrichten, wenn Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht möglich oder untunlich sind. 336

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§ 9 Abs 4 SächsNatSchG verlangt jedoch (wie in B-W) die Leistung der Abgabe an einen Naturschutzfonds. BVerwGE 74, 308, 313 f; 81, 229 ff; VGH BW ESVGH 34, 152; VG Karlsruhe NuR 1983, 74; Breuer NuR 1980, 98. So BVerwGE 74, 308 ff; 81, 220, 225 f → JK GG Art 75 III/1; VGH BW DVBl 1984, 639 ff; Henseler Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, 1984, 64 ff, 119 f; Gassner NuR 1985, 180, 182 ff; Jarass DÖV 1989, 1013, 1021 f; Breuer DVBl 1992, 485, 493; aA Meßerschmidt in: UTR Bd 3, 1987, 100 f.

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5. Kap III 4 b

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cc) Unter den wiedergegebenen Voraussetzungen sind die landesgesetzlich geregelten Ausgleichsabgaben für Eingriffe in Natur und Landschaft bei öffentlichen ebenso wie bei privaten Vorhaben zu erheben. Dies gilt auch für Vorhaben in der Kompetenz der Bundesverwaltung oder einer Bundesauftragsverwaltung.339 b) Abwasserabgaben

93 Nach dem Abwasserabgabengesetz (AbwAG) werden seit 1. 1. 1981 öffentliche Abgaben für das Einleiten von Abwässern in ein Gewässer erhoben. Das zugrundeliegende Gesetz ist mehrfach geändert worden. Insbesondere müssen seine fünf Fassungen von 1976 340, 1986 341, 1990 342, 1994 343 und 2005 344 unterschieden werden. Die zuletzt genannte Fassung gilt seit dem 1. 1. 2005. Unter systematischen und funktionalen Gesichtspunkten ergänzt das AbwAG die wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung, indem es für das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer die Entrichtung einer durch die Länder zu erhebenden Abgabe vorschreibt (§ 1). Abwasser iSd Gesetzes sind das durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte und das bei Trockenwetter damit zusammen abfließende Wasser (Schmutzwasser) sowie das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende und gesammelte Wasser (Niederschlagswasser) (§ 2 Abs 1 Satz 1). Als Schmutzwasser gelten auch die aus Anlagen zum Behandeln, Lagern und Ablagern von Abfällen austretenden und gesammelten Flüssigkeiten (§ 2 Abs 1 Satz 2). Unter Einleiten versteht das AbwAG das unmittelbare Verbringen des Abwassers in ein Gewässer. Insofern gilt das Verbringen in den Untergrund als Einleiten; ausgenommen hiervon ist das Verbringen im Rahmen landbaulicher Bodenbehandlung (§ 2 Abs 2).345 Als Bewertungsgrundlage der Abgabe fungiert die Schädlichkeit des Abwassers, die unter Zugrundelegung bestimmter Schadstoffe und ihrer Verbindungen sowie der Giftigkeit des Abwassers gegenüber Fischeiern nach einer zum Gesetz gehörenden Anlage in Schadeinheiten bestimmt wird (§ 3 Abs 1 Satz 1). Die Werte für die 339

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BVerwGE 81, 220, 223 → JK GG Art 75 III/1; Eckardt NuR 1979, 136; Breuer NuR 1980, 98 f; Soell in: Salzwedel (Hrsg), Grundzüge des UmwR, 532; Schultze NuR 1986, 106 ff, 161 ff; aA Schroeter DVBl 1979, 18 f; Fickert BayVBl 1978, 691 f. AbwAG v 13. 9. 1976 (BGBl I 2721, ber 3007). Grundlage: 2. ÄndGAbwAG v 19. 12. 1986 (BGBl I 2619); dazu Henseler NVwZ 1987, 551 ff. Grundlage: 3. ÄndGAbwAG v 2. 11. 1990 (BGBl I 2425); Bek der Neufassung des AbwAG v 6. 11. 1990 (BGBl I 2432); dazu Henseler WUR 1991, 78 ff. Grundlage: 4. ÄndGAbwAG v 5. 7. 1994 (BGBl I 1453); Bek der Neufassung des AbwAG v 3. 11. 1994 (BGBl I 3370), zul geänd d G v 9. 9. 2001 (BGBl I 2331); Gesamtdarstellung bei Berendes (Fn 327) passim; Sacksofsky (Fn 327) 34 ff; krit zur Entwicklung des AbwAG Ewringmann, Hulpke/Schendel und Landsberg/Dedy ZAU 1993, 153 ff; Gawel ZUR 1993, 159 ff; zu Bemühungen um ein 5. ÄndG zum AbwAG Dahme ZfW 1999, 424 ff; Nisipeanu NVwZ 2001, 1389 ff; ders Hdb des AbwasserR, 2001. Grundlage: 5. ÄndGAbwAG v 9. 12. 2004 (BGBl I 3332); Bek der Neufassung des AbwAG v 18. 1. 2005 (BGBl I 114). Vgl zum Tatbestand des Einleitens OVG Münster DÖV 1985, 685 f; 1988, 518; zur tatbestandlichen Abgrenzung OVG Münster NVwZ 1986, 948; 1988, 566 f.

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5. Kap III 4 b

Schädlichkeit des Abwassers sind grundsätzlich dem die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Bescheid zu entnehmen (sog Bescheidlösung, § 4 Abs 1 Satz 1).346 Der Bescheid muß hierzu mindestens für bestimmte Schadstoffe und Schadstoffgruppen durch Überwachungswerte die in einem bestimmten Zeitraum einzuhaltende Schadstoffkonzentration und – bei der Giftigkeit gegenüber Fischeiern – den in einem bestimmten Zeitraum einzuhaltenden Verdünnungsfaktor begrenzen sowie die Jahresschmutzwassermenge festlegen (§ 4 Abs 1 Satz 2). Falls ein festgelegter Überwachungswert nicht eingehalten oder die in einem bestimmten Zeitraum einzuhaltende Abwassermenge oder Schadstoffracht überschritten wird, wird die Zahl der zugrunde zu legenden Schadeinheiten und damit die Abgabe erhöht (§ 4 Abs 4 Satz 2–7). Abgabepflichtig ist, wer Abwasser einleitet (§ 9 Abs 1). Der Abgabesatz betrug ab 1. 1. 1993 für jede Schadeinheit 60 DM. Er sollte sich nach der 3. Novelle (1990) in zweijährigem Turnus bis zum 1. 1. 1999 um jeweils 10 DM bis zu der Höhe von 90 DM pro Schadeinheit erhöhen; nach der 4. Novelle (1994) ist hingegen nur noch eine letztmalige Erhöhung auf 70 DM pro Schadeinheit ab 1. 1. 1997 (ab 1. 1. 2002: 35,79 EUR) eingetreten (§ 9 Abs 4).347 Eine Abgabenermäßigung schreibt das Gesetz für den sog Restschmutz vor. Dieser besteht aus Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegten Anforderungen nach § 7 a Abs 1 WHG erfüllt werden (§ 9 Abs 5).348 Um die Einleiter im Interesse der Gewässersanierung zu überobligatorischen Investitionen zu veranlassen, sieht das AbwAG außerdem eine sog Bauzeitbefreiung vor.349 Danach können unter bestimmten Voraussetzungen ab 1. 1. 1991 die für die Errichtung und Erweiterung einer Abwasserbehandlungsanlage entstandenen Aufwendungen mit der Abgabe, die in den drei Jahren vor der geplanten Inbetriebnahme der Anlage insgesamt geschuldet wird, verrechnet werden (§ 10 Abs 3). Diese Möglichkeit ist durch die 4. Novelle (1994) auf Investitionen in Kanalsysteme ausgeweitet worden, sofern bei den betreffenden Einleitungen insgesamt eine Minderung der Schadstoffracht zu erwarten ist (§ 10 Abs 4). Außerdem gilt für Investitionen in Abwasserbehandlungsanlagen oder Kanalisationen im Beitrittsgebiet (Art 3 EinigungsV) eine spezielle „Kompensationsregelung“; danach können verrechnungsfähige Aufwendungen dieser Art auch mit Abwasserabgaben verrechnet werden, die der Abgabepflichtige für andere Einleitungen im Beitrittsgebiet bis zum Veranlagungsjahr 2005 schuldet (§ 10 Abs 5).350 Das Aufkommen der Abwasserabgabe ist zweckgebunden für Maßnahmen zu verwenden, die der Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte dienen (§ 13 Abs 1 Satz 1); hierunter fällt insbesondere der Bau von Kläranlagen.351 346 347 348

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Zu Einzelheiten der Berechnung BVerwG NuR 1996, 463; 1997, 395; 1998, 133. Krit dazu Ewringmann ZAU 1993, 153 ff; Gawel ZUR 1993, 162. Krit zur Modifizierung dieser Regelung durch das 3. ÄndG Henseler WUR 1991, 83 f; zur Kritik an der erneuten Modifizierung durch das 4. ÄndG die Nachw in Fn 347; aus der Rechtspraxis: BVerwGE 107, 345; BVerwG ZfW 2000, 189. Dazu Henseler WUR 1991, 84; zum Grundgedanken der Regelung auch Berendes (Fn 327) 152 ff. Krit zu diesen Verrechnungsmöglichkeiten Ewringmann ZAU 1993, 155 ff; Gawel ZUR 1993, 169 ff; aus der Rechtspraxis: BVerwG NuR 1998, 140; 2000, 93. Dazu näher Berendes (Fn 327) 200 ff.

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Rechtssystematisch ist die Abwasserabgabe eine umweltpolitische Lenkungsabgabe und weder als Gebühr oder Beitrag noch als Steuer, sondern als Sonderabgabe zu qualifizieren.352 Sie soll Anreize setzen, in stärkerem Maße Kläranlagen zu bauen, den Stand der Abwasserreinigungstechnik zu verbessern, abwasserarme oder abwasserlose Produktionsverfahren zu entwickeln und Güter aus abwasserintensiven Produktionen sparsamer zu verwenden. Der Wettbewerbsvorteil des Gewässerverschmutzers soll durch die Internalisierung der verschmutzungsbedingten Kosten abgebaut werden.353 Hierdurch wird der Zurechnungshorizont der wasserwirtschaftlichen Zulassungskontrolle insofern überschritten, als die Abwasserabgabe gerade die wasserwirtschaftsrechtlich zugelassene Gewässerverschmutzung ausgleichen soll. Sie erweist sich damit als Ausprägung der zweiten der oben 354 beschriebenen Systemvarianten des Verursacherprinzips. Allerdings hat die novellierte Gesetzesfassung schon im Jahre 1986 und noch deutlicher in den Jahren 1990 und 1994 den eigenständigen Lenkungscharakter der Abwasserabgabe abgeschwächt und deren ordnungsrechtliche Hilfsfunktion akzentuiert.355 c) Wasserpfennig in Baden-Württemberg und ähnliche Abgaben für die Wasserentnahme in anderen Bundesländern

95 Nach dem Wassergesetz für Baden-Württemberg wird der sog Wasserpfennig als öffentlich-rechtliche Abgabe für die Entnahme von Grund- und Oberflächenwasser zur Wasserversorgung erhoben (§§ 17 a–17 e WG BW). Abgabepflichtig sind hiernach insbesondere die Träger der öffentlichen Wasserversorgung, aber auch industrielle und gewerbliche Unternehmen. Das Abgabeaufkommen unterliegt keiner gesetzlichen Zweckbindung, es fließt in den allgemeinen Landeshaushalt. Den politischen Absichtserklärungen der Landesregierung entsprechend, werden jedoch in der haushaltswirtschaftlichen Praxis aus dem Abgabeaufkommen die Ausgleichsleistungen zugunsten von Land- und Forstwirten finanziert, die in festgesetzten Wasserschutzgebieten erhöhten Anforderungen ausgesetzt sind und Beschränkungen der ordnungsgemäßen Grundstücksnutzung hinnehmen müssen, ohne hierdurch eine entschädigungspflichtige Enteignung zu erleiden (§ 19 Abs 4 WHG).356 Derartige Ausgleichsansprüche richten sich in Baden-Württemberg nicht 352

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So jetzt hM, vgl etwa HessVGH DVBl 1983, 949; Schröder DÖV 1983, 667 ff; Kloepfer JZ 1983, 742 ff; Henseler Das Recht der Abwasserbeseitigung, 1983, 169 ff; ders (Fn 338) 68 ff, 116 ff; ders WUR 1991, 78; Kirchhof Verfassungsrechtliche Beurteilung der Abwasserabgabe des Bundes, 1983, 9 ff, 21 ff; Meßerschmidt (Fn 327) 191 ff; Böhm Die Wirksamkeit von Umweltlenkungsabgaben am Beispiel des AbwAG, 1989, 1 f, 24 ff; Breuer DVBl 1992, 485, 489 f, 491 ff; krit zur realen Lenkungswirkung Sacksofsky (Fn 327) 34 ff, 42; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Sonderabgaben BVerfGE 55, 274, 298; 57, 139, 166 ff → JK GG Art 3 I/7; 67, 256, 275; 82, 159, 179 ff → JK GG Art 74 Nr 17/1; 91, 186, 201 ff. BT-Drucks 7/2272, 1 f, 21 ff; 7/5183, 1 ff; 11/4942, 1 ff; Salzwedel in: ders (Hrsg), Grundzüge des UmwR, 625 ff mwN; Berendes (Fn 327) 11 ff. Vgl o Rn 14. Breuer (Fn 258) Rn 23; ders DVBl 1992, 493 f; Henseler NVwZ 1987, 551 ff; Ewringmann ZAU 1993, 153 ff; Gawel ZUR 1993, 159 ff; Sacksofsky (Fn 327) 41. Dazu u Rn 161; zur fehlenden gesetzlichen Zweckbindung Hendler AöR 115 (1990) 581 f.

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5. Kap III 4 c

gegen den Begünstigten der Schutzgebietsfestsetzung, sondern gegen den Staat. Der Billigkeitsausgleich nach § 19 Abs 4 WHG erfolgt danach – anders als in den meisten anderen Ländern – nicht dezentral und unmittelbar, sondern zentral und mittelbar. Jahrelang bildete der baden-württembergische Wasserpfennig den Gegenstand lebhafter Kontroversen.357 Einwänden begegnete zum einen die gesetzliche Lastenzuweisung. Insoweit berief sich die Kritik auf das umweltpolitische Verursacherprinzip, die Sozialpflichtigkeit des land- und forstwirtschaftlichen Bodeneigentums sowie dessen verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmung, die das unterirdische Wasser zur Sicherung einer funktionsfähigen Wasserbewirtschaftung einer gesonderten öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung unterstellt hat.358 Zum anderen war – und ist – die abgabenrechtliche Qualifizierung des Wasserpfennigs und damit auch seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit umstritten. Auf der einen Seite steht die These, daß der baden-württembergische Wasserpfennig weder als Benutzungs- oder Verleihungsgebühr noch als zulässige FinanzierungsSonderabgabe qualifiziert werden könne und die Merkmale einer Verbrauchsteuer erfülle, als solche jedoch an der Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit des Bundes nach den Art 105 Abs 2, 106 Abs 1 Nr 2 und 108 Abs 1 GG scheitere.359 Auf der anderen Seite sprechen gerade gegen die Qualifizierung des Wasserpfennigs als Steuer triftige Argumente. Als typische Umweltnutzungsabgabe wird er ohne Rücksicht auf die Erfassung eines Elements der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhoben. Daher stellt er nach Gesetzestatbestand und Zweck eine belastungsminimierende Umwelt-Lenkungsabgabe dar. Es bot sich deshalb an, ihn als eine Sonderabgabe zu qualifizieren und an den Rechtfertigungskriterien der Sonderabgabenjudikatur zu messen.360 Das gleiche trifft für ähnliche Abgaben für die Grundwasserentnahme in anderen Ländern 361 zu. Ebenso ist ferner die Abgabe für die Wasserentnahme zu beurteilen, wie sie in den Wassergesetzen der neuen Bundesländer vorgeschrieben ist.362 Umweltpolitisch sind diese landesgesetzlichen Abgaben höchst umstritten.363 357

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Vgl etwa Kirchhof NVwZ 1987, 1031 ff; Pietzcker DVBl 1987, 774 ff; Brossmann NuR 1988, 121 ff; Köck UPR 1991, 7 ff; Kober BWVPr 1991, 76 f; Murswiek NuR 1994, 179 ff („Ressourcennutzungsgebühr“); zusammenfassend Hoppe/Beckmann/Kauch UmwR, § 9 Rn 27. BVerfGE 58, 300 → JK GG Art 14 I 2/13; vgl o Rn 39 f und u Rn 132. So Kirchhof und Pietzcker (Fn 357). Näher dazu Breuer DVBl 1992, 489 f, 491 f, 493 f mwN; zur Sonderabgabenjudikatur des BVerfG o Fn 352; vertiefend S. Meyer Gebühren für die Nutzung von Umweltressourcen, 1995, 42 ff; Heimlich Die Verleihungsgebühr als Umweltabgabe, 1996, 319 ff. § 13 a BerlWG; §§ 47 ff NdsWG; Bremen: G über die Erhebung einer Wasserentnahmegebühr v 23. 4. 2004 (GBl 189); Schleswig-Holstein: G über die Erhebung einer Grundwasserentnahmeabgabe v 14. 2. 1994 (GVBl 141), zul geänd d G v 3. 1. 2005 (GVBl 50), und G über die Erhebung einer Abgabe auf die Entnahme von Wasser aus oberirdischen Gewässern idF v 13. 12. 2000 (GVBl 610). So §§ 16–18 WG M-V; § 23 SächsWG; § 47 WG LSA; §§ 31–36 ThürWG; allerdings ist das Abgabeaufkommen hier gesetzlich für wasserwirtschaftliche Zwecke gebunden (§ 18 Abs 4 WG M-V; § 23 Abs 2 SächsWG; § 47 Abs 2 WG LSA). Vgl einers Schendel in: Kloepfer (Hrsg), Umweltföderalismus, 2002, 385 f; anderers Breuer ebd, 418 f.

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5. Kap III 4 d

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Rüdiger Breuer

Das BVerfG 364 hat den baden-württembergischen Wasserpfennig und die hessische Grundwasserabgabe für verfassungskonform erachtet. In den Entscheidungsgründen hat es die rechtsdogmatische Qualifizierung dieser nicht-steuerlichen Abgaben dahinstehen lassen, im Ergebnis jedoch das Konzept des Ressourcennutzungsentgelts gebilligt. In diesem Sinne hat das BVerfG hervorgehoben, daß die knappe natürliche Ressource Wasser ein Gut der Allgemeinheit ist. Werde einzelnen die Nutzung einer solchen der Bewirtschaftung unterliegenden Ressource eröffnet, erhielten sie – so das Gericht – „einen Sondervorteil gegenüber all denen, die dieses Gut nicht oder nicht in gleichem Umfang nutzen“. Es sei sachlich gerechtfertigt, diesen Vorteil ganz oder teilweise abzuschöpfen. d) Lizenzentgelt im nordrhein-westfälischen Modell der Sonderabfallentsorgung und der Altlastensanierung

96 Die bundesrechtliche Regelung der Entsorgungspflichten (§§ 4 ff KrW-/AbfG) modifizierend, wollte das Abfallgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LAbfG NW) 365 die Sonderabfallentsorgung einem Lizenzvorbehalt unterwerfen. Wer Abfälle, die der Nachweispflicht nach § 43 Abs 1 oder 3 KrW-/AbfG unterliegen, oder Abfälle zur Beseitigung iS der Anlage zum LAbfG NW im Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen behandelt oder ablagert, sollte der Lizenz bedürfen (§ 10 Abs 1 LAbfG NW). Diese durfte hiernach nur erteilt werden, wenn die mit ihr beabsichtigte Nutzung mit den abfallwirtschaftlichen Zielvorstellungen des Landes, insbesondere den Abfallwirtschaftsplänen, im Einklang stand (§ 10 Abs 2 Satz 1 LAbfG NW). Die Erteilung der Lizenz sollte dann im behördlichen Ermessen stehen. Für die Nutzung der Lizenz wurde ein sog Lizenzentgelt erhoben (§ 11 LAbfG NW). Gleichzeitig ist durch Landesgesetz 366 der „Abfallentsorgungs- und Altlastensanierungsverband Nordrhein-Westfalen“ als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet worden. Das Aufkommen aus den Lizenzentgelten war zweckgebunden und gemäß den gesetzlichen Aufgaben des Entsorgungsverbandes ausschließlich für bestimmte Maßnahmen zu verwenden: vor allem für Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren aus Altlasten, die von den zuständigen Behörden im Wege der Ersatzvornahme oder im Vorgriff auf die spätere Feststellung einer Ordnungspflicht durchgeführt wurden, und des weiteren für näher bezeichnete Entwicklungs-, Planungsund Baumaßnahmen im Hinblick auf Abfälle, für deren Behandlung oder Ablagerung eine Lizenz erforderlich sein sollte (§ 15 LAbfG NW). Abgabensystematisch wird das beschriebene Lizenzentgelt des nordrhein-west97 fälischen Rechts als Gebühr, und zwar als Lizenzgebühr, interpretiert.367 Es war von vornherein mehreren verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt.368 Dem kompe-

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BVerfGE 93, 319; zust Murswiek NVwZ 1996, 417 ff; krit Sanden UPR 1996, 181 ff; Franzius AöR 127 (2001) 412 ff; abl Raber NVwZ 1997, 219 ff. V 21. 6. 1988 (GVBl 250), zul geänd d G v 24. 11. 2004 (GVBl 644). V 21. 6. 1988 (GVBl 268, ber GVBl 1989, 355), zul geänd durch G v 9. 5. 2000 (GVBl 439). So Salzwedel NVwZ 1989, 820, 823 ff; ders in: Das neue AbfallwirtschaftsR, hrsg vom Min für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NW, 1989, 159 ff. So Kloepfer DÖV 1988, 573 ff; vgl auch die Hinw auf Friauf bei Salzwedel (Fn 367).

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5. Kap III 4 d

tenzrechtlichen Einwand folgend, hat das BVerfG 369 entschieden, daß § 10 LAbfG NW (ursprünglicher Fassung) mit Art 74 Abs 1 Nr 24 und Art 72 Abs 1 GG iVm der bundesrechtlichen Regelung des AbfG 1986 unvereinbar und deshalb nichtig war. Somit entbehrt das Lizenzentgelt (§ 11 LAbfG NW) einer Rechtsgrundlage, ohne daß das BVerfG auf dessen spezifische Rechtsprobleme eingegangen wäre. Innerhalb des nordrhein-westfälischen Modells der Sonderabfallentsorgung und der Altlastensanierung wäre ein solches Lizenzentgelt von seiner ausschließlichen Deutung als Gebühr, also als Vorzugslast in Korrelation mit der Lizenzierung, abhängig gewesen. Es wurde damit interpretatorisch von der finanzierten Altlastensanierung abgekoppelt. Diese Sicht stand jedoch im Widerspruch zu der gesetzlichen Zweckbindung des Abgabenaufkommens. Richtet man den Blick auf den umweltpolitisch gewollten und materiellrechtlich durch die Zweckbindung auch hergestellten Zusammenhang zwischen Lizenzentgelten und Altlastensanierung, so konnte – unabhängig von der Kompetenzfrage – die interpretatorische Abkoppelung nicht aufrechterhalten werden. Das Lizenzentgelt präsentierte sich dann nicht mehr als Vorzugslast in Gestalt einer Lizenzgebühr, sondern als Finanzierungs-Sonderabgabe. Als solche entbehrte sie der vom BVerfG 370 geforderten Legitimationskriterien, nämlich bereits der Gruppenhomogenität und Gruppenverantwortlichkeit auf seiten der Abgabepflichtigen, jedenfalls aber der Gruppennützigkeit.371 Dieses Beispiel offenbart eine ebenso unvollkommene wie verwickelte Rechts- 98 lage: Öffentliche Abgaben haben als Instrumente des Umweltschutzes bisher nicht die ihnen zugedachte Bedeutung gewonnen und durch die aufgekommenen Zweifelsfragen vielfach Verwirrung ausgelöst. Diese Lage wird sich nur überwinden lassen, wenn es gelingt, Umweltabgaben klarer und überzeugender in das allgemeine System der öffentlichen Abgaben einzufügen. Dies gilt auch für eventuelle Initiativen, eine Abfallabgabe auf Bundesebene einzuführen.372 Der Eindruck der Rechtsunsicherheit wird dadurch verstärkt, daß das BVerfG 373 die landesgesetzlichen Sonderabfallabgaben in Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen sowie verhaltenslenkende kommunale Verpackungssteuern wegen eines Verstoßes gegen das bundesgesetzliche Kooperationsprinzip für system-, kompetenz- und verfassungswidrig erachtet hat. Zumindest die zweifelhafte Begründung dieser Urteile 374 trägt dazu bei, daß die Kontroversen um die Zulässigkeit von Umweltabgaben nicht als abgeschlossen gelten können.

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BVerfGE 102, 99; vgl dazu Versteyl UPR 2000, 297 ff. BVerfGE 55, 274, 297 ff; 57, 139, 166 f → JK GG Art 3 I/7; 67, 256, 274 ff; 82, 159, 179 ff → JK GG Art 74 Nr 17/1; 91, 186, 201 ff. Vgl Breuer NVwZ 1987, 751, 758 ff, 706 f; ders DVBl 1992, 485, 491 f. So UGB-KomE (Fn 204) 425 ff, 1635 ff; SRU, Umweltgutachten 1998, BT-Drucks 13/ 10196, Tz 516; Umweltgutachten 2000, BT-Drucks 14/3363, Tz 918 ff; Umweltgutachten 2002, BT-Drucks 14/3363, Tz 918 ff; Umweltgutachten 2002, BT-Drucks 14/8792, Tz 1031, 1034. BVerfGE 98, 83; 98, 106; krit dazu Franzius AöR 126 (2001) 414 ff; allgem zur Problemlage der Umweltabgaben Hendler NuR 2000, 661 ff; ders in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 294 ff. Vgl o Rn 18 mit Fn 43.

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5. Kap III 5 a

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5. Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung a) Grundlagen 99 Umwelteinwirkungen unterliegen nicht nur dem öffentlichen Recht. Inwieweit ein Eigentümer, ein sonstiger Nutzungsberechtigter oder ein Unternehmer im Verhältnis zum Nachbarn oder zu anderen faktisch Betroffenen zu Umwelteinwirkungen berechtigt und dabei durch Duldungspflichten der Betroffenen gesichert ist oder auf Abwehr-, Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche Betroffener stößt, richtet sich primär nach privatem Recht.375 Allerdings hat das öffentliche Umweltschutzrecht nicht nur einen Ausgleich zwischen den mit Umwelteinwirkungen verfolgten Interessen und den betroffenen Belangen der Allgemeinheit, sondern auch einen Interessenausgleich zwischen den konkurrierenden Interessen der beteiligten Privaten zu regeln. Hierauf beruht die Wirkungsweise nachbar- und sonstiger drittschützender Rechtsnormen, die auch im öffentlichen Umweltschutzrecht subjektive, im Klagewege durchsetzbare Rechtspositionen begründen. Insoweit gilt für raumgebundene Umweltbeziehungen öffentliches Nachbarrecht.376 100 Das Privatrecht, insbesondere das interprivate Nachbar- und Haftungsrecht, wird hierdurch jedoch nicht verdrängt, sondern lediglich ergänzt und überlagert. Da die Geltendmachung privatrechtlicher Abwehr-, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Initiative der Betroffenen überlassen ist, bildet sie das Vehikel einer interprivaten Selbstregulierung der Umweltbeziehungen. Der öffentlichrechtliche Umweltschutz wird hierdurch unterstützt.377 101 Das private Umweltnachbarrecht hat seine herkömmlichen Grundlagen vor allem in den §§ 906 ff, 1004 BGB 378, den Nachbarrechtsgesetzen der Länder und einigen Vorschriften der Landeswassergesetze.379 Das private Umwelthaftungsrecht gründet sich traditionell auf die Tatbestände des allgemeinen Deliktsrechts (§§ 823 ff BGB) sowie zunehmend auf spezielle Anspruchsgrundlagen der Gefähr375

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Vgl zum WasserR u Rn 135; ferner Salzwedel RdWW 12, 59 ff; 18, 93 ff; 21, 65 ff; Breuer (Fn 258) Rn 1037 ff; zum ImmissionsschutzR Igl Die rechtliche Behandlung der industriellen Luftverunreinigung in Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, 1976, 148 ff; Stich in: Salzwedel (Hrsg), Grundzüge des UmwR, 289 ff; allgem Bender/Dohle Nachbarschutz im Zivil- und VerwaltungsR, 1972, Rn 314, 332 ff, 445; Breuer Bodennutzung (Fn 78) 252 ff; Schapp Das Verhältnis von priv und öffentl NachbarR, 1978; Diederichsen/Scholz WiVerw 1984, 23 ff; Marburger Gutachten C zum 56. DJT, 1986, 38 ff, 101 ff; Kleinlein Das System des NachbarR, 1987; Beckmann Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im raumbedeutsamen UmwR, 1987, 25 ff; Gerlach PrivatR und Umweltschutz im System des UmwR, 1989; G.Wagner, Öffentlich-rechtliche Genehmigung und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit, 1989; Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg), Umweltschutz und Privatrecht, UTR Bd 11, 1990; Versen Zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden, UTR Bd 25, 1994; Sach Genehmigung als Schutzschild?, 1994; Haag Öffentl und privates NachbarR, 1996. Vgl etwa Bender/Dohle (Fn 375) Rn 133 ff, 302 ff; Breuer (Fn 258) Rn 659; ders NJW 1978, 1558 f. IdS auch Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 383 ff, 394 ff; Kloepfer Systematisierung (Fn 20) 128 ff; ders UmwR, § 6 Rn 1 ff; ferner Salzwedel RdWW 20, 72 ff. Hierzu Marburger (Fn 375) 101 ff; Westermann in: UTR Bd 11, 1990, 103, 108 ff. Vgl Breuer (Fn 258) Rn 1048 ff mwN.

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5. Kap III 5 b aa

dungshaftung wie § 22 WHG 380, §§ 25 ff AtomG 381 und § 32 GenTG. Für Schadensfälle nach dem 1. 1. 1991 hat das private Umwelthaftungsrecht durch das Gesetz über die Umwelthaftung 382 eine allgemeine Rechtsgrundlage erhalten, die neben die früheren und spezielleren Anspruchsnormen tritt. Das Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) soll den Umweltschutz und die Rechtsstellung des Geschädigten mit den Mitteln des Privatrechts verbessern.383 Zu diesem Zweck hat es – über den Gewässerschutz hinaus – eine Anlagenhaftung bei Umwelteinwirkungen in Gestalt einer Gefährdungshaftung auch in den medialen Bereichen des Bodens und der Luft eingeführt. Welche Anlagen der Gefährdungshaftung unterworfen sind, ergibt sich aus Anhang 1 zu § 1 UmweltHG. Die Anlagenhaftung besteht sowohl für den Störfall als auch für den Normalbetrieb. Zudem kommt eine Haftung für eine noch nicht fertiggestellte Anlage (§ 2 Abs 1 UmweltHG) sowie eine nicht mehr betriebene Anlage (§ 2 Abs 2 UmweltHG) in Betracht. Ein Schaden entsteht durch eine Umwelteinwirkung, wenn er durch Stoffe, Erschütterungen, Geräusche, Druck, Strahlen, Gase, Dämpfe, Wärme oder sonstige Erscheinungen verursacht wird, die sich in Boden, Luft oder Wasser ausgebreitet haben (§ 3 Abs 1 UmweltHG). Der früher beklagten faktischen Unterlegenheit und den Beweisführungsproblemen der Betroffenen 384 versucht das Gesetz durch eine Ursachenvermutung (§ 6 UmweltHG) und durch Auskunftsansprüche des Geschädigten gegen den Inhaber einer Anlage (§ 8 UmweltHG) sowie gegen Behörden (§ 9 UmweltHG) zu begegnen. b) Öffentlich-rechtliche Gestattungsakte und privatrechtliche Ansprüche Das Verhältnis zwischen den privatrechtlichen Ansprüchen und den administrati- 102 ven Kontrollinstrumenten des öffentlichen Umweltschutzrechts, insbesondere den Erlaubnissen, Genehmigungen und ähnlichen Zulassungsakten, ist unterschiedlich ausgestaltet.385 aa) Das erste Modell basiert auf der strikten Trennung zwischen privatrecht- 103 lichen Ansprüchen und der öffentlich-rechtlichen Kontrolle. Diesem Modell entspricht die Rechtswirkung der wasserwirtschaftsrechtlichen Erlaubnis nach § 7 WHG. Sie verleiht ausschließlich eine öffentlich-rechtliche Befugnis zur Gewässerbenutzung und läßt die Rechte der Betroffenen unberührt. Diese sind grundsätzlich 380 381 382

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Hierzu Breuer (Fn 258) Rn 1095 ff. Hierzu u Rn 236 f. V 10. 12. 1990 (BGBl I 2634), zul geänd d G v 19. 7. 2002 (BGBl I 2674); vgl dazu statt vieler: Henseler in: UTR Bd 5, 1988, 206 ff; Diederichsen in: FS Lukes, 1989, 41 ff; Rehbinder NuR 1989, 149 ff; Steffen in: UTR Bd 11, 1990, 71 ff = NJW 1990, 1817 ff; Hager ebd, 133 ff; Paschke in: UTR Bd 12, 1990, 281 ff; Hager NJW 1991, 134 ff; Wagner JZ, 1991, 175 ff; Feldmann UPR 1991, 45 ff. Vgl die amtl Begründung, BT-Drucks 11/7104. Vgl Rehbinder RabelsZ 40 (1976) 394 ff; Lummert/Thiem Rechte des Bürgers zur Verhütung und zum Ersatz von Umweltschäden, 1980; Diederichsen/Scholz WiVerw 1984, 23 ff; Marburger (Fn 375) 123 ff. Allgem dazu auch Mühl in: UTR Bd 12, 1990, 317 ff; Giehl Jura 1989, 628 ff; Peine NJW 1990, 2442 ff; Versen (Fn 375) 27 ff, 97 ff, 185 ff, 201 ff.

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5. Kap III 5 b cc

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darauf verwiesen, ihre privatrechtlichen Ansprüche gegen den Erlaubnisinhaber im Zivilrechtsweg geltend zu machen.386 bb) Dem zweiten Modell entspricht die Baugenehmigung in Ansehung umwelt104 rechtlicher Vorschriften, zB des § 22 BImSchG. Auch sie wird „unbeschadet privater Rechte Dritter“ erteilt,387 entbehrt also einer materiellrechtlichen Gestaltungswirkung gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen und erhält insbesondere die Trennung zwischen dem privaten Nachbarrecht und der öffentlich-rechtlichen Kontrolle prinzipiell aufrecht. Jedoch übt die Baugenehmigung eine formellrechtliche Gestaltungswirkung aus, indem sie – auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit – die genehmigte Anlage gegen privatrechtliche Abwehransprüche absichert.388 Die privatrechtlichen Ansprüche können insoweit nur geltend gemacht werden, wenn zuvor die Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde oder das Verwaltungsgericht aufgehoben und damit der baulichen Anlage der formellrechtliche Schutz der Genehmigung entzogen wird. cc) Das dritte Modell wird durch eine materiellrechtliche, anspruchsändernde 105 Gestaltungswirkung der öffentlich-rechtlichen Genehmigung gegenüber dem Privatrecht gekennzeichnet. Nach diesem Modell sind die Anlagengenehmigungen im Immissionsschutz-, Atom- und Gentechnikrecht ausgestaltet (§ 14 BImSchG, § 7 Abs 6 AtomG, § 23 GenTG). Hiernach kann aufgrund privatrechtlicher, nicht auf besonderen Titeln beruhender Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück nicht die Einstellung des Betriebes einer Anlage verlangt werden, deren Genehmigung unanfechtbar ist. Statt dessen können nur noch Vorkehrungen verlangt werden, die die benachteiligenden Wirkungen ausschließen. Soweit solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind, kann lediglich Schadensersatz verlangt werden. Ein weitergehendes, auf Verhinderung der Errichtung oder Einstellung des Betriebes einer Anlage gerichtetes Begehren muß der Nachbar im Verwaltungsverfahren und, falls ein Streitfall eintritt, im Verwaltungsrechtsweg erheben. Wenn er dies versäumt oder erfolglos versucht hat, werden seine privatrechtlichen Ansprüche indessen nicht abgeschnitten, sondern lediglich in der beschriebenen Weise beschränkt.389 Eine derartige Genehmigung, die kraft materiellrechtlicher Gestaltungswirkung 106 kollidierende privatrechtliche Ansprüche beschränkt, stellt einen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in die Eigentümerrechte der Nachbarn dar. Sie kann somit prinzipiell einen Enteignungstatbestand erfüllen, falls eine gewisse Opferschwelle überschritten ist.390 Ungeachtet der Schwere und Tragweite der rechtsgestaltenden 386 387 388

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BGHZ 55, 180, 186; 88, 34, 49 f; Breuer (Fn 258) Rn 725 ff, 1046. So zB § 75 Abs 3 Satz 1 BauO NW; § 68 Abs 1 Satz 2 BauO Rh-Pf; § 70 Abs 4 BauO Thür. Friauf DVBl 1971, 718; Breuer DVBl 1983, 438 f; aA Schwerdtfeger NVwZ 1983, 199, 201; eingehend zum Ganzen Marburger (Fn 375) 38 ff; Kleinlein (Fn 375) 76 ff, 135 ff, 279 f. Vgl zum Ganzen Feldhaus BImSchR, Bd 1, § 14 Anm 1 f; Ule/Laubinger BImSchG, § 14 Rn B 1 ff; Sellner (Fn 313) Rn 213 ff; Schapp (Fn 375) 17 ff; Kleinlein (Fn 375) 234 ff, 278; Sacksofsky (Fn 352) 196 ff. Vgl RGZ 7, 265, 267; 31, 285, 287; 50, 225, 228; 59, 70, 74; BVerwGE 28, 131, 134 f; Scheuner DÖV 1955, 547; Schwabe DVBl 1973, 108 ff; Breuer Bodennutzung (Fn 78) 274.

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5 Kap III 5 b dd

Anspruchsbeschränkung liegt jedoch eine entschädigungsfrei zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Nachbareigentums gemäß Art 14 Abs 1 Satz 2 GG vor, wenn das zugrundeliegende Gesetz dem Betroffenen in hinreichendem Maße modifizierte privatrechtliche Schutz- und Ausgleichsansprüche gegen den Genehmigungsbegünstigten einräumt.391 Eben dies ist bei den Anlagengenehmigungen im Immissionsschutz-, Atom- und Gentechnikrecht durch die Regelung der privatrechtlichen Ansprüche auf Schutzvorkehrungen, hilfsweise auf Schadensersatz (§ 14 BImSchG, § 7 Abs 6 AtomG, § 23 GenTG) geschehen. dd) Das vierte Modell geht insofern über das dritte hinaus, als die materiell- 107 rechtliche Gestaltungswirkung des öffentlich-rechtlichen Zulassungsaktes nicht nur anspruchsändernder, sondern grundsätzlich anspruchsausschließender Art ist. Diese Wirkung eines „Zerreißwolfs“ der privatrechtlichen Ansprüche übt zB die wasserwirtschaftsrechtliche Bewilligung aus.392 Betroffene sind gehalten, nachteilige Wirkungen der fraglichen Gewässerbenutzung auf ihre Rechte oder ihre rechtlich geschützten Interessen nach Maßgabe des § 8 Abs 3 und 4 WHG iVm den ergänzenden Vorschriften der Landeswassergesetze im Verwaltungsverfahren und eventuell im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen. Ist die Bewilligung erteilt, kann ein Betroffener gegen den Bewilligungsinhaber keine Ansprüche geltend machen, die auf die Beseitigung einer Störung, auf die Unterlassung der Benutzung, auf die Herstellung von Schutzeinrichtungen oder auf Schadensersatz gerichtet sind (§ 11 WHG) – eine Rechtswirkung, die durch einige Landesgesetze 393 entweder ganz oder teilweise auf die wasserwirtschaftsrechtliche Erlaubnis übertragen worden ist. Ausnahmen von der Ausschlußwirkung gelten nur insoweit, als im Bewilligungsbescheid bei unklarer Sachlage nachträgliche Entscheidungen über Auflagen und Entschädigungen vorbehalten sind oder später unvorhersehbare nachteilige Wirkungen eintreten (§ 10 WHG). In ähnlicher Weise üben die Planfeststellungen für umweltrelevante Großvor- 108 haben eine materiellrechtliche, anspruchsausschließende Gestaltungswirkung aus. Ist der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Treten nicht vorhersehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Planes auf, so kann der Betroffene ausnahmsweise die Festsetzung nachträglicher, auf Schutzvorkehrungen oder -anlagen gerichteter Auflagen und im Falle der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit solcher Maßnahmen Entschädigung verlangen (§ 75 Abs 2 VwVfG). Zulassungsakte, die so kraft materiellrechtlicher Gestaltungswirkung kollidie- 109 rende privatrechtliche Ansprüche ausschließen, erfüllen nicht nur den Tatbestand 391 392 393

Vgl hierzu Breuer Bodennutzung (Fn 78) 272 ff mwN. Vgl u Rn 134; Breuer (Fn 258) Rn 1045. So für jede Erlaubnis § 16 Abs 1 WG Bln; in verschiedener Weise eingeschränkt Art 16 Abs 3 BayWG; § 11 Abs 2 BremWG; § 20 Abs 3 HessWG; § 9 Abs 3 WG M-V; § 11 Abs 2 NdsWG; § 25 a Abs 2 WG NW; § 27 Abs 2 Satz 4 WG Rh-Pf; § 15 Abs 2 und Abs 3 SaarlWG; § 12 Abs 2 WG LSA; § 10 Abs 1 Satz 2 WG Schl-H; vgl dazu Breuer (Fn 258) Rn 185 ff.

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5. Kap III 6

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eines unmittelbaren hoheitlichen Eingriffs in die Eigentümerrechte der Nachbarn, sondern jenseits einer konkretisierungsbedürftigen Opferschwelle auch einen Enteignungstatbestand. Das zugrundeliegende Gesetz überschreitet den Rahmen einer entschädigungsfrei zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums insoweit, als effektive Schutzauflagen nicht möglich, die privatrechtlichen Ansprüche der Nachbarn schlechthin abgeschnitten und modifizierte privatrechtliche Schutz- und Ausgleichsansprüche nicht vorgesehen sind.394 Soweit dadurch enteignende Wirkungen eintreten, ist nach Maßgabe des Art 14 Abs 3 Satz 2 und 3 GG ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsausgleich geboten. Diesen Erfordernissen genügen die gesetzlichen Vorschriften, die die fraglichen Zulassungsakte hilfsweise an eine Entschädigungspflicht binden, falls das zugelassene Vorhaben nachteilige, nicht abwendbare oder ausgleichbare Wirkungen auf Rechte oder rechtlich geschützte Interessen Betroffener zeitigt.395

6. Kooperationsinstrumente im Verhältnis Staat – Wirtschaft 110 Das Kooperationsprinzip im Verhältnis zwischen dem Staat und der privaten Wirtschaft hat seinen Niederschlag in verschiedenen Institutionen und Instrumenten gefunden.396 So werden erstens die Technischen Überwachungsvereine in privater Rechtsform von der Wirtschaft getragen. Ihre amtlich anerkannten Sachverständigen handeln bei „freiwirtschaftlichen“, zB in atom- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren üblichen Gutachten und Prüfungen – anders als im Kraftfahrwesen (§§ 11, 29 StVZO) und bei der Anlagenüberwachung nach § 17 GPSG – nicht als „Beliehene“, sondern privatrechtlich.397 Zweitens stellen privatrechtlich organisierte Ausschüsse zB des DIN (Deutsches Institut für Normung eV), der VDI (Verein Deutscher Ingenieure eV), des VDE (Verband Deutscher Elektrotechniker eV) und des DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches eV) technische Regeln auf.398 Diese sind keine Rechtsnormen, jedoch als antizipierte Sachverständigengutachten auch in gerichtlichen Verfahren verwendbar.399 Drittens obliegt die Aufstellung technischer Regeln bisweilen öffentlich-rechtlich organisierten Ausschüssen, zB den technischen Ausschüssen nach § 14 Abs 2 GPSG sowie dem Kerntechnischen Ausschuß.400 Viertens gibt es im Bereich des Umweltschutzes sach394

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Vgl BVerwGE 21, 329, 335, 339 f (Bergrecht); Breuer Bodennutzung (Fn 78) 278 f mwN; Hoppe Grundeigentumsschutz bei heranrückendem Bergbau, 1988, 37 ff, 119 ff. So § 8 Abs 3 Satz 2 WHG; § 74 Abs 2 Satz 3 VwVfG. Hierzu ausf die 6. Aufl dieses Lehrb, 705 ff, ferner o Rn 18; Rengeling Das Kooperationsprinzip im UmwR, 1988; Kloepfer UmwR, § 4 Rn 56 ff; Grüter UmwR und Kooperationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, 1990; Müggenborg NVwZ 1990, 909 ff; Reinhardt AöR 118 (1993) 617 ff; Frank UmwR und Wirtschaft – Zu den Anforderungen der Wirtschaft an das UmwR und das Projekt UGB, 2000, 81 ff, 106 ff. Vgl Lukes/Bischof/Pelzer Sachverständigentätigkeit in atomrechtlichen Genehmigungsund Aufsichtsverfahren, 1980, 43 ff. Vgl dazu Marburger Die Regeln der Technik im Recht, 1979, 195 ff. Breuer AöR 101 (1976) 79 ff; ders NVwZ 1988, 104 ff; auch BVerwG DVBl 1987, 907 ff. Bek des BMU v 1. 9. 1986 (BAnz Nr 183), geänd d Bek v 23. 12. 1986 (BAnz 1987 Nr 18); vgl dazu Vieweg AtomR und technische Normung, 1982.

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Umweltschutzrecht

5. Kap III 7 a

verständige und unabhängige Beratungsgremien der öffentlichen Verwaltung, zB den Technischen Ausschuß für Anlagensicherheit (§ 31 a BImSchG), die Störfall-Kommission (§ 51 a BImSchG), die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission 401 beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie die „Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit“ beim Robert-Koch-Institut (§§ 4, 5 GenTG). Eine weitgespannte Begutachtungs- und Beratungsaufgabe „zur Erleichterung der Urteilsbildung in der Öffentlichkeit“ obliegt dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen.402 Fünftens ist eine Anhörung „beteiligter Kreise“ in einigen Sachgebieten vor dem Erlaß bestimmter Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften vorgeschrieben (zB in den §§ 7, 48 iVm § 51 BImSchG und in den §§ 7, 12, 23, 24, 25 iVm § 60 KrW-/AbfG). Sechstens schreiben mehrere Gesetze vor, daß die Unternehmen zur internen Selbstüberwachung Umweltschutzbeauftragte bestellen müssen. Als solche fungieren die Betriebsbeauftragten für Gewässerschutz (§§ 21a ff WHG), Immissionsschutz (§§ 53 ff BImSchG) und Abfall (§ 54 KrW-/AbfG), die Störfallbeauftragten (§§ 58 a–d BImSchG) sowie die Strahlenschutzbeauftragten (§§ 31 ff StrlSchVO). Siebtens ist auf der EG-Ebene im Verordnungswege 403 ein „Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung“ geschaffen worden. Es operiert auf der Basis der freiwilligen Beteiligung gewerblicher Unternehmen und ist unter seiner inoffiziellen Bezeichnung als Öko-Audit bekanntgeworden. Wie die Verordnung klarstellt (Art 1 Abs 3), läßt es bestehende gemeinschaftsrechtliche oder mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften, technische Normen für Umweltkontrollen und hieraus resultierende Verpflichtungen der Unternehmen unberührt. Zur Ausfüllung und Ergänzung dieses „Gemeinschaftssystems“ dient das deutsche Umweltauditgesetz.404

7. Instrumentarium der öffentlichen Eigenregie a) Unmittelbare öffentliche Eigenregie Während das Recht des medialen, kausalen, vitalen und integrierten Umwelt- 111 schutzes grundsätzlich – ungeachtet aller materiellen und formellen Unterschiede – eine staatliche Kontrolle und Lenkung gegenüber privaten Umwelteinwirkungen regelt, wird innerhalb des kausalen Umweltschutzes auf dem Sektor der Entsorgung das Instrumentarium der staatlichen oder kommunalen Eigenregie und Planwirtschaft eingesetzt. Allerdings hat das KrW-/AbfG mit der Prinzipienwende von der öffentlichen Daseinsvorsorge zur primären und grundsätzlich privaten Verursacherverantwortung der Abfallerzeuger und -besitzer 405 die öffentliche Eigenregie auf 401 402 403

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Satzung (Neufassung) v 8. 12. 1987 (BAnz Nr 239). Erlaß des BMU v 10. 8. 1990 (GMBl 831); Nachw zu den Umweltgutachten des SRU o Fn 3. Zunächst VO (EWG) 1836/93 v 29. 6. 1993 (ABl EG, L 168/1, ber ABl EG 1995, L 203/ 17); dazu Führ und Racke in: UTR Bd 21, 1993, 145 ff, 179 ff; nunmehr abgelöst d VO (EG) 761/2001 v 19. 3. 2001 (ABl EG, L 114/1) (EMAS II), zul geänd d EU-Beitrittsakte 2003 v 16. 4. 2003 (ABl EG, L 236/33); dazu Schmidt-Räntsch NuR 2002, 197 ff. IdF v 4. 9. 2002 (BGBl I 3490), zul geänd d G v 4. 12. 2004 (BGBl I 3166); vgl o Rn 37 mit Fn 124. Vgl o Rn 46; Näheres u Rn 238 ff.

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5. Kap III 7 b

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eine Auffangposition herabgestuft. Nach § 15 Abs 1 KrW-/AbfG haben die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die in ihrem Gebiet angefallenen und überlassenen Abfälle aus privaten Haushaltungen und Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu verwerten oder zu beseitigen. Damit korrespondieren für die genannten Abfallarten die Überlassungspflichten der Abfallerzeuger und -besitzer nach § 13 Abs 1 KrW-/AbfG. Als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sind kraft Landesrechts grundsätzlich die Kreise und kreisfreien Städte zuständig.406 Auch für die Abwasserbeseitigung geht die bundesrechtliche Regelung des § 18 a Abs 2 WHG von der grundsätzlichen Zuständigkeit öffentlich-rechtlicher Körperschaften aus; landesrechtlich sind hierfür in der Regel die Gemeinden zuständig.407 Die Abfallwirtschaftspläne fungieren als verwaltungsinterne Planungsinstrumente der öffentlichen Eigenregie.408 Schließlich unterliegt auch die nukleare Entsorgung grundsätzlich unmittelbarer staatlicher Eigenregie. Die Länder haben Landessammelstellen für die Zwischenlagerung, der Bund hat Anlagen zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten (§ 9 a Abs 3 Satz 1 AtomG). In diesem Rahmen bewegt sich seit den 70er Jahren das integrierte Entsorgungskonzept der Bundesregierung wie auch das „neue Entsorgungskonzept“ der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem „Atomausstieg“.409 Die Aufrechterhaltung der unmittelbaren öffentlichen Eigenregie und der Plan112 wirtschaft auf dem Sektor der Entsorgung ist nicht verallgemeinerungsfähig. Sie beruht auf dem spezifischen Gefährdungspotential, dem die Umwelt durch Abfälle und Abwässer ausgesetzt ist, und auf den regelmäßig verbleibenden Risiken und Ungewißheiten einer privatnützigen Entsorgungswirtschaft. b) Mittelbare öffentliche Eigenregie 113 An die Stelle der unmittelbaren staatlichen oder kommunalen Eigenregie kann eine mittelbare öffentliche Eigenregie treten, wenn die zuständige öffentlich-rechtliche Körperschaft sich zur Erfüllung ihrer Aufgabe eines privaten Unternehmens be406

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So zB § 6 Abs 1 NdsAbfG; § 5 Abs 1 LAbfG NW; zur Vereinbarkeit mit Art 28 Abs 2 Satz 1 GG BVerfGE 79, 127 → JK GG Art 28 II/17; BVerwGE 67, 321 → JK GG Art 28 II/9; OVG Lüneburg DVBl 1980, 81 → JK GG Art 28 II/3; Doedens/Kölble/Loschelder/ Salzwedel Die Zuständigkeit der Landkreise für die Abfallbeseitigung, 1982; Loschelder Die Befugnis des Gesetzgebers zur Disposition zwischen Gemeinde- und Kreisebene, 1986; Papier DVBl 1984, 453 ff; Wagener DÖV 1984, 168 ff; Weides NVwZ 1984, 155 ff; krit Knemeyer DVBl 1984, 23 ff; Blümel VerwArch 75 (1984) 197 ff; zur Frage der Enteignungswirkung gegenüber einem privaten Beseitigungsunternehmen BGHZ 40, 355; BVerwG DÖV 1969, 431; BVerwGE 62, 224 → JK GG Art 14 I/10; OVG Lüneburg DÖV 1978, 44 m abl Anm von Scholler/Broß; zur jüngeren Reform Gaßner/Versmann (Hrsg), Neuordnung kommunaler Aufgaben im KrW-/AbfG, 1996, 33 ff. So zB § 53 Abs 1 WG NW. Vgl hierzu o Rn 63 und u Rn 260. Vgl hierzu einerseits die Äußerungen der BReg in BT-Drucks 7/3871, 17 ff; 8/1281; Umwelt Nr 68 v 24. 4. 1979, 25 f; ferner den Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern v 28. 9. 1979, Umwelt Nr 73 v 7. 12. 1979, 37 f; Wagner/Ziegler DVBl 1980, 149 ff; andererseits die amtliche Begründung in BT-Drucks 14/6890, 16 ff, 22 ff.

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5. Kap III 7 c

dient. Dies ist zum einen in der Weise möglich, daß der Staat oder die zuständige kommunale Körperschaft sich nach ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften 410 zur Erfüllung der Entsorgungspflicht eines Dritten bedienen kann. Als „Erfüllungsgehilfe“ hat der Dritte – und zwar auch ein privates Unternehmen – eine unselbständige, weisungsgebundene Stellung. Dabei bleibt die Zuständigkeit, Verantwortlichkeit und Regiebefugnis des Staates oder der kommunalen Körperschaft bestehen.411 Zum anderen sehen die Gesetze vor, daß die zuständige Behörde oder die entsorgungspflichtige Körperschaft des öffentlichen Rechts ihre Pflichten ganz oder teilweise auf einen Dritten übertragen kann.412 Eine solche Übertragung stellt eine aufgabenbezogene Beleihung dar, da hierdurch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungspflichten auf den Dritten übergehen und die von Gesetzes wegen entsorgungspflichtige Körperschaft insoweit befreit wird.413 c) Ausnahmen von der öffentlichen Eigenregie Nach § 15 Abs 3 KrW-/AbfG können die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger 114 mit Zustimmung der zuständigen Behörde Abfälle von der Entsorgung ausschließen, soweit diese der Rücknahmepflicht aufgrund einer nach § 24 KrW-/AbfG erlassenen Rechtsverordnung unterliegen und entsprechende Rücknahmeeinrichtungen tatsächlich zur Verfügung stehen. Eine entsprechende Ausschlußbefugnis besteht für Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen als privaten Haushaltungen, soweit diese Abfälle nach Art, Menge oder Beschaffenheit nicht mit dem „Hausmüll“ beseitigt werden können oder die Sicherheit der umweltverträglichen Beseitigung im Einklang mit den Abfallwirtschaftsplänen der Länder durch einen anderen Entsorgungsträger oder einen Dritten gewährleistet ist. Hiernach kann der „Hausmüll“ nicht von der öffentlichen Entsorgung ausgeschlossen werden. Der vorgesehene Ausschluß dient – ebenso wie im früheren Abfallrecht (§ 3 Abs 4 AbfG) – dazu, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Entsorgung zu sichern. Er läßt die primäre Verwertungs- oder Beseitigungspflicht nach § 5 Abs 2 oder § 11 Abs 1 KrW-/AbfG aufleben.414 In den Landeswassergesetzen 415 sind entsprechende Ausnahmen von der Abwasserbeseitigungspflicht der Gemeinden und anderer öffentlicher Körperschaften vorgesehen. In diesen Fällen handelt es sich um individuelle Ausnahmen von der öffentlichen Eigenregie auf dem Sektor der Entsorgung. 410 411

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So § 16 Abs 1 KrW-/AbfG; § 18 a Abs 2 Satz 3 WHG; § 9 a Abs 3 Satz 2 AtomG. So ausdrücklich § 16 Abs 1 Satz 2 KrW-/AbfG; vgl Hösel/v Lersner Recht der Abfallbeseitigung, Kennz 1130, § 3 Rn 13. So § 15 Abs 2 iVm §§ 16, 17, 18 KrW-/AbfG; § 18 a Abs 2 a WHG iVm dem LandesR, zB § 53 Abs 4 WG NW; § 9 a Abs 3 Satz 3 AtomG. So Kahl DVBl 1995, 1327, 1329 f; Fluck KrW-/AbfG, § 16 Rn 123; problematisierend Frenz KrW-/AbfG, 3. Aufl 2002, § 16 Rn 18. Vgl Kunig, in: ders/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 15 Rn 17 ff; zum früheren Recht: Kloepfer VerwArch 70 (1979) 195 ff; Klages Vermeidungs- und Verwertungsgebote als Prinzipien des AbfallR, 1991, 141 ff. So zB § 53 Abs 3–5 WG NW; vgl hierzu Peine in: Das neue WasserR und seine Herausforderung für den Vollzug in den Ländern, hrsg vom Min für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NW, 1990, 150 ff.

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Demgegenüber sind seit dem 1. 1. 1993 sämtliche Verpackungsabfälle generell von der öffentlichen Eigenregie ausgenommen. Aufgrund der Verpackungsverordnung416 sind die Hersteller und Vertreiber von Verpackungen verpflichtet, diese – nach unterschiedlichen Materialien zeitlich gestaffelt – zurückzunehmen und einer erneuten Verwendung oder einer stofflichen Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung zuzuführen (§§ 4–7 VerpackV). Im Sektor der Verkaufsverpackungen (§ 3 Abs 1 Nr 2 VerpackV) entfällt diese Verpflichtung gemäß § 6 Abs 3 Satz 1 VerpackV bei Verpackungen, für die sich der Hersteller oder Vertreiber an einem System beteiligt, das flächendeckend im Einzugsgebiet des nach § 6 Abs 1 VerpackV verpflichteten Vertreibers eine regelmäßige Abholung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim privaten Endverbraucher oder in dessen Nähe in ausreichender Weise gewährleistet und die im Anhang I genannten Anforderungen erfüllt. Zu diesen gehören insbesondere bestimmte, ab 1. 1. 1999 erhöhte Verwertungsquoten für Glas, Weißblech, Aluminium, ferner für Papier, Pappe und Karton sowie für Verbunde. Das beschriebene System ist auf vorhandene Sammel- und Verwertungssysteme der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger abzustimmen (§ 6 Abs 3 Satz 4 VerpackV). Als privatwirtschaftliches System gemäß § 6 Abs 3 Satz 1 VerpackV ist von der Verpackungs- und Konsumgüterindustrie im September 1990 die „Duales System Deutschland GmbH (DSD)“ gegründet worden. Mit der öffentlich bekanntgemachten Feststellung der zuständigen Landesumweltminister, daß mit der DSD GmbH ein solches flächendeckendes System seit Januar 1991 eingerichtet ist (§ 6 Abs 3 Satz 7 VerpackV 1991/93, § 6 Abs 3 Satz 11 VerpackV), sind die hieran beteiligten Hersteller und Vertreiber in den jeweiligen Bundesländern von ihren Rücknahme-, Wiederverwendungs- und Verwertungspflichten freigestellt. Ebenso sind sie von der vorgesehenen Pfanderhebungspflicht ua für Getränkeverpackungen (§ 8 VerpackV) freigestellt (§ 9 Abs 1 Satz 1 VerpackV) – vorbehaltlich einer 12monatigen Erhebung, sofern der Anteil der in Mehrwegverpackungen abgefüllten Getränke unter 72 vH sinkt und eine entsprechende Bekanntmachung der Bundesregierung erfolgt. Wird diese Quote auch nach einer zweiten, ebenfalls bekanntzumachenden Ermittlung unterschritten, so gilt nach sechs Monaten die „Systemfeststellung“ nach § 6 Abs 3 VerpackV als widerrufen (§ 9 Abs 2 und 3 VerpackV); dies hat zur Folge, daß die Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht für die betreffenden Getränkeverpackungen wiederauflebt.417 Dieser Fall ist durch die mehrjährige, regierungsseitig festgestellte und im Bundesanzeiger bekanntgemachte Unterschreitung des geforderten Mehrweganteils eingetreten. Insgesamt zeichnet sich die Verpackungsverordnung dadurch aus, daß sie mit teilweise höchst unbestimmten Begriffen verwaltungsrechtliche Primärpflichten regelt, die letztlich nicht um ihrer selbst willen angewendet und durchgesetzt werden sollen, sondern als 416

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Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (VerpackV) v 21. 8. 1998 (BGBl I 2379); bis 2004 zul geänd d VO v 15. 5. 2002 (BGBl I 1572); vgl zum Ganzen Kloepfer UmwR, § 20 Rn 105 ff; Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 11/ 228 ff. Vgl zu den Problemen des „Dosenpfandes“ Hey DVBl 2002, 445 ff; zur erfolglosen Verfassungsbeschwerde (nach erfolglosem „Eilantrag“ beim VG und OVG Berlin) BVerfG NVwZ 2002, 1230.

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Hebel der indirekten Verhaltenssteuerung dienen, also Sekundärzwänge auslösen.418 Umweltpolitisch und rechtssystematisch bildet die Verpackungsverordnung den Vorreiter der Produktverantwortung gemäß § 24 KrW-/AbfG. Zudem dient die Verpackungsverordnung vom 21. 8. 1998 der Anpassung an die Anforderungen der EG-Verpackungsrichtlinie.419 Gleichwohl ist umstritten, ob die deutsche Regelung des „Dosenpfandes“ und der wiederaufgelebten Rücknahmepflicht nach der VerpackV mit dem EG-Recht vereinbar ist. Nach der Erkenntnis des EuGH hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen die Verpflichtungen aus Art 5 der EGVerpackungsrichtlinie iVm der Warenverkehrsfreiheit (Art 28 EGV) verstoßen, daß sie mit den §§ 8 Abs 1 und 9 Abs 2 VerpackV ein System zur Wiederverwendung von Verpackungen für Produkte eingeführt hat, die (aus anderweitigen europarechtlichen Gründen) an der Quelle abzufüllen sind (natürliche Mineralwässer).420 Die in Deutschland für Getränke-Einwegverpackungen eingeführten Pfand- und Rücknahmepflichten waren hiernach trotz der Umweltfreundlichkeit gemeinschaftsrechtswidrig, weil die Hersteller nicht über eine angemessene Übergangsfrist verfügten und nicht gewährleistet war, daß das neue System in dem Zeitpunkt, in dem das alte System wegfiel, arbeitsfähig war. Daraufhin ist durch Beschluß der Bundesregierung vom 12. 1. 2005 und Zustimmung des Bundesrates vom 20. 1. 2005 die 3. ÄndV zur VerpackV verabschiedet worden; sie unterliegt dem Notifizierungsverfahren bei der EG-Kommission. Ob ihre Neuregelung der Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht europarechtskonform ist, ist weiterhin umstritten.421

IV. Das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege 1. Allgemeines Im Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind Regelungen über 116 den medialen Schutz des Bodens und den vitalen Umweltschutz zusammengefaßt.422 Den Kern dieses Rechtsgebiets bilden das rahmenrechtliche Bundesnaturschutzgesetz 423 und die Naturschutz- und Landschaftspflegegesetze der Län418

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Vgl zum Ganzen Kloepfer/Wimmer UPR 1993, 409 ff; Di Fabio NVwZ 1995, 1 ff; Finckh Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, 1998, 49 ff; Schmidt-Preuß in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 325 f; krit Franßen in: FS Redeker, 1993, 470 ff. RL 94/62/EG v 20. 12. 1994 (ABl EG, L 365/10), zul geänd d RL 2004/12/EG v 11. 2. 2004 (ABl EG, L 47/26); zu den Umsetzungs- und Anpassungsbemühungen Versteyl, in: Kunig/ Paetow/Versteyl (Fn 31) § 24 Rn 40; Hasche/Schulte in: UTR Bd 45, 1998, 409 f. EuGH NVwZ 2005, 190 und 194. Zur „deutschen Sicht“ Werner NVwZ 2004, 431 ff; Klinger AbfallR 2005, 19 ff; zur Kritik Weidemann AbfallR 2005, 11 ff. Vgl o Rn 38, 47. Vollständige Neufassung v 25. 3. 2002 (BGBl I 1193), zul geänd d G v 21. 12. 2004 (BGBl I 186); allgem dazu Gellermann NVwZ 2002, 1023 ff; Louis NuR 2002, 385 ff; Stich UPR 2002, 161 ff; Wolf UmwR, 2002, Rn 1057 ff.

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der.424 Daneben verdient vor allem das Bundeswaldgesetz 425 Beachtung. Auf der europarechtlichen Ebene schreibt die Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (sog Fauna-Flora-HabitatRichtlinie) 426 vor, daß ein „kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete“ mit der Bezeichnung „Natura 2000“ errichtet wird (Art 3 ff). Schon vor ihrer Umsetzung hat diese Richtlinie erhebliche Auswirkungen auf raumbedeutsame Planfeststellungsverfahren entfaltet.427 Außerdem sind die Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie zu näher beschriebenen Maßnahmen des Artenschutzes verpflichtet (Art 12 ff). Das BNatSchG hat neben der FFH-Richtlinie auch die Vogelschutzrichtlinie 428 und weitere EG-Richtlinien 429 in deutsches Recht umgesetzt. Die umfassende, aktive und gestalterische Aufgabenstellung des modernen Na117 turschutz- und Landschaftspflegerechts 430 kommt bereits in den allgemeinen Vorschriften des BNatSchG über Ziele und Grundsätze (§§ 1, 2), den von den Ländern zu schaffenden Biotopverbund von mindestens 10 vH der Landesfläche (§ 3) und weitere Grundlagen (§§ 4–11) zum Ausdruck. Als Basis der administrativen Tätigkeit fungieren die Umweltbeobachtungen (§ 12) und die Landschaftsplanung (§§ 13–17). Dem allgemeinen, sachlich und räumlich umfassenden Naturschutz dient auch die neugefaßte Regelung über Eingriffe in Natur und Landschaft (§§ 18–21). In den Vorschriften über Schutz, Pflege und Entwicklung bestimmter Teile von Natur und Landschaft (§§ 22–38) sind in herkömmlicher, aber modernisierter Weise unterschiedliche Schutzgebietsfestsetzungen sowie die Festsetzung von einzelnen Naturdenkmälern und geschützten Landschaftsbestandteilen vorgesehen. Gegenstand der Vorschriften über Schutz und Pflege wildlebender Tier- und Pflanzenarten (§§ 39–55) ist der Artenschutz. Die Regelungen über die Erholung in Natur und Landschaft (§§ 56, 57) gestalten die Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums 424

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Zusammenstellung bei Burhenne UmwR, Bd 2, 071511 (BW) – 079011 (THÜ); aktuelle Fassungen auch unter www.naturschutzrecht.net/Gesetze/naturschutzrecht.htm. V 2. 5. 1975 (BGBl I 1037), zul geänd d G v 21. 6. 2005 (BGBl I 1818). RL 92/43/EWG v 21. 5. 1992 (ABl EG, L 206/7), zul geänd d VO (EG) 1882/2003 v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1); hierzu Freytag/Iven NuR 1995, 109; Fisahn/Cremer NuR 1997, 268 ff; Iven NuR 1996, 373, 376 ff; Gellermann NuR 1996, 548; Epiney UPR 1997, 303; Niederstadt NuR 1998, 515 ff; ders Natura 2000 – Europäisches HabitatschutzR und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl 2001; Wolf UmwR, Rn 1126 ff. Hierzu BVerwG NuR 1998, 261; Thyssen DVBl 1998, 877 ff; zur verspäteten Umsetzung EuGH Slg 1997, I-7195; Hasche/Schulte (Fn 419) 372 ff. RL 79/409/EWG v 2. 4. 1979 (ABl EG, L 103/1), zul geänd d RL 97/49/EG v 29. 7. 1997 (ABl EG, L 223/9). RL 83/129/EWG v 28. 3. 1983 betreffend die Einfuhr in die Mitgliedstaaten von Fellen bestimmter Jungrobben und Waren daraus (ABl EG, L 91/30), zul geänd d RL 89/370/EWG v 8. 6. 1989 (ABl EG, L 163/37); RL 1999/22/EG v 29. 3. 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos (ABl EG, L 94/24). Vgl bereits zum BNatSchG aF Kolodziejcok/Recken Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und ForstR, Tz 1100, Vorbem Rn 21 f; Bernatzky/Böhm BundesnaturschutzR, Einl Anm 6, Vorbem vor § 1; Kloepfer UmwR, § 11 Rn 31; Breuer/ Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg), Naturschutz- und LandschaftspflegeR im Wandel, UTR Bd 20, 1993; zur Rechtsprechung Gaentzsch in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 473 ff; zum BNatSchG nF Nachw o in Fn 423.

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im Hinblick auf das Betreten der Flur und die Bereitstellung von Ufergrundstücken und anderen Grundstücken, die sich nach ihrer Beschaffenheit für die Erholung der Bevölkerung eignen. Eine besondere Rolle spielt auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Land- 118 schaftspflege die Mitwirkung von Verbänden. In § 29 BNatSchG aF war lediglich die Verbandsbeteiligung im Verwaltungsverfahren 431 geregelt. Darüber hinaus eröffneten die Naturschutz- und Landschaftspflegegesetze zahlreicher Länder 432 die Verbandsklage. Diese Rechtsentwicklung muß vor dem Hintergrund einer kritischen Grundtendenz gegenüber der Verbandsklage gesehen werden 433 und wirft vielfältige verfassungs- und verwaltungsrechtliche Zweifelsfragen auf.434 Die Verletzung des verwaltungsverfahrensbezogenen Beteiligungsrechts konnte schon bisher für einen anerkannten Naturschutzverband die Befugnis zur Erhebung einer Anfechtungsklage (§ 42 Abs 2 VwGO) begründen.435 In den §§ 58–61 BNatSchG nF ist die „Mitwirkung von Vereinen“ gänzlich neu geregelt worden. Die Neuregelung umfaßt die Beteiligung anerkannter Vereine in Verwaltungsverfahren des Bundes und der Länder sowie Rechtsbehelfe von Vereinen, dh insbesondere die Verbandsklage (§ 61). Deren Zulässigkeit setzt ua voraus, daß der betreffende Verein sich bereits berechtigterweise an dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren beteiligt und dort geäußert oder rechtswidrig keine Gelegenheit zur Äußerung erhalten hat (§ 61 Abs 2 Nr 3). Im Verwaltungsverfahren versäumte Einwendungen sind ausgeschlossen (Präklusion nach § 61 Abs 3). Unabhängig von der Verbandsklage kann einem Verein als Eigentümer eines betroffenen Grundstücks die Klagebefugnis zur Anfechtung eines Verwaltungsakts, zB einer Planfeststellung für einen Gewässerausbau, zustehen.436 431

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Eingehend dazu Waskow Mitwirkung von Naturschutzverbänden in Verwaltungsverfahren, 1990; Bender DVBl 1977, 708 ff; krit Breuer NJW 1978, 1563 f. So § 39 b BlnNatSchG; § 65 BbgNatSchG; § 44 BremNatSchG; § 41 HambNatSchG; § 36 HessNatSchG (inzw aufgehoben d G v 18. 6. 2002, GVBl I 364); § 60 c NdsNatSchG; § 12 b LG NW; § 37b LPflG Rh-Pf; § 33 b SaarlNatSchG; § 58 SächsNatSchG; § 52 NatSchG LSA; § 46 ThürNatSchG. Befürwortend insbes Rehbinder/Burgbacher/Knieper Bürgerklage im UmwR, 1972, 117 f, 133, 151 f; Faber Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, 1972, 10, 47 ff, 67 ff, 91; Wolf ZUR 1994, 1 ff; SRU, Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Stellungnahme v Februar 2005; abl Ule/Laubinger Gutachten B zum 52. DJT, 1978, 63f, 99 ff; Breuer NJW 1978, 1561 ff; jeweils mwN, zur Unzulässigkeit der Verbandsklage im AtomR: BVerwG DÖV 1981, 268 → JK VwGO § 42 II/3. Vgl HessVGH NVwZ 1982, 689; NuR 1983, 160; 1985, 154 (keine Verbandsklage nach § 36 HessNatSchG gegen Verwaltungsakte von Bundesbehörden) m abl Anm von Ladeur; bestätigt durch BVerwGE 92, 263, 265, abl dazu Kopp NuR 1994, 76 ff; BVerwG NVwZRR 1997, 606; ferner HessVGH NVwZ 1988, 1040; ZfW 1990, 286 m Anm v Bickel = NuR 1990, 30 m Anm v Möller; NuR 1992, 382; BayVGH NVwZ 1991, 1009; OVG Lüneburg NVwZ 1992, 903; Bizer/Ormond/Riedel Die Verbandsklage im NaturschutzR, 1990, 84 ff; Kloepfer UmwR, § 11 Rn 249 ff; Wilrich DVBl 2002, 872 ff; Stüer NuR 2002, 708 ff; Seelig/Gündling NVwZ 2002, 1033 ff; Callies NJW 2003, 97 ff; Schmidt/Zschiesche NuR 2003, 16 ff. BVerwGE 87, 62 → JK VwGO § 42 II/17; HessVGH NVwZ 1988, 1040; aA zuvor HessVGH NuR 1983, 22 ff; VGH BW NVwZ 1988, 1039; auch OVG Münster NuR 1992, 495. BVerwGE 72, 15, 16.

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Rüdiger Breuer

2. Landschaftsplanung 119 Die ressourcenökonomisch und ökologisch orientierte Landschaftsplanung 437 hat die Erfordernisse und Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege „darzustellen und zu begründen“ (§ 13 Abs 1 Satz 1 BNatSchG). Sie gliedert sich in die überörtliche und die örtliche Ebene. Auf der überörtlichen Ebene sind für den Bereich eines Landes Landschaftsprogramme oder für Teile des Landes Landschaftsrahmenpläne vorgeschrieben (§ 15 Abs 1 BNatSchG). Auf der örtlichen Ebene sind Landschaftspläne aufzustellen, deren Verbindlichkeit, insbesondere für die Bauleitplanung, durch die Länder geregelt wird (§ 16 Abs 1 und 2 Satz 1 BNatSchG). In den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg ersetzen aufgestellte Landschaftspläne die Landschaftsprogramme und Landschaftsrahmenpläne (§ 16 Abs 3 BNatSchG). 120 Landesrechtlich ist bestimmt, daß die Landschaftsprogramme und Landschaftsrahmenpläne in die allgemeine Landes- und Regionalplanung aufzunehmen sind.438 Die Landschaftspläne werden entweder als eigenständige Rechtsverordnung 439 oder Satzung 440 beschlossen oder in die Bauleitplanung übernommen; 441 im letzteren Fall gewinnen sie mit der Übernahme in einen Bebauungsplan ebenfalls normativen Charakter.

3. Eingriffe in Natur und Landschaft a) Allgemeiner Bestandsschutz 121 Im Rahmen der Vorschriften über den allgemeinen Schutz von Natur und Landschaft hat die am Verursacherprinzip ausgerichtete Regelung über Eingriffe in Natur und Landschaft (§§ 18–21 BNatSchG nF, § 8 BNatSchG aF) zentrale Bedeutung 442. Derartige Eingriffe können in Veränderungen der Gestalt oder Nutzung 437

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Vgl SRU, Umweltgutachten 1978, BT-Drucks 8/1938, Tz 1202 ff, 1312 ff; Umweltgutachten 1987, BT-Drucks 11/1568, Tz 389 ff; Hoppe VVDStRL 38 (1980) 289 ff; Kloepfer/ Meßerschmidt Innere Harmonisierung des UmwR, 1986, 105 ff; zum Verhältnis zur Bauleitplanung: Gerschlauer DVBl 1979, 601 ff; Stich UPR 1983, 177 ff; Pielow NuR 1986, 69 ff; zum Verhältnis zur Landesplanung: Hendler NuR 1981, 41 ff; Erbguth UPR 1983, 137 ff; zum Verhältnis zur Umweltverträglichkeitsprüfung: Schoeneberg UPR 1991, 219 ff; zu den §§ 13 ff BNatSchG nF: Gellermann NVwZ 2002, 1029f; Stich UPR 2002, 164 f; Wolf UmwR, Rn 1077 ff. So § 8 NatSchG BW; Art 3 Abs 1 BayNatSchG; §§ 3 a, 4 HessNatSchG; § 15 LG NW; § 16 Abs 1 LPflG Rh-Pf; § 8 Abs 8 SaarlNatSchG; § 5 Abs 3 LPflG Schl-H; abgeschwächt: § 4 Abs 3 BremNatSchG („zu berücksichtigen“); zu beachten ist, daß diese Vorschriften noch zu den §§ 5 ff BNatSchG aF erlassen worden sind und an die §§ 13 ff BNatSchG nF (o Fn 423) angepaßt werden müssen. So § 10 Abs 5 NatSchG Bln; § 7 Abs 1 HambNatSchG. So § 8 Abs 3 BremNatSchG; § 16 Abs 2 Satz 1 LG NW. So durch „Primärintegration“: § 17 Abs 1, 2 LPflG Rh-Pf; durch „Sekundärintegration“: § 9 Abs 1 NatSchG BW; § 4 Abs 4 HessNatSchG; § 8 Abs 7 SaarlNatSchG; § 6 Abs 4 LPflG Schl-H; abgeschwächt: Art 3 Abs 2 BayNatSchG; § 6 NdsNatSchG. Vgl zu § 8 BNatSchG aF: Kolodziejcok/Recken (Fn 430) Tz 1125; Breuer NuR 1980, 89 ff;

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Umweltschutzrecht

5. Kap IV 3 a

von Grundflächen oder in Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels bestehen, die entweder die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können; für die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung gelten Modifizierungen (§ 18 BNatSchG nF). Typischerweise sind solche Eingriffe mit Großvorhaben verbunden, die durch Planfeststellungen 443 oder andere außernaturschutzrechtliche Genehmigungsakte 444 zugelassen werden. Die naturschutzrechtliche Regelung modifiziert somit das gesamte Fachplanungs-, Bau-, Bodenund Wirtschaftsrecht sowie das sonstige Umweltschutzrecht. Erstens gilt ein materielles Vermeidungsgebot; der Verursacher eines Eingriffs ist 122 durch Verwaltungsakt zu verpflichten, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen (§ 19 Abs 1 BNatSchG). Zweitens gilt das Gebot einer Naturalkompensation; der Verursacher eines Eingriffs ist durch Verwaltungsakt zu verpflichten, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorrangig auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder in sonstiger Weise zu kompensieren (Ersatzmaßnahmen). Ausgleichsmaßnahmen sind auf funktionale Wiederherstellung, Ersatzmaßnahmen auf gleichwertigen Naturalersatz gerichtet (§ 19 Abs 2 BNatSchG). Gleichwohl müssen Ausgleichsmaßnahmen nicht unbedingt am unmittelbaren Ort des Eingriffs erfolgen; es genügt, daß sie mit diesem im funktionalen Zusammenhang stehen.445 Für Eingriffe infolge von Bauleitplänen ist dies nunmehr ausdrücklich gesetzlich geregelt (§ 1 a Abs 3 Satz 2 BauGB 446). Drittens unterliegt ein Eingriff bei unvermeidbaren und nicht in angemessener Frist ausgleichbaren oder in sonstiger Weise kompensierbaren Beeinträchtigungen nach neuem Recht einem Abwägungsgebot und infolgedessen nur noch einer abwägungsabhängigen, mithin relativierten Untersagungsmöglichkeit: 447 Er darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der gebotenen Abwägung aller Anforderungen anderen Belangen im Rang vorgehen; dabei kommt bestimmten Biotopen ein gesteigerter Rang zu (§ 19 Abs 3 BNatSchG). Viertens können die Länder weitergehende Regelungen erlassen (§ 19 Abs 4 BNatSchG). Dies ist schon bisher in nahezu allen Ländern geschehen.448 Insbesondere können die Län-

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Burmeister Der Schutz von Natur und Landschaft vor Zerstörung, 1988; Schink DVBl 1992, 1399 ff; Berkemann NuR 1993, 97 ff; ferner zB BVerwG NVwZ 1991, 69; BayVGH NuR 1982, 108; OVG Hamburg NVwZ-RR 1993, 8; zu §§ 18–21 BNatSchG nF: Gellermann NVwZ 2002, 1039 f; Stich UPR 2002, 165 ff; Wolf UmwR, Rn 1091 ff; Anger NVwZ 2003, 319 ff; Louis NuR 2004, 714 ff. So nach §§ 72 ff VwVfG; §§ 17 ff FStrG; §§ 18 ff AEG; §§ 28 ff PBefG; §§ 8 ff LuftVG; §§ 31 ff KrW-/AbfG; § 9 b AtomG; § 31 WHG; §§ 14 ff WaStrG; § 41 FlurbG. ZB nach §§ 4 ff BlmSchG; § 7 AtomG; § 6 LuftVG. So BVerwGE 85, 348, 360; Breuer NuR 1980, 94; Kloepfer UmwR, §11 Rn 95; Schink DVBl 1992, 1398; aA Schroeter DVBl 1979, 14, 17; diff Berkemann NuR 1993, 102. IdF des BauROG v 18. 8. 1997 (BGBl I 2081); vgl o Rn 66a; auch Brohm in: FS Hoppe, 2000, 511 ff. Krit dazu Gellermann NVwZ 2002, 1025, 1030 f. So § 11 Abs 4 NatSchG BW; Art 6 a Abs 3 BayNatSchG; § 14 Abs 5 Satz 3 NatSchG Bln; § 14 BbgNatSchG; § 11 Abs 5 Nr 1 und Abs 6 BremNatSchG; § 9 Abs 6 Satz 1, 2 Hamb-

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der – wie schon zuvor – bei zuzulassenden Eingriffen für nicht ausgleichbare oder nicht in sonstiger Weise kompensierbare Beeinträchtigungen eine Ersatzzahlung vorsehen (bisher „Ausgleichsabgabe“).449 Über die Zulässigkeit von Eingriffen in Natur und Landschaft wird nicht in 123 einem eigenen naturschutzrechtlichen Verfahren, sondern zugleich mit der in anderen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Zustimmung, Planfeststellung oder sonstigen Entscheidung oder mit einer repressiven, auf eine vorgeschriebene Anzeige hin erfolgenden Verfügung der jeweils zuständigen Behörde entschieden („Huckepackverfahren“).450 Sofern aufgrund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, ist hierüber nach den Spezialvorschriften der §§ 21 BNatSchG und 1a BauGB sowie den ergänzenden Bestimmungen der §§ 5 Abs 2 a, 9 Abs 1 a, 135 a–c und 200 a BauGB im Bauleitplan zu entscheiden.451 b) Besonderer Biotopschutz 124 Eingriffe in erhaltenswerte Biotope unterliegen einer verschärften Sonderregelung (§ 30 BNatSchG), die sich schon im früheren Recht 452 fand. Nach dem gesetzlichen Grundsatz sind alle Maßnahmen, die zu einer Zerstörung oder sonstigen erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung bestimmter Biotope führen können, unzulässig (§ 30 Abs 1 Satz 1 BNatSchG). Unter den bundesrahmenrechtlichen Mindestkatalog der hiernach besonders geschützten Biotope fallen zB Moore, Sümpfe, Bruch-, Sumpf- und Auwälder sowie Fels- und Steilküsten. Die Länder können weiteren Biotopen den gleichen Schutz gewähren (§ 30 Abs 1 Satz 2 BNatSchG). Andererseits können die Länder Ausnahmen von dem strikten Bestandsschutz zulassen, wenn die Beeinträchtigungen der Biotope ausgeglichen werden können oder die Maßnahmen aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls notwendig sind (§ 30 Abs 2 Satz 1 BNatSchG). Der besondere Biotopschutz gilt – ebenso wie der allgemeine Bestandsschutz nach den §§ 18, 19, 20 Abs 1, 2 BNatSchG – nicht unmittelbar (§ 11 Satz 1 BNatSchG). Aus der besonders hervorgehobenen Verpflichtung zur Schaffung des Biotopverbundes gemäß § 3 BNatSchG sowie aus dem Sinn des § 30 BNatSchG ergibt sich jedoch, daß die Länder mindestens die bundesgesetzlich aufgeführten Biotope ausweisen und unter den verschärften Schutz stellen müssen.453

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NatSchG; § 6 b HessNatSchG; § 15 Abs 4, 5 NatSchG MV; § 12 Abs 1 NdsNatSchG; § 5 Abs 1 Satz 1 LG NW; § 5 Abs 3 LPflG Rh-Pf; § 11 Abs 3 SaarlNatSchG; § 20 NatSchG LSA; § 8 Abs 2 LPflG Schl-H; § 7 Abs 5 ThürNatSchG. Vgl zu § 11 NatSchG BW: BVerwGE 74, 308, 313 f; 81, 220, 221 ff; auch o Rn 86 f. Dies ergibt sich aus § 20 Abs 1 BNatSchG; Wolf UmwR, Rn 1096. Vgl dazu, insbes zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen Bau- und NaturschutzR durch das BauROG 1998 v 18. 8. 1997 (BGBl I 2081), o Rn 66a mwN. § 20 c BNatSchG idF des ÄndG v 10. 12. 1986, BGBl I 2349; vgl o Rn 11. Vgl zu § 20 c BNatSchG aF Fischer-Hüftle NuR 1986, 242 ff; ders DÖV 1990, 1011 ff; Apfelbacher NuR 1987, 248 ff; zu §§ 3, 30 BNatSchG nF Stich UPR 2002, 162 f, 167.

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Umweltschutzrecht

5. Kap IV 5

4. Schutzgebiete Durch Rechtsnorm, nämlich durch Gesetz,454 Rechtsverordnung 455 oder Sat- 125 zung,456 können Naturschutzgebiete, Nationalparke, Biosphärenreservate, Landschaftsschutzgebiete und Naturparke, (einzelne) Naturdenkmale oder geschützte Landschaftsbestandteile festgesetzt werden (§§ 22 ff BNatSchG). Die Ziele dieser Gebietsfestsetzungen, die schutzfähigen Gebietstypen und die festsetzungsbedingten Rechtswirkungen, insbesondere die in den einzelnen Schutzgebieten geltenden Gebote und Verbote, sind gesetzlich in differenzierter Weise geregelt.457 Damit wird im Falle von Natur- und Landschaftsschutzgebieten ein gesteigerter Schutz kleinerer Räume und im Falle von Nationalparken, Biosphärenreservaten und Naturparken ein vergleichbarer, allerdings elastischerer Schutz großer Räume erreicht. Die Länder haben auch Vorschriften über die einstweilige Sicherung von Schutzgebieten zu erlassen (§ 22 Abs 3 Nr 1 BNatSchG). Mit den naturschutzrechtlichen Schutzgebietsfestsetzungen gilt es, die europarechtlichen Anforderungen der FFH-Richtlinie (Netz „Natura 2000“) sowie der Vogelschutzrichtlinie 458 zu erfüllen und die geforderten Gebiete und Erhaltungsmaßnahmen festzulegen. Hierbei handelt es sich indessen um ein europarechtliches Konfliktfeld, das die rechtliche Möglichkeit „potentieller“ oder „faktischer“ (dh staatlicherseits weder ausgewiesener noch angemeldeter, jedoch europarechtlich präfixierter) Schutzgebiete umschließt.459

5. Artenschutz Der Artenschutz umfaßt näher bezeichnete Maßnahmen zum Schutz und zur Pflege 126 der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt (§ 39 Abs 1 Satz 1 BNatSchG). Die einschlägigen bundesrah454 455

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§ 21 Abs 1 NatSchG MV; §§ 29 Abs 1 Nr 1, 30 NatSchG LSA; § 15 a LPflG Schl-H. So §§ 21, 22 NatSchG BW; Art 7 Abs 3, 8 Abs 1, 10 Abs 2 BayNatSchG; §§ 19 Abs 2, 20 Abs 2 BlnNatSchG; § 19 Abs 1 BbgNatSchG; §§ 18, 19 Abs 1, 20 Abs 1 BremNatSchG; §§ 15, 16 Abs 1, 17 Abs 1 HambNatSchG; §§ 12, 13 iVm § 16 Abs 3 HessNatSchG; § 21 Abs 2 NatSchG MV; §§ 24, 26 NdsNatSchG; §§ 18 Abs 1, 19 Abs 1, 21 Abs 1 LPflG Rh-Pf; §§ 18 Abs 1, 19 Abs 1, 20 Abs 1 SaarlNatSchG; §§ 16 Abs 1, 17 Abs 1, 19 Abs 1, 20 Abs 1 SächsNatSchG; §§ 29 Abs 1 Nr 2, 31 Abs 1, 32 Abs 1 NatSchG LSA; §§ 16 Abs 1, 17 Abs 1 LPflG Schl-H; §§ 12 Abs 1, 13 Abs 1, 14 Abs 1, 15 Abs 1 16 Abs 1, 17 Abs 1 ThürNatSchG. So § 16 Abs 2 Satz 1 und Abs 4 Nr 2 LG NW. Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen und Regelungsinhalten naturschutzrechtlicher Verordnungen zB OVG Lüneburg NuR 1999, 470 (Elbtalaue); Wolf UmwR, Rn 1108 ff; zu den eigentums- und entschädigungsrechtlichen Fragen einer NaturschutzVO BVerwGE 84, 361 → JK GG Art 14 III/7; 94, 1; BGHZ 121, 328; 123, 242; 126, 379; Breuer NuR 1996, 537 ff; vgl auch o Rn 28 ff. Vgl o Rn 116 mit Fn 426–428. Grdl EuGH Slg 1993, I-4272 (Santoña); EuGH NuR 1998, 194; NVwZ 2005, 311; BVerwG NuR 1998, 261 und 649; BVerwGE 107, 1; BVerwG NVwZ 2004, 1114; Spannowsky UPR 2000, 41 ff; Ramsauer in: Erbguth (Hrsg), Europäisierung des nationalen UmwR, 2001, 107 ff; Mecklenburg UPR 2002, 124 ff; Cosack UPR 2002, 259 ff; Füßer NVwZ 2004, 701, 704 ff; ders NVwZ 2005, 144 ff und 628 ff.

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5. Kap IV 5

Rüdiger Breuer

menrechtlichen Vorschriften (§§ 39–55 BNatSchG) sind mehrfach, zuletzt durch das Neuregelungsgesetz vom 25. 3. 2002 460 novelliert worden. Der allgemeine Artenschutz umfaßt alle Vorschriften, die sich ohne Einschränkung auf wildlebende Tier- und Pflanzenarten beziehen, also nicht nur auf supranationale oder nationale Artenlisten. Seine Regelungen (§§ 40, 41 BNatSchG) sind Rahmenvorschriften, die als solche nicht unmittelbar und bürgerverbindlich gelten, sondern auf die Ausfüllungsgesetzgebung der Länder angewiesen sind (§ 11 Satz 1 BNatSchG). Demgemäß müssen die Länder nach § 41 Abs 1 BNatSchG die allgemeinen Verbote regeln, wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten, ohne vernünftigen Grund wildlebende Pflanzen von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten oder ohne vernünftigen Grund Lebensstätten wildlebender Tier- und Pflanzenarten zu beeinträchtigen oder zu zerstören. Darüber hinaus müssen die Länder zur Umsetzung der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie 461 geeignete Regelungen des allgemeinen Artenschutzes treffen; überdies können sie weitere Vorschriften erlassen (§ 41 Abs 2, 3 BNatSchG). Der besondere Artenschutz betrifft besonders bestimmte und geschützte Tier- und Pflanzenarten gemäß den Artenschutzlisten (§§ 42 ff BNatSchG). Seine bundesgesetzliche Regelung umfaßt spezifizierte Beeinträchtigungs- und Zerstörungsverbote für wildlebende Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensstätten (§ 42 Abs 1 BNatSchG) sowie Besitz- und Vermarktungsverbote (§ 42 Abs 2, 3 BNatSchG). Diese Vorschriften sind unmittelbar geltendes, bürgerverbindliches Recht; ihre Geltung hängt mithin nicht von der Landesgesetzgebung ab (§ 11 Satz 1 BNatSchG). Im übrigen ist zu beachten, daß der besondere Artenschutz auf internationalen Verträgen 462 und unmittelbar geltendem Europarecht (Art 249 Abs 2 EGV) beruht. Dessen Grundlage ist die Verordnung (EG) Nr 338/97 des Rates vom 9. 12. 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels.463 Auf dieser Basis regelt die Bundesartenschutzverordnung 464 nähere Einzelheiten. Insbesondere bestimmt sie die unter besonderem Schutz stehenden Tier- und Pflanzenarten.

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BGBl I 1933; dazu o Rn 116 m Fn 423. Vgl o Fn 426, 428. Washingtoner Artenschutzübereinkommen v 3. 3. 1973 (BGBl 1975 II 773); vgl BendomirKahlo CITES – Washingtoner Artenschutzübereinkommen, 1989; Schmidt-Räntsch/ Schmidt-Räntsch Leitfaden zum ArtenschutzR, 1990, 13 ff; zu strafrechtlichen Folgen Schmidt NuR 1983, 149 ff; zum einschlägigen EG-Recht Apfelbacher/Adenauer/Iven NuR 1998, 509 f; auch o Rn 116 m Fn 426. ABl EG, L 61/1, ber L 100/72 und L 298/70, zul geänd d VO (EG) 1497/2003 v 18. 8. 2003 (ABl EG, L 215/84); vgl Apfelbacher/Adenauer/Iven NuR 1998, 509, 514; Louis in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 473 ff; Sparwasser/EngelVoßkuhle UmwR, Rn 6/258 ff; Wolf UmwR, Rn 1146 ff. IdF v 14. 10. 1999 (BGBl I 1955, ber 2073), zul geänd d G v 25. 3. 2002 (BGBl I 1933).

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Umweltschutzrecht

5. Kap V 1

V. Bodenschutzrecht 1. Allgemeines Mit dem Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) vom 17. 3. 1998 465 ist der mediale 126a Umweltschutz vervollständigt und das Umweltmedium Boden – ähnlich wie zuvor das Wasser und die Luft 466 – einem einheitlichen bundesrechtlichen Schutz unterstellt worden. Einerseits ist dieses Gesetz lange gefordert und mit dem Prädikat „längst überfällig“ begrüßt worden.467 Andererseits ist es dem Einwand der fehlenden Bundesgesetzgebungskompetenz begegnet.468 Der Gesetzgeber hat indessen die Bundeskompetenz unter dem Gesichtspunkt der Bodennutzung und schädlicher Bodenveränderungen auf Art 74 Abs 1 Nr 18 GG, im Hinblick auf den Ursachenkomplex wirtschaftlicher Tätigkeiten auf Art 74 Abs 1 Nr 11 GG und unter dem abfallrechtlichen Gesichtspunkt der Altlasten auf Art 74 Abs 1 Nr 24 GG gestützt.469 Diese Mosaikschau entspricht dem Sachzusammenhang zwischen wirtschaftlichen und baulichen Bodennutzungen, nutzungsbedingten Bodenveränderungen und hiermit verbundenen Schadstoffen im Boden, die insbesondere als Altlasten in Gestalt von Altablagerungen und Altstandorten (§ 2 Abs 5 BBodSchG) überkommen sind. Aus dem Sachzusammenhang ergibt sich die kompetenzielle Rechtfertigung des BBodSchG. Der Inhalt des BBodSchG gliedert sich in fünf Teile: die allgemeinen Vorschriften 126b (1. Teil, §§ 1–3), Grundsätze und Pflichten (2. Teil, §§ 4 –10), ergänzende Vorschriften für Altlasten (3. Teil, §§ 11–16), die Regelung der guten fachlichen Praxis bei der landwirtschaftlichen Bodennutzung (4. Teil, § 17) und Schlußvorschriften (5. Teil, §§ 18–26). Der erklärte Zweck des Gesetzes besteht darin, nachhaltig die Funktionen des Bodens zu sichern oder wiederherzustellen (§ 1 Satz 1). Hierzu sind schädliche Bodenveränderungen abzuwehren, der Boden und Altlasten sowie hierdurch verursachte Gewässerverunreinigungen zu sanieren und Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden zu treffen (§ 1 Satz 2). Des weiteren sollen bei Einwirkungen auf den Boden Beeinträchtigungen seiner natürlichen Funktionen sowie seiner Funktion als „Archiv der Natur- und Kulturgeschichte“ so weit wie möglich vermieden werden (§ 1 Satz 3). Im übrigen legen die allgemeinen Vorschriften des BBodSchG Begriffsbestimmungen (§ 2) sowie den Anwendungsbereich und das Verhältnis zu anderen Umweltgesetzen (§ 3) fest. Soweit die in § 3 Abs 1 465 466 467

468 469

BGBl I 502, zul geänd d G v 9. 12. 2004 (BGBl I 3214); vgl o Rn 38 m Fn 126. Vgl o Rn 39 und u Rn 127 ff (Wasser) sowie o Rn 40 und u Rn 167 ff (Luft). So Vierhaus NJW 1998, 1262; sinngemäß auch SRU, Umweltgutachten 2000, BT-Drucks 14/3363, Tz 444; Kobes NVwZ 1998, 786 ff; verhaltenere, insgesamt aber ebenfalls positive Bewertung bei Peine DVBl 1998, 157 ff; aus europäischer Perspektive Heuser Europäisches BodenschutzR, 2005, 385 ff. So Degenhart ZRP 1997, 397 ff; zweifelnd Oerder NJW 1994, 2181, 2182 ff. BT-Drucks 13/6701, 16 ff; so auch Peine NuR 1992, 353 ff; Rid/Froeschle UPR 1994, 321 ff; Brandt DÖV 1996, 675, 682 f; Czybulka UPR 1997, 15 ff; zustimmend Wolf UmwR, Rn 1164 ff; in der Begründung abw, im Erg übereinst v Buch NVwZ 1998, 822 f (Bundesgesetzgebungskompetenz allein aus Art 75 Abs 1 Nr 3 GG); ausführl dazu Versteyl/Sondermann BBodSchG, 2002, Einl Rn 17 ff.

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5. Kap V 2

Rüdiger Breuer

BBodSchG aufgeführten Gesetze (ua Vorschriften des KrW-/AbfG, des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts, des BBergG und des BImSchG) Einwirkungen auf den Boden regeln, ist das BBodSchG nicht anwendbar, also subsidiär. Dies gilt nicht im Verhältnis zum Wasser- sowie zum Naturschutz- und Landschaftspflegerecht. Da die Gesetze dieser Rechtsgebiete in § 3 BBodSchG nicht genannt sind, gelten sie neben den Vorschriften des BBodSchG.470 In wesentlichen Belangen bleiben jedoch allein die wasserrechtlichen Vorschriften maßgebend. So bestimmen sich die bei der Sanierung von Gewässern zu erfüllenden Anforderungen nach dem Wasserrecht (§ 4 Abs 4 Satz 3 BBodSchG). Entsprechend richtet sich die Vorsorge für das Grundwasser nach wasserrechtlichen Vorschriften (§ 7 Satz 6 BBodSchG).

2. Grundsätze und Pflichten des Bodenschutzes 126c Unter den Grundsätzen und Pflichten im 2. Teil des BBodSchG stehen die ordnungsrechtlichen Pflichten zur Gefahrenabwehr (§ 4) im Vordergrund. Dabei geht das Gesetz von der „klassischen“ polizeirechtlichen Verhaltens- und Zustandshaftung aus. Demgemäß sind der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie durch schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten verursachte Verunreinigungen von Gewässern so zu sanieren, daß dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen (§ 4 Abs 3 Satz 1 BBodSchG). Darüber hinaus ist zur Sanierung auch verpflichtet, wer aus handels- oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person einzustehen hat, der ein Grundstück mit einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast gehört (§ 4 Abs 3 Satz 4, 1. Alt BBodSchG). Insoweit eröffnet das Gesetz eine Durchgriffshaftung wegen Unterkapitalisierung oder qualifizierter Konzernabhängigkeit.471 Eine echte Erweiterung der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit regelt § 4 Abs 6 BBodSchG. Danach ist der frühere Eigentümer eines Grundstücks zur Sanierung verpflichtet, wenn er sein Eigentum nach dem 1.3.1999 übertragen hat und die schädliche Bodenveränderung oder Altlast hierbei kannte oder kennen mußte. Dies gilt jedoch für denjenigen nicht, der beim Erwerb des Grundstücks in schutzwürdiger Weise darauf vertraut hat, daß schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten nicht vorhanden sind. Hierdurch wird der „gutgläubige Erwerber“ privilegiert.472 Der Inhalt der Gefahrenabwehrpflichten nach § 4 Abs 1 bis 3 BBodSchG be126d stimmt sich nach dem Grundsatz der nutzungsadäquaten Sanierung.473 Demgemäß 470

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Vierhaus NJW 1998, 1262 ff; Bickel BBodSchG, 4. Aufl 2004, § 3 Rn 2 ff; allgem zum Anwendungsbereich des BBodSchG u zu Abgrenzungsfragen Erbguth/Stollmann NuR 2001, 241 ff. So auch Vierhaus NJW 1998, 1262, 1265 f mwN; Frenz BBodSchG, 2000, § 4 Abs 3 Rn 81 ff; aA Bickel (Fn 470) § 4 Rn 55; Spindler ZGR 2001, 385, 398. Vierhaus NJW 1998, 1262, 1266; krit zu § 4 Abs 6 BBodSchG Bickel (Fn 470) § 4 Rn 69 ff; Spießhofer in: Kloepfer (Hrsg), Umweltföderalismus, 2002, 323, 339 f; ausführl Kohls Nachwirkende Zustandsverantwortlichkeit, 2002. Vierhaus NJW 1998, 1262, 1266.

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Umweltschutzrecht

5. Kap V 2

sind bei der Erfüllung der boden- und altlastenbezogenen Pflichten die planungsrechtlich zulässige Nutzung des Grundstücks und das sich daraus ergebende Schutzbedürfnis zu beachten, soweit dies mit den Bodenfunktionen nach § 2 Abs 2 Nr 1 und 2 BBodSchG zu vereinbaren ist (§ 4 Abs 4 Satz 1 BBodSchG). Fehlen planungsrechtliche Festsetzungen, bestimmt die Prägung des Gebiets unter Berücksichtigung der absehbaren Entwicklung das Schutzbedürfnis (§ 4 Abs 4 Satz 2 BBodSchG). Hierdurch wird die tatsächliche Nutzungsstruktur – ähnlich wie im Bauplanungsrecht (§ 34 Abs 2 BauGB) – zum planersetzenden Maßstab der Bodensanierung. Geboten ist mithin weder eine Luxus- noch eine abstrakt definierte Optimalsanierung, sondern lediglich eine situationsgerechte und verhältnismäßige Sanierung, die sich an der vorhandenen Nutzung und der absehbaren Gebietsentwicklung ausrichten muß. In diesem Sinne ermächtigt § 8 Abs 1 BBodSchG die Bundesregierung, nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 20 BBodSchG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über die Erfüllung der sich aus § 4 BBodSchG ergebenden boden- und altlastenbezogenen Pflichten zu erlassen, also gesetzeskonkretisierende Prüf- und Maßnahmewerte sowie gefahrenund sanierungsbezogene Anforderungen festzulegen. Hierauf ist die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) vom 12. 7. 1999 474 gestützt. Im Anhang 2 der BBodSchV sind neben Maßnahmen- und Prüfwerten auch Vorsorgewerte festgelegt, welche die bodenbezogene Vorsorgepflicht (§§ 7 und 8 Abs 2 BBodSchG) konkretisieren. Im Vorfeld einer Gefahr ermächtigt das Gesetz die zuständige Behörde zu Er- 126e mittlungsmaßnahmen der Gefährdungsabschätzung und Untersuchungsanordnungen (§ 9 BBodSchG). Besteht aufgrund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenverunreinigung oder einer Altlast, kann die zuständige Behörde anordnen, daß die pflichtigen Personen (§ 4 Abs 3, 5 und 6 BBodSchG) die notwendigen Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung durchzuführen haben (§ 9 Abs 2 Satz 1 BBodSchG). Nach Maßgabe des § 24 BBodSchG ist hiervon die Kostenlast des Pflichtigen umfaßt. Damit bestätigt das Gesetz die polizeirechtlichen Grundsätze der Verdachtsstörung und der Verdachtsgefahr sowie der Verantwortlichkeit eines Verdachtsstörers.475 Allgemein gilt, daß mehrere Verpflichtete nach dem BBodSchG unabhängig von 126f ihrer Heranziehung untereinander einen Ausgleichsanspruch haben (§ 24 Abs 2). Soweit nichts anderes vereinbart wird, hängen die Verpflichtung zum Ausgleich sowie dessen Umfang davon ab, inwieweit die Gefahr oder der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist; § 426 Abs 1 Satz 2 BGB ist entsprechend anwendbar. Diese positivrechtliche Regelung des Gesamtschuldausgleichs ist zu begrüßen. Der Bundesgesetzgeber hat damit eine alte Streit474

475

BGBl I 1554, zul geänd d VO v 23. 12. 2004 (BGBl I 3758); vgl dazu Bickel (Fn 470), § 8 Rn 6 ff, S 291 ff; Spießhofer (Fn 472) 333 ff. Vgl dazu Breuer in: GS für Martens, 1987, 317, 331 ff; Schink DVBl 1989, 1182 ff; Schwachheim Unternehmenshaftung für Altlasten, 1991, 167 ff; Nierhaus in: UTR Bd 27, 1994, 369 ff; jeweils mN zur Rspr; auch Kobes NVwZ 1998, 786, 792; zu § 9 BBodSchG BayVGH NVwZ 2003, 1137 und 1281 (auch Abgrenzung zur Sanierungsuntersuchung nach § 13 BBodSchG).

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5. Kap V 3

Rüdiger Breuer

frage entschieden, nachdem auf der landesrechtlichen Ebene ein solcher Ausgleich lange von der überwiegenden, aber nicht überzeugenden Rechtsansicht abgelehnt worden war.476

3. Ergänzende Vorschriften für Altlasten 126g Unter den ergänzenden Vorschriften für Altlasten (3. Teil des BBodSchG, §§ 11–16) kommt den Regelungen über Sanierungsuntersuchungen, die Sanierungsplanung und den Sanierungsvertrag (§§ 13, 14) eine besondere praktische Bedeutung zu.477 Falls bei Altlasten wegen der Verschiedenartigkeit der erforderlichen Maßnahmen ein abgestimmtes Verhalten notwendig ist oder aufgrund von Art, Ausbreitung oder Menge der Schadstoffe in besonderem Maße schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den einzelnen oder die Allgemeinheit ausgehen, soll die zuständige Behörde von dem Sanierungsverpflichteten (§ 4 Abs 3, 5 oder 6 BBodSchG) die notwendigen Sanierungsuntersuchungen sowie die Vorlage eines Sanierungsplans mit bestimmten Inhalten verlangen (§ 13 Abs 1 BBodSchG). Die zuständige Behörde kann ferner verlangen, daß die Sanierungsuntersuchungen sowie der Sanierungsplan von einem Sachverständigen erstellt werden (§ 13 Abs 2 iVm § 18 BBodSchG). Wenn ein Verpflichteter den Sanierungsplan nicht, nicht rechtzeitig oder unzureichend erstellt oder nicht (rechtzeitig) herangezogen werden kann oder wenn die großflächige Ausdehnung der Altlast oder die Anzahl der Verpflichteten ein koordiniertes Vorgehen erforderlich macht, kann die zuständige Behörde den Sanierungsplan selbst erstellen oder ergänzen oder durch einen Sachverständigen erstellen oder ergänzen lassen (§ 14 BBodSchG). Schließlich sieht das Gesetz mit dem Sanierungsvertrag (§ 13 Abs 4 BBodSchG) einen öffentlich-rechtlichen Vertrag iS der §§ 54 ff VwVfG vor, der wegen des hohen Kooperationsbedarfs der Altlastensanierung und der allgemeinen Tendenz zu kooperativem Verwaltungshandeln voraussichtlich breite Anwendung finden wird. Eine europarechtlich bedingte Verschleifung des Altlasten- mit dem Abfallrecht ergibt sich indessen aus der jüngsten Rechtsprechung des EuGH. Danach sind Stoffe, die – wie zB Kraftstoffe – unabsichtlich ausgebracht worden sind und eine Boden- und Grundwasserkontamination verursacht haben, Abfälle iS der EG-Abfallrichtlinien; Gleiches gilt für das derart verunreinigte Erdreich, auch wenn es nicht ausgehoben worden ist.478 476

477

478

So BGH NJW 1981, 2457 f → JK Pol- u OrdR Störer/2; Papier Altlasten und polizeirechtliche Störerhaftung, 1985, 73 f; ders DVBl 1985, 879; ders NVwZ 1986, 263; Schwachheim (Fn 475) 51 f, 199 ff; R. Schulz Die Lastentragung bei der Sanierung von Bodenkontaminationen, 1995, 235 ff; aA Breuer NVwZ 1987, 751, 756; Kloepfer/Thull DVBl 1989, 1121, 1126 f; offengelassen von VGH Kassel NJW 1984, 1197, 1199; wN bei Kloepfer UmwR, § 12 Rn 215 ff; zu § 24 Abs 2 BBodSchG iVm § 426 Abs 1 Satz 2 BGB nunmehr BGH JZ 2005, 145 m Anm v Wagner; OLG Celle NVwZ 2004, 379; zu neuerlichen Zweifelsfragen Bickel (Fn 470) § 24 Rn 8 ff; Wagner/Vierhaus in: Fluck (Hrsg), KrW-, Abf- u BoSchR, Kennz 1000, § 24 BBodSchG Rn 81 ff; Heßler Der Störerausgleich im BodenschutzR, 2004. Vgl Vierhaus NJW 1998, 1262, 1268 f; Diehr UPR 1998, 128 ff; Kobes NVwZ 1998, 786, 793 f; Kloepfer UmwR, § 12 Rn 240 ff; Bickel (Fn 470) § 13 Rn 10 ff. EuGH NVwZ 2004, 1341 (Texaco); dazu Petersen/Lorenz NVwZ 2005, 257 ff (Sanierung von Altlasten nach AbfallR?); Leitzke/Schmitt UPR 2005, 16 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VI 1

4. Wertausgleich Auf einen Vorschlag des Bundesrates geht die Regelung des Wertausgleichs in § 25 126h BBodSchG zurück.479 Soweit durch den Einsatz öffentlicher Mittel bei Maßnahmen zur Erfüllung der Pflichten nach § 4 BBodSchG der Verkehrswert eines Grundstücks nicht nur unwesentlich erhöht wird und der Eigentümer die Kosten hierfür nicht oder nicht vollständig getragen hat, hat er einen von der zuständigen Behörde festzusetzenden Wertausgleich in Höhe der maßnahmebedingten Wertsteigerung an den öffentlichen Kostenträger zu leisten (§ 25 Abs 1 Satz 1 BBodSchG). Die Höhe des Ausgleichsbetrages wird durch die Höhe der eingesetzten öffentlichen Mittel begrenzt (§ 25 Abs 1 Satz 2 BBodSchG). Im Gebiet der neuen Länder entsteht die Pflicht zum Wertausgleich nicht, soweit aufgrund der Altlastenfreistellungsklausel des Art 1 § 4 Abs 3 Satz 1 URG 480 eine Freistellung erfolgt ist (§ 25 Abs 1 Satz 3 BBodSchG).

VI. Wasserrecht 1. Allgemeines Das Wasserrecht regelt den medialen Schutz und die Nutzung der Gewässer. Als 127 normative Gestaltung des „Wasserhaushalts“ oder – was gleichbedeutend ist – der „Wasserwirtschaft“ stützt es sich auf die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art 75 Abs 1 Nr 4 GG. Diese umfaßt die rechtlichen Regeln „für die haushälterische Bewirtschaftung des in der Natur vorhandenen Wassers nach Menge und Güte“.481 Nach Art 70 GG ist es Sache der Länder, den bundesrechtlichen Rahmen auszufüllen. Die Verwaltungskompetenz zum Vollzug des Wasserwirtschaftsrechts liegt dagegen ausschließlich und insgesamt bei den Ländern (Art 30, 83 GG). Auf dem Sachgebiet der verkehrsmäßigen Nutzung schiffbarer Gewässer, nämlich der Schiffahrt, der Seewasserstraßen und der dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen, steht dem Bundesgesetzgeber zwar eine konkurrierende Vollkompetenz zu (Art 74 Abs 1 Nr 21 GG). Hierauf können jedoch nur Regelungen gestützt werden, die ausschließlich die Verkehrsfunktion der Wasserstraßen betreffen. Daher steht dem Bund selbst für die Bundeswasserstraßen keine umfassende Gesetzgebungskompetenz in wasserwirtschaftlicher Hinsicht zu.482 Ebenso erfaßt auf der Verwaltungsebene die Kompetenz des Bundes nach Art 89 Abs 2 GG die Bun479

480

481 482

BR-Drucks 702/96, 31 ff; vgl dazu Vierhaus NJW 1998, 1262, 1267; Kobes NVwZ 1998, 786, 796 f; zu vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen Körner/Vierhaus LKV 1996, 345, 350 f. IdF v 22. 3. 1991 (BGBl I 766, ber 1928); dazu Kloepfer/Kröger DÖV 1991, 989 ff; Müggenborg, NVwZ 1991, 738 ff; Breuer, DVBl 1994, 890, 895; Müller/Süß VersR 1993, 1047 ff, 1324 ff. BVerfGE 15, 1, 15. BVerfGE 15, 1 – Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des BundesG zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen v 17. 8. 1960 (BGBl I 2125).

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5. Kap VI 1

Rüdiger Breuer

deswasserstraßen nur als Verkehrswege, nicht dagegen als Wasserspender und Vorfluter.483 Aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung hat der Bund gemäß 128 Art 75 Abs 1 Nr 4 GG im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) vom 27. 7. 1957 484 eine rahmengesetzliche Regelung getroffen. In der Folgezeit ist das Wasserhaushaltsgesetz mehrfach geändert worden, vor allem durch die 4. Novelle vom 26. 4. 1976,485 die 5. Novelle vom 25. 7. 1986 486, die 6. Novelle vom 11. 11. 1996 487 und die 7. Novelle vom 18. 6. 2002.488 Den bundesrechtlichen Rahmen haben die Länder durch die Landeswassergesetze ausgefüllt.489 Auf die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art 75 Abs 1 Nr 4 GG ist auch das Abwasserabgabengesetz 490 gestützt, das die wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung flankieren und der Gewässerverschmutzung durch den ökonomischen Druck der Abgabe entgegenwirken soll.491 Die erforderlichen Ausfüllungsvorschriften der Länder finden sich teils in besonderen Landesgesetzen zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes,492 teils in Bestimmungen der Landeswassergesetze.493 Dem Ziel des Gewässerschutzes dienen ferner stoffbezogene Sondergesetze wie das Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln.494 Eine beachtliche wasserwirtschaftliche Relevanz kommt auch der Trinkwasserverordnung 495 zu, die sich allerdings auf Ermächtigungsgrundlagen des Infektionsschutzgesetzes und des Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetzes stützt. Als situationsbezogenes Sondergesetz für den Verteidigungsfall fungiert das auf Art 73 Nr 1 GG gestützte Wassersicherstel483

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485 486 487

488 489 490 491 492 493 494 495

BVerfGE 21, 312; zu Einzelfragen BVerwG NVwZ-RR 1993, 290; OVG Koblenz ZfW 1975, 65; VG Koblenz DVBl 1974, 301; VG Regensburg BayVBl 1983, 442; Salzwedel DÖV 1968, 103 ff; Breuer DVBl 1974, 268 ff; Friesecke ZfW 1975, 29 ff; ders NuR 1993, 6, 8 ff; Reinhardt ZfW 1989, 61 ff. BGBl I 1110, ber 1386; idF v 19.8.2002 (BGBl I 3245), zul geänd d G v 3. 5. 2005 (BGBl I 1224). BGBl I 1109; dazu Breuer (Fn 258) Rn 8. BGBl I 1165; dazu Nacke NVwZ 1987, 185 ff; Breuer NuR 1987, 49 ff. BGBl I 1690; dazu Berendes ZfW 1996, 363 ff; Breuer in: Rengeling (Hrsg), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren – Deregulierung, 1997, 77 ff; Knopp NJW 1997, 417 ff; Lübbe-Wolff ZUR 1997, 61 ff. BGBl I 1914; G zur Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie (vgl u Rn 129). Zusammenstellung bei v Lersner/Berendes Hdb des Dt WasserR, Bd 2–6. IdF v 18. 1. 2005 (BGBl I 114). Dazu o Rn 93 f. Zusammenstellung bei v Lersner/Berendes (Fn 489). So §§ 64–85 WG NW; §§ 127–140 SaarlWG. IdF v 5. 3. 1987 (BGBl I 875), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). VO v 21. 5. 2001 (BGBl I 959) zur Umsetzung der RL 98/83/EG v 23. 10. 1998 (ABl EG, L 330/32), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304); zur Rechtsentwicklung und zu den Umsetzungsproblemen Kolkmann Die EG-Trinkwasserrichtlinie – die Nitrat- und Pestizidgrenzwerte und ihre Umsetzung im deutschen UmweltR, 1991; Demmke Die Implementation von EG-Umweltpolitik in den Mitgliedstaaten, Umsetzung und Vollzug der Trinkwasserrichtlinie, 1994; Ziehm Europäisches Grund- und TrinkwasserschutzR und die Implementation in Deutschland und Frankreich, 1998; Oehmichen/Schmitz/Seeliger Die neue TrinkwasserV, 2001; Breuer in: Rengeling (Hrsg) EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 69.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VI 1

lungsgesetz.496 Das Wasserwegerecht, das die Verkehrsfunktion der Gewässer betrifft, hat im Bundeswasserstraßengesetz 497 für die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen des Bundes und die Seewasserstraßen eine abschließende Regelung gefunden. Soweit sonstige Gewässer schiffbar sind, fehlt es an einer bundesrechtlichen Regelung, so daß für diese Gewässer wasserwegerechtliche Bestimmungen durch die Länder getroffen werden können.498 Mit zunehmender Breite und Dichte prägen Richtlinien der Europäischen Ge- 129 meinschaft die Ausgestaltung und den Vollzug des nationalen Wasserrechts.499 Nach Art 249 Abs 3 EGV (Art 189 Abs 3 EGV aF) sind diese zwar nicht für den Bürger, jedoch für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zieles – nicht hinsichtlich der rechtlichen Mittel – verbindlich. Ihre Umsetzung in das nationale Wasserrecht erfolgt durch das Wasserhaushaltsgesetz, die Landeswassergesetze sowie jedenfalls auch durch Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder; Verwaltungsvorschriften sind hierfür nach der keineswegs überzeugenden Rechtsprechung des EuGH nicht geeignet.500 In der Rechtspraxis beschränken sich die einschlägigen EG-Richtlinien jedoch seit langem nicht mehr auf rahmensetzende Ziele. Vielmehr enthalten sie detaillierte und intensive Regelungen. Gleichwohl bilden sie „einen Flickenteppich aus unterschiedlichen, teilweise inkonsistenten oder sogar widersprüchlichen Teilregelungen“.501 Die EG-Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG vom 23. 10. 2000 502 strebt zwar eine Vereinheitlichung dieses Flickenteppichs an. Insgesamt bleibt jedoch festzustellen, daß die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) nur eine Teilbereinigung vornimmt und im übrigen das deutsche Wasserrecht sowie die Staatsund Verwaltungsstruktur der EG-Mitgliedstaaten tiefreichenden Systembrüchen unterwirft. Durch Art 22 Abs 1 WRRL werden einige der vorgefundenen EG-Richtlinien wasserrechtlichen Inhalts sieben Jahre nach Inkrafttreten der WRRL, dh zum 22. 12. 2007, aufgehoben. Andere vorgefundene Richtlinien, so die bisher zentrale, vorwiegend emissionsorientierte Gewässerschutzrichtlinie 76/464/EWG 503 und die Grundwasserrichtlinie 80/68/EWG,504 werden 13 Jahre nach Inkrafttreten der WRRL aufgehoben (Art 22 Abs 2 WRRL). Im Anhang IX der WRRL werden indessen die fünf sog Tochterrichtlinien zur Richtlinie 76/464/EWG aufrechterhalten, sie stellen jedoch einen ruinenhaften Torso des gescheiterten Einzelstoffansatzes der europarechtlichen Emissionsbegrenzung für 17 von 132 ursprünglich vorgesehenen Stoffen dar.505 Mit der geforderten Verwaltung in Flußgebietseinheiten (Art 3 496 497 498 499

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V 24.8.1965 (BGBl I 1225, ber 1817), zul geänd d G v 3. 12. 2001 (BGBl I 3306). IdF v 4. 11. 1998 (BGBl I 3294), zul geänd d G v 3. 5. 2005 (BGBl I 1224). Vgl Czychowski/Reinhardt (Fn 294) Einl Rn 34. Überblick bei v Lersner/Berendes (Fn 489) Bd 7, F 5; Breuer (Fn 258) Rn 38 ff; ders DVBl 1997, 1211 ff; Caspar DÖV 2001, 529 ff. Näher dazu u Rn 148; ferner Breuer WiVerw 1990, 79 ff. Breuer DVBl 1997, 1211 mit Nachw u Kritik; umfassend Seidel Gewässerschutz durch europäisches GemeinschaftsR, 2000. ABl EG, L 327/1, zul geänd d EU-Beitrittsakte 2003 v 16. 4. 2003 (ABl EG, L 236/33); umgesetzt durch die 7. Novelle zum WHG (o Fn 488). ABl EG, L 129/23; geänd d RL 91/692/EWG v 31. 12. 1991 (ABl EG, L 377/48). ABl EG, L 20/43; geänd d RL 91/692/EWG v 31. 12. 1991 (ABl EG, L 377/48). Breuer DVBl 1997, 1211, 1229 ff mwN.

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5. Kap VI 1

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WRRL), den maßgeblichen Umweltzielen (Art 4 WRRL), dem auf Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne (Art 11, 13 WRRL) zentrierten Instrumentarium und der umfassenden Berichtspflicht der Mitgliedstaaten (Art 15 WRRL) gibt das Europarecht keinen normativen, ordnungsrechtlichen Systemrahmen vor. Vielmehr fordert sie eine europaweite, perfektionistisch konzipierte Wasserbewirtschaftung. Verbunden ist diese mit der Pflicht der Mitgliedstaaten, geeignete Verwaltungsstrukturen („Verwaltungsvereinbarungen“) zu schaffen (Art 3 Abs 2 WRRL), sowie mit einer umfassenden, ziel- und planorientierten Rechenschaftspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EG-Kommission. Die WRRL erweist sich damit als extremes Beispiel der finalen Rechtsetzung auf der europäischen Ebene.506 Hierdurch begegnet sie verfassungs- und europarechtlichen, aber auch umweltpolitischen Einwänden. Sie greift nachhaltig in die institutionelle Autonomie der Mitgliedstaaten ein, was hinsichtlich „geeigneter“, die Staatsgrenzen überschreitender Verwaltungsstrukturen („Verwaltungsvereinbarungen“) die Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und des Bundesstaats berührt.507 Zudem leidet sie an einer Schlagseite zu finalen, gewässer- und immisionsseitigen Anforderungen. Der kombinierte, Emissionsbegrenzungen für 32 prioritäre Stoffe einschließende Ansatz (Art 10, 16 Abs 2 WRRL) ist eine lex imperfecta, also ein Wechsel auf eine ungewisse Zukunft europäischer Emissionsbegrenzungen.508 Gerade im Wasserrecht kommt die Rechtsprechung des EuGH hinzu, derzufolge 129a EG-Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine unmittelbare Rechtswirkung zugunsten des Bürgers entfalten können, wenn die innerstaatliche Umsetzung nicht, nicht fristgemäß oder nicht korrekt erfolgt.509 Aus rechtsstaatlichen Gründen kann indessen eine unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien keine Belastungen und somit auch keine umweltbezogenen, über das nationale Recht hinausgehenden Pflichten des Bürgers erzeugen.510 Die grenzüberschreitende Dimension der Qualitätsund Quantitätsprobleme der Wasserwirtschaft hat schließlich ihren Ausdruck in einer Reihe völkerrechtlicher Verträge gefunden, die auch die Bundesrepublik Deutschland als beteiligten Staat binden.511

506 507

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511

Allgem dazu o Rn 54–56 und u Rn 148. Breuer DVBl 1997, 1211, 1217 ff; ders NVwZ 1998, 1001 ff; ders NuR 2001, 541 ff; ders in: Kloepfer (Hrsg), Umweltföderalismus, 2002, 403, 425 ff; ders in: Rengeling (Hrsg) EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 65 Rn 45 ff, 53 ff; auch Bosenius, NVwZ 1998, 1039 ff; Reinhardt DVBl 2001, 145 ff; Ruchay ZUR 2001, 115 ff; Appel ZUR 2001, 129 ff; Caspar DÖV 2001, 529 ff; Faßbender NVwZ 2001, 241 ff; Schmalholz ZfW 2001, 69 ff. Vgl Breuer in: Rengeling (Hrsg.), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 65 Rn 69, 132 ff. Grundlegend EuGH Slg 1970, 825, 861, 881; 2000, I-6917; vgl dazu Grabitz EuR 1971, 1 ff; Everling in: FS Carstens, Bd 1, 1984, 95 ff; billigend im Hinblick auf Art 24 Abs 1 GG BVerfGE 75, 223, 235 ff. Breuer WiVerw 1990, 79, 96 f; Royla/Lackhoff DVBl 1998, 1116 ff; aA Krämer WiVerw 1990, 138 ff; jeweils mwN. Zusammenstellung bei Breuer (Fn 258) Rn 99f; Koch/Lagoni (Hrsg), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 1996.

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5. Kap VI 2 a

2. Die allgemeine wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung a) Verwaltungs- und verfassungsrechtliche Grundsätze Der sachliche Geltungsbereich der wasserwirtschaftsrechtlichen Benutzungsord- 130 nung wird durch den Gewässerbegriff des § 1 WHG und ergänzender Bestimmungen der Landeswassergesetze bestimmt. Nach § 1 Abs 1 WHG gibt es drei Kategorien von Gewässern: oberirdische Gewässer, Küstengewässer und Grundwasser. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise Gewässer benutzt werden dürfen, ist primär im öffentlichen Recht geregelt. Gewässer sind öffentliche Sachen. Als solche haben sie – mit Ausnahme der im öffentlichen Eigentum stehenden Oberflächengewässer in Baden-Württemberg 512 – grundsätzlich einen dualistischen Status. Einerseits sind sie Gegenstände privatrechtlichen Eigentums, andererseits sind sie einer öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung und Benutzungsordnung unterworfen, welche die privatrechtliche Eigentumsordnung überlagert.513 Die oberirdischen Gewässer werden herkömmlich zu den öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch gezählt.514 Allerdings ist der Gemeingebrauch (§ 23 WHG) ebenso wie der Eigentümer- und Anliegergebrauch (§ 24 WHG) heute auf wasserwirtschaftlich periphere Benutzungen zurückgedrängt. Da die wesentlichen Gewässerbenutzungen hingegen nur auf der Grundlage einer im Einzelfall erteilten Erlaubnis oder Bewilligung zulässig sind, müssen nach richtiger Ansicht die Gewässer, und zwar auch die oberirdischen Gewässer, als öffentliche Sachen im Sondergebrauch qualifiziert werden.515 § 1 a WHG fungiert als programmatische Leitnorm, die für die gesamte wasser- 131 wirtschaftsrechtliche Ordnung drei tragende Grundsätze aufstellt. Nach § 1 a Abs 1 Satz 1 WHG sind die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushaltes und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Sie sind so zu bewirtschaften, daß sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen einzelner dienen, vermeidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Funktionen und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt unterbleiben und damit insgesamt eine nachhaltige Entwicklung gewährleistet wird (§ 1 a Abs 1 Satz 2 WHG). Die Vorschrift bildet keine selbständige Ermächtigungsgrundlage für behördliche Eingriffs- oder Gestaltungsmaßnahmen.516 Vielmehr handelt es sich bei dieser Verpflichtung, deren Adressaten die Behörden der Wasserwirtschaft sind, um eine Ermessensdirektive für den Vollzug wasserwirtschaftsrechtlicher Vorschriften. Das primär zu verfolgende Wohl der 512

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§§ 4, 5 WG BW; § 4 a HambWG regelt ein öffentliches Eigentum lediglich an Hochwasserschutzanlagen. Allgem hierzu Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 40 Rn 18 ff; ders Recht der öffentl Sachen, 3. Aufl 1998, 3 ff. BVerwGE 32, 299, 302 f; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, Vorb 8 ff vor § 1 und § 2 Rn 1; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) Einl Rn 47. So auch Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 41 Rn 19 ff; ders Recht der öffentl Sachen (Fn 513) 23 ff. Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 1 a Rn 4; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 1 a Rn 3.

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Allgemeinheit umfaßt neben den im Vordergrund stehenden Belangen der Wasserwirtschaft auch andere Belange des öffentlichen Wohls.517 § 1 a Abs 2 WHG verpflichtet jedermann, bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um eine Verunreinigung des Wassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften zu verhüten, um eine mit Rücksicht auf den Wasserhaushalt gebotene sparsame Verwendung des Wassers zu erzielen, um die Leistungsfähigkeit des Wasserhaushalts zu erhalten und um eine Vergrößerung und Beschleunigung des Wasserabflusses zu vermeiden. Von dieser Verpflichtung sind nicht nur Behörden und sonstige öffentliche Stellen betroffen, sondern alle Bürger, die gewässerrelevante Handlungen vornehmen.518 Die Vorschrift bezieht insbesondere auch Handlungen im Vorfeld der wasserwirtschaftsrechtlichen Kontrollen ein und begründet eine allgemeine Sorgfaltspflicht, die kraft öffentlichen Rechts im Wege eines polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Einschreitens der Wasserbehörden durchgesetzt werden kann.519 Nach § 1 a Abs 4 WHG berechtigt das Grundeigentum weder zu einer Gewäs132 serbenutzung, die nach dem WHG oder den Landeswassergesetzen einer Erlaubnis oder Bewilligung bedarf, noch zum Ausbau eines oberirdischen Gewässers. Diese Bestimmung kehrt deklaratorisch heraus, was schon vor ihrer Einfügung 520 überkommener Inhalt des öffentlichen Wasserwirtschaftsrechts war. Vor allem hat § 1 a Abs 4 Nr 1 WHG den Vorrang der öffentlich-rechtlichen Herrschaft über das Grundwasser im Verhältnis zum Grundeigentum und zur privaten Bodennutzung klargestellt. Hierbei handelt es sich, wie das BVerfG in seinem vielbeachteten Naßauskiesungsbeschluß 521 entschieden hat, um eine verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums. Nach der Erkenntnis des BVerfG 522 steht es mit Art 14 GG in Einklang, daß das WHG das unterirdische Wasser zur Sicherung einer funktionsfähigen Wasserbewirtschaftung – insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung – einer vom Grundstückseigentum getrennten öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung unterstellt hat. b) Die Rechtsinstitute der Erlaubnis und der Bewilligung 133 Die allgemeine wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung wird vor allem durch den Erlaubnis- oder Bewilligungsvorbehalt für Gewässerbenutzungen geprägt (§ 2 Abs 1 WHG). Erlaubnis und Bewilligung unterscheiden sich grundsätzlich nicht nach dem Gegenstand und dem Umfang der ermöglichten Gewässerbe517 518

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Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 1 a Rn 5. BT-Drucks 7/888, 15; 7/1088, 13; 7/4546, 5; BVerwG ZfW 1991, 229; OVG Koblenz ZfW 1996, 394; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 1 a Rn 16. BVerwG ZfW 1991, 228 f; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 1 a Rn 15, 25. Durch die 4. Novelle zum WHG v 26. 4. 1976 (o Rn 128 mit Fn 485). BVerfGE 58, 300 → JK GG Art 14 I 2/13; dazu sowie zu der vorausgegangenen Kontroverse über die Verfassungsmäßigkeit der wasserwirtschaftsrechtlichen Benutzungsordnung auch o Rn 30; ferner Sendler ZfW 1979, 65 ff; Breuer ZfW 1979, 78 ff; ders (Fn 258) Rn 171 ff mwN. BVerfGE 58, 300, 337 ff → JK GG Art 14 I 2/13.

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nutzung, sondern durch die Art der gewährten Rechtsstellung. Eine Ausnahme hiervon ergibt sich aus § 8 Abs 2 Satz 2 WHG. Danach darf die Bewilligung nicht für das Einbringen oder Einleiten von Stoffen in ein Gewässer sowie für Benutzungen iSd § 3 Abs 2 Nr 2 WHG erteilt werden. Gemeinsam ist beiden Rechtsinstituten die Dinglichkeit. Ebenso wie die Erlaubnis geht die Bewilligung mit der Wasserbenutzungsanlage oder, wenn sie für ein Grundstück erteilt ist, mit diesem auf den Rechtsnachfolger über, soweit bei der Erteilung nichts anderes bestimmt ist (§§ 7 Abs 2, 8 Abs 6 WHG). Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, daß mit der Erteilung kein Recht auf Zufluß von Wasser bestimmter Menge und Beschaffenheit eingeräumt wird (§ 2 Abs 2 Satz 1 WHG). Die Bewilligung gewährt das beständige und nur begrenzt widerrufbare, aller- 134 dings befristete Recht zu einer bestimmten Gewässerbenutzung (§ 8 Abs 1 Satz 1 und § 12 WHG). Die Frist muß von der Wasserbehörde angemessen bestimmt werden und darf nur in besonderen Fällen dreißig Jahre überschreiten (§ 8 Abs 5 WHG). Die Bewilligung sichert den Begünstigten nicht nur gegenüber Maßnahmen der Verwaltungsbehörden, sondern auch gegenüber betroffenen Dritten, indem sie gesetzliche Ansprüche Betroffener auf Beseitigung einer Störung, Unterlassung der Benutzung, Herstellung von Schutzeinrichtungen oder Schadensersatz ausschließt (§ 11 Abs 1 Satz 1 WHG).523 Dieser nachbarrechtsgestaltenden Wirkung entspricht das Erfordernis, daß die Bewilligung nur in einem förmlichen Verfahren und im Falle der Erhebung von Einwendungen nur unter Berücksichtigung von Einwirkungen auf Rechte und Interessen Dritter erteilt werden darf (§ 8 Abs 3 und 4, §§ 9, 10 WHG). In der Rechtspraxis bildet jedoch die Erlaubnis den Regelfall der Benutzungs- 135 gestattung. Sie gewährt lediglich die widerrufliche Befugnis, ein Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen; sie kann, muß aber nicht befristet werden (§ 7 Abs 1 Satz 1 WHG). Während das WHG der Erlaubnis die Drittwirkung versagt und die Drittbetroffenen somit auf die Geltendmachung privatrechtlicher Abwehr-, Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche im Zivilrechtsweg verweist, haben die Landeswassergesetze die Erlaubnis insofern unterschiedlich ausgestaltet und teilweise „aufgebessert“. Lediglich das Hamburgische Wassergesetz hat es bei der Regelung des § 7 WHG belassen und dadurch die Drittinteressen bei der Erlaubniserteilung aus dem Spiele gehalten (§ 17 HbgWG). § 16 WG BW begnügt sich mit der ergänzenden Bestimmung, daß die Rechte und Interessen Dritter im Verfahren der Erlaubniserteilung unter entsprechender Anwendung der für die Bewilligung geltenden Vorschriften zu berücksichtigen sind; hiermit ist keine anspruchsausschließende Drittwirkung verbunden. Eine ähnliche, rein verfahrensrechtliche Regelung trifft § 13 Abs 1 SächsWG. Danach wird die Erlaubnis grundsätzlich ohne förmliches Verfahren erteilt; ein solches findet nach Maßgabe der für die Bewilligung geltenden Vorschriften (§ 14 Abs 1 SächsWG) vor der Erteilung einer Erlaubnis nur statt, wenn die betreffende Benutzung einer Umweltverträglichkeitsprüfung 524 bedarf oder wenn die zuständige Behörde ein förmliches Verfahren für geboten hält, weil das Vorhaben wasserwirt523 524

Vgl BGHZ 147, 125. Vgl dazu o Rn 49.

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schaftlich bedeutsam ist und Einwendungen zu erwarten sind. Im Gegensatz dazu kennen die Wassergesetze der Länder Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen neben der beschränkten, der bundesrechtlichen Regelung entsprechenden Erlaubnis eine gehobene Erlaubnis. Diese kann zum einen für Gewässerbenutzungen, die im öffentlichen Interesse liegen, und zum anderen bei einem besonderen Schutzbedürfnis des Unternehmers erteilt werden.525 Durchweg unterliegt die gehobene Erlaubnis den entsprechend anwendbaren bewilligungsrechtlichen Vorschriften über die Berücksichtigung der Drittinteressen. Sie schließt Ansprüche Dritter auf Unterlassung der Benutzung aus; in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein kommt ihr sogar eine umfassende Dritt- und Ausschlußwirkung gegenüber gesetzlichen Ansprüchen der Betroffenen zu.526 Noch einen Schritt weiter ist das Berliner Wassergesetz gegangen, indem es jede Erlaubnis allgemein – unbeschadet ihrer Widerruflichkeit – mit der gleichen nachbarrechtsgestaltenden Wirkung ausgestattet hat, wie sie der Bewilligung zukommt.527 c) Erlaubnis- oder bewilligungspflichtige Benutzungen 136 Das Erfordernis einer Erlaubnis oder Bewilligung (§ 2 Abs 1 WHG) setzt eine Gewässerbenutzung voraus. Die Einzeltatbestände der Gewässerbenutzungen sind in § 3 WHG geregelt. Dabei wird der Kreis der bewirtschafteten Benutzungen weit gezogen.528 Hierunter fallen das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus oberirdischen Gewässern,529 das Aufstauen und Absenken von oberirdischen Gewässern, das Entnehmen fester Stoffe aus oberirdischen Gewässern, soweit dies auf den Zustand des Gewässers oder auf den Wasserabfluß einwirkt, das Einbringen und Einleiten von festen oder flüssigen Stoffen in oberirdische Gewässer oder Küstengewässer, das Einleiten von flüssigen Stoffen in das Grundwasser sowie das Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten und Ableiten von Grundwasser (§ 3 Abs 1 WHG).530 Diesen sog echten Benutzungen, die gezielte Einwirkungen auf die Gewässer darstellen,531 werden in § 3 Abs 2 WHG die sog unechten Benutzungen gleichgestellt. Als erlaubnis- oder bewilligungspflichtige Benutzungen gelten danach auch das Aufstauen, Absenken und Umleiten von Grundwasser durch Anlagen, die hierzu bestimmt oder geeignet sind, sowie Maßnahmen, die geeignet sind, dauernd 525

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Art 16, 17 BayWG; § 29, 30 BbgWG; §§ 10, 11 BremWG; §§ 19, 20 HessWG; §§ 8, 9 WG MV; §§ 10, 11 NdsWG; §§ 25, 25 a WG NW; § 27 WG Rh-Pf; §§ 15, 16 SaarlWG; §§ 11, 12 WG LSA; § 10 Abs 1 WG Schl-H; § 20 ThürWG. § 27 Abs 2 Satz 4 WG Rh-Pf; § 10 Abs 1 Satz 2 WG Schl-H; jeweils iVm § 11 WHG. § 16 Abs 1 BerlWG; die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit den bundesrahmenrechtlichen §§ 7 ff WHG steht nicht außer Zweifel; vgl Breuer (Fn 258) Rn 187 mit Fn 123. Vgl zu den Benutzungstatbeständen im einzelnen Breuer (Fn 258) Rn 208 ff; Spranger JA 2001, 310 ff. ZB die Entnahme von Kühlwasser für ein Kraftwerk; OVG Münster ZfW 1974, 235. Zur Grundwasserförderung zB BVerwGE 20, 219 (Gildebrauerei-Fall) = ZfW 1965, 98 (ausführlicher); auch BVerwG DVBl 1968, 32 (Füssing-Fall). BVerwG NJW 1974, 815.

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oder in einem nicht nur unerheblichen Ausmaß schädliche Veränderungen der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Wassers herbeizuführen. Hierunter fällt zB eine Trockenauskiesung, die definitionsgemäß oberhalb des Grundwasserspiegels bleibt, jedoch die Bodendeckenschicht wesentlich verringert.532 Maßnahmen der Bodendüngung sowie die Anwendung von Pestiziden und Herbiziden in der Land- und Forstwirtschaft stellen aufgrund ihrer Zweckrichtung kein Einleiten von Schadstoffen in das Grundwasser oder in ein Oberflächengewässer, sondern allenfalls wegen einer konkreten und darlegungsbedürftigen Schädigungseignung eine unechte Gewässerbenutzung nach § 3 Abs 2 Nr 2 WHG dar.533 Ein Verregnen oder Verrieseln von Abwässern außerhalb sachgemäßer landwirtschaftlicher Düngung ist indessen als erlaubnispflichtiges Einleiten von Stoffen in das Grundwasser zu qualifizieren.534 Einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürfen schließlich auch Maßnahmen zur Unterhaltung eines oberirdischen Gewässers, soweit hierbei chemische Mittel verwendet werden (§ 3 Abs 3 Satz 2 WHG); dies trifft zB für chemische Entkrautungen eines Gewässers zu.535 Bestimmte Gewässerbenutzungen von geringerer wasserwirtschaftlicher Bedeu- 137 tung werden durch das WHG und die landesgesetzlichen Ausfüllungsvorschriften ausdrücklich von der Erlaubnis- oder Bewilligungspflicht ausgenommen. Aufgrund des Gemeingebrauchs darf nach § 23 WHG jedermann oberirdische Gewässer in einem Umfang benutzen, wie dies nach Landesrecht gestattet ist, soweit nicht Rechte anderer entgegenstehen und soweit Befugnisse oder der Eigentümer- oder Anliegergebrauch anderer dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Landeswassergesetze schränken den Gemeingebrauch fast ausschließlich auf traditionelle, heute minder bedeutsame Benutzungen ein. So erstreckt sich der Gemeingebrauch nach nahezu allen Landeswassergesetzen auf das Baden, Waschen (nicht von Kraftfahrzeugen), Schöpfen mit Handgefäßen, Viehtränken, Schwemmen und das Fahren mit kleinen Wasserfahrzeugen ohne eigene Triebkraft.536 Das Befahren eines Gewässers 532

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OVG Münster ZfW 1973, 56; VGH BW ZfW 1997, 32; zugrunde gelegt auch in BGHZ 84, 230; BGH ZfW 1983, 23. BGH NJW 1966, 1570; Salzwedel NuR 1983, 41, 44 f; Rösgen AgrarR 1983, 141, 148 f; Breuer und v Mutius AgrarR 1985, Beil II zu Heft 5, 2 ff, 11 ff; aA OVG Münster NVwZ 1983, 619 (Einleiten in das Grundwasser); vermittelnd zu einem Grenzfall OVG Münster ZfW 1989, 226f; ausf zum Ganzen Möker Gewässerbelastungen durch Agrarstoffe, 1993, 114 ff; Linden Gewässerschutz und landwirtschaftliche Bodennutzung, 1993, 109 ff; Härtel Düngung im Agrar- und UmweltR, 2002; dieser Problembereich ist durch die RL 91/676/ EWG v 12. 12. 1991 (ABl EG, L 375/1, zul geänd d VO (EG) 1882/2003, ABl EG L 284/1) und die DüngeV v 26. 1. 1996 (BGBl I 118, zul geänd d VO v 14. 2. 2003, BGBl I 235) geregelt; dazu Vorreyer in: Koch/Lagoni (Fn 511) 273 ff. OVG Lüneburg ZfW-Sonderheft 1972 II Nr 8; zur Abgrenzung gemäß § 2 Abs 2 AbwAG auch OVG Münster NVwZ 1986, 948; 1988, 566 f (problematisch). Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 3 Rn 89; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 3 Rn 11 a. § 26 Abs 1 Satz 1 WG BW; Art 21 Abs 1 Satz 1 BayWG; § 25 Abs 1 Satz 1 BerlWG; § 43 Abs 1 BbgWG; § 71 Abs 1 Satz 1 BremWG; § 9 Abs 1 Satz 1, § 10 Abs 2 Satz 1 HambWG; § 32 Abs 1 HessWG; § 21 Abs 1–3 WG M-V; § 73 Abs 1 Satz 1 NdsWG; § 33 Abs 1 Satz 1 WG NW; § 36 Abs 1 Satz 1 WG Rh-Pf; § 22 Abs 1 Satz 1 SaarlWG; § 34 Abs 1 SächsWG; § 75 Abs 1 Satz 1 WG LSA; § 14 Abs 1 u 3 WG Schl-H; § 37 Abs 1 Satz 1 ThürWG; vgl zum Ganzen Breuer (Fn 258) Rn 264 ff.

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mit Motorfahrzeugen fällt somit grundsätzlich nicht unter den wasserwirtschaftlichen Gemeingebrauch. Überdies lassen die Landeswassergesetze durchweg – allerdings in verschiedenem Maße – zu, daß die Ausübung des Gemeingebrauchs geregelt, über den gesetzlichen Umfang hinaus beschränkt oder verboten wird.537 Eine Erlaubnis oder Bewilligung ist weiterhin nicht erforderlich, soweit die Be138 nutzung eines oberirdischen Gewässers vom Eigentümer-, Anlieger- oder Hinterliegergebrauch gedeckt ist. Der Eigentümergebrauch umfaßt nach § 24 Abs 1 Satz 1 WHG die Benutzung eines oberirdischen Gewässers durch den Eigentümer oder den durch ihn Berechtigten, etwa Nießbraucher, Pächter oder Mieter, für den eigenen Bedarf, wenn dadurch andere nicht beeinträchtigt werden, keine nachteilige Veränderung der Eigenschaft des Wassers, keine wesentliche Verminderung der Wasserführung und keine andere Beeinträchtigung des Wasserhaushalts zu erwarten sind. Von der Möglichkeit, den Eigentümergebrauch auszuschließen, soweit er bisher nicht zugelassen war (§ 24 Abs 1 Satz 2 WHG), hat nur das Saarländische Wassergesetz Gebrauch gemacht.538 Nach § 24 Abs 2 WHG können die Länder bestimmen, daß die Eigentümer der an oberirdische Gewässer angrenzenden Grundstücke und die zur Nutzung dieser Grundstücke Berechtigten (Anlieger) sowie die Eigentümer der an Anliegergrundstücke angrenzenden Grundstücke und die zur Nutzung dieser Grundstücke Berechtigten (Hinterlieger) oberirdische Gewässer ohne Erlaubnis oder Bewilligung nach Maßgabe des zulässigen Eigentümergebrauchs benutzen dürfen. Während die meisten Landeswassergesetze einen solchen Anliegergebrauch zugelassen haben,539 ist ein Hinterliegergebrauch nur durch § 27 WG BW und § 35 SächsWG gestattet. Erlaubnis- und bewilligungsfrei sind ferner einige weniger bedeutsame Benut139 zungen der Küstengewässer (§ 32 a WHG, § 23 WG M-V, § 130 NdsWG, § 17 WG Schl-H) und des Grundwassers (§ 33 WHG). Dies gilt insbesondere für das Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten oder Ableiten von Grundwasser für Zwecke des Haushalts, des landwirtschaftlichen Hofbetriebs 540 oder einer geringfügigen und vorübergehenden Nutzung (zB Probebohrungen) sowie für den Zweck der gewöhnlichen landwirtschaftlichen Bodenentwässerung, sofern nicht von den Benutzungen signifikante nachhaltige Auswirkungen auf den Zustand des Gewässers zu erwarten sind (§ 33 Abs 1 WHG). Weitere Ausnahmen von der Erlaubnis- oder Bewilligungspflicht betreffen alte 140 Rechte, alte Befugnisse und andere alte Benutzungen, die das WHG aus der Zeit der 537

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So § 28 Abs 2 WG BW; Art 22 BayWG; § 25 Abs 6 BerlWG; § 44 BbgWG; § 76 Nr 1 BremWG; § 11 HambWG; § 32 Abs 4 Satz 1 HessWG; § 21 Abs 6 WG M-V; § 75 NdsWG; § 34 WG NW; § 37 WG Rh-Pf; § 23 SaarlWG; § 34 Abs 4 SächsWG; § 77 WG LSA; §§ 19 WG Schl-H; § 37 Abs 3, 4 ThürWG; näher dazu Breuer (Fn 258) Rn 270 ff; vgl zu den Beschränkungsmöglichkeiten des Wassersports durch die Gemeingebrauchs- und Schiffahrtsvorschriften im WasserR auch Kloepfer/Brandner NVwZ 1988, 115 ff; Blumenberg Steuerung des Wassersports durch UmweltR, 1995. § 25 Abs 1 SaarlWG; durch die Eröffnung des Anliegergebrauchs gem § 25 Abs 2 SaarlWG entsteht hier jedoch praktisch keine Lücke. So § 27 WG BW; Art 24 BayWG; § 26 Abs 2 BerlWG; § 45 BbgWG; § 35 WG NW; § 38 Abs 2 WG Rh-Pf; § 25 Abs 2 SaarlWG; § 35 SächsWG; § 20 WG Schl-H. Vgl zur Abgrenzung BayVGH DVBl 1965, 43 f; OVG Münster ZfW 1989, 44.

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früheren Rechtslage vorgefunden und aus Praktikabilitätserwägungen sowie aus Gründen des eigentumsrechtlich gebotenen Bestandsschutzes aufrechterhalten hat (§§ 15–17 WHG).541 Schließlich bedarf es weder einer Erlaubnis noch einer Bewilligung für Maßnahmen, die dem Ausbau eines oberirdischen Gewässers dienen (§ 3 Abs 3 Satz 1 WHG). Die hierdurch berührten öffentlichen und privaten Interessen werden im Planfeststellungsverfahren nach § 31 WHG, zumindest aber in einem Plangenehmigungsverfahren umfassend geprüft.542 d) Die allgemeinen Voraussetzungen der Erteilung einer Erlaubnis oder Bewilligung Die Erteilung einer Erlaubnis oder Bewilligung ist kein rechtlich gebundener, son- 141 dern ein im Ermessen der Wasserbehörde stehender Verwaltungsakt.543 Bei der Entscheidung über einen Erlaubnis- oder Bewilligungsantrag verdienen allerdings die zwingenden Versagungsgründe des § 6 Abs 1 und 2 WHG vordringliche Beachtung. Danach sind die Erlaubnis und die Bewilligung zu versagen, soweit von der beabsichtigten Benutzung eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung, zu erwarten ist, die nicht durch Auflagen oder durch Maßnahmen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verhütet oder ausgeglichen wird (§ 6 Abs 1 WHG). Die Normstruktur dieser Vorschrift macht eine zweistufige Prüfung erforderlich, die sich erstens auf die rechtsbegrifflich-tatbestandlichen Voraussetzungen des wiedergegebenen zwingenden Versagungsgrundes und – bei dessen Verneinung – zweitens auf die gemeinwohlbezogene Opportunität der Benutzung im Rahmen der öffentlichen Bewirtschaftung der Gewässer bezieht.544 Soweit die Wasserbehörden dabei auf der ersten Stufe über die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 6 WHG zu entscheiden haben, steht ihnen kein Beurteilungsspielraum zu; insoweit ist ihre Entscheidung mithin voll justitiabel.545 Erst wenn die rechtsbegrifflichen Voraussetzungen für den unabdingbaren Minimalschutz der Gewässer erfüllt sind, setzt der Ermessensspielraum der Behörden ein. Er dient einer einzelfallbezogenen Optimierung des Gewässerschutzes. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich insoweit auf das Vorliegen von Ermessens541

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Näher dazu Breuer (Fn 258) Rn 284 ff; ders in: ders (Hrsg), Gewässerausbau, Wasserkraftnutzung und alte Mühlenrechte, 2001, 99 ff. Vgl zur Naßauskiesung BVerwGE 55, 220, 223; 79, 318 f; OVG Münster NVwZ-RR 1994, 495; Müllmann Die Plangenehmigung im WasserR, 1994; Sprogies ZfW 1994, 385 ff; ferner Breuer (Fn 258) Rn 138 ff, 257 ff, 965 ff; ders in: FS Hoppe, 2000, 667 ff; Wolf UmwR, Rn 417 ff. Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 6 Rn 28 ff; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 6 Rn 2; Salzwedel RdWW 15, 35, 48 ff; 22, 53 ff; Breuer (Fn 258) Rn 359 ff mwN; in der neueren Rspr zB BVerwGE 78, 40; 81, 348 → JK WHG § 6/1; vgl o Rn 75. So die hM; vgl etwa BVerwGE 78, 40; VGH BW ZfW 1973, 189 f; ZfW 1980, 233, 236; ZfW 1981, 27 ff; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 6 Rn 2 f; Henseler Das Recht der Abwasserbeseitigung, 1983, 31 f; Breuer (Fn 258) Rn 372 mwN; Büllesbach DÖV 1992, 477, 481 f; Viertel Vorsorge im AbwasserR, 1995, 282 ff; krit zum Ganzen Hasche Das neue Bewirtschaftungsermessen im WasserR, 2005, 29 ff. Breuer (Fn 258) Rn 375.

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fehlern.546 Rechtserhebliche Ermessensdirektiven ergeben sich indessen aus den gesetzlichen Bewirtschaftungszielen (§§ 25 a–25 d, 32 c, 33 a WHG) und der wasserwirtschaftlichen Planung in Gestalt vorhandener Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne (§§ 36, 36 b WHG).547 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Beeinträchtigung des Wohls der 142 Allgemeinheit zu erwarten ist, beantwortet das Wasserhaushaltsgesetz allein in wasserwirtschaftlichem Zusammenhang; ob das Gemeinwohl unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten beeinträchtigt ist, muß nach den jeweils hierfür einschlägigen Fachgesetzen beurteilt werden.548 Dieser Grundsatz schließt es allerdings nicht aus, nicht-wasserwirtschaftliche Belange dann in einem Erlaubnis- oder Bewilligungsverfahren zu berücksichtigen, wenn für ihre Wahrung kein eigenständiges fachbehördliches Kontroll- oder Zulassungsverfahren vorgeschrieben ist.549 Dementsprechend muß die Wasserbehörde bei ihren Entscheidungen über Erlaubnisoder Bewilligungsanträge Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach Maßgabe der hierfür geltenden Regelungen über Eingriffe in Natur und Landschaft (§§ 18–21 BNatSchG und landesgesetzliche Ausfüllungsvorschriften) berücksichtigen.550 Aus den gleichen Gründen sind bei der Gemeinwohlprüfung nach § 6 Abs 1 WHG gesundheitliche Gefahren zu berücksichtigen, die mit der beabsichtigten Gewässerbenutzung verbunden sind.551 Beim Einleiten von Stoffen in das Grundwasser sind die verschärften, über § 6 143 Abs 1 WHG hinausgehenden Anforderungen des Besorgnisgrundsatzes nach § 34 Abs 1 WHG zu beachten. Hiernach darf eine Erlaubnis nur erteilt werden, wenn eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften nicht zu besorgen ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts – etwa durch das Eindringen von Schadstoffen in das Grundwasser – nach den gegebenen Umständen und im Rahmen einer sachlich vertretbaren, auf konkreten Feststellungen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist.552 Ein striktes Verbot gilt auch insofern, als feste Stoffe in ein oberirdisches Gewässer nicht zu dem Zweck eingebracht werden dürfen, sich ihrer zu entledigen (§ 26 Abs 1 WHG). Über die Grundregel des § 6 Abs 1 WHG hinausgehend, stellt § 8 Abs 2 WHG 144 für die Erteilung einer Bewilligung besondere rechtsbegriffliche Voraussetzungen auf. Hiernach darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn erstens dem Unternehmer die Durchführung seines Vorhabens ohne eine gesicherte Rechtsstellung nicht zugemutet werden kann und zweitens die Benutzung einem bestimmten 546 547 548 549 550

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Näher zum Ganzen Breuer (Fn 258) Rn 372, 389 ff. Vgl dazu u Rn 149 ff. Vgl BVerfGE 58, 300, 348 → JK GG Art 14 I 2/13; BVerwGE 55, 222, 229. Näher dazu Breuer (Fn 258) Rn 397 ff. Vgl zu § 8 BNatSchG aF: VGH BW RdL 1981, 54, 56; HessVGH AgrarR 1983, 100; VG Frankfurt/M NuR 1983, 160 m Anm von Bickel; auch BVerwG ZfW 1991, 159 (für die Planfeststellung nach § 31 WHG); zu §§ 18–21 BNatSchG nF o Rn 121 ff. BVerwGE 81, 347 → ZfW 1990, 276 m Anm v Knopp → JK WHG § 6/1; BayVGH ZfW 1988, 425; OVG Lüneburg OVGE 27, 486, 489; Keppeler NVwZ 1992, 137 ff; aA Kotulla WHG, 2003, § 1 a Rn 14, § 6 Rn 9. BVerwG DÖV 1981, 104 f; 1983, 101.

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Zweck dient, der nach einem bestimmten Plan verfolgt wird. Darüber hinaus ist bei einer Bewilligung – auf Einwendungen Betroffener hin – die Verträglichkeit mit Drittinteressen zu prüfen (§ 8 Abs 3 WHG). Als Rechte Betroffener kommen zunächst Benutzungsrechte an Gewässern aufgrund früher erteilter Bewilligungen sowie alte Rechte gemäß § 15 WHG in Betracht. Aus der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG läßt sich bei verfassungskonformer Gesetzesauslegung ein Abwehranspruch herleiten, wenn die aktuelle Nutzung des Grundeigentums schlechthin auf dem Spiel steht.553 Nach § 8 Abs 4 WHG können die Länder weitere Fälle bestimmen, in denen ein Betroffener im Bewilligungsverfahren zu Einwendungen wegen nachteiliger Wirkungen berechtigt ist und § 8 Abs 3 WHG entsprechend gilt. Die einschlägigen landesgesetzlichen Ausfüllungsvorschriften 554 enthalten materielles Wasser-Nachbarrecht.555 Die meisten Landeswassergesetze haben darüber hinaus die Berücksichtigung von Drittinteressen für die Entscheidung über eine Erlaubnis vorgeschrieben.556 Überdies leitet die neuere Rechtsprechung 557 aus § 1 a Abs 1 sowie aus § 4 Abs 1 iVm § 18 und § 19 a WHG ein allgemeines, partiell drittschützendes Gebot der Rücksichtnahme ab, das bei allen Entscheidungen über wasserrechtliche Gestattungen – einschließlich der schlichten Erlaubnis – zu beachten ist. e) Die emissionsbezogenen Einleitungsanforderungen des § 7a WHG Als Ausdruck des Verursacher- sowie des Vorsorgeprinzips stellt § 7a WHG beson- 145 dere Anforderungen an das Einleiten von Abwasser 558 in ein Gewässer auf.559 Eine Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn die Schadstofffracht des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist (§ 7 a Abs 1 Satz 1 WHG). Hierbei handelt es sich um technisch geprägte Mindestanforderungen, die einheitlich und gewässerunabhängig einzuhalten sind. Aus gewässer- und immissionsbezogenen 553 554

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BVerwGE 36, 248, 259 f; BVerwG NVwZ-RR 1994, 494; Salzwedel RdWW 18, 93, 103. § 15 WG BW; § 18 BayWG; § 17 BerlWG; § 32 BbgWG; § 13 BremWG; § 18 HambWG; § 23 HessWG; § 11 WG MV; § 13 Abs 3 und Abs 4 NdsWG; § 27 WG NW; § 29 WG Rh-Pf; § 17 SaarlWG; § 15 SächsWG; § 14 Abs 3 und Abs 4 WG LSA; § 12 WG Schl-H; § 22 ThürWG. BGHZ 69, 1, 21 f; 88, 34, 38 f; BayObLG ZfW 1981, 119, 121; 1990, 299, 301 f; OVG Münster ZfW 1990, 417 f; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 8 Rn 57; Breuer (Fn 258) Rn 425, 688 ff; allgem zum Nachbarschutz im WasserR Burgi ZfW 1990, 245 ff; Ladeur UPR 1992, 81 ff. So § 16 WG BW; weitergehend § 16 Abs 1 BerlWG; für die gehobene Erlaubnis auch Art 16 Abs 1 BayWG; § 30 BbgWG; § 20 Abs 1 Satz 3 HessWG; § 9 Abs 1 Satz 3 WG MV; § 11 Abs 1 Satz 2 NdsWG; § 25 a Abs 1 Satz 3 WG NW; § 27 Abs 2 Satz 3 WG Rh-Pf; § 15 Abs 2 SaarlWG; § 10 Abs 1 Satz 2 WG Schl-H; § 20 Abs 1 Satz 3 ThürWG; vgl dazu o Rn 135. BVerwG ZfW 1988, 337 m Anm von Salzwedel; BVerwGE 78, 40; BVerwG ZfW-Sonderheft 1988 Nr 31; OVG Greifswald NVwZ-RR 1996, 197. Zum Abwasserbegriff Breuer (Fn 258) Rn 487 ff. Zur Novellierung dieser Vorschrift durch das 6. und 7. ÄndG Nachw o in Fn 487, 488; zum 4. und 5. ÄndG Nachw o in Fn 485, 486; auch Breuer (Fn 258) Rn 561 ff; ders in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 65 Rn 87 ff.

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Gründen können weitergehende Anforderungen geboten sein oder kraft des behördlichen Bewirtschaftungsermessens angeordnet werden. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Bestimmung, daß § 6 WHG unberührt bleibt (§ 7 a Abs 1 Satz 2 WHG). Nach der Legaldefinition des § 7 a Abs 5 Satz 1 WHG ist Stand der Technik hier – ebenso wie nach § 3 Abs 6 BImSchG – „der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, die die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen läßt“.560 Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die im Anhang 2 des WHG aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen (§ 7 a Abs 5 Satz 2 WHG). Aufgrund gesetzlicher Ermächtigung legt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Anforderungen fest, die dem Stand der Technik entsprechen (§ 7 a Abs 1 Satz 3 WHG). Diese Anforderungen können für den Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vermischung festgelegt werden (verschärfende Teilstromregelung, § 7 a Abs 1 Satz 4 WHG). Mit den wiedergegebenen Anforderungen des § 7 a WHG ist der Gesetzgeber im 146 Rahmen der 6. Novelle vom 11. 11. 1996 561 von der vorausgegangenen Fassung dieser Vorschrift abgewichen, die ihrerseits erst durch die 5. Novelle von 1986 in das WHG eingefügt worden war.562 Damit ist das differenzierte, in § 7 a Abs 1 WHG aF (1986) vorgeschriebene Anforderungsniveau der allgemein anerkannten Regeln der Technik für „normales“ Abwasser und des strikten, fortschrittlichen Standes der Technik für Abwasser mit gefährlichen Inhaltsstoffen aus bestimmten Herkunftsbereichen aufgegeben worden. Zugleich hat der Gesetzgeber durch die 6. Novelle von 1996 in § 7 a WHG die Rechtsform der untergesetzlichen Konkretisierung geändert, indem er anstelle allgemeiner Verwaltungsvorschriften eine Rechtsverordnung zur Festlegung der emissionsbezogenen Mindestanforderungen verlangt. Der Sinn und die Zweckmäßigkeit dieser Gesetzesänderung waren im Vorfeld der 6. Novelle von 1996 umstritten.563 Aus rechtspraktischer wie aus wissenschaftlicher Sicht hatte sich das deutsche Emissionskonzept nach § 7 a WHG aF (1986), der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift 564 und dem Branchenansatz (Konzentration auf bestimmte Herkunftsbereiche mit bedeutenden Abwasserströmen unter Verwendung 560

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Vgl zur Entstehungsgeschichte dieser Definition sowie zu ihrem europarechtlichen Hintergrund in Gestalt der „besten verfügbaren Techniken“ Knopp NJW 1997, 417 ff; LübbeWolff ZUR 1997, 61, 62 ff; Breuer in: ders (Hrsg), Regelungsmaß und Steuerungskraft des UmwR, 2000, 35 ff. Vgl o Fn 487; die Neufassung des § 7 Abs 5 WHG durch die 7. Novelle v 18. 6. 2002 (o Fn 488) hat das Anforderungsniveau nicht mehr verändert. Dazu Breuer (Fn 258) Rn 10, 567 ff; allg zu den unterschiedlichen Anforderungsniveaus der allgem anerkannten Regeln der Technik und des Standes der Technik BVerfGE 49, 89, 135 f; Breuer AöR 101 (1976) 46, 67 f; Marburger Die Regeln der Technik im Recht, 1979, 145 ff, 158 ff; Henseler (Fn 544) 39 ff. Vgl die Kritik bei Breuer KorrespAbw 1996, 1002 ff; ders in: Rengeling (Fn 487) 83 ff. Erstfassung v 8. 9. 1989 (GMBl 518); später idF v 25. 11. 1992 (GMBl 1994, 498), zul geänd d VwV v 15. 4. 1996 (GMBl 463).

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von Einzel-, Gruppen- und Summenparametern) durchaus bewährt.565 Der Änderungszwang ging indessen von der Rechtsprechung des EuGH aus, der zur Umsetzung von EG-Richtlinien seit 1991 bürgergerichtete Rechtsnormen, dh Gesetze oder Rechtsverordnungen, verlangt.566 Gesetzliche Milderungen gelten im Hinblick auf den Bestands- und Vertrauens- 146a schutz für Altanlagen und vorhandene Einleitungen. Für diese werden in der Rechtsverordnung nach § 7 a Abs 1 Satz 3 WHG abweichende Anforderungen festgelegt, wenn und soweit die danach erforderlichen Anpassungsmaßnahmen unverhältnismäßig wären (§ 7 a Abs 2 WHG). Entsprechen vorhandene Einleitungen von Abwasser nicht den Anforderungen nach § 7 a Abs 1 Satz 3 oder Abs 2 WHG, so haben die Länder sicherzustellen, daß die erforderlichen Maßnahmen in angemessenen Fristen durchgeführt werden (§ 7 a Abs 3 WHG). Eine nachträgliche und zusätzliche Anforderung an die Beschaffenheit einzubringender oder einzuleitender Stoffe unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; sie darf nicht gestellt werden, wenn der mit der Erfüllung der Anforderung verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit der Anforderung angestrebten Erfolg steht (§ 5 Abs 1 Satz 2 WHG unter Vorgabe näherer Kriterien). Wichtig ist indessen, daß hierbei die Anforderungen nach § 7 a WHG nicht unterschritten werden dürfen (§ 5 Abs 1 Satz 3 WHG). Damit ist geklärt, daß die Verhältnismäßigkeit im „großen Maßstab“ der generellen und normativen Emissionsstandards und nicht etwa im „kleinen Maßstab“ des Einzelfalles gewährleistet ist.567 Die Emissionsstandards einer Rechtsverordnung nach § 7 a Abs 1 Satz 3 oder Abs 2 WHG dürfen mithin nicht unter Gesichtspunkten der einzelfallbezogenen Härte durchbrochen werden.568 Die auf § 7 a Abs 1 Satz 3 und 4 und Abs 2 WHG gestützte Abwasserverordnung 146b (AbwV) 569 hat, die Rechtsprechung des EuGH 570 befolgend, die zu § 7 a WHG aF erlassenen Abwasserverwaltungsvorschriften abgelöst. Sie hat jedoch deren inhaltliche Prinzipien, insbesondere den kombinierten Stoff- und Branchenansatz, im 565

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Vgl speziell zur Abwasserproblematik die Nachw in Fn 563; auch Sander ZfW 1990, 437 ff; Breuer DVBl 1997, 1211, 1215 f, 1221 f mwN; allg zu Verwaltungsvorschriften Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 6 Rn 39 ff; ders in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 65 Rn 4 ff, 17 ff, 39 ff; zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften in bezug auf den Stand der Technik Breuer NVwZ 1988, 104, 119 ff; ders in: UTR Bd 9, 1989, 43, 64 ff; ders in: UTR Bd 45, 1998, 161, 172 ff. So EuGH Slg 1991, I-825 (Grundwasser); 1991, I-4983 (Oberflächenwasser); 1996, I-5729 (Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in Gewässer); 1996, I-6739 (kommunales Abwasser); 1996, I-6747 (Fisch- und Muschelgewässer); krit dazu Breuer Entwicklungen des europäischen UmwR – Ziele, Wege und Irrwege, 1993, 8 ff, 72 ff; Reinhardt DÖV 1992, 102 ff; v Danwitz VerwArch 84 (1993) 73 ff; vgl ferner Everling und Hansmann in: UTR Bd 17 (1992) 3 ff, 21 ff; Pernice EuR 1994, 325 ff; Gellermann Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 1994, 19 ff; Faßbender Die Umsetzung von Umweltstandards der Europäischen Gemeinschaft, 2001, 82 ff, 207 ff; vgl auch u Rn 181 a zum ImmissionsschutzR. Vgl dazu auf dem Gebiet des ImmissionsschutzR u Rn 203. Vgl zur Entstehungsgeschichte und zur Auslegung dieser Regelung Knopp NJW 1997, 417, 419 f. IdF v 17. 6. 2004 (BGBl I 1108, 2625). Nachw o in Fn 566.

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wesentlichen beibehalten. Demgemäß bestimmt sie die Anforderungen, die bei der Erteilung einer Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer aus den in den Anhängen bestimmten Herkunftsbereichen mindestens festzusetzen sind (§ 1 Abs 1 AbwV). Soweit in den Anhängen nichts anderes bestimmt ist, darf eine Einleitungserlaubnis nur erteilt werden, wenn am Ort des Anfalls des Abwassers die Schadstofffracht nach Prüfung der Verhältnisse im Einzelfall so gering gehalten wird, wie dies durch Einsatz wassersparender Verfahren bei Wasch- und Reinigungsvorgängen, Indirektkühlung und den Einsatz von schadstoffarmen Betriebsund Hilfsstoffen möglich ist (§ 3 Abs 1 AbwV). Die Anforderungen der Verordnung dürfen nicht durch Verfahren erreicht werden, bei denen Umweltbelastungen in andere Umweltmedien wie Luft oder Boden entgegen dem Stand der Technik verlagert werden (§ 3 Abs 2 AbwV). Als Konzentrationswerte festgelegte Anforderungen dürfen nicht entgegen dem Stand der Technik durch Verdünnung erreicht werden (§ 3 Abs 3 AbwV). Bezugspunkt der Anforderungen ist grundsätzlich die Stelle, an der das Abwasser in das Gewässer eingeleitet wird; nur soweit es in den branchenbezogenen Anhängen der Verordnung bestimmt ist, beziehen sich die Anforderungen auf den Ort des Anfalls des Abwassers oder auf den Ort vor seiner Vermischung (§ 5 Satz 1 AbwV). Ist ein nach der Abwasserverordnung festgesetzter Wert nach dem Ergebnis einer Überprüfung im Rahmen der staatlichen Überwachung nicht eingehalten, gilt er dennoch als eingehalten, wenn die Ergebnisse dieser und der vier vorausgegangenen staatlichen Überprüfungen in vier Fällen den Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 % übersteigt; Überprüfungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, bleiben unberücksichtigt (4-aus-5-Regelung, § 6 Abs 1 AbwV). In den Anhängen der AbwV sind die Emissionsgrenzwerte im Abwasser einzelner Branchen bestimmt. Dabei sind die Anhänge ebenso wie in den früheren Abwasserverwaltungsvorschriften numeriert. Mit Anhang 1 für häusliches und kommunales Abwasser hat der deutsche Verordnungsgeber die Richtlinie 91/271/EWG,571 mit den Anhängen 40, 42 und 48 die Tochterrichtlinien zu der Richtlinie 76/464/EWG 572 umgesetzt. Indirekteinleitungen, nämlich Einleitungen von Abwässern in öffentliche Abwas147 seranlagen, stellen keine Gewässerbenutzungen dar. Herkömmlich unterliegen sie daher nicht dem Wasserwirtschaftsrecht, obwohl ihre Inhaltsstoffe indirekt in die Gewässer gelangen können und diese teilweise erheblich belasten. Dieser Zustand verlangte eine gesetzgeberische Korrektur.573 Probleme können insbesondere auftreten, wenn bestimmte gefährliche Stoffe sich nicht für die Behandlung in einer öffentlichen Abwasseranlage eignen oder sogar deren Reinigungsvermögen beeinträchtigen. Auf Bundesebene hat § 7 a Abs 3 WHG idF der 5. Novelle von 1986 574 571

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ABl EG, L 135/40, zul geänd d VO (EG) 1882/2003 v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1); zum Vergleich der deutschen und europäischen Anforderungen an die Behandlung von kommunalem Abwasser sowie zu den hieraus resultierenden Umsetzungsproblemen Breuer (Fn 168) 101 ff. Vgl o Rn 129; dazu RL 82/176/EWG, 83/513/EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/ 280/EWG; vgl dazu die Nachw und die Kritik bei Breuer DVBl 1997, 1211f; auch o Rn 129. BT-Drucks 10/3973, 8, 11; Henseler (Fn 544) 277 ff, 289 ff. Vgl o Rn 128 m Fn 486.

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die erste Regelung über Indirekteinleitungen getroffen. Auf der Ebene der Länder sind in deren Wassergesetze entsprechende Verordnungsermächtigungen aufgenommen und hierauf gestützte Rechtsverordnungen erlassen worden.575 Die 6. Novelle zum WHG vom 11. 11. 1996 576 hat in § 7 a Abs 4 WHG die bundesrahmenrechtliche Regelung der Indirekteinleitungen neu gefaßt. Danach stellen die Länder sicher, daß bei dem Einleiten von Abwasser in eine öffentliche Abwasseranlage die nach § 7 a Abs 1 Satz 4 WHG maßgebenden Anforderungen eingehalten werden; § 7 a Abs 3 WHG gilt entsprechend. Die Verweisung auf § 7 a Abs 1 Satz 4 WHG bedeutet, daß auch das Einleiten von Abwasser in öffentliche Abwasseranlagen an Anforderungen für den Ort des Anfalls des Abwassers oder vor seiner Vermischung gebunden werden kann. Diese Anforderungen müssen indessen, dem Stand der Technik entsprechend, in der AbwV festgelegt werden.577 f) Stoffbezogene Anforderungen der EG-Richtlinien Stoffbezogene, gewässerunabhängige Emissionsbegrenzungen werden auch durch 148 eine Reihe von EG-Richtlinien und internationale Übereinkommen gefordert.578 Auf der Ebene des EG-Rechts üben bisher die Gewässerschutzrichtlinie vom 4. 5. 1976,579 die Grundwasserrichtlinie vom 17. 12. 1979 580 und die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser vom 21. 5. 1991 581 insofern eine Leitfunktion aus. Aus der Sicht des deutschen Rechts konkretisieren und ergänzen derartige Emissionsbegrenzungen die in § 7a WHG geregelten Anforderungen an das Einleiten von Abwasser. Der Umsetzungspflicht genügt jedoch weder ein generelles Gebot der richtlinienkonformen Auslegung noch eine schlichte richtlinienkonforme Ausübung des wasserbehördlichen Bewirtschaftungsermessens nach § 6 Abs 1 WHG.582 Vielmehr bedarf es eines spezifizierten Befehls sowie eines effektiven Anstoßes zur innerstaatlichen Befolgung der Richtlinie.583 Im Sinne dieses Erfordernis575

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So zB aufgrund des § 41 c Satz 1 BayWG: Verordnung über die Genehmigungspflicht für das Einleiten wassergefährdender Stoffe in Sammelkanalisationen und ihre Überwachung (VGS) v 9. 12. 1990 (GVBl 586); vgl Sander Die Indirekteinleiterverordnungen der Länder, 1993. BGBl I 1690; vgl dazu die Nachw o in Fn 487; insoweit durch die 7. Novelle v 18. 6. 2002 (BGBl I 1914, ber 2711) nicht verändert. Vgl Sander ZfW 1996, 510, 512; Lübbe-Wolff ZUR 1997, 61, 66; Nisipeanu ZfW 1999, 478, 484 ff. Näher zu den einschlägigen RL und Übereinkommen Breuer (Fn 258) Rn 58 ff; ders WiVerw 1990, 79, 86 ff; ders DVBl 1997, 1211 ff; vgl o Rn 129. RL 76/464/EWG v 4. 5. 1976 (ABl EG, L 129/23), geänd d RL 91/692/EWG v 23. 12. 1991 (ABl EG, L 377/48); zu den Folgerichtlinien o Fn 533 und EuGH NVwZ 1997, 371. RL 80/687/EWG v 17. 12. 1979 (ABl EG, L 20/43), geänd d RL 91/692/EWG v 23. 12. 1991 (ABl EG, L 377/48); dazu EuGH Slg 1991, I-825. RL 91/271/EWG v 21. 5. 1991 (ABl EG, L 135/40), zul geänd d VO (EG) 1882/2003 v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1); dazu o Rn 146 b mit Fn 571 und EuGH Slg 1996, I-6739. Breuer (Fn 258) Rn 11, 59, 572 mwN. Breuer WiVerw 1990, 79, 98 f im Anschluß an EuGH Slg 1985, 1661, 1673; 1987, 1733, 1742; insoweit anders Salzwedel in: UTR Bd 7, 1989, 65 ff unter Berufung auf die „imperative richtlinienkonforme Auslegung von Bundes- und Landesrecht“.

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ses galten Verwaltungsvorschriften bis zu der wiedergegebenen, 1991 einsetzenden Rechtsprechung des EuGH 584 als tauglicher Umsetzungsmodus, sofern sie ausdrücklich auf die umzusetzende Richtlinie verwiesen, im Anhang den Wortlaut oder den wesentlichen Inhalt der Richtlinie enthielten und in den amtlichen Bekanntmachungsorganen veröffentlicht wurden.585 Der EuGH hat indessen diese Rechtspraxis verworfen und Verwaltungsvorschriften die Umsetzungstauglichkeit abgesprochen. Dabei hat er jedoch eine abstrakte Betrachtung der Verwaltungsvorschriften walten lassen, ohne deren strukturelle und funktionale Einbindung in die mitgliedstaatliche Verwaltungsrechtsordnung zu beachten; ebenso hat er das Gebot und das Harmonisierungspotential der richtlinienkonformen Auslegung außer acht gelassen.586 Die hierdurch entstandene Situation ist um so mißlicher, als einerseits die stoffbezogenen Anforderungen der EG-Richtlinien der Sache nach ein Torso geblieben sind und lediglich für 17 Stoffe der sog Liste I konkretisierte Emissionsgrenzwerte enthalten und andererseits das deutsche Emissionskonzept aufgrund des § 7 a WHG sowie des kombinierten Stoff- und Branchenansatzes sachliche Vorzüge aufweist.587 Unter dem Druck drohender Zwangsgelder nach Art 228 Abs 2 EGV (Art 171 Abs 2 EGV aF) hat die Bundesregierung neben der Abwasserverordnung 588 die Grundwasserverordnung vom 18. 3. 1997 589 erlassen. Die Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG 590 hat mit dem kombinierten Ansatz (Art 10, 16 Abs 2 WRRL) einen neuen Weg zu stoffbezogenen Emissionsbegrenzungen eingeschlagen. Auf diesen Weg ist gemeinschaftsrechtlich eine Liste von 32 prioritären Stoffen festgelegt worden.591 Abzuwarten bleibt indessen, ob es künftig gelingt, auf europäischer Ebene strikte Emissionsgrenzwerte zu normieren, oder ob diese Aufgabe an die Mitgliedstaaten zurückfällt.592 g) Immissionsbezogene Instrumente der Gewässerbewirtschaftung 149 Die emissionsbezogenen Anforderungen an das Einleiten von Abwasser, insbesondere nach § 7 a WHG, werden durch immissionsbezogene Planungsinstrumente zur Steuerung der Gewässerbewirtschaftung ergänzt. Die Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG 593 bestimmt, daß jeder Mitgliedstaat auf der Grundlage wasserwirtschaftlicher Analysen (Art 5 WRRL) und zur Verwirklichung der Umweltziele (Art 4 WRRL) für jede Flußgebietseinheit oder für den in sein Hoheitsgebiet fallen584 585 586 587 588 589

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Nachw o in Fn 566. So Beyerlin EuR 1987, 126, 132; Breuer WiVerw 1990, 101. Vgl zur Kritik die Nachw in Fn 566. Näher dazu Breuer DVBl 1997, 1211 ff; ders (Fn 560). IdF v 17. 6. 2004 (o Fn 569); dazu o Rn 146 b. BGBl I 542; vgl zum Hintergrund EuGH Slg 1991, I-825; Lübbe-Wolff in: Koch/Behrens (Hrsg), Umweltschutz in der EG, 1991, 127 ff; Breuer DVBl 1997, 1211 ff. ABl EG, L 327/1, zul geänd d EU-Beitrittsakte 2003 v 16. 4. 2003 (ABl EG, L 236/33); vgl o 54–56, 129. Entscheidung Nr 2455/2001/EG v 20. 11. 2001, ABl EG, L 331/1. Krit dazu Breuer in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 65 Rn 63 ff, 94 ff, 136. ABl EG, L 327/1; vgl o Rn 129, 148.

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den Teil einer internationalen Flußgebietseinheit ein Maßnahmenprogramm (Art 11 WRRL) und Bewirtschaftungspläne (Art 13 WRRL) aufstellen muß. Auf die Bewirtschaftungspläne beziehen sich die mitgliedstaatlichen Pflichten zur Information und Anhörung der Öffentlichkeit (Art 14 WRRL) sowie zur Berichterstattung gegenüber der EG-Kommission (Art 15 WRRL). Insgesamt erweist sich die Wasserrahmenrichtlinie hierdurch als Akt einer finalen, umwelt- und wirtschaftspolitisch verstandenen Rechtsetzung sowie eines integrierten, abwägungsorientierten Umweltschutzes.594 Der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie dient auf der bundesrahmenrecht- 150 lichen Ebene die 7. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz vom 18. 6. 2002.595 Im Hinblick auf die Gewässerbewirtschaftung sind dabei die gesetzlichen Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer, Küstengewässer und Grundwasser (§§ 25 a–25 d, 32 c, 33 a WHG) eingeführt worden. Des weiteren ist die wasserwirtschaftliche Planung den europarechtlichen Anforderungen angepaßt worden. Demgemäß sind nunmehr auch bundesrahmenrechtlich ein Maßnahmenprogramm und ein Bewirtschaftungsplan für jede Flußgebietseinheit vorgeschrieben (§§ 36, 36 b WHG). Damit sind die früheren Planungsinstrumente des Wasserhaushaltsgesetzes,596 nämlich die wasserwirtschaftlichen Rahmenpläne (§ 36 WHG aF), die früheren Bewirtschaftungspläne (§ 36 b WHG aF) und die Reinhalteordnungen (§ 27 WHG aF) wie auch die Abwasserbeseitigungspläne (§ 18 b WHG aF), abgelöst worden. Zu beachten ist, daß die 7. Novelle zum WHG als Bundesrahmengesetz die 151 Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG lediglich auf einer ersten Stufe in das deutsche Recht umgesetzt hat. Die zweite Umsetzungsstufe liegt kompetenzrechtlich auf der Ebene der Landesgesetzgebung. Sie hätte durch Novellierung der Landeswassergesetze bis zum 22. 12. 2003 abgeschlossen sein müssen (Art 24 Abs 1 WRRL). Da gerade die neuen Instrumente des Maßnahmenprogramms und der Bewirtschaftungspläne in den §§ 36, 36b WHG nur eine vage, auf das Landesrecht verweisende Regelung gefunden haben, hängt die Konkretisierung und Operationalisierung dieser Instrumente im wesentlichen von der Landesgesetzgebung und ihrer bundesstaatlichen Koordinierung ab.597 h) Nebenbestimmungen, nachträgliche Beschränkungen und Widerruf einer Erlaubnis oder Bewilligung Nach § 4 Abs 1 Satz 1 WHG können die Erlaubnis und die Bewilligung unter Fest- 152 setzung von Benutzungsbedingungen und Auflagen erteilt werden. Die allgemeine Regelung des § 36 Abs 2 VwVfG über die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen 594 595 596 597

Vgl o Rn 54–56. BGBl I 1914, ber 2711. Vgl die 11. Aufl Rn 149–151. Vgl dazu Knopp ZUR 2001, 368, 369; Breuer ZfW 2005, 1 f, 17 ff; Hasche (Fn 544) 235 ff (Konzept eines zweistufigen Bewirtschaftungsermessens); die EG-Kommission hat im Januar 2005 die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim EuGH wegen Nichtumsetzung der EG-WRRL durch einige Bundesländer angekündigt.

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bei Ermessensakten ist demgegenüber subsidiär. Der dort normierte Katalog einzelner Nebenbestimmungen bleibt jedoch neben § 4 WHG mit klarstellender und ergänzender Funktion heranziehbar.598 Neben derartigen Benutzungsbedingungen und Auflagen, die den nachteiligen Wirkungen einer Benutzung unmittelbar begegnen sollen, gestattet § 4 Abs 2 WHG einige Auflagen, die demselben Ziel mittelbar dienen. Benutzungsbedingungen und Auflagen können entweder zur Verhinderung einer Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit oder zur Abwendung nachteiliger Wirkungen für einzelne Dritte festgesetzt werden. Dabei läßt das Gesetz auch dort, wo es nur von Auflagen spricht (§ 4 Abs 1 Satz 2, §§ 6 Abs 1, 8 Abs 3 Satz 1 WHG), Benutzungsbedingungen und Auflagen gleichermaßen zu.599 Während eine Benutzungsbedingung als unselbständiger Teil eines Gesamtverwaltungsaktes nicht gesondert angefochten werden kann,600 sind im Falle einer Auflage die prozessualen Möglichkeiten umstritten.601 Grundsätzlich wird auch bei wasserrechtlichen Bescheiden zu Recht an der gesonderten Anfechtbarkeit von Auflagen festgehalten.602 Auch nach ihrer Erteilung stehen die Erlaubnis oder die Bewilligung unter dem 153 Vorbehalt, daß an ihre Ausübung nachträgliche Anforderungen gestellt werden können (§ 5 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 3 WHG). Zusätzliche Anforderungen an die Beschaffenheit einzubringender oder einzuleitender Stoffe stehen indessen unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit (§ 5 Abs 1 Satz 2 WHG).603 Andere nachträgliche Maßnahmen sind bei der Bewilligung nur zulässig, wenn sie wirtschaftlich gerechtfertigt und mit der Benutzung vereinbar sind (§ 5 Abs 1 Satz 4 WHG). Außerdem kann die Wasserbehörde im Interesse einzelner Betroffener gegenüber dem Inhaber einer Bewilligung oder einer landesgesetzlich insofern gleichgestellten Erlaubnis 604 nachträgliche Entscheidungen treffen, wenn die Bewilligung oder die Erlaubnis unter einem entsprechenden Vorbehalt erteilt worden ist, weil im damaligen Zeitpunkt keine zuverlässigen Feststellungen über den Eintritt nachteiliger Wirkungen auf ein Recht oder ein rechtlich geschütztes Interesse eines Dritten getroffen werden konnten (§ 10 Abs 1 WHG). Entsprechendes gilt, wenn der Betroffene nachteilige Wirkungen im Bewilligungsverfahren oder im Verfahren einer landesgesetzlich gleichgestellten Erlaubnis nicht voraussehen konnte (§ 10 Abs 2 WHG). In beiden Fällen können durch die nachträglichen Entscheidungen Auflagen, Benutzungsbedingungen oder Entschädigungen zugunsten des Betroffenen festgesetzt werden. Darüber hinaus kann eine Bewilligung nach § 12 Abs 1 WHG gegen Entschädigung ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn von der uneingeschränkten Fortsetzung der Benutzung eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung, zu erwarten ist. § 12 598

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OVG Münster ZfW-Sonderheft 1982 Nr 33; ZfW 1987, 53; VGH BW ZfW-Sonderheft 1983 Nr 42; Hill GewArch 1981, 155, 158 ff. Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 6 Rn 18, § 8 Rn 29. BVerwGE 29, 261, 265; 36, 145, 154. Näher dazu Breuer (Fn 258) Rn 457 f. So BVerwGE 36, 145, 153 f (allerdings nur für nicht-modifizierende Auflagen); BVerwGE 112, 221; BayVGH BayVBl 1977, 87; VGH BW ZfW 1978, 378; 1982, 352. Vgl dazu o Rn 146 a; zur europarechtlichen Verpflichtung zu regelmäßiger Überprüfung und Aktualisierung Art 11 Abs 3 lit e–i WRRL; auch Knopp ZUR 2001, 368, 378. Vgl o Rn 135.

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Abs 2 WHG erlaubt den vollständigen oder teilweisen Widerruf einer Bewilligung ohne Entschädigung – soweit dies nicht schon nach § 5 WHG zulässig ist – in besonderen Fällen (vgl Nr 1 bis 3), in denen das Vertrauen des Unternehmers in den Bestand der Bewilligung nicht schutzwürdig ist. Die kraft Gesetzes widerrufliche Erlaubnis kann stets widerrufen werden, wenn die Fortsetzung der erlaubten Benutzung das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigen würde. Dieser Widerrufsgrund ergibt sich bereits aus dem Zusammenhang der §§ 6 und 7 WHG und ist in einigen Landeswassergesetzen 605 positiviert worden. Der Widerruf einer Erlaubnis ist grundsätzlich ohne Entschädigung zulässig. Ausnahmen von der Zulässigkeit oder Entschädigungsfreiheit des Widerrufs können sich allerdings im Einzelfall aus den allgemeinen Ermessensschranken und dem Erfordernis der verfassungskonformen Gesetzesauslegung im Hinblick auf den durch Art 14 Abs 1 GG gewährleisteten Bestands- und Investitionsschutz ergeben.606 Schließlich besteht die Möglichkeit, im Ausgleichsverfahren nach § 18 WHG Art, 154 Maß und Zeiten der Ausübung von Erlaubnissen und Bewilligungen wie auch von alten Rechten und Befugnissen auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen zu regeln oder zu beschränken, wenn das Wasser nach Menge und Beschaffenheit nicht für Benutzungen ausreicht oder sich diese beeinträchtigen und wenn das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, es erfordert (§ 18 Satz 1 WHG). In diesem Verfahren können auch Ausgleichszahlungen im Verhältnis zwischen den Beteiligten festgesetzt werden (§ 18 Satz 2 WHG). i) Anforderungen an Anlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe oder zum Umgang mit solchen Stoffen Die Errichtung, die Beschaffenheit und der Betrieb von Anlagen, die zum Befördern 155 wassergefährdender Stoffe oder zum Umgang mit solchen Stoffen bestimmt sind, unterliegen speziellen wasserwirtschaftsrechtlichen Regelungen und Kontrollen. So bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe einer besonderen Genehmigung, die eine strenge präventive Kontrolle bezweckt (§§ 19 a–19 f WHG).607 Unter diese Vorschrift fallen insbesondere Mineralölpipelines. Nach § 19 g Abs 1 Satz 1 WHG müssen Anlagen zum Lagern, Abfüllen, Herstellen und Behandeln wassergefährdender Stoffe sowie zum Verwenden wassergefährdender Stoffe (§ 19 g Abs 5 WHG) 608 im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und im Bereich öffentlicher Einrichtungen so beschaffen sein und so eingebaut, aufgestellt, unterhalten und betrieben werden, daß eine Verunreinigung der Gewässer oder eine sonstige nachteilige Veränderung ihrer Eigenschaf605

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So Art 16 Abs 2 Nr 1, Art 17 Abs 3 Satz 2 BayWG; § 16 Abs 2 Nr 1 BerlWG; § 17 Abs 2 HambWG; § 20 Abs 2 Nr 1 HessWG; § 8 Abs 3 Nr 1 WG MV; § 25 Abs 2 Satz 1 Buchst a WG NW; § 10 Abs 2 Nr 1 WG Schl-H. Vgl etwa OVG Münster ZfW 1968, 195, 200; ZfW-Sonderheft 1981 II Nr 16; VGH BW ZfW 1982, 240; Salzwedel RdWW 19, 41, 46 ff, 56 ff unter Berufung auf BGHZ 25, 266, 269 f; Breuer (Fn 258) Rn 656; im Erg auch VGH BW NVwZ-RR 1992, 126, 128. § 19 a Abs 1 WHG idF der 7. Novelle v 18. 6. 2002 (o Fn 488) unterscheidet des näheren zwischen den bis zum 2. 8. 2001 und den danach gestellten Genehmigungsanträgen. Vgl dazu die VwV wassergefährdende Stoffe (VwVwS) v 18. 4. 1996 (GMBl 327).

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5. Kap VI 2 j

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ten nicht zu besorgen ist (§ 19 g Abs 1 Satz 1 WHG). Die Besorgnis einer nachteiligen Veränderung ist bereits gegeben, wenn konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer nachteiligen Veränderung bestehen.609 Nicht ganz so streng sind die Anforderungen an Anlagen zum Umschlagen wassergefährdender Stoffe und Anlagen zum Lagern und Abfüllen von Jauche, Gülle und Silagesickersäften. Es genügt, wenn diese Anlagen so beschaffen sind und so eingebaut, aufgestellt, unterhalten und betrieben werden, daß der bestmögliche Schutz der Gewässer vor Verunreinigung oder sonstiger nachteiliger Veränderung ihrer Eigenschaften erreicht wird (§ 19 g Abs 2 WHG). Sämtliche Anforderungen an die in § 19 g Abs 1 und 2 WHG genannten Anlagen müssen dabei mindestens den allgemein anerkannten Regeln der Technik 610 entsprechen (§ 19 g Abs 3 WHG). Konkretisierungen dieser Anforderungen sind aufgrund landesgesetzlicher Ermächtigungen in den Landesverordnungen über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (VAwS) 611 geregelt. In formellrechtlicher Hinsicht verlangt § 19 h Abs 1 WHG grundsätzlich eine besondere Eignungsfeststellung. Soweit solche Anlagen, Anlagenteile oder technischen Schutzvorkehrungen serienmäßig hergestellt werden, können sie der Bauart nach zugelassen werden (§ 19 h Abs 2 WHG, insbesondere nach einer Rechtsverordnung aufgrund der §§ 14 ff GPSG). Die Eignungszulassung und die Bauartenzulassung entfallen für Anlagen, Anlagenteile und technische Schutzvorkehrungen, die nach den Vorschriften des Bauproduktengesetzes vom 10. 8. 1992 oder anderer Rechtsvorschriften zur Umsetzung von EG-Recht (mit CE-Kennzeichen), nach bauordnungsrechtlichen Vorschriften oder nach immissions- oder arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften zugelassen sind (§ 19 h Abs 3 WHG). Ergänzend schreibt § 19 l WHG für die Ausführung und Wartung von Anlagen den Einsatz von ausgewiesenen Fachbetrieben vor. Die §§ 19 i und k WHG begründen spezielle Pflichten für Anlagenbetreiber und -benutzer. j) Betriebsbeauftragte für Gewässerschutz 156 Kraft Gesetzes sind Gewässerbenutzer, die an einem Tag mehr als 750 Kubikmeter Abwasser einleiten dürfen, verpflichtet, einen oder mehrere Betriebsbeauftragte für Gewässerschutz zu bestellen (§ 21 a Abs 1 WHG). Andere Abwassereinleiter können durch behördliche Anordnung zur Bestellung eines oder mehrerer Gewässerschutzbeauftragten verpflichtet werden (§ 21 a Abs 2 WHG). Die Bestellung bedarf der Schriftform. Sie ist ein mitwirkungsbedürftiger Rechtsakt des Gewässerbenutzers gegenüber dem Betriebsbeauftragten und der zuständigen Behörde anzuzeigen (§ 21 c Abs 1 WHG). Ein Widerruf der Bestellung durch den Gewässerbenutzer setzt einen sachlichen Grund voraus und bedarf ebenfalls der Schriftform.612 Der Betriebsbeauftragte steht in einem ausschließlichen Rechtsverhältnis zu dem Gewäs609

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Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 19 g Rn 6; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 19 g Rn 71; Breuer (Fn 258) Rn 54; Peine in: UTR Bd 31, 1995, 243, 265; in der Rspr etwa BayVGH ZfW 1989, 100. Vgl zu diesem Rechtsbegriff o Rn 146 mit Fn 562. ZB VAwS NW v 20. 3. 2004 (GVBl 274); vgl die Zusammenstellung bei Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 19 g Rn 23. Sander NuR 1985, 51 f; Breuer (Fn 258) Rn 788.

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serbenutzer, der ihn bestellt hat; er hat nicht etwa die öffentlich-rechtliche Stellung eines Beliehenen inne.613 Ihm obliegen bestimmte Aufgaben der betrieblichen Selbstüberwachung. In diesem Rahmen hat er Überwachungspflichten, Hinwirkungspflichten, Informationspflichten und Berichtspflichten (§ 21 b WHG). Darüber hinaus wird sein Einfluß durch Mitwirkungsrechte gesichert (§§ 21 d, 21 e WHG). k) Überwachung, Gewässeraufsicht und repressives Einschreiten der Wasserbehörden Der behördlichen Überwachung unterliegt, wer ein Gewässer benutzt oder einen 157 Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis oder Bewilligung gestellt hat (§ 21 Abs 1 WHG). Die Vorschriften über die Überwachung gelten sinngemäß auch für denjenigen, der die gesetzlich bezeichneten Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen errichtet, mitherstellt oder betreibt (§ 21 Abs 2 WHG). Den überwachungspflichtigen Personen obliegen in erster Linie Duldungs- und Mitwirkungspflichten (§ 21 Abs 1 Satz 1 bis 3 WHG). Dabei kommt vor allem der Auskunftspflicht eine zentrale Bedeutung zu. Die bundesrahmenrechtliche Regelung der behördlichen Überwachung wird durch die Vorschriften der Landeswassergesetze über die Gewässeraufsicht ausgefüllt.614 Soweit die Landeswassergesetze den Wasserbehörden spezielle, polizei- und ord- 158 nungsrechtlich qualifizierte (oder zu qualifizierende) Zuständigkeiten und Befugnisse zum repressiven Einschreiten im Einzelfall gewähren, ist grundsätzlich von der wasserbehördlichen Alleinzuständigkeit auszugehen. Den allgemeinen Polizei- und Ordnungsbehörden steht dann nur noch die Hilfszuständigkeit für Not- und Eilfälle zu.615 In materiellrechtlicher Hinsicht ist die Wasserbehörde zum repressiven Einschreiten berechtigt, wenn ein Gewässer durch die Verwirklichung eines Tatbestandes des § 3 WHG unbefugt benutzt wird, ein Gewässerausbau ohne die Voraussetzungen der Planfeststellung oder Plangenehmigung nach § 31 WHG erfolgt oder ein Verhalten gegen Gebote oder Verbote verstößt, die der Gewässerreinheit dienen.616 Die Ermächtigung der Wasserbehörden zu entsprechenden Eingriffsverfügungen ergibt sich nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts entweder aus landeswassergesetzlichen Befugnisnormen oder aus polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln. Insbesondere sind die Wasserbehörden demgemäß zu Eingriffen befugt, wenn durch den Unfall eines Tankwagens oder durch das technische Versagen, die fehlerhafte Bedienung oder den zeitbedingten Verfall einer ortsfesten Tankanlage Öl, Benzin oder ein anderer wassergefährdender Stoff ausläuft und in ein Gewässer oder in den Boden eindringt.617 Für eine Untersagungs-, Stillegungs- oder Beseitigungsver613

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Tettinger DVBl 1976, 752 ff; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 21 b Rn 1; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 21 b Rn 45; Breuer (Fn 258) Rn 770; Schwab DöD 2000, 49 ff. Näher zum Ganzen Breuer (Fn 258) Rn 792 ff, 798 mwN. Czychowski DVBl 1970, 379 ff; Breuer (Fn 258) Rn 800; für § 82 WG BW aF VGH BW ESVGH 15, 229; 17, 191 f. Allgem dazu Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 21 Rn 34, 42 ff; Breuer (Fn 258) Rn 809 ff; einschränkend in bezug auf die sofortige Vollziehung OVG Münster ZfW 1993, 118. Vgl zB BVerwG NJW 1974, 815; OVG Münster OVGE 19, 101; DVBl 1969, 594; VGH BW ESVGH 15, 229; 17, 191; NVwZ 1983, 294; DÖV 1985, 687; NVwZ 1986, 325; NVwZ-

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fügung reicht im Wasserrecht, ebenso wie im gesamten Umweltschutzrecht, bereits die bloße formelle Illegalität einer Handlung oder Anlage aus.618 Die Verantwortlichkeit des Adressaten ist nach den polizei- und ordnungsrechtlichen Grundsätzen der Verhaltens- und Zustandshaftung zu beurteilen.619 Falls ein Gewässer mit Schadstoffen verunreinigt wird und der Verdacht einer Gefahr für das Trinkwasser besteht, kann der Betreiber eines Wasserwerks seine Aufwendungen für eigene, in der Verdachtslage vorgenommene Wasseruntersuchungen nur dann von dem Einleiter nach § 22 WHG ersetzt verlangen, wenn er zum Zeitpunkt der Probenahme von den zuständigen Fachbehörden der Gewässer- und Gesundheitsaufsicht noch keine verläßliche Auskunft darüber erhalten konnte, ob das Trinkwasser gefährdet war.620

3. Die Festsetzung von Wasserschutzgebieten 159 Die allgemeine wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung wird ergänzt und verschärft durch die besondere Nutzungsordnung für Wasserschutzgebiete. Derartige Gebiete können festgesetzt werden, soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, Gewässer im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen (§ 19 Abs 1 Nr 1 WHG), das Grundwasser anzureichern (§ 19 Abs 1 Nr 2 WHG) oder das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- oder Pflanzenbehandlungsmitteln in Gewässer zu verhüten (§ 19 Abs 1 Nr 3 WHG). Die Festsetzung erfolgt durch Rechtsverordnung.621 Die Zuständigkeit und das Verfahren zum Erlaß von Wasserschutzgebietsverordnungen sind in den Wassergesetzen der Länder geregelt.622 Nach der Ansicht des BVerwG sind sowohl die allgemeinen Voraussetzungen einer Schutzgebietsfestsetzung als auch die Frage der Einbeziehung einzelner Grundstücke voll justitia-

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RR 1989, 400; ZfW 1991, 178; GewArch 1996, 36; BayVGH ZfW 1989, 147; NVwZ 2000, 450; HessVGH UPR 1986, 116; OVG Hamburg DÖV 1983, 1016; OVG Koblenz NVwZ 1992, 499; OVG Lüneburg AgrarR 1992, 172; VG Gelsenkirchen ZfW 1988, 311. OVG Münster ZfW 1974, 379; OVG Hamburg DVBl 1979, 235; VGH BW ZfW 1981, 170; OVG Berlin NuR 2002, 365; der Sache nach auch BVerwG NJW 1978, 2311; vgl o Rn 79 f. Näher dazu Breuer (Fn 258) Rn 807 ff; vgl auch die Rspr in Fn 617. BGHZ 103, 129 = JZ 1988, 560 m Anm v Marburger; vgl dazu Salzwedel NVwZ 1988, 493, 496 f; Breuer NVwZ 1988, 992 ff. Vgl § 110 Abs 1 Satz 1 WG BW; Art 35 Abs 1 Satz 1 BayWG; § 22 Abs 1 Satz 1 BerlWG; § 15 Abs 1 Satz 1 BbgWG; § 47 Abs 2 Satz 1 BremWG; § 27 Abs 1 Satz 1 HambWG; § 29 Abs 1 Satz 1 HessWG; § 19 Abs 1 Satz 1 WG MV; § 48 Abs 2 Satz 1 NdsWG; § 14 Abs 1 Satz 1 WG NW; § 13 Abs 1 Satz 1 WG Rh-Pf; § 37 Abs 1 Satz 1 SaarlWG; § 48 Abs 1 Satz 1 SächsWG; § 48 Abs 2 Satz 1 WG LSA; § 4 Abs 1 Nr 1 Buchst a WG Schl-H; § 28 Abs 1 Satz 1 ThürWG; vgl dazu auch BVerwGE 29, 207 ff sowie Breuer (Fn 258) Rn 836 f. Zur Zuständigkeit und zum Verfahren im einzelnen Breuer (Fn 258) Rn 838 ff; Peters DVBl 1987, 992; Schäfer AgrarR 1988, 33 f; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 19 Rn 92 ff; Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, § 19 Rn 59 f.

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bel.623 § 19 Abs 2 WHG ermächtigt zu zwei Arten von Schutzanordnungen: Zum einen können jedermann gegenüber bestimmte Handlungen verboten oder für beschränkt zulässig erklärt werden (§ 19 Abs 2 Nr 1 WHG). Zum anderen können die Eigentümer und Nutzungsberechtigten von Grundstücken zur Duldung bestimmter Maßnahmen verpflichtet werden; dazu gehören auch Maßnahmen zur Beobachtung des Gewässers und des Bodens (§ 19 Abs 2 Nr 2 WHG). Vorgesehen und üblich ist eine Einteilung der Wasserschutzgebiete in drei Zonen mit verschiedenen Schutzbestimmungen.624 Jedenfalls in der Regel wahren derartige Schutzanordnungen den verfassungs- 160 rechtlichen Rahmen einer entschädigungsfreien Sozialbindung aufgrund gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art 14 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 GG). Dies gilt sowohl für die schlichte Einbeziehung von Grundstücken in ein Wasserschutzgebiet 625 als auch für die Aktualisierung von Verboten und Beschränkungen der allgemeinen wasserwirtschaftsrechtlichen Benutzungsordnung wie die regelmäßigen Bewirtschaftungsbeschränkungen gegenüber der Land- und Forstwirtschaft.626 Im Einzelfall kann jedoch bei einer eigentumsentleerenden „Inanspruchnahme“ dieser verfassungsrechtlich vorgegebene Rahmen überschritten sein. Dann stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall – wie die heute hM annimmt – allein eine entweder abwehrbare oder ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung oder ausnahmsweise der Tatbestand einer entschädigungspflichtigen Enteignung iSd Art 14 Abs 3 GG verwirklicht sein kann; eine solche Ausnahme setzt indessen voraus, daß die Schutzanordnungen einer Wasserschutzgebietsverordnung die bisherige, ordnungsgemäß betriebene land- oder forstwirtschaftliche Nutzung praktisch ausschließen oder unrentabel machen.627 Für solchermaßen ent623

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BVerwG DVBl 1984, 342; ZfW 1990, 276; ebenso VGH BW ESVGH 33, 117; ZfW 1987, 39 f; aA BayVerfGH BayVGH nF 30, 99, 105; OVG Münster ZfW 1984, 291; diff Breuer (Fn 258) Rn 862 ff. Vgl Art 35 Abs 1 Satz 2 BayWG; § 22 Abs 1 Satz 3 BerlWG; § 15 Abs 1 Satz 4 BbgWG; § 48 Abs 3 BremWG; § 27 Abs 1 Satz 1 HambWG, § 29 Abs 2 HessWG; § 19 Abs 2 WG MV; § 49 Abs 1 Satz 2 NdsWG; § 14 Abs 1 Satz 2 WG NW; § 13 Abs 2 Satz 1 WG Rh-Pf; § 37 Abs 1 Satz 2 SaarlWG; § 48 Abs 2 SächsWG; § 49 Abs 1 Satz 2 WG LSA; § 4 Abs 1 Nr 1 Buchst b Satz 2 WG Schl-H; § 28 Abs 2 ThürWG. So bereits BGHZ 60, 145, 146; OLG Düsseldorf ZfW 1979, 188; 1980, 362; auf der Grundlage des Naßauskiesungsbeschlusses (BVerfGE 58, 300 → JK GG Art 14 I 2/13): BGHZ 133, 271, 274; BVerwG NVwZ 1997, 887, 889f; VGH BW VBlBW 1999, 97; Knauber AgrarR 1985, 131; Schäfer AgrarR 1988, 25; Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 19 Rn 75, 82; Breuer (Fn 258) Rn 880 ff, 885 ff; ders NuR 1998, 337 ff; Heitsch JZ 2001, 258. BGHZ 133, 271, 274; OLG München AgrarR 1987, 269; LG Itzehoe AgrarR 1987, 312; Labbé/Kaltenegger BayVBl 1994, 6; zur verwaltungsprozessualen Normenkontrolle nach § 47 VwGO jedoch OVG Schleswig UPR 1996, 312. So OLG Düsseldorf ZfW 1979, 188; 1980, 362; Kutscher Die Enteignung, 1938, 125 f; Knauber AgrarR 1985, 130; Krohn AgrarR 1986, Beil I zu Heft 12, 19, 21 ff; Breuer (Fn 258) Rn 892; Sellmann DVBl 1992, 237; wohl auch Pietzcker NVwZ 1991, 418, 424; dagegen will die heute hM im Anschluß an BVerfGE 58, 300 → JK GG Art 14 I 2/13 (Naßauskiesung) und 100, 226 (Denkmalschutz) Nutzungsverbote und -beschränkungen in Schutzgebieten stets als (allenfalls nach Art 14 Abs 1 GG ausgleichspflichtige) Inhaltsund Schrankenbestimmung des Eigentums behandeln; so für Wasserschutzgebiete BGHZ

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5. Kap VI 3

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eignende Anordnungen ist nach § 19 Abs 3 WHG Entschädigung zu leisten. Problematisch und umstritten ist allerdings, ob eine salvatorische Entschädigungsregelung dieser Art der Junktimklausel (Art 14 Abs 3 Satz 2 GG) unterliegt.628 Verneint man dies, so wird man in § 19 Abs 3 WHG einen verfassungskonformen, eigentumserhaltenden Ausgleichsanspruch im Rahmen des Art 14 Abs 1 GG sehen müssen.629 Besteht keine Entschädigungspflicht nach § 19 Abs 3 WHG, so kann unter den 161 Voraussetzungen des § 19 Abs 4 WHG zugunsten der Land- und Forstwirtschaft ein Billigkeitsausgleich in Betracht kommen.630 Dies setzt voraus, daß Schutzanordnungen nach § 19 Abs 2 WHG erhöhte Anforderungen festsetzen, welche die ordnungsgemäße land- oder forstwirtschaftliche Nutzung eines Grundstücks beschränken. Für die dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteile ist ein angemessener Ausgleich nach Maßgabe des Landesrechts zu leisten. Die Länder haben bei der Umsetzung des § 19 Abs 4 WHG unterschiedliche Wege eingeschlagen.631 Die meisten Länder haben nach dem normativen Modell der Enteignungsentschädigung einen dezentralen Billigkeitsausgleich vorgeschrieben.632 Danach richtet sich der Ausgleichsanspruch unmittelbar gegen denjenigen, der durch die Festsetzung des Wasserschutzgebiets begünstigt wird; Enteignungsentschädigung und Billigkeitsausgleich sind somit im gleichen Verfahren geltend zu machen. Dagegen haben die Länder Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt einen zentralen und mittelbaren Billigkeitsausgleich eingeführt. Die Ausgleichsansprüche richten sich hiernach gegen das Land, wobei die Leistungen aus dem Aufkommen einer öffentlichen Abgabe, des sog Wasserpfennigs oder Wasserentnahmeentgelts, finanziert werden sollen.633

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133, 271, 274; BVerwG NVwZ 1997, 887, 889 f; VGH BW VBlBW 1999, 97; Czychowski/ Reinhardt (Fn 294) § 19 Rn 83 f; krit dazu Breuer NuR 1996, 537, 544 ff; ders NuR 1998, 337, 340; Ossenbühl in: FS Friauf, 1996, 391 ff; vgl zu der grundsätzlichen Abgrenzungsproblematik o Rn 30 f, 125, 132. Verneinend VGH BW VBlBW 1999, 97; ebenso zu § 7 Satz 1 LandschG NW BVerwGE 84, 361, 364 ff → JK GG Art 14 III/7; 94, 1, 5 f; BGHZ 133, 271, 274; anders zB noch BGHZ 99, 24, 27 ff; OVG Koblenz NVwZ 1987, 243; OVG Münster NVwZ 1990, 1187 f. So VGH BW VBlBW 1999, 97 im Anschluß an BVerwGE 94, 1 und BGHZ 126, 379; aA iS der Verfassungswidrigkeit Weyreuther Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsklauseln im Enteignungsrecht, 1980; Leisner DVBl 1981, 76 ff; Pietzcker NVwZ 1991, 426 f; zur Problematik auch Schink DVBl 1990, 1375 ff; Sellmann DVBl 1992, 235 ff; Stüer/Thorand NJW 2000, 3737 ff; Roller NJW 2001, 1003 ff. Vgl dazu BGHZ 138, 395; Weyreuther UPR 1987, 41 ff; Breuer (Fn 258) Rn 909 ff; ders NuR 1998, 337 ff; Kimminich NuR 1989, 2 ff; Härtel ZUR 2001, 380 ff. Dazu im einzelnen Czychowski AgrarR 1988, 297 ff; Kerger AgrarR 1989, 144 ff; Murswiek NuR 1990, 289 ff; Kolkmann UPR 1991, 1 ff; Breuer, NuR 1998, 337, 349 f, 346 f. So Art 35 Abs 1 Satz 4, 40, 74, 87 BayWG; § 84 Abs 7 iVm Abs 4 BerlWG; §§ 27 Abs 3, 76 HambWG; § 92 HessWG; § 19 Abs 3, 4 iVm § 18 Abs 4 Satz 2 WG M-V; § 15 Abs 3 WG NW; §§ 15, 121 Abs 7 WG Rh-Pf; §§ 99, 37 Abs 3 SaarlWG; §§ 23, 48 Abs 7 SächsWG, § 102 iVm § 31 Abs 5 Satz 2 ThürWG. § 24 Abs 4 WG BW; § 51 a Abs 2 NdsWG; §§ 47, 52 Abs 3 WG LSA.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VI 4

4. Unterhaltung und Ausbau oberirdischer Gewässer Die Unterhaltung eines oberirdischen Gewässers umfaßt bundesrechtlich seine 162 Pflege und Entwicklung sowie die Erhaltung eines ordnungsgemäßen Abflusses und an schiffbaren Gewässern die Erhaltung der Schiffbarkeit (§ 28 Abs 1 Satz 1 und 5 WHG, § 8 Abs 1 WaStrG). Landesrechtlich ist der Umfang der Unterhaltung in wasserwirtschaftlicher Hinsicht konkretisiert, teilweise auch erweitert worden.634 Danach gehören insbesondere die Reinigung, Räumung und Erhaltung des Gewässerbettes sowie die Sicherung der Ufer zur Unterhaltung. Träger der Unterhaltungslast sind in der Regel Körperschaften des öffentlichen Rechts, und zwar für die Bundeswasserstraßen der Bund (§§ 7, 8 WaStrG), für sonstige Gewässer erster Ordnung das jeweilige Land und für Gewässer zweiter und dritter Ordnung teils die Gemeinden oder die Landkreise und kreisfreien Städte, teils Wasser- und Bodenverbände und teils bestimmte Grundstücks-, Anlagen- oder Gewässereigentümer (§ 29 WHG).635 Als Gewässerausbau bedarf die Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umge- 163 staltung eines Gewässers oder seiner Ufer grundsätzlich der vorherigen Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens durch die zuständige Behörde (§ 31 Abs 2 Satz 1 WHG). Das gleiche gilt für Deich- und Dammbauten, die den Hochwasserabfluß beeinflussen (§ 31 Abs 2 Satz 2 WHG). Die Planfeststellungspflicht besteht nicht, wenn ein Gewässer nur für einen begrenzten Zeitraum entsteht und dadurch keine erhebliche nachteilige Veränderung des Wasserhaushalts verursacht wird (§ 31 Abs 2 Satz 3 WHG). Das Planfeststellungsverfahren für einen UVP-pflichtigen Gewässerausbau muß den Anforderungen des UVPG 636 entsprechen (§ 31 Abs 2 Satz 4 WHG). Für einen nicht UVP-pflichtigen Gewässerausbau kann anstelle eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung erteilt werden (§ 31 Abs 3 WHG). Die materiellen Anforderungen an den Gewässerausbau sind – nicht zuletzt aus Gründen des Hochwasserschutzes – durch die 6. Novelle zum WHG vom 11. 11. 1996 verschärft und durch die 7. Novelle vom 18. 6. 2002 ergänzt worden (§ 31 Abs 1 und 5 WHG); das Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes vom 3. 5. 2005 hat insbesondere die spezifischen Regelungen der §§ 31 a–32 WHG hinzugefügt.637 Für den Ausbau und den Neubau von Bundeswasserstraßen zu Verkehrszwecken ist eine vorherige Planfeststellung nach den §§ 14 ff WaStrG geboten. Die Planfeststellung wird als Verwaltungsakt in einem förmlichen Verfahren erlassen und enthält eine umfassende Sachentscheidung über den Ausbau.638 634 635

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Näher dazu Czychowski/Reinhardt (Fn 294) § 28 Rn 37 ff. Vgl Breuer (Fn 258) Rn 920; zur ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Unterhaltungspflichtigen Reinhardt NWVBl 1994, 85 ff. Vgl dazu o Rn 49 ff; auch Knopp NuR 1993, 401, 406 f. Vgl die Nachw o in Fn 484, 487, 488. Vgl neben den Ausfüllungsvorschriften der LandeswasserG zu § 31 WHG die allgemeine Regelung der §§ 72 ff VwVfG; auch Badura, in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 14 ff, 32 ff; zur Unterscheidung zwischen gemeinnütziger und privatnütziger Planfeststellung nach § 31 WHG BVerwGE 55, 220; näher zur wasserrechtlichen Planfeststellung Breuer (Fn 258) Rn 967 ff; ders in: FS Hoppe, 2000, 667 ff.

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5. Kap VI 5

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5. Wasser- und Bodenverbände 164 Das Gesetz über Wasser- und Bodenverbände (Wasserverbandsgesetz – WVG) vom 12. 2. 1991 639 ist am 1. 5. 1991 in Kraft getreten (§ 82 WVG). Es hat die vorkonstitutionellen, auf der Grundlage des Art 125 GG im Range von Bundesrecht fortgeltenden Regelungen 640 des Wasserverbandgesetzes vom 10. 2. 1937 und der Ersten Wasserverbandverordnung vom 3. 9. 1937 abgelöst (§ 78 Abs 1 WVG). Grund für die Neuregelung war zum einen die überfällige Anpassung des Wasserverbandsrechts an heutige demokratische, rechts- und bundesstaatliche Verhältnisse und zum anderen eine notwendig erscheinende Lockerung der staatlichen Einflußnahme auf die Entscheidungen der Wasser- und Bodenverbände.641 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für diese Materie ergibt sich aus der Gesamtheit einschlägiger Einzeltitel der Art 74 und 75 GG.642 165 Wasser- und Bodenverbände sind Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts, die eigenverantwortlich wasserwirtschaftliche Aufgaben unter der bloßen Rechtsaufsicht des jeweiligen Bundeslandes wahrnehmen (§§ 1, 2, 72 Abs 1 Satz 1, 73 WVG). Zu ihren Aufgaben können vorbehaltlich abweichender landesrechtlicher Regelung sowie nach näherer Bestimmung der Verbandssatzung (§ 6 Abs 2 Nr 2 WVG) unter anderem der Ausbau einschließlich naturnahem Rückbau und Unterhaltung von Gewässern sowie der Bau und die Unterhaltung von Anlagen in und an Gewässern gehören, ferner der Schutz von Grundstücken vor Sturmflut und Hochwasser einschließlich notwendiger Maßnahmen im Deichvorland, die Verbesserung landwirtschaftlicher sowie sonstiger Flächen einschließlich der Regelung des Bodenwasser- und Bodenlufthaushalts, technische Maßnahmen zur Bewirtschaftung des Grundwassers und der oberirdischen Gewässer, die Abwasserbeseitigung und die Beschaffung und Bereitstellung von Wasser (§ 2 WVG). Als Verbandsmitglieder kommen die jeweiligen Eigentümer und Erbbauberechtigten von Grundstücken und Anlagen sowie Inhaber von Bergwerkseigentum (dingliche Verbandsmitglieder), Personen, denen der Verband im Rahmen seiner Aufgaben Pflichten abnimmt oder erleichtert, Körperschaften des öffentlichen Rechts, andere zugelassene Personen und der Träger der Baulast einer Verkehrsanlage in Betracht (§ 4 WVG). Der Verband kann auf Initiative der Beteiligten oder von Amts wegen errichtet werden (§ 7 WVG). 166 Auf der Grundlage preußischer Sondergesetze aus der Zeit zwischen 1904 und 1930 ist im Gebiet des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen eine Reihe bedeutender Wasserverbände gebildet worden, von denen auf ihrer sondergesetzlichen Grundlage noch heute die Emschergenossenschaft, der Ruhrverband, die Linksniederrheinische Entwässerungsgenossenschaft und der Lippeverband bestehen.643 639 640

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BGBl I 405, zul geänd d G v 15. 5. 2002, BGBl I 1578. Vgl BVerwGE 3, 1, 3 ff; 7, 17, 19 ff; 25, 151, 153 f; partiell auch BVerfGE 58, 45, 69 ff; ferner Breuer in: FG v. Unruh, 1983, 855 ff; ders (Fn 258) Rn 14 mwN. BT-Drucks 11/6764, 23; Klüppel LKV 1991, 125; näher zum Ganzen Rapsch WasserverbandsR, 1993. BT-Drucks 11/6764, 21 f; Klüppel LKV 1991, 126; vgl auch BVerfGE 58, 45, 69 ff. Die Rechtsgrundlagen dieser Verbände sind allerdings durch nordrh-westf Gesetze v 7. 2. 1990 (GVBl 144, 162, 178, 210; jeweils zul geänd d G v 25. 9. 2001, GVBl 708), erneuert

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Hierbei handelt es sich um öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften mit wichtigen, unvermindert aktuellen Aufgaben der Wasserwirtschaft im Kernund Randbereich des rheinisch-westfälischen Industriegebietes. Aus der Aufgabenstellung und der Planung der sondergesetzlichen Verbände ergibt sich die wasserwirtschaftliche Klassifizierung der betroffenen Gewässer. So ist ursprünglich die Emscher der Abwasserbeseitigung und die Ruhr der Wasserversorgung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes dienstbar gemacht worden.644 Der preußischen Tradition entsprechend ist durch nordrhein-westfälisches Sondergesetz vom 3. 6. 1958 645 der Erftverband gegründet worden, dessen weitgesteckte Aufgabe in der wasserwirtschaftlichen Regulierung besteht, die im rheinischen Braunkohlegebiet durch den großflächigen Tagebau erforderlich geworden ist. Auf sondergesetzlicher Grundlage beruhen in Nordrhein-Westfalen auch der Wasserverband EifelRur 646 und der Wupperverband.647

VII. Immissionsschutzrecht 1. Allgemeines Unter den Rechtsgrundlagen des Immissionsschutzrechts nimmt das Bundes-Im- 167 missionsschutzgesetz 648 die zentrale Stelle ein. Es wird durch ergänzende Rechtsverordnungen 649, durch das Fluglärmschutzgesetz 650 und das Benzinbleigesetz 651 als Spezialgesetze des Bundes und durch die Immissionsschutzgesetze und -verordnungen der Länder 652 abgerundet. Gemeinsames Ziel dieser Rechtsnormen ist der mediale Schutz der Luft vor Verunreinigungen und Lärm. Wie § 1 Abs 1 BImSchG ausdrücklich bestimmt, ist es der Zweck des Gesetzes, 168 Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. Damit ist neben der

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worden; abgedr bei v Lersner/Berendes (Fn 489) Bd 4, D 735/1 ff; zur demokratischen Organstruktur dieser Verbände BVerfG NVwZ 2003, 974; anders BVerwGE 106, 64; BVerwG NVwZ 1999, 870; hierzu Tettinger/Mann u Salzwedel Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000. Diese Unterschiede sind indessen durch die geltenden Rechtsgrundlagen dieser Verbände (Fn 643) weitgehend eingeebnet worden. GVBl 253, ber 280; idF v 3. 1. 1986 (GVBl 54), zul geänd d G v 25. 9. 2001 (GVBl 708); zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 10, 89 ff; auch BVerwG NVwZ 1985, 271. G v 7. 2. 1990 (GVBl 106); geänd d G v 25. 9. 2001 (GVBl 708); dazu Löwer Sondergesetzliche Gründung und Auflösung von Wasserverbänden, 1996, 3 ff. G v 15. 2. 1992 (GVBl 1993, 40); geänd d G v 25. 9. 2001 (GVBl 708). Ursprünglich v 15. 3. 1974 (BGBl I 721, ber 1193); gegenwärtig idF v 26. 9. 2002 (BGBl I 3830), zul geänd d G v 22. 12. 2004 (BGBl I 3704). Zusammengestellt bei Ule/Laubinger BImSchG, Teil 2; Kloepfer Umweltschutz, Bd II, Nr 601–690. V 30. 3. 1971 (BGBl I 282), zul geänd d VO v 29. 10. 2001 (BGBl I 2785). V 5. 8. 1971 (BGBl I 1234), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). Zusammenstellung bei Burhenne UmwR, Bd 5, 131511 (BW) – 139093 (THÜ).

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anthropozentrisch und polizeirechtlich orientierten Abwehr von Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen die ressourcenökonomisch und ökologisch orientierte Vorsorge zum Gesetzeszweck erhoben worden.653 Die Zielsetzung des integrativen, medienübergreifenden Umweltschutzes ist – in Umsetzung der IVU-Richtlinie 96/61/EG 654 – nunmehr in § 1 Abs 2 BImSchG gesetzestechnisch „aufgesattelt“ worden. Sie bezieht sich auf die genehmigungsbedürftigen Anlagen (§§ 4 ff BImSchG), ist dort der Sache nach keineswegs neu und muß im Kontext der Betreiberpflichten (§ 5 BImSchG) gewürdigt werden. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs 1 169 BImSchG „Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen“. Immissionen werden gesetzlich definiert als „auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen“ (§ 3 Abs 2 BImSchG). Das Immissionsschutzrecht gilt jedoch nicht für Anlagen, Geräte, Vorrichtungen sowie Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe, die den Vorschriften des Atom- und Strahlenschutzrechts unterliegen (§ 2 Abs 2 BImSchG). Von Anfang an war umstritten, ob als Schutzgüter des BImSchG nur das Leben 170 und die Gesundheit des Menschen oder auch Tiere, Pflanzen und andere Sachen anzusehen sind. Seit der Gesetzgeber durch die 3. Novelle zum BImSchG vom 11. 5. 1990 655 ausdrücklich den Boden, das Wasser, die Atmosphäre und die Kulturgüter in den Kreis der Schutzgüter des § 1 BImSchG aufgenommen hat, steht fest, daß der Schutz des Menschen und seiner gesamten Umwelt Zweck des Gesetzes ist.656 Die Formulierung des Gesetzeszwecks und der wiedergegebenen Legaldefinitionen spricht somit für die umfassende Schutzgutinterpretation. Danach müßte bei der generellen oder konkreten Bestimmung der höchstzulässigen Immissionswerte der Schutz des jeweils empfindlichsten Partners – Mensch, Tier oder Pflanze – den Ausschlag geben.657 In der Rechtswissenschaft wird dagegen die Auffassung vertreten, daß Tiere, Pflanzen und andere Sachen nicht selbständige Schutzgüter des BundesImmissionsschutzgesetzes seien; vielmehr seien sie nur als Teil der Allgemeinheit und der Nachbarschaft, also mit Rücksicht auf den Menschen und die Lebensqualität seiner Umgebung, geschützt.658 Diese These muß vor dem Hintergrund der Erkenntnis gesehen werden, daß bestimmte Tiere und Pflanzen möglicherweise eine besondere Empfindlichkeit aufweisen und vor Schäden nur bewahrt werden können, wenn gewisse Immissionen unter den allgemein zugrunde gelegten Werten liegen, die nach sachkundiger Beurteilung für den Menschen – und zwar auch für 653

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Vgl Dietlein in: Landmann/Rohmer, UmwR, Bd I, § 1 BImSchG Rn 10 f; allgem zum Vorsorgeprinzip bereits o Rn 7 ff; zu § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG u Rn 183 ff. Vgl o Rn 49c mit Fn 189. BGBl I 870; dazu Sellner, Rebentisch und Hansmann NVwZ 1991, 305 ff, 319 ff, 316 ff. Vgl BT-Drucks 11/6633, 43; dazu Führ IUR 1990, 54. So die vom BMI dem OVG Münster im Voerde-Fall gegebene Auskunft, vgl BVerwGE 55, 250, 259 f; anscheinend auch die amtl Begründung der BReg in BT-Drucks 8/2751, 6 (unter A II). So Dietlein (Fn 653) § 1 BImSchG Rn 9 ff, § 5 BImSchG Rn 68 ff.

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Risikogruppen wie Kranke, Schwangere und Kinder – „auf der sicheren Seite“ liegen.659 Sieht man die Sachgüter nicht als selbständig, sondern nur als mittelbar um des Menschen willen geschützt an, gelangt man jedenfalls tendenziell zu einem verminderten Sachgüterschutz. Daraus erwächst eine besondere Rechtsunsicherheit bei der Bestimmung der höchstzulässigen Immissionswerte. Die TA Luft von 1983/ 86 660 suchte diesen Gegebenheiten gerecht zu werden, indem sie – mit der Verbindlichkeit einer Verwaltungsvorschrift – in bezug auf die Immissionen unterschiedliche Gesundheits- und Nachteilswerte, einen Vorsorgewert für Schwefeldioxid und Sanierungsklauseln für überbelastete Gebiete vorsah. Die TA Luft vom 24. 7. 2002 661 führt diese Differenzierung durch gesonderte Immissionswerte fort, die teils dem Schutz der menschlichen Gesundheit und teils dem Schutz vor erheblichen Belästigungen oder Nachteilen durch verschiedene Umwelteinwirkungen dienen; zudem stellt sie, soweit Immissionswerte nicht festgelegt sind, und für Sonderfälle immissionsseitige Anforderungen auf. Ungeachtet der gemeinsamen Zielsetzung umfassen die Gesetze und Verordnun- 171 gen des Immissionsschutzrechts verschiedene Lebensbereiche und Immissionsquellen. Bei systematischer Betrachtung sind der anlagenbezogene, der produktbezogene, der verkehrsbezogene, der allgemeine handlungsbezogene und der gebietsbezogene Immissionsschutz zu unterscheiden.

2. Genehmigungsbedürftige Anlagen Die Regelung der §§ 4 ff BImSchG über genehmigungsbedürftige Anlagen hat die 172 früher in den §§ 16 ff GewO enthaltene Regelung der Anlagengenehmigung abgelöst. Zugleich sind die letztgenannten Vorschriften aufgehoben worden (§ 68 Abs 1 Nr 1 BImSchG). Grundsätzlich ist in den §§ 4 ff BImSchG das formell- und materiellrechtliche System der gewerberechtlichen Anlagengenehmigung beibehalten worden. Dennoch unterscheidet sich die immissionsschutzrechtliche von der früheren gewerberechtlichen Anlagengenehmigung durch eine Reihe von Verschärfungen.662 Deren rechtlicher Hebel liegt in den fortlaufend zu erfüllenden Betreiberpflichten des § 5 BImSchG, dem hiervon umfaßten Gebot der Vorsorge nach Maßgabe des dynamischen, fortschrittlichen Standes der Technik (§ 3 Abs 6 BImSchG) sowie den ebenfalls erweiterten Ermächtigungen zum Erlaß von Untersagungs-, Stillegungs- und Beseitigungsverfügungen (§ 20 BImSchG) und zum Widerruf der Anlagengenehmigung (§ 21 BImSchG). 659

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Vgl insoweit die v 20.–24. 2. 1978 durchgeführte Sachverständigenanhörung über die medizinischen, biologischen und ökologischen Grundlagen zur Bestimmung schädlicher Luftverunreinigungen; hierzu BT-Drucks 8/2751, 6, 7. Die Fassung der TA Luft v 23. 2. 1983 (GMBl 93) hat seinerzeit insbes die Immissionswerte novelliert; vgl dazu Feldhaus/Ludwig DVBl 1983, 565 ff; Kutscheidt NVwZ 1983, 581 ff; die Novellierung der TA Luft v 27. 2. 1986 (GMBl 95, ber 202) hat insbes die emissionsbezogenen Anforderungen verschärft; vgl dazu Feldhaus/Ludwig/Davids DVBl 1986, 641 ff; Jarass NVwZ 1986, 607, 609 f; Hansmann UPR 1989, 321 ff. Erste AVwV zum BImSchG, GMBl 2002, 511; dazu Hansmann NVwZ 2003, 266 ff. Vgl Ule in: FS Fröhler, 1980, 349 ff; Schwerdtfeger NJW 1974, 778 f; Feldhaus in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 15 ff.

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Insgesamt betrachtet ist die Anlagengenehmigung dadurch, den Erfordernissen des Umweltschutzes und dem Wandel der Technik entsprechend, dynamisiert worden. Zwar enthält sie nach wie vor einen sachbezogenen, in hinreichendem Maße Bestands- und Vertrauensschutz gewährleistenden Zulassungsakt. Sie entbehrt jedoch insofern des Charakters der früheren gewerberechtlichen Sachkonzession, als sie nicht mehr wie diese ein subjektiv-öffentliches Recht verleiht, die einmal genehmigte Anlage ungeachtet eines Wandels der tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen weiterzubetreiben.663 a) Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen

174 Der Genehmigung bedürfen nach § 4 Abs 1 Satz 1 BImSchG 664 die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebes in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen, sowie von ortsfesten Abfallentsorgungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen. Der Anlagenbegriff ist in § 3 Abs 5 BImSchG definiert. Wie sich aus § 4 Abs 1 Satz 2 BImSchG ergibt, gilt die Genehmigungspflicht zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie für gewerbliche Anlagen und im übrigen für die genannten Entsorgungsanlagen, die durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. 4. 1993 665 aus dem Anwendungsbereich der abfallrechtlichen Planfeststellung (vormals § 7 AbfG 1986) in denjenigen der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung verlagert worden sind. Der abfallrechtlichen Planfeststellung unterliegen gegenwärtig nur noch Deponien (§ 31 Abs 1 und 2 KrW-/AbfG).666 Welche Anlagenarten unter die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht fallen, ist aufgrund der Ermächtigung des § 4 Abs 1 Satz 3 BImSchG in der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV 667) in enumerativer, der Rechtssicherheit dienender Weise geregelt. b) Betreiberpflichten 175 Die Erteilung der Errichtungs- oder Betriebsgenehmigung setzt nach § 6 Abs 1 Nr 1 BImSchG voraus, daß die Erfüllung der Betreiberpflichten nach § 5 BImSchG sichergestellt ist. Diese Pflichten erhalten ihre Stoßkraft durch das Viergespann des Schutzgrundsatzes, des Vorsorgegrundsatzes, des Abfallvermeidungs- und Entsorgungsgrundsatzes sowie des Gebotes der sparsamen und effizienten Energieverwen663

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Allerdings war bereits nach dem durch G v 22. 12. 1959 eingefügten § 25 Abs 3 GewO eine nachträgliche Anordnung und nach § 51 GewO die entschädigungspflichtige Untersagung der Anlagenbenutzung möglich; vgl Fuhr GewO, Vorbem II 1, III vor § 16. IdF d Investitionserleichterungs- und WohnbaulandG v 22. 4. 1993 (BGBl I 466). Oben Fn 664. Vgl zur Entstehungsgeschichte sowie zur Bewertung dieses geänderten „Zulassungsregimes“ Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 31 Rn 5 ff, 8 ff; Näheres u Rn 262. IdF v 14. 3. 1997 (BGBl I 504), zul geänd d VO v 23. 12. 2004 (BGBl I 3758); allgem zur Verordnungsänderung durch G Uhle DÖV 2001, 241 ff; Külpmann NJW 2002, 3436 ff.

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dung (§ 5 Abs 1 BImSchG). Die 3. Novelle vom 11. 5. 1990 668 und das Artikelgesetz vom 27. 7. 2001 zur Umsetzung der IVU-Richtlinie 669 haben die genannten Pflichten in zeitlicher und phasenspezifischer Weise erweitert. Danach hat der Betreiber auch nach einer Betriebseinstellung sicherzustellen, daß von der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden können, vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden und die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Betriebsgeländes gewährleistet ist (§ 5 Abs 3 BImSchG).670 Bei der Umschreibung der Betreiberpflichten verwendet das Gesetz unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Behörden und Gerichte vor erhebliche Auslegungsschwierigkeiten stellen. Dennoch ist davon auszugehen, daß der Genehmigungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zusteht.671 Ob ein Anspruch des Antragstellers auf Genehmigung der Errichtung oder des Betriebs einer Anlage nach den §§ 5, 6 Abs 1 Nr 1 BImSchG besteht, ist daher – systematisch betrachtet – eine rechtlich gebundene Entscheidung. Sie unterliegt somit grundsätzlich der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Dies gilt auch für die Festsetzung von Nebenbestimmungen zur Genehmigung nach § 12 Abs 1 BImSchG; insbesondere steht der Genehmigungsbehörde kein Ermessensspielraum bei der Festsetzung von Auflagen zu, wenn diese erforderlich sind, um die Rechtsgüter der §§ 5, 6 Abs 1 Nr 1 BImSchG zu schützen.672 Art 3 der IVU-Richtlinie 96/61/EG 673 regelt „allgemeine Prinzipien der Grund- 175a pflichten der Betreiber“ und erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, als sei das deutsche Konzept der Betreiberpflichten auf der supranationalen Rechtsebene übernommen worden.674 Die Mitgliedstaaten treffen hiernach „die erforderlichen Vor668 669 670

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Vgl o Fn 655; dazu BT-Drucks 11/4909, 15, 27 f, 41; auch Vallendar UPR 1991, 91, 92 ff. Vgl o Rn 49c mit Fn 190. Eine entsprechende immissionsschutzrechtliche Anordnung ist im Falle der Insolvenz an den Insolvenzverwalter zu richten; vgl OVG Lüneburg NJW 1992, 1252; 1993, 1671; 1995, 413; auch Kohls (Fn 472) 27 ff. BVerwGE 55, 250, 253 f = DVBl 1978, 591 m Anm v Breuer → JK VwGO § 113 I 1/1; ferner zB OVG Hamburg DVBl 1975, 207; OVG Münster DVBl 1976, 790, 793 f; Breuer DVBl 1978, 32 ff mwN; ders in: UTR Bd 45, 1998, 161, 179 ff, 198 ff; eingehend und weiterführend Trute Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im BImSchG, 1989, 304 ff, 314 ff; aA OVG Lüneburg DVBl 1985, 1322, 1323; zum Meinungsstand Martens DVBl 1981, 601 ff; Müller-Glöge Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle administrativer Immissionsprognosen, 1982; Näheres u Rn 181, 184 ff. VG München GewArch 1979, 29; vgl auch Wasielewski in: Koch/Scheuing, GK-BImSchG, § 12 Rn 21 f. ABl EG, L 257/26, zul geänd d VO (EG) 1882/2003 v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1); vgl aus der breiten Diskussion über diese RL statt vieler: Sellner/Schnutenhaus NVwZ 1993, 828 ff; Schnutenhaus NVwZ 1994, 671 ff; Wasielewski UPR 1995, 99 ff; Dürkop/Kracht/ Wasielewski UPR 1995, 425 ff; Appel DVBl 1995, 399 ff; Krings/Schweitzer in: UTR Bd 36, 1996, 559, 561 ff; Steinberg/Koepfer DVBl 1997, 973 ff; Dolde NVwZ 1997, 313 ff. So Dürkop/Kracht/Wasielewski UPR 1995, 429 ff; Kracht/Wasielewski in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd I, 2. Aufl 2003, § 35 Rn 24 ff; Koch in: UTR Bd 40, 1997, 31, 34; zutr hingegen Beyer UPR 2000, 434, 436.

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kehrungen, damit die zuständigen Behörden sich vergewissern, daß die Anlage so betrieben wird,“ daß alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Umweltverschmutzungen getroffen werden, keine erheblichen Umweltverschmutzungen verursacht werden, Abfälle in der gebotenen Stufung vermieden, verwertet oder beseitigt werden, Energie effizient verwendet wird, die notwendigen Maßnahmen zur Unfallverhinderung und zur Begrenzung von Unfallfolgen ergriffen werden und bei einer endgültigen Stillegung die erforderlichen Gefahrenabwehr- und Wiederherstellungsmaßnahmen getroffen werden (Art 3 Satz 1). Dies bedeutet nicht, daß die Mitgliedstaaten objektiv und ergebnisbezogen verpflichtet wären, Vorkehrungen zur Einhaltung der umschriebenen Betreiberpflichten zu treffen. Noch weniger sind die Mitgliedstaaten hiernach verpflichtet, Anlagengenehmigungen nur zu erteilen, wenn – konditional – sichergestellt ist, daß die Betreiberpflichten eingehalten werden. Durch das subjektivierende und relativierende Element des behördlichen „Vergewisserns“ wird den Mitgliedstaaten die Befugnis zugestanden, ihren Behörden eine Einschätzungsprärogative oder – anders ausgedrückt – einen Beurteilungsspielraum zu gewähren. Die vertretbare behördliche Bejahung der „erforderlichen Vorkehrungen“ hinsichtlich des umweltverträglichen Anlagenbetriebs reicht demnach aus. Damit erweist sich auch die IVU-Richtlinie als Akt der finalen Rechtsetzung.675 Diese Ausrichtung wird durch Art 3 Satz 2 der Richtlinie bestätigt. Danach reicht es für die Einhaltung dieses Artikels aus, „wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, daß die zuständigen Behörden bei der Festlegung der Genehmigungsauflagen die in diesem Artikel angeführten allgemeinen Prinzipien berücksichtigen“. Das deutsche Konzept der Betreiberpflichten ist daher auf der supranationalen Ebene nicht übernommen worden. Es ist den Mitgliedstaaten lediglich als Option anheimgegeben. Der Systembruch des europäischen gegenüber dem deutschen Recht der Anla175b genzulassung wird noch deutlicher, wenn man sich den integrativen, medienübergreifenden und notwendigerweise abwägungsoffenen Ansatz der IVU-Richtlinie vergegenwärtigt. Während die von ihr abgelöste Richtlinie 84/360/EWG zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrieanlagen 676 mit dem deutschen Anlagenzulassungsrecht der §§ 4 ff BImSchG konform ging, folgt die IVU-Richtlinie einem anderen, vorwiegend britisch geprägten Konzept. Deren Zweck der integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung in bezug auf alle Umweltmedien (Art 1, 7, 9 Abs 1, Erwägungsgründe 7, 8, 9, 15) klingt als rechtliches Optimierungsgebot verführerisch. Die Betrachtung des Richtlinieninhalts bestärkt jedoch die Sorge, daß strikte Betreiberpflichten und einheitliche, situationsunabhängige Emissionsbegrenzungen zum vorsorgenden Schutz von Luft, Wasser und Boden europarechtlich zurückgestellt und überdies mit dem Vorwurf der Einseitigkeit stigmatisiert werden sollen.677 So ist es im System angelegt, daß die „allgemeinen Prinzipien der Grundpflichten der Betreiber“ (Art 3) gerade keine konditionalen und strikten Betreiberpflichten iS der §§ 5 und 6 Abs 1 Nr 1 BImSchG, sondern bloße mitgliedstaatliche Berücksichtigungspflichten in bezug auf eine pla675 676

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Vgl Breuer AöR 127 (2002) 523, 556 ff, 560 ff; näher o Rn 54–56. ABl EG, L 188/20, zul geänd d RL 91/692/EWG v 23. 12. 1991 (ABl EG, L 377/48); dazu Sellner in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 49 Rn 13 ff. Vgl o Rn 49c, 73 mit Fn 289.

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nerische, im wesentlichen an Umweltqualitätszielen orientierte Abwägung sind. Gemeinschaftsrechtliche Emissionsgrenzwerte sind in der IVU-Richtlinie nur noch nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips vorgesehen, „wenn sich … herausgestellt hat, daß die Gemeinschaft tätig werden muß“ (Art 18 Abs 1). Für den Einzelfall bestimmt die IVU-Richtlinie zwar, daß die Genehmigung Emissionsgrenzwerte für die Schadstoffe enthalten muß, die von der betreffenden Anlage in relevanter Menge emittiert werden können (Art 9 Abs 3 Satz 1). Gegebenenfalls können die Grenzwerte jedoch „durch äquivalente Parameter bzw äquivalente technische Maßnahmen erweitert oder ersetzt werden“ (Art 9 Abs 3 Satz 3). Solche Emissionsgrenzwerte, äquivalenten Parameter und äquivalenten technischen Maßnahmen sind grundsätzlich „auf die besten verfügbaren Techniken zu stützen, ohne daß die Anwendung einer bestimmten Technik oder Technologie vorgeschrieben wird“. Hierbei sind „die technische Beschaffenheit der Anlage, ihr geographischer Standort und die jeweiligen örtlichen Umweltbedingungen zu berücksichtigen“ (Art 9 Abs 4 Satz 1). Damit wird die Emissionsbegrenzung durch eine bedenkliche Immissionsund Einzelfallbetrachtung relativiert.678 Die deutsche Umsetzung der IVU-Richtlinie durch das Gesetz vom 27. 7. 2001 679 hat zwar den Ansatz der gebundenen Anlagengenehmigung mit den konditionalen und strikten Betreiberpflichten beibehalten. Durch die gleichzeitige Übernahme des integrierten Ansatzes (§§ 1 Abs 2, 3 Abs 6, 5 Abs 1 BImSchG) sowie den rechtlichen Anwendungsvorrang und die supranationale, umweltpolitische Stoßkraft der IVU-Richtlinie ist der Systembruch jedoch in das deutsche Anlagenzulassungsrecht eingedrungen.680 Seine Folgewirkungen verdienen kritische Aufmerksamkeit. aa) Schutzgrundsatz: Nach § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG sind genehmigungsbedürf- 176 tige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß „zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt“ schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit nicht hervorgerufen werden können. Insoweit sind die präventivpolizeilichen Genehmigungsvoraussetzungen der früheren §§ 16 ff GewO einschließlich des Postulats vorbeugenden Immissionsschutzes beibehalten worden.681 Der Gefahrenbegriff, der sowohl in der Legaldefinition schädlicher Umweltein- 177 wirkungen (§ 3 Abs 1 BImSchG) als auch bei der Feststellung „sonstiger Gefahren“ eine maßgebende Rolle spielt, muß im Anschluß an das Polizeirecht präzisiert werden. Eine Gefahr liegt hiernach vor, wenn ein Schaden für Leib oder Leben eines Menschen oder ein erheblicher Sachschaden nach der Lebenserfahrung mit hinrei678

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Krit auch Rebentisch NVwZ 1995, 949 ff; Steinberg/Koepfer DVBl 1997, 973 ff; Di Fabio NVwZ 1998, 329 ff; Ladeur ZUR 1998, 245 ff; Masing DVBl 1998, 549 ff; Sellner (Fn 676) § 49 Rn 130; trotz der Kritikpunkte eher befürwortend Volkmann VerwArch 89 (1998) 363 ff; Lübbe-Wolff NVwZ 1998, 777 ff; vgl allerdings zu nicht verbindlichen Konkretisierungen der besten verfügbaren Techniken gem Art 16 Abs 2 IVU-RL Davids UPR 2000, 439 ff; Feldhaus NVwZ 2001, 1 ff. BGBl I 1950. Vgl einerseits Sellner in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 401 ff; andererseits Rebentisch ebda, 419 ff; ferner Wasielewski ebda, 213 ff; Breuer in: FS Feldhaus, 1999, 49, 71 ff. Vgl Dietlein (Fn 653) § 1 BImSchG Rn 36; Sellner NJW 1980, 1255 f.

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chender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.682 Je größer der drohende Schaden ist, desto eher muß eine nur geringe Eintrittswahrscheinlichkeit als gefahrbegründend und eine Vermeidungsmaßnahme als erforderlich angesehen werden.683 Von der Gefahr muß grundsätzlich der Gefahrenverdacht unterschieden werden.684 Ein solcher besteht zB in der begründeten Vermutung, daß die Luftverunreinigung durch Schwefel- und Stickoxide die wesentliche Ursache für die „neuartigen Waldschäden“ ist.685 Aufgrund einer konkreten Wahrscheinlichkeitsbeurteilung kann sich jedoch ein Gefahrenverdacht in einer für den Schutzgrundsatz relevanten Weise verdichten. Dies ist der Fall, wenn nicht mehr gewährleistet ist, daß schädliche Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft durch die Anlage nicht hervorgerufen werden können (§ 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG).686 Falls insbesondere ein großräumiger Schutz vor den „neuartigen Waldschäden“ nicht mehr allein durch die einschlägigen Immissionsgrenzwerte sichergestellt ist, sondern erst von den restriktiveren, an sich vorsorgebezogenen Emissionsgrenzwerten erwartet werden kann, wird deren Einhaltung ausnahmsweise zu einem Postulat des (nachbarschützend wirkenden) Schutzgrundsatzes.687 Andererseits geht das Gesetz trotz seiner mißverständlichen Formulierung davon aus, daß es keine perfekte technische Sicherheit geben kann. Vielmehr muß ein „Restrisiko“ hingenommen werden, das praktisch unvermeidbar und gesetzlich akzeptiert ist.688 Die Störfall-Verordnung 689 hat durch sicherheitstechnische Gebote den Schutzgrundsatz konkretisiert und damit das hinzunehmende Restrisiko eines Störfalls begrenzt. Sie setzt die „Seveso IIRichtlinie“ 690 in deutsches Recht um. Gerade dadurch wirft sie allerdings konzeptionelle und rechtspraktische Abstimmungsprobleme auf, da sie anstelle des Anlagen682

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→ Schoch 2. Kap Rn 84 ff; ferner statt vieler: Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr, 9. Aufl 1986, 223 ff; Hansen-Dix Die Gefahr im PolizeiR, im OrdnungsR und im Technischen SicherheitsR, 1982. Vgl zB BVerwG NJW 1970, 1890, 1892; DVBl 1973, 857, 858 f; 1974, 297, 300; 1974, 842, 845; BVerwGE 47, 31, 40; OVG Saarlouis DÖV 1973, 863, 864; OVG Lüneburg GewArch 1975, 303, 305. So BVerwGE 61, 251, 267; 69, 37, 43; 72, 300, 315; BayVGH DVBl 1979, 673, 676; OVG Lüneburg GewArch 1980, 202, 205; Breuer DVBl 1978, 836; Papier DVBl 1979, 162; Jarass BImSchG, 6. Aufl 2005, § 3 Rn 44; Ossenbühl NVwZ 1986, 166; Rengeling DVBl 1986, 267; aA Hansen-Dix (Fn 682) 172 ff, auch 66 ff, 69 ff. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Sondergutachten „Waldschäden und Luftverunreinigungen“, BT-Drucks 10/113, Tz 308 ff, 406 ff; daran anknüpfend auch Glitz ZfU 1983, 147 f. So auch Jarass (Fn 684) § 3 Rn 31. Vgl Breuer DVBl 1986, 855 f; ähnlich Marburger Gutachten C zum 56. DJT, 1986, 95 f, 97 ff. BVerfGE 49, 89, 141 f – Kalkar; Kutscheidt (Fn 653) § 3 BImSchG Rn 11 c; ders in: FS Redeker, 1993, 439, 447; Sellner ImmissionsschutzR und Industrieanlagen, 2. Aufl 1988, Rn 25; Rauschning VVDStRL 38 (1980) 191 ff; Martens DVBl 1981, 599. 12. BImSchV v 26. 4. 2000 (BGBl I 603). RL 96/82/EG v 9. 12. 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (ABl EG, L 10/13), zul geänd d RL 2003/105/EG v 16. 12. 2003 (ABl EG, L 345/100); zur beabsichtigten (erneuten) Änd der Seveso II-RL Kloepfer UmwR, § 14 Rn 127.

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bezuges den Ansatz des „Betriebsbereichs“ (§ 3 Abs 5a BImSchG) und damit eine geographische und organisatorische anstelle der technologischen Sichtweise zugrunde legt.691 Ein rechtserheblicher Nachteil wird als Vermögensschaden oder Einschränkung 178 des persönlichen Lebensraums aufgrund von physischen Einwirkungen, eine Belästigung als Einwirkung auf das physische oder psychische Wohlbefinden des Menschen bis zur Grenze des Gesundheitsschadens definiert.692 Die Erheblichkeit eines Nachteils oder einer Belästigung kann je nach der „Vorbelastung“ des betreffenden Gebietes differieren.693 In Bereichen, in denen Baugebiete von unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet; danach muß der Betroffene Nachteile und Belästigungen hinnehmen, die er außerhalb eines derartigen Grenzbereiches nicht hinzunehmen brauchte.694 Ferner müssen die Allgemeinheit und die Nachbarschaft sich Nachteile und Belästigungen zumuten lassen, soweit der bauliche oder der „überwirkende“, bauliche Erweiterungen deckende Bestandsschutz einer gewerblichen Anlage gemäß Art 14 Abs 1 GG reicht.695 Umgekehrt begründen Immissionen, die das nach § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG zulässige Maß nicht überschreiten, weder einen schweren und unerträglichen Eingriff in das (Nachbar-)Eigentum noch eine Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme. Vielmehr hat insofern das BImSchG die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen auch mit Wirkung für das Baurecht allgemein bestimmt.696 Das BVerwG hat im Voerde-Urteil 697 anerkannt, daß die nach § 48 BImSchG 179 durch die TA Luft von 1974 festgelegten Immissionswerte für die gerichtliche Beurteilung der Frage, ob Immissionen im einzelnen Fall geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen iSd § 3 Abs 1 BImSchG hervorzurufen, im allgemeinen als antizipiertes Sachverständigengutachten bedeutsam sind. Es hat darauf abgestellt, daß die Immissionswerte der TA Luft „auf den zentral … ermittelten Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete beruhen“. Damit hat das BVerwG gegenläufige Tendenzen korrigiert, welche die TA Luft bei der Rechtsfindung lediglich „heranziehen“ und letztlich durch eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung verdrängen wollten.698 Der im Voerde-Urteil des BVerwG beschrittene 691

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Vgl Rebentisch NVwZ 1997, 6 ff; Wietfeldt in: FS Feldhaus, 1999, 341, 357 ff; Feldhaus UPR 2000, 121 ff; Müggenborg NVwZ 2000, 1096 ff; Spindler UPR 2001, 81 ff; Ohms UPR 2001, 87 ff; wN bei Jarass (Fn 684) A 12, 1030. Sellner (Fn 688) Rn 42. Vgl OVG Münster DVBl 1976, 790, 796; OVG Lüneburg GewArch 1979, 345; auch Sellner (Fn 688) Rn 51, 219 ff; krit zum herrschenden Verständnis der Erheblichkeit iS von Unzumutbarkeit Classen JZ 1993, 1042 ff. BVerwGE 50, 49, 54 f; VGH BW NVwZ 1997, 1014 (verminderte Schutzwürdigkeit eines Wohngebäudes im Außenbereich); zur „Verzahnung“ zwischen Immissionsschutz- und BauR Bier ZfBR 1992, 18 f; Koch in: FS Hoppe, 2000, 549 ff. BVerwGE 50, 49, 58 f. BVerwGE 68, 58, 60. BVerwGE 55, 250, 253 ff = DVBl 1978, 591 m Anm v Breuer → JK VwGO § 113 I 1/1. So in der Vorinstanz OVG Münster DVBl 1976, 790, 794; ferner OVG Hamburg DVBl 1975, 207; OVG Lüneburg GewArch 1975, 303; DVBl 1977, 347.

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Lösungsweg wird der fachlichen und prozeduralen Qualität von Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG gerecht, soweit diese die ermittelten Erkenntnisse des Sachverstandes mit ungebrochenem Inhalt übernommen haben. Damit wird die gesetzlich intendierte Konkretisierungsfunktion solcher Verwaltungsvorschriften aufrechterhalten und die Rechtssicherheit gefördert.699 Falls zwei als antizipierte Sachverständigengutachten zu beachtende Verwaltungsvorschriften oder Regelwerke unterschiedliche Immissionswerte festsetzen, ist der rechtlichen Beurteilung in der Regel die neuere Vorschrift zugrunde zu legen.700 Die Beachtung einer Verwaltungsvorschrift oder eines technischen Regelwerkes 180 als antizipiertes Sachverständigengutachten stößt allerdings auf sachimmanente Grenzen.701 Zum einen wird hierdurch dem Gericht die Erhebung eines individuellen Sachverständigenbeweises nach den prozeßrechtlichen Vorschriften nicht abgeschnitten. Zum anderen sind jedenfalls im gerichtlichen Verfahren der Hauptsache zwei Einwände beachtlich: erstens der Einwand, bestimmte Immissionswerte seien nach dem neuesten Stand der naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse unzureichend und überholt, und zweitens der Einwand, es liege ein atypischer, bei der Festsetzung eines bestimmten Immissionswertes nicht berücksichtigter Fall – zB ein Zusammentreffen mit anderen Schadstoffen – vor, so daß der festgesetzte Wert nicht oder nur in modifizierter Weise angewendet werden könne. Darüber hinaus ist zutreffend betont worden, daß Verwaltungsvorschriften wie 181 die TA Luft (von 1983/86 wie von 2002) vielfach keine reinen „Emanationen“ des naturwissenschaftlichen und technischen Sachverstandes sind, sondern wertende, volitive und letztlich politische Entscheidungen enthalten.702 In diesem Sinne hat das OVG Lüneburg 703 der TA Luft aF ausdrücklich die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens abgesprochen. Zugleich hat es der Exekutive „einen von den Gerichten zu respektierenden Beurteilungsbereich“ sowie die Befugnis zuerkannt, durch Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG im Rahmen der normativen Vorgaben aufgrund willkürfreier Ermittlungen Bewertungen und Feststellungen zur Erforderlichkeit von Schutz- und Vorsorgemaßnahmen gegen schädliche Umwelteinwirkungen zu treffen. Demgemäß hat sich die Qualifizierung der TA Luft als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift durchgesetzt.704 Hiermit stimmen 699

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So bereits Breuer DVBl 1978, 34 ff; vgl auch Niere DVBl 1975, 172 ff; Feuchte DV 10 (1977) 296; zust Ossenbühl in: FG BVerwG, 1978, 447; zu praktischen Konsequenzen Feldhaus DVBl 1981, 165 ff; abl zB Vieweg NJW 1982, 2473 ff; Skouris AöR 107 (1982) 233 ff; Rittstieg NJW 1983, 1098 ff; zusammenfassend Trute (Fn 671) 318 f. So OVG Münster NJW 1979, 772 für das Verhältnis der VDI-Richtlinie 2058 von 1973 zur TA Lärm von 1968. Vgl Breuer AöR 101 (1976) 79 ff; DVBl 1978, 35 f und 599; UTR Bd 9, 1989, 67 f; UTR Bd 45, 1998, 177. So Ossenbühl DÖV 1982, 840; Feldhaus/Ludwig DVBl 1983, 570; Kutscheidt NVwZ 1983, 584; Badura in: FS Bachof, 1984, 175 ff; Murswiek Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, 375 f; zur Annahme eines administrativen Beurteilungsspielraums Marburger Die Regeln der Technik im Recht, 1979, 417 ff; Sellner BauR 1980, 391 ff; Grimm in: Richterliches Handeln und technisches Risiko, 1982, 44 ff. DVBl 1985, 1322, 1323. BVerwG NVwZ 1988, 824; 1995, 994 und 1129; NVwZ-RR 1996, 498, 499; NVwZ

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die Aussagen überein, die das BVerwG im Wyhl-Urteil 705 zur Verantwortung der Exekutive für die Risikoermittlung und -bewertung auf atomrechtlichem Gebiet formuliert hat. Gerechtfertigt und begrenzt wird diese Verringerung der judikativen Kontrolldichte durch zwei Elemente, nämlich die (explizite oder implizite) gesetzliche Verweisung auf einen naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisspielraum und die hieran geknüpfte Einräumung eines administrativen, durch Verwaltungsvorschriften ausfüllbaren Standardisierungsspielraums.706 Dieser greift – nur – insoweit ein, als ein (primär einzuholendes) antizipiertes Sachverständigengutachten wegen verbleibender Erkenntnislücken oder Bewertungsunterschiede unvollkommen bleibt, wegen verfassungsrechtlicher Postulate (insbesondere der Verhältnismäßigkeit) modifiziert werden muß oder aus praktischen Gründen einer Pauschalierung oder sonstigen Vereinfachung bedarf.707 Namentlich die TA Luft von 1983/ 86 sowie nunmehr von 2002 und die TA Lärm von 1998 beruhen auf einem solchen „gemischten“ Vorgang der sachverständigen Begutachtung und der administrativen Standardisierung.708 Den Gerichten bleibt stets die Prüfung vorbehalten, ob eine administrative Standardisierung die genannten Voraussetzungen wahrt, nicht überholt ist und nicht wegen atypischer Sachverhaltsumstände unanwendbar ist.709 Demzuwider hat der EuGH die Verwaltungsvorschriften im allgemeinen und die 181a TA Luft im besonderen als Instrument zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien verworfen.710 Auf die Umsetzung bestimmter stoffbezogener Standardisierungsrichtlinien 711 bezogen, hat der Gerichtshof die dargelegte Konzeption der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften für umsetzungsuntauglich erklärt. Sein Verdikt gipfelt in dem Satz, es lasse sich im Hinblick auf die betreffenden Richtlinien über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität nicht sagen, „daß der Einzelne Gewißheit über den Umfang seiner Rechte haben kann, um sie gegebenen-

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2004, 619 ff; OVG Münster NVwZ 1988, 173; Vallendar UPR 1989, 213 ff; Erbguth DVBl 1989, 473 ff; Kunert NVwZ 1989, 1018 ff; Wallerath NWVBl 1989, 153 ff; v Danwitz VerwArch 84 (1993) 92 ff; Sendler UPR 1993, 321 ff; Giesberts/Hilf UPR 1999, 168 ff. BVerwGE 72, 300, 316 f. Vgl Breuer DVBl 1986, 858 f; ders NVwZ 1988, 119 ff; ders NVwZ 1990, 211, 222; ders in: UTR Bd 9, 1989, 64 ff; ders in: UTR Bd 45, 1998, 172 ff; ähnlich Jarass NJW 1987, 1228 ff; Gusy, DVBl 1987, 497 ff; Di Fabio DVBl 1992, 1338, 1344; Uerpmann BayVBl 2000, 705 ff; Guckelberger DV 35 (2002) 61 ff. Ähnlich im Erg Rittstieg Die Konkretisierung technischer Standards im AnlagenR, 1982, 210 ff. So für Emissionswerte auch BVerwG NVwZ 1997, 497; 1998, 1181; BVerwGE 110, 216; 114, 338; krit dazu Faßbender UPR 2002, 15 ff; Koch/Prall NVwZ 2002, 666, 675 f; zur TA Luft 1983/86 Feldhaus/Ludwig DVBl 1983, 565 ff; Feldhaus/Ludwig/Davids DVBl 1986, 641 ff; Feldhaus, NVwZ 1998, 1138, 1143 f; zur TA Lärm v 26.8.1998 (GMBl 503) Feldhaus NVwZ 1998, 1141 f; Schulze-Fielitz DVBl 1999, 65 ff; Koch in: FS Feldhaus, 1999, 215, 227 ff; Sparwasser/v Komorowski VBlBW 2000, 191 ff; Hansmann ZUR 2002, 207 ff. So ausdrücklich auch BVerwG NVwZ-RR 1996, 498, 499. EuGH Slg 1991, I-2567 (Schwefeldioxid und Schwebestaub); Slg 1991, I-2607 (Blei). Zur Systematisierung der Umweltrichtlinien Breuer Entwicklungen (Fn 566) 32 ff; allg zum Vorrang des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1 ff.

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falls vor den nationalen Gerichten geltend machen zu können, noch daß diejenigen, deren Tätigkeiten geeignet sind, Immissionen zu verursachen, über den Umfang ihrer Verpflichtungen hinreichend unterrichtet sind“. Somit sei nicht nachgewiesen, daß die Durchführung der zugrundeliegenden Grenzwertbestimmungen der Richtlinien „mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit“ erfolgt sei, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs notwendig sei.712 Obwohl diese Rechtsprechung des EuGH durchgreifenden Bedenken begegnet,713 war die Bundesrepublik europarechtlich verpflichtet, die streitbefangenen Richtlinien anderweitig in nationales Recht umzusetzen. Dem ist die Bundesregierung durch Erlaß der auf § 48 a BImSchG gestützten 22. BImSchV 714 nachgekommen. Durch diese Verordnung sind die Luftqualitätsrichtlinien der EG 715 in deutsches Recht umgesetzt worden. Im einzelnen hat die 22. BImSchV hierzu stoffbezogene Immissionswerte (insbesondere Immissionsgrenzwerte und jährliche Toleranzmengen) festgelegt sowie diesbezügliche Beurteilungen, Maßnahmen und Informationspflichten geregelt (§§ 1–14) und zunächst auch Ozonregelungen getroffen (§§ 15–19, nunmehr aufgehoben und ersetzt durch die 33. BImSchV vom 13. 7. 2004). In rechtssystematischer Hinsicht führt der Umsetzungsmodus der 22. BImSchV zu einem fragwürdigen Nebeneinander von Verordnungsrecht und fortgeltenden Verwaltungsvorschriften 716. Zu beachten ist auch, daß aufgrund der Luftqualitätsrichtlinien der EG und der Rechtsprechung des EuGH die deutschen Regelungen des gebietsbezogenen Immissionsschutzes (§§ 44–47 a, 49 BImSchG, §§ 9 ff der 22. BImSchV) mehrfach novelliert worden sind.717 Die Bewährungsprobe dieser neuen Vorschriften steht indessen noch aus. Im übrigen scheint der EuGH dem Marktbürger einen allgemeinen Normvollziehungsanspruch sowie eine ebenso allgemeine Klagebefugnis hinsichtlich der umzusetzenden Anforderungen der EG-Umweltrichtlinien zuerkennen zu wollen. Dafür findet sich jedoch kein Anhalt in den betreffenden Richtlinien.718 Hinzu kommt, daß der EuGH bei einer abstrakten Be712 713

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EuGH Slg 1991, 2602 f und 2632. Vgl Langenfeld/Schlemmer-Schulte EuZW 1991, 622 ff; Hansmann in: UTR Bd 17, 1992, 21 ff; Weber UPR 1992, 5 ff; Breuer Entwicklungen (Fn 566) 13 ff, 74 ff; v Danwitz VerwArch 84 (1993) 73 ff; Gellermann (Fn 566) 41 ff; eher zust hingegen Steiling NVwZ 1992, 135 ff; Bönker DVBl 1992, 804 ff; Hoppe/Otting, NuR 1998, 61 ff; zum Ganzen Faßbender (Fn 223) 91 ff, 207 ff. Zuerst VO v 26. 10. 1993 (BGBl I 1819); nunmehr VO v 11. 9. 2002 (BGBl I 3626), zul geänd druch VO v 13. 7. 2004 (BGBl I 1612). Insbes RL 96/62/EG v 27. 9. 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl EG, L 296/55), zul geänd d VO (EG) 1882/2003 v 29. 9. 2003 (ABl EG, L284/1); dazu Hansmann NuR 1999, 19 ff; Aufstellung der weiteren, durch die 22. BImSchV umgesetzten Richtlinien in BGBl 2002 I 3626; allg dazu Jarass UPR 2000, 241, 245 ff; ders in: Rengeling (Hrsg), EUDUR, Bd II/1, 2. Aufl 2003, § 48; zur 33. BImSchV o Rn 24 und u Rn 222. So auch Hansmann (Fn 713) 30; aufschlußreich ferner ders NVwZ 1995, 320 ff. Zul 7. ÄndG zum BImSchG v 11. 9. 2002 (BGBl I 3622); 22. BImSchV v 11. 9. 2002 (Fn 714); vgl u Rn 220 ff. So auch Everling in: UTR Bd 17, 1992, 16; vgl zu dem Problem der unterschiedlichen Rechtsschutzkonzepte auf europäischer und deutscher Ebene ferner Gellermann (Fn 527) 48 ff; v Danwitz Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, 83 ff, 184 ff, 326 ff; Ruffert Subjektive Rechte im UmwR der EG, 1996; Masing Die Mobilisie-

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trachtung des Rechtsinstituts der Verwaltungsvorschriften stehengeblieben ist; deren strukturelle und funktionale Bedeutung innerhalb der deutschen Verwaltungsrechtsordnung, nämlich die Gewährleistung der Balance zwischen gesetzlicher Verrechtlichung, administrativer Gesetzeskonkretisierung, judikativer Kontrolldichte sowie individuellen Ansprüchen und Klagebefugnissen, ist dem Gerichtshof entgangen.719 Der Schutzgrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG hat unstreitig nachbarschüt- 182 zenden Charakter.720 Daher kann ein Nachbar vor allem mit der Anfechtungsklage gegen eine immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung oder mit der auf die Festsetzung einer (nicht-modifizierenden) Schutzauflage (§ 12 Abs 1 BImSchG) gerichteten Verpflichtungsklage geltend machen, die erteilte Genehmigung verstoße gegen den Schutzgrundsatz. bb) Vorsorgegrundsatz: § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG verlangt, daß Vorsorge gegen 183 schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik (§ 3 Abs 6 BImSchG) 721 entsprechenden Maßnahmen. Dadurch soll der gebotene Immissionsschutz vorverlagert, nämlich über den traditionellen Schutzgrundsatz hinaus ausgedehnt werden.722 Vor der Umsetzung der IVU-Richtlinie durch das Gesetz vom 27. 7. 2001 723 bezog sich der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG allein auf die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung. Seine integrative Erweiterung durch europäisches und deutsches Recht ändert nichts daran, daß er sich insbesondere in der strikten und einheitlichen, nämlich technikbezogenen und umgebungsunabhängigen Emissionsbegrenzung niederschlägt. Der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG muß auch unter dem Vor- 184 zeichen des integrierten Umweltschutzes als Gebot einer gefahrenunabhängigen Risikovorsorge im Sinne eines verschärften sicherheitstechnischen Postulats verstanden werden. Dabei ist ebenso wie im Atomrecht eine Risikovorsorge in zwei

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rung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997;Wegener Rechte des Einzelnen – Die Interessentenklage im europäischen UmwR, 1998; Halfmann VerwArch 91 (2000) 74 ff. Näher zum Ganzen Breuer Entwicklungen (Fn 566) 74 ff; vgl o Rn 148 zum WasserR. So zB BVerwG DVBl 1982, 958 → JK VwGO § 79 II/4; 1983, 183; NVwZ 2004, 610, 611; VGH BW DÖV 1974, 706; NVwZ-RR 1999, 298; OVG Hamburg DVBl 1975, 207; OVG Koblenz GewArch 1975, 165; OVG Münster DVBl 1976, 790; OVG Lüneburg DVBl 1985, 1322 f; Sellner (Fn 688) Rn 55; für den grenzüberschreitenden Drittschutz OVG Saarlouis NVwZ 1995, 97 → JK BImSchG § 5 I/2. Zur Neudefinition des Standes der Technik und zu seinem Verhältnis zu den besten verfügbaren Techniken (BVT) Feldhaus NVwZ 2001, 1 ff; Sellner in: Dolde (Hrsg), UmwR im Wandel, 2001, 401, 411; Tausch NVwZ 2002, 676 ff. Vgl Feldhaus BImSchR, Bd I/1, § 1 Anm 4, § 5 Anm 7; Ule/Laubinger BImSchG, § 5 Rn 4; Dietlein (Fn 653) § 1 BImSchG Rn 23 ff; Sellner (Fn 688) Rn 57 ff; Ossenbühl, NVwZ 1986, 161, 163; Kloepfer UmwR, § 14 Rn 105 ff; Kloepfer/Kröger NuR 1990, 8 ff; in der Rspr BVerwGE 69, 37, 42 ff; OVG Berlin DVBl 1979, 159 m abl Anm v Papier; VGH BW GewArch 1980, 197, 209 ff; OVG Lüneburg GewArch 1980, 203. BGBl I 1950; vgl im übrigen o Rn 167, 168, 175 a, 175 b.

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Richtungen geboten, nämlich „unterhalb der Schädlichkeitsschwelle“ und „unterhalb der Schwelle praktischer Vorstellbarkeit eines theoretisch möglichen Schadenseintritts“.724 Eine Risikovorsorge der ersten Variante dient primär dem Ziel schonender Ressourcenökonomie. Sie kommt auch in Betracht, wenn eine bestimmte Immission oder Emission nach Auswertung aller naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse als unschädlich angesehen werden muß, jedoch mit Rücksicht auf eine naturwissenschaftlich-technische Mindermeinung mit einer „Restunsicherheit“ behaftet bleibt.725 Eine Risikovorsorge der zweiten Variante muß im Hinblick auf Immissionen infolge von Störfällen in Betracht gezogen werden, deren Eintrittswahrscheinlichkeit nach den Anforderungen des Schutzgrundsatzes gemäß § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG vernachlässigbar gering ist. In jedem Fall stehen die Anforderungen des Vorsorgegrundsatzes unter dem Vorbehalt, daß sie nicht gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen dürfen.726 Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG sind auch im Vorsorgebereich – sei es als antizipierte Sachverständigengutachten oder als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften – heranzuziehen, soweit sie hierfür über den Bereich des Schutzgrundsatzes hinaus Regelungen treffen.727 Abweichend von dem dargelegten Verständnis ist die These aufgestellt worden, 185 der Vorsorgegrundsatz erfülle eine Planungs- und Verteilungsfunktion.728 Sein Sinn und Zweck bestehe darin, „einen Abstand von der Relevanzschwelle durch Vorsorgemaßnahmen, insbesondere der Emissionsbegrenzung, anzuordnen, um im Emissions- und Immissionspotential eines Einwirkungsbereichs Reserven für Neuzuwachs durch sich verdichtende Siedlungsräume, ferner für weitere Industrieanlagen, zu schaffen“.729 Es gehe dabei um eine „gerechte Verteilung des vorhandenen Potentials an zulässiger Umweltbelastung“.730 Diese Deutung wird aus den Gesetzesmaterialien abgeleitet. Danach ist die For186 derung nach ausreichender Vorsorge „angesichts der zunehmenden Verdichtung unserer Lebensräume unabdingbar“ und „ebenso im Interesse der Industrie selbst notwendig, um rechtzeitig zu verhindern, daß später die Errichtung neuer Indu724

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Vgl Breuer DVBl 1978, 836 f; Kloepfer UmwR, § 14 Rn 105; hierzu krit, in der Sache aber ähnlich: Darnstädt Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, 1983, 123 ff; ferner Marburger (Fn 687) 58 ff mwN. Zu einem solchen Sachverhalt OVG Lüneburg GewArch 1980, 203; allg zur Ungewißheit als typischer Vorsorgesituation Ossenbühl NVwZ 1986, 161, 165 ff. Insoweit übereinstimmend: einers Breuer DVBl 1978, 837; anderers Sellner (Fn 688) Rn 63; ders NJW 1980, 1259 f; Feldhaus DVBl 1980, 138. So für die Emissionswerte der TA Luft auch BVerwGE 110, 216; 114, 338; vgl o Rn 181; aA VGH BW GewArch 1980, 197, 201. So Feldhaus DVBl 1980, 133 ff; Sellner NJW 1980, 1255, 1257; Dietlein (Fn 653) § 5 BImSchG Rn 135, 139 f; Soell ZRP 1980, 105; Martens DVBl 1981, 602 f; Hansen-Dix (Fn 682) 212 ff; Salzwedel in: Dokumentation zur 5. wiss Fachtagung der Gesellsch für UmwR, 1982, 51 ff; andere deuten das Vorsorgegebot mehrfunktional; so Grabitz WiVerw 1984, 238; Petersen Schutz und Vorsorge, 1993, 203 ff; damit nähern sich die dargelegten Standpunkte einander; vgl Breuer in: FS Feldhaus, 1999, 58 ff; Jarass (Fn 684) § 5 Rn 47 f. So Sellner NJW 1980, 1255, 1257. So Dietlein (Fn 653) § 5 BImSchG Rn 139 f; Kutscheidt FS (Fn 688) 450.

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strieunternehmen wegen vorhandener bedenklicher Immissionsbelastung untersagt werden muß“.731 Diese Äußerungen können jedoch ebenso gut dahin verstanden werden, daß in stark wie in schwach belasteten Gebieten eine gefahrenunabhängige, generelle und somit gleichmäßige Risikovorsorge mit dem Ziel einer allgemeinen Erhaltung von Reserven und Freiräumen geboten sein soll. Hierdurch wird die klassisch-gesetzliche und nicht etwa die planerische, selektiv und differenzierend wirkende Systemvariante des Vorsorgeprinzips verwirklicht.732 Für dieses Verständnis und gegen die These von der Planungs- und Verteilungs- 187 funktion des immissionsschutzrechtlichen Vorsorgegrundsatzes sprechen durchgreifende Gesichtspunkte: Planung und planmäßige Verteilung ohne Ermessens- oder Gestaltungsspielraum wäre ein Widerspruch in sich.733 Wer dem Vorsorgegrundsatz eine Planungs- und Verteilungsfunktion zuschreibt, kommt daher nicht umhin, der Genehmigungsbehörde einen derartigen Spielraum zuzuerkennen. Insbesondere können die Planung und die plangemäße Verteilung von Luftressourcen und Belastungsbefugnissen nicht durch das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit in eine strikte Rechtsbindung zurückgeführt werden; 734 hierdurch werden im Hinblick auf die Zweck-Mittel-Relation lediglich unangemessene Maßnahmen untersagt, nicht aber im positiven Sinne „angemessene“ Maßnahmen geboten.735 Die Annahme eines planerischen Ermessens- oder Gestaltungsspielraums der Genehmigungsbehörde bleibt vielmehr unvereinbar mit dem Charakter der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung als Prototyp eines strikt gebundenen Verwaltungsakts. Außerdem müßte eine inzidente Planung und Verteilung von Luftressourcen und Belastungsbefugnissen im Rahmen der Genehmigungsentscheidungen zu einem kasuistischen, kaum kalkulierbaren und rechtsstaatlich bedenklichen „Planulismus“ entarten.736 Vor allem bilden schließlich die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung einen allgemeinen und gleichmäßigen, nicht etwa einen selektiven und differenzierten Vorsorgestandard.737 Neben der risikobezogenen Vorsorgevariante kann daher aus § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG eine raumbezogene Vorsorgevariante nicht iS eines planerischen Postulats, sondern allenfalls iS eines Planungssicherungsinstruments zur Durchsetzung eines Luftreinhalteplans (§ 47 BImSchG) entnommen werden.738 Das BVerwG 739 geht offenbar ebenfalls von dieser Deutung aus. Nach seiner Erkenntnis bezieht sich 731 732 733 734 735 736

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BT-Drucks 7/179, 32; hierzu Feldhaus DVBl 1980, 138; Sellner NJW 1980, 1255, 1256. Vgl o Rn 8 f. Vgl BVerwGE 34, 301, 304; st Rspr. So aber der Versuch von Feldhaus DVBl 1980, 138 und Sellner NJW 1980, 1255, 1259 f. Allgem hierzu Grabitz AöR 98 (1973) 576 ff mwN. Vgl zu diesem Begriff Ipsen in: Kaiser (Hrsg), Planung I, 1965, 55 und Planung II, 1966, 75. Vgl Marburger (Fn 702) 159 ff; Breuer AöR 101 (1976) 56 ff; Kloepfer UmwR, § 14 Rn 111 ff; insoweit übereinstimmend Rengeling Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge, 1982, 54, 63, der allerdings § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG zu Unrecht die verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit abspricht; ders Der Stand der Technik bei der Genehmigung umweltgefährdender Anlagen, 1985, 32 ff. So mit beachtlicher Argumentation Trute (Fn 671) 54 ff, 112 ff, 273 ff. BVerwGE 69, 37, 42 ff.

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der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG nicht allein auf den der Immissionsprognose nach § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG zugrunde gelegten Einwirkungsbereich der Anlage, sondern auf die mit dem Ferntransport von Luftschadstoffen verbundenen Immissionen. Vorsorge ist hiernach – wie das BVerwG 740 zutreffend bemerkt – geboten, wenn hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, daß Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen, und damit ein Gefahrenverdacht besteht, der sich einem Kausalitätsbeweis noch entzieht. Auch auf der Grundlage des hier dargelegten Verständnisses hat der Vorsorgegrundsatz – anders als der Schutzgrundsatz – keinen nachbarschützenden Charakter.741 Der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG bildet die Grundlage für 188 Emissionsbegrenzungen mit dem Ziel, dem besorgniserregenden Waldsterben entgegenzuwirken, das seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern beobachtet wird. Dieses Phänomen ist mit dem (nachbarschützenden) Schutzgrundsatz des § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG bei herkömmlicher Interpretation nicht erfaßbar, weil die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge des Waldsterbens gegenwärtig noch nicht abschließend geklärt sind. Deshalb kann insofern gegenwärtig ein Schädlichkeits- oder Gefahrennachweis für bestimmte Emissionen nicht geführt werden.742 Die Verordnung über Großfeuerungsanlagen 743 sowie die Teile 3 und 4 der TA Luft idF von 1986 744 und Teil 5 der TA Luft von 2002 745 stellen in diesem Zusammenhang prinzipiell eine emissionsbegrenzende Konkretisierung des Vorsorgegrundsatzes dar.746 Sie können jedoch zur Gewährleistungsreserve des Schutzgrundsatzes werden, wenn dieser allein durch Immissionsbegrenzungen nicht mehr erfüllt wird.747

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BVerwGE 69, 37, 43. BVerwGE 65, 313 → JK VwGO § 79 II/4; BVerwG NVwZ 2004, 610, 611; Jarass (Fn 684) § 5 Rn 121; Sellner NJW 1980, 1255, 1261; Rauschning VVDStRL 38 (1980) 204 f; Marburger (Fn 687) 61 ff; Bier ZfBR 1992, 17; diff Trute (Fn 671) 359 f: drittschützende Wirkung der raumbezogenen Vorsorge, aber kein Drittschutz der risikobezogenen Vorsorgevariante; ähnlich Kutscheidt FS (Fn 688) 453 f; aA im Anschluß an die europarechtliche Tendenz (o Rn 181a m Fn 718) Lübbe-Wolff NuR 2000, 19, 21 ff; auch Sparwasser/Engel/ Voßkuhle UmwR, Rn 10/159. Vgl zum Ganzen: Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, BT-Drucks 10/113; v Usslar NuR 1983, 289 ff; Leisner Waldsterben, 1983; Waldschäden als Rechtsproblem, UTR Bd 2, 1987 (m Beiträgen von Moosmayer, Feldhaus, Schröder, Bender und Marburger); zur Verneinung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen: BGH NJW 1988, 478; OLG Köln NJW 1986, 589; OLG München NVwZ 1986, 691 → JK GG Art 34/11; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 1983, 2931 → JK GG Art 2 I 1/8; NJW 1998, 3264; 2002, 1638; dazu o Rn 25. 13. BImSchV idF v 20. 7. 2004 (BGBl I 1717); zur aF Hansmann UPR 1983, 321 ff. Vgl o Fn 660. Vgl o Fn 661. BVerwG NVwZ 1995, 994. Vgl o Rn 177, 181; so offenbar auch BVerwG NVwZ 1998, 1181, 1182 (Cadmium); NVwZ 2004, 610; für krebserzeugende Stoffe Breuer in: Min für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NW (Hrsg), Umweltrechtstage 1991, 158, 169f, 175 f.

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cc) Abfallvermeidungs- und Entsorgungsgrundsatz: Nach § 5 Abs 1 Nr 3 BIm- 189 SchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß Abfälle vermieden, nicht zu vermeidende Abfälle verwertet und nicht zu verwertende Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden. Diese Gesetzesfassung beruht auf dem sog Artikelgesetz vom 27. 7. 2001.748 Anders als die früheren Gesetzesfassungen vom 4. 10. 1985 749 und vom 27. 9. 1994 750 stellt sie das Vermeidungs- und das Verwertungsgebot nicht mehr gleichrangig nebeneinander. Der Betreiber hat somit nicht mehr die Wahl, ob er Abfälle vermeidet oder schadlos verwertet.751 Vielmehr gilt nunmehr ein Vorrang der Vermeidung gegenüber der Verwertung.752 Ebenso wie bisher ist die Abfallbeseitigung nur nachrangig zulässig.753 Die Verwertung und die Beseitigung von Abfällen unterliegen alsdann den Vorschriften des Abfallrechts. Der gesamte Abfallvermeidungs- und Entsorgungsgrundsatz entbehrt der nachbarschützenden Wirkung.754 dd) Energieeffzienzgebot: Nach § 5 Abs 1 Nr 4 BImSchG, der ebenfalls auf das 190 sog Artikelgesetz vom 27. 7. 2001 755 zur Umsetzung der IVU-Richtlinie zurückgeht, sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt „Energie sparsam und effizient verwendet wird“. Dieses Gebot ist an die Stelle des früheren Abwärmenutzungsgrundsatzes 756 getreten und geht über diesen sachlich weit hinaus. Aufgrund seiner inhaltlichen Weite läßt es sich nicht mehr als konditionale und strikte Betreiberpflicht, sondern nur noch als finales, technologisch und ökologisch ausgerichtetes, letztlich also umweltpolitisches Postulat begreifen. Es belegt mithin den grundlegenden Wandel von der konditionalen zur finalen Rechtsetzung.757 Zutreffend sind seine mangelnde „normative Klarheit“ und die daraus folgenden „Friktionen für den praktischen Vollzug“ kritisiert worden.758 Zwar beläßt es dem Betreiber die Auswahl des Energieträgers. Im übrigen erstreckt es sich jedoch auf die Berücksichtigung aller „Möglichkeiten zur Erreichung hoher energetischer Wirkungs- und Nutzungsgrade, zur Einschränkung von Energieverlusten sowie zur

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BGBl I 1950; vgl o Rn 175 a, 175 b. BGBl I 1950; dazu Rehbinder DVBl 1989, 496 ff; Salzwedel NVwZ 1989, 829 ff; Hansmann NVwZ 1990, 409 ff; Fluck NuR 1989, 409 ff. BGBl I 2705; Ergänzung durch §9 KrW-/AbfG; vgl dazu Rebentisch NVwZ 1997, 417 ff. Zur früheren Wahl Marburger (Fn 702) 63; Kutscheidt NVwZ 1986, 622; Rehbinder DVBl 1989, 496, 498 ff; Hansmann NVwZ 1990, 409, 411; eingehend Jörgensen Das Reststoffvermeidungs- und Verwertungsgebot, UTR Bd 28, 1994. Krit dazu Rebentisch (Fn 680) 422 ff. Vgl OVG Saarlouis NVwZ 1990, 491 ff → JK BImSchG § 5 I 3/1; Rehbinder DVBl 1989, 496, 503; Hansmann NVwZ 1990, 409, 412 ff; Fluck NuR 1989, 409 f. OVG Münster NVwZ 1987, 146. BGBl I 1950; vgl o Rn 175 a, 175 b. Vgl dazu 11. Aufl Rn 190. Vgl o Rn 54–56 mwN. So Rebentisch (Fn 680) 439 ff; zur Problematik der Anwendbarkeit des § 5 Abs 1 Nr 4 BImSchG neben dem Treibhausgas-Emissionshandelssystem Kloepfer UmwR, § 14 Rn 122.

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Nutzung der anfallenden Energie“.759 Jedenfalls wirkt auch das derart ambitionierte und verallgemeinerte Energieeffizienzgebot nicht drittschützend, und zwar unabhängig davon, ob man es als Konkretisierung des Vorsorgegebots oder als spezielles und eigenständiges Postulat qualifiziert.760 c) Außer-immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen 191 Die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung setzt ferner voraus, daß andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen (§ 6 Abs 1 Nr 2 BImSchG). Hiernach ist bei der Anlagengenehmigung insbesondere das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht anzuwenden. Dies gilt vor allem für die §§ 29 ff BauGB.761 Problematisch ist, ob ein Bebauungsplan immissionsschutzrechtliche Festsetzungen nach § 9 Abs 1 Nr 23 oder 24 BauGB umfassend vorwegnehmen darf oder ob die Regelung der Immissionsprobleme dem nachfolgenden Verfahren nach den §§ 4 ff BImSchG vorbehalten bleiben muß.762 d) Genehmigungsverfahren 192 Die Rechtsgrundlage des Anlagengenehmigungsverfahrens besteht in § 10 BImSchG und in der 9. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (9. BImSchV).763 Das Verfahren zeichnet sich durch Förmlichkeit, Publizität und Popularbeteiligung aus. Der Genehmigungsantrag muß schriftlich bei der landesrechtlich bestimmten Genehmigungsbehörde gestellt werden und spezifizierte Angaben enthalten. Außerdem sind ihm die zur Prüfung nach § 6 BImSchG erforderlichen Unterlagen beizufügen (§ 10 Abs 1 Satz 1 und 2 BImSchG). Sind die Unterlagen vollständig, so hat die Genehmigungsbehörde das Vorhaben öffentlich bekanntzumachen. Der Antrag sowie eine Reihe von Unterlagen sind einen Monat zur Einsicht auszulegen. Zur Erhebung von Einwendungen ist jedermann bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist befugt (§ 10 Abs 3 Satz 1 und 2 BImSchG). Mit Ablauf dieser Einwendungsfrist werden alle Einwendungen ausgeschlossen, 193 die nicht auf „besonderen privatrechtlichen Titeln“ beruhen (§ 10 Abs 3 Satz 3 BImSchG). Hierbei handelt es sich um eine materielle Präklusion, die später auch im Widerspruchs- sowie im Gerichtsverfahren zu beachten ist.764 Verfassungsrechtliche 759

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So in verfahrensrechtlicher Hinsicht § 4d der 9. BImSchV idF d Art 5 Nr 7 G v 27. 7. 2001 (o Fn 755). Vgl dazu Rebentisch (Fn 680) 432 f. BVerwG NJW 1975, 460; zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit genehmigungsbedürftiger Anlagen im Außenbereich nach § 35 Abs 1 Nr 4 BauGB Rieger in: Schrödter (Fn 78) § 35 Rn 41 ff. Im letzteren Sinne offenbar BVerwGE 69, 30, 35 ff; ferner BVerwG DVBl 1991, 442; OVG Koblenz UPR 1996, 208; zum Ganzen Selmer BB 1988, Beil. 15 zu Heft 30; Peine/Smollich WiVerw 1990, 269 ff; W. Schrödter (Fn 273). IdF v 29. 5. 1992 (BGBl I 1001), zul geänd d VO v 14. 8. 2003 (BGBl I 1614); Rebentisch NVwZ 1992, 926 ff; Vallendar UPR 1992, 212 ff; zum Genehmigungsverfahren in den neuen Bundesländern Repkewitz LKV 1992, 6 ff. Czajka in: Feldhaus BImSchR, Bd I/1, B 1 § 10 Rn 59 ff; Ule/Laubinger BImSchG, § 10

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Einwände, die der materiellen Präklusion entgegengehalten worden sind,765 vermögen nicht zu überzeugen. Der Zwang, Einwendungen innerhalb der gesetzlichen Frist zu erheben, stellt eine zumutbare, insbesondere mit Art 19 Abs 4 GG vereinbare Formalisierung des Verfahrens sowie die konsequente und verfassungskonforme Kehrseite der breit angelegten, grundrechtlich fundierten Verfahrensteilhabe dar.766 Zweifelhaft ist indessen, ob der Einwendungsausschluß nach § 10 Abs 3 Satz 3 BImSchG „neuen“ (insbesondere „nachgeborenen“) Nachbarn entgegengehalten werden kann.767 Die 9. BImSchV ist im Laufe der letzten Jahre wiederholt zu unterschiedlichen Zwecken geändert worden. So sind zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren verschiedene Regelungen eingefügt worden, die der Straffung des Genehmigungsverfahrens dienen sollen.768 Dazu gehört der Verzicht auf die Vorlage von Unterlagen, die schon bei der Validierung einer Umwelterklärung im Rahmen eines Öko-Audit-Verfahrens vorgelegen haben (§ 4 Abs 1 Satz 2 der 9. BImSchV) sowie die Formalisierung der Entscheidung über den Genehmigungsantrag (§ 20 der 9. BImSchV). Des weiteren sind in mehreren Novellierungsschüben ins einzelne gehende Vorschriften über die gebotene Umweltverträglichkeitsprüfung 769 hinzugetreten (so §§ 2 a, 4 e der 9. BImSchV). Zuletzt sind in die 9. BImSchV spezifische Regelungen zur Umsetzung der IVU-Richtlinie 770 eingegangen. Insofern war insbesondere deren Art 7 umsetzungsbedürftig, demzufolge die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen für eine vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungsauflagen treffen, „wenn bei diesem Verfahren mehrere zuständige Behörden mitwirken, um ein wirksames integriertes Konzept aller für diese Verfahren zuständigen Behörden sicherzustellen“. Auf der Basis der begrenzten Konzentrationswirkung und der hieraus resultierenden Parallelität des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs- und beispielsweise des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens (§ 13 BImSchG) sowie der bundesstaatlichen Kompetenzordnung (Art 30, 70ff, 83 ff GG) schreibt § 11 Satz 4 der 9. BImSchV die prozedurale, aber auch die materielle, wenngleich nur gesetzeskonform zu verfolgende Integrierung vor. Danach hat sich die Genehmigungsbehörde „über den Stand der anderweitigen das Vorhaben betreffenden Zulassungsverfahren Kenntnis zu verschaffen und auf ihre Beteiligung hinzuwirken sowie mit den für diese Verfahren zuständigen Behörden frühzeitig den von ihr beabsichtigten Inhalt des Genehmigungsbescheides zu erörtern und abzustimmen“. Diese Bestimmung steht mit Art 7 der IVU-Richtlinie in Einklang.771

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Rn D 56, D 60 ff; Jarass (Fn 684) § 10 Rn 91 ff; Sellner (Fn 688) Rn 365 ff; zu §10 Abs 2 GewO bereits BVerwG DVBl 1973, 645. So Ule BB 1979, 1009 ff; Wolfrum DÖV 1979, 497 ff; Papier NJW 1980, 313 ff. So zutr Redeker NJW 1980, 1579 f; vgl zum AtomR u Rn 223 ff. Verneinend OVG Lüneburg NVwZ 1986, 671. So insbes G v 9. 10. 1996 (BGBl I 1498) und VO v 16. 12. 1996 (BGBl I 1959); vgl zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung SteinbeißWinkelmann DVBl 1998, 809 ff; wN zur Beschleunigungsgesetzgebung bei Feldhaus NVwZ 1998, 1138 f. Vgl zu den maßgeblichen Rechtsgrundlagen und Grundproblemen der UVP o Rn 49 ff. Dazu o Rn 175 a, 175 b. Feldhaus in: GS Hartkopf, 2000, 200, 208; Koch/Siebel-Huffmann NVwZ 2001, 1081,

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§ 19 BImSchG sieht vor, daß für genehmigungsbedürftige Anlagen bestimmter Art oder bestimmten Umfangs sowie für bestimmte Abfallentsorgungsanlagen ein vereinfachtes Verfahren eingeführt werden kann. Dies ist durch § 2 Abs 1 Nr 2 iVm Spalte 2 des Anhangs der 4. BImSchV geschehen. Im vereinfachten Verfahren sind auch Teilgenehmigungen und Vorbescheide möglich und die erlassenen Bescheide mit Konzentrationswirkung (§ 13 BImSchG) ausgestattet, die Präklusion von Einwendungen und die nachbarrechtsgestaltende Wirkung der Genehmigung (§§ 10 Abs 3, 11, 14 BImSchG) jedoch ausgeschlossen (§ 19 Abs 2 BImSchG). e) Inhalt und Wirkung der Anlagengenehmigung

195 Falls der Antrag nicht abgelehnt werden muß, ist das Verfahren durch die Erteilung der Genehmigung zu beenden. Zum obligatorischen Inhalt des Genehmigungsbescheides (§ 21 der 9. BImSchV) gehören ua die Nebenbestimmungen und die Begründung. Aus dieser sollen die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben, und die Behandlung der Einwendungen hervorgehen. Sofern die Anlage einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf, bilden die zusammenfassende Darstellung und die Bewertung der Auswirkungen auf die Umweltgüter notwendige Entscheidungsgrundlagen (§ 12 UVPG, § 20 Abs 1 a, 1 b der 9. BImSchV). Nebenbestimmungen können nach Maßgabe des § 12 BImSchG in Bedingungen, 196 Auflagen, einer Befristung und einem Widerrufs- oder Auflagenvorbehalt bestehen. Sie müssen hinreichend bestimmt sein. ZB muß eine Schutzauflage entweder eine bestimmte Maßnahme oder einen bestimmten Immissions- oder Emissionswert bezeichnen.772 Die Auflage ist im Gegensatz zur Bedingung und zur Befristung selbständig anfechtbar und erstreitbar – es sei denn, es handelt sich um eine sog modifizierende, vom Genehmigungsinhalt nicht trennbare Auflage.773 Das BVerwG 774 hat jedoch die einer immissionsschutzrechtlichen Betriebsgenehmigung beigefügte Maßgabe, bei Ölfeuerungsbetrieb nur schwefelarmes Heizöl zu verwenden, überhaupt nicht als (modifizierende oder nicht-modifizierende) Auflage, sondern als nicht selbständig anfechtbare Bestimmung des Genehmigungsinhalts qualifiziert. Die Gestattungswirkung der Genehmigung ist mit einer begrenzten Konzentra197 tionswirkung verbunden (§ 13 BImSchG). Eingeschlossen sind insbesondere die Baugenehmigung sowie Genehmigungen des Natur- und Landschaftsschutzrechts, nicht aber Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne, atomrechtliche Genehmigungen sowie wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen.775 Gegenüber dem privaten Nachbarrecht übt die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung eine materiellrechtliche, anspruchsändernde Gestaltungswir-

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1083 f; Rebentisch (Fn 680) 415 f; krit hingegen Wasielewski ebda, 213, 239 f; SchmidtPreuß NVwZ 2000, 252, 255 f; Maaß DVBl 2002, 364 ff. Vgl etwa BVerwGE 38, 209; OVG Münster DVBl 1976, 800; Sellner (Fn 688) Rn 238. Vgl BVerwG DÖV 1974, 380; NVwZ 1984, 371; auch BVerwGE 36, 145, 154; 55, 135, 136 ff; Sellner (Fn 688) Rn 228 f; krit Erichsen in: ders/Ehlers, AllgVwR, § 14 Rn 8 mwN. BVerwGE 69, 37, 39. Dazu Fluck NVwZ 1992, 114 ff; im Hinblick auf Art 7 der IVU-RL o Rn 193.

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kung aus (§ 14 BImSchG).776 Sie stellt somit einen typischen Fall des Verwaltungsakts mit Doppelwirkung iS der §§ 80 Abs 1 Satz 2 und 80 a VwGO dar.777 Die genehmigte Anlage genießt Bestandsschutz nicht nur nach Maßgabe des ein- 198 fachgesetzlichen Immissionsschutzrechts, sondern auch nach Art 14 Abs 1 GG. Hiervon kann im Rahmen des „überwirkenden“, auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bezogenen Bestandsschutzes aufgrund der Umstände des Einzelfalles auch eine Erweiterung oder Nutzungsänderung der Anlage umfaßt sein.778 Insoweit besteht ein Anspruch auf behördliche Duldung im Anzeigeverfahren gemäß § 15 BImSchG oder auf Erteilung einer Änderungsgenehmigung gemäß § 16 BImSchG. Das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher 198a Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 779 hat den verfahrensrechtlichen Rahmen für die Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen grundlegend geändert. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 BImSchG ist im Regelfall die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage der zuständigen Behörde nur noch – mindestens einen Monat vor Beginn der geplanten Änderung – schriftlich anzuzeigen, wenn sich die Änderung auf in § 1 BImSchG genannte Schutzgüter auswirken kann. Der Träger des Vorhabens darf die Änderung vornehmen, sobald die Behörde ihm die Genehmigungsfreiheit mitteilt oder sich innerhalb eines Monats nach Eingang der Anzeige nicht geäußert hat (§ 15 Abs 2 Satz 2 BImSchG). Eine Änderungsgenehmigung ist nur noch bei einer wesentlichen Änderung iSd § 16 Abs 1 Satz 1 BImSchG erforderlich. Eine solche liegt vor, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs 1 Nr 1 BImSchG erheblich sein können. Der Betreiber kann jedoch auch für anzeigebedürftige Änderungen eine Genehmigung beantragen (§ 16 Abs 4 BImSchG), also von sich aus den aufwendigeren, aber sichereren Weg wählen und so die Genehmigungswirkungen (nicht zuletzt nach den §§ 13, 14 BImSchG) herbeiführen. Ob mit diesen formell- und materiellrechtlichen Differenzierungen das Ziel der Beschleunigung und Vereinfachung erreichbar ist, wird man bezweifeln müssen.780 Ebenfalls durch das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissions- 199 schutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 781 ist die Zulassung des 776 777 778

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Vgl o Rn 105 f. Statt vieler Sellner (Fn 688) Rn 190. BVerwGE 50, 49, 58 f; NJW 1977, 1932, 1933; 1978, 64 f; einschränkend und klarstellend BVerwGE 65, 313, 317 → JK VwGO § 79 II/4; vgl auch Jarass (Fn 684) § 6 Rn 26, § 15 Rn 22 ff; Sellner (Fn 688) Rn 202 ff; Millgramm NuR 1999, 608 ff; zur Bestimmung der genehmigungsbedürftigen Anlage sowie zu den Kriterien einer wesentlichen Änderung der Anlage im Hinblick auf § 15 Abs 1 BImSchG aF und den Bestandsschutz BVerwGE 69, 315. Vgl o Fn 768. Vgl zum Ganzen Hansmann DVBl 1997, 1421 ff; ders NVwZ 1997, 105 ff; Kutscheidt NVwZ 1997, 111 ff; Büge/Tünnesen-Harmes GewArch 1997, 48 ff; Fluck VerwArch 88 (1997) 265 ff; Führ UPR 1997, 421 ff; Jarass NJW 1998, 1097 ff; zu fortbestehenden Sachproblemen Martens Die wesentliche Änderung iSd § 15 BImSchG, 1993; Rebentisch in: FS Feldhaus, 1999, 83 ff; Sellner ebda, 101 ff. Vgl o Fn 768.

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vorzeitigen Beginns von Errichtungsmaßnahmen in sämtlichen Genehmigungsverfahren ermöglicht worden (§ 8a BImSchG).782 Anders als die Regelungen über die Teilgenehmigung (§ 8 BImSchG) und den Vorbescheid (§ 9 BImSchG) begründet § 8 a BImSchG einen eigenständigen Zulassungstatbestand mit vorläufigem Charakter.783 Danach kann die Genehmigungsbehörde im Interesse der Verfahrensbeschleunigung – jederzeit widerruflich – zulassen, daß bereits vor Erteilung der Genehmigung mit der Errichtung der geplanten Anlage begonnen wird. Voraussetzung hierfür ist, daß mit der Entscheidung zugunsten des Trägers des Vorhabens gerechnet werden kann (§ 8 a Abs 1 Nr 1 BImSchG). Außerdem muß an der vorzeitigen Errichtung einschließlich des Probebetriebs der Anlage wegen der zu erwartenden Verbesserung des Umweltschutzes ein öffentliches Interesse bestehen (§ 8 a Abs 1 Nr 2 BImSchG). Schließlich ist es erforderlich, daß sich der Träger des Vorhabens verpflichtet, alle bis zur endgültigen Genehmigungsentscheidung durch die Errichtung einschließlich des Probebetriebs der Anlage verursachten Schäden zu ersetzen und den früheren Zustand wiederherzustellen, wenn das Vorhaben nicht genehmigt wird (§ 8 a Abs 1 Nr 3 BImSchG). Unter den genannten Voraussetzungen kann die Genehmigungsbehörde in einem Verfahren der Änderungsgenehmigung nach § 16 Abs 1 BImSchG auch den vorzeitigen Betrieb der Anlage zulassen, wenn die beabsichtigte Änderung der Erfüllung einer immissionsschutzrechtlichen Pflicht dient (§ 8 a Abs 3 BImSchG). f) Vorbescheid und Teilgenehmigung 200 Der Vorbescheid nach § 9 BImSchG und die Teilgenehmigung nach § 8 BImSchG sind als Zwischenakte Instrumente des gestuften Verwaltungsverfahrens.784 Sie dienen der Rationalität, Transparenz und Beschleunigung des Verfahrens, sofern die Genehmigungsbehörde über die Zulässigkeit einer komplexen Anlage zu entscheiden hat. Der Vorbescheid enthält eine abschließende Entscheidung über einzelne Fragen, von denen die Erteilung der gesamten Genehmigung abhängt, zB über den Standort oder das Konzept der Anlage.785 Die Teilgenehmigung gestattet dagegen in abschließender Weise die Errichtung oder den Betrieb von realen Anlagenteilen. Beide Zwischenakte enthalten somit eine abschließende Teilentscheidung, daneben aber auch ein vorläufiges positives Gesamturteil über die betreffende Anlage. 782

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Hierzu Büge/Tünnesen-Harmes GewArch 1997, 48, 53; Stüer DVBl 1997, 326, 337; Brüning in: Jahrbuch des Umwelt- und TechnikR, UTR Bd 71, 2003, 31 ff. Dazu Führ IUR 1990, 54 f; krit – noch zu §15a BImSchG aF und zur Zweckmäßigkeit – Pudenz WUR 1990, 99 f; Sellner NVwZ 1991, 305, 309; Scheier NVwZ 1993, 529, 533 f; Breier BB 1993, 155, 161; ferner Peper/Schomerus UPR 1992, 9 ff. Vgl zum Ganzen Schmidt-Aßmann in: FG BVerwG, 1978, 569 ff; Selmer Vorbescheid und Teilgenehmigung im ImmissionsschutzR, 1979; Büdenbender/Mutschler Bindungs- und Präklusionswirkung von Teilentscheidungen nach BImSchG und AtG, 1979; Breuer, Hansmann, Mutschler und de Witt in: 6. Dt AtomR-Symposium, 1980, 241 ff; Ossenbühl NJW 1980, 1353 ff; Jarass UPR 1983, 241ff. Zum Konzeptvorbescheid (im AtomR) BVerwGE 70, 365, 372; 72, 300, 303 f; zum Vorbescheid nach § 9 BImSchG eingehend OVG Münster NuR 1990, 328; auch BVerwG DVBl 1990, 57.

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Während die abschließende Teilentscheidung die volle, inhaltlich begrenzte Bindungswirkung der Anlagengenehmigung ausübt, entfaltet das vorläufige positive Gesamturteil eine verminderte, unter dem Vorbehalt der gleichbleibenden Sachund Rechtslage stehende Bindungswirkung. Diese bezieht sich bei der Teilgenehmigung auch auf die Standort- sowie die Konzeptfrage.786 g) Nachträgliche Anordnungen Durch die Möglichkeit nachträglicher Anordnungen nach § 17 BImSchG wird der 201 Bestandsschutz der unanfechtbar genehmigten Anlage beschränkt. Der zulässige Inhalt einer nachträglichen Anordnung deckt sich mit demjenigen einer Auflage.787 Die nachträgliche Anordnung setzt einen Verstoß gegen die fortlaufend zu erfül- 202 lenden Betreiberpflichten des § 5 BImSchG oder gegen eine Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG voraus. Dabei kommt es aufgrund des dynamischen Charakters der Betreiberpflichten auf die Sachlage und den Erkenntnisstand sowie im Rahmen des Vorsorgegrundsatzes (§ 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG) auf den Stand der Technik im Zeitpunkt der nachträglichen Anordnung an.788 Deren Erlaß steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Falls jedoch nach Erteilung der Genehmigung festgestellt wird, daß die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist, daß also – vereinfacht gesprochen – der Schutzgrundsatz (§ 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG) verletzt wird, soll die zuständige Behörde nachträgliche Anordnungen treffen (§ 17 Abs 1 Satz 2 BImSchG). Diese Sollvorschrift hat nachbarschützenden Charakter.789 Unter ihren Voraussetzungen besteht daher grundsätzlich ein verwaltungsprozessual durchsetzbarer Anspruch auf Erlaß einer nachträglichen Anordnung. Die Schranken nachträglicher Anordnungen nach § 17 Abs 2 BImSchG sind 203 durch das 2. Änderungsgesetz vom 4. 10. 1985 790 neu geregelt worden. Dadurch ist der Bestandsschutz von Altanlagen, verglichen mit dem früheren Recht, weiter eingeschränkt worden.791 Die Behörde darf hiernach eine nachträgliche Anordnung nicht treffen, wenn diese unverhältnismäßig ist, „vor allem wenn der mit der Erfül786

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BVerwGE 24, 23, 27; entsprechend im AtomR BVerwG DVBl 1972, 678 f; DÖV 1982, 820, 822; BVerwGE 72, 300, 303 ff; 78, 177 ff; 80, 207, 211 ff; ferner trotz unterschiedlicher Nuancen OVG Lüneburg DVBl 1978, 67 f; OVG Münster DVBl 1978, 853 ff; VG Koblenz NJW 1980, 1410; unklar OVG Koblenz GewArch 1977, 133, 139; aA für die Teilgenehmigung VGH BW DÖV 1979, 521, 523 f; gegen den „Situationsvorbehalt“ Ossenbühl NJW 1980, 1357 f. Sellner (Fn 688) Rn 436 ff mwN; diff Fluck DVBl 1992, 869 f. Hoppe Wirtschaftliche Vertretbarkeit im Rahmen des BImSchG, 1977, 33; anders ist dagegen der maßgebende Zeitpunkt für die gerichtliche Kontrolle der Genehmigung zu bestimmen, vgl Breuer DVBl 1981, 309 ff mwN. Sellner (Fn 688) Rn 465 ff; Marburger (Fn 687) 67; Jarass (Fn 684) § 17 Rn 61 ff; Hansmann in: Landmann/Rohmer, UmwR, Bd I, § 17 BImSchG Rn 230 f. BGBl I 1950; vgl dazu BT-Drucks 10/1022; 10/1862; 10/3556. Vgl dazu Feldhaus und Friauf WiVerw 1986, 67 ff, 87 ff; Schröder UPR 1986, 127 ff; Jarass DVBl 1986, 314 ff; Dolde NVwZ 1986, 873 ff; Wickel Bestandsschutz im UmweltR, 1996, 165ff.

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lung der Anordnung verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit der Anordnung angestrebten Erfolg steht“; dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und technische Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen (§ 17 Abs 2 Satz 1 BImSchG). Mit dem bloßen Ausschluß unverhältnismäßiger Anordnungen hat der Gesetzgeber ein Prinzip gewählt, das Verfassungsrang hat 792 und den Bestandsschutz genehmigter Anlagen auf das grundrechtliche und rechtsstaatliche Minimum reduziert.793 Darin liegt eine gezielte Verschärfung gegenüber dem früheren Recht, das nachträgliche Anordnungen – abgesehen von der technischen Unerfüllbarkeit – ausschloß, wenn sie für den Betreiber und für Anlagen der von ihm betriebenen Art wirtschaftlich nicht vertretbar waren (§ 17 Abs 2 Satz 1 BImSchG 1974). Fraglich ist jedoch der Maßstab der nunmehr gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Traditionell erfolgt diese Prüfung für den Einzelfall, indem die Vorteile einer Maßnahme für das Gemeinwohl und die Belastungen des individuellen Betroffenen gegeneinander abgewogen werden. Dabei handelt es sich um einen konkret-individuellen Maßstab der Verhältnismäßigkeit und dementsprechend um einen „kleinen Verhältnismäßigkeitstest“. Wenn man hingegen die Abwägung nicht für den Einzelfall, sondern für den gesamten Anwendungsbereich einer allgemeinen Regelung, insbesondere einer generellen und vorsorgenden Emissionsbegrenzung, sowie aus der Perspektive gesetzeskonkretisierender, allgemein konzipierter und durchzusetzender Standards vornimmt, legt man einen generalisierten Maßstab der Verhältnismäßigkeit zugrunde; eine derartige Prüfung wird als „großer Verhältnismäßigkeitstest“ bezeichnet.794 Danach müssen im bundesweiten und volkswirtschaftlichen Rahmen sowie im Hinblick auf das allgemeine Vorsorgekonzept die Vorteile und die Gesamtkosten der generellen Emissionsbegrenzung gegeneinander abgewogen werden. Dieser generalisierte Maßstab entspricht dem Bezugsrahmen des gesetzlichen Vorsorgegrundsatzes, der auf eine gleichmäßige und strikte Emissionsbegrenzung nach einem einheitlichen und langfristigen Konzept gerichtet ist. Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit kann demgemäß nicht mit Umständen des Einzelfalles und konkreten Belastungen eines individuellen Betroffenen, sondern nur noch mit den volkswirtschaftlichen Gesamtkosten der generellen und vorsorgenden Emissionsbegrenzung begründet werden. In diesem Rahmen kann und muß indessen nach wie vor die tatsächliche und zumutbare Belastung des Durchschnittsbetreibers bestimmter Anlagenarten ermittelt und berücksichtigt werden.795 Wird eine gesetzeskonkretisierende Verwaltungsvorschrift wie zB die TA Luft als Maßstab der generellen („großen“) Verhältnismäßigkeit herangezogen, bleibt des weiteren wegen 792

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Grundlegend Lerche Übermaß und VerfassungsR, 1961; allg zur Anwendung im UmweltschutzR Marburger in: 7. Dt AtomR-Symposium, 1983, 57 ff; Jakobs Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985. Vgl BT-Drucks 10/1862, 6, 11 f; 10/3556, 2, 16; Feldhaus UPR 1985, 390; Dolde NVwZ 1986, 876; Jarass (Fn 684) § 17 Rn 28. So Salzwedel in: Aktuelle Umweltfragen, 1983, 34 f; Ossenbühl NVwZ 1986, 167 f; auch Jarass (Fn 684) § 17 Rn 31 ff; Hansmann (Fn 789) § 17 BImSchG Rn 95 ff. So auch Jarass NVwZ 1986, 608.

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der Funktions- und Geltungsgrenzen derartiger Verwaltungsvorschriften beim Vorliegen eines atypischen Sachverhalts die individuelle Verhältnismäßigkeit der nachträglichen Anordnung zu prüfen.796 Soweit durch Rechtsverordnung die Anforderungen nach § 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG abschließend festgelegt sind, dürfen durch nachträgliche Anordnungen keine weitergehenden Vorsorgeanforderungen gestellt werden (§ 17 Abs 3 BImSchG). Durch das 3. Änderungsgesetz vom 11. 5. 1990 797 ist § 17 Abs 3 a BImSchG ein- 204 gefügt worden. Danach soll die zuständige Behörde von nachträglichen Anordnungen absehen, soweit in einem vom Anlagenbetreiber vorgelegten Plan technische Maßnahmen an dessen Anlagen oder an Anlagen Dritter vorgesehen sind, die zu einer weitergehenden Verringerung der Emissionsfrachten führen als die Summe der Minderungen, die durch den Erlaß nachträglicher Anordnungen zur Erfüllung der gesetzlichen oder verordnungsrechtlichen Pflichten bei den beteiligten Anlagen erreichbar wäre, und soweit hierdurch der Gesetzeszweck (§ 1 BImSchG) gefördert wird. Damit sowie durch die gleichzeitig novellierte Verordnungsermächtigung des § 7 Abs 3 BImSchG sind die Möglichkeiten der sog Schadstoffkompensation erweitert worden.798 Eine solche Kompensation ist jedoch nach § 17 Abs 3 a Satz 2 BImSchG ausgeschlossen, soweit der Betreiber bereits zur Emissionsminderung aufgrund einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs 1 BImSchG oder einer Auflage nach § 12 Abs 1 BImSchG verpflichtet ist oder eine nachträgliche Anordnung wegen eines festgestellten Verstoßes gegen den Schutzgrundsatz (§ 17 Abs 1 Satz 2 iVm § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG) getroffen werden soll. h) Untersagung, Stillegung und Beseitigung von Anlagen, Widerruf der Anlagengenehmigung Nach § 20 Abs 1 BImSchG kann die zuständige Behörde den Betrieb einer geneh- 205 migungsbedürftigen und genehmigten Anlage ganz oder teilweise untersagen, wenn der Betreiber einer Auflage, einer vollziehbaren nachträglichen Anordnung oder einer abschließend bestimmten Pflicht aus einer Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG nicht nachkommt und die verletzte Regelung die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage betrifft. Nach § 20 Abs 2 BImSchG soll die zuständige Behörde die Stillegung oder Beseitigung einer Anlage anordnen, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird.799 § 20 Abs 3 BImSchG sieht die Untersagung des weiteren Betriebes einer genehmigungsbedürftigen Anlage wegen persönlicher Unzuverlässigkeit vor. Die Vorschriften über den Widerruf der Genehmigung (§ 21 BImSchG) stellen 206 eine Spezialregelung gegenüber den allgemeinen Vorschriften über den Widerruf

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BVerwG NVwZ 1995, 994 (im konkreten Fall Verneinung eines atypischen Sachverhalts); BVerwG NVwZ 1997, 497, 499 (im konkreten Fall Unterstellung eines atypischen Sachverhalts, aber dennoch Bejahung der Verhältnismäßigkeit); vgl auch o Rn 181. Vgl o Fn 655. Vgl dazu BT-Drucks 11/4909, 14, 16; Goßler UPR 1990, 255 ff; Schlabach UPR 1990, 250, 251 f; Pudenz WUR 1990, 99 ff; Sellner NVwZ 1991, 305, 307 ff. Dazu BVerwG NVwZ 1990, 693 = UPR 1990, 153 m Anm v Pudenz; NVwZ 1992, 570.

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von Verwaltungsakten (§ 49 VwVfG) dar. Die spezialgesetzlichen Widerrufsgründe entsprechen den allgemeinen. Der Widerruf wegen einer Änderung der Sach- oder Rechtslage oder wegen schwerer Nachteile für das Gemeinwohl ist entschädigungspflichtig, soweit er in ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen eingreift (§ 21 Abs 4 BImSchG). Hierbei handelt es sich um Enteignungstatbestände, gleich ob man die öffentlich-rechtliche Genehmigungsposition oder den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als betroffenes Eigentumsobjekt ansieht.800 Eine Sonderregelung enthält § 21 Abs 7 BImSchG: Die restriktiven Widerrufsgründe und die Entschädigungspflicht gelten nicht, wenn die Genehmigung von einem Dritten angefochten und von der Behörde während des Vorverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch oder der Klage abgeholfen wird. Insoweit liegt weder ein schutzwürdiges Vertrauen des Genehmigungsbegünstigten noch ein Enteignungstatbestand vor.801 i) Anlagenbezogene Überwachung 207 Unter den Voraussetzungen der §§ 26 Abs 1 und 28 BImSchG kann die zuständige, landesrechtlich bestimmte Behörde entweder aus besonderem Anlaß oder zur erstmaligen und periodisch wiederkehrenden Präventivkontrolle genehmigungsbedürftiger Anlagen anordnen, daß Messungen von Emissionen sowie von Immissionen im Einwirkungsbereich der Anlage durch eine behördlich bekanntgegebene Meßstelle durchgeführt werden. Statt solcher Einzelmessungen können bei genehmigungsbedürftigen Anlagen kontinuierliche Messungen durch aufzeichnende Meßgeräte erfolgen (§ 29 BImSchG). Der Betreiber kann seitens der Überwachungsbehörde verpflichtet werden, ihr die kontinuierlich aufzuzeichnenden Emissionsdaten im Wege der Datenfernübertragung zu übermitteln.802 Des weiteren ist der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach Maßgabe des § 27 BImSchG zur Abgabe einer Emissionserklärung verpflichtet. Im Interesse der Anlagensicherheit kann die zuständige Behörde ferner anordnen, daß der Betreiber einer genehmigungspflichtigen Anlage einen der von der zuständigen obersten Landesbehörde bekanntgegebenen Sachverständigen mit der Durchführung bestimmter sicherheitstechnischer Prüfungen sowie mit Prüfungen von sicherheitstechnischen Unterlagen beauftragt. In einer solchen Anordnung kann die Durchführung der Prüfungen durch den Störfallbeauftragten (§ 58a ff BImSchG 803), eine zugelassene Überwachungsstelle nach § 17 GPSG oder einen in einer Rechtsverordnung nach § 14 GPSG genannten Sachverständigen gestattet werden, sofern der Betreffende näher bezeichnete Qualifikationsvoraussetzungen erfüllt (§ 29 a BImSchG). Die hierdurch ermöglichten sicherheitstechnischen Prüfungen dienen – ebenso wie andere gesetzliche Instrumente 804 – dem erklärten Ziel des 3. Änderungsgesetzes vom 11. 5. 800 801 802 803

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Allg hierzu Breuer Bodennutzung (Fn 78) 184 f. Vgl BVerwGE 65, 313, 321 f; Ule/Laubinger BImSchG, § 21 Rn F 1 ff; Breuer DVBl 1981, 307. BVerwG NVwZ 1997, 998 (Emissionsfernüberwachung). IVm der 5. BImSchV v 30. 7. 1993 (BGBl I 1433), zul geänd d G v 9. 9. 2001 (BGBl I 2331); dazu Ehrich DB 1993, 1772 ff. Vgl die Regelungen über den Technischen Ausschuß für Anlagensicherheit (§ 31 a BImSchG) und die Störfallkommission (§ 51 a BImSchG) beim BMU.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VII 3

1990 805, das BImSchG zu einem „umfassenden Anlagensicherheitsgesetz“ fortzuentwickeln.806 Ergänzend treten die Auskunftspflicht nach § 31 BImSchG sowie das behördliche Zutrittsrecht im Rahmen der allgemeinen Überwachung nach § 52 BImSchG hinzu. Schließlich wird die anlagenbezogene Überwachung im Bereich der genehmigungsbedürftigen Anlagen gemäß dem Kooperationsprinzip 807 durch die Bestellung und die Tätigkeit eines Betriebsbeauftragten für Immissionsschutz (§§ 53 ff BImSchG) sowie eines Störfallbeauftragten (§§ 58a ff BImSchG) effektiviert.

3. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen iS der §§ 22 ff BImSchG sind solche, die 208 keiner Genehmigung nach den §§ 4 ff BImSchG bedürfen. Sie können jedoch einer Genehmigung nach anderen gesetzlichen Vorschriften, zB einer Baugenehmigung, bedürfen.808 Der Anlagenbegriff ist auch insoweit § 3 Abs 5 BImSchG zu entnehmen, wirft hier jedoch vielfältige, nur kasuistisch lösbare Abgrenzungsprobleme auf.809 Die Betreiberpflichten nach § 22 BImSchG unterscheiden sich von den Pflichten 209 des Betreibers einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach § 5 BImSchG.810 Das Gebot, schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs 1 Nr 1 BImSchG), bezieht sich auf die Emissionsbegrenzung, ohne prinzipiell zwischen dem Schutz- und dem Vorsorgegrundsatz zu trennen. Insbesondere ist der hierdurch gewährte Schutz insgesamt nicht absolut geboten, sondern durch den Stand der Technik (§ 3 Abs 6 BImSchG) begrenzt. Das weitere Gebot, daß die nach dem Stand der Technik unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 Abs 1 Nr 2 BImSchG), bezieht sich auf die Begrenzung erlaubter, wenn auch schädlicher 805 806

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810

Vgl o Fn 655. So ausdrücklich Töpfer in: Umwelt (BMU) Nr 12/1989, 597; auch die BReg in BT-Drucks 11/4909; ferner Führ IUR 1990, 54, 58; Pudenz WUR 1990, 99f; Buge DB 1990, 2408 ff; Rebentisch NVwZ 1991, 310 ff. Vgl o Rn 18, 110. Hansmann (Fn 789) Vor § 22 BImSchG Rn 16; Sellner/Löwer WiVerw 1980, 221. Vgl zB BVerwGE 68, 62 (Kirchenglocken); 79, 254 (Feuersirenen); 90, 163 (Kirchturmuhr); BVerwG DVBl 1974, 777 (Kinderspielplatz); GewArch 1977, 385 (Schrottplatz); NVwZ 1991, 884 (Sportplatz); VGH BW NJW 1990, 130 (Feuerungsanlagen); BayVGH NVwZ-RR 1990, 344 (Fuhrunternehmen); OVG Hamburg NVwZ 1990, 379 (Garagen); OVG Münster BRS 32 Nr 158 (Parkplätze); OVG Münster DVBl 1979, 315 (Betriebsfahrzeuge als Bestandteil einer Anlage); weitere Bsp bei Sellner/Löwer WiVerw 1980, 231 ff; Ziegler UPR 1986, 170; Jarass (Fn 684) § 22 Rn 9f; Hansmann (Fn 789) § 22 BImSchG Rn 8. Hierzu Sellner/Löwer WiVerw 1980, 233 ff; Kutscheidt NVwZ 1983, 65 ff; zur Verneinung eines Vorsorgegebots OVG Lüneburg NVwZ 1985, 434; BayVGH UPR 1987, 317; ebenso Jarass (Fn 684) § 22 Rn 22; krit dazu sowie zu der Verordnungsermächtigung des § 23 Abs 1 BImSchG idF des 3. ÄndG v 11. 5. 1990 (o Fn 655) Schlabach UPR 1990, 250, 252; Pudenz WuR 1990, 99, 101; Sellner NVwZ 1991, 305, 310; Hansmann NVwZ 1991, 829 ff.

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5. Kap VII 3

Rüdiger Breuer

Immissionen. Hinzu tritt die Pflicht des Betreibers zur ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung (§ 22 Abs 1 Nr 3 BImSchG). Streitig ist, ob § 22 Abs 1 Nr 1 und 2 BImSchG nachbarschützenden Charakter 210 hat. Dies wird gelegentlich verneint unter Hinweis darauf, daß Anordnungen nach § 24 BImSchG und Untersagungsverfügungen nach § 25 Abs 1 BImSchG zur Durchsetzung der erwähnten Betreiberpflichten im behördlichen Ermessen stehen.811 Hiernach soll nur der Sollvorschrift des § 25 Abs 2 BImSchG, die für Sonderfälle konkreter Gefahren Untersagungsverfügungen vorsieht, eine nachbarschützende Funktion zukommen. Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Sie verkennt, daß die Betreiberpflichten des § 22 Abs 1 BImSchG bei der Erteilung einer gebundenen außer-immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, zB einer Baugenehmigung, als zusätzliche rechtsbegriffliche Voraussetzungen fungieren, ohne daß ein Ermessen in Betracht kommt. Insoweit geht es um eine reine, rechtlich strikt gebundene Präventivkontrolle. Daß der zuständigen Behörde bei repressiven Verfügungen aufgrund der §§ 24, 25 BImSchG ein Ermessen zukommt, steht auf einem anderen Blatt. Ein Anspruch des Nachbarn auf repressives Einschreiten mag im allgemeinen nur im Falle des § 25 Abs 2 BImSchG gegeben sein. Dagegen kann der Nachbar bei der Anfechtung einer gegen § 22 Abs 1 Nr 1 oder 2 BImSchG verstoßenden außer-immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einen Genehmigungsabwehranspruch geltend machen. Insoweit ist ausschlaggebend, daß der gesetzlich gebotene Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch der Nachbarschaft zugute kommen soll.812 Gelegentlich ist zweifelhaft, inwieweit neben den §§ 22 ff BImSchG die landes211 rechtlichen Vorschriften des allgemeinen handlungsbezogenen Immissionsschutzes anwendbar sind.813 Jedenfalls sind landesrechtliche Vorschriften, wonach ruhestörende Betätigungen zur Nachtzeit verboten sind, auf nicht genehmigungsbedürftige Anlagen iS der §§ 22 ff BImSchG anwendbar.814 § 23 Abs 1 BImSchG ermächtigt die Bundesregierung, nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51 BImSchG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates vorzuschreiben, daß die Errichtung, die Beschaffenheit und der Betrieb nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen bestimmten Schutz- und Vorsorgeanforderungen genügen müssen. Auf dieser Grundlage ist eine Reihe verschiedenartiger Rechtsverordnungen erlassen worden, unter denen die Verordnung über Kleinfeuerungsanlagen (1. BImSchV) 815 Hervorhebung verdient. Soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung nach § 23 811 812

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So Sellner NJW 1976, 265 ff; Sellner/Löwer WiVerw 1980, 240 ff. Zutr BVerwGE 74, 315, 322; VGH BW NJW 1987, 1713; 1990, 1930; Feldhaus BImSchR, Bd I/2, § 22 Anm 10; Jarass (Fn 684) § 22 Rn 69; Hansmann (Fn 789) § 22 BImSchG Rn 4; Schrödter DVBl 1974, 363; nicht einschlägig sind insoweit Entscheidungen zum Ermessen bei repressiven Verfügungen nach den §§ 24, 25 BImSchG; so HessVGH BauR 1978, 44; OVG Lüneburg GewArch 1979, 345. Eingehend hierzu Sellner/Löwer WiVerw 1980, 221 ff; Jarass (Fn 684) § 22 Rn 15 ff; Hansmann (Fn 789) Vor § 22 BImSchG Rn 29 ff; vgl auch u Rn 219. OVG Münster DVBl 1979, 317. IdF v 14. 3. 1997 (BGBl I 490), zul geänd d VO v 14. 8. 2003 (BGBl I 1614); dazu Hansmann (Fn 789) Bd II, Nr 2.1; Zusammenstellung der weiteren Verordnungen bei Jarass (Fn 684) § 23 Rn 22 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VII 5 a

Abs 1 BImSchG keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen nach § 23 Abs 2 BImSchG zum Erlaß entsprechender Rechtsverordnungen ermächtigt.816

4. Der produktbezogene Immissionsschutz Die §§ 32 ff BImSchG sehen einen produktbezogenen Immissionsschutz vor. Dessen 212 Anwendungsbereiche sind die Beschaffenheit von bestimmten technischen Anlagen, die Einführung einer Bauartzulassung für diese Anlagen oder Anlagenteile, die Beschaffenheit von Brennstoffen, Treibstoffen und Schmierstoffen sowie von sonstigen Stoffen und Erzeugnissen, die geeignet sind, bei ihrer bestimmungsmäßigen Verwendung oder bei der Verbrennung zum Zwecke der Beseitigung oder der Rückgewinnung einzelner Bestandteile schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen hervorzurufen. Das Gesetz ist insoweit auf die Aktualisierung im Verordnungswege angewiesen. Es begnügt sich mit Ermächtigungen, wonach die Bundesregierung nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51 BImSchG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates einschlägige Regelungen des produktbezogenen Immissionsschutzes treffen kann.817

5. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz a) Grundlagen des Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen Die §§ 41–43, 50 BImSchG enthalten eine Spezialregelung des Verkehrslärm- 213 schutzes bei Straßen und Schienenwegen. Diese Regelung stellte eine lex imperfecta dar, solange die vorgesehene Schallschutzverordnung der Bundesregierung nach § 43 BImSchG ausblieb.818 Da zudem das Vorhaben eines Verkehrslärmschutzgesetzes im Jahre 1980 gescheitert war,819 wurde der gesamte Sektor des verkehrsbezogenen Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen in der Rechtspraxis lange von allgemeinen Regeln beherrscht, die von der Rechtsprechung aus planungs- und immissionsschutzrechtlichen sowie aus eigentums- und entschädigungsrechtlichen Grundsätzen entwickelt worden sind. Dabei hat das BVerwG der lex imperfecta des § 41 Abs 1 BImSchG die hinreichende Bestimmtheit sowie eine 816

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Vgl zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer LandesVO über die Nutzungszeiten von Biergärten BVerwG NVwZ 1999, 651; NVwZ 1996, 1025; BayVGH NVwZ 1996, 483. Vgl zB aufgrund der §§ 32, 37 BImSchG: 32. BImSchV (Geräte- und Maschinenlärm) v 29. 8. 2002 (BGBl I 3478), zul geänd d G v 6. 1. 2004 (BGBl I 2); aufgrund des § 34 BImSchG: 3. BImSchV (Schwefelgehalt bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe) v 24. 6. 2002 (BGBl I 2243); aufgrund der §§ 35, 37 BImSchG: 10. BImSchV (VO über die Beschaffenheit und die Auszeichnung von Kraftstoffen) idF der Bek v 24. 6. 2004 (BGBl I 1342). Vgl dazu Korbmacher DÖV 1976, 1 ff; Breuer NJW 1977, 1032 ff; zur VerkehrslärmschutzV (16. BImSchV) v 12. 6. 1990 (BGBl I 1036) u Rn 216; zum Ganzen Schulze-Fielitz DV 26 (1993) 515 ff. Vgl BT-Drucks 8/1671, 3730 und 4360; auch Fickert DVBl 1979, 645 ff; Schmidt-Aßmann Verfassungsrechtliche Grundlagen und Systemgedanken einer Regelung des Lärmschutzes an vorhandenen Straßen, 1979.

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5. Kap VII 5 a

Rüdiger Breuer

„planzielbestimmende Funktion“ zunächst abgesprochen,820 später jedoch ausdrücklich zuerkannt.821 Nach den „richterrechtlichen“ Grundsätzen stellt der Immissionsschutz bei der 214 planerischen Entscheidung über Verkehrsvorhaben einen gewichtigen abwägungserheblichen Belang dar, der im Rahmen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots berücksichtigt werden muß.822 Notwendige Schutzauflagen dürfen im Planfeststellungsbeschluß nicht einer späteren Entscheidung vorbehalten werden.823 Sie werden von der Rechtsprechung aufgrund des Planfeststellungsrechts als erforderlich angesehen, wenn die Immissionen für die jeweilige Umgebung mit Rücksicht auf deren durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit nicht zumutbar sind. Dabei bestimmt sich die „Unzumutbarkeit“ nicht nach dem enteignungs- oder aufopferungsrechtlichen Maßstab der schweren und unerträglichen Betroffenheit, sondern im Vorfeld dieses Maßstabs nach den Kriterien eines gerechten planerischen Interessenausgleichs sowie einer eventuellen „plangegebenen Vorbelastung“.824 Sind dementsprechende Schutzauflagen mit dem Vorhaben nicht vereinbar oder unverhältnismäßig kostspielig, greift nach den Planfeststellungsgesetzen 825 ein positivrechtlicher Entschädigungsoder Schadensersatzanspruch des Betroffenen ein. Wird eine Verkehrsanlage nicht aufgrund einer Planfeststellung, sondern zulässigerweise auf der Grundlage eines Bebauungsplans errichtet, ergibt sich ein gleichartiger Anspruch „aus einem allgemeinen Rechtssatz über den notwendigen Ausgleich zwischen störender und gestörter Nutzung im öffentlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnis“.826 Über solche Ausgleichsansprüche ist im Verwaltungsrechtsweg zu entscheiden.827 Im übrigen kommt bei Immissionen öffentlicher Verkehrsanlagen ein Entschädigungsanspruch aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff in Betracht.828

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So BVerwGE 61, 295, 298 ff → JK GG Art 14 I/11. So BVerwGE 71, 150, 153 ff; DVBl 1987, 907. BVerwGE 48, 56; 51, 15; 52, 237; 56, 110; 59, 253; 61, 295 → JK GG Art 14 I/11; 71, 150, 153 ff; DVBl 1987, 907; NVwZ 1999, 539; Bartlsperger Die Straße im Recht des Umweltschutzes, 1980, 35 ff; Gehrmann UPR 1984, 35 ff; Michler Rechtsprobleme des Verkehrslärmschutzes, 1993, 19 ff; Steinberg/Berg/Wickel (Fn 280), § 4 Rn 32 ff. BVerwGE 48, 56, 68 ff; 56, 110, 123 f; 59, 253, 259 f; 61, 295, 306 → JK GG Art 14 I/11; 71, 150, 162. BVerwGE 51, 15, 29 f; 59, 253, 261; 61, 295, 301 f → JK GG Art 14 I/11; 71, 150, 155 ff; DVBl 1987, 907 ff; NVwZ 1999, 539, 541; eingehend dazu Hartung Entschädigung für Straßenverkehrslärmimmissionen in der Rspr des BGH, 1987, 108 ff; Michler (Fn 822) 103 ff; Steinberg/Berg/Wickel (Fn 280), § 4 Rn 58 ff. Entschädigung: § 74 Abs 2 Satz 3 VwVfG; Schadensersatz: § 11 LuftVG iVm § 14 BImSchG. So BVerwGE 80, 184, 192f in bezug auf die Aufwendungen, die einem Gebäudeeigentümer durch die Ausführung der zu seinem Schutz festgesetzten Vorkehrungen des passiven Schallschutzes entstehen. BVerwGE 77, 295, 298. Vgl BGHZ 64, 220, 229 f; DVBl 1977, 523; 1978, 110; NJW 1980, 582; eingeschränkt, aber nicht überholt durch BVerfGE 58, 300 → JK GG Art 14 I 2/13; so auch BGHZ 97, 114, 116; 97, 361 f; UPR 1987, 143; NJW 1988, 900; krit offenbar BVerwGE 77, 295, 297 f.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VII 5 a

Das BVerfG 829 hat den „richterrechtlichen“ Weg der Konkretisierung im Bereich 215 des verkehrsbezogenen Immissionsschutzes bestätigt, zugleich jedoch den Verordnungsgeber in die Verantwortung gerufen. Ihm ist nach der Erkenntnis des BVerfG in den §§ 41 ff BImSchG nicht nur eine Ermächtigung, sondern ein Regelungsauftrag erteilt worden. Dieser hat indessen keine Rechtsanwendungssperre hinsichtlich der auszufüllenden Vorschriften des BImSchG bis zum Erlass der Verordnung begründet. Trotz des zwingenden Gebots einer verordnungsrechtlichen Gesetzeskonkretisierung ist es Verwaltung und Rechtsprechung aus der Sicht des BVerfG nicht ausnahmslos verwehrt, die Vorschriften des Gesetzes unmittelbar anzuwenden, wenn der Verordnungsgeber untätig bleibt. Etwas anderes gilt nur, wenn die gesetzliche Regelung ohne die ausstehende Rechtsverordnung nicht vollziehbar ist oder dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht genügt. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze waren Verwaltung und Rechtsprechung nach den ausdrücklichen Feststellungen des BVerfG 830 nicht gehindert, die Anforderungen der §§ 3 Abs 1, 41 ff BImSchG unmittelbar anzuwenden. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen „richterrechtlichen“ Entwicklung 216 und der verfassungsgerichtlichen Erkenntnisse ist die auf § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BImSchG gestützte Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) vom 12. 6. 1990 831 erlassen worden und am 21. 6. 1990 in Kraft getreten. Sie schreibt vor, daß zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung von öffentlichen Straßen sowie von Schienenwegen der Eisenbahnen und Straßenbahnen bestimmte Immissionsgrenzwerte einzuhalten sind, die nach der jeweiligen Gebietsart sowie nach Tag- und Nachtzeit abgestuft sind. Beachtung verdienen auch die in § 40 BImSchG geregelten Verkehrsbeschränkun- 217 gen. Diese Regelung ist durch das 7. Änderungsgesetz zum BImSchG vom 11. 9. 2002 832 völlig neu gefaßt worden.833 Zum einen wird die zuständige Straßenverkehrsbehörde hierdurch ermächtigt, den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zu beschränken oder zu verbieten, soweit ein Luftreinhalte- oder Aktionsplan nach § 47 Abs 1 oder 2 BImSchG dies vorsieht (§ 40 Abs 1 BImSchG). Zum anderen kann die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften auf bestimmten Straßen oder in bestimmten Gebieten verbieten oder beschränken, wenn er zur Überschreitung von festgelegten Immissionswerten (gem einer Rechtsverordnung nach § 48a BImSchG) beiträgt und soweit die für den Immissionsschutz zuständige Behörde dies im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse für geboten hält, um 829 830 831

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BVerfGE 79, 174, 193 f; dazu Broß VerwArch 80 (1989) 395 ff. BVerfGE 79, 174, 194. BGBl I 1036; dazu BVerwGE 104, 123; BVerwG NVwZ 1998, 1071; Alexander NVwZ 1991, 318 ff; Hendlmeier NuR 1992, 463 ff; Michler (Fn 822) 148 ff; Schulze-Fielitz ZUR 2002, 199 ff (Straßenverkehrslärm); Schulte ZUR 2002, 195 ff (Schienenverkehrslärm); Schink NVwZ 2003, 1041 ff; jeweils mwN. BGBl I 3622; diese Novellierung steht im Zusammenhang mit der gleichzeitigen, europarechtlich veranlaßten Neuregelung des gebietsbezogenen Immissionsschutzes; dazu u Rn 220 ff. Zur Entstehungsgeschichte Hansmann (Fn 789) § 40 BImSchG Rn 2 ff.

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5. Kap VII 6

Rüdiger Breuer

schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen zu vermindern oder deren Entstehen zu vermeiden (§ 40 Abs 2 BImSchG). Die Bundesregierung ist ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51 BImSchG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen zu regeln; diese können sich auf umweltfreundliche Kraftfahrzeuge oder auf bestimmte, durch besondere Erfordernisse legitimierte Fahrten oder Personen beziehen (§ 40 Abs 3 BImSchG). b) Sonderregelung des Fluglärmschutzgesetzes 218 Das Fluglärmschutzgesetz 834 enthält die bindende Ermächtigung, daß zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen für Verkehrsflughäfen, die dem Linienverkehr angeschlossen sind, und für militärische Flugplätze, die dem Betrieb von Flugzeugen mit Strahltriebwerken zu dienen bestimmt sind, Lärmschutzbereiche festgesetzt werden. Die Festsetzung erfolgt im Wege der Rechtsverordnung. Derartige Lärmschutzverordnungen für einzelne Flughäfen oder Flugplätze 835 sind in zwei abgestufte Schutzzonen gegliedert und lösen bestimmte Bauverbote, Schallschutzanforderungen und Förderungen für bauliche Maßnahmen des passiven Schallschutzes aus. Nachbaransprüche aus den §§ 1004, 906 BGB iV mit den §§ 11 LuftVG, 14 BImSchG werden durch die planungsrechtlichen Regelungen des Fluglärmschutzgesetzes nicht berührt.836 Auf europäischer Ebene ist mit der Richtlinie über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebseinschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft 837 erstmals ein Rahmen für gemeinschaftsrechtliche Restriktionen geschaffen worden. Ein gravierender Mangel besteht jedoch darin, daß bisher weder das Fluglärmschutzgesetz noch das EG-Recht standardisierte Lärmwerte vorschreibt. Daher entbehrt das nationale wie das supranationale Fluglärmrecht der sachnotwendigen Konkretisierung sowie der gebotenen Orientierung am Verursacherprinzip.838

6. Der allgemeine handlungsbezogene Immissionsschutz 219 Den Immissionsschutzgesetzen und -verordnungen der Länder 839 verbleibt die Regelung des allgemeinen handlungsbezogenen Immissionsschutzes. Hierunter fallen zB Vorschriften über das Verbrennen im Freien, den Schutz der Nachtruhe,840 die 834

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V 30. 3. 1971 (BGBl I 282), zul geänd d VO v 29. 10. 2001 (BGBl I 2785, 2794); zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 56, 54. Zusammenstellung bei Feldhaus BImSchR, Bd 5, Abschnitt E. BGHZ 69, 105, 108 ff. RL 2002/30/EG v 26. 3. 2002 (ABl EG, L 85/40), Frist zur Umsetzung in nationales Recht: 28. 9. 2003. Vgl zur Kritik Czybulka UPR 1999, 126 ff; Berkemann ZUR 2002, 202; zu internationalen Bemühungen hinsichtlich der Flugzeuge Koch/Prall NVwZ 2002, 666, 672 f; zu Umweltproblemen bei der Zulassung von Flughäfen Storost NVwZ 2004, 257 ff. Vgl o Fn 652. Vgl zur Anwendung des § 9 BImSchG NW auf die Festsetzung eines Volksfestes (§§ 60 b, 69, 69 a GewO) BVerwG NVwZ 1987, 494; OVG Münster NVwZ 1986, 64.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VII 7

Benutzung von Tongeräten, das Abbrennen von Feuerwerken oder Feuerwerkskörpern und die Tierhaltung.

7. Der gebietsbezogene Immissionsschutz Das deutsche Immissionsschutzrecht kennt herkömmlich nur punktuelle Ansätze 220 für einen differenzierten, eventuell gesteigerten Schutz bestimmter Gebiete. Hierin ist zutreffend ein Defizit des immissionsschutzrechtlichen Instrumentariums gesehen worden.841 Daraufhin hat das 3. Änderungsgesetz zum BImSchG vom 11. 5. 1990 842 zur Stärkung des gebietsbezogenen Immissionsschutzes insbesondere den Luftreinhalteplan (§ 47 BImSchG) erweitert und den Lärmminderungsplan (§ 47 a BImSchG) eingeführt. Zur überfälligen Umsetzung der Luftqualitätsrichtlinien der EG 843 hat der gebietsbezogene Immissionsschutz durch das 7. Änderungsgesetz zum BImSchG vom 11. 9. 2002 844 abermals eine völlige Neuregelung erfahren. Das tatsächliche wie rechtliche Grundproblem des gebietsbezogenen Immissions- 221 schutzes besteht darin, daß er „quellenunabhängig“ ansetzt.845 Dies schließt von vornherein eine konditionale Rechtsetzung sowie einen korrespondierenden, subsumtionsgeleiteten Gesetzesvollzug in der Weise aus, daß bestimmte Verursacher von Immissionen durch bestimmte Verwaltungsmaßnahmen zu normativ festgelegten Verhaltensweisen oder Handlungserfolgen verpflichtet werden könnten oder müßten. Vielmehr führen gebietsbezogene Ermittlungen und Feststellungen von Immissionen sowie vorgegebene Luftqualitätsziele notwendigerweise zu einer finalen Rechtsetzung und einer Verwaltungsplanung nach den Maximen der offenen Zweckrationalität und Abwägung.846 Da diese Norm- und Entscheidungsstruktur dem deutschen Immissionsschutzrecht herkömmlich fremd war, enthielten noch aufgrund der Fassung des BImSchG vom 11. 5. 1990 847 die Festsetzung von Untersuchungsgebieten (§ 44) sowie die Aufstellung eines Emissionskatasters (§ 46), eines Luftreinhalteplans (§ 47) und eines Lärmminderungsplans (§ 47 a) lediglich indikative Datensammlungen und interne Exekutivprogramme.848 In diesem Kontext sucht das 7. Änderungsgesetz vom 11. 9. 2002 849 einerseits die finale Rechtsetzung der EG-Luftqualitätsrichtlinien in das deutsche Recht umzusetzen und andererseits die Systematik des BImSchG möglichst zu erhalten. So sind die zuständigen 841

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So Erbguth Rechtssystematische Grundfragen des UmwR, 1987, 111, 199 f, 224 ff; Trute (Fn 671) 138 ff. Vgl o Fn 655; dazu Schlabach UPR 1990, 250, 253f; Rebentisch NVwZ 1991, 310, 315 f; Schulze-Fielitz/Berger DVBl 1992, 389 ff. Vgl dazu o Rn 181 a. BGBl I 3622; vgl dazu im Vorfeld Hansmann NuR 1999, 10 ff. Jarass UPR 2000, 241, 245 ff; zum Ganzen auch ders (Fn 684) § 44 Rn 1. Vgl zu dem Gegensatz zwischen konditionaler und finaler Rechtsetzung o Rn 54–56, 175 a, 175 b, 190. Vgl o Fn 655. Vgl Ule/Laubinger BImSchG, § 44 Rn A 1 ff, § 46 Rn A 1 ff, § 47 Rn A 1 ff; Sellner (Fn 688) Rn 48 ff; Trute (Fn 671) 147 ff, 151 ff. BGBl I 3622; zur finalen Struktur der zugrundeliegenden EG-Richtlinien und des geltenden § 47 BImSchG Hansmann (Fn 789) § 47 BImSchG Rn 1 ff.

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5. Kap VII 7

Rüdiger Breuer

Behörden verpflichtet, zur Überwachung der Luftqualität regelmäßige Untersuchungen nach den Anforderungen der Rechtsverordnungen nach § 48 a Abs 1 oder 1 a BImSchG 850 durchzuführen (§ 44 Abs 1 BImSchG). Die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Stellen sind ermächtigt, durch Rechtsverordnungen Untersuchungsgebiete festzulegen, in denen Art und Umfang bestimmter Luftverunreinigungen den gesetzlichen Ermittlungsbedarf begründen (§ 44 Abs 2 BImSchG). Die zuständigen Behörden sind – in Umsetzung der europarechtlichen Staatspflichten – zu den „erforderlichen Maßnahmen“ verpflichtet, um die Einhaltung der durch eine Rechtsverordnung nach § 48 a BImSchG festgelegten Immissionswerte sicherzustellen. Zu diesen Maßnahmen gehören Luftreinhalte- und Aktionspläne (§ 45 iVm § 47 BImSchG). Werden die durch eine Rechtsverordnung nach § 48 a BImSchG festgelegten Immissionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten, hat die zuständige Behörde einen (obligatorischen) Luftreinhalteplan aufzustellen (§ 47 Abs 1 BImSchG). Bei der Gefahr, daß solche Immissionsgrenzwerte oder „Alarmschwellen“ überschritten werden, hat die zuständige Behörde einen (ebenfalls obligatorischen) Aktionsplan aufzustellen (§ 47 Abs 2 BImSchG). Liegen bloße Anhaltspunkte dafür vor, daß festgelegte Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden, kann die Behörde einen (fakultativen) Luftreinhalteplan aufstellen; das gleiche gilt, wenn in einem Untersuchungsgebiet sonstige schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten sind (§ 47 Abs 3 BImSchG). Die Bestimmung, daß die Maßnahmen entsprechend dem Verursacheranteil unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen alle Emittenten zu richten sind, die zum Überschreiten der Immissionswerte oder in einem Untersuchungsgebiet zu sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen beitragen (§ 47 Abs 4 Satz 1 BImSchG), stellt ein finales Programm dar, nicht etwa eine konditionale, rechtsstaatlich kalkulierbare Eingriffsermächtigung gegenüber irgendeinem Emittenten. Daß die in den Luftreinhalteplänen festgelegten Maßnahmen durch behördliche Entscheidungen nach dem BImSchG oder anderen Rechtsvorschriften durchzusetzen sind (§ 47 Abs 6 Satz 1 BImSchG), ändert nichts an der materiellen Unbestimmtheit und Rechtsunsicherheit. Der Lärmminderungsplan nach § 47 a BImSchG 851 hat demgegenüber seinen Charakter als indikative Datensammlung und internes Exekutivprogramm behalten. Zum anderen werden die Landesregierungen durch § 49 Abs 1 BImSchG er222 mächtigt, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, daß in näher zu bestimmenden schutzbedürftigen Gebieten ua bestimmte ortsfeste Anlagen nicht errichtet oder nur in näher zu regelnder Weise betrieben werden dürfen. Ferner werden die Landesregierungen durch § 49 Abs 2 BImSchG ermächtigt, durch Rechtsverordnung Gebiete festzusetzen, in denen während austauscharmer Wetterlagen ein starkes Anwachsen schädlicher Umwelteinwirkungen zu befürchten ist, und vorzuschreiben, daß in diesen Gebieten Anlagen nur in beschränkter Weise betrieben werden dürfen, sobald die austauscharme Wetterlage von der zuständigen Behörde bekanntgegeben wird. In diesen beiden Fällen handelt es sich jedoch um räumlich eng begrenzte 850

851

Vgl die 22. BImSchV v 11. 9. 2002 (BGBl I 3626), zul geänd d VO v 13. 7. 2004 (BGBl I 1612); dazu o Rn 181 a. Näher dazu Schmidt UPR 2002, 327 ff.

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Sonderregelungen.852 Eine wechselvolle Geschichte weisen die Maßnahmen gegen die im wesentlichen verkehrsbedingten Konzentrationen von Smog und bodennahem Ozon auf. Zuerst haben die Länder aufgrund der Ermächtigung in § 40 Abs 1 BImSchG aF zwischen Mitte der 1970er und Mitte der 1990er Jahre SmogVerordnungen erlassen, die sich auf den sog Winter-Smog bezogen. Nachdem dieser infolge verbesserter Filtertechniken nicht mehr auftrat, haben die Länder ihre Smog-Verordnungen wieder aufgehoben. Da jedoch der sog Sommer-Smog und mit ihm die bodennahen Ozon-Konzentrationen zunahmen, hat zunächst der Bundesgesetzgeber zur Bekämpfung dieses Problems mit dem Ozongesetz von 1995 die (am 31. 12. 1999 wieder außer Kraft getretenen) §§ 40 a–40 e, 62 a BImSchG eingefügt. Danach sind zur Bewältigung des Sommer-Smog- und Ozon-Problems die EG-Luftqualitätsrahmenrichtlinie 96/62/EG vom 27. 9. 1996, deren Tochterrichtlinien von 1999/2000, die Richtlinie 2001/81/EG über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe vom 23. 10. 2001, die Richtlinie 2002/3/EG über den Ozongehalt in der Luft vom 12. 2. 2002 sowie auf nationaler Ebene die 7. BImSchGNovelle vom 11. 9. 2002 (§ 40 BImSchG nF) und eine Artikelverordnung erlassen worden; diese hat die 22. BImSchV novelliert, die 23. BImSchV aufgehoben und die 33. BImSchV vom 13. 7. 2004 eingeführt.853 Diese Vorschriften des europäischen und des deutschen Rechts fügen sich in das finale System gebietsbezogener Umweltqualitätsziele ein. So sehr man diese aus ökologischer und juristischer Sicht begrüßen mag, so wenig kann man der Feststellung ausweichen, daß die Last der Zielverwirklichung durch anlagen- und gerätebezogene Emissionsbegrenzungen sowie durch technische und ökonomische Handlungspflichten der Verursacher einseitig den EG-Mitgliedstaaten obliegt.

8. Exkurs: Treibhausgas-Emissionshandel Mit dem „System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten“ ist neuer- 222a dings ein ökonomisches Instrument in das Umweltrecht eingefügt worden.854 Konzeptionell ist es von den ordnungsrechtlichen Anforderungen an bestimmte Anlagen und Standorte sowie an lokalisierte und individualisierte Umwelteinwirkungen losgelöst. Statt dessen folgt es der ökonomischen Grundidee der Internalisierung externer Kosten, indem es den Emittenten zwischen der Emissionsvermeidung und dem alternativ möglichen Erwerb benötigter Emissionsberechtigungen wählen läßt. Angesichts der staatlich geforderten und ausgegebenen Emissionszertifikate soll der Emittent vor die Alternative gestellt sein, entweder in die kostengünstige Emis852 853

854

Vgl BT-Drucks 7/179, zu §43. Nachw zu den genannten Rechtsgrundlagen o Rn 25, 181 a, 217; ferner NEC-RL v 23. 10. 2001, ABl EG, L 309/22; Ozon-RL v 12. 2. 2002, ABl EG, L 67/14; zum Ganzen Jarass NVwZ 2003, 257 ff; Hansmann (Fn 789) Vor § 44 Rn 4 ff, § 47 Rn 1 ff; Kloepfer UmwR, § 14 Rn 271 ff. Aus ökonomischer Sicht Cansier NVwZ 1994, 642, 646 f; dazu Erwiderung von Bothe NVwZ 1995, 937 ff; ferner Kloepfer UmwR, § 5 Rn 283 ff m umf Nachw; auch Rengeling (Hrsg), Klimaschutz durch Emissionshandel, 2001; Giesberts/Hilf Handel mit Emissionszertifikaten, 2002; Endres in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg), Emissionszertifikate und UmweltR, UTR Bd 74, 2004, 11 ff.

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sionsvermeidung zu investieren und so die Emissionsberechtigungen erübrigen oder veräußern zu können oder umgekehrt solche Berechtigungen zu erwerben, falls die Emissionsverminderung für ihn in concreto teurer wäre. Volkswirtschaftlich soll dadurch die bestmögliche Allokation der knappen Mittel, also die postulierte Emissionsminderung zu den geringstmöglichen Kosten erreicht werden. So gesehen ergänzt dieses ökonomische Instrument den anlagenbezogenen wie auch den gebietsbezogenen Immissionsschutz. In Deutschland ist das ökonomische Konzept handelbarer Emissionszertifikate 222b lange auf grundsätzliche Ablehnung gestoßen. Eingewandt wurde, ihr Ziel sei eine überregionale Optimierung der Luftreinhaltekosten ohne Rücksicht auf Einwirkungsbereiche.855 Das oberste Ziel des öffentlichen wie auch des privaten Luftreinhalterechts müsse jedoch der Individualrechtsschutz bleiben. Überregionale Optimierung und individueller Rechtsschutz könnten nicht auf einen Nenner gebracht werden. An diesem Punkt müsse jedes echte Zertifikatskonzept scheitern. Auch die Unabhängige Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch hat 1997 die Einführung von Emissionszertifikaten abgelehnt.856 Von einer Abkehr vom vorhabenbezogenen Anforderungsstandard versprach sich die Kommission keine nennenswerten Vorteile: Insbesondere sei eine Verlagerung des Vollzugsaufwandes zu erwarten, wenn anstelle projektbezogener Kontrollen administrativer Aufwand bei Ausgabe und Kontrolle der Übertragung der Zertifikate anfalle, um den Schutz vor Gefahren und die Einhaltung national nicht disponibler Anforderungen sicherzustellen. Ähnlich sah der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen noch 2002 die Gefahr, daß „im Zusammenhang mit der Einführung des Emissionshandelssystems ordnungsrechtliche Anforderungen aufgegeben werden“, ohne daß das Emissionshandelssystem eine vergleichbar begrenzende Wirkung entfalte.857 Kurz: Das Verhältnis zwischen den zwingenden vorhabenbezogenen Anforderungen des Ordnungsrechts (namentlich der §§ 4 ff BImSchG sowie der IVU-Richtlinie 96/61/EG) und den für zweifelhaft gehaltenen Auswirkungen des Emissionshandelssystems erschien prekär. Daß nun dennoch ein solches „System für den Handel mit Treibhausgasemis222c sionszertifikaten“ eingeführt worden ist, beruht auf völker- und europarechtlichen Vorgaben. In Art 3 Abs 1 des Protokolls von Kyoto vom 11. 12. 1997 zum Rahmenübereinkommen über Klimaveränderungen haben sich die in Anlage I der Klimarahmenkonvention aufgeführten Staaten verpflichtet, einzeln oder gemeinsam dafür zu sorgen, daß ihre gesamten anthropogenen Emissionen der aufgeführten Treibhausgase in Kohlendioxidäquivalenten die ihnen zugeteilten Mengen nicht überschreiten.858 Bezogen auf das Basisjahr 1990, ergibt sich hieraus für die EG und ihre Mitgliedstaaten, auch die Bundesrepublik Deutschland, die Verpflichtung zur Reduktion der Treibhausgase auf 92 % in dem Zeitraum von 2008 bis 2012. Nach Art 4 des Kyoto-Protokolls können die in Anlage I aufgeführten Staaten ihre Re855 856 857 858

Feldhaus DVBl 1984, 552, 554; auch Marburger Gutachten C zum 56. DJT, 1986, C 99 f. BMU (Hrsg), UGB-KomE, 1998, 808. SRU, Umweltgutachten 2002, BT-Drucks 14/8792, Tz 516. BGBl II 1783; dazu Krämer in: Rengeling (Fn 854) 3 ff; Giesberts/Hilf (Fn 854) Rn 50 ff; Schröder UTR Bd 74 (Fn 854) 38 ff.

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duktionsverpflichtungen gemeinsam erfüllen. Von dieser Möglichkeit haben die EG-Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht. Art 17 des Kyoto-Protokolls sieht den „Handel mit Emissionen“ vor, trifft hierüber aber keine prozeduralen oder inhaltlichen Bestimmungen. Die EG-Mitgliedstaaten haben – noch vor der Verabschiedung der Richtlinie 222d 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – die Lastenverteilung untereinander geändert.859 Während die EG als solche aufgrund des Kyoto-Protokolls weiterhin die Reduzierungsverpflichtung auf 92 % trägt, haben sich die Mitgliedstaaten im Juni 1998 zunächst informell auf unterschiedliche Reduzierungsziele verständigt. Danach beträgt das Reduzierungsziel, auf das Basisjahr 1990 bezogen, für Deutschland und Dänemark jeweils 79 % und andererseits zB für Portugal 127 %, für Griechenland 125 %, für Spanien 115 %, für Irland 113 % und für Frankreich 100 %. Die Richtlinie 2003/87/EG vom 13. 10. 2003 860 hat den sachlichen Geltungsbereich des Handelssystems, mit dem Kyoto-Protokoll verglichen, in zweifacher Weise eingeschränkt: Zum einen gilt die Richtlinie nur für die in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten, nämlich für die Branchen der Energieumwandlung und -umformung, der Metallerzeugung und -verarbeitung, der mineralverarbeitenden Industrie sowie der Industriezweige der Zellstoff- und Papierindustrie. Damit sind 46 % der Kohlendioxidemissionen in der EG erfaßt; dagegen sind insbesondere die Emissionen des sonstigen Gewerbes, der privaten Haushalte und des Verkehrs nicht erfaßt. Zum anderen bezieht sich die Richtlinie nur auf Kohlendioxid, nicht hingegen auf die übrigen Treibhausgase des Kyoto-Protokolls. Begründet wird dies damit, daß über 80 % der Treibhausgasemissionen aus Kohlendioxid bestehen und andere Treibhausgase noch Überwachungs- und Nachweisprobleme bereiten. Im einzelnen sieht die Richtlinie zu dem Zweck, auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung der Treibhausgasemissionen hinzuwirken (Art 1), folgende Rechtsakte vor: die Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen (Art 4–6), den nationalen Zuteilungsplan (Art 9 iVm Art 11 Abs 1 und 2), die Zuteilung der Zertifikate an die Betreiber der einzelnen Anlagen (Art 10 und 11), die Abgabe und Löschung von Zertifikaten (Art 12 Abs 3 und 4, Art 13 Abs 2 und 3) sowie Überwachungs- und Prüfungsmaßnahmen und Sanktionen im Rahmen des staatlichen Vollzuges (Art 14 ff). Die Richtlinie war bis zum 31. 12. 2003 in nationales Recht umzusetzen, so daß 222e der nationale Gesetzgeber unter hohem Zeitdruck handeln mußte. Hinzu kam, daß die Richtlinie nur einen groben Rahmen vorgab. Daher oblag es den Mitgliedstaaten, „das Emissionshandelssystem als solches überhaupt erst aufzubauen“,861 also 859

860

861

Nunmehr geregelt in Art 2 Abs 2 iVm Anhang II der Entsch des Rates v 25. 4. 2002 (2002/358/EG), ABl EG, L 130/1; dazu Krämer in: Rengeling (Fn 854) 4 f, 13 ff; Giesberts/Hilf (Fn 854) Rn 63, 213; Breuer UTR Bd 74 (Fn 854) 155 ff. ABl EG, L 275/32; geänd d RL 2004/101/EG v 27. 10. 2004, ABl EU, L 338/18 (Anerkennung der Gutschriften aus projektbezogenen Maßnahmen wie „Joint Implementation“ und „Clean Development Mechanism“); vgl. dazu Kreuter-Kirchhof EuZW 2004, 711 ff; Brattig ZUR 2004, 412 ff. So Burgi NVwZ 2004, 1162.

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die formellen und materiellen Regeln eines Zuteilungskonzepts aufzustellen. Der deutsche Gesetzgeber hat zur Lösung dieser Aufgabe zwei Gesetze verabschiedet: das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) vom 8. 7. 2004,862 das die Grundlagen des Emissionshandelssystems geschaffen hat, und das Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2007 bis 2015 (Zuteilungsgesetz 2007 – ZuG 2007) vom 26. 8. 2004.863 Das TEHG regelt den Anwendungsbereich (§ 2), die Emissionsgenehmigung (§§ 4, 5), das System der Berechtigungen, des nationalen Zuteilungsplans, der Zuteilung, der Anerkennung von Berechtigungen aus anderen EG-Mitgliedstaaten und von Emissionsgutschriften sowie des Emissionshandelsregisters (§§ 6–14), den Handel mit Berechtigungen (§§ 15, 16), Sanktionen (§§ 17–19) und die Zuständigkeiten und sonstige formellrechtliche Fragen (§§ 20–25). Besonders bedeutsam ist § 6 Abs 1 TEHG; danach hat der Verantwortliche bis zum 30. April eines Jahres, erstmals im Jahr 2006, eine Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde abzugeben, die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr verursachten Emissionen entspricht. Der nationale Zuteilungsplan wird von der Bundesregierung für jede Zuteilungsperiode beschlossen und danach in die Form eines Parlamentsgesetzes gekleidet; auf dessen Basis erfolgt die Zuteilung (§ 7 Satz 1 und 2 TEHG). Diese stellt einen Verwaltungsakt dar. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Zuteilungsentscheidungen haben keine aufschiebende Wirkung (§ 12 TEHG). Im ZuG 2007 ist zunächst die Mengenplanung geregelt. Hierzu sind die „natio222f nalen Emissionsziele“, dh die jährlichen, nach Sektoren aufgeteilten Mengen an Kohlendioxid festgelegt (§ 4). Damit die höchstzulässige Gesamtmenge durch die Summe aller Einzelzuteilungen nicht überschritten wird, ist der Erfüllungsfaktor für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 auf 0,9789 festgesetzt worden (§ 5). Als Reserve für die Zuteilung an zusätzliche Neuanlagen bleiben jährlich 9 Mill t Kohlendioxid vorbehalten (§ 6). Grundregeln für die Zuteilung gelten für bestehende Anlagen auf der Basis historischer oder angemeldeter Emissionen (§§ 7, 8), für Neuanlagen als Ersatzanlagen (§ 10) und für zusätzliche Neuanlagen (§ 11). Besondere Zuteilungsregeln greifen auf Antrag bei frühzeitigen Emissionsminderungen (§ 12), prozeßbedingten Emissionen aufgrund einer chemischen Reaktion (§ 13), Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (§ 14) und bei Einstellung des Betriebs von Kernkraftwerken (§ 15) ein. Angesichts der ebenso dirigistischen wie komplizierten Regelungen des TEHG 222g und des ZuG 2007 bestätigt sich, daß das Emissionshandelssystem staatliche Eingriffs- und Lenkungsmaßnahmen keineswegs erübrigt, sondern voraussetzt (so bereits bei der Festlegung der Gesamtemissionsmenge für das Staatsgebiet) und provoziert (so bei den Zuteilungsregeln und -entscheidungen). So verwundert es nicht, 862

863

BGBl I 1578; dazu Schweer/v Hammerstein TEHG, 2004; Frenz EmissionshandelsR, 2005; Körner/Vierhaus TEHG, 2005; ferner Michaelis/Holtwisch NJW 2004, 2127 ff; Kobes NVwZ 2004, 513 ff; Burgi NVwZ 2004, 1162 ff; Burgi/Müller ZUR 2004, 419 ff; Spieth/Hamer ZUR 2004, 427 ff. BGBl I 2211; dazu Kobes NVwZ 2004, 1153 ff; Begemann/Lustermann NVwZ 2004, 1292, 1294 ff.

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daß in Deutschland schon kurz nach Inkrafttreten der beiden Gesetze Hunderte von verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Hauptsache und des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Zuteilungsentscheidungen anhängig sind.864 Dabei handelt es sich um Klagen und Anträge von Unternehmen, die sich als Emittenten gegen die praktizierten Voraussetzungen und den Umfang der ihnen gegenüber ergangenen Zuteilungen wenden und hierbei auch ihre Grundrechte (aus den Art 12 Abs 1, 14 Abs 1 GG) geltend machen.865 Vor mindestens ebenso schwierige Herausforderungen wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit infolge des Treibhausgas-Emissionshandels gestellt sein, wenn benachteiligte Konkurrenten sowie die im System der Emissionszertifikate vernachlässigten Drittbetroffenen Rechtsschutz begehren.866

VIII. Atom- und Strahlenschutzrecht 1. Allgemeines Im Zentrum des Atom- und Strahlenschutzrechts steht das Atomgesetz.867 Dessen 223 Inhalt ist im wesentlichen auf das Kernenergierecht beschränkt. Unmittelbar regelt das Atomgesetz lediglich die Verwendung von Kernbrennstoffen. Seine Zweckbestimmung ist durch das „Atomausstiegsgesetz“ vom 22. 4. 2002 868 geändert worden. Der Gesetzeszweck geht nunmehr dahin, „die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden und bis zum Zeitpunkt der Beendigung den geordneten Betrieb sicherzustellen“ (§ 1 Nr 1 AtomG). Damit ist der Förderungszweck (§ 1 Nr 1 AtomG aF) aufgegeben worden. Unverändert sind die weiteren Gesetzeszwecke geblieben, insbesondere der Schutzzweck nach § 1 Nr 2 AtomG. Hinsichtlich der Verwendung von sonstigen radioaktiven Stoffen begnügt das Atomgesetz sich mit Verordnungsermächtigungen. Es umfaßt verwaltungsrechtliche Überwachungsvorschriften (§§ 3–21 b AtomG), Vorschriften über die verwaltungsbehördlichen Zuständigkeiten (§§ 22–24 AtomG) und privatrechtliche Haftungsvorschriften (§§ 25–40 AtomG). Gewiß liegt auf dem Feld des Kernenergierechts unter den Aspekten des Umweltschutzes und der technischen Sicherheit sowie unter allgemeinen staats-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen 864

865

866

867 868

Einen „Vorgeschmack“ hierauf vermitteln: VG Augsburg NVwZ 2004, 1389; VG Karlsruhe NVwZ 2005, 112; zum Ganzen Breuer UTR Bd 74 (Fn 854) 175 ff; Burgi NVwZ 2004, 1162, 1167 ff. Grdl dazu Mehrbrey Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionen, 2003, 45 ff, 145ff. Vgl dazu Breuer UTR Bd 74 (Fn 854) 147 ff, 178 ff; früher bereits Rehbinder in: Endres/ Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate und Kompensationslösungen aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1994, 100, 110 ff; zum Eingriffs- und Lenkungspotential und zur Konfliktanfälligkeit dieses Systems auch Spieth Europäischer Emissionshandel und deutsches IndustrieanlagenR, 2002, 78 ff; Burgi NJW 2003, 2486, 2491 f; Rebentisch in: FS Kutscheidt, 2003, 185, 188, 196. IdF v 15. 7. 1985 (BGBl I 1565), zul geänd d G v 6. 1. 2004 (BGBl I 2). BGBl I 1351; dazu BT-Drucks 14/6890; Klöck NuR 2001, 1 ff.

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Aspekten die besondere Brisanz dieses Rechtsgebiets.869 Die geltenden Rechtsverordnungen des Atom- und Strahlenschutzrechts greifen jedoch über dieses Feld hinaus. So enthält die Strahlenschutzverordnung,870 auf die Ermächtigungen des Atom224 gesetzes gestützt, in den Überwachungsvorschriften (§§ 7 ff) teils ergänzende und modifizierende Regelungen über die Verwendung von Kernbrennstoffen, teils originäre Regelungen über die Verwendung sonstiger radioaktiver Stoffe. Die Schutzvorschriften der Strahlenschutzverordnung gelten für den gesamten Bereich der Verwendung radioaktiver Stoffe. Nicht anwendbar sind sie auf die Errichtung und den Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern (§ 2 Abs 2 Nr 3 StrlSchV). Für die letzteren Einrichtungen gilt die gleichfalls auf das Atomgesetz gestützte Röntgenverordnung.871 Als bloße Durchführungsverordnungen zum Atomgesetz fungieren demgegenüber die Atomrechtliche Verfahrensverordnung,872 die das Verfahren der Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG regelt, die Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung,873 die Atomrechtliche Kostenverordnung 874 und die Atomrechtliche Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung.875 Über den Regelungsbereich der Kernenergie und der Verwendung radioaktiver Stoffe geht das nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl erlassene Strahlenschutzvorsorgegesetz 876 hinaus, indem es die Bundes- und Landesbehörden in umfassender Weise zur Überwachung der Umweltradioaktivität sowie zu Maßnahmen ermächtigt, durch die bei „nuklearen Ereignissen“ die Strahlenexposition des Menschen und die radioaktive Kontamination der Umwelt so gering wie möglich gehalten werden soll. Durch Gesetz vom 9. 10. 1989 877 ist das Bundesamt für Strahlenschutz als selbständige Bundesoberbehörde errichtet worden. Die Überwachungsvorschriften des Atomgesetzes und der Strahlenschutzverord225 nung sind der Sitz der genehmigungsbedürftigen Tatbestände (§§ 3–9 AtomG, §§ 7–29 StrlSchVO).878 Die Genehmigungsvoraussetzungen bestehen – ungeachtet 869

870

871 872 873 874 875 876 877 878

Vgl etwa den Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik“, BTDrucks 8/4341; Roßnagel Bedroht die Kernenergie unsere Freiheit?, 1983; ders Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, 1984; Meyer-Abich/Schefold Die Grenzen der Atomwirtschaft, 1986; auch Degenhart KernenergieR, 1981; Ronellenfitsch Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, 1983, 79 ff; zur verfassungsrechtlichen Kontroverse um den „Ausstieg“ einers Ossenbühl AöR 124 (1999) 1 ff; Di Fabio Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999; Schmidt-Preuß Rechtsfragen des Ausstiegs aus der Kernenergie, 2000; anderers Denninger Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung, 2000; Koch/Roßnagel NVwZ 2000, 1 ff. VO v 20. 7. 2001 (BGBl I 1714, ber 2002 I 1459), geänd d VO v 18. 6. 2002 (BGBl I 1869); vgl o Rn 42. IdF v 30. 4. 2003 (BGBl I 604); dazu Wagner NVwZ 2002, 1426 ff. IdF v 3. 2. 1995 (BGBl I 180), zul geänd d G v 25. 3. 2002 (BGBl I 1193). V 25. 1. 1977 (BGBl I 220), zul geänd d VO v 18. 6. 2002 (BGBl I 1869). V 17. 12. 1981 (BGBl I 1457), zul geänd d G v 15. 12. 2004 (BGBl I 3463). V 14. 10. 1992 (BGBl I 1766), zul geänd d VO v 18. 6. 2002 (BGBl I 1869). V 19. 12. 1986 (BGBl I 2610), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304); vgl o Rn 42. BGBl I 1830, zul geänd d G v 3. 5. 2000 (BGBl I 636). Hierzu bereits o Rn 42.

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unterschiedlicher Details – in den durchweg wiederkehrenden Erfordernissen der Zuverlässigkeit, der Fachkunde und hinreichender Kenntnisse, der Schadensvorsorge, der Deckungsvorsorge, des Schutzes gegen Einwirkungen Dritter sowie der Umweltverträglichkeit.879 Abgesehen vom potentiell restriktiven Vorbehalt der Genehmigungen nach den §§ 7 und 9 AtomG, handelt es sich hierbei um präventive gesetzliche Verbote unter dem Vorbehalt einer administrativen, rechtlich gebundenen Unbedenklichkeitserklärung.880

2. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung Die Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG ist bereits im Rahmen des Wirtschafts- 226 verwaltungsrechts und des allgemeinen Umweltverwaltungsrechts als administratives Kontrollinstrument gekennzeichnet worden, dessen Rechtsgrundlage auf der Grenze zwischen einem präventiven und einem repressiven Verbot steht.881 Aufgrund der rechtsbegrifflichen Genehmigungsvoraussetzungen und des hinzutretenden Versagungsermessens liegt der Genehmigungspflicht nach § 7 AtomG ein präventives, aber potentiell restriktives Verbot zugrunde. Erinnert sei auch daran, daß die atomrechtliche Anlagengenehmigung dem BVerfG 882 Gelegenheit gegeben hat, den Gesetzesvorbehalt und die erforderliche Bestimmtheit des Gesetzes sowie positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu präzisieren. Indessen ist dieser Genehmigungsvorbehalt durch das Atomausstiegsgesetz vom 22. 4. 2002 zu einem auslaufenden Rechtsinstitut geworden.883 Zum einen werden für die Errichtung und den Betrieb von Kernkraftwerken keine (neuen) Genehmigungen mehr erteilt (§ 7 Abs 1 Satz 2 AtomG). Allein für Forschungsreaktoren sowie für wesentliche Veränderungen von Kernkraftwerken oder ihres Betriebs werden künftig noch Genehmigungen erteilt (§ 7 Abs 1 Satz 3 AtomG). Zum anderen sind die vorgefundenen, unbefristet erteilten Anlagengenehmigungen kraft Gesetzes befristet worden. Dabei hat der Gesetzgeber eine Regellaufzeit von 32 Jahren zugrunde gelegt und daraus für jedes einzelne Kernkraftwerk Restlaufzeiten und Reststrommengen errechnet (Anlage 3). Die Berechtigung zum Leistungsbetrieb einer Anlage erlischt grundsätzlich, wenn die aufgeführte Reststrommenge produziert ist (§ 7 Abs 1 a AtomG). Übertragungen einer Reststrommenge von einer Anlage auf eine andere sind möglich, allerdings grundsätzlich nur von einer älteren auf eine jüngere Anlage (§ 7 Abs 1b AtomG). Da die gesetzliche Regelung der atomrechtlichen Anlagengenehmigung in Bundesauftragsverwaltung vollzogen wird (Art 87 c GG, § 24 AtomG), hat der technologische, energiewirt879 880

881 882 883

Vgl Winters Atom- und StrahlenschutzR, 1978, 18. Vgl Fischerhof Dt AtomG und StrahlenschutzR, Bd I, 2. Aufl 1978, Einf Rn 13, Vorbem vor § 3 Rn 1; zur Terminologie o Rn 72 ff. Vgl o Rn 74; → Badura/Huber 3. Kap Rn 100 ff. BVerfGE 49, 89; 53, 30; Kloepfer UmwR, § 15 Rn 34 ff mwN; vgl o Rn 19 ff. Amtl Begründung, BT-Drucks 14/6890; Schmidt-Preuß in: Koch/Roßnagel (Hrsg), 10. Dt AtomR-Symposium, 2000, 153 ff; Denninger ebda, 167 ff; Kühne/Brodowski NJW 2002, 1458 ff; vgl zur verfassungsrechtlichen Kontroverse auch o Fn 856; zu Folgefragen der Restlaufzeiten und Strommengenregelungen Böwing und Huber in: Ossenbühl (Hrsg), Deutscher Atomrechtstag 2002, 2003, 131 ff, 147 ff.

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5. Kap VIII 2 a

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schaftliche und rechtliche Dissens über die Kernenergie zu bundesstaatlichen Kompetenzkonflikten und wiederholten Verfassungsstreitigkeiten geführt.884 a) Unter den rechtsbegrifflichen Voraussetzungen der atomrechtlichen Anlagen227 genehmigung interessieren aus der Perspektive des Umweltschutzes vor allem die Postulate, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen sein muß (§ 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG) und überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Umwelteinwirkungen, der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen dürfen (§ 7 Abs 2 Satz 1 Nr 6 AtomG). § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG umschließt die Gebote der unabdingbaren Gefah228 renabwehr und der vorgelagerten, durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzten Risikovorsorge. Jenseits aller Diskussionen über die Konkretisierung dieser Gebote 885 steht fest, daß die erforderliche „Schadensvorsorge“ sich trotz ihrer gesteigerten Strenge strukturell nicht von den sicherheitsrechtlichen Voraussetzungen unterscheidet, die in klassischen Fällen präventiver gesetzlicher Verbote bei der Erteilung der vorbehaltenen, als Unbedenklichkeitserklärung ausgestalteten Erlaubnis erfüllt sein müssen. Die Genehmigungsbehörde hat nach § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG – unbeschadet aller Probleme der naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse 886 – lediglich das konkrete Vorliegen generell-abstrakter Voraussetzungen zu prüfen und nicht etwa Umweltressourcen oder Befugnisse zu Umweltbelastungen nach planwirtschaftlichen Zwecken zuzuteilen. Das gleiche gilt für das ergänzende strahlenschutzrechtliche Minimierungsgebot (§ 6 StrlSchVO), in dem das Gebot der Risikovorsorge einen markanten und für die Rechtssicherheit problematischen Niederschlag gefunden hat.887 Allerdings entbehrt das Minimierungsgebot im Gegensatz zu den Dosisgrenzwerten der Strahlenschutzverordnung und zu der Grundnorm des § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG der nachbarschützenden Wirkung.888

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BVerfGE 81, 310; 84, 25; 104, 238; BVerfG NVwZ 2002, 585 → JK GG Art 85 III; zum Ganzen Sendler DÖV 1992, 181 ff; Ossenbühl und Hermes in: Ossenbühl (Fn 883), 49 ff, 61 ff. Vgl hierzu Hanning/Schmieder DB 1977, Beil Nr 14; Albers DVBl 1978, 22 ff; Lieb ZfU 1978, 279 ff; Breuer DVBl 1978, 829 ff; ders NVwZ 1990, 211 ff; Bender NJW 1979, 1425 ff; ders DÖV 1980, 633 ff; Wagner NJW 1980, 665 ff; ders DÖV 1980, 269 ff; Lukes (Hrsg), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teile I–III, 1980; Degenhart (Fn 869) 7 ff, 117 ff, 168 ff, 177 ff; Marburger Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1983; Ronellenfitsch (Fn 869) 212 ff; Haedrich AtomG, 1986, § 7 Rn 56 ff. Hierzu Smidt in 6. Dt AtomR-Symposium, 1980, 39 ff; Heuser und Birkhofer in: Lukes (Fn 885) Teil I, 43 ff, 65 ff; Mathiak/Schütz ebd, Teil III, 1 ff; Breuer NVwZ 1990, 211, 215 ff; zur richterlichen Sachaufklärung Czajka DÖV 1982, 99 ff. Vgl zu §§ 28 Abs 1, 46 Abs 1 Nr 2 StrlSchV aF: OVG Lüneburg DVBl 1977, 340, 342; 1978, 67, 69 f; Breuer DVBl 1978, 609f; Rauschning VVDStRL 38 (1980) 197 f; einschränkend Schattke DVBl 1979, 652 ff. BVerwGE 61, 256, 267 f; aA OVG Münster ET 1975, 220; OVG Lüneburg DVBl 1978, 67, 69.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VIII 2 a

Das BVerwG hat im Wyhl-Urteil 889 zutreffend ausgesprochen, daß die nach § 7 229 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG gebotene Schadensvorsorge neben der polizeirechtlich verstandenen Gefahrenabwehr auch eine gefahrenunabhängige Risikovorsorge umfaßt. Nach den Gründen dieses Urteils trägt die Exekutive die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung, wobei sie die Wissenschaft zu Rate zu ziehen hat. Daraus folgert das BVerwG, daß es nicht Sache der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein könne, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen. Die Exekutive verfüge gegenüber der Legislative und den Gerichten über rechtliche Handlungsformen, die sie für die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser ausrüsteten. Gerechtfertigt und begrenzt wird diese Verringerung der judikativen Kontrolldichte – ähnlich wie im Immissionsschutzrecht 890 – dadurch, daß der gesetzliche Maßstab des Standes von Wissenschaft und Technik auf einen naturwissenschaftlich-technischen, die Front des Fortschritts markierenden Erkenntnisspielraum verweist und hieran – bei sinngerechter Gesetzesauslegung – ein administrativer Standardisierungsspielraum geknüpft ist. Dieser setzt die einzuholenden naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse als Entscheidungsbasis voraus. Er gestattet nur die modifizierende Programmierung der Genehmigungspraxis bei verbleibenden Erkenntnislücken und Bewertungsunterschieden, bei verfassungsrechtlich gebotener „Bereinigung“ (insbesondere aufgrund der Verhältnismäßigkeit) oder bei notwendigen Pauschalierungen und sonstigen Vereinfachungen.891 Soweit keine generellen Standards der Exekutivspitze (etwa in der Rechtsform von Verwaltungsvorschriften) vorliegen, kann die Genehmigungsbehörde bei der Einzelfallentscheidung über die Erteilung einer Anlagengenehmigung zur Ermittlung des Standes von Wissenschaft und Technik (iSd § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG) auf technische Regeln sachverständiger Gremien (zB der Reaktorsicherheitskommission oder des Kerntechnischen Ausschusses) zurückgreifen, sofern kein Anhalt für Zweifel an den zugrundeliegenden Annahmen der Regelwerke besteht. Die Verwertbarkeit solcher Regelwerke wird nicht schon dadurch in Frage gestellt, daß den betreffenden Gremien keine Vertreter von gesellschaftlichen Gruppen angehören, die gegenüber der Nutzung der Kernenergie grundsätzlich kritisch eingestellt sind.892 Die Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 6 AtomG steht mit der- 230 jenigen des § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG in einem wechselbezüglichen Zusammenhang.893 Sie verleiht der Genehmigungsbehörde jedoch keine Befugnis zur 889

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BVerwGE 72, 300, 315 ff; bestätigend BVerwGE 78, 177, 189 f; 80, 207, 217, 221 f; 81, 185, 192; BVerwG NVwZ 1989, 864 ff; BVerwGE 85, 368, 379; BVerwG NVwZ 1998, 628 f; zum Ganzen Breuer NVwZ 1988, 104, 108 ff; 1990, 211, 222; ähnlich Jarass NJW 1987, 1228; Cloosters in: Ossenbühl (Hrsg), Dt Atomrechtstag 2000, 2001, 39, 51 f. Vgl OVG Lüneburg DVBl 1985, 1322 (Buschhaus); dazu o Rn 181. Vgl Breuer DVBl 1986, 858 f; ders NVwZ 1988, 119 ff; ferner Weber Regelungs- und Kontrolldichte im AtomR, 1984, 165 ff, 219 ff. BVerwG ZUR 1994, 32 m krit Anm von Winter 29 ff; zu den genannten Gremien o Rn 110. OVG Münster ET 1975, 220, 222; Fischerhof (Fn 880) § 7 AtG Rn 5, 20; Winters (Fn 879) 21; Degenhart (Fn 869) 46 ff; Ronellenfitsch (Fn 869) 285 ff; Haedrich (Fn 885) § 7 Rn 118 ff; zu den nunmehr geltenden Anforderungen nach dem UVPG o Rn 49.

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5. Kap VIII 2 d

Rüdiger Breuer

Raum- oder Umweltplanung. § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 6 AtomG bezieht sich nämlich nur auf die umweltspezifischen Auswirkungen der Atomanlage und zwingt nicht zur Wahl eines optimalen Standorts sowie zur Prüfung von Standortalternativen. Hiernach ist lediglich im Sinne einer Negativauslese die Anlagengenehmigung zu versagen, wenn der vorgesehene Standort ungeeignet ist, weil seiner Wahl unter umweltspezifischen Gesichtspunkten überwiegende öffentliche Interessen des Umweltschutzes entgegenstehen.894 Eine Optimierung der Standortwahl sowie eine Prüfung von Standortalternativen sind nur mit den Instrumenten der systematisch vorgelagerten Raumplanung möglich.895 b) Die Genehmigung einer Anlage, die sämtliche rechtsbegrifflichen Vorausset231 zungen des § 7 Abs 2 AtomG erfüllt, darf aufgrund des Versagungsermessens nur zur Wahrung eines in § 1 Nr 2–4 AtomG geregelten Schutzzwecks abgelehnt werden.896 Zudem verstieße es gegen den Ordnungszweck des § 1 Nr 1 AtomG, wenn die Genehmigungsbehörde sich ungeachtet der Erfüllung aller Voraussetzungen des § 7 Abs 2 AtomG sofort und absolut weigern würde, noch eine atomrechtliche Anlagengenehmigung für zulässig gebliebene Vorhaben 897 zu erteilen. Die Exekutive muß daher im Einzelfall in eine konkrete Abwägung zwischen den konfligierenden Zwecken des § 1 AtomG eintreten.898 c) Mit der nach wie vor zulässigen atomrechtlichen Änderungsgenehmigung 231a gemäß § 7 Abs 1 Satz 3 AtomG 899 werden sicherheitsverbessernde Nachrüstungsmaßnahmen ermöglicht, wenngleich nicht mehr erleichtert.900 Damit leben bei Anlagenänderungen Zweifelsfragen des früheren Rechts 901 wieder auf. d) Das Verfahren der atomrechtlichen Anlagengenehmigung entspricht im we232 sentlichen dem Verfahren der Anlagengenehmigung nach den §§ 4 ff BImSchG 902. Dies gilt insbesondere für die Stufung des Verfahrens durch Vorbescheid und Teilgenehmigungen (§§ 7 a, 7 b AtomG) 903 sowie für die Förmlichkeit, Publizität und 894

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In der Rspr zB OVG Koblenz ET 1976, 539, 546; VG Würzburg NJW 1977, 1649 ff; vgl auch Degenhart (Fn 869) 57 ff. Vgl Breuer NJW 1979, 1868; ders in: 7. Dt AtomR-Symposium, 1983, 153 ff; zur Standortvorsorgeplanung Blümel DVBl 1977, 301 ff; Hoppe VVDStRL 38 (1980) 295 ff; ferner Degenhart (Fn 869) 123 ff; Haedrich (Fn 885) § 7 Rn 119, 124. Fischerhof (Fn 880) § 7 AtG Rn 25; ähnlich Haedrich (Fn 885) § 7 Rn 47; das Ermessen noch stärker einschränkend: Ronellenfitsch (Fn 869) 356 f. Vgl dazu o Rn 226. Zur Beachtlichkeit der jeweiligen Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers BVerfGE 49, 89, 128 ff; 53, 30, 57 ff; näher Breuer Staat 20 (1981) 408 ff; Ossenbühl ET 1983, 665 ff; aA Lange NJW 1986, 2459 ff; dagegen H. Wagner NJW 1987, 411 ff. Vgl o Rn 226. Vgl zum aufgehobenen § 7 Abs 2 Satz 2 AtomG idF von 1998 Schmidt-Preuß NVwZ 1998, 553 ff. Vgl dazu BVerwGE 88, 286; BVerwG NVwZ 1997, 161 ff; 1998, 623 und 630, 633; zum Ganzen Ossenbühl Bestandsschutz und Nachrüstung von Kernkraftwerken, 1994. Vgl einers o Rn 192 ff, 200; anderers → Badura/Huber 3. Kap Rn 100 ff; auch Degenhart (Fn 869) 61 ff; Ronellenfitsch (Fn 869) 288 ff; v Mutius/Schoch DVBl 1983, 149 ff. Vgl dazu BVerwGE 70, 365, 372 f (Konzeptvorbescheid); 80, 207; Breuer Genehmigungsverfahren Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich, Rechtsgutachten, 1989; Gerhardt DVBl 1989, 125, 132 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VIII 3

Popularbeteiligung (§ 7 Abs 4 AtomG iVm §§ 4 ff AtVfV). Die materielle Präklusion nicht fristgerecht erhobener Einwendungen (§ 7 Abs 1 Satz 2 AtVfV, § 7 b AtomG) ist mit Art 19 Abs 4 GG und den materiellen Grundrechten vereinbar.904 Demgemäß kann ein Standortvorbescheid nach § 7 a AtomG von einem Dritten mit der substantiierten Behauptung angefochten werden, daß ihm gegenüber an dem gewählten Standort die erforderliche Schadensvorsorge nicht gewährleistet sei; eine solche Klage wird nicht dadurch unzulässig, daß der Kläger die nachfolgenden Teilerrichtungsgenehmigungen hat unanfechtbar werden lassen.905 Mangels einer Verfahrenskonzentration ist die atomrechtliche Anlagengenehmigung mit parallelen, kompetenziell abzugrenzenden Gestattungsverfahren anderer Sachbereiche gekoppelt.906

3. Rechtsfragen der nuklearen Entsorgung § 9 a AtomG begründet lückenlose Pflichten zur Entsorgung von radioaktiven Rest- 233 stoffen sowie ausgebauten oder abgebauten radioaktiven Anlagenteilen. Diese Pflichten obliegen zunächst jedem, der Anlagen, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird, errichtet, betreibt, sonst innehat, wesentlich verändert, stillegt oder beseitigt, außerhalb solcher Anlagen mit radioaktiven Stoffen umgeht oder Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen betreibt. Diese Personen haben dafür zu sorgen, daß die fraglichen Reststoffe und Anlagenteile schadlos verwertet oder als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden (§ 9 a Abs 1 Satz 1 AtomG). Das „Atomausstiegsgesetz“ vom 22. 4. 2002 hat die nukleare Entsorgung indessen pro futuro auf die direkte Endlagerung beschränkt. Die Abgabe von bestrahlten, aus dem Betrieb von Kernkraftwerken stammenden Kernbrennstoffen zur schadlosen Verwertung an eine Wiederaufarbeitungsanlage ist vom 1.7.2005 an unzulässig (§ 9 a Abs 1 Satz 2 AtomG). Dieses unbedingte, zugleich als absolutes Ausfuhrverbot wirkende Wiederaufarbeitungsverbot verstößt indessen gegen die Warenverkehrsfreiheit im Kernenergiebereich gemäß Art 93 EAGV.907 Der Betreiber eines Kernkraftwerks hat nunmehr dafür zu sorgen, daß ein „standortnahes Zwischenlager“ innerhalb des abgeschlossenen Geländes der Anlage oder in deren Nähe errichtet wird und die anfallenden bestrahlten Kernbrennstoffe bis zu deren Ablieferung an eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle dort aufbewahrt werden

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Vgl (noch zu § 3 Abs 1 AtAnlV) BVerfGE 61, 82, 109 ff → JK GG Art 19 III/3; BVerwGE 60, 297. BVerwG DVBl 1982, 960; vgl auch BVerwGE 80, 207 (Anfechtung einer ersten Teilerrichtungsgenehmigung). Vgl zum Meinungsstand BVerwG DÖV 1980, 178 (mit Anm v Krause 522); DVBl 1988, 488 f (Bestimmungen über Radioaktivitätsabgaben in einer wasserrechtlichen Erlaubnis); BayVGH DVBl 1979, 673, 677; UPR 1984, 70; OVG Lüneburg ZfW 1980, 303, 305 f; DVBl 1980, 1012 ff; 1983, 184; Kröncke Die Genehmigung von Kernkraftwerken, 1982; Henseler DVBl 1982, 399 ff; Breuer in: 7. Dt AtomR-Symposium, 1983, 159 ff. So auch Di Fabio (Fn 869) 52 ff, 168; Schmidt-Preuß (Fn 869) 12 ff, 75; Hanenburg/Warg atw 1999, 709 ff; Huber DVBl 2001, 239, 248; Breuer in: Ossenbühl (Fn 883) 107 ff, 115 f; aA Sparwasser/Engel/Voßkuhle UmwR, Rn 7/282.

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5. Kap VIII 3

Rüdiger Breuer

(§ 9 a Abs 2 Satz 3 AtomG).908 Demgegenüber fällt die Einrichtung von Landessammelstellen durch die Länder sowie von Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, dem Risikopotential entsprechend, grundsätzlich in staatliche Eigenregie (§ 9 a Abs 3 Satz 1 AtomG).909 Der Staat kann sich hier eines Dritten als „Erfüllungsgehilfen“ bedienen (§ 9 a Abs 3 Satz 2 AtomG). Darüber hinaus sieht das Gesetz eine „Beleihung“ vor: Der Bund kann zur Erfüllung seiner Pflicht die Wahrnehmung seiner Aufgaben ganz oder teilweise auf Dritte übertragen, wenn sie Gewähr für die ordnungsgemäße Erfüllung der übertragenen Aufgaben bieten (§ 9 a Abs 3 Satz 3 AtomG).910 Wer radioaktive Abfälle besitzt, hat sie kostenpflichtig an eine Anlage nach § 9 a Abs 3 AtomG abzuliefern (§§ 9 a Abs 2 Satz 1, 21 a Abs 3 AtomG). Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle 234 bedürfen einer Planfeststellung, die in einem förmlichen Verfahren ergeht und eine Konzentrationswirkung ausübt (§ 9 b AtomG). Die Konzentrationswirkung ist lediglich insofern durchbrochen, als die Planfeststellung sich nicht auf die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Berg- und Tiefspeicherrechts erstreckt (§ 9 b Abs 5 Nr 3 AtomG). Nach Ansicht des BVerwG 911 ist die untertägige Erkundung eines Standortes auf seine Eignung für die Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle noch nicht der Beginn der Errichtung einer entsprechenden Anlage und deshalb nicht nach § 9 b AtomG planfeststellungspflichtig. Dies soll auch gelten, wenn Teile des Erkundungsbergwerks (wie zB die Schächte) nach Dimensionierung und Bauausführung im Falle positiver Standortentscheidung im dann aufgrund einer Planfeststellung zu errichtenden Endlager Verwendung finden sollen.912 Streitig ist, ob die Sicherstellung der nuklearen Entsorgung zu den rechtsbegriff235 lichen Voraussetzungen der Anlagengenehmigung nach § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG gehört 913 oder lediglich für die Ausübung des Versagungsermessens bei der Entscheidung über die Anlagengenehmigung bedeutsam ist.914 Keiner dieser beiden 908

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Vgl dazu Roller in: Koch/Roßnagel (Fn 883) 307 ff; Böwing ebda, 323 ff; Scheuten in: Ossenbühl (Fn 901) 111 ff (krit); Hoffmann ebda, 129 ff; de Witt ebda, 167 ff; Sendler ebda, 192 ff (krit); Kühne/Brodowski NJW 2002, 1458, 1462. Vgl o Rn 111 ff; Hofmann Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981; Wagner/Ziegler/ Closs Risikoaspekte der nuklearen Entsorgung, 1982; Haedrich (Fn 885) § 9 a Rn 1 ff; Roßnagel Rechtsprobleme der Wiederaufarbeitung, 1987; H. Wagner in: UTR Bd 12, 1990, 183 ff; ders DVBl 1991, 24 ff; ders NVwZ 1993, 513, 516 f. Näher dazu Menzer Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1998. DVBl 1990, 593 m Anm von Wagner. So auch OVG Lüneburg DVBl 1989, 834 (LS); Rengeling Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; ders Rechtsfragen zu Bundesendlagern für radioaktive Abfälle, 1990; Haedrich (Fn 885) § 9 b Rn 22 f; H. Wagner (Fn 896); aA Breuer Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984. So OVG Lüneburg DVBl 1978, 67, 71 ff; VG Schleswig NJW 1977, 644 f; wohl auch: VG Freiburg NJW 1977, 1645, 1649; Winters (Fn 879) 28. So VGH BW NJW 1979, 2528; VG Karlsruhe DVBl 1978, 856, 859; VG Schleswig NJW 1980, 1296, 1300 f; Fischerhof (Fn 880) § 7 Rn 17; Lukes/Dauk ET 1979, 667 ff; Wagner/ Ziegler DVBl 1980, 142 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap VIII 4

Extremstandpunkte vermag voll zu überzeugen. Die gebotene Schadensvorsorge nach § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 3 AtomG bezieht sich auf das anlagenimmanente Risikopotential. Hierzu gehören der Anfall und der eventuelle Verbleib radioaktiver Reststoffe oder Abfälle in der betreffenden Anlage, zB in einem Kernkraftwerk. Dieses Gebot ist jedoch erfüllt, wenn irgendeine geeignete Maßnahme der anlagenexternen Verbringung radioaktiver Reststoffe oder Abfälle oder eine den Anforderungen der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge genügende anlageninterne Zwischenlagerung (Kompaktlagerung) gewährleistet ist.915 Das verbleibende anlagentranszendente Risikopotential ist lediglich für die Ausübung des Versagungsermessens nach § 7 Abs 2 AtomG bedeutsam.916 Von dieser Warte aus argumentiert offenbar auch das BVerwG, wenn es – sachlich überzeugend – verfassungsrechtliche Bedenken „wegen mangelnder Erhebung der Entsorgungssicherheit zur Genehmigungsvoraussetzung“ zurückweist.917

4. Atomrechtliche Haftung Die Vorschriften über die atomrechtliche Gefährdungshaftung (§§ 25 ff AtomG) 236 sind durch die Änderungsgesetze vom 15. 7. 1975 und 22. 5. 1985 918 an die Pariser und Brüsseler Atomhaftungsübereinkommen 919 angepaßt worden. Nach § 25 Abs 1 AtomG ist die Gefährdungshaftung für Schäden, die auf einem von einer ortsfesten Kernanlage ausgehenden nuklearen Ereignis beruhen, aus dem Pariser Übereinkommen und dem Gemeinsamen Protokoll iVm den ergänzenden Vorschriften des Atomgesetzes zu entnehmen. Das Pariser Übereinkommen ist unabhängig von seiner völkerrechtlichen Verbindlichkeit für die Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich anzuwenden, soweit nicht seine Regeln eine Gegenseitigkeit voraussetzen (§ 25 Abs 1 Satz 2 AtomG). § 25 a AtomG fügt eine modifizierende Haftungsregelung für Reaktorschiffe hinzu; als Rechtsgrundlage der Haftung tritt hier das Brüsseler Reaktorschiff-Übereinkommen an die Stelle des Pariser Übereinkommens. Aufgrund des internationalen Rechts ist das zuvor im deutschen Atomrecht geltende Haftungsprinzip der „wirtschaftlichen Kanalisierung“ durch das Prinzip der „rechtlichen Kanalisierung“ abgelöst worden.920 Dies bedeutet, daß für Schäden aus 915

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Vgl dazu die Regelung in § 9 a Abs 1 a–1 d AtomG (Entsorgungsvorsorgenachweis); krit Breuer in: Ossenbühl (Fn 883) 107 ff. Breuer VerwArch 72 (1981) 261, 273 ff. So BVerwG ZUR 1994, 32 f m krit Anm von Winter 24 f. BGBl I 781; vgl dazu BT-Drucks 10/2231; Haedrich (Fn 885) Vorbem vor § 25 Rn 7, 11. Pariser Übereinkommen v 29. 7. 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie idF v 5. 2. 1976 (BGBl II 310, 311), geänd durch Prot v 16. 11. 1982 (BGBl II 970); Brüsseler Zusatzübereinkommen v 31. 1. 1963 zum Pariser Übereinkommen idF v 5. 2. 1976 (BGBl II 310, 318), geänd durch Prot v 16. 11. 1982 (BGBl II 691); Brüsseler Reaktorschiff-Übereinkommen v 25. 5. 1962 über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen (BGBl II 957, 977); Brüsseler Kernmaterial-Seetransport-Übereinkommen v 17. 12. 1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See (BGBl 1975 II, 957, 1026); zum Protokoll von 2004 zum Pariser Übereinkommen (im März 2005 noch nicht in Kraft getreten) Blobel NuR 2005, 137 ff. BT-Drucks 7/2183, 13 f; Fischerhof (Fn 880) Vorbem vor § 25 AtG Rn 3, 4, Art 6 PÜ Rn 1 ff; Haedrich (Fn 885) § 25 Rn 14 ff.

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5. Kap IX 1

Rüdiger Breuer

einem von der Anlage ausgehenden nuklearen Ereignis ausschließlich der Anlageninhaber – nicht etwa ein Dritter wie zB ein Zulieferer – nach Maßgabe des Pariser Übereinkommens haftet. Eine Verschlechterung des Opferschutzes wird dadurch vermieden, daß § 29 Abs 2 AtomG den Ersatz eines Nichtvermögensschadens (Schmerzensgeld) vorsieht. Die Haftung des Anlageninhabers nach dem Pariser Übereinkommen iVm § 25 237 Abs 1, 2 und 4 AtomG ist aufgrund des Änderungsgesetzes vom 22. 5. 1985 summenmäßig unbegrenzt; 921 bei Schäden aus nuklearen Ereignissen infolge eines bewaffneten Konfliktes, ähnlicher Vorkommnisse oder einer schweren und außergewöhnlichen Naturkatastrophe (§ 25 Abs 3 AtomG) ist die Haftung auf den Höchstbetrag der staatlichen Freistellungsverpflichtung begrenzt (§ 31 Abs 1 AtomG). Die Höchstsumme der vorgeschriebenen Deckungsvorsorge beträgt 2,5 Milliarden Euro (§ 13 Abs 3 Satz 2 AtomG). Tritt der Schaden in einem anderen Staat ein, so gilt eine gestaffelte Haftungsbegrenzung, es sei denn, daß der Staat des Schadenseintritts eine dem deutschen Recht nach Art, Ausmaß und Höhe gleichwertige Regelung sichergestellt hat (§ 31 Abs 2 AtomG). Soweit gesetzliche, aus einem nuklearen Ereignis entstandene Schadensersatzverpflichtungen des Inhabers einer inländischen Kernanlage nach dem Pariser Übereinkommen iVm § 25 Abs 1–4 AtomG oder aufgrund des anwendbaren Rechts eines fremden Staates von der Deckungsvorsorge nicht gedeckt sind oder aus ihr nicht erfüllt werden können, greift die Freistellungsverpflichtung des Staates ein (§ 34 AtomG). Diese wird vom Bund (jedoch unterhalb 500 Millionen Euro nur zu 75 %) und im übrigen von dem Land getragen, in dem die Kernanlage, von der das nukleare Ereignis ausgegangen ist, sich befindet (§ 36 AtomG). Die §§ 38–40 AtomG enthalten besondere Regelungen des Opferschutzes für grenzüberschreitende Schäden nuklearer Ereignisse. Im Falle des Reaktorunglücks von Tschernobyl hat der Bund indessen den Geschädigten mit Rücksicht auf die haftungsrechtlichen Schwierigkeiten 922 durch „Billigkeitsrichtlinien“923 Entschädigungsansprüche gewährt.

IX. Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht 1. Allgemeines 238 Der dem kausalen Umweltschutz zuzurechnende Problembereich des Abfallrechts hat durch das am 6. 10. 1996 vollständig in Kraft getretene Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von

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Vgl dazu Pfaffelhuber, Schmidt, Breining und Pelzer in: 6. Dt AtomR-Symposium, 1980, 383 ff; Kuckuck DVBl 1981, 564 ff; Haedrich (Fn 885) § 31 Rn 8. Vgl dazu Pelzer NJW 1986, 1664 ff; ders DVBl 1986, 875 ff. Billigkeitsrichtlinie Gemüse v 2. 6. 1986, BAnz v 12. 6. 1986, 7237; Allg Billigkeitsrichtlinie v Juli 1986, BAnz v 2. 8. 1986, 10388.

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Umweltschutzrecht

5. Kap IX 1

Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) 924 eine umfassende bundesgesetzliche Neuregelung erfahren. Zum gleichen Zeitpunkt ist das vorangegangene Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz) vom 27. 8. 1986 925 außer Kraft getreten. Die Vorschriften über die Altölentsorgung (§§ 5a und b AbfG) galten allerdings noch so lange fort, bis sie durch eine Rechtsverordnung aufgrund der §§ 7 und 24 KrW-/AbfG abgelöst wurden (§ 64 KrW-/AbfG).926 Die Verordnungsermächtigungen des KrW-/AbfG sind dagegen bereits am Tage nach der Verkündung des Gesetzes, also am 7. 10. 1994, in Kraft getreten (Art 13 des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen). Auf internationaler und europarechtlicher Ebene sind wichtige abfallrechtliche Regelungen hinzugetreten, die auf die nationale Gesetzgebung und den Verwaltungsvollzug einwirken. Hervorhebung verdienen das Basler Übereinkommen vom 22.3.1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung 927 sowie die in Ausführung dieses Übereinkommens ergangene Abfallverbringungs-Verordnung der EG.928 Auf nationaler Ebene ist das Abfallverbringungsgesetz 929 als Ausführungsgesetz zum Basler Übereinkommen verabschiedet worden. Mit der Reform des Abfallrechts durch das KrW-/AbfG verfolgte der Gesetzgeber 239 zum einen das Ziel, die zuvor nur unvollkommen verwirklichten abfallwirtschaftlichen Ansätze zu einem lückenlosen, die natürlichen Ressourcen schonenden Kreislaufwirtschaftsrecht fortzuentwickeln.930 Demgemäß weist § 1 KrW-/AbfG die Förderung einer derartigen Kreislaufwirtschaft als vorrangigen Gesetzeszweck aus; erst in zweiter Linie tritt die traditionelle ordnungsrechtliche Komponente der Sicherstellung einer umweltverträglichen Abfallbeseitigung hinzu. Dieser gewandelten funktionalen Zielsetzung folgend, erstreckt sich der Anwendungsbereich des KrW-/ AbfG auf den gesamten privatwirtschaftlichen Produktions- und Verwertungsprozeß. Während die früheren Gesetze die Entsorgungsverantwortung bei den öffent924

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V 27. 9. 1994, verkündet als Art 1 des G zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen (BGBl I 2705), zul geänd d G v 22. 12. 2004 (BGl I 3704); Überblick bei Bartlsperger VerwArch 86 (1995) 32 ff; Petersen/Rid NJW 1995, 7 ff; Queitsch UPR 1995, 412 ff; Tettinger DVBl 1995, 213 ff; Weidemann NVwZ 1995, 631 ff; Versteyl/Wendenburg NVwZ 1994, 833 ff; dies NVwZ 1996, 937 ff; Kunig Jura 1997, 494 ff. V 27. 8. 1986 (BGBl I 1410, ber 1501), zul geänd d G v 12. 9. 1996 (BGBl I 1354). Die derzeitigen Anforderungen werden durch die Altölverordnung (AltölV) idF v 16. 4. 2002 (BGBl I 1360) bestimmt; zur Altölverwertung Versteyl/Hartmann Recht und Praxis der Altölentsorgung, 2. Aufl 2002; Versteyl in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn 31) Einl Rn 92 ff, § 64 Rn 3 ff. BGBl II 2703, zul geänd d VO v 14. 11. 2003 (BGBl II 1626). Verordnung (EWG) 259/93 des Rates v 1. 2. 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der EG, ABl EG, L 30/1, zul geänd d VO (EG) 2557/2001, ABl EG, L 349/1. Vgl dazu Winter UPR 1994, 161 ff; Klett/Kaminski/ Konzak WiVerw 1995, 49 ff; Hoppe/Beckmann DVBl 1995, 817 ff; Winter UPR 1994, 161 ff. G v 30. 9. 1994 (BGBl I 2771), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304). Zur Entstehungsgeschichte BT-Drucks 12/5672, 8 ff (BReg); BT-Drucks 12/5672, 62 f (BRat); BT-Drucks 12/5672, 124 ff (Gegenäußerung der BReg); BT-Drucks 12/7240, 6 ff (BT-Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit); zum Konzept des KrW-/ AbfG Petersen in: UTR Bd 30, 1995, 49 ff.

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lich-rechtlichen Entsorgungsträgern konzentrierten, erhebt das KrW-/AbfG die Erzeuger und Besitzer gewerblicher Abfälle verursachungsgerecht zu primären Trägern der Vermeidungs-, Verwertungs- und Beseitigungspflichten. Zum anderen entspricht die abfallrechtliche Reform dem Erfordernis, die systematische und terminologische Übereinstimmung mit dem Europarecht, insbesondere mit den Vorgaben der EG-Rahmenrichtlinie über Abfälle,931 herbeizuführen. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht unterfällt der konkurrierenden Ge240 setzgebungskompetenz für die „Abfallbeseitigung“ nach Art 74 Abs 1 Nr 24 GG. Der verfassungsrechtliche Begriff der Abfallbeseitigung ist weit zu verstehen und schließt die Verwertung und Vermeidung ein.932 Trotz der umfangreichen Regelungen des KrW-/AbfG verbleibt den Ländern noch ein begrenzter Raum für ergänzende Detailregelungen durch die Landesabfallgesetze.933 Allerdings läßt die Frage nach dem verbleibenden Regelungsspielraum der Landesgesetzgeber vielfältige Zweifel aufkommen, sobald auf seiten der Länder und Kommunen eigene abfallwirtschaftliche Initiativen verfolgt werden, die über die bundesgesetzliche Regelung hinausweisen.934 Mit ihr und den ergänzenden Landesgesetzen sind – trotz fortbestehender Unvollkommenheiten – die erforderlichen Rechtsgrundlagen geschaffen worden, damit die in der Vergangenheit zunächst besorgniserregend angewachsene, in jüngster Zeit aber rückläufige „Müll-Lawine“ auf umweltverträgliche Weise bewältigt werden kann.935 Das KrW-/AbfG enthält eine Fülle von Verordnungsermächtigungen zur Ergän241 zung und Konkretisierung seiner Bestimmungen. Die vorgesehenen Rechtsverord931

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RL 75/442/EWG v 15. 7. 1975 (ABl EG, L 194/39), zul geänd d VO (EG) 1882/2003 v 29. 9. 2003 (ABl EG, L 284/1); zu Umsetzung und Auswirkungen auf das nationale AbfallR Schreier Die Auswirkungen des EG-Rechts auf die deutsche Abfallwirtschaft, 1994; Wendenburg NVwZ 1995, 833 ff; allgem zum europäischen AbfallR Schröder WiVerw 1990, 118 ff; ders DÖV 1991, 919 ff; Dieckmann Das AbfallR der EG, 1994; Epiney UmweltR in der EU, 1997, 272 ff; Frenz Europäisches UmweltR, 1997, Rn 271 ff; Giesberts/ Posser AbfallR, 2001, Rn 5 ff, 182 ff; zur Bindungswirkung von EuGH-Entscheidungen auf dem Gebiet des AbfallR Schoch DVBl 2004, 69 ff. BVerfGE 98, 83 und 106; Rengeling in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, §100 Rn 237 mwN; Klages Vermeidungs- und Verwertungsgebote im AbfallR, 1991, 21 ff; für Abfallvermeidung aA BayVGH DVBl 1990, 692 f; Bothe NVwZ 1987, 938 f. Zusammenstellung bei Burhenne UmweltR, Bd 8, 471511 (BW) – 479011 (THÜ); Jarass/ Ruchay/Weidemann (Hrsg), KrW-/AbfG, Bd I, A 650; ebenfalls abrufbar unter www. umwelt-online.de/regelwerk/abfall. Vgl dazu BVerfGE 102, 99; BayVerfGH DVBl 1990, 692 ff; Bothe NVwZ 1987, 938 ff; Salzwedel NVwZ 1989, 820, 823 ff; Klages (Fn 932) 21 ff, 28 ff; Ossenbühl DVBl 1996, 19 ff; auch o Rn 96 ff; ferner BayVGH DVBl 1992, 717 zur Sperrwirkung des Art 72 Abs 1 GG in bezug auf kommunale Regelungen; zur Lenkung durch landesgesetzliche und kommunale Abfallabgaben nunmehr BVerfG (Fn 932) iSd Bundeskompetenz. Zur Gesamtsituation: SRU, Sondergutachten „Abfallwirtschaft“, September 1990; Umweltgutachten 1994, BT-Drucks 12/6995, Tz 498 ff; Umweltgutachten 1996, BT-Drucks 13/4108, Tz 376 ff; Umweltgutachten 1998, BT-Drucks 13/10196, Tz 407 ff; Umweltgutachten 2000, BT-Drucks 14/3363, Tz 819 ff; Umweltgutachten 2002, BT-Drucks 14/8792, Tz 758 ff; Umweltgutachten 2004, BT-Drucks 15/3600, Tz 665 ff; zur gewandelten Situation aufgrund des KrW-/AbfG Petersen NVwZ 1998, 1113 ff.

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nungen sind durchweg an die Anhörung der beteiligten Kreise (§ 60 KrW-/AbfG) und die Zustimmung des Bundesrates gebunden. Zum Teil sind sie in einem besonderen Verfahren unter der Beteiligung des Bundestages zu erlassen (§ 59 KrW-/ AbfG).936 Zur Umsetzung von Rechtsakten der EG ermächtigt § 57 KrW-/AbfG die Bundesregierung in pauschaler Weise, zu dem in § 1 KrW-/AbfG genannten Zweck mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung sowie der umweltverträglichen Beseitigung zu erlassen.937 Der gesetzlich geregelte Tätigkeitsbereich umfaßt die Vermeidung, Verwertung 242 und Beseitigung von Abfällen (§ 2 Abs 1 Nr 1–3 KrW-/AbfG). Mit Vermeidung ist sowohl die Verhinderung der Abfallentstehung als auch die Verminderung der Abfallmenge und Schädlichkeit gemeint (§ 4 Abs 1 Nr 1, Abs 2 KrW-/AbfG).938 Unter Verwertung versteht das Gesetz (§ 4 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 4 KrW-/AbfG) die Gewinnung von Sekundärrohstoffen und die primäre, zweckgerichtete Nutzung der stofflichen Eigenschaften (stoffliche Verwertung) sowie die Nutzung von Abfällen zur unmittelbaren Energierückgewinnung (energetische Verwertung) 939 einschließlich der Bereitstellung, Überlassung, Sammlung oder Einsammlung durch Hol- und Bringdienste, Beförderung, Lagerung und (Vor-)Behandlung zu diesem Zwecke (§ 4 Abs 5 KrW-/AbfG). In bezug auf die Vermeidung und die Verwertung von Abfällen verwendet das Gesetz den Oberbegriff der Kreislaufwirtschaft. Der Begriff der Beseitigung bezeichnet alle übrigen Maßnahmen, die sich nicht als Verwertung von entstandenen Abfällen darstellen, sondern den dauerhaften Ausschluß aus der Kreislaufwirtschaft zum Hauptzweck haben,940 einschließlich der erforderlichen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen (§ 10 Abs 1 und 2 KrW-/AbfG). Die Beseitigung unterfällt nunmehr zusammen mit der Verwertung dem Begriff der „Abfallentsorgung“ (§ 3 Abs 7 KrW-/AbfG). Die Abgrenzung zwischen den beiden Entsorgungsvarianten nach dem Hauptzweck einer Maßnahme (§§ 3 Abs 1 Satz 2, 4 Abs 3 und 4, 10 Abs 2 Satz 4 KrW-/AbfG) kann im Einzelfall zu erheblichen Schwierigkeiten führen.941 Im Hinblick auf die unterschiedlichen Anforderungen und Rechtsfolgen kommt dieser Abgrenzung indessen zentrale Bedeutung bei der 936

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Vgl die verfassungsrechtlichen Einwände gegen solche Zustimmungsvorbehaltsverordnungen bei Rupp NVwZ 1993, 756 ff; Konzak DVBl 1994, 1107 ff. Vgl die verfassungsrechtlichen Einwände gegen diese Ermächtigung bei Krieger in: Fluck (Hrsg), KrW-/AbfG, § 57 Rn 41 ff; Ossenbühl DVBl 1999, 1, 6 f; Weihrauch NVwZ 2001, 265 ff. Hösel/v Lersner/Wendenburg Recht der Abfallbeseitigung, Kennz 0102, § 2 KrW-/AbfG Rn 2; Weidemann in: Jarass/Ruchay/Weidemann (Hrsg), KrW-/AbfG, Bd II, § 4 Rn 57 ff. Näher zum Verwertungsbegriff Bothe UPR 1996, 179 ff; Klöck ZfU 1997, 117 ff; Weidemann in: Jarass/Ruchay/Weidemann (Hrsg), § 4 Rn 81 ff; Frenz Grundfragen der Abfallverwertung, 2001. Fluck KrW-/AbfG, § 2 Rn 54. Vgl zB BVerwG NVwZ 2000, 1178; OVG Koblenz NVwZ 1999, 679; OVG Lüneburg NVwZ 1998, 1202; OVG Münster NVwZ 1999, 674; OVG Saarlouis NJOZ 2004, 974ff; Breuer in: Jarass/Ruchay/Weidemann (Hrsg), KrW-/AbfG, Bd II, § 3 Rn 48ff; Dolde/Vetter Abgrenzung zwischen Abfallverwertung und Abfallbeseitigung nach dem KrW-/AbfG, 1997; dies NVwZ 1997, 937ff; dagegen Weidemann NVwZ 1998, 258ff; Dieckmann/Graner NVwZ 1998, 221ff; krit Beckmann NuR 2002, 72ff; vgl auch Kloepfer UmwR, § 20 Rn 183ff.

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5. Kap IX 2

Rüdiger Breuer

Durchführung des KrW-/AbfG zu. Die EG-Abfallrahmenrichtlinie 942 unterscheidet zwar nicht explizit zwischen Verwertungs- und Beseitigungsabfällen, geht aber in ihren Anhängen II A und II B sowie in ihren differenzierten Einzelregelungen ebenfalls von dieser Unterscheidung aus. Dabei wird der Begriff der Abfallverwertung tendenziell weit ausgelegt mit der Folge, daß die Warenverkehrsfreiheit (Art 28 ff EGV) weitergehend zum Zuge kommt und die beseitigungsspezifischen Prinzipien der Entsorgungsautarkie und der Nähe zurücktreten.943 Aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Abfallrechts ist eine Reihe von 243 Stoffen ausgeklammert, die nach spezialgesetzlichen Vorschriften zu verwerten oder zu beseitigen sind. Zu diesen negativen Bereichsausnahmen gehören ua die nach dem Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz 944 zu beseitigenden Stoffe, Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe iSd AtomG,945 bergbauspezifische Abfälle, nicht in Behälter gefaßte gasförmige Stoffe sowie Stoffe, sobald diese in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet oder eingebracht werden (§ 2 Abs 2 KrW-/AbfG). Die Abwasserbeseitigung unterliegt den Spezialvorschriften der §§ 7 a, 18 a, 18 b WHG und der Landeswassergesetze.946 Die Anforderungen an die Verwertung von Abwasser, Klärschlamm, Fäkalien und ähnlichen Abfallstoffen im Rahmen der landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Bodennutzung werden durch Rechtsverordnung gemäß § 8 KrW-/AbfG näher bestimmt.947 Wirtschaftsdünger (§ 1 Nr 2 DüngeMG) ist von den abfallrechtlichen Verwertungsanforderungen insoweit freigestellt, als das Maß der guten fachlichen Praxis iSd § 1 a DüngeMG nicht überschritten wird.

2. Abfallbegriff 244 Der Schlüsselbegriff des Abfalls ist durch die EG-Abfallrahmenrichtlinie 948 vorgegeben. Er erschließt den Anwendungsbereich des deutschen wie des europäischen 942 943

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Vgl o Fn 931. Grundlegend EuGH Slg 1990, I-1461; 1992, I-4431; 1995, I-1097; 1998, I-4111; 2003, I-1439; 2003, I-1553; vgl auch Breuer Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungs- und Überlassungspflichten gemäß § 13 Abs 4 KrW-/AbfG, 1999, 14 ff mwN; te Heesen Abfallverbringung ohne Grenzen, 2003, 21 ff, 45 ff, 106 ff; Ziegler Der Grundsatz der Entsorgungsautarkie und das Prinzip der Nähe im europäischen und deutschen AbfallR, Diss. jur. Bonn 2004. TierNebG v 25. 1. 2004 (BGBl I 82); erlassen zur Durchführung der VO (EG) 1774/2002 v 3. 10. 2002 (ABl EG, L 273/1), geänd d VO (EG) 808/2003 v 12. 5. 2003 (ABl EU, L 117/1). Vgl dazu o Rn 233 ff. Näher dazu Breuer (Fn 258) Rn 113, 284 ff; vgl o Rn 145 ff; zum Verhältnis von Wasserund AbfallR auch Nolte/Stüber NVwZ 2001, 1131 ff. Vgl dazu die KlärschlammVO (AbfKlärV) v 15. 4. 1992 (BGBl I 912), zul geänd d VO v 26. 11. 2003 (BGBl I 2373); zur Verwertung von Klärschlamm OVG Greifswald NVwZ 1997, 1027 ff; Beckmann/Kersting UPR 1995, 321 ff. Vgl o Fn 918; zum europäischen Abfallbegriff EuGH Slg 1990, I-1461, 1478; 1990, I-1509, 1522; 1997, I-3561; EuGH NVwZ 1998, 385; Dieckmann NuR 1992, 407 ff; Fluck DVBl 1993, 599 ff; Seibert DVBl 1994, 229 ff; Frenz (Fn 931) Rn 271 f; Gassner NVwZ 1998, 1148 ff; zur diesbezüglichen Europarechtswidrigkeit des § 1 Abs3 Nr 7 AbfG aF EuGH Slg 1995, I-1097 (1132, Rn 22 ff); dazu Weidemann NVwZ 1995, 866 f.

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Umweltschutzrecht

5. Kap IX 2

Abfallrechts. Nach der Legaldefinition des § 3 Abs 1 KrW-/AbfG sind Abfälle „alle beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muß“. Abfälle zur Verwertung sind Abfälle, die verwertet werden; Abfälle, die nicht verwertet werden, sind Abfälle zur Beseitigung. Die bisherige alternative Kombination aus einem subjektiven und einem objektiven Abfallbegriff wird im Grundsatz beibehalten. Im Hinblick auf die konkreten tatbestandlichen Voraussetzungen hat sich der Abfallbegriff des KrW-/AbfG indessen von seiner Vorgängerdefinition in § 1 AbfG weitgehend gelöst.949 Unverändert dominierte die wohlbegründete Auffassung, daß Abfall nach § 3 Abs 1 KrW-/AbfG nur eine bewegliche Sache iSd § 90 BGB sein könne; demzuwider hat der EuGH jüngst entschieden, daß auch verunreinigtes, nicht ausgehobenes Erdreich Abfall iS der EG-Abfallrichtlinien (75/442/EWG und 91/156/ EWG) sei.950 Die gesetzlich verlangte Zuordnung zu einer Abfallgruppe des Anhangs I ist weder für die Abfalleigenschaft konstitutiv noch für eine Abgrenzung zu Nichtabfällen geeignet.951 Vielmehr dient diese Zuordnung lediglich der begriffsinternen Katalogisierung von Rückständen, Produkten, Stoffen und Elementen (Q1–Q16), also von beweglichen Sachen. Das gleiche gilt für die speziellere Aufschlüsselung der Abfallarten im Europäischen Abfallverzeichnis.952 Die ergänzenden Bestimmungen des § 3 Abs 2 bis 4 KrW-/AbfG konkretisieren die Entledigungstrias des real-subjektiven, fiktiv-subjektiven und objektiven Abfallbegriffs. Eine Entledigung liegt nach dem real-subjektiven Abfallbegriff des § 3 Abs 2 245 KrW-/AbfG vor, wenn der Besitzer (§ 3 Abs 6 KrW-/AbfG) bewegliche Sachen einer Verwertung iSd Anhangs II B oder einer Beseitigung iSd Anhangs II A zuführt (1. Alt) oder die tatsächliche Sachherrschaft unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt (2. Alt). Dem Wortlaut nach setzt die Entledigung iSd 1. Alt. nicht die Aufgabe der Sachherrschaft voraus, so daß auch die vom Sachbesitzer selbst vorgenommene Verwertung oder Beseitigung eine Entledigung darstellt.953 Ebensowenig erfordert eine solche den Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung durch den Besitzer. Auf die Zweckbestimmung durch den Besitzer kommt es nur an, sofern kein Verwertungs- oder Beseitigungsverfahren durchgeführt werden soll. 949

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Allg hierzu Seibert UPR 1994, 415 ff; Fluck DVBl 1995, 537 ff; Krings WiVerw 1995, 103 ff; Breuer in: Klett/Köhler/Schmitt-Gleser (Hrsg), 4. Kölner Abfalltage, 1996, 27 ff; Kunig NVwZ 1997, 209 ff; ders in: ders/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 3 Rn 19 ff; Schink VerwArch 88 (1997) 239 ff; Gassner AöR 123 (1998) 201 ff. Einers zur Beschränkung auf bewegl Sachen Schwachheim NVwZ 1989, 128 ff; Breuer (Fn 941) § 3 Rn 33 ff; Fluck KrW-/AbfG, § 3 Rn 83 ff; Kunig in: ders/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 3 Rn 11; Fritsch KrW-/AbfR, Rn 99 ff; Kloepfer UmwR, § 20 Rn 73; anderers EuGH NVwZ 2004, 1341; dazu o Rn 126 g; ferner Versteyl NVwZ 2004, 1297 ff; Jochum NVwZ 2005, 140 ff; Petersen/Lorenz NVwZ 2005, 257 ff; Wrede NuR 2005, 28 ff. Näher Breuer (Fn 941) § 3 Rn 37 ff; ebenso Petersen/Rid NJW 1995, 7, 8; Kunig in: ders/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 3 Rn 17; Queitsch KrW-/AbfR, 1995, 95; aA Kersting DVBl 1992, 343, 345f. Umgesetzt durch VO über das Europäische Abfallverzeichnis (Abfallverzeichnis-Verordnung – AVV) v 10. 12. 2001 (BGBl I 3379, 2002 I 1488), zul geänd d VO v 24. 7. 2002 (BGBl I 2833); vgl zum früheren Europäischen Abfallkatalog Breuer (Fn 941) § 3 Rn 42 ff. Für die Eigenkompostierung von Speiseresten so auch BVerwG NVwZ 1996, 1010.

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5. Kap IX 2

Rüdiger Breuer

Der Wille zur Entledigung kann durch positives Tun, aber auch durch Unterlassen nach außen dokumentiert werden.954 Er wird gemäß § 3 Abs 3 Satz 1 KrW-/ AbfG fingiert,955 wenn der Anfall der beweglichen Sache nicht den Zweck eines Energieumwandlungs-, Herstellungs-, Behandlungs- oder Nutzungsvorgangs oder einer Dienstleistung darstellt (Nr 1) oder die ursprüngliche Zweckbestimmung der Sache ohne unmittelbare Neuwidmung endet (Nr 2). Im ersten Fall handelt es sich um sog Produktionsabfälle, im zweiten Fall um sog Produktabfälle.956 Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zweckbestimmung ist dabei die Auffassung des Erzeugers oder Besitzers, die es anhand der Verkehrsanschauung zu überprüfen und im Konfliktfall zu korrigeren gilt (§ 3 Abs 3 Satz 2 KrW-/AbfG). Nicht zweckgerichtet entstandene, aber verwertbare Stoffe (sog „Reststoffe“ iSd früheren Rechts) unterfallen nunmehr dem Abfallbegriff. Wird eine Sache hingegen zweckgerichtet hergestellt, handelt es sich um ein Produkt und nicht um Abfall.957 Mit den Fiktionen des § 3 Abs 3 Satz 1 KrW-/AbfG hat der Gesetzgeber den rein subjektiven Abfallbegriff überwunden. Entledigungswille und Entledigungshandlung bildeten ursprünglich die Bestandteile des auf liberalen Vorstellungen beruhenden subjektiven Abfallbegriffs. Bedingt durch seine Rückführung auf das individuelle Bestimmungsrecht des Sachbesitzers, hat er einerseits als „Abfallbegriff der Wegwerfgesellschaft“ Kritik gefunden,958 weil er den verschwenderischen Weg zum Abfall eröffnet. Andererseits wohnt dem subjektiven Begriff auch die gegenteilige Tendenz zur „Flucht aus dem Abfallregime“ mittels negativer Deklaration inne. Über den Hinweis auf seinen Verwertungswillen gelangt der Besitzer indessen nach § 3 KrW-/ AbfG nicht mehr aus dem Abfallrecht heraus, sondern geradewegs in dessen Anwendungsbereich hinein. Verwertbare Sachen sind auch bei fortbestehendem Veräußerungswert nicht mehr als sog „Wirtschaftsgüter“ dem abfallrechtlichen Zugriff entzogen. Auch die Behauptung abfallausschließender Zweckbestimmungen wird mittels der gesetzlichen Fiktionen des Entledigungswillens und einer Stimmigkeitskontrolle anhand der Verkehrsanschauung zumindest erschwert. Der subjektive Abfallbegriff des KrW-/AbfG ist damit insgesamt in seinem Anwendungsbereich erheblich ausgedehnt und objektiviert worden. § 3 Abs 4 KrW-/AbfG beschreibt die Voraussetzungen, unter denen der Besitzer 247 verpflichtet ist, sich einer beweglichen Sache zu entledigen. Eine solche Pflicht besteht, wenn die Sache nicht mehr entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet wird, aufgrund ihres konkreten Zustandes potentiell eine gegenwärtige oder künftige Gefahr für das Gemeinwohl darstellt und ihr Gefähr246

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BVerwG DÖV 1990, 570. Wie hier Kunig NVwZ 1997, 212; ders in: ders/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 3 Rn 33; Fluck KrW-/AfG, § 3 Rn 138; Kloepfer UmwR, § 20 Rn 62; aA Meins BayVBl 1997, 66 f: unwiderlegbare Vermutung; auch Hösel/v Lersner/Wendenburg (Fn 938) Kennz 0103, § 3 KrW-/AbfG Rn 24 ff. Krings WiVerw 1995, 103, 114, 116; Breuer (Fn 941) § 3 Rn 85 ff. Zur Abgrenzung Wolfers NVwZ 1998, 225 ff; Schink VerwArch 88 (1997) 243f; Weidemann Abfall oder Rohstoff? 1997; Breuer (Fn 941) § 3 Rn 91 ff; Neun/Stevens AbfallR 2003, 292 ff. So Franßen in: Salzwedel (Hrsg), Grundzüge des UmwR, 1982, 410; ders in: FS Redeker, 1993, 461 f.

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Umweltschutzrecht

5. Kap IX 3

dungspotential nur durch eine den Anforderungen des KrW-/AbfG und der hierauf gestützten Verordnungen genügende Verwertung oder Beseitigung ausgeschlossen werden kann. Dem hier im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerwG 959 umschriebenen objektiven Abfallbegriff liegt die sozialstaatliche Vorstellung zugrunde, daß im Konfliktfall die objektiven öffentlichen Belange einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung oder gemeinwohlverträglichen Beseitigung gegenüber einem anders gearteten subjektiven Willen des Besitzers vorgehen müssen. Ob der Abfallbegriff des § 3 KrW-/AbfG die zuvor aufgetretenen Auslegungs- 248 und Abgrenzungsschwierigkeiten 960 bewältigt, ohne diese an anderer tatbestandlicher Stelle und unter veränderten Vorzeichen aufleben zu lassen, bleibt abzuwarten, darf aber bezweifelt werden. Als neue Schnittlinien des KrW-/AbfG sind die „externe“ Abgrenzung zwischen Abfall und Produkt 961 und die „interne“ Abgrenzung zwischen Abfällen zur Verwertung und solchen zur Beseitigung 962 offenbar geworden.

3. Grundsätze und Handlungspflichten im Kreislaufwirtschaftsund Abfallrecht Nach der Hierarchie des KrW-/AbfG sind Abfälle in erster Linie zu vermeiden (§ 4 249 Abs 1 Nr 1 KrW-/AbfG). Als Ansatzpunkt für Vermeidungsmaßnahmen benennt § 4 Abs 2 KrW-/AbfG beispielhaft das Produktionsverfahren, die Produktgestaltung und das Konsumverhalten. Hinsichtlich der aus diesem Grundsatz erwachsenden Pflichten verweist § 5 Abs 1 KrW-/AbfG auf die immissionsschutzrechtlichen Vermeidungspflichten (§ 9 KrW-/AbfG iVm § 5 Abs 1 Nr 3 BImSchG) und auf eine nähere Konkretisierung durch Rechtsverordnungen aufgrund der §§ 23, 24 KrW-/ AbfG. Aus § 5 Abs 1 KrW-/AbfG selbst ergeben sich dagegen keine vollziehbaren Rechtspflichten des einzelnen.963 In zweiter Linie sind Abfälle stofflich oder energetisch zu verwerten (§ 4 Abs 1 250 Nr 2 KrW-/AbfG). Über § 5 Abs 2 Satz 1 iVm § 6 KrW-/AbfG wird dieser Grundsatz zur Rechtspflicht. Für das Verhältnis zwischen stofflicher und energetischer Verwertung legt das Gesetz keinen generellen Vorrang, sondern lediglich allgemeine Beurteilungskriterien sowie spezielle Wirkungskriterien der energetischen Verwertung fest; Vorrang hat im übrigen „die besser umweltverträgliche Verwertungsart“ (§ 6 Abs 1 iVm § 5 Abs 4 und § 6 Abs 2 KrW-/AbfG). Für bestimmte Abfallarten kann nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien der Vorrang der stofflichen oder energetischen Verwertung durch Rechtsverordnung auch abstrakt-generell be959

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BVerwGE 93, 353 ff; 93, 359 ff; dazu Breuer (Fn 941) § 3 Rn 106 ff; Kloepfer UmwR, § 20 Rn 64 ff. Zum Ganzen unter der Geltung des § 1 Abs 1 AbfG (1986) Bickel NuR 1992, 361 ff; Franßen in: FS Redeker, 1993, 461 ff; Versteyl NVwZ 1993, 961 ff; Fluck UPR 1993, 426 f. Vgl o in und bei Fn 957. Vgl o in und bei Fn 941; auch Schink AbfallR 2003, 106 ff (zur Rspr des EuGH). Fluck KrW-/AbfG, § 5 Rn 71; Weidemann in: Jarass/Ruchay/Weidemann (Hrsg), KrW-/ AbfG, Bd II, § 5 Rn 26; Kunig in: ders/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 5 Rn 7; Frenz (Fn 413) § 5 Rn 4 f; Kloepfer UmwR, § 20 Rn 89.

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stimmt werden (§ 6 Abs 1 Satz 4 KrW-/AbfG). Nach § 5 Abs 3 KrW-/AbfG hat die Verwertung von Abfällen „ordnungsgemäß und schadlos“ zu erfolgen. Ferner ist gemäß § 5 Abs 2 Satz 3 KrW-/AbfG eine der Art und Beschaffenheit des Abfalls entsprechende hochwertige Verwertung anzustreben. Ordnungsgemäß erfolgt eine Verwertung, wenn diese mit den Vorschriften des KrW-/AbfG und anderen öffentlichrechtlichen Vorschriften im Einklang steht (§ 5 Abs 3 Satz 2 KrW-/AbfG). Schadlos ist sie, wenn nach der Beschaffenheit der Abfälle, dem Ausmaß der Verunreinigungen und der Art der Verwertung keine Beeinträchtigungen des Gemeinwohls zu erwarten sind, insbesondere keine Schadstoffanreicherungen im Wertstoffkreislauf erfolgen (§ 5 Abs 3 Satz 3 KrW-/AbfG). § 7 KrW-/AbfG ermächtigt die Bundesregierung, die weiteren Anforderungen zur Sicherung einer schadlosen Verwertung durch Rechtsverordnung festzulegen. Die Verwertung von Abfällen hat wiederum grundsätzlich Vorrang vor deren Be251 seitigung (§ 5 Abs 2 Satz 1 und 2 KrW-/AbfG). Die Verwertungspflicht ist einzuhalten, soweit dies – eventuell nach einer Vorbehandlung der Abfälle – technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist, insbesondere für die gewonnenen Stoffe oder die gewonnene Energie ein Markt vorhanden ist oder geschaffen werden kann 964 (§ 5 Abs 4 Satz 1 KrW-/AbfG). Die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist gegeben, wenn die mit der Verwertung verbundenen Kosten nicht außer Verhältnis zu den anfallenden Beseitigungskosten stehen (§ 5 Abs 4 Satz 2 KrW-/AbfG). Der Vorrang der Verwertung entfällt, wenn eine Beseitigung die umweltverträglichere Entsorgungsart darstellt (§ 5 Abs 5 KrW-/AbfG). Ferner gilt der Vorrang der Verwertung nicht für Abfälle, die unmittelbar und üblicherweise durch Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen anfallen (§ 5 Abs 6 KrW-/AbfG). Abfälle zur Verwertung und zur Beseitigung sind grundsätzlich zu trennen (§§ 5 Abs 2 Satz 4, 11 Abs 2 KrW-/AbfG). Die Pflichten der Betreiber von genehmigungsbedürftigen und nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach dem BImSchG, diese so zu errichten und zu betreiben, daß Abfälle verwertet oder beseitigt werden, richten sich nach immissionsschutzrechtlichen Vorschriften 965 (§ 9 KrW-/AbfG).966 Abfälle, die nicht verwertet werden, sind gemäß den §§ 10 Abs 1, 11 Abs 1 KrW-/ 252 AbfG in dritter Linie dauerhaft von der Kreislaufwirtschaft auszuschließen und zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit zu beseitigen (§ 10 Abs 4 Satz 2 KrW-/ AbfG). Durch die Behandlung solcher Abfälle sind deren Menge und Schädlichkeit zu vermindern; bei der Behandlung und Ablagerung anfallende Energie oder Abfälle müssen so weit wie möglich genutzt werden (§ 10 Abs 2 Satz 2 und 3 KrW-/ AbfG). Für die Entsorgung von Abfällen zur Beseitigung stellt § 10 Abs 3 KrW-/ AbfG den Grundsatz der Inlandsbeseitigung auf. Ferner statuiert § 27 Abs 1 Satz 1 KrW-/AbfG die Pflicht, Abfälle zur Beseitigung nur in den dafür zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen zu behandeln, zu lagern und abzulagern (sog Anlagenzwang). Eine Auflockerung erfährt dieses Gebot durch die Bestimmung, daß die Behandlung von Abfällen zur Beseitigung auch in Anlagen zulässig ist, die überwie964 965 966

Umfassend dazu Klages (Fn 932) 107 ff. Vgl o Rn 189. Zum Verhältnis des KrW-/AbfG zum BImSchG Rebentisch NVwZ 1997, 417 ff; Pfaff Immissionsschutz 2001, 138 ff.

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gend einem anderen Zweck als dem der Abfallbeseitigung dienen und die einer Genehmigung nach § 4 BImSchG bedürfen (§ 27 Abs 1 Satz 2 KrW-/AbfG). Soweit sich aus Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften nichts anderes ergibt, ist die Lagerung oder Behandlung von Abfällen zur Beseitigung auch in Abfallentsorgungsanlagen zulässig, die als unbedeutende Anlagen keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen (§ 27 Abs 1 Satz 3 KrW-/AbfG). Damit wird Gelegenheit zur Abfallverbrennung in Industrieanlagen geboten.967 Für eine solche Mitverbrennung von Abfällen hat indessen die Abfallverbrennungs-Richtlinie 2000/76/EG vom 4. 12. 2000 968 verschärfte Anforderungen geregelt. Die Anforderungen an die Beseitigung werden im übrigen unter Berücksichtigung des Standes der Technik auf dem Verordnungswege oder mittels Verwaltungsvorschriften konkretisiert (§ 12 Abs 1 und 2 KrW-/AbfG). Demgemäß hat zunächst die TA Abfall 969 technische Regeln zur Lagerung, Behandlung und Verbrennung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen aufgestellt. Die anschließend erlassene TA Siedlungsabfall 970 enthält demgegenüber technische Anforderungen an die Entsorgung von Siedlungsabfällen (insbesondere von Hausmüll, Sperrmüll, hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen, Garten- und Parkabfällen, Bauabfällen und Klärschlamm aus kommunalen Anlagen) sowie von Abfällen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit gemeinsam mit Siedlungsabfällen oder wie diese entsorgt werden können. Zuletzt sind die einschlägigen Anforderungen durch Verordnungen verrechtlicht und verschärft worden. Als solche stechen die Abfallablagerungsverordnung vom 20. 2. 2001, die Gewerbeabfallverordnung vom 19. 6. 2002 und die Deponieverordnung vom 24. 7. 2002 hervor.971 Die vorausgegangenen Verwaltungsvorschriften (TA) sind hierdurch nicht aufgehoben, aber weitgehend ersetzt worden. Bedeutsam ist vor allem, daß seit dem 1.6.2005 nur noch Abfälle abgelagert werden dürfen, die zuvor einer thermischen oder mechanisch-biologischen Vorbehandlung unterzogen worden sind (§ 6 Abs 2 AbfAblV). Während unter dem AbfG aF eine grundsätzliche Entsorgungspflicht öffentlich- 253 rechtlicher Körperschaften bestand, den Besitzer lediglich eine Überlassungspflicht traf und eine Entsorgungsverpflichtung Privater im übrigen die Ausnahme bildete, sind die Erzeuger und Besitzer von Abfällen unter dem KrW-/AbfG grundsätzlich selbst Adressat der Verwertungs- und Beseitigungspflichten (§§ 5 Abs 2 Satz 1, 11 Abs 1 KrW-/AbfG). Ausnahmen von diesem Grundsatz bestimmen die §§ 13–18 KrW-/AbfG. Für die Verteilung der Entsorgungsverantwortung ist dabei nach Her967 968 969

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Krit dazu Böhm DVBl 1991, 242 ff. ABl EG, L 142/52; vgl dazu Witthohn DVBl 2001, 1648 ff. Zweite allg Verwaltungsvorschrift zum AbfG (TA Abfall) v 12. 3. 1991 (GMBl 139, ber 467); dazu Weidemann NVwZ 1991, 226 ff; Paetow in: FS Blümel, 1999, 403 ff. Dritte allg Verwaltungsvorschrift zum AbfG (TA Siedlungsabfall) v 14. 5. 1993 (BAnz Nr 99 a/4967); dazu Dierkes NVwZ 1993, 951 ff; Dolde/Vetter NVwZ 1998, 217 ff; Schink NuR 1998, 29 ff; Erbguth/Mahlburg UPR 1997, 224 ff; Paetow (Fn 969); Jarass Inhalte und Wirkungen der TA Siedlungsabfall, 1999; Zacharias UPR 2001, 95 ff. AbfAblV v 20. 2. 2001 (BGBl I 305); GewAbfV v 19. 6. 2002 (BGBl I 1938); DepV v 24. 7. 2002 (BGBl I 2807), geänd d VO v 26. 11. 2002 (BGBl I 4417); zum Ganzen Kloepfer UmwR, § 20 Rn 26, 170 ff; Buch in: Frenz/Schink (Hrsg), Die Abfallwirtschaft im normgeberischen Dauergriff, 2005, 3 ff; Wendenburg ebda, 31 ff.

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kunftsbereich und Entsorgungsart der Abfälle zu differenzieren.972 Für Abfälle aus privaten Haushaltungen besteht nach § 13 Abs 1 Satz 1 KrW-/AbfG weiterhin eine Überlassungspflicht des Besitzers gegenüber den landesrechtlich bestimmten öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern. Anders als bei Abfällen zur Beseitigung muß der Besitzer solche Abfälle zur Verwertung dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nur überlassen, soweit er zu einer Eigenverwertung nicht in der Lage oder willens ist. Während die Verwertung von Abfällen aus anderen Bereichen, insbesondere von Abfällen gewerblicher Herkunft, vollständig der Privatwirtschaft überantwortet ist, sind derartige Abfälle zur Beseitigung nach § 13 Abs1 Satz 2 KrW-/ AbfG den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen, soweit die Erzeuger oder Besitzer diese nicht in eigenen Anlagen beseitigen oder überwiegende öffentliche Interessen eine Überlassung erfordern. Unabhängig von der Herkunft besteht für Abfälle, die einer Rücknahme- oder Rückgabepflicht unterliegen oder die durch gemeinnützige oder gewerbliche Sammlung einer Verwertung zugeführt werden, unter den Voraussetzungen des § 13 Abs 3 KrW-/AbfG keine Überlassungspflicht. Für besonders überwachungsbedürftige Abfälle (§§ 3 Abs 8 Satz 1, 41 Abs 1, Abs 3 Nr 1 KrW-/AbfG iVm der AVV 973) zur Beseitigung sowie eventuell auch für solche Abfälle zur Verwertung sieht § 13 Abs 4 KrW-/AbfG vor, daß die Länder unter näher geregelten Voraussetzungen Andienungs- und Überlassungspflichten bestimmen können. Hierbei handelt es sich indessen um einen verfassungs- und vor allem europarechtlich bedenklichen Fremdkörper im modernen Abfallrecht.974 Im Geltungsbereich von Überlassungspflichten sind die Abfallerzeuger und -be254 sitzer von den Verwertungs- und Beseitigungspflichten freigestellt. Insoweit treffen diese Pflichten als Wahrnehmungskompetenzen die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (§ 15 Abs 1 KrW-/AbfG). Umgekehrt verlieren die Erzeuger und Besitzer ihre Berechtigung zu einer Eigenentsorgung; sie erhalten dafür einen Entsorgungsanspruch gegen die öffentliche Hand. § 15 Abs 3 KrW-/AbfG eröffnet dieser allerdings die Möglichkeit, bestimmte Abfälle von der Entsorgung auszuschließen.975 Sind die Abfallerzeuger und -besitzer dagegen nicht überlassungspflichtig, sondern ihrerseits verwertungs- oder beseitigungspflichtig, so können sie mit der Erfüllung ihrer Pflichten – unbeschadet ihrer fortbestehenden Verantwortlichkeit – Dritte, Verbände oder von Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft gebil972

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Näher dazu Arndt WiVerw 1997, 183 ff; Beckmann/Kersting BB 1997, 161 ff; Peters VBlBW 1997, 49 ff; Schink NVwZ 1997, 435 ff; Weidemann GewArch 1997, 311 ff; Kranefeld NuR 1996, 269 ff. Vgl o Fn 876. Zu den besonderen Problemen des § 13 Abs 4 KrW-/AbfG BVerwG DVBl 2000, 1347; DVBl 2002, 1127 (jew die Vereinbarkeit mit Verfassungs- u EuropaR bejahend); ferner OVG Frankfurt/Oder NVwZ 1997, 604 ff; VGH BW DVBl 1998, 343 ff; Beckmann/Krekeler UPR 1997, 214 ff; Peine UPR 1996, 161 ff; ders UPR 1997, 221 ff; Jarass Organisation und Überwachung der Sonderabfallentsorgung durch die Länder, 1997; Unruh Die Zulässigkeit landesrechtlicher Andienungspflichten für Sonderabfälle, 1997; Breuer (Fn 943). Zum Ausschluß von der Entsorgungspflicht BVerwG UPR 1990, 63 ff; VGH BW UPR 1989, 156 ff; VG Gießen NVwZ 2002, 238; allgem Salzwedel NVwZ 1989, 829 ff; Schink in: Jarass/Ruchay/Weidemann (Hrsg), KrW-/AbfG, Bd II, § 15 Rn 126 ff.

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dete Einrichtungen beauftragen, sofern diese über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügen (§§ 16 Abs 1, 17 Abs 1, 18 Abs 1 KrW-/AbfG). Gleiches gilt für die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. Eine besondere Form des Dritten stellt dabei der Entsorgungsfachbetrieb nach § 52 KrW-/AbfG dar.976 Unter zusätzlichen Voraussetzungen kann die zuständige Behörde auf Antrag mit Zustimmung des jeweiligen Entsorgungsträgers dessen Pflichten – und nicht lediglich die Erfüllungsgehilfenschaft – ganz oder teilweise auf einen Dritten übertragen. Wenn ein Privater seine Entsorgungspflichten auf einen Dritten übertragen will, bedarf es hierzu der Zustimmung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers (§ 16 Abs 2 KrW-/ AbfG). Die Überlassungspflicht des Besitzers weist auch den Weg für die rechtliche Be- 255 handlung von „wildem Müll“, der auf einem Grundstück von Dritten widerrechtlich und gegen den Willen des Grundstücksbesitzers gelagert oder abgelagert wird. Der Besitzer eines der Allgemeinheit nicht frei zugänglichen Grundstücks muß zugleich als Besitzer solcher Abfälle (§ 3 Abs 6 KrW-/AbfG) angesehen werden, da hierfür kein Besitzbegründungswille erforderlich ist. Somit ist ein solcher Besitzer überlassungspflichtig und zudem grundsätzlich verpflichtet, innerhalb seines Herrschafts- und Verantwortungsbereichs den „wilden Müll“ zusammenzutragen und so bereitzustellen, daß der Entsorgungsträger ihn ohne weiteren Aufwand abholen kann.977 Dagegen ist der Besitzer eines der Allgemeinheit tatsächlich und rechtlich frei zugänglichen Grundstücks mangels eines Abfallbesitzes nicht verpflichtet, den „wilden Müll“ einzusammeln und dem Entsorgungsträger bereitzustellen; denn diese Tätigkeiten gehören hier zum Aufgaben- und Pflichtenkreis der öffentlichrechtlichen Entsorgung, die das „Bereitstellen“ und „Einsammeln“ einschließt (§§ 4 Abs 5, 10 Abs 2 Satz 1 KrW-/AbfG).978 Insoweit handelt es sich in Anbetracht der „Herrschaftssphären“ sowie aus guten Gründen des geordneten Vorgehens um eine Angelegenheit des Entsorgungsträgers. Der Grundstücksbesitzer kann hier auch nicht als „Zustandsstörer“ im polizeirechtlichen Sinne 979 zur Einsammlung und Bereitstellung des „wilden Mülls“ verpflichtet werden. Insofern wird das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht durch die spezielle und abschließende Pflichtenregelung des Abfallrechts verdrängt. Erzeuger, bei denen jährlich mehr als insgesamt 2000 kg besonders über- 256 wachungsbedürftige Abfälle oder jährlich mehr als 2000 t überwachungsbedürftige Abfälle je Abfallschlüssel anfallen, haben ein Abfallwirtschaftskonzept über die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung der anfallenden Abfälle zu erstellen. Das Abfallwirtschaftskonzept dient als internes Planungsinstrument und ist auf Verlangen der zuständigen Behörde zur Auswertung für die Abfallwirtschaftsplanung vorzu976

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Hierzu VO über Entsorgungsfachbetriebe (EfbV) v 10. 9. 1996 (BGBl I 1421), zul geänd d VO v 24. 6. 2002 (BGBl I 2247); Peters UPR 1997, 211 ff. BVerwGE 67, 8; BVerwG NJW 1989, 1295; BVerwGE 99, 88, 92; BVerwG NJW 1998, 1004; Hösel/v Lersner/Wendenburg (Fn 938) Kennz 0104, § 4 Rn 40; Grundmann „Wilder Müll“ im Spannungsfeld des allgemeinen und besonderen OrdnungsR, 2003, 15 ff; aA OVG Münster NuR 1981, 32; NuR 1996, 314; Brosche DVBl 1977, 237. BVerwGE 67, 8; BVerwG NJW 1989, 1295; 1998, 1004 f; Grundmann (Fn 977); so ausdrücklich § 4 Abs 1 Satz 1 BbgAbfG. Allg hierzu → Schoch 2. Kap Rn 143 ff.

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5. Kap IX 4

Rüdiger Breuer

legen (§ 19 Abs 1 KrW-/AbfG). Außerdem haben diese Erzeuger jährliche Abfallbilanzen zu erstellen und auf Verlangen der zuständigen Behörde vorzulegen (§ 20 Abs 1 KrW-/AbfG).980 Der öffentlichen Hand obliegen besondere Pflichten, zur Erfüllung des Zweckes 257 des § 1 KrW-/AbfG beizutragen. Insbesondere haben die Bundesbehörden sowie die der Aufsicht des Bundes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Sondervermögen und sonstigen Stellen bei der Gestaltung von Arbeitsabläufen, der Beschaffung oder Verwendung von Material- oder Gebrauchsgütern, bei Bauvorhaben oder sonstigen Aufträgen zu prüfen, ob und in welchem Umfang Erzeugnisse eingesetzt werden können, die sich durch Langlebigkeit, Reparaturfreundlichkeit und Wiederverwendbarkeit oder Verwertbarkeit auszeichnen, im Vergleich zu anderen Erzeugnissen zu weniger oder zu schadstoffärmeren Abfällen führen oder aus Abfällen zur Verwertung hergestellt worden sind (§ 37 Abs 1 KrW-/ AbfG).981 Den Entsorgungsträgern obliegt eine Abfallberatungspflicht (§ 38 KrW-/ AbfG).982 Die Länder sind verpflichtet, die Öffentlichkeit über den erreichten Stand der Vermeidung und Verwertung von Abfällen sowie die Sicherung der Abfallbeseitigung zu unterrichten (§ 39 KrW-/AbfG).

4. Produktverantwortung 258 Mit der Regelung der Produktverantwortung (§§ 22–26 KrW-/AbfG) hat der deutsche Gesetzgeber im Jahre 1994 Neuland betreten. Die Produktverantwortung trägt, wer Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- und verarbeitet oder vertreibt (§ 22 Abs 1 Satz 1 KrW-/ AbfG). Zur Erfüllung der Produktverantwortung sind Erzeugnisse möglichst so zu gestalten, daß bei deren Herstellung und Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der nach deren Gebrauch entstandenen Abfälle sichergestellt ist (§ 22 Abs 1 Satz 2 KrW-/AbfG). Diese „Grundnorm“ entspricht dem Verursacherprinzip. Sie läßt auch die Ausrichtung am abfallwirtschaftlichen Kooperationsprinzip erkennen.983 Ihre rechtspraktische Bedeutung wird jedoch dadurch gemindert, daß der Gesetzgeber hiermit weder eine Legaldefinition der Produktverantwortung noch hinreichend bestimmte und durchsetzbare Handlungspflichten geregelt hat.984 Vielmehr werden der Pflichtengehalt und die künftige Tragweite der Produktverantwortung im wesentlichen von den in § 22 Abs 4 iVm den §§ 23 und 24 KrW-/ AbfG vorgesehenen Rechtsverordnungen abhängen. Nach den potentiellen Inpflichtnahmen betrachtet, umfaßt die Produktverant259 wortung nach § 22 Abs 2 KrW-/AbfG insbesondere fünf Tätigkeitsfelder: erstens die 980

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Vgl hierzu die Abfallwirtschaftskonzept- und BilanzVO (AbfKoBiV) v 13. 9. 1996 (BGBl I 1447), zul geänd d G v 24. 6. 2002 (BGBl I 2247). Dazu allg Delbrück Umweltpflichtigkeit der öffentlichen Verwaltung, UTR Bd 18, 1992. Dazu Beckmann/Krekeler NuR 1996, 223 ff. Vgl dazu BVerfGE 98, 83 und 106; auch o Rn 18. Versteyl in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 22 Rn 1 f, 13, 16, 44, 46; auch Beckmann DVBl 1995, 313 ff; ders UPR 1996, 41 ff; weitergehend Kloepfer UmwR, § 20 Rn 97 mwN („latente“ Grundpflicht).

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5. Kap IX 5

Entwicklung, Herstellung und das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die mehrfach verwendbar, technisch langlebig und nach Gebrauch zur ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung und umweltverträglichen Beseitigung geeignet sind, zweitens den vorrangigen Einsatz von verwertbaren Abfällen oder sekundären Rohstoffen bei der Herstellung von Erzeugnissen, drittens die Kennzeichnung von schadstoffhaltigen Erzeugnissen, um die umweltverträgliche Verwertung oder Beseitigung der nach Gebrauch verbleibenden Abfälle sicherzustellen, viertens den Hinweis auf Rückgabe-, Wiederverwendungs- und Verwertungsmöglichkeiten oder -pflichten und Pfandregelungen durch Kennzeichnung der Erzeugnisse und fünftens die Rücknahme der Erzeugnisse und der nach Gebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abfälle sowie deren nachfolgende Verwertung oder Beseitigung. § 23 KrW-/ AbfG ermächtigt die Bundesregierung, zur Festlegung von Anforderungen nach § 22 KrW-/AbfG nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 60 KrW-/AbfG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Verbote, Beschränkungen und Kennzeichnungspflichten in bezug auf bestimmte Erzeugnisse zu regeln. Dies ist in einer Reihe spektakulärer Verordnungen geschehen.985 Des weiteren sieht § 24 KrW-/ AbfG vor, daß zur Konkretisierung der Produktverantwortung im gleichen Verfahren durch Rechtsverordnung Rücknahmepflichten der Hersteller oder Vertreiber bestimmter Erzeugnisse sowie Rückgabepflichten der Besitzer bestimmter Abfälle eingeführt werden können. Indessen hat der parlamentarische Gesetzgeber im jüngst verabschiedeten Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgerätegesetz – ElektroG) vom 16. 3. 2005 986 für einen wichtigen Sektor selbst eine vorrangige Spezialregelung getroffen; danach obliegt den Besitzern von Altgeräten die Zuführung zu einer getrennten Sammlung (§ 9), den Herstellern eine Rücknahmepflicht (§ 10) und den beteiligten Entsorgern eine Reihe ins einzelne gehender Behandlungs- und Verwertungspflichten (§§ 11, 12).

5. Abfallwirtschaftspläne Die Länder sind verpflichtet, für ihren Bereich Abfallwirtschaftspläne nach überört- 260 lichen Gesichtspunkten aufzustellen (§ 29 KrW-/AbfG). Diese Pläne müssen die Ziele der Abfallvermeidung und -verwertung sowie die zur Sicherung der Inlandsbeseitigung erforderlichen Abfallbeseitigungsanlagen darstellen. Weiterhin sind hierin die zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen auszuweisen und geeignete Standorte für weitere Anlagen festzulegen. Die Pläne können ferner Bestimmungen über den verantwortlichen Entsorgungsträger und die zu benutzenden Anlagen enthalten. Bei der Aufstellung der Abfallwirtschaftspläne sind die Gemeinden oder 985

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Vgl die VerpackV v 21. 8. 1998 (BGBl I 2379); bis 2004 zul geänd d VO v 15. 5. 2002 (BGBl I 1572); zur bevorstehenden 3. ÄndV zur VerpackV o Rn 115; AltfahrzeugVO idF v 21. 6. 2002 (BGBl I 2214), zul geänd d VO v 25. 11. 2003 (BGBl I 2304); dazu Schrader NVwZ 1997, 943 ff; Giesberts/Hilf NVwZ 1998, 1158 f; zur Frage der Eurparechtswidrigkeit der AltfahrzeugVO Fischer NVwZ 2003, 321 ff; BatterieV idF v 2. 7. 2001 (BGBl I 1486), geänd d G v 9. 9. 2001 (BGBl I 2331). BGBl I 762; zur grundsätzlichen Problematik eingehend Bauernfeind Rücknahme- und Rückgabepflichten im UmweltR, 1998.

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5. Kap IX 6

Rüdiger Breuer

deren Zusammenschlüsse und die Entsorgungsträger iS der §§ 15, 17 und 18 KrW-/ AbfG zu beteiligen (§ 29 Abs 7 KrW-/AbfG). Die Pläne sind erstmalig zum 31. 12. 1999 zu erstellen und alle fünf Jahre fortzuschreiben (§ 29 Abs 9 KrW-/AbfG).987 Grundsätzlich handelt es sich hierbei um verwaltungsinterne Fachpläne. Sie gewinnen jedoch normativen Charakter, sofern und soweit ihre Ausweisungen gemäß § 29 Abs 4 iVm Abs 1 Satz 3 Nr 2 und Satz 4 KrW-/AbfG für alle öffentlichen und privaten Entsorgungspflichtigen für verbindlich erklärt werden. Demgemäß ist ein für verbindlich erklärter Abfallwirtschaftsplan dem Rechtsschutz im Verfahren der verwaltungsprozessualen Normenkontrolle nach Maßgabe des § 47 VwGO und der ergänzenden Landesgesetze zugänglich.988

6. Abfallentsorgungsanlagen 261 Die Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen richtet sich nach unterschiedlichen Vorschriften. Ortsfeste Abfallverwertungsanlagen unterliegen unmittelbar der Genehmigungspflicht nach den §§ 4 ff BImSchG. Die Errichtung und der Betrieb von ortsfesten Abfallbeseitigungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen zur Beseitigung sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebes bedürfen aufgrund der Verweisung in § 31 Abs 1 KrW-/AbfG ebenfalls der Genehmigung nach den §§ 4 ff BImSchG; 989 einer weiteren Zulassung nach dem KrW-/AbfG bedarf es nicht. Dagegen bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Ablagerung von Abfällen (Deponien) sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebes grundsätzlich einer Planfeststellung (§ 31 Abs 2 KrW-/AbfG), in deren Verfahren die Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.990 Der Planfeststellung sind die für dieses Rechtsinstitut typische Genehmigungs-, Konzentrations-, Gestaltungs-, Ausschluß- und Duldungswirkung sowie in verfahrensrechtlicher Hinsicht die charakteristische Förmlichkeit, Publizität und Interessentenbeteiligung eigen (§§ 31 ff KrW-/AbfG, §§ 72 ff VwVfG). Sie unterliegt den allgemeinen planungsrechtlichen Bindungen.991 Anstelle der Planfeststellung genügt eine (schlichte) Genehmigung, wenn das Vorhaben geringe Bedeutung hat oder die wesentliche Änderung einer Deponie oder ihres Betriebes 987

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Allg zu Abfallwirtschaftsplänen Erbguth UPR 1997, 69 ff; Dippel/Doerfert NVwZ 1998, 239 ff; Dolde/Vetter NVwZ 2001, 1103 ff; zu der vorausgegangenen Abfallentsorgungsplanung nach dem AbfG 1972 und dem AbfG 1986 Paetow in: Kunig/Paetow/Versteyl (Fn 31) § 29 Rn 4 ff; vgl auch OVG Münster NWVBl 2002, 346 (Unzulässigkeit eines Bürgerbegehrens auf Änderung des Abfallwirtschaftsplans eines Kreises). Paetow (Fn 987) § 29 Rn 15 ff; zu § 6 AbfG 1986 BVerwG NVwZ 1989, 458 und 461; Weidemann NVwZ 1989, 1033 ff; Kotzea/Franz UPR 2000, 5 ff. Vgl dazu Fluck UPR 1997, 234 ff; Mayer ZUR 1997, 201 ff; zur Entstehungsgeschichte Paetow (Fn 987) § 31 Rn 5 ff; auch o Rn 174. Näher dazu Ronellenfitsch DÖV 1989, 737 ff; Kleinschnittger Die abfallrechtliche Planfeststellung, 1991; nach § 3 Abs 1 UVPG iVm Nr 1 der Anlage zu § 3 und Nr 27 des Anhangs zu dieser Anlage gilt das Erfordernis einer UVP auch für Anlagen, die der Genehmigung nach den §§ 4 ff BImSchG unterliegen; zu Einzelheiten Kretz UPR 1994, 44 ff. BVerwG DÖV 1980, 133; Eckert NVwZ 1985, 391 ff; allg Paetow (Fn 987) § 31 Rn 106 ff, 113 ff.

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Umweltschutzrecht

5. Kap IX 7

beantragt wird, soweit die Änderung keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf ein in § 2 Abs 1 Satz 2 UVPG genanntes Schutzgut haben kann (§ 31 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und 2 KrW-/AbfG). Ein Plangenehmigungsverfahren kommt außerdem in Betracht, wenn die Errichtung oder der Betrieb einer Deponie beantragt wird, die ausschließlich oder überwiegend der Entwicklung und Erprobung neuer Verfahren zur Behandlung und Verwertung von Abfällen dient (§ 31 Abs 3 Satz 1 Nr 3 KrW-/ AbfG). In einem solchen Fall ist jedoch nur die Erteilung einer befristeten Genehmigung für einen Betriebszeitraum von höchstens zwei Jahren zulässig; dieser Zeitraum kann auf Antrag bis zu einem weiteren Jahr verlängert werden. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der abfallrechtlichen Planfeststellung haben zu einer umfangreichen Kasuistik 992 geführt, die Ausdruck der schwierigen Rechtslage, aber auch der mangelnden politischen Akzeptanz der Entsorgungsanlagen ist. Die zulassungsrechtliche Aufspaltung zwischen Anlagen zur Lagerung oder Be- 262 handlung von Abfällen (unter der Genehmigungspflicht nach den §§ 4 ff BImSchG, § 31 Abs 1 KrW-/AbfG) und Deponien (unter der grundsätzlichen Planfeststellungspflicht nach § 31 Abs 2 KrW-/AbfG) bringt systematische Auslegungs- und Vollzugsprobleme mit sich, die sich aus den strukturellen Unterschieden zwischen der Planfeststellung und der gebundenen Genehmigung nach den §§ 5, 6 BImSchG ergeben. Im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens scheidet eine planerische Abwägung grundsätzlich aus. Damit scheint auch eine Prüfung der Planrechtfertigung zu entfallen und das bauplanungsrechtliche Privileg nach § 38 BauGB insoweit der inneren Rechtfertigung zu entbehren.993 Die Neufassung des § 38 Satz 1 BauGB,994 derzufolge bei den aufgeführten Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren die §§ 29–37 BauGB nicht anzuwenden, jedoch städtebauliche Belange zu berücksichtigen sind, mutet eher wie ein Notflicken an. Die Verquickung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung mit einer planerischen oder planähnlichen „Berücksichtigung“ vernebelt die Entscheidungsstruktur. Außerdem entfällt das Beteiligungsrecht anerkannter Naturschutzverbände nach den §§ 58 ff BNatSchG, da dieses an die Durchführung eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens geknüpft ist.995

7. Überwachung Das ordnungsrechtliche Instrumentarium der §§ 40 bis 52 KrW-/AbfG umfaßt Re- 263 gelungen zur Überwachung der Verwertung und Beseitigung von Abfällen. Hierzu gehören Vorschriften über abgestufte Nachweispflichten für Abfallbesitzer und An992

993

994 995

Vgl etwa BVerwG NuR 1983, 188 und 189; NVwZ 1986, 837; NVwZ 1993, 366; BayVGH DVBl 1987, 1015; VGH BW NVwZ 1990, 487; Eckert NVwZ 1985, 391 ff; 1987, 951 ff; NVwZ 1989, 423 ff; jeweils mwN; zur Klagebefugnis einer Gemeinde gegen die Planfeststellung BVerwG DVBl 1992, 1233. So auch die Kritik von Kutscheidt NVwZ 1994, 209 ff; vgl ferner Paetow (Fn 987) § 31 Rn 6, 64 ff; Greinacher Abfallentsorgungsanlagen zwischen Planfeststellung und Kontrollerlaubnis, 1996. IdF der Bek v 27. 8. 1997 (BGBl I 2141, ber BGBl 1998 I 137). Vgl Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 6. Aufl 2001, § 74 Rn 154 a; Gaßner/Schmidt NVwZ 1993, 946, 947 ff; krit auch Erbguth JZ 1994, 477 ff.

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5. Kap IX 8

Rüdiger Breuer

lagenbetreiber (§§ 42 bis 48 KrW-/AbfG), die Transportgenehmigung (§ 49 KrW-/ AbfG) und eine Genehmigungspflicht für gewerbsmäßig tätige „Abfallmakler“ (§ 50 KrW-/AbfG). Die Verpflichtung, unter bestimmten Voraussetzungen einen oder mehrere Betriebsbeauftragte für Abfälle (Abfallbeauftragte) zu bestellen, ist in § 54 KrW-/AbfG geregelt.996

8. Grenzüberschreitende Abfallverbringung 264 Das Basler Übereinkommen vom 22. 3. 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung 997 strebt vor dem Hintergrund zuvor unkontrollierter Abfallverbringungen, insbesondere in Staaten der „Dritten Welt“, eine weltweit harmonisierte Kontrolle an. Import, Export und Transit von Abfällen sind zwischen den Vertragsstaaten nur zulässig, wenn zuvor alle beteiligten Staaten informiert wurden und der Verbringung zugestimmt haben (Art 6). Verbringungen in „Nichtvertragsstaaten“ sind unzulässig (Art 4 Abs 5). Eine grenzüberschreitende Verbringung aus einem Vertragsstaat durch Nichtvertragsstaaten ist zulässig, falls bi- oder multilaterale Regelungen bestehen, die inhaltlich den Anforderungen des Übereinkommens entsprechen (Art 7). Der Exporteur und hilfsweise der Staat, aus dem die Abfälle stammen, sind für die Einhaltung des Übereinkommens verantwortlich und zur Wiedereinfuhr verpflichtet, falls die Verbringung nicht vertragskonform zu Ende geführt werden kann (Art 8). Diese Verpflichtung gilt insbesondere für „illegale Verbringungen“ von Abfällen.998 Nach Art 2 Nr 1 des Übereinkommens sind Abfälle „Stoffe oder Gegenstände, die entsorgt werden, zur Entsorgung bestimmt sind oder aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften entsorgt werden müssen“. Als „Entsorgung“ bestimmt Art 2 Nr 4 des Übereinkommens jedes in Anlage IV aufgeführte Verfahren; dort sind die

996

997

998

Vgl zu den genannten Instrumenten o Rn 71, 73, 110; ergänzende Verordnungen: AVV (Fn 952); VO zur Bestimmung von überwachungsbedürftigen Abfällen zur Verwertung (BestüVAbfV) v 10. 9. 1996 (BGBl I 1377), geänd d VO v 10. 12. 2001 (BGBl I 3379); VO über Verwertungs- und Beseitigungsnachweise (NachwV) idF v 17.6.2002 (BGBl I 2374), zul geänd d VO v 15.8.2002 (BGBl I 3302); VO zur Transportgenehmigung (TgV) v 10.9.1996 (BGBl I 1411, ber BGBl 1997 I 2861), zul geänd d G v 21.6.2002 (BGBl I 2199); zum Ganzen Petersen UPR 1996, 328 ff. Oben Fn 914; abgedr auch in BT-Drucks 12/5278. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Abkommen am 23. 10. 1989 gezeichnet, die EG am 22. 3. 1989. Die Regelung des Art 9 Abs 1 Buchst c, wonach als „unerlaubter Verkehr“ iSd Übereinkommens auch jede grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle oder anderer Abfälle gilt, „die mit einer durch Fälschung, irreführende Angaben oder Betrug erlangten Zustimmung der betroffenen Staaten erfolgt“, und die gleichzeitige Verpflichtung zu einer strafrechtlichen Ahndung (Art 9 Abs 5 Satz 1 u Art 4 Abs 3) konfligieren mit der Systematik des deutschen Verwaltungsrechts; wie sich aus § 48 Abs 2 VwVfG ergibt, ist eine erschlichene Genehmigung zwar rechtswidrig und rücknehmbar, aber dennoch wirksam und damit bis zu einer Rücknahme beachtlich; vgl aber § 330 d Nr 5 StGB und Art 26 Abs 1 Buchst c iVm Abs 5 AbfVerbrVO EG; insofern zum Problem der Verwaltungsakzessorietät des StrafR Breuer JZ 1994, 1077 ff.

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in der Praxis angewandten Beseitigungsverfahren (Abschnitt A) und Verwertungsverfahren (Abschnitt B) aufgelistet. Durch die mit Wirkung vom 6. 5. 1994 geltende Abfallverbringungs-Verordnung 265 der EG 999 sind die Verfahrensregelungen des Basler Übereinkommens durch unmittelbar geltendes europäisches Recht umgesetzt worden. Die notwendigen Ergänzungen und Änderungen des deutschen Abfallrechts sind mit dem Ausführungsgesetz zum Basler Übereinkommen vom 30. 9. 1994 1000 und dem durch Art 1 dieses Gesetzes eingeführten Abfallverbringungsgesetz (AbfVerbrG) erfolgt. Danach hat bei Abfällen zur Beseitigung aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes die Beseitigung im Inland Vorrang vor der Beseitigung im Ausland (Beseitigungsautarkie). Sofern dennoch eine Beseitigung von Abfällen im Ausland entsprechend den Bestimmungen dieses Gesetzes zulässig ist, hat die Beseitigung in einem Mitgliedstaat der EG Vorrang vor der Beseitigung in einem anderen Staat (§ 3 AbfVerbrG) 1001. Der hierbei verwendete Abfallbegriff ist der gleiche wie im KrW-/AbfG (§ 2 AbfVerbrG).1002 Nach der Ausführungsregelung des AbfVerbrG zu der in Art 8 des Basler Über- 266 einkommens vereinbarten und in Art 27 EG-AbfVerbrVO normierten Wiedereinfuhrpflicht sowie zu den damit verbundenen Haftungsfragen ist eine Verbringung von Abfällen in den, aus dem oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes nur zulässig, wenn zuvor eine Sicherheitsleistung erbracht worden ist und eine Beteiligung an dem Solidarfonds Abfallrückführung erfolgt ist (§ 7 Abs 1 AbfVerbrG). Soweit eine Wiedereinfuhrpflicht für aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verbrachte Abfälle besteht, trifft diese Verpflichtung denjenigen, der die Verbringung notifiziert oder eine illegale Verbringung iSd Art 26 EG-AbfVerbrVO veranlaßt, vermittelt oder durchgeführt hat oder daran in sonstiger Weise beteiligt war, sowie den Erzeuger der verbrachten Abfälle, es sei denn, er kann nachweisen, daß er bei der Abgabe der Abfälle ordnungsgemäß gehandelt hat (§ 6 Abs 1 Satz 1 AbfVerbrG). Soweit eine Wiedereinfuhrpflicht die Bundesrepublik Deutschland trifft, obliegt die Erfüllung der Verpflichtung dem Land, dessen zuständige Behörde die Notifizierung weitergeleitet oder die Weiterleitung verweigert hat, die Verbringungsgenehmigung erteilt oder versagt hat oder dessen Behörde für die Entscheidung über die Weiterleitung oder Genehmigung der Verbringung zuständig gewesen wäre (§ 6 Abs 1 Satz 4 AbfVerbrG). Soweit ein Rückführpflichtiger nicht oder nicht rechtzeitig festgestellt wird oder herangezogen werden kann, nimmt die zuständige Behörde die Rückführung und die Verwertung oder Beseitigung vor (§ 6 Abs 3 AbfVerbrG). Die Kosten hierfür sollte nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers der zu diesem Zweck errichtete „Solidarfonds Abfallrückführung“ bis zu einer Höhe von 37,5 Millionen Euro für jeweils 3 Jahre tragen (§ 8 Abs 1 AbfVerbrG). Für die Länder sollte grundsätzlich eine Nachschußpflicht bestehen (§ 8 Abs 2 Satz 1 AbfVerbrG). Der Solidarfonds Abfallrückführung war als Anstalt des öffentlichen Rechts errich999 1000 1001

1002

Nachw o Fn 928. Nachw o Fn 929. Vgl dazu aus europarechtlicher Sicht te Heesen (Fn 943); ferner Ziegler (Fn 943) 48 ff, 65 ff, 100 ff. Vgl o Rn 244 ff.

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tet und der Aufsicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit unterstellt.1003 Nach § 8 AbfVerbrG sollten alle „notifizierenden Personen“ iS der EG-Abfallverbringungs-Verordnung,1004 die beabsichtigten, Abfälle zu verbringen oder verbringen zu lassen, verpflichtet sein, Beiträge an den Solidarfonds zu zahlen. Soweit der Solidarfonds Leistungen anstelle des Rückführpflichtigen erbrachte, sollten die Ansprüche gegen diesen auf den Fonds übergehen; daneben sollte der Solidarfonds Ersatz für seine Aufwendungen verlangen können (§ 8 Abs 4 AbfVerbrG). Der EuGH hat indessen durch Urteil vom 27. 2. 2003 1005 entschieden, der Beitrag zum Solidarfonds Abfallrückführung sei als eine nach den Art 23 und 25 EGV verbotene Abgabe mit zollgleicher Wirkung anzusehen. Die Bundesrepublik Deutschland habe deshalb gegen ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen, indem sie die Verbringung von Abfällen in andere Mitgliedstaaten von dem Pflichtbeitrag zu dem Solidarfonds abhängig gemacht habe. Die Bundesregierung hat am 16. 3. 2005 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AbfVerbrG mit dem Ziel beschlossen, die Anstalt Solidarfonds Abfallrückführung aufzulösen und abzuwickeln.1006 Hiernach sollen Beiträge, die nicht zur Deckung der Leistungen und Verwaltungkosten des Solidarfonds verwendet worden sind, an die Beitragspflichtigen anteilig zurückerstattet werden.

1003

1004

1005 1006

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VO über die Anstalt Solidarfonds Abfallrückführung v 20. 5. 1996 (BGBl I 694), zul geänd d VO v 29. 10. 2001 (BGBl I 2785); zur Verfassungsmäßigkeit Koch DVBl 1997, 85 ff (bejahend); aA Ossenbühl BB 1995, 1805 ff. Hierzu gehören Abfallerzeuger, zugelassene Einsammler, eingetragene oder zugelassene Händler und Makler, die für die Beseitigung von Abfällen sorgen, sowie, wenn die vorgenannten Personen unbekannt sind, der jeweilige Abfallbesitzer; Art 2 Buchst g EGAbfVerbrVO (Fn 928). Slg 2003, I-2001 ff; dazu Kloepfer UmwR, § 20 Rn 322 ff. BR-Drucks 193/05.

SECHSTES KAPITEL

Das Recht des öffentlichen Dienstes Philip Kunig

Gliederung I. Gegenstand und Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum systematischen Standort des Rechtsgebiets . . . . . . . . 2. Öffentlicher und privater Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesichtspunkte der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dauer und Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung nach dem Dienstherrn . . . . . . . . . . . . . c) Ausgrenzung des Rechts der Richter, Berufssoldaten und der kirchlichen Bediensteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dienstrecht als Strafrecht und Haftungsrecht . . . . . . . . e) Kollektives Dienstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rn 1– 15 1– 3 4– 6 7– 15 8 9

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10 11 12– 15

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II. Zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Dienstes . . . . . 1. Zur geschichtlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reformfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtsetzungsebenen im Recht des öffentlichen Dienstes und ihre Regelungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrecht und europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutionelle Verbürgung des Berufsbeamtentums . . . . . . . aa) Der Funktionsvorbehalt für Beamte . . . . . . . . . . . . . bb) Der verfassungsrechtliche Regelungsauftrag für das Beamtenrecht b) Ämterzugang und Grundrechtsschutz im Dienstverhältnis . . . c) Bundesstaatliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das einschlägige Gesetzesrecht im Überblick . . . . . . . . . . . .

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IV. Das Beamtenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beamtenbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatsrechtlicher, haftungsrechtlicher und strafrechtlicher Beamtenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kategorien des staatsrechtlichen Beamtenbegriffs . . . . . . . . . aa) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte . . . . . . . bb) Berufsbeamte auf Lebenszeit und auf Zeit . . . . . . . . . . cc) Beamte auf Probe und auf Widerruf . . . . . . . . . . . . . dd) Laufbahnbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ehrenbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Politische Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16– 26b 16– 23 24– 26b

27– 27– 29– 30– 31– 37–

54 28 51 44 36 44

45– 48 49– 51 52– 54

. . . .

55–182 55– 67

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56– 60 61– 67 62 63 64 65 66 67

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6. Kap

Philip Kunig

2. Die Begründung, Veränderung und Beendigung des Beamtenverhältnisses a) Die Ernennung zum Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsfeld, Zuständigkeit, Form . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektive und subjektive Ernennungsvoraussetzungen . . . . . . cc) Leistungsprinzip, Ernennungsanspruch, Konkurrenz . . . . . . . dd) Die Nichtigkeit der Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Rücknahme der Ernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rechtsfolgen mangelhafter Ernennungen im Innen- und Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beförderung, Versetzung, Umsetzung und Abordnung . . . . . . . . aa) Die Beförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Versetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Abordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ruhestand, Entlassung und Entfernung aus dem Dienst . . . . . . . . aa) Endgültiger und einstweiliger Ruhestand . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beendigung des Dienstverhältnisses infolge strafgerichtlicher Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Entfernung aus dem Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichten und Rechte im Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Pflichten des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dienstpflicht, Gehorsamspflicht, Residenzpflicht . . . . . . . . . bb) Nebentätigkeit des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Neutralität und Unparteilichkeit im Amt . . . . . . . . . . . . . dd) Amtsverschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die politische Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dienstvergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Beamtenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Spezielle Fürsorgeverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die allgemeine Fürsorgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Dienstbezüge und deren Rückforderung . . . . . . . . . . . . . dd) Personalakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Bedeutung einzelner Grundrechte für die Rechtsstellung des Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsbehelfe im Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zum Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst . . . . . .

68–126 68–106 69– 73 74– 85 86– 92 93– 97 98–101 102–106 107–114 109–111 112 113 114 115–126 116–119 120–124 125 126 127–174 128–139 129–132 133–134 135–136 137–138 139 140–143 144–147 148–167 150–151 152–156 157–163 164–167 168–174 175–182 176–177 178–182 183–192

Gesetze Bund: BundesbeamtenG (BBG) idF v 31. 3. 1999 (BGBl I 675), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 160. RahmenG zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (BeamtenrechtsrahmenG – BRRG) idF v 31. 3. 1999 (BGBl I 654), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 150.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap

VO über die Laufbahnen der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten (Bundeslaufbahnverordnung – BLV) idF v 2. 7. 2002 (BGBl I 2459, ber 2671), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 180. BundesbesoldungsG (BBesG) idF v 6. 8. 2002 (BGBl I 3020), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 230. BundesdisziplinarG (BDG) v 9. 7. 2001 (BGBl I 1510), zul geänd am 15. 12. 2004 (BGBl I 3396), Sartorius I Nr 220. BundespersonalvertretungsG (BPersVG) v 15. 3. 1974 (BGBl I 693), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 240. G über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG) idF v 16. 3. 1999 (BGBl I 322), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Sartorius I Nr 155. Länder: Baden-Württemberg: LandesbeamtenG (BG BW) idF v 19. 3. 1996 (GBl 286), zul geänd am 1. 7. 2004 (GBl 469). Bayern: Bayerisches BeamtenG (BayBG) idF v 27. 8. 1998 (GVBl 702), zul geänd am 7. 12. 2004 (GVBl 489). Berlin: LandesbeamtenG (LBG Bln) idF v 20. 2. 1979 (GVBl 368), zul geänd am 4. 12. 2004 (GVBl 489); Geltung für (ehem) Berlin-Ost gem G v 28. 9. 1990 (GVBl 2119), zul geänd am 30. 7. 2001 (GVBl 313). Brandenburg: LandesbeamtenG (LBG Bbg) v 8. 10. 1999 (GVBl I 446), zul geänd am 22. 3. 2004 (GVBl I 59). Bremen: Bremisches BeamtenG (BremBG) idF v 15. 9. 1995 (GBl 387), zul geänd am 22. 9. 2003 (GBl 361). Hamburg: Hamburgisches BeamtenG (HmbBG) idF v 29. 11. 1977 (GVBl 367), zul geänd am 28. 12. 2004 (GVBl 511). Hessen: Hessisches BeamtenG (HBG) idF v 11. 1. 1989 (GVBl I 26), zul geänd am 18. 10. 2004 (GVBl I 306). Mecklenburg-Vorpommern: LandesbeamtenG (LBG MV) idF v 12. 7. 1998 (GVOBl 708), zul geänd am 17. 12. 2003 (GVOBl 2004, 2). Niedersachsen: Niedersächsisches BeamtenG (NBG) idF v 19. 2. 2001 (GVBl 33), zul geänd am 17. 12. 2004 (GVBl 664). Nordrhein-Westfalen: LandesbeamtenG (LBG NW) idF v 1.5.1981 (GV 234), zul geänd am 30. 11. 2004 (GV 752).

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Philip Kunig

Rheinland-Pfalz: LandesbeamtenG (LBG Rh-Pf) idF v 14. 7. 1970 (GVBl 241), zul geänd am 15. 10. 2004 (GVBl 457). Saarland: Saarl BeamtenG (SBG) idF v 27. 12. 1996 (ABl 1997, 301), zul geänd am 23. 6. 2004 (ABl 1782). Sachsen: BeamtenG für den Freistaat Sachsen (SächsBG) idF v 14. 6. 1999 (GVBl 370), zul geänd am 5. 5. 2004 (GVBl 148). Sachsen-Anhalt: BeamtenG Sachsen-Anhalt (BG LSA) idF v 9. 2. 1998 (GVBl 49), zul geänd am 17. 12. 2003 (GVBl 352). Schleswig-Holstein: LandesbeamtenG (LBG SH) idF v 3. 3. 2000 (GVOBl 218), zul geänd am 3. 1. 2005 (GVOBl 21). Thüringen: Thüringer BeamtenG (ThürBG) vom 8. 9. 1999 (GVBl 525), zul geänd am 25. 11. 2004 (GVBl 853).

Literatur S. Alber Das europäische Recht und seine Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst, ZBR 2002, 225 ff. U. Battis Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 3. Aufl 2004 (zit Battis BBG). U. Battis Beamtenrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, 1012 ff. U. Battis Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, 1093 ff. U. Battis Personalvertretungsrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR II, 2. Aufl 2000, 1115 ff. H. J. Behrens Beamtenrecht, 2. Aufl 2001. H. Bierschneider Bayerisches Beamtenrecht, 1968 ff. A. Bochalli Grundriss des deutschen Beamtenrechts, 1965. H. R. Claussen/W. Janzen Bundesdisziplinarordnung, 8. Aufl 1998. H. R. Claussen (Begr.), Bundesdisziplinarrecht: Rechtsprechungsübersicht zum materiellen Disziplinarrecht, 9. Aufl (Bearb: P. Czapski), 2001. J. Crisolli/M. Schwarz Hessisches Beamtengesetz, 1981 ff. W. Dietz/R. Richardi Bundespersonalvertretungsgesetz, 2. Aufl 1978. K. Ebert Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 1972 ff. O. Fischbach Bundesbeamtengesetz, 3. Aufl 1. Halbbd 1964, 2. Halbbd 1965. W. Frotscher Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975. W. Fürst/A. Strecker Beamtenrecht (einschließlich Disziplinar- und Personalvertretungsrecht), 1987. W. Fürst (Hrsg) Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, 1973ff.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap

– Bd I: W. Fürst/H. J. Finger/O. Mühl/F. Niedermaier Beamtenrecht des Bundes und der Länder. – Bd II: H.-D. Weiß Disziplinarrecht des Bundes und der Länder. – Bd III: M.-C. Schinkel Besoldungsrecht des Bundes und der Länder. – Bd IV: G. Arndt/S. Baumgärtel ua Recht der Arbeiter und Angestellten im Öffentlichen Dienst. – Bd V: A. Fischer/H.-J. Goeres Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder. K. Gerhardt/K. Hahn/A. Schäufele Landesbeamtenrecht für Baden-Württemberg, 1966. W. Grabendorff/P. Arend Beamtengesetz von Rheinland-Pfalz, 1967 ff. A. Gunkel/B. E. Pilz Beamtenrecht in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 1998. H. Hartmann/F. Janssen/U. Kühn Bayerisches Beamtengesetz, 5. Aufl 1978. W. Hildebrandt/H. Demmler/H.-G. Bachmann Kommentar zum Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 1963 ff. G. Hilg/G. Müller Beamtenrecht in Bayern, I. Halbbd – Allgemeines Beamtenrecht, 2. Aufl 1981. J. Isensee Öffentlicher Dienst, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl 1994, 1527 ff. J. Isensee Affekte gegen Institutionen – überlebt das Berufsbeamtentum?, in: Verantwortung und Leistung, Heft 34/1998. K. Kessler Personalvertretungsrecht, 1997. K. König/H. W. Laubinger/F. Wagener (Hrsg), Öffentlicher Dienst. FS C. H. Ule, 1977. K. König/H. Siedentopf (Hrsg), Öffentliche Verwaltung in Deutschland, 1997. K. Köpp Öffentliches Dienstrecht, in: U. Steiner (Hrsg), BesVwR, 7. Aufl 2003, 407 ff. H. Korn/G. Siecken Das Beamtenrecht in Nordrhein-Westfalen, 1962 ff. W. Kümmel Niedersächsisches Beamtengesetz, 1965ff. H. Lecheler Der öffentliche Dienst, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts Bd III, 2. Aufl 1996, 717 ff. W. Leisner Grundlagen des Berufsbeamtentums, 1971. W. Leisner (Hrsg), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975. W. Leisner Beamtentum. Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des Öffentlichen Dienstes 1968–1991, 1995. C. Leusser/E. Gerner/K. Kruis Bayerisches Beamtengesetz, 2. Aufl 1970. P. Linde Angestellte im Öffentlichen Dienst, Bd 1: Grundlagen des Arbeitsverhältnisses, 3. Aufl 2002. U. Lorenzen/M. Haus/L. Schmidt Bundespersonalvertretungsgesetz, 1975 ff. W. Loschelder Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982. S. Magiera/H. Siedentopf (Hrsg), Das Recht des öffentlichen Dienstes in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, 1994 (zit Magiera/Siedentopf Öffentlicher Dienst). A. Maneck/H. Schirrmacher Hessisches Bedienstetenrecht, 1960 ff. R. Mehlinger Grundlagen des Personalvertretungsrechts, 1996. G. Müller/E. Beck Beamtenrecht in Baden-Württemberg, 1962 ff. F.-J. Peine/M. Heinlein, Beamtenrecht, 2. Aufl 1999. E. Plog/A. Wiedow/G. Beck/B. Lemhöfer Kommentar zum Bundesbeamtengesetz mit Beamtenversorgungsgesetz, 2. Aufl 1958ff (zit Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer BBG). W. Rudolf Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, VVDStRL 37 (1979) 175 ff. C. Sachse/E. Topka Niedersächsisches Beamtengesetz, 1961. H. W. Scheerbarth/H. Höffken/H. J. Bauschke/L. Schmidt Beamtenrecht, 6. Aufl 1992. W.-R. Schenke Fälle zum Beamtenrecht, 2. Aufl 1990. W. Schmidt/G. Ehrenthal Niedersächsisches Beamtengesetz, 3. Aufl 1967. F. E. Schnapp Amtsrecht und Beamtenrecht, 1977.

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6. Kap I 1

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H. Schnellenbach Beamtenrecht in der Praxis, 5. Aufl 2001. E. Schütz Beamtenrecht des Bundes und der Länder, 5. Aufl 1973 ff. J. Senff/St. Sippel Beamtenrecht in Thüringen, 1996. W. Sponer/F. Steinherr/J. Schwimmbeck Die Dienstverhältnisse der Angestellten bei öffentlichen Verwaltungen und Betrieben im Beitrittsgebiet-BAT-O, 1992. G. P. Strunk Beamtenrecht, 3. Aufl 1986. R. Summer Auswirkungen des Europarechts auf das Beamtenrecht, Recht in Europa, FS anlässlich des 200-jährigen Bestehens der juristischen Fakultät Augsburg, 2003, 281ff (zit Summer). W. Thieme Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1961. C. H. Ule Beamtenrecht, 1970. C. H. Ule Öffentlicher Dienst, im GRe IV/2, 1962, 537 ff. F. Wagener Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, VVDStRL 37 (1979) 215 ff. F. Wagner Beamtenrecht, 7. Aufl 2002. G. Weber/J. Banse Das Urlaubsrecht des öffentlichen Dienstes, 1978 ff. H. Weiss/F. Niedermaier/R. Summer/S. Zängl Bayerisches Beamtengesetz, 1966 ff. W. Wiese Handbuch des Öffentlichen Dienstes. – Bd I: H. Hattenhauer Geschichte des Beamtentums, 2. Aufl 1993. – Bd II, Teil 1: W. Wiese Beamtenrecht, 3. Aufl 1988. – Bd III, Teil 1: H.-E. Meixner Personalpolitik, 1982. – Bd III, Teil 3: H. Siepmann/U. Siepmann Arbeits- und Stellenbewertung im öffentlichen Dienst, 1984. – Bd IV, Teil 1: D. Rogalla Dienstrecht der Europäischen Gemeinschaften, 2. Aufl 1992. – Bd IV, Teil 2: J.-D. Busch Dienstrecht der Vereinten Nationen, 1981. F. Wind/R. Schimana/M. Wichmann/ K.-U. Langer Öffentliches Dienstrecht, 5. Aufl 2002. H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober Verwaltungsrecht II, 5. Aufl 1987, §§105–119 (zit Wolff/ Bachof/Stober, VwR II [5. Aufl 1987]). W. Woydera/R. Summer/S. Zängl Sächsisches Beamtengesetz, 1993 ff.

I. Gegenstand und Begriff 1. Zum systematischen Standort des Rechtsgebiets 1 Zum Recht des öffentlichen Dienstes gehören das Beamtenrecht und das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Nur das Beamtenrecht ist „Besonderes Verwaltungsrecht“. Es steht deshalb hier im Mittelpunkt der Darstellung, doch komplettiert erst der Blick auf alle Formen der Rechtsverhältnisse von Bediensteten der öffentlichen Hände das Gesamtbild von den Akteuren, die die staatlichen Funktionen Regierung und Verwaltung in Person wahrnehmen. Grundgedanken des Beamtenrechts strahlen auf die anderen Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst aus, während sich andererseits Unterschiede erst im Vergleich erschließen. Vorliegend geht es um deutsches Dienstrecht, nicht um die Rechtsbeziehungen der Bediensteten, die bei supranationalen oder internationalen Institutionen beschäftigt sind.1 1

Zum Dienstrecht der EG Überblick bei Nicolaysen Europarecht I, 2. Aufl 2002, 265 f; Alber ZBR 2002, 225 ff; s ferner Rogalla Dienstrecht der europäischen Gemeinschaften,

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6. Kap I 2

Nur das Beamtenrecht ist öffentliches Dienstrecht. Es steht für sich unter den 2 Rechtsgebieten, die gemeinsam das Besondere Verwaltungsrecht bilden. Diese betreffen zum überwiegenden Teil die Kontrolle, Steuerung, Förderung von im gesellschaftlichen Raum sich vollziehender Aktivität oder suchen die soziale Sicherung der Bürger zu gewährleisten. Wie das Kommunalrecht betrifft dagegen das Beamtenrecht die Organisation der Verwaltung, allerdings nicht diejenige von Körperschaften,2 sondern deren Personal; es regelt die Rechtsverhältnisse derjenigen, durch die die Verwaltung handelt, sie dabei in öffentlich-rechtliche Pflichten nehmend und sich ihnen öffentlich-rechtlich verpflichtend. Es geht – so gesehen – um ein Innenverhältnis innerhalb der staatlichen Organisation, das vom Wirken staatlicher Personalgewalt 3 und Organisationsgewalt 4 geprägt ist und aus dem Konsequenzen auch für das Verhältnis von Bürger und Verwaltung erwachsen. Es geht aber nicht um „Staatsorganisationsrecht“, denn der Beamte ist durch das Beamtenrecht nicht als Organ des Staates, sondern als dessen Bediensteter angesprochen, auch wenn er nach außen hin ein Organ repräsentiert. Die Bedeutung des Beamtenrechts und des Rechts des öffentlichen Dienstes ins- 3 gesamt ergibt sich nicht nur aus dem Umstand, dass der Staat ohne Bedienstete handlungsunfähig ist, oder aus der Quantität der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst.5 Wichtiger ist, dass das Beamtenrecht als Rechtsgebiet systematische Einsichten in das Verwaltungsrecht vermittelt, von deren Instituten es sich teils eigenständig abhebt, deren verallgemeinernde Kraft es deshalb auf die Probe stellt, deren rechtsstaatlichen Anliegen es sich andererseits öffnet. Der damit angesprochene Aspekt verwaltungsrechtlicher Systembildung wie auch die nachhaltige verfassungsrechtliche Vorprägung legen eine Beschäftigung mit dem Rechtsgebiet in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung nahe. Das dienstrechtliche Detail kann angemessen nur erfasst werden, wenn es in die allgemeinen staats- und verwaltungsrechtlichen Grundlinien eingeordnet wird.

2. Öffentlicher und privater Dienst Der Begriff „öffentlicher Dienst“ ist Rechtsbegriff wie auch Systembegriff (sofern er 4 Institutionen und Betätigungen bezeichnet, für die Sonderrecht gilt). Als Rechtsbegriff verwendet ihn zB Art 33 Abs 5 GG und meint damit die Dienstverhältnisse der

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2. Aufl 1992; Hatje Der Rechtsschutz der Stellenbewerber im europäischen Beamtenrecht, 1988; Demmke ZTR 2003, 483 ff; zur Meinungsfreiheit eines Bediensteten der EU-Kommission EuGH DVBl 2001, 716 ff → JK EGV Art 220/1; s auch EuGH, DVBl 2001, 1199 ff – gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Ehe; zu den Bediensteten internationaler Organisationen Ullrich ZBR 1988, 49 ff; vergleichend Riegel ZTR 1993, 223 ff. Zur Besoldungskürzung bei Versorgung aus der Verwendung im öffentlichen Dienst einer überstaatlichen Einrichtung (vgl § 8 Abs 1 BBesG) s BVerwG ZBR 1997, 399. Vgl die Definition des Kommunalrechts → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 1. Zum Begriff s Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 71 ff mwN; vgl a Schuppert in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 31 Rn 40 f. Zum Begriff s Burgi in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 52 Rn 1 ff. Zahlenangaben u Rn 25.

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Beamten (auch der Richter), nicht aber der im Staatsdienst beschäftigten Angestellten und Arbeiter. Art 131, 132 GG – Übergangsvorschriften aus Anlass des Neuaufbaus nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches – verwenden dagegen den Begriff „öffentlicher Dienst“ in einem weiten Sinne; sie beziehen sich auf jede Art der Beschäftigung bei einem öffentlichen Dienstherrn.6 Wird in systematischem Sinne vom Recht des öffentlichen Dienstes gesprochen, so sind damit alle Rechtsnormen gemeint, die die Rechtsverhältnisse der Funktionsträger regeln, welche für öffentliche Dienstherrn tätig sind. Für sie alle gelten, auch wenn ihnen eine privatrechtliche Abrede zugrunde liegt, Besonderheiten gegenüber zwischen Privaten begründeten Dienstverhältnissen, die die Leistung eines versprochenen Dienstes gegen die Entrichtung einer vereinbarten Vergütung zum Gegenstand haben. Sonderrecht ist also das Recht des öffentlichen Dienstes, das in einen öffentlich5 rechtlichen (beamtenrechtlichen) Teil und einen privatrechtlichen Teil (Recht der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes) zerfällt; es betrifft jeweils Dienstleistungen gegenüber öffentlichen Dienstherren, setzt immer die Eingliederung in den Dienstbetrieb voraus und steht daher dem Arbeitsrecht näher als dem bürgerlich-rechtlichen Dienstvertragsrecht. Es betrifft dauernd erbrachte, berufsmäßige Leistungen in Eingliederung in eine Organisation. Demzufolge treffen den Dienstherrn, vergleichbar dem Arbeitgeber, gesteigerte soziale und fürsorgerische Pflichten, besteht wechselseitig ein Verhältnis besonderer Loyalität. Das Beamtenrecht als Kern des öffentlichen Dienstrechts in Deutschland hat sich aber – weitergehend – von allen sonstigen rechtlichen Formen für dienstliche Beziehungen entfernt. Pflichten und Rechte im Beamtenverhältnis sind Gegenstand öffentlich-rechtlich 6 geregelter, teilweise auch verfassungsrechtlich vorgegebener Sonderregeln zur Bewältigung von Lagen, wie sie sich teilweise auch in anderen Bereichen des Arbeitslebens stellen. Da die soziale Anschauung und das Erleben der Bürger auch das Beamtenverhältnis nicht selten „wie“ ein „Arbeitsverhältnis“ begreift, gewinnt die Frage nach der Legitimation der besonders einschneidenden Unterschiede (zB kein Streikrecht für Beamte, besondere, auch „politische“ Treuepflicht; andererseits: privilegierte soziale Sicherung) besondere Brisanz. Auch wenn und solange die Verfassung die Existenz des Berufsbeamtentums verlangt, besteht die Notwendigkeit seiner Legitimation.7 Ähnliches gilt, so weit das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst trotz abweichender rechtlicher Konstruktion sich inhaltlich dem Beamtenrecht angenähert hat.8 Grundlegend für das Verständnis jedweden Sonderstatus’ im öffentlichen Dienst, mag er Inpflichtnahme oder Privilegierung bedeuten, und für die Beurteilung seiner Legitimität ist der Umstand, dass die wechselseitige Beziehung zwischen Dienstherrn und Dienstnehmer um eines Dritten willen begründet wird: um der Allgemeinheit willen. Erschöpft sich ein privates 6 7

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Vgl für Angestellte BVerfGE 3, 162, 175, für Soldaten BVerfGE 3, 288, 314 f. Vgl dazu einerseits Czapski FS Claussen 1988, 11 ff; Leisner Legitimation des Berufsbeamtentums aus der Aufgabenerfüllung, 1988; Merten ZBR 1999, 1 ff; andererseits Blanke ArbuR 1989, 306 ff: „Sonderkaste“ (313). Sa Thiele DöD 1994, 245 ff; Summer PersV 1996, 241 ff; Lecheler ZBR 1996, 1 ff; Öhlinger DöD 1996, 145 ff; Vogelsang ZBR 1997, 33 ff; Sommermann VerwArch 89 (1998) 290 ff. Überblick dazu bei Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 82 ff; ferner u Rn 184 f.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap I 3 a

Arbeitsverhältnis im Austausch von Leistungen in der Zweierbeziehung zum gegenseitigen Vorteil, so wird das Dienstverhältnis begründet, damit der Staat die ihm verfassungsrechtlich aufgegebenen Leistungen erfüllen kann. Das Dienstverhältnis zwischen zweien ist Leistungsverhältnis für die Allgemeinheit.9 Seine Besonderheiten reflektieren die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft.

3. Gesichtspunkte der Abgrenzung Als Rechtsbegriff ist der Begriff „öffentlicher Dienst“ jeweils normspezifisch, also 7 nach der jeweiligen Gesetzessystematik und nach dem Sinn und Zweck der Norm auszulegen, die ihn verwendet.10 Allgemein und (gesetzes-)kontextunabhängig kommt es für die Abgrenzung vor allem auf die Qualifizierung des jeweiligen Dienstgebers an. a) Dauer und Eingliederung Allgemeines Begriffsmerkmal ist zunächst, dass eine Dienstleistung dauernd er- 8 bracht wird: 11 Eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst erfolgt grundsätzlich „berufsmäßig“, auch so weit sie nicht als Ausübung von Berufsfreiheit iS des Art 12 Abs 1 GG geschützt ist.12 Sie setzt ferner die Eingliederung in die Organisation des Dienstherrn voraus,13 ist – so gesehen – „Arbeit“. Diese Kriterien führen zur Ausgrenzung ehrenamtlicher Tätigkeit, Wehrpflichtiger (nicht aber: von Berufssoldaten auf Zeit oder Lebenszeit) und Ersatzdienstpflichtiger. Rechtsanwälte sind „Organe der Rechtspflege“ (§1 BRAO),14 ohne dem öffentlichen Dienst anzugehören, auch Notare nicht in die staatliche Organisation eingegliedert,15 ebenso wenig beliehene Unternehmer, ungeachtet ihrer Fähigkeit zu hoheitlichem Handeln.16 Auch die Mandatsträger in Organen der kommunalen Gebietskörperschaften gehören dem öffentlichen Dienst nicht an, auch wenn sie Teil der Exekutive sind,17 ebenso wenig die Mitglieder der Regierungen, die parlamentarischen Staatssekretäre.18 Regierungsmitglieder stehen an den Spitzen des öffentlichen Dienstes, sind ihm aber nicht

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Das wird – verkürzend – zugespitzt von Adomeit ZRP 1987, 75, 79, mit der These, im öffentlichen Dienst sei „jeder Arbeitnehmer sein eigener Arbeitgeber“; zur zeitgeistbedingten Erosion des Amtsethos Isensee ZBR 2004, 3 ff. Vgl BVerwGE 9, 314, 316; sa BVerfGE 55, 207, 227 → JK GG Art 80 I/2 sowie BAG DZWiR 1993, 416, 418 m Anm Oetker. Zu § 22 Nr 3 VwGO s OVG Bautzen NVwZ-RR 1998, 324. Vgl OVG Lüneburg DVBl 1958, 803. Zum Verhältnis von Art 12 GG zu Art 33 GG s zB Gubelt in: v Münch/Kunig, GG I, Art 12 Rn 20. Vgl dazu BVerfGE 17, 371, 377 ff. Zu „Rechtsanwälten im öffentlichen Dienst“ s § 47 BRAO; Feuerich MDR 1993, 1141 ff. Vgl zur Auslegung des § 1 BNotO BayVerfGHE 29, 123, 129. S ferner Zuck FS Schippel 1996, 817 ff. Dazu Rüfner in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 47 Rn 11. Näher – und zu Besonderheiten – oben → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 59. Vgl dazu das ParlStG (BGBl 1974 I 1538, zul geänd am 15. 1. 1999, BGBl I 10).

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6. Kap I 3 b

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eingeordnet, stehen nicht im Beamten-, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis, das eigenen Regeln folgt.19 Einen besonderen, eigenständig in Einzelgesetzen geregelten Status haben auch der Wehrbeauftragte 20 und die Datenschutzbeauftragten.21 b) Abgrenzung nach dem Dienstherrn 9 Allgemeiner Auffassung entspricht es heute, zum öffentlichen Dienst alle Personen zu zählen, die von einem in öffentlich-rechtlicher Rechtsform befindlichen Dienstherrn beschäftigt werden, also von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.22 Es sind das der Staat in Bund und Ländern, die Gemeinden, sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts oder von ihnen errichtete juristische Personen öffentlichen Rechts, auch die als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisierten Kirchen. Eigenbetriebe hingegen, die über eigene Rechtspersönlichkeit nicht verfügen, sind unmittelbar ihrem Träger, etwa einer Gemeinde, zugeordnet, deren Dienstherreneigenschaft demzufolge die Zugehörigkeit der Beschäftigten zum öffentlichen Dienst begründet.23 Nicht jede juristische Person des öffentlichen Rechts kann alle Spielarten öffentlicher Dienstverhältnisse begründen. Die sog Dienstherrenfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, über Angestellten und Arbeitern hinaus auch Beamten Dienstherr sein zu können. Sie kommt nach § 121 BRRG Bund, Ländern, Gemeinden, Gemeindeverbänden zu, anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts aber nur, wenn ihnen dieses Recht gesondert eingeräumt worden ist. Juristische Personen privaten Rechts sind nicht dienstherrenfähig. Allerdings ermöglicht §123a BRRG den Beamten einer Diensstelle, die in eine privatrechtlich organisierte Einrichtung der öffentlichen Hand umgebildet wird, dort eine entsprechende Tätigkeit zuzuweisen (was die Rechtsstellung des Beamten „unberührt“ lässt, Abs 2). Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund der Post- und Bahnreformen zu sehen (su Rn 26). Die so entstandenen Aktiengesellschaften sind beliehene Trägerinnen öffentlicher Verwaltung 24. Zu ihrem Personal zählen „Beamte in der Privatwirtschaft“.25 19

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Vgl das G über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung – BundesministerG – (BGBl 1971 I 1166; zul geänd durch G v 31. 8. 2002, BGBl I 3322). Vgl das G über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (BGBl 1982 I 677, zul geänd am 21. 6. 2002, BGBl I 2138); eingehend: Busch Der Wehrbeauftragte, 4. Aufl 1991. Vgl §§ 22 bis 26 BDSG; Flanderka Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Diss Heidelberg, 1988. S dazu auch die in § 15 Abs 2 ArbplSchG gegebene Definition, wonach unter „öffentlichem Dienst“ im Sinne dieses Gesetzes die Tätigkeit im Dienst des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde (eines Gemeindeverbandes) oder anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (oder der Verbände von solchen, ausgenommen öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und ihre Zusammenschlüsse) zu verstehen ist. Zur privatisierenden Umwandlung/Ausgliederung Hinw bei Steuck NJW 1995, 2887 ff. S für die Deutsche Bahn AG BayObLG, DÖV 1997, 1053. Zur Anwendbarkeit des Disziplinarrechts – vgl u Rn 140 ff – s BVerwG, NVwZ 1997, 584 f – Deutsche Telekom AG; s ferner Wendt/Elicker ZBR 2002, 73 ff; zur „amtsangemessenen Beschäftigung“ bei der Deutschen Bahn AG OVG Koblenz, NVwZ 1998, 538 ff. S ferner Wernicke ZBR 1998, 266 ff (Bahnbeamte) sowie zur verfassungsrechtlichen Absicherung der künftigen Verwendung von Beamten von Bahn u Post Art 143 a Abs 1 S 2 bzw

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6. Kap I 3 e

c) Ausgrenzung des Rechts der Richter, Berufssoldaten und der kirchlichen Bediensteten Nach den bisher vorgetragenen Begriffsmerkmalen sind auch Richter, Berufssolda- 10 ten und Bedienstete der Kirchen Angehörige des öffentlichen Dienstes. Ihre Rechtsstellung unterscheidet sich aber teils recht deutlich von derjenigen aller anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Die Rechtsstellung der Richter ist im DRiG geregelt, das die verfassungsrechtlich geforderte Unabhängigkeit der Richter (Art 97 GG) sicherzustellen hat.26 Für die Dienstverhältnisse der Soldaten ist das SoldG maßgeblich, das den Soldaten um der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr willen stärkere Pflichtenbindungen auferlegt als den sonstigen Dienstnehmern.27 Die Dienstverhältnisse kirchlicher Bediensteter – für sie gilt das BRRG nicht, vgl § 135 BRRG – sind Gegenstand des (inneren) Kirchenrechts und in je unterschiedlichem Ausmaß dem staatlichen Dienstrecht angenähert; sie sind vom Selbstverständnis und der Aufgabenspezifik kirchlicher Verwaltung derart geprägt, dass sie, wie das Recht der beiden vorgenannten Berufsgruppen, hier – unabhängig von terminologischen Fragen – jedenfalls in die weitere Darstellung nicht einzubeziehen sind.28 d) Dienstrecht als Straf- und Haftungsrecht Zum Recht des öffentlichen Dienstes könnten auch die Bestimmungen des bürger- 11 lichen Rechts (Amtshaftungsrecht, vgl § 839 BGB) und des Strafrechts (Amtsdelikte, vgl §§ 331 ff StGB) gezählt werden, die Sonderregelungen für Amtsträger enthalten. Sie sind im vorliegenden Zusammenhang nicht darzustellen, allerdings bei der Bestimmung der verschiedenen Beamtenbegriffe heranzuziehen (su Rn 56). e) Kollektives Dienstrecht Kollektives öffentliches Dienstrecht ist das Personalvertretungsrecht, auf das hier 12 ebenfalls nur hingewiesen werden kann.29 Es stellt für den öffentlichen Dienst ein

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Art 143 b Abs 3 GG. Kritisch Battis FG zum 50-jährigen Bestehen des BVerwG 2003, 771, 776 ff; Janssen ZBR 2003, 113 ff; Kutscha NVwZ 2002, 942 ff. Zu den Überlegungen für eine Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens Roth/Karpenstein ZVI 2004, 442. Zum Spannungsverhältnis von richterlicher Unabhängigkeit und Dienstaufsicht s Achterberg NJW 1985, 3041 ff; sa Dütz JuS 1985, 745 ff. S dazu Rauschning 8. Aufl des vorliegenden Buches, 919 ff. Vgl dazu BVerfGE 55, 207, 230 ff → JK GG Art 80 I/2; 70, 138, 160 ff → JK GG Art 140/1; BVerwGE 10, 355 ff; OVG Münster DÖV 1998, 393 f; Thieme DÖV 1986, 62 ff; Weber NJW 1989, 2217, 2224; Hammer ZTR 1997, 97 ff; zur strafrechtlichen Amtsträgerschaft von Kirchenbeamten BGH NJW 1991, 367 ff; zur Frage des Rechtsweges OVG Koblenz NVwZ 1997, 802 f; BVerwG DÖV 1994, 961 f; dazu Haastert DÖV 1996, 363 ff – „Besondere Beamtenverhältnisse“ erörtert Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 31 Rn 182 ff. Zusammenfassende Darstellung bei Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 33; Ilbertz Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, 2004. Zur Reformbedürftigkeit Hebeler ZBR 2004, 80 ff, und Vogelgesang ZfPR 2003, 194 ff. Sa ders, Tendenzen in der neueren Rechtsprechung des BVerwG zum Personalvertretungsrecht, ZTR 2003, 366 ff. Zur Mitbestimmung in Eigengesellschaften (so Rn 9) Ossenbühl ZGR 1996, 504 ff. Zu den Besonderheiten bei der Bundeswehr Gronimus PersV 2003, 123 ff.

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modifiziertes Pendant zum Betriebsverfassungsrecht der privaten Wirtschaft dar. Dem Begriff des Betriebes entspricht dabei die Dienststelle, dem Unternehmer der Dienststellenleiter, als Mitbestimmungsorgane sind der Personalrat (vgl den Betriebsrat) und die Personalversammlung (vgl die Betriebsversammlung) einzurichten. Geregelt ist das Personalvertretungsrecht im BPersVG und den innerhalb seiner Rahmenvorschriften (§§ 95 bis 106 BPersVG) geschaffenen Personalvertretungsgesetzen der Länder; unmittelbar gelten in den Ländern die §§107 bis 109 BPersVG. Gemäß der Mehrspurigkeit des öffentlichen Dienstes setzen sich die Personalräte aus Gruppen („Gruppenprinzip“) für Beamte, Angestellte oder Arbeiter zusammen. Der Aufbau der Personalvertretung entspricht dem hierarchischen Verwaltungsaufbau, so dass im Bereich mehrstufiger Verwaltungen Bezirkspersonalräte (bei den Mittelbehörden) und Hauptpersonalräte (bei den obersten Dienstbehörden) errichtet werden (Stufenvertretungen). Grundgedanke der Personalvertretung ist, den Bediensteten die eigene Interes13 senvertretung in der Dienststelle zu ermöglichen. Sie erhalten so die Möglichkeit, sich an der Bewältigung von Interessenkonflikten zu beteiligen, die typischerweise in einer arbeitsteiligen Organisation auftreten. Ob Mitbestimmung im öffentlichen Dienst verfassungsgeboten ist und wo ihre verfassungsrechtlichen Grenzen gezogen sind, ist im Grundsätzlichen wie in den Einzelheiten umstritten.30 Die Unsicherheit über die verfassungsrechtlichen Vorgaben prägt auch die Diskussion über die Inhalte einzelner Landespersonalvertretungsgesetze und deren Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht.31 Im Grunde standen sich langjährig zwei Positionen gegenüber: das Drängen nach weit reichender, teils über die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsrecht noch hinausreichender Beteiligung einerseits, die Betonung der Unterschiede zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Sektor unter Hinweis auf dessen Verfassungsbindung andererseits, beide Positionen geprägt von unterschiedlichen Verständnissen des Demokratieprinzips. In einer Entscheidung v 24. 5. 1995 hat das Bundesverfassungsgericht 32 die Beteiligungsrechte von Beschäftigtenvertretungen im öffentlichen Dienst als Einschränkungen des Demokratieprinzips begriffen, welche aber im Interesse der Beschäftigten gerechtfertigt sein können. Es hat damit derartige Mitbestimmung für nicht grundsätzlich unzulässig erklärt, aber ihre verfassungsrechtlichen Grenzen deutlich betont. Diese Grenzen werden im Blick auf den genannten Schutzzweck, aber auch auf die gebotene Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Entscheidungsträgers („Verantwortungsgrenze“) markiert. Über den Verfahrensgegenstand (des MBG Schl-H) 33 hinaus hat das Gericht damit weit reichenden Korrekturbedarf im Personal30

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Vgl aus der älteren Rspr BVerfGE 9, 268 ff; HessStGH PersV 1986, 227 ff; aus dem Schrifttum Lecheler NJW 1986, 1079 ff; Schenke JZ 1994, 1025 ff. Vgl für Nordrhein-Westfalen Krüger PersV 1990, 242 ff; für Schleswig-Holstein Schuppert PersR 1993, 1 ff; Bryde PersR 1994, 4 ff; für Rheinland-Pfalz Schuppert PersR 1993, 521 ff; für Sachsen Thiele ZTR 1993, 487 ff; für Sachsen-Anhalt Hütter ZTR 1993, 491 ff; für Hessen Battis RdA 1993, 129 ff; für Niedersachsen Thiele PersV 1994, 337 ff. BVerfGE 93, 37 ff; dazu Kisker PersV 1995, 529 ff; Becker RiA 1996, 261 ff; Ehlers Jura 1997, 180 ff; v Mutius FS Kriele 1997, 119 ff. Dazu zuvor Schuppert PersR 1993, 1 ff; s danach ders PersR 1997, 137 ff.

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vertretungsrecht ausgelöst und den Gesetzgebern dabei wenig Spielräume gelas- 14 sen.34 Die Personalräte 35 verfügen über unterschiedliche Beteiligungsrechte, die in den Gesetzen – getrennt für Beamte einerseits, für Arbeiter und Angestellte andererseits – katalogartig aufgeführt sind. Sie unterscheiden sich nach voller Mitbestimmung, eingeschränkter Mitbestimmung und bloßer Mitwirkung.36 Volle Mitbestimmung bedeutet, dass eine Entscheidung nur mit der Zustimmung des Personalrates getroffen werden kann. Wird sie verweigert und ist eine Einigung nicht zu erzielen, so hat der Leiter der Dienststelle oder der Personalrat die Möglichkeit, die Angelegenheit der obersten Dienstbehörde vorzulegen. Hier vollzieht sich dann die Mitbestimmung der dort bestehenden Personalvertretung. Im Falle der Nichteinigung auch auf dieser Ebene entscheidet eine unabhängige Einigungsstelle. Bei eingeschränkter Mitbestimmung führt die Verweigerung der Zustimmung des Personalrates zur Vorlage an die Einigungsstelle, die sodann eine Empfehlung an die oberste Dienstbehörde richten kann, welche die endgültige Entscheidung trifft. Bei bloßer Mitwirkung hat der Personalrat lediglich das Recht der Anhörung, dh auf Unterrichtung und Ermöglichung einer Stellungnahme. Die Personalversammlung ist die Versammlung aller Bediensteter einer Dienst- 15 stelle. Als ordentliche Personalversammlung ist sie jährlich abzuhalten, kann aber auch als außerordentliche Versammlung einberufen werden. Auf der Jahresversammlung erstattet der Personalrat einen Tätigkeitsbericht. Die Personalvertretung kann darüber hinaus nur Angelegenheiten behandeln, die in die Zuständigkeit des Personalrats fallen, Anträge an ihn richten und Stellungnahmen zu seinen Beschlüssen verabschieden. Mit rechtlicher Bindung kann sie nicht auf den Personalrat einwirken.

II. Zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Dienstes 1. Zur geschichtlichen Entwicklung 37 Staatsdiener gibt es seit der Herausbildung von Staatlichkeit, Beamtenrecht dagegen 16 ist ein Phänomen der Neuzeit, das (heutige) Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst hat seine Wurzeln erst im 19. Jahrhundert. Während der Regie34

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Krit unter diesem Aspekt Battis/Kersten DÖV 1996, 584, 587 f; zu den Konsequenzen für Schl-H dies, PersV 1998, 21 ff, für BW Beeretz VBlBW 1996, 401 ff. Einführend zu ihren Aufgaben am Bsp des bayerischen Rechts: Schmitt BayVBl 1985, 7 ff. Vgl dazu Laubinger VerwArch 76 (1985) 459 ff (auch zum Verhältnis von Personalvertretungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht); zur Rspr Becker ZBR 1991, 321 ff; vgl a VGH Kassel NZA 1994, 903 ff sowie ThürVerfGH PersV 2004, 252, mit Anm Lecheler PersV 2004, 244. Dazu Hattenhauer Geschichte des Beamtentums, 2. Aufl 1993; Thiele Die Entwicklung des deutschen Berufsbeamtentums – Preußen als Ausgangspunkt modernen Beamtentums, 1981; Püttner in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg) Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd 5, Die Bundesrepublik Deutschland, 1987, 1124 ff; Hübener/Hübscher ZBR 1998, 407 ff; sa Summer Dokumente zur Geschichte des Beamtenrechts, 1986.

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rungszeit Friedrich Wilhelms I. von Preußen (1713–1740) wurden Dienstverhältnisse zunehmend durch einseitige Hoheitsakte begründet und beendet. Aus Dienern des Landesherrn wurden im Laufe der Entwicklung Staatsdiener, die über einen in Ansätzen gegenüber der Einwirkung des Dienstherrn gesicherten rechtlichen Status verfügten. Mit zunehmender Erkenntnis der organisatorischen und personalen Anforderungen an eine effektive Verwaltung prägte sich – oft wird gesagt: vor allem in Preußen – ein spezifisches Amtsethos aus. Es setzte sich die Auffassung durch, dass gegenüber Dienstverhältnissen im gesellschaftlichen Bereich andersartige Strukturen erforderlich seien. Hier liegen Wurzeln für die heute im GG anzutreffenden spezifischen Aussagen zum Beamtentum und für seine moderne einfachgesetzliche Ausgestaltung; gemeinsam mit den rechtsstaatlichen und föderalen Elementen des GG charakterisieren sie dieses als eine in deutscher Tradition stehende, auch im Kreis von der Grundkonzeption her vergleichbarer europäischer Verfassungsgesetze eigenständige Verfassung. Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 dokumentiert die Entwicklun17 gen der vorangegangenen Jahrzehnte textlich und terminologisch: Sein Abschnitt „Von den Rechten und Pflichten der Staatsdiener“ (Teil II Titel 10) forderte Eignung und Qualifikation, statuierte den Grundsatz lebenslanger Amtstätigkeit in besonderer Loyalität, begrenzte die Möglichkeit der Entlassung materiell wie verfahrensmäßig. Zunächst in Bayern (1805), dann in Württemberg (1821) folgten eigenständige beamtenrechtliche Kodifikationen.38 Im Zuge der Herausbildung moderner Verfassungsstaatlichkeit in Deutschland nahmen die ersten Konstitutionen auf das Beamtentum Bezug. Nach der Reichsgründung von 1871 wurde ein Reichsbeamtengesetz (1873) – für den Reichsdienst – geschaffen. Weniger infolge legislativer Akte als durch seinen administrativen Beitrag zum Aufschwung Preußens vor und nach der Reichsgründung gewann das preußische Beamtentum modellhaften Charakter. Die WRV von 1919 fixierte „Grundsätze“ für das Beamtenverhältnis (vgl Art 129 WRV), so (zB) die Anstellung auf Lebenszeit, eine Garantie „wohlerworbener Rechte“, den Gesetzesvorbehalt für Amtsenthebung, Versetzung, Versorgung und die Verpflichtung auf die Allgemeinheit; die WRV ging deutlich stärker in Details als das GG, sprach etwa auch das Einsichtsrecht des Beamten in Personalakten an. Der Übergang von der Monarchie zur Republik veränderte die Grundlagen vorherigen Beamtentums.39 Der sog Führerstaat 40 knüpfte durchaus an Weimarer Entwicklungslinien an. 18 Schon am 7. 4. 1933 wurde freilich das die Entfernung unerwünschter Beamter legalisierende, auf „Unzuverlässigkeit“ im Sinne der nationalsozialistischen Bewegung und auf rassische Kriterien abstellende Gesetz zur Wiederherstellung des Be38

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Dazu Wunder Privilegierung und Disziplinierung. Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg (1780–1825), 1978. Zu Bayern ferner Hamm ZBR 1998, 151 ff. Vgl dazu Morsey u Fenske in: 25 J Hochschule f VerwWiss Speyer 1972, 101 ff bzw 117 ff. Vgl dazu § 1 des G über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches v 1. 8. 1934 (RGBl I 747): „Das Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Infolgedessen gehen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über. Er bestimmt seinen Stellvertreter.“ – S dazu Müller-Dietz Jura 1991, 505 ff.

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rufsbeamtentums 41 erlassen. Es unternahm den Versuch, die Beamtenschaft auf die Loyalität zu einer Person – unter namentlicher Nennung Adolf Hitlers in der Gesetzespräambel – zu verpflichten. Parteizugehörigkeit wurde zum wesentlichen Kriterium für den Zugang zum Dienst.42 Auch das Deutsche Beamtengesetz von 1937 43 war von der Ideologie des Nationalsozialismus geprägt. Private Dienstverhältnisse mit öffentlichen Dienstgebern hatten sich schon in der 19 Zeit der konstitutionellen Monarchie entwickelt,44 weil dem Staat daran gelegen war, Rechtsbeziehungen zu schaffen, die leichter beendbar waren als das Beamtenverhältnis und nicht dessen Versorgungslasten mit sich brachten. Die Fülle der Staatsaufgaben, denen sich deutsche Staaten des 19. Jahrhunderts stellten, legten solche Art der Flexibilisierung nahe. Annäherungen beider Diensttypen brachte schon die Weimarer Zeit, nachhaltig dann der Nationalsozialismus.45 Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs waren die Beamtenverhältnisse 20 erloschen.46 Die Nachkriegszeit in deutscher Zweistaatlichkeit sah auf dem Gebiet der Bundesrepublik zunächst die erneute Aufsplitterung des Beamtenrechts in Ländergesetze, in der sowjetischen Besatzungszone und nachmaligen DDR die Abschaffung des Berufsbeamtentums.47 Das GG suchte – zunächst war das nicht unumstritten – an Traditionen der Entwicklung des deutschen Beamtenrechts anzuknüpfen.48 Die Bundesrepublik gelangte durch BBG (1953) und BRRG (1957) zur Rechtsvereinheitlichung des Beamtenrechts, erst in späteren Jahren zur Vereinheitlichung auch des Besoldungs- (1971) und des Versorgungsrechts (1976). Die Zweispurigkeit blieb gewahrt, für Angestellte und Arbeiter damit grundsätzlich das BGB der Ausgangspunkt, dessen Regelungen aber zunehmend überlagert wurden durch tarifvertragliche Regelungen, welche wiederum eine Annäherung an das Beamtenverhältnis bewirkten. Dieser Rechtszustand wurde durch die deutsche Einigung am 3. 10. 1990 auch für die Bundesrepublik in den neuen Grenzen maßgeblich. Der Einigungsvertrag v 31. 8. 1990 49,50 hat keine Änderungen im Wortlaut des 21 GG herbeigeführt, die für das Recht des öffentlichen Dienstes unmittelbar relevant 41

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RGBl I 175; s dazu Kremer DöD 1993, 204 ff. – S a das G zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des allgem Beamtenrechts v 30. 6. 1993 (RGBl I 433). Zum Beamtentum in der NS-Zeit Mommsen Beamtentum im Dritten Reich, 1966; Roth FS Claussen, 1988, 25 ff; Mühl-Benninghaus Das Beamtentum in der NS-Diktatur bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges, 1996. RGBl I 39. Dazu Otto Das Recht der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst, 1973, 24 ff. Vgl – zB – das G zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben v 23. 3. 1934, RGBl I 220. Vgl dazu BVerfGE 3, 58, 76 ff; s ferner Bachof DÖV 1954, 33 ff; H. Peters JZ 1954, 589 ff; eingehend Langhorst Beamtentum und Art 131 des Grundgesetzes, 1994. S die Nachw u Fn 52. Vgl dazu Schwegmann (Hrsg), Die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums seit 1945. Geburtsfehler oder Stützpfeiler der Demokratiegründung in Westdeutschland?, 1986; Grotkopp Beamtentum und Staatsformwechsel, 1992; Morsey DÖV 1993, 1061 ff. BGBl II 889. Eingehende Darstellung der dienstrechtsbezogenen Inhalte von „Staatsvertrag I“ (Vertrag

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sind.51 Allerdings ist Art 131 GG, der die Rechtsverhältnisse von am 8. 5. 1945 im öffentlichen Dienst tätig gewesenen Personen betrifft, im Beitrittsgebiet nicht in Kraft gesetzt worden (Art 6 EV). Demzufolge sind auch mehrere thematisch in diesen Zusammenhang gehörige Gesetze entgegen der Grundregel des Art 8 EV nicht auf das Beitrittsgebiet erstreckt worden (s Anlage I Kap II Sachgebiet B, Abschn I). Art 33 Abs 4 GG, der Funktionsvorbehalt für die Beamten, wurde in Art 20 Abs 2 22 EV insofern aufgenommen, als danach die Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse auch im Beitrittsgebiet „sobald wie möglich“ Beamten zu übertragen war. Eine Protokollnotiz zu Art 20 Abs 2 EV vermerkt, dass die Einführung des Beamtentums entsprechend den für die Personalausstattung der für die bisherige Bundesrepublik maßgebenden Grundsätze für auf Dauer erforderliche Funktionen zu erfolgen habe – was im Vorgriff auf die Postreform und die Privatisierung der Bahnen (su Rn 26) insoweit nicht umgesetzt wurde. Überleitungsvorschriften und übergangsweise eingeführte Rechtsänderungen im 23 Bereich des öffentlichen Dienstrechts ergeben sich aus Anlage I Kap XIX EV, wobei etwa für die Besoldung und Versorgung der Übergang zeitlich gestreckt wurde. Besonderer Regelungsbedarf bestand naturgemäß bezüglich der personalen Kontinuität. Die Rechtsordnung der DDR kannte lediglich Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst.52 Die Anlage regelt die Fortgeltung und Überführung dieser Dienstverhältnisse auf neue Dienstherren und die befristete Fortgeltung der bisherigen Arbeitsbedingungen bis zu tarifvertraglichen Vereinbarungen, des Weiteren zusätzliche Gründe für ordentliche und außerordentliche Kündigungen, insbesondere aus Bedarfs- und Qualifikationsgründen, aber auch wegen Verstoßes gegen Menschenrechte oder Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit.53 Das Bundesverfassungsgericht hat positiv zu der Verfassungsmäßigkeit einzelner Sonderkündigungstatbestände Stellung genommen, dabei aber auch rechtsstaatliche Maßgaben zu ihrer Begrenzung herausgearbeitet.54 Auch die Regelungen des EV, nach denen

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über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion v 18. 5. 1990; BGBl II 537) und EV bei Weiß ZBR 1991, 1 ff. Zum Verhältnis des Einigungsvertrages zum GG s Stern DtZ 1990, 289 ff; Merten Grundfragen des Einigungsvertrages unter Berücksichtigung beamtenrechtlicher Probleme, 1991. Dazu Leissner Verwaltung und öffentlicher Dienst in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 1961; Jacobs Das Recht des Staatsdienstes in der DDR, Diss Würzburg 1975; Unverhau ZBR 1987, 33 ff; Mampel Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Aufl 1982, Rn 31 ff zu Art 21; Überlegungen zu „Beitritt und Beamtentum“ kurz vor dem Ende der DDR bei Goerlich JZ 1990, 675 ff; sa Bernet DÖV 1991, 185 ff u ZBR 1991, 40 ff. Zur Überleitung des im öffentlichen Dienst beschäftigten Personals der DDR Trute in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 125 Rn 57 ff; ders Die Überleitung des Personals der ehemaligen DDR zwischen Kontinuität und Neubeginn, 1997. Zur Rechtsprechung des OVG Bbg bzgl Einstellungspraxis und Entlassungen von ehemaligen MfS-Mitarbeitern Schwarz LKV 2003, 77. S BVerfGE 92, 140 ff → JK GG Art 12 I/38 u dazu Goerlich JZ 1995, 800f; BVerfG DVBl 1997, 1169 ff; sa BVerfG LKV 1998, 141f zu einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde. – S zu dem Fragenkreis ferner Schlink FS Böckenförde 1995, 341 ff; Hantel NJ 1995, 169 ff; Rauscher FS Gitter 1995, 757 ff; Neumann FS Wlotzke 1996, 83 ff; Patermann DtZ 1997, 242 ff.

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Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten bei infolge der Umgestaltung der Verwaltung abzuwickelnden öffentlichen Einrichtungen zum Ruhen gebracht und zu befristen waren, sind von dem Bundesverfassungsgericht für im Wesentlichen verfassungsgemäß erachtet worden.55 Für die Übernahme in das Beamtenverhältnis wurden unbeschadet der für den Übergang angeordneten entsprechenden Geltung des BBG besondere Maßgaben errichtet, die grundsätzlich die Möglichkeit der Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe vorsahen.56 Seither hatten sich die Gerichte mehrfach mit der Inanspruchnahme allgemeiner beamtenrechtlicher Eingriffsgrundlagen gegenüber als belastet angesehenen Bediensteten zu befassen (su Rn 82).

2. Reformfragen Vor allem gegen Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde ein- 24 gehend erwogen, ein einheitliches Dienstrecht zu schaffen. Angesichts der durch Art 33 Abs 4 GG (dazu u Rn 31) erfolgten Festschreibung der bei der Verfassungsgebung vorgefundenen Zweiteilung und des Regelungsauftrags des Art 33 Abs 5 GG (dazu u Rn 37) warf das auch die Frage nach Möglichkeit und Sinn von Verfassungsänderungen auf. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Studienkommission für die Reform des Dienstrechts 57 legte einen Bericht vor, der die Bundesregierung dazu veranlasst hat, statt einer grundlegenden Strukturreform eine anpassende Weiterentwicklung des Dienstrechts zu betreiben.58 Für die letzten Jahre der Bundesrepublik im alten territorialen Zuschnitt standen im Mittelpunkt der Entwicklung zB Vorhaben, die auf die zunehmende Staatsverschuldung reagierten (Angleichung der Beamtenversorgung an die Altersversorgung nach dem Sozialversicherungssystem) oder arbeitsmarktpolitische und familienpolitische Ziele verfolgten (zB Teilzeitdienst). Die Dimension jeder Diskussion um Veränderungen des Dienstrechts erweist sich 25 auch an Zahlen.59 Im Öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland waren Mitte 2003 knapp 4,8 Mio Beschäftigte (inkl Soldaten und Richter) tätig, von denen gut 3,4 Mio den Beruf als Vollzeitbeschäftigte und 1,3 Mio als Teilzeitbeschäftigte (letztere mit steigender Tendenz) ausübten. Weitere 1,1 Mio waren bei rechtlich selbständigen Unternehmen mit mehrheitlich öffentlicher Beteiligung beschäftigt. Die größte Beschäftigtengruppe waren die Angestellten (2,30 Mio) vor den Beamten (1,88 Mio) und den Arbeitern (0,60 Mio); es überwogen also die 55

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BVerfGE 84, 133 → JK GG Art 12 I/26 (Ausnahme: Durchbrechung des Mutterschutzes); s dazu Hauck-Scholz LKV 1991, 225 ff; Beseler PersR 1993, 537 ff. Zur Startphase des öffentlichen Dienstrechts, insbes des Beamtenrechts, in den neuen Bundesländern etwa Lecheler ZBR 1991, 48 ff; Püttner DÖV 1991, 327 ff; Battis NJ 1991, 89 ff; Box LKV 1991, 87 ff; Pitschas (Hrsg), Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern, 1993; Wagner DöD 1993, 81 ff; im weiteren Zusammenhang der Erstreckung des Verwaltungsrechts auf die neuen Länder Kunig Jura 1994, 595 ff. Überblick zu den Beamtengesetzen der neuen Länder bei Battis/Lühmann LKV 1994, 197 ff. Vgl Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstes, 1973, 12 Bde. Vgl dazu Siedentopf ZBR 1986, 153 ff. Das folgende nach Kriete-Dodds Beschäftigte der öffentlichen Arbeitgeber am 30. Juni 2003, Wirtschaft und Statistik 2004, 992 ff.

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nichtbeamteten Dienstnehmer. Insgesamt ist die Zahl der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst seit den 90er Jahren rückläufig gewesen, was sich unmittelbar aus der Belastungslage öffentlicher Haushalte erklärt und eine Parallele in zahlreichen anderen europäischen Staaten findet. Die Zahlen belegen auch, dass das Beamtenverhältnis – nach Art 33 Abs 4 GG 26 Regeltypus im öffentlichen Dienst – insgesamt quantitativ zurücksteht. Auch im Grundsätzlichen wird nach wie vor über das rechte Verhältnis des Einsatzes der Diensttypen gestritten.60 Die Strukturdiskussion ist als juristische Diskussion vielschichtig, weil verfassungsrechtliche Weichenstellungen, einfach-gesetzliche Regelungen über die Begründung von Beamtenverhältnissen, aber auch das europäische Recht hier von Bedeutung sind. Von unterschiedlicher Warte wird die Beschäftigungspolitik der Dienstgeber teilweise interpretiert als von Tendenzen zur „Verbeamtung“ gekennzeichnet, teilweise werden aber auch „Entbeamtungsaktionen“ vermerkt (und angeprangert).61 Je nach Ausgangspunkt wird etwa Art 33 Abs 4 GG als unerfüllt gerügt, andererseits die Norm auch als Sperre für Verbeamtungen interpretiert (dazu u Rn 32). Von einigen wird Art 33 Abs 4 GG im Licht der europarechtlichen Vorgaben „eng“ ausgelegt, andere fordern, die Norm als Bollwerk der integrativen Tendenz zur Freizügigkeit innerhalb des öffentlichen Dienstes der Mitgliedsstaaten entgegenzuhalten. Die zunehmende Verlagerung der Diskussion auf die europarechtliche Ebene lässt den jahrelangen Streit um die Struktur des öffentlichen Dienstes und seine Reform (so Rn 24) also in einem neuen Licht erscheinen. Er gehört in den größeren Zusammenhang auch der Auseinandersetzung über die Wünschbarkeit der Privatisierung staatlicher Aufgabenwahrnehmung (realisiert für Bahnen und Flugsicherung, weitgehend auch für die Post). Dabei wird zuweilen (auch hier) verkannt, dass das – an dieser Stelle insoweit nicht näher auslotbare – Verfassungsrecht dem politischen Ringen um angemessene Lösungen erhebliche Spielräume lässt.62 Das gilt angesichts der Grundsatzentscheidung für den Beamtentypus, die Art 33 Abs 4 GG darstellt (su Rn 31 ff), weniger bei lediglich formeller Privatisierung (als Wahl eines privatrechtlichen Organisationstypus), wohl aber 60

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Zur Zweispurigkeit aus ökonomischer Sicht Langer Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst aus der Sicht von Segmentationsansätzen, 1989; Henneberger Arbeitsmärkte und Beschäftigung im öffentlichen Dienst, 1997. Vgl – im Rahmen rechtswissenschaftlicher Begutachtung – einerseits Lecheler Die Verfassungspflicht der Dienstherrn zum Einsatz von Beamten bei der Erfüllung staatlicher Daueraufgaben, dargestellt an den Beispielen der Bundesbahn, der Bundespost und der staatlichen allgemeinbildenden Schulen, 1989, andererseits Dörr Für eine zukunftsorientierte Personalstruktur des öffentlichen Dienstes – Die Abgrenzung von Beamten und Angestellten unter Einbeziehung des EWG-Rechts, 1990; zusammenfassend ders EuZW 1990, 565 ff; vgl a Reinhardt AöR 118 (1993) 617 ff, 621. Zu den Postreformen I u II etwa Schatzschneider NJW 1989, 2371 ff; Gramlich NJW 1994, 2785 ff; F. Kirchhof NVwZ 1994, 1041 ff; vgl a Pestalozza Jura 1994, 561, 571f. Zur Bahnreform vgl Lecheler NVwZ 1989, 834 ff; Fromm DVBl 1994, 187 ff; unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Schmidt-Aßmann/Röhl DÖV 1994, 577 ff; Benz DÖV 1995, 692 ff. Zur Flugsicherung s §§ 27c–31a LuftVG sowie Epping JZ 1991, 1102 ff. – Allgem zur „Privatisierung“ Püttner LKV 1994, 193 ff; König/Benz (Hrsg), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997.

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im Blick auf die Möglichkeit, ehedem in staatlicher Regie wahrgenommene Aufgaben auch materiell der Wahrnehmung Privater zu überlassen.63 Die Dienstrechtsreform steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dis- 26a kussion über die Aufgabenbestimmung des Staates, wie sie politisch geführt und sozialwissenschaftlich begleitet wird.64 Das Dienstrecht ist dabei nur ein Einzelelement auf der Suche nach optimierender Umgestaltung. In Frage steht etwa auch der Zustand des Haushaltsrechts sowie allgemein des Organisationsrechts der Verwaltung. Was den öffentlichen Dienst anlangt, so hat der Gesetzgeber des Bundes mit dem Dienstrechtsreformgesetz v 24. 2. 1997 65 eine Zwischenschritt bleibende Modernisierung unternommen. Ihre Leitlinien sind Stärkungen des Leistungsprinzips, die Erleichterung von Entscheidungen über den Personaleinsatz, eine weitere Akzentuierung der Flexibilität der Arbeitszeit, dazu die Minderung der drastisch angewachsenen Versorgungslasten öffentlicher Hände, schließlich die Bekämpfung der Korruption.66 Das Ziel einer Kräftigung des Leistungsprinzips hat zu besoldungsrechtlichen Veränderungen 67 geführt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Vergabe von Führungspositionen auf Probe (vgl § 24 a BBG) und auf Zeit (vgl § 12 b BRRG, su Rn 63 f) 68. Der Erleichterung des Personaleinsatzes dienen Veränderungen bei den Instituten der Versetzung und Abordnung (su Rn 112 ff) 69 sowie der 63

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Vgl dazu die Überlegungen bei Schuppert Staat 32 (1993) 581 ff. Vgl zur Parkraum-/Verkehrsüberwachung KG NJW 1997, 2894 ff; Scholz NJW 1997, 14 ff; zur Sonderabfallentsorgung OVG Lüneburg NdsVBl 1998, 16 ff. Vgl dazu etwa Busse DÖV 1996, 398 ff; König VerwArch 87 (1996) 19 ff; Meyer-Teschendorf/Hofmann DÖV 1997, 268 ff. Aus dem Blickwinkel der allgem Staatslehre, auch rechtsvergleichend, Saladin Wozu noch Staaten?, 1995. G zur Reform des Öffentlichen Dienstrechts, BGBl I 322; dazu Battis NJW 1997, 1033 ff; Schnellenbach NVwZ 1997, 521 ff; Lecheler ZBR 1998, 223 ff; im Vorfeld ders ZBR 1996, 1 ff; Wolff ZRP 1996, 479 ff; Bredendiek/Meier NVwZ 1996, 444 ff. S ferner Adolf/Durner G zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, 1997; Ehrhardt G zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, 1997. S das G zur Bekämpfung der Korruption v 13. 8. 1997, BGBl I 2038 mit Änderung der §§ 39, 43 BRRG, des § 70 BBG sowie der BDO. S Claussen (Hrsg), Korruption im öffentlichen Dienst, 1995; Pfeiffer NJW 1997, 797 ff; Lüderssen JZ 1997, 112 ff; Bottke ZRP 1998, 215 ff; sa Roßbach DÖV 1996, 450 ff; Schiemann, NJW 2001, 1262 ff; zur Pflicht eines Beamten, erlangte „Schmiergelder“ an seinen Dienstherren heraus zu geben, BVerwG DöD 2002, 170 f. Sa Zetzsche Anspruch der öffentlichen Hand auf Schmiergeldablieferung, Anm zu BGH wistra 2004, 391 ff. S zB § 42 BBesG, Leistungsprämien und Leistungszulagen; dazu Böhm ZBR 1997, 101 ff. S ferner Bull DÖV 1995, 592 ff. So ergingen das Bundesbesoldungs- u Versorgungsanpassungsgesetz v 19. 4. 2001 (BGBl I 618), dazu Meier, ZBR 2001, 345 ff, sowie das Besoldungsstrukturgesetz v 21. 6. 2002 (BGBl I 2138), beides Artikelgesetze mit zahlreichen Änderungen der einschlägigen Bundesgesetzgebung. Die bayerische Regelung für einen Verstoß gegen das Lebenszeitprinzip haltend BayVerfGH, BayVBl 2004, 111. Zur Personalumschichtung im Zuge des Personalabbaus innerhalb des öffentlichen Dienstes und den neuen, landesrechtlich unterschiedlichen Regelungsmodellen (Stellenbörse, Personalvermittlungstelle und Stellenpool) Battis/Kersten DÖV 2004, 596 ff; speziell zum Berliner Modell des zentralen Stellenpools Gottwald NJ 2004, 197 ff.

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Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen solche Entscheidungen (s § 126 Abs 3 Nr 3 BRRG u Rn 179). Verändert wurden auch die Rechtsgrundlagen für Teilzeitbeschäftigung und Dauerurlaub (vgl § 72 a BBG, § 44 a BRRG, u Rn 131). Im Bereich der Versorgung sind zahlreiche Einschnitte zu Lasten der Bediensteten erfolgt.70 Der mit dem Dienstrechtsreformgesetz eingeschlagenen Tendenz folgt auch der 26b sog Bull-Bericht der Regierungskommission des Landes NRW zur Zukunft des öffentlichen Dienstes vom 27. 1. 2003 71, der im Wesentlichen eine Angleichung des öffentlichen Dienstrechts an das allgemeine Arbeitsrecht unter Überwindung der bisherigen Zweiteilung, ein Leistungsanreizsystem,72 die Einführung von Zielvereinbarungen auf verschiedenen Ebenen sowie erweiterte Handlungsspielräume für die ausführenden Instanzen bei weniger Vorschriften „von oben“ empfiehlt, sowie das Eckpunktepapier 73 von Bundesregierung, Beamtenbund und Dienstleistungsgewerkschaft vom 4. 10. 2004. Letzeres betont die Vermeidung dauerhafter Mehrkosten, die Unverzichtbarkeit lebensälterer Beamter, die Bedeutung von Fortbildungsmaßnahmen, die Förderung der Mobilität zwischen privaten und öffentlichen Karrieren und die Flexibilität der Arbeitszeit. – Die weitere Zukunft des öffentlichen Dienstrechts in Deutschland wird maßgeblich beeinflusst sein auch von den Entwicklungen des europäischen Kontexts (su Rn 27 f). Gerade dem Beamtenrecht kann dabei auf dem Weg zu einem europäischen Verwaltungsrecht 74 eine wichtige Rolle zukommen.75

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Etwa: Bei Frühpensionierung wegen Dienstunfähigkeit nunmehr Berechnung der Versorgung aus der erreichten Dienstaltersstufe statt aus dem Endgrundgehalt, Ausnahme: Dienstunfall, vgl § 5 Abs 1 BeamtVG. Zusammenfassend mit Auflistung der derzeitigen Mängel und Reformzielen der Kommissionsvorsitzende Bull RuP 2003, 15 ff, und DÖV 2004, 155 ff. Auf die Vorschläge eingehend Behrens/Münch ZRP 2003, 329 ff; Remmert JZ 2005, 53 ff. Sa Loschelder ZBR 2003, 12 ff; Schönenbroicher DöD 2003, 149 ff. Mit weitergehenden Vorschlägen zur Eindämmung der zunehmenden Privatisierung Janssen ZBR 2003, 113 ff. Kritisch zu den Ansätzen leistungsbezogener Besoldung Kutscha RuP 2003, 145 ff. S Zusammenfassung der Verhandlungsergebnisse von Schily, Heesen und Bsirske ZTR 2004, 570 ff. Zur Begrifflichkeit u zu den „Schichten“ des „europäischen“ Verwaltungsrechts, zu dem auch die nationalen Verwaltungsrechte als Basis und Fundus zu rechnen sind, systematisch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap 7 Tz 12 ff. Vgl Rieckhoff Die Entwicklung des Berufsbeamtentums in Europa, 1993; Siedentopf FS Schnur 1997, 327 ff; Niedobitek in: Magiera/Siedentopf (Hrsg), Öffentlicher Dienst, 11 ff; zum Austausch von Beamten im Rahmen eines Aktionsprogrammes der EU ders DV 31 (1998) 81 ff; dabei richtet sich der Blick auch über die derzeitigen Mitgliedstaaten der EU hinaus, vgl beispielhaft (für Russland) Starilow ZBR 1995, 260 ff sowie (für Bulgarien) Minz ZBR 1996, 41 ff.

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6. Kap III 1

III. Die Rechtsetzungsebenen im Recht des öffentlichen Dienstes und ihre Regelungsfelder 1. Völkerrecht und europäisches Recht Die internationale (im Gegensatz zur „supranationalen“) Rechtsetzungsebene hatte 27 bisher für das innerstaatliche Dienstrecht kaum Bedeutung. Einzelstaatliches Recht des öffentlichen Dienstes blieb von völkerrechtlichen Vorgaben wenig berührt, weil und insoweit dessen Ausgestaltung der nationalen Souveränität überantwortet ist. Seit dem Aufschwung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes und seiner institutionellen Verfestigung muss sich allerdings auch das Recht des öffentlichen Dienstes an den internationalen Menschenrechtsstandards messen lassen 76. So ist der EGMR 77 zu dem Schluss gelangt, der Bundesrepublik sei im Zusammenhang mit der beamtenrechtlichen (Verfassungs-)Treuepflicht (su Rn 76f) in einem Einzelfall ein Menschenrechtsverstoß vorzuhalten gewesen. Schon bald nach dem 2. Weltkrieg hatte die – bereits 1919 gegründete – Internationale Arbeitsorganisation78 ihre Bemühungen um den Schutz der Rechte von Arbeitnehmern nachhaltig ausgebaut; sie gibt Empfehlungen und Stellungnahmen ab und erarbeitet internationale Übereinkommen, deren Annahme sie den Mitgliedstaaten empfiehlt, und sie überwacht deren Einhaltung. Das betrifft auch Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst.79 Mit dem Allgemeinen Völkerrecht ist es vereinbar, wenn ein Staat den Zugang 28 zum öffentlichen Dienst grundsätzlich allein den eigenen Staatsangehörigen eröffnet. Die europäische Integration zielt demgegenüber auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in allen Mitgliedstaaten (Art 39 EGV). Zu den „Arbeitnehmern“ zählen insoweit auch die Beamten. Das deutsche Recht hatte den Beamtenstatus bisher grundsätzlich den Deutschen (Art 116 Abs 1 GG) vorbehalten, während der Abschluss von Dienstverträgen über Angestellten- oder Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst unabhängig von der Staatsangehörigkeit war (vgl u Rn 75). Die Freizügigkeit ist europarechtlich allerdings nicht auf die Beschäftigung in der „öffentlichen Verwaltung“ erstreckt (Art 39 Abs 4 EGV). Die Reichweite dieses Begriffes ist umstritten.80 Nach Auffassung der Kommission der EG unterfallen ihm 76 77 78

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S dazu im Überblick Widmeier ZBR 2002, 244 ff. NJW 1996, 375 ff → JK EMRK Art 10/2; Roggemann NJ 1996, 338 ff. Dazu einführend Ganser-Hillgruber ZBR 1998, 15 ff; Samson in: Bernhardt (Hrsg), Encyclopedia of Public International Law 5 (1993) 87 ff; Text des Gründungsstatuts: Kunig/ Lau/Meng (Hrsg), International Economic Law, 2. Aufl, 1992, 42 ff. Vgl die Stellungnahme zum Streikrecht und Streikeinsatz von Beamten – dazu u Rn 173, 189 –, 291. Bericht des ILO-Ausschusses für Vereinigungsfreiheit vom 10. 11. 1993, No 1692; dazu Lörcher ArbuR 1993, 279 ff. Zum Fragenkreis ILO und Verfassungstreuepflicht eingehend Voegeli Völkerrecht und „Berufsverbote“ in der Bundesrepublik Deutschland, 1995. Vgl dazu Everling DVBl 1990, 225 ff; Lecheler ZBR 1991, 97 ff; Badura FS Everling Bd 1, 1995, 33 ff; Hillgruber ZBR 1997, 1 ff; Summer, 282 ff. – Eingehend und unter Würdigung der Rspr des EuGH – Art 39 Abs 4 EGV (früher Art 48 Abs 4) sei so auszulegen, dass seine Tragweite sich auf dasjenige beschränke, was zur Wahrung mitgliedstaatlicher Interessen „unbedingt erforderlich“ sei (s zB EuGHE 1986, 2121, 2146; EuGH EuZW 1992, 446;

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6. Kap III 1

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(lediglich) etwa Bereiche wie Polizei, Rechtspflege, Finanzverwaltung, Diplomatie, Kommunal- und Zentralbankverwaltung, so weit sie hoheitliche Befugnisse ausüben, nicht jedoch Bereiche wie der Unterricht an staatlichen Bildungseinrichtungen, das öffentliche Gesundheitswesen, kommerzielle Dienstleistungen wie Verkehr, Strom- und Gasversorgung, Post- und Fernmeldewesen.81 Nach dieser Interpretation war die Vereinbarkeit der beamtengesetzlichen Zugangsregelungen bis zum Inkrafttreten des 10. G zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften v 20. 12. 1993 mit dem europäischen Recht zweifelhaft gewesen.82 Angesichts der ebenfalls engen Interpretation des Begriffs „öffentliche Verwaltung“ in Art 39 Abs 4 EGV auch durch den EuGH stellt sich auch weiterhin und unabhängig von der erwähnten Änderung der Zugangsvoraussetzungen die Grundsatzfrage nach der Zugänglichkeit des Beamtendienstes für Ausländer und deren Grenzen, letzteres wegen verfassungsrechtlicher Hintergründe, die aber letztlich ebenfalls keine endgültige Resistenz des deutschen Rechts gegenüber seiner europarechtlichen Durchdringung bewirken können. Das so eingetretene Spannungsverhältnis zwischen Art 39 Abs 4 EGV einerseits, Art 33 Abs 4 (Funktionsvorbehalt für Beamte) und Art 33 Abs 5 GG (spezifischer verfassungsrechtlicher Regelungsauftrag für das einfache Beamtenrecht) andererseits erscheint jedoch auflösbar, ohne dass es einer Grundgesetzänderung bedürfte.83 Zum einen stellt zutreffender Ansicht nach das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit keinen „hergebrachten Grundsatz“ iSd Art 33 Abs 5 GG dar.84 Sieht man dies anders, so ist die Annahme einer Unvereinbarkeit des europarechtlich Verlangten mit dem verfassungsrechtlich Aufgegebenen ebenfalls nicht zwingend, denn die Gesetzgeber verfügen bei der Umsetzung des sich aus Art 33 Abs 5 GG ergebenden Regelungsprogramms über Ermessensspielräume (su Rn 38). Daher stünde die Vorschrift einer noch über die erwähnten Gesetzesänderungen vom Dezember 1993 hinausgehenden Öffnung des Beamtendienstes für Ausländer nicht zwingend entgegen. Eine solche Erweiterung dürfte allerdings einstweilen auch europarechtlich nicht geboten sein, zumal der Funktionsvorbehalt des Art 33 Abs 4 GG Abweichungen von der Regel des Einsatzes von Beamten bei der Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse zulässt (su Rn 35). Zu beachten ist auch, dass der (noch unverbindliche) Vertrag über eine Verfassung von Europa vom 25. 10. 2004 in Art III – 133 Abs 4 die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung ausdrücklich aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausklammert. Insgesamt wird die fortschrei-

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EuGH DVBl 1994, 577f; vgl a EuGH JZ 1998, 562 ff m Anm v Danwitz betr die Anerkennung von Vordienstzeiten, die im öffentlichen Dienst anderer Mitgliedstaaten geleistet wurden) – Schotten Die Auswirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auf den Zugang zum öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1994, 72 ff; ferner Fabis Die Auswirkungen der Freizügigkeit gemäß Art 48 EG-Vertrag auf Beschäftigungsverhältnisse im nationalen Recht, 1995; Burgi in: Hailbronner (Hrsg), 30 Jahre Freizügigkeit in Europa, 1998, 115 ff; Alber ZBR 2002, 225, 228 ff. ABl C 72 v 18. 3. 1988; dazu Hochbaum ZBR 1989, 33 ff. S BGBl I 2136 u dazu u Rn 75; vgl zuvor BVerwG ZBR 1992, 308 ff. Vgl etwa Kroppenstedt ZBR 1990, 197 ff; aA Büchner/Gramlich RiA 1992, 110 ff. Etwa Battis in: Magiera (Hrsg), Das Europa der Bürger in einer Gemeinschaft ohne Binnengrenzen, 1990, 47, 50; Edelmann DöD 1993, 56 ff; aA zB Loschelder ZBR 1991, 102 ff.

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tende gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen es im vorliegenden Bereich erleichtern, die verfassungsrechtlichen und die europäischen Vorgaben im Einklang zu halten und zugleich eine für die europäische Integration förderliche Bereicherung einzelner Dienstbereiche durch die Beschäftigung von Europäern zu erreichen. Öffnung (auch) des durch Beamte wahrgenommenen öffentlichen Dienstes, nicht die Abschaffung des Beamtentums in Deutschland ist von der Integrationsordnung gefordert.85 Inhaltlich wird das deutsche Dienstrecht insbesondere bei die Rechte und Interessen von Frauen betreffenden Fragen europarechtlich mitbestimmt, dies vor allem – aber nicht nur 86 – in der unmittelbaren Konkurrenzsituation mit Männern (dazu Rn 87).

2. Verfassungsrecht Das Recht des öffentlichen Dienstes, insbesondere das Beamtenrecht, ist auf verfas- 29 sungsrechtlicher Ebene materiell und kompetenzrechtlich besonders angesprochen. Einige der speziellen Vorgaben sind hier vor der Darstellung des einfachen Gesetzesrechts auszuführen, weil dieses sich erst unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen voll erschließt; auf weitere verfassungsrechtliche Normen (etwa: Gleichheitsanforderungen beim Ämterzugang, einzelne Grundrechte) ist dagegen aus der Sicht des einfachen Rechts zurückzukommen. a) Institutionelle Verbürgung des Berufsbeamtentums 87 Das GG gibt das Berufsbeamtentum als Institution vor und weist ihm Funktionen 30 zu. Art 33 Abs 4, 5 GG beinhalten entsprechende Regelungsaufträge. Die Abschaffung des Berufsbeamtentums würde eine Verfassungsänderung voraussetzen, seiner rechtlichen Ausgestaltung setzt die Verfassung Grenzen. Art 33 Abs 4 GG gibt dem Einzelnen kein Recht auf „Verbeamtung“,88 Art 33 Abs 5 GG soll nach überwiegender Auffassung (auch) individualrechtliche Aussagen treffen (su Rn 37). aa) Der Funktionsvorbehalt für Beamte: Art 33 Abs 4 GG verlangt, „die Aus- 31 übung hoheitsrechtlicher Befugnisse“ solchen Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die „in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen“; damit sind Beamte gemeint. Die Vorschrift errichtet eine Verfassungspflicht, ist nicht lediglich Programmsatz. Die gesetzlichen Vorschriften über die Zulässigkeit der Ernennung nehmen Art 33 Abs 4 GG auf (su Rn 74). Was unter „hoheitsrechtlichen“ Befugnissen zu verstehen ist, wird unterschied- 32 lich beurteilt.89 Auch wenn die Entstehungsgeschichte von Art 33 Abs 4 GG dafür 85 86

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Sa Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 32 Rn 96. S etwa OVG Münster NVwZ-RR 2000, 695 f – Sonderzuwendung/Erziehungsurlaub; OVG Berlin ZBR 2000, 428 f – Adoptivmutter; auch BVerwG NVwZ-RR 2000, 692 – Frauenbeauftragte. Aus neuerer Zeit s Merten in: Lüder (Hrsg), 50 Jahre Hochschule für VerWiss Speyer, 1997, 145 ff. Vgl VGH Mannheim NJW 1980, 1868 ff; s a BVerfGE 6, 376, 385. Die Frage wird – trotz eingehender literarischer Bemühungen – mitunter als „ungeklärt“ bezeichnet, so zB Köpp in: Steiner, BesVwR, Abschn III Rn 12. Aus der Rspr s BVerfGE 9,

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spricht, dass (lediglich) die Eingriffsverwaltung gemeint gewesen sein wird,90 vor allem Gefahrenabwehr durch Polizei- und Ordnungsbehörden und Steuerverwaltung, geht die überwiegende Auffassung davon aus, dass auch die Leistungsverwaltung, also die öffentliche Förderung der Lebensverhältnisse durch unmittelbare Leistungsgewähr, dem Funktionsvorbehalt unterfalle.91 Insbesondere rein fiskalische Verwaltung sei von dem Funktionsvorbehalt nicht erfasst. Andere lassen die Verfolgung eines „öffentlichen Zwecks“ genügen 92 – was sich aber im Grunde von jedem Verwaltungshandeln sagen lässt. Weitere Stimmen interpretieren „hoheitsrechtliche Befugnis“ eng als „obrigkeitliches“ Auftreten des Staates und meinen hiermit die nach überkommenem Verständnis als „notwendig“ vom Staat wahrzunehmenden Aufgaben,93 insbesondere diejenigen, bei denen der Staat ein Wahrnehmungsmonopol beansprucht, also etwa die Aufrechterhaltung der Sicherheit nach innen wie außen sowie die Erhebung von Steuern. Die Beschränkung des Begriffs „hoheitsrechtliche Befugnis“ auf traditionell als 33 genuin obrigkeitsstaatlich eingeordnete Aufgaben berücksichtigt trotz ihrer historischen Plausibilität den Funktionswandel des Staates nicht hinreichend. Sie entzieht der Entscheidung für einen zweispurigen öffentlichen Dienst, in dem ein „nach hergebrachten Grundsätzen“ (Art 33 Abs 5 GG) agierendes Beamtentum im Vordergrund steht, den Boden. Aufgaben, die für das Gemeinwohl von besonderer Bedeutung sind, sollen von solchen Bediensteten wahrgenommen werden, die der besonderen Pflichtenbindung des Beamten unterliegen. Hat sich der Staat dafür entschieden, etwa in den Bereichen der sozialen Sicherung oder des kulturellen Lebens Aufgaben an sich zu ziehen, sie nicht den Zufälligkeiten des gesellschaftlichen Bereichs zu überlassen, so ist es konsequent, grundsätzlich denjenigen Personaltypus zu ihrer Bewältigung einzusetzen, der nach der Vorstellung des GG die Gemeinwohlverwirklichung am ehesten gewährleistet. Im Hinblick auf den Sinn des Art 33 Abs 4 GG gelingt weder die Abgrenzung nach „obrigkeitlicher“ und „sonstiger“ Eingriffsverwaltung noch aber auch nach Eingriffs- und Leistungsverwaltung, zumal auch im Zuge der Leistungsgewähr Zwangsmittel eingesetzt werden können, auch die Leistungsverwaltung Eingriffe vornimmt, auch ihr Handeln in Teilen dem Vorbehalt des Gesetzes unterworfen ist, aus grundrechtlicher Sicht: der Verrechtlichung bedarf, sofern die Verwaltung in der Lage ist, auf die Bedingungen der Grundrechtsausübung des Bürgers wesentlich einzuwirken.94 Es lässt sich auch

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268, 284; BVerwGE 57, 55, 59 → JK GG Art 33 IV/1. Aus dem Schrifttum zB P. Kirchhof Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Art 33 Abs 4 des Grundgesetzes, 1968; Lerche Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1973; Huber DV 29 (1996) 437 ff; Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffes in Art 33 Abs 4 des Grundgesetzes, 1998; Strauß, Funktionsvorbehalt und Berufsbeamtentum, 2000. Zutr Schuppert in: AK-GG, Art 33 Abs 4, 5 Rn 25. S Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 32 Rn 58. S zur Reichweite des Art 33 IV GG und zur Notwendigkeit von Beamten a Remmert JZ 2005, 53 ff. Vgl Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 37. S Schuppert aaO Rn 34 ff mwN. Hierzu allgem Kunig Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, 316 ff. – Im Rahmen der Auslegung von Art 33 Abs 4 stellt etwa Lehnguth ZBR 1991, 266, 269 auf die Wertigkeit, die Bedeutung der Aufgabe ab. S schon Otto ZBR 1956, 223 ff.

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nicht überzeugend danach abgrenzen, ob Verwaltungshandeln sich in der Form des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts vollzieht,95 denn damit wäre auf die Potentialität einer Handlungsalternative abgestellt: Es kann Wahlfreiheit zwischen einem Handeln in öffentlich-rechtlicher oder in privatrechtlicher Form bestehen; die Entscheidung über die Formenwahl ist rechtlich zwar immer begrenzt, aber nicht immer auch endgültig programmiert. Nicht entscheidend ist, ob die Verwaltung dem Bürger oktroyierend durch Einzelakt oder auf der Ebene der Gleichordnung als Vertragspartner begegnet. Geboten ist die Qualifizierung der einzelnen Beschäftigungsposition, die in allen 34 Verwaltungsbereichen von der Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnis geprägt sein kann.96 Letzteres ist dann der Fall, wenn die Effizienz, Berechenbarkeit und Qualität des auf dem Dienstposten zu entfaltenden Handelns nur erreicht werden kann, wenn der Dienstnehmer den Status des Beamten bekleidet. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob sein Tun eine Außenwirksamkeit gegenüber dem Bürger aufweist. Hoheitsrechtliche Befugnisse können auch im Rahmen des internen Willensund Entscheidungsprozesses der Verwaltung wahrgenommen werden. Ob der jeweilige Dienstnehmer selbst Verwaltungsakte erlässt oder auch nur an einem Handeln mitwirkt, das zu ihrem Erlass führt, ob sein Wirken überhaupt der Begründung öffentlich-rechtlicher Beziehungen zum Bürger dient, ist für sich genommen nicht ausschlaggebend. Für Bedienstete ohne relevante eigene Entscheidungsbefugnis, also Tätigkeiten zB im Fahrdienst, im Schreibdienst, bei der Hausverwaltung, im Reinigungsdienst, bedarf es – nach allen Auffassungen – des Einsatzes von Beamten nicht, ohne dass dies irgendeine Aussage über die Bedeutung solcher Tätigkeiten beinhaltete: Der Beamtenstatus bewirkt keine personale Aufwertung, er gibt nicht eine „Kader“-Position, er nimmt und gibt gleichermaßen. Um der Eigengesetzlichkeit ihrer Tätigkeit willen können auch diejenigen Bediensteten außerhalb der beamtenrechtlichen Inpflichtnahme verbleiben, deren Wirken sich prägend nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten vollzieht. Schließlich können auch grundrechtliche Vorgaben für die Abgrenzung fruchtbar gemacht werden, was vor allem für die Kulturverwaltung Bedeutung hat: So bedarf zB der Intendant eines Staatstheaters als Grundrechtsträger (Art 5 Abs 3 GG) künstlerischer Freiheit, die einer Einbindung in das Beamtenverhältnis entgegensteht; 97 das Grundrecht wirkt hier als immanente Schranke des Funktionsvorbehalts. Hochschullehrer sind bisher regelmäßig Beamte,98 doch enthalten die für ihren Status bedeutsamen Bestimmun-

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Zu den privatrechtlichen Handlungsformen der Verwaltung Schnapp DÖV 1990, 826 ff. Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 26; Kunig in: v Münch/Kunig, GG II, Art 33 Rn 49. Vgl dazu Kunig DÖV 1982, 765 ff; oft werden kulturelle Einrichtungen in der Form der Kapitalgesellschaft (bei 100 %-Beteiligung der Gebietskörperschaften, sog Eigengesellschaft) betrieben, also außerhalb des öffentlichen Dienstes (so Rn 9). S dazu BVerfGE 49, 137, 141; Lecheler PersV 1990, 299 ff; Epping ZBR 1997, 383 ff; Hartmer WissR 1998, 152 ff; zur Anwaltszulassung wissenschaftlich Beschäftigter vgl KleineCosack NJW 1993, 1289 ff; von Hochschullehrern Michalski/Römermann MDR 1996, 433 ff.

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gen des HRG Sonder-Beamtenrecht. Fraglich ist, ob auch Schullehrer regelhaft in den Beamtenstatus zu bringen sind.99 Hoheitsrechtliche Befugnisse können ausnahmsweise anderen Bediensteten über35 tragen werden, wenn hierfür Gründe sachlicher (nicht allein fiskalischer) Zweckmäßigkeit sprechen, etwa im Falle der Beleihung, bei nur partiellem Einsatz (Lehrbeauftragte), in Ausbildungsverhältnissen zur Vorbereitung auf einen freien Beruf (wie den des Rechtsanwalts) oder bei der Wahrnehmung nur vorübergehend zu erfüllender Aufgaben. Trotz der bestehenden Spielräume dürfte die Personalpraxis insgesamt nicht die vom Grundgesetz intendierte Struktur geschaffen haben: Beamte finden sich auf Positionen, die ohne weiteres von Angestellten wahrgenommen werden könnten. Angestellten sind andererseits in solchem Maße – auf Dauer – Tätigkeiten übertragen, die dem Regel-Ausnahme-Konzept des Art 33 Abs 4 GG nicht gerecht werden. Die schon erwähnte tendenzielle Angleichung der Rechtsverhältnisse von Beamten und anderen Bediensteten (so Rn 9) mindert die Brisanz dieses Befundes. Gegenreaktion auf Versuche, die Vorgaben des Art 33 Abs 4 GG durch „Verbe36 amtung“ in stärkerem Maße zur Geltung zu bringen, ist der – nicht überzeugende – Gedanke, die Norm nicht nur als Funktionsvorbehalt zugunsten des Typus des Beamten, sondern umgekehrt zugleich als solchen zugunsten der anderen Beschäftigungsformen im öffentlichen Dienst zu verstehen: Was außerhalb der Reichweite des beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalts bleibe, sei von Verfassungs wegen zwingend der Wahrnehmung durch Angestellte oder Arbeiter vorbehalten. Die Norm erscheint dann (auch) als Funktionssperre.100 bb) Der verfassungsrechtliche Regelungsauftrag für das Beamtenrecht: In dem 37 Funktionsvorbehalt des Art 33 Abs 4 GG ist vorausgesetzt, dass der Gesetzgeber beamtenrechtliche Regelungen schafft bzw in Geltung belässt. Der verfassungsrechtliche Regelungsauftrag des Art 33 Abs 5 GG konstituiert eine Pflicht des Gesetzgebers und programmiert zugleich die Gesetzgebung inhaltlich, umgrenzt das legislative Ermessen. Der Auftrag, das Recht des öffentlichen Dienstes „unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln“, könnte so verstanden werden, als fordere er die Berücksichtigung der angesprochenen Grundsätze bei allen Regelungen, die den öffentlichen Dienst betreffen, also auch eine Ausgestaltung des Rechts der dort beschäftigten Angestellten und/ oder Arbeiter in Orientierung am Beamtenrecht. Hierauf zielt Art 33 Abs 5 GG jedoch nicht.101 Das Recht des öffentlichen Dienstes kann vielmehr schon dann als unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums geregelt gelten, wenn diese Grundsätze dort legislativ entfaltet werden, wo sie traditionell Bedeutung hatten, also im Bereich des Beamtenrechts. So weit das Recht 99

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Die Frage wird wohl überwiegend bejaht, s etwa Leisner ZBR 1980, 361 ff; Battis/Schlenga ZBR 1995, 253, 256 f; anders zB Peine DV 17 (1984) 415, 437 f; Lübbe-Wolff in: Dreier, GG II, Art 33 Rn 59. In diese Richtung zunächst Thieme Der Aufgabenbereich der Angestellten im öffentlichen Dienst, 1962; eingehend Dörr (o Fn 61); wie hier etwa Lehnguth, ZBR 1991, 266, 270. BVerfGE 3, 162, 186; 16, 94, 110 f; gegenteilige Stimmen finden sich in der älteren Literatur, zB Wacke Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, 1957, 27 ff.

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weiterer Bediensteter in Anlehnung an beamtenrechtliche Grundsätze fortentwickelt worden ist, geschah dies nicht in Erfüllung von Art 33 Abs 5 GG, sondern in sozialstaatlicher Motivation oder wegen der Eigenheiten des Dienstes in der Verwaltung. Der Gesetzgeber hat Grundsätze zu „berücksichtigen“, muss also nicht Vorge- 38 fundenes übernehmen. Er verfügt über Ermessen, das hier – atypisch – nicht nur durch Verfassungssätze, sondern durch Anbindung an einen in vorkonstitutioneller Zeit gewachsenen Rechtsbestand begrenzt ist. Die Überschreitung des Ermessens ist (auch) vorliegend denkbar durch Fehlgewichtung der zur Berücksichtigung aufgegebenen Elemente der verfassungsrechtlich vorgedachten Gestalt des Beamtenrechts. Eine solche Fehlgewichtung folgt nicht notwendigerweise schon aus der Eliminierung einzelner dieser Elemente aus dem geltenden Gesetzesrecht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht eine Unterscheidung zwischen „besonders wesentlichen“ und anderen hergebrachten Grundsätzen versucht (die ersteren seien – über „Berücksichtigung“ hinaus – zu „beachten“ 102), doch dürfte diese Unterscheidung dem Umstand nicht gerecht werden, dass Art 33 Abs 5 GG die Flexibilität des Gesetzgebers zwar beschnitten, aber nicht beseitigt sehen möchte.103 Dem Anliegen der Bewahrung der vorkonstitutionellen Grundsubstanz des Berufsbeamtentums kann auf andere Weise Rechnung getragen werden als durch schematische Differenzierung zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Die Tragweite jedes „hergebrachten Grundsatzes“ ist gesondert zu ermitteln, seine Leistungsfähigkeit unter gewandelten Bedingungen zu prüfen: Dass (zB) unter dem GG kein Verzicht auf die Verpflichtung des Beamten zu weltanschaulicher Neutralität möglich ist, ist dem Wandel unzugänglich, denn sonst könnte die Verwaltung dem Gleichheitssatz nicht genügen; dass der Grundsatz der Vollzeitanstellung, mag er sich im Blick auf frühere gesellschaftliche Verhältnisse auch als „wesentlich“ für das (frühere) Berufsbeamtentum erweisen, Gestaltungen zulässt, die aus arbeitsmarktpolitischen Gründen und um der Zugänglichkeit von Beamtenstellen für Frauen willen stärkere Akzente auf die Teilzeitbeschäftigung setzen, ist dagegen ein Beispiel für die Modifizierbarkeit des Überkommenen (su Rn 150). Die Wandlungen im Verständnis des Alimentationsgrundsatzes („Angemessenheit“ der Besoldung, su Rn 159) bieten ein weiteres Beispiel. Art 33 Abs 5 GG begründet also Darlegungslasten für den Gesetzgeber und strukturiert seine Abwägungsentscheidungen, ohne diese final zu programmieren. Der beamtenrechtliche Regelungsauftrag besteht zur Sicherung der Institution 39 des Berufsbeamtentums, weist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch eine grundrechtsähnliche Komponente auf.104 Sie soll dem von 102

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BVerfGE 8, 1, 16 f; vgl a E 42, 263, 278 und E 71, 255, 268; krit Würdigung der Rspr von BVerfG und BVerwG bei Lecheler AöR 103 (1978) 349 ff. Vgl Battis in: Sachs, GG, Art 33 Rn 67; Kunig in: v Münch/Kunig, GG II, Art 33 Rn 59; Studenroth ZBR 1997, 212, 214. BVerfGE 12, 81, 87; 43, 154, 167; krit zB Bender DÖV 1977, 565 ff; Niedermaier/Günther ZBR 1977, 238 ff; Menger VerwArch 69 (1978) 221, 226. Eingehend Rottmann Der Beamte als Staatsbürger. Zugleich eine Untersuchung zum Normtypus von Art 33 Abs 5 GG, 1981; vgl a Köbele/Zimmermann Jura 1990, 436 ff.

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einem Verstoß unmittelbar betroffenen Beamten ein subjektives Recht auf Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze einräumen, das mit der Verfassungsbeschwerde rügefähig sei. Letzteres kann nicht schon damit begründet werden, dass Art 93 Abs 1 Nr 4 a GG „Art 33“ unter denjenigen Rechtspositionen anführt, deren Verletzung im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann; 105 auch im Hinblick auf Art 38 GG steht außer Frage, dass nur die Wahlrechtsgrundsätze beschwerdefähig sind, nicht aber die Verbürgung des freien Abgeordnetenmandats. Für eine Differenzierung innerhalb von Art 33 GG sprechen – über den Wortlaut des Art 33 Abs 5 GG hinaus – Gründe der Entstehungsgeschichte, der Systematik und des Telos.106 Ein in ein grundrechtsähnliches Recht umgedeuteter Art 33 Abs 5 GG droht, die Differenzierungen, die sich aus der Geltung der Grundrechte der Art 1ff GG ergeben, einzuebnen. Den Beamten berechtigen verfassungsunmittelbar seine Grundrechte, ein Recht 40 auf eine bestimmte Ausgestaltung des Beamtenrechts hat er nicht, wohl aber – letztlich aus Art 2 Abs 1 GG – ein solches auf eine ihm gegenüber verfassungskonforme Anwendung einfachen Rechtes.107 Die an Organschaft anknüpfenden verfassungsrechtlichen Verfahrensberechtigungen vor dem Bundesverfassungsgericht schützen im Übrigen hinreichend davor, dass der Gesetzgeber ein mit Art 33 Abs 5 GG unvereinbares Beamtenrecht schafft. Umgekehrt kann Art 33 Abs 5 GG die Begrenzung von Grundrechten legitimie41 ren.108 Die Grundrechtsausübung des Beamten steht kraft Verfassungsrechts unter dem Vorbehalt der Einhaltung der Grenzen, die der Gesetzgeber in Vollzug des Regelungsauftrags zulässigerweise geschaffen hat, nicht allerdings solcher Gehalte „hergebrachter Grundsätze“, die er einfach-rechtlich nicht umgesetzt hat – dies ungeachtet der weiteren Frage, ob eine solche Unterlassung im Rahmen des Regelungsauftrags zulässig war oder nicht. In den Einzelheiten bestehen unterschiedliche Sichtweisen auch zu der Frage, 42 welche Grundsätze zum Kreis der hergebrachten Grundsätze zu rechnen sind, doch lässt sich für einen Kernbestand ein einhelliges Meinungsbild ermitteln. Die Vokabel „hergebracht“ weist in die Vergangenheit, ohne einzelne Zeiträume deutscher Geschichte festzulegen. Es liegt auf der Hand, dass dabei die Zeit der ersten deutschen Republik (1919–1933) besondere Bedeutung hat; unter der WRV als verbindlich anerkannt und prinzipiell auch gewahrte Grundsätze erscheinen prima facie tauglich, das Blankett des Art 33 Abs 5 GG zu füllen, doch darf nicht verkannt werden, dass ein in diesem Sinne punktueller Ansatz den auf die Breite der geschichtlichen Entwicklung abstellenden Begriffsgehalt verfehlen könnte. So öffnet sich der Blick auch auf Entwicklungslinien, die im monarchischen Konstitutionalismus wurzeln, auch auf das Geschick, dem beamtenrechtliche Regelungsprinzipien während 105

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Vgl aber Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 31 Rn 22; v Münch 8. Aufl des vorliegenden Buches, 39 f. Vgl dazu die abw Meinung Wand/Niebler BVerfGE 43, 177 ff; Kunig in: v Münch/Kunig, GG II, Art 33 Rn 55. Dazu allgem Löwer in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II (2. Aufl 1998), § 56 Rn 154; zum Grundrechtsschutz im Dienstverhältnis u Rn 45, 168. Vgl BVerwGE 56, 227, 229; Kunig in: v Münch/Kunig, GG II, Art 33 Rn 56.

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6. Kap III 2 a bb

der Herrschaft des Nationalsozialismus ausgesetzt waren. Die Infizierbarkeit und Infektion solcher Prinzipien durch den Totalitarismus allein ist noch nicht Ausschlussgrund für ihre Einbeziehung in Art 33 Abs 5 GG. Die Zuordnung zu Art 33 Abs 5 GG setzt aber Kompatibilität mit allen anderen grundgesetzlichen Regelungsinhalten voraus. Maßgebend ist die Substanz, nicht das Vokabular einer Norm: Die Formulierung, dass für Treue „Gewähr bieten“ müsse, wer zum Beamten ernannt werden soll, ist vom Nationalsozialismus missbraucht worden, ihre Weiterverwendung gleichwohl unschädlich; die Treuepflicht ist ein hergebrachter Grundsatz deshalb, weil und so weit sie zur Weimarer Zeit und zuvor den Status des Beamten bereits geprägt hat. Ihre konkreten Inhalte sind im Einklang mit dem Gesagten wesentlich mitbestimmt durch andere grundgesetzliche Aussagen (so Rn 38). Insgesamt sind also vorkonstitutionelle beamtenrechtliche Regelungsprinzipien 43 im Hinblick auf ihre Einbeziehung in den Regelungsauftrag des Art 33 Abs 5 GG einem zweifachen Test zu unterwerfen: Der Nachweis ihrer Geltung in vorkonstitutioneller Zeit – dies des längeren, also eine beamtenrechtliche Tradition begründend – ist zu führen; ihre Vereinbarkeit mit den materiellen Grundaussagen des Grundgesetzes muss außer Zweifel stehen, um sie als verfassungsrechtliche Vorgaben ansprechen zu können. Beide Anforderungen werden erfüllt von einer Reihe von (hier nicht näher zu ent- 44 faltenden) Grundsätzen,109 die sich zur Regelung des Typus des Lebenszeitbeamten herausgebildet hatten; nur dieser Typus (zB nicht der Zeitbeamte oder der Wahlbeamte) ist in Art 33 Abs 5 GG angesprochen, auf andere Typen können dennoch einzelne hergebrachte Grundsätze anwendbar sein. Beispielhaft sind zu nennen: Das Leistungs- und das Laufbahnprinzip, der das Besoldungsrecht prägende Grundsatz der Alimentation (als ein Korrelat zur Verpflichtung des Beamten, seinerseits dem Dienstherrn – grundsätzlich – seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen), die Grundzüge des Versorgungswesens, die Existenz des Disziplinarrechts, das Recht auf Amtsbezeichnungen 110 (die aber dem Wandel unterliegen können) und auf statusgemäße Beschäftigung, die Vollzeitbeschäftigung als Regel, die Pflicht zum Gehorsam und zur Neutralität bei der Amtsführung, die Möglichkeit der Nebenbeschäftigung, die Verschwiegenheitspflicht, die Treuepflicht, das Streikverbot, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (als Korrelat der Treuepflicht des Beamten). Damit sind Strukturen und Institutionen (Disziplinarrecht in gesonderter Disziplinargerichtsbarkeit), Regelungsfelder (Besoldung, Versorgung) wie auch Einzelprinzipien angesprochen (zB Fürsorgepflicht), die teils generalklauselartig, teils in konkretisierenden Einzelnormen in das Gesetzesrecht umgesetzt worden sind. Ihre Umgestaltung und Neuordnung in Bezug auf neuentstehende oder empfundene Regelungsbedürfnisse ist in der beschriebenen Weise begrenzt durch zur beamtenrechtlichen Tradition verfestigte Grundsätze.111 Daraus kann sich auch Resistenz gegenüber in 109

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Überblick zB bei Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 32 Rn 65 ff; Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 49 ff; Lübbe-Wolff in: Dreier, GG II, Art 33 Rn 70 ff; sa, teils krit zur Rspr, Summer ZBR 1992, 1 ff. Str; sie müssen jedenfalls „anredefähig“ sein. – Vgl dazu BVerfGE 38, 1, 11 ff. Unzutr ist die Auffassung, der Verfassungsauftrag des Art 33 Abs 5 GG sei „erfüllt“, künftige Regelungen des Beamtenrechts seien deshalb nicht mehr an dieser Norm zu messen;

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6. Kap III 2 b

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anderen Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts bemerkbaren Entwicklungstendenzen der Handlungsformen der Verwaltung ergeben. Dem Wesen des Beamtenrechts, wie es Art 33 Abs 5 GG bewahrt sehen möchte, wird entnommen, dass das Beamtenverhältnis vertraglicher Gestaltung nur insoweit zugänglich ist, als dafür eine gesetzliche Grundlage besteht.112 Andere Grundsätze, die die Beamtenrechtsentwicklung nachhaltig bestimmt haben (so ein Grundsatz der Bewahrung von Besitzständen),113 können Art 33 Abs 5 GG nicht zugeordnet werden, sind politisches Leitprinzip ohne verfassungsrechtliche Dignität. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich Regelungsmuster, die sich erst nach 1949 etabliert haben, zu „hergebrachten Grundsätzen“ verfestigen: 114 Entscheidend kann nicht für alle Zeiten sein, was im Zeitpunkt der Verfassungsgebung dem Herkommen entsprach. So mag die Ermöglichung „gleitender Arbeitszeit“ auf dem Weg zu einen „Grundsatz“ sein. In der sog Föderalismuskommission wurde im Jahre 2004 eine (vorläufige) Einigkeit darüber erzielt, Art 33 Abs 5 GG um eine Fortentwicklungsklausel zu ergänzen, um Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität zu schaffen (verschiedentlich war zuvor sogar vorgeschlagen worden, den Absatz komplett zu streichen). Da das Beamtenrecht jedoch nach der grundgesetzlichen Regelung de lege lata ohnehin Weiterentwicklungen zugänglich ist, hätte die Ergänzung nach dem oben Gesagten deklaratorischen Charakter.115 b) Ämterzugang und Grundrechtsschutz im Dienstverhältnis 45 Weitere verfassungsrechtliche Aussagen zum öffentlichen Dienst setzen auf der staatsbürgerlichen Ebene an. Das GG gibt jedem Deutschen in jedem der 16 Bundesländer gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten (Art 33 Abs 1 GG; vgl aber auch Art 36 GG). Diese umfassen auch den Zugang zu staatlichen Ämtern. Art 33 Abs 2 GG nimmt dies auf und stellt „den Zugang“ unter die Maßgabe von „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“. Art 33 Abs 3 S 1 GG erklärt die „Zulassung“ zu öffentlichen Ämtern und die „im öffentlichen Dienst erworbenen Rechte“ für unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Sowohl Art 33 Abs 2 GG

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idS aber etwa Köpp in: Steiner, BesVwR, Abschn III Rn 14; vgl a Rottmann FS Zeidler II, 1987, 1097, 1115f. S BVerwG NVwZ 1993, 1193 → JK GG Art 33 V/13; und dazu Schubert BayBl 1994, 233 ff; Hufen JuS 1995, 71f; allgem zu Verträgen (und „Absprachen“) zwischen Verwaltung und Bürger im Blick auf die neuere Entwicklung Krebs DVBl 1992, 1523 f; Kunig DVBl 1992, 1193 ff; sa Scherzberg JuS 1992, 205 ff. Art 129 S 3 WRV sprach von „wohlerworbenen Rechten“; diese Formulierung wurde bewusst nicht in das GG übernommen. S Kunig in: v Münch/Kunig, GG II, Art 33 Rn 61; ebenso Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 64; Merten in: Magiera/Siedentopf (Hrsg), Öffentlicher Dienst, 181, 189; sa Badura ZBR 1996, 321, 325; abl etwa BVerfGE 25, 142, 148; Edelmann DöD 1993, 56, 58 f. Ähnlich Battis NJW 2005, 800, der die geplanten Reformen auch angesichts des geltenden Art 33 Abs 5 GG als erreichbar ansieht.

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wie Art 33 Abs 3 GG beziehen sich nicht nur auf Beamte, sondern auf alle öffentlichen Dienstverhältnisse.116 Ist das Dienstverhältnis einmal begründet, so wird es weiterhin grundrechtlich 46 durchdrungen. Für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst wirken im Verhältnis zum Dienstgeber die Grundrechte wie im Arbeitsverhältnis, finden also Einfluss auf die privatrechtliche Beziehung im Wege der Vermittlung durch Generalklauseln 117 und sind bei der Auslegung von Tarif- und Einzelvertrag zu berücksichtigen. Die Geltung der Grundrechte im Beamtenverhältnis wurde dagegen ursprünglich verneint oder relativiert, die Begründung des Beamtenverhältnisses gleichsam als Austritt aus dem Staat-Bürger-Verhältnis hinein in einen Binnenraum staatlicher Organisation begriffen.118 Das Beamtenverhältnis wurde demgemäß lange Zeit als ein „besonderes“ Gewaltverhältnis bezeichnet – ein Begriff, dem es um die Hervorhebung der Unterschiede zum „allgemeinen“ Gewaltverhältnis geht, in welches jeder Bürger gegenüber dem Staat gestellt ist.119 Zu dieser Besonderheit sollte auch gehören, dass die Einschränkung von Grundrechten auch ohne Einhaltung der von der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes geforderten Anforderungen erfolgen könne. Als besondere Gewaltverhältnisse werden auch – in eigenartigem Nebeneinander – das Strafvollzugsverhältnis, das Schul-, das Soldatenverhältnis bezeichnet. Für das Strafvollzugsverhältnis hat das Bundesverfassungsgericht die Konsequenzen aus der früheren Verwendung des Begriffs „besonderes Gewaltverhältnis“ im Jahre 1976 aufgegeben und gesetzliche Grundlagen für Grundrechtseingriffe gefordert.120 Diese Entscheidung hat eine Folgediskussion für alle „Verhältnisse“ ausgelöst, die von einer im Vergleich zu dem gewöhnlichen StaatBürger-Verhältnis intensiveren Gewaltunterworfenheit gekennzeichnet sind. Wie im Schul- oder im Strafvollzugsverhältnis Lehrer bzw Anstaltsleiter, so verfügen im Beamtenverhältnis Staat bzw Dienstherr über „besondere“ Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber den Beamten um der Erfüllung jener besonderen Zielsetzung willen, wegen der dieses Verhältnis begründet worden ist.121 Die vorgenannte Parallele mag auf den ersten Blick verquer erscheinen, bei nüchterner Betrachtung ist sie es nicht, auch wenn es um ganz unterschiedliche Zwecke, damit auch unterschiedliche Inhalte der Gewaltunterworfenheit geht. Die Parallele besteht einzig in der Unterscheidung zum Verhältnis des Jedermann zum Staat – trägt allerdings auch schon aus diesem Grunde nicht weit, sofern es um die Beurteilung von Einzelfragen geht. 116 117 118

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Etwa OVG Schleswig NJW 2001, 3495, betreffend die Wahl von Bundesrichtern. Insbes die §§ 134, 138, 242 BGB; vgl dazu Ramm JZ 1991, 1 ff mwN. Das mag noch nachklingen in einer Wendung wie der vom Beamten als „Rad im Uhrwerke des Staates“, so Depenheuer DVBl 1992, 404 f, mit Recht krit Leuze ZBR 1998, 187 f. Schick ZBR 1963, 67 ff; W. Martens ZBR 1970, 197 ff; Thiele ZBR 1983, 345 ff; eingehend Loschelder Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982; das Sondervotum zur „Kopftuch-Entscheidung“ des BVerfG (E 108, 282 → JK 4/04 GG Art 4 I, II/29) zielt in kritikwürdiger Weise auf eine Immunisierung des Bereichs der Dienstpflichten von grundrechtlicher Einwirkung; sa Sachs NWVBl 2004, 209 ff sowie Rn 171. BVerfGE 33, 1 ff. Vgl dazu BVerfGE 19, 303, 322; 39, 334, 366 ff; Battis NJW 1986, 1151 ff; Sachs NWVBl 2004, 209.

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Dass aus der Summe besonderer Zugriffsmöglichkeiten auf den Beamten und deren innerer Sachgemäßheit (die jedenfalls prinzipiell und unabhängig von den Einzelheiten der gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung besteht), nicht der Schluss auf die Nichtgeltung des Vorbehalts des Gesetzes gezogen werden kann, liegt in der Konsequenz der Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte (Art 1 Abs 3 GG): Bereits diese, nicht erst das (vieldeutige) allgemeine Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, verlangen nach dem Vorbehalt des Gesetzes, geben das Maß für die notwendige formale Bestimmtheit von Eingriffsnormen und bestimmen materiell das Ausmaß, in welchem der Grundrechtsträger Beschränkungen der Grundrechtsausübung hinnehmen muss. Dieses kann differieren nach dem dienstlichen Aufgabenbereich (etwa: Lehrer, Polizist 122) und nach dem Rang des Beamten in der Hierarchie. So verlagert sich der Ort, an dem die aus der spezifischen Funktionalität des Beamtenverhältnisses erwachsenden Erfordernisse auf den Grundrechtsschutz durchschlagen: Es ist dies einerseits die Frage, ob eine dienstliche Maßnahme den Beamten überhaupt als Grundrechtsträger betrifft (oder lediglich als Amtswalter,123 also Frage des Grundrechtseingriffs) und andererseits die Frage, welches Gewicht den Anforderungen an einen funktionsfähigen öffentlichen Dienst bei der Abwägung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Beamten zukommt. Entscheidend ist die Intensität der Interessenbeeinträchtigung: Eine dienstliche Weisung spricht den Beamten zunächst als Amtswalter an; verlangt sie von ihm aber (zB) die Preisgabe seiner Menschenwürde, ist der Grundrechtsschutz aktiviert. Ob die Kategorie des besonderen Gewaltverhältnisses weiterhin verwendet werden sollte, mag unterschiedlich beurteilt werden: 124 Keinesfalls ist sie problemlösend, gewiss aber problembezeichnend. Die Frage nach der Tragweite der Grundrechte im Beamtenverhältnis ist deshalb 48 eine Frage nach der Beschränkbarkeit einzelner Grundrechte wegen des Beamtenstatus und um der Funktion des Beamtenverhältnisses willen. Funktionsfähigkeit und grundrechtlich fundiertes Interesse, vor einer übermäßigen Schmälerung der Handlungsfreiheit bewahrt zu bleiben, treten in ein Spannungsverhältnis.125 Für ihre Beantwortung gibt einfaches Recht den Ausgangspunkt, das an den Grundrechten zu messen und unter ihrer Berücksichtigung auszulegen ist. Demgemäß ist auf die Problematik im Zusammenhang mit den Rechten der Beamten zurückzukommen (su Rn 168). 47

c) Bundesstaatliche Aspekte 49 Verfassungsrecht verteilt auch die Gesetzgebungskompetenzen für das öffentliche Dienstrecht und stellt durch verwaltungskompetenzielle Regelungen die Weichen zur Beantwortung der Frage, welche Bereiche des öffentlichen Dienstes vom Bund zu führen sind. 122

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Für Lehrer beispielhaft OVG Hamburg DVBl 1985, 456 ff → JK GG Art 4/6; sa Alberts NVwZ 1985, 92 ff für Richter s Sendler NJW 1984, 689 ff; Hager ZBR 1990, 311 ff; Papier NJW 1990, 8 ff. Für Polizisten und allgem zu Grundrechtsschutz/Dienstpflichten von Beamten in Gefahrensituationen F. Hofmann ZBR 1998, 196 ff. Vgl dazu Obermayer NJW 1987, 2642, 2645 f; sa u Rn 70, 181 f. Dafür etwa Battis in: Sachs, GG, Art 33 Rn 76. Vgl dazu BVerfGE 19, 303, 322; 39, 334, 366f; Schnapp ZBR 1997, 208 ff.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap III 3

Zwingend dem öffentlichen Dienst des Bundes sind die Gegenstände zugewiesen, 50 die in bundeseigener Verwaltung zu führen sind (s Art 87 Abs 1 S 1,126 Art 87 b GG), ferner diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (Art 87 Abs 2 GG). Im Übrigen bemessen sich die Zuständigkeiten nach den Verteilungsmaßstäben der Art 83 ff GG, welche ein differenziertes Bild bieten, aber grundsätzlich vom Vorrang der Landesverwaltung geprägt sind. Dass der Bund ausschließlich zuständig ist, die Rechtsverhältnisse der im Dienst 51 des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen gesetzlich zu regeln (Art 73 Nr 8 GG), ist selbstverständlich. Art 70 GG weist umgekehrt aber nicht die Kompetenz zur Regelung des Landesbeamtenrechts den Ländern zu, weil sich dem der Art 75 Abs 1 S 1 Nr 1 GG in den Weg stellt. Danach hat der Bund die Rahmengesetzgebungskompetenz für die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst von Ländern, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts tätigen Beamten, wenn die Voraussetzungen des Art 72 Abs 2 GG vorliegen und Art 74 a GG nichts anderes bestimmt. Art 74 a GG erstreckt seit 1971 die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes auf die Besoldung und Versorgung aller Beamten, so weit dem Bund nicht bereits die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis zusteht.127 Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst wird im Grundgesetz nicht gesondert angesprochen. Sie ergibt sich aus Art 74 Abs 1 Nr 1 GG.

3. Das einschlägige Gesetzesrecht im Überblick Unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene konstituieren (parlaments-)gesetzliche 52 und verordnungsrechtliche Bestimmungen in Bund und Ländern das Beamtenrecht, ferner Verwaltungsvorschriften. Das Recht der Bundesbeamten enthält das BBG, das der Landes- und Kommunalbeamten findet sich in den Landesbeamtengesetzen (bedeutsam auch Regelungen in Gemeinde- und Kreisordnungen), die den Rahmen des BRRG (welches auch einige einheitlich und unmittelbar geltende Vorschriften enthält, §§ 121 ff BRRG) ausfüllen.128 Einheitlich für alle Beamten gelten das BBesG 126

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Die Streichung der Eisenbahn aus Art 87 Abs 1 S 1 GG – s jetzt Art 87e GG – erfolgte durch das 40. G zur Änderung des GG v 20. 12. 1993, BGBl I 2089; sa die Änderung von Art 73 Nr 7 GG sowie die Einfügung v Art 87 f (Postwesen) durch G v 30. 8. 1994, BGBl I 2245; vgl schon o Rn 26 mN. Diese Kompetenzen sind für die Besoldung (vgl a § 1 Abs 4 BBesG) und für die Versorgung weitgehend in Anspruch genommen worden. S dazu (Versorgung) etwa Battis/Lühmann LKV 1993, 327 ff; Lecheler/Determann ZBR 1998, 1 ff. – Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift Wilhelm ZBR 1971, 129 ff; zur Abgrenzung des Begriffs Besoldung und Versorgung von anderen Regelungsfeldern des Beamtenrechts s Kunig in: v Münch/Kunig, GG III, Art 74 a Rn 7 ff. Zu einer vielfach geforderten Reföderalisierung der Besoldung ablehnend Summer ZBR 2003, 28. Speziell zur Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Versorgungsrechts Bayer DVBl 2002, 73. Zur Frage der Verpflichtung der Länder zur Ausfüllung von Rahmenrecht und den Rechtsfolgen der Überschreitung gem Art 75 Abs 3 GG dafür gesetzter Fristen s Pestalozza in:

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6. Kap III 3

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und das BeamtVG, ferner Gesetze über jährliche Sonderzuwendungen und vermögenswirksame Leistungen. Personalvertretungsrecht und Disziplinarrecht sind in Bund und Ländern gesondert geregelt, ebenso (verordnungsrechtlich) das Laufbahnrecht, das Nebentätigkeitsrecht, das Urlaubsrecht, der Mutterschutz. Bundesgesetzliche Sondervorschriften mit beamtenrechtlicher Relevanz sind zB das Schwerbehindertengesetz und das Arbeitsplatzschutzgesetz. Zahlreiche Verwaltungsvorschriften auf Bundes- und Landesebene sind im Be53 amtenrecht als „Allgemeine Verwaltungsvorschriften“ (die von Seiten des zuständigen Ministers den Gesetzesvollzug verbindlich vorgeben) oder als – meist größere Spielräume belassende – „Richtlinien“ erlassen worden.129 Seit der Kodifikation des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts tritt neben das – das beamtenrechtliche Verwaltungsverfahren teils eigenständig, insgesamt aber rudimentär ausgestaltende – Beamtenrecht auch das (jeweilige) VwVfG in Bund und Ländern. Es ist grundsätzlich „subsidiär“ (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 VwVfG des Bundes), so dass vom Beamtenrecht her zu ermitteln ist, ob Raum für den Rückgriff auf allgemeines Verfahrensrecht besteht. Dies setzt voraus, dass eine tatbestandlich einschlägige Norm in den Beamtengesetzen nicht oder nur mit begrenztem Regelungsanspruch vorhanden ist, sich eine einschlägige Norm der allgemeinen Verfahrensgesetze samt Rechtsfolge aber in die Systematik des Beamtenrechts einordnen lässt.130 Das ist teilweise der Fall bezüglich der Begründungspflicht beim Erlass von Verwaltungsakten (§ 39 VwVfG), durchweg aber nicht bei der Anhörung im Verwaltungsverfahren, die das Beamtenrecht eigenständig regelt, aber auch durch die Fürsorgepflicht erfassen kann (su Rn 154). Die allgemeinen Strukturen des Beamtenrechts, wie sie Gegenstand der Darstel54 lung unter IV. sind, lassen sich dem BBG und dem BRRG entnehmen. BBG und BRRG folgen im Wesentlichen gleichen Grundsätzen, auch wenn sie sich im Aufbau unterscheiden und gleiche Phänomene nicht durchweg wortgleich normieren. Es wird im Folgenden deshalb meist auf die Normen beider Gesetze, in Anmerkungen auch auf die Landesbeamtengesetze hingewiesen. Für die außerhalb des BGB bestehenden Rechtsgrundlagen des Rechts der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst su Rn 183 ff.

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v Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art 75 Rn 72 ff; Kunig in: v Münch/Kunig, GG III, Art 75 Rn 44 f; für eine „unmittelbare Anwendung“ nicht rechtzeitig umgesetzten Rahmenrechts demgegenüber (am Bsp des § 46 BRRG, dazu u Rn 145) Siebelt NVwZ 1996, 122 ff. Zur Rechtsnatur eines institutionellen Erlasses über Sonderzuschläge s OVG Münster DÖV 1997, 884, einer Regierungsbekanntmachung über Hinw zur Verfassungstreue betr die Partei „Die Republikaner“ BayVGHE 50, 76 ff. Dazu dogmatisch Kunig ZBR 1986, 253 ff; Wagner DÖV 1988, 277 ff; aus der Rspr s BVerwG NVwZ 1993, 1193 f → JK GG Art 33 V/13.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 1 a

IV. Das Beamtenrecht 1. Beamtenbegriffe Der Beamtenbegriff hat in einzelnen Rechtsgebieten verschiedene Inhalte: Unter- 55 schieden werden ein staatsrechtlicher, ein haftungsrechtlicher und ein strafrechtlicher Beamtenbegriff. Im Rahmen des staatsrechtlichen Beamtenbegriffs ist kategorial nach dem jeweiligen Dienstherrn zu unterscheiden, ferner zwischen Berufsund Ehrenbeamten, innerhalb der Gruppe der Berufsbeamten wiederum nach der Länge der künftigen Dienstdauer einerseits, nach der Vor- und Ausbildung andererseits. Eine Sonderstellung nimmt der sog politische Beamte ein. a) Staatsrechtlicher, haftungsrechtlicher und strafrechtlicher Beamtenbegriff Als staatsrechtlicher (oder auch „beamtenrechtlicher“) Beamtenbegriff wird der Be- 56 griff des Beamten bezeichnet, der verfassungsrechtlich in Art 33 Abs 4, 5 GG, einfachgesetzlich in § 2 Abs 1 BBG, § 2 Abs 1 BRRG angesprochen ist. Beamter im staatsrechtlichen Sinne ist, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht. Diesem materiellen Kriterium ist ein formelles Kriterium hinzugefügt: Beamter ist nur, wer in das Dienstverhältnis unter Aushändigung einer formgerechten Urkunde berufen, also zum Beamten ernannt worden ist (vgl § 6 Abs 1, 2 BBG, § 5 Abs 1, 2 BRRG). Der staatsrechtliche Beamtenbegriff ist immer dann maßgebend, wenn eine gesetzliche Begriffsverwendung nicht ausdrücklich oder dem Sinne nach einen anderen Inhalt erkennen lässt.131 Beamter im haftungsrechtlichen Sinne ist derjenige, für den Art 34 S 1 GG die 57 Überleitung der bürgerlich-rechtlichen Beamtenhaftung auf den Staat vorsieht.132 Dabei erweitert Art 34 S 1 GG den erfassten Personenkreis: § 839 Abs 1, 2 BGB begründen eine persönliche Verpflichtung zum Schadensersatz für Beamte im staatsrechtlichen Sinne und (eingeschränkt) für Richter, iVm Art 34 S 1 GG tritt aber Staatshaftung für das Handeln aller derjenigen ein, denen die zuständige Stelle die Ausübung eines öffentlichen Amtes anvertraut hat.133 Maßgeblich ist die Betrauung mit einer Funktion, nicht das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Treueverhältnisses, das durch Ernennung begründet wurde. Deshalb können auch Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, darüber hinaus beliehene Unternehmer, auch Regierungsmitglieder Beamte im haftungsrechtlichen Sinne sein, auch die Mitglieder von Organen der Selbstverwaltungskörperschaften, wie Gemeinderäten.134 Es zeigt sich also, dass der Begriff des Beamten im haftungsrechtlichen Sinne noch weiter reicht als der allgemeine Begriff des öffentlichen Dienstes (so Rn 7). Für den strafrechtlichen Beamtenbegriff liegt eine Legaldefinition vor: § 11 Abs 1 58 Nrn 2 bis 4 StGB definieren die Begriffe „Amtsträger“, „Richter“ und „für den 131 132

133 134

S dazu Wolff/Bachof/Stober, VwR II (5. Aufl 1987), § 109 Rn 1 ff; Kunig Jura 1991, 556 ff. Überblick zur Rechtsprechung zum Amtshaftungsrecht bei Schwager-Wenz DVBl 1993, 1171 ff; sa Schoch Jura 1988, 585 ff sowie Lüdemann/Windthorst SächsVBl 1995, 125 ff; BGH NJW 1996, 2431 ff u dazu Meysen JuS 1998, 404 ff. Dazu zB Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art 34 Rn 90 ff; sa Papier/Dengler Jura 1995, 38 ff. S zB BGHZ 84, 292, 298 f; BGH DVBl 1993, 605 ff.

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6. Kap IV 1 b aa

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öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ als Tatbestandsmerkmale strafrechtlicher Normen. „Amtsträger“ sind danach nicht nur der Beamte im staatsrechtlichen Sinne und der Richter, sondern auch Personen, die „in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis“ stehen oder „sonst dazu bestellt“ sind, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen.135 Die drei dargestellten Beamtenbegriffe decken sich offenkundig nicht, über59 schneiden sich aber. Am weitesten reicht die strafrechtliche Begriffsbildung. Jeder Beamte im staatsrechtlichen Sinne ist zugleich Amtsträger im Sinne des Strafrechts, jeder Beamte im haftungsrechtlichen Sinne jedenfalls „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“. Die Begriffe des Staatsrechts und des Haftungsrechts stehen zueinander im Verhältnis sich schneidender Kreise. Der fiskalisch handelnde, förmlich ernannte Beamte ist nicht ein solcher „im haftungsrechtlichen Sinne“, wohl aber der hoheitlich handelnde Angestellte des öffentlichen Dienstes. Das Fehlen eines einheitlichen Beamtenbegriffs für alle Rechtsgebiete ist oft be60 klagt worden,136 jedoch wegen der unterschiedlichen funktionalen Erfordernisse wohl unausweichlich. Im Verhältnis des Beamten zum Staat bedarf es einer strikt formalen Festlegung für den Eintritt der spezifischen beamtenrechtlichen Rechtsfolgen. Im Rahmen der Staatshaftung verlangen die Interessen des Geschädigten nach einer funktionalen Abgrenzung, kann es auf das Innenverhältnis nicht ankommen. Das Strafrecht schließlich verfolgt eigengeartete Ziele mit dem Sonderrecht für staatliche Funktionsträger, die im Innen- wie im Außenverhältnis liegen können (zB Ahndung des Bruchs des Treueverhältnisses gegenüber dem Dienstherrn einerseits, Missbrauch staatlicher Machtbefugnis andererseits), die sich in differenzierter Anknüpfung ausdrücken. b) Kategorien des staatsrechtlichen Beamtenbegriffs 61 Innerhalb des Personenkreises, der dem staatsrechtlichen Beamtenbegriff unterfällt, sind kategoriale Differenzierungen nach den jeweiligen Dienstherren geboten, ferner nach Berufs- und Ehrenbeamten; innerhalb dieser Gruppen sind weitere Unterteilungen vorzunehmen, an die sich Rechtsfolgen knüpfen. aa) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte: Nach dem Dienstherrn ist 62 zu unterscheiden zwischen Bundesbeamten, Landesbeamten und Gemeindebeamten. Hiernach bemisst sich die Anwendbarkeit des jeweiligen beamtenrechtlichen Gesetzeswerks; auch einzelne Normen knüpfen an diese Kategorien an. Für den Dienst bei einer verselbständigten Körperschaft erfolgt die Zuordnung nach ihrer jeweiligen Einbindung in die staatliche Hierarchie. Demzufolge ist Bundesbeamter nicht nur, wer den Bund zum Dienstherrn hat (zB als Ministerialbeamter in einem Bundesministerium, als Beamter einer Bundesoberbehörde), sondern – in den Worten des § 2 Abs 1 BBG – auch derjenige, der zu einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts in einem Beamtenverhältnis 135

136

Überblick Schönke/Schröder-Eser StGB-Kommentar, 26. Aufl 2001, Rn 16 ff zu § 11; sa Wagner JZ 1987, 594 ff; Knopp DÖV 1994, 676 ff; Haft NJW 1995, 1113 ff; Zeiler MDR 1996, 439 ff; Paeffgen JZ 1997, 178 ff. – Zur (uneingeschränkten) Anwendbarkeit der allgem Strafgesetze auf Amtsträger s BVerfG NJW 1995, 186f. S schon W. Jellinek HdbDtStR Bd II, 1932, 30; v Münch 8. Aufl dieses Buches, 17.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 1 b cc

steht (also zB als Beamter bei der Bundesversicherungsanstalt). Es wird insoweit von unmittelbaren und mittelbaren Bundesbeamten gesprochen, ohne dass hiermit ein rechtlicher Statusunterschied bezeichnet würde.137 Auf der Landes- und kommunalen Ebene gelten parallele Definitionen. bb) Berufsbeamte auf Lebenszeit und auf Zeit: Als Begriffsmerkmal bereits des 63 öffentlichen Dienstes wurde oben (Rn 8) die Berufsmäßigkeit der dienstlichen Tätigkeit bezeichnet. Dennoch regelt das Beamtenrecht auch die Rechtsstellung sog Ehrenbeamter (su Rn 66). Berufsbeamte unterscheiden sich untereinander nach der für das Dienstverhältnis vorgesehenen Zeitdauer. Dabei bildet das Beamtenverhältnis „auf Lebenszeit“ die Regel (§ 3 Abs 1 S 2 BRRG; s auch § 9 Abs 2 BBG); es wird begründet, wenn der Beamte dauernd für hoheitliche Aufgaben verwendet werden soll. Ist dies dagegen nur für eine begrenzte Zeit vorgesehen, kann der Beamte „auf Zeit“ berufen werden, § 3 Abs 1 Nr 2 BRRG (s auch §134 S 2 BRRG betr die gewählten Mitglieder der Rechnungshöfe).138 Einen Sonderfall bilden – auf Zeit im Amt befindliche – kommunale Wahlbeamte.138a Verfassungsrechtlich und politisch umstritten ist die Vergabe leitender Funktionen auf Zeit, die im BBG nicht vorgesehen ist (s aber § 5 Abs 4 BBG; zur Vergabe auf Probe sogleich Rn 64), wohl indessen den Ländern durch die Öffnungsklausel des § 12 b BRRG ermöglicht und teilweise bereits eingeführt wurde.139 Die Bedenken verweisen insbes auf das Prinzip lebenszeitiger Übertragung der einer Laufbahn zugeordneten Ämter als einen hergebrachten Grundsatz iSv Art 33 Abs 5 GG 140 und auf die Sorge vor (weiterem) Vorschub für unsachgemäße, namentlich parteipolitisch orientierte Personalentscheidungen.141 cc) Beamte auf Probe und auf Widerruf: Zwei weitere Differenzierungen betref- 64 fen Beamte, welche sich im Vorstadium der Ernennung auf Lebenszeit bzw in einer Ausbildungsphase befinden, die auf eine spätere Tätigkeit als Lebenszeitbeamter, aber auch auf eine anderweitige Berufsausübung vorbereiten kann. Es gilt dies für den Beamten auf Probe, der zu späterer Verwendung auf Lebenszeit zunächst eine sog Probezeit zurückzulegen hat (§ 5 Abs 1 Nr 2 BBG, § 3 Abs 1 Nr 3 BRRG).142 Solche Probezeiten sind laufbahnrechtlich vorgegeben und zeitlich befristet. Das Probebeamtenverhältnis ist seit der Dienstrechtsreform von 1997 (o Rn 26a) für Ämter mit leitender Funktion obligatorisch gem § 24 a BBG (vgl ferner § 12 a BRRG), was nicht auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken treffen 137

Vgl aber Wolff/Bachof/Stober, VwR II (5. Aufl 1987), § 110 Rn 2. Dazu Siedentopf DÖV 1985, 1033 ff; Thieme DÖV 1987, 933 ff. 138a S zB § 25 a BremBG. 139 Zur Altersgrenze für kommunale Wahlbeamte s BVerfG ZBR 1997, 397 ff und zur Abwahl BVerfG NVwZ 1994, 473 ff; OVG Frankfurt/O LKV 1997, 174 ff. Zur Amtsführung eines solchen Beamten als Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses BayVerfGHE 48, 35 ff. 140 S dazu BVerfGE 17, 251, 266; allgem o Rn 44. 141 S etwa Leisner ZBR 1996, 289 ff; Studenroth ZBR 1997, 212 ff; Battis BBG Rn11 zu § 24 a; anders etwa Thieme DÖV 1987, 933 ff; iErg a Böhm DÖV 1996, 403 ff; sa Neßler RiA 1997, 157 ff. 142 Eingehend Oswald Die Rechtsstellung der Beamten auf Probe, Diss Regensburg 1989; Überblick bei J. Müller VR 1996, 404 ff. 138

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6. Kap IV 1 b dd

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dürfte.143 Regelmäßig werden diese Ämter (deren Kreis gesetzlich festgelegt ist, vgl für den Bund § 24 a Abs 6 BBG) auf zwei Jahre vergeben. Mit erfolgreichem Abschluss der Probezeit soll das Führungsamt auf Dauer weiter übertragen werden. Voraussetzung für die Berufung in ein Führungsamt ist, dass sich der zu Berufende bereits in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit befindet und dass er auch in das Führungsamt auf Lebenszeit berufen werden könnte, also die laufbahnmäßigen Voraussetzungen (u Rn 65) erfüllt. Der Beamte gelangt so in ein Doppelbeamtenverhältnis.144 Mit erfolgreichem Abschluss der Probezeit entsteht ein Anspruch auf Übertragung des Führungsamtes auf Lebenszeit, anderenfalls fällt der Beamte in den früheren Status zurück. Die Regelung soll das Risiko falscher Prognosen über die Eignung vermeiden; ihre tatsächlichen Auswirkungen bleiben abzuwarten. Die Neuregelung mag sich als ein Beitrag zur besseren Feststellung der Leistung iSv Art 33 Abs 2 GG erweisen.145 „Auf Widerruf“ zum Beamten wird ernannt, wer aufgrund besonderer Vorschriften einen Vorbereitungsdienst abzuleisten hat oder nur nebenbei oder vorübergehend für eine hoheitliche Aufgabenerfüllung verwendet werden soll (§ 5 Abs 2 BBG, § 3 Abs 1 Nr 4 BRRG). Hierzu gehören etwa der Referendar im Justiz- oder Schuldienst; zwar nicht die berufliche Tätigkeit des Juristen und des Lehrers, wohl aber beider Ausbildung sind in der Endphase staatlich grundsätzlich monopolisiert. dd) Laufbahnbeamte: Das Laufbahnprinzip gliedert den Beamtendienst (Lauf65 bahngruppen, darin Fachrichtungen). Es soll der Verwirklichung des Leistungsprinzips dienen und auch ein Gegengewicht zur „Dynamik des Parteienstaates“ 146 bilden. Laufbahnen zeichnen erreichbare Ämterfolgen vor und errichten Anforderungen an die Laufbahnbefähigung durch Vor- und Ausbildung oder gleichwertige Qualifizierung.147 Die Regelung der Laufbahnprüfung von Beamtenanwärtern bedarf in ihren wesentlichen Teilen einer Festlegung durch Gesetz oder Rechtsverordnung.148 Innerhalb der Laufbahnfachrichtungen sind vier Gruppen, nämlich der einfache, der mittlere, der gehobene und der höhere Dienst zu unterscheiden. Der Zugang erfordert entsprechend grundsätzlich Hauptschulbildung, Realschulbildung, Fachhochschulreife bzw einen Hochschulabschluss. § 23 BBesG ordnet die Eingangsämter der Laufbahnen den einzelnen Besoldungsgruppen (su Rn 158) zu. Als Laufbahnbeamter wird bezeichnet, wer unter Erfüllung der laufbahnrechtlichen Voraussetzungen in sein Amt gelangt ist. Ist die Befähigung außerhalb des Dienstes erworben worden, spricht man von „freien Bewerbern“. Wechselt der Beamte von 143

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Näher dazu Summer ZBR 1995, 125, 133; krit aber Lecheler Vorgaben der Verfassung für die Übertragung von Leistungsfunktionen im Beamtenverhältnis, Verantwortung und Leistung, Heft 33/1997, 1 ff; sa Isensee Affekte, 17 f. Näher Battis BBG Rn 5 zu § 24; von „Aufpfropfung“ spricht Schnellenbach ZBR 1998, 223. S Battis ZBR 1996, 193, 197. So Lecheler in: König/Siedentopf (Hrsg), Öffentliche Verwaltung in Deutschland, 1997, 501, 506. S Lecheler Das Laufbahnprinzip, Verantwortung und Leistung, H 3/1981; zu Veränderungen im Laufbahngefüge ders Öffentlicher Dienst, Rn 120 ff; zu „Aufstiegsprozessen“ im öffentlichen Dienst eingehend Dreher Karrieren in der Bundesverwaltung, 1996. BVerwGE 98, 324, 327 → JK GG Art 12 I/39.

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6. Kap IV 2 a

einer niedrigeren in die nächsthöhere Laufbahngruppe, ohne deren Eingangsvoraussetzungen zu erfüllen (vgl § 12 Abs 3 BRRG, § 25 BBG), so spricht man von „Aufstieg“, der nach Maßgabe näherer gesetzlicher Regelungen als sog Regelaufstieg 149 oder als Aufstieg für besondere Verwendungen möglich ist. ee) Ehrenbeamte: Ehrenbeamte sind Personen, auf die alle Merkmale des staats- 66 rechtlichen Beamtenbegriffs zutreffen, ohne dass ihnen Besoldungs- oder Versorgungsansprüche zustünden. Sie sind vor allem auf kommunaler Ebene anzutreffen,150 im Bereich des Bundes als Honorarkonsuln.151 Nicht jede ehrenamtliche Tätigkeit im öffentlichen Bereich wird von Ehrenbeamten wahrgenommen. Die Abgrenzung erfolgt wiederum nach dem formalen Gesichtspunkt der Ernennung; erst sie hat die Anwendbarkeit beamtenrechtlicher Vorschriften auf den Ehrenbeamten zur Folge, die demgemäß zB für Wahlvorstände nicht gelten. ff) Politische Beamte: An der Nahtstelle zwischen politischer Spitze und Beam- 67 tenapparat sind diejenigen Funktionsträger angesiedelt, die als „politische Beamte“ Verantwortung für die Umprägung politischer Leitentscheidungen in die kleine Münze des Verwaltungsgeschehens tragen (su Rn 86 aE). Ein Minister muss seinem Staatssekretär in besonderem Maße vertrauen, die Regierung zB auch dem Chef des Presse- und Informationsamtes, den höheren Beamten der Verfassungsschutzbehörden und des Auswärtigen Dienstes; die Beamtengesetze listen die betreffenden Gruppen (mit Differenzen im Ländervergleich) auf.152 Solche Beamten können deshalb „jederzeit in den einstweiligen Ruhestand“ versetzt werden. Dies ist die einzige Besonderheit im Status des „politischen“ Beamten. Auf die damit verbundenen Rechtsfragen ist deshalb im Zusammenhang mit den allgemeinen Regeln über die Versetzung in den Ruhestand zurückzukommen (su Rn 118).

2. Die Begründung, Veränderung und Beendigung des Beamtenverhältnisses a) Die Ernennung zum Beamten Ein Merkmal bereits des staatsrechtlichen Beamtenbegriffs (so Rn 56), zwingende 68 Voraussetzung der Begründung des Beamtenverhältnisses, aber auch von Bedeutung für einzelne seiner Veränderungen, ist die Ernennung. Sie unterliegt strikter Formbindung (Urkundsprinzip). Ihre Zulässigkeit hat objektive und subjektive Voraussetzungen. Rechtliche Mängel einer Ernennung und ihre Aufhebung (Rücknahme) 149 150

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Vgl dazu Dürr DVBl 1985, 1207 ff. S → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 71; ferner Stober Der Ehrenbeamte in Verfassung und Verwaltung, 1981; Bsp aus der Rspr: BVerwG NVwZ 1998, 1304 f. G über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (BGBl 1974 I 2317), §§ 20 ff. § 31 BRRG nennt als Maßstab: „ein Amt …, bei dessen Ausübung (der Beamte) in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen muß“; für die Bundesbeamten s § 36 BBG. Das bayerische Recht kennt den politischen Beamten nicht, s dazu Steiner in: Berg/Knemeyer/Papier/Steiner (Hrsg) Staats- u Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl 1996, Teil F Rn 13. Allerdings sind Staatssekretäre in Bayern nicht Beamte, vgl Art 43 Abs 2 BayVerf.

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6. Kap IV 2 a aa

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unterliegen speziellen Regelungen, sind also nicht nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht zu beurteilen. Leidet die Ernennung von vornherein an Mängeln oder wird sie durch Rücknahme beseitigt, so stellt sich die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen für das Verhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Ernannten einerseits, für von diesem vorgenommene Amtshandlungen und die Haftung im Außenverhältnis andererseits. aa) Anwendungsfeld, Zuständigkeit, Form: Der Ernennung bedürfen (vgl § 6 69 BBG, § 5 BRRG) 153 die Einstellung des Beamten (als Begründung eines Beamtenverhältnisses zu einem bestimmten Dienstherrn), seine Anstellung (als erste Verleihung eines Amtes iS einer generell umschriebenen Aufgabenzuweisung mit eigener Amtsbezeichnung und amtsbezogener Besoldung), die Umwandlung des Beamtenverhältnisses (als Wechsel zwischen den Kategorien „auf Probe“, „auf Widerruf“, „auf Zeit“, „auf Lebenszeit“), die Verleihung eines anderen Amtes oder beim Laufbahnwechsel (Beförderung) mit höherem Endgrundgehalt (su Rn 108), die Verleihung eines anderen Amtes mit niedrigerem Endgrundgehalt (Herabsetzung; dies kommt – außer mit Zustimmung des Beamten – in Betracht bei organisatorischen Umbildungen der Behörde). Einstellung und Anstellung fallen regelmäßig bei der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zusammen. Die Ernennung ist also ein Verwaltungsakt zur Begründung eines Beamtenverhältnisses und zur Festlegung seiner Art, und sie bewirkt eine Aufgabenzuweisung. Entscheidend ist nicht, was die Behörde anstrebte oder wozu sie verpflichtet war, sondern grundsätzlich, was sie ausgesprochen hat. Die Konsequenzen fehlerhafter Ernennungen sind im Einzelnen und abschließend geregelt. Deshalb kann zB ein Beamter auf Widerruf nicht die (bezüglich der Beendigung des Dienstverhältnisses für ihn günstigere) Rechtsstellung des Beamten auf Probe in Anspruch nehmen, auch wenn er aus Rechtsgründen zu einem solchen hätte ernannt werden müssen.154 Wer rechtswidrigerweise befristet in das Beamtenverhältnis berufen wurde, ist nicht allein deshalb bereits Lebenszeitbeamter.155 Mit der Ernennung wird dem Beamten ein „Amt“ übertragen. Zu beachten ist, 70 dass der Amtsbegriff im Beamtenrecht mit verschiedenen Inhalten verwendet wird.156 Die Ernennung überträgt ein Amt im sog statusrechtlichen Sinne,157 dh eine Aufgabe, für die eine Laufbahngruppe, besoldungsrechtlich eine Amtsbezeichnung oder jedenfalls eine gesonderte Besoldung festgelegt ist, zB das Amt eines Oberregierungsrates. Davon zu unterscheiden ist das Amt im abstrakt-funktionalen Sinne, nämlich der allgemeine Aufgabenkreis des Beamten im Rahmen einer Behördenorganisation. Die Übertragung eines solchen Amtes erfolgt durch die Einweisung in eine – haushaltsrechtlich ausgewiesene (su Rn 74) – Planstelle bei einer Behörde (zB Oberregierungsrat im Umweltbundesamt). Das Amt im konkret-funk153

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§§ 9 ff LBG BW, Art 7 ff BayBG, §§ 8 ff LBG Bln, §§ 7 ff LBG Bbg, §§ 11 ff BremBG, §§ 8 ff HmbBG, §§ 9 ff HBG, §§ 7 ff LBG M-V, §§ 7 ff NBG, §§ 8 ff LBG NW, §§ 8 ff LBG Rh-Pf, §§ 11 ff SBG, §§ 6 ff BG LSA, §§ 10 ff SächsBG, 7 ff LBG SH, §§ 7 ff ThürBG. Vgl BVerwGE 28, 155, 159. Zur Frage seines Anspruchs auf eine entsprechende Ernennung Ingenlath DVBl 1986, 24 ff. Zu etwaigen Schadensersatzansprüchen beim Scheitern einer Ernennung Kellner DVBl 2004, 207. Zu den Amtsbegriffen vgl Summer FS Knöpfle, 1996, 369, 372 ff. Vgl dazu BVerwGE 40, 104, 107 u 65, 270, 272; BVerwG DVBl 1991, 642 f.

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tionalen Sinne schließlich bezeichnet die konkrete Tätigkeit des Beamten, die Zuweisung erfolgt hier durch den Organisations- oder Geschäftsverteilungsplan der Behörde (zB Fachgebietsleiter Chemische Industrie im Fachbereich Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung des Umweltbundesamtes). Das so verstandene Amt wird auch als Dienstposten bezeichnet. Die Dienstpostenbewertung (im Hinblick ua auf die Vorbildung, die Art der Tätigkeit) 158 ist Voraussetzung der haushaltsrechtlichen Ermittlung des Stellenbedarfs. Ausnahmsweise kann das Statusamt auch funktional bestimmt sein, zB: Präsident des Umweltbundesamtes – dann fallen alle drei vorgestellten Amtsbegriffe zusammen. Zuständig zur Beamtenernennung ist auf der Ebene des Bundes idR der Bundes- 71 präsident,159 in den Ländern der Ministerpräsident oder die Regierung als Kollegialorgan.160 Das wird erst praktikabel durch die Möglichkeit, die Ausübung der Ernennungsbefugnis auf andere Stellen zu übertragen.161 Nur auf Bundesebene begegnet das Problem des möglicherweise divergenten politischen Willens zwischen der auswählenden Regierung und dem den Formalakt vollziehenden Staatsoberhaupts. Wie bezüglich der Ausfertigung von Gesetzen stellt sich bei der Beamtenernennung die Frage, ob dem Bundespräsidenten ein Prüfungsrecht zusteht. Wie dort ist sie nicht strikt iS eines (lediglich) „formellen“ oder eines (sogar) „materiellen“ Prüfungsrechts zu beantworten, vielmehr bestehen ein prinzipiell auf das Verfahren bezogenes Prüfungsrecht sowie ein materielles Prüfungsrecht im Sinne einer (bloßen) Evidenzkontrolle.162 Die strikte Formbindung des Ernennungsakts dient der Rechtssicherheit im 72 Interesse des Adressaten wie der Allgemeinheit.163 Wirksam ist die Ernennung nur, wenn dem zu Ernennenden eine Ernennungsurkunde ausgehändigt wird, die einen gesetzlich festgelegten Mindestinhalt an Aussagekraft aufweist; er richtet sich in den Einzelheiten nach dem Inhalt des beabsichtigten Ernennungsakts. Entspricht die Urkunde nicht der Form, so „liegt eine Ernennung nicht vor“ (§ 6 Abs 2 S 3 BBG, § 5 Abs 3 S 1 BRRG). Die Aushändigung der Ernennungsurkunde ist ein tatsächlicher Vorgang, der nicht nur Beweisfunktion hat, sondern selbst konstitutive Wirkung entfaltet. Grundsätzlich trifft den Dienstherrn auch die (Fürsorge-) Pflicht, die Aushändigung nicht aus unsachlichem Grund hinauszuzögern,164 sofern 158

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S dazu Hachenberg VR 1993, 109 ff; allgem Siedentopf (Hrsg), Bewertungssysteme für den öffentlichen Dienst, 1986. Vgl a VGH Kassel NVwZ-RR 1998, 446 ff. § 10 Abs 1 BBG, Art 60 Abs 1 GG und Art 58 S 1 GG; sa § 176 BBG. Vgl etwa Art 51 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Art 45 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg; zur Zuständigkeit in Hessen vgl VGH Kassel NVwZRR 1996, 339, in Sachsen-Anhalt OVG Magdeburg ZBR 1997, 282. S die Anordnung des Bundespräsidenten über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Richter im Bundesdienst v 14. 7. 1975 (BGBl I 1915, zul geänd am 11. 11. 1996, BGBl I 1722). Vgl dazu Schlaich in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II (2. Aufl 1998), § 49 Rn 22 ff; insbes Rn 29 f; Kunig Jura 1994, 214, 217 ff. Vgl OVG Schleswig NVwZ 1995, 1139 f. Zur Rechtswidrigkeit eines auf die Begründung eines Beamtenverhältnisses gerichteten Vertrages, mit welchem sich ein Angestellter zu Geldleistungen als Gegenleistung verpflichtete, BVerwG DöD 2004, 60. S BGH ZBR 1983, 336 ff.

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die Sachentscheidung bereits gefallen ist. Das gilt vor allem, wenn ein Fürsorge gebietendes Dienstverhältnis bereits begründet ist, etwa in der Konstellation der anstehenden Beförderung, vor der Einstellung in eingeschränktem Ausmaß als Rechtsfolge des bereits begründeten Verfahrensrechtsverhältnisses. Rückwirkende Ernennungen sind – auch ungeachtet einer hierauf zielenden Datumsnennung in der Urkunde – unzulässig, aber in eine Ernennung am Tag der Aushändigung umdeutbar. Welche Anforderungen an den Aushändigungsvorgang selbst zu stellen sind, ist 73 gesetzlich nicht festgelegt. Jedenfalls setzt die Aushändigung den Annahmewillen des zu Ernennenden voraus; die Ernennung zum Beamten stellt einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt dar,165 ist ein abwendbares Schicksal. Es wird für ausreichend gehalten, wenn die Urkunde dem zu Ernennenden nicht in Person, sondern einem von ihm Bevollmächtigten ausgehändigt wird, der die Annahmebereitschaft in einer Rechtssicherheit herstellenden Weise belegt.166 Die (unverzügliche) Anfechtung durch den Ernannten ist – auch deshalb – in analoger Anwendung der §§ 119, 123 BGB möglich. Die Ausschließlichkeit der beamtengesetzlichen Nichtigkeitsund Rücknahmegründe steht nicht entgegen, weil sie im Interesse des Ernannten besteht; diesem Interesse trägt auch die Anfechtungsmöglichkeit Rechnung. Die ernennende Behörde muss ihrerseits mit Entäußerungswillen handeln; entwendete Urkunden sind nicht von der Behörde „ausgehändigt“ worden. Die Gewährung von Einsicht in die Urkunde genügt nicht. Ferner muss es sich um das Original der Urkunde handeln. Der Begriff „Aushändigung“ legt an sich nahe, dass die Besitzverschaffung „von Hand zu Hand“ erfolgen müsse, also der Vertreter der Ernennungsbehörde dem zu Ernennenden oder seinem Bevollmächtigten selbst gegenübertritt, doch wird auch die postalische Zustellung für ausreichend gehalten. Das ist nur dann unbedenklich, wenn Klarheit über die Begründung des Besitzes durch den Ernannten und den genauen Zeitpunkt dieses Vorgangs besteht.167 bb) Objektive und subjektive Ernennungsvoraussetzungen: In Anknüpfung an 74 Art 33 Abs 4 GG (so Rn 31) sehen die Beamtengesetze als objektive Voraussetzung der Berufung in das Beamtenverhältnis (also seiner Begründung iS der Einstellung, aber gleichermaßen geboten für jede weitere Variante der Ernennung) vor, dass von dem Berufenen entweder hoheitsrechtliche Aufgaben wahrgenommen werden oder aber solche, „die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen“ (§ 4 Nr 2 BBG, § 2 Abs 2 BRRG). Haushaltsrechtlich besteht als weitere objektive Voraussetzung der durch die Ernennung herbeigeführten Statusbegründung oder -änderung das Vorhandensein einer entsprechenden – besetzbaren – Planstelle.168 Dass eine solche erst eingerichtet wird, kann von Interessierten nicht verlangt werden.169 165 166 167

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Dazu allgemein Erichsen in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 12 Rn 23. Str, s Wegmann BayVBl 1981, 40, 43 mwN. Erreichbar durch Einschreiben mit Rückschein oder Postzustellungsurkunde unter Ausschluss der Ersatzzustellung. Vgl § 49 Abs 1 BHO und BVerwGE 101, 112, 114. – Zur Zulässigkeit von Wiederbesetzungssperren BayVerfGH, DVBl 1985, 1370 ff. Vgl BVerwG NVwZ 1991, 375; OVG Hamburg MDR 1991, 84; sa BAGE 78, 244, 247.

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Subjektiv, also als in der Person des Bewerbers liegende Merkmale, setzt die Be- 75 rufung in das Beamtenverhältnis die Eigenschaft als Deutscher iSd Art 116 GG oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU voraus, verlangt ferner seine Verfassungstreue und fachliche Befähigung (§ 7 BBG, § 4 BRRG). Hinsichtlich des Staatsangehörigkeitserfordernisses hat das 10. G zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften die Bezugnahme auf die EU eingeführt (so Rn 28). Auch zuvor war es aber nicht ausgeschlossen, dass Ausländer bzw Staatenlose ohne deutsche Volkszugehörigkeit zu Beamten ernannt werden konnten.170 Die Ernennung eines Ausländers oder Staatenlosen hat nicht die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge.171 Bewerber aus Mitgliedstaaten der EU dürfen allerdings nicht zu Beamten ernannt werden, „wenn die Aufgaben es erfordern“ (vgl § 7 Abs 2 BBG, § 4 Abs 2 BRRG). Die Gesetze fügen – im Wege des Klammerzusatzes – einen Hinweis auf Art 39 Abs 4 EGV hinzu, woraus sich schließen lässt, dass die Beschränkung auf Deutsche ermöglicht werden soll, so weit dies mit den europarechtlichen Vorgaben (vgl o Rn 28) vereinbar ist; eine hierüber hinausgehende Öffnung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.172 Auch von dem Deutschenvorbehalt darf abgewichen werden, wenn – so gilt es auch für die Ernennung von Nicht-EG-Ausländern bzw Staatenlosen – für die Gewinnung ein dringendes dienstliches Bedürfnis besteht (§ 7 Abs 3 BBG, § 4 Abs 3 S 1 BRRG; dort weitere Ausnahmen für den wissenschaftlichen Bereich, S 2). Derartige Ausnahmeentscheidungen sind Ermessensentscheidungen. Für die Annahme des die Ermessensausübung erst eröffnenden Tatbestandes besteht gerichtliche Kontrolle, allerdings eine weitgehende Einschätzungsprärogative auf behördlicher Seite. Zum Beamten darf nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er 76 jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Das gilt ungeachtet der Deutscheneigenschaft.173 Die beamtenrechtliche Pflicht zur „Verfassungstreue“ 174 setzt auf der Ebene der Ernennungsvoraussetzungen an, durchzieht das gesamte Beamtenverhältnis, und wirkt noch nach, wenn der aktive Dienst beendet ist. Als „Beamtenpflicht“ (su Rn 139) erscheint die politische Treuepflicht dabei in modifiziertem Vokabular, verglichen mit der tatbestandlichen Umschreibung der korrespondierenden Einstellungsvoraussetzung, doch geht es um Gleiches: Im Rahmen der Einstellung ist eine Prognose zu unternehmen, ob der Beamte der Treueverpflichtung genügen wird. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es auf die Tragweite der sog Gewährbieteklausel als Einstellungsvoraussetzung an. Sie er170 171

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S die 9. Aufl dieses Buches Rn 75. Anders früher §§ 14, 15 Abs 1 RuStAG aF – was dem Österreicher Adolf Hitler die deutsche Staatsangehörigkeit infolge seiner Ernennung zum (Vermessungs-)Beamten verschaffte. So auch Kathke ZBR 1994, 233, 235, mit im übrigen instruktivem Erfahrungsbericht an Beispielen der bayerischen Verwaltung. Zutreffend Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 32 Rn 95. Zu ihrer historischen Entwicklung Laubinger FS Ule, 1977, 89 ff. Grundlegende Darstellung bei Schrader Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, 1985. Vgl a Beate Rudolf „Verfassungsfeinde“ im öffentlichen Dienst, in: Thiel (Hrsg), Wehrhafte Demokratie, 2003, 209, mit kritischer Würdigung von BVerfGE 39, 334 und zur Vereinbarkeit der Gewährbieteklausel mit internationalem Recht.

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schließt sich nicht allein aus der einfachgesetzlich festgelegten Rechtslage, sondern ist in das Licht des Verfassungsrechts zu stellen. Näherer inhaltlicher Bestimmung bedarf zunächst der Bezugsgegenstand der 77 Loyalität, die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ im Sinne des GG (s auch Art 18, 21 Abs 2 GG). Art 9 Abs 2 GG beschreibt ein vergleichbares Prinzipienensemble mit dem Ausdruck „verfassungsmäßige Ordnung“.175 Im Wege systematischer Auslegung lässt sich zur Begriffsbestimmung Art 79 Abs 3 GG heranziehen, der inhaltlich beschreibt, was den Kern der grundgesetzlichen Ordnung ausmacht. Zu einem Schluss auf denkbare weitere Begriffsmerkmale könnte auch Art 33 Abs 5 GG verhelfen: Kann insoweit ein „hergebrachter Grundsatz“ mit Konturen ermittelt werden, so wird er ergiebig sein, um die Einstellungsvoraussetzungen näher zu bestimmen.176 Die so veranlasste historische Betrachtungsweise kann andererseits für den Bezugsgegenstand der Treuepflicht unter dem GG schon deshalb keinen endgültigen Aufschluss vermitteln, weil die – gegenwärtige – freiheitliche und demokratische Ordnung zwar in der durch die WRV umrissenen Ordnung (teilweise und in Teilen defizitär) einen Vorläufer, in der deutschen Geschichte jedoch im Übrigen kein eigentliches Vorbild findet. Würde sich etwa als „hergebrachter Grundsatz“ feststellen lassen, dass der Beamte für die jeweilige Verfassung in allen ihren Einzelheiten einzutreten habe (er dürfte dann nicht in politischer Aktivität auf Verfassungsänderungen dringen), so ließe sich eine solche Anforderung nicht vereinbaren mit dem Verhältnis von Dienstherrn und Beamten unter der Geltung des GG – wobei dahingestellt bleiben kann, ob sich die Rechtslage in vorkonstitutioneller Zeit insoweit anders dargestellt hat. Der Bezugsgegenstand der beamtenrechtlichen Verfassungstreuepflicht ist von 78 ihrer Funktion her zu bestimmen, worüber auch das Ausmaß der Inpflichtnahme Aufschluss vermittelt: „Jederzeitiges Eintreten“ für Grundsätze ist eine weit gespannte Verpflichtung, die schon deshalb einer engen Auslegung ihres Bezugsgegenstandes bedarf, um mit dem grundgesetzlichen Bild des mündigen Beamten vereinbar zu sein und darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die verfassungsgewollte Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes nur gewährleistet ist, wenn seine Akteure im Rahmen ihrer Gehorsamspflicht eigenständig denkende und kritische Subjekte bleiben. „Jederzeitiges Eintreten“ bezieht sich deshalb auf die Grundlagen der grundgesetzlichen Ordnung, nämlich die Grundrechtsordnung und die Strukturprinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie, der Bundesstaatlichkeit, der Sozialstaatlichkeit und des republikanischen Prinzips, dabei nicht auf jede grundgesetzliche oder einfach-rechtliche Ausformung. „Eintreten“ für diese Prinzipien kann auch, wer ihre Einhaltung gerade gegenüber dem Staat anmahnt oder Rechtsänderungen, auch Verfassungsänderungen, zu ihrer bewahrenden Fortentwicklung erstrebt. Die so Konturen gewinnende Pflichtenbindung ist verfassungsgemäß, auch 79 wenn dem GG die Vorstellung an sich fremd ist, jemanden zur Ablegung von Be175 176

Dazu – und zum Parteiverbot – Kunig Jura 1995, 384 ff. Gegen die Annahme, es handele sich um einen hergebrachten Grundsatz, zB Köpp in: Steiner, BesVwR, Abschn III Rn 38, im Anschluss an Zwirner Politische Treupflicht des Beamten, 1956 (Neudruck 1987).

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kenntnissen zu verpflichten oder ihn rechtlich anzuhalten, aktiv für bestimmte Ordnungsvorstellungen einzutreten. Die von Art 33 Abs 4 GG vorgenommene Strukturentscheidung zugunsten eines in tragender Rolle den öffentlichen Dienst gestaltenden, Treuepflichten unterworfenen Beamtentums impliziert die Verpflichtung dieser Personen auf die Grundpfeiler der Verfassung. Auf diesen ruht die Verwaltung, der Beamte darf an ihnen nicht rühren, ist zu ihrem Schutz auch als einzelner verpflichtet. Diese Legitimation trägt die Pflicht zum „Eintreten“ für die Grundordnung, weil zwischen passivem Gewähren lassen und aktivem Eintreten sinnvoll nicht unterschieden werden kann. Aktives Eintreten ist gefordert, wenn bereits passives Gewähren lassen die Grundordnung beeinträchtigt, also im Sinne einer Einstandspflicht. Die Treuepflicht begründet eine Garantenstellung für die Grundordnung, so weit die Einflussmöglichkeit des Beamten reicht. Das gilt auch für das „Bekenntnis“ zur Grundordnung, das die politische Treuepflicht in dem einmal begründeten Beamtenverhältnis fordert (vgl zB § 52 Abs 2 BBG; dazu noch u Rn 128, 139). Das Bekenntnis ist nicht Selbstzweck, es geht nicht um Erklärungen oder Reden, sondern um die Tat durch Handlung oder Wort. Einzuräumen ist: Die missverständliche Formulierung vom Bekennertum könnte und sollte getilgt werden, ohne dass dies die Rechtslage verändern müsste. Sie erweckt den Eindruck, als wolle das Recht Gesinnungen vorschreiben – was es nicht zu leisten vermag. Die Treuepflicht erstreckt sich als durch die Begründung des Beamtenverhält- 80 nisses entstehende Pflicht auf das „gesamte Verhalten“ des Beamten, differenziert also nicht zwischen inner- und außerdienstlichem Verhalten. Das spricht den Beamten nicht nur auf Amtswalterebene an, sondern auch in seiner privaten Sphäre. Muss der Beamte auch außerdienstlich das Gebot der Treue beachten, so ist dies allerdings weniger einsichtig als für den dienstlichen Bereich: Ein funktionsfähiges Berufsbeamtentum mag denkbar sein, auch ohne den Beamten außerhalb des Dienstes zum Eintritt für die Grundordnung zu verpflichten. Ist eine solche Verpflichtung aber – wie im geltenden Recht – ausgesprochen, so kann das angesichts insbesondere der Meinungsfreiheit nur bedeuten, dass der Beamte bzw Beamtenbewerber rechtlichen Konsequenzen aus außerdienstlichen Verstößen gegen die Treuepflicht nur insoweit ausgesetzt werden darf, als dies mit den grundrechtlichen Wertentscheidungen vereinbar ist. Auf die Bereitschaft zur Einhaltung der Verfassungstreuepflicht können Rückschlüsse aus dem außerdienstlichen Verhalten deshalb nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gezogen werden. Ein besonderes Problem wirft die Betätigung in politischen Parteien auf, die nicht 81 verboten sind, aber materiell die Voraussetzungen eines Verbots erfüllen. In der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik sind verschiedentlich Parteien linker wie rechter Ausrichtung aufgetreten, die zu der Frage Anlass gaben, ob sie „verfassungswidrig“ iSd Art 21 Abs 2 S 1 GG waren oder sind; zur Feststellung dessen oder des Gegenteils durch das Bundesverfassungsgericht nach Art 21 Abs 2 S 2 GG ist es bekanntlich seit den 50er Jahren nicht gekommen. Unter Billigung durch die Rechtsprechung sind Mitglieder etwa der DKP und der NPD als „Verfassungsfeinde“ eingestuft und Rechtsfolgen wegen Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Treuepflicht ausgesetzt bzw wegen Fehlens der Einstellungsvoraussetzungen nicht zu Beamten 779

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ernannt worden.177 Dabei haben sich Differenzierungen zur Art des jeweiligen Einsatzes für die Partei („bloße“ Mitgliedschaft, Funktionsträgerschaft, Kandidatur bei Wahlen) und zu dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt herausgebildet (etwa: einschlägige Betätigung während des Studiums als geringer ins Gewicht fallende sog Jugendsünde). Parteimitgliedschaft allein ist nicht geeignet, eine Einschätzung der Verfassungsuntreue zu tragen. Das gilt auch für die Mitgliedschaft in der SED oder sog Blockparteien der DDR, welche als alleinigen Ausschlussgrund für die Beamtenlaufbahn anzusehen ahistorisch wäre.178 Auch insoweit sind Einzelfallprüfungen geboten. Ein Verhalten unter den Bedingungen von Staat und Gesellschaft der DDR kann nicht ohne weiteres an den Maßstäben gemessen werden, die der freiheitliche Rechtsstaat entwickelt hat.179 Zu berücksichtigen ist auch, dass für ein Parteimitglied die Übernahme auch von Funktionen innerhalb der Partei selbstverständlicher war als bei Parteien der bisherigen Bundesrepublik. Es ist lange gestritten worden, in welchem Verfahren die Überprüfung der Ver82 fassungstreue bei der Einstellung von Beamten erfolgen solle.180 In den Ländern wurden und werden unterschiedliche Verfahren praktiziert, teilweise die sog Regelanfrage bei den Ämtern für Verfassungsschutz, teilweise die Anfrage nur aus besonderem Anlass; in den neuen Ländern stand wegen der (unterschiedlich gearteten) Zuarbeit vieler Bediensteter der Verwaltung für das Ministerium für Staatssicherheit die Anfrage bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bzw den Landesbeauftragten (s § 38 StUG) lange Zeit im Vordergrund.181 Die Rechtsprechung lehnt es ab, die Anforderungen spezifisch auch an der jewei83 ligen Tätigkeit des Beamten auszurichten, also das konkrete Gefährdungspotential, das aus der Beschäftigung eines „Verfassungsfeindes“ resultieren kann, in Rechnung zu stellen, wie es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nahe legt.182 Nur für nichtbeamtete öffentliche Dienstnehmer (su Rn 183) kämen Differenzierungen in Be177

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S BVerfGE 39, 334ff und dazu aus dem Schrifttum etwa Schlink Staat 15 (1976) 335 ff; Scholz FS Broermann, 1982, 409 ff; zuvor etwa Thieme FS Wacke, 1972, 71 ff. – BVerwGE 73, 263 ff und 76, 157 ff (Disziplinarverfahren); BVerwGE 86, 99 ff. Sa VG Münster DÖV 1995, 519 ff; nach BVerwG NVwZ-RR 2004, 269 kann die politische Aktivität in einer Partei mit verfassungsfeindlicher Tendenz der Einberufung eines Reserveoffiziers entgegenstehen (beide betr „Die Republikaner“). Zum Problemkreis Treuepflicht und Mitgliedschaft in sog Neuen Weltanschauungsgemeinschaften Cremer/Kelm NJ 1997, 565 ff; Diringer NVwZ 2003, 901 ff. Vgl dazu auch Kunig in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IX, § 216 Rn 13. S dazu Isensee in ders (Hrsg), Vergangenheitsbewältigung durch Recht, 1992, 91, 104. Dazu Simon/Mommsen/Becker ZRP 1989, 175 ff; Riegel ZRP 1989, 321 ff. Vgl zu § 6 Abs 3 SächsBG BVerwGE 99, 371 ff und Roellecke SächsVBl 1996, 29 ff. S ferner Kathke ZBR 1992, 344 ff; Franzki DRiZ 1992, 469 ff; zur Mitwirkung der Nachrichtendienste Riegel JZ 1993, 442 ff. – Aus der Rspr s OLG Naumburg DVBl 1993, 960 ff; BezG Erfurt LKV 1993, 173f; OVG Bautzen LKV 1994, 341 ff u ZBR 1997, 132 ff (Fragen nach Stasi-Kontakten an einen Westbeamten); BVerwG ZBR 2000, 36 ff. (Zumutbarkeit des Festhaltens am Beamtenverhältnis). S BVerfGE 39, 334 f; BVerwGE 73, 273, 276 → JK GG Art 33 V/4; anders Thieme FS Wacke, 1972, 71, 81.

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tracht.183 Dies begegnet Bedenken, weil die Treuepflicht lediglich wegen der Funktionserhaltung des öffentlichen Dienstes gesetzlich gefordert werden kann. Gründet sie im Ziel der Funktionserhaltung, so liegt nahe, sie auch funktional zu differenzieren, also in ihrem Ausmaß an dem konkreten Amt auszurichten. Zu Bedenken Anlass gibt auch die Rechtsprechung zum Verständnis der Ge- 84 währbieteklausel als eines der richterlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglichen Rechtsbegriffs. Unbestimmte Rechtsbegriffe des Verwaltungsrechts unterliegen im Grundsatz voller richterlicher Kontrolle. Ausnahmen bedürfen jeweils der Rechtfertigung vor der (auch) materiellen Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG. Unter dem Gesichtspunkt des Prognosecharakters der Einschätzung des künftigen Verhaltens des Bewerbers wie auch im Hinblick auf eine besondere Sachnähe der (Einstellungs-)Behörde wird hier weithin eine solche Ausnahme angenommen.184 Solche Erwägungen überzeugen bezüglich der Beurteilung der fachlichen und der allgemeinen persönlichen Eignung (su Rn 86), nicht aber bezüglich der Verfassungstreue. Das in einem unbestimmten Rechtsbegriff auszumachende Prognoseelement allein reicht nicht aus, um dessen Justitiabilität zu begrenzen. Anders als im Hinblick auf die Eignung für die spezifischen Anforderungen eines Amtes (so Rn 70) ist die Gewähr der Verfassungstreue daher nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen; ein sachlicher Kompetenzvorsprung der Behörde gegenüber den Gerichten besteht nicht. Das gilt auch dann, wenn man das Ausmaß der zu beurteilenden Treue in Beziehung zur konkreten Amtstätigkeit setzt. Die Rechtslage ist insofern vergleichbar dem wirtschaftsverwaltungsrechtlich vielfach geforderten Zuverlässigkeitsurteil, das zu Recht seit jeher voller richterlicher Überprüfung für zugänglich gehalten wird,185 obwohl auch hier – bis in das Vokabular hinein vergleichbar – eine auf Wertungen beruhende Feststellung darüber zu treffen ist, ob eine Person die „Gewähr bietet“, bestimmten (ebenfalls relativen) normativen Anforderungen künftig gerecht zu werden. Die weiteren subjektiven Ernennungsvoraussetzungen sind teilweise rein formal 85 bestimmbar, teilweise wiederum mit unbestimmten Rechtsbegriffen umschrieben. So ist für den Laufbahnbeamten eine Vorbildung gesetzlich vorgeschrieben oder als üblich gefordert, etwa ein Vorbereitungsdienst,186 während der freie Bewerber (so Rn 69) die erforderliche Befähigung anderweitig nachweisen kann. Mindest- und Höchstgrenzen bestehen für das Lebensalter; 187 letztere differenzieren im Interesse von Frauen und erziehenden Männern. Auch die Fähigkeit zur Bekleidung öffent-

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S BAG NJW 1987, 269. BVerfGE 39, 334, 354; BVerwG DVBl 1994, 111 f (zu §§ 3, 4 SoldG); Battis BBG Rn 13 zu § 7; anders Stern Zur Verfassungstreue der Beamten, 1974, 27. Zu recht für volle gerichtliche Überprüfbareit des Begriffs der „Unzumutbarkeit“ (des Festhaltens am Dienstverhältnis) im Rahmen der Sonderkündigungstatbestände nach dem EV (so Rn 23) OVG Greifswald LKV 1996, 251 ff. S zB BVerwGE 36, 288 ff und → Badura/Huber 3. Kap Rn 150 ff. Zur Rücknahme einer Ernennung wegen Widerrufs einer Prüfungsentscheidung BVerwGE 71, 330, 332 ff. Zur entspr Anwendbarkeit des § 113 BGB bei Minderjährigkeit vgl BVerwG BayVBl 1996, 637 f.

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licher Ämter 188 und die (Nicht-)Mitgliedschaft im Bundestag oder in Landtagen 189 sind formal bestimmbar, nicht dagegen die Anforderungen an die gesundheitliche Dienstfähigkeit 190 und die allgemeine fachliche und charakterliche191 Eignung – auch ihre Beurteilung muss (konkret) amtsbezogen erfolgen, darf nicht abstrakte Persönlichkeitsbewertung sein.192 cc) Leistungsprinzip, Ernennungsanspruch, Konkurrenz: Die Entscheidung über 86 die Ernennung erfolgt regelmäßig als Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern. Sie ist durch verfassungsrechtliche Anforderungen materiell programmiert, insbesondere durch Art 33 Abs 2, Abs 3 GG, die Gleichheitsgrundrechte des Art 3 GG, aber auch durch das Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG, das zB die Bevorzugung Schwerbehinderter grundsätzlich legitimiert.193 Der Dienstherr darf die Beurteilung entscheidungsrelevanter Aspekte nicht auf Dritte übertragen, sich aber etwa Ergebnisse einer psychologischen Begutachtung zu eigen machen.194 Das Leistungsprinzip soll etwa auch durch die Vergabe von Leitungsfunktionen auf Probe (so Rn 63) gestärkt werden. Ausgangspunkt für die „Auslese“ der Beamten (vgl § 8 Abs 1 S 2 BBG) ist ein Maßstab, der bereits in der institutionellen Verbürgung des Berufsbeamtentums angelegt und in Art 33 Abs 2, Abs 3 GG individualrechtlich ausgemünzt ist: Es bedarf einer strikt an der Befähigung und der fachlichen Leistung ausgerichteten Entscheidung. Das Leistungsprinzip hat über den Zugang zum und das Fortkommen im öffentlichen Dienst zu entscheiden.195 Damit dies gelingen möge, besteht bundes188 189

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Vgl §§ 45, 45 b StGB. Vgl Art 137 Abs 1 GG iVm § 28 Nr 2 BBG, § 33 Abs 3 BRRG; die sog Inkompatibilität ist in den Ländern teilw gesondert im Rahmen der Ernennungsvoraussetzungen geregelt. Zu § 12 Abs 1 Nr 1 des KommunalwahlG Bbg vgl VerfG Bbg DÖV 1996, 372 ff; dazu Engelken DÖV 1996, 853 u Menzel DÖV 1996, 1037. Zu § 26 Abs 1 Nr 6 BerlWahlG vgl BVerfG NJW 1996, 2497. Zu § 13 Abs 1 lit a KommWahlG NW OVG Münster NVwZ 1998, 768 ff. Zum HIV-Test s VGH München DVBl 1989, 212 ff → JK GG Art 28 II 1/18; Seume BayVBl 1988, 359 ff; Haesen ZRP 1989, 15 ff; Seewald VerwArch 90 (1989) 163 ff – Zur Übergewichtigkeit s BVerwGE 92, 147 u VGH Mannheim NVwZ-RR 1996, 454. Vgl VGH Mannheim ZBR 1984, 281f zu einem straffällig gewordenen Bewerber. „Diplomatisches Geschick“ soll kein zulässiges Befähigungsmerkmal sein, OVG NW NWVBl 2004, 463. Vgl § 4 Abs 3 S 2 und § 13 BLV; § 11 a ArbplSchG; vgl aus der Rspr BVerwG ZBR 1990, 325; OVG Lüneburg NVwZ-RR 1996, 281. Zur Förderung Behinderter im öffentlichen Dienst nach der Einfügung des Art 3 Abs 3 S 2 GG vgl Schwidden RiA 1997, 70 ff. Vgl BVerwGE 80, 224, 227 f. Dazu Krüger Das Leistungsprinzip als Verfassungsgrundsatz, 1957; Isensee FS BVerwG, 1978, 337 ff; Siedentopf FS Bulling, 1990, 155 ff; Schmidt-Aßmann NJW 1980, 16 ff; Bochmann ZBR 2004, 405 ff; für Beförderungsentscheidungen s Laubinger VerwArch 83 (1992) 246 ff; Schnellenbach DVBl 1995, 1153, 1156 mwN; anders insoweit Wenger Leistungsanreize für Beamte, Diss Tübingen, 1995, 80; dagegen zurecht Battis ZBR 1996, 193, 195. Zur Unzulässigkeit eines mit sozialen Erwägungen motivierten Verzichts auf eine Erprobung OVG Schleswig NVwZ 1997, 613 ff. Zu gegenüber dem Leistungsprinzip nachrangigen Auswahlprinzipien BVerfG DVBl 1995, 1237 ff, sa OVG Schleswig NVwZ-RR 1995, 583. Zu Hilfskriterien bei gleicher Eignung s BVerwG ZBR 2003, 420.

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rechtlich für die Bundesbeamten (die Landesgesetzgebung divergiert) grundsätzlich eine Ausschreibungspflicht (vgl § 8 BBG), die sich auf Einstellungen iSv § 3 BLV (vgl § 4 Abs 1 BLV) bezieht, für Beförderungen eine Soll-Vorschrift zur innerdienstlichen Ausschreibung (s § 23 BBG, § 4 Abs 2 BLV).196 Das Leistungsprinzip fordert, die Entscheidung an der Eignung (persönliche, intellektuelle, charakterliche Eigenschaften), der Befähigung (fachliches Wissen, berufliches Können) und der fachlichen Leistung (bisherige Arbeitsleistungen in praktischer Tätigkeit, besonders wichtig bei der Beförderung und bei der Beurteilung von Bewerbern, die nicht Laufbahnbewerber sind) auszurichten. Es handelt sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe, denen eine Beurteilungsermächtigung für die entscheidende Verwaltung innewohnt 197 Gerichtlich kann nur kontrolliert werden, ob die Verwaltung von einem zutreffenden Tatsachenbild ausgegangen ist, ob sie allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet und ob sie sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Wegen der Relativität der Kriterien in Bezug auf das zu vergebende Amt kann der Dienstherr im Rahmen sachgerechter Beurteilung auch über die Gewichtung der Kriterien im Einzelfall befinden. Im Fall einer Überprüfung im Verwaltungsverfahren (vgl § 126 Abs 3 BRRG, § 172 BBG) bzw im gerichtlichen Verfahren hat der Dienstherr die Plausibilität seiner Erwägungen nachvollziehbar zu machen. Verboten ist eine Bevorzugung einzelner Personen aus sachwidrigen Motiven (persönliche Präferenz, zB aus politischer, landsmannschaftlicher, religiöser Verbundenheit) – ein theoretisch leicht konsentierbares Postulat, das in der Realität auf vielfältige Anfechtungen stößt, bekanntlich vor allem durch die sog Ämterpatronage,198 mit der politische Parteien ihren Einfluss zu sichern trachten und ihren Mitgliedern einen Anreiz zu politischer Betätigung setzen. Ebenso abzulehnen wie die „einseitige“ Patronage (etwa im Anschluss an Wahlen, „Machtwechsel“) ist die Proporz-Patronage, bei der sich Parteien im Zusammenwirken bedienen.199 Bereits in dem kraft Gesetzes verpönten Entscheidungskriterium „politischer Anschauungen“ ist ein Abgrenzungsproblem unmittelbar angelegt. Auf der Stufe des sog politischen Beamten (so Rn 67) anerkennt die Rechtsordnung selbst die Notwendigkeit eines politischen Grundkonsenses zwischen den Beamten und der jeweiligen Regierung. Daraus kann auch geschlossen werden, dass das Fehlen eines solchen politischen Konsenses für andere als politische Beamte die Ernennungsentscheidung nicht beeinflussen darf. Die verpönten Auswahlkriterien geben nicht nur in sich Auslegungsprobleme 87 auf, sondern stehen ihrerseits in einem Spannungsverhältnis zu gegenläufigen verfassungsrechtlichen Vorgaben. So war Art 3 Abs 2 GG auch vor der Einfügung des S 2 nicht nur ein Grundrecht auf individuelle Gleichbehandlung, sondern bereits 196

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S dazu Battis BBG Rn 6 zu § 8; aus der Rspr s BVerwG NVwZ 1989, 563 u RiA 1997, 132 ff; OVG Lüneburg DVBl 1993, 959 f; BremStGH DÖV 1993, 300 → JK GG Art 33 II/14; SächsOVG SächsVBl 2001, 196; s ferner Ladeur Jura 1992, 77 ff. S dazu BVerwGE 8, 192, 195 f; 15, 39 ff; 68, 109 f → JK GG Art 33 II/8; Differenzierung mwN bei Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 Abs 4 Rn 194. – Zum Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Bewertung von Examensnoten, die in einem anderen Bundesland erzielt worden sind, s OVG Lüneburg NVwZ 1995, 803 f. Dazu von Arnim PersV 1988, 21 ff; Wichmann ZBR 1988, 365 ff; Klieve VR 2003, 183 ff. Analyse der „Karrierefaktoren“ bei Spitzenbeamten: Derlien DÖV 1990, 311 ff. „Arrangement der Beuteberechtigten“, so Battis BBG Rn 4 zu § 8.

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auch ein Gebot zur Herstellung gleicher Entfaltungschancen für Männer und Frauen.200 Ob Frauen bei gleicher Eignung und Leistung bevorzugt werden dürfen, ist umstritten, allerdings schon die Prämisse zweifelhaft, ob zwei Bewerber überhaupt „gleich“ geeignet sein können. Jedes Bevorzugungsgebot, mag es auf Gesetz oder – lediglich – Verwaltungsvorschrift beruhen, entfaltet Vorwirkungen, es drängt sich ein schon in die wertende Feststellung über gleiche Eignung. Das Verfassungsgebot, Männer und Frauen gleich zu behandeln, verlangt nach der Berücksichtigung realer Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Bewertung bisheriger Lebensleistung, gestattet aber keinen Schematismus, der in genereller und qualifikationsunabhängiger Bevorzugung resultieren würde.201 Im Mittelpunkt der seit längerem andauernden Diskussion steht die Frage, in welcher Weise durch Gesetz die Einstellungs- und Beförderungspraxis mit dem Ziel der Frauenförderung gesteuert werden darf oder gar muss.202 Neben den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sind für die Zulässigkeit bzw Auslegung solcher Vorschriften Vorgaben des Gemeinschaftsrechts von Bedeutung, dies über das Beamtenrecht bzw das öffentliche Dienstrecht hinausweisend. Anhand der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG hat der EuGH auf Vorlagen deutscher Gerichte 203 ein wohl nicht gänzlich in sich stimmiges,204 aber doch in den Grundzügen plausibles Konzept vorgegeben, das jedenfalls für einige Landesgesetze zur Gleichstellung Anpassungs200

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Vgl BVerfGE 85, 191, 207 → JK GG Art 3 II/6; BVerfG NJW 1994, 647 u dazu Zimmer NJW 1994, 1203f; Sacksofsky Das Grundrecht auf Gleichhehandlung, 2. Aufl 1996; Fisahn NJ 1995, 352 ff. Statistische Befunde zur Beteiligung von Frauen an Führungspositionen bei Löhr VR 1998, 182 ff. – Die erwähnte Änderung des GG erfolgte durch G v 27. 10. 1994, BGBl I 3146; dazu König DÖV 1995, 837 ff. Durch Art 1 des 2. GleichberechtigungsG v 24. 6. 1994 (BGBl I 1406), das FrauenförderG (zuletzt geänd am 24. 2. 1997, BGBl I 322) hat der Bundesgesetzgeber (für die Bundesverwaltung) eine Reihe von Förderungsmaßnahmen zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern vorgegeben und dabei den „Vorrang von Eignung, Befähigung und Leistung“ unter Bezugnahme auf Art 33 Abs 2 GG in der Zielbestimmung des Gesetzes betont (§ 2 2. GleichbG). – S dazu Mittmann NJW 1994, 3048 ff. Vgl zu dem Problemfeld Ebsen Jura 1990, 515 ff; Fuchsloch NVwZ 1991, 442 ff; Südhoff JZ 1991, 751 ff; Rüfner FS Stern 1997, 1011 ff. Zu einzelnen landesrechtlichen Regelungen Überblick bei Battis/Schulte-Trux/Weber DVBl 1991, 1165 ff; Breunig PersR 1994, 446 ff; Schnellenbach NWVBl 1994, 371 f; Hofmann NVwZ 1996, 424 ff. – Zu § 125 b Abs 1 BRRG (Ausgleich mutterschaftsbedingter Nachteile) s BVerfGE 91, 130 ff; für verfassungsrechtlich nicht geboten hält die Vorschrift BVerfG NVwZ 1997, 54 f. Bsp aus der neueren Rspr: OVG Lüneburg NVwZ 1996, 497 ff → JK GG Art 3 III/1; VG Berlin NVwZ-RR 1996, 406 ff; VG Darmstadt NVwZ-RR 1995, 289 f. EuGH NJW 1995, 3109 ff – Kalanke, dazu Holznagel/Schlünder Jura 1996, 519 ff, auf Vorlage von BAG NZA 1994, 77 ff; EuGH DVBl 1998, 181 ff → JK GG Art 3 II/8 – Marschall, auf Vorlage des VG Gelsenkirchen EuZW 1996, 223 ff; EuGH NJW 2000, 1549 ff. – Badeck ua, auf Vorlage des VGH Kassel, StAnz Hess 1997, 1447 ff, dazu Sachs, JuS 2000, 812 f; Piestner, EuZW 2000, 479 ff. Eingehend dazu Sachs RdA 1998, 129 ff; Zusammenschau auch bei Starck JZ 1998, 140 f; Glauben DRiZ 1998, 52 ff; Pape AuR 1998, 14 ff. – Zum zunächst geführten Streit um das rechte Verständnis der Kalanke-Entscheidung etwa Loritz EuZW 1995, 763 ff; Starck JZ 1996, 197 ff; B. Schmidt NJW 1996, 1724 ff; Colneric in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart 34 (1997), 69 ff.

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bedarf ausgelöst hat. Danach ist eine nationale Regelung („Quote“), nach der weiblichen Bewerbern mit gleicher Qualifikation wie männlichen Mitbewerbern in solchen Tätigkeitsbereichen, in denen im jeweiligen Beförderungsamt weniger Männer als Frauen beschäftigt sind, bei einer Beförderung automatisch der Vorzug eingeräumt wird, als geschlechtsbezogene Diskriminierung der Männer europarechtlich unzulässig. Diese Erkenntnis führte im Fall Kalanke zur Beanstandung einer Vorschrift bremischen Rechts. Im Fall Marschall betonte der EuGH die genannte Aussage erneut, gelangte aber zu der Auffassung, die in jenem Verfahren in Rede stehenden (nordrhein-westfälischen) Regelungen seien angesichts einer „Öffnungsklausel“ (§ 25 Abs 5 S 2 LBG NW), nach der Frauen nicht vorrangig befördert werden müssen, sofern in der Person eines männlichen Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen, mit der erwähnten Richtlinie vereinbar. Der EuGH hob in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervor, dass solche Öffnungsklauseln zum Abbau in der sozialen Wirklichkeit bestehender faktischer Ungleichheiten beitragen könnten. Zulässig seien sie dann, wenn mit Frauen gleichqualifizierten Männern im Einzelfall garantiert sei, dass eine „objektive“ Beurteilung erfolge, alle in Betracht kommenden Kriterien – deren Inhalt bleibt allerdings letztlich offen – gewürdigt würden und eben der Frauen-Vorrang entfalle, sobald solche Kriterien zugunsten des Mannes „überwögen“; diesen Kriterien dürfe aber nicht ihrerseits diskriminierende Wirkung zukommen. Im Fall Badeck ua wurde das hessische Gleichberechtigungsgesetz für europarechtskonform gehalten. Der Billigung einer „Verfahrensquote mit Öffnungsklausel“ 205 aus europäischer Sicht wird man sich auch aus dem Blickwinkel von Art 33 Abs 2, Art 3 Abs 2 GG grundsätzlich anschließen können,206 wobei allerdings noch die Frage zu beantworten bleibt, ob und mit welchem Ergebnis es grundrechtlich geboten ist, die bei gleicher Qualifikation den Frauenförderungsautomatismus abwendenden Beurteilungskriterien zugunsten gleichqualifizierter männlicher Bewerber gesetzlich festzulegen.207 Nicht vergessen werden sollte im Übrigen, dass Regelungen wie die genannten nur eines unter anderen (verfassungsrechtlich dann weniger problematischen) Instrumenten auf reale Gleichstellung zielender Politik darstellen.208 Aus keiner der Normen, die die Entscheidung über die Ernennung materiell 88 anleiten, folgt ein Anspruch auf Ernennung,209 aus Art 33 Abs 2 GG allerdings –

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So etwa Battis NJ 1998, 44. Vgl die Einfügung der Worte „sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen“ in § 4 Abs 1, 2 des brem LandesgleichstellungsG durch G v 3. 2. 1998 (GBl 25). Vgl näher Kunig in: v Münch/Kunig, GG II, Art 33 Rn 34 Stichw „Frauenförderung“ mwN. Vgl OVG Lüneburg DVBl 1995, 1254 ff → JK GG Art 3 III/1; für den vorliegenden Zusammenhang VG Berlin DöD 1998, 169 ff u allgem Streinz EuropaR, Rn 202 ff. S bei Kunig aaO. – Zur gesetzlichen Pflicht von Gemeinden zur Bestellung kommunaler Frauenbeauftragter Nds StGH NVwZ 1997, 58 ff u dazu Fritsche/Wankel NVwZ 1997, 43 ff; Niebaum DÖV 1996, 900 ff. BVerfGE 39, 334, 354; BVerwGE 2, 151, 153; OVG Bautzen SächsVBl 1993, 278 ff und LKV 1994, 147 ff; Günther ZBR 1979, 93, 101; sa Sachs ZBR 1994, 133 ff. Zum Ernennungsanspruch nach erfolgreicher Erprobung so Rn 64.

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unproblematisch – das Recht auf Bewerbung, das sich fortsetzt in dem Recht auf ein faires Entscheidungsverfahren.210 Allerdings kann ein Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen jederzeit abgebrochen werden.211 Im bloßen Recht auf Bewerbung erschöpft sich die Rechtsstellung, die Art 33 Abs 2 GG dem Bewerber verleiht, nicht. Es besteht vielmehr ein subjektives öffentliches Recht auf eine rechtmäßige Ermessensausübung. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung kann sich regelmäßig zum subjektiven Recht auf die begehrte Entscheidung auch in der Sache verdichten. Dies ist bei Ernennungen allerdings schon deshalb gerichtlich selten durchsetzbar, weil die vorauszusetzende Spruchreife meist fehlt (vgl § 113 Abs 5 S 1 VwGO). Auch wenn zur Zeit der Entscheidungsfindung nur die Ernennung des zu Unrecht abgewiesenen Bewerbers in Betracht gekommen wäre, kann es der Behörde vorbehalten sein, in Zukunft entweder von einer Ernennung ganz abzusehen oder ein neues Ausschreibungsverfahren einzuleiten, um weitere Bewerber zu gewinnen. In besonderen Fallkonstellationen verdichtet sich das Ermessen dagegen typi89 scherweise zum Ernennungsanspruch. Es betrifft dies zum einen den Fall der Zusicherung von Seiten der zuständigen Stelle.212 Aus § 183 Abs 1 S 1 BBG lässt sich schließen, dass die Zusicherung einer Ernennung rechtlich zulässig ist. Sie bedarf der Schriftform.213 Des Weiteren gibt für diejenigen Vorbereitungsdienste, die dem Zugang zu Berufen außerhalb des öffentlichen Dienstes zwingend vorgeschaltet sind, Art 12 Abs 1 GG das Zugangsrecht, wenn der Bewerber die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt.214 In Mangelsituationen (wie bezüglich der Stellen im Vorbereitungsdienst der Justiz) muss die „Verwaltung des Mangels“ den Erfordernissen des Gleichheitssatzes genügen; zugleich ist der Staat grundsätzlich gehalten, ein angemessenes Maß solcher Stellen bereitzuhalten.215 Schließlich kennt das Beamtenrecht eigene Anspruchsgrundlagen für die Ernen90 nung, so bezüglich der Lebenszeiternennung für den Beamten auf Probe,216 für den 210

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Vgl dazu VGH Kassel NJW 1985, 1103 ff u ZBR 1994, 345 ff; sa Lecheler JZ 1984, 448, 452 f. BVerwGE 101, 112, 114 f. Dazu Grellert Zusicherungen im Beamtenrecht, 1964; Pappermann ZBR 1968, 202 ff; Günther ZBR 1988, 181 ff; sa Erichsen Jura 1991, 109 ff. Zu § 38 Abs 1 S 1 VwVfG insoweit Kunig ZBR 1986, 253, 257; Wagner DÖV 1988, 277, 282; zur Verwaltungsaktsqualität Hochschullehrern erteilter Rufe BVerwG DVBl 1998, 643 f (abl); s demgegenüber etwa Epping WissR 1992, 166, 179. Vgl dazu BVerwGE 6, 13 ff; 16, 241, 245 f; Battis NJW 1988, 947, 952 mwN. Wenn die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht möglich ist, muss der Staat einen gleichwertigen Vorbereitungsdienst anbieten, vgl BAG NJW 1987, 2699 ff. Vgl OVG Hamburg DVBl 1987, 316 ff u MDR 1991, 84; offengelassen von VGH Mannheim VBlBW 1998, 69f. Vgl in diesem Zusammenhang auch die grundlegende Entscheidung des BVerfG zu Art 12 Abs 1 GG als Teilhaberecht (E 33, 303, 331 f), das sog 1. NCUrteil; einordnend dazu Gubelt in: v Münch/Kunig, GG I, Art 12 Rn 28 ff. Vgl § 9 Abs 2 BBG; eine solche Entscheidung muss in angemessener Zeit erfolgen, vgl dazu BVerwGE 19, 344, 347; weiter BVerwGE 92, 147 ff; VGH Mannheim NVwZ-RR 1996, 454, dort auch zu der Beurteilung der Bewährung als Akt wertender Erkenntnis, der die gerichtliche Kontrolldichte einschränkt.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 2 a cc

Wahlbeamten nach ordnungsgemäßer Wahl und deren Annahme, schließlich – aus zeitlichen Gründen wohl abgeschlossen – im Falle der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts.217 Für die Wiedergutmachung in der DDR vom Staatsdienst ferngehaltener oder am Fortkommen willkürlich gehinderter Personen ergibt sich aus § 8 2. SED-UnBerG eine Rehabilitierungschance und Nachteilsausgleichung.218 Die klagweise Durchsetzung eines Anspruchs auf Ernennung ist mit durch das 91 materielle Recht verursachten prozessualen Problemen verbunden, die üblicherweise unter dem Stichwort „Konkurrentenklage“ zusammengefasst werden. Es ist dies ein Sammelbegriff für unterschiedliche Konstellationen; er steht nicht für eine eigenständige „Klageart“.219 Eine Klage ist jedenfalls wegen fehlenden (individuellen) Rechtsschutzinteresses unzulässig, wenn die Begünstigung eines Konkurrenten lediglich öffentliche Interessen verletzt. Es kann also nicht gegen eine fremde Begünstigung vorgegangen, sondern nur die eigene Begünstigung erstrebt werden. Dafür bietet sich zunächst die Form der Verpflichtungsklage an. Das eigene subjektive Recht kann jedoch grundsätzlich nicht mehr verwirklicht werden, wenn dem Konkurrenten die Begünstigung erteilt wurde. Demnach muss ein Kläger auch gegen den fremdbegünstigenden Verwaltungsakt vorgehen, um einen ihn selbst begünstigenden Verwaltungsakt zu erreichen: Er muss Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erheben, sofern es um die Einstellung und Beförderung geht, im Falle der Umsetzung (die keinen Verwaltungsakt darstellt, su Rn 113) entsprechende Leistungsklagen in Klagehäufung. Ist die Begünstigung des Konkurrenten bereits erfolgt, stellt sich jedoch die Frage, ob für die Klage des Unterlegenen noch Klagebefugnis und Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Auf die Rücknahme (u Rn 98) einer Ernennung des anderen hat der abgewiesene Bewerber keinen Anspruch. Der Grundsatz der Ämterstabilität setzt sich durch. Mit der Ernennung des erfolgreichen Konkurrenten ist das Verfahren der Stellenbesetzung also endgültig beendet – der Antrag des Unterlegenen, der sich auf die Erlangung von statusrechtlichem Amt, Planstelle und Dienstposten richtet, kann nicht mehr zum Erfolg führen. Wird die Stelle zu einem späteren Zeitpunkt wieder frei und könnte erneut besetzt werden, so handelt es sich um ein neues Verfahren, in dem der ursprüngliche Anspruch nicht mehr verwirklicht werden kann. Er ist – in den Worten des Bundesverwaltungsgerichts – „erledigt“.220 Somit entfällt in 217

218

219

220

G zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BGBl 1965 I 2073). Vom 22. 6. 1994 (BGBl I 1311, zuletzt geänd am 20. 12. 2001, BGBl I 3986); dazu Lehmann/Wimmer NJ 1994, 350, 352 ff; Heintzen DÖV 1994, 413 ff. Allgem dazu Solte ZBR 1972, 109 ff; Finkelnburg DVBl 1980, 809 ff; Brohm FS Menger 1985, 235 ff; Rothländer PersR 1996, 479 ff; Schnellenbach ZBR 1997, 169 ff. Zur Übertragbarkeit auf Angestellte Günther ZTR 1993, 281 ff; Vergleich mit „Konkurrentenklagen“ auch in anderen Bereichen bei Erichsen Jura 1994, 385 ff; unter dem Gesichtspunkt des vorläufigen Rechtsschutzes eingehend und unter Würdigung der Rechtsprechung Ronellenfitsch VerwArch 82 (1991) 121 ff; sa Seewald/Martini JA 1993, 129 ff; v Golitschek BayVBl 1996, 1 ff. BVerwGE 80, 127, 129 f → JK GG Art 33 II/12. Vom Fallen einer „Rechtsschutzklappe“ spricht Weiß ZBR 1989, 276. – Beispielhaft für die Rechtslage bei der Konkurrenz um ein Statusamt s Peter JuS 1992, 1042 ff, um ein Wahlamt s OVG Schleswig NVwZ 1993,

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dieser Konstellation jedenfalls das Rechtsschutzinteresse. Es soll ausnahmsweise allerdings dann nicht entfallen, wenn der Dienstherr den Konkurrenten entgegen einer vorangegangenen einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) ernennt.221 In einem solchen Fall beansprucht der Grundsatz der Ämterstabilität zwar ebenfalls Geltung, doch ist nötigenfalls für den zu Unrecht Übergangenen eine Planstelle zu schaffen, um ihn verfahrens- und materiell-rechtlich so zu stellen, als sei die einstweilige Anordnung beachtet worden. Die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit der fehlerhaften Auswahlentscheidung des Dienstherrn oder die Verweisung auf Schadensersatz in Geld genügen dem Rechtsschutzanspruch des Konkurrenten nicht. Seinem Anspruch kann der Dienstherr auch nicht mangelnde Haushaltsmittel entgegenhalten, da dies auch bei einem Schadensersatzanspruch nicht möglich wäre. Wird indessen lediglich um die Vergabe eines Dienstpostens (so Rn 70) konkurriert, so bleibt eine Korrektur immer möglich.222 Die materielle Rechtslage im Bereich der Ämterkonkurrenz führt zu einer über92 ragenden Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes. Art 33 Abs 2 GG und der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs IV GG kann dabei verfahrensrechtlich nur Rechnung getragen werden, indem der Bewerber, dessen Nichtberücksichtigung beabsichtigt ist, so rechtzeitig ins Bild gesetzt wird, dass er gerichtlich noch die Ernennung des Konkurrenten verhindern kann.223 Dafür wird eine schlichte Mitteilung nicht in jedem Fall ausreichen, es vielmehr umfassender Aufklärung durch Begründung, auch Anhörung bedürfen. Dies sind Postulate, die sich leichter erheben als einlösen lassen: Wird ihnen nicht genügt, zahlt der nicht ernannte Bewerber den Preis. Rechtswidrige Nichtberücksichtigung gibt keinen Bonus für künftige Entscheidungen. Da das verletzte Zugangsrecht als „drittgerichtet“ zu qualifizieren ist, kommt aber ein Amtshaftungsanspruch in Betracht, dies unabhängig davon, ob der Bewerber um das Amt bereits Bediensteter des Dienstherrn ist, der das Amt zu vergeben hat, oder ob es sich um einen außenstehenden Bewerber handelt.224

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224

1124f, um Dienstposten s BVerwG DVBl 1989, 1150; OVG Saarlouis DÖV 1989, 947; Günther ZBR 1990, 284 ff u DöD 1993, 162 ff. Zum gerichtlichen Streit um das Amt eines Vorsitzenden Richters am BGH s VGH Mannheim ESVGH 47, 6 ff. Zum Sonderfall eines „deutsch-deutschen“ Konkurrentenstreits lesenswert VG Potsdam DtZ 1997, 269 ff → JK GG Art 33 II/16. BVerwGE 118, 370 → JK 9/04 GG Art 19 IV/25 (und Anm Hermanns JA 2004, 520). Sa BVerwG DVBl 2002, 203 (und Anm Aulehner JA 2002, 554), wonach die Neubesetzung des Amtes eines politischen Beamten nicht die Anfechtungsklage des Vorgängers gegen die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand erledigt. Zusammenfassende Darstellungen der neueren Rechtsprechung bei Gundel Verw 2004, 401 ff; Tegethoff ZBR 2004, 341 ff und JA 2004, 732 ff. S zB OVG Weimar DÖV 1998, 607 ff. Vgl BVerfG NJW 1990, 501; VGH Kassel DÖV 1991, 698 u DöD 1994, 234f; OVG Schleswig DÖV 1993, 962f; Schnellenbach DöD 1990, 153 ff; Wittkowski NJW 1993, 817 ff u NVwZ 1995, 345 ff; Jakob NJ 2004, 368. – Zu den korrespondierenden Anforderungen an die Zeitigkeit der Reaktion des Übergangenen VGH Kassel NVwZ 1994, 398. Nach BVerwG NVwZ 2004, 1257, gilt die mit Schadensersatzpflicht bewehrte Benachrichtigungspflicht des Dienstherrn auch bei Massenbeförderungen. Vgl dazu in ausdrücklicher Anknüpfung an die zuvor genannte Rspr des BVerwG und des

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6. Kap IV 2 a dd

dd) Die Nichtigkeit der Ernennung: Rechtswidrige Verwaltungsakte sind grund- 93 sätzlich bestandskräftig bis zu ihrer behördlichen oder gerichtlichen Aufhebung; leiden sie an besonders schwer wiegenden Fehlern, die offenkundig sind, bedarf es solcher Aufhebung nicht, der Verwaltungsakt ist nichtig (vgl § 44 VwVfG). Diese Rechtslage ist bei Ernennungsakten beamtenrechtlich modifiziert: Die Gründe der Nichtigkeit sind in den Beamtengesetzen eigenständig und abschließend festgelegt.225 Rechtswidrige Ernennungen, welche sich unter Anlegung dieser Maßstäbe als nicht nichtig erweisen, können oder müssen – aus gleichfalls gesondert und abschließend geregelten Gründen – zurückgenommen werden. Bis zur Rücknahme haben sie Bestand wie auch die rechtswidrigen, aber nicht rücknehmbaren Ernennungsakte, deren rechtliche Qualität sich von der rechtmäßigen Ernennung nicht unterscheidet, auch wenn sie wegen ihrer Rechtswidrigkeit besondere Rechtsfolgen, insbesondere Haftungsfolgen, auslösen können. Ehe die Differenzierung zwischen der nichtigen und der rücknehmbaren Ernen- 94 nung ansetzt, stellt sich die Frage, ob überhaupt die Qualität eines Ernennungsaktes erreicht ist oder ob eine sog Nichternennung vorliegt. Hierüber entscheidet die Tatbestandlichkeit im Hinblick auf den Ernennungsbegriff 226 (so Rn 70). Wird eine „Ernennung“ ohne Urkunde, ohne deren Aushändigung oder unter Verwendung einer Urkunde, die die textlichen Minima nicht erfüllt,227 unternommen, fehlt es etwa auch an der Zustimmung des Adressaten,228 ist die tatbestandliche Schwelle einer Ernennung nicht erreicht, damit das Ausschließlichkeit für die Nichtigkeitsgründe beanspruchende Anwendungsfeld der Norm über mangelhafte Ernennungen noch nicht betreten. Ernennung im (Beamten-)Rechtssinne kann ferner nur ein Akt sein, den ein Träger öffentlicher Verwaltung ausspricht, der die Eigenschaft der Dienstherrenfähigkeit (so Rn 9) aufweist. Ist die Behörde zwar dienstherrenfähig, aber sachlich unzuständig, so ist die Ernennung nichtig.229 Sie kann dann von der sachlich zuständigen Behörde „bestätigt“ werden, dies mit rückwirkender Kraft (§ 11 Abs 1 S 2 BBG, § 10 Abs 1 S 2 BRRG). Das Unterbleiben der gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkung einer anderen Stelle 230 ist kein Nichtigkeitsgrund, wenn dies nicht besonders vorgeschrieben ist. Treten allerdings ausnahmsweise mehrere Behörden als Ernennungsbehörden in Erscheinung, so ist die Ernennung bereits dann nichtig, wenn es einer der beteiligten Behörden an der sachlichen Zuständigkeit fehlt.231 Örtliche Unzuständigkeit begründet die Nichtigkeit nicht, die Ernennung wirkt allerdings nur für den Bereich, auf den sich die örtliche Zuständigkeit erstreckt.

225 226 227

228 229 230 231

BVerfG eingehend BGHZ 129, 226 ff → JK BGB (ÖR) § 839/4; dazu Huber JZ 1996, 149 ff; Mann JR 1996, 114 f; s ferner Czybulka/Biermann JuS 1998, 601 ff. Dazu Kunig ZBR 1986, 253, 256. Vgl dazu Günther DöD 1990, 281 ff. Geringfügige Schreibfehler sind unbeachtlich, vgl § 42 VwVfG; Unklarheiten in der Urkunde können auch durch Auslegung beseitigt werden, vgl BVerwG NJW 1965, 1978 f. Dazu Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer BBG Rn 9 und 24 a zu § 6. Dazu Blasius VR 1981, 386 ff; SächsOVG SächsVBl 1996, 283. ZB ein Personalausschuss, vgl dazu Zängl ZBR 1973, 138 ff. Vgl Battis BBG Rn 3 zu § 11 mit Bsp der Ernennung eines Oberfinanzpräsidenten.

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6. Kap IV 2 a ee

Philip Kunig

An die grundsätzlich – und bundesrechtlich ausnahmslos – als Nichternennung zu qualifizierende Ernennung in Unterschreitung der vorgeschriebenen Form können nach den Landesbeamtengesetzen besondere Rechtsfolgen geknüpft werden, etwa deren Wirkung als Ernennung zum Beamten auf Widerruf oder auf Probe, sofern eine Ernennung auf Lebenszeit erfolgen soll (vgl § 5 Abs 3 S 2 BRRG). Es lässt sich dies als Fiktion einer Ernennung modifizierten Inhalts erklären, nicht als Modifizierung der Rechtsfolgen einer nichtigen Ernennung, denn die formwidrige Ernennung ist Nichternennung. Weitere Nichtigkeitsgründe (die aber der Heilung durch „Bestätigung“ nicht zu96 gänglich sind) betreffen einen Ausschnitt aus den subjektiven Ernennungsvoraussetzungen, nämlich die Deutscheneigenschaft bzw Staatsangehörigkeit, die Gewähr der Verfassungstreue und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter. Bezogen sind diese Nichtigkeitsgründe auf die Sach- bzw Rechtslage im Zeitpunkt der Ernennung. Fallen die bezeichneten subjektiven Ernennungsvoraussetzungen später fort, berührt dies die Wirksamkeit des Beamtenverhältnisses nicht, vielmehr ergeben sich differenzierte Rechtsfolgen: Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bzw ggf derjenigen eines anderen Mitgliedstaates der EU führt zur Entlassung kraft Gesetzes (§ 29 Abs 1 Nr 1 BBG; § 22 Abs 1 Nr 1 BRRG). Bietet der Beamte nicht mehr die Gewähr, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, so kann disziplinarrechtlich eingeschritten werden, was bis zur Entfernung aus dem Dienst führen kann (su Rn 140). Der Verlust der Amtsfähigkeit, der Folge einer strafgerichtlichen Verurteilung sein kann (su Rn 125), lässt das Beamtenverhältnis mit Rechtskraft des Urteils enden. Umgekehrt beseitigt der nachträgliche Eintritt der Ernennungsvoraussetzungen (etwa: Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit) die Nichtigkeit des vorgenommenen Ernennungsaktes nicht. Was die objektiven Ernennungsvoraussetzungen anlangt, so kann landesrechtlich 97 vorgesehen werden, dass die für die Ernennung zum Wahlbeamten erforderliche Wahl, erweist sie sich als unwirksam, die Nichtigkeit der Ernennung bewirkt (vgl § 10 Abs 2 BRRG). ee) Die Rücknahme der Ernennung: Eine rechtswidrige Ernennung, die nicht 98 nichtig ist, kann oder muss zurückgenommen werden, so weit dies gesetzlich vorgesehen ist; anderenfalls steht sie rechtlich der rechtmäßigen Ernennung gleich. Die von der Unterscheidung zwischen dem begünstigenden und dem belastenden Verwaltungsakt (Ernennungen haben insoweit doppelte Wirkung) geprägte und auf einen Ausgleich zwischen den Geboten der Gesetzlichkeit staatlichen Handelns und des Vertrauensschutzes des Adressaten zielenden Regelungen des § 48 VwVfG sind verdrängt durch spezielleres Beamtenrecht, das die Gründe für eine Rücknahme abschließend regelt 232 und auch – anders als § 48 VwVfG – keine Möglichkeit der Rücknahme mit Wirkung lediglich für die Zukunft kennt. Die beamtenrechtliche Rücknahme hebt das mit der Ernennung begründete Rechtsverhältnis rückwirkend auf. Die Rücknahme muss innerhalb gesetzlich bestimmter Frist nach Kenntnis der obersten Dienstbehörde von dem Rücknahmegrund erfolgen (§ 13 Abs 2 S 1 BBG, § 9 Abs 3 BRRG). 95

232

Kunig ZBR 1986, 253, 255 f; Pohl SächsVBl 1996, 130, 132; sa OVG Weimar ZBR 1994, 319 ff.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 2 a ee

Um der Behörde Entschließungsfreiheit zu erhalten, andererseits aber sicherzu- 99 stellen, dass typischerweise ungeeignete Personen regelmäßig im erleichterten Rücknahmeverfahren (und also nicht erst im Entlassungsverfahren) aus dem Dienst entfernt werden, unterscheidet das Gesetz zwischen der obligatorischen und der fakultativen Rücknahme. Rücknahmepflicht (§ 12 Abs 1 BBG, § 9 Abs 1 BRRG) ist gegeben, wenn die Ernennung durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung herbeigeführt wurde, ferner in gewissen Fällen der Begehung von Straftaten. Die Feststellung von Zwang und Bestechung ist strafrechtlich auszurichten, wobei § 240 StGB (Nötigung) bzw § 334 StGB (Bestechung) die Maßstäbe geben. Die Verwirklichung des Unrechtstatbestandes ist ausreichend, Verschulden nicht gefordert. Der Begriff der „arglistigen Täuschung“ ist dem bürgerlichen Recht (§ 123 BGB) entlehnt. Die Täuschung kann auch in einem Unterlassen bestehen, also im Verschweigen von Tatsachen, sofern eine Pflicht zu deren Offenbarung besteht. Hier ist Zurückhaltung geboten; es ist zunächst Sache der Behörde, die für ihre Ernennungsentscheidung relevanten Tatsachen zu ermitteln bzw bei dem Bewerber zu erfragen. Weiß dieser jedoch oder nimmt in Kauf, dass die Behörde solche Tatsachen nicht kennt oder sich von ihnen ein gänzlich unzutreffendes Bild macht, so kann eine Offenbarungspflicht bestehen.233 „Herbeigeführt“ durch eine der drei verpönten Verhaltensweisen ist die Ernennung nur, wenn feststeht, dass die Behörde anderenfalls die Ernennung nicht vorgenommen hätte.234 In den letzten Jahren hatte die Rechtsprechung häufig über die Zulässigkeit von Rücknahmeentscheidungen angesichts verschwiegener Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu entscheiden.235 Der Rücknahmegrund der Straftatbegehung bezieht sich auf Straftaten (Verbre- 100 chen und Vergehen, vgl § 12 Abs 1, 2 StGB), die vor der Ernennung begangen worden sind und der Ernennungsbehörde nicht bekannt waren. Sie müssen zu rechtskräftiger Verurteilung zu einer Strafe geführt haben, wobei deren Ausspruch vor oder nach dem Zeitpunkt der Ernennung liegen kann. Die Rücknahme ist nur möglich (und dann geboten), wenn es sich um eine Tat handelt, die den Betreffenden einer Berufung in das Beamtenverhältnis für „unwürdig“ erscheinen lässt. Diese Qualifizierung ist nicht unproblematisch, weil hier ein in hohem Maße unbestimmter Rechtsbegriff (der freilich im Berufszugangsrecht nicht ohne Parallelen ist, vgl §7 Nr 5 BRAO) verwendet wird. Die Regelung soll die charakterliche Integrität der Beamten gewährleisten, darüber hinaus auch dem Umstand Rechnung tragen, dass der Bürger insoweit Erwartungshaltungen gegenüber dem Personal des Dienstes hegt. Gerade solche Erwartungshaltungen unterliegen allerdings auch dem Wandel der Anschauungen. Ist gewiss unwürdig für den Dienst als Beamter, wer Straftaten 233 234 235

BVerwGE 13, 156, 158 f; vgl a RGZ 65, 52 (zu § 263 StGB). BVerwGE 16, 340, 342 f; 17, 1, 3; Battis BBG Rn 4 zu § 12. Vgl OVG Magdeburg ZBR 1997, 191 ff; OVG Frankfurt/O DtZ 1997, 267 ff; VG Chemnitz LKV 1995, 124 f. Zur grundrechtskonformen Begrenzung der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Antwort unter zeitlichen Gesichtspunkten s unter Berufung auf BVerfG NJW 1997, 2307 ff: VG Potsdam LKV 1998, 245 ff sowie OVG Bautzen DtZ 1997, 398 ff; anders BVerwG DtZ 1997, 143 f; vgl a OVG Berlin DtZ 1997, 266 f sowie OVG Weimar ThürVBl 1998, 138 f.

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6. Kap IV 2 a ff

Philip Kunig

zB gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder schwere Eigentums- und Vermögensdelikte begangen hat, so könnte das anders zu beurteilen sein etwa bei der Trunkenheit am Steuer. Die Brisanz solcher Abgrenzungen wird nachhaltig entschärft durch den Umstand, dass die Ernennungsbehörde sich vor der Ernennung Klarheit über gegen den Bewerber verhängte Strafurteile oder im Gang befindliche Ermittlungsverfahren verschaffen kann und im Übrigen das Beamtenverhältnis ohnehin – in strafmaß- bzw straftatbezogener Differenzierung – mit der Rechtskraft gewisser Strafurteile endet (su Rn 125). Eine fakultative Rücknahmemöglichkeit besteht gemäß §12 Abs 2 BBG, §9 Abs 2 101 BRRG im Fall der Unkenntnis der Behörde von einem (abgeschlossenen) früheren Disziplinarverfahren, das mit der Entfernung aus dem Dienst oder einer Verurteilung zum Verlust der Versorgungsbezüge geendet hat. ff) Rechtsfolgen mangelhafter Ernennungen im Innen- und Außenverhältnis: 102 Mit Mängeln behaftete Ernennungen haben nur dann Rechtsfolgen, welche sich von denjenigen mangelfreier Ernennungen unterscheiden, wenn sie nichtig oder zurückgenommen worden sind. Teilweise werden diese Rechtsfolgen auch durch Akte ausgelöst, die als Nichternennung zu qualifizieren sind. Zu unterscheiden ist zwischen dem Innenverhältnis und dem Außenverhältnis, das die von dem mangelhaft Ernannten vorgenommenen Amtshandlungen gegenüber Dritten betrifft.236 Nur ein Ausschnitt der das Innenverhältnis betreffenden Rechtsfragen unterliegt 103 ausdrücklicher Regelung (vgl §§ 13, 14 BBG).237 Ausgangspunkt ist jeweils, dass sowohl im Falle der Nichtigkeit wie im Falle der Rücknahme das Beamtenverhältnis als nicht existierend zu betrachten ist, auch wenn dies bei der Rücknahme erst deren Ausspruch voraussetzt. Demzufolge sind bereits geleistete Dienstbezüge ohne Rechtsgrund erlangt und rückforderbar (su Rn 162); sie können dem Ernannten aber „belassen“ werden (vgl § 14 S 2 BBG).238 Der Dienstvorgesetzte hat nach Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes dem Ernannten die weitere Führung der Dienstgeschäfte zu verbieten; im Falle der Ernennung durch die sachlich unzuständige Behörde gilt das erst, wenn die zuständige Behörde es abgelehnt hat, die Ernennung zu bestätigen, und zwar gegenüber dem Ernannten selbst.239 Das Verbot der Amtsausübung ist ein Verwaltungsakt, der einer besonderen Form nicht unterliegt. Eine Anhörung des Betroffenen ist nicht vorgesehen. Für die Rücknahme der Ernennung fehlt es an einer vergleichbaren Regelung, weil § 13 Abs 2 BBG lediglich das Verfahren der Rücknahme betrifft. Andererseits beseitigt die Zustellung der Rücknahmeerklärung sogar für das Außenverhältnis die bis dahin geltende Gleichstellung mit Amtshandlungen, die ein wirksam ernannter Beamter vornimmt. Von diesem Zeitpunkt an bedarf es schon deshalb keiner gesonderten Untersagungserklärung. Bis zur Zustellung der Rücknahme unterliegt der Beamte der Weisungsbefugnis seines Vorgesetzten, durch deren Inanspruchnahme ihm konkrete dienstliche Betätigungen untersagt werden können. Erweist sich eine Ernennung als unwirksam oder 236 237 238 239

Allgem dazu Fromme DöD 1981, 169 ff. Keine Entsprechung im BRRG, aber landesgesetzlich geregelt. Vgl a VGH München ZBR 1973, 58 f. Vgl dazu SächsOVG SächsVBl 1996, 283, 284.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 2 a ff

wird eine solche zurückgenommen, welche ihrerseits ein zuvor bestehendes Beamtenverhältnis beseitigt hatte, so besteht der frühere Status fort.240 Der Rechte- und Pflichtenkreis im Innenverhältnis, etwa auch die Frage der Haf- 104 tung des Ernannten gegenüber der Behörde, sind für Adressaten einer nichtigen oder zurückgenommenen Ernennung nicht geregelt. Auch wenn ein Beamtenverhältnis nicht begründet worden ist bzw rückwirkend wegfällt, ist doch ein (spezifisches) Rechtsverhältnis entstanden. Dieses kann nicht angemessen in zivilrechtlichen Kategorien erfasst werden, sondern mag, sucht man nach einer Bezeichnung, in Anlehnung an das Phänomen des faktischen Arbeitsverhältnisses als faktisches (öffentlich-rechtliches) Dienstverhältnis bezeichnet werden.241 Beamtenrecht ist hier analog anwendbar, sofern dem das Fehlen der wirksamen Ernennung nicht zwingend entgegensteht. Demzufolge ist der Ernannte zB zur Amtsverschwiegenheit (su Rn 137) verpflichtet, aber ohne dass er den spezifisch beamtenrechtlichen (disziplinarrechtlichen) Sanktionen ausgesetzt werden könnte. Für das Außenverhältnis sind die Fragen nach der Gültigkeit von Amtshandlun- 105 gen und nach der Haftung von Interesse. Bis zur Untersagung der Weiterführung der Dienstgeschäfte bzw bis zur (Zustellung der) Erklärung der Rücknahme sind die Amtshandlungen des Ernannten „in gleicher Weise gültig“, „wie wenn sie ein Beamter ausgeführt hätte“ (§ 14 S 1 BBG). Geschützt ist das Vertrauen der Allgemeinheit auf den Bestand von Amtshandlungen, dies im Sinne allgemeiner Rechtssicherheit. Kennt ein von der Amtshandlung Betroffener Nichtigkeits- oder Rücknahmegründe, so ist dies unbeachtlich.242 Auch eine Nichternennung vermag Rechtsschein zu vermitteln, denn der Bürger kann nicht erkennen, dass ein Bediensteter zB wegen einer Formunterschreitung der Ernennungsurkunde gar nicht im Rechtssinne „ernannt“ worden ist. Eine analoge Anwendung des § 14 S 1 BBG ist insoweit geboten; den Grenzpunkt setzt auch hier eine auf die Nichternennung hinweisende Erklärung im Innenverhältnis. Vertrauensschutz besteht nicht, wenn die Behörde zu dem entstehenden Anschein gar nicht beigetragen hat. Die persönliche Haftung des Beamten nach § 839 BGB tritt nicht ein, wenn es an 106 der (staatsrechtlichen; so Rn 56) Beamteneigenschaft fehlt. Das gilt auch für den Fall der Rücknahme. Das allgemeine Deliktsrecht (§ 823 ff BGB) schließt die Lücke teilweise. Haftungsrechtlich bleibt die Beamteneigenschaft des Ernannten, wenn und so weit ihm ein öffentliches Amt anvertraut worden war, erhalten; der Überleitung der Haftung auf den Staat gem Art 34 GG steht somit die Nichtigkeit oder Rücknahme nicht entgegen. Auch bei fiskalischem Handeln bleibt die Haftungslage bezüglich unerlaubter Handlungen (Verrichtungsgehilfe, § 831 BGB, s auch §§ 31, 89 BGB) oder im Rahmen vertraglicher Beziehungen (Erfüllungsgehilfe; § 278 BGB) unberührt. 240

241

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BayVGHE 8, 136, 139; VGH Kassel NVwZ-RR 1996, 340 f: Richter auf Probe wird zum Staatsanwalt ernannt. Gleiches gilt nicht für ein früheres privates Arbeitsverhältnis, s BAG ZTR 1997, 471 u Hinw auf § 10 Abs 3 BBG. Brückner Das faktische Dienstverhältnis, 1968; vgl dazu auch BVerwG DÖV 1983, 898 ff; BVerwGE 100, 280, 283 → JK BRRG § 46/2. Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer BBG, Rn 2 zu § 14 BBG.

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6. Kap IV 2 b

Philip Kunig

b) Beförderung, Versetzung, Umsetzung und Abordnung 107 Das durch Ernennung begründete Beamtenverhältnis unterliegt Veränderungen durch die beamtenrechtlichen Institute der Beförderung,243 der Versetzung, der Umsetzung und der Abordnung.244 Es sind dies behördliche Anordnungen, die die rechtliche Stellung des Beamten in jeweils unterschiedlicher Weise betreffen und die an unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen gebunden sind, insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung der Willensrichtung des betroffenen Beamten und die Mitwirkungsrechte der Personalvertretung.245 Ihre Rechtsnatur (Verwaltungsaktsqualität) wird teilweise unterschiedlich beurteilt, was Konsequenzen nicht für das Ob, wohl aber das Wie des Rechtsschutzes hat (su Rn 182). Seit dem DienstrechtsreformG (so Rn 26 a) schließt § 126 Abs 3 Nr 3 BRRG die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei Abordnungen und Versetzungen aus. Ob das die Rechtsschutzchancen im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes im Ergebnis erheblich vermindert, steht allerdings dahin, da auch nach bisheriger Rechtslage strenge Anforderungen an die Aussetzung angeordneten Sofortvollzuges gestellt wurden.246 Nunmehr muss der Beamte nach §§ 80 Abs 5, Abs 2 Nr 3 VwGO vorgehen (s im Übrigen u Rn 175 ff). 108 Die Beförderung wird, anders als die Umsetzung, die Versetzung und die Abordnung, durch Ernennung ausgesprochen (so Rn 69). Daran zeigt sich sogleich, dass sie – und nur sie – den Beamtenstatus insgesamt verändert (nicht notwendigerweise allerdings auch das Amt im konkret-funktionalen Sinn; so Rn 70); ihre Verwaltungsaktsqualität kann nicht zweifelhaft sein. Versetzung und Umsetzung haben die Zuweisung eines anderen Amtes gemeinsam, wobei nur bei der Umsetzung der Beamte notwendigerweise bei der bisherigen Behörde verbleibt, die Versetzung dagegen einen Behördenwechsel innerhalb oder außerhalb des Dienstbereichs des (bisherigen) Dienstherrn bewirken kann. Bei der Versetzung wird nicht der Beamtenstatus als solcher, wohl aber stets das Amt in seinem sog abstrakt-funktionellen Sinn verändert, dh der abstrakt beschreibbare Aufgabenkreis innerhalb einer Behördenorganisation. Bei der Umsetzung ist (lediglich) das konkrete Amt betroffen, dh der im Organisations- oder Geschäftsverteilungsplan umrissene Aufgabenbereich. Die Versetzung zielt auf Dauer, die Umsetzung nicht notwendigerweise, die Abordnung dagegen von vornherein nur auf einen begrenzten Zeitraum; bei ihr geht es – wie bei der Versetzung – wiederum um das Amt im abstrakt-funktionalen Sinne. Die Beförderung ist laufbahnrechtlich geregelt, im Übrigen durch die Bestimmungen über die Ernennung erfasst. Versetzung und Abordnung sind Gegenstand von Regelungen der Beamtengesetze (§§ 26, 27 BBG; §§ 17, 18 BRRG); die 243

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Zu Rechtsfragen der Beförderung eingehend Günther ZBR 1979, 193 ff; zum „Aufstieg“ ders DöD 1990, 11 ff. Eingehend Paehlke-Gärtner Versetzung, Umsetzung, Abordnung, 1988; s ferner Leisner ZBR 1989, 193 ff; zum Eilrechtsschutz Günther DöD 1996, 173 ff. Die „Zuweisung“ zu öffentlichen Einrichtungen, auf die das BRRG keine Anwendung findet, sowie zu privatisierten Einrichtungen regelt § 123 a BRRG; s dazu Kotulla ZBR 1995, 168 ff; Ziekow DöD 1999, 7, 22 ff; Schönrock, ZBR 2002, 306 ff; vgl ferner o Rn 9, 26. Vgl dazu OVG Münster ZBR 1989, 286; BVerwG DVBl 1994, 1071 ff. Vgl etwa BVerwGE 82, 196, 202 ff.

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6. Kap IV 2 b aa

Umsetzung hingegen blieb gesetzlich ungeregelt. Ihre Zulässigkeit folgt unmittelbar aus der Organisations- und Personalgewalt des Dienstherrn, geht letztlich auf die verfassungsgewollte Regierungsgewalt zurück. aa) Die Beförderung: Die Beförderung ist nach laufbahnrechtlicher Legaldefini- 109 tion (vgl § 12 Abs 1 S 1 BLV) die Verleihung eines anderen Amtes mit einem höheren Endgrundgehalt und einer anderen Amtsbezeichnung; ändert sich die Amtsbezeichnung nicht, obwohl das neue Amt mit einem höheren Endgrundgehalt verbunden ist, so steht auch dieser Vorgang der Beförderung gleich (vgl § 12 Abs 1 S 2 BLV). Regelbeförderung ist im geltenden Recht nicht vorgesehen, wohl aber gibt es – für sog höherbewertete Dienstposten, aber nicht ausnahmslos – sog Erprobungszeiten (vgl § 11 BLV). Insgesamt ist auch das Recht der Beförderung vom Leistungsprinzip (so Rn 86) geprägt und der Ermessensentscheidung des Dienstherrn überantwortet. Die verfassungsrechtlichen Entscheidungskriterien entfalten sich auch hier. Einfaches Recht enthält Grenzen der Beförderung, insbesondere Fristen; auch dürfen Beamte auf Probe nicht befördert werden.247 Die Frage, ob ein Anspruch auf Beförderung bestehen kann,248 ist in Parallele zu 110 der Frage nach dem Anspruch auf Einstellung zu beantworten. Auch hier besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ein weiterer Gesichtspunkt tritt hinzu: Da die Beförderung im Unterschied zur Einstellung das Bestehen eines Beamtenverhältnisses voraussetzt, befindet sich der die Beförderung erstrebende Beamte bereits im wechselseitigen Treueverhältnis, kann also vom Dienstherrn die Einhaltung der Fürsorgepflicht verlangen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zunächst hieraus, nicht aus Art 33 Abs 2 GG, den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Beförderung hergeleitet.249 Auch wenn es dieser (zusätzlichen) Fundierung nicht bedarf, ist die Fürsorgepflicht hier bedeutsam, denn sie bezieht sich nicht nur auf das jeweils innegehabte Amt,250 sondern ist an die Person gebunden, verlangt, das Aufstiegsinteresse des Beamten gehörig zu gewichten und in die Abwägung einzustellen. Gegenüber Gesichtspunkten fachlicher Leistung vermag sich dies nicht durchzusetzen, gewinnt aber Bedeutung in Fällen gleicher Befähigung mehrerer Bewerber. Ist die Beförderungsentscheidung gegenüber dem nicht berücksichtigten Beamten 111 rechtswidrig, so treten auf der Rechtsfolgenseite die im Zusammenhang mit dem nicht erfüllten Einstellungsanspruch dargestellten Schwierigkeiten auf.251 Insofern kommt in Betracht, dass der Beamte finanziellen Nachteilsausgleich (Gehälterdifferenz) erreicht, so weit das Unterbleiben der Beförderung als adäquate Folge der Rechtsverletzung festgestellt werden kann.252 247

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§ 12 Abs 4 Nr 1 BLV; zum Verbot der Sprungbeförderung, Anstellungsbeförderung, Eilbeförderung vgl Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 31 Rn 73. BVerwG DÖV 1990, 1023 f; zur früheren Rspr Schack ZBR 1963, 353 f. BVerwGE 13, 17, 23 ff. Überblick über die Rspr bei Schnellenbach NVwZ 1989, 435 ff und Günther DöD 1994, 14 ff. Anders aber BVerwGE 15, 3, 7; dagegen zB Segger ZBR 1973, 166, 168; Günther ZBR 1979, 101. Vgl a BVerwG NVwZ 1991, 375. Vgl o Rn 91; eine rückwirkende Beförderung kann nicht erreicht werden; zum Problem des „Freihaltens“ einer Planstelle s VGH Kassel NJW 1985, 1103 ff. Vgl BVerwGE 80, 123 ff → JK GG Art 33 II/12; BVerwG NJW 1997, 1321 ff (auch zur Ver-

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bb) Die Versetzung: Die Versetzung (§ 26 BBG, §18 BRRG) 253 ist eine dauernde Zuweisung eines anderen Amtes im abstrakt-funktionalen Sinne,254 wobei die Zusicherung der „Rückübernahme“ erfolgen kann. Die Versetzung ist Verwaltungsakt.255 Einer (erneuten) Ernennung bedarf es, anders als bei der Beförderung, nicht. Der Status bleibt, aber das „abstrakte“ Amt (so Rn 70) verändert sich. Das neue Amt kann außerhalb oder innerhalb des Bereichs des bisherigen Dienstherrn angesiedelt sein. Die Versetzung erfolgt auf Antrag 256 oder in Erfüllung eines dienstlichen Bedürfnisses,257 kann aber auch gegen den Willen des Betroffenen erfolgen. Auch insoweit hat das DienstrechtsreformG (so Rn 26 a) Änderungen herbeigeführt. Anders als früher bedarf es nicht allein deswegen der Zustimmung des Beamten, weil dieser in dem bisherigen, aber nicht mehr im neuen Amt eine ruhegehaltsfähige Stellenzulage erhält. War früher die Versetzung in eine nicht gleichwertige Laufbahn oder in den Dienstbereich eines anderen Dienstherrn stets von der Zustimmung des Beamten abhängig, so gilt das nunmehr nicht, sofern „dienstliche Gründe“ eine derartige Versetzung gebieten (§ 18 II 1 BRRG, § 26 II 1 BBG). Damit dürften allerdings hohe Legitimationsanforderungen gestellt sein, die der Gesetzgeber bedauerlicherweise nicht näher programmiert hat. Die verfassungsrechtliche Umkleidung des Beamtenstatus wird hier bedeutsam im Rahmen eines höchst unbestimmten Rechtsbegriffs. Gewichtige Gründe müssen sich anführen lassen,258 um den Eingriff in das Laufbahnprinzip rechtfertigen zu können.259 Bei der Auflösung oder einer wesentlichen Änderung des Aufbaus oder der Aufgaben einer Behörde oder auch der Verschmelzung von Behörden kann ein Beamter, dessen Aufgabengebiet dadurch berührt wird, ohne seine Zustimmung in ein anderes Amt derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt versetzt werden, wenn er gemäß seinem bisherigen Amt nicht mehr verwendet werden kann, wobei das Endgrundgehalt demjenigen des Amtes entsprechen muss, das er vor dem bisherigen Amt innehatte (§ 18 Abs 2 S 2 BRRG, § 26 Abs 2 S 2 BBG). Anders als nach der bisherigen Rechtslage kommt es nicht mehr darauf an, ob die behördliche Umstrukturierung durch Rechtssatz erfolgt.

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jährung); BVerwG NVwZ 1998, 3288; sa J. Martens ZBR 1992, 129 ff. Das BVerwG geht nunmehr von einem eigenständigen, im Dienstverhältnis wurzelnden Schadensersatzanspruch aus. §§ 86, 88 LBG Bbg, § 36 LBG BW, Art 34, 35 BayBG, § 61 LBG Bln, § 27 BremBG, §§ 29 ff HmbBG, §§ 29 f HBG, § 30 LBG M-V, §§ 32 ff NBG, § 28 I BG NW, §§ 33, 34 LBG Rh-Pf, §§ 33, 35 SBG, §§ 35, 36 a SächsBG, § 26 BG LSA, §§ 32, 34 LBG SH, § 31 ThürBG. Vgl BVerwGE 60, 144, 147 → JK VwVfG § 35 S 1/5. Vgl BVerwGE 65, 270, 276: „berührt“ den Status; diff Günther ZBR 1993, 353 ff; sa BVerwG DVBl 1991, 642 ff. Zur gerichtlichen Kontrolle der Ablehnung eines solchen Antrags s BayVGH BayVBl 1996, 758 f. Zu einem aus einem „innerdienstlichen Spannungsverhältnis“ hergeleiteten dienstlichen Bedürfnis s VG Gera ThürVBl 1996, 284 f. Womöglich: „sich aufdrängen“, so Schnellenbach ZBR 1998, 223, 235. Bei „oktroyiertem Dienststellenwechsel“ fordert Günther ZBR 1996, 299, 302 einen „drastischen Aufgabenwegfall“.

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cc) Die Umsetzung: Bei der – bundesgesetzlich nicht geregelten – Umsetzung 260 113 erhält der Beamte einen neuen – konkreten – Dienstposten innerhalb der bisherigen Behörde, allerdings nicht notwendigerweise am selben Ort. Ob abstrakt (dann Versetzung) oder lediglich konkret die Amtsaufgaben verändert werden, lässt sich organisations- und haushaltsrechtlich bestimmen: Die Zuordnung zu einer Planstelle bedeutet die Verleihung eines Amtes im abstrakten Sinne, Planstellenwechsel ist also Versetzung. Ob die Umsetzung einen Verwaltungsakt oder schlicht hoheitliches Handeln darstellt, stand im Streit,261 wobei sich daran denken lässt, nur ausnahmsweise Verwaltungsaktscharakter anzunehmen, dies in Orientierung an der Art der Beeinträchtigung, die für den Beamten mit der Umsetzung verbunden ist. Dies ist jedoch kein sachgerechtes Kriterium, denn in keinem Fall zielt die Umsetzung auf eine Regelung iSd Verwaltungsaktsbegriffs, sie ist lediglich dienstliche Anordnung, auch wenn sie Rechte verletzt; sie ist deshalb mit der Leistungsklage anzugreifen (so Rn 91, su Rn 182). Die Rechtmäßigkeit einer Umsetzung setzt grundsätzlich voraus, dass der neue Dienstposten dem abstrakten Aufgabenbereich des statusrechtlichen Amts entspricht, schützt aber nicht vor dem Entzug des bisherigen Postens bei Zuweisung eines (etwa im Hinblick auf die Mitarbeiterzahl) weniger attraktiven Postens.262 Eine Anhörung dürfte auch hier wegen der Fürsorgepflicht regelmäßig geboten sein.263 dd) Die Abordnung: Die Abordnung (§ 27 BBG, § 17 BRRG) 264 erhält dem Be- 114 amten die bisherige Planstelle für die Dauer seiner vorübergehenden Tätigkeit an einer anderen Dienststelle.265 Vorausgesetzt ist auch hier ein dienstliches Bedürfnis. Die vorübergehend wahrgenommene Tätigkeit muss grundsätzlich dem abstraktfunktionalen Amt entsprechen. Es ist nunmehr möglich, dass der Beamte aus „dienstlichen Gründen“ (§ 17 Abs 2 BRRG, § 27 Abs 2 BBG) auch ohne seine Zustimmung zu einer nicht seinem Amt entsprechenden Tätigkeit abgeordnet wird, wenn ihm diese zumutbar ist; der Zustimmung bedarf es aber, wenn die Abordnung die Dauer von zwei Jahren über260

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Zu ihr BVerwGE 40, 104, 107 → JK VwVfG § 35 S 1/5; 60, 144, 146. Landesgesetzliche Regelung in § 89 LBG Bbg. Vgl dazu – diff – Erichsen DVBl 1982, 95 ff; Franz ZBR 1986, 14 ff; Allgaier ZBR 1989, 301 ff. Gegen Einordnung als Verwaltungsakt die überwiegende Rspr, BVerwGE 60, 144, 146; OVG Münster NVwZ-RR 1988, 1027; BVerwGE 98, 334 ff; OVG Weimar ThürVbl 1997, 133; sa BVerwGE 102, 81 ff zur Verwendung eines Richters auf Probe als „Organisationsakt“, vgl § 13 DRiG. S aber auch BayVGH BayVBl 1994, 500f. Überblick über die Rspr bei Battis BBG Rn 6 zu § 26. Vgl dazu etwa BVerwGE 65, 270, 272 f und E 98, 334, 337 f → JK VwVfG § 35 S 1/19. S auch OVG Greifswald NVwZ-RR 2001, 457 f. Vgl etwa OVG Münster ZBR 1986, 274. § 37 LBG BW, Art 33, 35 BayBG, § 62 LBG Bln, §§ 87, 88 LBG Bbg, § 28 BremBG, § 29 HmbBG, §§ 28, 30 HBG, § 31 LBG M-V, §§ 31, 33 NBG, § 29 LBG NW, §§ 32, 34 LBG Rh-Pf, §§ 34, 35 SBG, §§ 36, 36a SächsBG, § 27 BG LSA, §§ 33 LBG SH, § 32 ThürBG. Überblick: Müssig ZBR 1990, 111 ff; zu Anforderungen an eine Abordnungsverfügung VG Frankfurt/M NVwZ-RR 2001, 397 f.

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steigt. Die Abordnung zu einem anderen Dienstherrn bedarf, solange das gleiche Grundgehalt gewährleistet ist, bei einer Dauer von mehr als fünf Jahren der Zustimmung (§ 17 Abs 3 BRRG, § 27 Abs 3 BBG) – was die Abordnung der Sache nach in die Nähe zur Versetzung rückt. Gesetzlich ist auch hier nicht näher ausgeformt, worum es sich bei den maßgeblichen „dienstlichen Gründen“ handeln soll. Gewiss können solche „Gründe“ nicht in der Person des Beamten liegen, sicher werden sie über ein bloßes „Bedürfnis“ als Voraussetzung ja jeglicher Abordnung hinausführen müssen. c) Ruhestand, Entlassung und Entfernung aus dem Dienst 115 Das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit endet durch den Tod, durch Eintritt in den Ruhestand (dies der Regelfall der Beendigung der beruflichen Betätigung des Beamten), durch Entlassung, durch strafgerichtliche Verurteilung oder durch disziplinargerichtliche Entfernung aus dem Dienst. Nur bei dem Eintritt in den Ruhestand bleibt das beamtenrechtliche Grundverhältnis bestehen: Es endet hier (lediglich) das aktive Beamtenverhältnis. aa) Endgültiger und einstweiliger Ruhestand: 266 Im Ruhestandsverhältnis tritt 116 an die Stelle des Besoldungsanspruchs der Versorgungsanspruch,267 der Fürsorgeanspruch wirkt fort, ebenso die Treuepflicht und die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit.268 Wird die gesetzliche Altersgrenze erreicht,269 dh – regelhaft – das Ende des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wurde (s § 41 Abs 1 BBG, § 25 Abs 1 BRRG),270 so tritt der Beamte kraft Gesetzes in das besondere Rechtsverhältnis des Ruhestandes, sofern er zuvor eine Dienstzeit von mindestens fünf Jahren abgeleistet hat; anderenfalls ist er zu entlassen. Der Eintritt in den Ruhestand kann auch hinausgeschoben werden (vgl § 41 Abs 2 BBG, § 25 Abs 2 BRRG).271 In den Ruhestand kann der Beamte aber auch unabhängig von seinem Lebensalter gelangen, und zwar sowohl auf seinen Antrag wie gegen seinen Willen. Die Versetzung in den Ruhestand erfolgt für alle Beamten bei Dienstunfähigkeit („Zwangspensionierung“) oder auf Antrag, bei den sog politischen Beamten (su Rn118) im Hinblick auf deren spezifischen Aufgabenbereich (sog einstweiliger Ruhestand).272 266

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S §§ 35 ff BBG; §§ 25 ff BRRG; §§ 49 ff LBG BW, Art 51 ff BayBG, §§ 71 ff LBG Bln, §§ 105 ff LBG Bbg., §§ 41a ff BremBG, §§ 40 ff HmbBG, §§ 49a ff HBG, §§ 40 ff LBG M–V, §§ 47 ff NBG, §§ 37a ff LBG NW, §§ 49a ff LBG Rh-Pf, §§ 51 ff SBG, §§ 48 ff SächsBG, §§ 35 ff BG LSA, §§ 48 ff LBG SH, §§ 40 ff ThürBG. Zur Kürzung bei mehreren Versorgungsansprüchen BVerfGE 46, 97, 107 ff; BVerwG NVwZ 1994, 494 f; sa Schick Ruhestandsbeamte und private Nebeneinkünfte, 1984. Vgl BVerfG DVBl 1983, 505 ff. Die Festlegung einer generellen, dh nicht auf die individuelle Leistungskraft des Beamten abstellenden Altersgrenze ist verfassungsgemäß; es ist auch zulässig, die Altersgrenze im Hinblick auf das Anforderungsprofil einer bestimmten Gruppe von Beamten differenziert festzulegen (vgl § 41 Abs 1 S 2 BBG); sa Battis/Deutelmoser RdA 1994, 264 f. Zur Fristberechnung BVerwGE 30, 167 ff. Zum Anspruch des Beamten auf fehlerfreie Ermessensausübung in diesem Zusammenhang BayVGH BayVBl 1993, 243f. In den einstweiligen Ruhestand können Beamte auch bei der Umbildung ihrer Anstellungskörperschaft versetzt werden, vgl § 130 Abs 2 BRRG. S nunmehr auch § 36 a BBG.

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Eine erneute Berufung ist in beiden Fällen möglich und an jeweils unterschiedliche Voraussetzungen gebunden: Wer sich als politischer Beamter im einstweiligen Ruhestand befindet, hat der Berufung uU Folge zu leisten (vgl § 39 BBG).273 Wer wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, kann darüber hinaus seine erneute Berufung uU verlangen (§ 45 BBG, § 29 BRRG).274 Der Begriff der Dienstunfähigkeit 275 ist gesetzlich definiert (§ 42 Abs 1 BBG, § 26 117 Abs 1 BRRG) als ein Zustand, in dem der Beamte „infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig“ ist. Der Dienstherr ist dann verpflichtet, die Versetzung in den Ruhestand vorzunehmen; er kann sie gem § 42 Abs 1 S 2 BBG vornehmen, wenn krankheitshalber innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate kein Dienst getan wurde und keine Aussicht besteht, dass die volle Dienstfähigkeit binnen sechs weiterer Monate wieder eintritt. Im Einzelnen geregelt sind die Voraussetzungen und das Verfahren der Feststellung der Dienstunfähigkeit auf Antrag des Beamten und seines Dienstvorgesetzten. Der Kreis der politischen Beamten, nämlich der Inhaber der in § 36 Abs 1 BBG 118 bzw gemäß § 31 BRRG in den Landesgesetzen aufgeführten hohen Ämter (so Rn 67), kann „jederzeit“ in den Ruhestand versetzt werden.276 Die Formulierung erweist, über den zeitlichen Aspekt hinaus (lebens- und dienstaltersunabhängig, an Fristen nicht gebunden), dass die Versetzungsentscheidung auch inhaltlichen Bindungen kaum unterliegt. Es ist Sache des Dienstherrn, über die Fortführung des Dienstes zu entscheiden. Zu rechtfertigen ist diese weit reichende Eingriffsmöglichkeit, weil die verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung an die Regierung nahe legt, dass diese möglichst frei über die personale Besetzung von Spitzenpositionen befinden kann; auch die Rechtsvergleichung lehrt, dass dies ein berechtigtes Bedürfnis sein kann. Die Befugnis dazu ist minderstufige Ergänzung des Ministerberufungsrechts des Bundeskanzlers (vgl Art 64 Abs 1 GG). Fiskalische Interessen (Ruhestandsversorgung) sind hierdurch zwar empfindlich betroffen, doch veranlassen sie verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung ebenso wenig wie das Vertrauensinteresse der Betroffenen. Anderes gilt unter Bestimmtheits- und Rechtsschutzgesichtspunkten: Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ist in gewissem Sinne politischer „Willkür“ anheim gegeben, auch wenn die zur Entscheidung Befugten „willkürlich“ nicht handeln dürfen. Dieser – nur scheinbare – Widerspruch relativiert sich begrifflich, wenn man sich verdeutlicht, dass aus den genannten 273 274 275

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Vgl dazu OVG Koblenz DöD 1982, 204 ff. Vgl VGH Mannheim VBlBW 1993, 476 ff. Zum Begriff der Dienstunfähigkeit s OVG Hamburg DöD 1989, 211; sa BVerwG DVBl 1992, 98 f; zum Verfahren zB OVG Berlin ZBR 1989, 250; sa Weigert BayVBl 1993, 653 f. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Dienstunfähigkeit BVerwG DVBl 1998, 201 f. Eingehend Wacke AöR 91 (1966) 441 ff; Schunke Der politische Beamte, Diss Saarbrücken 1973; Priebe Die vorzeitige Beendigung des aktiven Beamtenstatus bei politischen und kommunalen Wahlbeamten, 1997; zum Spielraum der Landesgesetzgeber Grigoleit ZBR 1998, 128 ff; rechtspolitisch (u krit) etwa Juncker ZBR 1974, 205 ff; s ferner Bracher DVBl 2001, 19 ff; sa § 50 I SoldG und dazu BVerfG NJW 1994, 477 f. Janssen ZBR 2003, 113 ff fordert die Abschaffung dieses Instituts de lege ferenda.

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Gründen die politische Motivation einen „sachgerechten“ Grund iS des in Art 3 Abs 1 GG angelegten Willkürverbots darstellen kann und regelmäßig wird. Auch wenn es im Hinblick auf Art 19 Abs 4 GG zulässig sein muss, die Frage zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu stellen, ob „überhaupt“ Gründe vorliegen oder ob solche nur „vorgeschoben“ sind,277 ist es letztlich der Begründungssorgfalt, die die Versetzungsentscheidung aufweist, anheim gestellt, ob eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage Erfolg haben kann.278 Welche Bedeutung die Verwendung der Vokabel „jederzeit“ im gesetzlichen Tat119 bestand auch für das Verwaltungsverfahren hat, insbesondere für die Frage der Erforderlichkeit vorheriger Anhörung des Betroffenen und das Ausmaß der ihm zu gebenden Entscheidungsbegründung, wird unterschiedlich beurteilt.279 Beide den Meinungsstand prägende Positionen – keine Begründungspflicht, keine Anhörungspflicht, oder aber: Verpflichtung zu beidem – greifen zu kurz. Das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht ist (auch) hier in die Subsidiarität verdrängt, doch das Institut der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht springt als flexibles Konfliktlösungsinstrument ein: Einzelfallabhängig ist danach regelmäßig Anhörung geboten, die Begründung immer dann zu geben, wenn der Sinn des Instituts „einstweiliger Ruhestand“ – die Erhaltung politischer Entscheidungsautonomie im Personalbereich – nicht gerade hierdurch nachhaltig beeinträchtigt würde.280 bb) Die Entlassung: 281 Die Entlassung des Beamten erfolgt kraft Gesetzes, wenn 120 ein Entlassungstatbestand eintritt. Sie kann oder muss durch Einzelakt verfügt werden, wenn Entlassungsgründe vorliegen. Der Beamte ist kraft Gesetzes entlassen, wenn er die Eigenschaft als Deutscher 121 bzw die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU verliert (allerdings nicht, wenn er die Staatsangehörigkeit eines sonstigen Mitgliedstaates besitzt), regelmäßig auch, wenn er in ein öffentlich-rechtliches Dienst- oder Amtsverhältnis zu einem anderen Dienstherrn tritt; letzteres gilt nicht für Beamte auf Widerruf und Ehrenbeamte,282 wohl aber für die Ernennung zum Berufsrichter (anderes öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, also nicht nur: Beamtenverhältnis) oder die Übernahme des Amtes eines Regierungsbeauftragten (anderes Amtsver-

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Vgl dazu bereits Fees ZBR 1956, 203 ff. Vgl aus der Rspr – der klagende Beamte des Auswärtigen Dienstes, der im wesentlichen aus Altersgründen in den Ruhestand versetzt wurde, war erfolgreich – BVerwGE 52, 33 ff und dazu Wiese DVBl 1977, 718 ff; Nierhaus JuS 1978, 596 ff; sa zuvor VG Köln DöD 1972, 198 u OVG Münster DÖV 1974, 166 m Anm Thieme. Näher Kunig ZBR 1986, 253, 258f mN zum Meinungsstand; sa OVG Münster DVBl 1994, 120 ff → JK GG Art 60/1. Zust Battis BBG Rn 6 zu § 36; anders aber die ältere Lit u Rspr, s etwa Wacke AöR 91 (1966) 441, 478, auch BVerfGE 8, 332, 356. §§ 28 ff BBG; §§ 22f BRRG; §§ 40 ff LBG BW, Art 39 ff BayBG, §§ 64 ff LBG Bln, §§ 93 ff LBG Bbg, §§ 35 ff BremBG, §§ 33 ff HmbBG, §§ 39 ff HBG, §§ 34 ff LBG M-V, §§ 36 ff NBG, §§ 31 ff LBG NW, §§ 38 ff LBG Rh-Pf, §§ 44 ff SBG, §§ 39 ff SächsBG, §§ 28 ff BG LSA, §§ 40 ff LBG SH, §§ 33 ff ThürBG. – Zum Ausscheiden kommunaler Wahlbeamter aus dem Amt infolge einer Abwahl s → Schmidt-Aßmann/Röhl 1. Kap Rn 71 mN. S § 29 BBG, § 22 BRRG.

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hältnis; s aber § 29 Abs 4 BBG für Ministerämter). Obwohl die Entlassung kraft Gesetzes eintritt, bedarf es ihrer Feststellung durch den Dienstherrn im Wege eines – deklaratorischen – Verwaltungsakts. Die Entlassung durch gestaltenden Verwaltungsakt erfolgt obligatorisch oder fa- 122 kultativ. Zu entlassen ist der Beamte, der sich weigert, den Diensteid oder das Gelöbnis zu leisten. Zu entlassen ist ferner, wer die subjektive Ernennungsvoraussetzung, nicht Träger eines mit dem Beamtenstatus inkompatiblen Mandats zu sein, zur Zeit der Ernennung nicht erfüllt und das Mandat in angemessener Frist nicht niedergelegt hat, schließlich, wer ohne Genehmigung der obersten Dienstbehörde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland nimmt.283 Entlassen werden kann ein Beamter, der die Deutscheneigenschaft verliert, wenn er ein Amt innehat, das wegen seiner Eigenart die Berufung eines Deutschen erforderte (§ 29 Abs 2 BBG, § 22 Abs 2 BRRG, so Rn 75). Der Beamte selbst verfügt über ein – unverzichtbares, also auch vertraglich nicht 123 abdingbares – Recht auf Entlassung. Dem (schriftlich zu erklärenden,284 binnen zwei Wochen rücknehmbaren) Verlangen muss auf einen Zeitpunkt hin entsprochen werden, der nicht später als drei Monate nach dem beantragten Entlassungszeitpunkt liegen darf; auch dies ist nur zulässig, um zu erreichen, dass der Beamte seine Amtsgeschäfte ordnungsgemäß abwickelt. Dass die Beamtengesetze Fristen für die Rücknehmbarkeit errichten, schließt die gleichzeitige Anwendbarkeit der bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Anfechtung von Willenserklärungen nicht aus. So weit die Anfechtung „unverzüglich“ zu erklären ist (vgl § 121 Abs 1 BGB – also ohnehin nicht bei arglistiger Täuschung oder Drohung), ist dies nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Die Fürsorgepflicht kann zum Versuch der Einwirkung auf den Beamten Anlass geben, wenn der Entschluss zur Antragstellung etwa in einem erkennbaren Erregungszustand oder aufgrund ersichtlich verfehlter Vorstellungen über die Rechtsfolgen (zB Verlust der Beamtenrechte, s § 34 BBG) oder künftige Entscheidungen des Dienstherrn getroffen worden ist. Die Entlassung der Beamten auf Probe – ihnen gibt das Beamtenverhältnis Ge- 124 legenheit, sich als geeignet zu bewähren, doch trägt der Dienstherr für eine Nichtbewährung die Darlegungslast 285 – und auf Widerruf kennt zusätzliche Konstellationen überwiegend fakultativer Entlassung.286 Im Vorbereitungsdienst (zB Rechtsreferendariat) „soll“ dem Beamten auf Widerruf Gelegenheit gegeben werden, die Abschlussprüfung abzulegen,287 auch wenn an sich der Widerruf „jederzeit“ (aber nach pflichtgemäßem, hier trotz Identität des Vokabulars engeren Er283

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Zu den Gründen obligatorischer Entlassung § 28 BBG, § 23 Abs 1 BRRG; der Entlassungsgrund der Wohnsitzverlegung ins Ausland führte früher zur Entlassung kraft Gesetzes; s dazu BVerwGE 32, 1 ff. Vgl dazu VG Regensburg BayVBl 1989, 410. Die Entlassung muss spätestens „alsbald“ nach Ablauf der Probezeit ausgesprochen werden, vgl BVerwG NVwZ 1990, 768 ff; sa VGH Mannheim NVwZ 1990, 789 ff; BVerwG NVwZ-RR 1989, 560; VGH Kassel NVwZ 1989, 82; BVerwG NVwZ 1991, 170 ff. §§ 31, 32 BBG, § 23 Abs 3, 4 BRRG; sa Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 31 Rn 94 f sowie Horn Jura 1994, 269 ff. Dazu VGH Mannheim NJW 1987, 917; Günther ZBR 1987, 129 ff; Schwindt VBlBW 1990, 209 ff.

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messens als bezüglich der Ruhestandsversetzung des politischen Beamten) 288 entlassen werden kann (s § 32 BBG, § 23 Abs 4 BRRG). In grundrechtskonformer Auslegung ist die Verpflichtung anzunehmen, dem Beamten die Ablegung der Prüfung mit Wiederholungschance zu ermöglichen, soweit dem nicht gesetzlich geregelte Gründe entgegenstehen. cc) Beendigung des Dienstverhältnisses infolge strafgerichtlicher Verurteilung: 125 Der Entlassung nahe (vgl § 48 BBG bzw § 24 BRRG), aber nicht gleich, steht die Beendigung des Beamtenverhältnisses infolge strafgerichtlicher Verurteilung. Sie tritt mit Rechtskraft des Urteils – ohne das Erfordernis eines feststellenden Verwaltungsakts (vgl § 33 BBG) – bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung 289 ein, sofern das Strafmaß mindestens ein Jahr beträgt oder es sich um Straftaten nach den beiden 1. Abschnitten des StGB (Friedensverrat, Hochverrat uä) handelt und das Strafmaß mindestens sechs Monate beträgt.290 Der Verlust der Beamtenrechte unterliegt dem Gnadenrecht.291 Der erfolgreiche Abschluss eines strafgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens fingiert das Beamtenverhältnis als nicht unterbrochen. dd) Die Entfernung aus dem Dienst: Die Darstellung insbesondere der Entlas126 sungsgründe hat gezeigt, dass Pflichtverstöße des Beamten den Dienstherrn nicht in den Stand setzen, das Dienstverhältnis gegen den Willen des Beamten zu beenden, soweit nicht Dienstunfähigkeit gegeben und soweit der gefestigte Status des Beamten auf Lebenszeit oder Zeit erreicht ist (und nicht die Sondersituation des politischen Beamten besteht). Eine Entfernung aus dem Dienst kann sich jedoch als Ergebnis eines Disziplinarverfahrens (su Rn 140) ergeben. Sie ist die schärfste Sanktion im System der Disziplinarmaßnahmen, bewirkt den Verlust von Versorgungsansprüchen und bedarf der gerichtlichen Entscheidung. Von der (endgültigen) Entfernung aus dem Dienst zu unterscheiden ist die im förmlichen Disziplinarverfahren mögliche vorläufige Enthebung vom Dienst.

3. Pflichten und Rechte im Beamtenverhältnis 127 Den Inhalt des Beamtenverhältnisses bestimmen vor allem die Pflichten und die Rechte des Beamten. Sie sind vielfach aufeinander bezogen und systematisch nicht immer so deutlich voneinander zu trennen, wie es angesichts der in den Beamtengesetzen gegenübergestellten Kataloge von Pflichten und Rechten den Anschein hat: So hat der Beamte die Pflicht, über amtsbezogene Vorgänge zu schweigen, aber uU den Anspruch, die Erlaubnis zum Reden zu erhalten; er hat den Anspruch auf Besoldung, aber die Verpflichtung, die Höhe ihm überwiesener Beträge zu prüfen und auf Überzahlungen aufmerksam zu machen. Die Intensität der Pflichtenbindung legitimiert sich an korrespondierenden Rechten, was im Gegenüber der Pflicht zur 288 289 290

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S dazu BVerwG DVBl 1968, 430 f. Vgl dazu näher BVerwG NJW 1990, 1865. Zur Addition mehrerer Freiheitsstrafen BVerwG DÖV 1992, 973 f. – Der Verlust der Beamtenrechte tritt auch bei Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter und der Verwirkung von Grundrechten nach Art 18 GG ein; zum Ausspruch der letzteren – dem BVerfG vorbehalten – s Butzer/Clever DÖV 1994, 637 ff. Dazu Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 31 Rn 109.

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6. Kap IV 3 a

Treue und dem Anspruch auf Fürsorge sinnfällig wird. Die Betrachtung der verfassungsrechtlichen Aussagen zum Beamtenrecht (o Rn 29) hat gezeigt, dass „hergebrachte“ Grundsätze vor allem den Inhalt des Beamtenverhältnisses betreffen. Sie sind konkretisiert durch die beamtengesetzlichen Bestimmungen über die Pflichten und die Rechte des Beamten und besondere Regelungen bei Pflichtverstößen, die im Grundsatz, wenn auch nicht in den Einzelheiten der Ausgestaltung verfassungsrechtlich vorgegeben sind. Wegen Art 33 Abs 4, Abs 5 GG ist der Inhalt des Beamtenverhältnisses von wechselseitiger „Treue“ bestimmt. Worin sie zu bestehen hat, ist gesetzlich weitgehend ausformuliert, auf Seiten des Beamten vor allem durch Dienstleistungs-, Gehorsams- und Verhaltenspflichten, auf Seiten des Dienstherrn – über einzelne Schutzpflichten hinaus – durch die generalklauselartige Fürsorgeverpflichtung (§ 79 BBG, § 48 BRRG).292 Für die Bemessung von Pflichten und Rechten auf beiden Seiten, für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, für die Ermessensausübung kann die Konzeption des Beamtenverhältnisses als wechselseitiges Treueverhältnis Maßstäbe liefern; sie leitet dessen Auslegung an, enthält aber selbst nicht unmittelbar die Legitimation zum regelnden Zugriff auf den Beamten, dem aber umgekehrt die Fürsorgeverpflichtung eine Anspruchsgrundlage bieten kann. a) Die Pflichten des Beamten 293 Bereits systematisch bringen die Beamtengesetze zum Ausdruck, dass die rechtliche 128 Stellung des Beamten besonders durch seine Pflichten gekennzeichnet sein soll: Aufeinander folgend geben die Gesetze erst den Pflichtenkatalog, nennen dann die Rechte.294 Die beamtenrechtlichen Pflichten betreffen überwiegend das Verhalten im Dienst, zielen auf Effizienz, wollen Rechtseinhaltung sichern, das Vertrauen des Bürgers gegenüber dem Beamtentum und damit dem Staat stärken, reagieren auf Anfechtungen, die an den Beamten herangetragen werden. Sie betreffen das innerdienstliche Betragen (zB in der Kommunikation mit Vorgesetzten), den Kontakt des Beamten mit der Außenwelt (bis hin zur Frage der Dienstkleidung und des äußeren Erscheinungsbildes),295 sprechen ihn aber auch als deren Mitglied an: Auch „außerhalb des Dienstes“ hat er „der Achtung und dem Vertrauen gerecht“ zu werden, 292

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Zu Treu und Glauben im Beamtenrecht OVG NW GewArch 2003, 331 → JK 2/04 GG Art 12/69; Stauf DöD 2004, 150 ff. §§ 52 ff BBG, §§ 35 ff BRRG; §§ 70 ff LBG BW, Art 62 ff BayBG, §§ 18 ff LBG Bln, §§ 18 ff LBG Bbg, §§ 53 ff BremBG, §§ 57 ff HmbBG, §§ 67ff HBG, §§ 57 ff LBG M-V, §§ 61 ff NBG, §§ 55 ff LBG NW, §§ 63 ff LBG Rh-Pf, §§ 67 ff SBG, §§ 69 ff SächsBG, §§ 52 ff BG LSA, §§ 65 ff LBG SH, §§ 56 ff ThürBG. – Übersicht über Dienstpflichten von Soldaten bei Schwandt ZBR 1993, 161 ff. Zum Verhältnis von Pflichten und Rechten s Wolff/Bachof/Stober, VwR II (5. Aufl 1987), § 114 Rn 1. § 76 BBG; vgl dazu BVerwGE 84, 287 ff (Ohrschmuck eines Zollbeamten); die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung war nicht erfolgreich, BVerfG DVBl 1991, 32f. S ferner VGH Kassel NJW 1996, 1164 f → JK GG Art 2 I/28 (Lagerfeld-Zopf eines Polizeibeamten); dazu Biletzki RiA 1997, 38 f; zur Rechtmäßigkeit von Verwaltungsvorschriften über die Haarlänge OVG RP ArbuR 2004, 272.

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6. Kap IV 3 a aa

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„die sein Beruf erfordert“ (§ 54 S 3 BBG, § 36 S 3 BRRG),296 hat bei politischer Betätigung (gemeint ist individuelle Betätigung, nicht die als Amtswalter geübte politische Gestaltung) „Zurückhaltung zu wahren“ (§ 53 BBG, § 35 Abs 2 BRRG); sein „gesamtes Verhalten“ ist der politischen Treuepflicht unterworfen. aa) Dienstpflicht, Gehorsamspflicht, Residenzpflicht: Kernpflicht im Dienstver129 hältnis ist die Verpflichtung zur Leistung des Dienstes, dies „mit voller Hingabe“ (§ 54 S 1 BBG, § 36 S 1 BRRG). Er ist damit prinzipiell auch verpflichtet, sich um dienstnotwendige Weiterbildung zu bemühen und sich dienstfähig, also gesund zu halten.297 Alle anderen Pflichten des Beamten flankieren die Dienstpflicht. Welche Art Tätigkeit der Beamte zu leisten hat, in welchem Umfang und in welcher Weise, ergibt sich aus dem ihm übertragenen Amt. Er hat den von seinen Vorgesetzten getroffenen Anordnungen zu folgen, schuldet „Gehorsam“, wenn nicht ausnahmsweise kraft Gesetzes Weisungsfreiheit besteht (vgl § 55 BBG, § 37 BRRG). Von dem regelmäßigen Aufgabenbereich inhaltlich abweichende Dienstleistungen können nur unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gefordert werden, wobei die Fürsorgepflicht sich begrenzend auswirkt. Der Beamte hat – wie die Vorschriften über das nur ausnahmsweise aussprechbare Verbot der Führung von Dienstgeschäften zeigen (vgl § 60 BBG, § 41 BRRG) – grundsätzlich auch das Recht, seinen Dienst wahrzunehmen. Die Gehorsamspflicht ist im Zusammenhang zu sehen mit der Verantwortungs130 zuweisung für die Rechtmäßigkeit dienstlicher Handlungen: Der Beamte trägt für sie „die volle persönliche Verantwortung“ (§ 56 Abs 1 BBG, § 38 Abs 1 BRRG), dh die strafrechtliche, die disziplinarrechtliche und die persönliche haftungsrechtliche Verantwortung.298 Diese Verantwortung kann in Konflikt treten mit der Gehorsamspflicht gegenüber dem Vorgesetzten, die verbunden ist auch mit der Verpflichtung, die Vorgesetzten „zu beraten und zu unterstützen“ (§ 55 S 1 BBG, § 37 Abs 1 BRRG). Lassen sich Meinungsverschiedenheiten über die rechtliche Zulässigkeit einer dem Beamten angesonnenen Maßnahme nicht ausräumen, auch nachdem der Beamte seine Bedenken bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten geltend gemacht hat – er ist hierzu „unverzüglich“ verpflichtet (sog Remonstrationspflicht) –, so hat ihn der Weg zum nächsthöheren Vorgesetzten zu führen (§ 56 Abs 2 S 1, 2 BBG; § 38 Abs 2 S 1, 2 BRRG).299 Bestätigt dieser die Anordnung, so besteht Ausführungspflicht, es sei denn, die Handlung sei strafbar oder ordnungswidrig oder verletze die Würde des Menschen (Art 1 Abs 1 GG). Folgerichtig ist, dass die Bestätigung oder 296

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Eingehend und diff Biletzki ZBR 1998, 84 ff; allg zu Bedeutung und Inhalten der beamtenrechtlichen Treupflicht Lemhöfer, Die Loyalität des Beamten, FS für Fürst, 2002, 205, der auch auf Gefährdungen eingeht. S BVerwGE 63, 322, 324; zur Verpflichtung des Beamten, eine Operation zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit vornehmen zu lassen, OVG Münster NJW 1990, 2950; BVerwG NJW 1991, 766. Sa Fleig RiA 1996, 226 f; Simianer ZBR 2004, 149 ff. Vgl dazu Depenheuer DVBl 1992, 404 ff. S ferner Hoyer Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, 1998. Vgl dazu BVerfG ZBR 1995, 71 f u dazu Weiß ZBR 1995, 197f; zur Remonstrationspflicht OVG Bremen NVwZ-RR 1989, 564f; Weiß ZBR 1994, 325 ff; vgl ferner Felix Das Remonstrationsrecht und seine Bedeutung für den Rechtsschutz des Beamten, 1993; Quambusch PersV 2003, 364 ff.

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6. Kap IV 3 a aa

Anordnung durch den nächsthöheren Vorgesetzten den Beamten von der eigenen Verantwortung für die sodann vorgenommene Handlung befreit. Die Rechtslage nimmt den Beamten also grundsätzlich persönlich in die Pflicht strafrechtlicher, disziplinarrechtlicher und haftungsrechtlicher Verantwortung, zugleich verlangt sie ihm ab, an ihn gerichtete Weisungen kritisch auf die Rechtmäßigkeit des so angeordneten dienstlichen Handelns zu überprüfen. Genügt er dem nicht in dem vorgesehenen Verfahren, unterdrückt also seine Zweifel, so bleibt er in der persönlichen Verantwortung, kann sich nicht „hinter den Vorgesetzten“ verschanzen. Die Remonstrationspflicht dient damit auch der Rechtmäßigkeitskontrolle „von unten“, verdeutlicht das Leitbild des (auch gegenüber dem Vorgesetzten) mündigen Beamten. Ist der Remonstrationspflicht genügt, setzt sich freilich das Interesse an der Entscheidungsstrenge durch, das den hierarchisch aufgebauten Beamtenapparat kennzeichnet und auch erforderlich ist, soll die Verwaltung sich nicht durch ständige Binnendiskussion lähmen. Rechtliche Nachteile für den Bürger ergeben sich dadurch nicht; die Verantwortung ist nur an eine höhere Stelle in der Hierarchie verlagert. Den zeitlichen Rahmen für die dienstliche Leistungspflicht 300 setzt § 72 Abs 1 131 BBG mit der Maßgabe, dass die regelmäßige Arbeitszeit den Wochendurchschnitt von 44 Stunden nicht überschreiten darf. Mehr darf der Beamte leisten, mehr muss er leisten – und dies im Regelfall ohne zusätzliche Vergütung –, wenn dies „zwingende dienstliche Verhältnisse“ erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl § 72 Abs 2 S 1 BBG, § 44 BRRG).301 Ausgleichsregelungen bestehen (Dienstbefreiung, ausnahmsweise Vergütung). Verordnungsrechtlich sind Regelarbeitszeiten festgelegt,302 generell die Dienstfreiheit des Wochenendes, ferner gibt es altersspezifische Freistellungsregelungen zur Arbeitszeitverkürzung. Während der Dienstzeit hat der Beamte grundsätzlich anwesend zu sein, darf dem Dienst nicht ohne Genehmigung „fernbleiben“ (vgl § 73 BBG). In bestimmten Aufgabenbereichen kann Bereitschaftsdienst gefordert werden (also Bereithalten in der Dienststelle zur Arbeitsaufnahme) oder auch Rufbereitschaft, deren Wahrung nicht als Arbeitszeit zur Anwendung kommt und deren Inanspruchnahme keinen Anspruch auf Freizeitausgleich oder zusätzliche Vergütung entstehen lässt.303 Das so gezeichnete Bild widerspiegelt beamtenrechtliche Strenge, doch darf aus ihm nicht der Schluss gezogen werden, die Beamten seien von dem gesellschaftlichen Zug zur Arbeitszeitverkürzung unberührt geblieben. Das drückt sich auch in der Ermöglichung von Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen aus. 300

301 302

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Eingehend zum Folgenden: Kremer Die Arbeitszeit des Beamten, 1989; sa (historisch) ders DöD 1995, 169 ff; zur Teilzeitbeschäftigung vgl § 72 a BBG, § 44 a BRRG, jeweils neugefasst durch das 11. G zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften v 20. 5. 1994, BGBl I 1078; s schon Battis ZBR 1986, 285 ff; Meixner Flexible Arbeitszeitmodelle und Teilzeitarbeit, 1990. – Bsp zum Problemkreis Mehrarbeit/Freizeitausgleich BVerwG JZ 1991, 980 m Anm Lecheler. Zur Arbeitszeitermäßigung wegen Kindererziehung OVG Bremen NVwZ 1990, 1098 f; sa BayVGH DVBl 1994, 588 ff. Vgl dazu VGH Mannheim VBlBW 1998, 268 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit insoweit bestehender Ungleichbehandlungen von Beamten und Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes VerfGH Rh-Pf AS Bd 25, 418 ff. BVerwGE 59, 176, 180 ff für einen Beamten der Bundesbahn.

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Während für die Bundesbeamten § 72 a BBG die Teilzeitbeschäftigung insoweit allein auf Antrag ermöglicht, stellt sich §44 a BRRG in der ihm 1997 gegebenen Gestalt der antragslosen Teilzeitbeschäftigung nicht entgegen, sondern beschränkt sich auf einen Regelungsauftrag mit zunächst „offenem“ Ergebnis. Verfassungsrechtlich dürften einer an arbeitsmarkt- oder familienpolitische Voraussetzungen gebundene Teilzeitbeschäftigung auf Antrag keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen.304 Das wird aber für eine „voraussetzungslose“ und vor allem auch antragslose Teilzeitbeschäftigung anders liegen. Allein der Hinweis auf „gewandelte Rahmenbedingungen“ kann eine solche Abkehr vom Bild des hauptberuflich tätigen, vollzeitbeschäftigten Beamten nicht tragen.305 Der ordnungsgemäßen Wahrnehmung des Dienstes soll die sog Residenzpflicht 132 dienen (§ 74 BBG).306 Nach ihr ist „die Wohnung so zu nehmen“, dass es zu einer Beeinträchtigung des Dienstes durch Zurücklegung weiter Wege nicht kommt; das bedeutet unter heutigen Verhältnissen nicht die Pflicht zur Wohnsitznahme am Dienstort selbst.307 Konkrete Weisungen bezüglich der tolerablen räumlichen Entfernung sind möglich – es sind dies Vorgaben, welche in Zeiten verbreiteter individueller Motorisierung und ausgebauten öffentlichen Verkehrs eine geringere Relevanz aufweisen als zuvor. Gegenüber spezifischen Missständen in gewissen Berufsfeldern (zB an Hochschulen,308 insbesondere zunächst in den neuen Ländern) liegt das Instrument zur Durchsetzung der Residenzpflicht gesetzlich bereit, doch wird praktisch wohl der informalen Einwirkung auf den auswärtigen Residenten der Vorzug gegeben. Grundrechtlich ist die Residenzpflicht im Hinblick auf die Freizügigkeitsgarantie des Art 11 Abs 1 GG unbedenklich.309 bb) Nebentätigkeit des Beamten: Da der Beamte sich „mit voller Hingabe sei133 nem Beruf zu widmen“ hat (§ 54 S 1 BBG, § 36 Abs 1 S 1 BRRG) und wegen der Gefahr von Interessenkonflikten, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit anderweitiger beruflicher Betätigung. Diesem Fragenkreis widmet sich das so genannte

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Vgl Nachw zu der vielschichtigen Diskussion bei Battis BBG Rn 6 zu § 72 a; § 72 b BBG regelt seit August 1998 (BGBl I 2027) die sog Altersteilzeit (Beschäftigung zur Hälfte auf Antrag unter gewissen Voraussetzungen und nach Ermessen ab 55, Anspruch ab 60). S dazu Mehde RiA 2000, 157 ff – Sa u Rn 149. S BVerwG JZ 2001, 761 ff m krit Anm Wieland. Vgl in diesem Zusammenhang bereits BVerwGE 82, 196 ff, wo das Gericht die Anforderungen an die Freiwilligkeit der Stellung eines Antrages auf Teilzeitbeschäftigung betont und auch deutlich macht, dass ein Dienstherr bei einer Auswahlentscheidung solche Bewerber nicht bevorzugen darf, die im Gegensatz zu anderen einen entsprechenden Antrag gestellt haben; vgl im übrigen Lecheler ThürVBl 1998, 25 ff; Schnellenbach ZBR 1998, 223, 225f; krit Janssen ZBR 2003, 113, 114. Zu der Frage, ob für einen begrenzten Zeitraum die Zwangsteilzeit jedenfalls in den neuen Ländern verfassungsrechtlich akzeptabel sei, um dort das Berufsbeamtentum zu stabilisieren, s Battis/Grigoleit ZBR 1997, 237, 247 ff. Ohne Entsprechung im BRRG, aber in allen Landesbeamtengesetzen enthalten. Vgl BVerwG DVBl 1991, 646 f; VGH Mannheim VBlBW 1991, 224 ff. Vgl dazu Detmer ZBR 1995, 189 ff. S dazu Kunig Jura 1990, 306, 309; ders in: v Münch/Kunig, GG I, Art 11 Rn 20. – Weitere Nachw zur Rspr bei Battis BBG Rn 1 ff zu § 74.

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6. Kap IV 3 a bb

Nebentätigkeitsrecht.310 Scharf zu unterscheiden ist die Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst selbst (zu der Beamte unter gesetzlich näher geregelten Voraussetzungen verpflichtet werden können, vgl § 64 BBG) 311 von der aus eigenem Entschluss beabsichtigten Nebentätigkeit. Hier bestehen Kontrollmechanismen, die den Grundgedanken verfolgen, die Qualität der Amtsführung vor Beeinträchtigungen durch die Nebentätigkeit zu bewahren.312 Typischerweise wenig konsequenzenträchtige Betätigungen (hierauf lässt regelmäßig die Unentgeltlichkeit schließen), in besonderem Maße grundrechtlich fundierte, die individuelle Entwicklungssphäre des Beamten betreffende Tätigkeiten (zB künstlerische Tätigkeit, aber auch die Verwaltung des eigenen Vermögens), schließlich solche, an denen auch ein öffentliches Interesse besteht (Betätigung im Berufsverband), unterliegen keiner Genehmigungspflicht, sind aber Anzeigepflichten unterworfen und können im Einzelfall untersagt werden (vgl § 66 BBG). Die Genehmigungsfreiheit ist die Ausnahme von der generellen Genehmigungspflichtigkeit. Die Gesetze regeln die Gründe der zwingenden Genehmigungsversagung, dies unter Verwendung von (generalklauselartig formulierten) Regelbeispielen, welche zu erkennen geben, wann die Aufnahme und Durchführung einer Nebentätigkeit als Beeinträchtigung der dienstlichen Interessen zu werten ist. Liegen die Versagungsvoraussetzungen nicht vor, so hat der Beamte den Anspruch auf Genehmigungserteilung, auch wenn die Gesetze das nicht zum Ausdruck bringen. Selbst wenn dies nicht einem „hergebrachten Grundsatz“ entspräche,313 so wirken doch die Grundrechte des Beamten mit diesem Ergebnis auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ein. Der Beamte darf in der Rechtsausübung nicht stärker eingeschränkt werden, als dies die dienstlichen Interessen gebieten. Jede besondere Pflichtenbindung im Beamtenrecht muss sich hieran rechtfertigen lassen, was auf die Einzelfallbeurteilung durchschlägt.314 310

311 312 313 314

§§ 64 ff BBG u die BundesnebentätigkeitsV idF v 12. 11. 1987 (BGBl I 2376, zuletzt geänd am 3. 12. 2001, BGBl I 3306, Sart 177); §§ 42 f BRRG. Die einschlägigen Vorschriften des Bundesrechts sind zuletzt durch das sog Zweite NebentätigkeitsbegrenzungsG v 9. 9. 1997, BGBl I 2294 geändert worden, dazu Battis ArbuR 1998, 61 ff; Schnellenbach ZBR 1998, 223, 228 f. – §§ 28 ff LBG BW, §§ 28 ff LBG Bln, Art 73 ff BayBG, §§ 30 ff LBG Bbg, §§ 63 ff BremBG, §§ 68 ff HmbBG, §§ 78 ff HBG, §§ 67 ff LBG M-V, §§ 71a ff NBG, §§ 67 ff LBG NW, §§ 72 ff LBG Rh-Pf, §§ 78 ff SBG, §§ 81 ff SächsBG, §§ 64 ff BG LSA, §§ 80 ff LBG SH, §§ 66 ff ThürBG. – Allgem dazu Jansen Nebentätigkeit im Beamtenrecht, Diss Würzburg, 1983; Wagner NVwZ 1989, 515 ff; v Zwehl Nebentätigkeitsrecht im öffentlichen Dienst, 1997, Bültmann Der Nebenverdienst, 2001; Battis, Begrenzung und Kontrolle von Nebentätigkeiten FS für Fürst 2002, 45 ff; Baßlsperger, Nebentätigkeiten, 2003, und ZBR 2004, 369 ff; – Zur Vermittlung von Versicherungsverträgen durch einen Beamten während der Dienstzeit s im Blick auf § 1 UWG BGH NJW 1994, 2096 ff. Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst betreffend Braun ZBR 2004, 69 ff; zu Rechtsreferendaren Schautes/Mävers VR 2002, 37 ff. Vgl dazu VGH Kassel NVwZ-RR 1996, 338 f. Vgl BVerwG DVBl 1991, 637 f und ZBR 1993, 149 ff. Ausdrücklich dagegen BVerwGE 44, 249, 263. Hierzu im Hinblick auf den Einsatz des Nebentätigkeitsrechts zur Erreichung arbeitsmarktpolitischer Ziele – auch rechtspolitisch – Thieme JZ 1985, 1024 ff. Sa BVerwG DÖV 1990, 613 f, BVerwGE 87, 319 ff u BVerwG DÖV 1994, 217 f; OVG Koblenz DöD 1994, 67 f; VG Arnsberg NWVBl 1996, 274 ff.

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6. Kap IV 3 a cc

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Sachlich im Vordergrund stehen im Bereich genehmigungspflichtiger Tätigkeiten nicht die Fälle kapazitärer, insbesondere zeitlicher Überlastung des Beamten, sondern solche, die Interessenkonflikte hervorrufen können, wie es oft nahe liegt, wenn der Beamte sich in einem Sachbereich außerdienstlich betätigt, der auch seiner dienstlichen Zuständigkeit unterfällt.315 Die Gesetze sehen als (erneut zu betonen: zwingenden) Versagungsgrund bereits die Möglichkeit vor, dass die Nebentätigkeit „dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich sein kann“ (vgl § 65 Abs 2 S 2 Nr 6 BBG, § 42 Abs 2 S 2 Nr 6 BRRG). cc) Neutralität und Unparteilichkeit im Amt: Zu den zeitlichen, räumlichen und 135 gegenständlichen Parametern, die unmittelbar auf die Dienstpflicht als Arbeitspflicht bezogen sind, treten abstrakt formulierte, nur teilweise von den Anforderungen des konkreten Amtes her relativierte Pflichten mit Bezug auf die Amtsführung. Hier ist zunächst die Neutralitätspflicht zu nennen.316 Die Verpflichtung des Staatsdieners auf das Volk (vgl § 52 Abs 1 S 1 BBG, § 35 Abs 1 S 1 BRRG; nicht also auf den Dienstherrn oder ein Staatsorgan) soll dem in § 52 Abs 1 S 2 BBG bzw § 35 Abs 1 S 2 BRRG ausdrücklich ausformulierten Gebot unparteiischer Aufgabenwahrnehmung die Richtung geben. Das „Wohl der Allgemeinheit“ ist Leitlinie, aber nicht autonom durch den Beamten zu definieren, sondern zu verwirklichen in Befolgung der Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) und im Rahmen der dienstlichen Gehorsamspflicht (§ 55 BBG, § 37 BRRG). Die lapidare Feststellung, der Beamte diene „dem Volk, nicht einer Partei“, mag vielen als hilflose Geste gegenüber parteipolitischer Patronage erscheinen und ist weiterwirkender Beleg der abwehrenden Zurückhaltung gegenüber den politischen Parteien, die die deutsche Staatsrechtsentwicklung lange Zeit gekennzeichnet hat (vgl – fast wortgleich – Art 130 Abs 1 WRV), bis Art 21 GG und die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts hier eine (zu weit gehende) Abkehr bewirkten.317 Die Pflicht zur Unparteilichkeit wird beredt noch aufgenommen durch die Pflicht 136 zur „uneigennützigen“ und „nach bestem Gewissen“ erfolgenden Verwaltung des (hier gemeint: konkreten) Amtes (§ 54 S 2 BBG, § 36 S 2 BRRG) und für das Außenverhältnis zum Bürger abgesichert durch das Gebot der Zurückhaltung bei politischer Betätigung (§ 53 BBG, § 35 Abs 2 BRRG) 318 – bereits der Anschein von Parteilichkeit soll vermieden werden. Die Norm hindert weder die Parteimitgliedschaft noch die Betätigung als Wahlkämpfer noch die Kandidatur. „Mäßigung“ verlangt Wahrung der Form, betrifft noch nicht Inhalte (hierfür ist allein die politische Treuepflicht maßgeblich). Der Vermeidung „bösen“ Anscheins wie auch der Sicherung objektiv unparteilicher Entscheidungsfindung dienen auch Vorschriften über die Annahme von Geschenken und Belohnungen (vgl § 70 BBG) sowie über den 134

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Dem Schutz des Dienstherrn vor der Verwendung von „Amtswissen“ für private Zwecke dienen auch die Bestimmungen über die Tätigkeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, vgl §§ 69 a BBG, 42 a BRRG, und dazu OVG Koblenz NJW 1991, 245 ff. Püttner FS Ule 1977, 383 ff; Wagner DöD 1987, 65 ff; Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 103 ff. Dazu Kunig in: Isensee/Kirchhof, HdbStR II (2. Aufl 1998), § 33, insbes Rn 81 ff; ders Jura 1991, 247, 256; Leuze DöD 1994, 125 ff. Dazu Frowein Die politische Betätigung des Beamten, 1967.

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6. Kap IV 3 a dd

Ausschluss des Beamten von Amtshandlungen, die ihn typischerweise in Interessenkonflikte führen würden.319 Sie setzen nur teilweise im Kontext der Beamtenpflichten an (systematisch zu verstehen als Beschränkung des Rechts, das übertragene Amt auszuüben), nämlich betreffend die Befreiung von Amtshandlungen gegen sich selbst und gegen andere bzw das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (§§ 59, 60 BBG, § 41 BRRG); 320 die Berührung eigener Interessen des Beamten durch die dienstliche Tätigkeit wird darüber hinaus erfasst durch allgemeine Ausschlussregelungen (vgl §20 VwVfG) und – bereichsspezifisch – durch Vorschriften zB des Steuerrechts (vgl § 82 AO). dd) Amtsverschwiegenheit: Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (vgl §§ 61 ff 137 BBG, §39 BRRG) 321 dient dem Ansehen des öffentlichen Dienstes und der Vertrauensbildung auf Seiten des Bürgers, damit auch dessen die Selbstbestimmung über Daten gewährenden Grundrechten (s auch § 1 Abs 2 Nr 1, 2, § 2 BDSG). Seit jeher und also schon vor der grundrechtlich angeleiteten Verrechtlichung dieses Problemfeldes galt der Grundsatz, dass der Beamte prinzipiell nach außen, aber auch gegenüber anderen staatlichen Stellen über Angelegenheiten zu schweigen hat, die ihm in Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Das gilt prinzipiell auch für ihm gegenüber ergangene rechtswidrige Anordnungen oder sonstige rechtswidrige Handlungen. Die „Flucht in die Öffentlichkeit“ ist dem Beamten verwehrt.322 Diese Pflicht wirkt weiter nach der Beendigung des Dienstverhältnisses (bezüglich der Herausgabe von Schriftstücken uä in atypischer Erstreckung sogar auf Hinterbliebene und Erben, vgl § 61 Abs 3 S 2 BBG). Erfasst sind nicht nur Informationen, die dem Beamten im Rahmen seiner eigenen Tätigkeit bekanntgeworden sind; die Kenntnisnahme „bei Gelegenheit“ des Dienstes reicht aus. Ausgeschlossen bleiben – neben offenkundigen oder bedeutungslosen Angelegenheiten – Mitteilungen im dienstlichen Verkehr, dh im Verkehr innerhalb des Über-Unterordnungsverhältnisses der eigenen Behörde (in beiden Richtungen) wie auch im Rahmen zulässiger Amtshilfeersuchen (vgl § 61 Abs 1 S 2 BBG). Hierbei und generell im Verkehr von Behörden untereinander ist dienstlicher Verkehr nur ein solcher, der auf gesetzlicher Grundlage vollzogen wird, also etwa auch im Zusammenwirken mehrerer Behörden im Rahmen eines gestuften Verwaltungsverfahrens. Die Verschwiegenheitspflicht findet Ausnahmen im Interesse der Funktionsfähig- 138 keit der Rechtspflege, aber auch wegen des Unterrichtungsinteresses der Öffentlichkeit. Letzteres ist beamtenrechtlich insoweit aufgenommen, als die Auskunftserteilung gegenüber der Presse der Behördenspitze vorbehalten bleibt (vgl § 63 BBG), während sich Näheres über die Zugänglichkeit verfahrensinterner Daten für die Öffentlichkeit oder für Interessierte aus allgemeinem Verfahrensrecht, vor allem aber bereichsspezifisch – beispielsweise im Umweltschutzrecht – aus den Bestim319 320 321

322

Vgl BVerwGE 43, 42, 44. Vgl dazu Wenzel DÖV 1976, 411 ff. Düwel Das Amtsgeheimnis, 1965; F. A. Mann Die Schweigepflicht des Beamten in internationaler Sicht, 1990; aus der Rspr vgl BVerwG DVBl 1983, 505 ff; BGH NJW 1989, 1228; BVerwG NJW 1992, 1713 ff. – Zur strafrechtlichen Sicherung §§ 353, 354 StGB. Vgl BVerwGE 76, 76, 80; VGH Mannheim, Az.: 4 S 965/03, und – für Soldaten – BVerwG NVwZ 1990, 762 ff.

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mungen über Geheimhaltung und Öffentlichkeitsbeteiligung ergibt. Näher im Beamtenrecht selbst ist der Spielraum ausgestaltet, der dem Beamten als Zeuge, Partei oder Beschuldigter im gerichtlichen Verfahren gezogen ist (§62 BBG, §39 Abs 3, 4 BRRG).323 Hier bedarf es der Genehmigung.324 Ihre Erteilung steht nicht im Ermessen der Behörde,325 vielmehr ist ein Erteilungsanspruch eingeräumt, nur in engen Grenzen darf die Genehmigung versagt werden. Der Sache nach, nicht systematisch, ist der Beamte hier mehr als Berechtigter angesprochen denn als Verpflichteter. ee) Die politische Treuepflicht: Die politische Treuepflicht des Beamten wurde 139 schon bei den subjektiven Ernennungsvoraussetzungen, also im Zusammenhang mit der Begründung des Beamtenverhältnisses erörtert (so Rn 76, 84). Ging es dort um eine Prognose über die Gewähr, die die zu ernennende Person im Hinblick auf ihre Verfassungstreue bietet, so formulieren die Beamtengesetze die Treuepflicht auch als ständig fortwirkende Verpflichtung aus, dies im Sinne einer Pflicht zum Bekenntnis und zum Eintreten für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 52 Abs 2 BBG, § 35 Abs 1 S 2 BRRG). Auch die Treuepflicht im Beamtenverhältnis sollte – wie die Gewähr der Treue als dessen Begründungsvoraussetzung – bereichsspezifisch, nicht pauschalierend verstanden werden: Sie gilt gleichermaßen für alle Beamten, ohne von allen Beamten Gleiches zu verlangen (so Rn 83). b) Dienstvergehen 140 Die schuldhafte Verletzung einer beamtenrechtlichen Pflicht stellt ein Dienstvergehen dar (§ 77 Abs 1 S 1 BBG, § 45 Abs 1 S 1 BRRG). An diesen Begriff knüpft das Disziplinarrecht an, das bisher in den Disziplinarordnungen des Bundes und der Länder, teils auch in Disziplinargesetzen der Länder seine Regelung fand. Die BDO ist mit Wirkung vom 1. 1. 2002 durch das BDG abgelöst worden.326 An die Stelle der früheren Aufspaltung in ein nichtförmliches Ermittlungsverfahren und ein förmliches Untersuchungsverfahren ist ein einheitliches Ermittlungsverfahren getreten (§§ 17–31 BDG), das durch eine Einstellungsverfügung, eine Disziplinarverfügung oder eine Disziplinarklage (§§ 32–34 BDG) abgeschlossen wird. Verfahrensrechtlich sind weitere Veränderungen im Vergleich mit der bisherigen Rechtslage eingetreten. Der unabhängige Untersuchungsführer wurde ebenso abgeschafft wie der Bundesdisziplinaranwalt und das Bundesdisziplinargericht; die gerichtliche Zuständigkeit wurde auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit übertragen, allerdings mit 323 324

325 326

Zur Rechtslage im förmlichen Disziplinarverfahren BDH NJW 1962, 1884. Zur konkludenten Genehmigung für Aussagen von Polizeibeamten Böhm NStZ 1983, 158 ff; allgem Ziegler Die Aussagegenehmigung im Beamtenrecht, 1989. Zur Auskunftspflicht eines Beamten vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bei drohender disziplinarrechtlicher Verfolgung Vetter ZBR 1991, 225 ff. BVerwGE 46, 303, 397; 66, 39, 42. Dazu Urban NVwZ 2001, 1335 ff; insbes zum neuen Recht Ebert, Das neue Disziplinarrecht, 2002; Lemhöfer RiA 2002, 53 ff; Schwandt DöD 2003, 1 ff. Zur Frage, inwieweit eine bloße Verdachtserweckung sanktionierbar ist, Höfling/Rixen JuS 2002, 855 ff, als Besprechung von BVerwGE 114, 40.

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spezialisierten Kammern und Senaten. Das überkommene System von (abgestuften) Disziplinarmaßnahmen ist aber grundsätzlich beibehalten worden, wenn auch mit teils eher sprachlichen, teils inhaltlichen Änderungen (s §§ 5 ff BDG). Disziplinarmaßnahmen sind Verweis und Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge327 (früher: „Gehaltskürzung“), Zurückstufung (früher: „Versetzung in ein Amt der selben Laufbahn mit geringerem Endgehalt“), Entfernung aus dem Beamtenverhältnis 328 (früher: „aus dem Dienst“), bei Ruhestandsbeamten Kürzung und Aberkennung des Ruhegehalts.329 Die Höchstdauer der Kürzung der Dienstbezüge wurde auf drei Jahre herabgesetzt, Änderungen betreffen auch Beförderungsverbote, die mit der Kürzung verbunden sind.330 Das Disziplinarrecht definiert die disziplinarischen Sanktionen und legt die 141 Rechtsfolgen fest. Dabei wird der Begriff des Dienstvergehens vorausgesetzt (vgl § 2 BDG). Ein Dienstvergehen kann nur begehen, wessen Dienstverhältnis noch andauert. Gewisse Pflichtenverstöße von Ruhestandsbeamten stellen aber eine „als Dienstvergehen geltende Handlung“ dar (vgl § 77 Abs 2 BBG, § 45 Abs 2 BRRG, § 2 Abs 2 BDG). Dies betrifft nur einen Ausschnitt des Pflichtenkreises, der enumerativ umschrieben ist (zB Verletzung der Amtsverschwiegenheit). Für die Dauer des Dienstverhältnisses ist dagegen jeder schuldhafte Pflichtverstoß ein Dienstvergehen. Die gesetzliche Definition des Begriffs „Dienstvergehen“ stellt, wie erwähnt, auf die schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten ab, modifiziert dies aber durch eine Differenzierung zwischen dem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes: Bei Verhalten außerhalb des Dienstes liegt ein Dienstvergehen nur vor, wenn die Pflichtverletzung „nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für (das) Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen“ (§ 77 Abs 1 S 2 BBG, § 45 Abs 1 S 2 BRRG). Die Abgrenzung zwischen innerdienstlichem und außerdienstlichem Verhalten ist nicht allein nach zeitlichen (Dienstzeit) oder örtlichen (Dienstort) Kriterien vorzunehmen, auch wenn diese dafür Anhaltspunkte bieten; entscheidend ist die materielle Bezüglichkeit eines Verhaltens auf den Amtsbereich. Im außerdienstlichen Bereich ist der Beamte vor allem durch die allgemeine Verhaltenspflicht (§ 54 S 3 BBG, § 36 S 3 BRRG) angesprochen. Wegen der von § 77 Abs 1 S 2 BBG (bzw § 45 Abs 1 S 2 BRRG) gebotenen Differenzierung ist bei der Beurteilung eines 327

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Dazu BVerwG DÖV 1990, 526 f u NVwZ 1994, 1219 f; vgl a BDiszG NVwZ-RR 1993, 502; zu verfassungsrechtlichen Grenzen s BVerfG BayVBl 1993, 749. Zur Entfernung aus dem Dienst wegen Zugriffs auf dienstlich anvertrautes oder zugängliches Geld für private Zwecke vgl BVerwG DVBl 1991, 115 f; eines Soldaten, der einem Zivilbediensteten der Bundeswehr Ecstasy in den Kaffee gab, BVerfG NJW 1998, 1730 f. – Die Entfernung aus dem Dienst darf nicht allein aus fiskalischen Gründen (Nichtweiterzahlung der Bezüge) für sofort vollziehbar erklärt werden, BVerfG BayVBl 1990, 207 f. Zur Aberkennung des Ruhegehalts wegen Zugriffs auf amtlich anvertrautes Geld vgl BVerwG NVwZ-RR 1997, 634, und wegen ungenehmigter Nebentätigkeit BVerfG NVwZ 2003, 1504. Zum Disziplinarrecht allgem Auerbach Das Bundesdisziplinarrecht, 1969; Behnke Bundesdisziplinarordnung, 2. Aufl 1969; Weiß PersV 1987, 137 ff; Sträter ZBR 1992, 289 ff. – Zu den disziplinarrechtlichen Änderungen im Zuge des ReformG 1997 (Rn 26a) sowie des AntikorruptionsG (so Fn 66) näher Veig NVwZ 1998, 470 ff; Weiß PersV 1998, 344 ff.

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außerdienstlichen Verhaltens in Bezug auf seine disziplinarrechtliche Relevanz zunächst festzustellen, ob überhaupt die Verletzung einer Verhaltenspflicht vorliegt, sodann, ob diese ausnahmsweise als Dienstvergehen gewertet werden kann. Die Anbindung des Begriffs „Dienstvergehen“ an die Pflichtenkataloge begrün142 det Bedenken im Hinblick auf den auch für das Disziplinarrecht geltenden Art 103 Abs 2 GG und auch aus grundrechtlicher Sicht, denn die Generalklauselartigkeit etlicher Beamtenpflichten lässt der behördlichen und gerichtlichen Rechtsanwendung beträchtliche Spielräume. So ist die Abgrenzung zwischen „bedeutsamen“ und weniger bedeutsamen Pflichtverstößen schwierig.331 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass auch dienstliche Weisungen festlegen, was ein Beamter zu tun oder zu lassen hat. Sind Anordnungen und Weisungen unklar, kann auf Irrtümer des Beamten jedenfalls bei der Schuldfeststellung reagiert werden. Die relative Weite einiger Dienstpflichten muss auch schon bei der materiellen Feststellung der Pflichtwidrigkeit, also auf der Ebene des Tatbestandes berücksichtigt werden. Insofern hat sich eine reichhaltige Kasuistik herausgebildet, die den Defiziten im Bereich der gesetzlichen Bestimmtheit entgegen wirkt. Nicht zu verkennen ist, dass die Rechtslage sich in gewissem Umfang dem Wandel der Anschauungen öffnet, was den außerdienstlichen Bereich betrifft. Wurde beispielsweise der Ehebruch des Beamten früher durchgängig als Dienstvergehen gewertet, so erscheint solches Tun heute jedenfalls nicht ipso facto als Handlung, die das Vertrauen in die Integrität des Beamten belasten könnte; 332 beamtenrechtlich bleibt die Aufnahme und Gestaltung persönlicher Beziehungen grundsätzlich Sache der Beteiligten.333 Nicht nur Straftaten, aber auch nicht alle Straftaten sind Dienstvergehen. Zu reichhaltiger Judikatur hat das Phänomen des Alkoholismus geführt.334 Auch die Annahme und das Fordern von Geschenken beschäftigt die Gerichte.335 Überholt ist die Anschauung, „unehrenhaftes Schuldenmachen“ sei stets ein Dienstvergehen,336 wenngleich hier die Grenze des Sanktionierbaren weiter gezogen ist als im Strafrecht. Grundsätzlich ist die abstrakte Unterscheidung zwischen einem bürgerlichen und einem beamtenrechtlichen Ehrenbegriff problematisch, statt dessen zumeist einzelfallbezogen und auch personenbezogen, dh funktionsbezogen zu differenzieren, also auf die spezifi331 332

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Anschaulich etwa BVerwG DöD 1994, 92 ff u NJW 1994, 3115 f. Beispiele gleichwohl angenommener Dienstbeeinträchtigung erörtert Biletzki ZBR 1998, 84, 91 f. Vgl dazu OVG Münster ZBR 1965, 210; BVerwG ZBR 1976, 61f; BVerwG NJW 1984, 936 ff; BVerwG DVBl 1987, 1167 f. Zur sexuellen Belästigung von Mitarbeiterinnen BVerfG DÖV 1998, 340 ff. S dazu J. Fischer FS Claussen, 1988, 141 ff; Honsa, Alkohol- und Drogenmissbrauch im öffentlichen Dienst, 2002; exemplarisch: BVerwGE 76, 128 und – die Anforderungen an die Verschuldensfeststellung demgegenüber modifizierend – BVerwG DVBl 1992, 106 ff; zur Trunkenheit am Steuer Lindgen DöD 1978, 41 ff; zur außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt eines Soldaten BVerwG NVwZ 1994, 785, eines Beamten der Telekom BVerwGE 103, 375 ff, in Aufgabe früherer Rspr zur Bewertung einer einmaligen außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt BVerwG NJW 2001, 1080 ff; zum (strafbaren) Besitz von Cannabis-Produkten BVerwG NJW 1995, 2240 u BVerwGE 103, 316. BVerwG NVwZ 1997, 588; BVerwGE 100, 172 = JZ 1996, 854 mit Anm Battis. So noch BDHE 5, 61.

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sche Art des Verhaltens und die Position innerhalb der Beamtenhierarchie abzustellen: Der Diebstahl des Polizeibeamten, die Unterschlagung des Finanzbeamten sind Dienstvergehen, das Beschimpfen der Bundesflagge in Fäkalsprache ist für jeden Beamten Dienstvergehen, die Beleidigung, die ein Sachbearbeiter im Wirtshaus ausspricht, mag anders zu bewerten sein als diejenige, die der Leiter einer obersten Bundesbehörde während einer Talkshow verübt – nur von letzterer wird die Öffentlichkeit Notiz nehmen, nur letztere kann daher geeignet sein, das Ansehen der Beamtenschaft fühlbar zu beeinträchtigen. Stets ist zu bedenken, dass Dienstvergehen von Beamten nicht zur Bewahrung eines beamtenrechtlichen Ehren- oder Sittenkodex geahndet werden, sondern wegen der Funktionstüchtigkeit des Dienstes, die durch das Verhalten einzelner in je unterschiedlicher Weise beeinträchtigt werden kann. Ist die Mehrzahl außerdienstlich begangener Dienstvergehen zugleich Straftat, so 143 wirft das auch die Frage nach dem Verhältnis von Straf- und Disziplinarrecht auf.337 Die parallele Ahndung gilt als von Art 103 Abs 3 GG nicht ausgeschlossen, doch ist die (vorangegangene) Verhängung einer Disziplinarmaßnahme bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.338 Ging ein Strafurteil der disziplinarrechtlichen Entscheidung voraus, so begrenzt § 14 BDG die disziplinarrechtlichen Ahndungsmöglichkeiten.339 c) Haftung Auch so weit Dienstvergehen Rechtsgüter Privater betreffen, werden sie allein we- 144 gen des gegenüber dem Dienstherrn begangenen Pflichtenverstoßes geahndet. Demgegenüber kann die beamtenrechtliche Haftung auch in den Rechtsfolgen das Innen- wie das Außenverhältnis betreffen. Pflichtenverstöße können unmittelbar und ausschließlich den Dienstherrn schädigen, aber auch Dritte, den Dienstherrn dann zugleich mittelbar, wenn dieser dem Dritten schadensersatzpflichtig wird. Die unmittelbare Schädigung des Dienstherrn ist beamtenrechtlich geregelt, die mittelbare in Anküpfung der Beamtengesetze an das bürgerlichrechtlich eingerichtete, von Art 34 GG zum Staatshaftungsrecht umgeprägte Amtshaftungsrecht.340 In beiden Konstellationen der Schädigung des Dienstherrn differierte die Haftung 145 früher danach, ob der Beamte öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich gehandelt hat. Nur bei privatrechtlichem Handeln wurde für jedes Verschulden gehaftet, bei öffentlich-rechtlichem Handeln nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit (sog Haf-

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Dazu BVerwGE 83, 1, 4 → JK GG Art 46/2; eingehend Lambrecht Strafrecht und Disziplinarrrecht, 1997. Nachw bei Kunig in: v Münch/Kunig, GG III, Art 103 Rn 42; sa Ukena ZBR 1987, 208 ff. S BVerwGE 76, 43 ff; sa BVerwG NJW 1991, 2583, beide zu § 14 BDO. Vgl den Überblick bei Riedmaier DÖV 1989, 386 ff; beispielhaft – zur Amtspflicht eines Standesbeamten – BGH VBlBW 1990, 315 ff; zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten bei der Rückfahrt mit dem Dienstwagen VGH Mannheim NJW 1989, 997; zur Ausübung eines öffentlichen Amtes durch einen Zivildienstleistenden BGH DÖV 1992, 1018 f; zur Drittbezogenheit von Amtspflichten BGH DVBl 1994, 1065 u 1067 ff; ferner Ladeur DÖV 1994, 666 ff; zur Verjährung BVerwG DÖV 1994, 124 f.

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tungsprivileg).341 Damit sollte die Entschlussfreudigkeit des Beamten und die Leistungsfähigkeit der Verwaltung gestärkt werden. Seit der am 1. 1. 1993 in Kraft getretenen Neufassung der §§ 78 BBG, 46 BRRG ist das Haftungsprivileg auch auf das privatrechtliche Handeln des Beamten erstreckt worden.342 Damit sind Wertungswidersprüche für Konstellationen beseitigt worden, in denen eine Tätigkeit keinerlei Prägung aus ihrer hoheitlichen Vornahme erfuhr, denkt man an die Auszahlung von Geld, die ein Beamter vornimmt: Leistete er einem anderen Beamten eine Überzahlung, handelte also hoheitlich, trat Haftung nur bei grober Fahrlässigkeit ein; war der Adressat ein Arbeiter im öffentlichen Dienst, haftete der auszahlende Beamte unter gleichen Umständen schon bei leichter Fahrlässigkeit. Das machte wenig Sinn und war in Rechtsprechung und Schrifttum als verfehlt gerügt worden, denn das Telos der Unterscheidung – Förderung der Entschlussfreudigkeit – ging ins Leere. Berücksichtigt man noch, dass im genannten Beispiel ein angestellter Kassenverwalter auch bei hoheitlichem Handeln (also bei einem Beamten gegenüber vorgenommener Überzahlung) voll haftete, zeigt sich insgesamt die Fragwürdigkeit der früheren Regelungen. Die erwähnte Neuregelung führt zu einer Vereinfachung der Rechtslage, weil nunmehr bei der Prüfung einer beamtenrechtlichen Haftung aus § 78 BBG bzw § 46 BRRG eine Abgrenzung zwischen hoheitlichem und nicht hoheitlichem Handeln entbehrlich ist, so weit es um die Prüfung der materiellen Rechtslage geht. Diese Prüfung bleibt aber nötig, um den Rechtsweg zu finden. Denn bei hoheitlichem Handeln ist der ordentliche Rechtsweg für die Geltendmachung der Amtshaftung durch den Geschädigten und für die gerichtliche Geltendmachung des Rückgriffs des Dienstherrn (s noch u Rn 148) gegeben. Geht es nicht um den Amtshaftungsrückgriff, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.343 Die Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (zu beziehen auf die 146 Pflichtverletzung, also den Normverstoß, nicht auf die Vorhersehbarkeit des konkret eingetretenen Schadens und die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden 344) macht es im Ergebnis überflüssig, die früher in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit 345 in das Beamtenrecht zu übertragen: Denkbar ist, dass die Fürsorgepflicht (su Rn 152 ff) der Haftung weitere Grenzen zieht, etwa in Fällen ganz ungewöhnlicher Schadenshöhe und drohender wirtschaftlicher Existenzvernichtung des Beamten.346 341

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Vgl dazu und zur Anwendbarkeit des § 282 aF BGB (s nunmehr § 280 I 2) BVerwG ZBR 1983, 274; s ferner Lörler JuS 1990, 544 ff. BGBl 1992 I 1030; zur Anwendbarkeit auch auf zuvor eingetretene, aber noch nicht abgewickelte Schadensfälle BVerwG DVBl 1996, 1135 f. Zu Einzelheiten der Beamtenhaftung gegenüber dem Dienstherrn für Schäden bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung s Simianer ZBR 1993, 33 ff. S BayVGHE 74, 75 f; vgl a BGHZ 34, 375, 381; BVerwGE 19, 243, 248. S zum Wandel dieser Rspr BAG NZA 1994, 1083 ff; BGH NJW 1994, 856 ff. Vgl etwa Fürst ZBR 1987, 289 ff; anschaulich BGH DÖV 1994, 387 ff mit der Annahme einer Ermessensreduzierung in einem extrem gelagerten Fall; sa VGH München ZBR 1992, 189; VG Gießen NVwZ-RR 1997, 429 f. – Bei besonderer Schadensträchtigkeit eines Dienstpostens kommen auf haushaltsrechtlicher Grundlage auch Freistellungen pro futuro in Betracht.

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Die Durchsetzung der Haftungsansprüche des Dienstherrn gegenüber dem Be- 147 amten unterscheidet sich zutreffender Ansicht nach nicht vom allgemeinen Schadensersatzrecht im Verhältnis des Staats zu dem ihn schädigenden Bürger, so dass solche Ansprüche im Falle der Erfüllungsverweigerung einzuklagen sind (bei unmittelbarer Schädigung bzw mittelbarer Schädigung durch privatrechtliches Handeln nach § 126 BRRG vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit, bei mittelbarer Schädigung durch hoheitliches Handeln gem Art 34 S 3 GG vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit). Die Rechtsprechung geht demgegenüber davon aus, dass Schadensersatzansprüche gegenüber dem Beamten vom Dienstherrn durch Verwaltungsakt einforderbar seien, weil generell im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis die Unterordnung des Beamten zu seiner Inanspruchnahme durch Verwaltungsakt berechtige.347 Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch Verwaltungsakt, die dem Beamten die Last zur Geltendmachung von Rechtsbehelfen auferlegt, erscheint so als Bestätigung einer Regel, von der abzuweichen es „keinen Grund“ gebe. Die angenommene Prämisse greift jedoch zu weit, denn einseitiges Handeln gegenüber dem Beamten bedarf stets der Rückführbarkeit auf eine gesetzliche Grundlage, an der es hier fehlt.348 Es müsste also der Nachweis geführt werden können, dass die beamtenrechtlichen Haftungsnormen selbst die erforderliche Rechtsgrundlage abzugeben vermöchten. Ein solcher Nachweis gelingt indes nicht. d) Die Beamtenrechte An der Spitze der Kataloge einzelner Rechte des Beamten steht die Fürsorgepflicht 148 des Dienstherrn. Sie ist das Korrelat 349 zu der besonderen Inpflichtnahme des Beamten, insbesondere zur Treuepflicht (so Rn 127, 139) und der Pflicht zur beruflichen „Hingabe“ (so Rn 129). Die Fürsorgepflicht ist generalklauselartig formuliert, ist Auslegungsmaxime für unbestimmte Rechtsbegriffe und Abwägungsgesichtspunkt bei Ermessensentscheidungen, reicht aber auch weiter als die speziellen Ausprägungen, die die Gesetzesabschnitte über „Fürsorge und Schutz“ noch enthalten. Das allgemeine Recht auf Fürsorge kann jedoch nicht Anspruchsgrundlage sein, so weit für einen Teilbereich – zB die Besoldung – eine abschließende Regelung vorliegt. aa) Spezielle Fürsorgeverpflichtungen: Als gesetzliche Ausprägung der Fürsorge- 149 pflicht lässt sich auch die familienpolitisch motivierte und zunächst nur für weibliche Beamte eingeführte, später auch auf Männer erstreckte Möglichkeit der Ermäßigung der Arbeitszeit und der Beurlaubung ohne Dienstbezüge begreifen (vgl §§ 72 a Abs 4 Nr 2 BBG, 44 b BRRG). Die Entscheidung über entsprechende An347

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BVerwGE 19, 243, 246; 21, 270, 272; 27, 350; OVG Münster NWVBl 1996, 69; zutr dagegen zB W. Martens FS Wolff, 1973, 434. Allg zur Schadensersatzpflicht öffentlich Bediensteter gegenüber ihrem Dienstherrn Beckmann ZBR 2004, 109 ff; Zetzsche ZBR 2004, 130 ff. Eine solche sah das G über das Verfahren für die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen (ErstattungsG) v 24. 1. 1951 (BGBl I 87, 109; geändert am 2. 3. 1974, BGBl I 469) – zu dessen Anwendungsbereich s BVerwG ZBR 1986, 252 – vor, das durch das BesoldungsstrukturG v 21. 6. 2002 (BGBl I 2138) aufgehoben wurde. Dazu BVerfGE 43, 154, 165; vgl a Summer PersV 1988, 76 ff.

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träge steht nicht mehr im gesetzlich kaum programmierten Ermessen der Verwaltung. Vielmehr besteht ein Anspruch, wenn nicht zwingende dienstliche Belange entgegenstehen. Jegliche Gestattung einer Teilzeitbeschäftigung belastet grundsätzlich die Funktionsfähigkeit des Dienstes. Das ist auch dann der Fall, wenn ein Aufgabenfeld (zB: Sachbearbeitung einer „Buchstabengruppe“ in einem Dezernat) von einer nur halbtags beschäftigten Person vollen Umfangs wahrgenommen werden kann, denn eine größere Zahl von Beamten bringt stets organisatorischen Mehraufwand mit sich (zB Inanspruchnahme von Räumen, Personalaktenführung). Nicht jede Funktionsbeeinträchtigung kann aber als zwingend den Interessen des Antragstellers vorgehen, die typische Beeinträchtigung ist im Gegenteil regelmäßig hinzunehmen, wenn der Antragsteller die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Weitere gesetzlichen Ausformulierungen der Fürsorgepflicht nehmen sozialpoliti150 sche Anliegen auf (Mutterschutz, Schwerbehindertenschutz, Arbeitsschutz Jugendlicher), enthalten Ermächtigungsnormen zum Erlass von Rechtsverordnungen bzw verweisen – modifizierend – auf andere Gesetze. Sie zeigen, dass die Beamtengesetze sozialrechtlich die Nähe zu anderen Typen von Beschäftigungsverhältnissen suchen. Nicht nur die in der Gesetzessystematik in Zusammenhang mit Schutz und Für151 sorge eingeordneten Beamtenrechte, sondern auch noch weitere Normen münzen die allgemeine Fürsorgepflicht aus. Das gilt über Besoldung und Versorgung hinaus auch für die Erstattung von Reise- und Umzugskosten – die im Übrigen ebenfalls auf allgemein beamtenrechtlicher Ebene lediglich angesprochen bzw in Einzelaspekten geregelt werden, vollziehbar ausgestaltet hingegen in anderen Gesetzen sind; schließlich lässt sich auch der Anspruch auf das Dienstzeugnis 350 der Fürsorgepflicht zuordnen. bb) Die allgemeine Fürsorgepflicht: Der Beamte hat das Recht, dass sein Dienst152 herr für sein und seiner Familie Wohl sorgt, dies bezogen auf die Wahrnehmung der amtlichen Tätigkeit, aber auch „in seiner Stellung als Beamter“ (§ 79 BBG, § 48 BRRG). Obwohl die Fürsorgepflicht historisch in überwundenen paternalistischen Vorstellungen gründet, führt das geltende Recht sie fort. Das ist nur erträglich, wenn – wie bei Generalklauseln aber ohnehin nahe liegend und oft geboten – die Fürsorgepflicht nicht statisch, sondern auch unter Berücksichtigung gewandelter Anschauungen und neuartiger Phänomene 351 verstanden wird.352 Im Ausgangspunkt gilt: Der Dienstherr muss Handlungen unterlassen, die den Beamten schädigen, er muss ihn vor Nachteilen bewahren und ihm vorteilhafte Maßnahmen ergreifen, wenn dies geboten ist.353 Für die Bereiche der Besoldung (su Rn 157) und 350

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§ 92 BBG; zur gerichtlichen Kontrolle von dessen „Richtigkeit“ BVerwGE 12, 29, 34; Battis BBG Rn 5 zu § 92. Zu Mobbing und Fürsorgepflicht Wittinger/Herrmann ZBR 2002, 337 ff; Bochmann ZBR 2003, 257 ff. Zur Schadensersatzhaftung des Dienstherrn bei Mobbing BGH NJW 2002, 3172 → JK 3/03 GG Art 34/24. Dazu Summer ZBR 1998, 151 ff mit Beispielen; eingehend zu Aspekten der Fürsorgepflicht anhand der Rspr des BVerfG Schnellenbach VerwArch 92 (2001) 2 ff. Vgl etwa Lecheler ZBR 1972, 129 ff; Schnellenbach ZBR 1981, 301 ff. – Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht findet ihre Ursprünge in der Rspr des RG, s zunächst RGZ 18, 173 ff, sodann etwa RGZ 71, 243, 247.

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der Versorgung (zB Ruhegehalt, Hinterbliebenenversorgung, Unfallfürsorge) 354 ist das im BBesG und im BeamtVG, in den Versorgungsgesetzen der Länder, für die Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (ebenfalls Ausfluss der Fürsorgepflicht) in Verwaltungsvorschriften geregelt; letztere binden über den Gleichheitssatz die Ermessensbetätigung des Dienstherrn.355 Es verbleibt darüber hinaus ein weites Anwendungsfeld für die Generalklausel „Fürsorgepflicht“ in normativ ungeregelten Bereichen. Hier sind Abwägungen für jeden Einzelfall nötig. Sie betreffen zunächst die klassischen Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit wie auch das Eigentum,356 so dass der Dienstherr sich durch Sicherheitsvorkehrungen schützend vor die körperliche Integrität des Beamten zu stellen, ihm etwa auch einen Büroplatz zu verschaffen hat, der ihn vor den Risiken des so genannten Passivrauchens 357 bewahrt. Persönliches Eigentum ist gleichfalls nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu schützen.358 Richtschnur für die Einzelfallentscheidung ist stets, inwieweit der einzelne Beamte wegen des Dienstes genötigt ist, ein gesteigertes Risiko einzugehen, das sich vom allgemeinen Lebensrisiko unterscheidet. So muss ein Kleiderschrank in einem anderen Personen zugänglichen Raum abschließbar sein, während andererseits der Beamte keinen Anspruch darauf hat, dass ihm ein gesicherter Stellplatz für das Kraftfahrzeug zugewiesen wird, mit dem er den Dienstort aufsucht. Die Erstreckung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) auf den 153 Schutz informationeller Selbstbestimmung 359 aktiviert die Fürsorgepflicht in dem Sinne, dass Geheimnisse des Beamten vor dem Zugriff Dritter zu schützen sind, aber auch innerhalb der Behörde nur denjenigen zugänglich werden, die aus Sachgründen notwendigerweise mit ihnen befasst werden müssen; der Kreis der mit der Personalaktenführung befassten Personen ist deshalb möglichst gering zu halten,360 woran sich erneut zeigt, dass die Fürsorgepflicht auch Organisationspflichten hervorbringt. Auch die weiteren Anwendungsfälle betreffen ganz überwiegend den Beamten in 154 seinem Verhältnis zum Dienstherrn, insbesondere auch die verfahrensmäßige Bezie354

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Zur Versorgungsreform durch das VersorgungsreformG v 29. 6. 1998, BGBl I 1666, zuletzt geänd am 21. 12. 1998, BGBl I 3824; s im Vorfeld v Zezschwitz ZBR 1998, 109 ff, 115 ff; ferner Isensee, Affekte 14 ff sowie die Nachw bei Battis NJW 1998, 1033f; Meier NVwZ 1998, 1246 ff. Vgl BVerwGE 38, 191 ff; BVerwG NJW 1994, 3023 f; Lecheler JZ 1987, 448, 451 ff; Unverhau ZBR 1990, 33 ff; zum Gleichheitsgrundsatz im Besoldungsrecht vgl BVerfGE 71, 39, 52 f sowie BVerfG DVBl 1996, 503. Vgl OVG Münster ZBR 1977, 104 ff; zur Zerstörung einer wertvollen eigenen Sache im Dienst, die mit Billigung des Vorgesetzten verwendet wurde, OVG Münster DöD 1994, 168 f; sa BVerwG DVBl 1994, 582 f u 1076 f; zu den Anforderungen an eine Dienstwohnung Ritgen ZBR 1996, 386, 388; zur Fürsorgepflicht gegenüber einem verdeckten Ermittler Alberts DöD 1997, 17 ff. Dazu BVerwG DöD 1985, 86 f; OVG Münster ZBR 1988, 67 f. S dazu BVerwG DVBl 1994, 582 f u NVwZ-RR 1997, 426 f; vgl a VGH Kassel NVwZ-RR 1997, 427 ff; BayVGH BayVBl 1998, 215 ff. BVerfGE 65, 1, 41f; Kunig Jura 1993, 595 ff; für Beamte: BVerwG NVwZ-RR 1997, 631 ff (zu § 20 S 1 BDO). Vgl BVerwGE 75, 17 ff.

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hung in Zusammenhang mit Veränderungen des Dienstverhältnisses. Die Fürsorgepflicht gebietet hier Verfahrensfairness,361 die sich im gewöhnlichen Staat-BürgerVerhältnis grundrechtlich inspirierten einfachgesetzlichen Ausprägungen verdankt. Das kann dazu führen, dass der Beamte angehört werden muss, dass ihn betreffende Entscheidungen ihm gegenüber zu begründen sind, dass er über seine Rechtsstellung zu belehren ist. Dem Dienstherrn muss auch das dienstliche Fortkommen des Beamten angelegen sein, er muss ihn entsprechend Eignung und Leistung und unter Wahrung des Gleichheitssatzes fördern 362 (so Rn 87), wozu auch die Ermöglichung dienstlicher Fortbildung gehört. Auch im Außenverhältnis hat der Dienstherr den Beamten „in Schutz“ zu neh155 men, darf Missbilligung über die Amtsführung nicht nach außen tragen bzw muss einschreiten, wenn solches – etwa durch den unmittelbaren Vorgesetzten – geschieht.363 Werden von außen Vorwürfe an den Beamten herangetragen, ist der Dienstherr zwar nicht gehalten, die Partei des Beamten zu ergreifen, wohl aber hat er ihn gegen unberechtigte oder schmähende Vorwürfe zu schützen. Einem Geschädigten hat er den Namen des Beamten, der eine Dienstpflicht begangen hat, mitzuteilen, dies jedoch erst, wenn die Pflichtverletzung feststeht, nicht bereits auf den bloßen Vortrag des sich als geschädigt erklärenden Bürgers hin.364 Verstöße gegen die Fürsorgepflicht kann der Beamte einklagen, dh die Feststel156 lung, er sei rechtswidrig behandelt worden, vor dem Verwaltungsgericht erstreiten, sofern die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen der (Fortsetzungs-) Feststellungsklage vorliegen, insbesondere also ein Rehabilitierungsinteresse besteht oder die Gefahr der Wiederholung droht.365 Ist aus der Verletzung der Fürsorgepflicht ein Schaden entstanden, so kann zu dessen Ausgleich ein Haftungsanspruch bestehen.366 Die Rechtsprechung bejaht einen unmittelbaren Ersatzanspruch aus dem Dienstverhältnis 367 (dies auf der Grundlage „allgemeiner Rechtsgedanken“ in Anlehnung an das Arbeitsrecht), für dessen gerichtliche Durchsetzung der Verwaltungsgerichtsweg eröffnet ist. Der Beamte hat insoweit also die Wahlmöglichkeit, der dienstrechtliche Ersatzanspruch kann (anders als der Amtshaftungsanspruch) auch auf Naturalrestitution gerichtet sein. Auf ihn wurde die Regelverjährung des 361

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Vgl dazu BVerfGE 43, 154, 166; zur Anwendung des Verwaltungsverfahrensrechts in bezug auf Anhörung und Begründung Kunig ZBR 1986, 253, 257 ff; Wagner DÖV 1988, 277, 279. BVerfGE 43, 154, 165. Vgl BVerwG NJW 1996, 210 ff → JK BRRG § 48/1; sa BVerwG ZBR 1998, 242 ff; ein Widerrufsanspruch richtet sich nicht gegen den Vorgesetzten persönlich, dazu BVerwG JZ 1987, 422. Sa Fernau Der Rechtsschutz des Beamten gegen mißbilligende Äußerungen seiner Vorgesetzten und Dienstvorgesetzten, Diss Mainz 1985. BVerwGE 10, 274, 276. – Zu Auskünften über ein laufendes Disziplinarverfahren an die Medien OVG Lüneburg NJW 1991, 445 f. Dazu Schnellenbach DVBl 1990, 140 ff. BGHZ 43, 178, 183 ff; Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn 50; Koll VR 1993, 411 ff. Zur materiellen Beweislast BVerwG NVwZ 1998, 400 f. BVerwGE 13, 17 ff; BGHZ 43, 178 ff. – Zur Einbettung der Konstruktion in die Haftung aus (weiteren) verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen s Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, 347 f.

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§ 195 BGB aF angewandt (und nicht § 852 BGB aF).368 Nunmehr dürfte sich die Anwendung der Regelverjährung gem §§ 195, 199 BGB auch im vorliegenden Bereich anbieten,369 so dass derartige Ansprüche deutlich schneller verjähren. Im Versorgungsrecht sind die Ersatzansprüche bei Dienstunfällen gesondert geregelt (§§ 30 ff BeamtVG); obwohl auch solche auf Fürsorgepflichtverletzungen beruhen können, verdrängt die spezifische Regelung nach Maßgabe des § 46 BeamtVG 370 die allgemeinen Anspruchsgrundlagen. cc) Dienstbezüge und deren Rückforderung: Das Besoldungsrecht 371 war landes- 157 spezifisch zersplittert, ehe durch eine Grundgesetzänderung im Jahre 1971 ein neu aufgenommener Art 74 a GG zur Grundlage eines einheitlichen Besoldungsrechts wurde (s o Rn 51). Die Vereinheitlichung durch Bundesgesetzgebung sollte verhindern, dass die Länder bei dem Versuch, leistungsfähiges Beamtenpersonal zu gewinnen, durch besoldungsrechtliche Anreize miteinander zu Lasten der staatlichen Kassen konkurrieren. Dass solche Konkurrenz in einem föderalen System unbedingt unzuträglich sein muss, erscheint keineswegs ausgemacht. Kernsatz des Besoldungsrechts ist der Grundsatz der funktionsgerechten Besol- 158 dung (vgl § 18 S 1 BBesG), der zu den hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums zu zählen ist. Er verlangt nach funktionaler Zuordnung des Amtsträgers zu einzelnen Dienstposten und deren sachgerechter besoldungsrechtlicher Bewertung.372 Grundlage der Dienstbezüge ist das Grundgehalt, das in Besoldungsordnungen für den einfachen, den mittleren, den gehobenen und den höheren Dienst (Besoldungsordnung A), für hohe Beamte (B) und für Hochschullehrer (C, abgelöst seit dem 1. 1. 2005 durch W mit verschiedenen Verschlechterungen des Besoldungsstatus) festgelegt ist (vgl schon Rn 65). In den Ordnungen A und W steigt das Grundgehalt nach sog Dienstaltersstufen an, wobei unterschiedliche Endpunkte bestehen. Erfolgte bis 1997 der Anstieg alle zwei Jahre, so differenziert § 27 BBesG nunmehr und gibt auch dem Leistungsprinzip – 2002 nochmals erweitert – Raum (s Abs 3).373 Die Besoldungsordnung B ordnet der jeweiligen Einstufung ein dienstund lebensaltersunabhängiges Grundgehalt zu. Zum Grundgehalt tritt der 1997 zum Familienzuschlag umgestaltete Ortszuschlag, dessen Höhe vom Dienst- oder 368 369 370

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S RGZ 158, 235, 241; BGHZ 14, 122, 137. Str; überzeugend Grothe MünchKomm BGB Bd 1 a, 4. Aufl 2003, § 195 Rn 12 f. Dazu und zur Bindung der Gerichte, die über Schadensersatzansprüche aus Anlass eines Dienstunfalls zu entscheiden haben, an die diesbezügliche Verwaltungsentscheidung BGH DöD 1994, 65 ff; vgl a Galke NVwZ 1994, 972 f. Zur Entwicklung des Rechtsgebiets Becker RiA 1990, 168 ff m Nachw des Schrifttums zum Besoldungsrecht. Sa Thiele DöD 1993, 271 ff; Summer ZBR 2003, 28; Wolff ZRP 2003, 305 ff (Anm zu BVerfGE 99, 300) und DÖV 2003, 494 ff; Hebeler RiA 2003, 157 ff; Slowik/Polte ZTR 2004, 2 ff. Dazu Siepmann ZBR 1977, 362 ff; zu Klagen „gegen“ die Dienstpostenbewertung BVerwG ZBR 1974, 14 ff u „auf“ Dienstpostenbewertung BVerwG NVwZ 1991, 375 f u VGH Kassel ZBR 1994, 347 ff. Im Blick auf sog Bandbreitenbesoldung zur Differenzierung hinsichtlich Leistungsorientierung, Entwicklungsplanung, Steuerung, Lorse ZBR 2001, 73, 76 ff. S näher Pilz DVP 1998, 195 ff; Schnellenbach ZBR 1998, 223, 226 f; Bönders ZBR 1999, 11 ff.

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Wohnort mittlerweile unabhängig ist, sich nach Gehaltsstufe und Familienstand richtet.374 Nach dem überkommenen Alimentationsprinzip 375 ist die Gewährung der 159 Dienstbezüge nicht als Entgelt für geleistete Arbeit zu verstehen, sondern als Sicherung des amtsangemessenen Unterhalts 376 für den Beamten und seine Familie; es geht also nicht um die „Bezahlung“ des Faktors „Arbeit“. Das erscheint vielen als lebensfremd und antiquiert, erklärt aber zB zwanglos, dass Überstunden im Grundsatz nicht gesondert vergütet zu werden brauchen,377 dass der Beamte auf die Zahlung der Dienstbezüge nicht verzichten kann (vgl § 2 Abs 3 BBesG; freilich wird er auch kaum Anlässe sehen), dass nur einmal besoldet wird, wer mehrere Ämter innehat, dass schließlich die Dienstbezüge des Beamten gesetzlich festgelegt, nicht ausgehandelt werden (wobei in der Praxis die Festsetzung durch Gesetz in Orientierung an Verhandlungsergebnissen erfolgt, die die öffentlichen Arbeitgeber und die zuständigen Gewerkschaften zuvor erzielt haben). Es mag richtig sein, dass diese und andere Besonderheiten sich auch begründen ließen, wenn man ein „öffentlich-rechtliches Leistungsentgelt“ an Stelle der Alimentation annähme,378 doch hätte selbst die nur dogmatische Aufgabe des Alimentationsprinzips durchaus signalhafte Bedeutung. Die ihm zugrunde liegende Grundanschauung steht in engem Zusammenhang mit weiteren das Beamtenrecht prägenden Strukturelementen, die Teile des von Art 33 Abs 5 GG avisierten Modells sind. Der Gesetzgeber verfügt bei der Bemessung der Besoldungshöhe über Gestal160 tungsfreiheit, die über den Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung hinaus verfassungsrechtlich begrenzt ist.379 Zum einen verlangt bereits der Alimentationsgrundsatz selbst eine Besoldungsgerechtigkeit auch in dem Sinne, dass der Besoldungsgesetzgeber die allgemeinen Lebensverhältnisse, die Entwicklung des Preisniveaus, der Kosten für diejenigen Bedürfnisse, die nach den sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen bei „gewöhnlicher“ Lebensführung anfallen, in Rechnung stellen muss.380 Das muss nicht zu einer stetigen Besoldungsanhebung 374

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Zum früheren „Ortsklassenverzeichnis“ Pappermann ZBR 1969, 70 ff; zu den Besoldungsgruppen o Rn 65. – Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft wird nicht als „Familienstand“ angesehen, s BVerwGE 94, 253 ff; vgl dazu Hufen JuS 1994, 1070f; s in diesem Zusammenhang auch den Auslandsverwendungszuschlag, §§ 58 a, 55 Abs 7 BBesG, eingefügt durch das AuslandsverwendungsG v 26. 7. 1993 (BGBl I 1394). Zu seiner verfassungsrechtlichen Fundierung BVerfGE 8, 1, 16 ff; 61, 43, 56 f; 99, 300, 314 f; s ferner Merten ZBR 1996, 353 ff; Summer PersV 1998, 142 ff; Anna Leisner ZBR 1998, 259 ff. Dazu BVerfG NJW 1993, 1057, 1058; BVerwG DÖV 1997, 873 f; Thiele DVBl 1981, 253 ff; Summer/Rometsch ZBR 1981, 1 ff; zu den Schlussfolgerungen im Blick auf die Schlüssigkeit der Einbeziehung von Beamten in eine „Arbeitsmarktabgabe“ Jachmann ZBR 1993, 193 ff. Zur Zulässigkeit der Pflegeversicherungspflicht der Beamten BVerfG DVBl 2002, 114 ff. S aber §§ 48 ff BBesG. v Münch 8. Aufl dieses Buches, 55 f. S zum „Vergütungscharakter“ der Alimentation schon Wiese Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, 282. Mit grundsätzlicher Kritik an neueren Entwicklungen Leisner DÖV 2002, 763 ff. BVerfGE 61, 43, 63 → JK GG Art 33 V/5. Eingehend Günther Die Anpassung der Beamtenbesoldung an die allgemeinen wirtschaft-

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führen, wenngleich dies in der Nachkriegsentwicklung – von Stagnationsphasen abgesehen – der Fall war. Selbst eine Absenkung des Besoldungsniveaus ist, legt man den Maßstab der allgemeinen Einkommensentwicklung zugrunde, nicht von vornherein ausgeschlossen. Eine Untergrenze setzt – theoretisch – das Sozialstaatsprinzip, eine Leitlinie der Gleichheitssatz.381 Ergiebiger ist die Maßstäblichkeit des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie (Art 6 GG) für die Festlegung der Besoldungshöhe: Kinderreichtum darf nicht zu unangemessener Schlechterstellung des Beamten im Vergleich zum kinderlosen Beamten führen, kinderlose Beamte dürfen andererseits nicht diskriminiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in mehreren Entscheidungen detaillierte Maßstäbe für das verfassungsrechtlich geforderte Verfahren der Auffindung angemessener Besoldungsgrößen entwickelt.382 Werden Bezüge ohne Rechtsgrund geleistet, so kommen beamtenrechtliche Son- 161 dernormen zur Anwendung.383 Werden Bezüge zum Nachteil des Beamten nachträglich geändert oder erfolgt eine rückwirkende Einordnung in eine besondere Besoldungsgruppe, so müssen Überzahlungen nicht zurückerstattet werden, im Übrigen aber – unrichtige Gesetzesanwendung, falsche Ermessensausübung oder Rechenfehler – verweisen die Beamtengesetze auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über ungerechtfertigte Bereicherung.384 Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es zulässig, 162 wenn der Dienstherr ohne Rechtsgrund geleistete Dienstbezüge durch Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) einfordert,385 also ebenso wie bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Beamten (so Rn 147). Auch hierfür fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage; wie dort ist der Dienstherr nicht zu einer einseitigen Inanspruchnahme des Beamten berechtigt. Anlass zur Rückforderung von Leistungen besteht vielfach auch, wenn dem Be- 163 amten eine – oft kostenaufwändige – besondere Ausbildung ermöglicht worden ist, dies in der Erwartung, er werde jedenfalls für einen längeren Zeitraum im öffentlichen Dienst verbleiben. Verlässt ein solcher Beamter den Dienst, etwa gerade auch, weil er die erworbene berufliche Qualifizierung anderwärts gegen ein höheres Gehalt nutzen möchte, so stellt sich die Frage nach der Rückforderbarkeit der Ausbil-

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lichen und finanziellen Verhältnisse, 1987; sa R. Müller Der Bestandsschutz des Unterhaltsrechts der Beamten im Grundgesetz, 1997. Nach BVerfGE 107, 218 ist eine unterschiedliche Besoldung in Ost und West verfassungsgemäß, aber nicht beliebig verlängerbar. Dazu insoweit BVerfGE 71, 39, 50 ff; BVerfG NVwZ-RR 1996, 674 ff. Zum Verhältnis Arbeitszeitverkürzung und Alimentation Leisner/Egensperger ZBR 2004, 333 ff. BVerfGE 44, 249, 267 f; BVerfGE 81, 363, 375 ff → JK GG Art 33 V/12 und dazu Lecheler JZ 1990, 1128 f; BVerwG NVwZ 1998, 76 ff. § 87 BBG, § 53 BRRG, § 12 BBesG; aus der Rspr s BVerwGE 32, 228 ff sowie BVerwG DÖV 1990, 392 u DÖV 1994, 607 f, DVBl 1998, 647 f, NVwZ-RR 2001, 452 ff. Sa OVG Münster NVwZ 1983, 108 ff und 371 ff; VGH Kassel NWVBl 1994, 55 f. Vgl dazu BVerwGE 71, 85, 88 → JK Allg VerwR – öffentl-rechtl Erstattungsanspruch/2; dass DVBl 1990, 870 u 1994, 1075 f. BVerwGE 28, 1 ff; 37, 314, 317 ff; 40, 237, 239; 71, 354, 357 f; vgl a Renck JuS 1965, 129 ff; Bethge/Detterbeck JuS 1991, 226 ff.

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dungskosten. In Betracht kommt die Rückforderung nur, wenn ein Rechtsgrund zuvor verwaltungsvertraglich geschaffen worden ist oder ein Leistungsbescheid über die Gewähr von Förderungsmitteln (etwa: Freistellung vom Dienst unter Fortzahlung der Bezüge zu Zwecken einer Ausbildung) mit einer entsprechenden Nebenbestimmung verbunden wurde. Die Rückforderung darf nur vorgesehen werden, so weit es sich um Zuwendungen außerhalb einer gesetzlichen Verpflichtung des Dienstherrn handelt, denen eine adäquate Gegenleistung des Beamten nicht gegenübersteht.386 Eine Erstreckung auf die allgemeinen Ausbildungskosten (etwa bei dem Abbruch eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungsdienstes) ist nicht möglich, entsprechende vertragliche Abreden wären nichtig, entsprechende Verwaltungsakte rechtswidrig.387 dd) Personalakten: Das Personalaktenrecht war lange Zeit nur rudimentär gere164 gelt.388 § 90 BBG bzw § 56 BRRG sahen im Wesentlichen nur das Recht der Beamten auf Einsicht in „ihre“ Personalakte vor und regelten den Zugang. Das Nähere über die Führung von Personalakten ergab sich vor allem aus Verwaltungsvorschriften. Angesichts dieser Rechtslage hatten Rechtsprechung und Literatur eine Reihe von Grundsätzen und Abgrenzungskriterien entwickelt.389 Deutlich war, dass Personalakten „vollständig“ sein sollen; es geht nicht um „eine Akte“ im gegenständlichen Sinne (ein „Aktenstück“), sondern um das Ensemble aller registrierten und aufbewahrten Vorgänge, welche den Beamten „betreffen“ (materieller Personalaktenbegriff),390 wobei ein unmittelbarer Bezug zum Dienstverhältnis des einzelnen Beamten vorausgesetzt ist, wie insbesondere bei dienstlichen Beurteilungen.391 Das Einsichtsrecht erstreckt sich auf die gesamte Personalakte und ist als Verfahrensrecht auch im Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht zu sehen. Es bedarf der Harmonisierung mit den Bedürfnissen der Funktionsfähigkeit des Dienstes, etwa im Blick auf die äußeren Modalitäten der Einsichtnahme, also Ort, Zeit und weitere Umstände, aber auch mit den Rechten und Interessen anderer. Schwierigkeiten bereiten etwa Konstellationen, in denen einzelne Aktenvorgänge gleichzeitig Bestandteil der Personalakten mehrerer betroffener Beamte sind, wie es sich im Zuge der Vorbereitung von Bewerbungs- oder Beförderungsentscheidungen mit abwägenden Gegenüberstellungen einzelner Personen ergeben kann.392 Dann gerät der Grundsatz der Geheimhaltung persönlicher Daten in ein Spannungsverhältnis mit dem 386 387

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Vgl BVerwGE 52, 183, 187 ff; Krebs VerwArch 70 (1979) 81 ff. Zur Zulässigkeit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe vgl BVerwG DÖV 1987, 72f; sa o Rn 44 mit Fn 106. Historisch und perspektivisch v Mutius/Behrendt ZBR 1997, 65 ff. Dazu Düx Einsichts- und Korrekturrecht des Beamten in bezug auf seine Personalakten, Diss Münster 1976; Rapsch ZBR 1989, 235 ff. BVerwGE 36, 134, 137 f; 59, 355 f. S BVerwG DÖV 1977, 132 f; zur „Statusamtsbezogenheit“ dienstlicher Beurteilungen OVG Koblenz DÖV 1997, 881 f; allgem Schnellenbach Die dienstliche Beurteilung der Beamten und Richter, 2. Aufl 1995; Schaefer ZBR 1983, 173 ff; Rothländer PersR 1994, 399 ff; v Golitschek ThürVBl 1994, 249 ff; Spors SächsVBl 1994, 257 ff; Berger-Delhey/Lütke ZTR 1995, 500 ff; zur Frage der Aufnahme von die Beurteilung vorbereitenden Stellungnahmen BVerwGE 62, 135, 137 f und krit dazu Wiese DVBl 1982, 193 ff. Vgl BVerwGE 49, 89, 92; sa Schnupp DöD 1994, 288 f zu VGH Kassel (o Fn 213).

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Akteneinsichtsrecht, was die Rechtsprechung durch einzelfallbezogene Abwägungen zu lösen trachtete.393 Wenn das Personalaktenrecht Persönlichkeitsrechten insbes des betroffenen Be- 165 amten einerseits, dem Effizienzanliegen der Verwaltung andererseits Rechnung tragen muss, so verlangt dies nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Angesichts der bisher geringen Regelungsdichte auf formell-gesetzlicher Ebene und in der Einschätzung, die kasuistische Prägung dieses Rechtsbereichs trage den vorgenannten Grundsätzen nicht hinreichend Rechnung, schließlich auch inspiriert durch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz informationeller Selbstbestimmung 394 erfuhr das Personalaktenrecht mit Wirkung zum 1. 1. 1993 eine umfassende Neuregelung (§§ 90 bis 90 g BBG, §§ 56 bis 56 f BRRG), die bemüht war, in der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze kodifikatorisch aufzugreifen, dabei aber zu einer unübersichtlichen, besonders wortreichen Regelung geriet.395 Die Pflicht zur Führung von Personalakten ist gesetzlich klargestellt (§ 90 Abs 1 166 S 1 BBG, § 56 Abs 1 S 1 BRRG). Über jeden Beamten ist nur eine Personalakte zu führen, doch ist die Führung von Teil- und Nebenakten und die Speicherung von Informationen in Dateien nicht ausgeschlossen. Im Ermessen der aktenführenden Stelle steht, in welcher Weise der Akteninhalt aufgeteilt wird, wobei aber das Vollständigkeitsprinzip nicht berührt werden darf. Personalakten sind vertraulich zu behandeln und vor unbefugter Einsicht zu schützen. Sie unterliegen dem näher ausgestalteten Einsichtsrecht des Betroffenen (s § 90 c BBG, § 56 c BRRG). Inhaltsbestimmend für den (materiellen; so Rn 164) Personalaktenbegriff ist der „unmittelbare innere Zusammenhang“ mit dem Dienstverhältnis. Nicht Bestandteil der Personalakte sind etwa Unterlagen, die besonderen, von der Person des Beamten und seinem Dienstverhältnis sachlich zu trennenden Zwecken zu dienen bestimmt sind, wofür die Gesetze beispielhaft (und also nicht abschließend) Prüfungs-, Sicherheits- und Kindergeldakten nennen. Solche Unterlagen werden als „Sachakten“ bezeichnet. Der Beamte hat auch ein Anhörungsrecht (s §90 b BBG, §50 b BRRG),396 wenn die Aufnahme von Vorgängen beabsichtigt ist, die ihm ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, wie etwa Beschwerden von Bürgern.397 Das gilt auch für bloße Werturteile. Auch die Äußerung des Beamten ist zu dessen Personalakte zu nehmen. Die Vorlage von Personalakten an andere Stellen ist nach Maßgabe von § 90 d Abs 1 BBG, § 56 d Abs 1 BRRG ohne die Einwilligung des Beamten zulässig. Auskünfte an Dritte dürfen grundsätzlich nur mit Einwilligung des Beamten erteilt werden (§ 90 d Abs 2 BBG, § 56 d Abs 2 BRRG; dort aber Ausnahmen bei „zwingenden“ Erfordernissen aus Gemeinwohlgründen oder zum Schutz von Drittinteressen). Die Vorlage an Gerichte, Rechnungshöfe, Untersuchungsausschüsse, Petitionsausschüsse ist jeweils spezialgesetzlich geregelt, also außerhalb der Beamtengesetzgebung. 393

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Vgl etwa BVerwGE 35, 227, 229 f; zum Recht auf Akteneinsicht Schwab DöD 1997, 145 ff; zum Schutz personenbezogener Daten Hildner BWV 2004, 25. So Fn 349. Dazu Eckl BayVBl 1993, 614 ff; Semerak ThürVBl 1993, 279 ff; Gola NVwZ 1993, 552 ff. Vgl aus der früheren Rspr VG Koblenz ZBR 1977, 77 f. Vgl in diesem Zusammenhang VGH Mannheim BWVPr 1986, 1041.

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Die Entfernung von Unterlagen, so weit sie nicht von disziplinarrechtlichen Tilgungsvorschriften erfasst ist,398 ist ebenfalls im Einzelnen geregelt (§ 90 e BBG, §56 e BRRG).399 Hier ist der Grundsatz der Personalaktenwahrheit 400 zu beachten, der es verlangt, Unterlagen zu entfernen, die falsche Tatsachen oder unbegründete Vorhaltungen betreffen. Im Hinblick auf die Interessen des Beamten bedarf es für die Entfernung aber seiner Zustimmung. Der Entfernungspflicht können aber auch dem Beamten aus anderen Gründen ungünstige oder ihm potentiell nachteilige Unterlagen unterfallen, dies auf Antrag des Beamten nach Ablauf von drei Jahren; das gilt allerdings nicht für dienstliche Beurteilungen 401. Gesondert ist die Entfernung von Mitteilungen in Strafsachen und von Auskünften aus dem Bundeszentralregister geregelt. e) Die Bedeutung einzelner Grundrechte für die Rechtsstellung des Beamten

168 Die Grundrechte gelten – wie schon dargelegt (o Rn 46) – auch „im“ Beamtenverhältnis. Als Abwehrrechte stärken sie den Status des Beamten, bewahren ihn vor Eingriffen. In wertsetzender und schützender Funktion reichern sie seine Rechte an, verlangen nach Berücksichtigung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und können ergiebig für die Ermessensausübung im Einzelfall sein, wenn der Dienstherr dem Beamten gegenüber handelt oder ein Handeln erwägt. So lässt sich auch die Pflicht des Dienstherrn zur Grundrechtsbeachtung dem Kreis der Beamtenrechte zuordnen. Angesichts der Durchnormierung des Beamtenverhältnisses in Bezug auf den 169 innerdienstlichen Betrieb lässt sich allgemein sagen, dass das Beamtenrecht jedenfalls insoweit den Vorgaben des Vorbehalts des Gesetzes entspricht. Auch das Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes ist jedoch, wie gesehen, teilweise Gegenstand gesetzlicher Regelungen. Auch diese unterfallen nicht generell dem Verdikt der Grundrechtswidrigkeit, auch wenn ihre stärkere Bestimmtheit aus Grundrechtsgründen wünschenswert wäre. Dass es an solcher Bestimmtheit bei einigen generalklauselartig formulierten Beamtenpflichten fehlt, trägt dazu bei, dass Grundrechtsprobleme im Beamtenrecht hauptsächlich die außerdienstliche Sphäre betreffen, auch wenn ihnen nach dem zuvor Gesagten die Anwendbarkeit in der innerdienstlichen Sphäre nicht fehlt.402 Betrachtet man einzelne Grundrechte auf ihre Relevanz als Schutznormen des Be170 amten gegenüber dem Dienstherrn, so stehen die sog Kommunikationsgrundrechte, also die Grundrechte des Art 5 GG und die Versammlungsfreiheit (Art 8 GG), die 398

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Vgl dazu VGH Mannheim VBlBW 1994, 283 ff, im Blick auf § 119 Abs 5 BDO aF; s nunmehr § 16 V BDG. Eingehend dazu Mehde RiA 1998, 65 ff. Vgl demgegenüber früher BVerwGE 50, 301, 308: wegen des Vollständigkeitsinteresses nur Anspruch auf Richtigstellung, nicht Entfernung. Eingehend Mauch, Die dienstliche Beurteilung, 2004; zum Rechtsschutz gegen Beurteilungen Wurm ZfPR 2002, 340; zum Rechtsschutz gegen überholte Beurteilungen OVG NW NWVBl 2004, 353. Beispielhaft dafür (betr das Fernmeldegeheimnis), in drei Instanzen unterschiedlich, VG Bremen NJW 1978, 66f; OVG Bremen NJW 1980, 606; BVerwG NJW 1982, 849; zu diesem Fall auch – kontrovers – v Münch NJW 1978, 67 f und Meyn NJW 1978, 657 f.

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Grundrechte aus Art 9 GG, auch die Glaubensgrundrechte des Art 4 GG und der Schutz von Ehe und Familie (Art 6 GG) im Vordergrund; hinzu tritt das namentlich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Konturen versehene allgemeine Persönlichkeitsrecht.403 Die Berufsfreiheit aus Art 12 GG schützt den Beamten nicht als Amtswalter, hat aber für Regelungen über die Berufswahl auch in Bezug auf die Betätigung im öffentlichen Dienst,404 auch zB für Fragen des Nebentätigkeitsrechts Bedeutung. Art 2 Abs 2 GG (Leben und Gesundheit) 405 wie auch Art 14 Abs 1 GG (Eigentum) sind in ihrer Wirkung vor allem als Schutzgebote zur grundrechtlichen Anreicherung der Fürsorgepflicht geeignet. Die Meinungsfreiheit des Beamten – innerhalb wie außerhalb des Dienstes, 171 wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß – ist durch die Beamtengesetze wirksam beschränkt, weil diese als „allgemeine Gesetze“ im Sinne von Art 5 Abs 2 GG qualifiziert werden können.406 Demzufolge sind sie – nach der sog Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts 407 – „im Licht“ des Art 5 Abs 1 GG, also in Beachtung seines Ausstrahlungsgehalts auszulegen, so weit sie den Beamten – zB – in der freien Meinungsäußerung beschränken. Das begrenzt das Ausmaß, in dem ihm Amtsverschwiegenheit abverlangt werden kann, und fordert auch eine zurückhaltende Auslegung der Mäßigungspflicht.408 Innerhalb des Dienstes, aber auch außerhalb und unter demonstrativer Nutzung des Status als Beamten (Inanspruchnahme eines, im Übrigen differenziert nach Rang und Beschäftigungsgebiet zu beurteilenden „Amtsbonus“) erfolgende politische Betätigung stößt auf Grenzen: 409 Das Vertrauen in die parteipolitische Neutralität des öffentlichen Dienstes insgesamt, aber auch die „innere“ Funktionsfähigkeit wären beeinträchtigt, wenn politische Debatten sachbezogen-unbefangenen Umgang der Bediensteten miteinander beeinträchtigen könnten.410 Hier zeigt sich, wie die Funktionsinteressen unmittelbar die Auslegung der beamtenrechtlichen Pflichtnormen im Einzelfall beeinflussen können, wenn sie zu Grundrechtsbeschränkungen herangezogen werden. Prinzipiell Gleiches, wenn auch grundrechtsdogmatisch in anderen Kategorien, vollzieht sich bei den Glaubensfreiheiten (Art 4 Abs 1, Abs 2 GG).411 Zulässig ist die Glaubenswer403 404 405 406

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Weiterführend Leuze ZBR 1998, 187 ff. Vgl zB BVerfGE 73, 301, 315 ff. Dazu F. Hoffmann ZBR 1998, 196 ff. Dazu v Münch ZBR 1959, 305 ff; Lisken NJW 1980, 1503f; Patunas Die politische Meinungsfreiheit der Lehrer, Diss Hamburg, 1988. – Zum Tragen politischer Plaketten im Unterricht BVerwGE 84, 292; dazu Lecheler JuS 1992, 473 ff; zum Verbreiten von Flugblättern vor der Schule VG Berlin NJW 1982, 1113 ff. S BVerfGE 7, 198, 209 ff. Dazu Schmitt-Vockenhausen JuS 1985, 524 ff. Dazu BVerwG NVwZ 1990, 762 ff (Mäßigungspflicht eines Flottillenadmirals); sa BVerwG NVwZ 1993, 1108 ff; zur Meinungsfreiheit von Soldaten sa Schmidt-De Caluwe NZWehrR 1992, 235 ff; ferner BVerfG DVBl 1994, 103 f; BayVerfGH NJW 1992, 226 f; zur Rechtsprechung weitere Hinw bei Lecheler JZ 1987, 448 ff. Das hindert (auch) den Vorgesetzten nicht, bei einer politischen Diskussion Partei zu ergreifen, vgl BVerwGE 28, 249. Eingehend Podlech Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, 1969; vgl a VG Sigmaringen NVwZ 1991, 199 f; Cremer/Kelm NJW 1997, 832.

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6. Kap IV 3 e

Philip Kunig

bung eines Beamten außerhalb der Dienstzeit (und ohne Uniform).412 Die Wissenschaftsfreiheit des Art 5 Abs 3 S 1 GG entfaltet sich vor allem für den beamteten Hochschullehrer; 413 als Lehrfreiheit entbindet sie kraft ausdrücklicher Festlegung in Art 5 Abs 3 S 2 GG nicht von der Treue zur Verfassung.414 Wirbt der Beamte im Dienst für den Glauben oder indoktriniert er – als Lehrer – seine Schüler,415 so kann dies unterbunden werden. Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob das Tragen eines Kopftuches aufgrund religiöser Überzeugungen einer beamteten Lehrerin wegen des Neutralitätsgebots untersagt bzw ihr angesichts diesbezüglicher Weigerung die Eignung iSv Art 33 Abs 2 GG abgesprochen werden kann.416 Das BVerfG 417 hat für ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage gefordert und insofern Reformbedarf in den Ländern ausgelöst.418 Die Versammlungsfreiheit des Art 8 Abs 1 GG wäre tangiert und regelmäßig verletzt, wenn dem Beamten die Veranstaltung von und die Teilnahme an Versammlungen verboten bzw solches Tun sanktioniert werden würde, sofern die Versammlung außerhalb der Dienstzeit erfolgt. Das gilt auch für Demonstrationen in Kritik des Dienstherrn.419 Das Mäßigungsgebot ist dabei einschränkend auszulegen, weil Art 8 Abs 1 GG den hohen Rang der Meinungsfreiheit teilt. Andererseits verschafft Art 8 Abs 1 dem Beamten nicht den Anspruch auf Dienstbefreiung zur Teilnahme an Versammlungen.420 Die Vereinigungs-, insbesondere die Koalitionsfreiheit (Art 9 Abs 1, 3 GG) steht 172 auch Beamten zu.421 In negativer Grundrechtsfunktion schützt sie ihn vor dem Ansinnen des Dienstherrn zum Beitritt zu Organisationen. Gewerkschaften und andere Interessenvereinigungen können sich auch innerhalb der Dienststelle und während der Dienstzeit betätigen, dies mit der Maßgabe, dass dienstliche Aufgaben nicht beeinträchtigt werden – was zu Güterabwägungen hinsichtlich Art und Ausmaß koalitionsgemäßer Betätigung nötigen kann. Stehen etwa Personalratswahlen an, erhält das Interesse der Koalitionen besonderes Gewicht.422 412 413 414 415 416

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Vgl BVerwGE 30, 29, 31 ff. Dazu BVerwGE 52, 313, 331; Lecheler PersV 1990, 299 ff. Vgl VG Berlin NVwZ 1989, 796 ff → JK GG Art 5 III/11. Alberts NVwZ 1985, 92 ff mwN; sa Stock JuS 1989, 654 ff. Zur verfassungsgerichtlichen „Kopftuch“-Entscheidung schon o Fn 113; im vorangegangenen Instanzenzug bejahend BVerwG NJW 2002, 3344 ff, u zuvor VGH Mannheim NJW 2001, 2899 ff u VG Stuttgart NVwZ 2000, 959 ff; differenzierend VG Lüneburg NJW 2001, 767 ff, dazu zust Böckenförde NJW 2001, 723 ff; vgl auch EGMR NJW 2001, 287 ff → JK EMRK Art 9/1 u dazu Goerlich NJW 2001, 2862ff. E 108, 282 → JK 4/04 GG Art 4 I, II/29; dazu Goos ZBR 2003, 221 ff; Muckel in: FS für Link 2003, 331 ff; Huster in: FS für Tsatsos 2003, 215 ff; Czermak NVwZ 2004, 943 ff; Adenau NWVBl 2004, 284 ff; Bader NJW 2004, 3092 ff. Zur Bedeutung der „KopftuchEntscheidung“ für das Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst Adam ZTR 2004, 450 ff. Zu den derzeit diskutierten Modellen Mahlmann ZRP 2004, 123 ff und (speziell zu Berlin) NJ 2004, 394 ff; sa Battis/Bultmann JZ 2004, 581 ff; Hufen NVwZ 2004, 575 ff. Hierzu eingehend Bethge ZBR 1988, 205 ff. BVerwGE 42, 79, 85 f; s ferner Kunig in: v Münch/Kunig, GG I, Art 8 Rn 28. Sa § 91 BBG, § 57 BRRG; vgl a BVerwGE 59, 48, 54 f; Adomeit ZRP 1987, 75, 78 spricht sich für eine Nichtgeltung des Art 9 Abs 3 GG im öffentlichen Dienst generell aus. Dazu Söllner JZ 1966, 404 ff.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 4

Dass dem Beamten die Koalitionsfreiheit zusteht, gibt ihm nicht das Recht zum 173 Streik; 423 zwar ist die Bereitschaft zum Arbeitskampf eine koalitionsgemäße Betätigung und dessen Durchführung ein grundrechtlich geschütztes Recht auch des einzelnen im Rahmen des koalitionsgetragenen Arbeitskampfes, doch setzt die Koalitionsfreiheit nicht voraus, dass jeder, der einer Koalition angehört, seinerseits rechtlich zur Beteiligung am Arbeitskampf im Stande sein muss.424 Das Streikverbot gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und ist der Treuepflicht (wie aber auch der Dienstpflicht, die auch sog Bummelstreiks entgegensteht) 425 immanent, also auch ohne dass ein Streikverbot gesetzlich oder für den Einzelfall ausgesprochen werden müsste.426 Die Fürsorgepflicht hält aber den Dienstherrn an, auf diejenigen Anliegen besonders zu achten, die private Arbeitnehmer mit Streikmaßnahmen geltend machen können, also insbesondere angemessene Arbeitsbedingungen und gerechte Besoldung.427 Auch das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) mag für die Unzulässigkeit des Beamtenstreiks sprechen, wenn und so weit der öffentliche Dienst eine Grundversorgung sicherstellt, deren Unterbleiben insbesondere sozial schwache Bevölkerungsgruppen träfe 428 bzw solche sozialen Leistungen und Dargebote, auf die alle Bürger gleichermaßen angewiesen sind. Der Grundrechtsschutz von Ehe und Familie (Art 6 GG) kommt schließlich als 174 den Gesetzgeber anleitende Wertentscheidung insbesondere bei der Besoldungsbemessung zum Tragen (so Rn 158), kann aber auch im Rahmen der Fürsorgepflicht Bedeutung für Einzelfallentscheidungen erlangen.429

4. Rechtsbehelfe im Beamtenverhältnis Der von dem Beamten gegenüber dem Dienstherrn zu erlangende Rechtsschutz ist 175 von besonderen, im Hinblick auf den Status veranlassten Maßgaben geprägt. Es bestehen spezielle außergerichtliche und allgemeine gerichtliche Rechtsbehelfe.

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Dazu BVerfGE 8, 1, 17; 44, 249, 264; BVerwGE 53, 330f; 63, 293, 300; VGH Kassel NVwZ 1990, 386. Aus dem Schrifttum s Isensee Beamtenstreik, 1971; Adomeit ZRP 1987, 75, 78; für die Zulässigkeit des Beamtenstreiks zB Blanke ArbuR 1989, 1 ff mwN; für Beamte der Postunternehmen Schulz ZTR 1995, 438 ff. BVerfGE 18, 18, 27 ff. Dazu BVerwG NJW 1978, 178f; s a Isensee JZ 1971, 73 ff. Nur klarstellend daher Art 63 Abs 2 BayBG und § 64 Abs 2 LBG Rh-Pf. Vgl a die gleichfalls auf einen Ausgleich für das fehlende Streikrecht zielenden Beteiligungsrechte der Gewerkschaften im Vorfeld der Gesetzgebung, §§ 94 BBG, 58 BRRG; vgl hierzu Benda/Umbach Der beamtenrechtliche Beteiligungsanspruch, 1995; Battis/ Schlenga ZTR 1995, 195 ff; Jekewitz Staat 34 (1995) 79 ff; zu den Rechtsfolgen unterbliebener Beteiligung BVerwGE 59, 48, 52 ff. Dazu v Münch 8. Aufl dieses Buches, 69. Vgl dazu im Blick auf Ungleichbehandlung mit Unverheirateten OVG Koblenz NVwZ 1994, 1230 f; s auch BVerwG DÖV 1997, 920.

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6. Kap IV 4 a

Philip Kunig

a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe 176 Der Beamte kann sich auf dem Dienstweg oder bei dem Personalrat über ihm gegenüber getroffene Entscheidungen beschweren, Eingaben an den zuständigen Personalausschuss richten und seine Interessen mit Petitionen verfolgen. Die Beschwerde auf dem Dienstweg ist der Sache nach Petition (vgl Art 17 GG), dient nicht nur individueller Interessenverfolgung, sondern ist zugleich eine im öffentlichen Interesse liegende Verwaltungskontrolle. Die Beschwerde wird beamtengesetzlich in § 171 Abs 1, 2 BBG verfahrensmäßig konkretisiert: Der Dienstweg steht offen bis zur obersten Dienstbehörde (s auch § 60 BRRG). Wenn sich die Beschwerde ihrem Inhalt nach gegen den unmittelbaren Vorgesetzten selbst richtet, kann sie sogleich bei dem nächsthöheren Vorgesetzten eingereicht werden. Spricht das Gesetz von „Anträgen und Beschwerden“, ist damit deutlich gemacht, dass Inhalt des Petitums nicht notwendig eine Beschwer gerade des Petenten sein muss, dennoch ist auch ein solches Vorbringen auf den Dienstweg verwiesen. Die Nichteinhaltung des Dienstwegs ist ein Dienstvergehen, enthebt die Stelle, von der eine Bescheidung erstrebt ist, aber nicht von der Verpflichtung hierzu. Die Behörde ist zur Entgegennahme und Prüfung verpflichtet; sie muss die Beschwerde mit Gründen bescheiden.430 Das Petitionsgrundrecht aus Art 17 GG als das Recht zur Eingabe an „die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung“ steht dem Beamten zu 431 (wie sich auch im Umkehrschluss an Art 17a Abs 1 GG erweist). Ist inhaltlich der Amtsbereich betroffen, so muss in mit Art 17 GG vereinbarer verfahrensmäßiger Beschränkung grundsätzlich zunächst der Dienstweg beschritten werden, damit der Behörde jedenfalls die Möglichkeit zur Abhilfe eröffnet wird. Ausnahmen wird man zulassen können, wenn diese Möglichkeit bereits bestanden hat, die Angelegenheit also schon Gegenstand eines innerdienstlichen Prüfungsverfahrens gewesen ist. 177 Die beamtenrechtliche Beschwerde ist – ebenso wenig wie eine Petition im Allgemeinen oder auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde – nicht geeignet, behördliche Maßnahmen in ihrer rechtlichen Wirkung zu beeinträchtigen, also anders als der Rechtsbehelf des Widerspruchs (vgl §§ 80 Abs 1, 80 a VwGO). Gerade deshalb ist sorgfältig zu prüfen, ob das vorgetragene Begehren des Beamten – ungeachtet seines Wortlauts – sich im Einzelfall als Widerspruch darstellt. Davon wird im Zweifel auszugehen sein, wenn gegen die angegriffene Maßnahme eine Klage vor dem Verwaltungsgericht zulässig wäre. Die Beschwerde bei dem Bundespersonalausschuss 432 ist ausdrücklich (vgl § 171 Abs 3 BBG) von dem Erfordernis, zuvor den Dienstweg zu beschreiten, freigestellt. Im Ergebnis gilt gleiches auch für die Beschwerde bei dem Personalrat (so Rn 14), denn diesem ist gesetzlich (auch) die Aufgabe zugewiesen, zwischen dem Beamten und seiner Dienststelle zu vermitteln (vgl § 68 Abs 1 Nr 3 BPersVG).

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BayVerfGH DÖV 1957, 719; sa – außerhalb des Beamtenrechts – OVG Bremen JZ 1990, 965 ff bzw BVerwG NJW 1991, 936 f. Vgl dazu Riedmaier RiA 1978, 210 ff. S dazu §§ 95 bis 104 BBG; sa §§ 61, 62 BRRG zu den Landespersonalämtern.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap IV 4 b

b) Gerichtliche Rechtsbehelfe Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn, die im Beam- 178 tenverhältnis gründen, sind grundsätzlich vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit auszutragen. Sofern der Beamte Schadensersatz für eine ihm gegenüber begangene Amtspflichtsverletzung begehrt, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben, Art 34 S 3 GG; 433 Schadensersatz wegen Verletzung der Fürsorgepflicht ist vor den Verwaltungsgerichten einzuklagen (so Rn 156).434 Die Disziplinarklage ist im BDG näher geregelt (so Rn 140).435 „Alle Klagen der Beamten, Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und der Hin- 179 terbliebenen aus dem Beamtenverhältnis“ weist § 126 Abs 1 BRRG (der auch für die Bundesbeamten gilt, § 172 BBG) der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu. Im Einklang hiermit errichtet § 40 Abs 2 S 2 VwGO einen Vorbehalt, der die anderenfalls von § 40 Abs 2 S 1 VwGO bewirkte Zuweisung von Streitigkeiten über einzelne Ansprüche zur ordentlichen Gerichtsbarkeit (ua) für das Beamtenrecht aufhebt. § 126 Abs 1 BRRG sagt nichts aus über die Klagbarkeit beamtenrechtlicher Ansprüche, sondern setzt diese voraus, entscheidet also nur über den Rechtsweg für aus anderen Gründen als einklagbar zu qualifizierende Ansprüche.436 Die Bestimmung sieht vor, dass auch Klagen des Dienstherrn aus dem Beamtenverhältnis vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit auszutragen sind (§ 126 Abs 2 BRRG) und dass es für alle einschlägigen Klagen des Beamten der vorherigen Durchführung eines Vorverfahrens bedarf,437 also nicht nur bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen und bei Anfechtungsklagen auch dann, wenn der Verwaltungsakt von der obersten Dienstbehörde erlassen worden ist (§ 126 Abs 3 Nrn 1, 2 BRRG; vgl § 68 Abs 1 Nr 1 VwGO; zum Nichteintritt der aufschiebenden Wirkung bei Rechtsbehelfen gegen Abordnung u Versetzung o Rn 107). Damit soll der Behörde unabhängig von der statthaften Klageart die Möglichkeit eröffnet werden, der Beschwer des Beamten abzuhelfen; die potentiell loyalitätsgefährdende Konstellation des gerichtlichen Streits zwischen Beamten und Dienstherrn wird auf ein Mindestmaß beschränkt. § 127 BRRG erweitert die Statthaftigkeit der Revision für Klagen aus dem Beamtenverhältnis, lässt insbesondere auch zu, die Revision auf das Vorbringen zu stützen, das angefochtene Urteil verletze Landesrecht (vgl demgegenüber § 137 VwGO). Besonders geregelt ist auch die örtliche Zuständigkeit (vgl § 52 Nr 4 VwGO). Die Rechtswegzuweisung wird allgemein „weit“ ausgelegt,438 etwa auch auf Pro- 180 zessthemata bezogen, in denen es um ein Rechtsverhältnis im Vorstadium der Be433

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435 436 437 438

Vgl BGHZ 129, 226 ff → JK ÖR-BGB § 839/4 für den Schadensersatzanspruch bei Verletzung der Mitteilungspflicht im Stellenbesetzungsverfahren (so Rn 92); OLG Hamm MDR 1986, 944 f für den Schadensersatzanspruch eines beamteten Arztes wegen des aufgrund einer Versetzung eingetretenen Verlustes der Nebentätigkeit. Das gilt auch für Soldaten (§ 59 SoldG) und Wehrpflichtige (§ 32 WPfG), nach BGH DÖV 1990, 1027, trotz des Fehlens einer vergleichbaren Bestimmung (vgl aber § 78 Abs 2 ZDG) auch für Zivildienstleistende. S namentlich §§ 45 BDG. Vgl BVerwG ZBR 1980, 385. Dazu Wind ZBR 1984, 167 ff. Vgl BVerwGE 52, 247, 249; 67, 222 ff; BVerwG DVBl 1996, 1135f; OVG Weimar ThürVBl 1996, 110; BGH JZ 1988, 521 f.

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6. Kap IV 4 b

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gründung eines Beamtenverhältnisses geht. So kann auch der Nichtbeamte Beamter iSd § 126 Abs 1 BRRG sein. Entscheidend ist, ob das Beamtenrecht den Maßstab für die Beurteilung des klägerischen Begehrens ergibt. Dieses teleologische Verständnis der Norm ist folgerichtig, bedenkt man den Sinn jeder Rechtswegzuweisung als an Sachnähe orientierte Auswahlentscheidung zwischen mehreren Gerichtszweigen.439 Gerichtlicher Rechtsschutz ist im Ergebnis nur gegenüber Maßnahmen bzw Ak181 ten (nicht notwendigerweise: Verwaltungsakten iS von § 35 VwVfG) zu erlangen. Die den Beamten in seiner individuellen Rechtssphäre betreffen. Nur solche Akte sind „justitiabel“. Ob ein solcher Akt vorliegt, ist in der Sache das Hauptproblem im Bereich der Beamtenklagen.440 Seine Einordnung in die systematische Prüfung der Zulässigkeit einer Klage wird unterschiedlich vorgenommen.441 Sie wird teilweise der Zulässigkeitsprüfung eigenständig vorangestellt oder auch im Rahmen der schon angesprochenen Rechtswegprüfung erörtert, also im Gewande der Fragestellung, ob eine Klage „aus“ dem Beamtenverhältnis vorliegt. Für beides könnte sprechen, dass ein Rechtsweg von vornherein nur eröffnet sein kann, wenn überhaupt „Rechte“ in Rede stehen; § 126 Abs 1 BRRG setzt das in der Tat voraus. Dennoch ist eine solche Aufladung der Prüfung des „richtigen“ Rechtsweges ebenso wenig überzeugend wie die Vorabprüfung unter dem Gesichtspunkt der Justitiabilität. Das Beamtenrecht ist zwar Sonderrecht, in Bezug auf die individuelle Rechtsverfolgung des Beamten sind seine Besonderheiten jedoch nicht durch allgemeine Grundsätze kategorial zu erfassen. Dies würde zurückführen können zu der überwundenen Vorstellung, dass der Begriff des „besonderen“ Gewaltverhältnisses unmittelbar einen verminderten rechtlichen Status des Beamten zu begründen vermöchte und mehr als ein Schlagwort zur Erfassung einzelner Begrenzungen sei. Solche Begrenzungen adäquat und differenziert zu erfassen, sind die weiteren Prozessvoraussetzungen geeignet, die wesentlich von der materiellen Rechtslage geprägt sind, letztlich auch noch die Begründetheitsprüfung. Materiell eingeräumte subjektive Rechte wirken vor auf die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsschutzes, entscheiden vor allem über den Bestand der Klagebefugnis (so es im Anwendungsbereich von § 42 Abs 2 VwGO auf sie ankommt) und das Rechtsschutzbedürfnis im Allgemeinen wie im Besonderen (vgl §§ 43 Abs 1, 113 Abs 1 S 4, Abs 5 VwGO). Angesichts dessen ist der Rechtsschutz des Beamten auch kategorial nicht anders zu behandeln als der Rechtsschutz des Bürgers. Der Bestimmung des Rechtsweges schließt sich deshalb zunächst die Bestimmung der für das Begehren statthaften Klageart an. Hierbei ist nun vielfach problematisch, ob ein Handeln des Dienstherrn gegenü182 ber dem Beamten die Qualität des Verwaltungsakts aufweist. Im Hinblick auf die für den Begriff des Verwaltungsakts wesentlichen Eigenschaften des Regelungsmoments bzw der Außenwirkung wurde Streit geführt über die Rechtsnatur etwa der 439

440 441

Vgl – zB – BVerwG NJW 1989, 412 f; BVerwGE 100, 280 ff → JK BRRG § 46/2; sa Eichler DöD 1994, 112 ff. Vgl BVerwGE 8, 261, 265; 29, 310, 312; 31, 15, 18; sa Stumpp DVBl 1968, 330 ff. Grundlegend die Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis, dazu Ule in: VVDStRL 15 (1957) 152 ff, vgl ferner zB BVerwGE 14, 84, 87.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap V

Umsetzung (so Rn 113). Unter der Geltung des Art 19 Abs 4 GG ist aber jede Verletzung eines eigenen Rechts – unabhängig von der Rechtsnatur des verletzten Aktes – einklagbar. Ob ein Handeln eine Rechtsverletzung überhaupt bewirken kann, ist daher entscheidend. Lassen die Rechtsgrundlagen einer Maßnahme erkennen, dass sie den individuellen Rechtskreis des Beamten gestalten, kommt ihnen Verwaltungsaktsqualität zu. Sie sind dann mit der Anfechtungsklage zu bekämpfen oder mit der Verpflichtungsklage zu fordern. An der Klagebefugnis nach § 42 Abs 2 VwGO fehlt es, wenn das materielle Entscheidungsprogramm offensichtlich das von dem Beamten verfolgte Begehren nicht trägt. Außerhalb des den Beamten betreffenden Handelns durch Verwaltungsakt entscheidet über die Zulässigkeit einer (dann Leistungs- oder Feststellungs-)Klage des Beamten gleichfalls die materielle Rechtslage. Sie allerdings ist weit weniger vom Bestehen subjektiver Rechte geprägt als das gewöhnliche Verhältnis zwischen Bürger und Staat, innerhalb dessen der Kontakt beider Akteure gewöhnlich auf zugleich subjektiv-rechtlich ausgeformte rechtliche Begrenzungen stößt. Das Beamtenrecht kennt demgegenüber in den Bereichen der Weisungsrechte (die zwar Regelungscharakter, aber keine Außenwirkung haben), der Gehorsamspflichten und im Organisationsbereich Bereiche, in denen Rechtsschutz nicht offensteht,442 weil der Beamte (lediglich) als Amtswalter, nicht in Person angesprochen ist. Er kann dann selbst objektiv rechtswidriges Handeln nicht individuell gerichtlich bekämpfen. Die Ebene seiner subjektiven Rechte kann andererseits durchaus auch durch die Inanspruchnahme etwa des Weisungsrechts betroffen sein, wenn nämlich Grundrechte verletzt sind, etwa im Fall der diskriminierenden Weisung. Insofern stellt sich auch bei der prozessualen Betrachtung die Frage, inwieweit die erhöhte Kontaktintensität zwischen Dienstherrn und Beamten die Wirkkraft der Grundrechte begrenzt. Auch in Bezug auf den Rechtsschutz erweist sich das Beamtenverhältnis also nur insofern als Sonderverhältnis, als es zu spezifischen Abgrenzungsfragen innerhalb der allgemeinen verwaltungsrechtlichen (und verfassungsrechtlichen) Strukturen Anlass gibt. Es ist nicht außerhalb dieser Strukturen gestellt und fordert deren dogmatische Leistungsfähigkeit heraus, ohne ihre rechtsstaatlich begründete Geschlossenheit in Frage zu stellen.

V. Zum Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst Mehr als die Hälfte der Angehörigen des öffentlichen Dienstes befand sich schon 183 vor der Einigung nicht in Beamtenverhältnissen, sondern in privatrechtlich ausgestalteten Rechtsbeziehungen zu den Dienstherren (so Rn 25). Dieser Befund war oft kritisiert worden, Bestrebungen, das Beamtenverhältnis auch in der Wirklichkeit als Regeltypus im öffentlichen Dienst zu etablieren, waren zu bemerken, wie andererseits vor zunehmender „Verbeamtung“ gewarnt wird (so Rn 26, 36). 442

Dazu Erichsen VerwArch 71 (1980) 429, 437; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art 19 Abs 4 Rn 89; s dazu auch OVG Münster NWVBl 1994, 57f; mit abw Konzeption Felix/Schwarplys ZBR 1995, 33 ff.

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6. Kap V

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Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist verfassungsrechtlich – anders als das Beamtenrecht – nicht institutionalisiert.443 Es ist als Rechtsgebiet vor allem von der Zivilrechtslehre zu pflegen und unterliegt der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte. Es ist im vorliegenden Zusammenhang aus schon dargelegten Gründen (so Rn 35) aber insoweit wenigstens kursorisch anzusprechen, als es in seinen Strukturen dem Beamtenrecht angenähert ist; die weiterhin bestehenden, teilweise auch nicht aufhebbaren Unterschiede mögen zugleich die Eigenarten des Beamtenrechts – gleichsam im Rückblick – noch einmal hervortreten lassen. Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst sind Arbeitnehmer, deren Ar185 beitgeber eine juristische Person des öffentlichen Rechtes ist. Die Abgrenzung zu den Beamten im staatsrechtlichen Sinne (so Rn 56) ist formal vorzunehmen, nicht nach der Art der zugewiesenen Dienstaufgabe. Das Dienstverhältnis wird einzelvertraglich, nicht durch (mitwirkungsbedürftigen) Verwaltungsakt begründet; ob von den Vertragsparteien ein Dienstverhältnis als Angestellter oder als Arbeiter beabsichtigt ist, hängt vom geäußerten Willen und von den Merkmalen der Tätigkeit 444 ab. Kennzeichnend für die Tätigkeiten der Arbeiter im öffentlichen Dienst ist im Vergleich zu den Angestellten ein Schwergewicht auf körperlichen und in gesteigertem Maße Einzelweisungen unterworfenen Arbeitsleistungen. Demzufolge bestehen in den Rechtsverhältnissen beider Gruppen Unterschiede sowohl für deren Dauer wie auch im sozialversicherungsrechtlichen Status. Wie in weiten Bereichen des privaten Arbeitslebens richtet sich die Ausgestaltung 186 der privaten Dienstverhältnisse im öffentlichen Dienst grundsätzlich nach zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträgen, die in den Einzelverträgen in Bezug genommen werden.445 Für die Angestellten in Bund, Ländern und Gemeinden gilt gemeinschaftlich der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. 2. 1961.446 Außerhalb dessen stehen die sog Dienstordnungsangestellten, die im Bereich öffentlich-rechtlich organisierter Sozialversicherungsträger beschäftigt sind. Ihre Dienstverhältnisse sind zwar auch privatrechtlich begründet, richten sich aber wesentlich nach sozialrechtlichen Bestimmungen des öffentlichen Rechtes (zB der RVO sowie den als Satzungen erlassenen Dienstordnungen der jeweiligen Dienstherren); gesonderte Tarifverträge treten hinzu. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder bestehen ein (gemeinsamer) sog Manteltarifvertrag 447 sowie der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe.448 In Einzelbereichen (zB Verkehrsbetriebe, künstlerisches Personal) bestehen Sondertarifverträge.449 184

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Von seiner bloßen „Duldung“ spricht – recht unfreundlich – Isensee Affekte, 3. Vgl Battis in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR II, § 32 Rn 1 ff. Zur Tarifautonomie allgem und eingehend G. Müller Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, 1990; Säcker/Oetker Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 1992; sa Plander ArbuR 1986, 65 ff. GMBl S 138; Text: Fürst GKÖD, Bd IV, Stand 1998. MTArb v 6. 12. 1995; GMBl 1996, 362; Text in Fürst GKÖD Bd IV Teil 2, Stand 1998. BMT-G II; vgl dazu die Übersicht bei B. Müller Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 4. Aufl 1998, insbes Rn 130 ff. Vgl den Abdruck der zahlreichen Sonderbestimmungen bei Crisolli/Tiedtke Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand 1998.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

6. Kap V

Die Normsetzung durch Tarifvertrag ist inhaltlich frei im Rahmen der Rechtsordnung, muss insbesondere nicht etwa auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (so Rn 39 f) Bedacht nehmen, steht also außerhalb jenes verfassungsrechtlich vorgegebenen, auf die Tradition gerichteten Regelungsprogramms. Dass dieses dennoch partiell in die Tarifverträge hineinwirkt, ist zulässig und überwiegend auch sachgerecht. Die Einstellung 450 der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst erfolgt – 187 anders als bei den Beamten – immer für eine bestimmte Tätigkeit und nicht im Grundsatz auf Lebenszeit. Ist das Dienstverhältnis nicht von vornherein auf Zeit begründet worden, kann es durch ordentliche oder außerordentliche (fristlose) Kündigung enden. Die Tarifverträge verlängern die Fristen für die ordentliche Kündigung über diejenigen des allgemeinen Arbeitsrechts hinaus. Nach 15jährigem Dienst (und sofern das 40. Lebensjahr vollendet ist) kann eine ordentliche Kündigung nicht mehr ausgesprochen werden; es bleibt nur die außerordentliche Kündigung möglich. Eine solche setzt in jedem Fall einen „wichtigen Grund“ voraus (vgl § 54 des BAT und § 626 BGB). De facto verschafft auch dieses eine Lebenszeitstellung. Anders als die Beamten betreten die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen 188 Dienst mit der Einstellung nicht eine Laufbahn, auf der sie fortzubilden und zu fördern sind und befördert werden können. Ein Aufstieg ist nur in engen Grenzen durch Eingruppierung in eine höhere Vergütungsgruppe, sonst durch Neubegründung eines Vertragsverhältnisses möglich. Angestellte und Arbeiter werden nicht besoldet, um ihnen den „angemessenen“ Lebensunterhalt zu sichern (so Rn 160); sie erhalten statt dessen Vergütungen für erbrachte Arbeitsleistungen wie sonstige Arbeitnehmer. Eher symbolisch drückt sich dieser konzeptionelle Gedanke noch aus in der Tatsache, dass Gehälter nicht – wie bei den Beamten – vor dem Beginn des Abrechnungsmonats überwiesen werden. Die Versorgung erfolgt nicht als Leistung des Dienstherrn auf gesetzlicher Grundlage und in Wahrnehmung der Fürsorgepflicht, sondern ist Selbstversorgung durch Einzahlung von Versicherungsbeiträgen, also eingebunden in das allgemeine Sozialversicherungssystem.451 Tarifvertraglich ist freilich eine Zusatzversorgung eingerichtet, die eine materielle Angleichung an das beamtenrechtliche Ruhegehaltssystem bewirkt. Für dienstliche Verfehlungen gilt nicht das gesonderte Disziplinarwesen (so Rn 140), sondern allgemeines Arbeitsrecht mit dem Institut der Abmahnung und der Sanktion der Kündigung. Bedeutsam für das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist 189 ferner das Streikrecht, dessen Bestehen heute weithin bejaht wird.452 Dass es – so eine stark vertretene Meinung – hierbei Ausnahmen gebe, wenn es um die Erfüllung 450

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Unterschiede und Parallelen zur (beamtenrechtlichen) Konkurrentenklage (so Rn 91 f) untersucht Seitz Die arbeitsrechtliche Konkurrentenklage, 1995. Zum Personalabbau im öffentlichen Dienst Maslaton/Müller DöD 2003, 73 ff. Zur Altersversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst s Preis/Temming ZTR 2003, 262 ff; Glombik VR 2003, 232 ff. Vgl BVerfGE 88, 103, 114 → JK GG Art 9 III/11; Löwisch Zulässiger und unzulässiger Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, 1980, 8; aA etwa Lecheler in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 72 Rn137; Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HVerfR, § 32 Rn 78; ders Affekte, 5, nennt die Entscheidung ein Menetekel.

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besonders wichtiger Funktionen geht, also das Streikrecht insbesondere dann nicht in Anspruch genommen werden dürfe, wenn dies für Staat und Gesellschaft gravierende Beeinträchtigungen zur Folge hat oder so weit Angestellte im Bereich des beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalts 453 tätig sind (so Rn 31), ist fraglich. Gewiss ist nicht zu verkennen, dass Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst die staatliche Funktionserfüllung auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge zum Erliegen bringen und unerträgliche Beeinträchtigungen des gesellschaftlichen Lebens hervorrufen können. Ein rechtlich begründbares Bedürfnis, das Streikrecht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst durch einen überdies notwendigerweise Rechtsunsicherheit schaffenden Vorbehalt zu relativieren (soziale Unverträglichkeit und staatliche Funktionsbeeinträchtigung sind äußerst vage Begriffe, die Reichweite des Funktionsvorbehalts steht in Streit), ist dennoch nicht recht erkennbar. Zum einen setzt die Rechtsordnung Vertrauen in die gesamtstaatliche Verantwortung etwa auch der Gewerkschaften als Tarifparteien. Die fehlende Sanktionierbarkeit dieser Verfassungserwartung nimmt ihr nicht die Relevanz, ist vielmehr Systemkomponente einer dem Klassenkampf abholden rechtsstaatlichen Ordnung. Zum anderen kann der Staat – und müssen die Dienstherren aufgrund verfassungsrechtlicher Verpflichtung – dem öffentlichen Dienst eine Personalstruktur geben, die genügend (nicht zum Streik berechtigte) Beamte zur Erfüllung elementarer staatlicher Aufgaben vorhält, welche in die von Arbeitskämpfen geschlagenen Versorgungsbreschen treten können. Auch dies ist eine systemkonforme Fernwirkung des auf das Beamtentum bezogenen Funktionsvorbehalts. Es spricht dies umgekehrt dafür, dass die vielfach vertretene Auffassung, an Beamten ergehende Weisungen, während des Arbeitskampfes Aufgaben von Angestellten und Arbeitern wahrzunehmen (sog Streikarbeit), beeinträchtigten das Arbeitskampfrecht der letzteren, nicht zutrifft.454 Nicht um seiner Interessen als Tarifpartei willen, wohl aber wegen seiner verfassungsrechtlichen Sorgepflicht für das Gemeinwohl, ist dem Staat die Anordnung eines solchen Beamteneinsatzes gestattet. Das Ausmaß dessen ist der Entscheidung des Dienstherrn überlassen, den allerdings häufig schon faktische, insbesondere organisatorische Gründe daran hindern werden, hiervon übermäßig und in einer die Anliegen der gegnerischen Tarifpartei fühlbar beeinträchtigenden Weise Gebrauch zu machen. Die Rechte und Pflichten im Dienstverhältnis werden im Einzelnen vor allem 190 durch die erwähnten Tarifverträge bestimmt, so weit sie sich nicht aus dem Einzelvertrag und – ergänzend – den §§ 611ff BGB ergeben. Sie sind in den Tarifverträgen in abstrakt-genereller Normierung umschrieben, was sie trotz des formalen Unterschiedes im Geltungsgrund für den Dienstnehmer in Parallele zur Rechtslage im Beamtenrecht bringt. Dem Beamtenrecht folgen die Tarifverträge teilweise auch inhaltlich, sei es durch vergleichbare Regelungen (zB über die Amtsverschwiegenheit, 453 454

ZB Scholz in: Maunz/Dürig, GG, Art 9 Rn 379. Nach BVerfGE 88, 103 ff → JK GG Art 9 III/13; dazu Jachmann ZBR 1994, 1 ff, Isensee DZWiR 1994, 309 ff; bedarf es für solchen Beamteneinsatz jedoch einer – derzeit fehlenden – ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Aus der früheren Rspr s BVerwGE 69, 208, 213 ff, aus der Lit zB v Münch DÖV 1982, 337 ff. Fallbearbeitung: Lecheler/Determann Jura 1996, 99 ff.

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Das Recht des öffentlichen Dienstes

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die Annahme von Geschenken, die Einsichtnahme in die Personalakten, das Recht auf die dienstliche Beurteilung durch ein Zeugnis, die Gründe für und das Verfahren bei der Versetzung oder Umsetzung), sei es durch unmittelbare Verweisungen (so auf die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Nebentätigkeit, über Reisekosten, über die Haftung für eine Schädigung des Dienstherrn) oder schließlich durch Generalklauseln: So hat nach § 8 Abs 1 S 1 des BAT der Angestellte „sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird“. Ungeachtet der unterschiedlichen Regelungstechniken, mit denen die Tarifver- 191 träge die privatrechtlichen Dienstverhältnisse inhaltlich auf das Beamtenrecht ausrichten, bedeuten einzelne beamtenrechtliche Rechte und Pflichten also eine Vorgabe auch für die Bestimmung der Rechte und Pflichten von Angestellten und Arbeitern. Das kann jeweils aber nur mit der Maßgabe gelten, dass die unterschiedliche Qualität beider Diensttypen (die – wie gesehen – ihre Begründung letztlich im Verfassungsrecht hat) Berücksichtigung findet. Dabei ist die Wahl des öffentlichen oder des privaten Rechts für sich genommen nicht ergiebig, wohl aber der Umstand, dass das Beamtenverhältnis ein besonderes, von wechselseitiger Treue (so Rn 80, 139) geprägtes Rechtsverhältnis ist. Erst die Reziprozität fordert und legitimiert gesteigerte Treue, wie zB die Einbeziehung des außerdienstlichen Verhaltens in den Pflichtenkanon des Beamten oder der Anspruch auf besondere Fürsorge. Rechte und Pflichten der Angestellten und Arbeiter bleiben im grundsätzlichen dahinter zurück, auch wenn die Interpretation von einzelnen Rechten und Pflichten oftmals Identität mit dem Beamtenrecht ergibt. Sie besteht vor allem im Bereich der internen Dienstabläufe (Weisungsgebundenheit, Leistungspflicht) und betrifft das Verhalten im Dienst gegenüber dem Bürger (zB Unparteilichkeit).455 Problematisch ist es, die Angestellten auch außerhalb des Dienstes zu politischer Mäßigung und Zurückhaltung zu verpflichten, wie es der Wortlaut des BAT fordert. Hier ist wegen der Unterschiedlichkeit im Gesamtverhältnis eine zurückhaltende Auslegung geboten, wie auch umgekehrt die im Sinne einer Fürsorgepflicht vom privatrechtlich beschäftigten Dienstnehmer an den Dienstherrn zu richtenden Ansprüche nicht in erster Linie im Blick auf die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht, sondern vor allem im Blick auf die allgemeine arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht zu beurteilen sind. Dass eine derartige Zurücknahme der für das besondere Näheverhältnis des Beamten zum Dienstherrn typischen beamtenrechtlichen Bestimmungen geboten sein kann, erweist auch der Umstand, dass die Tarifverträge selbst auch im Zuge von direkt oder mittelbar auf das Beamtenrecht verweisenden Regelungen entsprechende Modifizierungen anbringen. So muss der Angestellte sich nach §8 Abs 1 S 2 des BAT „durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“ – nicht aber muss er „jederzeit“ für diese Ordnung „eintreten“. Er muss des weiteren dienstlichen Anordnungen nachkommen (wie der Beamte, aber auch jeder Arbeitnehmer des privaten Sektors), jedoch trägt er, anders als der Beamte (so Rn 70), nicht in Person die „volle Verantwortung“ für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen; die Verantwor455

Vgl BAGE 38, 85 ff (zum Tragen einer Plakette mit politischer Aussage im Schuldienst). S eingehend Starner, Die Pflichten des Beamten sowie der Angestellten und Arbeiter im Öffentlichen Dienst im Vergleich, 2000.

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6. Kap V

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tung für den Vollzug einer Anordnung trifft vielmehr „denjenigen, der die Anordnung gegeben hat“ (vgl § 8 Abs 2 S 2 des BAT). So besteht für das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst 192 eine Gemengelage zwischen privatem Arbeitsrecht und Beamtenrecht, die durch das Nebeneinander von direkten und indirekten Verweisungen und (teils dem Wortlaut der Tarifverträge nach deutliche, teils durch die Verwendung parallelen Vokabulars auch verdeckte) Modifizierungen noch verunklart wird. Diese Rechtslage überantwortet den Arbeitsgerichten eine (ihnen allerdings auch im allgemeinen Arbeitsrecht zukommende) auch rechtsschöpferische Rolle bei der Konfliktbewältigung und prinzipiengerechten Fortbildung des Rechts, die das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst in Balance zwischen dem allgemeinen Arbeitsrecht und einerseits sachlich gebotener Nähe, andererseits strukturell begründeter Distanz zum Beamtenrecht halten muss.

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SIEBENTES KAPITEL

Straßen- und Wegerecht Thomas von Danwitz

Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rn 1–20 2– 3 2 3 4– 8 5 6– 7 8 9–15 9–11 12–14 15 16–20 16 17–18 19 20

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21–39 22–25 23 24 25 26–34 27 28–29 30 31 32–34 35–38 39

III. Begründung, Veränderung und Beendigung des öffentlichen Sonderstatus 1. Die Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formelle und materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt der Widmungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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40–51 41–45 41 42 43 44

I. Grundlagen des öffentlichen Straßenrechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffliche Vorklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straßenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straßenverkehrsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis von Straßen- und Straßenverkehrsrecht . . . . . . a) Der „Vorbehalt“ des Straßenrechts . . . . . . . . . . . . . . b) Der „Vorrang“ des Straßenverkehrsrechts . . . . . . . . . . . c) Anordnungen nach § 45 StVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strukturmerkmale des Gesetzesvollzuges . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straßenbau- und Straßenaufsichtsbehörden . . . . . . . . . . c) Straßenverkehrsämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachenrechtliche Grundprinzipien des öffentlichen Straßenrechts . a) Öffentlicher Sachstatus der Straße . . . . . . . . . . . . . . . b) Die dualistische Vorstellung vom modifizierten Privateigentum c) Das Prinzip der förmlichen Widmung . . . . . . . . . . . . . d) Formalisierungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Planung und Bau öffentlicher Straßen . . . . . . . . . 1. Vorbereitende Stufen der Straßenplanung . . . . . . a) Ausbau- und Bedarfsplanung . . . . . . . . . . b) Raumordnungsverfahren . . . . . . . . . . . . c) Bestimmung der Planung und Linienführung . . 2. Die straßenrechtliche Planfeststellung . . . . . . . . a) Grundstrukturen des Verfahrensablaufs . . . . . b) Rechtsnatur der Planungsentscheidung . . . . . c) Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses d) Schutzauflagen gem § 74 Abs 2 S 2 VwVfG . . . e) Entbehrlichkeit der Planfeststellung . . . . . . . 3. Rechtsschutzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der tatsächliche Bau öffentlicher Straßen . . . . . .

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e) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die tatsächliche Indienststellung der Straße . . . . . . . . . . . 3. Veränderungen des Nutzungsumfangs . . . . . . . . . . . . . a) Widmungserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teileinziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einziehung durch Entwidmung . . . . . . . . . . . . . . . d) Umstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Straßenrechtliche Statusakte im Dienste der Verkehrsberuhigung

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45 46 47–50 47 48 49 50 51

IV. Straßenbaulast und Straßenverkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . 1. Die Straßenbaulast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Straßenverkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52–53 52 53

V. Das Regime straßenrechtlicher Nutzungsformen . . . . . 1. Der Gemeingebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . b) Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsstellung des Straßenbenutzers . . . . . . 2. Die Sondernutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sondernutzungserlaubnisse nach öffentlichem Recht c) Bürgerlich-rechtliche Sondernutzungen . . . . . . 3. Sonderformen der „kommunikativen“ Straßennutzung 4. Die Rechtsstellung des Straßenanliegers . . . . . . . . a) Das Anliegerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Anliegergebrauch . . . . . . . . . . . . . . .

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54–63 54–56 54 55 56 57–59 57 58 59 60–61 62–63 62 63

VI. Das Nachbarrecht öffentlicher Straßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aufrechterhaltung der Straßenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schutz der Straßennachbarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64–65 64 65

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Gesetze Bund: BundesfernstraßenG (FStrG) idF v 20. 2. 2003 (BGBl I 286), zul geänd am 22. 4. 2005 (BGBl I 1128), Sartorius I Nr 932. FernstraßenausbauG idF v 15. 11. 1993 (BGBl I 1878), zul geänd am 4. 10. 2004 (BGBl I 2574). G über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) idF v 5. 9. 2001 (BGBl I 2350), zul geänd am 24. 6. 2004 (BGBl I 1359), Sartorius I Nr 295. Investitionserleichterungs- und WohnbaulandG v 22. 4. 1993 (BGBl I 466). PlanungsvereinfachungsG v 17. 12. 1993 (BGBl I 2123). RaumordnungsG (ROG) idF v 18. 8. 1997 (BGBl I 2081), zul geänd am 24. 6. 2004 (BGBl I 1359), Sartorius I Nr 340. RaumordnungsVO (ROV) v 13. 12. 1990 (BGBl I 2766), zul geänd am 18. 6. 2002 (BGBl I 1914), Sartorius I Nr 340 a. StraßenverkehrsG (StVG) idF v 5. 3. 2003 (BGBl I 310, ber 919), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Schönfelder Nr 35. Straßenverkehrs-O (StVO) v 16. 11. 1970 (BGBl I 1565), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Schönfelder Nr 35 a. Straßenverkehrs-Zulassungs-O (StVZO) idF v 28. 9. 1988 (BGBl I 1793), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818), Schönfelder Nr 35 b.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap

Länder: Baden-Württemberg: StraßenG für Baden-Württemberg (StrG BW) idF v 11. 5. 1992 (GBl 330), zul geänd am 1. 7. 2004 (GBl 469). Bayern: Bayerisches Straßen- und WegeG (BayStrWG) idF v 5. 10. 1981 (GVBl 448), zul geänd am 9. 7. 2003 (GVBl 419). Berlin: Berliner StraßenG (BerlStrG) v 13. 7. 1999 (GVBl 380), zul geänd am 24. 6. 2004 (GVBl 253). Brandenburg: Brandenburgisches StraßenG (BbgStrG) idF v 10. 6. 1999 (GVBl I 211), zul geänd am 24. 5. 2004 (GVBl I 186, 195). Bremen: Bremisches LandesstraßenG (BremLStrG) v 20. 12. 1976 (GBl 341), zul geänd am 28. 5. 2002 (GBl 103). Hamburg: Hamburgisches WegeG (HambWG) idF v 22. 1. 1974 (GVBl 41, 83), zul geänd am 17. 12. 2002 (GVBl 347, 352). Hessen: Hessisches StraßenG (HessStrG) idF v 8. 6. 2003 (GVBl I 166). Mecklenburg-Vorpommern: Straßen- und WegeG des Landes Mecklenburg-Vorpommern (StrWG MV) v 13. 1. 1993 (GVOBl 42), zul geänd am 9.8.2002 (GVOBl 531). Niedersachsen: Niedersächsisches StraßenG (NdsStrG) idF v 24. 9. 1980 (GVBl 359), zul geänd am 5. 9. 2002 (GVBl 378). Nordrhein-Westfalen: Straßen- und WegeG des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) idF v 23. 9. 1995 (GV 1028), zul geänd am 5. 4. 2005 (GV 306). Rheinland-Pfalz: LandesstraßenG für Rheinland-Pfalz (LStrG RP) idF v 1. 8. 1977 (GVBl 274), zul geänd am 21. 7. 2003 (GVBl 155). Saarland: Saarländisches StraßenG (SaarlStrG) v 17. 12. 1964 (ABl 1965, 117), zul geänd am 8. 10. 2003 (ABl 2874). Sachsen: StraßenG für den Freistaat Sachsen (SächsStrG) v 21. 1. 1993 (GVBl 93), zul geänd am 28. 5. 2004 (GVBl 200, 225).

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Sachsen-Anhalt: StraßenG für das Land Sachsen-Anhalt (StrG LSA) v 6. 7. 1993 (GVBl 334), zul geänd am 27. 8. 2002 (GVBl 372). Schleswig-Holstein: Straßen- und WegeG des Landes Schleswig-Holstein (StrWG SH) idF v 25. 11. 2003 (GVOBl 631), ber am 29. 4. 2004 (GVOBl 140). Thüringen: Thüringer StraßenG (ThürStrG) v 7. 5. 1993 (GVBl 273), zul geänd am 23. 9. 2003 (GVBl 433).

Literatur P. Axer Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994. R. Bartlsperger/W. Blümel/H.-W. Schroeter (Hrsg) Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, 1980. R. Bartlsperger Straßen- und Wegerecht, in: Kimminich ua (Hrsg), Handwörterbuch des Umweltrechts, 2. Aufl 1994, 1933 ff. H. C. Fickert Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl 1989. U. Häde Das Recht der öffentlichen Sachen, JuS 1993, 113 ff. S. Hobe Die dogmatische Verortung des Anliegergebrauchs als eigenständiges Rechtsinstitut zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung, DÖV 1997, 323 ff. K. Kodal/H. Krämer Straßenrecht, 6. Aufl 1999. D. Lorenz Das Landesstraßenrecht in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, VBlBW 1984, 329 ff. G. Manssen Der Hamburger Stadtsiegelfall (VG Köln, NJW 1991, 2584), JuS 1992, 745 ff. G. Manssen Vom Vorrang zur Vorherrschaft des Straßenverkehrsrechts, DÖV 2001, 151 ff. E. A. Marschall/H.-W. Schroeter/F. Kastner Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl 1998. W. Otte Individualrechtsschutz im Straßenrecht, NWVBl 1996, 41 ff. H.-J. Papier Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl 1998. H.-J. Papier Straßenrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg), BesVwR I, 2. Aufl 2000, 840 ff. E. Pappermann/R.-P. Löhr/W. Andriske Recht der öffentlichen Sachen, 1987. F.-J. Peine Recht der öffentlichen Sachen, JZ 1996, 350ff, 398 ff. J. Salzwedel Straßen- und Verkehrsrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl 1995, 761 ff. M. Sauthoff Straße und Anlieger, 2003. G. Schnebelt/K. Sigel Straßenrecht, 2. Aufl 2004. U. Steiner Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, JuS 1984, 1 ff. U. Steiner Straßen- und Wegerecht, in: ders (Hrsg), BesVwR, 7. Aufl 2003, 745 ff. D. Walprecht/R. D. Brinkmann Straßenreinigungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl 1985. D.Walprecht/R.Cosson Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 1986. H. Zeitler Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, 4. Aufl, Stand: November 2003.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap I 1 a

Zeitschriften Deutsches Autorecht (DAR) Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) Die öffentliche Verwaltung (DÖV) Natur und Recht (NuR) Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NZV) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) Umwelt und Planungsrecht (UPR) Verkehrsblatt (VerkBl) Verkehrsrechtliche Mitteilungen (VerkMitt)

I. Grundlagen des öffentlichen Straßenrechts Das Straßenrecht regelt die Erbringung einer von der Allgemeinheit täglich in An- 1 spruch genommenen Verwaltungsleistung und betrifft damit den wohl wichtigsten Teilbereich der staatlichen Daseinsvorsorge.1 Auch wenn das Straßenrecht oftmals als eine Rand- und Sondermaterie des Besonderen Verwaltungsrechts behandelt wird und sein Stellenwert in letzter Zeit zu schrumpfen droht,2 belegt die einschlägige Rechtsprechung 3 immer noch eindrucksvoll seine praktische Bedeutung. Dementsprechend findet das Straßenrecht auch in den Juristenausbildungsordnungen einiger Bundesländer zumindest als Wahlfach Berücksichtigung.4

1. Begriffliche Vorklärungen a) Straßenrecht Das Straßen- und Wegerecht befasst sich sachlich mit der Entstehung, der Nutzung 2 und der Unterhaltung öffentlicher Straßen. In diesem Rahmen kommt neuerdings dem Nachbarrecht an öffentlichen Straßen sowie vor allem einer Straßengestaltung unter den Vorzeichen von Verkehrssicherheit und Umweltschutz eine gesteigerte Bedeutung zu. Als rechtliche Kategorie bildet das Straßenrecht den wichtigsten Teil des öffentlichen Sachenrechts und weist von daher systematisch starke Bezüge zum allgemeinen Verwaltungsrecht auf. Neben seinen klassischen, im Einzelfall aber oft schwierig zu beurteilenden Verzahnungen mit dem Straßenverkehrsrecht bestehen regelmäßig weitere bedeutsame Berührungspunkte zum Planungs- und Umweltrecht sowie dem allgemeinen Ordnungsrecht. Als Rechtsbegriff umfasst das Straßenrecht mithin die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die die Rechtsverhältnisse an denjenigen Straßen, Wegen und Plätzen zum Gegenstand haben, die dem 1 2 3

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S Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 12; Steiner JuS 1984, 1, 3. Von einem sinkenden „Stern“ spricht Manssen DÖV 2001, 151. Vgl dazu die Rechtsprechungsberichte von Sauthoff NVwZ 2004, 674 ff; ders NVwZ 1998, 239 ff; ders NVwZ 1994, 17 ff; ders NVwZ 1990, 223 ff; Sattler SächsVBl 2000, 187 ff; Otte NWVBl 1996, 41 ff; Lorenz VBlBW 1984, 329 ff. Vgl § 6 Abs 1 Nr 9 Berl JAO; § 3 Abs 7 Nr 9 SH JAO; sogar als Pflichtfach in § 14 Abs 2 Nr 4 c) Thür JAPO.

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7. Kap I 2

Thomas von Danwitz

allgemeinen Verkehr gewidmet sind.5 Gegenständlich unterfällt dem Regime des Straßenrechts neben dem Straßenkörper auch der Luftraum über der Straße, das straßenrechtliche Zubehör wie Verkehrseinrichtungen und Bepflanzungen sowie die sog Nebenanlagen.6 b) Straßenverkehrsrecht 3 Während das Straßenrecht also die Bereitstellung öffentlicher Straßenflächen nach ihrer jeweiligen Verkehrsfunktion regelt, besteht die Aufgabe des Straßenverkehrsrechts darin, die Gemeinverträglichkeit potentiell konfligierender Benutzungen 7 durch polizeiliche Anforderungen an den Verkehr, die Verkehrsteilnehmer und Außenstehende zur Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sicherzustellen. Demzufolge ist das Straßenverkehrsrecht als ein sachlich begrenztes Sonderordnungsrecht der Gefahrenabwehr mit umfassendem Geltungsanspruch anzusehen.8 Das Straßenverkehrsrecht gilt daher unabhängig von der Widmung einer Straße für den allgemeinen Verkehr auch bereits, wenn der Eigentümer einer Privatstraße die Benutzung zu Zwecken des Verkehrs duldet, wie das bei Parkplätzen von Einkaufszentren, Betriebsgeländen und privaten Parkhäusern regelmäßig der Fall ist.9

2. Das Verhältnis von Straßen- und Straßenverkehrsrecht 4 Die verschiedenen Aufgabenstellungen, die vom Straßenrecht einerseits und Straßenverkehrsrecht andererseits wahrgenommen werden, bilden den maßgeblichen Ausgangspunkt für die kompetenzrechtliche Abgrenzung der beiden Rechtsmaterien gem Art 74 Abs 1 Nr 22 GG. Daher sind beide Rechtsgebiete als „deutlich gegeneinander abgegrenzte Gesetzgebungsbereiche“ zu verstehen, auch wenn sie in einem engen thematischen Zusammenhang stehen und insbes das Straßenverkehrsrecht das Straßenrecht grds voraussetzt.10 So zutreffend das anhand der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte beider Rechtsmaterien entwickelte „Selbständigkeits-Modell 5

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Im Anschluss an die in den Landesstraßengesetzen verwandte Legaldefinition der öffentlichen Straße, bsplsw in § 2 Abs 1 StrWG NRW, § 2 Abs 1 StrG BW, Art 1 S 1 BayStrWG, bereits Salzwedel Straßen- und Verkehrsrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl 1995, Rn 1. S § 1 Abs 4 FStrG und § 2 Abs 2 StrWG NRW; § 2 Abs 2 StrG BW; Art 2 BayStrWG; § 2 Abs 2 BerlStrG; § 2 Abs 2 BbgStrG; § 2 Abs 2 BremLStrG; § 2 Abs 2 HambWG; § 2 Abs 2 HessStrG; § 2 Abs 2 StrWG MV; § 2 Abs 2 NdsStrG; § 1 Abs 3 LStrG RP; § 2 Abs 2 SaarlStrG; § 2 Abs 2 SächsStrG; § 2 Abs 2 StrG LSA; § 2 Abs 2 StrWG SH; § 2 Abs 2 ThürStrG. Vgl dazu die Grundregeln in § 1 Abs 1 und 2 StVO; zum Traditionszusammenhang s Salzwedel (Fn 5) Rn 3. S BVerfGE 67, 299, 314, 322 → JK GG Art 74 Nr 22/1; 40, 371, 380; 32, 319, 326 f; BVerwGE 107, 38, 42 f → JK StVG § 6/1; 85, 332, 341 f; 82, 34, 37. Dazu Hans. OLG Bremen MDR 1980, 421 f m Anm Brede; vgl auch Krämer in: Kodal/ Krämer (Hrsg), Straßenrecht, 6. Aufl 1999, Kap 4, Rn 15; Sauthoff Straße und Anlieger, 2003, Rn. 26; Zörner NZV 2002, 261 ff. So BVerfGE 67, 299, 314 → JK GG Art 74 Nr 22/1; 40, 371, 378; vgl zum Verhältnis von Straßenverkehrsrecht und Straßenrecht BGH NJW 2002, 1280 ff.

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der Rechtsprechung“ 11 die (kompetenz-)rechtliche Ausgangslage beschreibt, so notwendig bleibt eine Beantwortung der gerade auch praktisch bedeutsamen Frage, wie weit die behördlichen Regelungsbefugnisse auf Grund der jeweiligen Rechtsmaterie reichen. Beantwortet wird sie weithin mit Hilfe der begrifflichen Unterscheidung zwischen dem „Vorbehalt des Straßenrechts“ und dem „Vorrang des Straßenverkehrsrechts“.12 a) Der „Vorbehalt“ des Straßenrechts Indem die spezifische Verkehrsfunktion einer Straße durch das Rechtsinstitut der 5 Widmung 13 konkret festlegt wird, bestimmt das Straßenrecht den allgemeinen Nutzungsrahmen, in dem eine Straße der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Zugleich bildet diese Vorgabe den gerade für das Straßenverkehrsrecht verbindlichen Rahmen,14 innerhalb dessen seine Regelungen zur Anwendung gelangen können, um die Gemeinverträglichkeit ihrer Benutzung durch die Allgemeinheit im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Dem Straßenverkehrsrecht wird auf diese Weise also die Aufgabe zugewiesen, die verkehrsrechtliche Nutzungsausübung innerhalb des Widmungsrahmens zu regeln.15 Diese Rahmensetzung, die das Straßenrecht für das Straßenverkehrsrecht vornimmt, wird üblicherweise als „Vorbehalt“ des Straßenrechts bezeichnet.16 Dieser „Vorbehalt“ des Straßenrechts kann sich auch auf Vorschriften beziehen, die einen Rechtsfolgenverweis auf das Straßenverkehrsrecht enthalten.17 Der so verstandene „Vorbehalt“ des Straßenrechts hat zur Konsequenz, dass das Straßenverkehrsrecht grundsätzlich keine dauerhaften Nutzungen gestatten darf, die die Widmung nicht eröffnet hat. Die von der Widmung zugelassenen Nutzungen dürfen durch das Straßenverkehrsrecht also nicht „nach oben“ erweitert werden.18 Demzufolge sind die Straßenverkehrsbehörden gehindert, gem §§ 45, 46 StVO eine widmungsrechtlich nicht zugelassene Verkehrsform zu gestatten.19 Das eigentliche Konfliktpotential des wegerechtlichen Vorbehalts mit dem „Vorrang“ des Straßen11

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Ausdruck von Steiner JuS 1984, 1, 2 in Bezug auf BVerwGE 34, 241, 243; 62, 376, 378 → JK StVO Abgrenzung/1, weitergeführt in BVerwGE 85, 332, 341 f; 82, 34, 37. S namentlich Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 166 f; ders JuS 1984, 1, 4; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 13. Dazu u Rn 43; umfassend Axer Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994; Germann AöR 128 (2003) 458 ff. Bes plastisch BVerwGE 62, 376, 378 → aaO: „Das Straßenverkehrsrecht knüpft an die wegerechtliche Widmung in ihrem gegebenen Bestand an und befaßt sich nicht selbst mit ihren Voraussetzungen“. So bereits Steiner JuS 1984, 1, 4. Aus der Rspr s VGH BW DÖV 1993, 532; vgl auch HessVGH NVwZ-RR 1993, 389, 390. So zu § 40 Abs 2 S 1 BImSchG, BVerwG DÖV 1999, 911. Ebenso Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 14; Steiner JuS 1984, 1, 4. BVerwGE 94, 136, 138; 62, 376, 378 f → aaO; VGH BW NJW 1984, 819, 821 → JK StVO Abgrenzung/2; vgl aber HessVGH NVwZ-RR 1992, 1, 2; dazu Häde JuS 1993, 113, 117; zur Abgrenzung einer verkehrsrechtlichen Ausnahmeregelung von der straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis VGH BW, Urteil v 11. 3. 2005, Az 5 S 2421/03 (zit nach Juris).

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verkehrsrechts zeigt sich indes in der Frage, in welchem Ausmaß das Straßenverkehrsrecht die widmungsrechtlichen Nutzungen gleichsam „nach unten“ beschränken kann. b) Der „Vorrang“ des Straßenverkehrsrechts 6 Demgegenüber beantwortet der Grundsatz vom sog Vorrang des Straßenverkehrsrechts die Frage nach der Verteilung der Regelungsbefugnisse für die widmungsrechtlich zugelassenen Formen der Straßenbenutzung. Handelt es sich um eine im Rahmen der Widmung liegende Nutzungsform, die straßenverkehrsrechtlich allgemein zugelassen ist, wie dies beispielsweise für das Parken gem §12 StVO der Fall ist, so greift der „Vorrang“ des Straßenverkehrsrechts ein. Die im Straßenverkehrsrecht bundesrechtlich abschließend geregelten Formen der Straßenbenutzung zum ruhenden und fließenden Verkehr belassen dem Landesrecht für eigenständige Regelungen keinen Raum.20 Insoweit wirkt das Straßenverkehrsrecht auf die straßenrechtlich zulässigen Nutzungen ein und verleiht ihnen konkrete Gestalt.21 Dieser Gedanke der verkehrsrechtlichen „Mitbestimmung“ zulässiger Nutzungsformen ist von der Rechtsprechung auf den Punkt gebracht worden, dass ein Nutzungsvorgang, der sich im Rahmen der Straßenverkehrsvorschriften bewegt, zugleich auch innerhalb des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs liegt.22 Für die Bestimmung der zulässigen Straßenbenutzung hat das Bedingungsge7 flecht aus den verschiedenen Vorgaben straßen- und verkehrsrechtlicher Provenienz seine praktische Bewährungsprobe bereits bestanden und bildet ein insgesamt überschaubares Anforderungsprofil für die Straßenbenutzung durch die Allgemeinheit. Demgegenüber wirft das zwischen beiden Materien bestehende Spannungsverhältnis schwierige Abgrenzungsfragen auf, wenn es darum geht, in welchem Umfang widmungsgemäße Nutzungsformen auf Grund verkehrsrechtlicher Anordnungen eingeschränkt werden können. Im Unterschied zu der durch das Straßenrecht verbindlich gezogenen Obergrenze zulässiger Nutzungsformen geht es also um die Frage, welche straßenrechtlichen Begrenzungen den verkehrsrechtlichen Einschränkungsbefugnissen „nach unten“ gezogen sind.23 Allgemein wird eine Einschränkung der von der Widmung eröffneten Nutzungsmöglichkeiten auf der Grundlage verkehrsrechtlicher Anordnungen für zulässig gehalten, soweit sie aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs erforderlich sind.24 Diese – gleichsam selbst20 21

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BVerwGE 23, 325, 328 ff; 56, 56, 58. Dies sehen die Straßengesetze oftmals selbst vor, wenn sie den Gemeingebrauch der öffentlichen Straßen „im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften“ gestatten, s § 7 Abs 1 S 1 FStrG; § 14 Abs 1 S 1 StrWG NRW; § 13 Abs 1 S 1 StrG BW; § 14 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 15 Abs 1 BremLStrG; § 16 Abs 1 S 2 HambWG; § 14 S 1 HessStrG; § 21 Abs 1 S 1 StrWG MV; § 14 Abs 1 S 1 NdsStrG; § 34 Abs 1 S 1 LStrG RP; § 14 Abs 1 S 1 SaarlStrG; § 14 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 14 Abs 1 S 1 StrG LSA; § 20 Abs 1 S 1 StrWG SH; § 14 Abs 1 ThürStrG. BVerwGE 34, 320, 321; BVerwG NJW 1982, 2332; dazu eingehend Steiner JuS 1984, 1, 7. S Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 17; Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 167; ders JuS 1984, 1, 5. S BVerwG DÖV 1980, 915; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 17; Steiner JuS 1984, 1, 5.

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verständliche – Überlagerung der straßenrechtlichen Nutzungsordnung durch verkehrsrechtliche Befugnisse darf jedoch keine dauerhafte Entwidmung oder Widmungsbeschränkung bewirken,25 also einem prinzipiellen Ausschluss bestimmter Verkehrsarten gleichkommen.26 c) Anordnungen nach § 45 StVO Diesen Abgrenzungsfragen ist gerade durch die weit verbreiteten Maßnahmen zur 8 Verkehrsberuhigung ein praktisch besonders bedeutsamer Anwendungsbereich eröffnet worden. Im Grundsatz lässt sich für die meisten dieser Maßnahmen eine eindeutige Zuordnung vornehmen. So besteht Einigkeit darüber, dass die Schaffung von Tempo 30-Zonen und sog verkehrsberuhigten Bereichen dem Straßenverkehrsrecht, die Einrichtung von Fußgängerzonen dem Straßenrecht zuzuordnen ist.27 Weiterhin gestaltet sich die Abgrenzung bei verkehrsrechtlichen Anordnungen zum Schutz der Nachtruhe gemäß § 45 Abs 1 S 2 Nr 3, Abs 1b S 1 Nr 5 StVO aus dieser Perspektive noch recht unproblematisch.28 Jedoch ungeklärt ist das Verhältnis zwischen Straßen- und Straßenverkehrsrecht namentlich für die Schaffung von Parkbevorrechtigungszonen durch die Straßenverkehrsbehörde auf Grund von § 45 Abs 1b S 1 Nr 2a StVO.29 Dieses Problem bleibt unabhängig von den kürzlich erfolgten Änderungen von StVG und StVO, durch die der Begriff des Anwohners durch die Formulierung „Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel“ ersetzt wurde, virulent.30 Denn es liegt weiterhin eine gesetzgeberisch gewollte Anreicherung der ordnungsrechtlichen Anordnungsbefugnisse mit planungsrechtlichen Vorgaben vor, die bewirkt, dass auch die bisher akzeptierte Unterscheidung danach ins Wanken gerät, ob eine Maßnahme situationsbedingt und deshalb dem ordnungsrechtlichen Instrumentarium unterfällt oder von dauerhafter Natur ist und damit dem Straßenrecht vorbehalten bleibt.31 Gerade für die Umzonung ganzer Stadteile in ein System nahtlos miteinander verbundener Parkbevorrechtigungszonen, wie dies in Großstädten festzustellen ist, tritt die dauerhaft 25

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Vgl BVerwG DÖV 1980, 915: „Jedenfalls liegt ein Übergriff in straßen(wege)rechtliche Kompetenzen nicht im Falle solcher verkehrsrechtlich begründeter Straßenbenutzungsregelungen vor, die nur einen Teil des Kraftfahrzeugverkehrs absperren, also – anders als bei den Fußgängerzonen – den Kraftfahrzeugverkehr durchgehend – wenn auch beschränkt – aufrechterhalten. Die hier angefochtenen Straßensperrungen, …, schließen auf den betroffenen Straßen in keinem Fall und zu keiner Zeit den gesamten Kraftfahrzeugverkehr aus.“ Statt vieler Peine DÖV 1978, 835, 838; Papier Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl 1998, 107; Steiner DVBl 1992, 1561, 1564 f. S einerseits Schnebelt/Sigel Straßenrecht, 2. Aufl 2004, Rn 105 ff; OVG Rh-Pf NVwZ-RR 2004, 70 f, andererseits unten Rn 51. Vgl BVerwGE 95, 333 ff; BVerwG NVwZ-RR 2003, 102 f; eingehend Manssen DVBl 1997, 633, 636 f. S BVerwGE 91, 168 ff; sowie HessVGH NJW 1997, 1522 f einerseits und OVG NRW NWVBl 1997, 252 ff andererseits. Umfassend dazu Hillgruber VerwArch 89 (1998) 93 ff und Schmidt/Henke VR 1999, 280 ff. So zutreffend Hentschel NJW 2001, 1901, 1903 f; ders NJW 2002, 1237, 1240 mwN. So Papier (Fn 26) 108; Steiner DVBl 1992, 1561, 1564; ders JuS 1984, 1, 5.

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verfolgte planungsrechtliche Zielsetzung gegenüber jedem situativ-ordnungsrechtlichen Bezug einer solchen Vorgehensweise derart deutlich in den Vordergrund, dass § 45 Abs 1 b S 1 Nr 2 a StVO insoweit keine zureichende Rechtsgrundlage bildet. In einer vielbeachteten 32 jüngeren Entscheidung schließt das Bundesverwaltungsgericht eine mosaikartige flächendeckende Überspannung einer Innenstadt mit Parkbevorrechtigungszonen auf Grund von § 45 Abs 1 b S 1 Nr 2 StVO aF aus.33 Dogmatisch setzt das Bundesverwaltungsgericht bei der Abgrenzung zwischen dem Straßenverkehrsrecht und dem Stadtplanungsrecht an. Danach räumt § 45 Abs 1 b S 1 Nr 2 StVO aF der Straßenverkehrsbehörde die für eine flächendeckende Aufteilung einer Innenstadt in Parkbevorrechtigungszonen erforderliche städteplanerische Entscheidungsbefugnis nicht ein.34 Diese Norm stellt vielmehr eine rein ordnungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage dar,35 um konkrete Einzelmaßnahmen zum Schutz jeweils betroffener Anwohner durchführen zu können.36 Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist vollauf zuzustimmen.37 Mit der Abgrenzung des Straßenverkehrsrechts zum Stadtplanungsrecht ist allerdings nur ein Teilaspekt der Problematik von Anwohnerparkzonen angesprochen. So ist der Gemeinde zwar im Einklang mit Art 28 Abs 2 S 1 GG aufgrund § 1 Abs 3 iVm § 9 Abs 1 Nr 11 BauGB die Befugnis vorbehalten, aus städtebaulichen und verkehrspolitischen Gründen im Bebauungsplan Anwohnerparkflächen festzusetzen.38 Die vom Gericht unbeantwortete Frage ist jedoch, durch welche Maßnahme der zuständigen Behörde derartige Festsetzungen verwirklicht werden.39 Diese Problematik berührt wiederum den Vorbehalt des Straßenrechts und den Vorrang des Straßenverkehrsrechts. Die Abgrenzung der Materien ist nach dem Regelungszweck der behördlichen Maßnahme zu treffen.40 Die Umsetzung einer städteplanerischen Entscheidung der Gemeinde zu Anwohnerparkzonen erfolgt aufgrund eines straßenrechtlichen Statusaktes der Straßenbaubehörde, weil das Nutzungsstatut der 32

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Die Entscheidung aufgreifend: OVG NRW NWVBl 2000, 96 f; HessVGH NJW 1999, 1651 ff; vgl auch Vahle DVP 1998, 437; Winkler JA 1999, 639 ff; Welge ZG 1999, 77 ff. BVerwGE 107, 38, 42 → JK StVG § 6/1; auch wenn sich die Entscheidung auf § 45 Abs 1 b S 1 Nr 2 StVO aF bezieht, so hat sie im Hinblick auf das hier zu behandelnde Problem die gleiche Bedeutung auch für § 45 Abs 1b S 1 Nr 2 a StVO. BVerwGE 107, 38, 44 → aaO. BVerwGE 107, 38, 43 f; daran ändert auch die Verwendung des Begriffs „Kennzeichnung“ in der Norm nichts, denn sie ist gesetzeskonform nach § 6 Abs 1 Nr 14 StVG auszulegen; vgl hierzu Gielen JR 1998, 496, 497; anders Hofmann NWVBl 1999, 390, 391. BVerwGE 107, 38, 43 f. Ablehnend: Hofmann NWVBl 1999, 390 ff; Schwerdtner NVwZ 1998, 1265 f. Zur Befugnis der Gemeinden, gemäß § 1 Abs 3 iVm § 9 Abs 1 Nr 11 BauGB durch bauplanerische Festsetzungen eine gemeindliche „Verkehrspolitik“ zu betreiben, s BVerwG, NVwZ-RR 1998, 217. Von dieser Befugnis wird auch die Schaffung von Anwohnerparkflächen erfasst. Die damit einhergehende Privilegierung der Anwohner erscheint mit dem Normzweck des § 9 Abs 1 Nr 11 BauGB prinzipiell vereinbar, jedoch dürfte eine flächendeckende Überspannung des Gemeindegebietes diesen Rahmen sprengen; Möglichkeiten de lege ferenda zeigen Peter J. Tettinger/Peter Tettinger NZV 1998, 481, 486f auf. Vgl hierzu Dannecker DVBl 1999, 143 ff. Vgl bereits Hillgruber VerwArch 89 (1998) 93, 103; Dannecker DVBl 1999, 143, 146.

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Straße beschränkt wird.41 Fehlt eine städteplanerische Entscheidung der Gemeinde, kann der straßenrechtliche Statusakt auch isoliert für einzelne Straßen ergehen. Bedarf es aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs konkreter Einzelmaßnahmen zum Schutz der jeweils betroffenen Anwohner, ist die Straßenverkehrsbehörde nach § 45 Abs 1 b S 1 Nr 2 a StVO zuständig.

3. Strukturmerkmale des Gesetzesvollzuges a) Verfassungsrechtliche Vorgaben Der Vollzug des Straßenrechts wird in mehrfacher Hinsicht von verfassungsrecht- 9 lichen Vorgaben geprägt. Dies gilt für die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten ebenso wie für die Verwaltungskompetenzen. Während Art 74 Abs 1 Nr 22 GG dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit für das Straßenverkehrsrecht umfassend zugewiesen und dieser von seiner Befugnis durch den Erlass des Straßenverkehrsgesetzes sowie der StVO und der StVZO 42 abschließend Gebrauch gemacht hat,43 verleiht ihm Art 74 Abs 1 Nr 22 GG straßenrechtliche Rechtsetzungsbefugnisse nur für „den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr“. Hiermit sind in Abgrenzung zur Wasserstraße und dem schienengebundenen Verkehr solche Landverkehrswege gemeint, die ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bilden und dem weiträumigen Verkehr zu dienen bestimmt sind, also Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Während die Länder Gesetzgebungsbefugnisse im Bereich der Bundesfernstraßen demnach nur insoweit beanspruchen können, als das Bundesrecht Abweichungsvorbehalte zugunsten der Länder vorsieht oder der Bund seine Kompetenz nicht ausgeschöpft hat,44 verfügen die Länder über die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für alle sonstigen Straßen, namentlich für die Landes-, Kreis-, und Gemeindestraßen. In Anlehnung an einen dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG) nachgebildeten Musterentwurf haben die Länder eigene Landesstraßengesetze erlassen, die in Struktur und Regelungsgehalt weit reichende Parallelen aufweisen.45 Die Zuweisung der straßenrechtlichen Verwaltungskompetenzen erfolgt entspre- 10 chend der bundesstaatlichen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten für das Bundesfernstraßenrecht durch Bundesrecht und für das Landesstraßenrecht durch landesrechtliche Vorschriften. So bestimmt Art 90 Abs 2 GG für die Bundesautobahnen und die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs, dass die Länder oder die 41

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Hierzu auch Dannecker DVBl 1999, 143, 148 ff; kritisch dagegen Koch/Mengel NuR 2000, 1, 7 f. Straßenverkehrsgesetz idF v 5. 3. 2003 (BGBl I 310, ber. 919), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818); Straßenverkehrs-Ordnung v 16. 11. 1970 (BGBl I 1565), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818); Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung idF v 28. 9. 1988 (BGBl I 1793), zul geänd am 21. 6. 2005 (BGBl I 1818). BVerwGE 56, 56, 58; 23, 325, 328; BVerwG DVBl 1979, 155, 156. S § 5 Abs 4 S 4 FStrG einerseits und Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Hrsg), Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl 1998, Einleitung Vor § 1, sub II. andererseits. S Krämer in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 2, Rn 37.2; dies gilt auch für die Straßengesetze der neuen Bundesländer, s bsplsw Zörner LKV 1997, 160 ff.

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nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften 46 die Verwaltung im Auftrag des Bundes wahrnehmen. Diese besondere, in Art 85 GG geregelte Form der Landesverwaltung von Bundesgesetzen sichert dem Bund weitgehende Einwirkungsrechte auch auf die Zweckmäßigkeit des Vollzuges.47 Zu diesem Zweck kann der Bund mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften nach Art 85 Abs 2 S 1 GG erlassen,48 Bericht und Vorlage der Akten verlangen sowie Beauftragte zu allen Behörden entsenden, Art 85 Abs 4 S 2 GG. Vor allem unterstehen die Landesbehörden von vornherein den Weisungen des Bundes, durch die der Bund die Befugnis zur Sachbeurteilung und -entscheidung eigenständig wahrnehmen kann.49 Gegenständlich erstreckt sich die Bundesauftragsverwaltung neben der Hoheitsverwaltung einschließlich der Straßenaufsicht auf die Vermögensverwaltung.50 Auf dem Gebiet der Hoheitsverwaltung hat sich der Bund zum Beispiel – den länderübergreifenden Planungserfordernissen entsprechend – die Bestimmung der Planung und Linienführung von Bundesfernstraßen in § 16 Abs 1 FStrG vorbehalten. Die Verwaltungsbefugnisse des Bundes nach Art 90 Abs 2 GG werden durch die Reichweite seiner Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Straßenrechts begrenzt. 51 Nicht mehr von der Auftragsverwaltung erfasst ist daher eine vom Bund gegenüber dem Land erfolgte Weisung zur Abstufung einer Bundesstraße, denn hiermit wird vom Land nicht nur die Herausnahme der Straße aus einer Klasse nach Bundesrecht, sondern zugleich die Einstufung in eine Straßenklasse nach Landesrecht verlangt. 52 Mit ihrem zweiten Teil verlässt eine solche Weisung den Kompetenzbereich des Bundes 46

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Dies betraf nur NRW, denn dort lag die Zuständigkeit bei den Landschaftsverbänden. Mit dem zweiten Modernisierungsgesetz vom 9. 5. 2000 (GV NRW 462) wurde die Straßenbauverwaltung jedoch auf das Land übertragen. Die hiergegen von Landschaftsverbänden eingelegten zulässigen Verfassungsbeschwerden blieben erfolglos, NWVerfGH NVwZ-RR 2001, 617 ff. Vgl hierzu auch Ehlers DVBl 2001, 1601 ff, der den Beschwerden bereits die Zulässigkeit abspricht. S zur Bundesauftragsverwaltung: Jochum DÖV 2003, 16 ff; speziell zur Vertragsabschluss-/ Prozessführungsbefugnis in der Bundesauftragsverwaltung: Nicolaus NVwZ 2003, 929 ff. Die 1. und 2. AVV für die Auftragsverwaltung der Bundesstraßen zum Umfang, den Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten der Auftragsverwaltung bzw der Mittelbewirtschaftung, Rechnungslegung und Rechnungsprüfung v 3. 5. 1951, VkBl 1951, 230 und v 11. 2. 1956, VkBl 1956, 109 sind heute weitgehend überholt. Zur Bedeutung von Art 85 Abs 2 S 1 GG siehe von Danwitz DÖV 2001, 352, 355 ff. BVerfGE 102, 167, 172 → JK GG Art 85 III/2; 81, 310, 331 f; 84, 25, 31 f → JK GG Art 85 III/1; s gleichfalls BVerwGE 52, 226, 229; 52, 237, 241; vgl auch Bartlsperger in: BK, Art 90 Rn 71, 81 und 95; Wolst Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, Schriftenreihe Straßenrecht der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen eV, 1974, passim. BVerwGE 62, 342, 344; BayVGH DÖV 1983, 602. Zu dem Grundsatz, dass die Verwaltungskompetenzen des Bundes nicht weiter reichen dürfen als seine Gesetzgebungsbefugnisse, BVerfGE 12, 205, 229; 15, 1, 16; 78, 374, 386 → JK GG Art 103 II/2. BVerfGE 102, 167, 174 → aaO; zustimmend Hermes JZ 2001, 92 ff; Beaucamp JA 2001, 286 ff; kritisch zu diesem Urteil Heitsch DÖV 2002, 368 ff; aA vor der Entscheidung, Grupp, in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 2 Rn 55; Krämer in Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 2 Rn 28.51.

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und greift in den Gesetzgebungs- und daher auch den Verwaltungsraum des Landes über.53 Der Bund hat nur die Möglichkeit, die Bundesfernstraße einzuziehen oder unverzüglich dem Träger der Straßenbaulast zu überlassen.54 Neben der Bundesauftragsverwaltung hat die Verwaltungspraxis vielfältige Formen der freiwilligen Kooperation und nichtförmlichen Koordinierung zwischen Bund und Ländern entwickelt.55 Aus Art 104 a Abs 2 und 5 S 1 GG folgt, dass die Länder die Personal- und Sachkosten für ihre Verwaltung treffen, während der Bund die Zweckausgaben zu tragen hat (sog finanzielle Straßenbaulast). Die in Art 90 Abs 3 GG auf Antrag eines Landes vorgesehene Möglichkeit, die in ihrem Gebiet liegenden Bundesfernstraßen in bundeseigene Verwaltung zu übernehmen, ist bisher nicht realisiert worden. Die behördliche Zuständigkeit für den Vollzug des Landesstraßenrechts richtet 11 sich nach der jeweiligen Straßenklasse. Die Zuordnung erfolgt nach den tatsächlichen Verkehrsverhältnissen oder einer Zweckbestimmung des Trägers der Straßenbaulast.56 Für die Kategorie der Staats-, Land- bzw Landesstraßen sind grundsätzlich Landesbehörden zuständig,57 während die Gemeinden über die Vollzugskompetenz für die Gemeindestraßen verfügen 58 und die Kreise bzw kreisfreien Städte grundsätzlich für die Kreisstraßen zuständig sind.59 Gerade für diese sieht das Landesrecht mitunter die Übernahme des Vollzuges durch das Land vor.60 § 56 Abs 3 StrWG NRW sieht weitergehend sogar die Möglichkeit vor, dass die Landesbehörden, Kreise und Gemeinden untereinander Vereinbarungen über die Übertragung ihrer Aufgaben treffen können. b) Straßenbau- und Straßenaufsichtsbehörden Die straßenrechtlichen Verwaltungsstrukturen werden durch die Unterscheidung 12 zwischen den Straßenaufsichts- und den Straßenbaubehörden in besonderer Weise geprägt. Sie beruht wiederum auf der dogmatischen Gegenüberstellung von 53 54 55 56

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S hierzu Hermes JZ 2001, 92, 93 f; ablehnend Heitsch DÖV 2002, 368, 373 f. S den aufgrund von BVerfGE 102, 167 ff geänderten § 2 Abs 4 FStrG. S dazu eingehend Zech DVBl 1987, 1089, 1093 f. So jedenfalls ausdr § 3 Abs 2–4 StrWG NRW; § 3 Abs 1, 2 StrG BW; Art 3 Abs 1 BayStrWG; § 18 BerlStrG; § 3 Abs 2–4, 6 Bbg-StrG; § 3 Abs 1 HessStrG; § 3 StrWG MV; § 3 Abs 1 NdsStrG; § 3 LStrG RP; § 3 Abs 1 SächsStrG; § 3 Abs 1 StrG LSA; § 3 Abs 1 ThürStrG; hierzu am Beispiel des Thüringer Straßengesetzes Brenner LKV 1998, 369, 370 f mwN zu den Grenzen dieser Zweckbestimmung. In den einzelnen Bundesländern liegen unterschiedliche Begrifflichkeiten vor: § 56 Abs 2 Nr 1 StrWG NRW; § 50 Abs 3 Nr 1 StrG BW; § 46 Abs 2 lit a BbgStrG; § 46 Abs 1 HessStrG; § 53 StrWG MV; § 49 Abs 3 Nr 1 LStrG RP; § 43 ThürStrG (Landesstraßen); Art 58 Abs 2 Nr 1 BayStrWG; § 47 Abs 3 Nr 1 SächsStrG (Staatsstraßen); § 56 Abs 2 Nr 1 SaarlStrG (Landstraßen). § 56 Abs 2 Nr 3 StrWG NRW; § 50 Abs 3 Nr 3 StrG BW; Art 58 Abs 2 Nr 3 BayStrWG; § 46 Abs 2 lit c BbgStrG; § 46 Abs 5 HessStrG; § 57 Abs 5 StrWG MV; § 49 Abs 3 Nr 2 LStrG RP; § 56 Abs 2 Nr 2 SaarlStrG; § 47 Abs 3 Nr 3 b SächsStrG; § 49 Abs 2 S 2 StrG LSA; § 47 Abs 2 ThürStrG. S bsplsw § 56 Abs 2 Nr 2 StrWG NRW; § 50 Abs 3 Nr 2 StrG BW; Art 58 Abs 2 Nr 2 BayStrWG; §46 Abs 2 lit b) BbgStrG. Art 59 BayStrWG; § 46 Abs 3 BbgStrG; § 58 StrWG MV; § 53 StrWG SH; § 47 Abs 3 ThürStrG; dazu näher Krämer in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 2, Rn 35.

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7. Kap I 3 b

Thomas von Danwitz

Straßenbaulast und Straßenaufsicht, die letztlich nur historisch zu erklären ist.61 Heute entfaltet sie ihren eigentlichen Sinn nur noch in den seltenen Fällen, in denen ein Privatmann Träger der Straßenbaulast ist.62 Mit der Übernahme der Straßenbaulast als staatliche bzw kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge ist die ursprüngliche Notwendigkeit einer scharfen Trennung zwischen der Baulast und der Straßenaufsicht weitgehend entfallen, zumal den Straßenbaulastträgern heutzutage auch Aufgaben wie die Widmung und die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen zugefallen sind, die früher als wegepolizeiliche Befugnisse angesehen wurden.63 Als Verwaltungsorgan des jeweiligen Straßenbaulastträgers nehmen die Straßen13 baubehörden alle aus der Straßenbaulast resultierenden Aufgaben wahr. So sind sie vor allem verpflichtet, die Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu errichten, um- und auszubauen, zu verbessern sowie zu unterhalten.64 Hinzu treten weitere hoheitliche Aufgaben auf Grund der Straßengesetze, so dass man allgemein von einer Konzentration der straßenrechtlichen Vollzugsaufgaben in der Hand der Straßenbaubehörden sprechen kann.65 Den Straßenaufsichtsbehörden obliegt es demgegenüber, die staatliche Aufsicht 14 über den jeweiligen kommunalen oder staatlichen Träger der Straßenbaulast auszuüben. So überwachen sie namentlich die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung des Straßenbaulastträgers zur baulichen Herstellung oder Unterhaltung der Straßen in einem Zustand, der dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entspricht.66 Art und Umfang der Aufsichtsbefugnisse sind in den Straßengesetzen unterschiedlich ausgestaltet worden. So folgt aus der von Art 90 Abs 2 GG angeordneten Bundesauftragsverwaltung für die Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen einschließlich der Ortsdurchfahrten, dass sich die Aufsicht gem Art 85 Abs 4 S 1 GG auf die Recht- und Zweckmäßigkeit des Gesetzesvollzuges erstreckt.67 Demgegenüber ist die Straßenaufsicht in einigen Landesstraßengesetzen umfassend auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Vollzuges beschränkt worden,68 während diese Einschränkung in anderen Landesstraßengesetzen nur gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften eingreifen soll.69 Im Gegensatz dazu sieht § 50 Abs 2 StrG RP sogar vor, dass sich die Straßenaufsicht für Ortsdurchfahrten auch gegenüber Selbstverwaltungskörperschaften auf die Zweckmäßigkeit des Gesetzesvollzuges erstreckt.

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S dazu Rinke in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 12, Rn 2. S die ausdr Regelung der Straßenbaulast privater Grundstückseigentümer in Art 55 BayStrWG. S bsplsw §§ 6 Abs 2 S 1, 18 Abs 1 S 2 StrWG NRW. Vgl § 9 Abs 1 StrWG NRW; § 9 Abs 1 StrG BW; Art 9 Abs 1 BayStrWG. Vgl Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 13. S bsplsw § 53 Abs 1 iVm § 9 Abs 1 StrWG NRW; § 48 Abs 1 iVm § 9 Abs 1 StrG BW; Art 62 iVm Art 9 Abs 1 BayStrWG. Vgl dazu Bartlsperger in: BK, Art 90 Rn 56–62; dagegen Krämer in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 2, Rn 23 ff; Zech DVBl 1987 1089, 1094 f. So in § 53 Abs 2 S 3 StrWG NRW; § 44 Abs 2 S 3 BbgStrG; § 49 Abs 2 S 2 HessStrG; § 46 Abs 1 S 2 StrG LSA. So ausdr gem § 48 Abs 2 und 3 StrG BW; Art 62 Abs 2 und 3 BayStrWG; § 52 Abs 1 S 2 StrWG MV; § 49 Abs 2 SächsStrG; § 48 Abs 1 S 2 ThürStrG.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap I 4 a

c) Straßenverkehrsämter Unabhängig von der behördlichen Vollzugsstruktur des Straßen- und Wegerechts 15 obliegt die administrative Durchführung des Straßenverkehrsrechts gem § 44 Abs 1 S 1 StVO, § 68 Abs 1 S 1 StVZO den vom Landesrecht bestimmten unteren Verwaltungsbehörden. Die regelmäßig bei den Kreisen und kreisfreien Städten angesiedelten Straßenverkehrsämter sind für die Einhaltung der Zulassungsvorschriften sowie die Regelungen über die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zuständig. Nach § 44 Abs 1 S 2 StVO unterliegen sie dem Einzelweisungs- und Selbsteintrittsrecht der höheren Verwaltungsbehörden sowie der obersten Landesbehörden.70 Wegen ihrer unzureichenden Personalausstattung kommt den konkurrierenden Vollzugsbefugnissen der Polizeibehörden in der Praxis jedoch die größere Bedeutung zu.71

4. Sachenrechtliche Grundprinzipien des öffentlichen Straßenrechts Auf Grund seiner traditionellen Entwicklung wird das öffentliche Straßenrecht in besonderem Maße von bestimmten Strukturprinzipien beherrscht, die ihm seit jeher seine eigene Prägung vermittelt haben und deshalb eine unverzichtbare Voraussetzung für das Verständnis dieser Rechtsmaterie darstellen. a) Öffentlicher Sachstatus der Straße Der besondere rechtliche Status einer Straße als öffentliche Sache 72 erklärt sich 16 zunächst auf Grund ihrer Indienststellung zur unmittelbaren Erfüllung eines öffentlichen Zwecks. Hiermit verbunden ist auch die Notwendigkeit, ihre Nutzung durch die Öffentlichkeit zur Erfüllung ihrer spezifischen Gemeinwohlfunktion umfassend gewährleisten zu können. Das Regime des öffentlichen Sachenrechts wird daher namentlich von der Zielsetzung bestimmt, Möglichkeiten einer zweckwidrigen Nutzung dieser in Formen des öffentlichen Rechts erbrachten Verwaltungsleistung auszuschließen 73 und den öffentlichen Nutzungszweck einer Sache gegenüber dem Rechtsverkehr dadurch abzusichern, dass sie einem verwaltungsrechtlichen Sonderstatus unterstellt wird. Die tatsächliche Indienststellung und Benutzung einer Straße durch die Öffentlichkeit sind notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen dafür, dass ihr der Sonderstatus einer öffentlichen Sache zukommt. Vielmehr wird der öffentliche Sachstatus einer Straße entscheidend durch den hoheitlichen Rechtsakt der Widmung begründet, der in den Straßengesetzen von Bund und Ländern 70

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Fachaufsichtliche Weisungen nach § 44 Abs 1 S 2 können auf die Entfaltung von Außenrechtswirkung gerichtet sein und demgem einen für die betroffene Gemeinde anfechtbaren Verwaltungsakt darstellen, s BVerwG NVwZ 1995, 910 → JK VwVfG § 35 I/18; VGH BW DVBl 1994, 348, 349; Steiner VerwArch 86 (1995) 173, 182f; Manssen DVBl 1997, 633, 639. So schon Salzwedel (Fn 5) Rn 13. Allgemein zum Begriff und Wesen der öffentlichen Sachen Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 40 Rn 1 ff. Vgl dazu Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 1; Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 24.

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7. Kap I 4 b

Thomas von Danwitz

seine förmliche Ausgestaltung erfahren hat.74 Der öffentliche Sachstatus einer Straße ergibt sich also aus der durch Rechtssatz oder Verwaltungsakt erfolgenden Begründung der spezifischen Eigenschaft einer Straße, dem öffentlichen Verkehr zu dienen. Diese Funktionsbestimmung ist mit der Formulierung anschaulich auf den Punkt gebracht worden, dass die Widmung als Kreationsakt der öffentlichen Straße anzusehen ist.75 b) Die dualistische Vorstellung vom modifizierten Privateigentum 17 Die spezifische Ausschlussfunktion der Widmung gegenüber zweckwidrigen Nutzungen oder rechtsgeschäftlichen Verfügungen, die der öffentlichen Sacheigenschaft zuwiderlaufen, wird besonders deutlich, wenn man die Primärfunktion der Widmung als Verleihungsakt der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft betrachtet. Sie gibt dem öffentlichen Sachherrn die Befugnis, die Eigentümerrechte in solchem Maße zurückzudrängen, wie es zur Aufrechterhaltung des Widmungszweckes erforderlich ist.76 Auf der Grundlage dieses konkreten Funktionszusammenhanges von Widmung und öffentlich-rechtlicher Sachherrschaft lässt sich der Umfang der erforderlichen Verdrängung des bestehenden Privateigentums am jeweiligen Straßengrundstück nicht ohne weiteres bestimmen. Daher hat sich die Erkenntnis nicht durchzusetzen vermocht, dass eine vollständige Aufhebung des privatrechtlichen Eigentums durch Begründung eines öffentlichen Sacheigentums, wie es bereits Otto Mayer in Anlehnung an das Institut des domaine public des französischen Rechts entwickelt hatte,77 zur Gewährleistung der öffentlichen Sachherrschaft unabdingbar sei. Demgemäß stellt das Rechtsinstitut des öffentlichen Eigentums im geltenden Recht nur eine Ausnahmeerscheinung 78 von marginaler Bedeutung dar.79 Demgegenüber wird die durch die Widmung begründete öffentliche Sachherr18 schaft allgemein mit einem beschränkt dinglichen Recht verglichen, das keine voll-

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Die entspr Regelungen finden sich in § 2 FStrG; § 6 StrWG NRW; § 5 StrG BW; Art 6 BayStrWG; § 3 BerlStrG; § 6 BbgStrG; § 5 BremLStrG; § 6 HambWG; § 4 HessStrG; § 7 StrWG MV; § 6 NdsStrG; § 36 LStrG RP; § 6 SaarlStrG; § 6 SächsStrG; § 6 StrG LSA; § 6 StrWG SH; § 6 ThürStrG. So Axer (Fn 13) 57. S Axer (Fn 13) 117. Vgl Otto Mayer AöR 21 (1907) 499 ff; ders AöR 39 (1920) 77 ff. In Hamburg besteht gem § 4 Abs 1 HambWG öffentliches Eigentum an Grünflächen, die als öffentliche Wege gewidmet sind und der Freien und Hansestadt Hamburg gehören, sowie an bestimmten Deichgrundstücken, s § 4 a Abs 1 des Hamburgischen Wassergesetzes (HWaG) v 20. 6. 1960 (GVBl 1960, 335), zul geänd am 17. 12. 2002 (GVBl 2002, 347), und § 2 des Hamb Gesetzes zur Ordnung deichrechtlicher Verhältnisse v 29. 4. 1964 (GVBl 1964, 79). Gleiches gilt in Baden-Württemberg nach § 4 Abs 1 WG BW idF v 20. 1. 2005 (GBl 2005, 219, ber 404) für das Flussbett der Gewässer I. und II. Ordnung. Inwieweit daraus praktische Unterschiede zur Theorie vom modifizierten Privateigentum resultieren, ist durchaus zweifelhaft, bsplsw gelten nach § 5 S 1 WG BW für das öffentliche Eigentum die Vorschriften über das bürgerliche Recht, sofern die Zweckbestimmung der öffentlichen Gewässer und wasserrechtliche Beschränkungen nicht entgegenstehen. Vgl Axer (Fn 13) 43 f.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap I 4 c

ständige Verdrängung des bürgerlich-rechtlichen Sacheigentums bewirkt, sondern es nur in dem Maße überlagert, das zur Erreichung des öffentlichen, in der Widmung bestimmten Zweckes erforderlich ist.80 Diese dualistische Vorstellung vom Nebeneinander des privatrechtlichen Eigentums und der öffentlichen Sachherrschaft,81 die weithin mit einer Dienstbarkeit gem §§ 1018 ff BGB verglichen worden ist,82 führt in der praktischen Konsequenz dazu, dass den Eigentümer eine weit reichende Duldungspflicht für alle von der Widmung erfassten Nutzungen trifft und die zuständigen Behörden auf Grund der mit der Sachherrschaft begründeten Wegehoheit berechtigt sind, alle zur Verwirklichung des Widmungszweckes gebotenen Maßnahmen durchzuführen. Dies sind vor allem die mit der Unterhaltung der öffentlichen Straße zusammenhängenden Aufgaben. Eine darüber hinausreichende Inanspruchnahme des Straßeneigentums richtet sich nach privatem Recht und ist daher regelmäßig von der Zustimmung des Straßeneigentümers abhängig, der dafür ein privatrechtliches Entgelt verlangen kann. Forderungen des innerstädtischen Einzelhandels nach einer Übertragung des Hausrechts an Einkaufsstraßen zur Fernhaltung unwillkommenen Publikums im Wege des sog Straßenpachtmodells scheitern an den öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Eigentums, die die Widmung mit sich bringt. Privatrechtliche Rechtsgeschäfte über gewidmete Straßen sind nur insoweit möglich, als sie die öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung der Straße nicht beeinträchtigen.83 c) Das Prinzip der förmlichen Widmung Angesichts der zentralen Funktion, die der Widmung für eine Bestimmung der 19 Rechts- und Nutzungsverhältnisse an öffentlichen Straßen zukommt, ist es geradezu als Ausdruck der Rechtssicherheit anzusehen, dass die Widmung in den jeweiligen Straßengesetzen eine förmliche Ausgestaltung erfahren hat.84 Die Straßengesetze von Bund und Ländern sehen die Widmung durch Verwaltungsakt als die regelmäßige Rechtsform der Widmung öffentlicher Straßen vor, woraus sich wesentliche Konsequenzen für die von ihr ausgelösten Rechtswirkungen und den Rechtsschutz ergeben. 80

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BGHZ 21, 319, 327; 19, 85, 90; 9, 373, 380 ff; VG Köln NJW 1991, 2584, 2586, dazu Manssen JuS 1992, 745 ff und Axer NWVBl 1992, 11 ff; Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 40 Rn 18. Vgl § 2 Abs 3 FStrG; § 6 Abs 6 StrWG NRW; § 5 Abs 8 StrG BW; Art 6 Abs 5 BayStrWG; § 10 Abs 1 BerlStrG; § 6 Abs 8 BbgStrG; § 5 Abs 5 BremLStrG; § 6 Abs 4 HambWG; § 4 Abs 4 HessStrG; § 7 Abs 6 StrWG MV; § 6 Abs 4 NdsStrG; § 36 Abs 6 LStrG RP; § 6 Abs 5 SaarlStrG; § 6 Abs 6 SächsStrG; § 6 Abs 6 StrG LSA; § 6 Abs 6 StrWG SH; § 6 Abs 6 ThürStrG. Dagegen mit guten Gründen Axer (Fn 13) 112 ff. Entweder das Geschäft ist nach § 134 BGB nichtig oder die Geltendmachung der der Widmung zuwiderlaufenden Rechtspositionen ist unzulässig, s zum Meinungsstand: Pielow in Stober/Olschok (Hrsg), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts 2004, F III Rn 32 ff; Finger/Müller NVwZ 2004, 953 ff mwN. § 2 FStrG; § 6 StrWG NRW; § 5 StrG BW; Art 6 BayStrWG; § 3 BerlStrG; § 6 BbgStrG; § 5 BremLStrG; § 6 HambWG; § 4 HessStrG; § 7 StrWG MV; § 6 NdsStrG; § 36 LStrG RP; § 6 SaarlStrG; § 6 SächsStrG; § 6 StrG LSA; § 6 StrWG SH; § 6 ThürStrG.

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7. Kap II 1

Thomas von Danwitz

d) Formalisierungsprinzip 20 Als weitere Konsequenz aus der spezifischen Bedeutung der Widmung als Grundlage für die konkret bestehenden Rechts- und Nutzungsverhältnisse an der öffentlichen Straße sind Änderungen der Verkehrsfunktion, des Nutzungsumfanges und der straßenrechtlichen Klassifizierungen wie die Widmung selbst einer Durchführung förmlicher Verfahren vorbehalten. Diese Formalisierung hat zur Anerkennung dieser Veränderungen als eigenständige Rechtsinstitute und zu ihrer näheren Ausgestaltung in den Straßengesetzen von Bund und Ländern geführt, für die sich die Bezeichnungen „Widmungserweiterung“, „Teileinziehung“, „Umstufung“ und „Einziehung“ eingebürgert haben.85

II. Planung und Bau öffentlicher Straßen 21 Das Straßenrecht umfasst nicht nur die bereits angesprochene Bestimmung der straßenrechtlichen Nutzungsordnung durch die Widmung, sondern auch die zeitlich vorgelagerte Planung 86 und den Bau öffentlicher Straßen. Die Rechte und Pflichten, die sich aus der Widmung ergeben und die straßenrechtliche Nutzungsordnung als Kernbereich des Straßenrechts bestimmen, setzen die tatsächliche Existenz einer öffentlichen Straße nicht nur gedanklich voraus, sie werden vielmehr von der konkreten räumlichen Belegenheit der Straße und den angrenzenden Formen baulicher Nutzung maßgeblich geprägt. Diesen gleichsam „externen“ Entstehungsfaktoren einer öffentlichen Straße und ihrer Bewältigung im Rahmen von Planung und Straßenbau kommt daher gerade für die spezifische Ausgestaltung der jeweiligen Nutzungsform einer Straße vorentscheidende Bedeutung zu.87 Die öffentlichrechtliche Straßenplanung und der Straßenbau sind daher zu einem wesentlichen Bestandteil des Straßenrechts geworden. Der innere Zusammenhang von Planung, Bau und Widmung wird durch das sog Dreitaktprinzip der Entstehung öffentlicher Straßen anschaulich zum Ausdruck gebracht.88

1. Vorbereitende Stufen der Straßenplanung 22 Um eine sachgerechte Berücksichtigung aller planungserheblichen Gesichtspunkte erreichen zu können, ist der Gesamtvorgang der Straßenplanung in vier verschieden ausgerichtete, aufeinander aufbauende Planungsstufen zu unterteilen. Als erste Planungsstufe wird die sog Ausbau- und Bedarfsplanung für das gesamte Straßennetz durchgeführt. Auf der zweiten Stufe wird die Straße als raumbedeutsame Maßnahme einem Raumordnungsverfahren und ggf einer verfahrensintegrierten Umweltverträglichkeitsprüfung unter Einbeziehung der Öffentlichkeit unterzogen. Im 85 86 87

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S dazu eingehend Rn 47 ff. Allgemein zur Planung Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39. Vgl Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 20 und Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 58. So namentlich Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 58.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap II 1 a

Rahmen der dritten Planungsstufe erfolgt die Bestimmung der Linienführung der Straße, auf deren Grundlage abschließend als vierte Stufe die eigentliche straßenrechtliche Planfeststellung vorgenommen wird. Abgesehen vom Raumordnungsverfahren erfolgt die Straßenplanung im Wege einer sachspezifischen Fachplanung, die jedoch Belange anderweitiger Infrastrukturplanung 89 ebenso wie des Landschaftsund des Naturschutzes in vielfältiger Weise zu berücksichtigen hat. a) Ausbau- und Bedarfsplanung Die Ausbau- und Bedarfsplanung ist auf Grund der besonderen, über die bloße Ver- 23 kehrsfunktion hinausreichende Bedeutung öffentlicher Straßen für die Infrastruktur des Landes 90 als eine Entscheidung anzusehen, die für die Öffentlichkeit von allgemeinem Interesse und in einem so dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik daher von erheblicher politischer Relevanz ist.91 Straßenplanung ist demgemäß nur auf der Grundlage einer übergreifenden Gesamtplanung möglich, die den Bedürfnissen und Zielen eines zusammenhängenden Straßennetzes folgt und zugleich die Finanzierung des Straßenausbaus gewährleisten kann.92 Die politische Grundentscheidung über den Neu- und Ausbau des öffentlichen Straßennetzes wird in den von Bund und Ländern erlassenen Bedarfs- und Ausbauplänen getroffen, in denen auch eine entsprechende Prioritätensetzung dadurch vorgenommen wird, dass für die jeweiligen Vorhaben bestimmte Dringlichkeitsstufen festgesetzt werden.93 Während die Bedarfs- und Ausbauplanungen auf Bundesebene und zB in Nordrhein-Westfalen als förmliches Gesetz erlassen werden,94 sind sie in den übrigen Bundesländern als verwaltungsinterne Entscheidungen anzusehen.95 Über die Aufnahme eines Vorhabens in den Bedarfsplan ist nach verkehrspolitischem Ermessen zu entscheiden, wobei dieses erst dann verletzt wird, wenn überhaupt keine Notwendigkeit für eine solche Aufnahme ersichtlich ist.96

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Bsplsw Energierversorgungs- und Telekommunikationsleitungen, vgl Bartlsperger Straßen- und Wegerecht, in: Kimminich (Hrsg), Handbuch des Umweltrechts, 2. Aufl 1994, 1933. Vgl dazu Streit in: Bartlsperger/Blümel/Schroeter (Hrsg), Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, 1980, 1 ff. S namentlich Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 21 ff; Pappermann/Löhr/Andriske Recht der öffentlichen Sachen, 1987, 46 ff. S Rinke in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 32, Rn 1; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 21. Vgl dazu Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 60. S einerseits das Fernstraßenausbaugesetz des Bundes idF v 15. 11. 1993 (BGBl I 1878) zul geänd durch Gesetz v 4. 10. 2004 (BGBl I 2574), und andererseits das Gesetz über den Bedarf und die Ausbauplanung für Landstraßen idF v 20. 4. 1993 (GV NRW 297) zul geänd durch Gesetz v 9. 5. 2000 (GV NRW 462). So Peine JZ 1996, 350, 354; Schnebelt/Sigel (Fn 27), Rn 116. BVerwGE 107, 1, 9; 100, 238, 254 → JK UVP-RL Art 2/1; 98, 339, 347.

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7. Kap II 1 c

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b) Raumordnungsverfahren 24 Die konkrete Straßenplanung wird mit dem als zweitem Planungsschritt erfolgenden Raumordnungsverfahren eingeleitet.97 Im Rahmen dieses Verfahrens wird die geplante Straße, soweit sie als raumbedeutsames Vorhaben anzusehen ist,98 gem § 15 Abs 1 ROG frühzeitig mit den raumordnerischen Erfordernissen sowie anderen Planungen und Maßnahmen abgestimmt. Die in diesem Rahmen zunächst vorgesehene Durchführung einer verfahrensintegrierten, förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung ist durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz gestrichen worden, so dass keine bundesrechtliche Verpflichtung zur Durchführung einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung mehr besteht.99 Landesrechtlich ist demgegenüber eine Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens zum Teil auch weiterhin verpflichtend vorgesehen, zum Teil steht ihre Einbeziehung in das Raumordnungsverfahren im Ermessen der zuständigen Behörde.100 Neu ist die Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung im Sinne der Richtlinie über die Prüfung der Auswirkung bestimmter Pläne und Programme 101 sowohl auf Bundes- (gem § 18 a Abs 1 S 2 iVm § 7 Abs 5 ROG) als auch auf Landesebene (gem § 7 Abs 5 ROG). Neben der Umweltprüfung sind die in § 2 Abs 2 Nr 8 ROG genannten Umweltbelange in die raumordnerische Gesamtabwägung einzustellen.102 Darüber hinaus sehen die durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 eingeführten Vorschriften in §§ 4 und 5 ROG erstmalig ein System abgestufter Bindungswirkungen von Erfordernissen der Raumordnung iSv § 3 Nr 1 ROG im Verhältnis öffentlicher und privater Vorhabenträger vor. c) Bestimmung der Planung und Linienführung 25 Die nächste wichtige Konkretisierungsstufe der Straßenplanung wird mit der Bestimmung der „Planung und Linienführung“ von Bundesfernstraßen durch den Bundesverkehrsminister bzw von Landesstraßen durch die zuständige Landesplanungsbehörde verwirklicht.103 Dabei werden die Anfangs- und Endpunkte, der 97

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Allgemein zum Recht der raumbezogenen Planung Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 4 ff; sowie zum Raumordnungs- und Landesplanungsrecht umfassend → Krebs 4. Kap Rn 34 ff. Für eine der Planung und Linienführung nach § 16 FStrG unterliegende Bundesstraße wird dies gem § 17 Abs 2 ROG iVm § 1 S 3 Nr 8 ROV in der Regel angenommen. Jedoch wird eine gleichwohl durchgeführte UVP als zulässig angesehen, s Wagner in: Hoppe (Hrsg), Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, 2. Aufl 2002, § 16 Rn 62; Lewin Gestufte Planung von Bundesverkehrswegen 2003, S 78; vgl zu Neuerungen bzgl der UVP: Schlacke LKV 2003, 465 f. S die Übersicht bei Erbguth/Schink Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, 2. Aufl 1996, § 16. RL 2001/42/EG, ABl EG L 197, 30. Vgl hierzu auch → Breuer 5. Kap Rn 66 ff mwN. Bundesrechtlich ist dies gem § 16 Abs 1 FStrG vorgesehen, landesrechtlich in § 37 StrWG NRW; § 35 BbgStrG; § 37 NdsStrG; § 4 LStrG RP. Obwohl in den übrigen Landesstraßengesetzen eine gesetzliche Normierung der Linienführung fehlt, wird sie als sachlich unverzichtbar angesehen, so Rinke in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 33, Rn 5.3.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap II 2

grundsätzliche Verlauf der Trasse namentlich im Hinblick auf benachbarte Ortschaften, ihre Anbindung an das vorhandene Verkehrsnetz sowie die Grundsätze der technischen Gestaltung festgelegt.104 Ist die Umweltverträglichkeit des Vorhabens im Rahmen des Raumordnungsverfahrens noch nicht untersucht worden, erfolgt diese im Rahmen der Linienführung nach § 16 FStrG.105 Auch wenn mit diesen allgemeinen Festlegungen Verlauf und Gestalt der Straße noch nicht abschließend bestimmt sind, fallen mit der Bestimmung der Planung und der Linienführung wesentliche Vorentscheidungen für das allgemeine Profil der Straße und ihre Lage zu besonders schutzbedürftigen Bereichen.106 Aus ihrem Charakter als vorbereitende Grundentscheidung schließt das BVerwG in gefestigter Rechtsprechung, dass es ihr an hinreichender Bestimmtheit fehlt, um bereits in diesem Planungsstadium eine rechtliche Betroffenheit Dritter beurteilen zu können.107 Daher hat die Rechtsprechung gegen die Linienführung gerichtete Klagen von Gemeinden und Privaten auch als unzulässig abgewiesen. Soweit die Linienführung in die nachfolgende Planfeststellung eingeht, unterliegt sie mit dieser jedoch der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.108 Aus dieser bloß verwaltungsinternen Beachtlichkeit der Linienführung folgt allerdings auch, dass ihre Ergebnisse gegenüber Betroffenen keine präjudizierende Wirkung entfalten können.109

2. Die straßenrechtliche Planfeststellung Herzstück der gesamten Straßenplanung ist das straßenrechtliche Planfeststellungs- 26 verfahren.110 Seine besondere Funktion besteht darin, dass auf der Grundlage der vorbereitenden Planungsstufen nunmehr alle für die Planung maßgeblichen Umstände einer umfassenden Würdigung zugeführt werden und abschließend über die Zulässigkeit des geplanten Straßenvorhabens entschieden wird.111 Auf Grund der spezifischen Eignung, die das Planfeststellungsverfahren mit der ihm zukommenden Konzentrationsfunktion für die Straßenplanung aufweist, ist das Planfeststellungsverfahren sowohl für die Bundesfernstraßen nach § 17 Abs 1 S 1 FStrG als auch für

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S Rinke in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 33, Rn 2. § 15 Abs 1 S 1 UVPG; vgl Ronellenfitsch in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 16, Rn 32 ff; Lewin (Fn 99), S 76; s zur geplanten Einführung einer strategischen Umweltprüfung in das UVPG zur Umsetzung der RL 2001/42/EG (Fn 101): BT-Drucks 15/3441. So Rinke in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 33, Rn 2. BVerwGE 62, 342, 346f; 48, 56, 60. BVerwGE 104, 236, 252; 62, 342, 347 f; 48, 56, 60, 66 f; BVerwG NVwZ-RR 2002, 2; DÖV 1982, 203 f; VGH BW NVwZ-RR 1989, 349, 352; dazu Broß DÖV 1985, 253, 257 ff; Steinberg NVwZ 1983, 209 ff; Mecklenburg UPR 1997, 394 ff. So Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 62; eingehend dazu Ibler DVBl 1989, 76 ff. Allgemein zum Rechtsinstitut der Planfeststellung Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 14 ff; Peters Jura 1999, 327 ff; zur geschichlichen Entwicklung der Planfeststellung Blümel in: FS Hoppe, 2000, 3 ff. Vgl Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 64.

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7. Kap II 2

Thomas von Danwitz

die überörtlich bedeutsamen Staats-, Landes- oder Landstraßen I. Ordnung in den Landesstraßengesetzen 112 zwingend vorgesehen.113 Auch für Kreisstraßen wird die Planfeststellung überwiegend vorgeschrieben oder zugelassen.114 Für Gemeindestraßen ist die Planfeststellung verpflichtend, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, oder sie ist falkultativ eröffnet.115 Rechtsgrundlage der straßenrechtlichen Planfeststellung sind die einschlägigen Straßengesetze, deren spezifische Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren im Zuge der Rechtsbereinigung durch einen Verweis auf das allgemeine Planfeststellungsrecht der Landesverwaltungsverfahrensgesetze in den §§ 72 ff VwVfG teils ersetzt und teils ergänzt worden sind.116 Durch das Planungsvereinfachungsgesetz ist das bundesfernstraßenrechtliche Planfeststellungsverfahren mit dem Ziel neu gestaltet worden, das Verfahrensrecht zu vereinfachen und dadurch den Verwaltungsaufwand zu verringern.117 So sehen § 17 Abs 3 a, 3 b, 3 c und 4 FStrG verkürzte Fristen für Verfahrens- und Mitwirkungshandlungen von Behörden vor und sanktionieren diese mit Präklusionsanordnungen.118

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Eine Ausnahme bildet lediglich der Stadtstaat Hamburg, der das Instrumentarium des BauGB für ausreichend erachtete, s Dürr in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 34, Rn 3.1 (dort noch Hamburg und Berlin). § 38 Abs 1 StrWG NRW; § 37 Abs 1 S 1 StrG BW; Art 36 Abs 1 BayStrWG; § 20 Abs 1 S 1 BerlStrG; § 38 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 33 Abs 1 S 1 BremLStrG; § 33 Abs 1 S 1 HessStrG; §45 Abs 1 StrWG MV; § 38 Abs 1 S 1 NdsStrG; § 5 Abs 1 S 1 LStrG RP; § 39 Abs 1 S 1 SaarlStrG; § 39 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 37 Abs 1 S 1 StrG LSA; § 40 Abs 1 StrWG SH; § 38 Abs 1 S 1 ThürStrG. Zwingend vorgesehen nach § 38 Abs 1 StrWG NRW; § 20 Abs 1 BerlStrG; § 38 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 33 Abs 1 S 1 HessStrG; § 38 Abs 1 S 1 NdsStrG; § 5 Abs 1 LStrG RP; § 39 Abs 1 SaarlStrG; § 39 Abs 1 S 1 SächsStrG; – zwingend vorgesehen, wenn UVP erforderlich: Art 36 Abs 2, 3 BayStrWG; § 45 Abs 2 StrWG MV; § 40 Abs 2 StrWG SH; § 38 Abs 1 S 2 ThürStrG; – als Möglichkeit zugelassen: § 37 Abs 1 S 2 StrG BW; § 37 Abs 1 S 2 StrG LSA. Zwingend vorgesehen, wenn UVP erforderlich nach § 38 Abs 1 StrwG NRW; Art 36 Abs 2, 3 BayStrWG; § 45 Abs 2 S 2 StrWG MV; § 38 Abs 1 S 2, 3 NdsStrG; § 39 Abs 1 S 2 SächsStrG; § 40 Abs 2 StrWG SH; § 38 Abs 1 S 2 ThürStrG; – als Möglichkeit zugelassen nach § 37 Abs 1 S 2 StrWG BW; § 38 Abs 1 S 2 BbgStrG; § 33 Abs 1 S 2 HessStrG; § 5 Abs 5 LStrG RP; § 39 Abs 2 SaarlStrG; § 37 Abs 1 S 2 StrG LSA. Vgl dazu Dürr in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 35, Rn 1.1. Das Planungsvereinfachungsgesetz v 17. 12. 1993 (BGBl I 2123) ist in Fortschreibung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes v 16. 12. 1991 (BGBl I 2174), zul geänd am 29. 10. 2001 (BGBl I 2785), ergangen; vgl dazu Steiner NVwZ 1994, 313 ff; zur Verfahrensbeschleunigung und Deregulierung siehe Kern, in: FS Blümel 1999, 201 ff und Erbguth UPR 1999, 41 ff. Derartige Regelungen enthalten auch die Landesstraßengesetze, § 39 Abs 3 a StrWG NRW; § 39 Abs 3 BbgStrG; § 45 Abs 8 StrWG MV; § 37 Abs 6 StrG LSA; § 41 Abs 3 StrWG SH; § 38 Abs 5 ThürStrG; s dazu Sauthoff NVwZ 1994, 864, 868.

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7. Kap II 2 a

a) Grundstrukturen des Verfahrensablaufs Planfeststellungsverfahren 119 beginnen mit der sog Planaufstellung. Die jeweils zu- 27 ständige Straßenbaubehörde 120 erarbeitet auf der Grundlage der Linienführung zunächst einen genauen Plan des Straßenvorhabens, reicht diesen bei der Anhörungsbehörde 121 gem § 73 Abs 1 VwVfG ein und beantragt den Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses. Diese leitet das Anhörungsverfahren gem § 73 Abs 2 VwVfG 122 mit der Einholung der Stellungnahmen der Behörden ein, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt werden, und veranlasst die nach § 73 Abs 3 VwVfG erforderliche Auslegung des Planes in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird. Diese haben die Auslegung des Planes ortsüblich bekannt zu machen, § 73 Abs 5 VwVfG. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist ist jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, zur Erhebung von Einwendungen befugt; verspätet erhobene Einwendungen sind regelmäßig ausgeschlossen.123 In gewissem Umfang gilt dies auch für die Stellungnahme der fachlich betroffenen Behörden.124 Diese Präklusion bezieht sich auch auf ein evtl nachfolgendes verwaltungsgerichtliches Verfahren.125 Die Anhörungsbehörde führt sodann die Erörterung der erhobenen Einwendungen in einem vorher ortsüblich bekanntzumachenden Termin (§ 73 Abs 6 VwVfG) durch, soweit diese 119

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Zu den Besonderheiten des Planfeststellungsverfahrens ausführlich Badura in: Erichsen/ Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 32 ff. Sollte dies eine im Auftrag des Bundes handelnde Landesbehörde sein, so hat sie bestimmte Richtlinien, zB die Planfeststellungsrichtlinien 2002 (VkBl 2002, 803 ff) zu beachten. In der Regel sind dies die Bezirksregierungen als höhere Verwaltungsbehörden, s § 39 a Abs 1 StrWG NRW; § 35 Abs 1 HessStrG; § 38 Abs 5 NdsStrG; § 39 Abs 7 SächsStrG; anders gem Art 39 Abs 1 BayStrWG die Regierung; gem § 37 Abs 8 StrG BW das Regierungspräsidium; gem § 20 Abs 1 S 3–4 BerlStrG und § 33 Abs 9 BremLStrG der Senator für das Bauwesen; gem § 6 Abs 7 LStrG RP der Landesbetrieb für Straßen und Verkehr; gem § 40 Abs 2 SaarlStrG das Ministerium für Wirtschaft, Raumordnung und Bauwesen; nach § 39 Abs 11 BbgStrG und § 60 Abs 2 StrWG MV das Landesamt für Verkehr und Straßenbau; nach § 52 Abs 1 StrWG SH das Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr und nach § 38 Abs 6 ThürStrG das Landesverwaltungsamt. IVm den jeweiligen straßenrechtlichen Vorschriften: § 17 Abs 3 a FStrG; § 39 Abs 2 StrWG NRW; § 39 Abs 2 BbgStrG; § 35 Abs 1 S 1 HessStrG; § 39 Abs 3 SächsStrG; § 37 Abs 5 StrG LSA; § 41 Abs 2 StrWG SH. S bsplsw § 17 Abs 4 S 1 FStrG; § 39 Abs 3a S 1 StrWG NRW; dazu, dass die Auslegungsund Einwendungsfrist nicht zur Disposition der Anhörungsbehörde stehen, vgl BVerwG NVwZ-RR 1999, 162; zur Präklusion im Fernstraßenrecht Stüer DÖV 2003, 473 ff. § 17 Abs 4 S 3 FStrG; § 39 Abs 3 a S 3 StrWG NRW; § 39 Abs 3 S 3 BbgStrG; § 45 Abs 8 S 3 StrWG MV; § 37 Abs 6 S 3 StrG LSA; § 41 Abs 3 S 3 StrWG SH; § 38 Abs 5 S 3 ThürStrG. BVerwG NVwZ 1997, 489; zu dem Streit, ob dies schon zur Unzulässigkeit oder erst zur Unbegründetheit einer Klage führt, Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 30 und 41 mwN; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der materiellen Präklusion, Thiel DÖV 2001, 814, 817 ff; die Regelung des § 61 Abs 3 BNatSchG stellt eine eigenständige materielle Präklusionsnorm dar, die den allg. Regeln vorgeht, s BVerwG NVwZ 2004, 861 ff; der Eintritt der Präklusion erfasst auch Umstände, die die Planfeststellungsbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen hat, s BVerwG, Beschluss v 1. 4. 2005, Az 9 A 4/05 (zit nach Juris).

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7. Kap II 2 b

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nicht ausnahmsweise entbehrlich ist.126 In diesem Fall ist den Einwendern Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Abschließend gibt die Anhörungsbehörde zum Ergebnis des Anhörungsverfahrens eine Stellungnahme ab und leitet diese gem § 73 Abs 9 VwVfG mit dem Plan, den Stellungnahmen der Behörden und den nicht erledigten Einwendungen der Planfeststellungsbehörde zu. Auf dieser Grundlage stellt die Planfeststellungsbehörde 127 den Plan durch Planfeststellungsbeschluss gem § 74 Abs 1 VwVfG fest und entscheidet damit über die Zulässigkeit des Vorhabens mitsamt den erforderlichen Folgemaßnahmen und zugleich über die Einwendungen, über die bei der Erörterung vor der Anhörungsbehörde keine Einigung erzielt worden ist (§74 Abs 2 VwVfG). Der Beschluss ergeht in schriftlicher Form mit Begründung und ist dem Träger der Straßenbaulast und den Beteiligten, über deren Einwendungen entschieden wird, zuzustellen. Eine Zustellung an die „bekannten Betroffenen“, wie sie § 74 Abs 1 S 1 VwVfG verlangt, ist im spezielleren § 17 Abs 6 1. HS FStrG nicht vorgesehen.128 Darüber hinaus ist er in den vom Vorhaben betroffenen Gemeinden auszulegen.129 b) Rechtsnatur der Planungsentscheidung 28 Die im Planfeststellungsbeschluss getroffene Planungsentscheidung beruht im Kern auf der Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit der zuständigen Behörde,130 denn sie ist lediglich in ein grobmaschiges Netz normativer Vorgaben eingebunden.131 Die Behörde hat bei ihrer Entscheidung gemäß § 17 Abs 1 S 2 FStrG die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen. Ob im Rahmen der Planfeststellung eine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, richtet sich nach der Art und Größe des Vorhabens.132 Der Beurteilungsmaßstab hierfür ergibt sich bei Bundesstraßen aus den Normen des UVPG, bei den übrigen Straßen aus landesgesetzlichen Regelungen,133 die inzwischen die UVP-Richtlinie umgesetzt haben.134 126 127

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So bsplsw gem § 17 Abs 3 c S 3 FStrG; § 39 Abs 2 b S 3 StrWG NRW. Nach § 17 Abs 5 FStrG ist dies grds die oberste Landesstraßenbaubehörde, jedoch haben die Länder zT von der Möglichkeit abweichender Bestimmungen gem § 22 Abs 4 S 2 FStrG Gebrauch gemacht, s § 39 a Abs 2 StrWG NRW; § 37 Abs 8 StrG BW; Art 39 Abs 2 BayStrWG; § 39 Abs 9 SächsStrG. S zur Klarstellung: BVerwG NVwZ-RR 2003, 477. § 74 Abs 4 VwVfG; s dazu im Einzelnen Dürr in: Knack, VwVfG, §74 Rn 34 ff. Geradezu programmatisch ist die Feststellung des BVerwG, dass Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre, s BVerwGE 56, 110, 116; 55, 220, 226; 48, 56, 59; 34, 301, 304; 72, 15, 20; 97, 143, 148; zur rechtsstaatlichen Bindung der planerischen Gestaltungsfreiheit Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 23 ff. S Hoppe in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 71 Rn 20; zu den verfahrensrechtlichen Konsequenzen von Danwitz DVBl 1993, 422 ff. Zur UVP bei Straßenbauvorhaben s Stüer/Probstfeld UPR 2001, 361 ff. Zur UVP auf Landesebene vgl § 38 Abs 2 a StrWG NRW; § 37 Abs 4 StrG BW; Art 37 BayStrWG; § 38 Abs 3 BbgStrG. Richtlinie 85/337/EWG vom 27. 6. 1985, ABl EG Nr L 175, 40, zul geänd durch die Richtlinien 03/35/EG vom 26. 5. 2003, ABl EG Nr L 156, 17; zum Einfluss europäischer Vorgaben auf die straßenrechtliche Planfeststellung Stüer DVBl 2003, 1437 ff; Jannasch

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7. Kap II 2 b

Wurde ein Vorhaben bereits auf einer vorangegangenen Planungsstufe einer UVP unterzogen, so sind diese Ergebnisse auf den nachfolgenden Stufen zu berücksichtigen.135 Die Umweltverträglichkeit eines Vorhabens ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, sondern muss im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden. Ergebnis der Abwägung kann auch sein, dass die Umweltbelange planerisch überwunden werden.136 Die oben dem Grundsatz nach aufgezeigte materiell verstandene Ermächtigung der Planfeststellungsbehörde verleiht ihr primär die Befugnis zur Verwirklichung der ihr gesetzlich gestellten Planungsaufgabe und verpflichtet sie zugleich zur Bewältigung der von dem Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme.137 Das BVerwG hat in seiner Rechtsprechung indes betont, dass es im Rechtsstaat eine schrankenlose Planungsbefugnis nicht geben kann. Vielmehr hat es die planerische Gestaltungsfreiheit rechtlichen Bindungen unterworfen, die es in gefestigter Rechtsprechung erstens den vorgelagerten Planungsverfahren, zweitens dem Grunderfordernis der Planrechtfertigung, drittens den gesetzlichen Planungsleitsätzen sowie viertens dem planerischen Abwägungsgebot entnimmt.138 Während die rein verwaltungsintern wirkende Bestimmung der Linienführung gegenüber dem Bürger und den Trägern öffentlicher Belange keine Bindungswirkung entfaltet, die die planerische Abwägung der Planfeststellungsbehörde zu präjudizieren vermag,139 kommt der vorgängigen Ausbau- und Bedarfsplanung entscheidende Bedeutung im Rahmen der Planrechtfertigung zu.140 Im Rahmen der Planrechtfertigung ist im Übrigen festzustellen, ob das Straßenbauvorhaben vernünftigerweise geboten erscheint. Diese Feststellung richtet sich nach den Zielsetzungen der §§ 1 Abs 1, 3 Abs 1, 4 FStrG und wird von der Rechtsprechung getroffen, wenn bestehende Verkehrsverbindungen verbessert, die Verkehrssicherheit erhöht, sonstige Gefahrenquellen beseitigt oder bisher infrastrukturell benachteiligte Räume erschlossen werden sollen.141 Die Prüfung der Gebotenheit erstreckt sich auch auf die Frage der Finanzierbarkeit eines Vorhabens.142 Ein Vorhaben ist nicht geboten, wenn bereits bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses feststeht,

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VBlBW 2001, 470 ff; zur Berücksichtigung der FFH-Richtlinie, vgl BVerwG NVwZ 2004, 732 ff; BVerwGE 116, 254 ff; 112, 140 ff; 110, 302 ff; Stüer DVBl 2002, 940 ff; zur Vogelschutz-Richtlinie, s EuGH NVwZ 2004, 841 ff; BVerwG NVwZ 2004, 1114 ff; NVwZ 2003, 1395 ff; NVwZ 2003, 485 ff. Vgl § 2 Abs 1 S 4 UVPG; § 38 Abs 2 a S 2 StrWG NRW. BVerwG, Beschluss v 9. 7. 2003, Az 9 VR 1/03 (zit nach Juris). Grundsatz der Problembewältigung, vgl BVerwGE 97, 143, 148; 90, 96, 99; 72, 15, 20; stRspr. BVerwGE 56, 110, 117; 48, 56, 59; vgl auch BVerwGE 97, 143, 148; 90, 96, 99f; 72, 15, 21. Vgl dazu BVerwG NVwZ-RR 2002, 2; OVG Rh-Pf NuR 1995, 413, 414; VGH BW VBlBW 1989, 61, 62 f m Anm Kuchler; eingehend Wahl NVwZ 1990, 426, 435. Vgl dazu BVerwGE 107, 1, 8; NdsOVG DVBl 1994, 770, 771 f; VGH BW NVwZ-RR 1994, 373. Dazu BVerwGE 98, 339, 345; 71, 166, 168f; OVG Rh-Pf NuR 1995, 413; VGH BW VBlBW 1988, 299, 300 f. BVerwG UPR 1999, 355, 356.

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7. Kap II 2 b

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dass einer Realisierung des Vorhabens innerhalb der nächsten zehn Jahre 143 unüberwindliche finanzielle Hindernisse entgegenstehen.144 Die getroffene Trassenwahl ist kein Bestandteil der Prüfung der Gebotenheit, denn dieser Gesichtspunkt ist erst im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.145 Gegenüber der großen praktischen Bedeutung dieser Erfordernisse für die Planrechtfertigung lebt die von der Rechtsprechung gebildete Kategorie der gesetzlichen Planungsleitsätze in den Straßengesetzen nur von der in § 1 Abs 3 S 1 FStrG geregelten Verpflichtung, Bundesautobahnen ohne höhengleiche Kreuzungen zu bauen.146 Aber nicht nur aus dem Gesetz, welches die Planung grundlegend regelt, können sich solche Leitsätze ergeben (interne Leitsätze), sondern auch aus Normen anderer Gesetze, die bei der Planung zu berücksichtigen sind (externe Leitsätze).147 Von besonderer Bedeutung ist schließlich die Bindung der Planfeststellungsbehörde an das planerische Abwägungsgebot, das bsplsw in § 17 Abs 1 S 2 FStrG normativ Ausdruck gefunden hat.148 Es verlangt, dass die Planfeststellungsbehörde die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander abgewogen hat.149 Bezieht sich die Planfeststellung nur auf einen Abschnitt des Gesamtvorhabens, so ist im Rahmen der Abwägung Folgendes zu beachten. Zum einen ist in der Abwägung eine Prognose über die weiteren Abschnitte anzustellen. Aus dieser muss sich ergeben, dass für den weiteren Streckenverlauf keine unüberwindbaren Hindernisse zu erwarten sind.150 Zum anderen muss das Teilstück aber auch grundsätzlich eine eigene Verkehrsfunktion aufweisen, damit sich die Teilplanung bei einem evtl Scheitern des Gesamtvorhabens nicht als sinnlos herausstellt.151 Denn nur auf diese Weise kann letztlich der Entstehung eines „Planungstorsos“ entgegengewirkt werden. Die gerichtliche Kontrolle des Abwägungsgebotes erstreckt sich darauf, 143

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Maximale Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen, solange noch nicht mit dem Bau begonnen wurde, § 17 Abs 7 FStrG. VGH BW VBlBW 2003, 235 ff. BVerwGE 102, 331, 343 f; 75, 214, 236 f. BVerwGE 71, 163, 164 im Gegensatz zu § 50 BImSchG, der lediglich ein Optimierungsgebot, jedoch keinen unbedingt zu beachtenden Planungsleitsatz beinhaltet, er gibt einer Gemeinde kein subj Recht auf Einhaltung, s BVerwG, Urt v 9. 2. 2005, Az 9 A 62/03 (zit nach Juris); zur Ersetzung der Bezeichnung „Planungsleitsätze“ durch „zwingende materielle Rechtssätze“, Jarass DVBl 1998, 1202, 1205 ff. Kühling/Herrmann Fachplanungsrecht, 2. Aufl 2000, Rn 298 ff; zu zwingenden Rechtssätzen aus dem BNatSchG BVerwGE 112, 140 ff; 104, 144; 105, 178 → JK FStrG § 17 I 2/2; aus dem BImSchG BVerwGE 108, 248; aus dem ROG VGH BW VBlBW 2003, 235 ff. Landesstraßenrechtlich geregelt in § 38 Abs 2 StrWG NRW; § 37 Abs 5 StrG BW; § 20 Abs 1 S 9 BerlStrG; § 35 Abs 1 S 3 BbgStrG; § 33 Abs 1 S 3 BremLStrG; § 38 Abs 2 S 1 NdsStrG; § 5 Abs 1 S 2 LStrG RP; § 39 Abs 1 S 2 SaarlStrG; § 39 Abs 3 S 1 SächsStrG; § 37 Abs 1 S 4 StrG LSA; § 38 Abs 1 S 5 ThürStrG; vgl als Bsp für eine Abwägung: Bay VGH NVwZ-RR 2004, 328 ff; BVerwG, Urt v 17. 3. 2005, Az 4 A 18/04. Zur Beachtlichkeit von Optimierungs- und Berücksichtigungsgeboten s Hoppe DVBl 1992, 853 ff; Sendler UPR 1995, 41, 45 ff. BVerwGE 108, 248, 252; 104, 236, 243. BVerwGE 108, 248, 251; 107, 1, 15.

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7. Kap II 2 c

– ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat (Abwägungsausfall), – alle nach Lage der Dinge abwägungserheblichen Umstände in rechtlich und tatsächlich zutreffender Weise ermittelt und zusammengestellt worden sind (Abwägungsdefizit),152 – die Bedeutung der betroffenen Belange erkannt und der gewählte Ausgleich nicht außer Verhältnis zur objektiven Bedeutung einzelner Belange steht (Abwägungsfehlgewichtung) und die einzelnen Belange nicht zueinander falsch in Beziehung gesetzt worden sind (Abwägungsdisproportionalität).153 Darüber hinaus sieht die durch das Planungsvereinfachungsgesetz in §17 Abs 6 c 29 FStrG eingefügte, in die Straßengesetze vor allem der neuen Bundesländer 154 übernommene Regelung vor, dass Mängel bei der Abwägung der von ihr berührten öffentlichen und privaten Belange nur erheblich sind, wenn sie offensichtlich sind und auf das Abwägungsergebnis Einfluss genommen haben. Damit Abwägungsfehler als offensichtlich angesehen werden können, müssen sie der Rechtsprechung des BVerwG zufolge objektiv belegt und anhand konkreter Umstände positiv erkennbar sein; dafür genügt es nicht, dass die Begründung lückenhaft ist oder abwägungserhebliche Umstände nicht ausdrücklich genannt worden sind. Für die geforderte Fehlerkausalität reicht es indes schon aus, dass die konkrete Möglichkeit einer anderen Planungsentscheidung bestand.155 Aber selbst erhebliche Abwägungsfehler führen, wie auch die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, nur dann gem § 17 Abs 6 c S 2 FStrG zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn sie nicht durch Planergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden können.156 c) Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses Als verfahrensabschließende Entscheidung mit Verwaltungsaktscharakter entfaltet 30 der Planfeststellungsbeschluss ganz unterschiedlich geartete Rechtswirkungen.157 Die dem Planfeststellungsbeschluss in § 75 Abs 1 und 2 VwVfG beigelegten Rechtswirkungen entsprechen der besonderen Aufgabe der Planfeststellung, die in der umfassenden Bewältigung der vom Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme liegt. Aus dieser Perspektive gleichsam selbstverständlich ist 152

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Auch Alternativlösungen müssen in der Abwägung berücksichtigt werden, wenn sie im Anhörungsverfahren vorgeschlagen worden sind oder sich aufdrängen, vgl zuletzt BVerwG NVwZ 2003, 1393 ff. BVerwGE 107, 1, 6 f; 56, 110, 122 f; 48, 56, 63 f; 45, 309, 314; 34, 301, 309 – stRspr; eingehend dazu Kühling/Herrmann (Fn 147) Rn 312 ff; Dürr in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 35, Rn 32.2. § 38 Abs 2 S 2 und 3 StrWG NRW; § 37 Abs 5 S 2 StrG BW; § 45 Abs 10 StrWG MV; § 37 Abs 9 StrG LSA; § 41 Abs 5 StrWG SH; § 38 Abs 8 ThürStrG. So BVerwGE 64, 33, 38 ff → JK BBauG § 155 b/1; 104, 236, 244; BVerwG NVwZ 1992, 662 f zur wortgleichen Vorbildvorschrift in § 214 Abs 3 S 2 BauGB bzw § 155 b BBauG aF. In diesen Fällen stellt das Gericht lediglich die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses fest; BVerwGE 100, 370, 372 f; Jarass DVBl 1997, 795, 801; zur Planergänzung Henke UPR 1999, 51 ff. Ausführlich zu den Rechtwirkungen des Planfeststellungsverfahrens Badura in: Erichsen/ Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 38 ff.

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7. Kap II 2 c

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die durch den Planfeststellungsbeschluss getroffene Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens, die sich gem § 75 Abs 1 S 1, 1. Hs VwVfG ebenso auf die notwendigen Folgemaßnahmen wie auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange erstreckt. Die damit behördlicherseits umfassend erteilte Freigabe des Vorhabens wird allgemein als Zulassungs- oder Genehmigungswirkung bezeichnet.158 Von der umfassenden Genehmigungsfunktion des Planfeststellungsbeschlusses sachlich gleichsam bedingt ist die sog Konzentrationswirkung gem § 75 Abs 1 S 1, 2. Hs VwVfG, derzufolge andere behördliche Entscheidungen, insbes öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen nicht erforderlich sind. Die so angeordnete Konzentration der Vorhabenzulassung auf den Planfeststellungsbeschluss sichert das Vorhaben gegenüber konkurrierenden behördlichen Zulassungsverfahren im Sinne einer verbesserten Verwaltungseffektivität ab. Darüber hinaus erscheint die Konzentration als notwendige Bedingung für die umfassende Bewältigung der raumbezogenen Problemstellung des Planungsvorhabens durch den Planfeststellungsbeschluss.159 Demgemäß legt das BVerwG der Konzentrationswirkung nur eine formell-rechtliche Bedeutung im Hinblick auf Zuständigkeit und Verfahren bei, die weitere Genehmigungsakte entbehrlich macht. Dagegen bleibt die Planfeststellungsbehörde jedoch an die materiellen Vorgaben des einschlägigen Fachrechts gebunden.160 Eine Durchbrechung der formellen Konzentrationswirkung des § 75 Abs 1 S 1, 2. Hs VwVfG sieht die Rechtsprechung in § 14 Abs 1, 3 WHG vor.161 § 75 Abs 1 S 2 VwVfG verleiht dem Planfeststellungsbeschluss darüber hinaus die sog Gestaltungswirkung, durch die alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den Planbetroffenen rechtsgestaltend, dh mit materiell-rechtlicher Wirkung geregelt werden.162 Aus der rechtsgestaltenden Wirkung, die dem Planfeststellungsbeschluss für die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zukommt, ergeben sich zugleich Vorwirkungen für die dem Privatrecht unterliegenden Rechtsbeziehungen der Betroffenen, vor allem im Hinblick auf die Zulässigkeit ggf erforderlicher Enteignungen.163 Von besonderer praktischer Bedeutung ist schließlich die sog Präklusionswirkung, die dem Planfeststellungsbeschluss auf Grund von § 75 Abs 2 S 1 VwVfG zukommt. Ist der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Diese umfassende, materiell-rechtlich wirkende Präklusion 164 gilt für öffentlichrechtliche und privat-rechtliche Ansprüche gleichermaßen. Von der Wirkung be158 159 160

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Vgl dazu BVerwGE 58, 281, 284; Dürr in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 34, Rn 19.1, 19.21. Vgl dazu Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 74. BVerwGE 71, 163, 164; 70, 242, 244; dazu Jarass Konkurrenz, Konzentration und Bindungswirkung von Genehmigungen, 1984, 53 ff. Vgl HessVGH NVwZ 1982, 452 ff und OVG Berlin NVwZ 1983, 416 ff → JK VwGO § 47 VI/9; BVerwG NVwZ-RR 1999, 162; dagegen indes Dürr in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 34, Rn 19.5 unter Hinw auf BVerwGE 55, 220 ff. S Dürr in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 34, Rn 20. S BVerfGE 45, 297, 319; auch 56, 249, 263 ff: Der Planfeststellungsbeschluss „berührt zwar potentiell, aber noch nicht aktuell die Privatrechtsordnung“. Vgl dazu von Danwitz UPR 1996, 323, 324 f mwN.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap II 2 e

troffen ist grds auch der Erwerber eines „präklusionsbelasteten“ Grundstücks.165 Begrenzt wird die Ausschlussfunktion dieser Vorschrift durch die in § 75 Abs 2 S 2 VwVfG enthaltene Ausgleichsregelung, die aber gegenständlich nur die nicht voraussehbaren, nach Unanfechtbarkeit des Planes aufgetretenen Wirkungen des Vorhabens oder der dem Plan entsprechenden Anlagen erfasst.166 d) Schutzauflagen gem § 74 Abs 2 S 2 VwVfG Auf Grund des besonderen Gewichts der öffentlichen Interessen, die den Ausbau 31 und die Verbesserung gerade des Fernstraßennetzes regelmäßig erforderlich machen, wäre eine Verweisung der betroffenen Privatinteressen auf die Alternativen, das Vorhaben gänzlich zu verhindern oder ihm weichen zu müssen, eine unbefriedigende Frontstellung, die zudem die vielfältigen Gestaltungsoptionen der Planung unberücksichtigt ließe.167 Daher sieht die praktisch bedeutsame Bestimmung des § 74 Abs 2 S 2 VwVfG vor, dass die Planfeststellungsbehörde dem Vorhabenträger die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen oder sonstigen Vorkehrungen aufzuerlegen hat, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Unter solchen Nachteilen sind jedoch nur erhebliche Beeinträchtigungen zu verstehen.168 Als Schutzauflagen kommen vor allem die Herstellungs- und Schallschutzmaßnahmen gem §§ 41, 42 BImSchG in Betracht.169 Dazu gehören beispielsweise Bepflanzungen, Lärmschutzwälle, Unterführungen und Ersatzzufahrten. e) Entbehrlichkeit der Planfeststellung Straßenplanung und Straßenbau setzen indes die Durchführung eines Planfeststel- 32 lungsverfahrens nicht zwingend voraus. Es kann unter Umständen entbehrlich sein oder unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Plangenehmigung oder einen Bebauungsplan ersetzt werden. So entfallen die Planfeststellung und Plangenehmigung nach § 17 Abs 2 FStrG und den entsprechenden Regelungen der Landesstraßengesetze 170 in Fällen von unwesentlicher Bedeutung. Davon ist beispielsweise auszugehen, wenn andere öffentliche Belange nicht berührt werden, erforderliche behördliche Entscheidungen vorliegen, die dem Plan nicht entgegenstehen, oder Rechte Dritter nicht beeinflusst werden. Die Änderung der europäischen Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung und die damit verbundenen Umsetzungen im UVPG und in den Fachgesetzen haben bewirkt, dass eine zusätzliche Voraussetzung gegeben sein muss, damit ein Fall von unwesentlicher Bedeutung vorliegt. Da165 166 167

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170

BVerwG NVwZ 1997, 171, 173; zu möglichen Ausnahmen VGH BW VBlBW 2000, 111 f. Dazu eingehend Dürr in: Knack, VwVfG, § 75 Rn 41, 84 ff. Vgl auch Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 84; allgemein Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 26 f. Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 84 ff. Vgl dazu BVerwG NVwZ 2004, 100 ff; NVwZ 2004, 1237 ff; Jarass NVwZ 2003, 257, 265f; Alexander NVwZ 1991, 318 ff. § 38 Abs 3 StrWG NRW; § 20 Abs 3 BerlStrG; § 38 Abs 4 BbgStG; § 33 Abs 3 BremLStrG; § 45 Abs 6 StrWG MV; § 5 Abs 4 LStrG RP; § 39 Abs 4 Nr 4 SaarlStrG; § 39 Abs 6 SächsStrG; § 37 Abs 3 StrG LSA; § 40 Abs 6 StrWG SH; § 38 Abs 3 ThürStrG.

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7. Kap II 2 e

Thomas von Danwitz

nach darf es sich bei dem Vorhaben nicht um ein solches handeln, für das eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.171 Die durch das Planungsvereinfachungsgesetz geschaffene Möglichkeit, nach § 17 33 Abs 1a FStrG die Planfeststellung durch das bereits anderweitig erprobte Rechtsinstitut 172 der Plangenehmigung zu ersetzen, hat auch in die Straßengesetze der meisten Bundesländer Aufnahme gefunden.173 Durch sie soll die Straßenplanung vereinfacht und damit beschleunigt werden. Die Plangenehmigung nach §17 Abs 1 a FStrG 174 tritt an die Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses, wenn Rechte anderer nicht oder nicht wesentlich betroffen werden oder sich die Betroffenen mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder sonstiger Rechte einverstanden erklärt haben 175 und das Benehmen mit den Trägern öffentlicher Belange hergestellt worden ist, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Gem §17 Abs 1 a S 1 Nr 1 FStrG ist diese Möglichkeit bei Bundesfernstraßen ausgeschlossen, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen.176 Die Besonderheit der Plangenehmigung besteht darin, dass ihr kraft Gesetzes zwar die Rechtwirkungen der Planfeststellung zugewiesen worden sind,177 sie aber zugleich von der Einhaltung des stark formalisierten, als schwerfällig empfundenen Planfeststellungsverfahrens befreit worden ist.178 Jedoch bleibt es auch für die Erteilung einer Plangenehmigung bei der Notwendigkeit einer umfassenden Abwägung der jeweils berührten privaten und öffentlichen Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit.179 Gegenüber dieser erst kürzlich geschaffenen Möglichkeit ist die Ersetzung der 34 Planfeststellung durch die Festsetzung von Verkehrsflächen in einem Bebauungsplan gem § 9 Abs 1 Nr 11 BauGB seit geraumer Zeit in den Straßengesetzen von Bund und Ländern anerkannt.180 Für den Fall, dass es sich bei der herzustellenden 171

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§ 17 Abs 2 S 2 Nr 1 FStrG; vgl auch § 20 Abs 3 S 2 Nr 3 BerlStrG und Art 36 Abs 1 S 2 iVm Abs 3 BayStrWG; zur Umsetzung der UVP-Richtlinie ins bayerische Recht, Gassner BayVBl 2000, 289 ff. § 7 Abs 2 AbfG; § 31 Abs 1 S 2 WHG aF; s jetzt § 31 Abs 3 KrW-/AbfG; § 31 Abs 3 WHG. § 38 Abs 1a StrWG NRW; § 37 Abs 2 StrG BW; Art 38 Abs 2 BayStrWG; § 20 Abs 2 BerlStrG; § 38 Abs 2 BbgStrG; § 45 Abs 3 StrWG MV; § 5 Abs 3 LStrG RP; § 39 Abs 5 SächsStrG; § 37 Abs 2 StrG LSA; § 40 Abs 3 StrWG SH; § 38 Abs 2 ThürStrG. Die Regelungen der Landesstraßengesetze weisen gewisse Unterscheide auf, s § 38 Abs 1 a Nr 1–3 StrWG NRW; § 40 Abs 3 Nr 1–3 StrWG SH. Die Einverständniserklärung ist eine öffentlich-rechtliche Erklärung, die auch den Rechtsnachfolger bindet und gegenüber der Zulassungsbehörde abzugeben ist, s VGH BW VBlBW 2004, 341 ff. Siehe aber auch § 17 Abs 1 b FStrG als Sonderregelung für Berlin und die neuen Länder; zum Zusammenhang zwischen Umweltverträglichkeitsprüfung und Plangenehmigung Stüer/Probstfeld UPR 2001, 361, 362 ff; bei bayerischen Straßenprojekten, Gassner BayVBl 2000, 289, 297. Dazu eingehend Axer DÖV 1995, 495 ff. § 17 Abs 1 a S 2 FStrG; § 38 Abs 1 a StrWG NRW; Art 38 Abs 2 S 3 BayStrWG; § 20 Abs 2 S 2 BerlStrG; § 38 Abs 2 S 3 BbgStrG; § 45 Abs 3 S 4 StrWG MV; § 37 Abs 2 S 2 und 3 StrG LSA; § 40 Abs 3 S 2 StrWG SH. Vgl dazu Steiner NVwZ 1994, 313, 315 f. § 17 Abs 3 FStrG; § 38 Abs 4 S 1 StrWG NRW; § 37 Abs 3 StrG BW; Art 38 Abs 3 BayStrWG; § 20 Abs 4 BerlStrG; § 38 Abs 5 S 1 BbgStrG; § 33 Abs 2 BremLStrG; § 33 Abs 5

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap II 3

Straße um eine Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs 2 BauGB handelt, kann ein Bebauungsplan eine Planfeststellung nicht nur ersetzen. Sein Vorliegen ist gemäß § 125 Abs 1 BauGB vielmehr eine notwendige Voraussetzung.181 Dabei lassen sich die Grundsätze, die im Planfeststellungsrecht Geltung beanspruchen, nicht ohne weiteres auf die Bauleitplanung übertragen. Vielmehr bestimmen sich die inhaltlichen Anforderungen an den Bebauungsplan nach den Regelungen des Baugesetzbuchs.182 Daher verfügt die Gemeinde auch nicht über die Möglichkeit zur Festsetzung von Schutzauflagen nach § 74 Abs 2 S 2 VwVfG, sondern hat die Bestimmung von Schallschutzmaßnahmen im räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans nach § 9 Abs 1 Nr 24 iVm § 9 Abs 7 BauGB im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung in angemessener Weise zu berücksichtigen.183 Die Durchführung einer Umweltprüfung bestimmt sich nach § 2 Abs 4 BauGB.184 Darüber hinaus weist der in der Rechtsform der Satzung beschlossene Bebauungsplan gegenüber dem als Verwaltungsakt ergehenden Planfeststellungsbeschluss erhebliche Unterschiede auf, die für die Praxis von großer Bedeutung sein können. So können Festsetzungen eines Bebauungsplanes nicht in Bestandskraft erwachsen und keine Gestaltungs- und Konzentrationswirkung entfalten. Neuerdings bleiben gem § 4 a Abs 6 BauGB auch beim Bebauungsplan nicht rechtzeitig abgegebene Stellungnahmen unter bestimmten Voraussetzungen unberücksichtigt (Präklusionswirkung). Rechtsfehler bei der Festsetzung von Verkehrsflächen in Bebauungsplänen, die gem § 47 Abs 1 Nr 1 VwGO der prinzipalen Normenkontrolle unterliegen, führen grundsätzlich zur Nichtigkeit, soweit nicht die Heilungsregelungen der §§ 214, 215 BauGB zur Anwendung gelangen.185 Die Grenze von zehn Jahren für die Realisierbarkeit des geplanten Vorhabens (vgl Rn 28) wird auf den Bebauungsplan übertragen. Ein planfeststellungsersetzender Bebauungsplan ist nicht erforderlich iSv § 1 Abs 3 BauGB, wenn die Verwirklichung innerhalb dieses Zeitraums ausgeschlossen erscheint.186

3. Rechtsschutzfragen Gegen die als Verwaltungsakt ergehenden Planfeststellungsbeschlüsse und Plan- 35 genehmigungen ist Rechtsschutz im Wege der Anfechtungsklage eröffnet.187 Diese

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184 185 186 187

HessStrG; § 45 Abs 7 StrWG MV; § 38 Abs 3 NdsStrG; § 5 Abs 2 LStrG RP; § 39 Abs 3 SaarlStrG; § 39 Abs 7 SächsStrG; § 37 Abs 4 S 1 StrG LSA; § 40 Abs 7 StrWG SH; § 38 Abs 4 S 1 ThürStrG. Zu der Frage, ob auch Straßen, für die weder eine Planfeststellung noch ein Bebauungsplan zwingend vorgeschrieben ist, einer formalisierten Planung bedürfen, Schmidt-Eichstaedt BauR 2001, 337 ff. VGH BW VBlBW 1998, 177, 184; zur Geltung bestimmter für die straßenrechtliche Planfeststellung entwickelter Maßstäbe, VGH BW NVwZ-RR 2002, 638 ff. Vgl VGH BW aaO; zu Festsetzungen nach § 9 Abs 1 Nr 24 BauGB, Ziekow BayVBl 2000, 325, 333; allgemein zu Straßenverkehrslärm in der Bauleitplanung: Schink NVwZ 2003, 1041ff. Vgl zur Umweltprüfung im Baurecht: Krautzberger/Stüer DVBl 2004, 914 ff. Vgl dazu Schnebelt/ Sigel (Fn 27) Rn 165. BVerwG NVwZ 2004, 856 ff. Differenziert zu den Rechtsschutzfragen Badura in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 39 Rn 45ff.

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7. Kap II 3

Thomas von Danwitz

kann darauf gerichtet werden, die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses bzw einer Plangenehmigung insgesamt oder hinsichtlich einzelner Bestandteile zu erreichen, wenn diese eigenständige Regelungen enthalten und die verbleibende Regelung rechtlich sinnvoll erscheint.188 Eines Widerspruchsverfahrens bedarf es vor der Anfechtung eines Planfeststellungsbeschlusses kraft gesetzlicher Anordnung ebenso wenig wie bei der Plangenehmigung.189 Für den einstweiligen Rechtsschutz hat der Gesetzgeber darüber hinaus die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung ausgeschlossen, wenn diese den Bau oder die Änderung von Vorhaben betreffen, die im Anwendungsbereich des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes liegen oder für die nach dem Fernstraßenausbaugesetz vordringlicher Bedarf festgestellt worden ist.190 Streitigkeiten über das Außerkrafttreten eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 17 Abs 7 S 1 FStrG können im Wege der Feststellungsklage nach § 43 Abs 1 VwGO ausgetragen werden.191 Gegen die als Auflage im Sinne von § 36 Abs 2 Nr 4 VwVfG zu qualifizierenden 36 Schutzauflagen ist eine isoliert erhobene Anfechtungsklage des beschwerten Vorhabenträgers zulässig.192 Drittbetroffene können eine als unzureichend empfundene Schutzauflage ebenfalls gesondert anfechten oder eine Klage auf Planergänzung in der rechtsschutzintensiveren Form der Verpflichtungsklage erheben.193 Besonderheiten gelten für die Klagebefugnis einer Anfechtungsklage, die gegen 37 einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung gerichtet ist. Aus der Grundstücksbezogenheit der von der Straßenplanung bewirkten Nutzungskonflikte folgerte das BVerwG bis dato, dass grundsätzlich nur dem Eigentümer der von dem Vorhaben betroffenen Grundstücke ein öffentlich-rechtlicher Abwehranspruch gegen die Straßenplanung zusteht.194 Obligatorisch Berechtigte wurden demgegenüber darauf verwiesen, ihre Rechtsposition gegenüber dem Eigentümer geltend zu machen.195 Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht nun auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einbeziehung des Besitzrechts des Mieters in den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 S 1 GG 196 aufgegeben. Soweit ein Rechtsverhältnis auf der Grundlage der §§ 535 ff BGB begründet worden ist und nach den einschlägigen privatrechtlichen Vorschriften Bestandsschutz genießt, gewährleistet Art 14 Abs 1 S 1 GG auch dem Mieter oder Pächter selbständige Abwehrrechte gegen hoheitliche Eingriffe. Daher wird ihre Klagebefugnis gegen einen Planfeststellungsbeschluss vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr be188 189

190 191 192 193 194

195 196

Vgl dazu Ule/Laubinger Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl 1995, § 41, Rn 42. § 68 Abs 1 S 2 Nr 1 VwGO einerseits iVm § 74 Abs 1 S 2, § 70 VwVfG und andererseits mit § 17 Abs 1 a S 3 FStrG sowie der entspr Regelung der Landesstraßengesetze. § 5 Abs 2 VerkPBG (Fn 117) bzw § 17 Abs 6 a S 1 FStrG. VGH BW DVBl 2004, 391. S BVerwGE 41, 178, 180 f. Vgl Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 88. BVerwG DVBl 1994, 338, 339. Gleichgestellt werden die in eigentumsähnlicher Weise dinglich Berechtigten, BVerwG NJW 1983, 1626 → JK VwGO § 42 II/6. BVerwGE 82, 61, 75. BVerfGE 89, 1, 6 ff → JK GG Art 14 I 1/32 allgemein zum Schutzbereich des Art 14 Abs 1 S 1 GG, vgl BVerfGE 83, 201, 208 f → JK GG Art 14 III/8; 95, 267, 300.

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7. Kap II 3

jaht.197 Darüber hinaus kann eine Betroffenheit in den von Art 2 Abs 2 S 1 GG geschützten Rechtsgütern die Klagebefugnis verleihen.198 Die Rechtsprechung fordert dafür jedoch eine gewichtige Betroffenheit der Gesundheit in tatsächlicher Hinsicht, die über eine bloße Belästigung hinausgeht und schon als schädliche Umwelteinwirkung nach § 3 Abs 1 BImschG zu qualifizieren ist.199 Planbetroffene Gemeinden können sich unabhängig von einer etwaigen Betroffenheit als Grundstückseigentümer 200 vor allem 201 auf eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit gem Art 28 Abs 2 GG berufen. Dies setzt allerdings voraus, dass die gemeindliche Planung bereits hinreichend bestimmt vorliegt und die von der überörtlichen Fachplanung bewirkte Störung nachhaltig ist.202 Unter diesen Voraussetzungen können Gemeinden auch Schutzauflagen erstreiten oder Ansprüche auf Planergänzung verfolgen.203 Keine Rechte einer Gemeinde ergeben sich aber daraus, dass der Allgemeinheit oder einer Einzelperson ein Schaden droht.204 Der öffentlich-rechtliche Aufhebungsanspruch Planbetroffener kann wegen der 38 normativen Grundentscheidung des § 113 Abs 1 S 1 VwGO zugunsten eines subjektiven Rechtsschutzes grundsätzlich nur soweit reichen, wie das Vorhaben den Planbetroffenen in eigenen Rechten verletzt. Von diesem Ausgangspunkt erscheint es nur konsequent, dass die Rechtsprechung einen Aufhebungsanspruch der Planbetroffenen wegen Verletzung des Abwägungsgebotes, das den materiellen Kern der Planungsentscheidung bildet, gegenständlich darauf beschränkt, dass eine gerechte Abwägung der eigenen Belange mit entgegenstehenden anderen Belangen nicht stattgefunden hat.205 Eine umfassende Nachprüfung des Abwägungsgebotes gerade auch im Hinblick auf die zutreffende Gewichtung öffentlicher Belange kann demgegenüber nur ein vom Planfeststellungsbeschluss mit enteignender Wirkung Betroffener wegen der besonderen Bedeutung verlangen, die die Planfeststellung für die Zulässigkeit der Enteignung gem § 19 Abs 1 S 2 und 3 FStrG entfaltet.206 Zum einen ergibt sich eine solche Position nach einer jüngeren Entscheidung des BVerwG aber dann nicht, wenn die Eigentümerstellung rechtsmissbräuchlich begründet wurde.207 Zum anderen steht auch einer Gemeinde als Grundstückseigentümerin kein Recht auf umfassende Nachprüfung zu, denn sie kann mangels Grundrechtsträgereigenschaft den Schutz des Art 14 Abs 3 S 1 GG nicht beanspruchen.208 197 198 199 200 201

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207

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BVerwGE 105, 178, 179 f → JK FStrG § 17 I 2/2. S grdl BVerwGE 54, 211, 222 f. BVerwG NVwZ 1991, 566 f; VGH BW NVwZ 1984, 525 f. S BVerwGE 69, 256, 261 mwN. Von Bedeutung ist daneben ua eine Verletzung von Beteiligungsrechten, s BVerwGE 90, 96, 100; 81, 95, 106. BVerwGE 100, 388, 394; 84, 209, 214f; 81, 95, 106; 74, 124, 132; BVerwG NVwZ 1992, 787f. BVerwGE 80, 7, 13 f; Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 85. BVerwG NVwZ 2000, 560, 562 mwN. Grundlegend BVerwGE 48, 56, 66. BVerwGE 104, 144, 146; 67, 74, 76 f; dazu Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 83; eingehend Löwer DVBl 1981, 528 ff. BVerwGE 112, 135 ff → JK VwGO § 42 II/25, dazu Hufen JuS 2001, 927 f; Masing NVwZ 2002, 810 ff. BVerfGE 61, 82 → JK GG Art 19 III/3; BVerwG UPR 2001, 189, 190.

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7. Kap II 4

Thomas von Danwitz

In ihrer Planungshoheit betroffene Gemeinden können gem § 113 Abs 1 S 1 VwGO eine Aufhebung des straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses erreichen, wenn eine angemessene Berücksichtigung der gemeindlichen Planungsinteressen bei der Abwägung mit den überörtlichen Belangen unterblieben ist.209 Daneben können sie eine Verletzung ihres formellen Beteiligungsrechtes auf Grund von Art 28 Abs 2 GG 210 ebenso geltend machen, wie dies ein anerkannter Naturschutzverband gem § 29 Abs 1 Nr 4 BNatSchG aF rügen konnte.211 Für das Recht der Naturschutzverbände ergeben sich aber seit der Novellierung des BNatSchG einige Änderungen. Zum einen haben die eben angesprochenen Beteiligungsrechte in §§ 58, 60 BNatSchG einen neuen Standort erhalten. Zum anderen sieht § 61 Abs 1 BNatSchG die Möglichkeit vor, dass ein Naturschutzverband auch unabhängig von einer eigenen Rechtsverletzung die Verletzung naturschutzrechtlicher Vorschriften durch die Planfeststellung geltend machen kann, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 61 Abs 2–4 BNatSchG erfüllt werden. Hiermit wird den Naturschutzverbänden nun bundesgesetzlich eine Vorgehensweise eröffnet, die schon länger in zahlreichen Landesgesetzen enthalten ist.212

4. Der tatsächliche Bau öffentlicher Straßen 39 Auf der Grundlage der getroffenen Planfeststellung erfolgt der tatsächliche Bau der Straße. Diese Aufgabe obliegt den Straßenbaubehörden als Einrichtungen des jeweiligen Trägers der Straßenbaulast.213 Im Rahmen dieser Aufgabe kommt dem Erwerb der zum Straßenbau benötigten Grundstücke vorrangige Bedeutung zu. Gelingt der freihändige Ankauf nicht, so können die Straßenbaubehörden nach Maßgabe der getroffenen Planfeststellung die erforderlichen Enteignungen verfügen.214 Auch vor Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses und Abschluss des Enteignungsverfahrens kann der Träger der Straßenbaulast in den Besitz der benötigten Grundstücke eingewiesen werden, wenn der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung für vollziehbar erklärt worden sind.215 209 210 211

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Vgl BVerwGE 69, 256, 261. BVerwGE 90, 96, 100; 81, 95, 106. S BVerwGE 87, 62, 71 → JK VwGO § 42 II/17; 102, 358, 359 f; zu den gegenständlichen Begrenzungen BVerwGE 104, 367, 368 f; BVerwG UPR 1996, 384, 385. Siehe zB § 12 b LG NRW; § 44 BremNatSchG; § 51 c LNatSchG SH; s BVerwG DVBl 2004, 1546 ff; NVwZ 2003, 1120 ff; NVwZ 2002, 1234 f; ausführlich Ziekow VerwArch 91 (2000) 483, 488 ff; Wilrich DVBl 2002, 872 ff; Seelig/Gündling NVwZ 2002, 1033 ff; zu den Grenzen dessen, was unter naturschutzrechtlichen Vorschriften verstanden werden kann, BVerwGE 107, 1, 5 ff. S § 22 FStrG; § 56 StrWG NRW; § 50 StrG BW; Art 58 BayStrWG; § 24 Abs 1 BerlStrG; § 46 Abs 1 und 2 BbgStrG; § 47 Abs 1 BremLStrG; § 46 HessStrG; § 57 StrWG MV; § 60 NdsStrG; §§ 48 und 49 LStrG RP; § 56 SaarlStrG; § 47 SächsStrG; § 49 Abs 2 StrG LSA; § 52 StrWG SH; § 46 ThürStrG. S § 19 Abs 1 und 2 FStrG; § 42 StrWG NRW; § 40 StrG BW; Art 40 BayStrWG; § 23 BerlStrG; § 42 BbgStrG; § 35 BremLStrG; § 36 HessStrG; § 48 StrWG MV; § 42 NdsStrG; § 9 LStrG RP; § 44 SaarlStrG; § 43 SächsStrG; § 41 StrG LSA; § 44 StrWG SH; § 42 ThürStrG. § 18 f FStrG; § 41 StrWG NRW; § 40 a StrG BW; § 22 BerlStrG; § 41 BbgStrG; § 34 Brem-

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap III 1 a

Die Straßengesetze von Bund und Ländern sehen in der Regel eine Freistellung der Straßenbaubehörden von den Erfordernissen des Baugenehmigungsverfahrens vor und verpflichten diese, die Straße in eigener Verantwortung in einem Zustand herzustellen, der den Erfordernissen der Sicherheit und Ordnung entspricht.216 Der Straßenbau selbst erfolgt in der Praxis zumeist durch private Bauunternehmen, die auf der Grundlage privatrechtlicher Verträge für die Straßenbaubehörden tätig werden.

III. Begründung, Veränderung und Beendigung des öffentlichen Sonderstatus Der besondere Rechtsstatus einer öffentlichen Straße ergibt sich nicht aus der bau- 40 lichen Herstellung der Straßenanlage oder ihrer tatsächlichen Indienststellung. Vielmehr wird er der Straße durch den hoheitlichen Rechtsakt der Widmung verliehen. Als Kreationsakt der öffentlichen Straße ist die Widmung für ihren öffentlichen Sonderstatus von konstitutiver Bedeutung. Fehlt eine Widmung, handelt es sich lediglich um eine tatsächlich öffentliche Straße oder um eine Privatstraße, an der bsplsw kein Gemeingebrauch und keine Straßenbaulast besteht.217 Auf Grund der vielfältigen rechtlichen Konsequenzen, die an den rechtlichen Sonderstatus geknüpft sind, erklärt sich die Notwendigkeit der ausdifferenzierten rechtlichen Regelungen, die die Straßengesetze von Bund und Ländern über die Begründung, Veränderung und Beendigung des öffentlichen Sonderstatus der Straße aufweisen.

1. Die Widmung Trotz der traditionellen Prägung, hohen praktischen Bedeutung und eingehenden rechtlichen Normierung weist das Rechtsinstitut der Widmung auch heute noch offene Rechtsfragen auf und erfordert spezifische Abgrenzungen. Diese resultieren zu einem erheblichen Teil aus der Schwierigkeit, die Widmung als Traditionsfigur 218 des Straßenrechts mit den Kategorien der heutigen Verwaltungsrechtsdogmatik erfassen und verarbeiten zu können. a) Rechtsnatur Die Widmung wird nach den geltenden Straßengesetzen von Bund und Ländern als 41 Allgemeinverfügung in der Rechtsform des Verwaltungsaktes gem § 35 S 2, 2. und

216

217 218

LStrG; § 36 a HessStrG; § 48 Abs 6 und 7 StrWG MV; § 41 a NdsStrG; § 9 Abs 4–10 LStrG RP; § 44 a SaarlStrG; § 42 SächsStrG; § 40 StrG LSA; § 43 StrWG SH; § 41 ThürStrG. S bsplsw § 4 FStrG; § 9 a Abs 2 StrWG NRW; § 10 Abs 2 und 3 BbgStrG; § 12 BremLStrG; § 47 HessStrG; § 10 Abs 1 und 2 StrWG MV; § 10 Abs 2 NdsStrG; § 9 Abs 2 SaarlStrG; § 10 Abs 2 SächsStrG; § 10 Abs 2 StrG LSA; §§ 9, 10 Abs 2 StrWG SH; § 10 Abs 2 ThürStrG. S dazu OLG Oldenburg NVwZ-RR 1997, 677. Ausdruck von Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 33.

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7. Kap III 1 a

Thomas von Danwitz

3. Alt VwVfG 219 verfügt. Mit dieser gesetzlichen Rechtsformenbestimmung ist zwar der fruchtlose Streit um die Rechtsnatur der Widmung als „dinglicher“ und „adressatenloser“ Verwaltungsakt für die Rechtspraxis entschieden,220 jedoch bleibt die Bestimmung der unterschiedlich gearteten Rechtswirkungen auch heute noch von besonderer praktischer Bedeutung. Der Gesetzgeber regelt die Widmung als einen einstufigen Verwaltungsakt. Dies beruht auf der den Straßengesetzen zugrunde liegenden Regelannahme, dass der Träger der Straßenbaulast Eigentümer des Straßengrundstücks und die für die Widmung zuständige Straßenbaubehörde Organ des Straßenbaulastträgers ist. Diese Konzentration der straßenrechtlichen Befugnisse ist jedoch nicht zwingend und entspricht überdies nicht der straßenrechtlichen Tradition.221 Die Widmung bedarf dann der Zustimmung des (privaten) Eigentümers des Straßengrundstücks und darüber hinaus der Zustimmung des Trägers der Straßenbaulast in den praktisch wichtigen Ausnahmefällen, in denen die Straßenbaubehörde nicht Organ des Straßenbaulastträgers ist.222 Konstruktiv folgt daraus, dass die Widmung in diesen Fällen als zustimmungsbedürftiger und/oder mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt anzusehen ist.223 Darüber hinaus kann eine Widmung auch durch Gesetz oder öffentlich-rechtlichen Vertrag und durch Planfeststellungsbeschluss erfolgen. Einige Landesstraßengesetze sehen darüber hinaus eine gesetzliche Widmungsfiktion vor, wenn eine nach den gesetzlichen Vorschriften gebaute oder geänderte Straße dem Verkehr übergeben wird.224 Schließlich ist eine Fiktion der Widmung für die Fälle einer unerheblichen Ergänzung und Veränderung der Straße gesetzlich vorgesehen.225 Eine besondere Möglichkeit der Ersetzung einer fehlenden Widmung stellen die Überleitungsnormen der neuen Bundesländer dar.226 Diese kann dann erfolgen, wenn

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Vgl die ausdr Bestimmungen in § 6 Abs 1 S 1 StrWG NRW; § 3 Abs 4 S 1 BerlStrG; § 6 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 6 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 6 Abs 1 S 1 StrG LSA; § 6 Abs 1 S 1 ThürStrG; allgemein zur Rechtsform und Rechtsnatur der Widmung Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 42 Rn 2 ff. Amtl Begründung zum VwVfG, BT-Drucks 7/910, 57; dazu Wolff/Bachof, VwR I, § 46 III, § 47 VIII b); Wolff/Bachof/Stober, VwR II, § 76 Rn 12; Hüttenhain Sachbezogene Regelungen und Rechtsnachfolge im Verwaltungsrecht, 1973, 11 ff. S dazu Herber in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 7, Rn 10 und 10.2. So ausdr geregelt in § 6 Abs 2 S 2 StrWG NRW; dies kann namentlich für Ortsdurchfahrten gelten, s Zeitler in ders (Hrsg), Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art 6, Rn 45. So schon Axer (Fn 13) 77 ff. § 6 Abs 7 StrWG NRW; § 5 Abs 6 StrG BW; Art 6 Abs 6 BayStrWG; § 3 Abs 5 BerlStrG; § 6 Abs 5, 6 BbgStrG; § 7 Abs 4 StrWG MV; § 6 Abs 5 NdsStrG; § 36 Abs 4 LStrG RP; § 6 Abs 6 SaarlStrG; § 6 Abs 4 SächsStrG; § 6 Abs 4 StrG LSA; § 6 Abs 4 StrWG SH; § 6 Abs 4 ThürStrG. § 2 Abs 6 a FStrG; § 6 Abs 8 StrWG NRW; § 5 Abs 7 StrG BW; Art 6 Abs 7 BayStrWG; § 3 Abs 6 BerlStrG; § 6 Abs 7 BbgStrG; § 5 Abs 4 BremLStrG; § 7 Abs 5 StrWG MV; § 6 Abs 6 NdsStrG; § 36 Abs 5 LStrG RP; § 6 Abs 7 SaarlStrG; § 6 Abs 5 SächsStrG; § 6 Abs 5 StrG LSA; § 6 Abs 5 StrWG SH; § 6 Abs 5 ThürStrG; vgl hierzu auch OVG NRW NWVBl 1999, 467 ff. Vgl § 48 Abs 7 BbgStrG; § 53 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 52 Abs 6 ThürStrG.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap III 1 b

bereits zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des jeweiligen Straßengesetzes eine tatsächliche Nutzung stattgefunden hat, die als allgemein und damit öffentlich zu bewerten ist.227 Hiervon zu unterscheiden ist die Widmung „kraft unvordenklicher Verjährung“. Sie stellt demgegenüber nur eine Beweislastregel für Fälle dar, in denen nicht mehr aufklärbar ist, ob der Weg vor langer Zeit gewidmet worden ist. Aus seiner langjährigen und widerspruchslosen Nutzung für den öffentlichen Verkehr wird dies bei Unaufklärbarkeit der Widmung gefolgert.228 b) Formelle und materielle Voraussetzungen Die Zuständigkeit für die Widmung liegt bei den Straßenbaubehörden. Welche 42 Behörden die Aufgaben der Straßenbaubehörden wahrnehmen, ist nicht allgemein festgelegt, sondern bestimmt sich nach der jeweiligen Straßenklasse der zu widmenden Straße. Sind dies, wie in Nordrhein-Westfalen, Behörden von Selbstverwaltungskörperschaften, so bestimmt sich die konkrete Organzuständigkeit nach einschlägigen Bestimmungen des Kommunalrechts.229 Für das einzuhaltende Verfahren sehen die Straßengesetze von Bund und Ländern eine öffentliche Bekanntmachung der Widmung vor.230 Ergänzend sind die Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze, gerade im Hinblick auf die allgemeinen Verfahrensgrundsätze sowie für Anhörung und Begründung,231 heranzuziehen. Auf Grund der präzisen Angaben über den Umfang der gewidmeten Straßenfläche, die zugelassenen Benutzungen und die damit verbundenen Beschränkungen ist die Widmung grundsätzlich schriftlich zu verfügen.232 Wegen der erheblichen Rechtswirkungen, die die Widmung auf die Rechtsstellung des betroffenen Grundstückseigentümers entfalten kann, hat die Rechtsprechung an die Bestimmtheit des Widmungsinhalts besonders strikte Maßstäbe angelegt.233 Sachliche Voraussetzung der Widmung ist die Verfügungsbefugnis des Straßenbaulastträgers über das betroffene Straßengrundstück. Ist der Träger der Straßenbaulast nicht Eigentümer oder auf Grund besonderer Rechtstitel zum Besitz befugt, bedarf die Widmung der Zustimmung des Eigentümers bzw sonst dinglich Berech-

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Vgl zum Sächsischen Straßengesetz Sattler SächsVBl 2000, 187 ff unter Hinweis auf Einzelfälle; s auch OVG MV LKV 2003, 143 ff. Vgl dazu OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 227; VGH BW NJW 1984, 819, 820 → JK StVO Abgrenzung/2. S Axer (Fn 13) 69 ff. § 2 Abs 6 S 4 FStrG; § 6 Abs 1 S 2 StrWG NRW; § 5 Abs 4 StrG BW; Art 6 Abs 6 S 2 BayStrWG; § 3 Abs 4 S 1 BerlStrG; § 6 Abs 1 S 2 BbgStrG; § 5 Abs 3 BremLStrG; § 6 Abs 1 S 3 HambWG; § 4 Abs 3 S 1 HessStrG; § 7 Abs 2 StrWG MV; § 6 Abs 3 NdsStrG; § 36 Abs 3 LStrG RP; § 6 Abs 4 SaarlStrG; § 6 Abs 1 S 2 SächsStrG; § 6 Abs 1 S 2 StrG LSA; § 6 Abs 2 StrWG SH; § 6 Abs 1 S 2 ThürStrG; zur öffentlichen Bekanntmachung s BVerfG NVwZ 2000, 185 f. Diese sind gem § 28 Abs 2 Nr 4 und § 39 Abs 2 Nr 5 VwVfG grds entbehrlich. Das gem § 37 Abs 2 S 1 VwVfG bestehende Ermessen ist regelmäßig auf Null reduziert, dazu Axer (Fn 13) 86. S BayVGH BayVBl 1997, 372.

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7. Kap III 1 c

Thomas von Danwitz

tigten.234 Diese ist als formlose öffentlich-rechtliche Willenserklärung abzugeben und wird mit dem Zugang beim Träger der Straßenbaulast wirksam. c) Inhalt der Widmungsverfügung 43 Der Inhalt der Widmung beschränkt sich nicht darauf, der Straße ihren öffentlichen Sachstatus zu verleihen. Der von den Straßengesetzen bestimmte Inhalt der Widmungsverfügung erfordert des Weiteren die Zuordnung der Straße zu einer bestimmten Straßenklasse, die sog Einstufung, und die Festlegung des allgemeinen Nutzungsumfangs der Straße durch die Öffentlichkeit, den sog Widmungsinhalt. So kann die Widmungsverfügung den zulässigen Nutzungsumfang auf bestimmte Benutzungsarten und -zwecke sowie Benutzerkreise festlegen.235 Die Einstufung einer bestimmten Straße erfolgt durch ihre Zuordnung zu der gesetzlich normierten Typik der Straßenklassen 236 auf der Grundlage ihrer jeweiligen Verkehrsbedeutung.237 Diese ergibt sich aus einem Zusammenspiel der Quantität des von der Straße aufzunehmenden Verkehrs und der Qualität der Verkehrsbeziehungen, denen die Straße dienen soll.238 Darüber hinaus kann die Widmung auch konkretisierende Festlegungen der spezifischen Verkehrsfunktion einer Straße treffen.239 Festlegungen zur straßenrechtlich zulässigen Benutzungsart einer Straße sind regelmäßig aus Gründen des baulichen Straßenzustands erforderlich, jedoch nicht zulässig, um verkehrsfremde Nutzungen auf der Straße zu eröffnen. Auch die Beschränkung der Straßennutzung auf bestimmte Benutzerkreise oder Benutzungszwecke (zB: Schulkinder oder Friedhofsbesucher) darf nur anhand objektiver Kriterien erfolgen.240 Die im Wege der Widmung eröffnete Möglichkeit zur straßenrechtlichen Beschränkung des Nutzungsumfangs auf bestimmte Benutzungsarten entspricht den verkehrsrechtlichen Regelungsbefugnissen auf Grund von § 41 Abs 2 Nr 6 StVO. Beide 234

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§ 2 Abs 2 FStrG; § 6 Abs 5 StrWG NRW; § 5 Abs 1 StrG BW; Art 6 Abs 3 BayStrWG; § 3 Abs 2 BerlStrG; § 6 Abs 3 BbgStrG; § 5 Abs 2 BremLStrG; § 6 Abs 1 S 2 HambWG; § 4 Abs 2 HessStrG; § 7 Abs 3 StrWG MV; § 6 Abs 2 NdsStrG; § 36 Abs 2 LStrG RP; § 6 Abs 3 SaarlStrG; § 6 Abs 3 SächsStrG; § 6 Abs 3 StrG LSA; § 6 Abs 3 StrWG SH; § 6 Abs 3 ThürStrG. § 6 Abs 3 StrWG NRW; § 5 Abs 3 StrG BW; Art 6 Abs 2 S 3 BayStrWG; § 6 Abs 2 S 4 BbgStrG; § 5 Abs 1 S 2 BremLStrG; § 6 Abs 2 HambWG; § 4 Abs 1 S 3 HessStrG; § 7 Abs 1 S 5 StrWG MV; § 6 Abs 1 S 4 NdsStrG; § 36 Abs 1 S 4 LStrG RP; § 6 Abs 2 S 3 SaarlStrG; § 6 Abs 2 S 4 und 5 SächsStrG; § 6 Abs 2 S 4 und 5 StrG LSA; § 6 Abs 1 S 5 StrWG SH; § 6 Abs 2 S 2 und 3 ThürStrG mit gewissen Unterschieden. § 3 Abs 1 StrWG NRW; § 3 Abs 1 und 2 StrG BW; Art 3 Abs 1 BayStrWG; § 18 BerlStrG; § 3 Abs 1 BbgStrG; § 3 Abs 1 BremLStrG; § 3 Abs 1 HessStrG; § 3 StrWG MV; § 3 Abs 1 NdsStrG; § 3 LStrG RP; § 3 Abs 1 SaarlStrG; § 3 Abs 1 SächsStrG; § 3 Abs 1 StrG LSA; § 3 Abs 1 StrWG SH; § 3 Abs 1 ThürStrG. Vgl zB § 3 Abs 2–5 StrWG NRW; s Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 115; zur Widmung eines Weges als Rad- und Wanderweg BayVGH BayVBl 2003, 526 ff. Vgl hierzu BayVGH DVBl 1999, 866 ff. S dazu Herber in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 7, Rn 2.2; aus der Rspr bspw BayVGH BayVBl 2003, 526 ff. So schon Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 61.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap III 1 e

Regelungsformen stehen alternativ zur Verfügung. Nicht zum Inhalt der Widmung zu zählen ist der Akt der Namensgebung bei innergemeindlichen Straßen.241 d) Rechtswirkungen Zu den Besonderheiten der Widmung gehört die Vielfalt der von ihr ausgelösten 44 Rechtswirkungen. Die Verleihung des besonderen Rechtsstatus einer öffentlichen Straße, einschließlich ihrer Einstufung, ist als straßenrechtlicher Organisationsakt zu qualifizieren, der keine unmittelbaren Rechtswirkungen für den schlichten Straßenbenutzer entfaltet und daher auch von diesem nicht angefochten werden kann.242 Dies soll nach der Rechtsprechung auch für die Rechtsstellung von Straßenanliegern im Hinblick auf eine Widmungserweiterung gelten, durch die eine Fußgängerzone für gewerblichen Liefer- und Dienstleistungsverkehr zugänglich gemacht wird.243 Demgegenüber entfaltet die Widmung für den Straßenanlieger jedoch unmittelbare Außenrechtswirkung im Hinblick auf die spezifischen Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten der Anlieger von öffentlichen Straßen.244 Unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet die straßenrechtliche Widmung gegenüber einem privaten Eigentümer des Straßengrundstücks, der die von der Widmung zugelassenen Nutzungen zu dulden verpflichtet wird und gegenüber dem Träger der Straßenbaulast, der die von der Widmung begründete Unterhaltungslast zu tragen hat.245 Die Rechtswirkung der Widmung ist jedoch darauf beschränkt, die Beziehungen zwischen dem Träger der Straßenbaulast und dem von ihm verschiedenen Eigentümer des Straßengrundstücks einerseits und dem Straßenanlieger im Hinblick auf die zu seinen Lasten verfügten Duldungs- und Unterlassungspflichten andererseits zu gestalten. Die Widmung ist demgegenüber nicht als Vollzugsakt der vorgängigen Planungsentscheidung anzusehen und vermag daher das Rechtsverhältnis zwischen Grundeigentümer und planender Gemeinde nicht verbindlich auszugestalten. Die Bestandskraft der Widmung kann deshalb einem Folgenbeseitigungsanspruch auf Beseitigung rechtswidriger Folgen einer fehlerhaften Bauleitplanung nicht entgegengehalten werden.246 e) Rechtsschutz Gegen die in aller Regel als Verwaltungsakt ergehende Widmung ist Rechtsschutz 45 mittels Widerspruch und Anfechtungsklage eröffnet. Wird eine Widmung oder Widmungsbeschränkung begehrt, ist jedoch eine Verpflichtungsklage zu erheben. 241

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Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 32 a; zur Zuteilung und Änderung von Hausnummern: BayVGH BayVBl 2003, 284 f. S Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 60. So VGH BW UPR 1995, 75 f. Dazu jetzt BayVGH BayVBl 2003, 337; ebenso die bisher unveröffentl Rspr des OVG NRW, s die Nachw bei Otte NWVBl 1996, 41; vgl auch BVerwGE 80, 178 ff. S § 50 Abs 1 S 1 StrWG NRW; § 44 HessStrG; § 54 Abs 1 SaarlStrG; § 44 Abs 1 SächsStrG; § 42 Abs 1 StrG LSA; § 43 Abs 1 ThürStrG; dazu Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 34. BVerwGE 94, 100, 110 f unter Hinw auf BVerfGE 79, 174, 188; dazu Sauthoff NVwZ 1998, 239, 240.

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7. Kap III 2

Thomas von Danwitz

Für die Praxis ist die Frage der Anfechtungsbefugnis nach §42 Abs 2 VwGO bzw der Verletzung in subjektiven Rechten nach § 113 Abs 1 S1 VwGO von besonderer Bedeutung. Während sie Straßenbenutzern schlechthin fehlen wird 247, sind Anlieger 248 und vor allem private Eigentümer von Straßengrundstücken grundsätzlich anfechtungsbefugt. Gleiches gilt für die Straßenbaulastträger, sofern sie nicht zugleich Rechtsträger der Straßenbaubehörde sind, die die Widmung verfügt hat.249 Fehlt die Zustimmung eines widmungsbetroffenen Grundeigentümers sowie ggf des anfechtungsbefugten Straßenbaulastträgers, liegt gleichwohl der äußere Tatbestand einer Widmung vor.250 Auch führt das Fehlen dieser zentralen Wirksamkeitsvoraussetzung mangels Offenkundigkeit in der Regel nicht zur Nichtigkeit nach §44 Abs 1 VwVfG.251 Vielmehr begründet ein solcher Rechtsfehler lediglich die Aufhebbarkeit der Widmung und setzt daher die Anfechtung durch den Betroffenen voraus.252 Diese Lösung entspricht zwar nicht der traditionellen Bedeutung der Eigentümerzustimmung für das Zustandekommen der straßenrechtlichen Widmung, ist jedoch als Konsequenz aus der Zusammenführung von Grundstückseigentum, Straßenbaulast und Widmungsbefugnis „in einer Hand“ als Regelungsziel des heutigen Straßenrechts nur folgerichtig.253

2. Die tatsächliche Indienststellung der Straße 46 Die Entstehung einer öffentlichen Straße setzt nach der baulichen Herstellung und neben der Widmung auch die tatsächliche Indienststellung der Straße im Wege ihrer Übergabe für den öffentlichen Verkehr voraus.254 Die Verkehrsübergabe ist Realakt und unterliegt daher nicht der Anfechtung.255 Bis zur Verkehrsübergabe ist eine bereits verfügte Widmung schwebend unwirksam, während im umgekehrten Fall bis zur Rechtswirksamkeit der Widmung eine tatsächlich öffentliche Straße vorliegt.256 247 248

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S Otte NWVBl 1996, 41. Klagebefugnis bejaht von BayVGH BayVBl 2003, 377 mwN; ebenso die bei Otte NWVBl 1996, 41, 41 f nachgew Rspr des OVG NRW; ablehnend VGH BW UPR 1995, 75 f. Vgl Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 68. Dies verneint Salzwedel (Fn 5) Rn 15 mwN. Wie hier bereits Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 70 und Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 31. Für eine etwa fehlende Zustimmung des Straßenbaulastträgers ergibt sich dies bereits aus § 44 Abs 3 Nr 4 VwVfG. Auch für eine Nichtigkeit nach § 44 Abs 2 VwVfG sind keine Anhaltspunkte ersichtlich; vgl auch BayVGH DÖV 2001, 743f. So bereits BGHZ 48, 239, 244; BayObLG MDR 1971, 393, 394; Papier in: Erichsen/ Ehlers, AllgVwR, §42 Rn 25 f. Vgl Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 70. Fickert Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl 1989, § 6, Rn 22; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 71; Herber in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 7, Rn 15; Peine JZ 1996, 398, 404; aA Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 2, Rn 19. Fickert (Fn 254) § 6, Rn 22; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 71; Peine JZ 1996, 398, 404. Vgl Herber in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 7, Rn 15.1 und Rn 15.3.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap III 3 b

3. Veränderungen des Nutzungsumfangs Die in der Widmung erfolgte Funktionszuweisung und der dadurch bestimmte Umfang zulässiger Straßennutzung sind jedoch keine unveränderlichen Größen. Sie sind vielmehr von der tatsächlichen Verkehrsbedeutung abhängig. Daher sehen die Straßengesetze verschiedene Rechtsinstitute vor, um die in der Widmung getroffenen Festlegungen der veränderten Verkehrsbedeutung straßenrechtlich anpassen zu können. Dazu dienen – teilweise auch gekoppelt 257 – die Widmungserweiterung, die Teileinziehung, die Einziehung und die Umstufung der Straße. a) Widmungserweiterung Die Widmungserweiterung bewirkt die nachträgliche Ergänzung des Widmungs- 47 inhalts in der Weise, dass die Rechtswirkungen der Widmung erhalten bleiben und lediglich weitere Nutzungsmöglichkeiten zugelassen werden. Anliegerrechte werden durch die Widmungserweiterung ebenso wenig tangiert wie die in der Widmung festgelegte Straßenbaulast.258 Die nur in einigen Straßengesetzen ausdrücklich normierte,259 aber allgemein für zulässig erachtete Widmungserweiterung wird als Allgemeinverfügung gem § 35 S 2, 2. und 3. Alt VwVfG durch öffentliche Bekanntmachung wirksam. b) Teileinziehung Pendant zur Widmungserweiterung ist die Teileinziehung, deren Funktion als Teil- 48 entwidmung wohl plastischer bezeichnet ist.260 Wie bei der Widmungserweiterung bleibt der in der Widmung verfügte öffentliche Sachstatus der Straße ebenso wie die festgelegte Straßenbaulast unverändert erhalten. Nur der eröffnete Gemeingebrauch wird auf bestimmte Benutzungsarten, -zwecke und Benutzerkreise beschränkt.261 Auch die Teileinziehung wird als Allgemeinverfügung durch öffentliche Bekanntmachung wirksam. Voraussetzung für die Teileinziehung ist, dass die Straße insoweit ihre Verkehrsbedeutung verloren hat oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls für eine Teileinziehung vorliegen. Bei der insoweit erforderlichen Abwägung sind auch rechtlich geschützte Anliegerinteressen ebenso wie das all257 258

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Beispiele hierfür bei Schnebelt/Sigel (Fn 27) Rn 96, 108. S VGH BW UPR 1995, 75 f einerseits und Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 107 andererseits; ein Anspruch auf Widmungserweiterung kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn ein aufgrund einer bestandskräftigen Baugenehmigung bebautes Grundstück anders nicht zu erschließen ist, s VGH BW VBlBW 2004, 380 ff. § 6 Abs 4 S 2 StrWG NRW und BbgStrG; § 5 Abs 5 StrG BW. § 7 Abs 1 S 2 StrWG NRW; § 5 Abs 5 StrG BW; Art 8 Abs 1 S 2 BayStrWG; § 4 Abs 1 S 3 BerlStrG; § 8 Abs 1 S 2 BbgStrG; § 7 Abs 1 S 2 BremLStrG; § 9 Abs 2 StrWG MV; § 8 Abs 1 S 2 NdsStrG; § 8 Abs 1 S 2 SächsStrG; § 8 Abs 1 S 2 StrG LSA; § 8 Abs 1 S 2 ThürStrG. Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 2, Rn 72; Zeitler (Fn 222) Art 8, Rn 29; Fickert (Fn 254) § 7, Rn 16; Herber in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 10, Rn 15.1; Pappermann/Löhr/Andriske (Fn 91) 34.

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7. Kap III 3 c

Thomas von Danwitz

gemeine Verkehrsinteresse zu berücksichtigen, das sich aus den Nutzungsinteressen der gegenwärtigen und zukünftigen Straßenbenutzer und Anlieger ergibt.262 Eine Betroffenheit in subjektiven Rechten kommt nach der Rechtsprechung für „schlichte“ Straßenbenutzer von vornherein nicht in Betracht.263 Gleiches soll auch für Anlieger gelten, sofern die Teileinziehung das Anliegerrecht nicht tangiert.264 c) Einziehung durch Entwidmung 49 Während sich die Teileinziehung auf die widmungsrechtliche Begrenzung des Nutzungsrahmens öffentlicher Straßen beschränkt, verliert die öffentliche Straße ihren besonderen Rechtsstatus durch Entwidmung gänzlich.265 Als actus contrarius zur Widmung werden die von der Widmung bewirkten Rechtsfolgen aufgehoben. Dies gilt namentlich für die Bestimmung der Straßenbaulast und den Anliegergebrauch, aber auch für den Gemeingebrauch und etwaige Sondernutzungsbefugnisse.266 Durch die Einziehung lebt die etwaige Verfügungsbefugnis eines privaten Eigentümers am Straßengrundstück wieder vollständig auf, so dass eine Privatstraße entsteht.267 Die ebenfalls als Allgemeinverfügung ergehende Einziehung stellt einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung dar. Für einen Privateigentümer am Straßengrundstück wie für den Straßenbaulastträger entfaltet die Entwidmung begünstigende Wirkungen, während sie Anlieger und Sondernutzungsberechtigte belastend betrifft.268 Daher ist die Absicht der Einziehung drei Monate vorher öffentlich bekannt zu machen und Gelegenheit zu Einwendungen zu geben, wozu jedermann befugt ist.269

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Vgl OVG NRW NVwZ-RR 1995, 481, 482; dazu bereits Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 2, Rn 78; Zeitler (Fn 222) Art 8, Rn 12; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 110; Pappermann/Löhr/Andriske (Fn 91) 40. So VGH BW VBlBW 1994, 454; VBlBW 1999, 313. OVG NRW NVwZ-RR 1995, 481, 482 sowie die bei Otte NWVBl 1996, 41, 44 nachgew, bisher unveröffentlichte Rechtsprechung, jedoch unter Verwendung des Begriffs Anliegergebrauch. Allgemein zur Beendigung des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus Papier in: Erichsen/ Ehlers, AllgVwR, §42 Rn 28 f. § 2 Abs 7 S 1 FStrG; § 7 Abs 7 S 1 StrWG NRW; § 7 Abs 7 StrG BW; Art 8 Abs 4 BayStrWG; § 4 Abs 6 S 1 BerlStrG; § 8 Abs 5 S 1 BbgStrG; § 7 Abs 5 BremLStrG; § 7 Abs 5 HambWG; § 8 Abs 4 NdsStrG; § 37 Abs 6 LStrG RP; § 8 Abs 4 SaarlStrG; § 8 Abs 5 SächsStrG; § 8 Abs 5 StrG LSA; § 8 Abs 4 S 1 ThürStrG. Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 2, Rn 67 f; Zeitler (Fn 222) Art 8, Rn 23; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 120; Pappermann/Löhr/ Andriske (Fn 91) 42. S Salzwedel (Fn 5) Rn 21; zur Klagebefugnis von Nutzern bzw Anliegern im Falle der Einziehung s. VGH BW VBlBW 1999, 313; BVerwG NVwZ 2003, 613. Vgl § 2 Abs 5 S 1 FStrG; § 7 Abs 4 StrWG NRW; § 7 Abs 3 StrG BW; Art 8 Abs 2 BayStrWG; § 8 Abs 3 BbgStrG; § 6 Abs 2 HessStrG; § 8 Abs 2 NdsStrG; § 37 Abs 3 LStrG RP; § 8 Abs 2 SaarlStrG; § 8 Abs 4 SächsStrG; § 8 Abs 4 StrG LSA; § 8 Abs 3 ThürStrG; kürzere Fristen, in: § 4 Abs 2 S 2 BerlStrG; § 7 Abs 2 iVm § 6 Abs 3 BremLStrG; § 7 Abs 2 S 1 und 2 HambWG; § 9 Abs 3 und 4 StrWG MV; § 8 Abs 3 StrWG SH.

878

Straßen- und Wegerecht

7. Kap III 3 d

Wie bei der Teileinziehung setzt die Einziehung voraus, dass die Verkehrsbedeutung der Straße oder eines Teilabschnitts – jetzt allerdings vollständig – entfallen ist oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohles ihre Beseitigung erforderlich machen.270 Während die Voraussetzungen der Einziehung einheitlich geregelt sind, differieren die Straßengesetze in der Frage, ob die Einziehung als strikt gebundene Entscheidung erfolgen oder lediglich eine Regelbindung bestehen soll, die eine abweichende Entscheidung in Ausnahmefällen ermöglicht.271 d) Umstufung Auch für die mit der Widmung erfolgte Einordnung der Straße in das gesetzlich 50 vorgesehene System der Straßenklassen sehen die Straßengesetze die Möglichkeit vor, auf eine veränderte Verkehrsbedeutung der Straße durch eine entsprechende Umstufung zu reagieren. Je nach Art der Veränderung erfolgt sie als Auf- oder Abstufung, hat sich jedoch im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Klassifizierungsstufen zu halten.272 Die Umstufungsverfügung gliedert sich in zwei nicht trennbare Teilakte, nämlich zum einen die Aufhebung der bisherigen Klassifizierung und zum anderen die Neueinstufung. Daher kann der Bund gegenüber einem Land keine Weisung dahingehend aussprechen, eine Bundes- zu einer Landesstraße abzustufen.273 Vielmehr verbleibt ihm alleine die Möglichkeit, in Ausübung seines Weisungsrechts die Straße zu entwidmen und das weitere Vorgehen dem Land zu überlassen.274 Wichtigste Rechtsfolge einer Umstufung ist der damit verbundene Wechsel in der Straßenbaulast sowie der daran geknüpfte Übergang des Eigentums am Straßengrund.275 Auch die Umstufung erfolgt als Allgemeinverfügung und ist öffentlich bekannt zu machen. Eine Anfechtungsbefugnis der Straßenbenutzer besteht hier ebenso wenig wie bei der Einziehung.276 Straßenanliegern dürfte ein Klagerecht lediglich im Hinblick auf Anbaubeschränkungen zukommen, die sich aus einer Aufstufung ergeben können.277 Trotz ihrer erheblichen finanziellen Folgen für eine Gemeinde als be270 271

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Private Interessen Einzelner reichen nicht aus, s Finger/Müller NVwZ 2004, 953, 956 f. S einerseits § 2 Abs 4 FStrG; Art 8 Abs 1 BayStrWG; § 37 Abs 1 LStrG RP; § 8 Abs 1 SaarlStrG – andererseits § 7 Abs 2 StrWG NRW; § 8 Abs 2 Bbg StrG; § 8 Abs 1 NdsStrG; diff § 8 Abs 1 S 1 und 2 StrWG SH. Vgl § 2 Abs 3a und 4 FStrG; § 8 StrWG NRW; § 6 StrG BW; Art 7 BayStrWG; § 7 BbgStrG; § 6 BremLStrG; § 5 HessStrG; § 8 StrWG MV; § 7 NdsStrG; § 38 LStrG RP; § 7 SaarlStrG; § 7 SächsStrG; § 7 StrG LSA; § 7 StrWG SH; § 7 ThürStrG; Papier in: Erichsen/ Ehlers, AllgVwR, § 42 Rn 31 ff. S hierzu oben Rn 10; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs 4 1. Hs FStrG aF, Hermes JZ 2001, 92, 93. BVerfGE 102, 167, 175 → JK GG Art 85 III/2, s § 2 Abs 4 FStrG nF. § 6 Abs 1 FStrG; § 10 Abs 1 StrWG NRW; § 10 Abs 1 StrG BW; Art 11 Abs 4 BayStrWG; § 11 Abs 1 BbgStrG; § 11 Abs 1 HessStrG; § 18 Abs 1 StrWG MV; § 11 Abs 1 NdsStrG; § 10 Abs 4 SaarlStrG; § 11 Abs 1 SächsStrG; § 11 Abs 1 StrG LSA; § 17 Abs 1 StrWG SH; § 11 Abs 1 ThürStrG. S bsplsw § 14 Abs 1 S 2 StrWG NRW. Zum Rechtsschutz gegen die Umstufung s Otte NWVBl 1996, 41, 45. So bsplsw auch § 25 StrWG NRW.

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7. Kap IV

Thomas von Danwitz

troffener Straßenbaulastträger hält die Rechtsprechung die Abstufung für eine mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 Abs 2 GG vereinbare, gebundene Entscheidung der zuständigen Straßenbehörde.278 Darüber hinaus trifft den bisherigen Träger der Straßenbaulast auch keine Verpflichtung, das betroffene Straßenstück entsprechend seiner neuen Verkehrsbedeutung zurückzubauen. Die Erhaltungsverpflichtung des neuen Straßenbaulastträgers erstreckt sich allerdings nur auf den Zustand, der für das verringerte Verkehrsbedürfnis erforderlich ist.

4. Straßenrechtliche Statusakte im Dienste der Verkehrsberuhigung 51 Die vielfältigen Vorhaben zur innerstädtischen Verkehrsberuhigung und namentlich die Herstellung von Fußgängerzonen in Stadtzentren haben die Frage nach der Einsetzbarkeit straßenrechtlicher Statusakte für solche Vorhaben aufgeworfen. Die in einer Widmung ursprünglich oder im Wege der Teileinziehung nachträglich verfügten Widmungsbeschränkungen im Hinblick auf die zulässige Benutzungsart (Ausschluss des Kfz-Verkehrs) bilden die straßenrechtlich vorgesehenen Verfahren, um Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung realisieren zu können.279 Einer planungsrechtlichen Vorentscheidung durch Bebauungsplan bedarf es dazu nicht notwendigerweise.280 Die Einrichtung von Fußgängerbereichen muss jedoch auch in zeitlicher Hinsicht hinreichend bestimmt erfolgen und den betroffenen Anliegern zumutbar sein. Davon geht die Rechtsprechung aus, wenn die Möglichkeit zur Grundstückszufahrt für wenige Stunden gewährleistet bleibt.281 In der Praxis dürfte demgegenüber die verkehrsrechtliche Möglichkeit zur Einrichtung von Fußgängerzonen und sonstigen verkehrsberuhigten Bereichen gem § 45 Abs 1b S 1 Nr 3 StVO auf der Grundlage eines entsprechenden planerisch-städtebaulichen Gesamtkonzeptes 282 bevorzugt werden.

IV. Straßenbaulast und Straßenverkehrssicherungspflicht Die aus dem Bau und der Unterhaltung von öffentlichen Straßen resultierenden Aufgaben und die damit zusammenhängende Verantwortlichkeit für einen verkehrssicheren Zustand der Straßen werden traditionell anhand der Rechtsinstitute der Straßenbaulast und der Straßenverkehrssicherungspflicht bestimmt. Mag die strikte Unterscheidung zwischen beiden Rechtsinstituten auch dogmatisch 278 279 280 281 282

S BVerwG NVwZ 1995, 700 ff; NdsOVG DVBl 1994, 1203 ff m Anm Sauthoff. Statt vieler s Steiner DVBl 1992, 1561, 1563 ff. So VGH BW ESVGH 41, 45, 49. Vgl VGH BW VBlBW 1994, 314, 316. Vgl dazu Manssen DVBl 1997, 633, 636 f; zur größeren Flexibilität von straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen gem § 45 StVO gegenüber dem straßenrechtlichen Teileinziehungsverfahren, ders DÖV 2001, 151, 154 f.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap IV 1

kaum überzeugen,283 so bildet sie für die Rechtsprechung und Rechtspraxis den maßgeblichen Ausgangspunkt für die Bewältigung konkret anstehender Rechtsfragen.

1. Die Straßenbaulast Der Begriffsbestimmung der Straßengesetze von Bund und Ländern zufolge umfasst 52 die Straßenbaulast alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straße zusammenhängenden Aufgaben.284 Damit haben die Straßengesetze den Straßenbau als Hoheitsaufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge ausgestaltet. Demnach ist der jeweilige Straßenbaulastträger, dem die Straße entsprechend ihrer Einstufung zugeordnet ist, dazu verpflichtet, die Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern. Neben der baulichen Herstellung unterfallen dieser Verpflichtung auch die Planung, Finanzierung und Verwaltung.285 Nicht zur Straßenbaulast zählen die Beleuchtungs-, Reinigungs-, Räum- und Streupflichten.286 Das bestehende umfassende Pflichtenbündel, zu dem auch die Wahrung der Belange des Umweltschutzes und des Städtebaus sowie von besonders schutzbedürftigen Bevölkerungsteilen gehört,287 wird indes durch die organisatorische und finanzielle Leistungsfähigkeit des Straßenbaulastträgers begrenzt.288 Die auf Grund der Finanzknappheit der öffentlichen Haushalte zunehmend fehlende Leistungsfähigkeit hat in jüngerer Zeit eine Diskussion über probate Lösungsmöglichkeiten entfacht. Zum einen beziehen sich die Überlegungen auf die Errichtung einer Bundesfernstraßengesellschaft, zum anderen aber vor allem auf die Möglichkeiten einer Einschaltung Privater in Bau, Unterhaltung, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen.289 Auch wenn der verstärkten Einschaltung Privater aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht 283

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S dazu Bartlsperger Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, 1970; ders DVBl 1973, 465 ff. S § 3 Abs 1 S 1 FStrG; § 9 Abs 1 S 1 StrWG NRW; § 9 Abs 1 S 1 StrG BW; Art 9 Abs 1 S 1 BayStrWG; § 7 Abs 2 S 1 BerlStrG; § 9 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 10 Abs 1 S 1 BremLStrG; § 13 Abs 1 S 1 HambWG; § 9 Abs 1 S 1 HessStrG; § 11 Abs 1 S 1 StrWG MV; § 9 Abs 1 S 1 NdsStrG; § 11 Abs 1 S 1 LStrG RP; § 9 Abs 1 S 1 SaarlStrG; § 9 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 9 Abs 1 S 1 StrG LSA; § 10 Abs 1 S 1 StrWG SH; § 9 Abs 1 S 1 ThürStrG. Vgl Rinke in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 12, Rn 10 ff. Hierzu vgl Schnebelt/Sigel (Fn 27) Rn 195 ff. § 3 Abs 1 S 2, 2. Hs FStrG; § 9 Abs 2 StrWG NRW; § 9 Abs 1 S 3 StrG BW; Art 9 Abs 1 S 4 f. BayStrWG; § 7 Abs 2 S 3 BerlStrG; § 9 Abs 1 S 3 BbgStrG; § 11 Abs 1 S 2, 2. Hs StrWG MV; § 11 Abs 3 S 1 LStrG RP; § 9 Abs 1 S 2, 2. Hs SächsStrG; § 9 Abs 1 S 2, 2. Hs StrG LSA; § 10 Abs 2 StrWG SH; § 9 Abs 1 S 3 ThürStrG. Vgl § 3 Abs 1 S 2 1. HS FStrG; § 9 Abs 1 S 2 StrWG NRW; § 9 Abs 1 S 2 StrG BW; Art 9 Abs 1 S 2 BayStrWG; § 7 Abs 2 S 2 BerlStrG, § 9 Abs 1 S 2 BbgStrG; § 10 Abs 1 S 2 BremLStrG; § 13 Abs 3 S 1 HambWG; § 9 Abs 1 S 2 HessStrG; § 11 Abs 1 S 2 StrWG MV; § 9 Abs 1 S 2 NdsStrG; § 11 Abs 1 S 3 LStrG RP; § 9 Abs 1 S 2 SaarlStrG; § 9 Abs 1 S 2 SächsStrG; § 9 Abs 1 S 2 StrG LSA; § 10 Abs 1 S 2 StrWG SH; § 9 Abs 1 S 2 ThürStrG. Ausführlich Uechtritz DVBl 2002, 739 ff; Arndt Die Privatfinanzierung von Bundesfernstraßen, 1998.

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7. Kap IV 2

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keine größeren Hindernisse entgegenstehen,290 bildet die grundrechtliche Kerngewährleistung des Gemeingebrauchs eine Grenze im Hinblick auf eine Privatisierung in großem Umfang. Da die Privatisierung aber noch in den Kinderschuhen steckt, stehen zurzeit andere Gesichtspunkte im Vordergrund. So ist die Frage klärungsbedürftig, ob die privaten Betreiber für die Nutzung ein privates Entgelt verlangen können oder auf die vorhandenen öffentlich-rechtlichen Gebührenmodelle angewiesen sind.291 Dogmatischer Eckstein der Straßenbaulast und zugleich Stein des Anstoßes vielfacher Kritik ist die von der Rechtsprechung getroffene Festlegung, dass die aus der Straßenbaulast resultierenden Pflichten dem Straßenbaulastträger nur im Interesse der Allgemeinheit auferlegt sind. Ein Anspruch Einzelner auf Erfüllung der Straßenbaulast kann daher prinzipiell nicht bestehen.292 Mangels Drittgerichtetheit der aus der Straßenbaulast resultierenden Amtspflichten kommt eine Amtshaftung gem Art 34 GG iVm § 839 Abs 1 BGB ebenso wenig in Betracht.293 Für die Einhaltung der Pflichten, die sich aus der Straßenbaulast ergeben, kann mithin nur die staatliche Straßenaufsicht sorgen. An deren Effektivität sind jedoch vor allem auf Grund ihrer begrenzten finanziellen Leistungsfähigkeit Zweifel durchaus angebracht.294

2. Die Straßenverkehrssicherungspflicht 53 Die überkommene Rechtsprechung und Lehre sieht in der Straßenverkehrssicherungspflicht eine Verpflichtung des Trägers der Straßenbaulast, die trotz weitgehender inhaltlicher Deckungsgleichheit mit der Straßenbaulast als rechtlich eigenständige, auf einem gesonderten Rechtsgrund beruhende Rechtspflicht zu behandeln ist. Diese bestreitbare, an den Umstand der Verkehrseröffnung anknüpfende Konstruktion ermöglicht es der Rechtsprechung indes, im Einzelfall einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zusprechen zu können. Konsequenterweise hat die Rechtsprechung diese Haftung auf die allgemeinen Vorschriften des privaten Deliktsrechts nach §§ 823 ff BGB gestützt.295 Zugleich hat diese Rechtsprechung die Möglichkeit einer Schadensersatzpflicht nach Amtshaftungsgrundsätzen gem Art 34 GG, § 839 Abs 1 BGB zugelassen, soweit die Verkehrssicherungspflicht landesgesetzlich als öffentlich-rechtliche Pflicht ausgestaltet worden ist.296 Von dieser Möglichkeit haben die Landesgesetzgeber umfassend Gebrauch gemacht und die mit dem Bau und der Unterhaltung öffent290

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Pabst Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung im Fernstraßenbau, 1997, 263 ff; Uechtritz DVBl 2002, 739, 740 f. Vgl zur Fragen der Entgeltlichkeit, unten Rn 54; Uechtritz DVBl 2002, 739, 742 f. BGHZ 112, 74, 75; BGH DÖV 1967, 387, 388; OVG NRW NVwZ-RR 1995, 482, 483 stRspr; ebenso Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 3, Rn 3; Rinke in: Kodal/ Krämer (Fn 9) Kap 12, Rn 5; Otte NWVBl 1996, 41, 48 mwN auf die unveröffentl Rspr des OVG NRW. BGHZ 112, 74, 75 – stRspr. S Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 98. BGHZ 60, 54, 55 f; 54, 165, 168; 9, 373, 387 – stRspr; vgl auch BVerwGE 35, 334, 337; 14, 304, 306. Dazu insges Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, 2. Teil, III., 31 ff. S BGHZ 60, 54, 56; am Bsp des Thüringer Straßengesetzes Brenner LKV 1998, 369, 372.

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7. Kap V

licher Straßen einschließlich der Bundesfernstraßen sowie der Erhaltung der Verkehrssicherheit zusammenhängenden Aufgaben als hoheitliche Tätigkeit qualifiziert.297 Eine Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflichten löst demgemäß die Amtshaftung nach Art 34 GG, § 839 Abs 1 BGB aus.298 Dennoch beharrt die Rechtsprechung einerseits auf der Unanwendbarkeit der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs 1 BGB und beschränkt die Amtshaftung andererseits auf eine Verletzung der Schutzgüter des § 823 Abs 1 BGB.299 Auch im Übrigen geht die Rechtsprechung von einer inhaltlichen Übereinstimmung der Amtspflichten gem § 839 Abs 1 BGB mit den Verkehrssicherungspflichten nach § 823 Abs 1 BGB aus.300 Danach hat sich der Straßenbenutzer den bestehenden Straßenverhältnissen grundsätzlich anzupassen, während der Verkehrssicherungspflichtige Gefahrenquellen nach Möglichkeit zu beseitigen und die nach den örtlichen Gegebenheiten und der allgemeinen Verkehrsauffassung erforderlichen Warn- und Schutzmaßnahmen anzuordnen hat.301 Aus der weitgehenden Kongruenz zwischen Straßenbaulast und Verkehrssicherungspflicht folgen auch Begrenzungen der Verkehrssicherungspflicht durch die Widmung. Die Reichweite der Verkehrssicherungspflicht ist namentlich davon abhängig, welchem Verkehr die Straße dienen soll bzw nach ihrer Beschaffenheit dienen kann.302 Jedoch spielt bei der Verkehrssicherungspflicht die Leistungsfähigkeit keine Rolle. Im Schadensfall ist unabhängig davon Ersatz zu leisten.303

V. Das Regime straßenrechtlicher Nutzungsformen Bereits die Alltagserfahrung der verschiedenartigen, sich überschneidenden und mitunter in konfliktträchtiger Weise begehrten Nutzungen des öffentlichen Straßenraums für Zwecke der Fortbewegung, der Unterhaltung, des Sports,304 des gewerblichen Angebots von Waren und Dienstleistungen sowie des Abstellens von Gegenständen belegt die praktische Notwendigkeit einer straßenrechtlichen Nutzungsordnung mit schlagender Deutlichkeit. Zur Steuerung der Straßenbenutzung und Vermeidung von Konflikten zwischen verschiedenen Nutzungsansprüchen 297

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§ 9 a StrWG NRW; § 59 StrG BW; Art 72 BayStrWG; § 7 Abs 6 BerlStrG; § 10 Abs 1 BbgStrG; § 9 BremLStrG; § 5 HambWG; § 10 Abs 1 StrWG MV; § 10 Abs 1 NdsStrG; § 48 Abs 2 LStrG RP; § 9 Abs 3 a SaarlStrG; § 10 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 10 Abs 1 StrG LSA; § 10 Abs 4 StrWG SH; § 10 Abs 1 ThürStrG. Allgemein zur Amtshaftung wegen Verletzung von Amtspflichten im öffentlich-rechtlichen Rechtskreis Rüfner in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 47 Rn 7 ff; Untersuchung am Beispiel der Anpflanzung von Straßenbäumen, Manssen NZV 2001, 149, 152. BGH NuR 1994, 49f; BGHZ 75, 134, 135 ff → JK BGB § 839/1. BGHZ 118, 368, 371 mwN; so bereits Salzwedel (Fn 5) Rn 48. BGHZ 112, 74, 75f mwN; vgl zum Problem va Rinne NJW 1996, 3303 ff. BGH NJW 1991, 2824, 2825; s dazu Rinne NVwZ 2003, 9, 10 ff. Zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Verkehrssicherungspflicht mit einer bloßen Warnung vor der Gefahr erfüllt werden kann, vgl Terwiesche DVP 2000, 191, 196. S zum Sport auf öffentlichen Straßen: Neumann Sport auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, 2002, S 114 ff.

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7. Kap V 1 a

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unterscheidet das Straßenrecht in typisierender Weise zwischen dem Gemeingebrauch, den Sondernutzungen und dem Anliegergebrauch.

1. Der Gemeingebrauch a) Inhalt und Bedeutung 54 Mit gewissen Nuancen definieren die Straßengesetze den Gemeingebrauch als den Gebrauch der Straße, der jedermann ohne besondere Zulassung zum Zwecke des Verkehrs gestattet ist.305 Vom Gemeingebrauch erfasst ist der Fortbewegungsverkehr von Fußgängern und Fahrzeugen einschließlich seiner widmungskonformen Unterbrechungen sowie der kommunikative Verkehr.306 Die Anordnung von Anwohnerparkrechten auf Grund von § 45 Abs 1 b S 1 Nr 2 a StVO 307 stellt eine gruppenbezogene Beschränkung des Gemeingebrauchs dar. Auch das Dauerparken von betriebsbereiten Kraftfahrzeugen im Straßenraum und das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf öffentlichen Parkplätzen zum Zwecke des Verkaufs zählen zum Gemeingebrauch.308 Der Gemeingebrauch wird grundsätzlich unentgeltlich gewährt, die Landesstraßengesetze unterstellen die Erhebung von Benutzungsgebühren dem Vorbehalt einer besonderen gesetzlichen Regelung.309 Obwohl die Unentgeltlichkeit also kein Wesensmerkmal des Gemeingebrauchs darstellt, sind allgemeine Straßenbenutzungsgebühren bisher nur für das Parken auf Grund von § 6 a Abs 6 und 7 StVG sowie die Benutzung von Autobahnen durch den Güterkraftverkehr 310 einge305

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§ 7 Abs 1 FStrG; § 14 Abs 1 StrWG NRW; § 13 Abs 1 StrG BW; Art 14 Abs 1 BayStrWG; § 10 Abs 2 BerlStrG; § 14 Abs 1 BbgStrG; § 15 Abs 1 BremLStrG; § 16 Abs 1 HambWG; § 14 HessStrG; § 21 Abs 1 StrWG MV; § 14 Abs 1 NdsStrG; § 34 Abs 1 LStrG RP; § 14 Abs 1 SaarlStrG; § 14 Abs 1 SächsStrG; § 14 Abs 1 StrG LSA; § 20 Abs 1 StrWG SH; § 14 Abs 1 ThürStrG; eingehend zum Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rn 1 ff. Zu den Sonderformen der „kommunikativen“ Straßennutzung näher unten Rn 60 ff. Zur Zulässigkeit der flächendeckenden Überspannung einer Innenstadt mit Bewohnerparkzonen vgl oben Rn 8. S so zuletzt OVG NRW NWVBl 2001, 358 ff mwN → JK StrWG NW § 14/1; nicht zum Gemeingebrauch zählt jedoch das Abstellen eines nicht betriebsbereiten KFZ, s OVG NRW DÖV 2004, 800 ff; eines Wohmobils auf einem öffentlichen Parkplatz zum Zwecke des Wohnens, s OLG SH NZV 2003, 347 f und das Abstellen eines Anhängers zu Werbezwecken, s OVG Hamburg NJW 2004, 1970f; VG Frankfurt NVwZ-RR 2004, 375 ff. § 7 Abs 1 S 4 FStrG; § 14 Abs 4 StrWG NRW; Art 14 Abs 2 BayStrWG; § 14 Abs 3 BbgStrG; § 14 Abs 3 NdsStrG; § 34 Abs 4 S 1 LStrG RP; § 14 Abs 2 SächsStrG; § 14 Abs 3 StrG LSA; § 14 Abs 3 ThürStrG; vgl hierzu auch die Kompetenznorm des Art 74 Abs 1 Nr 22 GG. S das Gesetz zum Übereinkommen zwischen Belgien, Dänemark, Deutschland, Luxemburg und die Niederlande v 9. 2. 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen v 30. 8. 1994 (BGBl II 1765), zul geänd am 29. 10. 2001 (BGBl I 2785); zur EG-rechtlichen Grundlage s die Richtlinie 93/89/EWG v 25. 10. 1993, ABl EG v 12. 11. 1993 Nr L 279/32 ff, inzwischen ersetzt durch die Richtlinie 99/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge v 17. 6. 1999, ABl EG v 20. 7. 1999 Nr L 187/42 ff; zul geänd im Rahmen der Osterweiterung, ABl EG v 23. 9. 2003 Nr. L 236/33.

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7. Kap V 1 b

führt worden. Im letztgenannten Bereich ist auf Grund der jüngsten Gesetzgebung ein Wandel von Benutzungsgebühren hin zu einer Mauterhebung erfolgt.311 Also hängt die Zahlung nicht mehr lediglich von einem bestimmten Benutzungszeitraum ab, sondern von der zurückgelegten Entfernung.312 Losgelöst von der Frage, ob es sich um Güterkraftverkehr handelt, sieht das Gesetz über die private Finanzierung von Bundesfernstraßen eine Mauterhebung für die Benutzung von Brücken, Tunneln und Gebirgspässen vor.313 Die grundrechtliche Kerngewährleistung, die das BVerwG für den Gemeingebrauch bereits frühzeitig angenommen hat,314 dürfte einer weiteren Einführung von Straßenbenutzungsgebühren nur äußerste Grenzen vorgeben.315 b) Schranken Schranken des Gemeingebrauchs ergeben sich einerseits aus dem Widmungsinhalt 55 mitsamt etwaigen Beschränkungen auf bestimmte Benutzungsmodalitäten und der straßengesetzlich vorgeschriebenen Nutzung zu Verkehrszwecken. Andererseits ergeben sich die Grenzen der konkreten Nutzungsmöglichkeiten aus den Straßenverkehrsvorschriften, die die straßenrechtlichen Regelungen über den Gemeingebrauch in Bezug nehmen.316 Während die allgemeinen straßenrechtlichen Schranken den abstrakten Gemeingebrauch umschreiben, bezeichnen die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften den jeweils zulässigen Nutzungsumfang, den konkreten Gemeingebrauch.317 Aus der Übertretung beider Begrenzungen ergeben sich jedoch unterschiedliche Konsequenzen. Ein Verstoß gegen die allgemeinen straßenrechtlichen Schranken führt regelmäßig zur Behandlung als Sondernutzung, ein Über311

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Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen v 5. 4. 2002 (BGBl I 1234), zul geänd am 28. 6. 2003 (BGBl I 1050); s Roth NVwZ 2003, 1056 ff; Stüer DVBl 2003, 582, 583 f; Uechtritz/Deutsch DVBl 2003, 575 ff; zu verfassungs- und europarechtlichen Fragen im Hinblick auf die streckenbezogenen Gebühren, Klinski DVBl 2002, 221 ff. Zur Definition der Begriffe „Benutzungsgebühr“ und „Mautgebühr“ s Art 2 b) und c) der Richtlinie 99/62/EG (Fn 310). Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private v 30. 8. 1994 (BGBl I 2243), neugefasst durch Bek vom 20. 1. 2003 (BGBl I 98); s hierzu Drömann/Tegtbauer NVwZ 2004, 296 ff; Schmitt Bau, Erhaltung, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private nach dem FStrPrivFinG, 1999, 17 f. BVerwGE 32, 222, 224; 30, 235, 238. S eingehend Ossenbühl NuR 1996, 53, 61 f mwN; zum Problem der Unentgeltlichkeit Papier in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR, § 43 Rn 47; zur Debatte über die Ausweitung der Mauterhebung auf andere Fahrzeuge als schwere Lkw, Klinski DVBl 2002, 221, 228 mwN. Vgl § 7 Abs 1 S 1 FStrG; § 14 Abs 1 S 1 StrWG NRW; § 13 Abs 1 S 1 StrG BW; § 14 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 15 Abs 1 BremLStrG; § 16 Abs 1 S 2 HambWG; § 14 S 1 HessStrG; § 21 Abs 1 S 1 StrWG MV; § 14 Abs 1 S 1 NdsStrG; § 34 Abs 1 S 1 LStrG RP; § 14 Abs 1 S 1 SaarlStrG; § 14 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 14 Abs 1 S 1 StrG LSA; § 20 Abs 1 StrWG SH; § 14 Abs 1 ThürStrG. Vgl Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 111; Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 74 ff.

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7. Kap V 2 a

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treten der Verkehrsregeln stellt jedoch eine rechtlich unzulässige Art der Gemeingebrauchsausübung dar.318 c) Die Rechtsstellung des Straßenbenutzers 56 Für jeden Einzelnen besteht ein subjektiv-öffentliches Recht auf Teilnahme am bestehenden Gemeingebrauch. Aus der in den Landesstraßengesetzen allgemein getroffenen Bestimmung, dass ein Anspruch auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs nicht besteht,319 schließt die Rechtsprechung allgemein, dass ein „schlichter“ Straßenbenutzer durch den Wegfall oder die Einschränkungen des Gemeingebrauchs nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann.320 Angesichts der grundrechtlichen Fundierung, die das BVerwG für die Teilnahme am bestehenden Gemeingebrauch angenommen hat,321 erscheint die Annahme eines Rechtsanspruchs des Straßenbenutzers auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Einschränkung jedoch geboten.322

2. Die Sondernutzung a) Begriff und Arten 57 Straßenrechtliche Sondernutzung ist die über den abstrakten Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung der Straße.323 Als Sondernutzung sind demgemäß einerseits Benutzungen anzusehen, die den von der Widmung gezogenen Rahmen sprengen 324 und andererseits solche Nutzungen, die nicht zu Verkehrszwecken erfolgen.325 Im Rahmen der straßenrechtlichen Sondernutzung geht es im Kern um die Feststellung, ob und in welchem Umfang die begehrte „Sondernutzung“ geeignet ist, den wid318

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Zum Verhältnis von Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht bei Überschreitung beider Schranken, BGH NJW 2002, 1280 ff. Vgl § 14 Abs 1 S 2 StrWG NRW; § 13 Abs 2 StrG BW; Art 14 Abs 3 BayStrWG; § 10 Abs 2 S 2 BerlStrG; § 14 Abs 1 S 2 BbgStrG; § 15 Abs 2 BremLStrG; § 14 S 2 HessStrG; § 21 Abs 5 StrWG MV; § 14 Abs 2 NdsStrG; § 34 Abs 1 S 2 LStrG RP; § 14 Abs 2 SaarlStrG; § 14 Abs 1 S 2 SächsStrG; § 14 Abs 1 S 2 StrG LSA; § 20 Abs 3 StrWG SH. BVerwG NVwZ 2003, 613, 615; VGH BW VBlBW 1999, 313; Otte NWVBl 1996, 41, 43; dies gilt auch für Inhaber von Linienverkehrsgenehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz, s VGH BW DÖV 2004, 492 f und erst recht für Inhaber einer Sondernutzungserlaubnis, s VGH BW NVwZ-RR 2003, 311 ff. BVerwGE 32, 222, 224; 30, 235, 238; vgl auch BVerwGE 94, 136, 138 f. So auch Sauthoff NVwZ 2004, 674, 677; weitergehend Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 112 und Lorenz VBlBW 1984, 329, 334. § 8 Abs 1 S 1 FStrG; § 18 Abs 1 S 1 StrWG NRW; § 16 Abs 1 S 1 StrG BW; Art 18 Abs 1 S 1 BayStrWG; § 11 Abs 1 BerlStrG; § 18 Abs 1 S 1 BbgStrG; § 18 Abs 1 BremLStrG; § 19 Abs 1 S 1 HambWG; § 16 Abs 1 S 1 HessStrG; § 22 Abs 1 S 1 StrWG MV; § 18 Abs 1 S 1 NdsStrG; § 41 Abs 1 S 1 LStrG RP; § 18 Abs 1 S 1 SaarlStrG; § 18 Abs 1 S 1 SächsStrG; § 18 Abs 1 S 1 StrG LSA; § 21 Abs 1 StrWG SH; § 18 Abs 1 S 1 ThürStrG. Zum Verhältnis von straßenverkehrsrechtlichen Sonderrechten und straßenrechtlichen Sondernutzungen, Eiffler NVZ 2000, 319 ff. Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 113; Zörner LKV 1997, 160, 161; s Übersicht zu (un-)zulässigen Erwägungen bei Sauthoff (Fn 9), Rn 648 ff.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap V 2 b

mungsgemäßen Verkehr zu beeinträchtigen, der als Gemeingebrauch straßenrechtlich geschützt ist. 326 Eine tatsächliche Gefährdung der Gemeingebrauchsausübung Dritter muss hierfür nicht vorliegen. Aus Sicht des Straßenrechts liegt es daher gleichsam auf der Hand, dass Benutzungen wie das Aufstellen von Informationsständen und die Einrichtung von Straßencafés in Fußgängerzonen einer öffentlichrechtlichen Erlaubnispflicht unterworfen sind. Schwierig ist die Einordnung der Tätigkeit privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Straßenraum. Obwohl es sich dabei um die Ausübung eines Gewerbes handelt, dürfte die Nutzung der Straße durch solche Dienste dem Gemeingebrauch zuzurechnen sein, wenn und soweit sich die jeweilige Tätigkeit ihrem äußeren Erscheinungsbild nach nicht von der sonstigen Teilnahme am Gemeingebrauch unterscheidet.327 Für Inanspruchnahmen des Straßenraumes, die den Gemeingebrauch nicht oder nur vorübergehend beeinträchtigen, können Sondernutzungen nach bürgerlichem Recht gestattet werden.328 Dabei kann die Zustimmung von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht werden.329 b) Sondernutzungserlaubnisse nach öffentlichem Recht Die öffentlich-rechtliche Erlaubnispflicht von Sondernutzungen, die den Gemein- 58 gebrauch beeinträchtigen, ist von den Straßengesetzen als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet worden. Die für die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen grundsätzlich zuständige Straßenbaubehörde 330 erhält auf diese Weise Gelegenheit zu prüfen, ob durch die beantragte Straßennutzung Rechtsgüter Dritter oder Interessen der Allgemeinheit beeinträchtigt werden.331 Die im Ermessen stehende Entscheidung über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ist in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben 332 auf Grund einer straßenrechtlichen Betrachtungsweise zu treffen, die im Zusammenhang zum Widmungszweck der Straße

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Vgl § 23 Abs 1 StrWG NRW; Art 18 Abs 1 BayStrWG. S dazu Pielow (Fn 83) F III Rn 12 ff. § 8 Abs 10 FStrG; § 23 StrWG NRW; § 21 Abs 1 StrG BW; Art 22 Bay StrWG; § 23 Abs 1 BbgStrG; § 19 BremLStrG; § 20 Abs 1 HessStrG; §§ 24 Abs 2, 30 Abs 1 StrWG MV; § 23 Abs 1 NdsStrG; § 45 Abs 1 LStrG RP; § 22 SaarlStrG; § 23 Abs 1 SächsStrG; § 23 Abs 1 StrG LSA; § 28 Abs 1 StrWG SH; § 23 Abs 1 ThürStrG. S § 8 Abs 10 FStrG; § 23 Abs 1 StrWG NRW; § 21 Abs 1 StrG BW; Art 22 Abs 1 BayStrWG; § 11 Abs 9 BerlStrG; § 23 Abs 1 BbgStrG; § 19 BremLStrG; § 20 Abs 1 HessStrG; § 30 Abs 1 StrWG MV; § 23 NdsStrG; § 45 Abs 1 LStrG RP; § 22 SaarlStrG; § 23 Abs 1 SächsStrG; § 23 Abs 1 StrG LSA; § 28 Abs 1 StrWG SH; § 23 Abs 1 ThürStrG. § 8 Abs 1 S 2 FStrG; § 18 Abs 1 S 2 StrWG NRW; § 16 Abs 2 S 1 StrG BW; Art 18 Abs 1 S 1 BayStrWG; § 11 Abs 1 BerlStrG; § 18 Abs 1 S 2 BbgStrG; § 16 Abs 1 S 1 HessStrG; § 41 Abs 1 S 1 LStrG RP; § 18 Abs 1 S 1, 2. Hs SaarlStrG; § 18 Abs 1 S 2 SächsStrG; § 18 Abs 1 S 2 StrG LSA; § 21 Abs 1 S 1 StrWG SH; § 18 Abs 1 S 2 ThürStrG; Abweichungen vom Grundsatz: § 22 Abs 1 S 1 StrWG MV und § 18 Abs 1 S 2 NdsStrG (Träger der Straßenbaulast); § 18 Abs 4 BremLStrG (Ortspolizeibehörde); § 19 Abs 1 S 2 HambWG (Wegeaufsichtsbehörde). S BVerwGE 84, 71, 75 f; 56, 56 ff; OVG S-Anh LKV 2002, 335 f. S aber § 11 Abs 2 S 2 BerlStrG; § 18 Abs 2 S 4 BbgStrG.

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7. Kap V 2 b

Thomas von Danwitz

steht.333 Der straßenrechtliche Ermessensrahmen wird jedoch durch die Einbeziehung allgemeiner Belange ordnungs- oder umweltschutzrechtlicher Art überschritten.334 Eine unzulässige Ermessensausübung kann auch im Abstellen auf das gewerberechtliche Kriterium „bekannt und bewährt“ vorliegen.335 Diese Einschränkungen des Ermessens gelten auch für entsprechende Festlegungen in kommunalen Sondernutzungssatzungen,336 denn in diesen können die Gemeinden zwar Sondernutzungen näher bestimmen oder von der Erlaubnispflicht befreien, jedoch ist es ihnen verwehrt, ein Verhalten als Sondernutzung einzustufen, das generell dem Gemeingebrauch unterfällt.337 Den Gemeinden steht auch die Befugnis nicht zu, durch Satzung die Sondernutzung von bestimmten Straßen und Plätzen generell auszuschließen.338 Straßenrechtlich als Sondernutzung zu qualifizierende Verhaltensweisen, die zugleich als Ausübung vorbehaltlos gewährter Grundrechte zu werten sind, unterliegen gleichwohl der prinzipiellen Erlaubnispflicht des Straßenrechts. In solchen Fällen besteht indes regelmäßig ein Anspruch auf Genehmigungserteilung.339 Während die bloße Verfolgung von erwerbswirtschaftlichen Motiven grundsätzlich irrelevant ist, kann ein mit der Grundrechtsausübung einhergehender Verkauf von Waren und Dienstleistungen eine straßenrechtlich veränderte Beurteilung der Störungswirkung für den Gemeingebrauch rechtfertigen.340 Etwas Besonderes gilt für eine Grundrechtsausübung nach Art 8 GG, denn auch für Sondernutzungen gelten insoweit die abschließenden Regelungen des Versammlungsgesetzes.341 Eine Sondernutzungserlaubnis ist jedoch erforderlich, wenn eine Nutzung der Straße verlangt wird, die nicht als integraler Bestandteil der Versammlung anzusehen bzw. für deren Durchführung nicht zwingend erforderlich ist.342 333

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S allg HessVGH NVwZ 1994, 189, 190; OVG NRW MittNWStGB 1995, 50; VGH BW NVwZ-RR 1997, 677 ff; VGH BW NVwZ-RR 2001, 159, 160. BVerwGE 47, 280, 284; OVG Schleswig-Holstein NVwZ 1992, 70, 71; VGH BW VBlBW 1997, 107, 108; VG Gelsenkirchen NWVBl 2004, 396 ff; einen Verstoß gegen die Sperrwirkung bundesrechtlicher Vorschriften über die Abfallvermeidung nimmt BVerwGE 104, 331, 334 an; HessVGH NVwZ 1987, 902, 903 → JK StrG Hess § 16 I 1/1; OVG NRW NVwZ 1988, 269, 270. VGH BW NVwZ-RR 2001, 159 ff, hierzu Meßmer JuS 2002, 755 ff. BVerwGE 104, 331, 334; dazu Sendler UPR 1997, 354ff; zu den sog Bettelsatzungen s Bindzus/Lange JuS 1996, 482 ff; aA BayVGH NVwZ 1994, 187, 188 → JK StrWG Bay Art 18/1. VGH BW NVwZ 1999, 560 → JK Pol- u OrdR Straßen- u Wegerecht/1; Höfling DV 33 (2000) 207, 214; Kohl NVwZ 1998, 620, 624. OVG Thüringen LKV 2001, 469 ff → JK StrG Thür § 18 I/1. BVerwG NJW 1997, 406, 407 → JK GG Art 4 I/15; BVerwGE 84, 71, 75f; weitergehend der Kammerbeschluß BVerfG NVwZ 1992, 53f kritisch dazu Lorenz JuS 1993, 375 ff; Bsp für nicht bestehenden Anspruch: BayVGH BayVbl 2003, 214 ff; s zur Kunstfreiheit Korte JA 2003, 225, 228 f. Vgl BVerwG NJW 1997, 406 ff → JK GG Art 4 I/15; Nds OVG NVwZ-RR 1996, 244 ff; BayVGH UPR 2002, 277 f. OVG Berlin LKV 1999, 372, 373; Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 136; Schnebelt/ Sigel (Fn 27) Rn 297; Enders Jura 2003, 34, 41 f. OVG Sachsen NVwZ-RR 2002, 435 f (Aufstellen eines Zeltes für 500 Personen zum Zwecke der Abhaltung einer Versammlung); NJ 2004, 44 mit Anmerkung Behmenburg;

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap V 2 c

Die Sondernutzungserlaubnis ergeht zumeist als begünstigender Verwaltungsakt, dem Nebenbestimmungen beigefügt werden können,343 sofern sich diese im Rahmen straßenrechtlich zulässiger Erwägungen halten.344 Wird eine Straße ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis über den Gemeingebrauch hinaus benutzt, kann die zuständige Behörde dies unterbinden.345 Als Voraussetzung für ein Einschreiten der Behörde reicht schon eine formelle Unzulässigkeit aus. Drittschutz entfalten die Vorschriften über die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen grundsätzlich nicht.346 Auch wenn die Sondernutzungserlaubnis sonstige nach öffentlichem Recht erforderliche Genehmigungen nicht zu ersetzen vermag, so ist darüber hinaus eine Zustimmung des privaten Wegeeigentümers nicht erforderlich.347 Ihrerseits kann die Sondernutzungserlaubnis aber durch eine straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis, Ausnahmegenehmigung oder ein Planfeststellungsverfahren ersetzt werden.348 Neben einer Verwaltungsgebühr sind die Straßenbaulastträger berechtigt, auf Grund von Rechtsverordnung oder Satzung Benutzungsgebühren für die Sondernutzungen zu erheben.349 c) Bürgerlich-rechtliche Sondernutzungen Dem bürgerlichen Recht unterliegen Sondernutzungen, die den Gemeingebrauch 59 zwar überschreiten, diesen aber nicht nachhaltig beeinträchtigen. Kurzzeitige Beeinträchtigungen des öffentlichen Verkehrsraumes, die im Zuge der Verlegung von Versorgungsleitungen auftreten, lösen regelmäßig keine Erlaubnispflichtigkeit nach öffentlichem Recht aus.350 Von besonderer Bedeutung für die Praxis ist die Verlegung und Unterhaltung von Versorgungsleitungen.351 Namentlich die zwischen den Kommunen und den Energieversorgungsunternehmen geschlossenen Konzessionsverträge über die Verlegung entsprechender Versorgungsnetze haben sich zu

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VG Berlin NVwZ 2004, 761 f (Aufstellen eines Zeltes zur mehrmonatigen Durchführung eines Hungerstreiks ist erlaubnispflichtig). S bsplsw § 18 Abs 2 S 2 StrWG NRW. OVG SH NVwZ-RR 1994, 553 f; VGH BW VBlBW 1997, 107 ff. Vgl § 8 Abs 7 a FStrG; § 22 StrWG NRW, s hierzu auch Grupp in: Marschall/Schroeter/ Kastner (Fn 44) § 8, Rn 43; VGH BW VBlBW 2002, 297 ff → JK StrG BW § 16/2. S BayVGH BayVBl 2004, 533 ff; Sauthoff NVwZ 1998, 239, 249 unter Hinw auf die unveröffentl Rspr des OVG NRW; anders Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 8, Rn 25. S Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 115 mwN; sie ist für die Erforderlichkeit der Sondernutzungserlaubnis irrelevant, s HessVGH NVwZ-RR 2002, 540. Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 101; Eiffler NZV 2000, 319, 320; OVG NRW NWVBl 2001, 140. § 8 Abs 3 S 1 FStrG; § 19 a StrWG NRW; § 19 StrG BW; Art 18 Abs 2 a BayStrWG; § 11 Abs 9 BerlStrG; § 21 BbgStrG; § 18 Abs 10 BremLStrG; § 19 Abs 3 HambWG; § 18 HessStrG; § 28 StrWG MV; § 21 NdsStrG; § 47 LStrG RP; § 18 Abs 3 SaarlStrG; § 21 SächsStrG; § 21 StrG LSA; § 26 StrWG SH; § 21 ThürStrG; zur Finanzierung von Straßenunterhaltungskosten durch Sondernutzungsgebühren s Tagungsbericht von Stüer DVBl 2002, 238, 240 f. S Saarl OVG NVwZ 1994, 1228 f. Zu den sog Gestattungsverträgen auf der Grundlage von § 8 Abs 10 FStrG s Grupp in: Marschall/Schroeter/Kastner (Fn 44) § 8, Rn 49 ff.

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7. Kap V 2 c

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einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt, das spezifische Fragestellungen aufwirft.352 Höchst aktuell ist die Problematik der Folgekostenpflicht.353 Dabei geht es darum, dass straßenbauliche Veränderungen die Anpassung der sich im Straßengrundstück befindlichen Versorgungsleitungen erforderlich machen können. Die sog Folgekostenpflicht bezeichnet die Verpflichtung, die für eine straßenbaubedingte Veränderung der Versorgungsleitungen erforderlichen Kosten zu tragen. Fehlen vertragliche Regelungen über die Folgekostenpflicht, besteht im Grundsatz Einigkeit, dass aus dem Rechtsgedanken des § 8 Abs 2 a und Abs 8 FStrG eine Kostentragung für die Versorgungsunternehmen folgt. Auf Grund des Einigungsvertrages und der Fortgeltung von DDR-Recht ergeben sich abweichende Lösungen für die Folgekostenpflicht in den neuen Bundesländern.354 Spezialgesetzlich geregelt ist die Straßennutzung durch Telekommunikationslinien. Nach § 68 Abs 1 TKG steht dem Bund die Befugnis zu, Verkehrswege unentgeltlich für Fernmeldeleitungen zu nutzen, soweit der Widmungszweck der Verkehrswege nicht dauernd beschränkt wird.355 Diese Nutzungsberechtigung überträgt der Bund durch die RegTP auf schriftlichen Antrag an die Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze (§ 70 Abs 1 TKG).356 Die Unentgeltlichkeit gilt umfassend auch während des Baus von öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationslinien.357 Bei der Verlegung neuer oder der Änderung bestehender Telekommunikationslinien ist zwar nach § 68 Abs 3 S 1 TKG die Zustimmung des Trägers der Straßenbaulast notwendig, jedoch ist diese zu erteilen, wenn der Gemeingebrauch nicht oder nur vorübergehend beeinträchtigt wird.358 Nach § 68 TKG entsteht also ein eigenständiges öffentlichrechtliches Benutzungsverhältnis, welches die straßenrechtlichen Normen über die öffentlich-rechtliche wie über die bürgerlich-rechtliche Sondernutzung ausschließt. Die Folgekostenpflicht für die Verlegung oder Änderung einer Telekommunikationslinie ist in § 71 Abs 3 TKG gesetzlich geregelt.359 352

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S dazu Löwer ET 1997, 304 ff; Hüffer/Tettinger Bochumer Beiträge zum Berg- und Energierecht, Bd 11, 1990, 29 ff; Tettinger DVBl 1991, 786 ff. BGHZ 144, 29 ff; BGH WM 1999, 740; s ausführlich von Danwitz Die Folgekostenpflicht im Spannungsfeld von straßenrechtlicher Sondernutzung und energierechtlicher Mitbenutzung, 2000. So von Danwitz DVBl 2000, 1562 ff; vgl auch Nicolaus RdE 2000, 132 ff. Grund für die Unentgeltlichkeit ist die Förderung erwünschter wirtschaftlicher Betätigung, s Fehling JuS 2003, 246, 249; nicht darunter fällt das Aufstellen von Telefonzellen, s VG Berlin NVwZ 2004, 1014 ff; das Recht zu unentgeltlicher Benutzung hindert nicht die Erhebung einer Gebühr für straßenverkehrsrechtliche Anordnungen, s BVerwG, Urt v 9. 3. 2005, Az 6 C 8/04 (zit nach Juris) zu § 50 TKG aF. Dieses Recht führt nicht zur Verletzung einer Gemeinde in Art 28 Abs 2 GG, denn der Schutzbereich wird nicht tangiert. So für § 50 TKGaF BVerfG NVwZ 1999, 520 ff → JK GG Art 28 II/24, dazu Koenig/Siewer NVwZ 2000, 609, 613. BVerwG DVBl 2001, 1373 f mit Anm Schäfer EWiR 2001, 1015 f; BayVGH NVwZ-RR 2002, 70 ff; OVG NW DÖV 2002, 171 ff. BVerwGE 109, 192, 195; vgl auch Burgi DVBl 2001, 845, 851; zur Verfassungswidrigkeit von § 50 Abs 4 TKG aF s BVerfG NVwZ 2003, 1497 ff → JK GG Art 14 I/45. Vgl zu dieser Thematik auch den Tagungsbericht von Stüer DVBl 2002, 238, 239 f; zur Kostentragungspflicht für die Verlegung von Telekommunikationslinien wegen Verkehrswegeänderung s BGH NVwZ 2003, 1018 f.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap V 3

3. Sonderformen der „kommunikativen“ Straßennutzung Angesichts der strikten Unterscheidung des Straßenrechts zwischen dem eo ipso er- 60 laubnisfreien Gemeingebrauch und der prinzipiell erlaubnispflichtigen Sondernutzung verwundert es nicht, dass die konkret vorzunehmende Grenzziehung die Rechtsprechung in erheblichem Umfang in Anspruch nimmt.360 Ausgehend von einem weiten Verkehrsbegriff gehört neben dem fließenden und ruhenden Verkehr auch die Begegnung und Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern, gerade in Fußgängerzonen, zum straßenrechtlichen Gemeingebrauch.361 Das bloße Ansprechen und Verteilen von Faltblättern wird man daher noch als Gemeingebrauch ansehen können, auch wenn das BVerwG ein restriktiveres Verständnis nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts unbeanstandet gelassen hat.362 Jedoch kann bereits ein entsprechend aggressives Anhalten von Passanten oder der Verkauf von Waren und Dienstleistungen das tatsächliche Erscheinungsbild der konkreten Nutzung so stark verändern, dass sie den Gemeingebrauch beeinträchtigt und demzufolge als straßenrechtliche Sondernutzung anzusehen ist.363 Ob und inwieweit es dabei zugleich um die Ausübung von Grundrechten geht, ist dabei zunächst ohne Belang.364 Die präventive Durchführung eines behördlichen Erlaubnisverfahrens zur Bewirtschaftung des „knappen Gutes öffentliche Straße“ ist gerade auch dazu geeignet, grundrechtlich geschützte Belange untereinander in Einklang zu bringen. Von spontanen Grundrechtsausübungen abgesehen stellt die Durchführung eines solchen Erlaubnisverfahrens keine unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung dar, zumal in der Regel ein Anspruch auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis besteht.365 Ungeachtet einer etwaigen Grundrechtsausübung löst die Benutzung von Hilfs- 61 vorrichtungen wie Informationsständen, Lautsprecheranlagen und Plakatständern die sondernutzungsrechtliche Erlaubnispflicht aus. Anders als beim Anbringen von Warenverkaufsautomaten oder der Einrichtung von Straßencafés bewirkt eine solche Grundrechtsausübung jedoch eine Ermessensreduzierung, die bei geringer Störung des Gemeingebrauchs einen Anspruch auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zu begründen vermag.366 360

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Vgl die Rechtsprechungsberichte von Sauthoff NVwZ 1998, 239, 244 ff; NVwZ 2004, 674, 678 ff; Stuchlik GewArch 2004, 143, 148 ff. BayVGH NVwZ-RR 1997, 258 f; Nds OVG NVwZ-RR 1996, 247 ff; VGH BW NVwZRR 2000, 837, 838 → JK StrG BW § 16/1, 2; OVG S-Anh LKV 2001, 45, 46; s auch Siems Jura 2003, 587, 588 ff. S BVerwG NJW 1997, 406 ff. Vgl BVerwG NJW 1997, 406 ff → JK GG Art 4 I/15; OVG Hamburg NJW 1996, 2051 f; VG Karlsruhe NJW 2002, 160 f; BayObLG VRS 103, 136 ff; VGH BW NVwZ-RR 2003, 238 ff; zur Einstufung auch des „aggressiven“ Bettelns als Gemeingebrauch, Höfling DV 33 (2000) 207, 217; vgl aber auch OLG Köln NVwZ 2000, 350, wonach aus Art 5 Abs 1 GG kein Recht auf Erzwingung des Meinungsaustausches folgt. Anders wohl BVerwG NJW 1997, 406, 407; s dazu Hoffmann Grundrechte und straßenrechtliche Benutzungsordnung, 2005. S BVerwG NJW 1997, 406 ff; BVerwGE 84, 71 ff; ThürOVG LKV 2002, 388 f; s dazu auch Pache/Knauff JA 2004, 47, 49 f. S BVerwG NVwZ-RR 1995, 129, 130; OVG SH NVwZ 1992, 70 f; VGH BW DÖV 1987, 874f.

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7. Kap V 4 a

Thomas von Danwitz

4. Die Rechtsstellung des Straßenanliegers Im Unterschied zu den konkreten Nutzungsinteressen, die Gegenstand der Sondernutzung sind und den allgemeinen Verkehrsinteressen, die im Rahmen des Gemeingebrauchs verfolgt werden, ist der Straßenanlieger in einer spezifischen Weise von der Straßenführung betroffen und zugleich an ihrer Nutzung interessiert.367 Dementsprechend ist die Rechtsstellung des Straßenanliegers als Eigentümer oder Besitzer angrenzender Grundstücke von der Frage zu unterscheiden, ob dem Straßenanlieger besondere Nutzungsmöglichkeiten im Sinne eines „gesteigerten“ Gemeingebrauchs zustehen. Nur die letztgenannte Frage gehört thematisch in das Nutzungsrecht der öffentlichen Straßen, während die Rechtsstellung des Straßenanliegers als Grundstückseigentümer oder -besitzer die straßenrechtliche Ausprägung der Situationsgebundenheit des Eigentums bezeichnet.368 a) Das Anliegerrecht 62 Der Sache nach ist es darauf gerichtet, die Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz zu gewährleisten sowie den Zutritt von Licht und Luft zu den an der Straße errichteten Gebäuden zu erhalten.369 Im Unterschied zu diesen klaren Vorstellungen, was unter einem Anliegerrecht 370 zu verstehen ist, hat eine neuere Entscheidung des BVerwG die dogmatische Herleitung des Anliegerrechts in Zweifel gezogen.371 Während die Wurzel des Anliegerrechts über lange Zeit unmittelbar im Grundstückseigentum bzw im Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gem Art 14 Abs 1 GG gesehen wurde,372 hat das BVerwG – ohne sich mit seiner früheren Rechtsprechung auseinander zu setzen – diese Position nun aufgegeben. Danach sollen Anliegerrechte nicht mehr unmittelbar aus Art 14 Abs 1 GG abgeleitet werden können. Sie seien vielmehr nur in dem Maße als subjektive Rechte geschützt, in dem sich dies aus dem jeweils einschlägigen Straßenrecht ergibt.373 Durch das Straßenrecht, dessen Regelungsbereich auch das Verhältnis zwischen Straßen und angrenzenden Grundstücken einschließt, habe der Gesetzgeber gemäß des ihm durch Art 14 Abs 1 S 2 GG erteilten Auftrags Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt. Bei dieser Bestimmung habe er in besonderem Maße auf die Interessen der Eigentümer von Anliegergrundstücken Rücksicht zu nehmen, denn vor allem sie seien auf den Gebrauch der Straße angewiesen.374 Diese Rechtsprechung vermischt indes zwei Fragenkreise, die strikt voneinander zu scheiden 367 368 369 370

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S Hobe DÖV 1997, 323 ff. Vgl dazu v a Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 91. S eingehend Grote in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 25, Rn 32 ff, 63 ff. Zu der in der Rspr nicht durchgeführten sprachlichen Unterscheidung zwischen Anliegerrecht und Anliegergebrauch, vgl Peine JZ 1994, 522. S hierzu ausführlich Schnebelt VBlBW 2001, 213 ff; ders/Sigel (Fn 27) Rn 229 ff. BVerwGE 94, 136, 138f; Steiner VerwArch 86 (1995) 173, 174 ff; Hobe DÖV 1997, 323 ff. BVerwG NVwZ 1999, 1341, 1342; der Entscheidung zustimmend: Battis NJ 1999, 662; offen gelassen in OVG S-Anh LKV 2001, 46f; zu Auswirkungen der geänderten Rspr des BVerwG auf die eigene Rspr: OVG NRW, Beschluss vom 19. 2. 2004, Az 11 B 2601/03 (zit nach Juris). BVerwG NVwZ 1999, 1341, 1342.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap V 4 b

sind. Fraglos enthalten die Straßengesetze Ausgestaltungen des Grundstückseigentums gemäß Art 14 Abs 1 S 2 GG. Davon unbeantwortet ist jedoch die weitergehende Frage zu sehen, ob und inwieweit dem Grundstückseigentum aus Art 14 Abs 1 S 1 GG unmittelbar Schutzpositionen entnommen werden können. Angesichts der allenfalls marginalen Regelungen des Anliegerrechts in den Straßengesetzen wird man aber nicht davon ausgehen können, diese seien dort abschließend einfachgesetzlich positiviert. Angesichts der gegenteiligen Rechtsprechung, die bisher als gefestigt galt, mutet eine solche Vorstellung zudem als eine Verkehrung der rechtlichen Umstände an, welche die Rechtsprechung selbst geschaffen hat. Mit der Verortung des Anliegerrechts in Art 14 GG ist der Gewährleistungsumfang des Anliegerrechts für Veränderungen geöffnet und die daraus erwachsenden Gestaltungsoptionen für die kommunale Verkehrsgestaltung sind verfassungsrechtlich untermauert worden.375 Die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit eines Grundstücks gehört demgemäß in Fußgängerzonen nicht zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich des Anliegerrechts, auch nicht bei Inhabern eines Gewerbebetriebs. Umwege und Unbequemlichkeiten sind als Ausdruck der Situationsgebundenheit und Pedant entsprechender Lagevorteile hinzunehmen.376 Erst der vollständige Ausschluss der Zugangs- bzw Zufahrtsmöglichkeit verletzt den grundrechtlich geschützten Kernbereich des Anliegerrechts.377 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber von der verfassungsrechtlich eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Eigentumsschutz des Anliegers auf eine Wertgarantie zu reduzieren, wenn Zufahrten oder Zugänge dauerhaft unterbrochen oder erheblich erschwert sind und kein angemessener Ersatz geschaffen werden kann.378 Entsprechendes gilt auch bei vorübergehenden Kontaktstörungen, die die wirtschaftliche Existenz von Gewerbebetrieben gefährden.379 Für den Rechtsschutz des Straßenanliegers folgt daraus, dass dieser straßenrechtliche Maßnahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zuführen kann, soweit sie einen Eingriff in den grundrechtlich geschützten Kernbereich seines Anliegerrechts darstellen.380 b) Der Anliegergebrauch Der Anliegergebrauch, der nur in einigen Landesstraßengesetzen als eigenständiges 63 Rechtsinstitut Anerkennung gefunden hat,381 gewährt Straßenanliegern das Recht, 375 376 377 378

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S Ossenbühl NuR 1996, 53, 56. Dazu im Einzelnen BVerwGE 94, 136, 139 f. S Steiner VerwArch 86 (1995) 173, 179. S § 8a Abs 4 S 1 FStrG; § 20 Abs 5 S 1 StrWG NRW; § 15 Abs 2 S 1 StrG BW; Art 17 Abs 2 S 1 BayStrWG; § 22 Abs 5 S 1 BbgStrG; § 8 Abs 3 S 1 BremLStrG; § 38 Abs 1 HambWG; § 27 StrWG MV; § 20 Abs 5 S 1 NdsStrG; § 39 Abs 2 S 1 LStrG RP; § 20 Abs 5 S 1 SaarlStrG; § 22 Abs 4 S 1 SächsStrG; § 22 Abs 5 S 1 StrG LSA; § 25 StrWG SH; § 22 Abs 4 S 1 ThürStrG. S § 8a Abs 5 S 1 FStrG; § 20 Abs 6 S 1 StrWG NRW; § 15 Abs 3 S 1 StrG BW; Art 17 Abs 3 S 1 BayStrWG; § 22 Abs 6 S 1 BbgStrG; § 39 HambWG; § 20 Abs 6 S 1 NdsStrG; § 39 Abs 3 S 1 LStrG RP; § 20 Abs 6 S 1 SaarlStrG; § 22 Abs 5 S 1 SächsStrG; § 22 Abs 6 S 1 StrG LSA; § 22 Abs 5 S 1 ThürStrG. S BVerwGE 54, 1, 3. § 14 a StrWG NRW; § 10 Abs 3 BerlStrG; § 14 Abs 4, 5 BbgStrG; § 17 HambWG; § 14

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7. Kap VI

Thomas von Danwitz

die an das Grundstück angrenzende Straße für Zwecke der Grundstücksnutzung auch über den Gemeingebrauch hinaus in Anspruch zu nehmen, soweit dies erforderlich ist. Wie weit der Anliegergebrauch konkret reicht, ermittelt die Rechtsprechung auf Grund der jeweiligen räumlichen Verhältnisse von Fall zu Fall. Dazu gehört bsplsw die kurzfristige Lagerung von Baumaterialien,382 das Aufstellen von Fahrradständern 383 sowie das vorübergehende Abstellen von Sperrmüll und Müllgefäßen 384 auf dem Gehweg. Restriktiver verfährt die Rechtsprechung indes bei Hinweis- und Werbeschildern von gewerblich genutzten Grundstücken.385 Das Anbringen von Warenverkaufsautomaten oder das Aufstellen sonstiger Verkaufsstände unterfällt jedenfalls nicht mehr dem Anliegergebrauch.386 Geht eine Nutzung über den Anliegergebrauch hinaus und stellt bereits eine Sondernutzung dar, darf die Behörde die Erteilung der Sondernutzungsgenehmigung von der Zahlung eines Nutzungsentgelts abhängig machen. Ist der Anlieger bereit, das Entgelt zu entrichten, reduziert sich das Genehmigungsermessen der Behörde auf Null.387 Der Rechtsstellung des Anliegers ist mithin auch bei der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen in besonderer Weise Rechnung zu tragen.

VI. Das Nachbarrecht öffentlicher Straßen Das Straßennachbarrecht 388 entfaltet seine spezifische Schutzfunktion in zweifacher Richtung. Einerseits erfordert die Straße einen Schutz des Verkehrs vor nachbarlichen Einwirkungen, die die Verkehrsfunktion der Straße zu beeinträchtigen vermögen. Andererseits bedürfen die Straßennachbarn des – heutzutage selbstverständlichen – Schutzes vor den von der Straße ausgehenden, dem Straßenbaulastträger zuzurechnenden Verkehrsimmissionen, die im Rahmen der von der Widmung bzw Sondernutzungserlaubnis gedeckten Nutzung vom öffentlichen Straßenverkehr verursacht werden. Sie sind demzufolge nach öffentlichem Recht zu beurteilen.389

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Abs 4 StrG LSA und ThürStrG; zur Verortung des Anliegergebrauchs in den gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fällen, vgl Schnebelt VBlBW 2001, 213 f. BGHZ 23, 157, 166; zu den Grenzen des zul Umfangs VGH BW VBlBW 2002, 343, 345. Nds OVG DVBl 1963, 223 f. OVG NRW OVGE 30, 259, 263. S BVerwG DVBl 1996, 925; VGH BW UPR 1997, 255 f; BGH NJW 1978, 2201 ff → JK FStrG § 7 I/1. S VGH BW NVwZ-RR 2000, 837, 838 → JK StrG BW § 16/1; HessVGH DÖV 1992, 38, 39; BVerwG NJW 1975, 357 f, dazu Krebs VerwArch 67 (1976) 329 ff; Sauthoff (Fn 9), Rn 635 ff. VG Berlin LKV 2002, 37 f; zustimmend Sauthoff NVwZ 2004, 674, 681. Allg Steinberg Das Nachbarrecht der öffentlichen Anlagen, 1988. S dazu Steiner in: ders, BesVwR, Abschn V Rn 146; Papier in: Achterberg/Püttner/ Würtenberger, BesVwR I, § 10 Rn 129f; Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, 275.

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Straßen- und Wegerecht

7. Kap VI 2

1. Die Aufrechterhaltung der Straßenfunktion Zur Aufrechterhaltung der Verkehrsfunktion öffentlicher Straßen sehen die 64 Straßengesetze von Bund und Ländern ein ganzes Bündel von Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten der Straßennachbarn vor, die aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erforderlich werden können. Auf der einen Seite haben sie die bekannten und praktisch bedeutsamen Anbau-390 und Werbebeschränkungen 391 zu beachten. Diesen Beschränkungen unterfallen auch die in neuerer Zeit vermehrt eingesetzten sog Himmelsstrahler.392 Auf der anderen Seite haben sie Einrichtungen zum Schutz der Straße vor natürlichen Einwirkungen und Anpflanzungen der Straßenbaubehörden zu dulden 393 und sog Schutzwälder zu erhalten.394

2. Der Schutz der Straßennachbarn Für den Schutz der Straßennachbarn vor Verkehrsimmissionen 395 gilt der Grund- 65 satz, dass die vom Straßenverkehr verursachten Einwirkungen von Lärm und Schadstoffen 396 grundsätzlich dann hinzunehmen sind, wenn sie auf einer rechtmäßigen bzw rechtswirksamen Planung beruhen.397 Da die Bewältigung des Lärmproblems die zentrale Frage zahlreicher Planfeststellungsverfahren darstellt,398 ist gegen diese Konsequenz nicht zu erinnern. In aller Regel geht es in der Praxis demzufolge darum, ob den Straßennachbarn ein Anspruch auf aktiven Lärmschutz gem § 41 Abs 1 BImSchG zusteht. Diesen gewährt die Rechtsprechung indes nur, wenn der von einer Straße ausgehende Verkehrslärm den maßgeblichen Immissionsgrenzwert nach § 2 Abs 1 der 16. BImSchV überschreitet.399 390

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§ 9 Abs 1–5 a FStrG; § 25 StrWG NRW; §§ 22 ff StrG BW; Art 23 ff BayStrWG; § 24 BbgStrG; § 27 BremLStrG; § 23 HessStrG; § 31 StrWG MV; § 24 NdsStrG; § 22 LStrG RP; §§ 24 ff SaarlStrG; § 24 SächsStrG; § 24 StrG LSA; § 29 StrWG SH; § 24 ThürStrG. § 9 Abs 6 FStrG; § 28 StrWG NRW; § 22 Abs 5 StrG BW; Art 23ff BayStrWG; § 24 Abs 7 BbgStrG; § 27 Abs 1 S 2 BremLStrG; § 31 Abs 2, 3 S 2 StrWG MV; § 24 Abs 1 S 2 NdsStrG; § 24 LStrG RP; § 29 SaarlStrG; § 24 Abs 7 SächsStrG; § 24 Abs 7 StrG LSA; § 29 Abs 2 StrWG SH; § 24 Abs 7 ThürStrG; allgemein zur Behandlung von Werbeanlagen im öffentlichen Straßenraum Rebler BayVBl 2003, 233 ff. Zu den straßenrechtlichen Fragen dieser Problematik s Dietlein BauR 2000, 1682, 1688 f und Hildebrandt VBlBW 1999, 250, 254. S bsplsw § 32 StrWG NRW; zur Reichweite der Duldungspflicht und zu möglichen Ausnahmen, vgl OVG NRW NJW 2000, 754 f. § 31 StrWG NRW. Umfassend zum verkehrsbezogenen Immissionsschutz → Breuer 5. Kap Rn 213 ff; Strick Lärmschutz an Straßen, 1998; Schröder SächsVBl 2001, 208 ff; Schink NVwZ 2003, 1041 ff. S 22. BImSchV (VO über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft), künftige Grenzwerte der 22. BImSchV sind im Verfahren über die Zulassung von Vorhaben zu beachten, s BVerwG, Urt v 23. 2. 2005, Az 4 A 5/04 (zit nach Juris). § 75 Abs 2 S 1 VwVfG; Dürr in: Knack, VwVfG, § 75 Rn 36 ff; eingehend Grote in: Kodal/Krämer (Fn 9) Kap 39, Rn 7 ff. Vgl dazu Kersten BayVBl 1987, 641 ff und Strick (Fn 395) 13 f. BVerwGE 101, 1 ff. Maßgeblich soll der sog Beurteilungspegel und nicht der sog Summenpegel sein, s dazu anschaulich Strick (Fn 395) S 47 ff und Schulze-Fielitz in: Koch/Scheuing,

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7. Kap VI 2

Thomas von Danwitz

Bislang hatte der Gesetzgeber bewusst keine Regelung zur Lärmsanierung des Gesamtbestandes von Straßen und Schienenwegen getroffen, die aus der Vorbelastung und dem Bau oder Ausbau einer öffentlichen Straße entstehende Lärmbeeinträchtigung durfte insgesamt jedoch zu keiner Gesamtbelastung führen, die eine Gesundheitsbelastung darstellte.400 Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm 401 wird sich dies ändern müssen. Zur nachhhaltigen Verringerung der Lärmbelastung sollen die Mitgliedsstaaten sog Lärmkarten und Aktionspläne erstellen. Nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf 402 ist eine Umsetzung in einen neuen sechsten Teil des BImSchG geplant.403 Aktive Schutzmaßnahmen können im Bereich der Planfeststellung schließlich auch nach § 74 Abs 2 S 2 und § 75 Abs 2 S 2, 3 VwVfG verlangt werden.404 Darüber hinaus stehen die allgemeinen Rechtsinstitute des Staatshaftungsrechts, vor allem der Unterlassungs- und der Folgenbeseitigungsanspruch zur Verfügung.405 Erweisen sich die an der Verwirklichung des Vorhabens orientierenden technischen Möglichkeiten aktiven Lärmschutzes als unzureichend oder angesichts ihrer Kosten als unverhältnismäßig, scheiden Ansprüche auf aktive Schutzmaßnahmen aus. Im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen den Kosten und dem angestrebten Schutzzweck ist die Einbeziehung sonstiger Gesichtspunkte (Landschaftsschutz, Stadtbildpflege) unzulässig.406 Liegt kein Anspruch auf aktiven Lärmschutz vor, stehen den Straßennachbarn jedoch Ausgleichsansprüche auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld auf der Grundlage von § 42 Abs 1 und 2 BImSchG bzw § 74 Abs 2 S 3 und § 75 Abs 2 S 4 VwVfG zu,407 außer die Beeinträchtigung stellt sich ihnen gegenüber als zumutbar dar. Diese Entschädigungszahlungen sind gem § 42 Abs 2 BImSchG für die notwendigen Aufwendungen zu leisten, die von den Straßennachbarn für Schallschutzmaßnahmen an ihren baulichen Anlagen (passiver Lärmschutz) erbracht worden sind. Bestehen darüber hinaus noch Beeinträchtigungen, so sind diese nach § 42 Abs 2 S 2 BImSchG iVm § 74 Abs 2 S 3 VwVfG zu entschädigen.

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GK zum BImSchG, § 43, Rn 82 ff mwN; für die Notwendigkeit einer summativen Betrachtungsweise spricht sich Koch NVwZ 2000, 490, 493 ff aus; zur 16. BImschV → Breuer 5. Kap Rn 216 mwN. BVerwGE 101, 1, 9 f. RL 2002/49/EG vom 25. 6. 2002, ABl EG v 18. 7. 2002 L 189/12; Ende der Umsetzungsfrist: 18. 7. 2004. BT-Drucks 15/3782. S zur Umgebungslärm-RL: Tagungsbericht von Stüer DVBl 2003, 1437 f; Gerlach/Hensel ZUR 2004, 329 ff; Fickert BauR 2004, 1559 ff; ders DVBl 2004, 1253 ff. Vgl dazu Dürr in: Knack, VwVfG, § 75 Rn 41 ff, 84 ff; zum Verhältnis dieser Normen zu §§ 41 ff BImSchG s Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, Rn 146; Michler VerwArch 90 (1999) 21, 29 f. Papier in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, BesVwR I, Rn 133 ff. So BVerwGE 108, 248, 256 ff; BVerwG NVwZ 2000, 565, 566; anders BVerwGE 104, 123, 139; 110, 370, 381; vgl zu dieser Problematik Schulze-Fielitz DÖV 2001, 181, 190; Schröder SächsVBl 2001, 208, 209 f. Vgl hierzu auch → Breuer 5. Kap Rn 214.

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Sachverzeichnis Die Angaben beziehen sich auf Kapitel und Randnummern Abfall – Begriff 5 244 ff – – objektiver 5 247 – – subjektiver 5 245 f – Entledigung 5 245 f – Überlassungspflicht 5 253 f Abfallbeauftragter 5 263 Abfallberatung 5 257 Abfallbeseitigung 5 240, 242, 251 f Abfallbilanzen 5 256 Abfallentsorgung 5 114, 238, 242 Abfallentsorgungsanlagen 5 242, 261 f Abfallrecht 5 46, 83, 96, 111, 114, 238 ff – Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 5 238 ff – – Bereichsausnahmen 5 243 – – Grundsätze 5 249 ff Abfallverbrennung 5 243 Abfallverbringung, grenzüberschreitende 5 238 Abfallverbringungsgesetz 5 265 Abfallverbringungs-Verordnung 5 265 Abfallvermeidung 5 175, 189, 241, 249 Abfallvermeidungs- und Entsorgungsgrundsatz 5 175, 189 Abfallverwertung 5 242, 250 f Abfallverwertungsanlagen 5 261 Abfallwirtschaftskonzept 5 256 Abfallwirtschaftspläne 5 260 Abfallwirtschaftsplanung 5 63, 260 Abgaben – s Kommunalabgaben – s Umweltabgaben – wirtschaftslenkende 3 34, 85 Abrissverfügung 4 30, 218 f, 223, 225 ff, 242 Abschleppen von Fahrzeugen 2 107 f, 135, 146, 151 f, 240, 289, 294 Abstandsflächen 4 7, 193, 200, 200 a, 236 Abstufung 7 50 Abwägung 4 25, 39f, 44, 55, 90 ff, 97 ff, 103 ff, 117 ff, 137, 183; 7 24, 28 f, 33 f, 38, 48 – Abwägungsfehler 4 106 ff, 117 ff; 7 28 – Abwägungsgebot 3 93, 97; 4 25, 97 ff, 103 ff; 5 214; 7 28

– – interkommunales 4 25, 63, 109 – Kontrollmaßstäbe 4 105 ff; 7 28 – Rechtsbindungen 4 100 ff; 7 24, 28 Abwärmenutzungsgrundsatz 5 175, 190 Abwasser, Begriff 5 93 Abwasserabgabe 5 93 ff, 128 Abwasserbeseitigung 5 111 Abwasserverordnung 5 146 b Agrarstruktur 3 10 Aktienrecht 3 129 – Wirtschaftstätigkeit der Gemeinden 1 125 Aktion, konzertierte 3 27 Allgemein anerkannte Regeln der Technik 5 22, 145 Altlasten 5 38, 52 f, 96, 126 c Ämterpatronage 6 86, 135 Amtsbegriffe im Beamtenrecht 6 56 ff, 70, 108, 122 Amtsdelikte 6 11, 58, 106, 112 ff Amtshaftung 6 11, 57, 106, 144 ff, 178 Amtshilfe 2 44 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 1 14 ff Anlage – nach dem AtomG 5 225 ff – – Genehmigungsverfahren 5 232 – – Genehmigungsvoraussetzungen 5 225, 227 ff, 235 – bauliche 4 12, 122 ff, 190 ff, 202 ff, 216 ff – – Beseitigung 4 218 ff – – genehmigte 4 218, 222 – – nicht genehmigte 4 218, 223 – – s a Bauvorhaben – nach dem BImSchG 5 174, 196, 246 f – – Anzeigeverfahren 5 198 f – – Betreiberpflichten 5 175 ff – – Betriebseinstellung 5 175 – – Genehmigungsverfahren 5 192 ff – zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen 5 155 Anlagengenehmigung 5 105 – Atomrecht 3 100 ff; 5 226 ff – – Änderungsgenehmigung 5 231 – Immissionsrecht 5 172 ff – Luftrecht 3 103 ff

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Sachverzeichnis Anlieger 7 44 ff, 49 ff, 61 ff – Anliegergebrauch 5 130, 137, 138; 7 44, 48 f, 53, 63 – Anliegerrecht 7 44 ff, 61 f Anmelde- und Anzeigepflichten 5 57, 71 Anordnungen, nachträgliche 5 82, 172, 201 ff Anpassungspflicht, bei Planungen 4 17 ff, 94 ff Anscheinsgefahr 2 92 ff, 132, 158, 296 f, 302 Anscheinsstörer 2 132, 297 Anschluss- und Benutzungszwang – Abwasser 1 114 – Fernwärme 1 115 – bei gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen 1 114 – Grundrechtsfragen 1 116 f – Voraussetzungen 1 114 f Anstaltsordnungen 1 103 Anteilseigentum 3 56 Anwohnerparkzonen 7 8, 54 Anzeigepflicht – Gewerberecht 3 143 f, 155, 158 – Kommunalaufsicht 1 46 Apotheken 3 151 Arbeit 3 3 – Grundrechtsschutz 3 44 Arbeitskampf 3 75 – s Beamtenstreik/Streikeinsatz Arbeitslosigkeit 3 20 Arbeitsplatz 3 43 Arbeitsschutzrecht 5 191 Arbeitsvermittlung 3 44 Artenschutz 5 61, 126 Arzneimittelrecht 5 44 Atomanlagen – s Genehmigung – – s Anlagen nach dem AtomG Atomrecht 3 66, 96, 100 ff; 5 42, 74, 78, 83, 105 f, 110 f, 223 f – Anlagenbegriff 3 101 – Risikovorsorge 3 102 – Teilgenehmigung 3 96 Aufenthaltsverbot 2 214 ff Aufgaben der Gemeinden 1 33 ff – Aufgabendualismus 1 34 – Aufgabenmonismus 1 37 – Auftragsangelegenheiten 1 36 – freie 1 35 – Pflichtaufgaben 1 35, 38

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– Selbstverwaltungsaufgaben 1 35 – Selbstverwaltungsgarantie 1 13 ff – Weisungsaufgaben 1 38 Aufgaben der Landkreise 1 138 Aufgabenzuweisungsnorm 2 32 Auflage – im Baurecht 4 207 – – ,modifizierende‘ 4 207, 231 Aufsicht – über Gemeinden – – s Staatsaufsicht über Gemeinden Aufträge, öffentliche 3 132 Ausgleichsabgaben bei Eingriffen in Natur und Landschaft 5 89 ff, 122 Ausgleichsverfahren im Wasserrecht 5 154 Ausländer – Kommunalwahlrecht 1 85 – Öffentlicher Dienst, s Beamtenverhältnis/Staatsangehörigkeit Ausnahmen 4 127 f, 174, 207, 230 – im Bauordnungsrecht 4 206 – von Festsetzungen des Bebauungsplans 4 127 f, 230 Ausschließliche Wirtschaftszone 4 34 Ausschlusswirkung 7 7, 30 Ausschuss der Regionen 1 26 Ausschüsse – des Gemeinderates 1 66 Außenbereich 4 30, 39, 68, 126, 132 ff, 235 Außenwirtschaftspolitik 3 6, 28 Außenwirtschaftsrecht 3 28 Aussperrung 3 75 Austauschmittel im Gefahrenabwehrrecht 2 107 Bananen 3 86 Basler Übereinkommen 5 264 Bauabnahme 4 217 Bauartzulassung, immissionsschutzrechtliche 5 212 Bauaufsicht 4 195, 216 ff – Bauaufsichtsbehörden 4 20, 24, 124, 128, 144 f, 190 ff, 202, 216 ff Baubeginn, vorzeitiger 5 199 Baueinstellung 4 218 f, 224 Bauerlaubnis – s Baugenehmigung Baufreiheit 4 27 ff, 103, 138, 205, 209, 224 Baugebot 4 88, 181

Sachverzeichnis Baugenehmigung 4 7, 80, 122, 137, 146, 190, 204 ff, 230 ff – Anspruch auf 4 80, 137, 205 – und Baufreiheit 4 205, 209 – Geltungsdauer 4 214 – Genehmigungsarten 4 204 – und Genehmigungsfreistellung 4 215, 226 – Genehmigungspflicht 4 204 – Nebenbestimmungen 4 207 – und Rechtsschutzfragen 4 230 ff – Regelungsgehalt 4 208 f; 5 104 – s a Erlaubnis Baugenehmigungsbehörde – s Bauaufsicht Baugenehmigungsverfahren 4 7, 14, 124, 144, 190, 210 ff Baugesuch 4 144 ff, 211 – Zurückstellung 4 144 ff Baukultur 4 101 Baulast 4 195 Bauleitplan(ung) 4 5, 12 f, 17, 25, 32 f, 73 ff, 122 ff, 143 ff, 228 f – Anzeigepflichten 4 17, 115 – Aufstellung 4 17, 73, 89 ff, 108 ff – Außerkrafttreten 4 121 f – Fehlerfolgen 4 116 ff – und gemeindliche Selbstverwaltung 1 23; 4 16 ff – gerichtlicher Rechtsschutz 4 228 f – kommunale Satzungsgebung 1 94 ff – Kontrollmaßstäbe 4 105 ff – Rechtsbindungen 4 100 ff – staatliche Genehmigungspflichten 4 17 f, 115 – s a Bebauungsplan, Flächennutzungsplan Baunutzungsverordnung 4 12, 76, 85, 127, 131 Bauordnungsrecht 4 3, 6 f, 9, 14 f, 20, 24, 29 f, 124 ff, 190 ff, 236 – und Städtebaurecht 4 7, 122 ff, 190 Bauplanungsrecht – s Städtebaurecht Baurecht 4 1 ff – und Baufreiheit 4 27 ff – Gesetzgebungszuständigkeiten 4 9 f, 14, 163 – und Grundrechte 4 26 ff – öffentliches 4 3 ff – privates 4 2, 232 – Rechtsquellen 4 10 ff

– und Selbstverwaltungsrechte der Gemeinden 1 23; 4 16 ff – Verwaltungszuständigkeiten 4 15 Bauschein 4 213 f Bauüberwachung 4 216 f Bauvorhaben 4 7, 12, 20, 30, 80, 83, 87 f, 122 ff, 143 ff, 191 ff, 203 ff, 230 ff – Genehmigungspflicht 4 144, 204 – privilegierte 4 80, 134 ff – sonstige 4 30, 133 ff – Zulässigkeit – – bauordnungsrechtliche 4 7, 191 ff – – planungsrechtliche 4 7, 122 ff, 151 Bauzustandsbesichtigung 4 217 Beamtenbegriffe – Aufstiegsbeamter 6 65 – Beamter auf Probe 6 26a, 64, 69, 90, 95, 109, 124 – Beamter auf Widerruf 6 64, 69, 95, 121, 124 – Beamter auf Zeit 6 26 a, 44, 63, 69 – Bundesbeamter 6 62 – Ehrenbeamter 1 71; 6 63, 66, 121 – Gemeindebeamter 6 62 f – Haftungsrechtlicher Beamtenbegriff 6 57 ff – Kommunalbeamter 6 52, 66 – Landesbeamter 6 51 f, 62 – Laufbahnbeamter 6 44, 65, 69, 85 – Lebenszeitbeamter 6 18, 44, 63 f, 69, 90, 95, 149 – Politischer Beamter 6 67, 86, 116, 118 f, 124 – Staatsrechtlicher Beamtenbegriff 6 56 ff, 61 ff, 106, 185 – Strafrechtlicher Beamtenbegriff 6 58 ff – Wahlbeamter 1 71; 6 44, 63, 90, 97 Beamtenbesoldung 6 38, 44, 51, 151 f, 157 ff, 160 – Rückforderung von Dienstbezügen 6 161 ff Beamtenklagen – s Beamtenverhältnis/Rechtsbehelfe Beamtenrecht – Gesetzgebungskompetenzen 6 49 f – Rechtsgrundlagen 6 52 ff – Regelungsauftrag 6 28 – Systematische Einordnung 6 1, 4 ff – Verfassungsrechtliche Prägung 6 29 ff Beamtenstreik 6 173 – s a Streikeinsatz von Beamten

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Sachverzeichnis Beamtenverhältnis – Abordnung 6 26 a, 107 f, 114 – Alimentationsgrundsatz 6 38, 44, 159 – Amt 6 45, 70 – Amtsbezeichung 6 44 – Anstellung 6 69 – Arbeitszeit 6 26 a, 38, 44, 131, 149, 159 – Ausschreibung, s Zugang – Außerdienstliches Verhalten 6 128, 136, 141 ff, 169 – Beendigung 6 96, 100, 125 – Beförderung 6 69, 107 ff – – Anspruch auf 6 110 – – Beihilfe, s Beamtenversorgung – Beurlaubung 6 26 a, 149 – Dienstbezüge, s Beamtenbesoldung – Dienstkleidung 6 128 – Dienstliche Beurteilung 6 164, 167 – Dienstpflicht 6 129 – Dienstunfähigkeit, s Ruhestand – Dienstzeugnis 6 151 – Disziplinarrecht, s Dienstvergehen – Einstellung 6 69 – Entfernung aus dem Dienst 6 126, 140 – Entlassung 6 120 ff – – Recht auf 6 123 – Ernennung 6 31, 56, 68 ff, 108 – – Anspruch auf 6 88 ff – – Ernennungsurkunde 6 72 f, 94 – – Ernennungsvoraussetzungen 6 74 ff, 96 f – – Formbindung 6 68, 72, 94 f – – Nichtigkeit 6 93 ff – – Rechtsfolgen mangelhafter Ernennung 6 102 ff – – Rücknahme 6 91, 98 ff – – Zusicherung 6 89 – – Zuständigkeit 6 71, 94 – Förderungspflicht 6 154 – Frauenförderung 6 87 – Führungspositionen auf Zeit/auf Probe 6 26 a, 63 f, 86 – Fürsorgepflicht 6 44, 53, 72, 110, 116, 119, 122 f, 123, 127, 129, 144, 148 ff, 178 – Gehorsamspflicht 6 44, 78, 129 f, 135, 182 – gesundheitliche Eignung 6 85, 129 – Grundrechte 6 39 ff, 46 ff, 80, 133, 168 ff, 182 – – Berufsfreiheit 6 170

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– – Ehe und Familie 6 148, 160, 170, 174 – – Eigentumsgarantie 6 152, 170 – – Fernmeldegeheimnis 6 169 – – Freizügigkeit 6 132 – – Glaubensfreiheit 6 38, 171 – – Gleichbehandlung von Frauen 6 87 – – Informationelle Selbstbestimmung 6 153, 164 f – – Informationelle Selbstbestimmung, s a Personalakten – – Koalitionsfreiheit 6 172 f – – Kunstfreiheit 6 34 – – Leben und Gesundheit 6 152, 170 – – Lehrfreiheit 6 171 – – Meinungsfreiheit 6 171 f – – Menschenwürde 6 47 – – Persönlichkeitsrecht 6 170 – – Petitionsrecht 6 176 – – Verfassungsbeschwerde 6 39 – – Versammlungsfreiheit 6 170 f – – Verwirkung 6 125 – – Wissenschaftsfreiheit 6 171 – Haftung 6 57, 106, 144 ff, 156 – – ,Haftungsprivileg‘ 6 145 f – – Regress 6 147 – Konkurrentenklage 6 91 f, 111 – Kündigung 6 23 – Laufbahnprinzip 6 44, 65, 85 – Lebenszeitprinzip 6 44, 63, 90 – – s a Beamtenbegriffe/Lebenszeitbeamter – Leistungsprinzip 6 26 a, 64 f, 86 ff, 109, 158 – Mäßigungspflicht 6 171 – Menschenrechte 6 27 – Nebentätigkeit 6 44, 133 f, 170, 178 – Neutralitätspflicht 6 44, 81, 135 f, 171 – Nichternennung 6 94 f, 105 – Parteienzugehörigkeit 6 81, 135 f – Pflichten allgemein 6 128 ff – Rechte allgemein 6 148 ff – Rechtsbehelfe 6 26 a, 175 ff – – außergerichtliche 6 156, 176 f – – gerichtliche 6 178 ff – – s Konkurrentenklage – Remonstrationspflicht 6 130 – Residenzpflicht 6 122, 132 – Ruhestand 6 115 ff, 140 f, 152 – Staatsangehörigkeit 6 28, 75, 96, 121 f

Sachverzeichnis – Straftaten – – Beendigungsgrund 6 125 – – Beendigungsgrund, s a Dienstvergehen – – Rücknahmegrund 6 100 – Teilzeitbeschäftigung, s Arbeitszeit – Tragen eines Kopftuchs 6 171 – Treuepflicht 6 5 f, 27, 42, 44, 76 ff, 84, 96, 116, 127 f, 136, 139, 173, 191 – Überstunden 6 159 – Umsetzung 6 91, 113, 107 f, 182 – Verfassungstreue 6 27, 76 ff – Verschwiegenheitspflicht 6 44, 104, 116, 137 f, 171 – Versetzung 6 26 a, 107 f, 112, 140 – Vollzeitanstellung 6 38, 44, 131, 148 – Vorbereitungsdienst 6 64, 85, 89, 124 – Weisung(sgebundenheit) 6 130, 142, 182 – Zugang 6 45 ff, 75, 86 ff Beamtenversorgung 6 44, 51, 116, 125, 151 f Bebauungsgenehmigung 4 204 Bebauungsplan 4 5, 12, 22, 73, 77, 79 ff, 82 ff, 89 ff, 122 ff, 143 ff, 182 ff, 228 f; 7 32, 34, 51 – Änderung 4 73, 78, 102, 108, 126 – Aufhebung 4 73, 120 – Aufstellung 4 73, 89 ff, 108 ff – Ausnahmen 4 127 f – Außerkrafttreten 4 121 f – Befreiungen 4 127, 128 – einfacher 4 83, 128 f, 134 – Fehlerfolgen 4 116 ff – Festsetzungen 4 12, 20, 74, 80, 82 ff, 126 ff, 142, 156, 168, 182 ff, 215, 235 – gerichtlicher Rechtsschutz 4 228 f – planfeststellungsersetzender 7 32 – qualifizierter 4 12, 83, 125, 127 ff, 132, 141, 148 – Rechtsbindungen 4 100 ff – Rechtsnatur 4 87 – Rechtswirkungen 4 87 f – Satzung 1 94 ff – vorhabenbezogener 4 82, 88, 92, 125 ff, 132 – s a Bauleitplan(ung) Befähigungsnachweis – Handwerk 3 158 – s Meisterprüfung Befangenheitsvorschriften in Gemeindeordnungen 1 61

Befreiungen 4 127, 128, 206, 230 – im Bauordnungsrecht 4 206 – von Festsetzungen des Bebauungsplans 4 127, 128 – s a Dispens Befugnisnorm 2 33 Begünstigungsabwehranspruch 3 115 Beihilfe 3 108 – Gemeinschaftsbeihilfen 3 119 ff – Gemeinschaftsbeihilfen, Vollzug 3 119 f – – direkter 3 120 – – indirekter 3 119 – s a Beamtenversorgung – s a Subventionen Beihilfeverbot 3 116 Beiräte 3 58 Beiträge – Erschließungsbeiträge 4 9, 163 – Kommunalabgaben 1 131 Belästigung – durch schädliche Umwelteinwirkungen 5 178 Beleihung – Endlager für radioaktive Abfälle 5 233 – Entsorgungspflichten 5 113 – Gefahrenabwehrrecht 2 28, 30 – Unternehmer 3 84; 6 8, 35, 57 Benutzung öffentlicher Einrichtungen 1 108 ff Benutzung, straßenrechtliche 7 3, 5, 7, 16, 53 ff – Benutzerkreis 7 43, 48, 54 – Benutzungsart 7 43, 48 – Benutzungszweck 7 48 Benutzungsbedingungen, wasserrechtliche 5 152 Benutzungsordnung, wasserwirtschaftsrechtliche 5 75 Benutzungszwang 1 114 ff Benzinbleigesetz 5 40, 167 Bergbaufreiheit 3 16 Bergrecht 3 16 Beruf – freier 3 44, 141 – – Apotheker 3 141 – – Architekt 3 141 – – Arzt 3 141 – – Heilpraktiker 3 141 – – Ingenieur 3 141 – – Notar 3 141

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Sachverzeichnis – – Patentanwalt 3 141 – – Rechtsanwalt 3 141 – – Rechtsbeistand 3 141 – – Steuerberater 3 141 – – Tierarzt 3 141 – – Wirtschaftsprüfer 3 141 – – Zahnarzt 3 141 – Grundrechtsschutz 3 44 ff – staatlich gebundener 3 44 Berufsausbildung 3 69, 141, 160 – im Handwerk 3 70, 160 Berufsbeamtentum – s a Beamtenverhältnis – Funktionsvorbehalt 6 22, 28, 31 ff, 189 – – Funktionssperre 6 36 – – Hoheitsrechtliche Befugnisse 6 28, 32 ff – Hergebrachte Grundsätze 6 17, 37 ff, 127, 186 – Institutionelle Verbürgung 6 29 ff – Gesetz zur Wiederherstellung des 6 18 – Legitimation 6 6 – Unparteilichkeit, s a Beamtenverhältnis/ Neutralitätspflicht 6 135 f Berufsbild 3 44, 46, 49, 141, 158 f Berufsbildung 3 160 Berufsfreiheit 3 4, 19, 35, 40, 42, 43 ff, 72, 137, 139, 141, 159 Berufswahl 3 43 ff Beschleunigung 5 193, 198 f Beseitigung 5 242 Beseitigung von Anlagen – im Baurecht 4 218 f – nach dem BImSchG 5 78, 205 – nach dem WHG 5 158 Beseitigungsautarkie 5 265 Beseitigungsverfügung 4 218 f, 223, 226, 233 Besoldung, s Beamtenbesoldung Besonderes Gewaltverhältnis 6 46, 181 f – s Grundrechte Bestandsschutz 4 138 ff, 222; 5 146 a, 198, 201 – von Altanlagen 5 203 – im Bauordnungsrecht 4 222 – im Bauplanungsrecht 4 138 ff – als Prinzip des Umweltschutzes 5 10 f, 121 Besteuerung – wirtschaftslenkende 3 48, 59 – s a Steuern

902

Bestimmtheit – eines Gesetzes 5 21 Beteiligung – der Gemeinden an Wirtschaftsunternehmen 1 125 – der öffentlichen Hand an Wirtschaftsunternehmen 3 11 – plebiszitäre Beteiligungsformen 1 89 ff Beteiligungsgesellschaften 1 125 Betreiberpflichten 5 175 ff – nachwirkende 5 175 Betriebsbeauftragte – für Abfall 5 110 – für Gewässerschutz 5 110, 156 – für Immissionsschutz 5 110, 207 Betriebsbeauftragter 5 263 Betriebsverfassung 3 75 Betriebsweise – handwerkliche 3 159 – industrielle 3 159 Betteln 2 69, 82, 272, 275 Bewilligung, wasserrechtliche 5 75, 107, 133 ff, 141 ff, 197 – Auflagen 5 152 – Benutzungsbedingungen 5 152 – Beschränkungen 5 152 – Bewirtschaftungsermessen 5 30, 75, 141 – Nebenbestimmungen 5 152 – Vorbehalt nachträglicher Anforderungen 5 153 – Widerruf 5 153 Bewirtschaftungspläne 5 150 Billigkeitsausgleich 5 161 Bindungswirkung 7 24 – der Baugenehmigung 3 163; 4 208, 222 – der Unternehmergenehmigung 3 92 ff – von Zielen der Raumordnung und Landesplanung 4 39, 47 f, 56, 61, 71; 7 24 Binnenmarkt 3 6 – europäischer 3 22, 26, 81 f, 116, 126, 134, 141, 168 Biotope/Biotopschutz 5 11, 61, 124 Bodenschutz 5 38, 40, 49, 54 f, 63, 66, 86, 101, 116, 121, 126 a ff, 132, 158 f, 168, 227 – BundesbodenschutzG 5 126 a ff – Verhältnis zum Wasserrecht 5 126 b Brüsseler Reaktorschiffübereinkommen 5 236 BSE-Verordnung 2 55

Sachverzeichnis Bundesamt für Güterverkehr 3 65, 168 Bundesamt für Verfassungsschutz 2 43 Bundesamt für Wirtschafts- und Ausfuhrkontrolle 3 65 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) 6 186 f Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 3 65 Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 3 65 Bundesautobahn 7 9 f, 17, 28 Bundesbahn, s Eisenbahn Bundesbank 3 65 Bundesgrenzschutz 2 42 Bundesimmissionsschutzgesetz 5 40 f, 78, 83, 101, 105 ff, 110, 167 ff, 239 Bundeskartellamt 3 65 Bundeskriminalamt 2 42 Bundesnachrichtendienst 2 43 Bundesnaturschutzgesetz 5 47, 86, 116 ff Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen 3 65 Bundespersonalausschuss 6 177 Bundespolizei 2 42 Bundespost 3 125 ff; 6 26, 186 Bundestagspräsident 2 42 Bundeswasserstraßen 5 127 Bürgerbegehren/Bürgerentscheid 1 91 Bürgerbeteiligung – im Kommunalrecht 1 89 Bürgermeister 1 70 ff – Abwahl 1 71 – Aufgaben 1 72 ff – Dringlichkeitsentscheidung 1 76 – Einspruchsrecht 1 79 – Geschäfte der laufenden Verwaltung 1 74 – Status 1 71 – Vertretungsbefugnis 1 78 – Wahl 1 71 Charta der kommunalen Selbstverwaltung 1 7 a, 26 a Chemikalienrecht 5 43, 83 Daseinsvorsorge 1 104 Daten – s personenbezogene Daten Datenschutz – Wirtschaftsstatistik 3 12 Datenschutz, Beauftragter für den 6 8

Datenübermittlung 2 43 DDR – Kommunalverfassung 1 6 – Öffentlicher Dienst 6 20, 23, 25 – Wirtschaftsordnung 3 4, 21 – s a Neue Bundesländer Deckungsvorsorge – atomrechtliche 5 224, 237 Demokratie – Bürgerbeteiligung 1 88 – und kommunale Selbstverwaltung 1 8 – Kommunalwahlen 1 86 Deponien 5 261 Deregulierung 5 2 Dereliktion 2 153 Dienstbezüge, s Beamtenbesoldung Dienste – von allgemeinem Interesse 3 26 – von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 3 26 Dienstherr 6 9, 94 Dienstleistungen – höherer Art 3 138, 141 Dienstposten 6 70, 113 Dienstrechtsreformgesetz 6 26 a, 64, 107, 112 Dienststelle 6 12 Dienstunfall 6 156 Dienstvergehen 6 44, 126, 140 ff, 178 DIN – im Baurecht 4 192 – im Umweltrecht 5 110 Dispens 4 128, 175, 194, 206 – Garagendispens 4 194 – Vertrag 4 175 – s a Befreiungen Disziplinarrecht – s Dienstvergehen Dosisgrenzwerte 5 228 Drittschutz – im Baurecht 4 220, 232 ff – – einfachgesetzlicher 4 234 ff – – im gerichtlichen Verfahren 4 240 ff – – grundrechtlicher 4 239 – im Beamtenrecht 6 91 f – im Kommunalwirtschaftsrecht 1 121 – im Straßenrecht 7 37, 58 – im Umweltrecht, Klagebefugnis 5 99, 104, 181 f, 187, 202, 210, 228 Duales System 5 114 a

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Sachverzeichnis Düngung, landwirtschaftliche 5 137 Durchsetzung von Gefahrenabwehrmaßnahmen 2 278 ff – Androhung 2 286 – Anwendung 2 286 – Beugefunktion 2 279 – Ersatzvornahme 2 281 – Festsetzung 2 286 – Rechtmäßigkeitszusammenhang 2 285 – sofortiger Vollzug 2 287 ff – unmittelbare Ausführung 2 287 ff – unmittelbarer Zwang 2 282 – Verwaltungsvollstreckungsrecht 2 278, 284 – Verwaltungszwang 2 278 ff, 284 ff – Vollstreckungshindernis 2 285 – Zwangsgeld 2 280 – Zwangshaft 2 280 – Zwangsmittel 2 279 ff – – Auswahl 2 283, 286 – Zwangsverfahren 2 286 DVGW 5 110 EAG Bau 4 11, 46, 120, 180 a EG-/EU-Recht – Agrarmarktordnungen 3 86 – Anwendungsvorrang 3 24 – Artenschutz 5 126 – Beihilfeverbot 3 116 – FFH-Richtlinie 5 116 – IVU-RL 5 49 a, 207 a – und Kommunalrecht 1 7 a, 26 a, 121 a – öffentliche Aufträge 3 134 – Prinzipien des Umweltschutzes 5 6 – Rechtsangleichung 3 24, 141 – Richtlinien 5 116, 129, 146, 148, 181 a, 239, 244 – Staatshaftung 3 24 – Währungsunion 3 22, 65 – Wasserrecht 5 129, 189 – Wettbewerbsrecht 3 82, 134 – Wirtschaftsverfassung 3 17 ff Ehrenamtliche Tätigkeit 6 8 Eigenbetriebe, der Gemeinden 1 124, 126; 6 9 Eigengesellschaften 6 9, 34 – der Gemeinden 1 125 Eigenregie, staatliche 5 58, 111 ff, 233 – Ausnahmen 5 114 – mittelbare 5 113 – unmittelbare 5 111 f

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Eigensicherungspflichten für Private 2 28 Eigentum 3 52 ff – Auferlegung von Geldleistungspflichten 3 59 – der Gemeinden 1 28 f – Eigentumsgarantie 3 19, 52 ff, 97, 99 – Geldentwertung 3 59 – Inhaltsbestimmung 3 54 f, 58 f – Privatnützigkeit 3 55, 59 – Sozialbindung 3 58 Eigentümergebrauch 5 130, 137 f Eigentumsgarantie 5 28, 74 f, 82, 132, 160; 7 37, 62 – und Anschluss- und Benutzungszwang 1 116 f – und bauaufsichtliche Maßnahmen 4 224 ff – und Baufreiheit 4 27 ff, 209 – im Beamtenrecht 6 152, 170 – und Bebauungsplan 4 83, 90, 182 ff – Bestandsschutz 4 138 ff, 222, 224 f – s Enteignung – Inhaltsbestimmung 4 27 ff; 5 30 f – im Umweltrecht 5 28 ff – und Veränderungssperre 4 147 – und Verunstaltungsschutz 4 30, 197 – und Zulässigkeit von Vorhaben 4 138 ff – und Zurückstellung von Baugesuchen 4 147 Eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition 4 138 f, 141 Eilzuständigkeit – der Polizei 2 50 – des Polizeivollzugsdienstes 2 49 Eingriff – enteignender 3 59 – in Natur und Landschaft 4 85, 102 a; 5 66 a, 86 ff, 121 ff – in Rechte der Gemeinden 1 41 ff Eingriffsverwaltung 2 31; 6 32 f Einigungsvertrag 6 21 f Einleiten – von Abwasser 5 143, 145 – von Stoffen 5 143 Einrichtungsgarantie – Eigentum 3 55 – kommunale Selbstverwaltung 1 13 ff Einvernehmen – der Gemeinde im Baurecht 4 20, 124, 230

Sachverzeichnis Einwirkungspflicht – auf gemeindliche Unternehmen 1 125 Einzelermächtigung, begrenzte 3 24 Einzelhandel 3 149, 159, 161 Eisenbahn 3 125; 6 9, 26, 50 Eisenbahnaufsicht 3 125 Eisenbahn-Bundesamt 3 125 Elektrizitätsbinnenmarkt 3 81 Elektromagnetische Felder 5 25 Emissionserklärung 5 73, 207 Emissionsfernüberwachung 5 207 Emissionsgrenzwerte 5 177 Emissionskataster 5 221 Endlagerung, nukleare 5 111, 233 Energie – erneuerbare 3 81 – Kraft-Wärme-Koppelung 3 81 Energieversorgung – allgemein 3 6 – Energieversorgungsunternehmen 3 81 – kommunale 1 16 – Umweltverträglichkeit 3 81 Enteignung 3 60; 4 5, 30, 87, 147, 157, 159, 165 ff, 183 f, 187; 5 28, 106, 109, 132, 160 – städtebauliche 4 87, 165 ff Entschädigung 4 138, 147, 155, 166, 169, 182 ff – bei Festsetzung von Wasserschutzgebieten 5 160 – bei nuklearen Ereignissen 5 237 Entschädigungs- und Ersatzansprüche im Gefahrenabwehrrecht 2 298 ff Entschädigungsklausel – salvatorische 5 160 Entsorgung 5 111, 114 – nukleare 3 102; 5 42, 111, 233 ff Entsorgungsfachgebiet 5 254 Entsorgungsträger 5 254 Entsorgungsverantwortung 5 239, 253 Entwicklungsmaßnahmen 4 5, 177, 180 Entwicklungspflichten 4 94 ff Erdgasbinnenmarkt 3 81 Erhaltungssatzung 4 181 Erkenntnisspielraum – naturwissenschaftlich-technischer 5 22, 146 Erlaubnis 3 90, 144; 7 27, 30 – s a Befreiungen, Dispens – dingliche 3 145

– gebundene 3 145 – Gewerberecht 3 144 ff, 152, 155 ff – – Gaststättengewerbe 3 161 ff – Nebenbestimmungen 2 185 – persönliche 3 145, 162 – der Straßenbaubehörde 7 27 – wasserrechtliche 5 75, 133 ff, 141 ff, 197 – – Auflagen 5 152 – – Benutzungsbedingungen 5 152 – – Beschränkungen 5 152 – – Bewirtschaftungsermessen 5 30, 75, 141 – – Drittwirkung 5 135 – – Nebenbestimmungen 5 152 – – Vorbehalt nachträglicher Anforderungen 5 153 – s a Anlagengenehmigung – s a Baugenehmigung Ermächtigung – baurechtliche 4 219 ff – polizeirechtliche 2 4 Ermessen 7 27 – Planungsermessen 4 97 ff – Polizei- und Ordnungsrecht 2 33, 102 ff – – Anspruch auf behördliches Einschreiten 2 115 – – Auswahlermessen 2 62, 102 ff, 110, 115, 169 f – – Entschließungsermessen 2 62, 102, 104, 110, 115 – – Ermessensgrenzen 2 104 ff – – Ermessensreduzierung 2 110 ff – Straßen- und Verkehrsrecht 7 58, 61 – Versagungsermessen im Atomrecht 5 231, 235 Ernährungswirtschaft 3 86 Eröffnungskontrollen 5 71 Ersatzmaßnahmen – ökologisch-kompensatorische 5 86 Ersatzvornahme – im Kommunalrecht 1 42 – im Polizeirecht 5 16 Erschließung 4 5, 9, 88, 127, 129, 134, 161 ff; 7 62 Erschließungsvertrag 4 163 f, 174 Erstattung – von Subventionen 3 114 Europäische Gerichtsbarkeit 3 25 Europäische Zentralbank (EZB) 3 9, 65 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 3 25

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Sachverzeichnis Europäisches System der Zentralbanken 3 25, 65 Europäisierung – des Umweltrechts 5 54 ff, 129 f Europarecht – s EG/EU-Recht Europol 2 44, 47 Exklusivlizenz 3 127 Fachaufsicht – im Kommunalrecht 1 44 f Fachplanung, umweltspezifische 5 48, 62 ff Fauna-Flora-Habitat 5 116 Fernwärme 1 115 Filmförderung 3 113 – s a Subventionen Finanz- und Haushaltsrecht – der Gemeinden 1 127 ff Finanzausgleich – kommunaler 1 132 Finanzdienstleistungsaufsicht 3 65, 80 Finanzhoheit – kommunale 1 23 Fiskusabwehranspruch 3 124 Flächennutzungsplan 1 103; 4 5, 17, 22, 38, 52 f, 73, 75 ff, 84, 89, 96, 108, 114 ff, 135 f, 228 – Aufstellung 4 89 ff, 108 ff – Außerkrafttreten 4 120f – Darstellungen 4 74, 76 f, 80, 135 f – Fehlerfolgen 4 116 ff – gerichtlicher Rechtsschutz 4 228 f – Rechtsnatur 4 81 – Rechtswirkungen 4 79 ff Flughäfen 3 103 ff – Fluglärm 3 105 f – luftrechtliche Zulassung 3 105 – Raumordnungsrecht 4 38, 48 Fluglärmschutzgesetz 3 106; 5 40, 167, 218 Flugplatz, militärischer 3 104 Flugsicherung 3 107; 6 26 Folgekostenvertrag 4 164, 174 Folgenbeseitigung 2 189 f Förderungszweck – des AtomG 5 74, 231 – des GenTG 5 45 Fraktionen, im Gemeinderat 1 66 a Frauen – Förderung im Öffentlichen Dienst 6 87

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Freie Berufe 3 141 Freihandel 3 15, 28 Freiheit und Eigentum 3 29, 54 Freizügigkeit 3 35; 6 28, 75 Futtermittelrecht 5 44 Garagendispensvertrag 4 194 Gaststättenrecht 3 161 ff – Unterrichtungsnachweis 3 164 Gauck-Behörde 6 82 Gebietshoheit 1 10 Gebietskörperschaft 1 10 Gebietsreform 1 5 f, 11 Gebot der Rücksichtnahme 4 237 f Gefahr – im BImSchG 5 177 – im Polizei- und Ordnungsrecht 2 84 ff – – abstrakte 2 200, 272 f, 275 – – Anscheinsgefahr 2 92 ff, 132, 158, 296 f, 302 – – Diagnose 2 86 f, 96 – – dringende 2 100 – – erhebliche 2 100, 181 – – ex ante-Sicht 2 88 – – für Leib und Leben 2 100 – – Gefahrenverdacht 2 95 f, 132, 158, 296, 302 – – gegenwärtige 2 100, 181 – – gemeine 2 100 – – im Verzug 2 100 – – konkrete 2 84, 99 – – latente 2 156 f – – Legaldefinition 2 84 – – Prognose 2 86 ff, 96 – – Putativgefahr 2 93 f – – Subjektivierung 2 91 – – unmittelbare Gefährdung 2 100 – terroristische 2 6 Gefährdungshaftung – atomrechtliche 5 236 ff – privatrechtliche 5 101 – wasserrechtliche 5 158 Gefahrenabwehr – durch Bauordnungsrecht 4 6, 20, 30, 190 ff, 200, 215 – durch Polizei- und Ordnungsrecht 2 1, 9 ff, 18 – durch Private 2 22 ff – Internationalisierung 2 44 – notwendige Staatsaufgabe 2 20 f

Sachverzeichnis Gefahrenabwehrrecht 2 2, 12 – Funktionen 2 2, 8 – Privatisierung 2 22 ff – Vorsorgeprinzip, polizeiliches 2 13 Gefahrenverdacht 2 95 f, 132, 158, 296, 302; 5 158, 177, 187 f Gefahrenvorsorge 5 7, 24 f, 45, 142, 168, 175 ff Gefahrerforschungsmaßnahmen 2 97 f Gefahrstoffverordnung 5 43 Gegenstromprinzip 4 37, 50, 52 Geheimhaltung 5 33 Geldentwertung 3 59 Geldwirtschaft 3 4, 14 Gemeinde 1 50 ff – allgemeinpolitisches Mandat 1 15 – Allzuständigkeit 1 18 – Anschluss- und Benutzungszwang 1 114 – Aufgaben 1 33 ff – Aufsicht, s Staatsaufsicht – Beamte 6 62 f – Bestand – – alte Bundesländer 1 5 – – neue Bundesländer 1 6 – Bürgerbeteiligung 1 88 – Bürgermeister 1 70 – Daseinsvorsorge 1 104 – ehrenamtliche Tätigkeiten 1 88 – – s Beamtenbegriffe, Ehrenbeamter – Eigenbetrieb 1 124; 6 9 – Eigengesellschaft 6 9, 34 – Eigenverantwortlichkeit 1 19 – Einheitsgemeinde 1 50 – Einwirkungspflicht 1 125 – und Europa 1 7 a, 26 a, 121 a – Finanzausgleich 1 132 – Finanzgarantien 1 27 – Finanzhoheit 1 23 – Finanz- und Haushaltsrecht – -freundliches Verhalten 1 25 – Gebietskörperschaft 1 10 – ,gegliederte Demokratie‘ 1 8 – Gemeinderat 1 59 ff – Genehmigungsvorbehalte 1 46 ff – Gesamtgemeinden 1 153 – geschichtliche Entwicklung 1 3 – Grundrechte 1 28 ff – Haushaltsrecht 1 133 – -hoheiten 1 23 – inneradministrative Rechtssätze 1 103

– interne Gliederung – – Bezirke 1 92 – – Ortschaften 1 92 – interne Verfassung 1 55 ff – kommunale Spitzenverbände 1 150 – Kommunalverfassungsstreit 1 82 – Kommunalwahl 1 85 – kreisangehörige 1 51 – kreisfreie 1 51 – kreisfreie Städte 1 53 – Leistungsverwaltung 1 104 – mehrstufige Organisationsformen 1 153 – Mitwirkung der Bürger 1 85 – Mitwirkungsrechte 1 26 – Name 1 12 – Neugliederung 1 5, 11 – öffentliche Einrichtungen 1 104 – Organe 1 55 ff – Organisationshoheit 1 22, 23 – Organstreit 1 82 – Partizipation 1 88 – Personalhoheit 1 23 – Planungshoheit 1 23 – Planungsrecht 3 97 – Recht der Spontanität 1 18 – Rechtsetzung 1 93 – Rechtsschutz 1 24 – Rechtsstellungsgarantie 1 24 – Rechtsverordnungen 1 102 – Regiebetrieb 1 124 – Satzungen 1 93 – Selbstverwaltungsgarantie 1 8 – s Staatsaufsicht – Stadtkreise 1 53 – -steuer 1 129 – Steuererfindungsrecht 1 130 – ultra-vires-Lehre 1 15 – Universalität 1 18 – Verfassungsbeschwerde, kommunale 1 24 – -verfassungstypen 1 55 – Weisungsaufgaben 1 38 – Wesensmerkmale 1 10 – wirtschaftliche Betätigung 1 118 ff; 3 124 – Wirtschaftsförderung 1 121 a; 3 82 – s Wirtschaftsunternehmen – Wirtschaftsverwaltung 3 66 – Zweckverband 1 155 Gemeinderat 1 59 ff – Aufgaben 1 67 ff – Ausschüsse 1 66

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Sachverzeichnis – Befangenheit 1 61 – Geschäftsordnung 1 64 – Fraktionen 1 66 a – Hausrecht 1 63 – Kommunalverfassungsstreit 1 82 ff – Mitglieder 1 59 ff – Organisation 1 62 ff – Ratsvorsitz 1 63 – Sitzungen 1 65 – Tagesordnung 1 65 – Verfahren 1 62 ff – Vorbehaltsaufgaben 1 69 – Vorsitzender 1 63 – – Ordnungsmaßnahmen 1 63 – Zusammensetzung 1 59 ff Gemeindestraßen 7 9 f, 26 Gemeindeverband 1 150 – Gesamtgemeinden 1 153 – höherer 1 155 – Zweckverband 1 155 Gemeindeverfassungsrecht 1 55 ff – Hessen 1 80 Gemeindeverfassungstypen 1 55 Gemeindewirtschaftsrecht 1 118 ff Gemeingebrauch 5 130, 137; 7 6, 40, 48 f, 54 ff, 57 ff, 61 – Inhalt und Bedeutung 7 54 – Rechtsstellung des Straßenbenutzers 7 56 – Schranken 7 55 Gemeinlastprinzip 5 17 Gemeinschaftsaufgabe 3 10 Gemeinschaftsrecht 3 22 ff – Öffentlicher Dienst 6 26 ff, 75, 87 – s EG-/EU-Recht – s Unionsrecht Gemeinwirtschaft, gemeinwirtschaftlich 3 5, 117, 122 Genehmigung 3 88 ff, 92 ff, 100 – s a Anlage, Anlagengenehmigung – atomrechtliche 5 197, 226 ff – – Änderungsgenehmigung 5 231 – – Verfahren 5 232 – – Versagungsermessen 5 74, 226, 231, 235 – s Baugenehmigung – immissionsschutzrechtliche 5 172 ff – – Auflagen 5 196 – – Bindungswirkung 5 200 – – Genehmigungsverfahren 5 192 ff – – vereinfachtes Verfahren 5 194 – – Widerruf 5 206

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– Legalisierungswirkung 3 88 – Luftrecht – – s Anlagengenehmigung – Plangenehmigung 7 32 ff – s a Erlaubnis Genehmigungspflicht – Atomanlagen 3 92, 100 ff – Flughäfen 3 92, 104 ff – Gewerberecht 3 144, 161 ff, 165 ff – – Beförderungsgewerbe 3 165 ff – – Gaststättengewerbe 3 161 ff – Wirtschaftsverwaltungsrecht 3 92 ff Genehmigungsvorbehalte – gegenüber Gemeinden 1 46 ff Generalklausel – bauordnungsrechtliche 4 191 f, 200, 219 – Bundesgrenzschutz 2 42 – polizei- und ordnungsrechtliche 2 33, 52, 57 ff, 62 ff – – Anwendungsbereich 2 57 ff – – Durchsetzung einer lex imperfecta 2 59, 69 – – ergänzende Funktion 2 58 – – lückenausfüllende Funktion 2 57 – – Normstruktur 2 62 – – Schutzgüter 2 65 ff – – Subsidiarität 2 73 – – Verfassungsmäßigkeit 2 63 Gentechnik(gesetz) 5 20, 45 Gesamtgemeinde 1 153 Geschäfte der laufenden Verwaltung 1 74 Geschäftsordnung – des Gemeinderates 1 64 Gesellen 3 70, 160 Gesellschaftspolitik 3 6 Gesetz – Ermächtigungs- 3 32 – Maßnahme- 3 31 – Plan- 3 31 – Richtlinien- 3 31 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 3 7, 18 Gesetzesvorbehalt 5 19 f – Baurecht 4 22, 83, 167, 219, 224 – Berufsfreiheit 3 50 – Gefahrenabwehrrecht 2 32 f, 52, 164 f, 254, 270, 292 f – Satzungsrecht 1 95, 130 Gesetzesvorrang 1 95; 2 32; 3 29

Sachverzeichnis Gesetzgebung – Gestaltungsfreiheit 3 19 f, 49, 58 – wirtschaftslenkende 3 57 – wirtschaftsrechtliche 3 29 ff Gesetzgebungskompetenz – allgemeines Gefahrenabwehrrecht 2 9, 16 – Annexkompetenz des Bundes für präventivpolizeiliche Regelungen 2 17 – auf Grund des Sachzusammenhangs mit dem Strafverfahrensrecht 2 17 – Polizei- und Ordnungsrecht 2 35 ff – – allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht 2 38 – – Annexkompetenzen des Bundes 2 37 – – Bundeskompetenzen für bestimmte Sachgebiete 2 37 – Strafverfolgung 2 9, 16 – Strafverfolgungsvorsorge 2 15 f – vorbeugende Bekämpfung von Straftaten 2 17 Gesetzgebungszuständigkeiten – im Baurecht 4 9 – im Beamtenrecht 6 49 f – im Kommunalrecht 1 2 – im Raumordnungsrecht 4 9 – im Straßenrecht 7 9 – im Umweltrecht 5 35, 126 a, 127 f, 240 Gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt 5 72 ff Gestaltungswirkung 7 30 Gesundheitsrecht 5 50 Gewaltmonopol, staatliches 2 21 f, 30 Gewaltverhältnis, besonderes 6 46 f, 181 f Gewässer – Ausbau 5 163 – Begriff 5 130 – Unterhaltung oberirdischer 5 162 Gewässeraufsicht 5 157 Gewässerbenutzung 5 136 ff – bewilligungsfreie 5 139 f – erlaubnisfreie 5 139 f Gewerbe 3 136ff, 155 ff – Beförderungsgewerbe 3 165 ff – Gaststättengewerbe 3 161 ff – Marktverkehr 3 155 – Reisegewerbe 3 155 – stehendes 3 155 Gewerbebetrieb – eingerichteter und ausgeübter 3 57 – Untersagung 3 143, 148, 153

– Verhinderung der Fortsetzung eines Betriebes 3 143 Gewerbefreiheit 3 4, 15 f, 19, 28, 136 ff Gewerbeordnung 3 16, 136 ff Gewerberecht – Eingriffsmaßnahmen nach der polizeirechtlichen Generalklausel 2 57 Gewerbeschein 3 16 Gewerkschaften 6 173 Gleichgewicht, gesamtwirtschaftliches 3 6, 8, 19 f, 27, 76 Gleichheitssatz, allgemeiner 3 20, 33, 35 ff, 59, 114, 128 Grenzkontrollen 2 44 Grenzregelung – im Kommunalrecht 1 11 Grenzüberschreitende Kriminalität 2 201 Grenzüberschreitende Observation 2 47 Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit 2 44 ff Grenzüberschreitende Verbringung 5 264 Grundrechte – Baurecht 4 19, 26 ff, 90 f, 138 ff, 147, 168, 183 ff, 197, 205, 209, 219 ff, 224 f, 231, 238 ff – Beamte, s Beamtenverhältnis/Grundrechte – s Eigentumsgarantie – Grundrecht auf Umweltschutz 5 27 – Grundrechtsschutz durch Verfahren 5 26 – von Gemeinden 1 28 ff – Straßen- und Verkehrsrecht 7 58, 60 – Umweltrecht 5 23 ff, 27, 74 f, 84, 97, 106, 132 – s a Schutzpflichten Grundrechtsfähigkeit – von Gemeinden 1 28 ff Grundsätze der Raumordnung 4 40 ff Grundstücksteilung 4 148 Grundwasser – Benutzung 5 30 Güterkraftverkehr – Genehmigung 3 168 – Kontingentierung 3 168 Güterkraftverkehrsgesetz 3 140, 146, 168 Handlungsformen zur Gefahrenabwehr 2 265 ff – behördliche Warnungen 2 269 f – behördliche Wissenserklärungen 2 269 f – Rechtsverordnungen 2 271 ff

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Sachverzeichnis – Verwaltungsakt 2 266 f – – Erlaubnis 2 267 – – Verfügung 2 266 – – Vollstreckung 2 278 – – s a Durchsetzung von Gefahrenabwehrmaßnahmen – Verwaltungsrealakt 2 268 Handlungsfreiheit, allgemeine 3 35, 41, 68 – wirtschaftliche Betätigung 3 35, 41 Handwerk 3 156 ff Handwerksbetrieb 3 157, 159 ff Handwerksinnungen 3 71, 157 Handwerkskammern 3 70 f, 156, 159 Handwerksrolle 3 146, 156 ff Haushaltsgesetz 3 73, 109, 113 Haushaltsrecht 3 123, 128 ff – der Gemeinden 1 133 – – Haushaltsplan 1 134 – – Haushaltssatzung 1 134 – – Haushaltsvollzug 1 135 – – Rechnungsprüfung 1 135 Hausrecht in Gemeinderatssitzungen 1 63 Hinterliegergebrauch 5 138 HIV-Test, Öffentlicher Dienst 6 85 Hochschuldiplom, Anerkennung 6 28 Hochschullehrer 6 34, 89, 158, 171 Honorarkonsuln 6 66, 75 Illegalität, formelle und materielle im Baurecht 4 218 ff; 5 80 Immissionen 5 167 ff Immissionsgrenzwerte 5 170 f, 177, 179 Immissionsschutz 5 167 ff Indirekteinleitungen 5 147 Industrie- und Handelskammern 3 69, 164 Informationsvorsorge, polizeiliche 2 13 Inhaltsbestimmung des Eigentums 4 27 ff, 83, 90 – s a Eigentumsgarantie Inkompatibilität 6 85, 122 Inlandsbeseitigung 5 260 Innenbereich 4 80, 125, 129 ff, 139, 141 Innerer Frieden 2 6 Insolvenz und Verantwortlichkeit im Gefahrenabwehrrecht 2 155 Instandsetzungsgebot 4 181 Institutsgarantie – s Einrichtungsgarantie Interessen – planerische Abwägung 4 97 ff; 7 28

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Internationale Arbeitsorganisation 6 27 Internet 2 6 Interpol 2 44 Investitionen 3 9f Investitionszulage 3 112 IVU-Richtlinie 5 49 a, 207 a Jahreswirtschaftsbericht 3 27, 64 Kammer für Baulandsachen 4 171 Kammern – Arbeitskammern 3 73 – der freien Berufe 3 67 – Landwirtschaftskammern 3 72 – Wirtschaftskammern 3 73 Kampfhundeverordnungen 2 275 a Kapitalgesellschaften 3 123 f – Beteiligungen 3 123 – im Gemeindewirtschaftsrecht 1 125 Kapitalismus 3 4, 13, 15 Kartellabsprachen 3 7 Kartellbehörde 3 74 Kernenergie 5 19, 223 ff – Ausstieg aus der 3 100 – s a Atomanlagen, Atomrecht Kerntechnischer Ausschuss 5 110 Kirchliche Bedienstete 6 10 Klagebefugnis – s Drittschutz – Klagen gegen Weisungen der Kommunalaufsicht 1 45 – Kommunalverfassungsstreit 1 84 Klassifizierung von Straßen 7 20, 50 Koalitionen 3 73 ff Koalitionsfreiheit 3 73 ff, 134 Kohlebergbau 3 10 Kommunalabgaben 1 129 ff Kommunale Spitzenverbände 1 150 Kommunale Verträge 1 126 a ff – Vergabe öffentlicher Aufträge 1 126 c Kommunalrecht – Bürgerbeteiligung 1 89 – Europäisierung 1 7 a – Finanz- und Haushaltsrecht 1 127 – Gemeindeverfassungsrecht 1 50 ff – Genehmigungsvorbehalte 1 46 ff – Geschichte 1 3 ff – Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens 1 25 – Kommunalverfassungsstreit 1 82 ff

Sachverzeichnis – Organstreit 1 82 – Recht der Landkreise 1 136 ff – Rechtsgrundlagen 1 2 – Systematik 1 1 – Verfassungsgrundlagen 1 8 – Wirtschaftsrecht 1 118 ff – Zweckverbandsrecht 1 150 – s Gemeinden – s Landkreis Kommunalunternehmen 1 126 Kommunalverfassungsstreit – Klageart 1 82 ff – subjektive Rechte 1 83 f Kommunalwahl 1 85 ff – Ausländer 1 85 – Bürger 1 85 – Rechtsschutz 1 87 – Wahlrechtssystem 1 86 Kommunikative Straßennutzung 7 60 Kompaktlagerung 5 235 Kondominium 1 49 Konfliktvermeidung 5 66 b f Konjunkturpolitik 3 6, 9, 27, 132 – antizyklische 3 132 Konkurrentenabwehranspruch 3 166 Konkurrentenklage, Konkurrentenschutz 3 89, 90, 115, 124, 166 – s Drittschutz – im Beamtenrecht 6 91 f, 111 Konkurrentenverdrängungsanspruch 3 166 Kontrahierungszwang 3 87 Kontrolldichte, judikative im Umweltrecht 5 20, 175, 180 ff, 229 Kontrollinstrumente, administrative im Umweltrecht 5 70 ff Konzentrationswirkung – der atomrechtlichen Anlagengenehmigung 5 232 – der atomrechtlichen Planfeststellung 5 234 – der Baugenehmigung 4 211, 215 – der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung 5 194, 197 – der straßenrechtlichen Planfeststellung 7 30 – s Planfestellungsbeschluss Konzertierte Aktion 3 27 Kooperationsprinzip 5 258 – im Umweltrecht 5 18, 54, 110 Körperschaften, bundesunmittelbare 6 50 f, 62

Korruption 6 26 a, 140 Kostenerstattung – im Gefahrenabwehrrecht 2 291 ff Kreis – s Landkreis Kreisausschuss 1 146 Kreisfreie Städte 1 53 Kreislaufwirtschaft 5 242 Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, s Abfallrecht Kreisstraße 7 11, 26 Kreistag 1 146 Kreisumlage 1 143 Kreuzberg-Urteil 2 4; 4 196 Kyoto-Protokoll 5 222 c f Ladenschlussgesetz 3 137, 154 Landesbauordnungen 4 14, 20, 190 ff Landesentwicklungsplan, -programm 4 55 ff Landesplanung 4 4, 9 f, 19, 45 ff, 53, 67, 71, 94 f; 7 25 Landesraumordnungsplan, -programm – s Landesentwicklungsplan, -programm Landesverfassungen – Garantie kommunaler Selbstverwaltung 1 31 – Wirtschaftsrecht 3 34 Landkreis – Aufgaben 1 138 – Kompetenz-Kompetenz 1 144 – Kreisausschuss 1 148 – Kreistag 1 146 – Kreisumlage 1 143 – Landrat 1 147 – Organe 1 145 – Organleihe 1 149 – Selbstverwaltungsgarantie 1 136 – staatliche Verwaltung im Landkreis 1 149 Landrat 1 147 Landschaftspflege – s Naturschutz Landschaftsplanung 5 119 f Landschaftsschutzgebiete 5 125 Landschaftsverband 1 155 Landstraße 7 9, 25 f Landwirtschaft – Landwirtschaftspolitik 3 10 – Wasserrecht 5 136 Lärmminderungsplan 5 220

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Sachverzeichnis Lärmschutz – Flughäfen 3 105 f – s Immissionsschutz Laufbahn – s Beamtenbegriffe Lebensgrundlagen, natürliche 5 1 ff, 116 ff Lebensmittelrecht 5 44 Legalisierungswirkung von Genehmigungen 2 130, 150 Lehrer – Hochschule 6 34, 89, 158, 171 – Schule 6 34, 46 f, 64, 171 Lehrlinge 3 70, 160 Leistungsverwaltung 1 104; 6 32 f Liberalismus – Wirtschaftsordnung 3 1, 13, 15 Lizenz 3 88, 127 Lizenzentgelt 5 96 Lizenzgebühr 5 97 Luftreinhalteplan 5 63, 187, 220, 221 – als Sanierungsplan 5 221 – als Vorsorgeplan 5 221 Luftreinhaltung 5 40 – s a Immissionsschutz Luftsicherheitsgesetz 2 43 a Luftverkehrsgesetz 3 107 Magistratsverfassung 1 80 Märkte 3 108, 155 Marktfreiheit 3 155 Marktordnung 3 34, 86 – landwirtschaftliche 3 86 Marktwirtschaft 3 4 f – soziale 3 7, 21 Massenverfahren 3 96 Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch 4 11, 139 Meisterpräsenz 3 159 Meisterprüfung 3 149, 158 Menschenrechtsschutz, Öffentlicher Dienst 6 27 Merkantilismus 3 13 f Messen 3 108, 155 Mikrozensusgesetz 2005 3 12 Militärflugplatz – s Flugplatz, militärischer Militärischer Abschirmdienst 2 43 Minimierungsgebot, strahlenschutzrechtliches 5 228

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Mitbestimmung – im öffentlichen Dienst 6 12 ff – unternehmerische 3 11 Mittelstandspolitik 3 10 Mitwirkung der Bürger – Kommunalrecht 1 85 Mitwirkung der Öffentlichkeit (Bauleitplanung) 4 110 f Monitoring 4 112, 115 a Monopolprivilegien 3 14 f Mühlheim-Kärlich-Beschluss 5 26 Musterbauordnung 4 14 Mutterschutz 6 23, 150 Nachbar – Baurecht 4 232 ff Nachbarrecht 4 2, 232 ff Nachbarrecht, im Straßen- und Verkehrsrecht 7 2, 63 – Grundlagen des Nachbarrechts 7 63, 65 – Schutz vor schlicht-hoheitlichen Verkehrsimmissionen 7 65 Nachbarschutz – s Drittschutz Nacheile 2 47 Nachhaltigkeit 4 101; 5 5 Nachrichtendienste 2 43 Nachweispflichten 5 263 Nassauskiesungsbeschluss 5 132 Nationalparke 5 125 Natur und Landschaft, Eingriffe in 5 121 ff – Baurecht 4 85, 102 a Naturalwirtschaft 3 14 Naturparke 5 125 Naturschutz 5 116 ff; 7 22 Naturschutzgebiete 5 29, 125 Nebenbestimmung – zur Anlagengenehmigung nach BImSchG 5 196 – zur Baugenehmigung 4 207, 231 – zur Sondernutzungserlaubnis 7 58 – zu wasserrechtlichen Gestattungen 5 152 Nebentätigkeit, von Beamten 6 44, 133 f, 170, 178 Neue Bundesländer – Baurecht 4 11 – Gebietsreform 1 6 – Öffentlicher Dienst 6 21 ff, 81 f, 90 ff, 109, 114 – Umweltrecht 5 51 ff

Sachverzeichnis Neues Steuerungsmodell 1 7 b Neutralität, wirtschaftspolitische – des Grundgesetzes 3 19, 27 Nichtstörer 2 117, 120, 122, 139, 177 ff, 190, 192, 200 – Entschädigungsanspruch 2 120, 190, 298 ff Nichtstörungspflicht, allgemeine 2 121, 129, 134, 136 Normenkontrolle – gegenüber Satzungen 1 100 f – inzidente 4 68, 229 – prinzipale 4 69 f, 121, 228 Notar 6 8 Notstand – im Gefahrenabwehrrecht 2 177 ff – – Notstandsmaßnahmen 2 180, 188 – – Notstandssituation 2 180 ff – zivil- und strafrechtlicher 2 60 Notstandspflicht 2 117 – Entschädigungsanspruch 2 298 ff Notwehr 2 60 Nutzungsverbot 4 218, 224 Obdachlosenunterbringung 2 179, 184 ff Obdachlosigkeit 2 58, 72, 76, 82, 111, 116, 130, 137, 179, 181 f, 184 ff, 238, 264, 300 Öffentliche Einrichtungen der Gemeinden 1 104 ff – Anschluss- und Benutzungszwang 1 114 – Begriff 1 105 – Benutzungsverhältnis 1 109 – Kapazität 1 108 – Nutzungsrechte 1 108 – Organisationsrechtsformen 1 106 – Widmung 1 107 – Zweistufentheorie 1 111 Öffentliche Ordnung – s Ordnung, öffentliche Öffentliche Sicherheit – s Sicherheit, öffentliche Öffentliche Unternehmen – unionsrechtliche Bindungen 3 131 Öffentlicher Dienst – Begriff 6 4 ff, 7 ff – Menschenrechtsschutz 6 27 Öffentliches Dienstrecht – Abgrenzung zum Privatrecht 6 4 ff – Angestellte und Arbeiter 6 57, 183 ff

– – Abgrenzung zum Beamtentum 6 1, 4 ff – – Amtshaftung 6 57 – – Grundrechte 6 46 – Deutsche Einheit 6 21, 80, 90 ff – Entwicklung 6 16 ff – Gemeinschaftsrecht 6 26 ff, 75 – Kollektives Dienstrecht 6 12 ff – Nationalsozialismus 6 18 ff – Reform 6 24 ff – Streik 6 189 – Tarifverträge 6 186 ff – Verfassungsrecht 6 29 ff – – Bundesstaatliche Aspekte 6 49 ff – Zahlenangaben 6 25 – s a Beamtenbegriffe, Beamtenverhältnis Öffentlichkeitsbeteiligung 4 49 f, 110 f Öko-Audit 5 110 Opportunitätsprinzip im Gefahrenabwehrrecht 2 101 f Ordnung, öffentliche 2 5 ff, 52, 79 ff, 262 – Kritik 2 80 f Ordnungspolitik 3 7 Ordnungswidrigkeiten 2 7, 9, 27 Ordo-Liberalismus 3 7 Organisationshoheit der Kommunen 1 22 f Organisationszwang 3 74 f Organisierte Kriminalität 2 13, 44, 201 Organstreit – zwischen Gemeindeorganen 1 83 Ozongesetz 5 25 Pariser Atomhaftungsübereinkommen 5 236 Partizipation – im Kommunalrecht 1 89 – im Städtebaurecht 4 110 f Personalakten 6 153, 164 ff Personalerlaubnis – s Erlaubnis Personalhoheit – kommunale 1 23 Personalrat 6 12 ff, 112, 176 f Personalversammlung 6 15 Personalvertretung 6 12 ff Personenbeförderung 3 165 – Genehmigung 3 166 – Konkurrentenschutz 3 89 – Linienverkehr 3 89 f, 165 f Personenbezogene Daten – im Polizei- und Ordnungsrecht 2 13, 43, 245 ff

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Sachverzeichnis Pflanzgebot 4 87, 181 Pflichtmitgliedschaft 3 68 f Pipeline 5 155 Planaufstellungsbeschluss 4 109 Planergänzungsanspruch 3 98 Planfeststellung 3 92, 95, 104 ff, 125, 166; 5 62, 64, 68 f, 108, 118, 163, 197; 7 22 ff, 26 ff, 35 ff, 39 – Abwägungsgebot 5 214 – Plangenehmigung 5 163 – straßenrechtliche 7 22, 26 – s Konzentrationswirkung Planfeststellungsbeschluss 7 27, 28, 30, 35 ff – Rechtschutz 7 35 ff – s Ausschlusswirkung – s Gestaltungswirkung – s Konzentrationswirkung Plangenehmigung 3 104, 106; 7 32, 33, 35 ff – Rechtsschutz 7 35 ff Plangewährleistungsanspruch 3 57 Planschadensrecht 4 5, 139, 182 ff Planstelle 6 70, 74, 113 f Planung 7 10, 22 ff, 26 ff, 37 ff, 52 – s Bauleitplanung – s Landesplanung – s Landschaftsplanung – politische Planung 3 30 – Regionalplanung 4 58 ff – Straßenplanung 7 22 ff, 26 ff, 32, 37 ff – Umweltplanungen 5 48, 59 ff – Wirtschaftsplanung 3 30 Planungsabreden 4 92 f, 174 – s a Abwägung Planungsermessen 3 93, 105 Planungsgrundsätze 4 104 Planungshoheit, kommunale 1 23; 3 97, 105; 4 18 ff, 89, 124, 145 Planungsleitsätze 4 97 ff Planungsnormen – Rechtsbindung 4 100 ff – Struktur 4 97 ff Planungspflicht 4 17 f, 89 ff Planungsverbände 4 17 Planungsvereinfachungsgesetz 3 106 Planzeichenverordnung 4 13, 74 Platzverweisung 2 209 ff Polizei- und Ordnungspflicht 2 124 – Hoheitsträger 2 125 – Personen 2 124

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Polizei- und Ordnungsrecht – Begriff 2 1 – Funktionen 2 2 – s a Gefahrenabwehrrecht Polizei- und Ordnungsverwaltung 2 48 ff – Einheitssystem 2 48 f, 264 – Ordnungsbehörden 2 50 f, 264 – Polizei(verwaltungs)behörden 2 49 f, 264 – Polizeivollzugsdienst 2 49, 264 – Sicherheitsbehörden 2 51, 264 – Trennsystem 2 48, 50, 264 – Trennungsgebot 2 41 – Zuständigkeiten 2 49 ff, 263 f – – örtliche 2 264 – – sachliche 2 264 Polizeibegriff 2 3 ff – formeller 2 7 – institutioneller 2 7 – materieller 2 5, 7 – Wandlungen 2 3 ff Polizeigesetz, Musterentwurf eines einheitlichen 2 38 Polizeirecht 5 255 Polizeitätigkeit – doppelfunktionale Maßnahmen 2 11 – präventive 2 7, 9 f – repressive 2 7, 9 f Polizist, Öffentlicher Dienst 6 47 Postgesetz 3 127 Postreform 3 126 f; 6 9, 26, 50 Präklusion 4 112 a; 5 193, 232 Präventive Verbote 5 73 Preis 3 7 Preisgesetz 3 32, 82 Presse, Polizeifestigkeit 2 54 Pressesubventionen – s Subventionen Preußisches Allgemeines Landrecht 2 4; 4 191, 196; 6 17 Prinzipale Normenkontrolle – s Normenkontrolle Prinzipien des Umweltschutzes 5 6 ff Privatautonomie 3 2, 4, 20, 41, 51, 78, 85 Privatisierung 1 122; 3 11, 125 f; 5 2; 6 26, 28 – Gefahrenabwehr(recht) 2 22, 29 f – – funktionale 2 29 – – materielle 2 29 – Umweltrecht 5 113

Sachverzeichnis – s a Berufsbeamtentum/Funktionsvorbehalt – s a Öffentliches Dienstrecht/Reform – s a ,Verbeamtung‘ Privatrecht 3 35 Produktbezogener Imissionsschutz 5 212 Produktionsverhältnisse 3 3 Produktivität 3 3, 7 f Produktivkräfte 3 3 Produktverantwortung 5 115, 258 f Produktwarnung 5 84 Produktzulassung 5 32 f Prognose 3 40 Prostitution 3 150 Protektionismus 3 14, 28 Publikation – gemeindliche Satzungen 1 97 Rahmenpläne, wasserwirtschaftliche 5 63, 149 Raumordnung 4 4, 19, 34 ff, 75, 94 f – Grundsätze der 4 10, 40 – Leitvorstellungen 4 4, 36, 50 Raumordnungserfordernisse 7 24 Raumordnungsgrundsätze 4 10, 40 Raumordnungsplan – und gerichtlicher Rechtsschutz 4 68 ff, 228 – Rechtsnatur 4 71 Raumordnungspolitik 3 10 Raumordnungsrecht 4 4 f, 9 f, 34 ff – und gerichtlicher Rechtsschutz 4 67 ff, 228 – Gesetzgebungszuständigkeiten 4 9 f – und Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden 4 19 – und Städtebaurecht 4 5, 75, 94 f, 102 Raumordnungsverfahren 3 94, 105; 4 49, 62, 65 f Reaktorsicherheitskommission 5 110 Realförderung 3 108, 112 Recht auf Arbeit 3 11 Rechtsanwaltskammer 3 68 Rechtsnachfolge in die Polizei- und Ordnungspflicht 2 159 ff – abstrakte Polizei- und Ordnungspflicht 2 159, 162 – Einzelrechtsnachfolge 2 163 ff, 167 – Gesamtrechtsnachfolge 2 163 f, 166 f – konkretisierte Polizei- und Ordnungspflicht 2 164

– Verhaltensverantwortlichkeit 2 163, 167 – Zustandsverantwortlichkeit 2 162, 165 Rechtsschutz – gegen Planfeststellungsbeschluss 7 35 ff – gegen Satzungen 1 100 – gegen wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden 1 121 – im Baurecht 4 147, 228 ff – – vorläufiger 4 241 – im Beamtenrecht 6 91, 107, 175 ff – im Gefahrenabwehrrecht 2 9 – im Kommunalwahlrecht 1 87 – im Raumordnungsrecht 4 67 ff – im Strafverfolgungsrecht 2 9 – im Straßenrecht 7 19, 35, 45 – Kommunalverfassungsstreit 1 83 – s a Drittschutz Rechtsschutz der Gemeinde – gegen Fachaufsicht 1 45 – gegen Rechtsaufsicht 1 43 Rechtsstaat, sozialer 3 19 f; 4 32 Rechtsverordnungen – der Gemeinden 1 102 – im Bauordnungsrecht 4 192 – im Gefahrenabwehrrecht 2 271 ff – im Öffentlichen Wirtschaftsrecht 3 32 Rechtsweg im Beamtensachen 6 179 f Reformfragen – Gemeindehaushaltsrecht 1 133 f – Kommunalrecht 1 7 b – Kommunalverfassung 1 58 – neues Steuerungsmodell 1 7 b – öffentliches Dienstrecht 6 24 ff Regiebetrieb 1 124 Regierungsmitglieder 6 8, 57, 121 Regionalplanung 4 4, 39, 47, 52, 58 ff Regulierung 3 80, 127 Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 3 80, 127 Reichsbeamtengesetz 6 17 Reichswirtschaftsrat 3 73 Reinhalteordnungen 5 151 Reisegewerbe 3 155 – Reisegewerbekarte 3 146, 155 Repressive Verbote im Umweltrecht 5 73, 76 f Restrisiko 5 24, 177 – radioaktive Strahlung 5 233 ff Richter, öffentlicher Dienst 6 4, 10, 47, 57 f, 121

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Sachverzeichnis Richtlinien – EG-/EU-Recht 5 116, 129, 146, 148, 181 a, 239, 244 Rio-Deklaration 5 5 Risikobewertung 5 229 – vergleichende 5 25 Risikovorsorge 5 7, 9, 77, 184, 186 – Atomrecht 5 228 ff, 235 Röntgenverordnung 5 224 Rückgabepflichten 5 259 Rücknahme von Zulassungsakten 5 78 Rücknahmepflichten 5 259 Rücksichtnahmegebot – im Baurecht 4 237 f – im Wasserrecht 5 114 Sachkunde 3 68, 80, 148 f, 150 Sachverständigengutachten, antizipiertes 5 110, 179 ff, 184 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 3 64 Sanierung 5 126 a ff – Wertausgleich 5 126 h Sanierungsmaßnahmen 4 5, 177 ff Satzungen der Gemeinden 1 94 ff – Bebauungsplan 4 86, 114, 116 – Gesetzesvorbehalt 1 95 – Gesetzesvorrang 1 95 – Haushaltssatzung 1 134 – Nichtigkeitsdogma 1 98 – Publikation 1 97 – Rechtsschutz, s Normenkontrolle – Satzungshoheit 1 94 – Satzungstypen 1 94 – Verfahren – – Genehmigungsvorbehalte 1 97 – – Staatsaufsicht 1 97 – Verfahrensfehler 1 98 Schadensvorsorge, atomrechtliche 5 228 ff, 235 Schadstoffkompensation 5 204 Schankwirtschaft 3 161, 163 Schengener Übereinkommen 2 44, 47 Schifffahrtspolizei 2 42 Schleierfahndung 2 42, 201 Schmerzensgeld 5 236 Schullehrer 6 34, 64 f, 171 Schutzauflagen 7 31, 36 Schutzgrundsatz 5 175 ff, 202

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Schutznormen – Schutznormlehre 4 238 – s a Drittschutz Schutzpflichten, grundrechtliche 2 21, 61, 97, 201; 3 19, 35, 43, 51, 58, 92, 99, 106, 111; 4 31 ff; 5 23 ff Schutzzweck des AtomG 5 231 Schwarzbau 4 223 Schwerbeschädigte 6 52, 86, 150 Scoping 4 109 a Selbstbestimmung, informationelle 3 12 – s a Datenschutz Selbstbindung der Verwaltung 3 33, 113 Selbstmord 2 219 Selbstregulierung im Umweltrecht – Instrumente der privatrechtlichen 5 99 ff Selbstverwaltung der Wirtschaft 3 67 ff Selbstverwaltung, berufsständische 3 67 ff Selbstverwaltung, kommunale – Allzuständigkeit 1 18 – Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 1 14 – Aufbau 1 9 – Aufgabenverteilungsprinzip 1 22 – und Baurecht 4 16 ff, 72 – und Demokratie 1 8 – Eigenverantwortlichkeit 1 19 – und Gemeinschaftsrecht 1 7 a, 26 a, 121 a – Gesetzesvorbehalt 1 20 – Kernbereichsgarantie 1 21 – in Landesverfassungen 1 31 – der Landkreise 1 136 ff – und Raumordnungsrecht 1 26; 4 19 – Rechtsinstitutionsgarantie 1 13 – Rechtsschutz 1 24 – Rechtssubjektsgarantie 1 10 ff – Satzungshoheit – – Satzungsrecht 1 93 – Verfassungsgarantie 1 8 Sicherheit – innere 2 2, 10, 13, 20, 25, 46, 178 – – EU-Vertrag 2 46 – – (notwendige) Staatsaufgabe 2 2, 20, 30 – öffentliche 2 5 ff, 66 ff – – Individualgüter 2 72 f – – kollektive Rechtsgüter 2 78 – – Selbstgefährdung 2 74 – – Selbsttötung 2 74 – – staatliche Einrichtungen 2 75 f – – Unverletzlichkeit der Rechtsordnung 2 67

Sachverzeichnis Sicherheitsdienste des Bundes 2 41, 43 Sicherheitsgewerbe, privates 2 23 ff, 30 Smog-Verordnungen 5 222 Soldaten 6 8, 10, 46, 178 Solidarfonds Abfallrückführung 5 266 Sonderabgaben 5 91, 94 Sondergesetzliche Eingriffsbefugnisse 2 259 f Sondernutzung, straßenrechtliche 7 57 ff, 60 – Arten 7 57 – Begriff 7 57 – Berechtigter 7 49 – bürgerlich-rechtliche 7 59 Sonderpolizeibehörden des Bundes 2 41 f Sonn- und Feiertage – Schutz über die polizeirechtliche Generalklausel 2 59 – verfassungsrechtlicher Schutz 3 154 Sozialbindung, s Sozialgebundenheit Soziale Stadt 4 5, 180 b Sozialgebundenheit – und Baufreiheit 4 27 ff – im Umweltrecht 5 28 ff, 117, 160 Sozialisierung 3 4 f, 62 – Grundrechtsschutz 3 62 – Teilsozialisierung 3 5 Sozialismus – Wirtschaftsordnung 3 4 f Sozialpolitik 3 10, 110 Sozialstaat 3 19 f, 27, 37; 5 2 f – s Rechtsstaat, sozialer Sozialversicherung 3 56, 77 Speisewirtschaft 3 161, 163 f Sperrzeit 3 163 Spezialbefugnisse 2 34, 52 Spezialermächtigungen im Gefahrenabwehrrecht 2 53 – abschließende Regelung 2 54 Spielbanken 3 47 Staatsaufsicht über Gemeinden 1 32 ff – Fachaufsicht – – fachliche Weisung 1 44 – – Rechtsschutz 1 45 – – Weisungsrecht 1 44 – Genehmigungsvorbehalte 1 46 ff – – Kondominium 1 49 – Mittel der Rechtsaufsicht – – Anordnungsrecht 1 42 – – Beanstandungsrecht 1 42 – – Ersatzvornahme 1 42

– Rechtsaufsicht – – präventive 1 41 – – Rechtsschutz 1 43 – – repressive 1 41 – präventive Aufsicht 1 46, 97 – s a Gemeinden – s a Selbstverwaltung Staatsaufsicht über Wirtschaft 3 67 Staatshaftung – unionsrechtliche 3 24 Staatssekretär, parlamentarischer 6 8 Staatssicherheit, Ministerium für 6 23, 82, 99 Staatsverwaltung – mittelbare 1 8 – unmittelbare 1 8 – s a Selbstverwaltung Staatszielbestimmungen 3 19, 21 Stabilitätsgesetz 3 8, 18, 27 f, 64, 74, 109, 132 Städtebauförderungsgesetz 4 11 Städtebaurecht 4 3 ff, 7, 9, 15, 73 ff, 176 ff, 190, 235, 237 – Allgemeines 4 5, 73 ff, 176, 178 – und Bauordnungsrecht 4 7, 122 ff, 190 – Besonderes 4 5, 143, 176 ff – und Raumordnungsrecht 4 4 Stadtkreise 1 53 Stadtumbau 4 5, 180 a f Stahlindustrie 3 10 Stand der Technik 5 9, 22, 105, 145 f, 172 Stand von Wissenschaft und Technik 3 102; 5 22 f, 24, 227, 229 Standard der praktischen Vernunft 5 25 Standardbefugnisse 2 33, 52, 56, 97, 99, 122 f, 191 ff – Bundesgrenzschutz 2 42 Standardisierungsspielraum, administrativer 5 22, 146, 229 Standardmaßnahmen 2 123, 191 ff – Akteneinsicht 2 258 – Aufenthaltsverbot 2 56, 209 f, 214 ff – Auskunftsanspruch 2 258 – Auskunftspflicht 2 197 – Auskunftsverlangen 2 122, 196 f – Auskunftsverweigerung 2 258 – Befragung 2 196, 244 – Berechtigungsschein 2 198 – Beschlagnahme 2 56, 58, 73, 187, 235, 238

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Sachverzeichnis – – – – – – –

Betreten einer Wohnung 2 229, 234 Betretungsverbot 2 56 Bildaufnahmen 2 250 Bildaufzeichnungen 2 250 Durchsuchung von Personen 2 226 f Durchsuchung von Sachen 2 226, 228 Durchsuchung (und Betreten) von Wohnungen 2 56, 226, 229 ff – erkennungsdienstliche Maßnahmen 2 202 ff, 244 – Identitätsfeststellung 2 122, 199 f, 203, 244 – Informationsabgleich 2 256 f – Informationserhebung 2 244 ff – – Grundsatz der Offenheit 2 246 – – Grundsatz der Rechtsbelehrung 2 246 – – Grundsatz der Unmittelbarkeit 2 246 – Informationsübermittlung 2 256 – Informationsverarbeitung 2 253 ff – Ingewahrsamnahme 2 213, 218 ff – Lauschangriff 2 251 – Observation 2 250 – Platzverweisung 2 56, 209 ff, 282 – Rasterfahndung 2 257 – Razzia 2 200 – Sicherstellung 2 58, 73, 235 ff – Systematisierung 2 194 – und Handlungsformen der Verwaltung 2 193 – V-Leute 2 13, 250 – Verbringungsgewahrsam 2 222 – Verdeckte Ermittler 2 250 – Verwahrung sichergestellter Sachen 2 242 – Videoaufzeichnung 2 249 – Videoüberwachung 2 13, 249 – Vorladung 2 206 ff – Vorführung 2 206, 208 Statistikgeheimnis 3 12 Statistikrecht 3 12 Statistisches Bundesamt 3 12 Stein-Hardenbergsche Reformen 1 4 Steinkohlesubventionierung 3 110 Steuern (Steueraufkommen) – der Gemeinden 1 129 – s a Abgaben Steuervergünstigungen 3 112, 116 Steuerverwaltung 6 32 Stilllegung – nach BImSchG 5 78, 205 – nach dem WHG 5 158

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Störer 2 117, 120, 127, 130, 138 f, 170 – Entschädigungsanspruch 2 120 – s a Verantwortlichkeit Störfallbeauftragter 5 207 Störfallverordnung 5 177 Störung 2 85 Störungsabwehranspruch 3 99 Straftaten – Verfolgungsvorsorge 2 13, 15 – Verhütung von 2 12, 14, 18, 255 – vorbeugende Bekämpfung von 2 12, 15, 18 f – Vorsorge für die Bekämpfung zukünftiger 2 12 Strafverfolgung 2 7, 8 ff, 68 Strafverfolgungsvorsorge 2 13, 15 ff, 255 Strahlenschutzbeauftragter 5 110 Strahlenschutzkommission 5 110 Strahlenschutzverordnung 5 42, 224 Strahlenschutzvorsorgegesetz 5 42, 224 Straßen – öffentliche 7 2, 16 Straßenanlieger 7 62 f – Anliegergebrauch 7 44, 48 f, 53, 63 – Grundlagen des Anliegerrechts 7 62 – Umfang der Rechtsstellung 7 62 Straßenaufsicht 7 10, 12 ff, 52 Straßenaufsichtsbehörde 7 12 ff Straßenausbau 7 23 Straßenbaubehörde 7 12 f, 27, 39, 42, 45 Straßenbaulast 7 10, 12 f, 39, 41 ff, 47 ff, 52 Straßenbaulastträger 7 12, 39, 41 ff, 52, 58 Straßenbenutzungsgebühr 7 54 Straßeneigentum – sachenrechtliche Grundprinzipien des öffentlichen Straßenrechts 7 16 ff Straßeneigentümer 7 18 – Duldungspflicht 7 18 Straßenplanung 7 21 f, 26, 32, 37 – Ausbau- und Bedarfsplanung 7 22 f – Bestimmung der Planung und Linienführung 7 10, 22, 25 – Raumordnungsverfahren 7 22, 24 Straßenrecht 7 2, 4 ff, 9 ff, 16 ff, 58 – Sondernutzung 2 55 Straßenverkehrsämter 7 15 Straßenverkehrsgesetz 7 9 Straßenverkehrsrecht 7 4, 6 ff, 9, 15 Straßenverkehrssicherungspflicht 7 53 Streikeinsatz von Beamten 6 189

Sachverzeichnis Streikrecht von Beamten 6 44, 173 Stromeinspeisungsgesetz 3 81 Strompolizei 2 42 Strukturpolitik 3 6, 10 f, 108, 115 Subsidiarität – kommunale Selbstverwaltungsgarantie 1 26 a Subventionen 3 10, 48, 50, 56, 77 f, 88 f, 108 ff – Filmförderung 3 113 – Gemeinschaftsbeihilfen 3 119 f – Gemeinschaftsrecht 1 121 a – Konkurrenzschutz 3 90, 115 – Pressesubventionen 3 113 – Rückforderung 3 114, 118, 119 – verdeckte 3 112 – Verschonungssubventionen 3 112 – s a Beihilfen Subventionsbericht 3 27, 109 Subventionsrichtlinien 3 33, 113 Subventionsstatut 3 113 Subventionsvergabe – durch Vertrag 3 114 Sustainable development 5 5 TA Luft 5 170, 179 ff, 188, 203 Tagesordnung – des Gemeinderates 1 65 Tarifautonomie 3 75 – der Innungen und Innungsverbände 3 71 Tarifverträge 6 186 ff Tarifzwang 3 168 Taxigewerbe 3 167 – Genehmigung 3 167 – Konkurrenzschutz 3 90 Technische Regeln 5 110, 229 Teilflächennutzungsplan 4 76 Teilgenehmigung – atomrechtliche 5 232 – baurechtliche 4 204 – immissionsschutzrechtliche 5 194, 200 Teilzeitbeschäftigung 6 24, 26 a, 38, 131, 148 ff Telekommunikation – Betätigung der Kommunen 1 16 Telekommunikationsgesetz 3 80, 88, 127 Telekommunikationsrecht 3 126 f; 6 26 Terrorismus 2 13, 44 Transparenz-Richtlinie 3 123

Transportgenehmigung 5 263 Treibhausgas-Emissionshandel 5 222 a ff – Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz 5 222 e, 222 g – Treibhausgasemissionszertifikate 5 222 a ff – Zuteilungsgesetz 5 222 e ff Trennungsgebot – Nachrichtendienste und Polizei 2 43 Trinkwasserverordnung 5 128 Trockenauskiesung 5 136 Typengenehmigung 4 204 Überlassungspflicht 5 253 Übermaßverbot – im Baurecht 4 19, 29 f, 90, 167 f, 184, 197, 221 f, 224 ff – im Immissionsschutzrecht 5 81 – im Polizei- und Ordnungsrecht 2 103 ff, 148 f, 172, 201, 208, 213, 216, 221, 270, 276, 283 Überwachung 5 263 Überwachung, administrative 5 83, 157, 207 Überwachungsvereine, technische 5 110 Umlage – Kreisumlage 1 143 Umlegung 4 5, 87, 158 ff, 173 – freiwillige 4 173 – vereinfachte 4 160 Umsetzung von Beamten – s Beamtenverhältnis/Umsetzung Umverteilung – soziale 7 40 Umwandlungsgesetz 3 129 Umwelt- und Technikstandards 5 20 Umweltabgaben 5 12, 16, 58, 85 ff, 89 ff, 93 ff, 122, 128, 163, 165 Umweltaudit 5 110 Umweltbelange 4 102 a Umweltbericht 4 46, 76, 109 a Umweltbericht der Bundesregierung von 1990 5 1 Umwelteinwirkungen, schädliche 5 57, 168 ff, 187, 209 Umweltgesetzbuch – (Entwurf) 5 55 ff Umweltgrundlagenplanung 5 61 Umweltgrundrecht 5 27 Umwelthaftungsgesetz 5 101

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Sachverzeichnis Umwelthaftungsrecht 5 101 Umweltleitplanung 5 61 Umweltnachbarrecht 5 101 Umweltplanung 5 8 Umweltprivatrecht 5 99 f Umweltprogramm – der Bundesregierung von 1971 5 1 Umweltprüfung 4 46, 57, 109 a, 112; 7 24, 34 – strategische (Plan-UP) 5 49 d Umweltqualitätsziele 5 8 Umweltrahmengesetz 5 51 f Umweltressourcen 5 1 f Umweltschutz – anthropozentrischer 5 5, 57 – Gesetzgebungskompetenzen 5 35 – Instrumente 5 57 ff – integrierter 5 37, 48 ff – kausaler 5 37, 41 ff – medialer 5 37 ff – ökologischer und ressourcenökonomischer 5 5, 8, 57 – Staatsziel 5 34 – und Straßenrecht 7 2, 52 – vitaler 5 37, 47 Umweltschutzbeauftragter 5 110 Umweltschutzplanung 5 59 ff Umweltschutzrecht – gesamtdeutsches 5 51 ff – als Rechtsgebiet 5 36 f Umweltverträglichkeit 3 81, 95 Umweltverträglichkeitsprüfung 3 95; 5 49, 230, 261; 7 22, 24, 25 f, 28, 32 f Unionsrecht – Beihilfen 3 116 ff – s a EG-/EU-Recht Unternehmen 3 9, 20, 35, 41 f, 59, 74, 82, 122 ff – der Gemeinden 1 123 ff – Grundrechtsschutz 3 41 f – öffentliche 3 78, 122 ff – – Grundrechtsschutz 3 128 – – Konkurrenzschutz 3 128 – Wettbewerbsrecht 3 82, 130 Unternehmensfreiheit 3 41, 45 Unternehmensrecht 3 45 – kommunales 3 124 Unternehmensvereinigungen 3 68 Unternehmer 3 44 – beliehener 3 84; 6 8, 35, 57

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Unternehmergenehmigungen – mit planungsrechtlichen Einschlag 3 92 ff – s a Anlagengenehmigung Untersagung – eines Anlagenbetriebs 5 205 – der Nutzung eines Bauwerks 4 224 Untersuchungsgebiete, immissionsschutzrechtliche 5 63, 221 Urproduktion 3 138 VDE 5 110 VDI 5 110 Veränderungssperre 4 144 ff Verantwortlichkeit – Bauordnungsrecht 2 123; 4 201 – Polizei- und Ordnungsrecht 2 117 ff – – Funktionen und Bedeutung 2 120 ff – – Gefahrverursachung 2 126 ff – – Inhaber des Gegenmittels 2 137 – – Lehre von der Sozialadäquanz 2 129 – – mehrere Verantwortliche 2 169 ff – – – Auswahlermessen 2 169 f – – – Effektivität der Gefahrenabwehr 2 171 ff – – – gerechte Lastenverteilung 2 175 – – – Gesamtschuldnerausgleich 2 176 – – – Rangverhältnis 2 173 – – – Störerauswahl 2 169 ff – – spezielle Bestimmungen 2 122 – – Störermehrheit 2 169 – – Theorie der rechtswidrigen Verursachung 2 129 – – Theorie der unmittelbaren Verursachung 2 128 ff, 138, 141 – – Verhaltensverantwortlichkeit 2 118 ff, 126 ff, 163, 169, 173 – – Verhaltensverantwortlichkeit durch Unterlassen 2 133 ff – – Zurechnungskriterien 2 119 – – Zusatzverantwortlichkeit 2 142 – – Zustandsverantwortlichkeit 2 118 ff, 136, 143 ff, 156 f, 162, 169, 173 – – – Eigentümer 2 152 ff – – – Grenzen 2 148 ff – – – Inhaber der tatsächlichen Gewalt 2 151 – – – Zurechnungszusammenhang 2 146 f – – Zweckveranlassung 2 138 ff, 185

Sachverzeichnis Verbandsbeteiligung im Naturschutzrecht 5 118 Verbandsklage – gegen Standortgenehmigung 3 98 – im Naturschutzrecht 5 118 Verbandskompetenz im Gefahrenabwehrrecht 2 35 Verbeamtung 6 26, 30, 36, 183 Verbot mit Erlaubnisvorbehalt – im Baurecht 4 208 – im Öffentlichen Wirtschaftsrecht 3 143 f – im Straßenrecht 7 58 Verbote, Untersagungen 5 77 f, 158, 205 Verbraucherschutz 3 154 Verdachtsstörer 2 132; 5 126 e Vereinigungsfreiheit 3 68 Verfahren – Baugenehmigung 4 210 ff – Bauleitplanung 4 108 ff – Enteignung 4 167, 170 – Raumordnungsverfahren 4 65 ff – Raumordnungspläne 4 49 – Satzungen 1 97 ff – UVP 5 49, 230, 246 Verfahrensfehler – bei Bauleitplanung 4 116 ff – bei kommunalen Satzungen – – Nichtigkeitsdogma 1 98 – – Rügemodell 1 99 – – Sonderregelungen 1 99 – bei Raumordnungsplänen 4 51 Verfassungsschutz 2 43 Verfügungen – baupolizeiliche 4 216 ff, 224 ff Vergaberecht 3 78, 132 ff – kommunale Verträge 1 126 c – Schwellenwerte 3 134 – Verdingungsordnungen 3 133 Verhaltenshaftung 5 158 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 3 35, 37, 39 f, 46, 75, 128, 147, 149, 159, 164; 5 181, 203, 230 – s a Übermaßverbot Verkehr 7 2 f, 6 ff, 15, 41, 46 ff, 52, 60, 64 – allgemeiner 7 2 f Verkehrs- und Versorgungsbetriebe, kommunale 3 77, 138 Verkehrsanstalten des Bundes 3 125 Verkehrsbeschränkungen, immissionsschutzrechtliche 5 217

Verkehrseinrichtungen 7 2 Verkehrsfläche 7 34 Verkehrslärm 7 65 Verkehrslärmschutzgesetz 5 213 Verkehrslärmschutzverordnung 5 216 Verkehrssicherungspflicht an Straßen – s Straßenverkehrssicherungspflicht Verkehrsüberwachung 2 27 Verkehrswirtschaft – s Marktwirtschaft Vermögen 3 56 Verordnungen – s Rechtsverordnungen Verpackungsabfälle 5 115 Verpackungssteuer 1 129 Verpackungsverordnung 5 115 Versammlungsgesetz 2 54 f, 57 Versammlungsrecht 2 179, 181 f, 185, 210, 261 f, 282 – öffentliche Ordnung 2 262 – Versammlungsverbote 2 262 Verschlechterungsverbot 5 10 Versetzung von Beamten – s Beamtenverhältnis/Versetzung Versorgung 3 3, 7 Vertrag – beim Vorhaben- und Erschließungsplan 4 88 – kommunaler 1 126a ff – öffentlich-rechtlicher 1 110; 4 92 f, 107, 120, 163 f, 172 ff, 180 a f, 194; 5 126 g – städtebaulicher 4 92 f, 172 ff, 180 a f Vertrag von Amsterdam 3 23 Vertrag von Maastricht 3 22 f, 65 Vertrag von Nizza 3 22 f Vertragsfreiheit 3 4, 20, 41, 87 Vertrauensgrundsatz 3 38 Vertrauensschutz 3 33, 35, 40, 57, 113, 118, 119 Verunstaltungen 4 6, 196 ff Verursacherprinzip 5 12 ff, 54, 87 f, 121, 258 Verwaltung – bundeseigene 6 50 – fiskalische 6 32 – leistende 3 76 f, 113, 122, 125, 138 Verwaltungsakt 7 16, 19, 30, 35, 41 ff, 49, 58 – mit Dauerwirkung 3 153 – mit Drittwirkung (Doppelwirkung) 3 89, 92, 115; 4 232 ff; 5 197

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Sachverzeichnis – – – – –

Nebenbestimmungen 3 88 f, 92, 98 privatrechtsgestaltender 3 91 Straßen- und Verkehrsrecht 7 19 Widerruf 5 78, 152 wirtschaftsverwaltungsrechtlicher 3 87 ff Verwaltungshilfe 2 28 Verwaltungskompetenzen im Gefahrenabwehrrecht 2 40 ff Verwaltungsmonopol 3 44, 47, 126, 128 – Funkanlagenmonopol 3 126 – Telefondienstmonopol 3 126 – Übertragungswegemonopol 3 126 f Verwaltungsprivatrecht 3 78, 121 f – bei Nutzung öffentlicher Einrichtungen 1 112 Verwaltungstätigkeit – informelle 3 29 Verwaltungsverfahren – förmliches 3 96, 106 Verwaltungsvollstreckung – s Durchsetzung von Gefahrenabwehrmaßnahmen Verwaltungsvorschriften – nach § 48 BImSchG 5 179 ff – nach § 7 a WHG 5 145 f – normenkonkretisierende 5 22, 146, 179 ff, 184 – Öffentlicher Dienst 6 52 Verwaltungszwecke der Wirtschaftsverwaltung 3 76 Verwertung 5 242 Verwertung sichergestellter Sachen 2 243 Völkerrecht, Öffentlicher Dienst 6 27 Volkszählungsgesetz 3 12 Vollzug des Bundesrechts – Weisungsrecht des Bundes 3 66 Vollzugshilfe 2 19, 49 f Vorbehalt des Gesetzes 3 29 – Subventionen 3 113 – s Gesetzesvorbehalt Vorbehalt des Straßenrechts 7 4 f Vorbelastung im Immissionsschutzrecht 5 178 Vorbereitungsdienst 6 64, 85, 89, 124 Vorbescheid 3 96; 4 204 – atomrechtlicher 5 232 – immissionsschutzrechtlicher 5 194, 200 Vorhaben- und Erschließungsplan 4 84 Vorkaufsrecht, gemeindliches 4 87, 154 ff

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Vorrang des Gesetzes – s Gesetzesvorrang Vorrang des Straßenrechts 7 4, 6 f Vorsorge, im Umweltrecht 5 7 ff, 54, 175, 183 ff, 202 – Nachbarschutz 5 187 Wachstumspolitik 3 8, 10, 27 Wahlen – Kommunalwahl 1 86 Währungspolitik 3 9 Waldschäden 5 177, 188 Warnung – öffentliche 2 34, 61 – vor Geschwindigkeitskontrolle 2 76 Warnungen und Empfehlungen – im Umweltschutz 5 84 Waschmittelgesetz 5 41 Wasser- und Bodenverbände 5 164 ff Wasserhaushalt, Wasserwirtschaft 5 39, 127 ff Wasserhaushaltsgesetz 5 30, 39, 75, 78, 83, 101 f, 107, 111, 127 ff Wasserpfennig 5 95, 161 Wasserrahmenrichtlinie 5 129, 149 ff Wasserrecht – Heranziehung von Vorschriften des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts 2 57 Wasserschutzgebiete 5 159 ff Wassersicherstellungsgesetz 5 128 Wasserverbandsgesetz 5 164 Wasserwegerecht 5 128 Wehrbeauftragter 6 8 Wehrpflichtiger 6 8, 178 Weimarer Reichsverfassung 3 1, 17, 19f, 137 – Gewerbefreiheit 3 137 – Mittelstandspolitik 3 10 – Öffentlicher Dienst 6 17 – Wirtschaftsräte 3 73 – Wirtschaftsverfassung 3 1, 17, 19 f Weisungsaufgaben der Gemeinden 1 38 f Weltwirtschaftsordnung 3 6 Wertermittlungsverordnung 4 13 Wesentlichkeitstheorie 1 96; 5 19 f – s a Gesetzesvorbehalt Wettbewerb 3 1, 4, 6f, 19, 26, 41, 45, 68, 78, 81 f, 90 – Chancengleichheit 3 109, 113, 115 Wettbewerbsfreiheit 3 41, 81, 90, 115, 128 Wettbewerbspolitik 3 7

Sachverzeichnis Wettbewerbsrecht 1 121; 3 78, 82, 121 ff, 130, 133 f Wettbewerbsregelungen der Wirtschaftsverbände 3 74 Widerruf von Zulassungsakten im Umweltrecht 5 78, 153, 205 – s a Verwaltungsakt Widerrufsvorbehalt 5 82 Widmung – öffentlicher Einrichtungen 1 107 Widmung, straßenrechtliche 7 44 – Entwidmung 7 7, 49 – Formelle und materielle Voraussetzungen 7 42 – Inhalt der Widmungsverfügung 7 43 – Rechtsnatur 7 41 – Rechtsschutz 7 19, 45 – Rechtswirkungen 7 19, 44, 47 – Teileinziehung 7 20, 48 f, 51 – Umstufung 7 20, 50 – Widmungserweiterung 7 20, 44, 47 f Wiedervereinigung Deutschlands – Öffentlicher Dienst, s Öffentlicher Dienst/Deutsche Einheit – Währungsunion 3 10 – Wirtschaftsordnung 3 21 – s Neue Bundesländer Wirtschaft – „Staatsfreiheit“ 3 6 Wirtschaftliche Betätigung – der Gemeinden 1 118 ff – – Begriff 1 118 – – Grenzen 1 119 f – – Rechtsschutz 1 121 – der öffentlichen Hand 3 78, 122 ff – kommunale 3 66, 97, 108, 124 – – Schutznormen 3 124 – s a Wirtschaftstätigkeit Wirtschafts- und Sozialausschuss von EG und EAG 3 73 Wirtschafts- und Sozialrat 3 73 Wirtschafts- und Währungsunion 3 22, 65 „Wirtschaftsdemokratie“ 3 20 Wirtschaftseinheit 3 21, 34 Wirtschaftsförderung 3 108 f Wirtschaftsfreiheit 3 1, 6, 11 f, 19 f, 26, 35 Wirtschaftslenkung 3 6, 30, 59, 85 f, 108 Wirtschaftsordnung – Dezentralisation 3 53, 67 Wirtschaftsplan, staatlicher 3 4

Wirtschaftsplanung – s Planung Wirtschaftspolitik 3 3 ff, 22, 27 f, 30, 35 f, 64, 76 Wirtschaftsräte 3 73 Wirtschaftsrecht 3 1 f, 22, 28 – Gesetzgebungszuständigkeit 3 34 – unionales 3 22 ff Wirtschaftsstandort Deutschland 3 6 Wirtschaftsstatistik 3 12 Wirtschaftsstruktur, regionale 3 10 Wirtschaftstätigkeit – der Kommunen 1 118 ff; 3 124 – – außerhalb des Gemeindegebiets 1 15, 119 – der öffentlichen Hand 3 122 ff – – Aktienrecht 3 129 – – Wettbewerbsrecht 3 130 Wirtschaftsüberwachung 3 79 ff – Gewerbeaufsicht 3 80 – kartellrechtliche 3 82 – Preisaufsicht 3 82 – Versicherungsaufsicht 3 80 Wirtschaftsunternehmen – der Gemeinden – – Beteiligungsgesellschaften 1 125 – – Eigenbetrieb 1 124 – – Eigengesellschaften 1 125 – – Einwirkungspflicht 1 125 – – Rechtsform 1 123 – – Regiebetrieb 1 124 Wirtschaftsverbände 3 74 f Wirtschaftsverfassung 3 17 ff, 74 f – Grundgesetz 3 19 – unionale 3 22 ff – Weimarer Reichsverfassung 3 17 Wirtschaftsverwaltung 3 13, 63 ff – fiskalische 3 78 – Konkurrenzschutz 3 90 – privatrechtliche Rechtsformen 3 77 f, 107, 122 f Wohlfahrtspflege 2 4 f Wohlfahrtsstaat 3 1, 13, 31, 58 Wohnungsverweisung 2 217 World Trade Organization 3 28, 86 Zentralverwaltungswirtschaft 3 4 f Ziele der Raumordnung und Landesplanung 4 17, 22, 39 f, 48, 55 ff, 60 ff, 71 ff, 95, 102, 109, 135

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Sachverzeichnis Zivildienst 6 8, 144 Zulassungsvoraussetzungen – Berufsfreiheit 3 47 – Gewerberecht 3 148 ff, 168 – – s Sachkunde – – s Zuverlässigkeit Zuständigkeit – behördliche im Gefahrenabwehrrecht 2 35 Zustandshaftung 5 158 – s Verantwortlichkeit

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Zuverlässigkeit im Gewerberecht 3 79, 143, 148 ff, 162 Zwangs- und Bannrechte 3 15 Zweckveranlasser 2 138ff Zweckverband 1 150, 155 Zweistufentheorie – Nutzung öffentlicher Einrichtungen 1 111 ff Zwischenlagerung 5 111, 233, 235