Übertragungen heiliger Texte in Judentum, Christentum und Islam. Fallstudien zu Formen und Grenzen der Transposition [ebook ed.] 3161563131, 9783161563133, 9783161563126

Die kanonischen Grundtexte in Judentum, Christentum und Islam zeichnen sich – in unterschiedlichem Maße – durch einen An

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Übertragungen heiliger Texte in Judentum, Christentum und Islam. Fallstudien zu Formen und Grenzen der Transposition [ebook ed.]
 3161563131, 9783161563133, 9783161563126

Table of contents :
Inhaltsübersicht
1. Zur Übertragbarkeit heiliger Texte
Hanna Liss: Wort − Klang − Bild: Zur (Un-)Übersetzbarkeit heiliger Texte im Judentum – Martin Leutzsch: Übersetzungstabus als Indikatoren normativer Grenzen in der Geschichte der christlichen Bibelübersetzung – Johanna Pink: Text, Auslegung, Ritus. Kontroversen um die richtige und falsche Übersetzung des Korans am Beispiel Indonesiens

2. Übertragungen heiliger Texte zwischen Wörtlichkeit und Exegese
Christoph Kugelmeier: Aliud est vatem, aliud esse interpretem. Zur Spannung zwischen Adressatenorientierung und Texttreue in Septuaginta und Vulgata – Ronny Vollandt: Griechisch – Aramäisch – Arabisch. Drei (un)gleiche Übersetzungskontexte im Judentum

3. Anpassung heiliger Texte an textexterne Normen
Katrin Kogman-Appel: Die Übertragung biblischer Inhalte ins Bild: unterschiedliche soziale und kulturelle Zielgruppen der sefardischen Buchmalerei – Dorothea Salzer: Altneuer Text: Jüdische Kinderbibeln und die Popularisierung der Hebräischen Bibel

4. Übertragung und Inspiration
Karin Krause: Speaking Books—Silent Pictures. Visualizing Gospel Narrative in Byzantium – Nora Schmidt: Wiederholung – Erinnerung – Übertragung. Ein Deutungsversuch von Sure 5

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Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie Herausgegeben von Pierre Bühler (Zürich) · Christof Landmesser (Tübingen) Margaret M. Mitchell (Chicago) · Philipp Stoellger (Heidelberg)

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Übertragungen heiliger Texte in Judentum, Christentum und Islam Fallstudien zu Formen und Grenzen der Transposition Herausgegeben von

Katharina Heyden und Henrike Manuwald

Mohr Siebeck

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Katharina Heyden, geboren 1977; Studium der Ev. und Kath. Theologie in Berlin, Jerusalem und Rom; 2008 Promotion im Fach Kirchengeschichte in Jena; 2013 Habilitation in Göttingen; seit 2014 Professorin für Ältere Geschichte des Christentums und der interreligiösen Begegnungen an der Universität Bern. Henrike Manuwald, geboren 1980; Studium der Deutschen und Englischen Philologie und der Kunstgeschichte in Köln; 2006 Promotion in der Germanistischen Mediävistik in Köln; 2014 Habilitation in Freiburg i.Br.; seit 2016 Professorin für Germanistische Mediävistik an der Georg-August-Universität Göttingen.

Die Publikation ist aus der Tagung „Popularisierung Heiliger Texte und deren normative Grenzen in Judentum, Christentum und Islam“ (Bern, 30. September – 2. Oktober 2015) der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften hervorgegangen. www.diejungeakademie.de

ISBN 978-3-16-156312-6 / eISBN 978-3-16-156313-3 DOI 10.1628/978-3-16-156313-3 ISSN 0440-7180 / eISSN 2569-4065 (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

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Inhalt Henrike Manuwald und Katharina Heyden Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I Zur Übertragbarkeit heiliger Texte Hanna Liss Wort − Klang − Bild: Zur (Un-)Übersetzbarkeit heiliger Texte im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Martin Leutzsch Übersetzungstabus als Indikatoren normativer Grenzen in der Geschichte der christlichen Bibelübersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Johanna Pink Text, Auslegung, Ritus. Kontroversen um die richtige und falsche Übersetzung des Korans am Beispiel Indonesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II Übertragungen heiliger Texte zwischen Wörtlichkeit und Exegese Christoph Kugelmeier Aliud est vatem, aliud esse interpretem. Zur Spannung zwischen Adressatenorientierung und Texttreue in Septuaginta und Vulgata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ronny Vollandt Griechisch – Aramäisch – Arabisch Drei (un)gleiche Übersetzungskontexte im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

III Anpassung heiliger Texte an textexterne Normen Katrin Kogman-Appel Die Übertragung biblischer Inhalte ins Bild: Unterschiedliche soziale und kulturelle Zielgruppen der sefardischen Buchmalerei . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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Inhalt

Dorothea M. Salzer Altneuer Text: Jüdische Kinderbibeln und die Popularisierung der Hebräischen Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

IV Übertragung und Inspiration Karin Krause Speaking Books – Silent Pictures: Visualizing Gospel Narrative in Byzantium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Nora Schmidt Wiederholung – Erinnerung – Übertragung. Ein Deutungsversuch des Eingangsteils von Sure 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

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Einführung Henrike Manuwald und Katharina Heyden

1 Zum Einstieg: Volxbibel und Koran-Comics – Überschreitungen ‚heiliger Grenzen‘? Jesus wird geboren 1 In dem Jahr machte der oberste Präsident der Römer ein neues Gesetz. In diesem Gesetz stand, dass sich alle Menschen, die in den von der römischen Armee besetzten Gebieten lebten, bei ’ner staatlichen Behörde melden sollten. Dort mussten sie angeben, wie viel Kohle sie im Monat verdienen, um daraus die neue Steuer zu berechnen. 2 So eine Steuerschätzung hatte es zu dem Zeitpunkt noch nie gegeben. Quirinius war gerade der Ministerpräsident von einem der besetzten Gebiete, das Syrien hieß. 3 Alle Menschen mussten in den Ort zurückgehen, in dem sie geboren worden waren, um sich dort in Listen einzutragen. 4 Weil Josef aus der Familie vom David kam, musste er nach Bethlehem reisen, denn da kam seine Familie ursprünglich her. Er machte sich also von Nazareth (das liegt in Galiläa) nach dorthin auf den Weg. 5 Maria, seine Verlobte, nahm er einfach mit. Die hatte da schon einen ziemlich dicken Bauch, sie war nämlich hochschwanger. 6 In Bethlehem passierte es dann, und sie bekam ihr erstes Kind. 7 Weil sie in den Hotels und Jugendherbergen im Ort keinen Pennplatz mehr finden konnten, musste Maria das Kind in einer Autogarage zur Welt bringen. Eine alte Ölwanne war das erste Kinderbett. Die Hirten und ein Engel 8 In dieser Nacht hatten ein paar Hirten kurz vor dem Dorf ihr Lager aufgeschlagen, um dort auf die Schafe aufzupassen.1

Der Auszug stammt aus der sogenannten Volxbibel, einer Übertragung2 der christlichen Bibel ins Deutsche, die in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts von dem freien christlichen Theologen Martin Dreyer initiiert wurde und inzwischen als Wiki fortgeführt wird. Unschwer lässt sich erkennen, dass hier die bekannte Passage aus dem Lukasevangelium in ein umgangssprachliches Register umgesetzt ist, das Jugendliche ansprechen soll.3 Deutlich ist außerdem das 1 Volxbibel, Lukas 2, Version vom 19. 09. 2016, 21:01 Uhr (Permalink: http://wiki.volxbibel. com/index.php?title= Lukas_2&oldid=28526). 2 ‚Übertragung‘ wird in diesem Band als allgemeine Bezeichnung für Transpositionen eines Textes verwendet, die nicht den Kriterien einer Übersetzung im engeren Sinne genügen müssen. Siehe dazu im Einzelnen u. S. 9. 3 Die Volxbibel zählt zu den Versuchen, die sich stetig wandelnde Jugendsprache in „monologischer Textform“ schriftlich zu fixieren. In welchem Maß so aufbereitete Texte tatsächlich

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Bemühen, den historischen Abstand zwischen der Kultur, in der das Geschehen im Text spielt, und der Gegenwart zu überbrücken. Die Amtsbezeichnungen sind modernisiert: Kaiser Augustus wird als „der oberste Präsident der Römer“ bezeichnet, der Prokonsul Quirinius als „Ministerpräsident“. Auch Sachbezeichnungen sind durch moderne Entsprechungen ersetzt:4 Die ‚Herberge‘ ist zu „Hotels und Jugendherbergen“, die Futterkrippe zur „Ölwanne“ geworden, denn der oftmals als Stall aufgefasste Geburtsort ist zu einer Autogarage transformiert. Bereits der Textauszug lässt erkennen, welche Ungereimtheiten die punktuellen Aktualisierungen erzeugen: Warum befinden sich in der Nähe der Autogarage ausgerechnet Hirten? Um eine Kritik an der Volxbibel soll es hier aber nicht gehen, sondern um eine übersetzungswissenschaftliche Einordnung des Projekts und der Reaktionen darauf, weil sie zu den Kernfragen des vorliegenden Bandes hinführt. Versucht man die Volxbibel übersetzungstheoretisch mit den Bezugsrahmen für Äquivalenzrelationen zu fassen, wie sie Werner Koller in seinem kontrovers diskutierten Modell systematisiert hat, so zielt das Verfahren am ehesten auf denotative Äquivalenz, das heißt, die außersprachlichen Sachverhalte des Ausgangstextes werden abstrahiert und durch (vermeintliche) Funktionsäquivalente ersetzt.5 Die Empfängerbezogenheit (nach Koller die ‚pragmatische Äquivalenz‘) ist eindeutig der ‚textnormativen Äquivalenz‘ übergeordnet, denn die Sprachnormen des Bibeltextes bzw. der gattungsspezifische Stil finden gerade keine Entsprechung. Damit steht die Volxbibel der Gruppe von Bibelübersetzungen nahe, die auf die Verstehensmöglichkeiten einer bestimmten Zielgruppe ausgerichtet sind und von Jugendlichen rezipiert werden, ist allerdings eine offene Frage. Vgl. dazu Joachim Gerdes: Arbeitsfelder der Jugendsprachforschung. Studienbuch für Lehre und Forschung, Frankfurt a. M. u. a. 2013 (Sprache – Kommunikation – Kultur. Soziolinguistische Beiträge 12), 151 f. 4 Zur Frage des Umgangs mit Sachbezeichnungen aus der Entstehungszeit der Evangelien in Bibelübersetzungen vgl. Peter Wiesinger: Zur Problematik der Wiedergabe von Begriffen und Sachbezeichnungen in aktuellen deutschen Bibelübersetzungen, in: Wissenschaften im Kontakt. Kooperationsfelder der deutschen Sprachwissenschaft, hg. von Sandra Reimann, Tübingen 2007, 509–545. 5 Vgl. Werner Koller (unter Mitarb. von Kjetil Berg Henjum): Einführung in die Übersetzungswissenschaft, 8., neubearb. Aufl., Tübingen/Basel 2011 (1. Aufl. Heidelberg 1979), 159–277. Kollers Äquivalenzmodell hat sowohl wegen Unklarheiten in der Binnensystematik Kritik erfahren als auch wegen des Ideals der Äquivalenz, das der Vielfalt tatsächlich zu beobachtender Übersetzungsprozesse nicht gerecht würde (vgl. z. B. Erich Prunč: Entwicklungslinien der Translationswissenschaft. Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht, 3., erw. und verb. Aufl., Berlin 2012 [TransÜD. Arbeiten zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens 43], 60–99). Eine Möglichkeit, das Modell überhaupt anwenden zu können, ist es nach Prunč, „die Äquivalenzkriterien von der Autorität des AT abhängig zu machen. Salopper formuliert: zwischen ‚heiligen‘ und weniger heiligen Originalen zu unterscheiden“ (ebd., 81). Da Übersetzungen des kanonischen Bibeltextes hohen Äquivalenzerwartungen unterliegen, ist die Beschreibung von Äquivalenzrelationen hier jedoch gerade deshalb sinnvoll. Damit soll die Mehrdeutigkeit des Originals, auf die Prunč an anderer Stelle (ebd., 115) hinweist, nicht in Abrede gestellt werden.

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Einführung

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für die sich die Bezeichnung ‚kommunikative Übersetzung‘ eingebürgert hat.6 Die Grenzen zwischen Übersetzung und Bearbeitung sind bei kommunikativen Übersetzungen fließend, weil der entscheidende Punkt die Funktionsäquivalenz ist, so dass auch weitreichende Transformationen an der Oberfläche toleriert werden, ohne dass der Übersetzungscharakter in Abrede gestellt wird.7 Bei der Volxbibel ist jedoch um die Frage, ob es sich um eine Übersetzung oder um eine Bearbeitung handelt, heftig gestritten worden. Dabei ging es nicht primär um die philologische Problematik, welche Version eigentlich den Ausgangstext bildet.8 Wichtiger waren die Abweichungen vom angenommenen Ausgangstext. So schreiben Bertram Salzmann und Rolf Schäfer, die die Volxbibel in ihrem 2009 erschienenen Lexikonartikel zu deutschsprachigen Bibelübersetzungen im Abschnitt zu kommunikativen Übersetzungen behandeln: „Wegen der Freiheiten gegenüber dem Grundtext muss jedoch eher von einer verfremdenden Übertragung als von einer Übersetzung gesprochen werden.“9 Im Zentrum der Kritik steht der Sprachstil. Dazu sei stellvertretend eine Stellungnahme des Theo6 Vgl. dazu Stefan Felber: Kommunikative Bibelübersetzung. Eugene A. Nida und sein Modell der dynamischen Äquivalenz, Stuttgart 2013. Auch das Modell der dynamischen Äquivalenz ist wegen seiner impliziten Normativität (im Sinne der Fixierung auf ein feststehendes Original) kritisiert worden (vgl. z. B. Prunč, Entwicklungslinien [Anm. 5], 114–119; zur Einordnung solcher Kritik vgl. Andreas Gipper: Vertikales Übersetzen. Vom translatorischen Umgang mit Sakralsprache, in: Die Welt des Orients 44 [2014], 251–262, hier: 259). Zu konkurrierenden Typologien von Bibelübersetzungen vgl. Heidemarie Salevsky: Übersetzungstyp, Übersetzungstheorie und Bewertung von Bibelübersetzungen (Ein Beitrag aus übersetzungstheoretischer Sicht), in: Bibelübersetzung heute. Geschichtliche Entwicklungen und aktuelle Anforderungen, Stuttgarter Symposion 2000, hg. von Walter Groß. In Memoriam Siegfried Meurer, Stuttgart 2001 (Arbeiten zur Geschichte und Wirkung der Bibel 2), 119–150. 7 Zu entsprechenden Textmodifikationen vgl. Salevsky, Übersetzungstyp (Anm. 6), 128 f. Trotzdem ist gerade von Nida versucht worden, linguistische Übersetzungen von kulturellen Adaptationen abzugrenzen, die er beim Bibeltext nicht für legitim hielt (vgl. zusammenfassend Prunč, Entwicklungslinien [Anm. 5], 114 f.). 8 Auch das Wiki-Prinzip und damit die Frage, wer die Bibel übersetzen darf, spielt nur in wenigen Stellungnahmen eine Rolle. Vgl. aber Wolfgang Bühne: Eine Bibel „vom Volk fürs Volk?”, in: fest & treu 112.4 (2005), 8–11 (http://www.fest-und-treu.de/index.php?id=2&a=780, letzter Zugriff am 06. 01. 2017): „Ist eine Bibel ‚vom Volk fürs Volk‘, an der ‚alle Welt‘ mitschreiben kann, noch das Wort Gottes? Wenn wir wirklich davon überzeugt sind, dass das Wort Gottes in allen Teilen und auch in der Wortwahl durch den Heiligen Geist inspiriert ist (gemeint ist hier der hebr. bzw. griech. Originaltext), kann die Konsequenz doch nur sein, dass diese ‚Heilige Schrift‘ so wortgetreu wie eben möglich in die jeweilige Sprache übersetzt wird. Das setzt eine gute Kenntnis der Sprachen, Gewissenhaftigkeit, Gottesfurcht und geistliche Reife voraus. Eine Bibel, an der jeder mitschreiben kann, ist eine respektlose Verfälschung des Wortes Gottes und stellt die vermeintlichen Bedürfnisse einer Gruppe von Menschen in den Mittelpunkt und über die Autorität Gottes. Eine derart verfremdete, profanisierte ‚Bibel‘ ist kein Zeugnis der Wertschätzung und des Respektes vor dem Autor der Heiligen Schrift, sondern folgt dem Grundsatz: ‚Der Zweck heiligt die Mittel.‘“ (zitiert nach der Online-Version). Weitere Kritik unter https:// de.wikipedia.org/wiki/Volxbibel#Kontra (Zugriffsdatum: 06. 01. 2017). 9 Bertram Salzmann/Rolf Schäfer: Bibelübersetzungen, christliche deutsche, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), Mai 2009, 3.4.3. (Permalink: https:// www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/15285/).

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logischen Onlinebuchhandels und Christlichen Pressespiegels Zeltmacher zitiert, der im Jahr 2012 eine Unterschriftenaktion gegen die Volxbibel startete, bei der die Frage „Darf die ‚Volxbibel‘ sich ‚Bibel‘ nennen?“ verneint wurde: Mit der „Volxbibel“ ist ein geistlicher Dammbruch geschehen, der schwerwiegende Folgen haben wird, wenn wir uns dem nicht entschlossen entgegenstellen. Schon zuvor sind verschiedene moderne Übertragungen der Bibel „in die Sprache der Gegenwart“ erschienen, die eine bedenkliche Verflachung und Verwässerung der biblischen Botschaft mit sich brachten und Gottes Wort nicht mehr getreu und angemessen wiedergaben. Nun aber sind mit der „Volxbibel“ letzte, heilige Grenzen überschritten worden. Unter dem Vorwand einer „jugendgemäßen Sprache“ wurden bisher unvorstellbare Verzerrungen, Verfälschungen und Lästerungen in einem Buch veröffentlicht, das sich als „Bibel“ bezeichnet […].10

Der Vatikan hatte dagegen in einem Schreiben vom 21. September 2007 Dreyers „Engagement für die Verbreitung der Frohen Botschaft Jesu Christi unter den Menschen von heute“ anerkannt, die Volxbibel aber wegen ihres Sprachstils sowohl zur Evangelisierung als auch zum Gebrauch im Gottesdienst für ungeeignet erklärt.11 Die Diskussion um die Volxbibel zeigt prototypisch das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch des kanonischen religiösen Grundtextes auf Unveränderlichkeit und dem Bemühen um Vermittlung: Wie weit darf bei Übertragungen die Adressatenorientierung gehen, ohne dass der Ausgangstext als verfälscht empfunden wird? Welchen besonderen normativen Anforderungen unterliegen Übersetzungen solcher Texte? Inwieweit gelten diese auch für auslegende Bearbeitungen, die nicht rituell verwendet werden? Sind die Inhalte von der Form des Textes zu trennen? Diese Aspekte werden bei jeder Übertragung eines Textes mit Anspruch auf Unveränderlichkeit relevant, stellen sich aber mit besonderer Schärfe, wenn die Adressatengruppen spezielle Bedürfnisse haben. So wird zum Beispiel bei den verschiedenen Bemühungen um einen Bibeltext in ‚leichter Sprache‘ für Menschen mit Lernschwierigkeiten die angemessene Nähe zum Ausgangstext intensiv diskutiert. Die Initiatoren der Bibel in Leichter Sprache betonen, sie folge denselben inhaltlichen Entscheidungen wie die Studienfassung der Offenen Bibel (eines ökumenischen Mitmach-Projekts). Auf diese Weise solle sichergestellt werden, dass die inhaltlichen Anliegen der biblischen Urtexte adäquat übersetzt würden.12 Beim Evangelium in Leichter Sprache (einem Projekt des Katholischen Bibelwerks Stuttgart mit der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus [CPH] in Nürnberg und dem Katholischen Bibelwerk im Erzbistum Bamberg) räumen 10 Alexander Rempel: ZELTMACHER: Aktion gegen die Volxbibel, veröffentlicht am 22. März 2012 (https://www.nimm-lies.de/zeltmacher-nachrichten-aktion-gegen-die-volxbibel/3660, letzter Zugriff am 06. 01. 2017). 11 Vgl. einen Scan des Schreibens unter http://volxbibel.blogspot.de/2007/10/der-papstund-die-volxbibel.html (Zugriffsdatum: 06. 01. 2017). 12 https://offene-bibel.de (Zugriffsdatum: 06. 01. 2017).

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die Verantwortlichen zwar die Gefahr von Verfälschungen ein, rechtfertigen die Eingriffe jedoch unter Berufung auf die ‚zielgruppenorientierte Sprache Jesu‘. Auch sie beanspruchen für ihre deutsche Version den Status einer Übersetzung,13 obwohl die Divergenzen zum Ausgangstext erheblich sind.14 Normativer Kritik scheinen sich solche, sogar von kirchlichen Autoritäten geförderten Projekte jedoch nicht auszusetzen zu haben, weil die Funktionsäquivalenz angesichts der textexternen Norm, dass Inklusion anzustreben sei, offenbar höher gewertet wird als andere Äquivalenzrelationen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Autorität eines Textes mit unveränderlichem Wortlaut und dem Bemühen, ihn durch Übertragung zugänglich zu machen, lässt sich nicht nur im christlichen Kontext beobachten, sondern – unter anderen Vorzeichen – etwa auch im Islam. Hier sei nur auf das (mittlerweile eingestellte) Projekt Youssef Seddiks verwiesen, die narrativen Passagen des Korans in Comics umzusetzen.15 Er richtete sich an ein jugendliches Zielpublikum (12 bis 16 Jahre), dem er ermöglichen wollte, einen Zugang zu den narrativen Strukturen des Korans zu finden, ohne im Dickicht der sprachlichen Schwierigkeiten steckenzubleiben.16 Der Anlage nach handelt es sich bei den Comics eher um eine Bearbeitung als um eine intermediale Übersetzung. Als didaktisches Mittel wurden die Comics auch von Ayatollah Mehdi Rouhani, dem geistlichen Führer der Schiiten in Europa, anerkannt, sogar das algerische Religionsministerium prüfte eine Einfuhrgenehmigung.17 Aus Kuwait und Tunesien gab es jedoch heftige Kritik an dem Projekt, das die Heiligkeit des Korans verletze.18 Trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen ähneln die Argumentationsstrukturen 13 Das ist jedenfalls aus der Wortwahl für die Beschreibung des Projekts zu erschließen, wenn auch die Initiatoren betonen, dass die ‚Übersetzungen der Sonntagslesungen in Leichter Sprache‘ gängige Übersetzungen nicht ersetzen könnten und daher vor allem für die Katechese gedacht seien (https://www.bibelwerk.de/Sonntagslesungen.39460.html/Bibel+in+Leichter+Sprache.102163.html, letzter Zugriff am 06. 01. 2017). 14 Vgl. Lk 2,1–3: „Als Jesus geboren wurde, lebte ein Kaiser. / Der Kaiser hieß Augustus. / Kaiser Augustus wollte über die ganze Welt herrschen. / Dazu brauchte er viel Geld. / Darum sollten die Menschen viele Steuern zahlen. // Kaiser Augustus sagte: Alle Menschen sollen in einer Liste aufgeschrieben werden. / In der Liste kann ich sehen: / Haben alle Menschen die Steuern bezahlt?“ (https://www.bibelwerk.de/sixcms/media.php/157/ls_b_heilig_abend_e_lk2.pdf, letzter Zugriff am 06. 01. 2017). 15 1989 erschienen in Paris (Editions Alef) drei von ursprünglich sieben geplanten Bänden unter dem Gesamttitel Si le Coran m’était conté: Bd. 1: Peuples maudits; Bd. 2: Abraham; Bd. 3: Les hommes de l’éléphant. Seddik sah in der Verbildlichung (durch französische Zeichner) keinen Verstoß gegen das religiös begründete Bilderverbot, weil er auf eine Darstellung des Propheten und der Engel verzichtete (vgl. The strip-cartoon Koran, in: The Economist 314/7639 [1990], 106). – Für Recherchen zu Seddiks Comics und den Reaktionen darauf danken wir Jonas Hermann, Freiburg im Breisgau. 16 Koran in comic book form not popular with everyone, in: The Spokesman-Review (Associated Press) (13. 01. 1990), 5. 17 Vgl. „The strip-cartoon Koran“ (Anm. 15). 18 Über die Reaktion des Hohen Islamischen Rats in Tunesien wird berichtet in: Moslems Denounce Comic-Book Koran, in: The Seattle Times (Associated Press) (17. 01. 1990). Zur Zu-

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den Reaktionen auf die Volxbibel: Während Befürworter herausstellen, dass zielgruppenorientierte Übertragungen den Zugang zum Glauben erleichtern, sehen Gegner das heilige Original entweiht.

2 Problemstellung und Untersuchungsansatz Die beschriebenen Kontroversen um eine angemessene Übertragung der christlichen Bibel und des Korans, die sich entsprechend auch für die Hebräische Bibel zeigen ließen,19 verweisen darauf, dass diese religiösen Grundtexte hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit besondere Anforderungen stellen. Für den christlichen Bereich hatte schon der Kirchenvater Hieronymus eine Differenzierung zwischen dem Übersetzen aus den ‚heiligen Schriften‘ (sc. der griechischen Bibel), die er Wort für Wort übertrage, und anderen Texten vorgenommen, die er sinngemäß übersetze.20 Da bei einer wortgetreuen Übersetzung die Anpassungsmöglichkeiten an die Zielsprache begrenzt sind, steckt in diesem Prinzip bereits eine Einschränkung in Bezug auf die Übersetzung Heiliger Schriften, die im christlichen Kontext über Jahrhunderte hinweg intensiv diskutiert worden ist. Für Tanach und Koran, bei denen die Sprache der Offenbarung jeweils konstitutiv ist, gelten solche Einschränkungen sogar noch in höherem Maße. Auch wenn die normativen Grenzen für eine Übertragung jeweils anders gesetzt werden, ergibt sich die Gemeinsamkeit, dass die Lizenzen für eine Übertragung bei den genannten religiösen Grundtexten jeweils in besonderer Weise ausgehandelt werden müssen. Auf dieser Basis werden sie im Folgenden als ‚heilige Texte‘ zusammengefasst. Vor dem Hintergrund der breiten Diskussion darüber, was überhaupt unter einem heiligen Text zu verstehen sei,21 wird hier also ein Zugang gewählt, bei dem nicht bestimmte Eigenschaften eines Textes definitorisch festgelegt, sonrückweisung der Comics durch den kuwaitischen Rechtsgelehrten Mohammed Faidallah vgl. „Koran in comic book form not popular with everyone“ (Anm. 16). 19 Zu nennen sind hier etwa Vorbehalte gegenüber dem Projekt einer jüdischen Kinderbibel, die in der Befürchtung wurzeln, die vereinfachte Form könnte das Original verdrängen. Vgl. dazu Bruno E. Landthaler: Was macht eine Kinderbibel jüdisch?, in: Kindertora – Kinderbibel – Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen, hg. von Georg Langenhost und Elisabeth Naurath, Freiburg 2017, 137–154, hier: 138–141. 20 Hieronymus, Epistula 57,5 Ad Pammachium (CSEL 54), 508 ed. Hilberg: Ego enim non solum fateor, sed libera uoce profiteor me in interpretatione Graecorum, absque scripturis sanctis, ubi et uerborum ordo mysterium est, non uerbum e uerbo, sed sensum exprimere de sensu. („Ich gestehe nicht nur, sondern bekenne in aller Offenheit, dass ich bei der Übersetzung griechischer Texte, abgesehen von den heiligen Schriften, wo selbst die Anordnung der Worte ein Geheimnis ist, nicht Wort für Wort, sondern sinngemäß übertrage.“) Vgl. dazu Gipper, Vertikales Übersetzen (Anm. 6), 253. Diese Passage wird in den Beiträgen von Christoph Kugelmeier und Karin Krause jeweils eingehender diskutiert, siehe S. 108 f. und 226 f. 21 Für einen Überblick über ausgewählte Forschungspositionen vgl. Andreas Mauz: Machtworte. Studien zur Poetik des ‚heiligen Textes‘, Tübingen 2016 (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 70), 11–51.

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dern Merkmale im Umgang mit den Texten als entscheidend angesehen werden.22 Dieser Zugang erlaubt es, die Binnenperspektiven unterschiedlicher Religionsgemeinschaften mit einzubeziehen, also davon auszugehen, was jeweils für heilig gehalten wird,23 wobei diese Kategorie – das zeigen für Judentum, Christentum und Islam auch die Beiträge dieses Bandes – unterschiedlich gefüllt werden kann. Zentral und religionsübergreifend sind jedoch zwei Aspekte: zum einen die Kanonisierung, die ein Textcorpus als verbindlich definiert,24 zum anderen die Sakralisierung, die diese Verbindlichkeit performativ umsetzt und aktualisiert.25 Aus der für heilige Texte konstitutiven Kombination von (einmaliger) Kanonisierung und (wiederholter) Sakralisierung ergeben sich Tabuisierungen im Umgang mit diesen Texten, die nicht zuletzt in der postulierten Festigkeit des Wortlauts gründen. Ein solcher von Heiligungsprozessen ausgehender Zugang ermöglicht es, die Heiligkeit von Texten unabhängig vom Offenbarungscharakter zu fassen:26 Zwar 22

Zu diesen Merkmalstypen vgl. Mauz ebd., 43 f. Für einen solchen induktiven Ansatz zur relationalen Bestimmung von Heiligkeit vgl. Peter Gemeinhardt/Katharina Heyden: Ertrag, in: Heilige, Heiliges und Heiligkeit in spätantiken Religionskulturen, hg. von dens., Berlin/New York 2012 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 61), 417–432, hier: 419–424. Zur Forschungsdiskussion um den Begriff der Heiligkeit vgl. außerdem aus religionswissenschaftlicher Perspektive, ausgehend vom Christentum, Johann Ev. Hafner: Religiöse Verdoppelung von Welt: Die Funktion der sakral-profan-Unterscheidung, in: Parallelwelten. Christliche Religion und die Vervielfachung von Wirklichkeit, hg. von dems. und Joachim Valentin, Stuttgart 2009, 128–161. Angesichts der relationalen Verwendung von ‚heilig‘ wird das Attribut hier und im Folgenden nicht schriftgestisch (etwa durch Großschreibung) ausgezeichnet. Zu entsprechenden Verfahren vgl. Mauz, Machtworte (Anm. 21), 16–18. 24 Mauz, Machtworte (Anm. 21), 43 f., ordnet die Kanonisierung den „Eigenschaften des Textes“ zu, nicht dem Umgang mit dem Text (den er im Einklang mit der Textlinguistik unter „Textpragmatik“ fasst). Demgegenüber wird die Kanonisierung hier dem Umgang mit dem Text zugerechnet, da sich die Kanonizität erst im Gebrauch der Texte etabliert hat, also nicht von vornherein eine Texteigenschaft war. Zum Zusammenhang von Kanonisierung und Verbindlichkeit des Textes siehe systematisierend: Aleida und Jan Assmann (Hgg.): Kanon und Zensur, München 1987; sowie religionsgeschichtlich einerseits in Bezug auf die Bibel: Georg Steins u. a. (Hgg.): Kanonisierung – die Hebräische Bibel im Werden, Neukirchen 2010, andererseits in Bezug auf den Koran: Omar Hamdan: Studien zur Kanonisierung des Korantextes, Wiesbaden 2006. Zu unterschiedlichen Kanonisierungsvorgängen siehe die Kongressbeiträge in: Karénina Kollmar-Paulenz (Hg.): Kanon und Kanonisierung. Ein Schlüsselbegriff der Kulturwissenschaften im interdisziplinären Dialog, Basel 2011, sowie in: Eve-Marie Becker/Stefan Scholz (Hgg.): Kanon in Konstruktion und Dekonstruktion. Kanonisierungsprozesse religiöser Texte von der Antike bis zur Gegenwart: ein Handbuch, Berlin 2012. 25 Zu Phänomenen und Theoriebildung der Sakralisierung in verschiedenen religiösen Traditionen siehe die Aktivitäten und Publikationen des Forschungsprojekts „Sakralität und Sakralisierung in Mittelalter und Früher Neuzeit“ in Erlangen (www.sakralitaet.uni-erlangen. de, letzter Zugriff am 15. 08. 2017) sowie Andrea Beck/Klaus Herbers/Andreas Nehring (Hgg.): Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen, Stuttgart 2013; dies. (Hgg.), Heilige und geheiligte Dinge, Stuttgart 2017. 26 Das Konzept der Offenbarung eignet sich vor allem deshalb nicht als Definitionskriterium für heilige Texte, weil einerseits viele kanonisierte Texte (in der Bibel etwa die Psalmen, Weisheitstexte und neutestamentliche Briefe) selbst keinen Offenbarungsanspruch erheben, 23

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gelten Tanach, christliche Bibel und Koran als göttliche Offenbarung. Je nach theologischer Tradition wird der Offenbarungscharakter aber sowohl über Religionsgrenzen hinweg als auch innerhalb der einzelnen Gemeinschaften sehr unterschiedlich verstanden.27 Von der jeweils für maßgeblich erachteten Art der Offenbarung ist abhängig, ob sich die Tabuisierungen auch auf die Sprach- und die Schriftgestalt beziehen.28 Diese graduellen Unterschiede ändern aber nichts daran, dass es jeweils Restriktionen im Umgang mit dem heiligen Text gibt, die von Gemeinschaften immer wieder neu bestimmt werden. In der Kanonizität heiliger Texte ist einerseits ihre Invarianz begründet, andererseits die Verbindlichkeit, die eine aktualisierende Auslegung erfordert, damit die Texte als Richtschnur dienen können. Bei Übertragungen heiliger Texte, so unsere These, wird dieses Spannungsverhältnis besonders gut fassbar, da die Bewahrung eines kanonischen Textes und die adressatenbezogene Aktualisierung nicht gleichermaßen gewichtet werden können. Die religionsübergreifende Erörterung der Problematik bedarf der Rechtfertigung, denn die Frage, welche Vermittlungsformen überhaupt als Übersetzung gelten dürfen, wird (mit Binnendifferenzierungen) im Islam tendenziell anders beantwortet als im Judentum und wiederum anders im Christentum. Insofern könnte man meinen, dass die skizzierte Spannung dadurch aufgelöst würde, dass Übertragungen in andere Sprachen im Judentum und Islam von vornherein eine Ersatzfunktion für das Original abgesprochen wird und sie vielmehr als Kommentar betrachtet werden. Doch sind damit normative Fragen nicht ad acta gelegt, denn auch bei exegetischen Umsetzungen bleibt zu diskutieren, in welchen Zusammenhängen (bis hin zur Liturgie) sie verwendet werden dürfen. Auch können auslegende Texte den Status heiliger Texte erreichen, wenn sie kanonisiert werden (zur mündlichen Tora vgl. den Beitrag von Hanna Liss). Außerdem zeigen Diskussionen um die angemessene Übertragung heiliger Texte für exegetische Zwecke (vgl. etwa während andererseits gerade solche Texte, die nicht kanonisiert wurden (wie etwa die sog. Apokrpyhen der jüdisch-christlichen Tradition) häufig einen starken Offenbarungsanspruch haben. 27 Für einen Überblick über die unterschiedlichen Offenbarungsbegriffe in Judentum, Christentum und Islam siehe Johann Figl u. a.: Art. Offenbarung I–VII, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft 6, 4. Aufl., Tübingen 2003, 461–485. 28 Um hier nichts zu präjudizieren, wurde – trotz der Fokussierung auf Buchreligionen – die Bezeichnung ‚heilige Texte‘ und nicht ‚Heilige Schriften‘ gewählt, denn sie lässt offen, ob sich ein Text durch eine Zeichenfolge oder durch seine Materialität definiert. Für einen historischen Überblick zum Textbegriff vgl. Maximilian Scherner: „Text“. Untersuchungen zur Begriffsgeschichte, in: Archiv für Begriffsgeschichte 39 (1996), 103–160; zur Mündlichkeit von Texten vgl. Kirsten Adamzik: Der virtuelle Text oder: Die Rolle der Sprachgemeinschaft für die Herstellung von Textualität, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik 36.3 (2008), 355–380; zur Materialität von Texten vgl. (aus editionswissenschaftlicher Perspektive) Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels, Teil 3: Textbegriffe und Recodierung, Norderstedt 2013 (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik/Institut für Dokumentologie und Editorik 9) [urn:nbn:de:hbz:38-53534], 26–37, 53 f.

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den Beitrag von Johanna Pink), dass auch bei kommentierenden Übertragungen Lizenzen für einen angemessenen Umgang mit dem heiligen Text ausgehandelt werden müssen. Deshalb ist im Folgenden jede Art der Transposition heiliger Texte von Interesse, also auch intermediale Übertragungsprozesse, die sich auf die materielle Manifestation sprachlicher Zeichen (Stimme, Schrift) oder auf Umsetzungen von einem Code in einen anderen (Sprache, Bild) beziehen. Nicht zuletzt um der Vielfalt der ‚Übersetzungs‘prozesse gerecht zu werden, werden die zu untersuchenden Phänomene als ‚Übertragung‘ zusammengefasst. Auch diese allgemeine Bezeichnung gilt es im Einzelfall zu spezifizieren, denn in der Übersetzungswissenschaft lassen sich konträre Auffassungen von ‚Übertragung‘ finden: Wird dieser Begriff von einigen Übersetzungstheorikern mit ‚Bearbeitung‘ gleichgesetzt, wollen andere darunter gerade eine an der Form orientierte Übersetzung verstanden wissen.29 Im Kontext dieses Bandes soll ,Übertragung‘ in Anlehnung an die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Übersetzungsforschung in erster Linie die Transposition eines Textes in einen neuen kulturellen Kontext bezeichnen, die einen Medienwechsel mit umfassen kann.30 Leitend für die Analyse der Übertragungen ist die Frage nach Normen, die sich bei den Transpositionsprozessen beobachten lassen.31 Gedacht ist dabei nicht in erster Linie an explizit formulierte Normen mit Rechtscharakter, obwohl religiöse Vorschriften zur Übersetzung heiliger Texte durchaus eine Rolle spielen können, sondern an soziale Normen, die regeln, was bei der Übertragung eines heiligen Textes als akzeptabel gilt und was nicht.32 Damit soll nicht geleugnet werden, dass religiöse Autoritäten bei der Bestimmung normativer Grenzen33 29 Vgl. Michael Schreiber: Übersetzung und Bearbeitung. Zur Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs, Tübingen 1993 (Tübinger Beiträge zur Linguistik), 71. 30 Zu solchen Dimensionen des Übertragungsbegriffs vgl. zusammenfassend Jörg Dünne u. a.: Einleitung, in: Unübersetzbarkeiten/Les intraduisibles, hg. von dens., Paris 2013, 6–11, hier: 7 f. (mit weiterer Literatur). Verstärkt ist für kulturwissenschaftliche Untersuchungen in letzter Zeit auch der psychoanalytische Übertragungsbegriff fruchtbar gemacht worden, der gerade „unthematische Kommunikationsvorgänge“ erfasst (vgl. Alexandra Kleihues/Barbara Naumann/Edgar Pankow: Vorwort, in: Intermedien. Zur kulturellen und artistischen Übertragung, hg. von dens., Zürich 2010 [Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen 14], 5–9, hier: 6 f. [http://www.mediality.ch/download/MW%2014_1014 %20Kleihues_Intermedien.pdf, letzter Zugriff am 06. 01. 2017]). Dass auch diese Art der Übertragung für heilige Texte relevant ist, zeigt Nora Schmidt in ihrem Beitrag. 31 Es geht also nicht um die normsetzende Kraft der heiligen Texte selbst, im Unterschied zum Tagungsprojekt „Normativität Heiliger Schriften in Judentum, Christentum und Islam“ (Zürich, 30.01.–01. 02. 2017, http://www.hermes.uzh.ch/dam/jcr:002807c6-4176-4e5f-bb64-ebc8 7d10ace8/Schriftenhermeneutik%20.pdf, letzter Zugriff am 15. 01. 2017). 32 Zu den verschiedenen Dimensionen des Normbegriffs vgl. Holm Bäuer: Norm, in: Handwörterbuch Philosophie, hg. von Wulff D. Rehfus, Göttingen/Oakville 2003, 498–499. 33 Gemeint sind damit gesellschaftliche Verständigungsprozesse darüber, was als Normüberschreitung gewertet wird. ‚Grenze‘ ist in diesem Zusammenhang zwar metaphorisch gebraucht, ohne aber selbst zum Gegenstand kulturwissenschaftlicher Reflexion zu werden, wie es

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eine zentrale Rolle spielen, aber sie sind nicht die einzigen beteiligten Instanzen.34 Genauso wenig sind es allein religiöse Normen, die bei der Übertragung heiliger Texte relevant sind, vielmehr erfolgt auch eine Anpassung an gesellschaftliche Normen der Zielkultur. Durch eine Anpassung an solche Normen kann die Verbindlichkeit heiliger Texte sogar gesteigert werden. Deshalb sollen über Tabubrüche hinaus auch Praktiken der Übertragung heiliger Texte als Ausdruck impliziter Normen ausgewertet werden. Die hier versammelten Untersuchungen sind also in doppelter Weise der Hermeneutik verpflichtet: Die in den Blick genommenen Übertragungen heiliger Texte stellen Resultate hermeneutischer Prozesse dar, deren Prinzipien es zu ergründen gilt.35 Vor allem aber sind die impliziten Normen für die Übertragung durch hermeneutische Verfahren erst abzuleiten. Ziel des Bandes ist es, exemplarisch aufzuzeigen, wie sich durch die Analyse von Übertragungsformen normative Vorstellungen vom heiligen Text fassen lassen. Dabei spielt neben den impliziten Normen für die jeweilige Übertragung auch eine Rolle, welche Textebene überhaupt übertragen wird (Wortlaut?, Inhalt?), weil sich so Vorstellungen von dem manifestieren, was jeweils als konstitutiv für den heiligen Text angesehen wird. Der Ansatz ist religionsübergreifend in dem Sinn, dass mit der Spannung zwischen Bewahrung des kanonisierten Ausgangstextes auf der einen und der Adressatenorientierung auf der anderen Seite eine gemeinsame Problemlage für den Umgang mit heiligen Texten in Judentum, Christentum und Islam konstatiert wird. Die Fallstudien arbeiten in sich aber nicht religionsvergleichend, sondern sollen in ihrer Gesamtheit ein Spektrum des Umgangs mit dieser Spannung demonstrieren, das quer zu den Religionen liegt.

im Nachklang des spatial turn verstärkt geschieht. Vgl. exemplarisch: Jaques Picard/Silvy Chakkalakal/Silke Andris (Hgg.): Grenzen aus kulturwissenschaftlichen Perspektiven, Berlin 2016. 34 „Normen treten nur in theoretischer Abstraktion isoliert auf. Tatsächlich sind sie in kulturelle, ökonomische, politische, kommunikative und psychologische Kontexte eingebettet, in Institutionen verkörpert, in Praktiken sedimentiert und habitialisiert, in Konventionen als Ergebnis langwieriger Kompromissbildungsverfahren enthalten, in Konfliktarenen herausgefordert, in Prozessen der Interpretation und Dauerrevision thematisiert und bestritten, in Ritualen und Dramen bekräftigt und stabilisiert.“ (Rainer Forst/Klaus Günter: Die Herausbildung normativer Ordnungen. Zur Idee eines interdisziplinären Forschungsprogramms, in: Die Herausbildung normativer Ordnungen. Interdisziplinäre Perspektiven, hg. von dens., Frankfurt a. M./ New York 2011, 11–30, hier: 16). 35 Da jede Übersetzung auch eine Interpretation darstellt, sind die Übergänge zur Exegese fließend, aber das Hauptaugenmerk ist nicht auf exegetische Fragen gerichtet. Vgl. dagegen jüngst: Peter Gemeinhardt (Hg.): Zwischen Exegese und religiöser Praxis. Heilige Texte von der Spätantike bis zum klassischen Islam, Tübingen 2016.

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3 Zur Anlage des Bandes Die Studien im vorliegenden Band konzentrieren sich auf die drei großen abrahamitischen Religionen.36 Diese Beschränkung ist insofern sachdienlich, als Kontakte zwischen diesen Religionen oftmals Übertragungsprozesse beeinflusst haben, wie einige Beiträge dieses Bandes verdeutlichen (vgl. bes. die Beiträge von Christoph Kugelmeier, Hanna Liss und Dorothea Salzer).37 Der erste Teil des Bandes („Zur Übertragbarkeit heiliger Texte“) widmet sich der Frage, wie sich die Übersetzungsproblematik in den einzelnen Religionen darstellt. Die Autoren verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze: Während die Judaistin Hanna Liss („Wort – Klang – Bild: Zur [Un-]Übersetzbarkeit heiliger Texte im Judentum“) grundsätzlich die Frage diskutiert, was überhaupt die Heiligkeit eines Textes konstituiert und welche Rolle dessen Medialität, insbesondere die Ikonizität der Schrift, spielt, konzentriert sich der christlich-evangelische Theologe Martin Leutzsch auf die Auswertung von Übersetzungstabus („Übersetzungstabus als Indikatoren normativer Grenzen in der Geschichte der christlichen Bibelübersetzung“). Dass diese Tabus überhaupt existieren, ist aufschlussreich, da der sprachlichen Gestalt des Urtextes im Christentum weniger Gewicht zukommt als im Judentum und im Islam. Die Islamwissenschaftlerin Johanna Pink konzentriert sich in ihrem Beitrag („Text, Auslegung, Ritus. Kontroversen um die richtige und falsche Übersetzung des Korans am Beispiel Indonesiens“) auf einen konkreten Konfliktfall, bei dem mit der Anordnung der Schrift und der Wahl der Rezitationsmelodie wiederum mediale Aspekte zentral sind. Schon in diesem ersten Teil zeigen sich also systematische Querverbindungen zwischen den Analysefeldern, wie sie auch in den späteren Beiträgen relevant werden. Vor allem aber wird deutlich, dass eine Binnendifferenzierung notwendig ist, da sich innerhalb der einzelnen Religionen ganz unterschiedliche Auffassungen zur Übersetzbarkeit heiliger Texte finden. Deshalb kann die Annäherung an die Thematik nur über Einzelfälle erfolgen, wobei die Auswahl der Beiträge Grundmuster aufzeigt, selbstverständlich aber nicht den Anspruch erhebt, das Feld komplett abzudecken. Zwar wurde eine diachrone Streuung der Beiträge angestrebt, doch muss es bei punktuellen Einblicken bleiben. Der Schwerpunkt liegt in Antike und Mittelalter, um zu demonstrieren, dass manche Problemkonstellationen eine lange Tradition haben, nicht 36 Anders als in dem von Andreas Kablitz und Christoph Markschies herausgegebenen Band Heilige Texte. Religion und Rationalität (Berlin/Boston 2013) erstreckt sich das Erkenntnisinteresse deshalb nicht auf „heilige Texte in einem säkularisierten Sinne“ (Vorwort, 9), also etwa Texte des Marxismus. 37 Gerade für eine systematische Betrachtungsweise wäre es wünschenswert gewesen, weitere Religionen, etwa die Bahā᾽ī-Religion, mit einzubeziehen, worauf aus pragmatischen Gründen verzichtet werden musste. Wir danken Dr. Armin Eschraghi dafür, dass er auf der Tagung, aus der dieser Band hervorgegangen ist (s. u. S. 15 f.), die Perspektive der Bahā᾽ī-Religion in die Diskussion eingebracht hat.

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zuletzt das Verhältnis von Wörtlichkeit und Exegese, das im zweiten Teil des Bandes im Zentrum steht: Wie die Bewahrung des Originals mit dem Bemühen um eine kommunikative Übersetzung in Konflikt treten kann, diskutiert der Klassische Philologe Christoph Kugelmeier in seinem Beitrag „Aliud est vatem, aliud esse interpretem. Zur Spannung zwischen Adressatenorientierung und Texttreue in Septuaginta und Vulgata“. Dabei kann er nachweisen, wie exegetische Traditionen zu Normen werden und wie relevant das Verhältnis zur jüdischen Exegese bei der Diskussion über die ‚richtige‘ Übersetzung im christlichen Kontext ist. Dass Kulturkontakte gerade auch für das Übersetzen heiliger Texte einflussreich sind, demonstriert der Judaist Ronny Vollandt („Griechisch – Aramäisch – Arabisch. Drei [un]gleiche Übersetzungskontexte im Judentum“). Am Beispiel von Saadia Gaon’s (882–942) arabischer Bibelübersetzung zeigt Vollandt, dass nicht nur Amtsbezeichnungen an die Vorstellungen der Zielkultur angepasst (,Imam‘ als Bezeichnung für den jüdischen Priestertitel kohen), sondern auch exegetische Traditionen aus dem Islam übernommen werden. Dem stehen Beispiele kompromissloser Wörtlichkeit in frühen arabischen Bibelübersetzungen gegenüber, die sogar die Morphemstruktur bewahren. Für die Wahl der Übersetzungsmethode war der Verwendungskontext der einzelnen Übersetzungen entscheidend, nicht so sehr Normen, die den heiligen Texten inhärent sind. Insofern ist es folgerichtig, dass im nächsten Teil des Bandes Anpassungen an textexterne Normen in den Blick genommen werden. Es dürfte kein Zufall sein, dass solche Anpassungen in besonders hohem Maße dort zu beobachten sind, wo Übertragungen gar nicht erst den Anspruch erheben, einen heiligen Text im Wortlaut wiederzugeben. Das ist sowohl bei den von Katrin KogmanAppel als Spezialistin für jüdische Kunstgeschichte untersuchten Haggadot der Fall („Die Übertragung biblischer Inhalte ins Bild: unterschiedliche soziale und kulturelle Zielgruppen der jüdischen Buchmalerei“) als auch bei den jüdischen Kinderbibeln des 18. und 19. Jahrhunderts, die die Judaistin Dorothea Salzer analysiert („Altneuer Text: Jüdische Kinderbibeln und die Popularisierung der Hebräischen Bibel“). Im letzteren Fall verdeutlicht allein schon die Tatsache, dass Textpassagen ausgewählt sind, dass Äquivalenz nicht angestrebt sein kann. Dementsprechend arbeitet Salzer mit dem Konzept der kulturellen Übersetzung, weist aber durch philologische Untersuchungen zugleich nach, dass teilweise Versatzstücke aus christlichen Übersetzungen übernommen wurden, offenbar im Bemühen um soziale Anerkennung. Die Beachtung sozialer Normen überlagert hier das zu erwartende Postulat der Unveränderlichkeit des Ausgangstextes. Das ist bei der Visualisierung der Mose-Geschichte in den iberischen Haggadot des 14. Jahrhunderts anders: Dort dient die über bildliche Konventionen erreichte Verortung der Mose-Geschichte in aktuelle gesellschaftliche Kontexte als didaktisches Mittel, das letztlich die Normativität des Ausgangstextes verstärkt, in dem es den Nachvollzug der Mose-Handlung erleichtert. Obwohl die von KogmanAppel und Salzer analysierten Übertragungen nicht auf eine Ersetzung des Aus-

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gangstextes abzielen, implizieren sie durch die Art der Übertragung, dass es so etwas wie kanonisierte Inhalte der heiligen Texte gebe, die sich herauslösen ließen. Auch wenn der Bezugspunkt für die Visualisierung der Mose-Handlung primär die Inhaltsebene des biblischen Textes ist und man sich streiten kann, ob die Umsetzung in narrative Bilder eher als Übertragung oder als Wiedererzählung zu betrachten ist, lässt sich auch dieser Beitrag – wie die anderen bisher genannten – in ein Übersetzungsparadigma einordnen, da es sich um die sekundäre Transposition eines gegebenen Ausgangstextes handelt. Dieses Paradigma wird im letzten Teil des Bandes („Übertragung und Inspiration“) noch einmal neu perspektiviert und hinterfragt. Die Kunsthistorikerin Karin Krause problematisiert in ihrem Beitrag „Speaking Books and Silent Pictures. Visualizing Holy Scripture in Byzantium“ das Konzept der Übersetzung zur Umschreibung der Genese bildlicher Fassungen des Evangeliums. Sie weist bei manchen byzantinischen Theoretikern die Vorstellung nach, dass auch Künstler (vor allem Ikonenmaler) göttlich inspiriert sein konnten, und macht darauf aufmerksam, dass narrative Bilder zum Evangelium teilweise als den Texten gleichrangig angesehen wurden. Wenn auch in den Quellen das Konzept aufscheint, dass sich beide medialen Ausdrucksformen auf ein dahinter liegendes Ereignis beziehen, ist die Vorstellung vom Primat des Textes doch vorherrschend. Die Idee, der Text könne vollständig ins Bild ‚übersetzt‘ werden, hält Krause wegen der medienspezifischen Unterschiede für unangemessen. Vielmehr würden die Bilder durch sprachliche Einbettung im Bereich des Heiligen situiert. Die Funktionsäquivalenz wird also letztlich nicht durch Übertragung, sondern durch Neuschöpfung erreicht. Auf Aneignungsprozesse jenseits von Intertextualität zielen abschließend die Überlegungen der Arabistin Nora Schmidt zur Inkorporation und Transformation israelitischer Erinnerungskultur in den Koran („Wiederholung – Erinnerung – Übertragung. Ein Deutungsversuch des Eingangsteils von Sure 5“). Ihr Beitrag widmet sich nicht Transpositionen eines heiligen Textes innerhalb einer Religion unter Kontakt zu anderen Religionen (wie die Beiträge von Ronny Vollandt und Dorothea Salzer), sondern dem Status heiliger Texte in Judentum und Christentum für die Genese des Korans. Unter Rückgriff auf das Freud’sche Übertragungskonzept spricht sie sich dezidiert dagegen aus, das biblische Wissen im Koran auf konkrete Schrifttexte zurückzuführen, und betont, dass die israelitische Erinnerungsgeschichte in Auseinandersetzung mit mündlicher Überlieferung und vor allem kultischen Praktiken im Koran neu gedeutet wurde, wobei für die aneignende Rekreation des Erinnerungsdiskurses die Offenbarungserfahrung des Propheten Mohammed maßgeblich sei. Spielt die Textgestalt der hebräischen Bibel gegenüber den dahinter liegenden Ereignissen nach Schmidt eine untergeordnete Rolle, so etabliert sich der Koran als heiliger Text gleichzeitig auch durch den Vorwurf gegenüber Juden und Christen, sie verfälschten ihre heiligen Schriften, ein Vorwurf, der sich wohl vor allem auf den kultischen Umgang mit den Texten (z. B. durch Rezitation) bezieht. Schmidts Beitrag öffnet damit

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einerseits den Blick für Aneignungsprozesse jenseits einer sprachlichen oder intermedialen Übertragung, bekräftigt aber andererseits, dass der normativ richtige Umgang mit dem eigenen heiligen Text im Koran als zentral erachtet wird. Die Übertragungen, die in den Fallstudien analysiert werden, setzen auf unterschiedlichen Ebenen an: dem Wortlaut (Krause, Kugelmeier, Liss, Leutzsch, Pink, Vollandt), dem Inhalt (Kogman-Appel, Kugelmeier, Salzer, Vollandt), der Medialität (Krause, Liss, Pink)38 und dem Offenbarungssinn (Schmidt).39 Zwar hat Schmidts Beitrag eine Sonderstellung, da es um Prozesse der interreligiösen Aneignung geht und kein übersetzungstheoretisches Paradigma gewählt ist, aber das Muster der inspirierten Aneignung lässt sich nicht allein bei der Religionsstiftung nachweisen, sondern findet sich auch bei den intermedialen Übertragungsprozessen innerhalb einer Religion, wie sie Karin Krause analysiert. Ihre Darlegung, dass die inspirierte Neuschöpfung in der byzantinischen Kunst im Rahmen einer großen Treue zum Ausgangstext erfolgt, demonstriert zusammen mit dem Überblick von Martin Leutzsch zu Tabuisierungen, dass eine strenge Bewahrung des kanonisierten Textes auch im Christentum nachzuweisen ist. Umgekehrt sind kulturelle Adaptationen, die vornehmlich durch textexterne Normen bestimmt sind, im Judentum nicht ausgeschlossen: Die Beiträge von Katrin Kogman-Appel und Dorothea Salzer befassen sich zwar mit Werken, die sich selbst als Exegese inszenieren; sie beinhalten aber auch eine Transposition der Mose-Erzählung bzw. zehn Gebote, die auf der Inhaltsebene des Ausgangstextes ansetzt und auf diese Weise dieser Dimension des heiligen Textes besondere Verbindlichkeit zuschreibt. Das Spannungsverhältnis zwischen Wörtlichkeit und Exegese bei der Transposition (auch zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit) zeigt sich besonders deutlich in den Beiträgen von Johanna Pink, Hanna Liss, Christoph Kugelmeier und Ronny Vollandt, wobei die Autorinnen und Autoren jeweils Aushandlungsprozesse in den Blick nehmen, die innerhalb der einzelnen Religionen (aber zum Teil im Kulturkontakt mit anderen) stattfinden. Auf diese Weise demonstrieren die Beiträge, dass die analysierten Verfahren – trotz des unterschiedlichen dogmatischen Rahmens – nicht religionsspezifisch zugeordnet werden können. Auch wenn die Unveränderlichkeit des Ausgangstextes dogmatisch festgeschrieben ist, können im Einzelfall kulturelle Normen stärker gewichtet werden als theologische. Das heißt nicht, dass die Texte beliebig transformiert 38 Die Medialität der Texte ist hier mit einbezogen, um die Art der Übertragung genauer zu bestimmen. Auf die Materialität heiliger Schriften fokussiert sind dagegen die Untersuchungen in: Joachim Friedrich Quack/Daniela Luft (Hgg.): Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften, Berlin/Boston 2014 (Materiale Textkulturen 5). 39 Vgl. dazu Stefan Meißner/Georg Wenz: Einführung. Heilige Schriften – Facetten des einen Gottes oder Antipoden um die Wahrheit?, in: Über den Umgang mit Heiligen Schriften. Juden, Christen und Muslime zwischen Tuchfühlung und Kluft, hg. von dens., Berlin 2007, 7–15, hier: 7 f.

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werden dürften, aber die Lizenzen sind stark von Funktionszusammenhängen bestimmt. So unterschiedlich die Einzelstudien auch gelagert sind, belegen sie doch – über die Ergebnisse zum jeweiligen Untersuchungsgegenstand hinaus –, dass sich aus der Analyse von Übertragungsprozessen jeweils ableiten lässt, auf welcher Ebene die Verbindlichkeit eines heiligen Textes im konkreten Fall angesiedelt wird. Das heißt auch, dass sich heilige Texte – trotz ihrer postulierten Festigkeit – im Übertragungsprozess immer wieder neu konstituieren. Lässt man sich auf diese Abstraktionsebene ein, dann wird ein religionsvergleichender Blick möglich, der nicht so sehr die Unterschiede zwischen der jeweiligen Auratisierung des heiligen Textes betont, sondern gemeinsame Strukturmuster aufzeigt. Für einen solchen Ansatz gibt die Zusammenstellung der Beiträge erste Anstöße.

4 Zur Genese des Bandes Der Band versammelt Beiträge einer Tagung, die vom 30. September bis zum 2. Oktober 2015 in Bern stattfand: „Popularisierung Heiliger Texte und deren normative Grenzen in Judentum, Christentum und Islam“.40 Veranstaltet wurde sie von drei Mitgliedern der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina: Katharina Heyden, Professorin für Ältere Geschichte des Christentums und der interreligiösen Begegnungen an der Universität Bern, Henrike Manuwald, Juniorprofessorin für Germanistische Mediävistik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (mittlerweile Professorin an der GeorgAugust-Universität Göttingen) und Rebekka Voss, Professorin für Geschichte des deutschen und europäischen Judentums an der Goethe-Universität Frankfurt. Die Junge Akademie übernahm dankenswerterweise den Löwenanteil der Finanzierung der Tagung und die Kosten für die Drucklegung des Bandes; zu danken ist außerdem der Fontes-Stiftung Bern, die die Tagung zusätzlich finanziell unterstützte.

40 Die Idee der Popularisierung im Sinne des Zugänglichmachens ist auch für den vorliegenden Band zentral und wird in einigen Beiträgen explizit fruchtbar gemacht (bes. Martin Leutzsch, Dorothea Salzer). Der Terminus ‚Popularisierung‘ wurde jedoch nicht in den Titel des Bandes übernommen, da einige der behandelten Formen der Übertragung durchaus elitär sind (vgl. den Beitrag von Ronny Vollandt) und da die Erwartung geweckt worden wäre, dass die Beiträge sich auch der ‚Populärkultur‘ widmen. Übertragungen heiliger Texte in Comics oder Emoticons (http://www.bibleemoji.com/, letzter Zugriff am 06. 01. 2017) wurden zwar auf der Tagung mit reflektiert, bedürften aber einer umfassenderen Behandlung. Zum ‚Relitainment‘ vgl. Jürgen Mohn u. a.: Internet-Kirchen, Jesus-Apps und Online-Beichten. Transformation der Religion durch die digitalen Medien, in: Dichtung Digital 44 (29. 12. 2014), http://www.dichtungdigital.de/en/journal/nachste-nummer/?postID=2571, letzter Zugriff am 06. 01. 2017.

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Zu den Vortragenden zählten neben Vertreterinnen und Vertretern der Judaistik, der christlichen Theologie und der Islamwissenschaft auch solche der Religionswissenschaft, der Literaturwissenschaften (Arabistik, Germanistik und Klassische Philologie) und der Kunstgeschichte.41 Die Tagungsdiskussionen waren geprägt von einer großen interdisziplinären Offenheit und Respekt vor den Perspektiven und Konventionen der einzelnen Fachkulturen beim Ringen um den gemeinsamen Gegenstand. Demensprechend wurden den Autorinnen und Autoren für die schriftliche Fassung ihrer Beiträge seitens der Redaktion in bestimmten Bereichen keine Vorgaben gemacht. Dies betrifft vor allem die Art der Datierung (u. Z. oder v./n. Chr.) und die Form der Transliteration; auch die Wahl der Veröffentlichungssprache und der Gebrauch von inklusiver Sprache waren den Autorinnen und Autoren selbst überlassen. Für Assistenz bei der formalen Vereinheitlichung der Beiträge danken wir Ramona Jenzer (Bern) und Joana Thinius (Göttingen), für die Arbeit an den Registern Astrid Kaufmann (Bern). Mit dem Versuch, das Thema der Übertragbarkeit heiliger Texte zugleich diachron, interdisziplinär und religionsübergreifend42 anzugehen, stellt der vorliegende Band ein Wagnis dar. Wir hoffen, dass er gerade in seiner historischen Ausrichtung Schlaglichter auf systematische Problemkonstellationen werfen kann, die aktuell diskutiert werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Handelt es sich bei den Büchern, die im November 2016 bei Razzien gegen die radikal-salafistische Vereinigung „Die wahre Religion“ beschlagnahmt wurden, um Exemplare des Korans, die rituell ‚entsorgt‘ werden müssen, oder stellt sich das Problem nicht, weil die deutsche Übersetzung ohnehin nur als ungefähre Entsprechung anzusehen ist?43 Letztlich geht es in dieser Debatte um die Frage, welche Normativität eine Übertragung beanspruchen kann. Gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, wie sie aus den in diesem Band versammelten, vornehmlich historischen Fallstudien zu erschließen sind, lassen sich an diesem und an anderen Beispielen der Gegenwart unmittelbar beobachten.

41 Aus Zeitgründen konnten leider nicht alle Vortragenden ihre Beiträge für die Publikation ausarbeiten. Neben den veröffentlichten Beiträgen wurde die Tagung durch folgende Vorträge bereichert: Hartmut Bobzin (Orientalistik/Islamwissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): „Der unvergleichliche Koran oder: In der Kürze liegt die Würze“; Stephan Müller (Germanistische Mediävistik, Universität Wien): „Faszination des Fremden. Irritation in der deutschen Bibeldichtung des frühen und hohen Mittelalters“; Jürgen Mohn (Religionswissenschaft, Universität Basel): „Fiktionale Transformationen ‚Heiliger Texte‘. Normative Probleme der populärkulturellen Religionsproduktion und Religionsreflexion im Medium Comic“. 42 Uns ist bewusst, dass die Innen- und die Außenperspektiven der einzelnen Religionen in dem Band nicht gleichmäßig vertreten sind. Religionsübergreifend sind also nur die Forschungsgegenstände, nicht die Religionszugehörigkeit der Beitragenden. 43 Vgl. „Beschlagnahmte Korane in der Wüste vergraben?“ (Stand 29. 12. 2016, © WDR 2017; http://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/entsorgung-beschlagnahmte-korane-100.html, letzter Zugriff am 06. 01. 2017).

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I Zur Übertragbarkeit heiliger Texte

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Wort − Klang − Bild Zur (Un-)Übersetzbarkeit heiliger Texte im Judentum Hanna Liss

1 Einführung: Was sind heilige Texte? Wird im Kontext der jüdischen und hier zunächst der rabbinischen Theologie die Frage nach der Übersetzbarkeit bzw. der Rezipierbarkeit heiliger Texte in Übersetzung erhoben, so wird dabei zumeist implizit (nur) die Hebräische Bibel (einschließlich ihrer aramäischen Teile) als Objekt der Übersetzung vorausgesetzt. Dass dies nicht unproblematisch ist, liegt daran, dass das Judentum nicht nur einen heiligen Text, die Bibel, kennt, sondern stets von zwei Torot, zwei „Weisungen / Lehren“ spricht: der schriftlichen (‫ ;תורה שבכתב‬tora she-bikhtav) und der sog. „mündlichen“ Tora (‫ ;תורה שבעל פה‬tora she-be-al-peh). Erstere beinhaltet im engeren Sinn den (schriftlich vorliegenden) Pentateuch, die „fünf Fünftel der Tora“ (‫ ;חמשה חומשי תורה‬hamisha humshe tora), im weiteren Sinn die ge˙ ˙ samte Hebräische Bibel. Letztere umfasst mit Mishna, Talmud und Midrash die zunächst mündlich, ab dem ersten Jahrhundert u. Z. jedoch ebenfalls schriftlich kodifizierten religionsgesetzlichen (halachischen) und narrativen (aggadischen) Traditionen. Die Hebräische Bibel lag zwar mit der Septuaginta beinahe von Anfang „in Übersetzung“ vor,1 sie bildete jedoch nie „den“ heiligen Text des rabbinischen, sondern lediglich den normativen Text des hellenistischen, des griechischsprachigen Judentums, und fand daher auch nie Eingang in die Rezeptionsgeschichte der Hebräischen Bibel vermittels und in rabbinischer Traditionsliteratur. Auch die judäo-arabischen Übersetzungen des arabischsprachigen Judentums in Ägypten, Babylonien oder Erets Yisrael2 erhoben nie den Anspruch, der Hebräischen Bibel ebenbürtig oder gar normativ zu sein. 1 Vgl. dazu Emanuel Tov: Textual Criticism of the Hebrew Bible, 2., überarb. Aufl., Minneapolis 2001, 121–142. 2 So arrangierte beispielsweise R. Sa῾adya Gaon eine Bibelübersetzung ins Arabische (‚tafsīr‘), die in großen Teilen paraphrasierend gestaltet ist und darin zwischen Übersetzung und exegetischer Explikation changiert. Diese kommt dem islamischen tafsīr als exegetischer Explikation des Qur᾽ān bis in die Terminologie und Phraseologie hinein sehr nahe, und dies auch äußerlich, denn anders als viele judäo-arabische Gelehrte verwendete er nicht das hebräische, sondern das arabische Alphabet. − Zu den judäo-arabischen Bibelübersetzungen vgl. Ronny Vollandt: Wheth-

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Auf der anderen Seite verblieb die sog. „mündliche Tora“ im hebräisch-aramäischen Sprachraum und lag erst seit der frühen Neuzeit in anderen europäischen Sprachen (Latein)3 vor. Innerhalb des Judentums wurden also weder Mishna noch Talmud oder Midrash je aus dem Hebräischen entlassen und in anderen Sprachen rezipiert. Schriftliche wie mündliche Tora waren im Hebräischen und durch das Hebräische aufeinander bezogen, und dies in einer eigentümlichen Hartnäckigkeit über viele Jahrhunderte und zahlreiche geographische Räume hinweg – einer Hartnäckigkeit, wie sie sich auch der spätere Islam zu eigen machte. Mit Blick auf die Fragen nach Aneignung und Normativität der Hebräischen Bibel ist daher zunächst einmal danach zu fragen, was von diesem Text als einem heiligen und / oder normativen Text kommuniziert werden soll – und vor allem: Von wem? An wen? Wer setzt die Normativität eines Textes fest – in welcher Form und in welcher Sprache? Denn Texte sind zunächst einmal „sprachliche Repräsentationsformen sinnvoller Zusammenhänge“,4 an denen eine sprachliche und soziale Gemeinschaft in unterschiedlichem Umfang teilhat oder teilhaben soll. Die Frage nach Übersetzung und Übersetzbarkeit muss daher bei der Bedeutung von Sprache selbst beginnen. Die jüdischen Traditionsliteraturen werden dabei zeigen, dass die in ihnen geführten Übersetzungsdiskurse zumindest vom rabbinischen und mittelalterlichen späteren jüdischen Verständnis von Sprache nicht zu trennen sind.

2 Die heilige Sprache (leshon ha-qodesh) Das Hebräische war für die Rabbinen ‫ לשון הקודש‬leshon ha-qodesh „heilige Sprache, oder auch: Sprache des Heiligtums“.5 Sie ist die Sprache der göttlichen Offenbarung. Mittels der Buchstaben dieser göttlichen Sprache, durch immer neue Permutationen und Kombinationen wurde die Welt erschaffen.6 Bei der Beschreibung der Tätigkeit Gottes im Zeitraum vor der Erschaffung der Welt spielt er to Capture Form or Meaning: A Typology of Early Judaeo-Arabic Pentateuch Translations, in: A Universal Art. Hebrew Grammar across Disciplines and Faiths, hg. von Nadia Vidro/Irene E. Zwiep/Judith Olszowy-Schlanger, Leiden/Boston 2014 (Studies in Jewish History and Culture 46), 58–83; vgl. zum Ganzen auch den Beitrag von Ronny Vollandt in diesem Band S. 113–131. 3 Die erste lateinische Ausgabe der Mishna wurde durch den christlichen Gräzisten und Hebraisten Wilhelm Surenhuis (Gulielmus Surenhusius) in Amsterdam zwischen 1698–1704 zusammengestellt; vgl. dazu Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch, 9., vollst. neubearb. Aufl., München 2011, 162. 4 Maximilian Scherner: Sprache als Text. Ansätze zu einer sprachwissenschaftlich begründeten Theorie des Textverstehens, Tübingen 1984 (Reihe germanistische Linguistik 48), 51. 5 Vgl. hierzu exemplarisch nur mSot 7,2–4; 8,1; 9,1; mYev 12,6; tSot 7,7; bSot 33a; bShab 115a; bBQ 82b–83a; ySheq 3.4 (47c) u. v. m.; die Abkürzungen der rabbinischen Literaturen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis in Frankfurter Judaistische Beiträge 2 (1974), 67–73. 6 Prov 8,22; bBer 55a; bShab 115a; bBQ 83a u.ö.

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der ‫ צירוף האותיות‬tseruf ha-otiyyot (das „Kombinieren der Buchstaben“) eine herausragende Rolle. Diese Darstellung gründet auf der Schöpfungsbeschreibung im Sefer Yetsira, dem „Buch der Schöpfung“:7 Zweiundzwanzig Buchstaben: Er grub sie ein, er hieb sie aus, er wog sie, er vertauschte und kombinierte sie und formte mit ihnen die Seele jeder Kreatur und die Seele all (dessen), was in Zukunft geformt werden sollte. Wie wog er sie und vertauschte sie? Alef mit allen und alle mit Alef; Bet mit allen und alle mit Bet […]. So ergibt sich, (dass) jede Kreatur und jede Rede aus einem Namen hervorgeht.8

Mit Blick auf die nachfolgende Frage nach der Übersetzbarkeit ist nun wichtig zu betonen, dass diese Offenbarung nicht allein den Inhalt, sondern zunächst einmal die Schrift, und hier sogar das Schriftbild mit einschloss: Nach der rabbinischen Tradition9 wurden auch ‫ הכתב והמכתב‬ha-ketav we-ha-mikhtav, i. e. die Form der Buchstaben und die in die Tafeln eingegrabene Schrift (Gottes10) schon vor der Welt am Abend des Shabbat, des sechsten Tages, erschaffen. Wurde diese Offenbarungsschrift durch die Sünde der Kinder Israels „gebrochen“ (‫ רעץ‬ro῾as / ra῾as), i. e. in der Form der althebräischen Kursive überliefert,11 so ˙ ˙ wurde sie durch ihre Umkehr zur Zeit von und durch Esra wieder in Quadratschrift (ashurit) überliefert. Wer also über die Quadratschrift-Offenbarung verfügte, verfügte über die eigentliche Offenbarung. Dies war natürlich gegen die Samaritaner gerichtet, die die alte Schrift beibehielten.12 Die Rabbinen wussten sicher, dass sich das hebräische Alphabet im Laufe der Zeit verändert hatte, aber sie theologisierten diesen an sich arbiträren Sachverhalt dahingehend, dass auch die Buchstabenform integraler Bestandteil der Offenbarung sei. Anders als beispielsweise in der christlichen Kultur haben wir es hier also tatsächlich mit der „Heiligen Schrift“ zu tun. Diese Heilige Schrift, dieser so gestaltete Buchstabenbestand, bildet in der rabbinischen Hermeneutik den Ausgangspunkt jeder exegetischen Deutung. Die Heilige Schrift ist also keine inhaltlich abgegrenzte und fixe Größe, dergestalt, 7

Wörtlich: „Buch der Formung“ (√‫ ;יצר‬vgl. Gen 2,8; Jes 45,18; Ps 94,9). Ithamar Gruenwald: A Preliminary Critical Edition of Sepher Yetzirah, in: Israel Oriental Studies 1 (1971), 132–177, hier: 148; zur mittelalterlichen Rezeption vgl. auch Hanna Liss: El῾asar ben Yehuda von Worms, Hilkhot ha-Kavod. Die Lehrsätze von der Herrlichkeit Gottes. Edition. Übersetzung. Kommentar, Tübingen 1997 (Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism 12), bes. 76, 164–168; zum Ganzen vgl. auch Gerschom Scholem: Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, in: Judaica III: Studien zur jüdischen Mystik, hg. von Gerschom Scholem, Frankfurt am Main 1981, 7–70. 9 Vgl. mAv 5,6; bPes 54a. 10 Vgl. auch Ex 32,16: „Und diese Tafeln − sie waren das Werk Gottes, und die Schrift, sie war die Schrift Gottes, eingeritzt auf die Tafeln.“ 11 Vgl. yMeg I, 71a; bSan 21b. 22a; tSan IV,7. 12 Zur sprachhistorischen Entwicklung vgl. Holger Gzella: Althebräisch, in: Sprachen aus der Welt des Alten Testaments, hg. von dems., 2., durchges. Aufl., Darmstadt 2012, 65–88; Alan Millard: Geschichte der Alphabetschrift, in: Sprachen aus der Welt des Alten Testaments, hg. von Holger Gzella, 2., durchges. Aufl., Darmstadt 2012, 13–27. 8

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dass eindeutig und eindimensional festgelegt werden könnte, was zum „Glaubensgut“ Israels gehört, oder gar als Dogma für theologische, ideologische oder politische Strukturen in Anspruch genommen werden dürfte. Der Offenbarungstext – sehr formal verstanden – ist zunächst einmal nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Zeichenkontinuum, „eine Zeichenreihe, die in sich keine Bedeutung hat, doch eine Fülle von Bedeutungen vermitteln kann“,13 unter anderem auch den auf der einfachen Wortebene zu eruierenden Sinn. Arnold Goldberg hat in seiner Studie zur Schrift der rabbinischen Schriftausleger14 in diesem Zusammenhang eine wichtige Beobachtung formuliert: die für die rabbinische Exegese konstitutive Unterscheidung zwischen der Schrift als Mitteilung und dem in der Schrift mitgeteilten Ereignis.15 Die rabbinische Exegese konzentrierte sich auf den ersten Aspekt und suchte nahezu ausschließlich und beinahe atomisierend den Zugang zur schriftlichen Mitteilung: Was bedeutet der Vers, das Wort, der Buchstabe, und welche Relevanz haben sie jeweils? Im Gegensatz zum mitgeteilten Ereignis war die schriftliche Mitteilung stets gültig, denn sie konnte vor je verschiedenem Hintergrund immer wieder neu ausgelegt und aktualisiert werden. So ging es den rabbinischen Gelehrten bei der kanonischen Fixierung der Heiligen Schrift (i. e. der „schriftlichen Tora“) also vor allem um die schriftliche Fixierung des Buchstabenbestandes, und dies bis ins Detail, d. h. bis in die Plene- und Defektivschreibung oder Form und Größe der Buchstaben hinein. Dies deshalb, weil die rabbinische Exegese als die mündliche Tora auch die formalen Aspekte eines Wortes oder Buchstabens integrierte. Bereits der babylonische Talmud schreibt vor, dass beim Schreiben einer Tora-Rolle (‫ ;ספר תורה‬sefer tora) sieben Buchstaben mit besonderen Verzierungen (sog. ‫ תגין‬tagin) geschrieben werden sollen,16 eine Regelung, die auch heute noch Anwendung findet.17 Ebenso hat auch die spätere jüdische Tradition in den sog. „kleinen Traktaten“ Massekhet Sofrim / Hilkhot Sofrim („Traktat für Schreiber“ / „Gesetze für Schreiber“) und

13 Günter Stemberger: Vollkommener Text in vollkommener Sprache. Zum rabbinischen Schriftverständnis, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 12 (1997), 53–65, hier: 55. 14 Vgl. Arnold Maria Goldberg: Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger, in: Frankfurter Judaistische Beiträge 15 (1987), 1–15. 15 Vgl. Goldberg, Schrift (Anm. 14), 3 f. 16 Es sind die Buchstaben ‫ צ‬,‫ ג‬,‫ ז‬,‫ נ‬,‫ ט‬,‫ ע‬,‫ ;ש‬vgl. bMen 29b; vgl. auch ausführlicher ab S. 28 f. in diesem Beitrag zu den Tagin im Regensburger Pentateuch sowie die dazugehörige Abb. 1 auf S. 29. 17 Vgl. dazu auch Hanna Liss: Vom Sefer Tora zum sefer: Die Bedeutung von Büchern im ‚Buch der Frommen‘ des R. Yehuda ben Shemu᾽el he-Hasid, in: Erscheinungsformen und Hand˙ Quack/Daniela Christina Luft, Berlin habungen Heiliger Schriften, hg. von Joachim Friedrich 2014 (Materiale Textkulturen 5; Open access: http://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/431187), 207–227, bes. 209; Hanna Liss: Ein Pentateuch wie andere auch? Die Lese-Geheimnisse des Regensburg Pentateuch, in: Metatexte. Erzählungen von schrifttragenden Artefakten in der alttestamentlichen und mittelalterlichen Literatur, hg. von Friedrich-Emanuel Focken/ Michael Ott, Berlin 2016 (Materiale Textkulturen 15; Open access: http://www.degruyter.com/ view/product/455285), 297–330, hier: 315.

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Massekhet Sefer Tora (7. / 8. Jh.)18 die Art und Weise, wie der Text geschrieben wird, akribisch festgelegt und einzelne Buchstaben-Formationen bis ins Detail vorgeschrieben: So ist z. B. in Lev 11,42 der Buchstabe Waw (‫ )ו‬in dem Wort ‫גחון‬ gahon „Bauch“ vergrößert notiert, um anzuzeigen, dass dieser Buchstabe die Hälf˙ te aller in der Tora notierten Buchstaben (304.805) markiert. Massekhet Sofrim schreibt überdies vor, dass im ‫ שמע ישראל‬Shema Yisrael „Höre Israel …!“ (Dtn 6,4) alle Buchstaben vergrößert geschrieben werden sollen.19 Im Mittelalter wurde dies offenbar nicht mehr durchgängig eingehalten; geblieben ist jedoch die Vorschrift, die Buchstaben Ajin (‫ )ע‬des ersten Wortes und das Dalet (‫ )ד‬des letzten Wortes deutlich größer zu schreiben als den Rest der Buchstaben. Die mittelalterlichen Ausleger fanden hierfür eine Reihe von Erklärungen. R. Ya῾aqov ben Asher Ba῾al ha-Turim schreibt beispielsweise, dass ˙ man das Wort ‫ שמע‬als zwei Wörter − ‫„ שם‬Name“ und ‫[„ ע‬Zahlwert] 70“ − lesen solle, entsprechend den 70 Namen Israels oder den 70 Auslegungsarten.20 Heute verweist man zumeist auf die Erklärung, wonach das Ajin (‫ )ע‬und das Dalet (‫)ד‬ in ihrer Kombination das neue Wort ‫ עד‬ed „Zeuge“ ergeben. In Num 25,12 ist das Waw (‫ )ו‬im Wort ‫ שלום‬shalom „Frieden“ in der Mitte unterbrochen, weil nach rabbinischer Auslegung der Friedensbund des Pinchas nicht wirklich vollkommen war. Die Integration auch formaler Aspekte führte zu einer Vielzahl von Auslegungstechniken (die Rabbinen sprechen von 49 „Gesichtern“ der Tora), und so kam es zu den heute oftmals als kurios empfundenen Auslegungsregeln wie gematria, i. e. die exegetische Ausdeutung des Zahlwertes, ˙ oder notariqon, i. e. die Zerlegung eines Wortes in zwei oder mehr, oder der Le˙ sung eines Wortes als Akrostichon. Die mittelalterlichen Bibelausleger wie beispielsweise R. El῾azar ben Yehuda aus Worms (1165–1230) interpretierten Hld 2,4 („und über mir sein Banner: Liebe“) in der oben genannten Weise, wonach der Zahlwert des Wortes ‫„( ודגלו‬Banner“) neunundvierzig (49) beträgt,21 was den 49 verschiedenen Arten, die Tora auszulegen, entspricht.22 In diesem Zusammenhang wurde gerne auf ein magisches Verständnis der Buchstaben hingewiesen, und in der Tat schreibt der Enkel Ben Siras, dass Dinge, die ursprünglich auf Hebräisch versprachlicht wurden, an Kraft (δύναμις) einbüßen (οὐ γὰρ ἰσοδυναμεῖ), wenn sie in eine andere Sprache übertragen werden.23 18

Vgl. Abraham Cohen (Hg.): The Minor Tractates of the Talmud: Massektoth Ketannoth, 2 ˙ ˙ Bde., London 1965. 19 Mass. Sof. IX. 20 R. Ya῾aqov ben Asher Ba῾al ha-Turim, Kommentar zu Dtn 6,4. ˙ sich wie folgt zusammen: 6 + 4 + 3 + 30 + 6 = 49. 21 Der Zahlenwert 49 von ‫ ודגלו‬setzt 22 Vgl. Jacob Gellis (Hg.): Sefer Tosafot ha-Shalem, Bd. 11: Hamesh Megillot: Shir ha-Shirim – Rut, Jerusalem 2000, 41 f. 23 Dieser Abschnitt über Ben Siras Sprachverständnis wird ausführlich zitiert und besprochen bei Stefan Schorch: The Pre-eminence of the Hebrew Language and the Emerging Concept of the „Ideal Text“ in Late Second Temple Judaism, in: The Book of Ben Sira. Papers of the Third International Conference on the Deuterocanonical Books, hg. von Géza G. Xeravits/József

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Möglicherweise wurden deshalb griechische Bibeltexte in hebräischen Lettern geschrieben,24 und auch die Mishna mag dies im Hinterkopf haben, wenn sie vorschreibt, dass die Ritual-Artefakte wie Tefillin und Mezuzot nur in ashurit (Quadratschrift) geschrieben werden dürfen.25 Der von Giuseppe Veltri in diesem Kontext gebotene Verweis auf bestimmte Fluch- und Segenssprüche26 unterschlägt dabei aber, dass die rabbinischen Quellen an nicht wenigen Stellen nicht einfach das Schreiben, sondern das Vorlesen in einer anderen als der leshon ha-qodesh verbieten.27 So erklärt bereits die Mekhilta ausgehend von Ex 19,3 ‫כה‬ ‫„ … תאמר‬so sollst Du sagen“: „So − in der heiligen Sprache (‫ ;)בלשון הקדש‬so − nach dieser Ordnung (‫ ;)כסדר הזה‬so − dem Sinn nach (‫ ;)כעניין הזה‬so − ohne etwas auszulassen und ohne etwas hinzuzufügen.“28 Die Mekhilta verweist hierbei darauf, dass Gott zuerst sprach (Ex 19,3 „Und der Ewige rief ihm zu“), und Moshe sollte es genau „so“ weitergeben. Das (hebräische) Nachsprechen von Fluch- und Segenssprüche wird dann zum performativen Sprechakt, und man versteht einmal mehr, warum Zunge und Sprache (lashon; glossa) so eng zusammenhängen. Die Relevanz der für uns heute oftmals rein äußerlich und irrelevant anmutenden formalen Vorschriften zur hebräischen Schrift fasst der Talmud in dem berühmten Diktum an den sofer, den Schreiber einer Torarolle, so zusammen: „Mein Sohn, sei sorgfältig bei deiner Arbeit […] denn wenn du auch nur ein Zeichen weglässt oder eines hinzufügst, zerstörst du damit die ganze Welt“:29 „die Bewahrung des Wortes, mit dem und durch das die Welt erschaffen wurde […], ist zugleich Bewahrung der Ordnung des Kosmos.“30

3 Übersetzung und Targum Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von „Heiliger Schrift“ ist nun auch das jüdische Übersetzungsverständnis zu entfalten. Für die antike jüdische Tradition ist zunächst einschränkend zu sagen, dass sich das rabbinische Verständnis (als der Hermeneutik der Tannaiten seit dem ersten Jahrhundert u. Z. und Zsengellér, Leiden 2008 (Supplements to the Journal for the Study of Judaism 127), 43–54, hier: 49–51; vgl. bereits auch Giuseppe Veltri: Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, Tübingen 1994 (Texte und Studien zum antiken Judentum 41), 123. 24 Vgl. Nicholas R. M. de Lange: Greek Jewish Texts from the Cairo Genizah, Tübingen 1996 (Texte und Studien zum antiken Judentum 51), bes. 71–78. 25 Vgl. bMeg 1,8. 26 Vgl. Giuseppe Veltri: Gegenwart der Tradition. Studien zur jüdischen Literatur und Kulturgeschichte, Leiden/Boston 2002 (Supplements to the Journal for the Study of Judaism 69), 51. 27 Vgl. bSot 32a. 28 MekhY Yitro [Bahodesh] 2, 207. ˙ 29 bEr 13a. 30 Veltri, Gegenwart (Anm. 26), 50 f.

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später der rabbinischen Amoräer) in Babylonien und Erets Yisrael vom jüdischhellenistischen deutlich unterscheidet. Bei den jüdisch-hellenistischen Autoren, wie dies Giuseppe Veltri ausführlich und kenntnisreich in seinem Buch über die Tora für den König Talmai dargelegt hat,31 wird das Thema Übersetzung mit Blick auf die adäquate Wiedergabe diskutiert, denn es stand außer Frage, dass eine Übersetzung als gleichwertiger Ersatz des Urtextes galt. Die Septuaginta und auch ein Teil der Texte von Qumran betonen den Inhalt der Offenbarung. Dieser, und nicht primär die äußere Form, ist auch in der Übersetzung zu bewahren. Deshalb konnten auch relevante Texte wie die Hebräische Bibel in eine andere Sprache, zunächst einmal Griechisch, übersetzt werden. Dabei galt, dass eine wortwörtliche Übersetzung (verbum e verbo) nichts für literarische Texte war. Für die bessere Literatur sollte sensus de sensu übersetzt werden. Die Vorstellung der Unübersetzbarkeit gibt es hier nicht.32 Der rabbinische targum,33 den wir heute vor allem mit der aramäischen Übersetzung verbinden, unterscheidet sich aber nicht nur und nicht notwendig von der Septuaginta in der Sprache. Die Rabbinen unterscheiden durchaus zwischen ‫„ לכתוב בלשון‬in einer anderen Sprache / Schrift schreiben“ … und ‫„ לתרגם‬übersetzen“ i. S. v. interpretieren.34 Die Septuaginta ist deswegen für die frühen rabbinischen Quellen kein Problem, weil sie als eine für den König Talmai (Ptolemäus) verfasste Schrift galt. Dem hellenistischen Judentum galt die Septuaginta als schriftliche Bibel, die sie auch im Gottesdienst ohne Not verwendeten.35 Nach Philo von Alexandria transportierten die Übersetzer der Septuaginta „Name und Sache“ des Hebräischen, und dies mache sie zu hierophantai, also solchen, die heilige Geheimnisse enthüllen.36 Dass das rabbinische Judentum sich dennoch im Laufe der Zeit von der Septuaginta abgewandt und sogar eine eigene griechische Übersetzung mit der Übersetzung Aquilas protegiert hat,37 hängt aber nicht, wie oftmals angenommen, an der Rezeption der Septuaginta durch das frühe Christentum und auch nicht in erster Linie an der Sprache, sondern an der Funktion dieser Übersetzung und ihrem Verhältnis zum hebräischen Text: Während die Septuaginta die Hebräische Bibel ersetzte, setzte Aquilas Übersetzung sie nicht nur zwingend voraus, sondern definierte sich selbst als dem hebräischen Bibeltext subordiniert und diesem zuarbeitend: Diese Übersetzung ist eine Übersetzung verbum e verbo und soll damit eine Erklärung des hebräischen Textes mehr als eine Übertragung 31

Vgl. Veltri, Tora (Anm. 23), 20. Vgl. Veltri, Tora (Anm. 23), 145. 33 Vgl. mMeg 4. 34 Vgl. yMeg 1,11; vgl. zum Ganzen bereits Paul Kahle: Die Kairoer Genisa. Untersuchungen zur Geschichte des hebraïschen Bibltextes und seiner Übersetzungen, Berlin 1962, 79. 35 Vgl. Veltri, Gegenwart (Anm. 26), 55. 36 Vgl. Veltri, Gegenwart (Anm. 26), 42. 37 Vgl. yMeg 1,11; vgl. zum Ganzen Veltri, Gegenwart (Anm. 26), 78. 32

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ihres Inhaltes ins Griechische sein. Das Griechische wird dem Hebräischen angepasst, eine Tatsache, die schon Hieronymus angegriffen hatte. Die Übersetzung des Aquila ist ein targum, entsprechend dem aramäischen Targum, der eben keine schriftliche Bibel in anderer Sprache ist, sondern zunächst mündlich, dann aber auch schriftlich, die Lese- und Rezitier-Performanz des kanonisch genau geregelten hebräischen Textes auslegend begleitet: eigentlich also ein tafsīr.38 Hier ist dann der Übergang von traduttore zu traditore fließend. Ein Bibeltext wird immer wieder neu ausgelegt, erklärt und adaptiert, entsprechend seinem je eigenen kulturellen und zeitlichen Kontext. Der Targum ist Teil der mündlichen Tora.39 Die Rabbinen unterschieden aber sehr deutlich zwischen dem Rezitieren der Tora − also der rituell bis ins Detail festgelegten Wiedergabe der Wörter − und der Darlegung ihrer Bedeutung. Dies zeigt sich auch an den Vorgaben zur rituellen Performanz: Vorleser und Übersetzer (‫ מתרגמן‬meturgeman) dürfen personell nicht identisch sein: Der Vorleser fokussiert sich auf die Tora-Rolle, der Übersetzer muss aus dem Gedächtnis rezitieren.40 In dieser Linie liegt es daher auch, dass die späteren gaonäischen Quellen wie Massekhet Sofrim und Massekhet Sefer Tora,41 nicht zufällig gerade solche, die sich mit Schreiberregularien befassen, eine Übersetzung grundsätzlich ablehnen: Hier wird der Tag, an dem die Septuaginta angefertigt wurde, mit dem Tag verglichen, an dem man das Goldene Kalb gegossen hatte. Schon der Talmud hatte daher formuliert: „Wer einen Schriftvers streng wörtlich übersetzt, lügt; wer hinzufügt, lästert Gott.“42 Der Gegensatz zwischen Übersetzung (Septuaginta) und Targum (aramäischer Targum; griech. Aquila) wird nun aber auch mit Blick auf den Vergleich zwischen Judentum und Christentum in der Antike relevant und einsichtig: Trotz unterschiedlicher kulturbedingter Wirklichkeitserfassung ließ sich die Hebräische Bibel in die Griechische Bibel transformieren und nachfolgend bruchlos rezipieren, und zwar deshalb, weil zum Einen die Übersetzung den Inhalt nicht einfach reproduziert, sondern in unterschiedlichem Umfang verändert / neu produziert hat,43 und weil zum anderen diese Textproduktion für die Universalisierung der Botschaft notwendig und gewünscht war. Dies galt zunächst für das hellenistische Judentum und später dann für das Christentum. Demgegenüber suchte das rabbinische Judentum von Anfang an sehr bewusst seine eigene rabbinische und darin partikulare Bibel-Rezeption durchzusetzen, und dies, wie wir 38

Vgl. oben Anm. 2. Vgl. bTem 14b; SifreDeut 161; vgl. zum Ganzen Willem Smelik: The Rabbinic Reception of Early Bible Translations as Holy Writings and Oral Torah, in: Journal for the Aramaic Bible 1 (1999), 249–272. 40 Vgl. Tan 5, Wayyera. Diesen wichtigen Hinweis verdanke ich meinem Assistenten Jonas Leipziger. 41 Vgl. Sof 1,7 oder SefT 1,6; vgl. oben Anm. 18. 42 bQidd 49a. 43 Vgl. bes. Werner Koller: Einführung in die Übersetzungswissenschaft, 8., neubearb. Aufl., Tübingen/Basel 2011, 195–202. 39

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heute wissen, nicht nur und schon gar nicht ausschließlich gegen das beginnende Christentum, sondern auch gegen alle anderen frühjüdischen Gruppierungen (Mystik; Apokalyptik u. a.), die der Ideologie der aufkeimenden rabbinischen Elite entgegenstanden. Diese Unterscheidung zwischen universalem und partikularem Anspruch wird heute zumeist übersehen. Dies ist auch der Grund, warum die heutigen übersetzungstheoretischen Ansätze stets implizit, aber durchgehend ein christliches Verständnis zugrunde legen. So lesen wir beispielsweise in der übersetzungstheoretischen Einführung von Radegundis Stolze: „Die Wahrheit der geschriebenen Botschaft sollte in vielen Sprachen unverändert den Menschen nahegebracht werden […].“44 Dieser Anspruch ist ein christlicher, der sich die Übermittlung der Botschaft, der „message“, oder des Geistes zum Ziel gesetzt und dabei von allem Anfang an den Blick auf Außenstehende gerichtet hat, die durch das Übersetzungsverfahren in die dafür stets offene Gruppe eingebunden werden sollten. Das Eigene soll für Fremde attraktiv sein und als normgebend fungieren (können).

4 Übersetzung und ihre kommunikative Funktion Im europäischen mittelalterlichen Judentum lassen sich auf dieser rabbinischgaonäischen ideologischen Grundlage zwei verschiedene Konzepte und Verfahrensweisen im Umgang mit anderen Sprachen und Kulturen beobachten. In Frankreich finden wir auf der einen Seite die mit dem Bibelausleger R. Shelomo Yitzhaqi (‚Rashi‘; ca. 1040–1105) und seiner Schule beginnende Auslegung ˙ ad litteram, zu der die sog. Sifre Pitronot, die hebräisch-französischen Bibelglossarien, notwendig dazugehören.45 Hier ging es explizit um den Transfer der 44

Radegundis Stolze: Übersetzungstheorien. Eine Einführung, 6. Aufl., Tübingen 2011, 87. Vgl. zum Ganzen Johannes Heil: Raschi – Der Lebensweg als soziale Landschaft, in: Raschi und sein Erbe. Internationale Tagung der Hochschule für Jüdische Studien mit der Stadt Worms, hg. von Hanna Liss/Daniel Krochmalnik, Heidelberg 2007 (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien 10), 1–22; Hanna Liss: Peshat-Auslegung und Erzähltheorie: Peshat-Auslegung und Erzähltheorie am Beispiel Raschbams, in: Raschi und sein Erbe. Internationale Tagung der Hochschule für Jüdische Studien mit der Stadt Worms, hg. von ders./Daniel Krochmalnik, Heidelberg 2007 (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien 10), 101–124; dies.: Creating Fictional Worlds: Peshat Exegesis and Narrativity in Rashbam’s Commentary on the Torah, Leiden/ Boston 2011 (Studies in Jewish History and Culture 25), bes. 5–55; zu den Glossarien vgl. zuletzt Kirsten Anne Fudeman: Etymology, Gloss, and Pešat with Special Reference to the Hebrew French Glossary of Cod. Parm. 2342, in: Materia Giudaica 14 (2009), 387–406; Kirsten Anne Fudeman: Vernacular Voices: Language and Identity in Medieval French Jewish Communities, Philadelphia 2010; Marc Kiwitt: Un fragment inédit d’un glossaire biblique hébreu-français, in: Ki bien voldreit raisun entendre. Mélanges en l’honneur du 70e anniversaire de Frankwalt Möhren, hg. von Stephen Dörr/Thomas Städtler, Strasbourg 2012 (Bibliothèque de Linguistique Romane 9), 127–146; Marc Kiwitt: The Problem of Judeo-French. Between Language and Cultural Dynamics, in: International Journal of the Sociology of Language 226 (2014), 25–56. 45

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Bedeutung, und zwar der Bedeutung nicht nur einzelner Wörter, sondern auch ganzer kontextueller Zusammenhänge. Wie weit französische kulturelle Ideale bereits in das Denken der jüdischen Bibelausleger Eingang gefunden hatten, zeigt der Kommentar von R. Shemu᾽el ben Meïr (‚Rashbam‘; ca. 1088–nach 1158) zu Gen 29,17. Es geht um Leas Schönheit, besonders um die Schönheit ihrer Augen: „‫( רכות‬bedeutet) ‚lieblich‘ [hebr. na᾽ot]: vairs [verts] auf Altfranzösisch. […] Dunkle Augen sind (ohnehin) nicht so schön wie helle“. Was uns hier interessiert, ist Rashbams Übersetzung von rakkot mit ‚verts‘, das auf Altfranzösisch nicht ‚grün‘, sondern ‚strahlend / hell‘ bedeutet, ein Adjektiv, wie es beispielsweise im anglo-normannischen Alexanderroman (Le Roman de Toute Chevalerie) des Thomas von Kent oder im Chanson de Roland für die Beschreibung der Augen des ritterlichen Helden Anwendung findet. Rashbams Übersetzung bedient ihre Leser / Hörer nicht nur darin, dass sie mittlerweile statt des biblisch-orientalischen ‚Taubenaugen-Ideals‘46 die hellen Augen Nordeuropas favorisiert, sondern auch mit einem indirekten Verweis auf die Schönheit der Lea als mit dem ritterlichen Schönheitsideal übereinstimmend.47 Diese Übersetzung popularisiert in zwei Richtungen: zum Einen, um die Ungebildeten wieder stärker an den biblischen Text und seine Themen heranzuführen, zum Anderen, um die (auch in mehreren Sprachen gebildeten) jüdischen litterati, die sich mehr für die matière de Bretagne als für die Bibel interessierten, bei der Stange zu halten. Wichtig ist aber auch, dass sich diese erklärende Übersetzung (pitron) nach innen richtet: Der Kulturkontakt führt dazu, dass mittels der Übersetzung die französische Literatur in die jüdischen Kreise getragen wird. Die fremde Kultur geht in die eigene ein – nicht umgekehrt – und wird darin gleichsam partikularisiert. Auf der anderen Seite lassen sich vor allem im Deutschland des 12. und 13. Jahrhunderts, besonders unter den sog. „Frommen Deutschlands“ (Haside ˙ Ashkenas) in Speyer, Mainz, Worms und Regensburg Tendenzen beobachten, die nicht nur die rigiden Vorstellungen von Massekhet Sofrim und Massekhet Sefer Tora hinsichtlich der Schreibervorschriften aufnehmen und sogar ausweiten,48 sondern darin auch eine gegen jede Übersetzung im Sinne eines Bedeutungstransfers gerichtete Negierung der Vermittelbarkeit des heiligen Textes an Außenstehende postulieren. Wer den berühmten Regensburg Pentateuch49 aufschlägt, eine Handschrift, die wohl um 1300 in Regensburg angefertigt wurde, sieht in der Handschrift eine ganze Reihe metatextlicher Elemente (z. B. tagin50), 46

Vgl. Cant 1,15; 4,1; 5,12. Vgl. dazu Liss, Fictional Worlds (Anm. 45), bes. 238–240. 48 Vgl. dazu Liss, Sefer Tora (Anm. 17), bes. 215–217. 49 MS Jerusalem IM 180–52. 50 Vgl. oben Anm. 16; die Aussagen zu den tagin sind in der rabbinischen und mittelalterlichen Literatur nicht einheitlich: Neben der bereits erwähnten Stelle in bMen 29b nennt bSot 20a den Brauch, ein taga auf den Buchstaben Dalet zu setzen. Daneben war seinerzeit wohl auch der Buchstabe Quf mit einem taga versehen (bShab 104a; bEr 13a). Mass. Sof. IX,1 kennt lediglich einen Verweis auf vier tagin auf dem Bet des ersten Wortes der Tora (bereshit). R. Moshe ben 47

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die nicht gelesen, sondern sehend wahrgenommen werden sollen. In Ex 2,2, der Erzählung über die Geburt des Moshe, heißt es: „[…] und da sie sah, dass er sehr gut war“ [‫]כי טוב הוא‬.

Abbildung 1: MS J_IM_180–52, fol. 40r, © Israel Museum, Jerusalem.

Der Regensburg Pentateuch weist an dieser Stelle die Besonderheit eines Tet mit ˙ fünf tagin auf (Abb. 1). Warum die tagin an diese Stelle geraten sind, erklärt der Kommentator Ya῾aqov ben Asher (1238–1340) zu Ex 2,2 wie folgt: Er war sehr gut [‫ ]טוב‬− fünf tagin […] um (hier schon) zu sagen, dass er künftig die fünf Fünftel der Tora empfangen würde, denn über diese heißt es: Denn gute Lehre [‫]לקח טוב‬ gebe ich Euch (Prov 4,2).

In dem Wort ‫‚ טוב‬gut‘ verbinden sich Moshe und die Lehre / Tora. Mit Hilfe der tagin wird diese aufs Erste nur lockere Verbindung formal durch die Fünfzahl (5 tagin // 5 Bücher der Tora) zusammengebunden.51 Diese tagin sind nonverbale textliche Entitäten, die gesehen werden wollen (und müssen), aber nicht gelesen und deshalb auch nicht übersetzt werden können. Sie sind nicht nur Schmuckelemente, sondern sie etablieren Lesergruppen, damals wie heute: Die vollkommene Offenbarung (schriftlich und mündlich) erschließt sich nur dem, der diese Art der Auslegung kennt. Hier dient also das Nahman (‚Ramban‘; 1194–1270) beruft sich in der Einleitung zu seinem Tora-Kommentar auf die ˙ rabbinische Überlieferung in bMen 29b und ergänzt diese durch eine (heute unbekannte) Midrash-Überlieferung aus dem Midrash Shir ha-Shirim, wonach der judäische König Hiskia den Sefer Tagin verwahrt habe. R. Moshe ben Maimon (‚Rambam‘/Maimonides; 1135–1204) zählte die tagin auf den Textabschnitten für Tefillin und Mesusa, verweist allerdings darauf, dass eine Abweichung vom üblichen Standard die Ritualobjekte nicht unbrauchbar (pasul) werden lasse (vgl. Maimonides, Mishne Tora, Hilkhot Tefillin, u-Mezuza we-Sefer Tora II,9); vgl. Liss, Pentateuch (Anm. 17), 297–330. 51 Zum Ganzen vgl. zuletzt ausführlich Liss, Pentateuch (Anm. 17), bes. 315–317, 322–326.

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Schriftbild in seiner Ikonizität dazu, den Text nicht vollständig decodierbar und darin auch nicht übersetzbar sein zu lassen, denn die tagin transportieren keine selbst-evidente Semantik. Nicht zufällig ist es daher, dass solche Handschriften gerade in einer Zeit aufkommen, in denen die christliche Kirche sich zunehmend bedrängender den Zugang zu den hebräischen Schriften verschaffte. Die rabbinische und die mittelalterliche Heilige Schrift war also vor allem eine Heilige Schrift, der aber von Anfang eine mündliche Tora an die Seite gestellt wurde. Man könnte sogar soweit gehen, zu sagen, dass die Hebräische Bibel im rabbinischen Judentum eigentlich erst durch die Aneignung (in ihrer ausschließlich hebräischen Form!) zu einem heiligen Text wird.52 Der Inhalt oder hier wohl besser: die Unendlichkeit der möglichen Inhalte liegen nicht hinter dem Text, sondern am oder im Text, und hier auch am Rhythmus, am Klang und an der rituellen Rezitation, die die Offenbarung fassbar und präsent sein lassen. Hier stellt sich dann die Frage, was eigentlich übersetzt werden soll und kann. Heute wird oft der Anschein erweckt, als ob dies immer schon ausgemacht sei, weil moderne Äquivalenz-Theorien oftmals eine Reduktion auf die semantische Qualität der sprach- und textverarbeitenden Umformung vornehmen. Dies ist jedoch für das Verständnis der Heiligen Texte, wie sie das Judentum formulierte, zu wenig. Wie die russischen Formalisten schon früh bemerkt hatten, dass die Konzentration auf Inhalte und Motive für die Frage, was denn eigentlich für die Literarizität von Texten essentiell sei, nur eingeschränkt weiter führte,53 so insistieren die Rabbinen darauf, dass die Offenbarungsqualität der Heiligen Schrift ohne ihre sprachliche Form (und darin auch in Klang und Bild), aber auch ohne die Auslegungstradition der mündlichen Tora nur unvollständig erkannt werden könne. Dies bedeutet aber, dass eine Übersetzung all diese semiotisch relevanten Entitäten und Metatexte mit transportieren müsste: kein leichtes bis eigentlich unmögliches Unterfangen. Auch deshalb tat man sich im deutsch-jüdischen Sprachraum mit Bibelübersetzungen immer etwas schwer:54 1838 erschien eine Übersetzung von Leopold Zunz,55 die den Bibeltext auf der Basis der neuesten historisch-philologischen Forschung darzubieten suchte, oftmals dabei aber sogar mit der Septuaginta zu52 Vgl. auch LevRab XI, VII 3: „[…] gibt es keine Kleinen, so gibt es auch keine Schüler, gibt es keine Schüler, so gibt es auch keine Weisen, gibt es keine Weisen, so gibt es auch keine Tora […].“ 53 Zur Anwendung moderner Literaturkritik auf antike Texte vgl. Thomas Schmitz: Moderne Literaturtheorie und antike Texte: Eine Einführung, Darmstadt 2006. 54 Zum Ganzen vgl. Hans-Joachim Bechtoldt: Jüdische deutsche Bibelübersetzungen. Vom ausgehenden 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2005; Dafna Mach: Jüdische Bibelübersetzungen ins Deutsche, in: Juden in der deutschen Literatur. Ein deutsch-israelisches Symposion, hg. von Stephane Moses/Albrecht Schöne, Frankfurt am Main 1986, 54–63. 55 Leopold Zunz: Die vier und zwanzig Bücher der heiligen Schrift. Nach dem masoretischen Texte. Unter der Redaction von Dr. Zunz übersetzt von H. Arnheim, Dr. Julius Fürst, Dr. M. Sachs, Berlin 1838 (Berlin 71935; Neuausg.: Die vierundzwanzig Bücher der Heiligen Schrift. Übersetzt von Leopold Zunz, Basel 1980).

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sammenging. Die durch den dem Reformflügel angehörenden Rabbiner Ludwig Philippson im Jahr 1844 angefertigte Tora-Übersetzung56 stellte sich vor allem gegen die bis dahin auch bei den deutschen Juden genutzte Lutherbibel auf, weil diese, so Philippson, dem „Charakter der Bibel“ nicht entsprach. Philippson bezog dies weniger auf ihren religiös-halachischen, sondern vielmehr auf ihren literarisch-poetischen Gehalt. Dieser sollte den deutschen Zeitgenossen wieder nahegebracht werden.57 Die jüdische Orthodoxie wiederum lehnte Philippsons Übersetzung vor allem deswegen ab, weil er an manchen Stellen mit dem biblischen Wortlaut, aber gegen die traditionelle Auslegung übersetzt hatte, und man doch irgendwie auf der Einheit der schriftlichen und mündlichen Lehre bestand. Gegen diese Einheit von Schrift und Tradition und in sehr einseitiger Betonung auf Klang und „Wort-Laut“ hat Martin Buber als Zielvorgabe seiner sog. Verdeutschung der Schrift das „Aufgraben des hebräischen Gehalts des einzelnen Wortes“58 gefordert, um den Leser zur „althebräischen Sinnlichkeit“ zurückzuführen. Um dies zu erreichen, „muß der Dolmetsch aus dem hebräischen Buchstaben wirkliche Lautgestalt empfangen; er muß die Geschriebenheit der Schrift in ihrem Großteil als die Schallplatte ihrer Gesprochenheit erfahren […] – als die eigentliche Wirklichkeit der Bibel“.59 Da sich aber das Heilige und in seiner Folge das Normative der Schrift nicht aus einer dem Text inhärenten Heiligkeit, sondern einzig durch den (synagogalen) Rezeptionsraum in liturgischer Performanz einerseits und der Auslegung andererseits konstituiert, haben Buber-Rosenzweig mit ihrem Oralitäts-Anspruch den jüdischen Rezeptionsraum konsequent zugunsten einer subjektiven Einmaligkeit zurückgewiesen. Bubers Verdeutschung ist daher auch keine Übersetzung im Sinne des targum, sondern eine Ersetzung des hebräischen Textes im Sinne der Septuaginta. Die „Übertragung [vertritt] das Original“.60 Ich habe an anderen Stellen dargelegt, dass dieser Anspruch der Rückkehr zur „sinnlichen Urbedeutung“ zeigt, dass gerade die im 56 Ludwig Philippson: Die Israelitische Bibel. Ersther Theil: Die fünf Bücher Moscheh, Leipzig 1844; ders.: Zweiter Theil: Die ersten Propheten/Die späteren Propheten, Leipzig 1841; ders.: Dritter Theil: Die heiligen Schriften, Leipzig 1854; vgl. dazu auch die rev. Übers. der Tora: Die Tora. Die Fünf Bücher Mose und die Prophetenlesungen (hebräisch-deutsch) in der revidierten Übersetzung von Rabbiner Ludwig Philippson, hg. von Walter Homolka/Hanna Liss/Rüdiger Liwak, unter Mitarbeit v. Susanne Gräbner/Daniel Vorpahl, Freiburg/Basel 2015. 57 Vgl. Andrea Schatz: „Nicht gegen die Tradition.“ Die Entstehung einer Pentateuch-Übersetzung aus dem Streit zwischen Orthodoxie und Reform, in: Frankfurter Judaistische Beiträge 22 (1995), 77–103; Klaus Herrmann: Translating Cultures and Texts in Reform Judaism: The Philippson Bible, in: Jewish Studies Quarterly 14 (2007), 164–197. 58 Martin Buber: Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift (erschienen zuerst als Beilage zu dem Werk Die fünf Bücher der Weisung, Bd 1, verdeutscht von Martin Buber in Gemeinschaft mit Franz Rosenzweig, Köln/Olten 1954, 3–44; wieder abgedruckt in der 10. verb. Aufl. der neubearb. Ausgabe von 1954, Gerlingen 1976 [Stuttgart 1992]), 3–44, hier: 43. 59 Martin Buber/Franz Rosenzweig (Hgg.): Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin 1936, 135. 60 Buber, Verdeutschung (Anm. 58), 12.

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nicht-jüdischen deutschen Sprachraum als so „jüdisch“ geltende Buber-Rosenzweig’sche Bibel-Übersetzung die jüdische Tradition eigentlich schon vollends abgestreift hat.61

5 Fazit Insbesondere das auch für das heutige Judentum in vielem noch immer prägende rabbinisch-mittelalterliche Schriftverständnis (im Gegensatz zum jüdisch-hellenistischen) betrachtet das Thema Übersetzung explizit oder implizit skeptisch: Deshalb, weil bei einer rein semantischen Transformation wichtige Dimensionen der Heiligen Schrift nicht mit transportiert werden würden, und weil sich der Text gleichzeitig mit einer Verschriftung in eine andere Sprache der rabbinischen Kontrolle zu entziehen drohte. Daher beharrten die Rabbinen auf der Lesung der schriftlichen Tora einerseits und der rabbinischen Auslegung des Textes als mündliche Tora andererseits. Heute ist ein zur Tora-Lesung parallel laufender Targum-Vortrag nicht mehr üblich, was schlussendlich aber dazu führte, dass die heutigen Gemeinden auch der hebräischen Rezitation kaum mehr Beachtung schenken, „weil man ja nichts versteht“. Hätte man den aramäischen Targum durch einen dem jeweiligen Land entsprechenden muttersprachlichen ersetzt, und diesem einen festen Platz im synagogalen Ritual zugewiesen, wäre schlussendlich sowohl der Heiligen Schrift und ihrer Lesung (Schriftbild/Klang) als auch ihrem Verständnis (Wort) als deren Auslegung am besten Genüge getan – und damit der Aneignung durch die Zuhörenden.62

61 Zur Kritik vor allem an Bubers Verständnis von Bibelübersetzung vgl. Hanna Liss: Entkontextualisierung als Programm: Die Bedeutung des göttlichen Namens bei Franz Rosenzweig und die pronominale „Er-Setzung“ des Tetragramms, in: Jewish Studies Between the Disciplines. Judaistik zwischen den Disziplinen. Papers in Honor of Peter Schäfer on the Occasion of bis 60th Birthday, hg. von Klaus Herrmann/Margarete Schlüter/Guiseppe Veltri, Leiden/Boston 2003, 373–404; dies.: Keine Heilige Schrift? Anfragen an Martin Bubers Prinzip der Oralität, in: 50 Jahre Martin Buber Bibel. Internationales Symposium der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Martin-Buber-Gesellschaft, hg. von Daniel Krochmalnik/Hans-Joachim Werner, Berlin 2014a, 215–230; Dafna Mach: Franz Rosenzweig als Übersetzer jüdischer Texte. Seine Auseinandersetzung mit Gershom Scholem, in: Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886–1926). Internationaler Kongreß – Kassel 1986, Bd. I: Die Herausforderung jüdischen Lernens, hg. von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Freiburg/München 1988, 251–271; dies.: Moses Mendelssohn und Franz Rosenzweig als Übersetzer der Tora, in: Bulletin des Leo-Baeck-Instituts 79 (1988), 19–32. 62 Ich danke Jonas Leipziger für die umsichtige Durchsicht und Bearbeitung dieses Manuskriptes.

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Übersetzungstabus als Indikatoren normativer Grenzen in der Geschichte der christlichen Bibelübersetzung Martin Leutzsch Übersetzung ist in vielfacher Hinsicht Grenzüberschreitung.1 Übersetzungstabus sind Grenzziehungen. Übersetzungsskandale konstruieren illegitime Grenzüberschreitungen. Die Tabus (und die Skandale), die zur Geschichte der christlichen Bibelübersetzung gehören, sind Indizien für normative Grenzen. Diese normativen Grenzen, ihre geschichtlichen Erscheinungsformen, die an Grenzziehung und als illegitim deklarierter Grenzüberschreitung beteiligten AkteurInnen und Instanzen sowie der kulturelle Wandel dieser Normen und Grenzen sind Thema dieses Beitrags, und zwar soweit sie an Bibelübersetzungstabus erkennbar sind. Bevor ich die der Analyse zugrunde liegenden Kategorien definiere (Abschnitt 3) und dann Tabus vorstelle (Abschnitt 4), schicke ich einige Thesen zu Eigenart und Funktion christlicher Bibelübersetzung voraus (Abschnitt 2). Noch davor einige Bemerkungen zu den Konzepten „Popularisierung“ und „normative Grenzen“ (Abschnitt 1).

1 Vorbemerkungen 1.1 Popularisierung Bibelübersetzungen sind in vielen Fällen Popularisierungen von Bibel. Auf Bibelübersetzung bezogene Restriktionen fungieren als Restriktionen von Bibelpopularisierung.2 1 Vgl. David Jasper (Hg.): Translating Religious Texts. Translation, Transgression and Interpretation, New York 1993, sowie Jekatherina Lebedewa: „Niemandsland“ als poetische Grenzmetapher und übersetzerische Grenzüberschreitung, in: Kulturelle Grenzgänge. Festschrift für Christa Ebert zum 65. Geburtstag, hg. von Agnieszka Brockmann u. a., Berlin 2012, 163–171. – Für Diskussion danke ich herzlich Gabriele Jancke, Katharina Heyden, Christoph Kugelmeier, Hanna Liss, Henrike Manuwald, Stephan Müller, Johanna Pink und Dorothea Salzer. 2 Ich beschränke mich auf solche Bibelübersetzungen, die Popularisierungen darstellen, und gehe nicht auf Bibelübersetzungen ein, die sich – in den Textsorten der Fachliteratur – an ExpertInnen richten (z. B. Bibelübersetzungen in fachexegetischen Kommentaren des 20./21. Jh.s, die niemand beachtet, auch die ExpertInnen nicht) oder nicht für AdressatInnen intendiert sind (etwa weil sie als praxis pietatis von Einzelnen für sich selbst durchgeführt werden – wie

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Popularisierung von Bibel durch Bibelübersetzung kann unter dem Aspekt der Produktion, der Distribution und der Konsumtion untersucht werden. Bei jedem dieser Aspekte können Restriktionen einsetzen: Ȥ im Fall der Produktion durch Auftraggeber, Übersetzer, Drucker Ȥ im Fall der Distribution z. B. durch Verleger und Bibelgesellschaften Ȥ im Fall der Konsumtion durch Zugangsverweigerung und Selbstverweigerung Diachron sind Phasen der Popularisierung, Entpopularisierung und Repopularisierung von Bibel durch Bibelübersetzungen zu unterscheiden. Entpopularisierung kann auf RezipientInnenseite das Ergebnis veränderter sprachlicher Ausgangssituation sein (etwa wenn Latein nicht mehr die Sprache aller ist, sondern nur noch die der Liturgie und der Gebildeten3) oder eine Folge von Sprachwandel (etwa vom Frühneuhochdeutschen zum Spätneuhochdeutschen). Unter Distributionsaspekten kann Entpopularisierung durch zu geringe Mengen oder zu teure Anschaffungspreise von Bibelübersetzungsausgaben zustande kommen. Repopularisierung von Bibel kann etwa durch Einführung von Liturgie in der Volkssprache, durch die Produktion und Distribution von Billigbibeln, durch Neuübersetzungen oder durch Revision vorhandener Bibelübersetzungen bewirkt werden. 1.2 Normative Grenzen Unter „normativen Grenzen“ verstehe ich in Übereinstimmung mit der Rechtswissenschaft, die diesen Begriff geprägt hat und bis heute am häufigsten benutzt,4 Grenzen, die durch Normen gesetzt werden (im Unterschied zu faktischen Grenz. B. E. C. Dymonds NT-Übersetzung, die deshalb auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, dazu William E. Paul: English Language Bible Translators, Jefferson/London 2003, 73 f.). Ein Grenzfall sind Bibelübersetzungen, die nicht auf ExpertInnen beschränkt sind, aber auf Grund der gewählten Zielsprache Ungebildete ausschließen – z. B. die zahlreichen Bibelübersetzungen ins Lateinische im 16. Jh., die durchaus auf Experten beschränkte Skandale hervorrufen konnten, wie etwa Erasmus’ NT-Übersetzung, auch wenn Erasmus selbst diese lateinische Übersetzung als „l’instrument idéal de vulgarisation des Ecritures“ (Jean-François Cottier: Les Paraphrases des Èvangiles d’Èrasme: Le latin, instrument de vulgarisation des Ècritures?, in: Tous vos gens a latin. Le latin, langue savante, langue mondaine (XIVe–XVIIe siècles), hg. von Emmanuel Bury, Genève 2005, 331–345, hier: 344) ansah. 3 Insofern ist es eine Ironie, dass die auf Hieronymus zurückgehende Bibelübersetzung ins Lateinische zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Namen Vulgata erhielt (vgl. Edmund F. Sutcliffe: The Name „Vulgate“, in: Biblica 29 [1948], 345–352; A[rthur] Allgeier: Haec vetus et vulgata editio. Neue wort- und begriffsgeschichtliche Beiträge zur Bibel auf dem Tridentinum, in: Biblica 29 [1948], 353–390), als sie zwar international für Lateinkundige verständlich war, aber jenseits dieser Elite keinen Popularisierungseffekt erzielte. 4 Am ausführlichsten beschäftigt sich mit dem Konzept der normativen Grenzen Markus Löffelmann: Die normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren. Ideen zu einer Kritik der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege, Berlin 2008. Die erste monographische Bearbeitung stammt von Heinrich Comes: Der rechtsfreie Raum. Zur Frage der normativen Grenzen des Rechts, Berlin 1976.

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zen,5 die durch tatsächliche Gegebenheiten, vorhandene oder fehlende Ressourcen gesetzt werden).6 Bezogen auf Bibelübersetzung stellt sich die Frage: Wer setzt wem aus welchen Gründen und mit welchem Ziel normative Grenzen?

2 Der Stellenwert des Ausgangstexts der Heiligen Schrift im Christentum Mit Blick auf den Umgang des Judentums und des Islam mit der jeweiligen Heiligen Schrift hebe ich für das Christentum hervor: 1. Im Christentum hat der Ausgangstext der Heiligen Schrift eine marginale Bedeutung. 2. Umso essenzieller ist im Christentum die Bedeutung von Bibelübersetzungen. 3. Der Kanon der christlichen Heiligen Schrift ist eine Variable. 4. Der biblische Ausgangstext, der einer christlichen Bibelübersetzung zugrunde liegt, ist eine Variable. Ich erläutere: (1) Im Christentum hat der Ausgangstext der Heiligen Schrift eine marginale Bedeutung. In der religiösen Sozialisation im Christentum spielt das Erlernen des Hebräischen, Aramäischen und Griechischen aufs Ganze gesehen keine Rolle. Im westlichen Christentum der Neuzeit ist in der höheren Schul- und Universitätsausbildung das Erlernen dieser Sprachen als Qualifikationskriterium und Professionalitätsmerkmal eingeführt worden. Es ist auf das humanistische Gymnasium und die Universität beschränkt geblieben. Über diesen Kreis von FunktionsträgerInnen hinaus wird das Erlernen der biblischen Sprachen nicht erwartet, nicht öffentlich als erwünscht deklariert oder sozial prämiert. Der hebräische, aramäische, griechische Ausgangstext der christlichen Bibel wird im christlichen Gottesdienst nicht verwendet.7 Was für den christlichen Gottesdienst als zentralen sozialen Raum der Popularisierung von übersetzter Bibel gilt, trifft auch für weitere Settings zu: Die Untersuchungen zu Medien und Formen der Popularisierung von Bibel in den Reformationskirchen8 zeigen, dass die Prozessierung von Bibel im Gottesdienst 5 Dabei ist das „Faktische“ ein relationaler Begriff: das Verhältnis zwischen dem (nicht) Vorhandenen und dem darauf bezogenen Bedarf. 6 Bezogen auf Bibelübersetzungen sind faktische Grenzen z. B. vorhandene oder fehlende ÜbersetzerInnen, Beschränktheit der Handschriftenverbreitung, der Auflagenhöhe von Drucken. 7 Mit der Ausnahme des griechischen Neuen Testaments in der byzantinischen und der griechisch-orthodoxen Kirche. 8 Am umfassendsten und detailliertesten ist die Forschung für England: Ian Green: The Christian’s ABC. Catechisms and Catechizing in England c. 1530–1740, Oxford 1996; ders.: Print and Protestantism in Early Modern England, Oxford 2000.

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durch zwei andere Settings unterstützt wurde: die (oft gemeinsame) Bibellektüre im Haushalt und in der Schule. Für Haushalt und Schule gab es Lernprogramme und Medien, die genau die Rezeption der im Gottesdienst verwendeten biblischen Texte unterstützen und verstärken sollten. Über diese gottesdienstbezogene Funktion hinaus konnte Bibellektüre im Haushalt auch eine Eigendynamik entwickeln. In der Schule konnte der von zeitgenössischen Pädagogen z. T. als problematisch empfundene Einsatz von Bibel als Fibel, also als Medium zur Erlangung von Lese- und Schreibfähigkeit, weitere, vom Gottesdienst unabhängige Möglichkeiten der Popularisierung bieten. Auch in diesen zusätzlichen Settings werden immer Bibelübersetzungen verwendet. Auch für die individuelle Frömmigkeitspraxis spielt der hebräische und griechische Ausgangstext der christlichen Bibel keine Rolle.9 Augustinus entwarf in De doctrina christiana ein Bildungsprogramm, das für Schriftausleger die Kenntnis von Hebräisch und Griechisch unabdingbar machte.10 Eine solche programmatische Äußerung ist im lateinischsprachigen Christentum für lange Zeit sehr selten. Um das tatsächliche Gewicht dieser Forderung einzuschätzen, sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: Ȥ Welche Lernmöglichkeiten waren um 400 u. Z. für Lateinsprechende gegeben, Griechisch oder Hebräisch zu lernen? Was das Griechische angeht, waren für männliche Oberschichtjugendliche Roms Studienaufenthalte in Griechenland lange Zeit üblich gewesen, aber um 400 im Abnehmen begriffen. Dann blieb der Privatunterricht zu Hause, durch Engagement eines entsprechenden Lehrers, oft eines Sklaven. Die Griechischkenntnisse im Westen des römischen Reichs waren in dieser Zeit jedenfalls rückläufig.11 Augustinus selbst ist ein Beispiel dafür: Falls er überhaupt über Griechischkenntnisse ver9 Eine Ausnahme: Der reformierte Kaufmann und Diplomat Johann Caspar Escher (1678– 1762), u. a. ab 1740 Bürgermeister von Zürich, berichtet in seiner Autobiographie (dazu Gudrun Piller: Private Körper: Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, Köln/Weimar/ Wien 2007, 291; Analyse eines Aspekts der Autobiographie ebd., 47–72) eingehend über seine Lektüre (zitiert nach Herbert Schöffler: Das literarische Zürich 1700–1750, Frauenfeld/Leipzig 1925, 100): „Ein Menschenalter lang hat stets die Bibel im Vordergrund gestanden: Dreißig Jahre lang hat er sie als einziges Theologisches gelesen, die Epistel ad Romanos ohnzehlich vilmahl auf Griechisch, die Epistlen Pauli im allgemeinen wie überhaupt das Neue Testament; das Alte Testament hat er auch einige mahl durchleßen, griechisch ex versione LXX. Bis 1724 hat er das Neue Testament griechisch alle zwei Monate ausgelesen, seitdem er aber den Rath muß besuchen, geschihet solches regulariter alle drei Monath; und zwar am Morgen, eh er sein Gebet verrichtet. Den Römerbrief kann Herr Caspar Escher griechisch auswendig.“ Escher ließ sich noch in den letzten Lebensjahren bei zunehmenden Sehproblemen (vgl. Piller, ebd., 66–70) aus der griechischen Bibel vorlesen, vgl. David Wyß: Lebensgeschichte Johann Kaspar Eschers, Bürgermeisters der Republik Zürich, Zürich 1790, 312. 10 Vgl. Augustinus, De doctrina christiana II 11,16. 11 Vgl. Georg Jenal: Italia ascetica atque monastica. Das Asketen- und Mönchtum in Italien von den Anfängen bis zur Zeit der Langobarden (ca. 150/250–604), Stuttgart 1995, 48 und Reg. s. v. Griechischkenntnisse.

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fügte, waren sie nicht nennenswert.12 Für Hebräisch musste man wie Origenes oder Hieronymus nach Palästina reisen, sich dort beheimaten und eine dazu bereite jüdische Lehrperson suchen. Das haben sehr wenige getan, zu denen Augustinus selbst nicht gehörte: In den tausend Jahren von Origenes bis Robert von Reading sind kaum ein Dutzend christliche Personen namentlich bekannt, die nachweislich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit (etwas) Hebräisch verstanden. Ȥ Welche Voraussetzungen für die Anwendung dieser Sprachkenntnisse waren gegeben? Nach Augustinus sind die Bibelsprachkenntnisse dazu da, Übersetzungsvarianten der lateinischen Bibelübersetzungen vom hebräischen oder griechischen Text her zu beurteilen, weshalb die Schriftausleger auf entsprechende Handschriften zugreifen können sollten. Solche Handschriften konnte man selbst herstellen (lassen) oder erwerben. In den Klosterbibliotheken des lateinischen Westens finden sich hebräische und griechische Bibelhandschriften über lange Zeit aber nur selten oder gar nicht. Ȥ De doctrina christiana hat mit dem Impuls, für bestimmte religiöse Spezialisten Hebräisch- und Griechischkenntnisse als Qualifikationsbedingung zu implementieren, keinen Erfolg gehabt. Griechischkenntnisse sind in Irland und England schon um 700, auf dem Kontinent seit der karolingischen Renaissance immer wieder belegt, wenngleich sich das in den Bibelkommentaren nur spärlich niederschlägt. In Gelehrtenkreisen populär wird Griechisch erst im Renaissancehumanismus. Griechischkenntnis wird hier zum sozialen Distinktionsmerkmal gegenüber anderen, weniger Gelehrten. Während Griechisch unter den Gelehrten der Renaissance starkes Interesse findet, wird Hebräisch etwas für eine Elite innerhalb einer Bildungselite, die sich dadurch von denen abgrenzen kann, die nur Griechisch (und natürlich Latein) können. Ȥ Als Martin Luther elfhundert Jahre später Augustinus wegen seines Plädoyers für christliche Hebräisch- und Griechischkompetenz lobt,13 haben sich die infrastrukturellen Voraussetzungen völlig gewandelt: Die ersten Universitäten hatten gerade begonnen, Lehrstühle für Griechisch und Hebräisch zu errichten. Es gab seit kurzem griechische und hebräische Bibeltextausgaben (im Druck). Es gab Grammatiken und Wörterbücher; es gab jüdische Gelehrte, die bereit waren, christlichen Gelehrten Privatunterricht in Hebräisch zu erteilen. Es gab in christlichen Gelehrtenkreisen breites intellektuelles Interesse und hohe Bereitschaft, Griechisch und Hebräisch zu lernen. 12

Vgl. Augustinus, Epistula 40,9; auch 28,2, mit Alfons Fürst (Hg.): Augustinus – Hieronymus: Epistulae mutuae/Briefwechsel. Erster Teilband. Übersetzt und eingeleitet, Turnhout 2002, 100, Anm. 7; 134, Anm. 84. Hieronymus warf Augustinus vor, von den griechischen Bibeltextausgaben, über die er sich äußerte, nichts zu verstehen: Hieronymus, Epistula 112,19. 13 Martin Luther, An die Ratsherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und erhalten sollen (1524): Martin Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe, 15. Band, Weimar 1899, 40.

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Ȥ In De doctrina christiana ermutigt Augustinus zum kompetenten Vergleichen lateinischer Bibelübersetzungen mit den Ausgangstexten. Kirchenpolitisch ist Augustinus vehement gegen die Basierung einer lateinischen Übersetzung des Alten Testaments auf dem hebräischen Text. Er attackiert das entsprechende Projekt des Hieronymus (siehe unten 4.2). Ȥ Augustinus’ Plädoyer richtet sich auf bibelsprachliche Kompetenzen von Spezialisten. Ein flächendeckendes Bildungsprogramm für alle Christen beiderlei Geschlechts, das die Muttersprache Deutsch, dann Hebräisch, dann Griechisch und schließlich Latein vorsah, damit alle die Bibel in den Ausgangssprachen lesen könnten (so Wolfgang Ratke 1612),14 ist linguistische Utopie geblieben. (2) Umso wichtiger sind für das Christentum Bibelübersetzungen. Bibelübersetzungen ersetzen hier den Ausgangstext.15 Schon in der Jesusbewegung des ersten Jahrhunderts, soweit sie sich im griechischen Sprachraum bewegte, wird die Septuaginta zur wichtigsten Instanz des Bibelbezugs. Ab dem zweiten Jahrhundert u. Z. werden Texte des griechischen Neuen Testaments in andere Sprachen übersetzt und im kirchlichen Leben verwendet. Zwei Beispiele belegen den hohen Stellenwert von Bibelübersetzung im Gegensatz zum Ausgangstext: a) Das römisch-katholische Konzil von Trient legte 1545 als verbindlichen Bezugstext der Bibel eine Übersetzung fest: die lateinische Vulgata. b) Kirchliche Beauftragung, Kontrolle und Genehmigung von Bibeleditionen bezieht sich auf Bibelübersetzungen, die im Gottesdienst Verwendung finden sollen, nicht auf Editionen des hebräischen, aramäischen und griechischen Ausgangstexts.16 Eine 14 Vgl. Erika Ising (Hg.): Wolfgang Ratkes Schriften zur deutschen Grammatik (1612–1630). Teil I: Abhandlung, Berlin 1959, 103 f.: „Die Theologen werden sich Auch nicht viel zu zancken haben, wan Gotts wort, Allein Auß Gotts wort, vnd nicht Auß menschlichen Opinien, wie Jets die verkehrte welt, den Gottlosen vnd verflüchten gebrauch hat, gelernet wird. Dan wird Alt vnd Jung, Frawen vnd Kinder selber mit Gott Reden, die H. Schrifft Jn Ebraischer vnd Grekischer Sprache Lesen vnd verstehen, so wird niemand liechtlich zu verführen sein. Ja wen nur die Streitschrifften vnd Gloßen vber die Bibel auffgehaben, Alß dan kan die VrAlte Catholische vnd Apostolische Lehre, Rein vnd allein Jm Gantzen Reich vnverfelschet bleiben vnd friedlich erhalten werden. […] bin derhalben erbötig, Allen Liebhabern der wahrheit ohne einigen Respect der Religion zu Jeder Zeit grundlichen vnd mündlichen bericht […] zugeben.“ Zur Interpretation vgl. Uwe Kordes: Wolfgang Ratke (Ratichius, 1571–1635). Gesellschaft, Religiosität und Gelehrsamkeit im frühen 17. Jahrhundert, Heidelberg 1999, 166–176. 15 Im Judentum ergänzt oder unterstützt die Bibelübersetzung oft den Ausgangstext (Targumpraxis, Bibelübersetzung Mendelssohns und anderer im 19. Jahrhundert). Auch zu den von Dorothea Salzer: Zweisprachige jüdische Kinderbibeln oder: Wie die Maskilim die Hebräische Bibel für Kinder übersetzten, in: trans-lation – trans-nation – trans-formation. Übersetzen und jüdische Kulturen, hg. von Petra Ernst u. a., Innsbruck/Wien/Bozen 2012, 65–104, untersuchten zweisprachigen jüdischen Kinderbibeln gibt es kein christliches Pendant. 16 Symptomatisch für den hohen Stellenwert der Bibelübersetzung im Christentum – und für das oft zunächst ohne Fremdauftrag praktizierte Übersetzen – ist die bei Eusebios, Historia ecclesiastica 3,39, zitierte Behauptung des Papias, Matthaios habe die Worte (d. h. Jesu) in hebräischer Sprache zusammengestellt, und jeder habe sie nach seiner jeweiligen Kompetenz

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verbindliche Normierung biblischer Ausgangstexte hat keine christliche Kirche vorgenommen.17 (3) Der Kanon der christlichen Heiligen Schrift ist eine Variable. Das hängt damit zusammen, dass sich der Kanon von seinen Anfängen an durch unterschiedlichen Gebrauch in unterschiedlichen Christentümern entwickelte. Die heute existierenden christlichen Konfessionen teilen eine Schnittmenge alt- und neutestamentlicher Bücher, ziehen aber die Grenzen des für sie gültigen Kanons je für sich. In vielen christlichen Konfessionen ist der jeweilige Bibelkanon bis heute nicht durch eine oberste kirchliche Entscheidungsinstanz exakt definiert. Dass die römisch-katholische Kirche den für sie gültigen Kanon in einem Konzil explizit festgelegt hat (Trient 1545; die Entscheidung von Florenz 1442 blieb weitgehend unbeachtet18), ist im konfessionellen Vergleich die Ausnahme. Bei näherem Hinsehen variieren Umfang und Struktur des jeweils faktisch gültigen Bibelkanons auch innerhalb einzelner christlicher Konfessionen, wie sich etwa am Umgang mit den sogenannten deuterokanonischen/apokryphen Büchern erkennen lässt.19 Die Variabilität des Kanons zeigt sich auch darin, dass ein großer Teil der Bibelübersetzungen, nicht nur im Zug der Weltmission seit dem 19. Jahrhundert, die Übersetzung des (für die Übersetzenden jeweils gültigen) kompletten biblischen Kanons nicht erreicht und oft auch nicht angestrebt hat. (4) Der biblische Ausgangstext, der einer christlichen Bibelübersetzung zugrunde liegt, ist eine Variable. Für die Kontrolle der Übereinstimmung zwischen Textvorlage und Reproduktion hat das Judentum Verfahren der Sicherung und Standardisierung des Bibeltexts eingerichtet: durch die SchreiberInnen selbst, durch hinzuzuziehende Experten und durch öffentliches Vorlesen seitens des Auditoriums.20 Auch der Islam kennt und praktiziert für den Qur᾽an Vorschriften der übersetzt. Ob es ein solches hebräisches (oder aramäisches) Matthäusevangelium gegeben hat, ist fraglich (und bei Zugrundelegung der Zweiquellenhypothese unwahrscheinlich); falls doch, wäre es nicht erhalten. Vgl. auch die Bemerkung des Augustinus, De doctrina christiana II 11,16.36, über die Übersetzungen der griechischen Bibel ins Lateinische. 17 Die vom römisch-katholischen Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen und den United Bible Societies erstellten „Guidelines for Interconfessional Cooperation in Translating the Bible“ (ich beziehe mich auf deren revidierte Fassung von 1987) geben im Blick auf den Ausgangstext Empfehlungen, nehmen aber keine definitive Festlegung vor, vgl. Siegfried Meurer (Hg.): The Apocrypha in Ecumenical Perspective. The place of the late writings of the Old Testament among the biblical writings and their significance in the eastern and western church traditions, Reading/New York 1991, 209. 18 Vgl. Peter Brandt: Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel, Berlin/Wien 2001, 306–308. 19 Vgl. für das Luthertum Martin Leutzsch: Die Transformationen des lutherischen Kanons und der Lutherbibel, in: Formen des Kanons. Studien zu Ausprägungen des biblischen Kanons von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, hg. von Thomas Hieke, Stuttgart 2013, 61–103. 20 Zur Textsicherung im Judentum vgl. B. Barry Levy: Fixing God’s Torah. The Accuracy of the Hebrew Bible Text in Jewish Law, Oxford 2001. In der samaritanischen Gemeinschaft be-

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Textsicherung.21 Im Christentum gibt es analoge Verfahren nicht, und deshalb gibt es hier ein hohes Maß von Variation in der handschriftlichen und gedruckten Textüberlieferung der Bibel und der Bibelübersetzungen. Im Blick auf das Neue Testament zeigt sich das bis heute in der ständigen Revision vorhandener (kritischer) Textausgaben. Instanzen und Praktiken der Textsicherung fehlen auch bei der Überlieferung der den Ausgangstext ersetzenden Bibelübersetzungen, sowohl in den Handschriften als auch im Buchdruck.22

3 Normative Grenzen bei christlichen Bibelübersetzungen Für die Rekonstruktion und Analyse normativer Grenzen bei christlichen Bibelübersetzungen gibt es verschiedene Quellenbereiche: explizite Äußerungen der Übersetzenden selbst; Richtlinien und Vorgaben grundsätzlicher Art von Seiten kirchlicher Autoritäten; Maßnahmen von Bibelgesellschaften, die die Herstellung und Verbreitung von Bibelübersetzungen betreffen; wissenschaftliche Empfehlungen und Stellungnahmen; Äußerungen von NutzerInnen von Bibelübersetzungen. Für die Untersuchung von Übersetzungstabus können alle diese Quellenbereiche relevant sein.

4 Tabus in der Bibelübersetzung Den unterschiedlich verwendeten Begriff Tabu23 verstehe ich hier im Sinn von Verbot (inklusive Selbstverbot). Durch das Fremd- oder Selbstverbot unterscheidet sich das Tabu von Praktiken wie Ignorieren, Ausblenden, Marginalisieren, Reduzieren oder Elementarisieren, für die Verbote nicht konstitutiv sind. schränkt sich die Textsicherung im Wesentlichen auf die Kontrolle des verlesenen Texts durch die anwesende Gemeinde (freundlicher Hinweis von Reinhard Pummer). 21 Vgl. Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010, 263–267. 22 Standardisierungsversuche wie die spätantike Normierung des Septuagintatexts, die Normierungen des Vulgatatexts unter Karl dem Großen und im Zug der mittelalterlichen Universitätsgründungen oder der Normierungsversuch von Luthers Bibelübersetzung durch August von Sachsen 1583 waren nur in engen zeitlichen und regionalen Grenzen erfolgreich. 23 Das Wort Tabu wurde durch James Cook aus Polynesien nach Europa transferiert, vgl. James Cook: Journal of Captain Cook’s Last Voyage to the Pacific Ocean on Discovery, Performed in the Years 1776, 1777, 1778, 1779, London 1781, 146; ders.: A Voyage to the Pacific Ocean: Undertaken, by the Command of His Majesty, for Making Discoveries in the Northern Hemisphere, to Determine the Position and Extent of the West Side of North America, Its Distance from Asia, and the Practicability of a Northern Passage to Europe: Performed Under the Direction of Captains Cook, Clerke, and Gore, in His Majesty’s Ships the Resolution and Discovery, in the Years 1776, 1777, 1778, 1779, and 1780, Band 2, London 1784, 40; Band 3, London 1784, 163. Für die Geschichte und Kritik der europäischen Karrieren des Tabubegriffs ist Franz Baermann Steiners posthum 1956

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Wie lassen sich Bibelübersetzungstabus ordnen? Ein Differenzierungskriterium könnte der Status der Übersetzung sein: Handelt es sich um eine Erstübersetzung? Betrifft das Tabu eine Neuübersetzung, die als Alternative zu einer bereits vorhandenen Übersetzung in derselben Zielsprache intendiert ist oder als solche wahrgenommen wird? Wird das Tabu im Zusammenhang der Neujustierung von problematisch gewordenen Aspekten einer hegemonialen Übersetzung gesetzt? Ein anderes Differenzierungskriterium könnte der Status der TabusetzerInnen sein: die Übersetzenden selbst; deren individuelle oder kollektive Auftraggeber; kirchliche und staatliche Normierungsinstanzen; Fachleute als Kritiker oder Begutachter eines Bibelübersetzungsprojekts; die AdressatInnen der Übersetzung. Ein weiteres Kriterium könnte der Effekt der Tabusetzung sein: Wie wirkungsvoll oder wirkungslos war die Tabusetzung? Welche Auswirkungen hatte das Tabu auf die Beteiligten – von den Übersetzenden über die ProduzentInnen (Verleger, Drucker) bis hin zu den KäuferInnen und NutzerInnen der Übersetzung? Die folgende, nicht auf Vollständigkeit angelegte Liste von Bibelübersetzungstabus soll ein insgesamt unerforschtes Phänomen exemplarisch sichtbar machen. Die einzelnen Beispiele sind in je spezifischen, komplexen Kontexten situiert, zu denen neben den eben genannten Aspekten oft noch weitere relevante Sachverhalte gehören. Statt einer Systematik zu folgen, arrangiere ich die Tabus in der zeitlichen Reihenfolge ihres Auftretens. Dabei versuche ich, die Intentionen der jeweiligen Tabusetzung zu rekonstruieren und die dabei eingesetzten rhetorischen Strategien und Topoi zu benennen. 4.1 Einzelne biblische Bücher dürfen nicht in die Volkssprache übersetzt werden Die Bibelübersetzung des gotischen Bischofs Ulfila (gest. um 382/83) ist fragmentarisch erhalten.24 Ausgangstexte waren die Septuaginta und das griechische Neue Testament. Ein Übersetzungstabu wird in einer einzigen Quelle erwähnt, der fragmentarisch überlieferten, nach 425 u. Z., also mehr als vierzig Jahre nach erschienene Studie zentral (Franz Baermann Steiner: Taboo, in: ders., Selected Writings I: Taboo, Truth, and Religion, New York/Oxford 1999, 101–219). – Zielsprachlich wird das Wort tabu in Bibelübersetzungen in ozeanische Sprachen verwendet, vgl. den Hinweis von Steiner, ebd., 119, und z. B. Gen 2,3; Ex 20,11 in der wesleyanischen Bibelübersetzung ins Tongaische von 1862 (Koe tohi Tabu Katoa aia oku i ai ae tohi Tabu Motua, bea moe tohi oe Fuakava Foou. Koe hiki ki he lea Fakatoga e he kau faifekau, Lonitoni 1862; dazu T. H. Darlow/H. F. Moule: Historical Catalogue of the Printed Editions of Holy Scripture in the Library of The British and Foreign Bible Society. Vol. I und II 1–3, London 1903–1911, 1611 no. 9311). 24 Standardausgabe: Wilhelm Streitberg (Hg.): Die Gotische Bibel 1: Der gotische Text und seine griechische Vorlage. Mit Einleitung, Lesarten und Quellennachweisen sowie den kleineren Denkmälern als Anhang, 7. Aufl., Heidelberg 2000. Von der AT-Übersetzung ist nur Neh 5,13– 7,45 fragmentarisch erhalten. Zu Ulfila zuletzt Eike Faber: Von Ulfila bis Rekkared. Die Goten und ihr Christentum, Stuttgart 2014, 69–104.

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Ulfilas Tod, verfassten Kirchengeschichte des Philostorgios (um 368–nach 433).25 Urphilas (so die Namensform bei Philostorgios) „war der Erfinder eines Zielsprachenalphabets (grammatōn … oikeiōn) für sie (sc. die Geten, Gotthen) und übersetzte in ihre Sprache sämtliche (sc. heiligen) Schriften, ausgenommen die (sc. Bücher der) Königtümer (tōn basileiōn), die ja Beschreibung von Kriegen beinhalten, während das (sc. gotische) Volk kriegliebend (philopolemou) war und mehr eines Zügels (chalinou) für den Drang (hormēs) zu Kampfhandlungen bedurfte, aber nicht der diesbezüglichen Stimulanz (paroxynontos). Dieses Unternehmen hat große Wirkung: sie (sc. die heiligen Schriften in Urphilas’ Übersetzung) gelten als sehr verehrungswürdig und erziehen (katarhythmizonta) die Glaubenden zur Verehrung des Göttlichen.“26

Der Bibelübersetzer – gegenüber den AdressatInnen zugleich in der höchsten kirchlichen Autoritätsposition – gibt sich hier selbst das Verbot, 1Sam–2Kön zu übersetzen. Durch den Übersetzungsverzicht soll ausgeschlossen werden, dass die Lektüre dieser biblischen Bücher eine als problematisch erachtete Disposition der Zielgruppe ungünstig verstärkt. Philostorgios scheint vorauszusetzen, dass die Kriegsbereitschaft der Goten (philopolemos) ein ethnisches Autostereotyp des Gotenbischofs sei. Begründet wird das Tabu mit der Rhetorik der Affektkontrolle – einem vor allem auf Männer bezogenen antiken Sozialisationsideal27, das in Politik, Philosophie und Pädagogik gleichermaßen anerkannt war und hier auf ein Kollektiv bezogen wird. Die Metaphorik des Reitzügels stand dafür abrufbar bereit.28 Die diesem Bibelübersetzungstabu zugrunde liegende Hypothese, dass die Konsumtion medial vermittelter Gewaltdarstellungen bei den RezipientInnen Gewaltbereitschaft wecke oder erhöhe, hat in der Gegenwart zu einer breiten publizistischen, pädagogischen, psychologischen, medienwissenschaftlichen, politologischen und juristischen Kontroverse über die Auswirkungen fiktionaler Gewalt in Filmen, im Fernsehen und in Computerspielen geführt.29 Im Blick auf 25 Philostorgios’ Werk ist nach 425 verfasst; eine Abfassung vor 433 ist nicht zwingend, vgl. Bruno Bleckmann/Markus Stein (Hgg.): Philostorgios: Kirchengeschichte. Band 1: Einleitung, Text und Übersetzung, Paderborn 2015, 41–44. 26 Philostorgios, Historia ecclesiastica 2,5 (meine Übersetzung). Manche Fragen, die für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung wären, bleiben offen: Hat Ulfila – immer unter der Voraussetzung, dass Philostorgios’ Angaben zutreffen – das Übersetzungstabu gegenüber der Zielgruppe und/oder anderen publik gemacht oder geheim gehalten? Wurde das Tabu von anderen kolportiert? Wie gelangte die Information an Philostorgios, der sie als Nichtgote vermutlich nicht überprüfen konnte? Weshalb wurde das Tabu nicht auf andere biblische Bücher, in denen Schilderungen von Kriegshandlungen dominieren (Jos, Ri, 1/2Makk), ausgedehnt? – Zweifel an der Zuverlässigkeit von Philostorgios’ Darstellung äußert Roland H. Worth, Jr.: Shapers of Early Christianity: 52 Biographies, A. D. 100–400, Jefferson/London 2007, 85. 27 Vgl. nur William V. Harris: Restraining Rage: The Ideology of Anger Control in Classical Antiquity, Cambridge, MA/London 2001. 28 Zur breiten Tradition der Zügelungsmetaphorik (auch biblisch: Jak 3,3) vgl. Martin Dibelius/Heinrich Greeven: Der Brief des Jakobus, 5. Aufl., Göttingen 1964, 227–232. Auch katarhythmizein am Ende der zitierten Passage gehört zur Sprache der Pädagogik. 29 Empirische Untersuchungen stellen eine Vielzahl verschiedener Rezeptionsformen und

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die Bibel begegnet diese Hypothese in der gegenwärtigen Christentumskritik des säkularen Humanismus, indem die Gewalt in der Geschichte des Christentums auf die Bibel zurückgeführt oder die Bibel als „zutiefst gewalttätig-inhumanes Buch“ bezeichnet wird.30 Ohne dass die Kritiker dies thematisieren, sind hier faktisch Bibelübersetzungen im Blick. Die Hypothese, dass gewaltthematisierende biblische Texte gewalttätige Wirkungen bei den Rezipierenden hervorrufen können, wird auch in christlichen bibelwissenschaftlichen Studien vorausgesetzt und diskutiert.31 Ähnliche Reflexionen und Hermeneutiken gibt es im Judentum.32 In der gegenwärtigen Islamkritik wird eine vergleichbare Hypothese auf den Qur᾽an bezogen, und auch hier arbeiten die Kritiker ganz überwiegend mit Qur᾽anübersetzungen.33 Was die Wirkung von Ulfilas Bibelübersetzungstabu auf ihre Zielgruppe angeht, wird in der Forschung oft behauptet, die Nichtübersetzung der Königsbücher habe zu einer einschneidenden Verhaltensänderung geführt: der Abstinenz vom Kriegführen.34 Dafür wird eine Bemerkung aus dem bis 551 reichenden Werk De origine et actibus Getarum des Iordanes zitiert: Die Gothi minores, deren Bischof einst Vulfila (so die Namensform bei Iordanes) gewesen war, seien möglicher Auswirkungen der Rezeption gewaltthematisierender Medien heraus; vgl. die Forschungsberichte Michael Kunczik/Astrid Zipfel: Medien und Gewalt. Befunde der Forschung seit 1998, Berlin 2004; dies.: Medien und Gewalt. Befunde der Forschung 2004–2009, Berlin 2010. 30 Vgl. etwa Joachim Kahl: Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott, Reinbek 1968, 16–68; Rudolf Krämer-Badoni: Judenmord, Frauenmord, Heilige Kirche, Frankfurt 1992 (zuerst München 1988); auch die Rückbezüge auf dieses Buch in ders.: Leben, lieben, sterben ohne Gott, München 1989. Das Zitat stammt aus Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann, Hamburg 1992, 21 (dort mit Fragezeichen, das im Verlauf der Ausführungen [ebd., 21–203] zum Ausrufezeichen wird). 31 Impliziert ist die Hypothese, wenn von einem biblischen „Erbe der Gewalt“ (Jürgen Ebach: Das Erbe der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980) oder von „Legacies of Biblical and Post Biblical Vocabularies of Violence“ (Jonneke Bekkenkamp/Yvonne Sherwood [Hgg.]: Sanctified Aggression: Legacies of Biblical and Post Biblical Vocabularies of Violence, London/New York 2003) die Rede ist. Differenzierte exegetische Analysen bieten auch Susan Niditch: War in the Hebrew Bible. A Study in the Ethics of Violence, New York/ Oxford 1993; Shelly Matthews/E. Leigh Gibson (Hgg.): Violence in the New Testament, New York/ London 2005; vgl. weiter Jack Nelson-Pallmeyer: Is Religion Killing Us? Violence in the Bible and the Quran, New York/London 2003. 32 Etwa im Blick auf den Umgang mit Dtn 25,17–19; vgl. Louis H. Feldman: „Remember Amalek!“ Vengeance, Zealotry, and Group Destruction in the Bible According to Philo, PseudoPhilo, and Josephus, Cincinnati 2004; Elisa Klapheck: So bin ich Rabbinerin geworden. Jüdische Herausforderungen hier und jetzt, Freiburg/Basel/Wien 2005, 111–133. 33 Seitens islamischer Theologie entsteht derzeit an der Universität Paderborn eine Dissertation von Hamideh Mohagheghi (Arbeitstitel: Theologie der Gewalt – exegetische Verhältnisbestimmung zwischen Gewalt und Qur᾽an). 34 Etwa von Piergiuseppe Scardigli: Die Goten. Sprache und Kultur, München 1973, 127; Bruno Bleckmann/Markus Stein (Hgg.): Philostorgios: Kirchengeschichte. Band 2: Kommentar, Paderborn 2015, 119 f.; vgl. auch D[ennis] H[oward] Green: Language and History in the Early Germanic World, Cambridge 1998, 370.

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ein unkriegerisches (inbellis) Volk.35 Der Rückschluss, die Kriegsabstinenz der Gothi minores sei Ergebnis der vorenthaltenen Lektüremöglichkeit der Königsbücher, ist nicht nur wegen seiner Monokausalität unplausibel. Die Nichtlektüre der Königsbücher ist kein neuer, situationsverändernder Faktor: Obwohl die Goten auch vor Ulfilas Bibelübersetzung die Königsbücher nicht gelesen hatten, waren sie (laut Urphilas/Philostorgios) kriegliebend. Wenn nur die Königsbücher von der Übersetzung ausgenommen wurden, müsste – folgte man der Logik dieser Hypothese – die dadurch erhoffte Wirkung durch die Präsenz und Dominanz von Kriegsthematik in Büchern wie Jos, Ri, 1/2Makk wieder neutralisiert worden sein. Auch ist über die religiöse Sozialisation der christlich gewordenen Goten nichts bekannt, was es erlaubte, Eigenart, Stellenwert, Intensität, Umfang, affektive und pragmatische Lerneffekte, Nachhaltigkeit der Vermittlung und Rezeption der gotischen Bibelübersetzung als einer religiösen Sozialisationsinstanz in den ersten zweihundert Jahren nach ihrer Erstellung einzuschätzen. Iordanes stellt die Kriegsabstinenz der Gothi minores nicht in den Horizont religiöser Sozialisationswirkungen, sondern in einen ökonomischen Kontext: große Bevölkerung, Beschränkung auf Viehwirtschaft, Ernährungsmöglichkeiten unter dem üblichen Standard. 4.2 Die traditionelle Ausgangstextgrundlage darf nicht verändert werden Unter den Einwänden, mit denen der Bischof Augustinus den Presbyter Hieronymus um 400 von der Arbeit an seiner Bibelübersetzung demotivieren will,36 findet sich auch der, man dürfe nicht zugunsten des hebräischen Texts von der in der Christenheit allgemein anerkannten Septuaginta abweichen.37 Rhetorisch arbeitet Augustinus dabei in zweierlei Hinsicht mit dem Argument des consensus omnium.38 Die Rezeption von Hieronymus’ Bibelübersetzung in den lateinischen 35 Vgl. Iordanes, Getica 51, 267 (Theodorus Mommsen [Hg.]: Iordanis Romana et Getica, Berolini 1882, 127): erant si quidem et alii Gothi, qui dicuntur minores, populus inmensus, cum suo pontifice ipsoque primate Vulfila, qui eis dicitur et litteras instituisse. hodieque sunt in Moesia regionem incolentes Nicopolitanam ad pedes Emimonti gens multa, sed paupera et inbellis nihilque habundans nisi armenta diversi generis pecorum et pascua silvaque lignarum; parum tritici citerarumque specierum terras fecundas. vineas vero nec, si sunt alibi, certi eorum cognoscent ex vicina loca sibi vinum negotiantes: nam lacte aluntur plerique. 36 Vgl. Johannes Leipoldt/Siegfried Morenz: Heilige Schriften. Betrachtungen zur Religionsgeschichte der antiken Mittelmeerwelt, Leipzig 1953, 77 f.; G[eorges] Jouassard: Réflexions sur la position de saint Augustin relativement aux Septante dans sa discussion avec saint Jérome, in: Revue des Études Augustiniennes 2 (1956), 93–99; Heinrich Marti: Übersetzer der Augustin-Zeit. Interpretation von Selbstzeugnissen, München 1974, 131–136; Alfons Fürst: Veritas Latina. Augustins Haltung gegenüber Hieronymus’ Bibelübersetzungen, in: Revue des Études Augustiniennes 40 (1994), 105–126; Fürst, Augustinus – Hieronymus (Anm. 12), 51–60. 37 Zur antiken innerkirchlichen Verteidigung der Septuaginta vgl. Mogens Müller: Graeca sive hebraica veritas? The Defence of the Septuagint in the Early Church, in: Scandinavian Journal of the Old Testament 1 (1989), 103–124. 38 Forschungsliteratur und Hinweise zum consensus omnium in der Antike in Martin

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Gemeinden würde zu einem Dissens mit den griechischen Gemeinden führen (dissonabunt), weil die Septuaginta nicht mehr der gemeinsame Ausgangstext wäre.39 Zudem schreibt Augustinus der Übersetzungskompetenz der miteinander übereinstimmenden (concordia) siebzig Übersetzer eine höhere Autorität zu als der eines Einzelnen.40 Ein flankierendes Argument bezieht sich auf die Überprüfbarkeit der Bibelübersetzung: Eine lateinische Übersetzung, die auf einem griechischen Ausgangstext beruhe, könne leicht am Ausgangstext kontrolliert werden, weil Griechischkenntnisse weit verbreitet seien. Hebräische Bibelexemplare seien allenfalls ausnahmsweise zugänglich, und die Monopolstellung des Hieronymus in Sachen Hebräisch sei fragwürdig, weil im Zweifelsfall befragte Juden mit Hieronymus nicht übereinstimmten.41 Ein weiteres Argument funktionalisiert das Kirchenvolk, das durch eine Neuübersetzung verwirrt werde; seine Ohren und Herzen seien gewohnt, die von den Aposteln approbierte septuagintabasierte Übersetzung zu vernehmen.42 Die negative Qualifikation des Neuen und die Beschwörung des Autoritätsverlustes einer bislang konkurrenzlos gebrauchten Größe sind Elemente strukturkonservativer Rhetorik. Mit dem Buchdruck wurde das griechische Neue Testament Gelehrten mit Griechischkenntnissen bequem verfügbar und ermöglichte die Wahl eines alternativen oder zusätzlichen Ausgangstextes für Neuübersetzungen der Bibel. Die erste gedruckte Edition des griechischen Neuen Testaments durch Erasmus von Rotterdam 1516 wurde von Theologen der Sorbonne angegriffen, weil sie bestimmte von der Vulgata her vertraute Passagen als textkritisch sekundär qualifizierte; insbesondere ging es um christologisch und trinitätstheologisch bedeutsame Sätze wie das comma Johanneum (1 Joh 5,7 f.).43 Als sich Erasmus’ Text durchgesetzt hatte, wurden spätere kritische Ausgaben des griechischen Neuen Testaments (Wettstein44, Tischendorf, Nestle/Aland) wegen ihrer Modifikationen gegenüber diesem textus receptus kritisiert. Die hegemoniale British and Foreign Leutzsch: Die Bewährung der Wahrheit. Der dritte Johannesbrief als Dokument urchristlichen Alltags, Trier 1994, 140 f., Anm. 91. – Auch beim zweiten großen Thema des Briefwechsels zwischen Augustinus und Hieronymus (neben dessen Bibelübersetzung), der Interpretation des Konflikts zwischen Paulus und Petrus in Antiochia laut Gal 2,11–14 (vgl. Fürst, Augustinus – Hieronymus [Anm. 12], 27–51), steht die Frage des Konsensus im Mittelpunkt. 39 Vgl. Augustinus, Epistula 71,4. 40 Vgl. ebd. 28,2. Auch den Nachfolgeübersetzungen der Septuaginta (Aquila, Symmachos, Theodotion), auf deren namentliche Nennung er verzichtet, bescheinigt Augustinus mangelnde Übereinstimmung untereinander (non solum inter se consenserunt […], ebd.). 41 Vgl. Augustinus, Epistula 71,4 f. 42 Vgl. ebd. 82,35: […] ne contra septuaginta auctoritatem tamquam novum aliquid proferentes magno scandalo perturbemus plebes Christi, quarum aures et corda illam interpretationem audire consuerunt quae etiam ab apostolis approbata est. 43 Vgl. Grantley McDonald: Biblical Criticism in Early Modern Europe: Erasmus, the Johannine Comma and Trinitarian Debate, Cambridge 2016. 44 Wettstein druckte als Text den textus receptus, modifizierte ihn aber im kritischen Apparat. Wieder war das skandalträchtige Hauptproblem eine Elimination christologischer Beweistexte; vgl. C. L. Hulbert-Powell: John James Wettstein, 1693–1754. An Account of his Life, Work

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Bible Society (BFBS) übernahm oder finanzierte lange Zeit nur Bibelübersetzungen auf der Grundlage des textus receptus und schloss damit modernere kritische Textausgaben aus.45 Kirchenoffizielle Verlautbarungen der römisch-katholischen Kirche zwischen 1897 und 1927 beschränken sich auf den textkritischen Status einiger neutestamentlicher Passagen, ohne eine generelle Normierung des Bibeltexts vorzunehmen.46 4.3 Die hegemoniale liturgiesprachliche Bibelübersetzung darf nicht in die Volkssprachen übersetzt werden Im lateinischen Christentum gibt es seit dem Hochmittelalter zahlreiche Bibelübersetzungen in die Volkssprachen.47 Seit dem 13. Jahrhundert stellen kirchliche und staatliche Instanzen Verbote auf, die lateinische Bibel in die Volkssprachen zu übersetzen.48 Ausgelöst durch Laienbewegungen wie die Waldenser und die Lollarden, die mit volkssprachlichen Bibelübersetzungen operierten, werden von Synoden, Konzilien und Päpsten Verbote solcher Übersetzungen ausgesprochen, zum Teil flankiert von kaiserlichen und königlichen Edikten. Neben der Produktion volkssprachlicher Bibelübersetzungen wird oft auch deren Gebrauch untersagt. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts werden viele protestantische und kaand some of his Contemporaries, London 1937, 247–250 zu 1Joh 5,7 und 1Tim 3,16; ebd., 252, zu weiteren christologisch relevanten Stellen (Apg 20,28; 1Kor 10,9; Hb 1,3). 45 Als die BFBS Franz Delitzschs Übersetzung des Neuen Testaments ins Hebräische übernahm, musste deren Ausgangstext, der Codex Sinaiticus, durch den textus receptus ersetzt werden; vgl. Pinchas E. Lapide: Hebräisch in den Kirchen, Neukirchen-Vluyn 1976, 103. Weil J. Egan Moulton seiner Revision der wesleyanischen Übersetzung des NT in die tongaische Sprache nicht den textus receptus zugrunde legte, wurde sie nicht von der BFBS gedruckt, sondern auf eigene Kosten publiziert (vgl. Darlow/Moule, Historical Catalogue of the Printed Editions of Holy Scripture [Anm. 23], 1611 no. 9313). 46 Verlautbarungen von 1897 und 1927 beziehen sich auf das comma Johanneum, eine Erklärung von 1912 auf Mk 16,9–20; Lk 22,43 f.; Lk 1,46–55; vgl. Heinrich Denzinger/Peter Hünermann (Hgg.): Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, 37. Aufl., Freiburg/ Basel/Rom/Wien 1991, Nr. 3681–3682, Nr. 3569, 3570, 3571. 47 Vgl. dazu z. B. Sabrine Corbellini/Mart van Dujin/Suzan Folkerts/Margriet Hoogvliet: Challenging the Paradigms: Holy Writ and Lay Readers in Late Medieval Europe, in: Church History and Religious Culture 93 (2013), 171–188. 48 Vgl. zum Folgenden Philipp Hofmeister: Bibellesen und Bibelverbot, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 17 (1966), 298–355; Klaus Reinhardt: Hebräische und spanische Bibeln auf dem Scheiterhaufen der Inquisition. Texte zur Geschichte der Bibelzensur in Valencia um 1450, in: Historisches Jahrbuch 101 (1981), 1–37; Klaus Schreiner: Laienbildung als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Religiöse Vorbehalte und soziale Widerstände gegen die Verbreitung von Wissen im späten Mittelalter und in der Reformation, in: Zeitschrift für Historische Forschung 11 (1984), 257–354, bes. 287–304; ders.: Volkstümliche Bibelmagie und volkssprachliche Bibellektüre. Theologische und soziale Probleme mittelalterlicher Laienfrömmigkeit, in: Volksreligion im hohen und späten Mittelalter, hg. von Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer, Paderborn u. a. 1990, 329–373, hier: 359–360, Anm. 50.

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tholische Bibelübersetzungen in die Volkssprachen auf den römischen Index gesetzt. Widerstände gegen die Übersetzung der lateinischen Bibel in die Volkssprache gibt es auch auf Seiten von Bibelübersetzern (wie Ælfric 99749 oder Hieronymus Emser 152750), theologischen Gutachtern (wie Petrus Sutor 152551 oder Thomas Morus 152952) und Intellektuellen (wie Michel Montaigne 158053). Verbote von Bibelübersetzungen in die Volkssprache gab es auch im Bereich orthodoxer Kirchen. So wurde Leon Jehuda Mandelstamms russische Pentateuchübersetzung von Anfang der 1860er Jahre durch die russische Staatskirche verboten.54 Schon vorher waren ähnliche Versuche der 1812 gegründeten Russischen Bibelgesellschaft gescheitert, einschließlich der Verbrennung einer bereits 49 In der Vorrede zu seiner Genesis-Übersetzung betont Ælfric gegenüber seinem Auftraggeber Æthelweard, nur für ihn eine Ausnahme gemacht zu haben; mangelnde Bildungs- und Verstehensvoraussetzungen von RezipientInnen volkssprachlicher Bibelübersetzung (und selbst ungebildete Nutzer der lateinischen Bibel) könnten unzulässige Folgerungen aus dem Gelesenen ziehen. Text: Richard Marsden (Hg.): The Old English Heptateuch and Aelfric’s Libellus de Veteri Testamento et Novo. Volume One: Introduction and Text, Oxford 2008, 3–7. Die Analyse von Douglas Robinson: Translation and Taboo, DeKalb 1996, 81–85, basiert auf der Teilübersetzung von Albert S. Cook (Hg.): Biblical Quotations in Old English Prose, London/New York 1898, lxx f. Eine vollständige Übersetzung hat Brandon W. Hawk 2014 digital zur Verfügung gestellt, vgl. http://brandonwhawk.net/2014/07/30/aelfrics-preface-to-genesis-a-translation/. Ironischerweise formuliert Ælfric seine Bedenken mit dem Hinweis auf fehlgeleitete Interpretation der lateinischen Bibel durch einen Priester, der mit Verweis auf die israelitischen Erzväter Polygynie für erlaubt hielt; Legitimation von Polygamie mit Hilfe einer für sie produzierten Bibelübersetzung gegen die Intention der Produzenten gibt es später etwa im Konflikt zwischen den Kikuyu und der Church of Scotland Mission in Kenia; vgl. Wilhelm E. Mühlmann: Zwischen Erweckung und Terror: Der Mau-Mau-Aufstand in Kenya, in: ders., Chiliasmus und Nativismus. Studien zur Psychologie, Soziologie und historischen Kasuistik der Umsturzbewegungen, Berlin 1961, 105–140, hier: 117 f.; zur Rolle der Church of Scotland in Kenia Adrian Hastings: The Church in Africa, 1450–1950, Oxford 1994, 426–428, 519 f., 556 f., Literatur ebd., 672 f. 50 Emser distanziert sich von seiner Übersetzung des Neuen Testaments, mit der ihn Herzog Georg von Sachsen beauftragt hatte, vgl. Uwe Köster: Studien zu den katholischen deutschen Bibelübersetzungen im 16., 17. und 18. Jahrhundert, Münster 1995, 18 f. – Ambivalent ist Johann Eck, der durch Herzog Wilhelm IV. von Bayern zu seiner Bibelübersetzung beauftragt worden war: Er benennt die Einwände gegen die Bibellektüre von Laien, findet aber für Übersetzung in Volkssprache auch Argumente, vgl. ebd., 34–37. 51 Vgl. Petrus Sutor: De tralatione Bibliae et novarum rerum reprobatione interpretationum, Parisiis 1525, 94r–95v. Vgl. zu Sutors Schrift Heinz Holeczek: Humanistische Bibelphilologie als Reformproblem bei Erasmus von Rotterdam, Thomas More und William Tyndale, Leiden 1975, 203–221; Allan K. Jenkins/Patrick Preston: Biblical Scholarship and the Church: A Sixteenth-Century Crisis of Authority, Aldershot/Burlington 2007, 76 f.; weitere Literatur in Paul Arblaster/ Gergely Juhász/Guido Latré (Hgg.): Tyndale’s Testament, Turnhout 2002, 75 f. (Paul Arblaster). 52 Vgl. ausführlich Holeczek, Humanistische Bibelphilologie als Reformproblem (Anm. 51), 279–394; auch Robinson, Translation and Taboo (Anm. 49), 85–92. 53 Vgl. Michel de Montaigne: Œuvres complètes, Paris 1963, 305–307 (Essais I 56); dazu Michael A. Screech: Montaigne and Melancholy: The Wisdom of the Essays, 2. Aufl., London 2000, 132 f. 54 Vgl. Hans-Joachim Bechtoldt: Jüdische deutsche Bibelübersetzungen vom ausgehenden 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2005, 372.

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gedruckten Pentateuchübersetzung auf Veranlassung des Heiligen Synod 1825.55 In Griechenland verbot die Regierung in den 1960er Jahren die Verbreitung einer protestantischen neugriechischen Bibelübersetzung.56 Die Intention dieser Bibelübersetzungsverbote war, Laien davor zu bewahren, durch fehlgeleitete Deutungen dessen, was sie lesen, in Häresie oder Irrtum zu verfallen – so die Formulierung eines Edikts Karls IV. 1369.57 Petrus Sutor arbeitete mit der Rhetorik der Gefahr – die Geheimnisse der Heiligen Schrift könnten nicht sine periculo von allen behandelt werden, Bibelübersetzung in die Volkssprache sei pericolissima –, einer für das Tabuphänomen charakteristischen Kategorie.58 Daneben nutzte er den Vorwurf der Frivolität (responsio friuola), um ein Plädoyer für Bibelübersetzung in die Volkssprache als unerlaubte Grenzüberschreitung zu deklarieren.59 Den Gegnern von Bibelübersetzungen in die Volkssprachen standen seit dem 14. Jahrhundert Befürworter gegenüber, die ihre Position publizistisch vertraten, so etwa der österreichische Bibelübersetzer der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, der mittelniederländische Bibelübersetzer von 1360, der zur Devotio moderna gehörende Gerhard Zerbolt von Zutphen, Erasmus von Rotterdam, der katholische Intellektuelle Fadrique Furió Ceriol oder der Jesuit Georg Holzhay.60 55 Vgl. Stefan Plaggenborg: Säkularisierung und Konversion in Rußland und der Sowjetunion, in: Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, hg. von Hartmut Lehmann, Göttingen 1997, 275–290, hier: 282 f. Umfassend jetzt Stephen K. Batalden: Russian Bible Wars: Modern Scriptural Translation and Cultural Authority, Cambridge 2013. 56 Vgl. Editors: Bible, in: Encyclopaedia Judaica 4 (1971), 887 f. 57 Zitiert nach Wilhelm Walther: Die Deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters. Dritter (Schluß-)Teil, Braunschweig 1892, 590: praesertim cum Laycis utriusque sexus secundum canonicas sanctiones etiam libris vulgaribus quibuscumque de sacra scriptura uti non liceat, ne per male intellecta deducantur in haeresin vel errorem. 58 Den Zusammenhang von Tabu und Gefahr betont vor allem die Tabu-Analyse von Franz Baermann Steiner; vgl. Steiner, Taboo (Anm. 23), 107 f., 183, 189 f., 192–196, 200, 202, 213 f.; zu Steiners Soziologie der Gefahr vgl. auch Tahal Asad: Genealogies of Religion: Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam, Baltimore/London 1993, 146 f.; Ulrich van Loyen: Franz Baermann Steiner. Exil und Verwandlung. Zur Biografie eines deutschen Dichters und jüdischen Ethnologen, Bielefeld 2011, 397–401, 403, 408. Mary Douglas, eine Mitstudentin Steiners, benützt die Kategorie Gefahr in ihrer Analyse von Reinheitskonzepten und Tabus; vgl. Mary Douglas: Purity and Danger. An analysis of the concepts of pollution and taboo, London/Boston/Henley 1985 (zuerst 1966). 59 In Polemiken um Bibelübersetzungen begegnet der Vorwurf der Frivolität auch sonst, z. B. in der gegen den Lutheraner Johannes Winckelmann gerichteten Antikritik des Reformierten Paulus Tossanus (vgl. Paulus Tossanus: Apologia. Pro suis notis biblicis, adversus frivolas & ineptas criminationes Johannes Winckelmanni, theologi Giessensis, Heidelberg 1618); dessen reformierte (und gegenüber Luther durchaus polemische) Bearbeitung von Luthers Bibelübersetzung war von Winckelmann kritisiert worden. Der jüdische NT-Übersetzer Morris de Jonge warf Luther vor (M[orris] de Jonge: Messias, der kommende jüdische Mann. Sturz der kirchlichen, Stabilierung der jüdischen Messias-Lehre, Berlin 1904, 52; Hervorhebungen im Original), „in frivoler Weise […] an vielen Stellen die Bibel gefälscht“ zu haben. 60 Österreichischer Bibelübersetzer der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts: Freimut Löser/

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4.4 Die bereits eingeführte Bibelübersetzung darf nicht revidiert werden Hat eine Bibelübersetzung hegemonialen Status erlangt, kann deren Revision und auch schon die Forderung oder programmatische Ankündigung einer solchen Revision als Tabubruch verstanden werden. In Debatten um die Revidierbarkeit oder Ersetzbarkeit etwa von Luthers Bibelübersetzung (seit Philipp Jacob Spener und August Hermann Francke) oder der King James (oder Authorized) Version wird den Veränderungswilligen von ihren Gegnern vorgeworfen, gegenüber der eigenen Konfession und deren zentralen Identifikationssymbolen und -figuren illoyal zu sein.61 Die stärksten Argumente der Revisionsbefürworter Christine Stöllinger-Löser: Verteidigung der Laienbibel. Zwei programmatische Vorreden des österreichischen Bibelübersetzers der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Kurt Ruh zum 75. Geburtstag, hg. von Konrad Kunze/Johannes G. Mayer/Bernhard Schnell, Tübingen 1989, 245– 313. – Mittelniederländischer Bibelübersetzer von 1360: C. H. Ebbinge Wubben: Over Middelnederlandse vertalingen van het Oude Testament – Bouwstoffen voor de geschiedenis der Nederlandsche Bijbelvertaling, Den Haag 1903, 84–87. – Gerhard Zerbolt von Zutphen (auch Geert Groote genannt): Text bei Albert Hyma: Het traktaat „Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium“, door Gerard Zerbolt van Zutphen, in: Archief voor de Geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 52 (1926), 1–100; vgl. ders.: The „De libris teutonicalibus“ by Gerard Zerbolt of Zutphen, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 16 (1921), 42–70; Carl Joh. Jellouschek: Ein mittelalterliches Gutachten über das Lesen der Bibel und sonstiger religiöser Bücher in der Volkssprache, in: Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Studien und Texte Martin Grabmann zur Vollendung des 60. Lebensjahres von Freunden und Schülern gewidmet, hg. von Albert Lang/Joseph Lechner/Michael Schmaus, Münster 1935, 1181–1199. Übersetzung in Hans Rost: Die Bibel im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte und Bibliographie der Bibel, Augsburg 1939, 29–33; mittelniederländische Version: J. Deschamps: Middelnederlandse vertalingen van Super modo vivendi (7de hoofdstuk) en De libris teutonicalibus van Gerard Zerbolt van Zutphen, in: Handelingen van de Koninklijke Zuidnederlanse Maatschappij voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis 14 (1960), 67–108; 15 (1961), 175–220; aus Kreisen der Devotio moderna kommen entsprechende Bibelübersetzungsprojekte, vgl. Cebus C. de Bruin: De Moderne Devotie en de verspreiding van de volkstaalbijbel, in: Ons Geestelijk Erf 59 (1985), 344–356. – Erasmus von Rotterdam: Desiderius Erasmus: Adversus Petri Sutoris, quondam theologi Sorbonici, nunc monachi Cartusiani debacchationem apologia, Basileae 1525; dazu Holeczek, Humanistische Bibelphilologie als Reformproblem (Anm. 50), 224–245; auch ebd., 188–202. – Fadrique Furió Ceriol: Fridericus Furius Caeriolanus Valentinus: Bononia, siue de libris sacris in uernaculam linguam conuertendis, Libri duo, Basileae 1556. – Georg Holzhay: Georgius Holzhay: Drey kurtze tracta(e)t / Der erste / Billiche Bedencken. Der ander / Gestalt deß Hauptartickels von der Rechtfertigung. Der dritt / Dessen vollendte Gestalt. Für Euangelische guthertzige Seelen / etc, Ingolstadt 1624/25, erster Traktat. 61 In der Geschichte der gleich nach Martin Luthers Tod einsetzenden Revisionen der von ihm inaugurierten Bibelübersetzung sind insbesondere die Kontroversen um die seit 1850 kirchenamtlich veranlassten Revisionen (dazu Klaus Dietrich Fricke/Siegfried Meurer [Hgg.]: Die Geschichte der Lutherbibelrevision von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001) gut dokumentiert; eine Gesamtuntersuchung existiert nicht. Gegner der jeweiligen Revision operierten mit auf die von ihnen vorausgesetzte Konstruktion der Figur Luthers bezogenen Kampfbegriffen wie „Entlutherisierung“ (Kurt Ihlenfeld: Zur Entlutherisierung der Bibel, in: Luther 35 [1964], 15–24) oder „Verrat“ (vgl. die Dokumentation bei Siegfried Meurer [Hg.]: Verrat an Luther? Bilanz einer Bibelrevision, Stuttgart 1977). Zu Speners und Franckes Kritik von Übersetzungsentscheidungen der Bibelübersetzung Luthers vgl. Beate Köster: Die Lutherbibel im frühen Pietismus,

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sind Korrektur von Übersetzungsfehlern, größere Treue gegenüber dem Ausgangstext infolge der Fortschritte der Bibelphilologie und bessere Rücksichtnahme auf die Verstehensschwierigkeiten der Zielgruppe infolge eingetretenen Sprachwandels. 4.5 Wo eine hegemoniale Bibelübersetzung vorliegt, dürfen keine damit konkurrierenden Neuübersetzungen produziert werden Wo eine Bibelübersetzung (durch konkurrenzlose Nutzung in Gottesdienst, kirchlichem und schulischem Unterricht, durch kirchenamtliche Äußerungen und Verbreitung) hegemonialen Status besitzt, kann jede weitere Übersetzung im selben konfessionellen oder sprachlichen Kontext als Tabubruch verstanden werden.62 Die zahlreichen Neuübersetzungen der hebräischen, aramäischen und griechischen Bibel ins Lateinische im 16. Jahrhundert63 hatten den Effekt, dass der autoritative Status der Vulgata auf dem Konzil von Trient festgeschrieben wurde. Lutherische Theologen kritisierten Johannes Piscators reformierte Neuübersetzung der Bibel (1602–1604), weil sie darin eine Konkurrenz zur Lutherbibel Bielefeld 1984, 136–171. Zu den angelsächsischen Auseinandersetzungen um die Revised Version (1881–1885) und um die Revised Standard Version (1946–1952), die eine Alternative zur Authorized Version (1611) boten, vgl. Peter J. Thuesen: In Discordance with the Scriptures: American Protestant Battles over Translating the Bible, Oxford 1999; zu der dadurch hervorgerufenen King James Only Controversy vgl. Roy E. Beacham/Kevin T. Bauder (Hgg.): One Bible Only? Examining Exclusive Claims for the King James Bible, Grand Rapids 2001; James R. White: The King James Only Controversy: Can You Trust the Modern Translations?, 2. Aufl., Minneapolis 2009. – Loyalität (gegenüber Ausgangstext und -kultur und zugleich gegenüber Zielgruppe und -kultur) ist eine zentrale Kategorie der Translationstheorie von Christiane Nord, vgl. Christiane Nord: Funktionsgerechtigkeit und Loyalität. Theorie, Methode und Didaktik des funktionalen Übersetzens, Berlin 2011. 62 Dies gilt nicht nur für Bibelübersetzungen. Auch Neuübersetzungen nichtreligiöser literarischer Texte stehen oft unter Legitimationsdruck, vgl. etwa die Studien von Dorota Karolina Bereza: Die Neuübersetzung. Eine Hinführung zur Dynamik literarischer Translationskultur, Berlin 2013, und Agnès Welu: Neuübersetzungen ins Französische – eine kulturhistorische Übersetzungskritik. Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts, Berlin 2011. 63 Vgl. dazu Josef Eskhult: Latin Bible Versions in the Age of Reformation and Post-Reformation: On the development of new Latin versions of the Old Testament in Hebrew and on the Vulgate as revised and evaluated among the Protestants, in: Kirkohistorisk årsskrift 2006, 31–67; ders.: Humanistic Latin Versions of the Hebrew Old Testament, in: Acta Conventus Neo-Latini Budapestinensis: Proceedings of the Thirteenth International Congress of Neo-Latin Studies, hg. von Rhoda Schnur, Tempe 2010, 241–251; ders.: Latin Bible Translations in the Protestant Reformation: Historical contexts, philological justification, and the impact of classical rhetoric on the conception of translation methods, in: Shaping the Bible in the Reformation: Books, Scholars and Their Readers in the Sixteenth Century, hg. von Bruce Gordon/Matthew McLean, Leiden/ Boston 2012, 167–185; Marie-Christine Gomez-Géraud (Hg.): Biblia. Les Bibles en latin au temps des Réformes, Paris 2008; bibliographisch wichtig Jean-Pierre Delville: L’Europe de l’Exégèse au XVIe siècle. Interprétations de la parabole des ouvriers à la vigne (Matthieu 20,1–16), Leuven/Paris/ Dudley 2004, 610–626.

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sahen.64 Innerhalb des Luthertums wurden pietistische und aufklärungstheologische Neuübersetzungen der Bibel im 18. Jahrhundert heftig kritisiert und nicht selten zum Zensurfall.65 Der sensible Punkt ist vor allem der, ob eine Neuübersetzung zu Recht beansprucht oder beanspruchen darf, im Gottesdienst (und ggf. weiteren öffentlichen Kontexten) Verwendung zu finden (was keineswegs alle Bibelübersetzungen intendieren). 4.6 Bestimmte Passagen der volkssprachlichen Bibel dürfen bestimmten Zielgruppen nicht vermittelt werden Insbesondere seit Anfang des 18. Jahrhunderts werden für bestimmte Zielgruppen Auswahlbibeln produziert, die Teile der Vollbibeln weglassen, ohne deren Text zu verändern. Diese Auswahlbibeln sind als Kinder- und Schulbibeln für Kinder und Jugendliche bestimmt,66 als sogenannte Volksbibeln (ab 1780) für Ungebildete und für – oft gemeinsame – Bibellektüre in der Familie gedacht.67 64 Vgl. Heinrich Schlosser: Die Piscatorbibel. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Bibelübersetzung, Heidelberg 1908, 79–92. 65 Teilüberblick bei Jonathan Sheehan: The Enlightenment Bible: Translation, Scholarship, Culture, Princeton/Oxford 2005. 66 Wichtige Impulse zu ihrer Erforschung gaben Christine Reents (seit Christine Reents: Die Bibel als Schul- und Hausbuch für Kinder. Werkanalyse und Wirkungsgeschichte einer frühen Schul- und Kinderbibel im evangelischen Raum: Johann Hübner, Zweymal zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien, der Jugend zum Besten abgefasset … Leipzig 1714 bis Leipzig 1874 und Schwelm 1902, Göttingen 1984), Ruth Bottigheimer (u. a. Ruth B. Bottigheimer: The Bible for Children: From the Age of Gutenberg to the Present, New Haven/London 1996) und die von Gottfried Adam und Rainer Lachmann geschaffenen Forschungszusammenhänge (u. a. Gottfried Adam/Rainer Lachmann [Hgg.]: Kinder- und Schulbibeln. Probleme ihrer Erforschung, Göttingen 1999; Gottfried Adam/Rainer Lachmann/Britta Papenhausen [Hgg.]: Kinderbibeln. Ein Lese- und Studienbuch, Wien/Berlin 2006). Neben zahlreichen Spezialforschungen (zuletzt Marion Keuchen: Bild-Konzeptionen in Bilder- und Kinderbibeln. Die historischen Anfänge und ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart, Göttingen 2016) existieren für bestimmte Sprachräume mittlerweile interreligiös und interkonfessionell ausgerichtete Gesamtdarstellungen: Christine Reents/Christoph Melchior: Die Geschichte der Kinder- und Schulbibel. Evangelisch – katholisch – jüdisch, Göttingen 2011 (für deutschsprachige Kinderbibeln); Willem van der Meiden: ‚Zoo heerlijk eenvoudig‘. Geschiedenis van de kinderbijbel in Nederland, Hilversum 2009 (für die Niederlande); Russell W. Dalton: Children’s Bibles in America: A Reception History of the Story of Noah’s Ark in US Children’s Bibles, London/New York 2015 (für die USA, exemplarisch an Gen 6–9 vorgeführt). 67 Einen ersten Versuch eines Überblicks über dieses nicht erforschte Konzept habe ich in Martin Leutzsch: Völkische Übersetzungen der Bibel, in: Inszenierungen der Heiligen Schrift. Jüdische und christliche Bibeltransformationen vom Mittelalter bis in die Moderne, hg. von Marion Keuchen/Stephan Müller/Annegret Thiem, München 2009, 129–157, hier: 149–152, unternommen; vgl. auch Leutzsch, Die Transformationen des lutherischen Kanons (Anm. 19), 88 f. Terminologisch begegnet „Volksbibel“ m. W. zuerst bei [Carl Friedrich Bahrdt]: Die Kleine Bibel. Erster Band. Geschichte von Erschaffung der Welt bis auf die Zerstörung Jerusalems durch die Römer, Berlin 1780, VIII.

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Bei Kinderbibeln wird mit der Rhetorik der Gefährdung gearbeitet: Der Ausschluss von Teilen der Bibel soll Kinder vor theologisch und moralisch bedenklichen Inhalten schützen.68 Volksbibelkonzepte arbeiten mit der Rhetorik der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit: Kinder und ungebildete Erwachsene sollen bei der Bibelrezeption auf das zum Leben und Heil Relevante konzentriert sein können.69 Beide Argumentationen – Schutz vor moralischer Gefährdung und Konzentration auf das Wesentliche – können auch kombiniert werden.70 Eine Folge dieser Gefährdungsminimierungs- und Gewichtungsstrategien ist die starke Reduktion alttestamentlicher Texte. Diese wurde dadurch erleichtert, dass die liberalprotestantischen Propagandisten der Auswahlbibeln das Alte Testament entkanonisieren: Für sie war es nicht mehr oder nur noch in beschränktem Ausmaß Offenbarungsquelle. Gegenstimmen, die in Auswahlbibeln eine illegitime Neukonstruktion des biblischen Kanons sahen, kamen aus konservativen theologischen Kreisen.71 68 Die über pädagogische Kreise hinaus beachtete anonyme Broschüre Die Stellen der Bibel, welche Geschlechtliches enthalten. Gesammelt und mit einer Vorrede und einer Nachrede herausgegeben für Geistliche, Lehrer und Aeltern, Zürich 1872, wurde in Blätter für Erziehung und Unterricht 2 (1871) 681 von W. (wohl dem Herausgeber A. Wiechovsky) so vorgestellt: „Diese Schrift liefert den Nachweis, daß die Bibel kein Buch ist, welches man der Jugend zum unbeschränkten Gebrauche in die Hand geben darf, ohne sie der Gefahr auszusetzen, in moralischer Beziehung argen Schaden zu nehmen. Man sündigt nur zu häufig auf die Gedankenlosigkeit der Jugend, nicht nur in diesem Falle. In ganz frommen Büchern, die für die Hand der Schüler bestimmt, kommen Sätze vor, welche der Erzieher aus dem Munde seines Zöglings, nur mit entschiedenem Tadel aufnehmen müßte.“ 69 Vgl. z. B. Johann Salomo Semler: Neuer Versuch die gemeinnützige Auslegung und Anwendung des neuen Testaments zu befördern, Halle 1786, 293 f.: „Für jezige Christen solte ein gemeinnüziger praktischer Auszug aus den Reden Jesu und Schriften der Apostel gemacht werden, worin die dortige locale Rüksicht auf damalige Leser, unterschieden oder abgesondert würde; ohne daß hiemit das N. T. gleichsam verächtlich werden solte; sein gröster Zwek, eine praktische fruchtbare Belehrung, solte nur vorangehen, und bey Christen das stete jezige Urtheil erleichtern, über das, was ihnen jezt nötiger und nützlicher ist, um christliche moralische Ordnung und Uebung zunächst selbst zu erlangen; wozu ihnen nicht das ganze N. T. nötig ist.“ 70 Vgl. Wilhelm Hadorn: Die deutsche Bibel in der Schweiz, Frauenfeld/Leipzig 1925, 118: „Es ist nun einmal Tatsache, daß für den Haus- und Schulgebrauch einzelne Stücke der Bibel, besonders im Alten Testament, wie z. B. die Gesetzesbestimmungen ritueller Art im 3. und 4. Buch Moses und die Geschlechtsregister in der Chronik entbehrlich sind, und daß sich einige Partien, in denen naiv unbefangen und schonungslos offen geschlechtliche Dinge berührt werden, zum Vorlesen schlechterdings nicht eignen. Jeder Pfarrer weiß, daß Schulkinder mit verdorbener Phantasie mit Vorliebe diese Stellen aufsuchen oder von älteren unsaubern Kameraden förmlich auf sie gestoßen wurden.“ 71 Vgl. z. B. Carl August Peschel: Was hast du von deiner Bibel zu halten? Mit besonderer Berücksichtigung der Bibelauszugfrage beantwortet und allen Kirchen- und Schulvorständen, sowie allen seinen Collegen gewidmet, Leipzig 1869, bes. Kap. 4; Friedrich Wilhelm August Steglich: Gutachten von Geistlichen der Diöces Grimma über die vorgeschlagene Verdrängung der vollständigen Bibel aus unsern Volksschulen, Leipzig 1869. Zur Kontroverse um die unter Leitung von Gottfried Heer und Ernst Buß erarbeitete reformierte Familienbibel von 1887, die als Glarnerbibel bekannt wurde, schreibt Hadorn, Die deutsche Bibel in der Schweiz (Anm. 70), 118: „Vor allem wurde der prinzipielle Einwand erhoben, das Wort Gottes sei ein ‚unteilbares Ganzes‘ und dürfe nicht ei-

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4.7 Die Bibelübersetzung darf nichts Indezentes enthalten Beim in 4.6 besprochenen Tabu wird die Ausgangsbasis, die jeweils zugrunde gelegte Bibelübersetzung, in ihrem Wortlaut nicht verändert. Das reicht im bürgerlichen Zeitalter in vielen Fällen nicht aus. Im Prozess der neuzeitlichen westlichen Zivilisation verändern sich Schamgrenzen. Dies hat sprachliche Folgen. Phänomene, die im 16. Jahrhundert explizit benannt werden konnten, werden in der Folgezeit nicht selten als indezent empfunden und durch Euphemismen ersetzt.72 Im 18. und besonders intensiv im 19. und 20. Jahrhundert führt dies zu entsprechenden Transformationen hegemonialer Bibelübersetzungen, die stillschweigend oder ausdrücklich einer dezenzbezogenen Revision unterworfen werden. Dabei verschwinden Ausdrücke wie Arsch,73 pissen,74 Vorhaut,75 stinken,76 Fresser und Weinsäufer,77 die Münz- und Gewichtseinheit Sekel (wegen genmächtig von den Menschen verstümmelt werden. Man möge doch das Kind bei seinem ehrlichen Namen nennen und zwar als ‚Bibelextrakt für ein verwöhntes Geschlecht‘, statt von einer Volks- und Hausbibel zu reden. Ja, man sprach sogar von einem ‚Attentat‘ auf Gottes Wort.“ 72 In Translationstheorie und -praxis sind Euphemismen in mehreren Hinsichten interessant: Sollen Euphemismen des Ausgangstexts (für die Hebräische Bibel vgl. Stefan Schorch: Euphemismen in der Hebräischen Bibel, Wiesbaden 2000; für antike Kulturen überhaupt Ilona Opelt: Euphemismus, in: Reallexikon für Antike und Christentum 6 [1966], 947–964) in der Zielsprache explizit gemacht werden oder als Euphemismen weitervermittelt werden? Soll Explizites im Ausgangstext im Zieltext explizit oder durch einen Euphemismus wiedergegeben werden? 73 Obwohl Luthers Bibelübersetzung von 1545 in 1Sam 6,4.11 „Arsch“ hat, kreidete der Lutheraner Petrus Piscator 1609 und 1610 der reformierten Bibelübersetzung ins Deutsche durch Johannes Piscator die Verwendung dieses Wortes an, vgl. Schlosser, Die Piscatorbibel (Anm. 64), 86. 74 Luther 1545 hatte das hebräische Partizip maschtin (1Sam 25,22.34; 1Kön 14,10; 16,11; 21,21; 2Kön 9,8) korrekt mit „einer, der an die Wand pisst“, wiedergegeben. Die Lutherrevision 1984 macht daraus: „einer, der männlich ist“. Zur dezenten Wiedergabe von „ausrotten alles, was männlich ist“ in der Einheitsübersetzung vgl. Josef Scharbert: Entstehungsgeschichte und hermeneutische Prinzipien der „Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift“, in: Die Übersetzung der Bibel – Aufgabe der Theologie. Stuttgarter Symposion 1984, hg. von Joachim Gnilka/Hans Peter Rüger, Bielefeld 1985, 149–168, hier: 159 f. 75 Die „Vorhaut“ wird in vielen Bibelübersetzungen umschrieben. Carey A. Moore: Judith. A New Translation with Introduction and Commentary, Garden City 1985, 231, übersetzt perietemeto ten sarka tes akrobystias autou Jdt 14,10 mit „he was circumcised“. Die Elberfelder Bibel hatte 1932 in Röm 2,25 „Vorhaut“, was in späteren Revisionen ersetzt wurde. Klassische Philologen wie Richmond Lattimore und Walter Jens verzichten in ihren Paulus-Übersetzungen auf die Wiedergabe mit „foreskin“ bzw. „Vorhaut“. Von jüdischen NT-Übersetzern des 20./21. Jahrhunderts gibt nur André Chouraqui akrobystia mit prépuce wieder; Hugh Schonfield, Willis Barnstone and Sidney Brichto greifen zu Umschreibungen. – Auch die Wiedergabe von peritome mit „Beschneidung“ konnte ein Dezenzproblem darstellen: Georg Friedrich Seiler gibt das Substantiv mit „Bundeszeichen“ oder „Weihezeichen“ wieder, „weil heut zu Tage […] die Delikatesse der edlern Stände [es erfordert], daß wir aus einer Bibelübersetzung alle, nur etwas anstößigen Ausdrücke entfernen, damit die Achtung gegen das ehrwürdigste aller Bücher nicht vermindert werde“ (zitiert nach Ottfried Jordahn: Georg Friedrich Seilers Andachts- und Predigtbücher, seine Bibelübersetzungen und Bibelausgaben, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 48 [1979], 28–55, hier: 51). 76 Hadorn, Die deutsche Bibel in der Schweiz (Anm. 70), 51, schreibt zur NT-Revision des

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sexueller Konnotation in württembergischer Aussprache),78 Weib79 aus Luthers Bibelübersetzung, stones (d. h. Hoden)80 aus der King James Version; der Ausdruck Beischlaf, der selbst ein Euphemismus ist, wird durch einen vageren Ausdruck ersetzt.81 Dezenz gilt auch für Paratexte: Mastdarm in der Fußnote einer (pietistischen) Bibelübersetzung war eines der zahlreichen Argumente, sie insgesamt abzulehnen.82 Die Norm, Bibelübersetzungen dürften nichts Indezentes enthalten, gilt generell, kann aber noch einmal besonders auf Kinder und Jugendliche zugespitzt werden. Diese seien durch sexuell explizite Sprache, selbst wenn es sich um die Bibel handle, moralisch stark gefährdet. Kanonische Texte in pädagogischen Zusammenhängen müssten daher sexuell Explizites umschreiben, kürzen, weglassen. Die Anpassung von Bibelübersetzungen (einschließlich der Umgehung von Zürcher Theologen Johann Jakob Breitinger von 1629: „In der Stelle Joh. 11,39 ist der Ausdruck des Luthertextes: er stinkt schon, durch den schweizerischen er ‚schmöckt‘ ersetzt, der vielleicht auch weniger anstößig erscheinen mochte.“ 77 Vgl. Walter Stäbler: Pietistische Theologie im Verhör. Das System Philipp Matthäus Hahns und seine Beanstandung durch das württembergische Konsistorium, Stuttgart 1992, 274: „Interessant ist im Blick auf Hahns Ausdrucksweise und stilistische Sensibilität in Matthäus 11,19 noch ein anderer Sachverhalt. Jesus einen Fresser und Weinsäufer zu nennen, wie man sich im grobianischen Zeitalter Luthers auszudrücken pflegte, lassen sich Hahn und Bengel in ihrer pietistischen Empfindsamkeit verboten sein: Sie reden vom Esser und Weintrinker.“ Ebd., Anm. 26: „Hinter dieser Formulierung steht die Frage der Devotion. Hahn erfüllt an dieser Stelle Schmidlins Forderung: ‚Göttliches Decorum‘.“ 78 Karl Friedrich Schröder: Bericht über die Arbeit der Revisionskommission zur Probebibel 1883, in: Fricke/Meurer, Die Geschichte (Anm. 61), 273–306, hier: 290, schreibt im Kontext einer kirchenamtlich veranlassten Revision der Lutherbibel über „Sogenannte anstößige Stellen“: „Hierher gehört auch […] die schon früher angeregte, aber erst in der letzten mit den Vertretern der Bibelgesellschaften gehaltenen Konferenzen definitiv beschlossene Entfernung des hebräischen, sowohl ein Gewicht als eine Münze bezeichnenden Wortes ‚Sekel‘ und seine Ersetzung teils durch ‚Lot‘, teils durch ‚Silberling‘. Zwar wurde dabei in die Wagschale gelegt, daß Luther, wenn er den Wert eines Sekels gekannt hätte, dieses Wort seiner sonstigen Gewohnheit gemäß wohl auch durch einen deutschen Ausdruck wiedergegeben haben würde, aber eigentlich bestimmend war für diese Änderung, daß in einem Teil von Süddeutschland und besonders in Württemberg das Wort ‚Sekel‘ wegen einer gewissen Nebenbedeutung, die es in der Volkssprache hat, beim Lesen der Bibel in den Schulen Anstoß erregt. Geändert wurden deshalb 74 Stellen; vgl. besonders 4. Mos. 7,13 ff. und 18,16, während Amos 8,5 noch weiter geändert wurde, und 1. Kön. 10,16 sowie 2. Chron. 9,15 f. ‚Lot‘ für ‚Stück‘ steht.“ 79 Die kirchenamtliche Revision von Luthers Bibelübersetzung 1984 ersetzte im NT „Weib“ durch „Frau“, für das AT erfolgte Entsprechendes 1999. 80 Vgl. Noel Perrin: Dr. Bowdler’s Legacy. A History of Expurgated Books in England and America, Boston 1992 (zuerst New York 1969), 133, 135 (zu Lev 21,20). 81 Der „vneheliche Beyschlaff “ (Sap 4,6; Luther 1545) ist mittlerweile zur „gesetzwidrigen Ehe“ (Lutherrevision 1984) geworden; in Sap 7,2 ist das „beyschlaffen“ (Luther 1545) nicht modifiziert worden. 82 Der Konsistorialrat Le Bret merkt zu Philipp Matthäus Hahns (1739–1790) Bibelübersetzung zu Mt 15,17 an (zitiert nach Stäbler, Pietistische Theologie [Anm. 77], 69): „Was soll nun da die Glosse (durch den Mastdarm) die nicht einmal im Text vorkommt. Die Bibel spricht mit einem heiligen Decoro, und nennt gewiß den Mastdarm nicht. Lucas I. 31.“

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Obszönem in Bibelkonkordanzen83) an bürgerliche Dezenzvorstellungen ist Teil eines umfassenderen Prozesses der Transformation kanonischer Texte aus pädagogischen Gründen. Die Anfänge liegen in der Produktion von Lesetexten ad usum Delphini (ab 1670) und nehmen im Kontext generationsübergreifender familiärer Lesekulturen stark an Intensität zu. Die Bearbeitung einer ShakespeareAusgabe für den familiären Hausgebrauch durch die Geschwister Thomas und Henrietta Bowdler ab 1807 gab den Namen für solche Veränderungen zentraler Texte: Das Verfahren des bowdlerizing erreichte sehr schnell auch die hegemonialen Bibelübersetzungen.84 4.8 Die Bibelübersetzung muss ohne Paratexte publiziert werden Viele Bibelübersetzungen sind von Paratexten begleitet (Vorreden, interpretierende Inhaltsangaben zu einzelnen Bibelteilen, Glossen oder Anmerkungen, Glossare, Zeittafeln, Karten, Illustrationen usw.). Die 1804 gegründete British and Foreign Bible Society folgte der Doktrin, ausschließlich Wort Gottes drucken und vertreiben zu wollen, und eliminierte deshalb Paratexte. Bereits existierende Bibelübersetzungen, die von der BFBS übernommen wurden, konnten nur ohne ihre Paratexte gedruckt werden. Neu in Auftrag gegebene Bibelübersetzungen mussten von vornherein auf Paratexte verzichten. Die angewandte Rhetorik kontrastiert Gotteswort (= Übersetzung) und Menschenwort (= Paratexte); sie wird auch beim nächsten Bibelübersetzungstabu angewandt. 4.9 Die Bibelübersetzung muss ohne Apokryphen publiziert werden Seit dem 16. Jahrhundert enthalten protestantische Bibelübersetzungen Texte, die als apokryph deklariert wurden und denen der Status heiliger Schrift abgesprochen wurde. Die British and Foreign Bible Society forcierte die Elimination der Apokryphen aus den von ihr gesponsorten Bibelübersetzungsdrucken, mit dem Argument, es handle sich dabei nicht um Gottes Wort, und nur dieses wolle die BFBS verbreiten. Das führte in den 1830er und 1850er Jahren zu zwei als Erster und Zweiter Apokryphenstreit bekannten publizistischen Kontroversen 83

Vgl. Bottigheimer, The Bible for Children (Anm. 66), 244, n. 74. Zum Phänomen des bowdlerizing allgemein vgl. Perrin (wie Anm. 80); zum Bowdlerizing im Kontext vgl. Ina Schabert: Großbritannien und USA, in: Shakespeare-Handbuch. Die Zeit – Der Mensch – Das Werk – Die Nachwelt, hg. von Ina Schabert, 4. Aufl., Stuttgart 2000, 611–635, bes. 624. Zum bowdlerizing in anglophonen Kinderbibeln vgl. Perrin, Dr. Bowdler’s Legacy (Anm. 80), 115–138, wo verschiedene Verfahrensweisen benannt werden, u. a. Italics für im Gebrauch Weglassbares (ebd., 121, n. *) und „palliative footnotes“ (ebd., 128, n. *); zum Umgang mit Cant ebd., 122, 130, mit „harlot“ ebd., 133, 135, mit „buttocks“ ebd., 134, mit „stink“ ebd., 135. Welchen Formen von bowdlerizing die zweihundert Jahre in Gebrauch gebliebene Kinderbibel von Johann Hübner im Lauf ihrer Publikationsgeschichte unterworfen war, zeigt Reents, Die Bibel als Schul- und Hausbuch (Anm. 66), ab Kap. 3. 84

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um den religiösen Status der Apokryphen – mit dem Langzeiteffekt, dass z. B. in vielen Ausgaben von Luthers Bibelübersetzung die Apokryphen fehlen.85 Mit dem Ausschluss der Apokryphen realisierte die BFBS ein Ziel, das lange zuvor Hieronymus vergeblich angestrebt hatte: Sein Altes Testament sollte auf die Schriften beschränkt sein, die in der Hebräischen Bibel zu finden sind. Seine Patrone und Auftraggeber zwangen ihn dazu, auch Bücher des Septuagintakanons wie Judith und Tobit zu übersetzen. Hieronymus machte in den Vorreden zu diesen Büchern deutlich, dass er diese Übersetzungen nicht aus freien Stücken und mit Überzeugung angefertigt und dass er den Aufwand für die Tobitübersetzung auf einen Tag beschränkt habe. 4.10 Die Bibelübersetzung muss kritische Paratexte zu diskriminierenden Passagen des Ausgangstexts enthalten Nach 1945 haben sich im christlich-jüdischen Dialog und mit Hilfe der feministischen Theologie Diskurse etabliert, in denen diskriminierende Aspekte der Bibel problematisiert werden. Die Diskussionen um Antijudaismus im Neuen Testament und um Misogynie in der Hebräischen Bibel und im Neuen Testament haben auch zu der Forderung geführt, diskriminierende Aspekte des Ausgangstexts und/oder seiner Wirkungsgeschichte in Bibelübersetzungen in Paratexten zu problematisieren und kritisch zu kommentieren.86 4.11 Hegemoniale Formen biblischer Eigennamen dürfen nicht verändert werden Die Eigennamen der Bibel sind im Christentum selten in der Form der Ausgangstexte rezipiert worden. Entscheidend waren die Umformungen in der Septuaginta und besonders in der Vulgata. Versuche, eingebürgerte Namensformen 85 Forschungsliteratur zu diesen Apokryphenkontroversen bei Leutzsch, Die Transformationen (Anm. 19), 89 f. 86 Hier gibt es eine Fülle von publizistischen Kontroversen. Nach der Veröffentlichung von Ulrich Wilckens’ Übersetzung des Neuen Testaments gab es eine Debatte zwischen dem jüdischen Neutestamentler David Flusser und seinem lutherischen Kollegen Wilckens, in der es darum ging, ob eine christliche Übersetzung Stellen wie Mt 27,25; Joh 8,44; 1Th 2,15; Apk 2,9; 3,9 wegen der dort enthaltenen judenkritischen oder als judenfeindlich wirkungsmächtig gewordenen Äußerungen unkommentiert stehen lassen könne oder durch Paratexte (Vorworte, Anmerkungen) auf das Problem aufmerksam zu machen habe, vgl. David Flusser: Ulrich Wilckens und die Juden, in: Evangelische Theologie 34 (1974), 236–243; Ulrich Wilckens: Das Neue Testament und die Juden. Antwort an David Flusser, in: Evangelische Theologie 34 (1974), 602–611; Rolf Rendtorff: Die neutestamentliche Wissenschaft und die Juden. Zur Diskussion zwischen David Flusser und Ulrich Wilckens, in: Evangelische Theologie 36 (1976), 191–200. Der Streit um den Umgang mit Gender-Ungerechtigkeit im Ausgangstext und Gender-Gerechtigkeit in der Übersetzung ist im Kontext von inclusive language-Liturgien und Bibelübersetzungen in den USA und in den Kontroversen um die „Bibel in gerechter Sprache“ breit ausgetragen worden; grundlegende Analyse: Hanne Köhler: Gerechte Sprache als Kriterium von Bibelübersetzungen. Von der Entstehung des Begriffes bis zur gegenwärtigen Praxis, Gütersloh 2012.

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in Revisionen oder Neuübersetzungen den Ausgangstexten anzunähern, waren, wo sie unternommen wurden, von Kritik und mangelnder Akzeptanz begleitet. Luther hatte sich in seiner Bibelübersetzung von den in seinem Kontext üblichen vulgataorientierten Eigennamen entfernt und oft andere Namensformen entwickelt. Auf lange Sicht führte das im deutschsprachigen Raum zu konfessionellen Unterschieden – lutherischen Namensformen wie Mose, Elia, Elisa, Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Zephanja, Kaiphas, Kapernaum standen katholische wie Moses, Elias, Elisäus, Isaias, Jeremias, Ezechiel, Sophonias, Kajaphas, Kapharnaum gegenüber.87 Der katholische Bibelübersetzer Johann Dietenberger (1534) folgte in der Repräsentation der Eigennamen den evangelischen Bibelübersetzungen in der Annahme, dass diese näher am Hebräischen und Griechischen sei, setzte aber die auf der Vulgata fußende vertraute Namensform hinzu.88 Johann Eck hingegen erhielt vom Auftraggeber seiner Bibelübersetzung, Herzog Wilhelm IV. von Bayern, die Vorgabe: „sonderlich sol ich verhüeten, dz ich die aigen namen In der kirchen nit verenndere in khainß wegs, als Miriam, Simson, Pinchas smuel. Slomo etc.“89 Rhetorische Topoi sind Hinweise auf das Vertraute, das in der Kirche immer schon Übliche; auch die Abgrenzung gegenüber dem Judentum kann einbezogen werden.90

87 Die Prinzipien, die den von Luther gewählten Eigennamensformen zugrunde liegen, sind m. W. nicht erforscht. Die nicht selten begegnende Auffassung, Luther habe sich am Hebräischen und Griechischen orientiert und sei deshalb näher an den Ausgangstexten, trifft nicht zu, was sich an den erwähnten Beispielen zeigen lässt: Von den hebräischen Eigennamen Mosche, Elijahu, Elischa, Jeschajahu, Jirmejahu, Jechezkel weichen die lutherischen Namensformen ab, nur Zephanja transkribiert die hebräische Namensform; das „katholische“ Kapharnaum und Kajaphas sind exakte Transkriptionen der griechischen Namen, während das „lutherische“ Kapernaum und Kaiphas davon abgeht. Im deutschsprachigen Bereich ist durch die Loccumer Richtlinien (1971; Revisionen bis 1981) eine gewisse Vereinheitlichung der biblischen Eigennamen erreicht worden, die mit denselben Inkonsequenzen behaftet ist wie die vorhergehenden konfessionell unterschiedlichen Verfahrensweisen; die neue Zürcher Bibel von 2007 hat die Loccumer Richtlinien nicht mehr als bindend betrachtet. Konsequente Transkription der Eigennamen des Ausgangstexts wird in christlichen Bibelübersetzungen selten durchgeführt (eine Ausnahme ist das für den akademischen Unterricht bestimmte Münchener Neue Testament). Die am hebräischen und aramäischen Ausgangstext orientierte Transkription von Eigennamen wird überwiegend von jüdischen Kritikern christlicher Bibelübersetzung eingefordert (z. B. Willis Barnstone: The Poetics of Translation: History, Theory, Practice, New Haven/London 1993), bislang so gut wie ganz ohne christliche Resonanz. 88 Vgl. Köster, Studien (Anm. 50), 30. 89 Johann Eck, Brief an Herzog Georg von Sachsen vom 11. Februar 1536, nach der Edition von Johann Karl Seidemann (Hg.): Erläuterungen zur Reformationsgeschichte durch bisher unbekannte Urkunden, Dresden 1844, 173. 90 Vgl. Eck ebd., 174: „Dietenbergerß Bibel will mein g h. [= gnädiger Herr, M. L.] gar nit, mit sein Synagogischen vnd Judischen Namen: die danoch der mertail verfälscht sind: so maint mein herr.“

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4.12 Das Namens- und (Aus)Sprach(e)tabu des Tetragramms soll (nicht) beibehalten werden Christliche Bibelübersetzungen folgen bis in die frühe Neuzeit der Praxis der Septuaginta oder der Vulgata, das Tetragramm durch kyrios, dominus o. ä. wiederzugeben. Die bis heute wirksamen hegemonialen Bibelübersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts sind hier eingeschlossen.91 Im 16. Jahrhundert wird in für Gebildete bestimmten Neuübersetzungen der Bibel ins Lateinische stattdessen Jehova gewählt.92 Im 18. Jahrhundert dringt Jehova in volkssprachliche Bibelübersetzungen ein.93 Im 19. Jahrhundert wird das Tetragramm in der protestantischen Exegese in Jahwe transformiert und dominiert seither nicht nur die Wissenschaft; mindestens seit 1908 wird diese Namensform in Bibelübersetzungen verwendet, die von Kirchen in Auftrag gegeben worden sind.94 Eine Erforschung und Deutung dieser ambivalenten Entwicklung steht aus. Faktisch liegt dem Gebrauch von Jehova etc. eine Selbstdefinition zugrunde, die sich von der Respektierung des Namenstabus distanziert und damit in Gegensatz zum Judentum tritt.95 Zu den wenigen gut untersuchten Fällen expliziter Stellungnahme von Angehörigen der Zielgruppe zu einer an sie adressierten Bibelübersetzung gehören die Reaktionen chinesischer und japanischer Intellektueller auf Bibelübersetzungen ins Chinesische und Japanische und die Gegenreaktionen der Übersetzer. In der chinesischen Debatte geht es zentral um die angemessene Wiedergabe des Gottesnamens und der Bezeichnungen für „Gott“.96 91 Für die Zeit bis 1700 vgl. Robert J. Wilkinson: Tetragrammaton: Western Christians and the Hebrew Name of God. From the Beginnings to the Seventeenth Century, Leiden/Boston 2015 (zum Tetragramm in Bibelübersetzungen in die Volkssprachen ebd., 351 ff.). 92 Vgl. Wilkinson ebd., 353, zu einer Pagninus-Ausgabe bei Froschauer und zu Tremellius. 93 So in der von Johann Lorenz Schmidt anonym veröffentlichten sogenannten Wertheimer Bibel, vgl. [Johann Lorenz Schmidt, Übers.] Die göttlichen Schriften vor den Zeiten des Messie Jesus Der erste Theil worinnen Die Gesetze der Jisraelen enthalten sind nach einer freyen Ubersetzung welche durch und durch mit Anmerkungen erläutert und bestätiget wird, Wertheim 1735. 94 Vgl. Gudrún Kvaran: Die neue isländische Bibelübersetzung und ihre geschichtlichen Wurzeln. Bruno-Kress-Vorlesung, Greifswald 2001, 23 (zur isländischen Bibelübersetzung von 1908): „Heftig kritisiert wurde auch die Entscheidung der Übersetzer, im Alten Testament den hebräischen Namen Jahwe zu verwenden. Aufgrund dieser und anderer Abweichungen vom Gewohnten bezeichneten Kritiker diese Ausgabe sogar als ‚die heidnische Bibel‘. In der Folge wurde beschlossen, ‚Jahwe‘ wieder in Herr oder Gott abzuändern und auch das Neue Testament nochmals zu überprüfen […]. Nachdem die Ausgabe 1912 revidiert war, kehrte für mehrere Jahrzehnte Ruhe ein.“ 95 Kontroverse Positionen zur Repräsentation des Gottesnamens in der Bibelübersetzung wurden u. a. in den Konflikten um die „Bibel in gerechter Sprache“ artikuliert (auch dazu Köhler, Gerechte Sprache [Anm. 86]). Sie kamen aber auch schon vorher zur Sprache, zugunsten der Beibehaltung des status quo (z. B. Ulrich Schmidhäuser: Soll Gott nicht mehr „Herr“ genannt werden? Zum gegenwärtigen Feminismus in Gesellschaft und Kirche, Stuttgart 1991) oder dagegen (bereits die von Elizabeth Cady Stanton herausgegebene Women’s Bible von 1895/98). 96 Vgl. Sangkeun Kim: Strange Names of God: The Missionary Translation of the Divine Name

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4.13 Kein Tabu: Die Bibel ist unübersetzbar Gibt es in der Geschichte christlicher Bibelübersetzung ein Tabu: „Die Bibel kann nicht (eine faktische Grenze) oder darf nicht (eine normative Grenze) übersetzt werden“? Ich bin bislang nur vereinzelt auf christliche Voten in dieser Richtung gestoßen, die aber ohne Resonanz blieben – 1780 Johann Jakob Griesbach, 1988 Hélène Marchessou; George Lindbecks systematisch-theologische Rede von der Unübersetzbarkeit des Evangeliums, die in den letzten Jahren innertheologisch begrenzt Aufmerksamkeit gefunden hat, ist dogmatischen Charakters und bezieht sich nicht auf Fragen von Bibelübersetzung.97 Bislang kenne ich keinen christlichen Bibelübersetzer, der öffentlich geäußert hätte, die Bibel sei unübersetzbar. Hingegen haben wenigstens drei jüdische Bibelübersetzer – Joseph Wohlgemuth, Martin Buber und André Chouraqui – einerseits geschrieben, die Bibel sei unübersetzbar,98 und andererseits die Bibel übersetzt. Die Rhetorik der Unübersetzbarkeit artikuliert vor allem hohe Ansprüche an Bibelübersetzungsprojekte und stellt die Schwierigkeit der angemessenen Bewältigung der zu berücksichtigenden Probleme in den Mittelpunkt.99 and the Chinese Responses to Matteo Ricci’s „Shangti“ in Late Ming China, 1583–1644, New York u. a. 2004; ferner Joseph Dehergne: Un problème ardue: le nom de Dieu en chinois, in: Actes du IIIe Colloque International de Sinologie: Appréciation par l’Europe de la tradition chinoise à partir du XVIIe siècle. Centre de Recherches interdisciplinaire de Chantilly (CERIC), 11–14 septembre 1980, Paris 1983, 13–46; Irene Eber: The Interminable Term Question, in: Bible in Modern China: The Literary and Intellectual Impact, hg. von Irene Eber/Sze-Kar Wan/Knut Walf, Nettetal 1999, 135–162; Quellen für die Positionen der Übersetzer: z. B. W. J. Boone: Defense of an Essay on the proper rendering of the words Elohim and Θεος into the Chinese language, in: Chinese Repository (Canton) 19 (1850), 345–385, 409–444, 465–485, 569–650; G. W. Sheppard: The Problem of Translating ‚God‘ into Chinese, in: The Bible Translator 4 (1955), 23–30; zur buddhistischen Kritik an der christlichen Usurpation des „Tian“-Begriffs vgl. Iso Kern: Buddhistische Kritik am Christentum im China des 17. Jahrhunderts. Texte von Yu Shunxi (?–1621), Zhuhong (1535–1615), Yuanwu (1566–1642), Tongrong (1593–1679), Xingyuan (1611–1662), Zhixu (1599–1655), Bern u. a. 1992. Für die Probleme in Japan vgl. Sylvie Vraux: Histoires et difficultés des versions japonaises, in: Les problèmes d’expression dans la traduction biblique: Traduction, interprétation, lectures. Actes du colloque des 7–8 novembre 1986 organisé à l’occasion du 450e anniversaire de la mort de Tyndale et 1600e anniversaire de la Vulgate, hg. von Henri Gibaud, Angers 73–77 (und zum Hintergrund George Elison: Deus Destroyed: The Image of Christianity in Early Modern Japan, Cambridge, MA 1973). 97 Vgl. Johann Jacob Griesbach: Ueber die verschiedenen Arten deutscher Bibelübersetzungen, in: Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur 6 (1780), 262–300, hier: 266 f.; Hélène Marchessou: Est-il possible de traduire la Bible? Quelques réflexions sur l’impossibilité de traduire la Bible, in: Gibaud (Hg.), Angers (Anm. 96), 56–61; George Lindbeck: The Gospel’s Uniqueness: Election and Untranslatability, in: Modern Theology 13 (1997), 423–450. 98 Vgl. Joseph Wohlgemuth: Zum Unterricht in der Bibel, in: Adass Jisroel – Die Jüdische Gemeinde in Berlin (1869–1942). Vernichtet und vergessen, hg. von Mario Offenberg, Berlin 1986, 96–98, hier: 97 (zuerst 1899); Martin Buber: Biblischer Humanismus, in: Der Morgen 9,4 (1933), 241–245, hier: 243; André Chouraqui: Reflexionen über Problematik und Methode der Übersetzung von Bibel und Koran, Tübingen 1994, 18 f. 99 Vgl. zum Thema auch Lynne Long (Hg.): Translation and Religion: Holy Untranslatable?

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5 Grenzen und Begrenzungen: Prozesse, Strukturen, Einflussfaktoren Popularisierung von Bibel und deren normative Grenzen – was ergibt sich vom Fokus der Übersetzungstabus für dieses Thema? Bibelübersetzungen dienen in der Regel der Popularisierung von Bibel. Ein zentraler sozialer Raum dieser Popularisierung ist der Gottesdienst, der in Gesängen, Lesungen und Auslegungen Bibel kommuniziert. Diese Form der Popularisierung nimmt bis ins Frühmittelalter zu. Sie gerät im westlichen Christentum in eine Krise, je länger und stärker Liturgiesprache und Volkssprache auseinanderdriften. Laien ergreifen die Initiative und beauftragen Kleriker, die Bibel in die Volkssprache zu übersetzen. Kirchliche Instanzen entwickeln die Doktrin, Laien seien grundsätzlich nicht in der Lage, die Bibel angemessen zu verstehen. Der Schutz beider, der Laien vor Häresie und der Bibel vor Entweihung ihrer Geheimnisse, sei durch Nicht-Popularisierung der Bibel am besten gewährleistet. Mit solchen Popularisierungsverboten geben sich Laien auf die Dauer nicht zufrieden. Der Buchdruck von Bibelübersetzungen in den Volkssprachen seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts kommt ihrem Rezeptionsbedürfnis entgegen. Die Reformationskirchen entwickeln im Zug ihrer Bibelübersetzungskampagnen eine generelle Popularisierungsdoktrin: Alle sollen die Bibel in der Volkssprache lesen können. In der Realität stößt das an Grenzen. Insbesondere im Luthertum entwickelt die Geistlichkeit bald das Vorurteil, eigenständige Bibellektüre von Laien sei problematisch. Einen Popularisierungsschub erhalten die deutschen und englischen Reformationsbibeln durch organisierte Billigbibelproduktion, die von innerkirchlichen Reformbewegungen (Puritanismus, Pietismus) ausgeht. Wo dafür Sorge getragen wird, dass möglichst alle die Bibel lesen, stellt sich das Problem, ob alle wirklich alles lesen sollen. Mit den Auswahlbibeln für Kinder und Erwachsene entscheiden wiederum Dritte, was für die RezipientInnen gut ist, und implementieren Popularisierungsfilter. Hinzu kommt, dass in der Neuzeit „Bibel“ zunehmend konträr codiert wird: einerseits als Offenbarungsquelle mit einer hoch aufgeladenen Inspirationstheologie im Hintergrund, die jede inhaltliche Kritik an der Bibel verbietet, und andererseits als menschliches Zeugnis von Gottes Offenbarung, das auch seine problematischen Seiten und Wirkungen hat. Im ersten Fall soll die Problemlosigkeit der Bibel gesichert, im zweiten Fall die Bewahrung von für unmündig erklärten RezipientInnen vor Problemen wie Sexualität und Gewalt sichergestellt werden. Bei alledem kommen und melden sich die AdressatInnen von Bibelübersetzung selten selbst zu Wort. In der Regel wird über sie hinweg mit ihnen argumentiert, von Bibelübersetzern gegenüber ihren Kritikern, von Kritikern gegenüber Bibelübersetzern, von Auftraggebern und Verlegern gegenüber Bibelübersetzern Clevedon/Buffalo/Toronto 2005; Walter Klaiber: (Bibel-)Übersetzen – eine unmögliche Aufgabe? in: Theologische Literaturzeitung 133 (2008), 467–492.

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und umgekehrt. Heiß wird das Thema der normativen Grenze immer da, wo eine hegemoniale Version von Bibel in Kraft ist: Modifikationen werden hier als Abweichungen von einer Norm verstanden. Immer geht es um Macht – die der kirchlichen Institutionen, die der Bewegungen, die Bibelübersetzungen produzieren und unter die Leute bringen, die der Bibelübersetzer, und die der AdressatInnen. Wo Bibelübersetzung fremdbestimmt erfolgt (als Auftragsarbeit), werden häufig normative Vorgaben von vornherein gesetzt. Wo ein Bibelübersetzer unabhängig arbeitet (wie Luther mit seinem Team), kann er normative Grenzen in eigener Entscheidung setzen und verrücken. Doch nur wenn eine Bibelübersetzung von einer Institution, Organisation oder Bewegung getragen wird, kann sie populär werden. Die intendierte Reichweite einer Bibelübersetzung, ihre Legitimität und Legitimation, die Übersetzenden in ihren Freiheiten und Abhängigkeiten, ihre Auftraggeber, ihre Gegner, die AdressatInnen als Objekte, Phantome und Subjekte, der Status von Bibel, die Frage der Deutungshoheit, die Bedeutung von Traditionen, gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse – das alles sind Einflussfaktoren, die bei der Analyse normativer Grenzen und Grenzüberschreitungen zu beachten sind.

6 Ausblick Die Typologie, die ich aufgestellt habe, hat heuristische Funktion. Sie soll ein vielschichtiges Feld von Phänomenen differenziert wahrzunehmen erlauben. Das heißt nicht, dass alle Tabus kontextunabhängig von gleichem Gewicht wären. Es gibt punktuelle, situativ begrenzte Tabus, es gibt Langzeittabus, es gibt heftig und weniger heftig umkämpfte Tabus. Nicht jede Tabuübertretung wurde mit Verbrennung des Produkts, Inhaftierung der Drucker, Hinrichtung der Produzierenden und Sanktionen gegen die Rezipierenden beantwortet, manche aber doch. Um das hier eröffnete Forschungsfeld weiter zu erschließen, sind mindestens folgende Aspekte einzubeziehen: Ȥ Übersetzungsskandale;100 Ȥ die jüdischen Kritiken christlicher Bibelübersetzungen von der Antike über die hochmittelalterlichen Zwangsdisputationen bis hin zu den Detailkritiken des 19. und 20. Jahrhunderts (Salomon Ludwig Steinheim, Morris de Jonge, Leo Baeck). Sie wurden zwar mit ganz wenigen Ausnahmen (David Flusser) von christlicher Seite ignoriert, zeigen aber, dass Verhandlungen normativer 100 Vgl. dazu Martin Leutzsch: Bibelübersetzung als Skandal und Verbrechen, in: Bibel-Impulse. Film – Kunst – Literatur – Musik – Theater – Theologie, hg. von Rainer Dillmann, Berlin 42–57.

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Grenzen im Blick auf christliche Bibelübersetzungen nicht nur ein intrareligiöses, sondern auch ein interreligiöses Thema sind; Ȥ die Transformation traditioneller normativer Grenzen, die seit 1904 durch diverse jüdische Übersetzungen des Neuen Testaments – gemeint sind Übersetzungen durch nicht zum Christentum konvertierte Juden – vorgenommen wurden;101 Ȥ der Vergleich mit Strukturen und Funktionen jüdischer Bibelübersetzungstabus, von denen ein Teil (etwa die verbotenen Targumim Mischna Megilla 4,10102 oder die rabbinischen Kataloge der Veränderungen der Septuaginta gegenüber dem Ausgangstext103) bereits ausführlich erforscht ist. Aufschlussreich wäre außerdem eine Klärung der Frage, welche der besprochenen Übersetzungstabus bibelübersetzungsspezifisch sind und zu welchen es Analogien in anderen Feldern der Translation gibt.104

101 Vgl. dazu Martin Leutzsch: Enteignung und Aneignung: Jüdische Übersetzungen des Neuen Testaments, in: Tabu und Übersetzung, hg. von Jekatherina Lebedewa unter Mitarbeit von Anja Holderbaum, Berlin [2016], 35–81. 102 Diese Mischna enthält eine Liste biblischer Passagen, die im Gottesdienst nicht übersetzt werden dürfen (Übersetzung Dietrich Correns): „Die Geschichte von Ruben (Gen 35,22) wird vorgelesen, aber nicht übersetzt. Die Geschichte von Tamar (Gen 38,13 ff.) wird vorgelesen und übersetzt. Die erste Geschichte vom [Goldenen] Kalb (Ex 32,1–20) wird vorgelesen und übersetzt. Und die zweite Geschichte vom [Goldenen] Kalb (Ex 32,21–25.35) wird vorgelesen, aber nicht übersetzt. Der Priestersegen, die Geschichte Davids (2. Sam 11,2–17) und Amnons (2. Sam. 13,1–22) werden nicht vorgelesen noch übersetzt.“ Hinzu kommt eine Torahstelle (Lev 18,21), die vorgelesen wird und bei der eine bestimmte, inhaltlich genauer benannte Übersetzung untersagt wird (Mischna Megilla 4,9). Vgl. dazu Philip S. Alexander: The Rabbinic List of Forbidden Targumim, in: Journal of Jewish Studies 27 (1976), 177–191; M[oses] Ginsburger: Verbotene Thargumim, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 44 (1900), 1–7; Tal Ilan: Mine and Yours are Hers: Retrieving Women’s History from Rabbinic Literature, Leiden/New York/Köln 1997, 258 n. 46; Michael L. Klein: Not to be Translated in Public – l῾ mtrgm bzjbwr῾, in: Journal of Jewish Studies 39 (1988), 80–91; Charles Perrot: Reading of the Bible in the Ancient Synagogue, in: Mikra. Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity, hg. von Martin Jan Mulder, Assen/Philadelphia 1988, 137–159, hier: 144; Giuseppe Veltri: Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, Tübingen 1994, 209 mit Anm. 386. Bezüglich der drei zuletzt genannten Stellen (Nu 6,22 ff.; 2Sam 11,2–17; 13,1–22) gibt es auch die Lesart, wonach diese Abschnitte vorgelesen, aber nicht übersetzt werden dürfen (vgl. Ginsburger, ebd., 4 mit Anm. 3). Diskussionen und Weiterführungen enthält Talmud Bavli, Megilla 25b; vgl. dazu Levy, Fixing God’s Torah (Anm. 20), 144–148. 103 Vgl. dazu Veltri, Eine Tora (Anm. 102). 104 In der Translationswissenschaft stammt die bislang ausführlichste Erörterung von Tabus von Robinson, Translation and Taboo (Anm. 49). Vgl. jetzt auch Lebedewa (Hg.), Tabu (Anm. 101); weiter z. B. Jekatherina Lebedewa: Tabu und Übersetzung, in: Empathie und Tabu(bruch) in Kultur, Literatur und Medizin, hg. von Gabriela Lehmann-Carli/Hilmar Preuß, Berlin 2013, 269–277.

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Text, Auslegung, Ritus Kontroversen um die richtige und falsche Übersetzung des Korans am Beispiel Indonesien Johanna Pink

1 Einführung Übersetzungen heiliger Schriften berühren neben allen Schwierigkeiten, die Übersetzungsvorgängen generell zu eigen sind, ein spezielles Problem: das der aus gläubiger Sicht unüberbrückbaren Hierarchie zwischen Übersetzer und „Autor“. Wenn der Übersetzer weder die Intention des Urhebers des Ausgangstextes voll erfassen kann noch je imstande sein kann, dessen rhetorisches Niveau zu erreichen, dann ist es fraglich, ob es ihm überhaupt noch – wie in vielen Übersetzungstheorien vorausgesetzt – um die Erzielung von Äquivalenz gehen kann. Das Problem wird noch verschärft, wenn – wie es beim Koran meist der Fall ist – der Sprache des Originals ein grundsätzlich höherer Wert zugesprochen wird oder gar eine Perfektion, die per definitionem in keiner Zielsprache erreichbar ist. Äquivalenz ist unter diesen Umständen nicht zu erzielen und nicht einmal anzustreben; die Übersetzung kann allenfalls einen vertikalen Transfer von Bedeutungselementen oder einzelnen semantischen, syntaktischen und grammatikalischen Strukturen von einer höheren auf eine niedrigere Ebene darstellen. Der Übersetzer läuft dabei stets Gefahr, sich dem Vorwurf der Grenzüberschreitung auszusetzen: Seine Tätigkeit kann entweder als Profanisierung des Heiligen verstanden werden oder aber als Anmaßung eines Verständnisses der göttlichen Intention, die Menschen nicht zugänglich ist.1 Es ist daher nicht überraschend, dass Übersetzer, die ein von der Hierarchie zwischen Gott und Mensch geprägtes Verständnis sakraler Schriften zugrunde legen, sich in der Regel für eine dokumentarische Übersetzung entscheiden werden, die sich eng am Ausgangstext orientiert und primär anstrebt, diesen verständlich zu machen, anstatt für eine instrumentelle Übersetzung, die darum bemüht ist,

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Vgl. Andreas Gipper: Vertikales Übersetzen. Vom translatorischen Umgang mit Sakralsprache, in: Welt des Orients 44 (2014), 251–262.

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einen zielsprachlichen Text zu produzieren, dessen Funktion äquivalent zu der des Ausgangstextes ist.2 Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes ist es naheliegend, dass Koranübersetzungen immer wieder zum Ort der Austragung von Konflikten werden, in denen es um die Normativität sakraler Texte wie auch die religiöse Autorität von Menschen und Institutionen geht. Der Koran spricht über sich selbst als „arabischen Koran“ (vgl. z. B. Q 42:7). Die große Mehrheit der muslimischen Theologen geht davon aus, dass es sich um Verbalinspiration in arabischer Sprache handelt. Einerseits wird damit dem Arabischen ein höherer Status als anderen Sprachen beigemessen, andererseits gilt der arabische – und nur der arabische – Wortlaut des Korans als göttlich. Im Verlauf der ersten Jahrhunderte islamischer Geistesgeschichte bildete sich das Dogma der Unnachahmlichkeit des Korans (i῾gˇāz al-Qur᾽ān) heraus, dem zufolge es Menschen unmöglich sei, einen dem Koran rhetorisch vergleichbaren Text zu erschaffen. All das führte dazu, dass die Vorstellung, der Koran könne übersetzbar im Sinne einer vollständigen ästhetischen und funktionalen Entsprechung sein, als theologisch unhaltbar erschien. Entgegen einer gängigen Fehlannahme galt es dennoch nie als verboten, den Koran in andere Sprachen zu übertragen. Die rasche Expansion islamischer Herrschaft und die stetige Konversion von nichtarabischen Nichtmuslimen in den folgenden Jahrhunderten brachten es mit sich, dass schon früh Versuche unternommen wurden, den Inhalt des Korans in anderen Sprachen, zum Beispiel dem Persischen, verständlich zu machen. Bei diesen Versuchen ging es allerdings nie um eine Übertragung des Textes in die Zielsprache in einer Form, die einen Ersatz für den Ausgangstext hätte darstellen können oder sollen, also um eine instrumentelle Übersetzung; vielmehr wurde eine dokumentarische Übersetzung, also die Verständlichmachung des Ausgangstextes, angestrebt. So gaben Interlinearübersetzungen oft zwischen den Zeilen die Bedeutung jedes einzelnen arabischen Wortes an, ohne dass das Ergebnis einen grammatikalisch korrekten, verständlichen Satz in der Zielsprache dargestellt hätte; oder der Inhalt des Koran wurde in der Zielsprache erläutert in Formaten, die paraphrastischen Kurzkommentaren ähnelten, wie es sie auch in arabischer Sprache gab. Manchmal wurden auch einfach populäre arabische Korankommentare in die Zielsprache übersetzt. Die Grenzen zwischen einer eher an den Text angelehnten Übertragung (targˇama) und einem Kommentar (tafsīr) waren fließend. Weitgehende Einigkeit herrschte darüber, dass diese nicht arabischsprachigen Werke weder in ritueller noch in literarischer Hinsicht einen Ersatz für den Koran darstellten, dass sie an dessen sprachliche Unnachahmlichkeit nicht heranreichten und daher auch nicht als „Koran“ bezeichnet werden konnten. Für die Rezitation des Korans in Gebet und Gebetsruf galt nur der arabische Koran als zulässig; Debatten gab es 2

Diese Typologie orientiert sich an Christiane Nord: Loyalität statt Treue. Vorschläge zu einer funktionalen Übersetzungstypologie, in: Lebende Sprachen 34 (1989), 100–105.

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allenfalls um die Frage, ob Personen, die noch keine arabischen Koranverse beherrschen, übergangsweise zu Zwecken des Gebets auf Übersetzungen zurückgreifen dürfen.3 Ab dem 18. Jahrhundert entstanden Übersetzungen, die in höherem Maße geeignet waren, als funktionales Äquivalent des arabischen Korans zu dienen und damit instrumentellen Charakter anzunehmen. Dieser Trend verstärkte sich noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bedingt durch zahlreiche Faktoren: Die Entstehung von Nationalstaaten und Etablierung von Nationalsprachen; die Ausweitung des Buchdrucks; die Alphabetisierung breiterer Bevölkerungsschichten in nichtreligiösen Bildungseinrichtungen; der Einfluss christlicher Missionare, die nicht nur Bibelübersetzungen verwendeten, sondern auch auf Koranübersetzungen zurückgriffen, um den Islam zu widerlegen; und die Ausbreitung religiöser Reformdiskurse, die darauf abzielten, den Koran als zentrale Botschaft und Rechtleitung für alle Gläubigen zu propagieren. Andererseits gab es im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf den Zerfall der islamischen Welt in Nationalstaaten und auf die türkisch-nationalistische Bewegung im Osmanischen Reich und der Türkischen Republik heftige Debatten um die Frage, ob der Koran überhaupt übersetzt werden dürfe oder solle. Die Übersetzungsgegner hatten ihr Zentrum in Ägypten, einem arabischsprachigen Land. Ihre Opposition gegen Übertragungen des Korans in andere Sprachen als das Arabische stellte eine Reaktion auf Entwicklungen dar, die von vielen Gelehrten als Bedrohung empfunden wurden: Die Marginalisierung des Arabischen in der Türkei, wo zeitweilig der Einsatz des Türkischen sogar im rituellen Bereich propagiert wurde; der Rückgang religiöser Bildung in weiten Teilen der islamischen Welt und damit einhergehend auch der Rückgang von Arabischkenntnissen bei nichtarabischen Muslimen; und das Eindringen eines protestantisch geprägten Schriftverständnisses in muslimische Reformdiskurse. Die Abwehr gegen die Übersetzung des Korans war jedoch zum Scheitern verurteilt. Ab dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verfassten immer mehr Muslime Koranübersetzungen ins Englische und zahlreiche andere Sprachen, mit muslimischem und nichtmuslimischem Zielpublikum.4 Diese Übersetzungen konnten dank moderner Drucktechnik in großen Auflagen vertrieben werden und bemühten sich zunehmend um ein übersichtliches Format, das der Typographie des westlichen Buchdrucks angepasst war und den Text auch Menschen 3 Einen kurzen Überblick über die Geschichte muslimischer Koranübersetzungen gibt Hartmut Bobzin: Translations of the Qur᾽ān, in: Encyclopaedia of the Qur᾽ān 5, Leiden 2006, 340–358. Eine umfassende und verdienstvolle Darstellung auf dem aktuellen Stand der Forschung bietet für den persischen Kontext Travis Zadeh: The Vernacular Qur᾽ān. Translation and the Rise of Persian Exegesis, Oxford 2012. 4 Für eine umfassende Analyse dieser Debatten vgl. M. Brett Wilson: Translating the Qur᾽an in an Age of Nationalism. Print Culture and Modern Islam in Turkey, Oxford 2014. Zum Englischen siehe Stefan Wild: Muslim Translators and Translations of the Qur᾽an into English, in: Journal of Qur᾽anic Studies 17 (2015), 158–182.

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mit geringer religiöser Bildung zugänglich machen sollte. Das äußerte sich unter anderem in deutlich markierten Verszählungen, Kopfzeilen mit Surennamen sowie bis dahin eher unüblichen Surennummerierungen und Surentabellen. Kommentare fanden sich oft nicht mehr an den Rändern, sondern in Fuß- oder Endnoten. In manchen Übersetzungen wurden nun der original- und der zielsprachige Text im Satz einander versweise gegenübergestellt, anstatt den zentral gesetzten arabischen Text von dem zielsprachigen „Kommentar“ umfließen zu lassen. Letzteres Format ist allerdings bis heute neben den europäischen Textsatzkonventionen immer noch verbreitet (vgl. Abb. 5). In keinem Bereich des muslimischen Spektrums werden heute die Legitimität und der Nutzen von Koranübersetzungen noch ernsthaft angezweifelt. Die theologischen Herausforderungen, die mit einer instrumentellen Übersetzung des Korans verbunden sind, bestehen jedoch in unverminderter Form weiter. Gleichzeitig ist die Rolle des Islams in modernen Nationalstaaten umstrittener denn je. Daher sind Koranübersetzungen nach wie vor dazu geeignet, Grenzen auszuloten und Konflikte auszulösen. An welchen Punkten sich diese Konflikte entzünden, von welchen Akteuren und mit welchen Argumenten sie ausgetragen werden, soll im Folgenden anhand eines spezifischen Kontextes erörtert werden: dem des modernen Indonesien.

2 Die Symbolkraft und Konflikthaftigkeit des Korans in Indonesien In der kolonialen und nationalstaatlichen Geschichte Indonesiens spielt die Verhandlung der Rolle des Islams und seiner normativen Traditionen bis heute eine zentrale Rolle.5 In besonderem Maße ging und geht es dabei um die Frage der Geltung islamischen Rechts; doch unter dem Einfluss reformistischer Strömungen gewann auch die Idee, allen Gläubigen Zugang zu den Ursprungstexten des Islams, insbesondere dem Koran, zu verschaffen, immer mehr an Bedeutung. Die Frage, wer wo in welcher Form den Koran vorträgt oder überträgt, ist jedoch hoch umkämpft. Wiederholt kommt es zu Konflikten um die Grenzen des Erlaubten, anhand derer auch symbolische Fragen von Autorität, Identität und Tradition verhandelt werden. Im Mai 2015 beispielsweise wurde bei einer religiösen Feierlichkeit im Staatspalast in Anwesenheit des Präsidenten der Koran rezitiert. Der Rezitator, Muhammad Yasser Arafat, Professor an einer Staatlichen Islamuniversität (UIN), ging dabei neue Wege und wählte einen javanischen Rezitationsduktus anstelle der allgemein akzeptierten Modi arabischer Koranrezitation – eine Ent5 Vgl. Olaf Schumann: Indonesien, in: Der Islam in der Gegenwart, hg. von Werner Ende/ Udo Steinbach, 5. Aufl., München 2005, 372–383. Zu neueren religiösen Debatten in Indonesien vgl. Carool Kersten: Islam in Indonesia. The Contest for Society, Ideas and Values, London 2015.

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scheidung, die Vorläufer in der lokalen religiösen Praxis hat, aber in offiziellen Kontexten unüblich ist. Sie löste heftige Reaktionen aus; der Rat Indonesischer Religionsgelehrter (Majelis Ulama Indonesia, MUI) kritisierte sie ebenso wie islamistische Aktivisten und politische Gegner des Präsidenten. Die Debatte um diesen Vorfall verdeutlicht einige Grundlinien gegenwärtiger indonesischer Debatten um den Koran. Eine Gruppe von Kritikern vor allem aus den Kreisen von Religionsgelehrten und islamistischen Akteuren verwies darauf, dass der Koran ein arabischer Koran sei und demzufolge auch seine Rezitation arabischen Gepflogenheiten zu folgen habe; deren Regeln seien schon durch den Propheten bestimmt worden und ließen keine Abweichungen oder gar Einfärbungen durch dem Koran fremde kulturelle Einflüsse zu. Diese Argumentation dürfte auch denjenigen indonesischen Muslimen attraktiv erschienen sein, die Bedenken gegenüber einer Dominanz javanischer Traditionen im Vielvölkerstaat Indonesien hegen. Da die Javaner die zahlenmäßig größte Bevölkerungsgruppe stellen, sind die Ängste vor einer Marginalisierung vielfältiger regionaler Traditionen durch den javanischen Einfluss so alt wie der indonesische Nationalstaat selbst. Hinzu kam im Zusammenhang mit dem konkreten Vorfall die Tatsache, dass der gegenwärtige Präsident, Joko Widodo, der den Festakt einberufen hatte, Javaner ist. Der Koran wird in diesem Kontext gerade dadurch, dass er ein arabischer Koran ist, als universelles Medium gedeutet, das sich der Anbindung an spezifische lokale und regionale Traditionen entzieht und damit zur Stiftung einer gemeinsamen nationalen Identität beitragen kann. Umgekehrt sahen Verfechter des Auftritts von Muhammad Yasser Arafat, unter denen sich der indonesische Religionsminister befand, gerade in der Indigenisierung des Islams, in seiner Loslösung von arabischen Traditionen, den richtigen Weg zu einem authentisch indonesischen Islam, der derzeit unter dem Schlagwort Islam nusantara („Archipel-Islam“) intensiv verhandelt wird. Nur dies ermögliche auch die Verbreitung des Islams (dakwah) – ein Begriff, der im muslimischen Diskurs vorrangig als Mission unter nicht oder nicht korrekt praktizierenden Muslimen verstanden wird, aber auch die Bekehrung von Nichtmuslimen einschließen kann. Schließlich verwiesen Befürworter der javanischen Rezitation darauf, dass die Traditionen der Koranrezitation (tagˇwīd) durchaus vielfältig seien und es gerade nicht eine einzige korrekte Aussprachevorschrift gebe.6 Es geht in der Debatte also auch um die Erlaubtheit von Vielfalt im Um6 Der Vorfall wurde so breit in indonesischen Medien diskutiert, dass hier eine vollständige Dokumentation kaum möglich ist. Zu den genannten Argumenten vgl. zum Beispiel http://nasional.republika.co.id/berita/nasional/umum/15/05/18/nojdm8-mui-dki-pembacaanalquran-langgam-seperti-sinden-kurang-sesuai; http://www.indoberita.com/2015/05/16376/alq uran-langgam-jawa-jadi-kontroversi-cak-nun-sudah-dari-dulu-lakukan/; http://www.kiblat.n et/2015/05/19/kontroversi-baca-al-quran-langgam-jawa/; https://m.tempo.co/read/news/2015/ 05/18/078667038/menteri-agama-akan-festivalkan-baca-quran-langgam-nusantara; https:// www.satuislam.org/nasional/jawaban-kontroversi-baca-al-quran-langgam-jawa/; http://boom ee.co/life-style/al-quran-langgam-jawa/; http://www.manhajul-anbiya.net/tentang-kontroversi-

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gang mit dem Koran – und um die Frage, wer bestimmen darf, wo die Grenzen des Erlaubten liegen. Selbst die Rezitation des arabischen Korantextes birgt somit Konfliktpotenzial, weil sie an große, auch auf symbolischer Ebene geführte Debatten um Identität und Authentizität anknüpft, die Indonesien anhaltend beschäftigen. Dabei werden auch Fragen der Autorität religiöser und nichtreligiöser Akteure, einschließlich des Staates, sowie der normativen Kraft von Traditionen berührt, die umso deutlicher zum Vorschein treten, wenn nicht über die Rezitation des arabischen Korans, sondern über seine Übertragung ins Indonesische debattiert wird. In der jüngeren indonesischen Geschichte kam es zu zwei solcher größeren Kontroversen um Koranübersetzungen. Vor der Auseinandersetzung mit diesen Kontroversen soll jedoch die Übersetzung des Korans im modernen Indonesien zumindest umrisshaft im Kontext historischer Entwicklungen und religiöser Debatten situiert werden.

3 Nationalismus und staatliche Deutungshoheit: Koranübersetzungen ins moderne Indonesisch Die Geschichte moderner indonesischer Koranübersetzungen reicht zurück bis in die 1920er Jahre. Zu dieser Zeit propagierten indonesische Nationalisten das Malaiische in Lateinschrift als einheitliche Nationalsprache, Bahasa Indonesia; und damals entstanden auch die ersten Koranübersetzungen in diese Sprache. Zwar existierte im Land bereits eine jahrhundertealte Übersetzungstradition, doch hatte es sich dabei in erster Linie um paraphrastische Korankommentare in Regionalsprachen in arabischer Schrift gehandelt, die nur für wenige Menschen zugänglich und verständlich waren; meist richteten sie sich an ein höfisches Milieu. Die neuen Koranübersetzungen hingegen sollten alle des Lesens und Schreibens mächtigen Indonesier, auch solche ohne religiöse Bildung, ansprechen. Diese Tendenz verstärkte sich noch nach der Nationalstaatsgründung im Jahr 1945. Die neuen Übersetzungen profitierten von der Verfügbarkeit des Buchdrucks. Sie erschienen in modernen Druckausgaben, manchmal auch in Zeitschriften, und konnten so vergleichsweise weite Verbreitung erlangen. Die Stärkung der Nationalsprache war in der Zeit des Antikolonialismus und der Staatsgründung ein vorrangiges Ziel; die Übersetzung des Korans passte gut in diese Agenda. Es kam durchaus auch zu Übersetzungsprojekten in diverse – durchweg nicht staatlich anerkannte – Regionalsprachen, aber in der Indonesischen Republik war und blieb Bahasa Indonesia die einzige Amtssprache und bacaan-al-quran-dengan-langgam-jawa/; http://www.solopos.com/2015/05/21/alquran-berlang gam-jawa-quraish-shihab-jawab-kontroversi-alquran-berlanggam-nusantara-606512, letzter Zugriff jeweils am 22. 03. 2016.

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das Hauptmedium schriftlicher Kommunikation und daher auch die Sprache, in die der Koran am häufigsten übersetzt wurde. Ein weiterer wichtiger Faktor, der zur Produktion indonesischer Koranübersetzungen beitrug, war die Tätigkeit reformistischer religiöser Organisationen in Indonesien, die mit der Gründung der Muhammadiyah im Jahr 1912 einsetzte. Beeinflusst durch die Ideen ägyptischer Reformer, kritisierten sie die Rückständigkeit der muslimischen Gesellschaften und machten unter anderem ein fehlendes oder falsches Verständnis des Islams dafür verantwortlich. Sie wandten sich gegen synkretistische Praktiken, feudalistische Strukturen, den Heiligenkult der Sufi-Orden und die mangelnde Befolgung der religiösen Gebote des Korans. Bildung war ihrer Auffassung nach der Schlüssel zur Reform; sie gründeten Schulen und betrieben dakwah. Gerade bei der Mission nahmen Koranübersetzungen eine wichtige Rolle ein, denn die Reformer sahen sich mit einer stetig wachsenden Masse gebildeter muslimischer Indonesier konfrontiert, die nicht des Arabischen mächtig waren, sondern Bahasa Indonesia in lateinischer Schrift lasen.7 In den 1960er Jahren unternahm der indonesische Staat – der sich explizit als religiöser, aber nicht islamischer Staat versteht – einen ungewöhnlichen Schritt: Das Religionsministerium begann mit der Publikation einer offiziellen Koranübersetzung, zu der einige Jahre später ein elfbändiger Korankommentar hinzukam. Beide Werke wurden mehrmals überarbeitet und neu aufgelegt. In den Neuauflagen spiegelten sich sowohl die rapide Entwicklung der indonesischen Sprache als auch Regime- und Ideologiewechsel wider. Nur wenige Nationalstaaten der islamischen Welt haben bisher einen vergleichbaren Schritt unternommen, und wenn sie es taten – wie etwa im Fall der Türkei –, legten sie weit stärkeren Wert als die selbstbewusste indonesische Regierung darauf, diese Koranübersetzungen und -kommentare als Werke individueller Gelehrter und weniger als Repräsentation staatlicher religiöser Autorität darzustellen. Immerhin erhebt eine Regierung, die eine staatliche Koranübersetzung publiziert, damit einen Anspruch auf religiöse Deutungshoheit, der sie auch Angriffen aussetzt: Ihre grundsätzliche Legitimität, solche Deutungshoheit auszuüben, kann ebenso in Frage gestellt werden wie die konkreten inhaltlichen Entscheidungen der staatlichen Übersetzung. Die Existenz einer offiziellen indonesischen Koranübersetzung ist vielleicht auch der Tatsache zu verdanken, dass sie ein Produkt einer Epoche autoritärer Herrschaft war, in der der Staat das religiöse Feld in weit stärkerem Maße kontrollierte, als dies heute der Fall ist, und in der eine na7 Zur Geschichte indonesischer Koranübersetzungen und -kommentare vgl. Peter Riddell: Translating the Qur᾽ān into Indonesian Languages, in: Al-Bayān 12 (2014), 1–27; Anthony H. Johns: Qur᾽anic Exegesis in the Malay-Indonesian World. An Introductory Survey, in: Approaches to the Qur᾽an in Contemporary Indonesia, hg. von Abdullah Saeed, Oxford 2005, 17–40; Michael R. Feener: Notes Towards the History of Qur᾽anic Exegesis in Southeast Asia, in: Studia Islamica 5 (1998), 47–76; Abdullah Saeed: Introduction. The Qur᾽an, Interpretation and the Indonesian Context, in: Approaches to the Qur᾽an in Contemporary Indonesia, hg. von Abdullah Saeed, Oxford 2005, 1–16.

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tionalistische und revolutionäre Rhetorik den öffentlichen Diskurs dominierte. Wie im Folgenden deutlich werden wird, führte die liberalere Situation nach dem Rücktritt Suhartos im Jahr 1998 dazu, dass die staatliche Übersetzung Angriffen ausgesetzt war, die zuvor nicht hatten artikuliert werden können.8 Die Übersetzung des Religionsministeriums ist nicht nur aufgrund ihrer bloßen Existenz interessant, sondern auch deswegen, weil sie den Markt in hohem Maße dominiert. Der Großteil der in Indonesien angebotenen Koranausgaben stützt sich auf sie. Dies gilt auch für die Ausgabe, die von Saudi-Arabien herausgegeben und unter anderem an alle Pilger verteilt wird; allerdings beruht diese auf einer älteren Auflage der staatlichen Übersetzung und vertritt durch veränderte Fußnoten und Einschübe auf subtile Weise saudische religiöse Dogmen. Trotz der Hegemonie der Regierungsübersetzung ist das Feld jedoch vielfältig. Es gibt mindestens zwanzig vollständige Koranübersetzungen und Kurzkommentare in Bahasa Indonesia; hinzu kommen eine Reihe von ausführlicheren Korankommentaren in der Nationalsprache sowie eine wachsende Zahl von Übersetzungen in indonesische Regionalsprachen. Allen Ausgaben dieser Übersetzungen und Korankommentare ist gemeinsam, dass sie zweisprachig sind, also den arabischen Text des Korans beinhalten. Nur dies rechtfertigt aus muslimischer Sicht die Bezeichnung einer Koranausgabe als „Koran“. Zur Frage der Terminologie und der Abgrenzung zwischen Koranübersetzung und Korankommentar erscheinen einige Erläuterungen angebracht.

4 Arabischer Koran, Übersetzung und Kommentar Angesichts der eingangs erläuterten theologischen Probleme mit instrumentellen Übersetzungen des arabischen Korans ist die Benennung der Übertragungen des Korantextes eine sensible Frage. Nur selten, und wohl ausschließlich in westlichen Kontexten, tragen die Übersetzungen – soweit von Muslimen verfasst – den Titel „Der Koran“. Die Konventionen sind ansonsten von Sprachraum zu Sprachraum unterschiedlich; in manchen Kontexten wird das semantische Feld der „Übersetzung“ ganz vermieden und stattdessen von „Übertragung der Bedeutungen“ gesprochen, in anderen ist der Übersetzungsbegriff mit Bezug auf den Koran gängig. Was das Indonesische angeht, so finden sich die Begriffe terjemah im Sinne einer Bedeutungsübersetzung und tafsir („Erklärung“ im Sinne von „Korankommentar“) nebeneinander. Die Übersetzung des Religionsminis8 Zur Koranübersetzung des Religionsministeriums vgl. Moch Nur Ichwan: Negara, Kitab Suci dan Politik. Terjemah Resmi Al-Qur᾽an di Indonesia, in: Sadur: Sejarah terjemahan di Indonesia dan Malaysia, hg. von Henry Chambert-Loir, Jakarta 2009, 417–33; Howard M. Federspiel, Popular Indonesian Literature of the Qur᾽an, Ithaca 1994, 64–69; Johanna Pink: „Literal meaning“ or „correct ῾aqīda“? The reflection of theological controversy in Indonesian Qur᾽an translations, in: Journal of Qur᾽ānic Studies 3 (2015), 100–120.

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teriums zum Beispiel trägt den Titel Al-Qur᾽an dan terjemahnya („Der Koran und seine Übersetzung“): Der „Koran“ steht dabei für den arabischen Text, das Wort terjemah für die Übertragung ins Indonesische. Der weitaus umfangreichere Korankommentar des Ministeriums hingegen heißt Al-Qur᾽an dan tafsirnya („Der Koran und seine Erklärung / Kommentierung“). Es gibt andererseits auch indonesische Koranübersetzungen, die sich trotz ausgeprägter Kürze als tafsir bezeichnen; die Terminologie ist nicht einheitlich und lässt nicht immer auf die Beschaffenheit des Werkes schließen.9 Alle mir vorliegenden indonesischen Koranübersetzungen sind zweisprachig, enthalten also neben der indonesischen Übersetzung den arabischen Text. Weiterhin ist ihnen – mit einer Ausnahme, die unten näher besprochen wird – gemeinsam, dass sie sich ausschließlich als Wiedergabe des Inhalts, nicht aber der sprachlichen Form des arabischen Korans verstehen. In dem Bemühen, die arabische Bedeutung, gegebenenfalls einschließlich gängiger Interpretationen,10 möglichst exakt wiederzugeben, orientieren sie sich stark an der arabischen Syntax auf Kosten der flüssigen Lesbarkeit in der Zielsprache und greifen extensiv auf Einschübe in Klammern, erläuternde Hinzufügungen und Angaben von Alternativübersetzungen zurück. Dass das Feld der indonesischen Koranübersetzungen von ungeschriebenen Normen geprägt, aber auch von Konfliktlinien durchzogen ist, wurde im Verlauf zweier viel beachteter Kontroversen der jüngeren indonesischen Geschichte deutlich. In jedem der beiden Fälle stand eine vollständige Koranübersetzung ins moderne Indonesische im Zentrum der Auseinandersetzung. Die erste von ihnen war Gegenstand heftiger Attacken; mit der zweiten verhielt es sich genau umgekehrt, indem sie selbst zum Angriff blies, und zwar gegen die religiöse Hegemonie des indonesischen Staates. Einige der wesentlichen Aspekte, die in diesen Kontroversen verhandelt wurden, sollen in den nachfolgenden Abschnitten erläutert werden. Um die Differenzen und Konfliktpunkte zu veranschaulichen, beziehe ich mich jeweils auf den Umgang mit der ersten Sure des Korans, der Fātiha: ˙

‫ ب ِْس ِم ٱل َّل ِه ٱل َّرحْ َ ٰم ِن ٱل َّر ِحي ِم‬١ ‫ين‬ َ ‫ ٱ ْل َح ْم ُد لِ َّل ِه َر ِّب ٱ ْل َ ٰع َل ِم‬٢ ‫ ٱل َّرحْ َ ٰم ِن ٱل َّر ِحي ِم‬٣ ‫ِّين‬ ِ ‫ َ ٰم ِل ِك َي ْو ِم ٱلد‬٤ ِ ‫ين‬ ُ ‫ إِ�يَّاكَ َن ْع ُب ُد َو إِ�يَّاكَ َن ْس َتع‬٥ ‫يم‬ َ ‫ ٱ ْه ِد َنا ٱلصِّ َ ٰر َط ٱ ْل ُم ْس َت ِق‬٦ َّ ‫وب َعل َۡيه ِۡم َو َلا‬ ِ ُ‫ين �أ ۡن َع ۡم َت َعل َۡيه ِۡم َغ ۡي ِر ٱ ۡل َم ۡغض‬ ‫ين‬ َ ِّ‫ٱلض آال‬ َ ‫ ِص َ ٰر َط ٱلَّ ِذ‬٧

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Vgl. dazu Pink, „Literal meaning“ (Anm. 8), 102. So fügen zum Beispiel viele Übersetzer zu koranischen Termini, die ihnen dogmatisch missverständlich erscheinen, Erläuterungen in Klammern hinzu, etwa wenn der „Thron Gottes“ als Metapher für Gottes Allmacht und Allwissenheit erklärt wird; vgl. Pink, „Literal meaning“ (Anm. 8), 110–111. 10

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bi-smi llāhi r-rahmāni r-rahīm ˙ rabbi l-῾ālamīn ˙ al-hamdu li-llāhi ˙ māni r-rahīm ar-rah ˙ yawmi d-dīn ˙ māliki iyyāka na῾budu wa-iyyāka nasta῾īn ihdinā s-sirāta l-mustaqīm ˙ ˙ īna˙ an῾amta ῾alayhim ġayri l-maġdūbi ῾alayhim wa-lā d-dāllīn sirāta llad ˉ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen. Lobpreis sei Gott, dem Herrn der Weltbewohner, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem Herrscher des Gerichtstags! Dir dienen wir, dich rufen wir um Hilfe an. Leite uns den rechten Weg, den Weg derer, denen du gnädig bist, nicht derer, über die gezürnt wird, noch derer, welche irregehn!11

4.1 HB Jassin: Eine Übersetzung unter Beschuss HB (Hans Bague) Jassin (1917–2000) war ein prominenter indonesischer Literaturkritiker, Verleger, Schriftsteller und Übersetzer. Sein Schaffen bezog sich zunächst ausschließlich auf den Bereich nichtreligiöser Literatur. Er trat dezidiert für die Freiheit der Kunst auch gegen Blasphemievorwürfe ein; dies war einer der Faktoren, die ihn aus Sicht vieler konservativer gläubiger Muslime nicht als geeignet erschienen ließen, sich dem Koran zu widmen. Tatsächlich fühlte sich Jassin nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1962 zunehmend zum Koran hingezogen. Er war beeindruckt von der 1938 erstveröffentlichten englischen Übersetzung Abdullah Yusuf Alis (1872–1953), der seiner Ansicht nach gelang, was die verfügbaren indonesischen Koranübersetzungen nicht erreichten: Die Schönheit und Erhabenheit des Korantextes dem Leser zu vermitteln. Während eines Aufenthalts in den Niederlanden zwischen 1972 und 1974 übersetzte er den Koran selbst ins Indonesische mit dem Ziel, diese Lücke zu schließen. Da er auch mit der Wiedergabe des arabischen Korantextes unzufrieden war, ließ er zudem den indonesischen Kalligrafen Haji R. Ganda Magundihardja den gesamten arabischen Text des Korans neu schreiben.12 Sowohl in seiner Übersetzung als auch in der kalligrafierten arabischen Fassung achtete er auf einen Textsatz, der die Struktur des Korantextes deutlich werden ließ. Die 11

Übersetzung nach Hartmut Bobzin: Der Koran, München 2010, 9. Später gab er bei dem bekannten Kalligraphen D. Sirajuddin AR eine neue Version des arabischen Korans in Auftrag, die er unter dem Titel „Der Koran in poetischer Form“ herauszugeben beabsichtigte; vgl. Yusuf Rahman: The Controversy around H. B. Jassin: a Study of his al-Quranu᾽l-Karim Bacaan Mulia and al-Qu᾽an al-Karim Berwajah Puisi, in: Approaches to the Qur᾽an in Contemporary Indonesia, hg. von Abdullah Saeed, Oxford 2005, 93–94. Schon die Erstausgabe von 1978 mit der Fassung von Haji R. Ganda Magundihardja setzt aber, entgegen Yusuf Rahmans Angaben, den arabischen Text in Versen und Versabschnitten. 12

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erste Ausgabe des Werkes erschien 1978 nach dreijährigen Prüfungen und Diskussionen mit den indonesischen Zensurbehörden unter dem Titel Bacaan Mulia, „Die erhabene Lesung“ – eine direkte Übersetzung des arabischen al-Qur᾽ān al-karīm. Allein die Übertragung dieser Begriffe ins Indonesische, anstatt Lehnwörter aus dem Arabischen zu verwenden, stellte eine Abkehr von Konventionen dar.13 Jassins Koranübersetzung war wohl die erste und bisher einzige eines professionellen Übersetzers ins Indonesische. Ein Blick auf die erste Sure des Korans, die Fātiha, macht selbst für Leserinnen ˙ und Leser, die des Arabischen sowie des Indonesischen unkundig sind, einige der wesentlichen Unterschiede zwischen der Ausgabe Jassins (Abb. 1) und der damals aktuellen Ausgabe des indonesischen Religionsministeriums (Abb. 2–3) deutlich.14 Der indonesische Text der Regierungsausgabe ist in Blocksatz gesetzt, verwendet Silbentrennung und macht umfangreichen Gebrauch von Einschüben in Klammern und Fußnoten. Er nimmt keine Rücksicht auf das Klangbild im Indonesischen, sondern orientiert sich ausschließlich an der intendierten Bedeutung. Jassin hingegen strukturierte den Text nicht nur versweise, sondern untergliederte auch längere Verse nach Laut- und Sinneinheiten. Er bemühte sich zwar nicht um Metrik, die auch das arabische Original nicht aufweist, aber doch um einen gewissen Sprachrhythmus und strebte sogar ansatzweise danach, den für den Koran typischen Endreim im Indonesischen wiederzugeben, indem er jeden Vers mit den Silben -am, -an oder -ang enden ließ; im arabischen Text enden die Verse auf -īm und -īn. Dass dies eine bewusste Entscheidung war, lässt sich daran erkennen, dass er in Vers 6 die gängige Wendung jalan yang lurus („der rechte Weg“) durch das ungefähr synonyme, aber in dieser Fügung im religiösen Kontext weit weniger geläufige jalan yang lempang ersetzte. Das Ziel bestand offensichtlich darin, dass sich der Text nicht nur im Arabischen, sondern auch im Indonesischen angenehm lesen, vielleicht sogar vortragen lässt. Jassin sagte von sich selbst, dass er die Wortwahl nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der Aussprache abhängig gemacht habe und oft bewusst von der arabischen Syntax abgewichen sei, um ein besseres Ergebnis im Indonesischen zu erzielen.15 Allerdings blieb sein Versuch einer literarischen Wiedergabe des Korans vergleichsweise dezent. Er reimte nur an wenigen Stellen, benutzte nur gelegentlich Alliterationen und orientierte sich insgesamt recht eng am arabischen Text – viel enger jedenfalls, als es zum Beispiel deutsche Übersetzer der Romantik wie Friedrich Rückert taten. Dennoch erfuhr Jassin nach Erscheinen von Bacaan Mulia heftige Kritik. Es kam zu einem regelrechten Zeitungskrieg, er führte einen umfangreichen Briefwechsel mit seinen Kritikern, und es erschienen mehrere Bücher, die auf 13

Vgl. Rahman, Controversy (Anm. 12), 85–94. Die Unterschiede in der Rechtschreibung sind hier unerheblich; sie gehen darauf zurück, dass zwischen den beiden Ausgaben eine Rechtschreibreform stattgefunden hatte. 15 Vgl. Rahman, Controversy (Anm. 12), 91–92. 14

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hunderten von Seiten gegen seine Koranübersetzung polemisierten.16 An der Oberfläche bezog sich ein erheblicher Teil dieser Kritik auf den Vorwurf fehlerhafter Übersetzung. Allerdings sind die „groben Fehler“, die zum Beispiel Oemar Bakry, ein leidenschaftlicher Kritiker Jassins, in einem Brief an das Religionsministerium und religiöse Institutionen auflistete, nicht besonders spektakulär. An zwei Punkten weist er auf tatsächliche Ungenauigkeiten in der Übersetzung hin, die möglicherweise stilistisch motiviert waren und nur bei böswilliger Lesung sinnentstellend sind.17 Andere Kritikpunkte beziehen sich auf Jassins Entscheidung, bestimmte Termini des Korans nicht an jeder Stelle mit dem gleichen indonesischen Wort zu übersetzen – ein klassisches Übersetzungsproblem, das Jassin auch nach ästhetischen Gesichtspunkten durch Verwendung unterschiedlicher indonesischer Begriffe lösen wollte, was Bakry unabhängig von inhaltlichen Gesichtspunkten für grundsätzlich unzulässig hält.18 Auffällig ist, dass einige der von ihm heftig kritisierten „Fehler“ Jassins sich nahezu identisch in anderen gängigen indonesischen Übersetzungen, etwa der des Religionsministeriums, finden.19 Auch wenn man Jassins Übersetzung der ersten Sure betrachtet, sind die Unterschiede zur staatlichen Übersetzung gering. Oft ist sogar die Wortwahl identisch, und wo sie es nicht ist, zielt dies eher auf den Sprachrhythmus als auf eine veränderte Bedeutung ab. Auffällig ist allerdings im Vergleich Jassins Übersetzung von Q 1:7. Al-maġdūbi ῾alayhim übersetzt er nicht, wie das Religionsmi˙ nisterium, wörtlich mit „die, über die gezürnt wird“ (mereka yang dimurkai), sondern mit „die Menschen, denen Du zürnst“ (orang yang Kaumurkai). Die Verschiebung von einer Passivonstruktion hin zu Gott als Subjekt ist theologisch problematisch, weil sie impliziert, dass Gott menschliche Gefühle wie das des Zorns empfindet. Vor allem aber setzt sie Jassin dem Vorwurf aus, unsorgfältig übersetzt zu haben. Passivkonstruktionen werden im Indonesischen regelmäßig 16 Vgl. ebd., 94–96; Penerbit Mutiara (Hg.): Polemik H. Oemar Bakry dengan H. B. Jassin tentang Al-Quränul karim Bacaan Mulia, Jakarta 1979. 17 So wirft Bakry Jassin vor, er habe die Syntax von Q 2:2–3 falsch wiedergegeben. Ihm zufolge sei der Koran nicht, wie im Quellentext gesagt, Rechtleitung für „die Gottesfürchtigen, die an das Verborgene glauben“ (li-l-muttaqīna alladīna yu᾽minūna bi-l-ġaybi), sondern für die ˉ Gottesfürchtigen und / oder diejenigen, die an das Verborgene glauben, womit er impliziere, dass der Koran auch diejenigen, die an das Verborgene glauben, aber nicht gottesfürchtig sind, rechtleite. Es fragt sich allerdings, ob es wahrscheinlich ist, dass Leser von Jassins Übersetzung die Stelle so verstehen; Jassins Übersetzung erzwingt dies keineswegs. Ähnlich verhält es sich mit dem Vorwurf, Jassin habe in Q 2:44 das transitive arabische Verb nasiya („vergessen“) mit dem intransitiven indonesischen Verb lupa (anstatt des transitiven melupakan) übersetzt: Die Übersetzung ist nicht exakt, aber auch nicht grob sinnentstellend. Sie verzichtet allerdings darauf, die allgemein von den Exegeten vorgenommene Präzisierung, dass es um das Vergessen religiöser Pflichten gehe, wiederzugeben. Vgl. Mutiara, Polemik (Anm. 16), 9–11. 18 Vgl. ebd., 10–12. 19 Dies betrifft zum Beispiel die Übersetzung von ummatan wasatan („eine Gemeinschaft ˙ Vgl. ebd., 11. der Mitte“) in Q 2:143 mit umat yang adil („eine gerechte Gemeinschaft“).

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benutzt, um aktivische Bedeutungen auszudrücken, so dass der Eindruck entstehen könnte, Jassin habe einfach gängige indonesische Übersetzungen konsultiert und die dort verwendeten Passivkonstruktionen so verstanden, wie sie ein indonesischer Leser bei flüchtigem Lesen verstehen würde, nämlich aktivisch. Andererseits ist Jassin nicht allein mit seiner Übersetzung. Auch Ahmad Hassan, der erste Übersetzer des Korans in moderne Indonesisch, übersetzte die Passivkonstruktion in Q 1:7 aktivisch mit Gott als Subjekt, ohne dadurch Kontroversen auszulösen. Jassins Übersetzung macht sich naturgemäß angreifbar, in dem sie bewusst auf Klammern und Anmerkungsapparate verzichtet und dadurch übersetzerische Entscheidungen nicht relativieren kann. Sie vermeidet jedoch die Propagierung einer Agenda; es lassen sich weder systematische dogmatische Verzerrungen noch exzessive dichterische Freiheiten im Umgang mit dem Text feststellen. Jassins Entscheidungen bewegen sich inhaltlich in der Regel innerhalb des gleichen Rahmens wie die anderer indonesischer Übersetzungen. Bakrys Brief beschränkt sich dementsprechend nicht auf kritische inhaltliche Anmerkungen, sondern greift grundsätzlich die Qualifikation Jassins an, den Koran zu übersetzen. Ungeachtet seiner schriftstellerischen Erfahrung in der Zielsprache seien weder seine Kompetenzen im Arabischen noch in den islamischen Wissenschaften ausreichend, um ihn zu einer derartigen Aufgabe zu befähigen. Er bediene sich ausschließlich aus westlichen Quellen, was zwangsläufig zu Fehlern führe.20 Tatsächlich nennt Jassin als Quellen in erster Linie europäische und indonesische Koranübersetzungen und diverse Wörterbücher, nicht aber Werke der muslimischen Koranexegese. Und genau hier liegt der eigentliche Kern der Vorwürfe gegen seine Koranübersetzung: Jassin sei im Niederländischen und Englischen besser bewandert als im Arabischen, und sein Bacaan Mulia sei ein orientalistisches Projekt, einen Koran europäischer Lesart zu präsentieren. Im Hintergrund schwangen seine „zweifelhafte“ Vorgeschichte als Verteidiger vermeintlich blasphemischer Literatur und seine große Nähe zu europäischer Kultur und Literatur mit. Zwar wiesen Jassins Unterstützer darauf hin, dass es im Islam kein Priestertum gebe, doch ging es in der Debatte sehr deutlich sowohl um Fragen religiöser Autorität als auch um ständische Interessen religiöser Gelehrter im Kontext eines Nationalstaates, der sich noch mitten im Prozess der Konstruktion seiner Identität und der Organisation seines religiösen Feldes befand.21 Die andere Ebene der hintergründigen Kritik an Jassin betraf seinen Versuch, die indonesische Übersetzung ästhetisch ansprechend zu machen, den Rhythmus der Zielsprache zu berücksichtigen und ihr eine Form zu verleihen, die sie geeignet nicht nur zum stillen Lesen, sondern auch zum Vortragen machen soll20 21

Vgl. ebd., 12–13. Vgl. Rahman, Controversy (Anm. 12), 94–96.

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te. Das konnte Anlass zu dem Verdacht geben, Jassin sei es um mehr gegangen als um eine Erklärung des arabischen Textes; seine Übersetzung ziele vielmehr darauf ab, den arabischen Koran durch einen indonesischen zu ersetzen. Womöglich stelle sie sogar Dichtung dar, eine Kategorie, von der sich der Koran selbst klar distanziert (Q 36:69) – in erster Linie mit der Intention, eine Urheberschaft Muhammads auszuschließen. Jassin selbst bezeichnete den Koran zwar nicht ex˙ plizit als Dichtung, sprach aber viel von seiner poetischen Ausdrucksweise und Struktur, was konservative Muslime als einen Verstoß gegen unantastbare Dogmen empfanden.22 Ein Unterstützer Jassins, der prominente – und selbst recht schillernde – religiöse Gelehrte Hamka (1908–1981), wies hingegen darauf hin, Jassin verfüge im Gegensatz zu Koranübersetzern aus dem Milieu der Religionsgelehrsamkeit über herausragende Fähigkeiten in der indonesischen Literatur und Literaturkritik. Niemand könne alle Fachgebiete beherrschen, doch jeder habe das Recht, der Religion mit seiner ihm eigenen Qualifikation zu dienen.23 Dass Jassins Übersetzung dennoch an Tabus rührte, was zu reflexhaften Abwehrreaktionen seitens vieler muslimischer Akteure und auch staatlicher Instanzen führte, lässt sich gut am Umgang mit der von ihm geplanten rein arabischen Ausgabe des Korans erkennen. Das Religionsministerium schreckt bis heute davor zurück, diese Ausgabe zu genehmigen, obwohl die dafür zuständige Kommission des Ministeriums keine Verstöße gegen die geltenden Standards der Vokalisierung und Rezitationszeichen ausfindig machen konnte. Es gab dennoch um das Projekt mindestens ebenso heftige Kontroversen wie um Jassins Übersetzung.24 Das lag nicht nur daran, dass die Debatte um seine Koranübersetzung und seine mangelnde religiöse Qualifikation auf das Vorhaben des einsprachigen Korans abfärbte, sondern vor allem daran, dass Jassin im Textsatz radikal neue Wege ging. Üblicherweise wird der Koran seit frühester Zeit in Blocksatz und Fließtext geschrieben, ohne Zeilenumbrüche am Versende; dies diente nicht nur zum sparsamen Umgang mit Schreibmaterial, sondern grenzte ihn auch gegen Dichtung ab, die versweise gesetzt wurde. Alle gängigen indonesischen Koranausgaben folgen dieser Konvention (vgl. Abb. 4). Jassin sagte selbst, seine Koranausgabe sei die erste in arabischer Sprache, die mit ihr breche: Er setzt den Koran in Versen oder Versabschnitten untereinander, so dass Zeilenumbrüche wie bei Gedichten mit Pausen im Vortrag zusammenfallen. Zwar gilt die Tradition des Textsatzes keineswegs als Teil des göttlichen Ursprungs des Korans. Sie reicht aber bis in die Zeit der ersten Koranhandschriften zurück, wird üblicherweise dem Propheten zugeschrieben und ist so monolithisch, dass sie vielen indonesischen Muslimen als absolut verbindlich erscheint und jeder Verstoß gegen sie als Sakrileg. Gegner von Jassins Koranedition berie22

Vgl. ebd., 89, 97–98. Vgl. ebd., 98. 24 Vgl. H. B. Jassin (Hg.): Kontroversi al-Qur᾽an berwajah puisi, Jakarta 1995; Rahman, Controversy (Anm. 12), 96–97. 23

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fen sich auf die reformistische, gegenwärtig stark vom Wahhabismus beeinflusste Idee, dass der Islam von „unerlaubten Neuerungen“ (bida῾) frei gehalten werden müsse, sowie auf die unerlaubte Nähe von Jassins Konzept des Textsatzes zur Dichtung, von der sich der Koran distanziere. Das Ministerium selbst gab zu, den Druck von Jassins einsprachiger Koranausgabe in einer politisch instabilen Zeit vorwiegend aus Angst vor weiteren Kontroversen – vergleichbar mit denen, die seine Übersetzung ausgelöst hatte – unterbunden zu haben.25 4.2 Muhammad Thalib: Eine Übersetzung als Waffe Bei der Koranübersetzung Muhammad Thalibs ist der Fall gänzlich anders gelagert als bei Jassin. Hier war es nicht so, dass eine Koranübersetzung Kritik auf sich zog, sondern die Übersetzung selbst war als Instrument der Kritik, ja sogar des Angriffs auf die religiöse Legitimität des Staates gedacht. Thalib (geb. 1948) ist Vorsitzender der islamistischen Organisation Majelis Mujahedin Indonesia. Er steht für eine Deradikalisierung der ursprünglich radikal-islamistischen Bewegung im Sinne der Abkehr vom Konzept des bewaffneten Dschihad. Gleichzeitig verfolgt er mit seiner Organisation anhaltend das Ziel der Einführung der Scharia, das durch Mission (dakwah), Medienarbeit und Beteiligung am religiösen Diskurs erreicht werden soll. Er profitiert dabei, wie alle islamistischen Akteure, von dem gestiegenen Maß an Meinungs- und Pressefreiheit in der reformasi-Ära seit dem Rücktritt Suhartos im Jahr 1998.26 Thalib veröffentlichte 2011 ein zweibändiges Werk, dessen erster Teil eine detaillierte Kritik an der hegemonialen Koranübersetzung der indonesischen Regierung darstellte, während der zweite Teil eine „Gegenübersetzung“ ist, die den Anspruch vertritt, die Fehler der Regierungsübersetzung zu beheben.27 Beide Werke wurden von zahllosen islamistischen Akteuren stark rezipiert und zur Kritik an der Regierung verwendet.28 Damit fügen sie sich in eine Strategie der Delegitimierung des Staates ein, die dessen Defizite der mangelnden Anwendung der Scharia zuschreibt und ein islamistisches Projekt der Einführung islamischen Rechts als Gegenmodell propagiert.29 25

Vgl. Rahman, Controversy (Anm. 12), 97. Vgl. Munirul Ikhwan: Fī tahaddī ad-dawla. At-targˇama at-tafsīriyya fī muwāgˇahat al˙ hitāb ar-rasmī li-d-dawla al-Indūnīsiyya, in: Journal of Qur᾽anic Studies 17 (2015), 121–157, hier: ˘˙ 152–157. 27 Muhammad Thalib: Al-Qur᾽anul Karim: Tarjamah Tafsiriyah. Memahami Makna AlQur᾽an Lebih Mudah, Cepat Dan Tepat, 2. Aufl., Yogyakarta 2011; Muhammad Thalib: Koreksi tarjamah harfiyah al-Qur᾽an Kemenag RI. Tinjauan Aqidah, Syari᾽ah, Mu᾽amalah, Iqtishadiyah, Yogyakarta 2011. 28 Das lässt sich an der großen Zahl von enthusiastisch zustimmenden Artikeln in Blogs und religiösen Medien erkennen, die eine Internetsuche nach Thalibs Koranübersetzung zutage fördert. Insbesondere Blogs sind im Indonesien eine immer wichtigere Plattform für religiöse Diskurse; vgl. Kersten, Islam in Indonesia (Anm. 5), 7. 29 Vgl. Ikhwan, Fī tahaddī (Anm. 26), 135–36. ˙ 26

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Thalib verlieh seiner eigenen Koranübersetzung die Bezeichnung Tarjamah Tafsiriyah, also eine Kombination aus Übersetzung (targˇama) und Erklärung oder Kommentierung (tafsīr). Dahinter steht die Auffassung, dass die tatsächliche Intention des Korans durch eine bloße wörtliche Übersetzung, wie er sie dem Religionsministerium vorwirft, verschleiert werde und dass es vielmehr notwendig sei, zentrale Aspekte der dominanten Auslegungstraditionen mit hinzuzuziehen – insbesondere all jene Traditionen, über die Konsens bestehe, sowie verbürgte exegetische Überlieferungen über den Propheten.30 Schon im Hinblick auf den Textsatz stellt er sich auf die Seite dieser Traditionen, indem er seine „kommentierende Übersetzung“ den arabischen Korantext umfließen lässt (vgl. Abb. 5). Damit grenzt er sich deutlich von der Übersetzung des Religionsministeriums ab, die in der damals aktuellen Ausgabe von 1989 arabischen und indonesischen Text tabellarisch einander gegenüberstellte. Thalibs Text ist deutlich länger als der quellensprachliche Text; Erläuterungen integriert er, anstatt sie in Fußnoten zu separieren. Damit möchte er vermeiden, dass diese seiner Ansicht nach für das Verständnis unverzichtbaren Elemente aus dem Blick des Lesers geraten. Das hat allerdings auch zur Folge, dass Leser, die des Arabischen unkundig sind, nicht erkennen können, wo die Übertragung des Ursprungstextes aufhört und wo die kommentierende Erläuterung beginnt. Die Auslegungstradition – oder vielmehr, eine bestimmte Auslegungstradition – wird dadurch zum untrennbaren Bestandteil des heiligen, unantastbaren, göttlichen Textes. An diesem Punkt kann erneut ein Blick auf die erste Sure dazu beitragen, die Implikationen von Thalibs Ansatz zu erhellen. Interessant ist insbesondere sein Umgang mit den letzten beiden Versen, Q 1:6-7. Die damals aktuelle Übersetzung des Religionsministeriums in der Ausgabe von 1989 überträgt sie folgendermaßen: 6. Tunjukilah kami jalan yang lurus, 7. (yaitu) jalan orang-orang yang telah Engkau anugerahkan ni᾽mat kepada mereka; bukan (jalan) mereka yang dimurkai dan bukan (pula jalan) mereka yang sesat. 6. Führe uns auf den geraden Weg, 7. (nämlich) den Weg derer, denen Du Gnade gewährt hast; nicht (den Weg) jener, denen gezürnt wird, und (auch) nicht (den Weg) jener, die irregehen.

Thalib hingegen übersetzt: 6. Tuntunlah kami mengikuti Islam, 7. yaitu agama yang diikuti oleh orang-orang yang telah Engkau karuniai hidayah Islam sampai mati, bukan agama kaum Yahudi yang dihinakan oleh Allah, dan bukan pula agama kaum Nasrani yang mengingkari kenabian Muhammad.

30

Vgl. ebd., 142–144.

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6. Führe uns dahin, dass wir dem Islam folgen, 7. nämlich der Religion, die von denen befolgt wird, die Du mit der Rechtleitung des Islams bis zum Tod belohnt hast, nicht der Religion der Juden, die Gott verachtet, und auch nicht der Religion der Christen, die das Prophetentum Muhammads leugnen.

In Vers 6 ersetzt Thalib im Unterschied zum Religionsministerium den „geraden Weg“ (as-sirāt al-mustaqīm) des arabischen Originals durch die Religion des ˙˙ ˙ Islams. Dabei handelt es sich nicht mehr nur um eine kommentierende Erläuterung, sondern der wesentlich weniger eindeutige Wortlaut des Originals wird überhaupt nicht mehr erkennbar. Thalib schließt damit nicht nur aus, dass hier eine andere oder allgemeinere ethische oder religiöse Form der Rechtleitung gemeint sein könnte, sondern macht die bloße Möglichkeit einer solchen Lesart für den Leser unkenntlich. Dadurch wird gleichzeitig deutlich, dass er sich entgegen seinem Anspruch keineswegs auf solche Auslegungen beschränkt, die einen Konsens der Exegeten widerspiegeln, denn in den religiösen Diskursen im Indonesien des 20. und 21. Jahrhunderts sind pluralistische Koranauslegungen, die den „rechten Weg“ der Unterwerfung unter Gott auch Anhängern anderer Religionen zusprechen und ihnen eine Perspektive auf Heilserwerb einräumen, durchaus prominent.31 Thalib trifft also eine bewusste Auswahl und präsentiert diese als einzig akzeptable Lesart des Textes. In seiner Übertragung von Vers 7 erläutert und konkretisiert er die drei dort genannten Gruppen von Menschen in einer Weise, die dem Quellentext ebenfalls nicht zu entnehmen ist. Er vertritt hier erneut eine exklusivistische Auslegung, indem er die Gnade Gottes auf Muslime beschränkt. Weiterhin setzt er „die, über die gezürnt wird“ (al-maġdūb ῾alayhim), mit den Juden gleich und „die, welche ˙ irregehn“ (ad-dāllīn), mit den Christen. Die Quelle für diese Gleichsetzung ist ˙ ˙ ein exegetischer hadīt, also eine Überlieferung über den Propheten, die sich in ˙ ˉ vielen, wenn auch nicht allen, Korankommentaren zu diesem Vers findet und dort oft als gut belegt und authentisch betrachtet wird. Allerdings haben einige ältere und viele moderne Koranübersetzer und -exegeten ihre Schwierigkeiten mit dieser Überlieferung; nur wenige indonesische Übersetzungen erwähnen sie, und die, die es tun, stehen ihr überwiegend kritisch gegenüber. Eine Ausnahme stellt die saudische Version der Regierungsübersetzung dar. Sie fügt den Hinweis auf die Juden und Christen als Ergänzung in Klammern in den indonesischen Text ein und gibt damit eine entsprechende Deutung von Q 1:7 vor.32 Dieser Auffassung folgt Thalib mit dem Unterschied, dass er keine Klammern verwendet und damit die vehemente Zurückweisung des Juden- und Christentums zum integralen Bestandteil der ersten Sure, des vielleicht sichtbarsten und liturgisch bedeutsamsten Textes des Korans, macht. Es ließe sich fragen, ob er arabischen 31 Vgl. dazu Johanna Pink: Ein Monopol aufs Paradies? Innermuslimische Kontroversen über die Frage der Exklusivität des Zugangs zum jenseitigen Heil, in: Zeitgenössische islamische Positionen zu Koexistenz und Gewalt, hg. von Tilman Seidensticker, Wiesbaden 2011, 59–81. 32 Vgl. Pink, „Literal meaning“ (Anm. 8), 112–114.

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Lesern einen Zugang zum unkommentierten Originaltext des Korans zugestehen würde, denn die Erläuterungen, die Thalib für unverzichtbar hält, fehlen diesem Originaltext genauso, wie sie der Übersetzung des indonesischen Religionsministeriums fehlen. Ähnlich wie bei der Diskussion um Jassin lässt sich feststellen, dass die „Übersetzungsfehler“, die Thalib an der Regierungsübersetzung moniert, sich in zahlreichen weiteren Koranübersetzungen in nahezu identischer Weise finden, ohne dass diese vergleichbare Kritik auf sich ziehen. So verzichten zum Beispiel, wie erwähnt, fast alle indonesischen Koranübersetzungen darauf, Q 1:7 zu den Juden und Christen in Bezug zu setzen oder den „geraden Weg“ als „Islam“ zu übersetzen; Thalibs Kritik richtet sich jedoch ausschließlich gegen die Übersetzung des Ministeriums. Und der Vorwurf, dass das Ministerium – wie in Q 1:7 – koranische Bezüge zum Judentum unterschlage, ist ein zentrales Element dieser Kritik. Thalib postuliert die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung und unterstellt der Regierung, sich dem Kampf gegen diese Verschwörung zu verweigern. Weiterhin wirft er dem Staat vor, religiösen Pluralismus als Teil der Staatsphilosophie zu propagieren und den Islam fälschlicherweise anderen Religionen gleichzustellen, anstatt ihn in der Rang einer Staatsreligion zu erheben.33 Thalibs Koranübersetzung dient dazu, diese Vorwürfe zu untermauern, was sich an seiner Übersetzung von Q 1:7 gut erkennen lässt: Sie impliziert, die Regierung unterschlage bewusst die Verdammung des Juden- und Christentums durch den Koran und mache der Leserschaft nicht deutlich, dass der Islam gemäß göttlichem Dekret den einzigen „geraden Weg“ darstelle.34 Thalibs Kritik an der Regierungsübersetzung betrifft alle Bereiche des Glaubens und des religiösen Rechts. Zum Beispiel moniert Thalib, das Religionsministerium habe es versäumt, die unspezifischen Angaben des Korans etwa zum Ritualrecht durch die Konkretisierungen und Erweiterungen, über die die Rechtsgelehrten sich einig seien, zu ergänzen, und erwecke somit einen irreführenden Eindruck beim Leser. Diese Kritik ist nur stichhaltig, wenn man von einer Leserschaft ausgeht, die tatsächlich den Koran als einzige Quelle des Glaubens und religiösen Handelns betrachtet und sich der Existenz der prophetischen Überlieferung oder einer größeren Rechtstradition nicht bewusst ist. Im indonesischen Kontext dürfte das eine eher unrealistische Annahme sein. Besonders pointiert ist Thalibs Kritik an der Übersetzung von kriegerischen Versen durch die Regierung. Durch ihre Nähe zum Quellentext ohne Einbeziehung von Relativierungen aus der Tradition des Kriegsrechts, so Thalib, ermutige sie das Töten von Zivilisten und rufe damit zum Terrorismus auf.35

33 34 35

Vgl. Ikhwan, Fī tahaddī (Anm. 26), 148–152. Vgl. ebd., 139–141.˙ Vgl. ebd., 136–140.

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Thalibs Kritik wurde vor allem in islamistischen Kreisen stark rezipiert, beschäftigt aber auch indonesische Theologen, die sich vielfach kritisch äußerten, sowie natürlich das Religionsministerium, das jedoch keine offizielle Stellungnahme abgab. Seinen Anspruch auf religiöse Autorität vertritt der indonesische Staat heute zurückhaltender als in der Hochphase des Nationalismus, in der die staatliche Koranübersetzung ihren Ursprung hatte, oder in der diktatorischen Suharto-Ära; Regierungsvertreter betonen heute eher, die Regierungsübersetzung stelle lediglich ein Angebot dar und habe keinen autoritativen Anspruch.36

5 Grenzen und Grenzüberschreitungen in indonesischen Koranübersetzungen In mancherlei Hinsicht scheinen die beschriebenen Kontroversen sehr unterschiedlich gelagert zu sein. Der Übersetzung Jassins wurde die Kritik entgegengebracht, sie sei zu wenig wörtlich; der Übersetzung des Religionsministeriums hingegen warfen Thalib und viele seiner Anhänger vor, sie sei viel zu wörtlich. In beiden Fällen sind inhaltliche Erwägungen jedoch erkennbar weder der Ausgangs- noch der Endpunkt der Kritik. Zu wenig sinnentstellend sind die allermeisten der monierten „Fehler“, zu abwegig die Behauptung, sie würden zu gravierenden Missverständnissen einladen, und zu verbreitet sind vergleichbare übersetzerische Entscheidungen in weiteren indonesischen Koranübersetzungen, um die Vehemenz der Kritik zu erklären. Schließlich geht es in keinem der beiden Fälle um Werke, die ostentativ dogmatische Grenzen überschreiten, eine völlig unübliche Sprachebene – zum Beispiel Slang – verwenden oder auf andere Weise zu polemischen Reaktionen einladen. Das wirft die Frage auf, welche grundsätzlicheren Konflikte den jeweiligen Debatten zugrunde lagen. Hier lassen sich zwei Ebenen ausmachen, die in beiden Fällen eine entscheidende Rolle spielten. Zum einen zielten die Kontroversen darauf ab, die Bedingungen und Grenzen religiöser Autorität festzulegen. Die Polemiken implizierten in beiden Fällen, dass eine bestimmte Person oder Institution nicht die Legitimation und Kompetenz besitze, den Koran zu übersetzen oder auch nur – im Wortsinne – zu setzen: im einen Fall wegen einer fehlenden einschlägigen Ausbildung und Zweifeln an der religiösen Integrität, im anderen Fall wegen der Assoziation des Religionsministeriums mit einer nichtislamischen Staatsordnung. 36 Vgl. zu anfänglichen Dialogversuchen zwischen dem Majelis Mujahedin und der Regierung ebd., 144. In Gesprächen mit zahlreichen Wissenschaftlern an staatlichen Islamuniversitäten im August 2015 konnte ich feststellen, dass Thalibs Übersetzung weithin bekannt war und dass heftig diskutiert wurde, ob und unter welchen Bedingungen man mit ihm diskutieren solle. Vertreter des Religionsministeriums gingen sehr defensiv mit dem Thema um.

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Zum anderen dienten die Kontroversen der Aushandlung der Frage, in welchem Maße Konventionen oder Traditionen, über die bislang ein vermeintlicher oder tatsächlicher Konsens bestand, einen autoritativen Anspruch besitzen. Dürfen solche Konventionen aufgrund der Tatsache, dass sie nicht Bestandteil der göttlichen Offenbarung sind, in Frage gestellt werden, oder wäre diese Infragestellung – etwa durch das Einschlagen neuer Wege im Satz des Korans oder die Außerachtlassung weithin akzeptierter exegetischer Überlieferungen – bereits ein Sakrileg? Die Tendenz, auf der Beibehaltung von Konventionen zu beharren, geht auch auf den Einfluss reformistischer Strömungen zurück, die vor „unerlaubten Neuerungen“ (bida῾) warnen und durch saudischen Einfluss in Indonesien deutlich an Gewicht gewonnen haben. Möglicherweise ist es gerade diese Tendenz, die dazu führt, dass Fragen der Form – wie im Fall von Jassins arabischer Koranausgabe – so hohe Bedeutung gewinnen können, denn gerade in der visuellen Gestaltung von Texten werden Neuerungen besonders deutlich sichtbar und erfahrbar; sie irritieren auf den ersten Blick.

6 Welche Leser, welche Richtung? Die meisten indonesischen Koranübersetzungen streben unter den genannten Umständen danach, Irritationen zu vermeiden. Auf Gebieten, auf denen keine Konvention existiert, eröffnen sich jedoch Entscheidungsspielräume oder sogar -zwänge, die wiederum Aussagen über die intendierte Funktion und Zielgruppe der Übersetzung erlauben. Das betrifft bei den indonesischen Koranübersetzungen in besonders augenfälliger Weise die Frage der Leserichtung. Der Entscheidungsspielraum ergibt sich daraus, dass, wie erwähnt, alle indonesischen Koranübersetzungen in zweisprachigen arabisch-indonesischen Ausgaben publiziert werden. Das Arabische wird von rechts nach links geschrieben; beim Indonesischen, das die Lateinschrift verwendet, ist es umgekehrt. Folglich werden arabische und indonesische Bücher an entgegengesetzten Seiten aufgeschlagen. Eine zweisprachige Ausgabe muss sich für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden und legt damit fest, welche Leserichtung – und welche Sprache – die primäre ist. Dies impliziert eine Vorannahme über die Funktion des Textes für die Leser und über die vorrangige Art der Lesung. Geht man davon aus, dass der Koran in erster Linie zu rituellen Zwecken genutzt, also rezitiert wird, dann ist es sinnvoll, den arabischen Text zum Leittext zu machen; geht man primär von einer stillen Lektüre aus, die dem inhaltlichen Verständnis dienen soll, dann ist eine Orientierung an der indonesischen Leserichtung naheliegender. Jassin folgt ebenso wie die meisten Ausgaben der Übersetzung des indonesischen Religionsministeriums – und sogar deren Adaption durch den saudischen König-Fahd-Komplex – der indonesischen Leserichtung. Die meisten indonesischen Übersetzungen handhaben dies genauso. Hingegen favorisierte

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zum Beispiel die bekannte Koranübersetzung von Mahmud Yunus, die noch aus der Kolonialzeit stammt, die arabische Leserichtung. Indem Thalib ebenfalls für die arabische Leserichtung optiert, opponiert er auch auf dieser formalen Ebene gegen den Umgang des indonesischen Religionsministeriums mit dem Koran. Es handelt sich hier um einen symbolischen Konflikt, der Teil der großen, eingangs erwähnten und derzeit leidenschaftlich geführten Debatte um die Natur des indonesischen Islams ist. In der Gegenüberstellung der Schlagworte Islam Arab und Islam nusantara manifestiert sich die Frage, ob indonesische Muslime ihre Religion als arabischen, universellen und einheitlichen Islam imaginieren oder als „Archipel-Islam“, der nicht untrennbar mit der Kultur seiner Herkunftsregion verknüpft ist, sondern sich an lokale Traditionen und Vorstellungen anpasst. Diese Frage berührt ästhetische Konventionen wie etwa den Einsatz javanischer Rezitationsmelodien, aber auch grundsätzliche gesellschaftliche Einstellungen zu Geschlechterverhältnissen mitsamt ihren rechtlichen Implikationen; sie betrifft den Themenkomplex des religiösen Pluralismus ebenso wie den Umgang mit dem Textsatz des Koran. Heutige indonesische Koranübersetzungen kommen nicht umhin, sich zumindest mittelbar in dieser großen symbolischen Debatte zu positionieren – und sei es nur durch die Wahl der Leserichtung.

7 Das Übersetzen heiliger Schriften: Hierarchien und „dunkle Stellen“ Wie eingangs erwähnt, birgt das Übersetzen sakraler Texte das Potenzial, als vertikaler Prozess verstanden zu werden, in dem sowohl zwischen Urheber und Übersetzer als auch zwischen Ausgangs- und Zielsprache eine unüberbrückbare Hierarchie besteht. In Indonesien ist dies mit Bezug auf den Koran die dominante Position; sie resultierte in der Produktion dokumentarischer Übersetzungen sowohl durch private Akteure als auch den Staat, deren Ziel es war, den arabischen Ausgangstext des Korans zu erschließen, nicht jedoch Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext herzustellen. Im Fall HB Jassins lag das Konfliktpotenzial unter anderem darin, dass Jassin die Hierarchie zwischen heiliger Schrift und menschlichem Sprechen als durchaus überbrückbar zu begreifen schien und sie damit in den Augen seiner Kritiker in Frage stellte. Sein Bestreben, einen Zieltext zu produzieren, der auch auf rhetorischer Ebene Äquivalenz zum Ausgangstext anstrebt, implizierte die Annahme, dass weder die menschlichen Fähigkeiten des Übersetzers noch das sprachliche Repertoire des Indonesischen ein solches Unterfangen grundsätzlich unmöglich machen. Die vertikale Natur des Übersetzungsprozesses wurde herausgefordert durch eine Perspektive, in der der Koran mit der Übersetzung, der Urheber des Korans mit dem Übersetzer, das Arabische mit dem Indonesischen als gleichwertig erscheinen. Dementsprechend liegt es nahe, die Leserichtung am indo-

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nesischen Text zu orientieren, der nicht mehr als bloße Verständnishilfe für den arabischen Text dienen soll, sondern – im Sinne einer instrumentellen Übersetzung – auch für sich allein stehen kann. Die Übersetzungen des indonesischen Religionsministeriums verfolgen keine derartigen Ambitionen. Sie orientieren sich am Ausgangstext, sind vorwiegend dokumentarischer Natur und lehnen sich dementsprechend eng an Vokabular und Syntax des arabischen Korans an. Dennoch bieten sie Angriffsfläche. Wenngleich die Gründe für den Frontalangriff Muhammad Thalibs auf die staatlichen Übersetzungen eher politischer Natur sein dürften, so haben die „Fehler“, die er moniert, auch mit einem Grundproblem des Übersetzens heiliger Schriften zu tun: Der Frage, wie mit „dunklen Stellen“ umzugehen sei;37 mit Stellen, deren Bedeutung unklar ist oder aber deren wörtliches Verständnis widersprüchlich oder inakzeptabel erscheint. Eine Privilegierung der Wörtlichkeit bedeutet auch, all jene geistesgeschichtlichen Traditionen außer Acht zu lassen, die sich der Auflösung der Widersprüche und der Erhellung der „dunklen Stellen“ gewidmet haben oder zumindest zu diesem Zweck herangezogen werden können, etwa Prophetenüberlieferungen, Korankommentare, theologische und juristische Werke sowie Prophetengeschichten. Die Übersetzungen des indonesischen Religionsministeriums stützen sich tatsächlich regelmäßig auf diese Quellen, um übersetzerische Entscheidungen zu treffen oder Erläuterungen einzufügen – aber sie tun dies in so zurückhaltender Weise, dass die Nähe zum Ausgangstext erhalten bleibt. Und genau dort setzt Thalibs Kritik an. Nimmt man seine Kritik ernst, gerät in ihr allerdings die Hierarchie zwischen göttlichem Sprecher und menschlichem Übersetzer ins Wanken, denn seine Einlassungen ergeben nur Sinn, wenn man den Korantext als vollumfänglich erklärbar begreift und dazu ein Korpus an außerkoranischen Quellen heranzieht, die hinsichtlich ihrer Autorität auf eine Stufe mit dem Text gehoben werden. Die Existenz von Ambiguitäten und „dunklen Stellen“ betrachtet Thalib allenfalls in minimalem Umfang als tolerabel, und die vielstimmige sunnitische Koranauslegung erscheint ihm paradoxerweise als geeignetes Werkzeug, monolithische Bedeutungen zu konstruieren. Sowohl Thalib als auch Jassin streben somit nicht eine dokumentarische, sondern eine instrumentelle Übersetzung an, deren jeweilige Funktion jedoch unterschiedlich ist: Jassin möchte einen Zieltext verfassen, der dem Ausgangstext in seiner sprachlichen Wirkung entspricht; Thalibs Zieltext soll die inhaltliche Aussage des Ausgangstextes in vollem Umfang wiedergeben – oder sogar die Intention des Urhebers. Für beide stellt sich die Übersetzung des Korans als ein Prozess der Herstellung von Äquivalenz dar, was im Zusammenhang mit heiligen Schriften keine Selbstverständlichkeit ist. Damit ist die Annahme eines übersetzungstheoretischen Ausnahmecharakters sakraler Texte für sie hinfällig. 37

Vgl. zu einer entsprechenden frühneuzeitlichen Kontroverse um die Übersetzung der Bibel Gipper, Vertikales Übersetzen (Anm. 1), 11–13.

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Abbildung 1: Sure 1 in der Koranausgabe HB Jassins Quelle: HB Jassin: Al-Qur᾽ān al-karīm. Bacaan Mulia, Jakarta 1978, 1.

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Abbildung 2: Q 1:1–4 in der Koranausgabe des indonesischen Religionsministeriums Quelle: Departemen Agama Republika Indonesia: Al-Qur᾽an dan terdjemahnja 1, Jakarta 1965, 5.

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Abbildung 3: Q 1:5–7 in der Koranausgabe des indonesischen Religionsministeriums Quelle: Departemen Agama Republika Indonesia: Al-Qur᾽an dan terdjemahnja 1, Jakarta 1965, 6.

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Abbildung 4: Sure 1 in einer gängigen, staatlich genehmigten indonesischen Koranausgabe Quelle: Innahū la-Qur᾽ān karīm, Bandung o. J., 2.

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Abbildung 5: Sure 1 in der kommentierten Übersetzung Muhammad Thalibs Quelle: Muhammad Thalib: Al-Qur᾽anul Karim: Tarjamah tafsiriyah. Memahami makna Al-Qur᾽an lebih mudah, cepat dan tepat, 2. Aufl., Yogyakarta 2011, 2.

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II Übertragungen heiliger Texte zwischen Wörtlichkeit und Exegese

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Aliud est vatem, aliud esse interpretem1 Zur Spannung zwischen Adressatenorientierung und Texttreue in Septuaginta und Vulgata Christoph Kugelmeier

1 Einführung Eines Tages traf eine Gruppe Menschen zusammen, um einen Text zu übersetzen. Ziel des Unternehmens sollte es sein, zu schauen, ob als Ergebnis der Übersetzung nicht bei allen haargenau dieselbe Version herauskäme, weder nach Lexik noch Syntax voneinander abweichend. Bei dieser Geschichte werden die meisten an das Ereignis aus dem 3. Jahrhundert v.Chr. denken, von dem der pseudepigraphe legendarische Brief des ägyptischen Juden Aristeas berichtet – das Zusammentreffen von 72 jüdischen Gelehrten in Alexandria, um auf Einladung des Königs Ptolemaios II. (282–246 v.Chr.) die hebräische Bibel (die Tora bzw. den Pentateuch) ins Griechische zu übertragen; s. insbesondere § 32: ἐὰν οὖν φαίνηται, βασιλεῦ, γραφήσεται πρὸς τὸν ἀρχιερέα τὸν ἐν Ἱεροσολύμοις, ἀποστεῖλαι τοὺς μάλιστα καλῶς βεβιωκότας καὶ πρεσβυτέρους ὄντας ἄνδρας, ἐμπείρους τῶν κατὰ τὸν νόμον τὸν ἑαυτῶν, ἀφ᾿ ἑκάστης φυλῆς ἕξ, ὅπως τὸ σύμφωνον ἐκ τῶν πλειόνων ἐξετάσαντες καὶ λαβόντες τὸ κατὰ τὴν ἑρμηνείαν ἀκριβές, ἀξίως καὶ τῶν πραγμάτων καὶ τῆς σῆς προαιρέσεως, θῶμεν εὐσήμως. „Gefällt es dir nun, König, so möge an den Hohepriester in Jerusalem geschrieben werden, er solle aus jedem Stamm sechs ältere, ihres Gesetzes kundige Männer von bestem Leumund entsenden, damit wir, nach Prüfung des von der Mehrzahl übereinstimmend abgefassten Wortlautes, eine der Bedeutung nach genaue Übersetzung erhalten und sie dann in einer der Sache und deines Entschlusses würdigen Art gut aufbewahren.“

Die 72 Übersetzer teilten die Aufgabe bekanntlich nicht etwa unter sich auf, vielmehr übersetzte ein jeder vollkommen abgeschottet vom anderen das gesamte Textcorpus. Und wirklich, das Ergebnis, die Septuaginta, präsentierte sich als eine bei allen 72 völlig identische Fassung. Ein Wunder, das allein mit dem Wirken göttlicher Inspiration zu erklären war! 1

Hieronymus, Prologus in Pentateucho 29 (s. u. S. 105).

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Freilich ist dieser Text hier nicht gemeint. Der fragliche Satz lautet vielmehr: „Er setzte sich auf eine Kellertreppenstufe. Er wickelte seine Stulle aus dem Stullenpapier. Schweizerkäse drauf.“2 Hier handelt es sich auch bloß um ein Team von 10 Übersetzern, weder um Juden noch um Griechen, sondern um Teilnehmer eines deutsch-schwedischen Übersetzersymposiums, denen die Aufgabe übertragen worden war, diese drei Sätze aus einer Übersetzung ins Schwedische ins deutsche Original rückzuübertragen. Wie eigentlich nicht anders zu erwarten, sah das Ergebnis grundverschieden von dem aus, das wir aus dem Aristeasbrief kennen: „a. Er wickelte das Frühstücksbrot aus dem Stullenpapier, Schweizerkäse als Belag. b. Er wickelte seine Brote aus dem Butterbrotpapier. Schweizer Käse als Belag. c. Er wickelte sein Butterbrot aus dem Butterbrotpapier. Schweizerkäse war drauf. d. Er wickelte Butterbrote aus dem Butterbrotpapier, mit Schweizerkäse belegt. e. [Er setzte sich auf eine Kellerstufe,] wickelte sein Butterbrot aus dem Pergamentpapier, Schweizer Käse als Belag. f. Wickelte sein Butterbrot aus dem Papier, Butterbrot mit Schweizerkäse.“

2 Die grundsätzliche Problematik von Bibelübersetzung An diesem vielleicht eher belanglos anmutenden Beispiel einer sehr elementaren Übertragungstätigkeit lassen sich ein paar Dinge aus Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis klarmachen, die für das Thema des Bandes nicht ganz unwesentlich sind. Handelt es sich doch bei den antiken Bibelversionen nicht selten um Übertragungen nicht unmittelbar aus der Ausgangssprache (also aus dem Hebräischen bzw. Aramäischen), sondern um Übersetzungen einer Übersetzung oder doch jedenfalls um Übersetzungen, die mit Blick auf „ZwischenAusgangssprachen“ verfertigt wurden; im Falle der lateinischen Vulgata3 hatte Hieronymus stets neben den beiden semitischen Sprachen Hebräisch und Aramäisch, die er sich für den Zweck seiner Übersetzung bloß angeeignet hatte,4 2 Werner Koller (unter Mitarb. von Kjetil Berg Henjum): Einführung in die Übersetzungswissenschaft, 8., neubearb. Aufl., Tübingen/Basel 2011 (1. Aufl. Heidelberg 1979), 202; der Text stammt aus Wolfgang Weyrauch: Geschichten zum Weiterschreiben, Neuwied/Berlin 1969, 23. 3 Als Vulgata wird die lateinische Bibelübersetzung bezeichnet, die durch Hieronymus (347–420 n. Chr.) auf Anforderung von Papst Damasus I. ab 382 n.Chr. angefertigt wurde; zunächst durch Revision der Evangelien, ab 384 (Tod des Damasus, Übersiedlung des Hieronymus nach Bethlehem) durch Übersetzung einiger Teile des Alten Testaments (Psalmen, Hiob, Hohelied u. a.) nach der Septuaginta (!); ab 393 durch Übersetzung des gesamten Alten Testaments „nach dem Hebräischen“ (iuxta Hebraeos). Näheres s. Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, hg. von Robert Weber/Roger Gryson, 5. Aufl., Stuttgart 2007, V–XLI. 4 Vgl. Hieron. Prol. Iob 20–23: memini me ob intellegentiam huius voluminis Lyddeum quemdam praeceptorem, qui apud Hebraeos primas habere putabatur, non parvis redemisse nummis; cuius doctrina an aliquid profecerim, nescio, hoc unum scio non potuisse me interpretari nisi quod ante intellexeram („Ich erinnere mich, dass ich mir, um dieses Buch zu verstehen, für nicht wenig

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die griechische Septuaginta und auch die früheren lateinischen Versionen vor Augen, die man zusammenfassend als Vetus Latina oder (früher) Itala bezeichnet.5 Wir haben es dann jeweils mit einer „Zwischen-Ausgangssprache“ zu tun, die freilich ihrerseits schon als Übersetzungs-Zielsprache fungiert hat und auch deutliche Merkmale einer solchen aufweist. Gar nicht selten tritt dabei ein, was gerade dem am klassischen Latein geschulten Leser sofort ins Auge fällt (und was dem Ciceronianus Hieronymus auch selbst deutlich bewusst war6): Man steht nicht selten vor fremdartigen, geradezu rätselhaften und obskuren Formulierungen. Hieronymus mokiert sich des Öfteren über unlateinische Übersetzungswendungen, so zum Beispiel in Epistula 106,3,2 aus dem Jahr 403, Ad Sunniam et Fretelam: Prima de quinto Psalmo quaestio fuit: ‚Neque habitabit iuxta te malignus‘ (Ps 5,6). Pro quo habetur in Graeco οὔτε παροικήσει σοι πονηρός sive πονηρευόμενος, ut Vulgata editio continet. Et miramini, cur παροικίαν, id est, ‚incolatum‘, Latinus interpres non verterit, sed pro hoc posuerit ‚habitationem‘, quae Graece dicitur κατοικία. Et sciendum, quod si voluerimus dicere: ‚Domine, quis incolet tabernaculum tuum?‘ (Ps 14,1) vel illud de quinto: ‚Neque incolet iuxta te malignus‘, perdet εὐφωνίαν:7 et dum interpretationis κακοζηλίαν sequimur,8 Geld einen Lehrer aus Lydda [heute Lod, zwischen Tel Aviv und Jerusalem] nahm, der bei den Hebräern ein herausragendes Ansehen genoss. Ob ich durch seine Gelehrsamkeit Fortschritte gemacht habe, weiß ich nicht; das eine weiß ich, dass ich nur das übersetzen konnte, was ich zuvor verstanden hatte“) und 40: Hebraeum sermonem ex parte didicimus („die hebräische Sprache habe ich teilweise gelernt“). Zur Einschätzung seiner Sprachkenntnisse s. jetzt Hillel I. Newman: How Should We Measure Jerome’s Hebrew Competence?, in: Jerome of Stridon: His Life, Writings and Legacy, hg. von Andrew Cain/Josef Lössl, Farnham/Burlington 2009, 131–140, gegen ältere skeptische Auffassungen wie die von Pierre Nautin: Art. Hieronymus, in: Theologische Realenzyklopädie 15, Berlin/New York 1986, 304–315, hier: 309, Z. 37: „Allerdings läßt es sich beweisen, daß er diese Sprache praktisch kaum kannte.“ 5 ‚Itala‘ ist die Sammelbezeichnung für verschiedene lateinische Versionen alt- und neutestamentlicher Texte; sie wurden erst ab ca. 800 n.Chr. endgültig von der Vulgata verdrängt. S. die Informationswebsite des Projekts „Vetus Latina. Nach Pierre Sabatier neu gesammelt und herausgegeben von der Erzabtei Beuron unter der Leitung von Thomas Johann Bauer“ (http:// www.vetus-latina.de). 6 Vgl. insbesondere die berühmte Stelle Ep. 57,5,2: scripturis sanctis, ubi et verborum ordo mysterium est („bei den Heiligen Schriften, wo selbst die Anordnung der Wörter ein Geheimnis ist“); s. auch Ep. 22,29–30: quid facit cum psalterio Horatius? cum evangeliis Maro? cum apostolo Cicero? […] Ciceronianus es, non Christianus („Was hat Horaz mit dem Psalter zu tun? Was Vergil mit den Evangelien? Was Cicero mit dem Apostel? […] Du bist ‚Ciceronist‘, nicht Christ.“). 7 Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, 4. Aufl., Stuttgart 2008, § 542: „Unter den zur Verfügung stehenden Synonymen sind also im Hinblick auf den ornatus diejenigen Wörter zu wählen, die schöner klingen“; vgl. Quintilian, Inst. or. VIII 3,17 und I 5,4. S. auch Heinrich Marti: Übersetzer der Augustin-Zeit. Interpretation von Selbstzeugnissen, München 1974 (Studia et testimonia antiqua 14), 81–83. 8 Zum κακόζηλον vgl. Quintilian, Inst. or. VIII 3,56: quidquid est ultra virtutem, quotiens ingenium iudicio caret („alles, was jenseits des Vorzüglichen liegt, wenn einem Talent die Urteilskraft mangelt“); s. Lausberg, Handbuch (Anm. 7), § 1073; Hieronymus, Liber de optimo genere interpretandi (Ep. 57). Ein Kommentar von Gerhardus J. M. Bartelink, Leiden 1980 (Mnemosyne Supplementum 61), ad. loc.: „Der Terminus κακοζηλία gehört ursprünglich der rhetorischgrammatischen Terminologie an: er war eine technische Bezeichnung für eine ungeschickte Stil-

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omnem decorem9 translationis amittimus; et hanc esse regulam boni interpretis, ut ἰδιώματα10 linguae alterius suae linguae exprimat proprietate. „Die erste Frage zum 5. Psalm [stellte sich bei der Übersetzung] ‚Nicht wird bei dir wohnen ein Bösewicht‘. Dafür hat das Griechische οὔτε παροικήσει σοι πονηρός bzw. πονηρευόμενος, so wie es auch die Vulgata-Ausgabe enthält. Nun fragt ihr euch, warum der lateinische Übersetzer παροικίαν nicht mit incolatum (Einwohnung) wiedergegeben, sondern dafür habitatio (Wohnung) eingesetzt hat, was im Griechischen κατοικία heißt. Man muss wissen: Will man sagen [d. h. übersetzen] ‚Herr, wer wird in deinem Zelt einwohnen?‘ oder das aus dem fünften ‚Nicht wird bei dir einwohnen ein Bösewicht‘ [also incolere statt des idiomatischeren habitare], dann verliert man den Wohlklang; und wenn man es übertreibt mit der Genauigkeit in der Übersetzung, dann geht die kunstvolle sprachliche Gestaltung gänzlich über Bord. Und das ist die Regel eines guten Übersetzers, dass er die einer [Ausgangs-]Sprache eigentümlichen Begriffe mit der Eigentümlichkeit seiner eigenen Sprache ausdrückt.“

Ein Beispiel für die erwähnte übertriebene Genauigkeit (κακοζηλία) findet sich im selben Brief, 17,1: ‚Et in templo eius omnis dicet gloriam‘ (Ps 28,9; LXX: καὶ ἐν τῷ ναῷ αὐτοῦ πᾶς τις λέγει δόξαν). Pro quo in Graeco sit πᾶς τίς. Quod si transferre voluerimus, ‚omnis quis‘, in κακοζηλίαν interpretationis incurrimus, et fit absurda translatio. „‚Und in seinem Tempel wird jeder Gloria sagen‘. Dafür steht wohl griechisch πᾶς τίς. Wenn man das wörtlich übertragen will, mit ‚omnis quis‘, dann gerät man in die übertriebene Genauigkeit der Übersetzung, und die Wiedergabe wird absurd.“11

Ähnlich äußert sich auch Augustinus in De doctrina christiana II 11,16, mit Hinweis auf „Interjektionen“ wie amen, alleluia, racha und osanna: sunt enim quaedam verba certarum linguarum, quae in usum alterius linguae per interpretationem transire non possint. („Es gibt nämlich in bestimmten Sprachen gewisse Wörter, die auf dem Wege der Übersetzung nicht in den Gebrauch einer anderen Sprache übergehen können“). Sowohl das Griechische der Septuaginta als auch das Latein der verschiedenen lateinischen Bibelversionen ist eben jeweils eine Sprache der besonderen Art; es handelt sich um Übersetzungssprachen, die von ihrem Zweck, ebendem der nachahmung auf Grund von verfehltem Geschmack und Mangel an ästhetischem Urteil“; vgl. Diomedes (wahrscheinlich 2. H. 4. Jhdt. n.Chr.) I 451,8: cacozelia est per affectationem decoris corrupta sententia, cum eo ipso dedecoretur oratio, quo illam voluit auctor ornare. („Die cacozelia ist eine sprachliche Struktur, die durch ein übermäßiges Streben nach Schmückendem verdorben wird, wenn die Rede durch ebendas verunziert wird, womit der Autor sie zieren wollte.“) Marti, Übersetzer (Anm. 7), 81–83. 9 Lausberg, Handbuch (Anm. 7), § 538: geht „über die sprachliche Korrektheit […] und die intellektuelle Verständlichkeit des Ausdrucks“ hinaus. Statt decor wird idiomatischer das bedeutungsgleiche ornatus verwendet; beides gibt den griechischen Terminus κόσμος („Schmuck“) wieder. Ausführlich Marti, Übersetzer (Anm. 7), 86–93. 10 Lausberg, Handbuch (Anm. 7), § 533, vgl. Quintilian, Inst. or. VIII 2,1 sua cuiusque rei appellatio. Eine ausführliche Erörterung bei Marti, Übersetzer (Anm. 7), 113–120. 11 Ausführlich dazu Marti, Übersetzer (Anm. 7), 82.

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Übersetzung, unverkennbar geprägt werden. Angesichts dessen enthält die expressis verbis formulierte Zielsetzung eines Übersetzungs-Projekts, an dem der Verfasser dieses Beitrags selbst eine Zeit lang beteiligt war, einen sehr kühnen Anspruch: „Der Vulgatatext soll [soweit mir bekannt ist, ausschließlich von Philologen] in eine gute, allgemeinverständliche deutsche Prosa übertragen werden. Die Zielsprache Deutsch ist somit vorrangig, die Übersetzung muss unbedingt gut verständlich sein ohne Zuhilfenahme des lateinischen Originals […] Damit einher geht durchaus das Bemühen, so nahe wie möglich am lat. Text zu bleiben, besonders an dessen Gedankenfolge – aber eben nur so nahe wie möglich; das heißt: wo man aufgrund der idiomatischen Eigenheiten des Deutschen vom Lat. abweichen muss, muss man davon abweichen, aber nur so weit wie nötig.“12

Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn in der Praxis werden die beteiligten Philologen wohl recht oft die theologische Schwesterdisziplin um hermeneutische Hilfestellung angehen müssen. Will er sich nämlich „voraussetzungslos“ an die Übertragung eines Textes begeben – wenn damit das altgeheiligte Prinzip „so wörtlich wie möglich, so frei wie möglich“ gemeint sein soll –, dann muss der Philologe in diesen Wein eine ganze Menge Wasser gießen. Der Literaturund Sprachwissenschaftler weiß aus seiner Erfahrung nur zu gut, dass es eine solche Voraussetzungslosigkeit in Wirklichkeit nicht gibt, dass der Blick ins Lexikon nicht mehr sein kann als der Ausgangspunkt für ein intensives, bisweilen mühevolles Studium des spezifischen Wortgebrauchs bis in seine feinsten Verästelungen sowie des sachlichen und natürlich auch des theologischen Texthintergrundes,13 ja dass selbst wohlvertraute Strukturen der Grammatik nur bloße Orientierungshilfen bieten in einer Sprachform, die so offensichtlich bewusst anderen Paradigmen folgt als denen des außerbiblischen Griechisch oder Latein.14 Hieronymus selbst war sich der Problematik der sogenannten „Wörtlichkeit“ durchaus bewusst, worauf ich an späterer Stelle noch eingehen werde, anhand seiner Äußerungen Ep. 57,5,2 (s. u. S. 108 f.). Schon dieser kurze Überblick über die Bemühungen, die heiligen Texte der Christen in Übersetzung zugänglich zu machen, zeigt, wie früh die Problematik des Übersetzens in diesem heiklen Bereich erkannt wurde. Worin genau die Konflikte bestanden, sei im Folgenden vertieft erörtert. 12 Übersetzungsrichtlinien für das Projekt „Biblia Sacra Vulgata“ (http://www.projekt-vulga ta.ch/Projekt-Vulgata/Startseite.html) vom 21. 4. 2012. 13 Vgl. die Ausführungen zur „konnotativen Äquivalenz“ bei Koller, Einführung (Anm. 2), 240–247. 14 Zur umstrittenen Frage, ob es im spätantiken Latein eine speziell christliche Sprachform gegeben habe, s. Josef Schrijnen: Charakteristik des altchristlichen Latein, Nijmegen 1932, Ndr. Rom 1977; Christine Mohrmann: Études sur le Latin des Chrétiens, 3 Bde., 2. Aufl., Rom 1961– 1965; kritisch Jean-Claude Fredouille: „Latin chrétien“ ou „latin tardif “?, in: Recherches Augustiniennes 29 (1996), 5–23; Einar Löfstedt: Late Latin, Oslo 1959, 68–87; zuletzt Johannes Kramer: Geschichte der lateinischen Sprache, in: Einleitung in die lateinische Philologie, hg. von Fritz Graf, Stuttgart/Leipzig 1997, 148–151.

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3 Ein Beispiel: Die Kontroverse zwischen Hieronymus und Augustinus um die Übersetzung kanonischer Texte Wie bereits erwähnt, verfertigte Hieronymus seine Übersetzungen nicht allein nach dem hebräischen „Original“,15 sondern zog in erheblichem Maße auch die griechischen Texte heran, und zwar nicht allein die Septuaginta, sondern auch Origenes’ Hexapla. In dieser monumentalen Synopse (entstanden um die Mitte des 3. Jahrhunderts n.Chr.) berücksichtigt Origenes neben dem „kanonischen“ Text der Septuaginta auch die zumeist wörtlicheren griechischen (jüdischen) Neuübersetzungen von Aquila, Symmachos und Theodotion.16 Der Grund hierfür ist nicht allein in etwaigen Schwächen seiner Hebräisch-Kenntnisse zu suchen, sondern in der traditionell starken Stellung des Griechischen und der griechischen Bibeltexte in der christlichen Liturgie: Erst im Laufe des 4. Jahrhunderts hatte sich in Rom und im lateinischsprachigen Gebiet des Römischen Reiches überhaupt das Lateinische gegenüber dem Griechischen als Liturgiesprache durchgesetzt17 (was zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon in dem Sinne „zu spät kam“, als das Lateinische damals bereits eine vor allem aus Inschriften und Grammatikerzeugnissen deutlich erkennbare Entwicklung hin zu einer Ausdifferenzierung in regional unterschiedliche, bereits Erscheinungen der romani15 Die Vorstellung einer absoluten chronologischen Priorität eines hebräischen „Originaltexts“ gegenüber der griechischen Version ist heute weitgehend aufgegeben, da auch der hebräische Text im Laufe der antiken Überlieferungsgeschichte mannigfachen Revisionen unterworfen war. Den neuesten Forschungsstand formuliert Emanuel Tov: Reflections on the Septuagint with Special Attention Paid to the Post-Pentateuchal Translations, in: Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse. 2. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 23.–27. 7. 2008, hg. von Wolfgang Kraus/Martin Karrer unter Mitarbeit von Martin Meiser, Tübingen 2010, 3: „the text of the original translations was constantly revised towards an ever-changing text of the Hebrew Bible by known and anonymous revisers“; ausführlich und mit reichen Literaturangaben ders.: Der Text der hebräischen Bibel, Stuttgart u. a. 1997, 136–148. 16 Ausführlich begründet z. B. in Prol. Iob. Die bis heute maßgebliche Ausgabe ist die von Frederick Field: Origenis Hexaplorum quae supersunt, 2 Bde., Oxford 1875. S. Werner Jaeger: Das frühe Christentum und die griechische Bildung, Berlin 1963, 36–37; Bernhard Neuschäfer: Origenes als Philologe. Bd. I: Text, Bd. II: Anmerkungen, Basel 1987 (Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 18), insbesondere I 15–16, 86–87 (zur textkritischen Methode) sowie 98, 102–103 und 288 (zum Verhältnis zur Septuaginta); Tov, Der Text der hebräischen Bibel (Anm. 15), 119–122; Siegfried Kreuzer: Entstehung und Entwicklung der Septuaginta im Kontext alexandrinischer und frühjüdischer Kultur und Bildung, in: Septuaginta Deutsch, hg. von Martin Karrer/ Wolfgang Kraus, Bd. I, Stuttgart 2011, 26–35. Zur Bedeutung solcher im Vergleich zur Septuaginta „wörtlicheren“ Übersetzungen Sebastian Brock: Aspects of Translation Technique in Antiquity, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 20 (1979), 77–78. 17 S. dazu Maura K. Lafferty: Translating Faith from Greek to Latin. Romanitas and Christianitas in Late Fourth-Century Rome and Milan, in: Journal of Early Christian Studies 11 (2003), 21–62; Theodor Klauser: Der Übergang der römischen Kirche von der griechischen zur lateinischen Liturgiesprache, in: Miscellanea Giovanni Mercati, vol. I, Città del Vaticano 1946, 467–482; Gustave Bardy: La question des langues dans l’église ancienne, Paris 1948, 60–63, insbesondere 62: „dès l’époque de Tertullien, l’ Église d’Afrique célèbre sa liturgie en latin“.

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schen Tochtersprachen vorwegnehmende Varianten genommen hatte18 und wir mithin das Phänomen einer sich immer stärker vertiefenden Diglossie zwischen Literatur- und [wenngleich christlich geprägter] Liturgiesprache einerseits und volkstümlicher Sprache andererseits anzusetzen haben).19 Zuvor hatten die griechischen Bibeltexte den liturgischen Gebrauch entscheidend geprägt, und das bedeutet, dass sprachliche Konzepte, zum Teil stark vom Hebräischen abweichende Textfassungen und auch Fehlübersetzungen der aus dem Alten Testament in die Liturgie übernommenen Partien, in der Fassung der Septuaginta, die Vorstellungswelt und die Gebetsgewohnheiten der Gläubigen prägten und signifikante Abweichungen folglich als verstörend, wenn nicht gar häretisch empfunden wurden. Diesem Problem trug Hieronymus dadurch Rechnung, dass er von Texten, die im liturgischen Gebrauch besonders stark vertreten waren (namentlich von den Psalmen), mehrere Wiedergaben anfertigte; seinen Niederschlag findet dieses Verfahren in der bis heute kanonischen Gegenüberstellung der Psalmenübersetzung Iuxta LXX und Iuxta Hebraeos.20 Ein prominenter Vertreter der offenkundig verbreiteten Skepsis gegenüber einer Orientierung an der Hebraica veritas war niemand Geringerer als Augustinus,21 aus dessen umfangreichem Briefwechsel mit Hieronymus uns einige einschlägige Zeugnisse über diese grundsätzliche Kontroverse informieren:22 Epistula 71,4: Ego sane mallem Graecas potius canonicas te nobis interpretari scripturas, quae septuaginta interpretum perhibentur. Perdurum erit enim, si tua interpretatio per multas ecclesias frequentius coeperit lectitari, quod a Graecis ecclesiis Latinae ecclesiae dissonabunt, maxime quia facile contradictor convincitur Graeco prolato libro, id est linguae notissimae […] (und 18 Vgl. die Peregrinatio Egeriae (4. Jhdt.) und die Appendix Probi (5. Jhdt.); Kramer, Geschichte der lateinischen Sprache (Anm. 14), 152 (mit Hinweis auf Augustinus, Enarrat. Ps. 138,20: melius est reprehendant nos grammatici, quam non intellegant populi [„es ist besser, wenn uns die Grammatiker tadeln, als daß uns die Leute nicht verstehen“]); Löfstedt, Late Latin (Anm. 14), insbesondere 1–38; vorsichtig James N. Adams: The Regional Diversification of Latin, 200 BC – AD 600, Cambridge/New York 2007, 725–726. 19 Zum Begriff „Diglossie“ s. Hadumod Bußmann (Hg.): Lexikon der Sprachwissenschaft, 4. Aufl., Stuttgart 2008, 136; zu derartigen Erscheinungen im Lateinischen James N. Adams: Social Variation and the Latin Language, Cambridge 2013, 8–11. 20 Dazu und zu seinem textkritischen Verfahren Hieronymus, Ep. 112,19–20 und Prol. Iob, insbesondere 51–52. S. Arthur Allgeier: Die erste Psalmenübersetzung des heiligen Hieronymus und das Psalterium Romanum, in: Biblica 12 (1931), 447–482. 21 Vgl. insbesondere Ep. 28,2 LXX: quorum est gravissima auctoritas („die Septuaginta, deren Autorität am schwersten wiegt“) (zu Hieronymus’ textkritisch annotierter Übersetzung des Buches Job nach Origenes’ Hexapla). 22 Alfons Fürst: Veritas Latina. Augustins Haltung gegenüber Hieronymus’ Bibelübersetzungen, in: ders.: Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte, Berlin 2011, 359–383, vor allem 371 (er betont die „pastoralen“ Motive hinter Augustinus’ Bedenken); ders.: Kürbis oder Efeu? Zur Übersetzung von Jona 4,6 in der Septuaginta und bei Hieronymus, in: ebd., 315–322; Yves-Marie Duval: Saint Augustin et le Commentaire sur Jonas de saint Jérôme, in: Revue d’Études Augustiniennes et Patristiques 12 (1966), 9–40, insbesondere 10–14 (zur allegorischen Interpretation 31–38).

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auch wenn es gelänge, den hebräischen Text heranzuziehen:) tot Latinas et Graecas auctoritates damnari quis ferat? „Ich hätte es in der Tat lieber, wenn du uns die kanonischen Schriften aus dem Griechischen übersetzen wolltest, aus den sogenannten Septuaginta. Sollte man sich nämlich entschließen, deine Übersetzung in vielen Kirchen ständig zu gebrauchen, so wäre es doch ein arger Missstand, dass dann die lateinischen Kirchen in Widerspruch mit den griechischen geraten würden, besonders da der Widerspruch bei der so großen Verbreitung der griechischen Sprache sich so leicht nachweisen ließe, indem man nur ein griechisches Buch aufzuschlagen bräuchte […] Wer brächte es über sich, so viele lateinische und griechische Zeugnisse für nichtig erklären zu lassen?“

Zum Beleg kommt Augustinus auf einen Vorfall zu sprechen, der sich kurz zuvor in der Stadt Oea ereignet habe: Epistula 71,5: Nam quidam frater noster episcopus cum lectitari instituisset in ecclesia, cui praeest, interpretationem tuam, movit quiddam longe aliter abs te positum apud Ionam prophetam, quam erat omnium sensibus memoriaeque inveteratum et tot aetatum successionibus decantatum. Factus est tantus tumultus in plebe maxime Graecis arguentibus et inflammantibus calumniam falsitatis, ut cogeretur episcopus – Oea quippe civitas erat – Iudaeorum testimonium flagitare. „Denn einer unserer Brüder, ein Bischof, hatte es in der Gemeinde, der er vorsteht, eingeführt, deine Übersetzung lesen zu lassen. Da erregte eine Stelle beim Propheten Jona die Gemüter, die von dir ganz anders wiedergegeben wird, als sie alle seit jeher im Sinn und im Gedächtnis hatten und wie sie durch so viele Generationen hin vorgetragen worden ist. Es entstand ein so großer Aufruhr im Volk (wobei sich besonders die Griechen empört beschwerten, das sei falsch), dass sich der Bischof gezwungen sah – Oea war nämlich die Stadt –, eine Stellungnahme der Juden einzuholen.“

In seiner Antwort klärt Hieronymus seinen Korrespondenten (nicht ohne einen gewissen Sarkasmus) über seine textkritische Verfahrensweise auf, um dann das entscheidende Prinzip seiner Übersetzungsarbeit zu formulieren: Epistula 112,19 Ibi Graeca transtulimus, hic de ipso Hebraico, quod intellegebamus, expressimus, sensuum potius veritatem quam interdum ordinem conservantes. „Im einen Fall habe ich das Griechische übersetzt, im anderen aus dem Hebräischen selbst das, was ich verstanden habe, zum Ausdruck gebracht, wobei ich bisweilen die Wahrheit nach dem Sinn eher gewahrt habe als die Ordnung der Wörter.“

Im Folgenden (Ep. 112,20) wirft er Augustinus vor, einen Zirkelschluss zu postulieren (vgl. dessen Ep. 28,2): Wenn die (Septuaginta-)Texte schwer verständlich seien (obscuri), so sei dies keineswegs ein Argument gegen einen kritischen Abgleich mit der hebräischen Vorlage, mit der Begründung, dadurch könne man zum Irrtum verleitet werden; durch diese Verständnisschwierigkeiten geriete ja erst recht der Ausleger Augustinus auf das Glatteis seines mangelnden Textverständnisses. Nein, si cui legere non placet […] bibat vinum vetus cum suavitate et

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nostra musta contemnat „wenn jemandem nicht gefällt, was er [in meiner Übersetzung] liest […], dann soll er ruhig den alten Wein mit seiner Süßigkeit trinken und meinen jungen Most verschmähen“ (Die hier kritisierte Einstellung des Beharrens erinnert an die bei Erasmus überlieferte Anekdote über den Widerstand gegen eine Korrektur des lateinischen Messbuchs, bei der die sinnlose Verschreibung mumpsimus in das richtige sumpsimus geändert werden sollte).23 Stein des Anstoßes in der Auseinandersetzung innerhalb der Gemeinde von Oea war ein Prophetentext, Jona 4,6: Et praeparavit Dominus Deus hederam et ascendit super caput Ionae, ut esset umbra super caput eius et protegeret eum; laboraverat enim. Et laetatus est Iona super hedera laetitia magna (LXX καὶ προσέταξεν κύριος ὁ θεὸς κολοκύνθῃ, καὶ ἀνέβη ὑπὲρ κεφαλῆς τοῦ Ιωνα τοῦ εἶναι σκιὰν ὑπεράνω τῆς κεφαλῆς αὐτοῦ τοῦ σκιάζειν αὐτῷ ἀπὸ τῶν κακῶν αὐτοῦ· καὶ ἐχάρη Ιωνας ἐπὶ τῇ κολοκύνθῃ χαρὰν μεγάλην). „Da ließ Gott der HERR eine Rizinusstaude (oder: einen Wunderbaum) aufschießen und über Jona emporwachsen, damit er seinem Haupte Schatten biete und ihn von seinem Unmut befreie; und Jona hatte große Freude an dem Rizinus.“24

Statt κολοκύνθη „Kürbis“ (lat. cucurbita) bietet Symmachos κισσός „Efeu“, wofür sich auch Hieronymus mit seiner Wiedergabe hedera entscheidet. Aquila und Theodotion haben jedoch κικεών; dieses Wort, für das literarische Griechisch erst im LSJ-Supplement von 1968 verzeichnet, wird offenbar als Ableitung zu dem schon bei Herodot und Platon (Tim. 60 a) belegten Substantiv κῖκι / κίκι „Rizinusöl“ verstanden. Herodot II 94 bezeugt dies als ägyptisches Wort: ἀλείφατι δὲ χρέωνται Αἰγυπτίων οἱ περὶ τὰ ἕλεα οἰκέοντες ἀπὸ τῶν σιλλικυπρίων τοῦ καρποῦ, τὸ καλεῦσι μὲν Αἰγύπτιοι κίκι […] ἔστι δὲ πῖον καὶ οὐδὲν ἧσσον τοῦ ἐλαίου τῷ λύχνῳ προσηνές, ὀδμὴν δὲ βαρέαν παρέχεται. „Die Ägypter in den Niederungen benutzen das Öl der Sillikyprionfrucht, die sie auf ägyptisch ‚Kiki‘ nennen […] Es ist ein fettes Öl, das für die Lampe ebenso geeignet ist wie unser Olivenöl, aber es hat einen widrigen Geruch.“

Diese Verortung in Ägypten wird bestätigt durch die Tatsache, dass das literarisch so überaus selten belegte Wort und seine Ableitungen (κικιοφόρος „Rizinus hervorbringend, mit Rizinusbäumen bepflanzt“, κικιουργός „der das Kikiöl 23 Opus epistolarum Des. Erasmi Roterdami, hg. von Percy S. Allen, Oxford 1910, T. 2, Ep. 456, 68–72; der Text lautet vollständig: quod ore sumpsimus, Domine, pura mente capiamus („was wir mit dem Mund empfangen haben, Herr, wollen wir mit reinem Sinn aufnehmen“). Weitere Beispiele für ähnlich motivierten Widerstand gegen Übersetzungsneuerungen in der antiken Liturgie gibt Fürst, Kürbis oder Efeu? (Anm. 22), 317. 24 So Die Heilige Schrift, übersetzt von Hermann Menge, 15. Aufl., Stuttgart 2008, die Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung Stuttgart 1997, die Elberfelder Bibel, Wuppertal 2006 und die Zürcher Bibel, Zürich 2007. Luther (Wittenberg 1545) übersetzt mit „Kürbis“, ebenso die englische King James Version (London 1611): „gourd“, wogegen die zur Zeit in der deutschen evangelischen Kirche verbindliche Fassung (Stuttgart 1984) „Staude“ verwendet. Der hebräische Text hat das Wort ‫יקיֹון‬ ָ ‫ק‬.ִ

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auspressende Arbeiter“) in den ägyptischen Papyri häufig erscheint.25 Damit ordnet sich das Wort ein in die große Reihe ägyptischer Kulturwörter, deren überdurchschnittlich häufige Verwendung in den biblischen Texten des hellenistischen Judentums nicht verwundert, bedenkt man den regionalen Raum und die Geschichte der Entstehung der griechischen Bibel in Alexandria, der großen ägyptischen Metropole des Hellenismus. Für diese Art der Inkulturation biblischer Begriffe in das ägyptisch-griechische Milieu finden sich viele Parallelen.26 Natürlich spielt, sieht man auf ähnliche Fälle, auch die große lautliche Ähnlichkeit mit dem ‫יקיֹון‬ ָ ‫ ִק‬des hebräischen Originals eine Rolle, die den Eindruck einer tatsächlich geradezu dokumentarischen Wörtlichkeit erweckt.27 Das hebräische Wort und seine sonstigen semitischen Verwandten leiten sich ihrerseits aus dem Ägyptischen ab.28 Um zum Lateinischen zurückzukehren: Hieronymus verteidigt in seiner Antwort an Augustinus das philologische Verfahren, das ihn zu einem Ersatz des Septuaginta-„Kürbis“ durch ein (sachlich und überlieferungsgeschichtlich keineswegs korrektes) Vulgata-„Efeu“ bewogen hat: Hieronymus, Epistula 112,22 Dicis me in Ionam Prophetam male quiddam interpretatum, et seditione populi conclamante propter unius verbi dissonantiam episcopum pene sacerdotium perdidisse; et quid sit illud, quod male interpretatus sim, subtrahis, auferens mihi occasionem defensionis meae, ne, quidquid dixeris, me respondente solvatur: nisi forte, ut ante annos plurimos, ‚cucurbita‘ venit in medium, asserente illius temporis Cornelio et Asinio Pollione, me ‚hederam‘ pro ‚cucurbita‘ transtulisse. Super qua re in Commentario Ionae Prophetae plenius respondimus. Hoc tantum nunc dixisse contenti, quod in eo loco, ubi Septuaginta interpretes ‚cucurbitam‘ et Aquila cum reliquis ‚hederam‘ transtulerunt, id est, κισσόν, in Hebraeo volumine CICEION scriptum est, quam vulgo Syri CICEIAM vocant. Est autem genus virgulti, lata habens folia, in modum pampini. Cumque plantatum fuerit, cito consurgit in arbusculam absque ullis calamorum et hastilium adminiculis, quibus et cucurbitae et hederae indigent, suo trunco se sustinens. Hoc ergo edisserens, si ‚CICEION‘ transferre voluissem, nullus intelligeret: si ‚cucurbitam‘, id dicerem, quod in Hebraico non habetur: ‚hederam‘ posui, ut caeteris interpretibus consentirem. Sin autem Iudaei vestri, ut ipse asseris, malitia vel imperitia, hoc dixerunt esse in volu25 Friedrich Preisigke: Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden I, Berlin u. a. 1925, 795. Zur ägyptischen Herkunft des Wortes s. auch Victor Hehn: Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa. Historischlinguistische Studien, 8. Aufl., Berlin 1911, 207. 26 Vgl. etwa die spezifische Verwendung von ἀντιλή(μ)πτωρ „Helfer, Schützer“, in Ägypten ein typischer Titel für die Ptolemäerkönige, s. Preisigke, Wörterbuch (Anm. 25). S. dazu Eberhard Bons u. a.: Art. ἀντιλαμβάνομαι, συναντιλαμβάνομαι, ἀντιλή(μ)πτωρ, ἀντίλη(μ)ψις, in: Historical and Theological Lexicon of the Septuagint 1, hg. von Eberhard Bons und Jan Joosten, Tübingen (in Vorbereitung). 27 Eine Parallele zeigt sich in der Verwendung von βωμός „Altar“ als Übersetzungswort für das hebräische ‫ב ָמה‬.ָּ S. dazu Romina Vergari: Art. βωμός, in: Historical and Theological Lexicon of the Septuagint (Anm. 26). 28 Immanuel Löw: Aramäische Pflanzennamen, Leipzig 1881, 353; Michael Zohary: Pflanzen der Bibel, Stuttgart 1983, 193; vorsichtig zur Sache Fürst, Kürbis oder Efeu? (Anm. 22), 315.

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minibus Hebraeorum, quod in Graecis et Latinis codicibus continetur, manifestum est eos aut Hebraeas litteras ignorare aut ad irridendos cucurbitarios voluisse mentiri. „Du sagst, im Propheten Jona hätte ich etwas schlecht übersetzt, und als daraufhin eine Empörung unter dem Kirchenvolk ausgebrochen sei, habe wegen der Unstimmigkeit in einem einzigen Wort der dortige Bischof beinahe sein Amt verloren. Was ich da aber schlecht übersetzt haben soll, das lässt du weg, und damit entziehst du mir die Gelegenheit zu meiner Verteidigung, und so könnte ich in meiner Antwort keine Lösung finden für das, was immer du sagst, käme da nicht bei Wege, wie vor einigen Jahren, der ‚Kürbis‘ wieder aufs Tapet. Damals rückte mir der Cornelius und Asinius Pollio jener Zeit29 vor, ich hätte ‚Efeu‘ statt ‚Kürbis‘ übersetzt. Zu dieser Sache habe ich im Kommentar zum Propheten Jonah ausführlicher geantwortet. Jetzt begnüge ich mich damit zu sagen, dass an der Stelle, wo die Übersetzer der Septuaginta ‚Kürbis‘ und Aquila mit den übrigen ‚Efeu‘ übersetzt haben [was so nicht stimmt], in der hebräischen Ausgabe ‚ciceion‘ steht, was die Syrer allgemein ‚ciceia‘ nennen. Dabei handelt es sich um eine Art Strauch mit breiten Blättern, wie eine Weinranke. Wenn sie gepflanzt wird, wächst sie schnell zu einem Bäumchen heran, ohne irgendeine Stütze durch Rohre oder Stangen, was sowohl Kürbisse als auch Efeu brauchen; sie hält sich allein durch ihren eigenen Stamm aufrecht. Wenn ich mich nun an eine wörtliche Wiedergabe hätte machen und mit ‚ciceion‘ hätte wiedergeben wollen, dann würde es keiner verstehen; hätte ich ‚Kürbis‘ gewählt, würde ich ein Wort benutzen, das im Hebräischen nicht steht. Also habe ich ‚Efeu‘ eingesetzt, um [wenigstens] mit den übrigen Übersetzern übereinzustimmen. Wenn aber eure Juden, wie du selbst sagst, behaupten, es stehe das in den Büchern der Hebräer, was auch in den griechischen und lateinischen Handschriften enthalten sei, so kennen sie offenkundig das Hebräische nicht, oder sie wollten lügen, um sich über die Anhänger des ‚Kürbis‘ lustig zu machen.“

Mit anderen Worten: Hieronymus opfert aus Mangel an einem für seine Adressaten zugleich verständlichen und gewohnten Begriff 30 die sachliche Richtigkeit der Übereinstimmung mit den griechischen Vorgängern in der Übersetzungstätigkeit, um wenigstens eine eklatante Diskrepanz zum hebräischen Original zu vermeiden. Diese sieht er mit der Übersetzung der Septuaginta gegeben: Der 29 Gemeint ist wahrscheinlich sein Widersacher Rufinus von Aquileia, vgl. dessen sarkastische Bemerkungen Apologia contra Hieronymum II 39, s. allerdings Fürst, Kürbis oder Efeu? (Anm. 22), 316; mit Asinius Pollio spielt Hieronymus auf den Gründer der ersten öffentlichen Bibliothek in Rom an, Konsul im Jahre 40 v.Chr. 30 Allenfalls hätte er auf Plinius, Nat. hist. 15,25 zurückgreifen können, der eine ähnliche Beschreibung wie Herodot bietet: Proximum fit e cici, arbore in Aegypto copiosa (alii crotonem, alii sibi, alii sesamon silvestre eam appellant), ibique, non pridem et in Hispania, repente provenit altitudine oleae, caule ferulaceo, folio vitium, semine uvarum gracilium pallidarumque. Nostri eam ricinum vocant a similitudine seminis. Coquitur id in aqua, innatansque oleum tollitur. At in Aegypto, ubi abundat, sine igni et aqua sale adspersum exprimitur, cibis foedum, lucernis exile („Als nächstes kommt das Öl vom cici-Baum, der in Ägypten häufig ist; die einen nennen ihn croton, die anderen sibi, wieder andere wilden Sesam; und dort, wie auch vor kurzem in Spanien, erreicht er unvermutet die Höhe eines Ölbaums, mit einem Schaft, der dem Riesenfenchel gleicht, Blättern von der Art der Weinstöcke und Samen von der Art schlanker und heller Trauben. Bei uns heißt er ricinus, wegen der Ähnlichkeit des Samens. Dieser wird in Wasser gekocht, das darauf schwimmende Öl entfernt. In Ägypten aber, wo er im Überfluss vorkommt, wird er mit Salz bestreut und ohne Feuer und Wasser ausgepresst; als Nahrung ist er scheußlich, für die Lampen ergibt er dünnes Öl.“).

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„Kürbis“ (κολοκύνθη meint eigentlich den hochstaudigen „Flaschenkürbis“31) könne weder aus sachlichen Gründen gemeint sein (der Kürbis wächst nicht auf seinen eigenen Stamm gestützt heran, wie in der Jona-Erzählung beschrieben), noch könne das hebräische Wort den „Kürbis“ überhaupt bezeichnen. Tatsächlich wohnt den Pflanzen eine jeweils unterschiedliche Symbolik inne, die die sachliche und semantische Genauigkeit exegetisch heikel macht: Sowohl der Kürbis als auch der Efeu symbolisieren Fruchtbarkeit, Leben, Lebenskraft und Auferstehung; sie finden sich entsprechend auf vielen bildlichen Darstellungen der Grabkunst, und das Bild Jonas unter der Kürbispflanze gehört zu den festen Motiven der christlichen Bilddarstellungen auf diesem Gebiet.32 Bei der Auseinandersetzung um Hieronymus’ Wortwahl mag auch der ein wenig heikle Umstand eine Rolle gespielt haben, dass es sich beim Efeu um das in seiner Symbolik allen antiken Menschen geläufige Attribut des typisch heidnischen Dionysos / Bacchus handelte.33 Kleine Ursache, große Wirkung – dieses Fazit könnte man aus der Geschichte dieses Vorfalls ziehen. Was sich ereignet hatte, war ein „Unfall“ in der kommunikativen Umsetzung der Translation eines heiligen Textes: Die Gläubigen von Oea, einer Stadt in der Tripolitana (heute Tripolis im westlichen Libyen), bekamen zwar nun endlich eine Liturgie in ihrer Mutter- oder doch jedenfalls Hauptverkehrssprache, dem Lateinischen, so wie es ja auch zu diesem wichtigen lateinischsprachigen Teil der nordafrikanischen Küste passte.34 Dabei erhob die Gemeinde jedoch den Anspruch, dass auch die neue Sprachform eine „wörtliche“ und damit (so die Erwartung) zugleich sachlich richtige Wiedergabe des im Griechischen bisher Gewohnten bieten würde; daher die Empörung, als durch den kritischen Abgleich mit dem Hebräischen eine andere Wiedergabe bevorzugt wurde.

31 Markus Stein: Art. Kürbis, in: Reallexikon für Antike und Christentum XXII, Stuttgart 2008, 189. 32 Ausführliche Erörterungen der Kontroverse und der symbolischen Bedeutung beider Gewächse: Hehn, Kulturpflanzen (Anm. 25), 304–309; Ralf Norrman/Jon Haarberg: Nature and Language. A Semiotic Study of Cucurbits in Literature, London 1980, 27–31; Stein, Art. Kürbis (Anm. 31), insbesondere 194–200; s. auch Uwe Steffen: Das Mysterium von Tod und Auferstehung. Formen und Wandlungen des Jona-Motivs, Göttingen 1963, 111 und als instruktives Beispiel aus der spätantiken bildenden Kunst die Tafel V nach 112; Hildegard Kretschmer: Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst, Stuttgart 2008, 92 und 246. Weiteres zu Hieronymus’ theologischen Überlegungen bei Fürst, Kürbis oder Efeu? (Anm. 22), 319–322. 33 Erika Simon: Art. Efeu, in: Reallexikon für Antike und Christentum IV (1959), 610–620. 34 Zur charakteristischen Ausprägung (Africitas) des Lateins dieser Region s. Bardy, La question des langues dans l’église ancienne (Anm. 17), 57–60 (zur Bedeutung der Griechischkenntnisse 190–191, speziell für Oea 55–57); Adams, Diversification (Anm. 18), 516–576.

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4 Übersetzungstheoretische Reflexionen: Zwischenwelten Wie deutlich zu erkennen, war sich schon Hieronymus bewusst, dass die schöne Geschichte von den 72 Septuaginta-Übersetzern eben nicht mehr als eine Geschichte sein konnte, vgl. Prologus in Pentateucho 29–42 (Zitat: 29–30): Aliud est enim vatem, aliud esse interpretem: Ibi spiritus ventura praedicit, hic eruditio et verborum copia ea, quae intellegit, transfert. „Denn Seher zu sein ist eine Sache, Übersetzer (interpres) zu sein eine andere: Im ersten Fall sagt der Geist voraus, was kommt, im zweiten überträgt Bildung und Fülle des Ausdrucks das, was sie versteht.“

Das Altertum reflektierte durchaus die mit dem Begriff des Übersetzens verbundene Problematik, und dies nicht erst seit Cicero, dem wir sehr intensive methodische Reflexionen über seine Übertragungstätigkeit aus dem Griechischen verdanken. Erst recht nahmen die Bibelübersetzer die Notwendigkeit, auch die ihnen ferner liegenden semitischen Sprachen in diese Reflexion einzubeziehen, zum Anlass einer gründlichen Auseinandersetzung über die richtige Methode. An der zitierten Stelle macht Hieronymus etwas deutlich, das den Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Thema bilden muss: Jede Übersetzung ist Kommunikation. Kommunikation vollzieht sich, in moderner linguistischer Terminologie, zwischen Sender und Empfänger, im Falle der Übersetzung ebenso zwischen den von beiden jeweils benutzten kommunikativen Zeichensystemen, einer Ausgangssprache und einer Zielsprache.35 Dieses sowohl für Hieronymus und alle Bibelübersetzer der Antike wie auch für neuzeitliche Übersetzungen zentrale Moment wird in rein funktionalistischen Übersetzungstheorien außer Acht gelassen, die in den 1960er Jahren die unbegrenzte, im Idealfall sogar von Maschinen durchführbare Umkodierbarkeit von sprachlichen Äußerungen aller Art postulierten.36 Höchst unterschiedlich allerdings fielen die Antworten auf die Frage aus, welches Gewicht zum einen die Ausgangssprache (immerhin das „heilige“ Hebräisch des Urtextes37) beibehalten sollte, inwieweit ihre spezifische Lexik und Syntax „dokumentarisch“ getreu bezeugt noch in der Zielsprache durchscheinen sollten, und wie weit zum anderen die Rücksicht auf den Empfänger, den zielsprachlichen Leser, gehen sollte. Bis zum heutigen Tage ist diese Balance eine der heikelsten Fragen der literarischen Übersetzung überhaupt geblieben. 35 Zur Terminologie s. Claude E. Shannon/Warren Weaver: The Mathematical Theory of Communication, Urbana 1949, 21. Aufl., 1998, insbesondere 31–35; Koller, Einführung (Anm. 2), 12; Näheres zur Sache ebd., 80–89; Bußmann, Lexikon (Anm. 19), 758–759. 36 Koller, Einführung (Anm. 2), 90. 37 Zu derartigen Phänomenen s. Brock, Aspects (Anm. 16), 75–76, zum analog hohen Prestige des Griechischen für die syrischen Übersetzer 74–75; s. auch 79: „Given the view, widespread in antiquity, that what can be fully described must in some way be less than the mind that describes it, to translate an inspired text sensus de sensu would be to imply that the sensus of the impenetrable mysteries of scripture had been fully grasped by the translator.“

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Es dürfte wohl eine Binsenweisheit sein, dass keine Ausgangssprache und keine Zielsprache jemals völlig deckungsgleich sein können.38 Dies hat seinen Grund in der jeweils unterschiedlichen Beziehung zwischen wahrgenommener Welt und der deutend vermittelnden Umsetzung in das diese Wahrnehmung beschreibende Zeichensystem der jeweiligen Muttersprache (Leo Weisgerbers „geistige Zwischenwelten“);39 Lexeme wie Morpheme zeigen eine Ausdrucksseite (Significans = formal) und eine Inhaltsseite (Significatum = inhaltlich) und dienen dem Sprecher dazu, die begriffliche Vorstellung (Designatum) auszudrücken, die er sich von der außersprachlichen Wirklichkeit macht.40 Es versteht sich, dass diese komplexe Relation schon unter verschiedenen Individuen unterschiedlich ausfallen kann. Die sprachlich das Wahrgenommene deutende „Zwischenwelt“ wird in besonderem Maße in den Wortfeldern fassbar.41 Darunter ist die Gesamtheit der Wörter (Lexeme) zu verstehen, die einen „mehr oder weniger geschlossenen Begriffskomplex“ aufgliedern.42 Seine inhaltliche Bestimmtheit gewinnt ein Einzelwort erst in der Struktur des ganzen Wortfeldes (etwa „mangelhaft“ in unterschiedlichen Zensurenskalen). Noch weiter differenziert und ausgebaut findet man diese Theorie der Bedingtheit von Wirklichkeitserfassung und Denken durch Sprache im (nicht unumstrittenen) „sprachlichen Relativitätsprinzip“, das von Benjamin Whorf im Anschluss an Edward Sapir (und wohl auch an Wilhelm von Humboldt43) so formuliert wurde: „No individual is free to describe nature with absolute impartiality but is constrained to certain modes of interpretation even while he thinks himself most free. The person most nearly free in such respects would be a linguist familiar with very many widely different linguistic systems. As yet no linguist is in any such position. We are thus introduced to a new principle of relativity, which holds that all observers are not led by the same physical evidence to the same picture of the universe, unless their linguistic backgrounds are similar, or can in some way be calibrated.“44 38 So sieht es auch schon der Verfasser des Prologs zum alttestamentlichen Buch Sirach, Z. 21–22 οὐ γὰρ ἰσοδυναμεῖ αὐτὰ ἐν ἑαυτοῖς Εβραϊστὶ λεγόμενα καὶ ὅταν μεταχθῇ εἰς ἑτέραν γλῶσσαν („denn was auf Hebräisch gesagt wird, hat nicht mehr dieselbe Kraft in sich, wenn es in eine andere Sprache übertragen wird“), zitiert bei Brock, Aspects (Anm. 16), 76. 39 Leo Weisgerber: Grundzüge der inhaltbezogenen Grammatik, 4. Aufl., Düsseldorf 1971, 41–77; Koller, Einführung (Anm. 2), 168–172. 40 Matthias Fritz in Michael Meier-Brügger: Indogermanische Sprachwissenschaft, 9. Aufl., Berlin/New York 2010, 376. 41 Vgl. die Graphiken bei Koller, Einführung (Anm. 2), 96–97. 42 Jost Trier: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, Heidelberg 1931, Ndr. 1973, 1–26; zum Begriff „Wortfeld“ s. Lothar Schmidt (Hg.): Wortfeldforschung. Zur Geschichte und Theorie des sprachlichen Feldes, Darmstadt 1973 und Koller, Einführung (Anm. 2), 169–170. 43 S. z. B. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, Berlin 1836, LXIV–LXXXI. 44 Language, Thought, and Reality. Selected Writings of Benjamin Lee Whorf, hg. von John B. Carroll, New York 1956, mehrfach nachgedruckt, 214; Koller, Einführung (Anm. 2), 171–172.

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Man braucht den radikalen Pessimismus, dass damit Übersetzung überhaupt zu einem hoffnungslosen Unterfangen werde, nicht zu teilen, muss aber zugeben, dass die Übersetzung in jedem Falle zu einer höchst anspruchsvollen Aufgabe gerät, wenn diese These der Bewusstseins- und Kulturdetermination durch Sprache auch nur teilweise zutrifft.45 Übersetzung ist damit nichts weniger als Vermittlung zwischen unterschiedlichen Wirklichkeitsauffassungen und erfordert, nimmt sie ihre oben dargestellte kommunikative Funktion ernst, vom Übersetzer, dass er sich in die entsprechenden Auffassungen sowohl der Ausgangssprache als auch der Zielsprache hineindenken kann. Das Lexikon vermag hier nicht mehr zu sein als eine Handreichung, die ein Angebot verschiedener Möglichkeiten zur Abdeckung eines Wortfeldes bereithält, deren Relevanz für den jeweiligen Bedeutungszusammenhang sich erst durch dessen sorgfältige Analyse erschließt. Zu bedenken ist auch die über das Linguistische hinausgehende Relation zwischen dem Autor des Originaltexts (dem „Sender“) und den von ihm intendierten Lesern (den „Empfängern“); dazu eine Definition von Werner Koller: „Der Original-Text funktioniert im kommunikativen Zusammenhang der betreffenden Sprach- und Kulturgemeinschaft; er ist eingebettet in diesen Zusammenhang. Das heißt zugleich, daß der Text vor dem Hintergrund bestimmter Erwartungsnormen, die den Erwartungshorizont der Empfänger bilden, rezipiert wird […] die Erwartungsnormen des Empfängers bedingen die Schreibnormen des Autors, die Schreibnormen des Autors beziehen sich auf Erwartungsnormen der Leser und bestätigen sie, widersprechen ihnen und verändern sie gegebenenfalls.“46

Eine gerade auf biblische, aber auch liturgische Texte sehr zutreffende Beschreibung! Das erklärt zugleich viel von der zuweilen frappierend fremdartigen Wirkung, die sie auf die Leser der zielsprachlichen Übersetzung ausüben, und es erklärt auch das Bedürfnis mancher Übersetzer derartiger Texte, diese Fremdartigkeit gerade unter dem Aspekt des aufrüttelnden Anstoßes beizubehalten.47 45 Zuletzt Manfred Kienpointner: Latein – Deutsch kontrastiv. Vom Phonem zum Text, Tübingen 2010 (Deutsch im Kontrast 23), 129: „Diese Eigenschaften [die formalen und inhaltlichen Eigenheiten einer Sprache oder auch der Sprachen im allgemeinen] determinieren zwar unser Denken sowie auch unsere kulturellen Institutionen keineswegs vollständig, wie es in radikalen Versionen der so genannten ‚linguistischen Relativitätshypothese‘ […] angenommen worden ist. Sie geben unserem Denken aber eine bestimmte Richtung, heben bestimmte Aspekte der Realität hervor und stellen andere Aspekte eher in den Hintergrund.“ 46 Koller, Einführung (Anm. 2), 108. Ähnliche Gedanken äußert übrigens schon Augustinus, De doctr. christ. II 12,18, 13,19 und 14,21 (mit dem dort und häufiger gebrauchten Begriff der consuetudo, s. dazu u. S. 108, Anm. 51). 47 Unter den deutschen Bibelübersetzungen der neueren Zeit sei vor allem die von Martin Buber und Franz Rosenzweig erwähnt (Die Schrift. Aus dem Hebräischen verdeutscht, Berlin 1926–1938, zuletzt nachgedruckt Stuttgart 2012). S. dazu Franz Rosenzweig: Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, hg. von Rafael Rosenzweig, Bd. IV, Den Haag 1983, 2: „Die Aufgabe des Übersetzers ist eben ganz missverstanden, wenn sie in der Eindeutschung des Fremden gesehen wird.“ Von ähnlichen Erwägungen, mit stark theologischen Implikationen, ließ sich, wie

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Aus dem Gesagten ergibt sich meines Erachtens, dass die Vorstellung, es könne überhaupt so etwas wie eine „wörtliche Übersetzung“ geben, doch sehr fraglich ist. Natürlich wird ein verantwortungsvoller Übersetzer sich bemühen, so wenige Informationen des Ausgangstextes wie möglich im Prozess der Übertragung zu verlieren oder, um es in der oben erörterten Terminologie auszudrücken, eine möglichst weitgehende Deckung zwischen den Signifikaten der Ausgangssprache und denen der Zielsprache zu erreichen. Bereits Augustinus, De doctrina christiana II 15,22 lobt in diesem Sinne die Vetus Latina bzw. Itala, sie sei verborum tenacior cum perspicuitate sententiae.48 Die „sprachlichen Zwischenwelten“49 unterscheiden sich in einem Maße, das eine interpretierende Aneignung unbedingt ratsam macht. Daraus gewinnt etwa die Vulgata-Übersetzung ihre charakteristische Gestalt und gewiss auch ihre Wirkkraft. Hieronymus arbeitet mit klar definierten Absichten im Hinblick auf die erörterten Kriterien; vgl. grundsätzlich zu seiner Übersetzertätigkeit Prologus in Pentateucho 3–7: Periculosum opus certe, obtrectatorum latratibus patens, qui me adserunt in Septuaginta interpretum suggillationem nova pro veteribus cudere, ita ingenium quasi vinum probantes, cum ego saepissime testatus sim me pro virili portione in tabernaculum Dei offerre, quae possim, nec opes alterius aliorum paupertate foedari. „Gewiss ist das ein gefährliches Unternehmen; es ist dem Gekläff der Schlechtmacher ausgesetzt, die mich beschuldigen, ich würde neue Ausdrücke anstelle der alten prägen (cudere), um die Übersetzer der Septuaginta zu verhöhnen. So beurteilen sie das Ingenium [des Übersetzers], als handle es sich um Wein [nämlich nach dem Alter der Übersetzung], wo ich doch so oft bezeugt habe, dass ich nach meinen besten Kräften die Gaben in das Zelt Gottes bringe, die ich vermag, und dass die Schätze des einen nicht durch die Armseligkeit anderer entstellt werden sollen.“50

Die verbum-e-verbo-Übersetzung, die er auch in seinen Übertragungen nicht befolgt (s. oben S. 100), lehnt er in Epistula 57,5,2 ausdrücklich ab: Ego non solum fateor, sed libera voce profiteor me in interpretatione Graecorum – absque scripturis sanctis, ubi et verborum ordo mysterium est – non verbum e verbo, sed sensum exprimere de sensu. Habeoque huius rei magistrum Tullium … nec converti ut interpres, sed ut orator, sententiis isdem et earum formis tanquam figuris, verbis ad nostram consuetudinem51 oben dargestellt, auch Hieronymus in der Kürbis/Efeu-Kontroverse leiten; s. Fürst, Kürbis oder Efeu? (Anm. 22), 319–322. 48 „Sie hält sich mehr an den Wortlaut [ihrer Vorlage] und drückt dabei doch die Gedanken klarer aus“. Zur sprachlichen perspicuitas (σαφήνεια) Lausberg, Handbuch (Anm. 7), § 528–529: „Ziel der perspicuitas ist die intellektuelle Verständlichkeit“; vgl. Quintilian, Inst. or. VIII 2,23–24. 49 Weisgerber, Grundzüge (Anm. 39), 32; vgl. oben S. 106. 50 Marti, Übersetzer (Anm. 7), 73; Astrid Seele: Römische Übersetzer. Nöte, Freiheiten, Absichten, Darmstadt 1995, zugl. Diss. Konstanz 1993, 90–91. 51 Den Begriff (συνήθεια) definiert Lausberg, Handbuch (Anm. 7), § 469: „der übereinstimmende Sprachgebrauch der Gebildeten“, vgl. Quintilian, Inst. or. I 6,45: consuetudinem sermonis vocabo consensum eruditorum, sicut vivendi consensum bonorum („Als das in der Sprache Gebräuchliche werde ich die Übereinstimmung der Gebildeten bezeichnen, so wie im Leben die

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aptis. In quibus non verbum pro verbo necesse habui reddere, sed genus omne verborum vimque servare. „Ich bekenne nicht nur, sondern bekenne mich frei heraus dazu, dass ich in den Übersetzungen aus dem Griechischen – außer den heiligen Schriften, wo schon die Ordnung der Wörter ein Geheimnis ist – nicht Wort für Wort, sondern dem Sinn nach wiedergebe. Und ich habe Cicero als Lehrer in dieser Sache […] Ich habe nicht wie ein Übersetzer übertragen, sondern wie ein Redner [d. h. wie jemand, der Sprache nach rhetorischen Prinzipien, also kunstvoll, gestaltet], mit denselben Satzstrukturen und ihren Formfiguren, aber die Wörter [die Semantik] an das angepasst, was in unserer Sprache üblich ist. Dabei hielt ich es nicht für nötig, Wort für Wort zu übersetzen, sondern die jeweils spezifische Bedeutung der Wörter zu bewahren.“

Ebenso Epistula 57,5,5: Sed et Horatius vir acutus et doctus, hoc idem in Arte Poetica erudito interpreti praecipit: ‚Nec verbum verbo curabis reddere, fidus interpres‘ (Horaz, AP 133–134). Terentius Menandrum, Plautus et Cecilius veteres comicos interpretati sunt. Numquid haerent in verbis ac non decorem magis et elegantiam in translatione conservant? Quam vos veritatem interpretationis, hanc eruditi κακοζηλίαν52 nuncupant. „Aber auch Horaz, ein scharfsinniger und gelehrter Mann, lehrt den gebildeten Übersetzer in seiner Ars poetica dasselbe: ‚Dein Anliegen wird es nicht sein, Wort für Wort zu übertragen, als getreuer Dolmetscher‘. Terenz hat den Menander, Plautus und Caecilius haben die alten Komiker übersetzt. Hängen sie etwa an den Wörtern und bewahren sie nicht eher in ihrer Übertragung Kunstfertigkeit und Eleganz? Was ihr ‚Wahrheit der Übersetzung‘ nennt, das heißt bei den Gebildeten ‚übertriebene Genauigkeit‘.“

Vermittelt der Übersetzer dies nicht oder fehlerhaft, bleibt ein guter Teil dieser Wirkkraft für den „Empfänger“ auf der Strecke. In der Geschichte der Übersetzung hat es nun die unterschiedlichsten Ansätze gegeben, mit dieser Herausforderung der „Äquivalenz“ fertigzuwerden. Kein Geringerer als Cicero wollte die „Dürftigkeit der Heimatsprache“ (patrii sermonis egestas53) überwinden und (eben durch das Mittel der Übersetzung) eine eigenständige philosophische Terminologie in lateinischer Sprache schaffen. Sein „Übersetzungsprogramm“ legt er an mehreren Stellen dar;54 es besteht insgesamt Übereinstimmung der Guten“). Zu Origenes’ Konzeption der συνήθεια s. Neuschäfer, Origenes als Philologe (Anm. 16), 289. 52 Zu diesem Begriff s. oben S. 95 mit Anm. 8. 53 S. dazu Thorsten Fögen: Patrii sermonis egestas. Einstellungen lateinischer Autoren zu ihrer Muttersprache. Ein Beitrag zum Sprachbewusstsein in der römischen Antike, München 2000 (Beiträge zur Altertumskunde 150), zugl. Diss. Heidelberg. Näheres bei Christoph Kugelmeier: Die Entwicklung einer philosophischen Fachterminologie durch die lateinischen Platon-Übersetzungen der Renaissance; in: Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft 15 (2005), 6–8. 54 Vgl. z. B. Tusc. 1,1–5, De fin. 1,1–10 und 3,5 (dazu ausführlich Christian Mueller-Goldingen: Cicero als Übersetzer Platons, in: Zum Umgang mit fremden Sprachen in der griechischrömischen Antike. Kolloquium der Fachrichtungen Klassische Philologie der Universitäten Leipzig und Saarbrücken am 21. und 22. November 1989 in Saarbrücken, hg. von Carl Werner Müller u. a., Stuttgart 1992 [Palingenesia 36], 174–175) sowie De or. 1,155, ähnlich De opt. gen. orat. 13–22

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vor allem darin, eine genauestmögliche Wiedergabe des semantischen Feldes für den jeweiligen griechischen Begriff, also eine größtmögliche lexikalische „Äquivalenz“ zwischen Ausgangssprache und Zielsprache, zu finden. Wir haben es hier mit einem Prinzip zu tun, das auch „Wirkungsäquivalenz“ oder „dynamische“ bzw. „funktionale Äquivalenz“ genannt wird und in der übersetzungstheoretischen Diskussion schon seit langem mit unterschiedlicher Terminologie beschrieben wird.55 Für die Übertragung antiker Literatur verwendet Wolfgang Schadewaldt den Terminus „transponierende Übersetzung“;56 lange vorher spricht Goethe von „parodistischer Übersetzung“.57 Das entgegengesetzte Prinzip der „dokumentarischen Übersetzung“58 wenden die Platon-Übertragungen Friedrich Schleiermachers59 ebenso an wie die Bibelübersetzung von Buber/ Rosenzweig. Eine solche „dokumentarische“ Treue in der Wiedergabe nimmt auch der Schöpfer der Vulgata-Übersetzung für sich in Anspruch, vgl. Hieronymus, Prologus Hester: Vos autem, o Paula et Eustochium […] per singula verba nostram translationem aspicite, ut possitis agnoscere me nihil etiam augmentasse addendo, sed fideli testimonio simpliciter, sicut in Hebraeo habetur, historiam Hebraicam Latinae linguae tradidisse. und Acad. 1,4–10; s. dazu Fögen, Patrii sermonis egestas (Anm. 53), 79–91 und 114–117, sowie Jorma Kaimio: The Romans and the Greek Language, Helsinki 1979 (Commentationes humanarum litterarum 64), 240–243 und 288–289. Zu Ciceros Übersetzungstätigkeit s. die Studien von Susanne Widmann: Untersuchungen zur Übersetzungstechnik Ciceros in seiner philosophischen Prosa, Diss. Tübingen 1968, und Hans-Joachim Hartung: Ciceros Methode bei der Übersetzung griechischer philosophischer Termini, Diss. Hamburg 1970. Allgemein zur antiken Übersetzungspraxis und -theorie Brock, Aspects (Anm. 16) und Seele, Römische Übersetzer (Anm. 50); Überblicksdarstellungen bei Bernhard Kytzler: Fidus interpres. The Theory and Practice of Translation in Classical Antiquity, in: Antichthon 23 (1989), 42–50, und Bruno Rochette: Du grec au latin et du latin au grec. Les problèmes de la traduction dans l’antiquité gréco-latine, in: Latomus 54 (1995), 245–261. 55 Koller, Einführung (Anm. 2), 52–53, 92 und 156–157; Stefan Felber: Kommunikative Bibelübersetzung. Eugene A. Nida und sein Modell der dynamischen Äquivalenz, Stuttgart 2013, insbesondere 141–299. 56 Wolfgang Schadewaldt: Die Wiedergewinnung antiker Literatur auf dem Wege der nachdichtenden Übersetzung, in: Deutsche Universitätszeitung 13 (1958), 741–744 = ders.: Hellas und Hesperien, Zürich/Stuttgart 1960, 538–542. 57 Johann Wolfgang von Goethe: Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans, Stuttgart 1819, 283. 58 Zu diesem Begriff und seiner theoretischen Fundierung insbesondere durch Wolfgang Schadewaldt s. Josefine Kitzbichler/Katja Lubitz/Nina Mindt: Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800, Berlin/New York 2009 (Transformationen der Antike 9), 286–291. 59 Friedrich Schleiermacher: Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens (Vortrag Berlin 1813, abgedruckt bei Josefine Kitzbichler/Katja Lubitz/Nina Mindt: Dokumente zur Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800, Berlin/New York 2009 (Transformationen der Antike 10), 59–81), hier 74: „Meines Erachtens gibt es deren nur zwei. Entweder der Uebersezer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“

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Aliud est vatem, aliud esse interpretem

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„Ihr aber, Paula und Eustochium […], schaut euch meine Übersetzung Wort für Wort an, und ihr könnt sehen, dass ich auch nichts durch Hinzufügen erweitert habe, sondern dass ich als treuer Zeuge, schlicht, wie im Hebräischen, die hebräische Geschichte in die lateinische Sprache übertragen habe.“

Aus den erörterten Beispielen geht jedoch hervor, dass seine Praxis diesem Postulat keineswegs durchgängig folgt, ja dass seine (vermeintlichen oder tatsächlichen) Abweichungen von der Hebraica veritas bisweilen den Anstoß zu teils erregten Diskussionen gaben, die auch in späterer Zeit fortwirkten. Wie dargestellt, verliefen dabei die Konfliktlinien nicht nur entlang unterschiedlicher Auffassungen über die sprachliche Korrektheit seines Übersetzungswerks im Vergleich zu anderen Unterfangen dieser Art, vielmehr betraf die Auseinandersetzung auch und vor allem Kernthemen der theologischen Ausdeutungen der heiligen Texte, sowohl innerhalb der noch jungen Kirche als auch im Verhältnis zur jüdischen Exegese.

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Griechisch – Aramäisch – Arabisch Drei (un)gleiche Übersetzungskontexte im Judentum Ronny Vollandt

1 Einführung Ob die biblische Offenbarung zu übersetzen sei oder nicht, ist im Judentum keine einfach zu beantwortende Frage. Die hebräische Bibel, der nach rabbinischer Auffassung in ihrem schriftlichen Aspekt, der ‫ תורה שבכתב‬tora she-bikhtav, eine mündlich überlieferte, fluide Schwesteroffenbarung, ‫ תורה שבעל פה‬tora she-be-῾al peh, gegenübersteht,1 stellt eine Sammlung von vierundzwanzig Büchern dar, unterteilt in drei große Gruppen absteigender theologischer, religionsgesetzlicher und liturgischer Bedeutungsgrade: die Tora, die Propheten (‫ נביאים‬nevi᾽im) und die Schriften (‫ כתובים‬ketuvim). Letztere sind keine direkten Offenbarungen, sondern unter göttlicher Inspiration niedergeschriebene Texte. Die Tora gilt als Offenbarungsschrift, die Mose und den Israeliten von Gott am Sinai nach dem Auszug aus Ägypten und während der Wüstenwanderung übergeben wurde. Das hebräische Wort ‚Tora‘ bedeutet ‚Lehre‘ oder ‚Unterweisung‘, nicht ‚Gesetz‘, ein Begriff, der aber häufig als Übersetzung verwendet wird und auf die in der Tora auch enthaltene Gesetzgebung verweist. Die Tora gilt als oberste Quelle kultischer, moralischer und juristischer Weisung, wenn auch nicht als die alleinige (Propheten und Schriften können als zusätzliche Belegtexte, ‫ אסמכתא‬asmakhta, ‚Stütze‘, hinzugenommen werden). Angesichts kulturpolitischer, intellektueller und nicht zuletzt auch sprachlicher Veränderungen erscheint der stetige Akt 1 Die mündliche Tora, welche in einer langen Reihe von Tradenten von Moses über die Propheten bis in die Zeit nach der Zerstörung des zweiten Tempels überliefert wurde, erhält eine feste Form in den verschiedenen Korpora der rabbinischen Literatur: Midrash, Mishna, Tosefta, Gemera etc. Rabbinische Literatur, einschließlich des Talmuds, ist im Kern eine kollektive Literaturproduktion, die keinem einzelnen, identifizierbaren Autor zuzuschreiben ist, sondern die aus vielen Stimmen und Schichten besteht. Sie ist aus einem oral-performativen Kontext heraus entstanden, der in direktem Zusammenhang mit einer bestimmten diskursiven Praxis der Gelehrsamkeit stand. Bevor diese Traditionen ihre jetzige Form annahmen, wurden sie einem langen Prozess literarischer Redaktion unterzogen. Die Texte in ihrer endgültigen Form, in der sie heute in den Handschriften zu finden sind (die frühesten darunter können auf ca. 900 der allgemeinen Zeitrechnung datiert werden), waren lediglich der letzte Schritt in diesem Prozess.

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der Übertragung, Auslegung und Neueinordnung in den jeweiligen kulturellen und zeitlichen Kontext verständlicherweise unabdingbar. Als Gegenstand einer Übersetzung jedoch kann man sich der Tora, offenbart in der heiligen Sprache Hebräisch – Sprache der Schöpfung selbst –, kaum nähern, ohne dass ein Bedeutungsverlust eintritt und ohne dass in dem Übersetzer scheinbar kategorisch ein Usurpator im Umgang mit dem Sakraltext gesehen wird.2 So sind darüber hinaus nicht nur die Sprache der offenbarten Lehre (Semantik, Klang), sondern auch deren Schrift und Schriftbild (beispielsweise die Krönchen auf bestimmten Buchstaben, hochgestellte oder umgedrehte Buchstaben) bedeutungstragende Elemente, welche in einer Übersetzung nur schwer wiedergegeben werden können.3 Die Beantwortung der Frage, ob nun der biblische Text übersetzbar ist, hängt also folglich davon ab, was (Form oder Inhalt) und wie (gemäß den ästhetischstilistischen und sprachlichen Konventionen der hebräischen oder denen der Übersetzungssprache) übersetzt wird. Sämtliche Bibelübersetzungen lassen sich somit je nach Verhältnis zum Ausgangstext, als auf die Form gerichtet oder als semantisch / kommunikativ, auf einer horizontalen Skala verorten, die sich von der Interlinearübersetzung bis zur paraphrastischen Bearbeitung spannt.4 Am einen Ende der Skala – verbum pro verbo in Ciceros Worten (De optimo genere oratorum 14) – bemüht man sich um eine größtmögliche Äquivalenz: Die Übersetzung soll dieselbe Wirkung wie das Original erzielen, ihr in Form (durchaus bis hin zu den kleinsten Textabschnitten, wie beispielsweise Morphemen oder Präpositionen) und idealerweise auch im Klang komplett entsprechen (Homophonie5). Benjamin beschreibt diese Form der Übersetzung treffend: „Die wahre Übersetzung ist durchscheinend, sie verdeckt nicht das Original, […] sondern lässt die reine Sprache, wie verstärkt durch ihr eigenes Medium, nur um so voller aufs Original fallen.“6 Am anderen Ende der Skala, wie auch Barr für Bibelübersetzungen gezeigt hat, verschiebt sich der Schwerpunkt zu größeren Texteinheiten, die dem seman2 Vgl. auch die Überblicksdarstellung von Stefan Schorch: Sakralität und Öffentlichkeit: Bibelübersetzungen als Paradigmen jüdischen Übersetzens, in: Dialog der Disziplinen: Jüdische Studien und Literaturwissenschaft, hg. von Eva Lezzi/Dorothea M. Salzer, Berlin 2009 (Minima judaica 6), 51–76. 3 Vgl. den Beitrag von Hanna Liss in diesem Band (S. 19–32). Siehe außerdem: Arnold Maria Goldberg: Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger, in: Frankfurter Judaistische Beiträge 15 (1987), 1–15. 4 Ich übernehme hier die Terminologie von Werner Koller (unter Mitarb. von Kjetil Berg Henjum): Einführung in die Übersetzungswissenschaft, 8., neubearb. Aufl., Tübingen/Basel 2011 (1. Aufl. Heidelberg 1979). 5 Zu homophonen Übersetzungsäquivalenten vgl. Emanuel Tov: Loan-words, Homophony and Transliterations in the Septuagint, in: Biblica 60 (1979), 216–236, und James Barr: Doubts about Homoeophony in the Septuagint, in: Textus 12 (1985), 1–77. 6 Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers, in: Das Problem des Übersetzens, hg. von Hans Joachim Störig, Darmstadt 1973, 156–169, hier: 166 (urspr. 1923).

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tischen Sinn des Ausgangstextes entsprechen und gemäß der jeweiligen Zielsprache übersetzt werden (sensum de sensu – in der Tradition von Cicero und Hieronymus).7 An diesem Ende der Skala folgen Übersetzungen der grammatischen und rhetorischen Praxis der Zielsprache; sie sind zieltextorientiert. Zudem ist, stellt man sich eine Verlängerung dieser horizontalen Achse vor, der Übergang hin zur Auslegung fließend. Die Übertragung des Textes und seine Auslegungstraditionen überlagern und verflechten sich dort. Dieses eindimensionale Modell scheint Bibelübersetzungen, wie möglicherweise jeder Form von Übersetzung, nur teilweise zu entsprechen. Gipper schlägt eine zusätzliche, vertikale Skala vor, die sich vornehmlich aus der Hierarchie der Ausgangs- und der Zielsprache, also der Sakral- und der Alltagssprache (‚Volkssprache‘), ergibt.8 Eine Übertragung in die Alltagssprache gehe immer einher mit einer Anpassung an den zu gegebener Zeit vorherrschenden Sprachgebrauch. Wenn man Gippers Ansatz weiterführt, lässt sich auf der vertikalen Achse nicht nur die Diskrepanz in der hierarchischen Stellung, sondern eben auch die zeitliche und geographische Entfernung vom Sakraltext verorten, die durch das jeweilige kulturelle und ideengeschichtliche Umfeld, das sich dezidiert von dem des biblischen unterscheidet, wiederum auf die Übersetzung zurückstrahlt. Im Folgenden werde ich drei jüdische Sprachkontexte – Griechisch, Aramäisch, Arabisch – vorstellen, in denen sich Übersetzungen typologisch auf teils gleiche und teils ungleiche Weise auf beiden Achsen verteilen. Die Septuaginta, die älteste griechische Bibelübersetzung, wobei damit zuerst nur die Übersetzung der Tora bezeichnet war, ist zugleich die erste uns bekannte Übersetzung eines religiösen Textes überhaupt. Sie ist ein Produkt des hellenistischen Judentums. Die kanonisierten Übersetzungen der Rabbinen ins Aramäische sind die sogenannten Targumim. Ausführlicher werde ich den wenig bekannten arabischen Übersetzungskontext darstellen. Die ältesten erhaltenen arabischen Fassungen biblischer Bücher lassen sich vorsichtig ins 9. Jahrhundert datieren, also in jene Epoche, in der sich die islamische Eroberung im Nahen Osten auch in der Verdrängung der einheimischen Landessprachen durch das Arabische bemerkbar machte. Die drei Kontexte folgen einander chronologisch und verorten sich diachron zu ihren Vorgängern, beispielsweise als Reaktion und Revision von Vorhergehendem, so wie entsprechend Übersetzungen in dieselbe Sprache synchron miteinander in Bezug stehen oder voneinander bedingt werden. Allen ist die Notwendigkeit einer Legitimierung seitens der Übersetzer und ihrer rezipierenden Gemeinschaft gemein.

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Vgl. James Barr: The Typology of Literalism in Ancient Biblical Translations, Göttingen 1979. Vgl. Andreas Gipper: Vertikales Übersetzen. Vom translatorischen Umgang mit Sakralsprache, in: Die Welt des Orients 44 (2014), 251–262. 8

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2 Von Jerusalem nach Alexandria Die Notwendigkeit einer verständlichen Form der Heiligen Schriften führte bereits im 3. Jahrhundert vor der allgemeinen Zeitrechnung im griechischsprachigen, weitestgehend hellenisierten Judentum Alexandrias zur Schaffung der Septuaginta. Abgefasst wurde diese in der altgriechischen Alltagssprache, der Koine, durchsetzt mit ‚Hebraismen‘, die Wortgebrauch und Syntax der hebräischen Textvorlage nachahmte. Gleichzeitig war das Vokabular durchdrungen vom hellenistischen Weltbild und sogar angelehnt an dessen literarische Bestseller. Resultat war eine idiosynkratische Sprache, die ein teilweise stark vom gewöhnlichen Griechisch abweichendes Vokabular wie auch besondere grammatische Regeln aufweist und auf diese Weise in keiner anderen Gattung zu finden ist.9 Die Septuaginta sollte der schriftlichen Tora nicht zur Seite stehen, sondern sie ganz offenbar in ihrem hellenistischen Geltungsbereich ersetzen, möglicherweise auch liturgisch.10 Dass dies geschehen konnte, forderte eine Legitimierung, auf die bekanntlich der lateinische Name Septuaginta, ‚Siebzig‘, aus griechisch κατὰ τοὺς ἑβδομήκοντα kata tous hebdomēkonta (‚[Übersetzung] gemäß den 70 Ältesten‘) bzw. einfach οἱ ἑβδομήκοντα hoi hebdomēkonta (‚die 70‘), hinweist. Die im Aristeasbrief erzählte Legende berichtet von 70 (nach einigen Fassungen 72) Weisen, die unter König Ptolemaios II. (285–247 vor der Zeitrechnung) die Tora in Absonderung voneinander auf der Insel Pharos ins Griechische übertrugen, und dies in identischem Wortlaut.11 Die Erzählung konstruiert so apologetisch die göttliche Inspiration der Übersetzung: Vergleicht man sie mit der Beschreibung Moses’ und der 70 Ältesten auf dem Berg Sinai (Exod. 24), wird zudem eine zweite Toragabe suggeriert. Für Philo und Josephus war die Septuaginta die Bibel. Insbesondere für Philo (Vita Mosis II, 25–44) waren die Übersetzer ἱεροφάνται hierophantai (‚jene, die das Heilige offenbaren‘), die es vermochten, das Heilige des hebräischen Textes im griechischen Gewand durchscheinen zu lassen.12 Kritische Stimmen lassen sich jedoch auch finden. Zeitgleich zum Aristeasbrief, also Ende des 2. Jahrhunderts vor der allgemeinen Zeitrechnung, äußert sich der griechische Übersetzer des hebräischen Buches Ben Sira – er selbst ein 9 Vgl. Emmanuel Tov: Die griechischen Bibelübersetzungen, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt 2.20.1, Berlin/New York 1987, 121–189, hier: 137–152. Siehe auch den Beitrag von Christoph Kugelmeier in diesem Band (S. 93–111). 10 Vgl. Giuseppe Veltri: Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, Tübingen 1994 (Texte und Studien zum antiken Judentum 41), 8–14. 11 Vgl. Norbert Meisner: Aristeasbrief, in: Unterweisung in erzählender Form, hg. von Hermann Lichtenberger, Gütersloh 1973 (Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit II.1), 35–87. 12 Vgl. dazu Giuseppe Veltri: (Un)übersetzbarkeit und Magie der „heiligen“ Sprache: Sprachphilosophien und Übersetzungstheorien, in: Tradition und Translation: Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. Festschrift für Carsten Colpe, hg. von Christoph Elsas u. a., Berlin/New York 1994, 299–314.

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Enkel des Verfassers des Buches – im Vorwort (SirProl 15–20) skeptisch, ob die von Philo vertretene Texttreue in einer Übersetzung a priori überhaupt zu erreichen sei.13 Der Übersetzer erinnert daran, dass die Übersetzung nicht immer der griechischen Grammatik und einem griechischen Wortgebrauch folge, da er dem hebräischen Original verpflichtet gewesen sei. Er betont, dass beide Texte niemals wirkungsgleich sein könnten und die griechische Übersetzung sowohl semantisch als auch ästhetisch hinter dem Hebräischen zurückbleibe (SirProl 21–22): οὐ γὰρ ἰσοδυναμεῖ αὐτὰ ἐν ἑαυτοῖς Ἑβραϊστὶ λεγόμενα καὶ ὅταν μεταχθῇ εἰς ἑτέραν γλῶσσαν Denn nicht hat die gleiche Bedeutung, was ursprünglich auf Hebräisch gesagt wurde und danach übersetzt wird in eine andere Sprache.14

Die vorherrschende jüdisch-hellenistische Auffassung, dass die griechische Fassung ihre hebräische Vorlage vollständig ersetze, wurde von den Rabbinen Eretz Israels nicht geteilt. In geonischer Zeit, also jener Zeit, die nach den Oberhäuptern der Talmudakademien benannt ist (7. bis 11. Jahrhundert), vergleichen einige außer-talmudische Traktate den Tag der Fertigstellung der Septuaginta mit jenem, an dem das Goldene Kalb gegossen wurde (Massekhet Sofrim 1,7 und Massekeht Sefer Tora 1,6), und erklärten ihn zu einem Fastentag (Megillat Ta᾽anit Bara).15 Die Rabbinen wandten sich von der Septuaginta ab16 und sammelten darüber hinaus Listen von Bibelversen, die „für den König Talmai [i. e. Ptolemäus] geändert“ wurden.17 Ein weiterer, zusätzlicher, Grund für die Opposition der Rabbinen war die Abgrenzung vom Christentum, welches das Alte Testament in Form der Septuaginta rezipierte. Aus Eretz Israel stammen auch die drei systematischen Revisionen der Septuaginta aus dem 1. bis 3. Jahrhundert, deren jüdische Autoren namentlich bekannt sind: Aquila, Symmachos und Theodotion (die recentiores, oftmals nur ‚die drei‘ genannt). Ihr Ziel, das sie durch metaphrastische Imitation der hebräischen Vorlage zu erreichen suchten, war es vor allem, den Text der Septuaginta dem zu ihrer Zeit allein maßgeblichen vor-masoretischen Text möglichst eng syntaktisch, lexisch sowie sogar morphologisch 13

Vgl. dazu Stefan Schorch: The Pre-eminence of the Hebrew Language and the Emerging Concept of the “Ideal Text” in Late Second Temple Judaism, in: Studies in the Book of Ben Sira, hg. von Géza G. Xeravits/Jósef Zsengellér, Leiden 2008, 43–54. Die Zitate folgen Sapientia Jesu Filii Sirach, hg. von Joseph Ziegler, 2., durchges. Aufl., Göttingen 1980 (Septuaginta, auctoritate Societatis Litterarum Gottingis editum 12.2); Georg Sauer: Jesus Sirach (Ben Sira), Gütersloh 1981 (Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit III). 14 Vgl. Ziegler, Sapientia (Anm. 13), 125; Sauer: Jesus Sirach (Anm. 13), 505. 15 Vgl. Giuseppe Veltri: Der Fasttag in Erinnerung an die Entstehung der Septuaginta und die Megillat Ta᾽anit Batra, in: Frankfurter Judaistische Beiträge 19 (1991/1992), 63–71. 16 Ihre Wirkung in einem jüdischen Kontext ist allerdings noch bis ins Mittelalter nachweisbar, vgl. Nicholas de Lange/Julia G. Krivoruchko/Cameron Boyd-Taylor (Hgg.): Jewish Reception of the Greek Bible Versions. Studies in their Use in Late Antiquity and the Middle Ages, Tübingen 2009. 17 Dazu Giuseppe Veltri, Eine Tora (Anm. 10).

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anzugleichen. Die Rezensionen ‚der drei‘ nehmen nicht die Stelle der Tora ein, sondern verlassen die Obhut des Muttertextes nicht: Sie sind ihm dienlich, wären ohne ihn unverständlich (das Griechische spiegelt auf kompromisslose Art die hebräische Sprachform wider), dienen ihm als Deutungswerkzeug (Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe), bleiben ihm folglich nur beigefügt, untergeordnet und sind auf der horizontalen Ebene am äußersten Ende der Wirkungsäquivalenz gelagert.18 Auch vertikal bemühen sich ‚die drei‘, möglichst nahe am Original zu verharren.

3 Targum / Übersetzung Griechisch war die erste Übersetzungssprache für die hebräische Bibel, Aramäisch folgte recht bald. Mit der Zeit wurde auch in Palästina das Hebräische von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr verstanden, Aramäisch war seit dem 6. Jahrhundert vor der allgemeinen Zeitrechnung Umgangssprache nicht nur des palästinischen Judentums, sondern auch eines Großteils der jüdischen Diaspora. Ähnlich wie in der griechischsprachigen Diaspora Ägyptens schien eine Übersetzung des biblischen Textes ins Aramäische unvermeidlich. Einige sehr alte Handschriften, Fragmente einer aramäischen Übersetzung der Bücher Leviticus und Hiob, stammen bereits aus den prä-rabbinischen Qumran-Funden. Jedoch sind es hauptsächlich die aramäischen Übersetzungen aus der rabbinischen Zeit, die als Targum (‫ תרגום‬targum, ‚Übersetzung‘) sui generis bezeichnet werden.19 Nach der Auffassung der Rabbinen sind die Targumim ein Teil der mündlichen Tora, die ihre Autorität von ihrer Überlieferung durch die Propheten ableiteten. Die Targumim reichen von nahen Übersetzungen über Paraphrasen bis hin zu freien Bearbeitungen, die Elemente der rabbinischen Bibelauslegung (Midrash) enthalten. In Palästina (um die Zeitenwende) entstand der Targum Neofiti zur Tora, der insbesondere ausweitende paraphrasierende Elemente aus der midra18 Zum Ganzen vgl. Dominique Bartélemy: Les devanciers d’Aquila, Leiden 1966; Lester L. Grabbe: Aquila’s Translation and Rabbinic Exegesis, in: Journal of Jewish Studies 33 (1982), 527–536; A. Paul: La Bible greque d’Aquila et l’idéologie du judaïsme ancien, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt 2.20.1, Berlin/New York 1987, 221–245; Alison Salvesen: Midrash in Greek? An Exploration of the Versions of Aquila and Symmachus in Exodus, in: On Stone and Scroll. Essays in Honour of Graham Ivor Davies, hg. von James K. Aitken/Katharine J. Dell/Brian A. Mastin, Berlin/Boston 2011, 523–536; eadem: Did Aquila and Symmachus Shelter under the Rabbinic Umbrella?, in: Greek Scripture and the Rabbis, hg. von Timothy Michael Law/Alison Salvesen, Leuven 2012, 107–125; Michael Graves: Midrash-Like Word Plays in Aquila’s Translation of Genesis, in: Law/Salvesen, Greek Scripture, 65–86. 19 Vgl. Philip S. Alexander: Jewish Aramaic Translation of Hebrew Scriptures, in: Mikra: Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity, hg. von Martin J. Mulder, Assen/Philadelphia 1988, 210–253, und idem: The Targumim and the Rabbinic rules for the Delivery of the Targum, in: Vetus Testamentum Supplement 36 (1985), 14–28.

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shischen Tradition enthält und auf der horizontalen Achse genau zwischen Übersetzung und Auslegung (die natürlich Teil der mündlichen Tora ist) zu positionieren ist. Die Targumim weichen merklich und möglicherweise sehr bewusst von den beiden griechischen Übersetzungstendenzen der Septuaginta und deren Revisionen (‚die drei‘) ab. Wichtige Targumim aus Babylonien sind der Targum Onkelos (Tora) und der Targum Jonatan (Propheten). Beide gelten als autoritativ; sie sind in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende entstanden. Im rabbinischen Kontext wurden die Targumim, als Übersetzungen a priori, mit Vorsicht betrachtet.20 Als Jonatan b. Uzziel seine Übersetzung der Propheten vortrug, so berichtet der babylonische Talmud (Meg. 3a), bebte die Erde in Eretz Israel.21 Akzeptabel waren die aramäischen Übersetzungen nur, wenn das Original und seine Übertragung sichtbar und hörbar im Ritus unterscheidbar blieben und die Oberhoheit des hebräischen Originals somit nicht in Frage gestellt wurde. Die Targumim sind vornehmlich mündlich vorgetragene, die hebräischen Wochenabschnitte (parashot im babylonischen einjährigen oder sedarim im palästinischen dreieinhalbjährigen Zyklus) begleitende, liturgische Lesungen. Sie sind gehörter Zusatz, mit Sitz im Leben in der Synagoge. Der Meturgeman, ‫מתורגמן‬, d. h. der Vortragende des Targums, alterniert antiphonisch Vers für Vers mit dem Vorleser aus der hebräischen Bibel. Der jeweilige Abschnitt muss von für die Gemeinde unterscheidbaren Personen vorgetragen werden. Die Stimme des Meturgeman darf nicht die des Vorlesers übertönen, auch darf er beim Vortrag nicht von einem geschriebenen Text ausgehen, wie es für den hebräischen Abschnitt üblich ist. Der Talmud gibt den Grund an (Meg. 32b): „auf dass sie nicht sagen, dass der Targum geschrieben steht in der Tora.“ Ebendiese halakhischen Regelungen warnen die Rezipienten vor der Entfernung der aramäischen Übersetzung von der hebräischen Tora, sowohl auf der horizontalen als auch auf der vertikalen Achse. Die Überlieferungsform und Performanz waren mündlich, lange bevor sie über einen komplexen Prozess von Verschriftung und Verschriftlichung zu den Texten wurden, die uns heute in Handschriften vorliegen.22 Selbst in verschriftlichter Form wurde die klare Bedeutungshierarchie zwischen Original und Übersetzung – ähnlich wie in der mündlichen Performanz – eingehalten. So gibt es kaum Handschriften, in denen der Targum für sich steht. Er bleibt Beisatz zur hebräischen Bibel und wird durch mise-en-page, Schriftgröße und Vokalisation ihr untergeordnet.23 20 Zum Ganzen vgl. Willem F. Smelik: Rabbis, Language and Translation in Late Antiquity, Cambridge 2013. 21 Smelik, Rabbis (Anm. 20), 486. 22 Zu diesem Prozess vgl. Beate Ego: Targum Sheni zu Ester, Tübingen 1996 (Texte und Studien zum antiken Judentum 54), 52–53. 23 Vgl. Willem Smelik: Orality, Manuscript Reproduction, and the Targums, in: Paratext and Megatext as Channels of Jewish and Christian Traditions: The Textual Markers of Contextualiza-

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Abbildung 1: Genizah Fragment mit drei Sprachen. Cambridge, University Library, TS AS 70.208 verso

4 Von Jerusalem nach Bagdad Die arabische Expansion im 7. und 8. Jahrhundert und die später folgenden Eroberungen Nordafrikas und der Iberischen Halbinsel veränderten die lokale kulturpolitische Landschaft nachhaltig. Sprachlich begann ein Prozess der Arabisierung.24 Diese Entwicklung vollzog sich in den einzelnen Gebieten auf unterschiedliche Weise. Dies war sicherlich ein gradueller Prozess, welcher sich zuerst in den urbanen, regierungsnahen Zentren vollzog und dann sukzessive auf das Hinterland ausstrahlte. Somit begannen Juden, Christen und Samaritaner, ebendie Gruppierungen, die der Koran als ahl al-kitāb (‚die Schriftbesitzer‘) betion, hg. von August den Hollander/Ulrich Schmid/Willem Smelik, Leiden 2003, 49–81. Für den ashkenazischen Raum vgl. Élodie Atilla: Targum layouts in Ashkenazi manuscripts: preliminary methodological observations, in: A Jewish Targum in a Christian World, hg. von Alberdina Houtman/Eveline van Staalduine-Sulman/Hans-Martin Kirn, Leiden 2014, 99–122. 24 Vgl. dazu den Überblick in Ronny Vollandt: Arabic Versions of the Pentateuch. A Comparative Study of Jewish, Christian, and Muslim Sources, Leiden 2015, 22–39.

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zeichnet, nun zunehmend ihre Texte in arabischer Sprache zu verfassen. Dies geschah oft auch unter Beibehaltung der eigenen Schriftzeichen (so zum Beispiel Arabisch in hebräischen, samaritanischen, syrischen oder selten auch in griechischen Buchstaben). Jede Gemeinschaft schuf und unterhielt über die Jahrhunderte ein eigenständiges biblisches Übersetzungskorpus, das etwa auf dem masoretischen Text der hebräischen Bibel, der griechischen Septuaginta, der syrischen Peschitta, der koptischen Bibel oder selbst der lateinischen Vulgata basierte. Darin liegt auch der Grund, warum die Vielfalt arabischer Bibelübersetzungen andere Sprachtraditionen quantitativ bei weitem übersteigt. Darüber hinaus spiegelt die Vielzahl der arabischen Bibelübersetzungen, die unter islamischer Herrschaft von jüdischer, aber auch von christlicher und samaritanischer Seite angefertigt wurden, auch die sprachlichen und kulturellen Veränderungen wider, denen diese Gemeinschaften im Laufe der Zeit ausgesetzt waren. Bereits im Übergang vom 8. zum 9. Jahrhundert war ein Großteil der Juden, von den östlichen bis zu den westlichen Grenzen des islamischen Herrschaftsgebiets, arabisiert. Schätzungsweise lebten zu dieser Zeit 80 % der jüdischen Bevölkerung unter islamischer Herrschaft. Das Arabische löste die vorhergehenden jüdischen Umgangssprachen ab, zuallererst die unterschiedlichen aramäischen Dialekte.25 Für den Großteil der jüdischen Gemeinschaften hatten sich Hebräisch und Aramäisch recht früh zu Medien der Gelehrsamkeit entwickelt, die erlernt werden mussten und ausschließlich zu liturgischen Zwecken und als Hochsprache fortgeführt wurden.26 Die hebräische Sprache blieb zum einen der liturgischen Poesie vorbehalten und wurde zum anderen für den internen Schriftverkehr benutzt.27 Aktive Sprachfähigkeiten im Hebräischen, also das Sprechen und Verfassen von Texten, scheint der intellektuellen Elite vorbehalten gewesen zu 25 Vgl. Joshua Blau: The Emergence and Linguistic Background of Judaeo-Arabic: A Study of the Origins of Neo-Arabic and Middle Arabic, Jerusalem 1999, 19–21, und idem: On the Status of Hebrew and Arabic among Arabic-speaking Jews in the First Centuries of Islam, in: Leshonenu 26 (1962), 281–284 [Hebr.]. Siehe auch Robert Brody: The Geonim of Babylonia and the Shaping of Medieval Jewish Culture, New Haven 1998, 138. – Zu den aramäischen Umgangssprachen vgl. Geoffrey Khan: The North-Eastern Neo-Aramaic Dialects, in: Journal of Semitic Studies 52 (2007), 1–20. 26 Zum Spracherwerb vgl. Judith Olszowy-Schlanger: Learning to Read and Write in Medieval Egypt: Children’s Exercise Books from the Cairo Geniza, in: Journal of Semitic Studies 48 (2003), 47–69. 27 Vgl. Ben Outhwaite: Gaonic Correspondence, in: Encyclopedia of Hebrew Language and Linguistics, hg. von G. Khan, Leiden 2015, Vol. 2, 2–6; idem: Lines of Communication: Medieval Hebrew Letters of the Eleventh Century, in: Scribes as Agents of Language Change, hg. von Esther-Miriam Wagner/Ben Outhwaite/Bettina Beinhoff, Boston/Berlin 2013, 183–198, und idem: A Descriptive Grammar of the Medieval Hebrew of the Cairo Geniza Letters, unveröffentlichte Ph.D. dissertation, University of Cambridge 2000. Siehe ebenfalls Rina Drory: ‘Words Beautifully Put’: Hebrew vs. Arabic in Tenth Century Jewish Literature, in: Genizah Research after Ninety Years: The Case of Judeo-Arabic, hg. von Joshua Blau/Stefan C. Reif, Cambridge 1992, 53–66.

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sein. Hingegen verstand die weniger gebildete Mehrheit nicht immer Hebräisch. Aramäisch war vor der Übernahme des Arabischen nicht nur Umgangssprache, sondern bis auf wenige Ausnahmen auch Schriftsprache der geonischen Literatur. Juden – die gebildete Elite und auch einfache Menschen, die weitaus weniger aktiven Anteil an der intellektuellen Hochkultur hatten – teilten einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund und benutzten dieselbe Sprache für Wort und Schrift. Ähnlich wie bei anderen jüdischen Sprachen schrieben Juden Arabisch gewöhnlich in hebräischen Buchstaben. Diese Gewohnheit folgte dem Standard, der durch das jüdische Aramäisch zuvor etabliert worden war. Diese Situation unterscheidet sich deutlich von jener, in der sich Juden unter christlicher Herrschaft befanden. Dort nahmen jüdische Gelehrte niemals Anteil an der lateinischen Literaturproduktion. Judah b. Tibbon (gest. 1190), der berühmte Übersetzer, der aufgrund von Verfolgung gezwungen war, seine Heimat Granada zu verlassen und sich in der christlichen Provence niederzulassen, notierte mit einiger Nostalgie: Die Geonim unter der Herrschaft Ishmaels in Babylonien, Palästina und Persien sprachen Arabisch, genauso wie alle jüdischen Gemeinschaften in jenen Ländern eben diese Sprache benutzten. Einen Großteil der Kommentare, die sie zu Bibel, Mishna und Talmud verfasst haben, schrieben sie auf Arabisch, genauso wie sie es mit anderen Werken taten, und ebenso waren ihre Responsen in Arabisch verfasst, da alle Menschen diese Sprache verstanden.28

Arabisch blieb die wichtigste Literatursprache bis zum Ende der Abbasidischen Zeit. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts löste Hebräisch Arabisch als bevorzugte Literatursprache ab. Dazu führten zum einen die nachlassende Ausstrahlungskraft der geonischen Zentren im Irak und in Palästina, die traditionell eine Hochburg der arabischen Sprache waren, und zum anderen der gleichzeitige Bedeutungszuwachs der hispanischen Schulen. Diese brachten nicht nur eine ausgereifte Literatur auf Hebräisch hervor, sondern förderten auch Übersetzungen der wichtigsten jüdischen Werke aus dem Judäo-Arabischen ins Hebräische. Diese neue sprachliche Ausgangssituation führte dazu, dass die kanonischen aramäischen Bibelübersetzungen, die Targumim, außer bei der gebildeten Elite nicht mehr als verständlich vorausgesetzt werden konnten. Die Geonim sorgten sich um den Status der Targumim, wurden diese doch auf prophetische Inspiration zurückgeführt. Dennoch konnten sie sich dem Vormarsch des Arabischen in der synagogalen Lesung und den Schulhäusern nicht verschließen. Gefragt, ob das Weglassen des Targums im synagogalen Ritus rechtens sei, schlug

28 Das Zitat findet sich in Tibbons Vorwort zu seiner Übersetzung von Bachja ben Josef ibn Pakudas ‫ חובות הלבבות‬Hovot ha-Levavot (‚Herzenspflichten‘).“ Ich zitiere aus Moritz Stein˙ schneider: Die arabische Literatur der Juden, Frankfurt 1902, xxiv.

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Natronai Gaon (Mitte des 9. Jahrhunderts) einen Mittelweg vor, mit folgendem responsum.29 ‫ אילו שאין מתרגמין ואומרים אין אנו צריכים לתרגם תרגום דרבנן אלא בלשון‬:‫וכך אמר רב נטרונאי גאון‬ ‫שלנו בלשון שהצבור מבינים אין יוצאין ידי חובתן‬ Jene also, die den Targum nicht rezitieren und sagen: wir müssen die Übersetzung unserer Rabbis [gemeint ist Targum Onkelos] nicht mehr rezitieren, sondern eine Übersetzung in unserer Sprache, welche die Gemeinde versteht, erfüllen nicht ihre Pflicht!

An dem Targum müsse festgehalten werden, so Natronais Rechtspruch. Dennoch räumt der Gaon ein: ‫ואם יש מקום שרוצים לפרש להם יעמד אחר חוץ ממתרגם ויפרש בלשונם‬ Wenn an bestimmten Orten jedoch der Wunsch besteht, dass der Gemeinde (die Tora auf Arabisch ausgelegt wird), so soll eine weitere Person aufstehen und in ihre Sprache übersetzen.

Ein arabischer Targum ist also erlaubt, unter der Bedingung, dass der gehobene Status des Targum Onkelos (‫ תרגום דרבן‬targum de-rabban, ‚die Übersetzung unserer Rabbinen‘) erhalten bleibt. Targum Onkelos und arabischer Targum müssen von zwei für die Öffentlichkeit unterscheidbaren Personen vorgetragen werden. Natronais Rechtschluss lehnt sich also an die halakhische Praxis an, die bereits zuvor den aramäischen Targum von der hebräischen Bibel unterschied, und passt diese an das neue sprachliche Umfeld an. Nicht nur rechtlich ist Natronai Gaons responsum interessant, sondern auch als historische Quelle. Es zeigt, dass bereits in der Mitte des 9. Jahrhunderts das Arabische in den Gottesdienst Einzug hielt, und zwar in einem Maße, dass eine Regulierung durch die Geonim notwendig erschien. Auch ein weiteres responsum, welches Hai Gaon (939–1038) zugeschrieben wurde (möglicherweise fälschlich), beharrt auf der Autorität der Targumim aufgrund der prophetischen Traditionskette.30 Hinweise darauf, dass ab Mitte des 9. Jahrhunderts arabische Übersetzungen der hebräischen Bibel ein verbreitetes Phänomen waren, erreichen uns auch von anderen jüdischen Gelehrten. Yehuda b. Quraysh (Fez, frühes 10. Jahrhundert) lamentiert, dass der Targum vollständig an Bedeutung verloren und einer arabischen Übersetzung Platz gemacht habe.31 Einige Vorläufer der karäischen Bewegung, wie etwa al-Qirqisānī (d. 927), spielen deutlich auf be29 Robert Brody: Teshuvot Rav Natronai bar Hilai Ga᾽on: yotse᾽ot le-or ῾al pi kitve-yad u-defusim rishonim, Bd. 1, Jerusalem 1994, 152–154 [Hebr.]. Vgl. auch die Diskussion in Haggai BenShammai: The Tension between Literal Interpretation and Exegetical Freedom: Comparative Observations on Saadia’s Method, in: With Reverence for the Word: Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity, and Islam, hg. von Jane Dammen McAuliffe/Barry Walfish/Joseph Ward Goering, Oxford 2003, 33–50. 30 Vgl. Benjamin Manasseh Lewin: Otsar ha-ge᾽onim: Teshuvot ge᾽onei bavel u-ferusheihem ῾al pi seder ha-talmud, Bd. 9, Haifa 1939, 130–131 [Hebr.]. 31 Vgl. Dan Becker: Ha-῾Risalah᾽ shel Yehudah Ben Quraish, Tel Aviv 1984, 116–119 [Hebr.].

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stehende arabische Übersetzungstraditionen an.32 Darüber hinaus stießen diese Übersetzungen sogar auf das Interesse muslimischer Autoren. Al-Jāhiz (gest. ˙˙ 869) beispielsweise diskreditiert in seiner Wiederlegung des Christentums auch die tarjamat al-yahūd (‚die Übersetzungen der Juden‘).33 Nicht ganz zufällig ist, dass uns mit dem Wechsel vom 9. zum 10. Jahrhundert auch frühes Handschriftenmaterial von arabischen Übersetzungen vorliegt und somit den Übergang, wie die zitierten responsa und Ibn Qurayshs Notiz zeigen, vom aramäischen zum arabischen Übersetzungskontext dokumentieren. Die bekannteste jüdisch-arabische Fassung ist die von Saadia Gaon (882–942), die unter dem Namen Tafsīr (‚Deutung, Auslegung‘) bekannt ist. Er war jedoch keineswegs der erste oder der einzige jüdische Übersetzer. Seine exponierte Stellung, auch die Tatsache, dass seine Übersetzung in die Pariser Polyglotte einging und so auch in der Forschung die arabische Übersetzung par excellence wurde, hat die Beschäftigung mit anderen frühen Übersetzungen überschattet. Bereits 1962 wies Shlomo Dov Goitein darauf hin, dass die „Kairoer Genizah zahlreiche Übersetzungsfragmente enthält, nicht nur die des berühmten Gaons Saadia, sondern auch solche, deren Übersetzer uns nicht bekannt sind.“34 Schon vor Saadia, dies legen auch Glossarien und Wortlisten nahe, standen mündliche Übersetzungen (möglicherweise aus ganz ähnlichen Kontexten wie den von Natronai Gaon oder Yehuda b. Quraysh beschriebenen), die erst zu einem späteren Zeitpunkt verschriftlicht wurden.35 Frühe Übersetzungsfragmente stammen aus der Kairoer Genizah und lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Einerseits handelt es sich um die Übersetzung Saadia Gaons, andererseits um frühe abweichende Fassungen, die in der Forschung bisher kaum bekannt sind. In gewisser Weise ergänzen sich beide Übersetzungstypen und bestanden Seite an Seite. Hinzu kommt die karäische Tradition, auf die hier nicht ausführlich eingegangen werden kann.36 32 Die Passage wird von Haggai Ben-Shammai: Hebrew in Arabic Script: Qirqisānī’s View, in: Studies in Judaica, Karaitica, and Islamica, hg. von Sheldon R. Brunswick, Ramat Gan 1982, 115–126, besprochen. 33 Dazu: Miriam Goldstein: Sa᾽adya’s ‘Tafsir’ in light of Muslim Polemic against Ninth-Century Arabic Bible Translations, in: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 36 (2009), 173–199; Richard C. Steiner: A Biblical Translation in the Making. The Evolution and Impact of Saadia Gaon’s Tafsīr, Cambridge, MA 2010, 100–108; sowie Nathan P. Gibson: A Mid-Ninth-Century Arabic Translation of Isaiah? Glimpses from al-Jāhiz, in: Senses of Scripture, Treasures of Tradition: The ˙ Bible in Arabic among Jews, Christians and˙ Muslims, hg. von Miriam Lindgren-Hjälm, Leiden 2017 (Biblica Arabica 5), 325–369. 34 Shlomo Dov Goitein: Jewish Education in Muslim Countries, based on Records from the Cairo Geniza, Jerusalem 1962, 55–56 [Hebr.]. 35 Vgl. Joshua Blau/Simon Hopkins: The Beginning of Judaeo-Arabic Bible Exegesis according to an Old Glossary of the Book of Psalms, in: ‘A Word Fitly Spoken’: Studies in Qur᾽an and Bible Exegesis presented to Haggai Ben-Shammai, hg. von Moshe Bar-Asher u. a., Jerusalem 2007, 235–284. 36 Vgl. Meira Polliack: The Karaite Tradition of Arabic Bible Translation: A Linguistic and

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5 Frühe nicht-saadianische Übersetzungen Diese Gruppe ist nicht einheitlich, sie enthält verschiedene anonym überlieferte Texttypen unterschiedlicher Provenienz, die sich jedoch in entscheidenden Charakteristika entsprechen. Zum einen weichen alle erhaltenen Textausschnitte erheblich, geradezu diametral, von Saadias Übersetzung ab und ähneln sich in den Übersetzungstechniken. Zum anderen sind sämtliche Fragmente ins 10. bis 11. Jahrhundert zu datieren. Sie verwenden Pergament als Schreibmaterial, gehen folglich den vielen Papierfragmenten chronologisch voraus und sind in der frühen judäo-arabischen Orthographie abgefasst, die sonst nur aus sehr frühen Texten auf Papyrus bekannt ist.37 Einige Bruchstücke einer Proverbienübersetzung wurden von Blau und Hopkins38 ediert, Tobi39 lieferte Beispiele verschiedener früher arabischer Übertragungen der Tora. Jedoch stellen diese nur einen geringen Teil des erhaltenen Handschriftenmaterials dar.40 Die Fragmente bieten nicht nur die Möglichkeit, Saadias Tafsīr zu kontextualisieren (oder auch zu kontrastieren), sondern stellen auch die immer noch weit verbreitete Annahme in Frage, dass dieser die erste judäo-arabische Übersetzung der Bibel gewesen sei und mögliche andere Übersetzungsversuche aufgrund seiner Autorität nichtig gemacht und verdrängt habe. Auch die sorgsame, professionelle Ausführung der Fragmente und ihr Umfang lassen es fraglich erscheinen, hier von einer marginalisierten Textgattung zu sprechen. Die membra disiecta einer ursprünglich intakten Handschrift sollen als Beispiel dienen. Zu diesen gehören: Exegetical Study of Karaite Translations of the Pentateuch from the Tenth and Eleventh Centuries C. E., Leiden/New York 1997. 37 Zu dieser Orthographie vgl. ausführlich Joshua Blau/Simon Hopkins: Judaeo-Arabic Papyri: Collected, Edited, Translated, and Analysed, in: Studies in Middle Arabic and its JudaeoArabic Variety, hg. von Joshua Blau, Jerusalem 1988, 401–474; eidem: On Early Judaeo-Arabic Orthography, in: ibid., 381–400. 38 Joshua Blau: On a Fragment of the Oldest Judaeo-Arabic Bible Translation Extant, in: Genizah Research after Ninety Years, the Case of Judaeo-Arabic, hg. von Joshua Blau/Stefan C. Reif, Cambridge 1992, 31–39. Zusätzliche Fragmente derselben Übersetzungen und eine Untersuchung über deren Vorlage wurden von Simon Hopkins: On the Vorlage of an Early Judaeo-Arabic Translation of Proverbs, in: Jerusalem Studies of Arabic and Islam 27 (2002), 369–374, geliefert. 39 Yosef Tobi: Ancient Judaeo-Arabic Translations to the Pentateuch: New Fragments, in: Haivrit Weahyoteha 4–5 (2004–2005), 115–143 [Hebr.]; idem: Translations of Personal Names in Medieval˙Judaeo Arabic Bible Translations, in: Studies in Jewish Onomastics. In Honor of Prof. Edwin D. Lawson on his 80th Birthday, hg. von Aaron Demsky, Ramat Gan 2003, 77–84 [Hebr.]; idem: The Phonetically Written Tafsîr Alfâz to Exodus and other Passages of Popular ˉ Translations, in: Ben ῾Ever la-῾Arav 1 (1998), 53–74 [Hebr.], idem: Another Popular Judaeo-Arabic Translation of the Pentateuch, in: Studies in Hebrew and Jewish Languages Presented to Shelomo Morag, hg. von Moshe Bar-Asher, Jerusalem 1996, 481–501 [Hebr.], und idem: Pre-Sa῾adianic Arabic Translation of the Pentateuch, in: Massorot 7 (1993), 87–127 [Hebr.]. 40 Ein Überblick über den Handschriftenbestand findet sich in Ronny Vollandt: Translations as Linguistic Commentaries? On the Interpretative Dimension of Early Bible Translations into Judaeo-Arabic, in: Philological Encounters (im Erscheinen).

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Abbildung 2: Eine frühe nicht-saadianische Übersetzung. Cambridge, University Library, Taylor-Schechter Genizah Research Unit, T-S Ar. 1a. 154 Cambridge, Cambridge University Library (kurz CUL), MSS T-S Ar. 1a. 154 (Lev. 19), T-S Ar. 27.24 (Exod. 38,24–39,1), T-S Ar. 27.79 (Gen. 32,23–33,5), T-S Ar. 28.104 (Exod. 25,34–35, 38,14–16), T-S AS 72.118 (Gen. 38,8–22) und T-S AS 72.128 (Gen. 37,32–35); Cambridge, Westminster College, MSS Arabica I. 26 (Gen. 44,5–19) und Arabica I. 39 (Exod. 37,26– 38,13); Oxford, Bodleian Library, MS Heb. b. 10.73 (Exod. 39,43–40,38) und Philadelphia, MS Halper 45 (Exod. 38,21–24, 39,3–10).

Ein Großteil der Fragmente ist beschädigt, doch lassen MSS CUL T-S Ar. 1a. 154 und Oxford Bodl. Heb. b. 10.73 das ursprüngliche Format erahnen (29,5 × 34 cm).

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Der Text, in kalligraphischer orientalischer Quadratschrift, ist in zwei Kolumnen zu 29 Zeilen ausgelegt. Jeder Vers beginnt mit einem hebräischen incipit, gefolgt von der arabischen Übersetzung. Das Oxforder Fragment zeigt einen Kolophon am Ende des Buches Exodus: ‫ פתרון ואלה שמות‬pitteron ve᾽eleh shemot (‚eine Über˙ setzung des Buches Exodus‘). Der Buchstabe tet (Zahlenwert 9) auf dem oberen ˙ Rand markiert die neunte Buchlage, sodass sich der Umfang des Kodexes auf ca. 300 Blätter berechnen lässt. Das Format und die professionelle Ausführung verweisen auf die besondere Bedeutung des enthaltenen Texts. Oberstes Übersetzungskriterium der frühen nicht-saadianischen Übersetzungen ist eine kompromisslose Wörtlichkeit, in einer horizontalen und vertikalen Verortung, die jener ‚der drei‘ typologisch gleicht. Der hebräische Bibeltext wird also metaphrastisch Wort für Wort, sogar oftmals Morphem für Morphem, ins Arabische übertragen. So tritt uns in den frühen nicht-saadianischen Übersetzungen ein geradezu arabischer Abguss des Hebräischen entgegen, der ohne Rücksicht auf die Zielsprache die Vorlage zum Ausgang nimmt. In der Wortabfolge entsprechen sich das hebräische Original und die Übersetzung vollständig. In der Josefsgeschichte (Gen. 37,8) wird, um dies zu verdeutlichen, ֙ ‫אמרּו לֹו‬ ְ ‫וַ ֤ ֹּי‬ ֹ ֖ ‫ם־מ ׁ֥שֹול ִּת ְמ‬ ‫ׁשל ָּב֑נּו‬ ָ ‫ ֶא ָ֔חיו ֲה ָמ ֤ל ְׂך ִּת ְמלְׂך ֙ ָע ֵ֔לינּו ִא‬wayyōmәrū lōw ᾽ehāw hămālōk timlōk῾ālênū ˉ ˉ ᾽im māšōl timšōl bānū (‚Willst du etwa König über uns ˙werden oder dich als Herr über uns aufspielen?‘) mit wa-qālū lahu ikhwatuhu immā mulk tamliku ῾alaynā wa-immā tasallut tatasallat binā wiedergegeben. Der hebräische Vers findet sich ˙ ˙ in der Übersetzung als eine wörtliche Spiegelung, die vollständig der Sprachpraxis der hebräischen Vorlage folgt. Die Übersetzung ist auf den Ausgangstext ausgerichtet. Die Konjugation des Verbs entspricht dem Hebräischen und eben nicht den Regeln des Arabischen. Da das Verb dem Subjekt vorausgeht, wäre waqāl (‚und er sprach‘) die grammatisch akkurate Übersetzung, die allerdings als nicht dem hebräischen Aufbau nachkommend verworfen wird. Der infinitivus absolutus (Hebr. hămālōk timlōk, ‚wirst du ein Herrschen herrschen?‘; Hebr. ᾽im ˉ ˉ māšōl timšōl, ‚oder gar einen Befehl befehlen?‘) wird in der Übersetzung in Form des arabischen Verbalnomens wiedergegeben, mulk (‚Herrschen‘) und tasalut ˙ (‚Regieren‘) für mālōk und māšōl. Wir beobachten in diesem Vers ebenfalls, dass ˉ die etymologische Entsprechung die bevorzugte Übersetzungsvariante darstellt. Das hebräische Verb ‫ משל‬māshal fordert die Präposition be-, hier im Vers bānū (‚über uns‘). Auch in der arabischen Übersetzung findet sich binā, auch wenn das klassische Arabisch die Verwendung der Präposition ῾alā vorschreibt. Binā ist hier nur als Imitation des Originals zu verstehen. Das vielleicht treffendste Beispiel für die Wörtlichkeit dieser frühen nichtsaadianischen Fragmente ist die systematische Übersetzung des hebräischen Akkusativmarkers ‫ את‬et. Et hat keine Entsprechung im Arabischen, wird aber durchgehend durch die Partikel iyyā wiedergegeben. Iyyā existiert in der arabischen Grammatik, jedoch ist die Verwendung Fällen, in denen direkte Anfügung

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eines Personalsuffixes nicht möglich ist oder unterbleiben soll, vorbehalten. In unseren Übersetzungen dagegen ist iyyā, als lexische Erweiterung, integraler Bestandteil des Wortschatzes. In Exodus 39,43, zum Beispiel, findet sich ,‫וַ יְ ָב ֶרְך א ָֹתם‬ ‫ ֹמ ֶׁשה‬waybārek ᾽ōtām mōšeh (‚und Moses segnete sie‘) übersetzt als wa-bāraka ˉ ˉ ˉ ִ ‫ְונָ ַת ָּתה ֶא‬ iyyāhum mūsā. In Ex. 40,5 übersetzt wa-tasna῾ madhbah al-dhahab ‫מזְ ַּבח‬-‫ת‬ ˙ ˙ ‫ ַהּזָ ָהב‬wәnātattāh ᾽et-mizbah hazzāhāb (‚und mache den Goldaltar‘). ˉ ˉ ˉ ˙ Wichtigstes Kennzeichen früher arabischer Bibelübersetzungen ist die geschilderte metaphrasierende Übersetzungstechnik, die vorrangig pädagogische Absichten verfolgt und daher selbst auf Kosten von Syntax und Grammatik jede morphologische Einheit des Quellentextes wiederzugeben sucht. Die Übersetzung ist nur verständlich mit dem Blick auf das hebräische Original, dem sie dient, untergeordnet bleibt und das sie in einer Form von „semantischer Transparenz“ als radikalster Bemühung um Wirkungsäquivalenz allgegenwärtig durchscheinen lässt.41 Möglich wird dies durch die Verwandtschaft der beiden Sprachen. Arabisch zar῾ (‚Samen‘) wird so für Hebräisch ‫ זרע‬zera῾ (‚Samen, Nachkommenschaft‘) oder Arabisch bashar (‚Haut‘) für Hebräisch ‫ בשר‬baśar (‚Fleisch‘) verwendet, auch wenn beide nicht bedeutungsgleich sind. Oftmals werden Übersetzungsäquivalente nur wegen ihrer phonetischen Ähnlichkeit gewählt, so beispielsweise l-ihāza (‚zum Besitz‘; von der Wurzel h-w-z) als Übersetzung für ˙ ˙ ‫ לאחוזה‬la᾽ahuzzah (‚zum Besitz‘; ᾽-h-z) in Num. 32,29. ˙ ˙ Die frühen nicht-saadianischen Übersetzungen lösen sich kaum von dem übersetzten Text und scheinen sich an ein bestimmtes Publikum zu richten. Die strenge Wörtlichkeit lässt an einen didaktischen Hintergrund denken. Sie hatte die Funktion, das Verständnis und das Auswendiglernen der hebräischen Bibeltexte zu unterstützen, die üblicherweise mündlich neben ihrer Übersetzung ausgelegt wurden. Die formale Entsprechung der Übersetzungen in allen Einzelheiten machte sie besonders brauchbar für den traditionellen Lehrbetrieb, in dem junge Toraschüler sich Wort für Wort, Morphem für Morphem, den hebräischen Text in arabischer Spiegelung erarbeiteten. Der übertragene Text wurde damit, wie ich gezeigt habe, zu einem fortlaufenden linguistischen Kommentar in arabischer Sprache. Diese Praxis ist uns ebenfalls aus den arabischsprachigen jüdischen Gemeinden späterer Zeit bekannt. Noch bis ins 19. Jahrhundert wurden die Grundlagen des hebräischen Textes durch stetige Repetition, unter Zuhilfenahme arabischer Übersetzungen, auswendig gelernt.42 Wie uns die Fragmente aus der Kairoer Genizah zeigen, geht dieser Brauch zurück bis ins frühe Mittelalter. 41

Zur „semantischen Transparanz“ vgl. David Tené: Hashva᾽at ha-leshonot be᾽ezor ha-dib˙ ubbal, in: Hebrew Language bur ha-῾aravi ba-me᾽ot ha-῾asirit ve-ahat-῾esreh la-minyan ha-mek ˙ ˙ Studies presented to Professor Zeev˙ Ben-Hayyim, hg. von Moshe Bar-Asher u. a., Jerusalem 1983, 237–287 [Hebr.]. Der Begriff ‚semantische Transparenz‘ bezieht sich auf Wolfgang U. Dressler: On the Predictiveness of Natural Morphology, in: Journal of Linguistics 21 (1985), 321–337, wo er das reziproke Verhältnis von Form und Semantik umschreibt. 42 Vgl. dazu Shlomo Dov Goitein: Jewish Education in Yemen as an Archetype of Traditional

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6 Saadias Tafsīr Eine der berühmtesten arabischen Bibelübersetzungen überhaupt ist die Saadia Gaons (882–942). Saadia gehörte zu den richtungsweisenden Gelehrten seiner Zeit und verfasste eine Anzahl einflussreicher theologischer, linguistischer und religionsgesetzlicher Werke. Gebürtig stammte er aus dem Fayyum-Becken, und nach einer Schaffensperiode in Tiberias erhielt er 928 den Ruf an die Talmudakademie von Sura. Er wurde durch den Exilarchen David b. Zakkai zum Gaon ernannt und damit zur obersten religiösen Autorität des rabbinischen Judentums. Für Sura begann mit seinem Wirken eine neue Periode der literarischen Blüte.43 Gaons Projekt des Übersetzens ist ganz wesentlich ein Projekt der Exegese.44 Dies liegt bereits in seiner Genese verankert. Der Tafsīr war ursprünglich Teil eines umfassenden Kommentars zur Tora und wurde vom Autor selbst von der Auslegung getrennt. Wie er im Vorwort zur eigenständigen Übersetzung darlegt, geht es ihm darum, die Bedeutung (Arab. ma῾nā) und die Intention (Arab. murād) des biblischen Textes mit der Übersetzung zu fassen, und eben nicht Form und Struktur der Vorlage. Seine Übersetzung zielte darauf ab, neben der exegetischen und religionsgesetzlichen Bedeutung von bestimmten Textstellen auch die exakte Aussage innerhalb des jeweiligen Zusammenhangs und ihren tieferliegenden Sinn widerzuspiegeln. Unter formalen Gesichtspunkten ist sie frei und markiert damit dezidiert eine Abwendung von früheren Übersetzungstraditionen, die er als unangemessen empfand. So gibt Saadia Auskunft über dieses Vorhaben: ‫לקד אקמת פי בלדי מדה טוילה עלי מרוד]י[ הו אן יכון לי פי מא בין אהל אלחק עבארה אלתוראה עלי מה‬ ‫ינבגי‬ Schon als ich in meinem Land (i. e. Ägypten) lebte, war es mein Ansinnen für eine lange Zeit, dass unter den Leuten meines Glaubens eine Übersetzung der Tora zu finden sei, verfasst von mir selbst, auf eine angemessene Art.45 Education, in: Between Past and Future: Essays and Studies on Aspects of Immigrant Absorption in Israel, hg. von Carl Frankenstein, Jerusalem 1953, 109–146, bes. 138; idem: ha-Temanim, Jerusalem 1983, 261 [Hebr.]; Yosef Qafih: Halikhot Teman: haye ha-Yehudim be-San῾ā u-venoteha, Je˙ Heidelberg 1934, rusalem 2002, 79–86 [Hebr.]; Erich˙Brauer: Ethnologie˙der jemenitischen Juden, 294; Moshe Bar-Asher: The Sharh of the Maghreb: Judaeo-Arabic Exegesis of the Bible and Other Jewish Literature: Its Nature and˙ Formation, in: Studies in Jewish Languages: Bible Translations and Spoken Dialects, Jerusalem 1988, 3–33, bes. 6–7 [Hebr.]; sowie Haim Zafrani: Littératures dialectales et populaires juives en occident musulman: L’écrit et l’oral, Paris 1980. 43 Die umfassendste intellektuelle Biographie hat Robert Brody: Sa῾adyah Gaon, Oxford/ Portland 2013, vorgelegt. 44 Als solches war der Tafsīr Gegenstand vieler Untersuchungen. Siehe den Überblick in Vollandt, Arabic Versions (Anm. 24), 80–84, sowie idem: Whether to Capture Form or Meaning: A Typology of Early Judaeo-Arabic Pentateuch Translations, in: A Universal Art. Hebrew Grammar across Disciplines and Faiths, hg. von Nadia Vidro/Irene E. Zwiep/Judith Olszowy-Schlanger, Leiden/Boston 2014 (Studies in Jewish History and Culture 46), 58–83. 45 Die Passage ist Haggai Ben-Shammai: New and Old: Sa῾adya’s Two Introductions to his Translation of the Pentateuch, in: Tarbiz 69 (2000), 199–210 [Hebr.], entnommen. ˙

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Als zentral erachtete es Saadia in seinem Übersetzungsunterfangen, den Ausgangspunkt nicht in der Sprache, aus der heraus, sondern in der Sprache, in die übersetzt werden soll, zu suchen. Mehrfach betont er, dass die Übersetzung fasīh ˙˙ zu sein hat, zieltextorientiert den grammatischen, stilistischen und rhetorischen Ansprüchen der arabischen Hochsprache entsprechend. Ein weiterer Aspekt sticht hier hervor, nämlich die Anpassung an das islamisch-geprägte kulturelle Umfeld.46 Dass Saadia nicht davor zurückscheute, die hebräische Tora mit dem islamischen Wortgebrauch in Einklang zu bringen, entging auch späteren jüdischen Autoren nicht. So beschreibt der iberische Kommentator des 12. Jahrhunderts, Abraham ibn Ezra, Saadias Übersetzung mit den Worten: ‫רב סעדיה גאון‬ ‫ שתרגם את התורה בלשון ישמעאל ובכתיבתם‬rav saadiah she-tirgem et ha-tora bi-leshon Yishma’el u-vi-khtivatam (‚Rav Saadia Gaon, der die Tora in die Sprache der Ismaeliten und ihre Art zu schreiben übertrug‘).47 Leshon Yisma᾽el, ‚die Sprache‘ (oder wörtlich ‚die Zunge‘), bezieht sich hier auf die wohlbekannte Rolle Ismaels als Vorvater der Araber, insbesondere der Muslime. Der jüdische Titel kohen (‚Priester‘) wird etwa von Saadia mit ‚Imam‘ übersetzt.48 ‚Imam‘ entstammt dem koranischen Vokabular, abgeleitet von der Wurzel amma, also ‚als gutes Beispiel‘ oder ‚in führender Position vorausgehen‘. Von Abraham etwa wird im Koran (2,124) gesagt: ‫س إِ� َما ًما‬ ِ ‫ إِ�نِّي َج ِاعل َُك لِلنَّا‬innī jā῾ilaka lin-nass imāmā (‚Ich will dich zu einem Vorbild für die Menschen machen‘). In der klassisch-islamischen Staatstheorie bezeichnet Imam das religiös-politische Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft in Nachfolge des Propheten Mohammad. Gerade auf diese spätere Konnotation scheint sich Saadia zu beziehen. Die etymologische arabische Entsprechung kāhin, so auch Targum Onkelos ‫ כהנא‬kahna, vermied er. Auch dies ist aus dem islamischen Kontext heraus zu verstehen, da kāhin die abwertende Bedeutung von ‚Wahrsager‘ in sich trägt. Ähnlich verhält es sich mit der Verwendung von rasūl Allāh (‚Gesandter Gottes‘) für Moses. In Deut. 34,5 übersetzt Saadia ‫הו֛ה‬ ָ ְ‫ֹׁשה ֶ ֽע ֶבד־י‬ ֧ ֶ ‫ מ‬mōšeh ῾ebed-Adonai, wörtlich ‚Moses, ˉ ˉ ˉ der Knecht Gottes‘, als Mūsā rasūl allāh. Die Parallele zu oder intertextuelle Anspielung auf Moses Äußerung in Koran 61,5 ‫ �أنِّي َر ُسولُ �ل َّلـ ِه‬innī rasūl Allāh (‚Ich bin der Gesandte Gottes‘) ist nur schwer zu übersehen.

46 Zu dieser Tendenz vgl. Adolf Schmiedl: Randbemerkungen zu Saadia’s Pentateuchübersetzung, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 45 (1901), 124–129; 46 (1901), 84–88, 358–363; 47 (1902), 149–153, hier: 45: 127–128, und David M. Freidenreich: The Use of Islamic Sources in Saadiah Gaon’s ‘Tafsīr’ of the Torah, in: Jewish Quaterly Review 93 (2003), 353–395. Vgl. ebenfalls Moshe Zucker: Rav Saadya Gaon’s Translation of the Torah: Exegesis, Halakha, and Polemics in R. Saadya’s Translation of the Torah, New York 1959, 274–276 [Hebr.], und Polliack, The Karaite Tradition (Anm. 36), 174. 47 Ibn Ezra im Kommentar zu Gen 2:11, vgl. Torat Chaim Chumash, Jerusalem, 1986, 1:45. 48 So beispielweise in Exod. 22:3 oder Lev. 6,16. Vgl. Saadia ben Joseph: Œuvres complètes de R. Saadia ben Iosef al-Fayyoûmî, hg. von Joseph Derenbourg/Hartwig Derenbourg/Mayer Lambert, Paris 1893–1899.

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Die Anpassung des Textes an das kulturelle Umfeld wird nicht nur durch die Übereinstimmungen im Vokabular deutlich, oftmals spiegeln sich in Saadias Tafsīr auch islamische exegetische Traditionen wider. Deutlich wird dies besonders im Narrativ von Ismael, der wie bereits erwähnt, als Urvater der Muslime und Gründungsfigur des Ritus um die Kaaba gilt. Dieses Motiv zählt zum Standardrepertoire der jüdisch-muslimischen Apologetik. Genesis 16 erwähnt Hagars Flucht mit Ismael nach Shur. So wird berichtet: :‫ ַעל ֵעין ַה ַּמיִ ם ַּב ִּמ ְד ָּבר‬,‫הוה‬ ָ ְ‫ַוּיִ ְמ ָצָאּה ַמ ְלַאְך י‬ ‫ ְּב ֶד ֶרְך ׁשּור‬,‫ה ַעיִ ן‬-‫ל‬ ָ ‫ ַע‬way-yimsā᾽āh mal᾽ak Adonai῾al-῾ên ham-mayim bam-midbār;῾alˉ ˉ ˉ ˙ hā῾ayin bәderek šūr. (‚Der Engel des Herrn fand Hagar an einer Quelle in der ˉ ˉ Wüste, an der Quelle auf dem Weg nach Shur.‘). Die Frage ist nur: Wo befindet sich Shur? Saadia übersetzt wa-wajadahā malāk Allāh῾alā῾ayn mā fī al-bariya῾alā ῾ayn fī tarīq hajar al-hijāz. Shur ist also hajar al-hijāz, ein treffendes Beispiel für ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ Saadias Übersetzungskunst. Einerseits spiegelt hajar, wörtlich ‚Stein‘, die Lesart ˙ hagrā des Targum Onkelos wider. ‫אֹורחא ְד ַח ָגרא‬ ָ ‫ ְב‬be-ōrhā de-hagrā lesen wir dort. ˙ ˙ ˙ Anderseits ist hijāz eine direkte Übersetzung von Shur. Sowohl im hebräischen ˙ Original als auch in der arabischen Sprache bezeichnen beide Wörter dem Wortsinn nach eine ‚Wand‘. Natürlich musste aber auch den damaligen Zuhörern und Lesern die offensichtliche Anspielung auf die geographische Region Hijaz als Ort der mit Ismael verbundenen Gründungserzählung der Kaaba bewusst werden. Ein letztes Beispiel für Saadias islamisch geprägtes theologisches Weltbild ist im vierten Kapitel des Buches Genesis (4,7) zu finden. Dort lesen wir ‫יטיב‬ ִ֔ ‫ְו ִאם ֙ ֣לׂא ֵת‬ ‫ל־ּבֹו‬ ֽ ‫ַאּתה ִּת ְמ ָׁש‬ ֖ ָ ‫ּוק ֔תֹו ְו‬ ָ ‫ ַל ֶ ּ֖פ ַתח ַח ָ ּ֣טאת ר ֵ ֹ֑בץ ְו ֵא ֶל ֙יָך ֙ ְּת ׁ֣ש‬wә᾽im lō têtîb, lap-petah hattāt rōbês; ˉ˙ˉ ˉ ˙ ˙ ˙˙ ˉ ˉ ˙ wә᾽êlekā tәšūqātōw wә᾽attāh timšāl-bōw (‚Wenn du nicht recht tust, lauert an der ˉ ˉ Tür die Sünde. Auf dich hat sie es abgesehen, doch du werde Herr über sie!‘). Saadia übersetzte wa-anta al-musallit ῾alayhi bi-l-ikhtiyār (‚Doch du herrschst über ˙ sie aus freiem Willen.‘). Der Zusatz ‚aus freiem Willen‘ ist eine theologische Erweiterung. Als Vertreter der mu῾tazilitischen Schule unterstreicht er damit die freie Wahl des Menschen zu sündigen, eine konträre Position zur mujbira, der deterministischen Weltauffassung, wie sie zum Beispiel von den Ashariten vertreten wurde. Der Tafīr hat einen besonderen Stellenwert in der jüdischen Übersetzungstradition. Er ist stark zieltextorientiert, durchdrungen von Saadias Exegese und bemüht sich wenig um die Aufrechterhaltung einer Äquivalenz zur hebräischen Vorlage, er ist also weit am äußeren Rand der vertikalen Achse anzuordnen. Typologisch folgt er somit dem Vorbild der Targumim, auch wenn sich die Funktion der Übersetzung deutlich unterscheidet. Der Tafīr benötigt den hebräischen Text nicht mehr, besteht von ihm losgelöst ohne die halakhisch regulierte liturgische Anbindung der Targumim oder der frühen mündlichen arabischen Übersetzungen. Auch auf der vertikalen Achse nimmt der Tafīr eine radikale Stellung ein, wie Saadias Anpassung des Textes an das islamische kulturelle Umfeld gezeigt hat. Seine Übersetzung, so scheint es also, diente einer gelehrten Leserschaft, die Anteil hatte an der islamischen Bildungskultur.

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III Anpassung heiliger Texte an textexterne Normen

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Die Übertragung biblischer Inhalte ins Bild Unterschiedliche soziale und kulturelle Zielgruppen der sefardischen Buchmalerei Katrin Kogman-Appel

1 Einführung Die Übertragung biblischer Inhalte in eine Bildsprache unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten und Normen als eine Übersetzung in ein textliches Medium, mit welchem translationstheoretischen Ansatz auch immer wir uns dieser nähern wollen. Ein adressatenorientierter Transfer einer kanonischen Erzählung in eine Bildsprache bedient sich verschiedener visueller Strategien und kompositioneller Mittel, um die Betrachtung in bestimmte Richtungen zu lenken. Solche Übertragungen vermitteln biblische Inhalte in anderer Weise als Texte es tun. Nicht nur sind sie, so wie Übersetzungen, auch immer gleichzeitig kommentierende Übertragung, sondern sie kommunizieren über die Sinne, können andere Präferenzen setzen und sind in ihren Kompositionen nicht nur auf lineare Kommunikation beschränkt. So wie die Geschichte des Übersetzungswesens seit einigen Jahrzehnten eine ganze Reihe theoretischer Ansätze berücksichtigt, so betrachtet auch die Kunstwissenschaft die Übertragung biblischer oder anderer Texte in ein Bildmedium von verschiedenen theoretischen Blickwinkeln aus. Diese theoretischen Ansätze waren und sind oft anderen Disziplinen entlehnt. So spielten beispielsweise lange Zeit die Narratologie oder die Rezeptionsästhetik eine große Rolle in diesem Bereich.1

1 Die Literatur zu diesen Themen ist besonders vielschichtig und kann hier nur am Rande berücksichtig werden; ein entscheidender Ausgangspunkt, besonders für die Anwendung strukturalistischer Ansätze mit großem Einfluss auf die Kunstwissenschaft, war Mieke Bal: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative, 3., neu bearb. Aufl., Toronto 2009; im Bereich der Bildwissenschaft ist die Narratologie besonders mit der Arbeit Wolfgang Kemps verbunden, z. B. Wolfgang Kemp: Sermo corporeus. Die Erzählung der mittelalterlichen Glasfenster, München 1987; zu rezeptionstheoretische Ansätzen in der Bildwissenschaft des Mittelalters s. unter vielen anderen Hans Belting: Das Bild und sein Publikum. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Berlin 1981; Suzanne Lewis: Reading Image. Narrative Discourse and Reception in the Thirteenth-Century Illuminated Apocalypse, Cambridge 1995.

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Allein schon die Auswahl bestimmter in einen Bildzyklus aufzunehmender Themen ist adressatenorientiert. Ebenso wenden sich visuelle Schwerpunkte, die den Aufbau bestimmter Kompositionen prägen, an den Betrachter. Die Verwendung spezifischer visueller Konventionen ist ebenfalls auf die Kommunikation mit dem Adressaten ausgerichtet. Wenn also der Bibeltext an sich normativ, beziehungsweise kanonisch ist, so unterliegt seine Übertragung in eine Bildsprache nicht nur inhaltlich relevanten Normen, sondern auch künstlerischen Konventionen. Davon abgesehen ist die Bildsprache auch in der Lage, biblische Inhalte in ein aus zeitgenössischer Sicht relevantes Begriffssystem einzubinden. Dazu kommt noch, dass die Bildsprache, der sich jüdische Auftraggeber und Künstler im Mittelalter bedienten, sich einerseits die Konventionen und Normen der nichtjüdischen Umwelt zu eigen machte, andererseits aber auch für den jüdischen Betrachter spezifische Konventionen einzusetzen wusste. Da die Medialisierung im Bild vielfach nicht nur den Intellekt, sondern auch die Sinne anspricht, wird dem kanonischen Bibelinhalt eine zusätzliche Dimension zuteil, die dem mündlich oder schriftlich vermittelten Text abgeht.

2 Kleidung als Konvention Die narrative Kunst der Spätantike und des Mittelalters ist in besonders hohem Maße von Konventionen geprägt. Kompositionell gebundene Konventionen binden allgemein bekannte Symbole, Attribute und Bildmotive in bestimmte Begriffsfelder ein: Sprechgesten, Trauergesten, Herrschaftsinsignien, Heiligenattribute u. a. m. Bildsprachen setzen sich einerseits aus solchen Konventionen, andererseits aus verschiedenen, die Sinne ansprechenden Elementen zusammen, wie Farben beispielsweise. In den Bereich der Konventionen gehören auch Kleidungsstücke. Bekleidung an sich war im Mittelalter sozialen Normen unterworfen,2 und die Verwendung der aus diesen Normen resultierenden sozialen Kodifizierungen in künstlerischen Darstellungen erzeugt ihrerseits Bildkonventionen. Die Einbindung solcher Konventionen in eine Bildsprache birgt verschiedene Bedeutungen, die im Versuch, das soziale Umfeld dieses oder jenes Kunstwerkes zu erfassen, zu gewichtigen adressatenorientierten Bedeutungsträgern werden können. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie solche Kleidungskonventionen die Interpretation von biblischen Inhalten beeinflussen können, in welche Richtungen solche Interpretationen gehen können, und welche alternativen Funktionsschichten damit für solche Inhalte entstehen konnten. Daraus ergibt sich dann oft eine, der

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Zu einer kurzen Skizze über Kleidung und soziale Ordnung s. Françoise Piponnier/Perrine Mane: Dress in the Middle Ages, New Haven 2000, 83–86.

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„Normativität“ des Bibeltextes nicht unbedingt kongruente Bedeutungs- und Funktionsdimension. Im Folgenden sollen Figuren der israelitischen Geschichte, allen voran Moses, in der jüdischen Bildkunst näher ins Auge gefasst werden. Moses’ Lebensweg kann in drei thematische Blöcke gefasst werden: Berufung zum Erlöser- und Prophetentum; Verhandlung gegenüber der pharaonischen Administration (Ausbau seiner Position); Moses’ Position innerhalb des Volkes als Befreier einerseits und als Gesetzesgeber andererseits. Diese Schwerpunkte können rein narrativ-historisch beleuchtet werden und von der Frage gelenkt sein, wie das mittelalterliche Judentum seine zentralste, volksbildende Figur in historischer Perspektive sah. Davon abgesehen ist allerdings auch zu überlegen, ob Moses oder andere biblische Schlüsselfiguren in der mittelalterlichen Kultur als Verhaltensvorbilder betrachtet werden konnten. Wenn dem so ist: wie könnte die Rezeption visueller Moses-Darstellungen, die eben solchen Konventionen unterworfen sind, solche Verhaltensmodelle prägen? Dies hängt davon ab, wer diese Darstellungen in Auftrag gab und wer diese Darstellungen rezipieren sollte. In anderen Worten: an wen waren solche eventuellen Verhaltensmuster gerichtet? Der Rahmen, in dem sich solche visuellen Interpretationen für jüdische Zielgruppen entwickelten, ist die Haggada-Illustration des 13.–15. Jahrhunderts in Europa, wobei sich meine folgenden Ausführungen auf Iberien im 14. Jahrhundert konzentrieren werden.3 Die Haggada ist ein liturgischer Text, der zum Pesach-Fest vorgelesen wird. Es handelt sich dabei nicht um synagogale Liturgie, sondern um einen im familiären, privaten Rahmen vorgetragenen Text. Der Zweck dieses Textes ist es, der Nachwuchsgeneration die Geschichte vom Auszug aus Ägypten nahezubringen, zu erzählen – Haggada heißt Erzählung. Es geht also um die erzählerische Vermittlung von Geschichte.4 Der Text selbst, der in seinem Grundkern um das 2. Jahrhundert entstand,5 ist allerdings nicht chrono3

Zu einer kulturhistorischen Betrachtung der sefardischen Haggada-Illustration s. Katrin Kogman-Appel: Illuminated Haggadot From Medieval Spain. Biblical Imagery and the Passover Holiday, University Park 2006, in der ich die Bekleidung der Protagonisten nicht berücksichtigt habe; Information zu den spezifischen Handschriften ebd., Kap. 1. 4 Dies beruht auf Ex. 13:8: „An diesem Tag sollst du deinem Sohn erzählen: dies geschieht für das, was der Herr an mir getan hat, als ich aus Ägypten auszog“, ein Gebot also, männlichen Nachkommen die Ereignisse um die Befreiung aus Ägypten zu vermitteln; zu spezifisch didaktischen Elementen der Haggada-Illustration, die zu dieser Vermittlung beitragen, s. Katrin Kogman-Appel: And You Shall Tell Your Son on this Day. The Didactic Elements of Medieval Haggadah Illustration, in: Aut prodesse volunt aut delectare poetae. Didaktische Literatur im europäischen Mittelalter, hg. von Norbert Kössinger/Claudia Wittig, in Vorbereitung (Beihefte Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung). 5 Der Text wurde in seinen Grundzügen während der tannatischen Zeit (1.–2. Jh.) zusammengestellt; die ältesten schriftlichen Zeugnisse stammen aber erst aus dem 10. Jh., so z. B. im Gebetsbuch des Saadia Gaon; zur Geschichte der Haggadah s. Joseph Tabory: Das Pesachritual im Laufe der Generationen (Hebr.), Tel Aviv 1996; Shmuel Safrai/Zeev Safrai: Pesach Haggada: die Haggada der Rabbinen (Hebr.), Jerusalem 1998.

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logisch, den biblischen Ereignissen folgend aufgebaut, sondern folgt einer anderen Struktur, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Jahrhundertelang war die Haggada Teil des allgemeinen Gebetsbuches, um dann seit dem 13. Jahrhundert als relativ kleines Einzelbuch in Umlauf zu kommen. Nur wenige Jahrzehnte später kamen illustrierte Kopien der Haggada in Umlauf, ein Phänomen, das die jüdische Bildkultur der folgenden Jahrhunderte bis in die Moderne besonders stark prägte. Im Laufe der Jahrhunderte unterlag die Rezeption des Haggada-Texts verschiedenen Gesetzmäßigkeiten, die vom jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld bestimmt waren. Um das 13. Jahrhundert beispielsweise erhielt er ein ausgesprochen historiosophisches Gepräge, was sich in der zeitgenössischen Auslegung niederschlug. Dies hat damit zu tun, dass sich um diese Zeit, besonders unter sefardischen Gelehrten, das jüdische Geschichtsbewusstsein stark wandelte, ein Prozess, in dessen Mittelpunkt der katalanische Gelehrte Moses ben Nachman (Nachmanides, gest. 1270) stand und der vor einigen Jahren von Nina Caputo näher beleuchtet wurde.6 Während die traditionelle Bibelauslegung davon ausging, dass es keine Kausalität und keine zeitlichen Zusammenhänge zwischen verschiedenen biblischen Ereignissen gibt, war Nachmanides der erste Exeget, der die geschichtlichen Bücher in einem kohärenten zeitlichen Rahmen thematisierte. Dieser Methode gingen einige frühere chronographische Texte voran, die Listen von auf einer Zeitachse angeordneten biblischen Protagonisten zum Inhalt haben.7 Nachmanides’ Pentateuch-Kommentar beginnt mit einer längeren methodischen Einleitung, die davon ausgeht, dass die Bibel mit den Worten „im Anfang …“ beginnt. Damit, so Nachmanides, ist von vornherein ein zeitlicher Rahmen festgelegt.8 In Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte bediente er sich dann der auch aus der christlichen Theologie bekannten Zeitalter, um einen solchen Rahmen zu gewährleisten. Sechs Zeitalter voraussetzend – Jahrtausende nach jüdischer Zeitrechnung –, ging er davon aus, dass 1240, das jüdische Jahr 5000 also, den Beginn des sechsten und somit letzten Zeitalters ausmachte. Das sechste Zeitalter werde auf die messianischen Ereignisse hinführen.9 Mittels dieser Methode konnte das Narrativ des Pentateuch in einen geordneten Rahmen des zeitlichen Ablaufs gebracht werden, in dem Vergangenheit und Gegen-

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Nina Caputo: Nahmanides in Medieval Catalonia. History, Community, and Messianism, Notre Dame 2007, bes. Kap. 2. 7 Beispiele sind Seder olam rabbah; Seder olam zuta; Abraham ibn Daud, Sefer haqabbala; zum Hintergrund dieses Genres s. Chaim Milikowsky: Seder Olam and Jewish Chronography in the Hellenistic and Roman Periods, in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 53 (1985), 114–139; idem: Seder Olam, in: The Literature of the Sages, hg. von Shmuel Safrai u. a., Assen und Minneapolis 2006, 231–237. 8 Caputo, Nahmanides (Anm. 6), 56–56. 9 Caputo, Nahmanides (Anm. 6), Kap. 4.

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wart nahtlos miteinander verbunden sind und auf die (messianische) Zukunft hinleiten.10 Dieses neue Geschichtsbewusstsein, das seine Wirkung naturgemäß auch auf das Verständnis der Haggada in breiteren Kreisen der jüdischen Gesellschaft hatte, schlug sich unter anderem in der sefardischen Haggada-Illustration nieder. Besonders in Katalonien und Aragon entstand eine ganze Reihe von Handschriften, die den Text mit einem fortlaufenden, chronologisch angeordneten Bilderzyklus biblischer Narrative kombinieren. Diese Zyklen haben nicht nur jene Geschehnisse zum Inhalt, die unmittelbar mit dem Auszug aus Ägypten zu tun haben, sondern sprechen einen oft wesentlich breiteren Rahmen der biblischen Geschichte an und umfassen mitunter zuweilen nicht nur Moses’ Kindheitsgeschichte, sondern auch das Buch Genesis. Es geschah also in diesem Rahmen, dass biblische Ikonographie eine besonders breite Entwicklung erfuhr. Andernorts machte ich geltend, dass der Charakter dieser Zyklen eng mit der nachmanidischen Schule in Zusammenhang steht. Nicht nur, dass diese Bilderserien die biblische Geschichte in einem fortlaufenden Bildnarrativ darstellen, sondern sie enden zumeist auch mit einigen Bildern, die sich auf die zeitgenössischen Realitäten der Juden Kataloniens beziehen.11 Solche Darstellungen zeigen verschiedene Aspekte des Pesach-Festes, bzw. der Vorbereitungen, die das Gemeindeleben während der Tage vor dem seder prägten. Im Folgenden sollen die Kleidungskonventionen dieser Zyklen näher betrachtet werden. Es geht hierbei weniger um die Frage, ob diese Konventionen der jeweiligen Mode entsprechen, obwohl davon ausgegangen werden kann, dass sie zumindest zum Teil zeitgebundene Gegebenheiten reflektieren. Wichtiger ist es, den Bedeutungsgehalt solcher Konventionen zu erfassen,12 ob sie nun der Mode völlig oder nur teilweise entsprechen. Parallelen zwischen den Kleidungskonventionen der biblischen Szenen mit jenen Bildern, die das Pesach-Fest the-

10 Zum Zeitbegriff in der Bibelauslegung des Nachmanides s. auch Haviva Pedaya: Nachmanides. Zyklischer Zeitablauf und heiliger Text (Hebr.), Tel Aviv 2003. 11 Kogman-Appel, Haggadot (Anm. 3). 12 Die Literatur zu diesem Thema ist reichhaltig und kann hier nicht vollständig aufgelistet werden; s. z. B. Piponnier/Mane, Dress in the Middle Ages (Anm. 2); im ersten Kapitel dieses Buches warnen die Autorinnen davor, mittelalterliche Kunst ohne Vorbehalt als Quelle zur Rekonstruktion mittelalterlicher Mode zu verwenden; zu einigen für Kastilien spezifischen Beobachtungen wirtschaftlicher Natur, wie z. B. sozial motivierte Kleidervorschriften, s. Teofilo F. Ruiz: Textile Consumption in Late Medieval Castile: the Social, Economic, and Cultural Meaning of Clothing, in: Erasmo. Revista de historia bajomedieval y moderna (2015), 101–114; zur sozialen Bedeutung mittelalterlicher Kleidung s. jetzt auch Juan Vicente García Marsilla: La moda no es capricious. Mensajes y functiones del vestido en la Edad Media, in: Vinculos de Histora 6 (2017), 71–88; zu jüdischen Quellen über Kleidung betreffende rabbinische Bestimmungen s. kürzlich Elisheva Baumgarten: Minority Dress Codes and the Law: A Jewish-Christian Comparison, in: Religious Minorities in Christian, Jewish and Muslim Law (5th–15th centuries), hg. von Nora Berend, Youna Hameau-Masset und John Tolan, Turnhout 2017 (REMLIN 8), 289–300.

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matisieren, also das zeitgenössische Gemeindeleben widerspiegeln, beleuchten diesen Bedeutungsgehalt eloquent. 2.1 Goldene Haggada Fassen wir zunächst die sogenannte Goldene Haggada ins Auge, ein ausgesprochenes Luxusexemplar aus Katalonien, in den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts entstanden.13 Am brennenden Dornbusch wird der junge Moses, während er die Schafe seines Schwiegervaters hütet, Zeuge einer Theophanie-Erscheinung und erhält den Auftrag, Israel aus Ägypten zu führen (Abb. 1, oben rechts).14 Die entsprechende Darstellung der Goldenen Haggada zeigt Moses jugendlich, kurzhaarig und bartlos; er trägt eine kurze Tunika und einen Umhang. Bei dieser Gelegenheit erhält er göttliche Zeichenmacht, die Fähigkeit nämlich, seinen Hirtenstab in eine Schlange zu verwandeln und dann wieder in einen Holzstab zurück zu verwandeln. Dies ist in der nebenstehenden Szene innerhalb desselben Rahmens visualisiert. Es ist zu beobachten, dass Moses jetzt das gleiche Gewand trägt wie in der Dornbuschszene, allerdings erscheint dieses jetzt länger. Ausgerüstet mit göttlicher Zeichenmacht macht er sich auf den Weg nach Ägypten und trifft unterwegs auf Aaron, der ihm entgegen zog (Abb. 1, oben links). Nach der Ankunft der beiden Brüder in Ägypten galt es, die göttliche Berufung den israelitischen Mitbrüdern zu vermitteln. Zu diesem Zweck demonstriert Moses das Schlangenzeichen in Gegenwart der Israeliten, um deren Anerkennung seiner Autorität zu gewinnen (Abb. 1, unten rechts).15 Diese Szene ist also zentral in der Entwicklung von Moses’ Status als Befreier, der das Volk aus Ägypten führen würde. Moses trägt nun das gleiche Gewand, jetzt allerdings bodenlang, und der kurze Schulterumhang der Dornbuschdarstellung ist zu einem ebenfalls langen Mantel angewachsen. Die Verwendung der 13 Bezalel Narkiss: The Golden Haggadah. A Fourteenth-Century Illuminated Hebrew Manuscript in the British Museum, London 1970; idem: The Golden Haggadah, London 1997; Bezalel Narkiss/Aliza Cohen-Mushlin/Anat Tcherikover: Hebrew Illuminated Manuscripts in the British Isles, Bd. 1: Spanish and Portuguese Manuscripts, Jerusalem/Oxford 1982, 58–67; Kogman-Appel, Haggadot (Anm. 3), Kap. 1. Der Großteil der Forschung lokalisiert die Goldene Haggada in Barcelona, eine Zuordnung, die auf stilistischen Erwägungen und einem Vergleich mit einer christlichen Handschrift aus Barcelona beruht (Usatges i Constitucions de Catalunya, Paris, Bibliothèque nationale de France, cod. lat. 4670A), s. Jesus Dominguez Bordona: Miniatura, Madrid 1958 (Ars Hispaniae 18), 143; Mendel Metzger: La Haggadah enluminée. Etude iconographique et stylistique des manuscrits enluminés et decorés de la Haggada du XIIIe au XVIe siècle, Leiden 1973, 360; Narkiss, Golden Haggadah (Anm. 13), 38–39; kürzlich allerdings schlug Isabel Escandell i Proust vor, einen der Miniaturisten der Usatges in Lleida zu lokalisieren; da zwischen diesem Miniaturisten und einer der Hände der Goldenen Haggada eine besondere stilistische Ähnlichkeit zu bestehen scheint, sei nicht auszuschließen, dass die Haggada aus Lleida stamme: La Hagadà d’Or, revisada. Aproximació al seu context historicoartístic i noves propostes, in: Lambard 23 (2–11–2012), 103–130. 14 Ex. 3. 15 Ex 4:28–31.

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Abbildung 1: Goldene Haggada, British Library, MS Add. 27210, Barcelona (?), c. 1320, fol. 10v (Foto: ©2017 The British Library Board, with permission)

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gleichen Farben für Moses’ Gewand stellt narrative Kontinuität her und erleichtert, rein visuell, die Identifikation Moses’ auf ersten Blick. Sein sozialer Standort jedoch hat sich geändert. Die Ältesten der Israeliten sind ähnlich gekleidet wie er, einige knien und schauen ehrfürchtig zu ihm und Aaron auf. Sozial gesehen sind die Brüder also in einem ähnlichen Status dargestellt, und es ist deutlich, dass die Führungsposition der beiden vom Volk akzeptiert wird. Nachdem dieser Anspruch auf Führungsposition gegenüber den Israeliten kommuniziert worden war, hieß es, diesen Anspruch auch gegenüber der pharaonischen Administration geltend zu machen (Abb. 1, unten links). Zunächst erscheinen die beiden Brüder bei Hof, um die Verhandlungen in Gang zu bringen. Sie erscheinen aufrecht, groß, in derselben langen Robe mit Mantel. Moses ist nun bärtig, älter, würdevoller. Neben dem Thron erscheinen die Berater Pharaos. Sie verfolgen die Geschehnisse aufmerksam, und ihre Gewänder zeichnen sie ebenfalls als sozial hochstehend und auf derselben Ebene wie Moses und Aaron aus. Allerdings sitzen zwei dieser Berater zu Füßen des Königs, kauern fast, einer steht im Hintergrund. Die Reaktion auf diesen ersten Verhandlungsversuch ist eine Verstärkung der Knechtschaft (Abb. 2, oben). Moses und Aaron planen die folgenden Schritte und einen weiteren Besuch bei Hof. Nun gilt es, mittels der von Gott verliehenen Zeichenmacht die Anerkennung Pharaos zu gewinnen (Abb. 2, unten). Wieder sitzen zwei der ägyptischen Beamten am Boden, dem König zu Füßen. Einer steht; er erscheint etwas gebeugt und ist in den Hintergrund gedrängt. Diese Anordnung der pharaonischen Beamten positioniert sie von Anfang an gegenüber Moses und Aaron, die aufrecht dem König gegenübertreten. In allen drei Szenen sind Moses und Aaron also, was ihre Kleidung betrifft, den jeweiligen anderen Protagonisten ebenbürtig: sowohl den Vertretern des Volkes als auch den ägyptischen Höflingen. Was allerdings ihr Auftreten und ihre Körpersprache betrifft, so sind sie souverän, aufrecht stehend. Ihre Souveränität wird besonders deutlich im Verhältnis zu den ehrfürchtig knienden Israeliten bzw. den sitzenden Beamten. Diese visuell medialisierte Führungsposition des Moses in der Goldenen Haggada kann durch weitere Beobachtungen untermauert werden. Wenn man diese Bilder als einen in sich geschlossenen Zyklus betrachtet, kann man beobachten, dass Moses in diese Rolle des Vertreters des Volkes hineinwächst. Während er vor dem Dornbusch im kurzen Gewand des jugendlichen Hirten erscheint, tritt er im nächsten Bild, innerhalb desselben Rahmens, bereits im längerem Gewand auf: er hat den Auftrag, das Volk aus der Knechtschaft zu befreien, erhalten (Abb. 1, oben). In den folgenden Szenen erscheint Moses dann in Begleitung Aarons, beide als würdige Männer im langen Gewand (Abb. 1, unten, Abb. 2). Dieser Wandel in der Gewandausstattung unterstreicht einen Prozess und macht geltend, dass Moses sich als würdig erwiesen hat und in die Führungsrolle hineinwuchs.

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Abbildung 2: Goldene Haggada, British Library, MS Add. 27210, Barcelona (?), c. 1320, fol. 11r (Foto: ©2017 The British Library Board, with permission)

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2.2 Rylands-Haggada In der sefardischen Haggada der Rylands Library in Manchester ist die gleiche Szenenfolge dargestellt:16 Moses erhält zuerst seinen Auftrag sowie göttliche Zeichenmacht (Abb. 3), demonstriert dann das Schlangenwunder vor den Israeliten (Abb. 4) und erscheint schließlich gemeinsam mit Aaron vor dem Pharao.17 Es kommt zur Verschärfung der Fronarbeit,18 worauf nun das Schlangenwunder auch dem König im Beisein seiner Beamten vorgeführt wird (Abb. 5). Der narrative Ablauf ist ähnlich, aber das Verhältnis zwischen den Protagonisten gestaltet sich anders. In allen vier Bildern fällt auf, dass sowohl Moses als auch Aaron in kurzen Tuniken und ohne Mantel dargestellt sind. Zudem sind sie zumeist leicht gebeugt. Bei ihrer ersten Begegnung mit dem Pharao erschient einer von ihnen auf Knien. Zwar knien in der ersten Szene auch die Israeliten, ähnlich wie in der Goldenen Haggada, aber soweit sichtbar tragen die meisten einen Mantel, während Moses und Aaron eben kurz gekleidet sind, was sowohl in der christlichen als auch der jüdischen Kunst einen niedrigeren sozialen Status signalisiert. Besonders deutlich wird dieser Standesunterschied in den beiden Szenen, in denen die Brüder bei Hof auftreten. Sie sind wesentlich kleiner als der König sowie dessen Höflinge. Obwohl sie stehen und die Beamten sitzen – an sich schon Ausdruck eines deutlichen Standesunterschieds –, sind Moses und Aaron kleiner und gebeugt dargestellt, gleichsam schüchtern und in die Mitte gedrängt, gerahmt von den imposanten, souveränen Figuren der besonders aufwendig gekleideten Ägypter. In der Szene vor den Israeliten ist dieser Unterschied nicht so deutlich. Es existiert so gut wie kein Größenunterschied und auch der aus der Kleidung resultierende soziale Unterschied ist nicht so markant. Zwar tragen zwei der sichtbaren Israeliten lange Mäntel, aber der dritte nur eine kurze Tunika (Abb. 4). In der Rylands-Haggada ist übrigens der erwähnte Prozess des Hineinwachsens Moses’ in die Führungsposition in keiner Weise angesprochen. Moses und Aaron erscheinen von ihrem ersten Aufritt an in der gleichen Ausstattung. Damit sind sie von Anfang an als Wunderwirker definiert, die nicht erst in ihre Rolle hineinwachsen müssen, andererseits erscheinen sie, was ihren sozialen Stand betrifft, den Israeliten ebenbürtig, den Ägyptern jedoch deutlich untergeordnet. Nach langwierigen Verhandlungen am Hof Pharaos und den ägyptischen Plagen findet endlich der erlösende Auszug aus Ägypten statt. In der Goldenen Haggada zieht das Volk nach links, Moses und Aaron bilden gewissermaßen den Abschluss (Abb. 6, links oben). Sie sind wieder in langer Robe und Mantel ge16 John Rylands University Library, cod. Heb. 6; Raphael Loewe (Hg.): The Rylands Haggadah, London 1988; Narkiss/Cohen-Mushlin/Tcherikover, Hebrew Illuminated Manuscripts (Anm. 13); Kogman-Appel, Haggadot (Anm. 3). 17 Fol. 15r. 18 Ebd.

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Abbildung 3: Rylands Haggada, Manchester, John Rylands University Library, MS heb. 6, Katalonien, c. 1330, fol. 13v (Foto: ©2017 The University of Manchester Library Special Collections, public domain)

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Abbildung 4: Rylands Haggada, Manchester, John Rylands University Library, MS heb. 6, Katalonien, c. 1330, fol. 14v (Foto: ©2017 The University of Manchester Library Special Collections, public domain)

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Abbildung 5: Rylands Haggada, Manchester, John Rylands University Library, MS heb. 6, Katalonien, c. 1330, fol. 15v (Foto: ©2017 The University of Manchester Library Special Collections, public domain)

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kleidet – Moses ist durch seinen Stab kenntlich gemacht. Das Volk besteht aus einigen Frauen mit Kindern und einem Mann in langer Robe, aber ohne Mantel. Es besteht also ein deutlicher sozialer Unterschied zwischen Volk einerseits und Moses und Aaron andererseits. Im Durchzug durch das Schilfmeer ist die Situation ganz analog (Abb. 6, links unten). In der Rylands-Haggada ist die Komposition insofern ähnlich angelegt, als die Kinder Israels ebenfalls nach links aus einer Architekturdarstellung wegziehen (Abb. 7). Was jedoch die Skizzierung der beiden Brüder betrifft, so ist die Darstellungsweise anders: die Brüder sind zwar abgehoben und etwas grösser als ihre Mitisraeliten dargestellt. Wie diese tragen sie allerdings auch hier wieder die kurze Tunika. Moses’ Stab, der in der Goldenen Haggada ein ganz gewöhnlicher gerader Stab war, ist hier ein am Ende gebogener Hirtenstab. Es ist also hier, was die Bekleidungskonventionen betrifft, einerseits jeder soziale Unterschied unter den Israeliten aufgehoben, andererseits ist Moses’ Auftreten in der Rolle der Führungspersönlichkeit zur Funktion eines Hirten des Volkes stilisiert. Ein bekannter Midrasch, eine exegetische Homilie, die eine narrative Methode verwendet, um den Bibeltext auszulegen, erläutert, dass Gott die Funktion Moses’ als Hirte in der Dornbuschszene wahrnahm, um ihn auf die Probe zu stellen und zu prüfen, ob er der Führungsrolle gewachsen sei.19 Dabei ist es genau diese Funktion des Hirten, die ihn als passend ausweist. Die Bildsprache der Rylands-Haggada scheint sich also weniger mit den sozialen Dimensionen der Bekleidungskonventionen auseinanderzusetzen als sich vielmehr der jüdischen Exegese zu bedienen, um der traditionellen Hirtenfunktion Moses’ Ausdruck zu verleihen. In der Goldenen Haggada hingegen ist Moses der souveräne Repräsentant des Volkes. Was den Kleidungs-Kodex betrifft, ist er den Höflingen im Dienste Pharaos durchaus ebenbürtig. Auf die zeitgenössischen Verhältnisse übertragen, ist er gewissermaßen als Hofjude stilisiert – eine Beobachtung, auf die ich weiter unten noch zurückkommen werde. 2.3 Sarajewo-Haggada Unter den sefardischen Haggadot enthält die Sarajewo-Haggada den ikonographisch am weitaus reichhaltigsten Bilderzyklus.20 Dieser zeichnet sich auch durch wesentlich komplexere Kleidungskonventionen aus. Mehr oder weniger zeitgleich mit der Goldenen und der Rylands-Haggada, nämlich aus den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts, ist diese Handschrift möglicherweise nicht in Katalonien, sondern in Aragon zu lokalisieren.21 Mittels der Gewandausstattung der Protagonisten kann hier eine ganze Reihe sozialer Gruppen definiert werden: Pharao ist gekrönt und trägt eine lange Robe mit Mantel, der mit einer 19

Exodus Rabba 2:3, Avigdor Shinan (Hg.): Midrasch schemot rabba, paraschot 1–14, Jerusalem/Tel Aviv 1984, 106. 20 Eugen Werber (Hg.): The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983. 21 Kogman-Appel, Haggadot (Anm. 3), Kap. 1.

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Abbildung 6: Goldene Haggada, British Library, MS Add. 27210, Barcelona (?), c. 1320, fol. 14v (Foto: ©2017 The British Library Board, with permission)

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Abbildung 7: Rylands Haggada, Manchester, John Rylands University Library, MS heb. 6, Katalonien, c. 1330, fol. 18v (Foto: ©2017 The University of Manchester Library Special Collections, public domain)

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Spange zusammengehalten wird (Abb. 8, unten). Besonders auffallend ist Abraham gekleidet, der einen Hut trägt, dazu eine lange Robe und einen Mantel, der sich von den Obergewändern aller Protagonisten des gesamten Bildzyklus unterscheidet.22 Niemand anders trägt diese Kleidung; sie ist Abraham vorbehalten. Der Patriarch besitzt einen Sonderstatus; auf ihn geht das Volk zurück. Jakob und Isaak schließlich tragen eine lange Tunika und darüber einen Kapuzenmantel (Abb. 9). Dieses Gewand tritt in der Sarajewo-Haggada immer wieder auf, und zwar nur für Israeliten, bzw. Juden in den zeitgenössischen Darstellungen (Abb. 8 und 14). In den Gebieten der Krone von Aragon (Corona de Aragón) war das Kapuzengewand jenes Gewand, mit dem die jüdische Bevölkerung seit dem 13. Jahrhundert kenntlich gemacht wurde. Was in anderen Regionen möglicherweise der Judenhut war, bzw. der Fleck oder Ring, nämlich ein Merkmal zur Unterscheidung der Juden von ihrer christlichen Umgebung, war in Aragon der Kapuzenmantel.23 Dieser Mantel war ursprünglich ein von Juden häufig getragenes Kleidungsstück neutraler Natur gewesen. Es wurde daher, noch bevor im frühen 13. Jahrhundert Kleiderordnungen eingeführt wurden, mit Juden assoziiert.24 Erst gegen Mitte des 14. Jahrhunderts wurde in Aragon der sogenannte rotulus eingeführt. Hofjuden oder auch die sogenannten jüdischen Familiare des Hofs waren von diesen Gesetzen oft ausgenommen, trugen also kaum je ein Kapuzengewand.25 Wie Pamela Patton geltend macht, wurden Juden in der christlichen Kunst Iberiens vielfach durch den Kapuzenmantel kenntlich gemacht.26 Die Vorschriften sahen allerdings vor, dass die Mäntel in einfachen Farben gehalten wurden und nicht rot, grün oder violett sein durften. In Assoziation mit den Figuren, die den Kapuzenmantel in der SarajewoHaggada tragen, nämlich den Patriarchen, signalisiert dieses Gewandstück allerdings nicht soziale Ausgrenzung, sondern Alter, Würde und Gelehrsamkeit. In der rabbinischen Literatur ist Jakob immer wieder als Prototyp des Gelehrten stilisiert.27 Auch andere Israeliten sind mitunter in diesem Gewand gezeigt, und zwar immer dann, wenn sie religiös als Gruppe definiert werden können. So er22 Teil 1 (Bildteil), fol. 8; Text -und Bildteil der Sarajewo-Haggada besitzen getrennte Foliierungsnummern. 23 Allgemein zur Vorschrift, in Aragon einen Mantel tragen zu müssen, s. Yom-Tov Assis: The Golden Age of Aragonese Jewry. Community and Society in the Crown of Aragon, 1213–1327, London 1997, 283–285. 24 Pamela A. Patton: Art of Estrangement. Redefining Jews in Reconquest Spain, University Park 2013, 33. 25 Jaume Riera i Sans: Cresques Abraham, jueu de Mallorca, mestre de mapamundis i de brúixioles, in: L’Atles Català de Cresques Abraham (1975), 35 unter Bezugnahme auf den jüdischen Kartographen Elisha ben Abraham, der für seine Dienste am Aragonesischen Hof im Jahre 1368 den Status eines Familiar erhielt. 26 Patton, Art of Estrangement (Anm. 24), 31–35. 27 Genesis Rabbah 68:5; für eine englische Übersetzung s. Jacob Neusner: Genesis Rabbah. The Judaic Commentary to the Book of Genesis. A New American Translation 3,4, Atlanta 1985; Bachja ben Ascher: Rabenu Bachja. Bi᾽ur al hatora Gen. 25:27, hg. von Chaim D. Chavel, Jerusa-

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Abbildung 8: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 19v (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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Abbildung 9: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 9v (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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scheint eine Gruppe von Israeliten im Kapuzengewand beispielsweise bei den Begräbnissen Jakobs und Josefs, bei einem religiösen Ritual also (Abb. 8, oben). Zwischen diesen beiden Begräbnisszenen erscheint eine Zwischenszene, die keinen wirklichen narrativen Gehalt besitzt, sondern die Israeliten in ihrem Verhältnis zu Pharao skizziert (Abb. 8, unten). Die Beischrift zu diesem Bild lautet: „und Josef ließ sich in Ägypten nieder, er und seine Brüder.“ Josef, der, wie wir gleich sehen werden, sonst durch eine andere Bekleidungskonvention charakterisiert ist, wird hier unter seinen Brüdern gar nicht kenntlich gemacht; er gehört den als Gruppe ethnisch-religiös definierten Israeliten an, die sich im Verhältnis zu Pharao als fremd und andersartig abheben. Als visuelles Mittel dient dabei jenes Kleidungsstück, mit dem die Juden Aragons sozial ausgegrenzt wurden; allerdings erhält dieses in der jüdischen Bildsprache eine zusätzliche, positive Bedeutungsdimension, jene des auserwählten Volkes nämlich. In anderen Darstellungen der Sarajewo-Haggada erscheint Josef jung, bartlos und kurzhaarig. Er trägt eine Tunika, darüber eine lange Robe und einen kurzen Schultermantel. Trotz seiner Jugend erscheint er würdevoll, auf einem Thronsessel sitzend, in autoritärer Position. Seine Brüder tragen dasselbe Gewand (Abb. 10). Der Schultermantel, oder almuce, war seit dem 13. Jahrhundert im Umlauf und wurde in höfischen Kreisen getragen.28 Damit sind Josef und seine Brüder als Angehörige des Hofes, als Hofjuden also, gekennzeichnet. Diese Haggada hat allerdings noch mehr an sozialer Stratifikation zu bieten. Angehörige des arbeitenden Volkes, beispielsweise, tragen kurze Tuniken.29 Ein Beispiel ist Abrahams Diener Eliezer, der Rebekka als Braut für Isaak heimführen soll.30 Noahs Söhne hingegen, Väter aller auf die drei Erdteile der bewohnten Welt verteilten Völker, sind in einer halblangen Tunika bis zur halben Wade dargestellt.31 Esau repräsentiert in der rabbinischen Literatur das Fremde; er gehört nicht zum Volk. Mit ihm ist dann allgemein Fremdherrschaft assoziiert; zunächst steht er für Rom und in späteren Schichten dann für das Christentum.32 Wenn Esau allerdings eine kurze Tunika trägt, wird vom jüdischen Standpunkt aus gesehen die untergeordnete Stellung des Christentums deutlich gemacht. Die Darstellung Esaus in kurzer Tunika, der seinem Vater Isaak – im langen Kapuzenlem 1966, vol. 1, 223; Rashi on Gen. 25:27; Yalkut Shim᾽oni, Gen. no. 110, hg. Dov Heyman u. a., Jerusalem, 1973–1977. 28 Piponnier/Mane, Dress in the Middle Ages (Anm. 2), 59; seit dem späteren Mittelalter und während der Neuzeit wurde die almuce ausschließlich von Klerikern getragen. 29 Bildteil, fol. 6. 30 Bildteil, fol. 8. 31 Bildteil, fol. 6. 32 Jerusalemer Talmud, Ta᾽anit 4:8, 68d; für eine englische Übersetzung s. Jacob Neusner: The Talmud of the Land of Israel: A Preliminary Translation and Explanation, Chico, CA 1982– 1991; für eine ausführliche Betrachtung der Jakob-Esau-Typologie in jüdischen und christlichen Quellen s. Israel J. Yuval: Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter, Göttingen 2007, Kap. 1.

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Abbildung 10: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 14r (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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gewand gezeigt – das gejagte Wild darbringt, um den Segen des Erstgeborenen zu erhalten, spricht für sich selbst (Abb. 9, oben). Auch der Brudermord thematisiert den Kontrast zwischen Abel, der dem Volk angehört, und Kain, der mit dem Fremden assoziiert ist. Auf den ersten Blick allerdings erscheinen Kain und Abel erstaunlicherweise wie Josef, beziehungsweise seine Brüder, also als Kinder Israels in der langen Robe mit Schultermantel. Für Abel wäre dieses Gewand durchaus passend, nicht allerdings für Kain. Wenn wir jedoch genauer hinsehen, erkennt man, dass in der Federzeichnung unterhalb der Farbe Kain eine kurze Tunika trägt. Man sieht auch deutlich seine Beine unterhalb der Tunika (Abb. 11). Wie Esau sollte also auch Kain in der kurzen Tunika des untergeordneten Fremden erscheinen, ein Umstand, der vom Koloristen nicht erfasst wurde. Die Bildsprache der Sarajewo-Haggada reflektiert also eine relativ komplexe „Kleiderordnung“. Diese wirkt sich naturgemäß auch auf die Ikonographie des Moses aus. Von seinem ersten Auftritt an, am Dornbusch, bis zu seinem Tod erscheint Moses im Kapuzengewand des würdigen Gelehrten. Egal, ob er als einfacher Hirte Gottes Auftrag entgegennimmt und Zeichenmacht erhält oder in Ägypten das Volk vor dem Pharao vertritt, ob er die Israeliten durch das Meer führt – er erscheint immer als derselbe würdevolle Gelehrte.33 In der Darstellung der Gesetzesübergabe am Sinai sind sowohl Moses, als der Gesetzesgeber, als auch die Israeliten, als die dem Gesetz Verpflichteten, in diesem Gewand gezeigt (Abb. 12). Sie sind würdige, gelehrte Empfänger des Gesetzes und somit als religiöse Gruppe definiert, ähnlich wie die Israeliten, die ihren Stammvater Jakob zu Grabe tragen (Abb. 8, oben). Während also die Haggada der Rylands-Bibliothek Moses als Hirten charakterisiert und die Goldene Haggada ihn als Hofjuden präsentiert, erscheint er in der Sarajewo-Haggada als religiöser Leiter, Gesetzesgeber und Gesetzeslehrer. Der Kapuzenmantel identifiziert ihn als Juden, so wie alle anderen Juden auch. Josef hingegen trägt die almuce der höfischen Gesellschaft, wird hier also als säkular zu verstehender Repräsentant des Hofjudentums definiert. Diese Ikonographie ist in der Vielschichtigkeit der sefardischen Gesellschaft verankert, jener Gesellschaft also, aus der die Auftraggeber und Benützer dieser Bilderserien hervorgingen. Naturgemäß war keiner dieser Auftraggeber arm. So mancher unter ihnen mag einen Anspruch auf Führungsposition innerhalb der Gemeinde, in ihrer unmittelbaren Umgebung geltend gemacht haben. Dies erhebt die Frage, wie sich diese jeweiligen Auftraggeber in dieser Führungsposition – möglicherweise lediglich einer potentiellen Führungsposition – stilisieren wollten.

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Bildteil, fol. 21–30.

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Abbildung 11: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 4r (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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Abbildung 12: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 30r (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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3 Auftraggeber und biblische Protagonisten In allen diesen Haggadot gehen die biblischen Bilderzyklen einer kurzen Serie von Darstellungen voran, die die Vorbereitungen zum Fest zum Inhalt haben: das Haus wird gereinigt; ein Lamm wird geschlachtet; die Gemeindemitglieder verlassen die Synagoge, um sich auf den Weg zum häuslichen seder-Fest zu machen (Abb. 13–16). Diese Bilder gewähren einen Einblick in die Realitäten der jüdischen Oberschicht in der Corona de Aragón. Ein kurzer Blick zeigt, wie die sozialen Umstände charakterisiert wurden. In der Goldenen Haggada handelt es sich um eine nur sehr kurze Serie. Sie zeigen das Familienoberhaupt in zwei Situationen (Abb. 13): einmal verteilt er ungesäuerte Brote und andere rituelle Speisen, die für das Fest mit seinen besonderen Speisevorschriften notwendig sind. Im nächsten Bild überwacht er die Reinigung des Hauses von Gesäuertem. In beiden Bildern ist seine Darstellungsweise jener des Moses im Bibelzyklus analog. Dieses Familienoberhaupt wird also mit der Führungsposition des Moses identifiziert. Da wir in diesen Darstellungen allerdings auch eine Reflexion des Auftraggebers erkennen dürfen, liegt es nahe anzunehmen, dass ebendieser Auftraggeber einen Anspruch auf eine ähnliche Führungsposition geltend machte. Diese Funktion impliziert auch ein gewisses Maß an Überwachung bzw. Kontrolle religiöser Observanz innerhalb der Gemeinde.34 Allerdings stilisiert er sich nicht unbedingt als religiöse Führungspersönlichkeit, sondern als säkularer Vertreter seines Volkes gegenüber den Autoritäten, als klassischen Hofjuden also. Dieser Aspekt ist in der Goldenen Haggada auch in der Charakterisierung des Moses unterstrichen. Im Bibelzyklus der Sarajewo-Haggada konnten wir zwei unterschiedliche Typen von Repräsentanten des Volkes beobachten: Josef und Moses. Moses wuchs zwar in einem Ambiente auf, das jenem der Hofjuden durchaus ähnlich war, wendete sich aber dem Volk zu und wurde auserwählt, nicht nur dessen Interessen politisch zu vertreten, sondern es aus der Knechtschaft zu befreien, um ihm dann das Gesetz zu verleihen. Er ist also der religiöse Gründer par excellence, Prophet und Gesetzeslehrer (Abb. 12). Diese seine Funktion ist in der SarajewoHaggada deutlich hervorgehoben. Josef hingegen ist nicht als würdiger Gelehrter stilisiert, sondern, als tüchtiger, kompetenter Hofjude, der dem Hof dienlich ist – vor allem wirtschaftlich – und dabei auch die Interessen seines Volkes zu vertreten weiß. Er ist also gewissermaßen als der Prototyp eines Hofjuden definiert (Abb. 9). Analog dazu sind auch die Protagonisten in den Darstellungen der zeitgenössischen Vorbereitung auf das Pesach-Fest besonders vielschichtig. Die männ34 Für eine ausführlichere Behandlung dieser Bilder s. Katrin Kogman-Appel: Another Look at the Illustrated Sephardic Haggadot: Communal and Social Aspects of the Passover Holiday, in: Temps i espais de la Girona Jueva, hg. von Silvia Planas Marcé, Gerona 2011, 81–102.

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Abbildung 13: Goldene Haggada, British Library, MS Add. 27210, Barcelona (?), c. 1320, fol. 15r (Foto: ©2017 The British Library Board, with permission)

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Abbildung 14: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 34r (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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lichen Gemeindemitglieder, die mit ihren Kindern vor dem Fest die Synagoge verlassen, sind alle wie Moses im Kapuzenmantel dargestellt bzw. wie die in ihrer religiösen Funktion definierten anonymen Israeliten (Abb. 14). Daneben ist hier, ähnlich wie in der Goldenen Haggada, auch die Verteilung der rituell notwendigen Nahrungsmittel gezeigt (Abb. 15). Allerdings erscheint in dieser Funktion, die wie erwähnt auch einen Grad der Kontrolle religiöser Observanz impliziert, das Familienoberhaupt nicht als „Moses-Figur“, sondern ähnlich wie Josef nicht im Kapuzenmantel, sondern in einer Robe mit Schultermantel, eine Kleidung also, die möglicherweise die Identität eines Hofjuden signalisiert. Die Empfänger der Spenden sind übrigens keineswegs mittellose Mitglieder der Gemeinde, sondern ebenfalls als Hofjuden gekleidete Männer. Ein Hofjude versorgt also eine Gruppe anderer Hofjuden mit rituell koscheren Nahrungsmitteln. Der einzige Unterschied liegt in der Kopfbedeckung, die nunmehr modisch zeitgenössisch erscheint. Der Besitzer der Haggada identifiziert sich nicht mit Moses, der leitenden Gelehrtenfigur der geistigen Führungsschicht, sondern mit Josef, dem säkularen Hofbeamten, der auch die Interessen des Volkes vertritt, einem Repräsentanten der politischen Führungsschicht also. Derselbe Hofjude, so macht unser Auftraggeber geltend, ist auch durchaus in der Lage, die Observanz des rituellen Gesetzes unter den Gemeindemitgliedern unter Kontrolle zu halten. In der Rylands-Haggada schließlich ist eine direkte Linie zwischen der biblischen und den tatsächlichen sefardischen Realitäten nicht gewährleistet. Es sind hier einmal ein älterer Mann am Pesach-Tisch und dann, im danebenliegenden Bild, ein junges Paar dargestellt (Abb. 16). Alle Teilnehmer erscheinen in zeitgenössischer, modischer Kleidung mit für diese Periode typischen Kopfbedeckungen, was an die Darstellungen der Nahrungsmittel verteilenden Hofjuden der Sarajewo-Haggada erinnert. Diese Ausstattung hat kein Gegenstück in den biblischen Darstellungen; die zeitgenössischen Figuren besitzen also keine biblischen Entsprechungen; sie werden nicht über biblische Charaktermodelle definiert. Damit entsteht ästhetische Distanz zwischen der sefardischen Realität und der biblischen Geschichte. Der Auftraggeber scheint sich in keiner Weise mit der Hirtenfunktion des Moses, die in dem Bilderzyklus so stark hervorgehoben ist, identifizieren zu wollen. Die Bildsprache der Rylands-Haggada thematisiert also eine vorwiegend historisch geprägte Skizzierung Moses’ als biblischer Hirtenfigur. Es ist also möglicherweise davon auszugehen, dass die Rezeption der biblischen Geschichte in den Bildern der Rylands-Haggada in erster Linie didaktisch sein sollte, im Sinne der Geschichtsvermittlung, und nicht darauf abzielte Verhaltensmuster zu medialisieren.

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Abbildung 15: Sarajevo Haggada, National Museum of Bosnia and Herzegovina, Aragon, c. 1330, fol. 33v (Foto: Eugen Werber [Hg.]: The Sarajevo Haggadah, Belgrad 1983)

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Abbildung 16: Rylands Haggada, Manchester, John Rylands University Library, MS heb. 6, Katalonien, c. 1330, fol. 19v (©2017 The University of Manchester Library Special Collections)

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4 Rückschlüsse auf und Botschaften an die zeitgenössische Gesellschaft Die sefardische Gesellschaft des 14. Jahrhunderts war sozial und kulturell besonders vielschichtig. Während Dokumente des 13. Jahrhunderts auf lediglich zwei soziale Schichten, eine wohlhabende Oberschicht und eine breite Unterschicht, schließen lassen, können ab ca. 1300 drei verschiedene Klassen von Steuerzahlern unterschieden werden. Neben der ursprünglichen Ober- und Unterschicht hatte sich eine Klasse von Kleinhändlern, Handwerkern, Lehrern und Ärzten herausgebildet.35 Kulturell gesehen war keine dieser Gruppen homogen, und Angehörige der Oberschicht konnten der traditionellen sefardischen Elite angehören, den Erben der frühmittelalterlichen jüdisch-islamischen Kultur. Daneben hatte sich im 13. und 14. Jahrhundert eine neue geistige Führungsschicht entwickelt, die sich als Herausforderung dieser traditionellen Kultur sah. Abgesehen von der religiös-intellektuellen Oberschicht gab es auch eine säkulare Klasse von Hofjuden, die sich nicht kulturell, sondern wirtschaftlich-politisch definierten. Alle dieser Gruppen waren finanziell unabhängig und gehörten der Oberschicht an. Am Hof waren sowohl Gelehrte als auch säkulare Hofjuden tätig. Seit dem 13. Jahrhundert spielte auch die kabbalistische Kultur eine wesentliche Rolle, deren Vertreter sich mitunter als Kritiker traditioneller sozialer Werte sahen. Mit Beginn des 14. Jahrhunderts wurde die Figur des ursprünglich positiv aufgefassten Hofjuden zunehmend zur Zielscheibe rabbinischer Kritik. Im Mittelpunkt dieser Kritik standen säkulare Hofjuden, die begonnen hatten, das Gesetz zu missachten. Einige unter ihnen schreckten auch nicht davor zurück, ihre jüdischen Mitbrüder den Autoritäten auszuliefern, wenn es die Umstände zuzulassen schienen. Diese sind in den Quellen besonders negativ thematisiert. Es gibt eine ganze Reihe von Textquellen, die sich mit dieser negativen Skizzierung des spätmittelalterlichen Hofjudentums in Aragon und Katalonien seitens der rabbinischen Kritik auseinandersetzten: die Schule rund um Solomon ibn Adret, zum Beispiel, oder Josua ibn Schueb in Navarra, der in seinen Predigten immer wieder seine kritische Haltung dieser Hofjudenschicht gegenüber verlauten lässt. Die frühen Kabbalisten schlossen sich ebenfalls gerne dieser Kritik an.36 In der Sarajewo-Haggada ist die Auseinandersetzung mit der Vielschichtigkeit der Gesellschaft wesentlich subtiler als in den anderen beiden Haggadot. 35 Zu einer ausführlichen Betrachtung der sozialen Umstände der jüdischen Gemeinden in Aragon s. Assis, Golden Age (Anm. 23), 237–241; idem: Rich and Poor in Jewish Society in Mediterranean Spain (Hebr.), in: Pe᾽amim 46–47 (1991), 115–138. 36 Unter den Gelehrten, in deren Werk diese Kritik eine besondere Rolle spielte, war Josua ibn Schueib, s. die Beobachtungen bei Carmi Horowitz: The Jewish Sermon in Fourteenth-Century Spain. The Derashot of R. Joshua iibn Shueib, Cambridge, MA 1989, 46; zu weiteren Einzelheiten über diese sozialen Gruppen und ihre Rolle als Auftraggeber der sefardischen Haggadot, s. Kogman-Appel, Haggadot (Anm. 3), bes. Kap. 7.

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Das biblische Israel und die zeitgenössische jüdische Gemeinde in Aragon sind als religiöse Gruppen ähnlichen Gepräges definiert. Die Vertreter der jüdischen Oberschicht können visuell mit dem Prototyp der biblischen religiösen Führung gleichgesetzt werden. Davon abgesehen stoßen wir hier allerdings auch auf den säkularen Hofjuden – sowohl in seiner biblischen als auch in seiner zeitgenössischen Erscheinung. Daneben finden wir auch arbeitendes Volk, die Unterschicht also. Repräsentanten der Fremdherrschaft, Esau und Kain, stehen für das Christentum und sind nicht sozial, sondern religiös-kulturell im Sinne der religiösen Polemik als untergeordnet definiert. In der Sarajewo-Haggada scheint also das Verhältnis zwischen Auftraggeber, Rezipienten und „Autor“ des Zyklus komplexer zu sein. Säkulare Hofjuden können wie Josef einerseits als politisch funktionell definiert, andererseits jedoch ihrer Missachtung des Ritualgesetzes wegen gebrandmarkt und ausgegliedert sein. Die Bekleidung jener säkularen Hofjudenschicht unterscheidet sich deutlich von der Gruppe, die als gelehrte Führungsschicht stilisiert und idealisiert ist. Man könnte möglicherweise spekulieren, dass hier ein Auftraggeber aus dem Gelehrtenmilieu eine Botschaft an einen Hofjuden zu vermitteln versuchte – möglicherweise ein Vater an einen Sohn. Da keine dieser Haggadot ein Kolophon besitzt, wissen wir leider nicht, um wen es sich handelt. Wer immer diese „Botschaft“ zu vermitteln suchte, beleuchtete hierbei die religiöse Funktion des Moses und projizierte diese Funktion idealisierend und verallgemeinernd auf die religiöse Funktion des ganzen Volkes.

5 Fazit Bekleidung ist kulturell übergreifend und erzeugt topikale Assoziationen. Die Zuordnung bestimmter Protagonisten über deren Bekleidung ermöglicht die Steuerung eines adressatenorientierten Verständnisses der Rollen der jeweiligen Protagonisten in den dargestellten biblischen Begebenheiten. Einerseits entsprechen diese Bekleidungskonventionen den in der christlichen Gesellschaft herrschenden Normen. Lange Roben und kurze Tuniken hatten unter Juden und Christen die gleiche Bedeutung. Davon abgesehen gab es jedoch auch gruppenspezifische Normen, wie vor allem den Kapuzenmantel, der vom christlichen Standpunkt aus darauf abzielte, die Juden sozial auszugrenzen, aus jüdischer Sicht jedoch Auserwählung signalisierte. Mittels dieser Konventionen konnten sich die Auftraggeber einerseits als Hofjuden oder Gelehrte stilisieren, andererseits jedoch auch biblische Verhaltensmuster an andere Adressaten vermitteln. Die Brücke, die in den Zyklen von der biblischen Geschichte zu den zeitgenössischen Realitäten geschlagen wird, verleiht diesen Konventionen schließlich eine zusätzliche Bedeutungsschicht, und kann somit leicht zu dem eingangs angesprochenen Geschichtsbewusstsein beitragen. Nicht nur, dass seit dem 13. Jahr-

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hundert die biblischen Ereignisse in der Exegese an sich einen ausgeprägten historischen Rahmen erhielten, sondern die Haggada selbst war und ist darauf abgezielt, ein solches Bewusstsein zu fördern. Das Gedenken an die biblischen Ereignisse soll nämlich dazu führen, dass die Teilnehmer an der Zeremonie alles nachvollziehen können, „als wären sie selbst aus Ägypten ausgezogen.“37

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Z. B. Goldene Haggada, fol. 46r.

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Altneuer Text Jüdische Kinderbibeln und die Popularisierung der Hebräischen Bibel Dorothea M. Salzer*

1 Einführung Jüdische Kinderbibeln entstanden als Medium einer inhaltlich wie formal neuartigen Aneignung der Hebräischen Bibel im Rahmen der Neuorientierung des deutschsprachigen Judentums im 18. und 19. Jahrhundert. Der vorliegende Beitrag nimmt dieses Phänomen unter dem Aspekt der kulturhistorischen Übersetzungsforschung in den Blick. Letztere orientiert sich am zielkulturellen Kontext der Übersetzung und arbeitet dabei mit einem weiteren Übersetzungsbegriff, als dies in der rein linguistisch ausgerichteten Übersetzungswissenschaft der Fall ist. In dieser werden nur eigentliche Übersetzungen („translation proper“) als Übersetzungszeugnisse verstanden, während die kulturhistorische Übersetzungsforschung auch Be- und Umarbeitungen dazu zählt. Übertragungen von Texten für ein spezielles Publikum – wie hier die Kinder – werden im Folgenden also als Übersetzungen verstanden. Damit geht einher, dass Begriffe wie „Äquivalenz“ (und all ihre attributiven Subkategorien wie „textnormative“, „pragmatische“ Äquivalenz und Ähnliches) in diesem Zusammenhang auf ihre Begrenzungen stoßen,1 denn in einer kulturhistorisch orientierten Übersetzungsforschung sind gerade Bearbeitungen und Adaptionen von Texten, also Texte, die sich kaum in das Äquivalenzschema einpassen lassen, sehr instruktive und aussagekräftige Quellen.2 Es geht hier demnach nicht um die normative oder deskriptive Evaluation der Kompatibilität zwischen Ausgangs- und Zieltext und der Übersetzungsqualität des letzteren, sondern vielmehr um kulturrelevante und kon* Ich bedanke mich herzlich für die Förderung durch die Gerda-Henkel-Stiftung (Düsseldorf), welche die diesem Beitrag zugrundeliegenden Forschungen maßgeblich unterstützt hat. 1 Zu einer kritischen Darstellung der Äquivalenzbeziehungen siehe z. B. Erich Prunč: Entwicklungslinien der Translationswissenschaft. Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht, 3., erw. und verb. Aufl., Berlin 2012, 58–72. 2 Siehe z. B. Werner Koller: Die Übersetzung als Gegenstand der Sprachwissenschaft, in: Übersetzung – Translation – Traduction, 1. Teilband, hg. von Harald Kittel u. a., Berlin/Boston 2004, 180–191, hier: 188; ders.: Der Begriff der Äquivalenz in der Übersetzungswissenschaft, in: ebd., 343–354, hier: 346 f.

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textverbundene Transformationen des Ausgangstextes. In einem solchen übersetzungshistorischen Konzept wird davon ausgegangen, dass Translate durch kulturelle Verflechtungen Veränderungen durchlaufen und dass es gerade diese Differenzen sind, die es zu befragen gilt, um Rückschlüsse auf die Intentionen der Übersetzer und den kulturellen Kontext der Zielgruppe zu erlauben.3 Denn eine freie Bearbeitung im Hinblick auf linguistische Normen bedeutet keinesfalls, dass es keine anderen kulturellen Richtlinien und Grenzen gibt, an denen sich die Übersetzer orientieren. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Veränderungen, die im Zuge der Übertragung für jüdische Kinder an der Hebräischen Bibel vorgenommen wurden, als greifbare Konkretisierungen des Transformations- und Innovationsprozesses im deutschsprachigen Judentum der Zeit betrachtet werden. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich daher einerseits an dem Konzept der kulturellen Übersetzung, d. h., sie sieht sich einem Konzept verpflichtet, das sich nicht nur mit der Transformation eines Textes von einer in die andere Sprache beschäftigt, sondern darüber hinaus Fragen nach der Übertragung von Vorstellungsinhalten, Werten, Orientierungsmustern und Ähnlichem von einem kulturellen Kontext in den anderen stellt und diesen Übersetzungsprozess als dynamische „soziale Praxis“4 versteht, die durchaus auch bestimmten Normen folgen kann. Andererseits aber werden dabei konkrete Textbeispiele auch in ihren philologischen Aspekten beleuchtet. Der Begriff „Übersetzung“ wird also sowohl im metaphorischen als auch im wörtlichen Sinn gebraucht, wenn nachfolgend versucht wird, kulturelle Übersetzung nicht nur, aber auch in ihren manifesten sprachwissenschaftlich beschreibbaren Dimensionen zu erfassen. Gezeigt werden soll dadurch an konkreten Beispielen, was sehr oft nur theoretisch erläutert wird, nämlich auf welche Art und Weise die verschiedenen Ebenen der sprachlichen Übersetzung Teil der kulturellen Übersetzung sind und wie sich beide wechselseitig bedingen.

2 Jüdische Kinderbibeln: Die Gattung und ihr Entstehungskontext Die Geschichte jüdischer Kinderbibeln beginnt gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als die jüdischen Aufklärer – die Maskilim – es sich zu einem ihrer vorrangigen Ziele machten, das jüdische Erziehungswesen zu reformieren und neu zu struk3 Sehr pointiert formuliert diesen Ansatz Norbert Greiner: „Welchen Veränderungen wird ein Text in der Übersetzung unterzogen, welche Normen und Konventionen – auch aus anderen, nichtliterarischen Teilsystemen – der Zielkultur wirken auf die Gestalt der Übersetzung ein?“ In: Norbert Greiner: Übersetzung und Literaturwissenschaft. Grundlagen der Übersetzungsforschung, Bd. I, Tübingen 2004, 57. 4 Zur Definition der kulturellen Übersetzung als soziale Praxis siehe Doris BachmannMedick: Kulturanthropologie und Übersetzung, in: Übersetzung – Translation – Traduction (Anm. 2), 155–165, hier: 155.

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turieren. Im aschkenasischen Raum wurde das Studium der Hebräischen Bibel traditionell stark vernachlässigt. Der biblische Text diente dort meist lediglich als Instrument des Spracherwerbs, ohne dass dabei Wert auf Vermittlung biblischer Textinhalte und -aussagen gelegt wurde. Seit dem 17. Jahrhundert begann Kritik an diesem Zustand aufzukommen, aber erst die Maskilim wollten ein aufgeklärtes Judentum auf der Basis der Hebräischen Bibel entwickeln. Sie machten diese daher zum Dreh- und Angelpunkt, zum altneuen normativen Text eines reformierten Judentums, der es ermöglichen sollte, den Anforderungen gerecht zu werden, die durch die Moderne an die Juden im deutschsprachigen Raum gestellt wurden. Kurz: Die Bibel sollte zum identitätsstiftenden Fundament einer modernen jüdischen Weltanschauung werden. Für diesen Zweck musste sie popularisiert, d. h. einem breiteren jüdischen Publikum auf eine nachhaltigere Art als bislang geschehen zugänglich gemacht werden. Der Rückgriff auf den biblischen Text stand im Zusammenhang mit der Prominenz universaler Konzepte in den zeitgenössischen Diskursen über Religion: Stellten die Maskilim die Hebräische Bibel in den Vordergrund, so hoben sie damit die Judentum und Christentum gemeinsamen Grundlagen hervor, die an die Stelle der oftmals und auf beiden Seiten als trennend empfundenen rabbinischen Traditionen treten sollten, und betonten damit eine universale Dimension jüdischer Traditionen anstelle von deren Partikularität. Die Hebräische Bibel eignete sich demnach hervorragend als Bezugspunkt, der für Vergleichbarkeit sorgen konnte.5 In diesem Kontext kam es gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Herausbildung der Gattung der jüdischen Kinderbibel, also Textsammlungen, in denen ausgewählte Erzählungen aus der Hebräischen Bibel zusammengestellt und oftmals zusätzlich mit einem mehr oder weniger ausführlichen Kommentar versehen wurden. Beabsichtigt wurde damit Verschiedenes: Einerseits sollten diese Werke gerade zu Beginn der Gattung eine Grundlage für den Sprachenerwerb (Hebräisch und Deutsch gleichermaßen) bieten, andererseits wollte man den Kindern mit ihrer Hilfe aber auch historisches Wissen, universale religiöse ethische Werte und rationale Deutungsmuster für die neue kulturelle Identität vermitteln. Jüdische Kinderbibeln waren allerdings nicht nur ein Versuch, den biblischen Text stärker als Bestandteil der jüdischen Kultur und Religion zu verankern, ihn also zu popularisieren, sondern sie waren zudem ein Mittel, um eine moderne jüdische Identität zu definieren und zu etablieren. Die Gattung der jüdischen Kinderbibel ist dabei selbst das Ergebnis einer Übersetzung, da vergleichbare Aufbereitungen von Texten im protestantischen Bereich zwar schon sehr lange existierten, im Judentum jedoch zuvor nicht in Gebrauch waren und hier vielmehr 5 Zur Schaffung von Vergleichbarkeit im Prozess der kulturellen Übersetzung siehe beispielsweise Heike Liebau: „Alle Dinge, die zu wissen nöthig sind“. Religiös-soziale Übersetzungsprozesse im kolonialen Indien, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), 243–271, hier: 270.

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erst unter dem Eindruck des ursprünglichen protestantisch geprägten Genres entstanden. Zwar gab es bereits zuvor jiddische Bibelbearbeitungen wie etwa die Zennerenne,6 diese waren jedoch nicht an ein explizit kindliches Publikum gerichtet und folgten daher anderen Gepflogenheiten und Absichten. Als die Maskilim begannen, biblische Textsammlungen für jüdische Kinder zu publizieren, griffen sie also auf eine Gattung zurück, die in der nichtjüdischen Kultur verbreitet war, und überführten – d. h. übersetzten – sie in einen jüdischen Kontext. Da die Kinderbibeln in einer Zeit entstanden, in der es um eine Transformation des Judentums im Sinne einer Neuorientierung und Neudefinition ging, folgten sie einer pädagogischen und religiösen, gleichzeitig aber auch philosophischen und politischen Agenda, die auf ein bestimmtes Lesepublikum in einer spezifischen Situation abgestimmt war. Sie sind damit das Ergebnis eines komplexen Vermittlungs- und Aneignungsprozesses, der in der heutigen Kulturanthropologie gerne als „kulturelle Übersetzung“ bezeichnet wird.7 Die kulturelle Übersetzung geschah dabei auf mehreren Ebenen und folgte teilweise einer Dialektik, die aus alt neu und aus neu alt machte: Zum einen setzten die Verfasser der Kinderbibeln die Ideen und Konzepte ihrer Zeit in den Dialog mit der Hebräischen Bibel, interpretierten die biblischen Texte vor dem Hintergrund dieser zeitgenössischen Werte und eigneten sich so die alten Texte in neuer Weise an. Zum anderen beschrieben sie die zeitgenössischen Werte aber auch als biblische Traditionen und interpretierten sie damit als grundlegende und vertraute Bestandteile jüdischer Identität. Moderne Werte wurden dadurch zu einer bereits vorfindlichen Tradition erklärt und die Modernisierung insofern als Fortsetzung ebendieser Tradition verstanden. Die vermittelten zeitgenössischen Werte sind wiederum selbst das Ergebnis eines komplexen Aushandelns zwischen jüdischer Tradition und innerjüdischen wie nichtjüdischen Erwartungshaltungen im Zuge der Moderne. Das kulturel6 Hebräisch „Zeʹena u-Reʹena“ („Geht hinaus und seht“, Hohelied 3,11), eine 1616 erstmals von Jakob ben Isaak Aschkenasi publizierte jiddische Paraphrase des Tanach, die auch aggadisches Material verwendet. Oftmals wird die Zennerenne auch als „Frauenbibel“ bezeichnet, da ihr vorrangiges Publikum Frauen waren, aber auch weniger gebildete Männer zählten zu den Lesern. Die beiden jiddischen Bibelübersetzungen von Jekutiel Blitz und Josel Witzenhausen (Ende 17. Jahrhundert) waren zur Zeit der Aufklärer ebenfalls weit verbreitet, wie z. B. aus Mendelssohns Vorrede zu der von ihm veranstalteten Bibelausgabe hervorgeht, wo er diese Übersetzungen einer kritischen Bestandsaufnahme unterzieht. Vgl.: Moses Mendelssohn: „Or Lanetiwah“, Übersetzung von Werner Weinberg, in: Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften: Jubiläumsausgabe 9.1: Schriften zum Judentum III.1, Stuttgart 1993, 1–96, hier: 55 f. Zu Blitz und Witzenhausen siehe Marion Aptroot: „In galkhes they do not say so, but the taytsh is as it stands here.“ Notes on the Amsterdam Yiddish Bible Translations by Blitz and Witzenhausen, in: Studia Rosenthaliana 27 (1993), 136–158. 7 Siehe z. B. Bachmann-Medick, Kulturanthropologie und Übersetzung (Anm. 4); dies.: Translation – A Concept and Model for the Study of Culture, in: Travelling Concepts for the Study of Culture, hg. von Birgit Neumann/Ansgar Nünning, Boston 2012 (Concepts for the Study of Culture 2), 23–43.

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le Aushandeln bezog sich also auf eine Auseinandersetzung sowohl mit der eigenen Tradition als auch mit der nichtjüdischen Umwelt. Die Transformation des Judentums im Zuge von Aufklärung und Emanzipation ist insofern ein anschauliches Beispiel für das heuristische Potential der Konzepte einer kulturellen Übersetzung nicht nur zur Beschreibung interkultureller Beziehungen (Juden und Nichtjuden), sondern auch zur Erfassung binnenkultureller Diskurse im Zuge der Modernisierung (traditionelle Werte und neue Vorstellungen).8 Jüdische Kinderbibeln als ein Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses sind aber auch konkrete manifeste Textzeugen und präsentieren daher genauso eine sprachliche Übersetzung und stehen somit für eine eigene situationsbedingte Hermeneutik, die sich auch auf die Übersetzungspraxis niederschlug und die sich linguistischdeskriptiv erfassen lässt. Im Folgenden wird deshalb zunächst der vielschichtige Begriff der Übersetzung in diesem Zusammenhang etwas näher konturiert. Darüber hinaus wird, ausgehend von der Annahme, dass die materielle Präsentation einer Übersetzung integraler Bestandteil des Übersetzungs- und Transformationsprozesses ist,9 der Frage nachgegangen, was sich über den mit den jüdischen Kinderbibeln zusammenhängenden Übersetzungsprozess aus dieser Perspektive aussagen lässt.

3 Die Bibel übersetzen für jüdische Kinder: kulturelle, intralinguale und interlinguale Übersetzung Die Verfasser von Kinderbibeln als Akteure dieses kulturellen Übersetzungsprozesses waren meist Pädagogen, also Autoren, deren tägliches Brot es war, ganz konkret Wissen und Werte an ein kindliches Publikum zu vermitteln. Andererseits gehörten sie selten zu den großen und bekannten Namen der jüdischen Geschichte und sind heute oftmals vergessen. Gerade zu Beginn der Gattung finden wir zudem meist Männer (es gibt kaum Verfasserinnen von Kinderbibeln), die sich ihr Wissen neben der traditionellen jüdischen Erziehung im Selbststudium oder auf mehr oder weniger außergewöhnliche Art angeeignet hatten. Peter Beer (ca. 1758–1838) beispielsweise, der Verfasser der ersten jüdischen Kinderbibel,10 studierte an traditionellen Jeschivot in Prag und Bratislava, lernte aber außerdem Deutsch und Latein bei dem katholischen Priester seiner böhmischen Heimat8 „Kultur als Übersetzung bedeutet hier jedoch nicht bloß eine anti-essentialistische Metapher, sondern bezeichnet vor allem die Existenz kulturinterner Gegendiskurse, Diskussionsformen von Widerstandshandlungen und heterogener Diskursräume innerhalb einer Gesellschaft.“ – Bachmann-Medick, Kulturanthropologie und Übersetzung (Anm. 4), 162. 9 Dies in Anschluss an Torop/Osimo, nach denen die Erfassung der textlichen und medialen Präsenz einer Übersetzung die erste Stufe zur Beschreibung eines Übersetzungsprozesses bilden, siehe Peeter Torop/Bruno Osimo: Historical Identity of Translation: From Describability to Translatability of Time, in: Trames 14 (2010), 383–393, hier: 385. 10 Hierzu s. u. S. 178–192.

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stadt. Später besuchte er als einer der ersten Juden der Habsburger Monarchie die Hauptmusterschule St. Anna in Wien, die er mit einer Prüfung abschloss, um als Lehrer an den sogenannten Normalschulen in der Habsburger Monarchie zu unterrichten.11 Gerade aber weil die Verfasser nicht zur jüdischen Elite ihrer Zeit gehörten, lässt sich die Perspektive auf die Transformation der jüdischen Bevölkerung in den deutschsprachigen Ländern erweitern und vertiefen. Betrachtet man die Schriften dieser weitgehend unbekannten Autoren, so bieten sie Einblicke in grundlegende Vermittlungsprozesse neuer Ideen jenseits elitärer Diskussionen. Es lassen sich sozusagen „Popularisierungsstrategien“ identifizieren und analysieren, wodurch wiederum deutlich gemacht werden kann, auf welche Art und Weise neue Vorstellungen und Werte fern von hochgebildeten Zirkeln und Schlüsselfiguren aufgegriffen, transformiert und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurden. Die Transformation des deutschsprachigen Judentums im 18. und 19. Jahrhundert wird damit in kleineren Kommunikations- und Interaktionsräumen greif- und beschreibbar. Hinsichtlich der Hebräischen Bibel ist wohl offenkundig, dass es sich nicht um ein Kinderbuch handelt, schon gar nicht im Kontext des deutschsprachigen Judentums im 18.–19. Jahrhundert, und zwar vor allem deswegen, weil sich viele Texte aus verschiedenen Gründen nicht für ein kindliches Lesepublikum zu eignen scheinen: Neben Erzählungen ohne formalen Anfang oder Ende und solchen ohne nachvollziehbares Narrativ finden sich widersprüchliche Geschichten, Texte voller Gewalt und schließlich Texte mit Themen wie z. B. Sexualität, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts als für Kinder unschicklich galten. Es ist daher deutlich, dass gerade diese Aspekte der Hebräischen Bibel als Herausforderung für die Erstellung jüdischer Kinderbibeln gelten müssen, und die nähere Betrachtung bestätigt diese Vermutung. Die jüdischen Kinderbibeln unterscheiden sich von der kanonischen Hebräischen Bibel auf vielerlei Weise. Zunächst enthalten sie meist nur Auszüge aus dem biblischen Text, sind also Auswahlbibeln und keine Vollbibeln. Ein erster Schritt der Überarbeitung und Popularisierung der Hebräischen Bibel für Kinder ist daher die Auswahl der präsentierten Texte. Die meisten Autoren legten dabei einen Schwerpunkt auf die narrativen Teile der Hebräischen Bibel. Poetische Texte, Prophetentexte oder Gesetzesverordnungen fanden kaum oder in wesentlich geringerem Anteil Eingang in die Textsammlungen. Aus einer solchen Bestandsaufnahme lässt sich bereits einiges über die Intention der Autoren aussagen, die offenkundig in erster Linie an der Vermittlung historischen Wissens interessiert waren und auf eine umfassende Unterweisung in anderen biblischen Inhalten 11 Zur Biographie Beers siehe Louise Hecht: Art. Beer, Peter, in: YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe, 2010 (http://www.yivoencyclopedia.org, letzter Zugriff am 28. 06. 2016); ausführlicher dies.: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758– 1838), Köln u. a. 2008 (Lebenswelten osteuropäischer Juden 11).

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oder Formen weniger Wert legten. Eine repräsentative Abbildung des biblischen Kanons war dabei also kaum von Belang und bildet keine normative Grenze. Neben einer begrenzenden Auswahl an Primärtexten (die im Übrigen meist chronologisch angeordnet werden und auch dadurch die traditionell vorgegebene Anordnung sprengen) kann der Kanon dabei auch durch andere Formen der Zusammenstellung aufgebrochen werden. Immanuel Moritz Neumann (ca. 1778–1865) beispielsweise ordnete in seiner Chrestomathie aus dem Pentateuch die Texte einer ganz neuen Struktur unter, die die Fünfteilung der Bücher in eine Vierteilung unter neuen Überschriften abändert.12 Andere Autoren wiederum nehmen Texte aus apokryphen Büchern auf.13 Allein durch Auswahl und Zusammenstellung der Texte wird die herkömmliche Form der Hebräischen Bibel also bereits transformiert. Die Sammlungen biblischer Texte sind mit Deckblättern versehen und durch Peritexte wie beispielsweise Widmungen, Einleitungen und später auch Inhaltsangaben ergänzt. Ein weiterer Schritt im Übersetzungsprozess besteht also in einer Rahmung der Sammlung als Ganzes, die den neuen Referenzrahmen der Texte und damit auch die Vermittlungsintention und den Rezeptionsrahmen bestimmt. Die Deckblätter der Kinderbibeln enthalten meist sehr ausführliche Titelangaben, die Zweck und Zielpublikum der Sammlung ebenso enthalten wie Namen und Beruf der Verfasser. Die traditionelle Einteilung des Textes in Paraschen (Wochenabschnitte) ist zugunsten kleinerer Erzähleinheiten aufgebrochen, und diese einzelnen Geschichten wiederum sind mit Peritexten wie Überschriften, einleitenden Gedichten oder Sprüchen, Fußnoten und Kommentaren und Ähnlichem versehen. Diese peritextuellen Signale tragen wie die sich auf die Sammlung als Ganzes beziehenden Peritexte dazu bei, das Verständnis und die Interpretation der Texte zu lenken. Auswahl, Zusammenstellung, Rahmung und Aufbereitung stellen die biblischen Texte also in einen neuen kulturellen Zusammenhang, der wiederum die Rezeption des Textes bestimmte. Im traditionellen Cheder war die Bibel vor allem mündlich präsent gewesen: Der Lehrer hatte die Verse Wort für Wort in Originalsprache und in Übersetzung (Hebräisch – Jiddisch) vor-, und die Kinder hatten sie ihm nachgesprochen. Es war dabei also vorrangig um ein Memorieren und nicht um ein grundsätzliches Verständnis des Textes gegangen.14 Mit der auf12 Immanuel Moritz Neumann: Auszug aus den Büchern Mose. Für die Schüler der königl. Wilhelms-Schule bearbeitet […], Breslau 1816. 13 Siehe beispielsweise Joseph Maier: Lehrbuch der Biblischen Geschichte, als Einleitung zum Religionsunterricht in israelitischen Schulen. Nebst einem Anhang: Die Schicksale der Israeliten während der Dauer des zweiten Tempels, Frankfurt am Main 1828; Baruch Flehinger: Erzählungen und Belehrungen aus den Heiligen Schriften der Israeliten, nebst einem Anhange: Begebenheiten in den Tagen Mathithjahu’s und seiner Söhne. Dargestellt für die reifere israelitische Jugend, Darmstadt 1842 und andere. 14 Siehe z. B. auch die Kritik an dieser Methode in der Vorrede Peter Beers. Deutsche Übersetzung von Rainer Wenzel in: „Lerne Vernunft! “ Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tra-

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klärerischen Reform der jüdischen Erziehung und dem Entstehen der Gattung Kinderbibel änderte sich das: Die mündliche Präsenz des Textes wurde durch ein Lehrbuch und damit durch eine schriftliche Präsenz abgelöst, die sich in Aussehen und Aufmachung am zeitgenössischen Buchmarkt orientierte,15 und die es ermöglichte, immer wieder zu den Texten zurückzukehren und nachzulesen. Dieses Verweilen beim Text ist ein Aspekt, den die Autoren in ihren Vorreden immer wieder betonen. Peretz (Peter) Beer beispielsweise empfiehlt in seiner Vorrede zum Sefer Toledot Israel („Buch der Geschichte Israels“, 1796) sich so lange mit einer Erzählung zu beschäftigen, bis sie „in seinem [d. i. des lesenden Schülers – DMS] Herzen eingewurzelt ist.“ Dies sei der Fall, wenn der Schüler die Erzählung in eigenen Worten nacherzählen könne.16 Und Moses Mordechai Büdinger (1783–1841) rät zum Gebrauch seines „Weg des Glaubens“ (1823): „Nur wenig auf ein Mal, und das Wenige ganz durch Fragen und Wiederholen erschöpft.“17 Die transmediale Verschiebung in der Manifestation des biblischen Textes – vom mündlich repetierten Wortlaut über die schriftliche Präsentation zum verinnerlichten Verständnis einer Textbotschaft – steht also für einen deutlichen Paradigmenwechsel in der pädagogischen Auseinandersetzung mit dem Ausgangstext und für eine „Umformung der zielseitigen Lesekultur“.18 dition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760–1811, hg. von Uta Lohmann/Ingrid Lohmann, Münster u. a. 2005, (Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland 6), 455–457, hier: 457. 15 Dies wird auch daran deutlich, dass Autoren gerne die Kosten als Grund für eine beschränkte Auswahl an vermitteltem Stoff angeben. Siehe z. B. Josef Johlson: Toledot Avot. Chronologisch geordnete biblische Geschichte in der Ursprache der heiligen Schrift. Hebräisches Lesebuch mit etymologischen Bemerkungen, Paradigmen und erklärendem Wortregister, Frankfurt am Main 1820, IX. 16 Peretz [Peter] Beer: ‫ והוא ספור כולל כל הקורות אשר קרו לכלל עם ישראל מיום ברא‬.‫ספר תולדות ישראל‬ ‫ ובין כל פרק ופרק נרמזו לתועלת המלמדים ותלמידיהם רמזי‬.‫יי אלהים את האדם עד שוב ישראל מגלות בבל ירושלימה‬ .‫ ונוסף עליו קצור כללי דקדוק קריאת לשון עבר למען יבינו המלמדים ויספרו לתלמידיהם‬.‫מדות טבות ומוסר השכל‬ ‫וגם הנהגות טובות אשר יתנהג בהם הנער כל היום מקומו עד שכבו לתועלת נערי בני ישראל ומוריהם מנחה היא נתונה‬ ‫מאת אוהביהם‬. („Buch der Geschichte Israels. Das ist eine Erzählung enthaltend alle Ereignisse, die dem ganzen Volke Israel widerfuhren, vom Tage, an dem YY, Gott, den Menschen erschaffen, bis zur Rückkehr Israels aus dem Exil in Babel nach Jerusalem. Zwischen den einzelnen Kapiteln werden zum Nutzen der Kinderlehrer und ihrer Schüler Hinweise zur Tugend und moralische Lehre gegeben. Zusätzlich gibt es eine kurze Abhandlung über die Grammatikregeln zum Lesen der hebräischen Sprache, damit die Kinderlehrer verstehen und an ihre Schüler weitergeben. Sowie gute Verhaltensweisen, nach denen der Knabe sich den ganzen Tag benehmen soll vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Zum Nutzen der Erziehung der Kinder Israels und ihrer Lehrer, ein Geschenk gegeben von denen, die sie lieben“), Prag 5556 [1796]. Im Folgenden zitiert als Peretz Beer: Sefer Toledot Israel. 17 Moses Mordechai Büdinger: Derekh Emuna. Der Weg des Glaubens, oder kleine Bibel: enthaltend einen vollständigen Auszug aus den Büchern der heiligen Schrift; zunächst für israelitische Frauen und Mädchen, und mit Rücksicht auf den Unterricht in der Religion und Sittenlehre bearbeitet, Stuttgart 1823, X. 18 Armin Paul Frank/Harald Kittel: Der Transferansatz in der Übersetzungsforschung, in: Die literarische Übersetzung in Deutschland. Studien zu ihrer Kulturgeschichte in der Neuzeit, hg. von Armin Paul Frank/Horst Turk, Berlin 2004, 3–68, hier: 20.

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Auch die in die Kinderbibeln aufgenommenen Geschichten selbst sind oftmals verändert: Gerade in der Frühphase der Gattung finden sich eher paraphrasierende Nacherzählungen als dem Wortlaut des biblischen Originals folgende Übersetzungen. Dabei sind die Erzählungen in den ersten Textsammlungen entweder zweisprachig auf Hebräisch und Deutsch (gedruckt in hebräischen Buchstaben)19 oder nur auf Hebräisch20 verfasst. Ab den frühen 1820er Jahren schließlich fand auch hier ein Paradigmenwechsel statt, und die Kinderbibeln erschienen vornehmlich auf Deutsch und in deutschen Buchstaben gedruckt.21 In den hebräischsprachigen Fassungen der biblischen Erzählungen der Kinderbibeln ist die Sprache darüber hinaus oftmals vereinfacht, entweder durch paraphrasierendes Nacherzählen oder aber auch durch eine vereinfachende Bearbeitung der Syntax – die hebräischen Texte wurden also auch sprachlich für das Lesepublikum aufbereitet und damit intralingual übersetzt.22 Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit längeren Abfolgen von nicht durch sprachliche Signale hierarchisierten Hauptsätzen im biblischen Vorlagentext, die in den Textfassungen der Kinderbibeln oft in ein Gefüge aus Nebensätzen übersetzt und durch Konjunktionen in klare logische Bezüge gebracht wurden. Manche Autoren bedienten sich auch der Methode der Collage, indem sie ihre Erzählungen aus Versatzstücken biblischer Verse zusammensetzten. Diese Vereinfachungen und Veränderungen des Wortlauts der Hebräischen Bibel verdeutlichen, dass die unbedingte Bewahrung des (konzeptionell in großen Teilen des Judentums ja immerhin heiligen und autoritativen) Buchstabentextes kein maßgebendes Kriterium der Übertragung war, und somit die Wörtlichkeit des Textes ebenso wie die formgetreue Repräsentation des Kanons keine normative Grenze für die Über19 Beer, Sefer Toledot Israel (Anm. 16); Moses Samuel Neumann: Sefer ha-Jaschar we-haBerit […] [Deutsch in hebr. Lettern:] Erzählungen und Hauptlehren der Heiligen Geschichte. […] Moral und Sittensprüche […], Wien 1821. 20 Immanuel Moritz Neumann: Auszug aus den Büchern Mose (siehe oben, Anm. 12); ders: Des Hebräischen Elementarbuches zweiten Theiles zweite Abtheilung. Enthaltend einen Auszug aus den historischen Büchern des alten Testamentes, JoRich. d. BB Sam. Könige (mit eingeschalteten Zusätzen aus den BB d. Chr.) Esra, Esther und Nehemia. Der Hebräischen Chrestomathie zweiter Theil. Breslau 1817; Johlson, Toledot Avot (Anm. 15). 21 Die ersten nur in deutscher Sprache verfassten Kinderbibeln waren die folgenden: Heimann Schwabacher: Das Geschichtliche der Bibel, mit moralischen Anmerkungen und Aufsätzen, ein Lesebuch für die reifere Jugend, Fürth 1822; Isaak Markus Jost: Neue Jugend-Bibel, enthaltend die religiösen und geschichtlichen Urkunden der Hebräer, mit sorgfältiger Auswahl für die Jugend, übersetzt und erläutert. T. 1: Die fünf Bücher Mose, Berlin 1823; Büdinger, Derekh Emuna (Anm. 17). 22 Der Begriff wird hier verwendet, um Transformationen vom Ausgangstext zum Zieltext innerhalb derselben Sprache zu bezeichnen und folgt der Bestimmung durch Erich Prunč (nach Jacobsohn). Demnach liegt eine intralinguale Übersetzung dann vor, „wenn Sprachzeichen durch andere Sprachzeichen derselben Sprache interpretiert und/oder wiedergegeben werden.“ – Prunč, Entwicklungslinien (Anm. 1), 34. Zu dem Begriff der intralingualen Übersetzung siehe auch Radegundis Stolze: Übersetzungstheorien. Eine Einführung, 6., überarb. und erw. Aufl., Tübingen 2011, 14; 45.

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tragung der Bibel für Kinder darstellte.23 Bemerkenswerterweise widerspricht diese Beobachtung der Selbstpräsentation mancher der Autoren dieser Kinderbibeln, die gerade die Ursprünglichkeit ihrer Texte beziehungsweise der verwendeten Sprache betonten. So weist zum Beispiel Immanuel Moritz Neumann darauf hin, sein Buch sei „in der Schrift von der Hand G.s24 und in der Sprache, in der die Propheten sprachen“ verfasst, Josef Johlson rühmt sich in seinem Vorwort, sein Werk sei „in der reinen unveränderten Sprache der heiligen Urkunden“ geschrieben, und Hermann Engländer gibt an, seine Kinderbibel biete „[d]ie Geschichte der heiligen Schrift […] im biblischen Urtexte“.25 Neben dem Phänomen einer intralingualen Übersetzung vieler jüdischer Kinderbibeln (Hebräisch–Hebräisch) steht die interlinguale Übersetzung zwei- oder rein deutschsprachiger Ausgaben (Hebräisch–Deutsch), wobei in den meisten Fällen eine Orientierung an der Zielsprache Deutsch vorliegt. Wie bereits erwähnt, sind die einzelnen Erzählungen in den Kinderbibeln oftmals von Kommentaren begleitet, denen ebenso wie weiteren Peritexten eine rezeptionsleitende Funktion zukommt, etwa indem bestimmte Lehren, die aus den Erzählungen zu ziehen seien, benannt oder aber Schwerpunkte der Interpretation besonders hervorgehoben werden. Jüdische Kinderbibeln als Ausdruck und Medium der jüdischen Modernisierung sind damit ein herausragendes Beispiel dafür, dass sich Kulturen in und durch Übersetzung konstituieren.26

4 Peretz Beers Sefer Toledot Israel als Projekt und Ausdruck kultureller Übersetzung Im Folgenden sollen nun die vorstehenden Beobachtungen an einem konkreten Beispiel erläutert werden, nämlich an Peretz Beers Sefer Toledot Israel („Das Buch der Geschichte Israels“), der 1796 in Prag erschienenen ersten jüdischen Kinderbibel. Das Deckblatt gibt eine ausführliche Angabe über Inhalt, Zweck, Zielpublikum sowie Autor des Buches und ermöglicht damit eine genauere Bestimmung des Kontextes von Beers Bibelbearbeitung. Demzufolge ist das Buch für Melammedim – Kinderlehrer im Cheder – und ihre Schüler gedacht. Als Ort 23 Zur Heiligkeit des Buchstabentextes siehe den Beitrag von Hanna Liss in diesem Band (S. 19–32). 24 Wörtlich: „‫“'הכל בכתב מיד ה‬. 25 Immanuel Moritz Neumann, Auszug aus den Büchern Mose (Anm. 12); Johlson, Toledot Avot (Anm. 15), IX; Hermann Engländer: Sefer Korot Israel. Die Geschichte der heiligen Schrift von Entstehung der Welt bis zur Zerstörung Jerusalem’s, im biblischen Urtexte; nebst einer treuen deutschen Übersetzung, Bezeichnung der Stammwörter und moralischen Anwendungen. Erster Theil, Wien 1837. 26 Siehe z. B. Bachmann-Medick, Kulturanthropologie und Übersetzung (Anm. 4), 162. Siehe auch Boris Buden u. a.: Cultural Translation. An Introduction to the Problem, and Responses, in: Translation Studies 2 (2009), 196–219, hier: 204.

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der Beschäftigung mit der Bibel wird also zunächst weiterhin der traditionelle in den Blick genommen. Die Art und Weise des Unterrichtes aber wird bereits in veränderter Weise konzeptionalisiert: Beer hebt auf dem Deckblatt hervor, dass den einzelnen Kapiteln Anmerkungen zur Tugend und moralische Schlussfolgerungen sowie Verhaltensregeln beigefügt seien.27 Damit verbindet er einerseits von Anfang an seine Hermeneutik mit dem zeitgenössischen Diskurs über Religion, in dem es der aufklärerischen Vorstellung von der Perfektibilität des Menschen zufolge vor allem um die sittliche Verbesserung und die moralisch-praktische Anwendbarkeit von Religion ging. Andererseits nennt er aber auch den Aspekt der sozialen Disziplinierung und damit einen wichtigen Bereich der aufklärerischen Erziehungsvorstellungen. Darüber hinaus betont Beer den Gebrauch des Buches als hebräische Sprachlehre und nimmt damit auf diejenige Aufgabe Bezug, die traditionellerweise mit der Bibellektüre verbunden wird, nämlich die Alphabetisierung jüdischer Kinder und die Vermittlung der hebräischen Sprache. Die Bestimmung auf dem Titelblatt präsentiert also sowohl inter- als auch binnenkulturelle Faktoren als Referenzrahmen der vorliegenden Bibelbearbeitung. Weitere wichtige Aufschlüsse ergeben sich aus der Selbstpräsentation des Autors auf dem Deckblatt. Beer firmiert dort als „der Normallehrer in Neu-Bidschow“ und damit als Repräsentant des staatlich verordneten und geregelten Erziehungswesens im Rahmen der Autorität hegemonialer Strukturen. Andererseits aber wird zusätzlich auch sein Patronym aufgeführt („Peretz Sohn von Rabbi Jitzchak Beer“) und der Autor damit im Judentum verortet.28 Er macht mittels der Titelsprache also seine „zweifache Mitgliedschaft“29 geltend, die Teilhabe an der modernen wie an der traditionellen Gesellschaftsform. Der Aushandlungsprozess dieser Jahre konkretisiert sich demzufolge ganz unmittelbar an der Person des Autors, der sich beider Autoritätskontexte versichern will (und der interessanterweise weder auf den Titelblättern der Neuauflagen des Sefer Toledot Israel noch auf denjenigen seiner weiteren Werke das Patronym verwendet, wo er stattdessen vorzieht, allein mit seiner Stellung als Lehrer seiner jeweiligen staatlichen Schulen geführt zu werden).30 27 „Zwischen den einzelnen Kapiteln werden zum Nutzen der Kinderlehrer und ihrer Schüler Hinweise zur Tugend und moralische Lehre gegeben […] Sowie gute Verhaltensweisen, nach denen der Knabe sich den ganzen Tag benehmen soll vom Aufstehen bis zum Schlafengehen.“ Zum vollständigen Titel siehe oben, Anm. 16. 28 ‫בבידשאף פרץ בר''י בעער מורה הנארמאלי‬. 29 Zum Begriff der „dual membership“ siehe David B. Ruderman: Jewish Enlightenment in an English Key: Anglo-Jewry’s Construction of Modern Jewish Thought, Princeton, NJ 2000, 217. 30 Eine Ausnahme bildet hier die Auflage des Sefer Toledot Israel Prag 1831. Auch Beers Vorname verändert sich sukzessive: Aus „Peretz Sohn des Rabbi Jitzchak“ auf dem Titelblatt der Erstausgabe des „Sefer Toledot Israel“ (Prag 1796; „Peretz Beer“ in der zweiten Auflage Prag 1810) über „P. Beer“ in seiner Abhandlung „Kos Jeschuʹot“ (1802) bis zu „Peter Beer“ in seinen Werken ab 1810.

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Das Sefer Toledot Israel bietet eine chronologisch angeordnete Nacherzählung der biblischen Geschichte von der Schöpfung bis zur Rückkehr aus dem babylonischen Exil, als deren Grundlage die Bücher Genesis bis Nehemia der Hebräischen Bibel dienen. Die Erzählungen sind in einer hebräischen und einer deutschen Fassung angeführt und werden von einem ausführlichen Kommentar in deutscher Sprache begleitet. Die deutschen Texte von Erzählungen wie Kommentaren sind in hebräischen Buchstaben gedruckt und bieten damit ein weiteres eindrückliches Beispiel für die materielle Repräsentation des Ausbalancierens zwischen jüdischer Tradition und deutscher Kultur bzw. Sprache. Beer selbst begründete die Wahl dieses Schriftbilds im Nachhinein damit, er habe seinerzeit „dem [...] vorurtheilvollen Auge keinen Anstoß“ geben wollen und daher beschlossen, die deutschen Teile in hebräischen Lettern abdrucken zu lassen.31 Was Beer hier beschreibt, ist eine Strategie der Anverwandlung des Fremden in Eigenes, die in der Translationswissenschaft als Domestizierung beschrieben wird, nämlich das kulturell Neue (also die deutschen Texte) in der Form des Altbekannten (nämlich in hebräischer Schrift) zu präsentieren und sich dadurch anzueignen.32 Beer evoziert darüber hinaus durch den Seitenaufbau wie die Wahl der hebräischen Schrifttype eine traditionelle jüdische Studienausgabe, die auch einem traditioneller denkenden Publikum auf den ersten Blick als eine unverfängliche althergebrachte Ausgabe erscheinen musste.33 Anders als der aufgegebene Aspekt der Wörtlichkeit bildete das Schriftbild also in der Frühphase der Gattung offenkundig eine normative Grenze auf der Ebene der binnenkulturellen Übersetzung. Dies änderte sich schlagartig ab 1822, als die erste jüdische Kinderbibel in deutschen Lettern gedruckt wurde.34 In den folgenden Jahren zeigt sich die gewachsene Popularität der Gattung durch das Erscheinen einer Vielzahl von Kinderbibeln, deren Großteil auf Deutsch und in deutschen Buchstaben veröffentlicht wurde. Fast scheint es daher, als habe erst der Fall der durch Schrift und Seitengestaltung bestimmten normativen Grenze der Gattung zum absoluten Durchbruch verholfen. So lassen sich für die Jahre zwischen 1796 und 1821 insgesamt vier im deutschsprachigen Raum veröffentlichte Kinderbibeln feststellen (alle nur in hebräischen Buchstaben gedruckt, selbst wenn sie deutsche Text31 Peter Beer: Geschichte der Juden von ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft bis zur Zerstörung des zweyten Tempels; nach Josephus Flavius zunächst für die jüdische Jugend bearbeitet und mit erläuternden Anmerkungen begleitet, Wien 1808, IX f. 32 Zu dem Begriff der „Domestizierung“ einer Übersetzung siehe Lawrence Venuti: „The aim of translation is to bring back the cultural other as the same, the recognizable, even the familiar.“ – Lawrence Venuti: The Translator’s Invisibility: A History of Translation, London/New York 1995, 19. 33 Hierzu ausführlicher: Dorothea M. Salzer: Zweisprachige jüdische Kinderbibel, oder: Wie die Maskilim die Hebräische Bibel für jüdische Kinder übersetzten, in: trans-lation – transnation – trans-formation: Übersetzen und jüdische Kulturen, hg. von Petra Ernst u. a., Innsbruck 2012, 65–104, hier: 69 f. 34 Schwabacher, Das Geschichtliche der Bibel (Anm. 21).

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anteile enthalten),35 während zwischen 1822 und 1847 – also in einem gleichlangen Zeitraum – mindestens 17 erschienen, darunter viele in mehreren Auflagen. Als Textbeispiel für die Analyse des Zusammenspiels von intralingualer und interlingualer Übersetzung sowie deren Ausdeutung im Kommentar wird im Folgenden Beers Fassung des Dekalogs (Ex 20,2–17) herangezogen. Der Dekalog bildet im Sefer Toledot Israel ein eigenes Kapitel, das entsprechend dem biblischen Narrativ nach der Erzählung eingefügt ist, die von den Wundern der Wüstenwanderung und von der Ankunft am Sinai berichtet. Optisch ist der Dekalog vom restlichen Text des Werkes dadurch abgehoben, dass die einzelnen Gebote fortlaufend nummeriert sind, im hebräischen Text mit hebräischen Buchstaben und im deutschen mit arabischen Ziffern.36 Auch diese optische Aufbereitung ist als Mittel der Übersetzung zu deuten, da sie den Dekalog als einen besonderen Text markiert und hervorhebt. Gleichzeitig wird durch die Nummerierung eine Rezeptionshilfe für die Kinder geschaffen, die einerseits die Struktur des Textes betont und andererseits das Memorieren des Textes erleichtert. Im Unterschied zu den erzählenden Kapiteln des Sefer Toledot Israel, die als Paraphrasen gestaltet sind, finden sich in der Repräsentation der Zehn Gebote keine von Beer eigenständig formulierten Textbausteine. Der Text ist vielmehr eine Zusammenstellung von biblischen Zitaten aus Ex 20, die teilweise allerdings leicht modifiziert wurden:37 deutsche Fassung 1) Ich bin der Ewige, dein Gott, der ich dich aus dem Hause der Sklaven – nämlich dem Lande Mizraim – heraus geführt habe [Ex 20,2].

hebräische Fassung ‫א( אנכי יי אלהיך אשר הוצאתיך מארץ‬ .‫מצרים מבית עבדים‬

2) Du sollst keine anderen Götter haben {ne‫ב( לא יהיה לך אלהים אחרים לא תעשה‬ . ‫לך פסל תמונת כל אשר בשמים ממעל‬ ben mir}, du sollst dir kein Götzenbild nach ‫ואשר בארץ מתחת ואשר במים מתחת לארץ‬ der Gestalt eines Dinges, so oben im Him.‫להשתחות להם ולעבדם‬ mel, oder unten auf der Erde, oder auch im Wasser unter der Erde ist [Ex 20,3 f.], machen, es anzubeten, oder gottesdienstlich zu verehren [nach Ex 20,5].

35 In die Rechnung nicht einbezogen, da in keiner Bibliothek nachweisbar, ist hier die Bearbeitung der Mendelssohn-Übersetzung für Schulen von Jeremias Heinemann: Die heilige Schrift: Tora, Newiim, Kesubim in einer deutschen Übersetzung aus dem Grundtext. Herausgegeben von J. Heinemann, vormaligen Konsitorialrath. Erster Theil: Tora die fünf Bücher Mose. (Mit Grundlegung der M. Mendelssohnschen Übersetzung). Ausgabe für Schulen, Berlin: Beim Herausgeber und in der Maurerschen Buchhandlung, 5576 (1815). 36 Beer, Sefer Toledot Israel (Anm. 16), Kap. 17, 64–83. 37 Bibelzitate sind kursiviert, geschweifte Klammern kennzeichnen Auslassungen im Bibeltext; Zusätze oder Umformulierungen in Beers Textfassung erscheinen in Normalschrift.

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deutsche Fassung

hebräische Fassung

3) Du sollst den Namen des Ewigen, deines Gottes, nicht zum Unnützen aussprechen [Ex 20,7].

.‫ג( לא תשא את שם יי אלהיך לשו‬

4) Erinnere dich des Ruhetages, ihn zu heiligen [Ex 20,8]; du sollst dann nicht das mindeste Handwerk verrichten {du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der innerhalb deiner Tore wohnt} [Ex 20,10].

‫ד( זכור את יום השבת לקדשו לא תעשה בו‬ .‫כל מלאכה‬

5) Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst [Ex 20,12].

.‫ה( כבד את אביך ואת אמך למען יאריכון ימיך‬

6) Du sollst nicht morden [Ex 20,13].

.‫ו( לא תרצח‬

7) Du sollst nicht Ehe brechen [Ex 20,14].

.‫ז( לא תנאף‬

8) Du sollst nicht stehlen [Ex 20,15/ Dtn 5,19].

.‫ח( לא תגנוף‬

9) Du sollst wider deinen Nächsten nichts aus sagen, als ein falscher Zeug [Ex 20,16]. 10) Du sollst an nichts eine Begierde haben, was deinem Nächsten zugehört [Ex 20,17].

.‫ט( לא תענה ברעך עד שקר‬

.‫י( לא תחמוד את כל אשר לרעך‬

Die Modifizierungen, welche Beer in den Zitaten aus der Hebräischen Bibel vornimmt, sind vornehmlich Kürzungen des Textes. Nur an wenigen Stellen finden sich daneben Überarbeitungen des grammatischen Ausdrucks, entweder im Interesse der semantischen Explikation oder der Erleichterung der Syntax. Sie stellen somit Beispiele für intralinguale Übersetzung dar. In Beers Fassung des Zweiten Gebots finden sich Beispiele für beide der erwähnten Strategien. Zunächst wird bei der Formulierung des Fremdgötterverbots die Phrase „neben mir“ weggelassen, so dass sich nur das verkürzte Verbot findet „Du sollst keine anderen Götter haben“. In der Fortsetzung dieses Gebots, dem Bilderverbot, findet sich zudem eine intralinguale Übersetzung in der Form einer Modifizierung des hebräischen Ausdrucks:38

38

Die Übersetzung von Beers hebräischer Fassung stammt an dieser Stelle von der Verfasserin. Zu Beers eigener deutscher Übertragung der Passage siehe das vorhergehende Beispiel.

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MT Ex 20,3–5a

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Beer

‫לא יהיה לך אלהים אחרים‬ ‫לא יהיה לך אלהים אחרים על ּפני׃‬ ‫לא תעשה לך פסל תמונת כל אשר בשמים ממעל‬ ‫לא תעשה לך פסל וכל תמונה אשר בשמים ממעל‬ ‫ואשר בארץ מתחת ואשר במים מתחת לארץ׃‬ ‫ואשר בארץ מתחת ואשר במים מתחת לארץ‬ ‫לא תשתחוה להם ולא תעבדם‬ ‫להשתחות להם ולעבדם‬ MT Ex 20,3–5a Beer Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Götzenbild machen und keine Gestalt dessen, das oben im Himmel oder das unten auf der Erde noch von dem, das im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und sie nicht anbeten.

Du sollst keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Götzenbild der Gestalt all dessen machen, das oben im Himmel, oder das unten auf der Erde, oder auch im Wasser unter der Erde ist, um dich vor ihnen niederzuwerfen und sie anzubeten.

In Beers Fassung erscheint die etwas schwierige Syntax der biblischen Formulierung ‫„( לא ]…[ פסל וכל תמונה אשר‬kein Götzenbild, und keine Gestalt dessen, das“) aus Ex 20,4 in vereinfachter Form: Das Wort ‫„ תמונה‬Gestalt, Darstellung, Form“, das biblisch im status absolutus steht, ist bei Beer in die entsprechende Form des constructus gesetzt, die Stellung des Nomens ‫ כל‬ist verändert, und das damit verbundene waw copulativum entfällt. So entsteht eine wesentlich leichter zu deutende Genitivverbindung ‫„( פסל תמונת כל אשר‬ein Götzenbild der Gestalt all dessen, das“). Diese Veränderung des Textes entspricht exakt der Interpretation dieser Stelle durch den mittelalterlichen Kommentator Raschi (Schlomo ben Jizchak, 1040–1105).39 Traditionell wurde die Bibel oft zusammen mit dem Kommentar Raschis gelernt, und auch für Mendelssohn war Raschi wegen seiner Orientierung am Wortsinn der Bibel ein erklärtes Vorbild.40 Beer nutzt die intralinguale Übersetzung hier also, um eine traditionell anerkannte wie zugleich zeitgemäß erscheinende Auslegung der Stelle direkt in seine Textfassung des Gebotes einzuschreiben. Auch der Abschluss des Zweiten Gebots ist bei Beer gegenüber dem Masoretischen Text verändert. Aus dem langen biblischen Vers Ex 20,5 führt er nur den ersten Teil an und verzichtet auf die Strafandrohung des zweiten Versteiles. Allerdings verändert er diesen verbliebenen Ausschnitt ebenfalls, indem er eine andere grammatische Struktur für ihn wählt. Beer ersetzt den Prohibitiv des Masoretischen Textes durch Infinitivformen der entsprechenden Verben, lässt demgemäß die Verneinungspartikel ausfallen und erhält auf diese Weise einen Finalsatz. Aus dem biblischen Verbot ‫„( לא תשתחוה להם ולא תעבדם‬du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen, und du sollst sie nicht anbeten“) wird so der vom 39

Akronym für Rabbi Salomo ben Jitzchak (ca. 1040–1105). Hierzu siehe Michael A. Meyer u. a. (Hgg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit: Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 1996, 289. 40

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vorangehenden Verbot abhängige Nebensatz ‫„( להשתחות להם ולעבדם‬um dich vor ihnen niederzuwerfen und sie anzubeten“). Diese Veränderung der Syntax in einen Finalsatz bewirkt allerdings eine inhaltliche Einschränkung. Als Folge der Syntaxänderung ist nämlich in Beers Darstellung nicht allgemein das Anfertigen von Abbildungen verboten, sondern deutlicher das Herstellen von Bildern zum Zwecke des Götzendienstes. Beer erzeugt hier also eine subtile Unterscheidung zwischen dem (durch das Verbot nicht erfassten) Herstellen von Abbildungen, wie etwa im Falle von Kunstwerken, und dem (verbotenen) Herstellen von Götzenbildern. Die intralinguale Übersetzung dient in diesem Beispiel also deutlich der Auslegung des Gebotes in einem erleichternden Sinn, in deutlicher Abkehr von einem bedeutenden Strom der jüdischen Tradition, nach dem bildliche Darstellungen schlechthin verboten waren. Einige der im Zuge der intralingualen Übersetzung vorgenommenen Verkürzungen des biblischen Textes sind signifikant, da sie eine deutliche semantische Fokussierung darstellen. Bei der Wiedergabe des Vierten Gebots, dem Gebot des Ruhetages, verzichtet Beer durch das Auslassen von Ex 20,9 („Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun“) auf einen Hinweis, dass es sich hier um den siebenten Tag und damit um einen bestimmten wöchentlich begangenen Ruhetag handelt. Darüber hinaus fehlt durch das Auslassen von Ex 20,1141 die schöpfungstheologische Begründung für diesen Ruhetag. Während in der hebräischen Fassung des so verkürzten Gebotes dessen Bedeutung durch den terminus technicus „Schabbat“ noch klar erkennbar ist, geht diese Konnotation in der interlingualen deutschen Fassung des Gebotes verloren, da das semantische Feld des Begriffes „Ruhetag“ sich nicht vollkommen mit demjenigen von „Schabbat“ deckt. Die Formulierung „Erinnere dich des Ruhetages, ihn zu heiligen“ enthält daher keinen spezifischen Hinweis auf die jüdische Prägung des Ruhetages. Das Zusammenspiel von intralingualer und interlingualer Übersetzung führt also zu einer Interpretation mit universaler Ausrichtung, weil sich in der deutschen Textversion das Gebot auch auf andere, eventuell sogar nichtjüdische Ruhe- und Feiertage beziehen könnte.42 Generell ist in Bezug auf die interlinguale Übersetzung der Zehn Gebote zunächst festzuhalten, dass Beer sich hier enger an der hebräischen Textversion orientiert, als dies bei den erzählenden Kapiteln seiner Kinderbibel zu beobachten ist. Auch das ist ein Kennzeichen für die Sonderstellung, die der Autor dem Dekalog beimisst. Abgesehen von dem Füllwort „nämlich“ im ersten Satz gibt es keine Erweiterungen im deutschen Text, denen eine Entsprechung im hebräischen Text fehlt. Seine Ergänzung im hebräischen Text des Vierten Gebots – ‫„( בו‬an 41 „Denn in sechs Tagen schuf YHWH den Himmel und die Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag; darum segnete YHWH den Tag des Schabbats und heiligte ihn.“ 42 Diese semantische Fokussierung findet ihren Fortgang auch im Kommentar zum Schabbat, siehe unten S. 187 f.

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ihm“) – übersetzt Beer als „dann“, drückt also den relativen Bezug im Deutschen mit einem Temporaladverb aus. Sowohl im hebräischen als auch im deutschen Text dient dies der Verdeutlichung des syntaktischen Zusammenhangs. Auffällig ist die fehlende Übereinstimmung des Numerus in Beers Übersetzung seiner Bearbeitung von Ex 20,5: Während sich im hebräischen Text der Finalsatz auf die Aufzählung der Dinge bezieht, von denen man sich kein Abbild anfertigen soll, und daher die Pluralform „um sich vor ihnen zu beugen und sie zu verehren“ führt, bezieht sich der Finalsatz im deutschen Text auf das der Aufzählung übergeordnete Nomen „Abbild“ und ist daher als Singular übersetzt („es anzubeten, oder gottesdienstlich zu verehren“). Beer macht also deutlich die Regeln der Zielsprache und nicht die wörtliche Wiedergabe des Ausgangstextes zur Maßgabe seiner interlingualen Übersetzung.

5 Vorbilder und Vorlagen in Beers Kinderbibel als Faktor kulturellen Übersetzens In einigen seiner Übersetzungen der Gebote in die deutsche Sprache orientiert sich Beer sehr stark an Moses Mendelssohns Übersetzung des Dekalogs. So entspricht seine Wiedergabe des Ersten Gebots, von dem Füllwort „nämlich“ abgesehen, der Mendelssohn’schen Übersetzung,43 ebenso wie die Übersetzung der Gebote fünf bis neun. Auch in dem erwähnten veränderten Ausschnitt aus Ex 20,5 greift Beer auf Mendelssohns Übersetzung zurück, und zwar in der Übersetzung des Verbs ‫ עבד‬als „gottesdienstlich verehren“. Der Rückgriff auf den Beʹur, gerade im herausragenden Dekalog, gibt ein beredtes Zeugnis davon, wie sehr das von Mendelssohn initiierte Bibelprojekt für die maskilischen Pädagogen maßgebend war.44 Die Wiedergabe des Wortes ‫„ מלאכה‬Arbeit“ als „Handwerk“ in Ex 20,10 entspricht ebenfalls Mendelssohns Übersetzung des Wortes, ist aber gerade im Zusammenhang der in Beers Fassung vorgenommenen Neuorientierung des Ruhetages (Ex 20,9) bemerkenswert, insofern nicht explizit handwerkliche Arbeiten (wie z. B. der Schulbesuch) möglich scheinen und eine Lockerung der Schabbatruhe impliziert ist, die den Integrationsabsichten der Maskilim entspricht. Beers Kommentar zu den Zehn Geboten ist sehr ausführlich,45 da jedes einzelne der Gebote umfassend kommentiert wird, so dass das Dekalog-Kapitel mit 43 Mendelssohns Bibelübersetzung von Exodus im Rahmen seiner Pentateuchausgabe („Beʹur“) war 1781 erschienen. 44 Auch in anderen jüdischen Kinderbibeln wird der Dekalog in der Übersetzung Mendelssohns angeführt, siehe beispielsweise Moses Samuel Neumann, Sefer ha-Jaschar we-ha-Berit (Anm. 19), 163–164; Büdinger, Derekh Emuna (Anm. 17), 78–80. 45 Den Dekalog in Beers Sefer Toledot Israel behandelt unter anderen Gesichtspunkten auch Tirza Lemberger: Ideologie und Entwicklung im jüdischen Unterrichtswesen vom Toleranzpa-

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19 Seiten das umfangreichste des Bandes ist, wobei der Kommentar ein Vielfaches des eigentlichen Bibeltextes einnimmt. Deutlich wird dabei die Absicht des Verfassers, eine grundlegende Religionslehre zu gestalten, die den Dekalog als Ausgangspunkt einer Art Summe der jüdischen Religion nimmt und dabei zugleich auch den philosophischen und theologischen Diskursen seiner Zeit gerecht wird. Dies äußert sich z. B. in der Verwendung einer universal-religiösen Sprache und der Tendenz, die jüdische Religion als möglichst frei von Partikularismen darzustellen. So verweisen beispielsweise nur etwa 15 % der Kommentareinträge im Dekalog-Kapitel auf dezidiert jüdisch konnotierte Inhalte, indem sie etwa auf spezifisch jüdische Literatur, Begriffe oder Praktiken verweisen. Illustrieren lässt sich diese Strategie unter anderem im Kommentar zum Vierten Gebot, dem Gebot des Schabbathaltens. Die bereits beschriebene semantische Fokussierung des Gebotstextes selbst wird auch im Kommentar fortgeführt, wo jegliche nähere Bestimmung des Schabbats als spezifisch jüdische Ausprägung des wöchentlichen Ruhetages fehlt. Zwar wird im Unterschied zur deutschen Übersetzung des Gebotstextes der Begriff „Schabbat“ angeführt, was eine Festlegung auf den Samstag impliziert, es fehlen aber zum Beispiel jegliche Ausführungen zum Arbeitsverbot, das kurzerhand in ein unspezifisches Ruhen umgewandelt wird: „Das Vierte Gebot befiehlt, den Schabbat und andere Feste zu ehren, und an denselben von der Arbeit aus zu ruhen.“46 Diese Art der Kommentierung steht in deutlichem Widerspruch zur traditionellen Behandlung des Themas, in der gerade die Fragen im Vordergrund stehen, was genau als Arbeit zu werten und unter welchen Bedingungen Arbeit erlaubt sei.47 Traditionell wird der Schabbat im Kreise der Familie begangen, unter anderem auch mit speziellen Segenssprüchen für die Kinder des Hauses, aber auch diesem Aspekt gibt Beer in seinem Kommentar ein neues Gepräge:48 Kinder! Diese Täge haben euere Eltern welche die ganze Woche beschäftigt sind, Muße, und sind bei euch zu Hause; vergilt ihnen ihre große Mühe und Kosten die sie an euch wenden in etwas, […] und hütet euch ja sorgfältig euere lieben Eltern, die diese Täge von ihren Geschäften ausruhen und sich erholen sollen durch euere Ausgelassenheit oder andere Unanständigkeiten zu betrüben; diese Übelthat wäre an diesen, dem Gottesdienste und der Frömmigkeit geweihten Tagen doppelt strafbar.

tent bis zur Konstituierung der Kultusgemeinde in Wien (1782–1852), in: Kairos 32/33 (1990/91), 214–257, hier: 160–163. 46 Beer, Sefer Toledot Israel (Anm. 16), 73. 47 In seinem Religionslehrbuch Dat Israel (1809) allerdings deutet Beer den Schabbat weniger radikal um und geht durchaus auf Schabbatbräuche und Arbeitsverbot ein, so dass der jüdische Charakter des Feiertages erhalten bleibt. – Siehe ders.: Dat Israel. Oder das Judenthum, das ist: Versuch einer Darstellung aller wesentlichen Glaubens- Sitten- und Ceremoniallehren heutiger Juden. Zum Gebrauche bey dem Elementarreligionsunterrichte ihrer Jugend. Nebst einem Anhange für Lehrer, Prag 1809–1810, Teil I, 69–71. 48 Beer, Sefer Toledot Israel (Anm. 16), 73 f.

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Wiederum fehlen spezifisch jüdisch-religiöse Argumentationen, und Beer weist die Kinder vielmehr ausdrücklich darauf hin, ihre erschöpften Eltern nicht zu stören. Weder das Kerzenanzünden am Freitagabend noch der gemeinsame Empfang des Schabbats, der Synagogenbesuch mit Toravorlesung oder aber auch andere Schabbatbräuche wie feierliche Kleidung und Speisen werden erwähnt. Aus dem traditionell gemeinschaftlich im jüdischen Umfeld begangenen Schabbat wird so ein bürgerlicher Ruhetag, an dem die Eltern sich möglichst ungestört von den Kindern von der Mühe der Woche ausruhen können sollen. Der Kommentar führt hier also die Strategien der unter intra- wie interlingualer Perspektive beobachteten kulturellen Übersetzung weiter, indem das jüdisch Partikulare zurückgenommen und im Sinne eines universal geprägten bürgerlichen Verständnisses ausgedeutet wird. Wie oben gezeigt wurde, war Mendelssohns Bibelübersetzung einer der Orientierungspunkte von Beers Arbeit. Der Dekalog-Kommentar zeigt aber auch deutlich den Einfluss von Vorbildern aus der zeitgenössischen christlichen Literatur von Katechismus- und Religionslehren, in denen der Dekalog meist zur Grundausstattung gehörte. Unter den Vorlagen, derer sich Beer diesbezüglich offensichtlich bediente, wobei er bisweilen sogar wörtlich kopierte, sind die damals in den österreichischen Schulen verwendeten Lehrbücher des katholischen Schulreformers Ignaz von Felbiger, der unter Maria Theresia entscheidend an der Umgestaltung des österreichischen Schulwesens beteiligt war49 und der vor allem die Vereinheitlichung des österreichischen Schulwesens zu seinem erklärten Ziel gemacht hatte.50 In Frage kommen dabei aufgrund textlicher Überschneidungen sowohl Felbigers Großer Katechismus mit Fragen und Antworten (1777) als auch der erste Teil seines Lesebuch[s] für Schüler der deutschen Schulen in den Städten und größeren Märkten der kaiserl. königl. Staaten (1774 und später).51

49

Zur Umgestaltung des Schulunterrichts unter Maria Theresia und Joseph II. siehe z. B. Louise Hecht: Die Prager deutsch-jüdische Schulanstalt 1782–1848, in: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform: Analysen zum späten 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Britta L. Behm u. a., Münster u. a. 2002, 213–252, vor allem 216 f.; dies: Zwischen Haskalah und Cheder: Schulen und jüdische Erziehung in den Ländern der Böhmischen Krone, in: Judaica Bohemiae XLVI Supplementum (2011), 19–35; Felbigers Schulreform im Habsburgerreich behandelt auch Dirk Sadowski: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782–1806, Göttingen 2010, 63–66. 50 Die Frage der Vorlagen Beers kann in diesem Rahmen nicht erschöpfend behandelt werden; ein umfassenderer Beitrag zu diesem Thema ist in Vorbereitung. 51 Der grosse Katechismus mit Fragen, und Antworten samt der Einleitung in die Kenntniß der Gründe der Religion und den beweisenden Stellen zum Gebrauch in den kaiserl. königl. Staaten, Wien 1777; Großes Lesebuch, für Schüler der deutschen Normal- und Hauptschulen in den kaiserl. königl. Staaten: Religionslehre. Erster Theil, Wien 1778 (im Folgenden als Verweisschrift verwendet, Erstauflage Wien 1774) bzw. Lesebuch für Schüler der deutschen Schulen in den Städten und größeren Märkten in den kaiserl. königl. Staaten. Erster Theil. Gegenstände, welche die Religion betreffen, Brünn 1775 (Erstauflage Wien 1774).

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Die genannten Werke wurden sowohl damals als auch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein als Lehrbücher in den Schulen des Habsburgerreiches eingesetzt.52 Peretz (Peter) Beer wurde mit Felbigers Werken wahrscheinlich vertraut, als er zu Beginn der 1780er Jahre die St. Anna Musterschule in Wien besuchte, um dort als Normalschullehrer ausgebildet zu werden. Felbigers Lesebuch bietet in seinem ersten Teil einen katholischen Katechismus und zielte damit auf den Religionsunterricht, während der zweite Teil in den christlichen Schulen als Grundlage des Faches Moralunterricht diente, einer Art Bürgerkunde, in dem die Kinder unter anderem diszipliniert und über ihre staatsbürgerlichen Pflichten unterrichtet werden sollten. Der christliche Autor Ferdinand Kindermann hatte zudem eine Überarbeitung des zweiten Teiles geschaffen, die für die Entsprechung dieses Faches in der Prager deutsch-jüdischen Schulanstalt ihren Einsatz fand.53 Wenn Beer Teile des Lesebuches wörtlich kopierte, so zog er einerseits also bereits im jüdischen Unterrichtswesen bekanntes Lehrmaterial heran, ging aber auch insofern neue und erstaunliche Wege, als er mit dem katechetischen Teil des Lesebuches dezidiert an der katholischen Religionslehre orientierte Texte zur Vorlage für jüdisch-religiöse Erziehungsliteratur nahm.

6 Übersetzen und Macht In der historischen Translationsforschung ist die Frage nach Machtverhältnissen ein zentrales Thema geworden. Die Frage danach, was wann übersetzt wurde, vermag Auskünfte über kulturelle Ungleichheit zu geben.54 Auch hierfür ist Beers Kinderbibel ein gutes Beispiel. Der Autor war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Sefer Toledot Israel Lehrer an der Normalschule in seinem Heimatort Neu-Bidschow (heute: Nový Bydžov) in Böhmen. Der politisch stets gut informierte Beer war sich wohl darüber im Klaren, dass für die Reform des österreichischen Schulwesens ein jüdisches Religionslehrbuch gesucht wurde und erhoffte sich für seine Kinderbibel, diese als solches zu platzieren.55 52 Zur Verwendung von Felbigers Schriften als Schulbücher siehe James van Horn Melton: Absolutism and the Eighteenth-Century Origins of Compulsory Schooling in Prussia and Austria, Cambridge 2003, 223 f.; zu Felbiger siehe ebd., 91–108; Johannes Hofinger: Geschichte des Katechismus in Österreich von Canisius bis zur Gegenwart. Mit besonderer Berücksichtigung der gleichzeitigen gesamtdeutschen Katechismusgeschichte, Innsbruck/Leipzig 1937, vor allem 99–121. 53 Zum Moralunterricht siehe Hecht: Ein jüdischer Aufklärer (Anm. 11), 112; Sadowski, Haskala und Lebenswelt (Anm. 49), 184–190; zur Bearbeitung des Lesebuchs siehe Louise Hecht, ebd., 113–116; Sadowski, ebd., 193–200. In beiden genannten Werken finden sich zudem Hinweise auf weitere Literatur zum Thema. 54 Siehe z. B. Bachmann-Medick, Kulturanthropologie und Übersetzung (Anm. 4), 158; dies., Translation (Anm. 7), 29. 55 Hierzu siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer (Anm. 11), 151–163.

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Wie eingangs erwähnt, ist die Gattung der Kinderbibel eine vornehmlich im Protestantismus verbreitete Form der Kinderliteratur, denn im Katholizismus war Bibellektüre für Kinder zu Beers Zeiten noch relativ wenig verbreitet. Es wäre also unter gattungsspezifischen Gesichtspunkten eher nachvollziehbar gewesen, hätte Beer sich einer protestantischen Kinderbibel als Vorlage bedient.56 Allerdings hätte er in diesem Fall in einem Land, in dem bis 15 Jahre vor der Veröffentlichung seines Werkes der Protestantismus noch verboten war, für die Rezeption des Buches sicherlich unliebsame Grenzen gesetzt. Die Vermutung liegt also nahe, dass es auch politische Fragen waren, die ihn dazu bewegten, auf das in Österreich etablierte Felbiger’sche Schulbuch als Vorlage zurückzugreifen. Für seinen Kommentar zu den Zehn Geboten zitiert Beer aus Felbigers Ausführungen zum Dekalog, wobei es sich vornehmlich um konkrete Aussagen darüber handelt, welche Handlungen nach dem jeweiligen Gebot ver- und welche geboten seien. Die meisten dieser Zitate sind in Beers Fassung gekürzt oder in einer Art Collage von Versatzstücken übernommen, andere sind durch kleinere sprachliche Veränderungen gekennzeichnet, wie z. B. die Substitution des Verbes „sprechen“ durch „reden“ im untenstehenden Beispiel.57 Ein Großteil der Übernahmen erfährt dabei keine wesentliche Veränderung. Bisweilen sind aber kleinere Modifikationen sehr geschickt eingesetzt, um die katholische Vorlage in einen erkennbar jüdischen Text zu verwandeln, wie z. B. in Beers Ausführungen zum jüdischen Dritten Gebot,58 „Du sollst den Namen des Ewigen, deines Gottes, nicht zum Unnützen aussprechen.“ Beers Ausführungen zufolge ehrt man den Namen Gottes, wenn man „Gott freimüthig vor der ganzen Welt bekennet, und sich seines Glaubens nicht schähmt.“59 Diese Formulierung ist insofern bemerkenswert, als Beer hier mit dem ersten Teil des Satzes eine Formulierung Felbigers aufgreift, sie jedoch mit einem Zusatz (dem zweiten Satz) an den jüdischen Kontext adaptiert. Felbigers Zielpublikum – katholische Kinder in einem katholischen Land – hatten keinen Grund, sich ihres Glaubens zu schämen. Jüdische Kinder hingegen sahen sich und die jüdische Religion oftmals mit Vorurteilen konfrontiert. Beers Ergänzung passt die Vorlage also an die Erfahrungswelt seiner Leser an und fordert sie zu Selbstsicherheit in Bezug auf ihren Glauben auf. Auch für die Definition dessen, was als Entehrung des göttlichen Namens angesehen wird, bedient sich Beer der Felbiger’schen Vorlage. Dem zufolge verbietet das Gebot, den Gottesnamen:60 56 In Frage gekommen wäre z. B. Johann Hübners in zahlreichen Auflagen verlegte Zweimal zweiund-funfzig auserlesene biblische Historien aus dem Alten und Neuen Testamente, dessen Erzählungen aus der Hebräischen Bibel später tatsächlich für jüdische Kinder aufbereitet wurden (David Samosc: Sefer Nahar me-Eden, Breslau 1837). 57 Siehe unten die Ausführungen zur Kommentierung des Dritten Gebots. 58 Nach der katholischen Lehre und somit auch bei Felbiger das Zweite Gebot. 59 Beer, Sefer Toledot Israel (Anm. 16), 71; vgl. Großes Lesebuch (Anm. 51), 83. 60 Beer, Sefer Toledot Israel (Anm. 16), 72; vgl. Großes Lesebuch (Anm. 51), 81.

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Felbiger

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[zu entehren] durch alle Sünden, hauptsächlich durch die Gotteslästerung; da man von Gott, der wahren Religion, und seinen Heiligen verächtlich redet […].

durch alle Sünden überhaupt, besonders aber durch Gottes Lästerung zu entehren, dies geschieht wenn man von Gott, der wahren Religion, oder deren heilige Vorschriften und Lehrer verächtlich spricht […].

Kleinere intralinguale, aber den Inhalt nicht betreffende Veränderungen bei der Übertragung sind hier Substitutionen einzelner Worte und eine leicht veränderte Satzstruktur, die auf die unterschiedliche Einleitung der Sätze zurückzuführen ist.61 Bemerkenswert ist aber vor allem, wie Beer durch einen kleinen Kunstgriff die katholische Lehre der Heiligenverehrung aus dem Text entfernt und diesen dem jüdischen Referenzrahmen anpasst: Er belässt das Wort „Heilige“ im Text, verwandelt es aber kurzerhand in ein Adjektiv, so dass aus der katholischen Heiligenverehrung bei Felbiger – „von seinen Heiligen“ heißt es dort – bei Beer ganz jüdisch traditionell der Respekt vor Religionsvorschriften und Religionslehrern wird: „deren heilige Vorschriften und Lehrer“. Die Formulierung „der wahren Religion“ bleibt unberührt, sie bekommt in Beers Text allerdings eine neue Bedeutung: Während Felbiger damit den Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche anspricht, erhält die Passage im neuen Zusammenhang von Beers Religionslehre die Funktion eines Kriteriums der Unterscheidung von wahrer (d. h. absichtsvoller) und falscher (d. h. inhaltsleerer) Religionspraxis und steht damit für Beers aufgeklärtes Religionsverständnis, das im Sinne der Zeit nach der Verinnerlichung der religiösen Handlung strebte. Das Beispiel führt vor Augen, dass De- und Rekontextualisierung62 ein wesentliches Element im Vorgang kulturellen Übersetzens sind, wobei kulturelle Vorstellungen nicht übertragen, sondern transformiert werden.

7 Fazit Mit seinem Sefer Toledot Israel publizierte Beer eine Sammlung biblischer Erzählungen, die einerseits dazu dienen sollte, jüdische Kinder sprachlich und inhaltlich in die Bibel einzuführen, andererseits aber auch die Funktion einer Religionslehre für ein modernes und aufgeklärtes Judentum erfüllen sollte. Gleichzeitig 61 So die Substitution von „hauptsächlich“ durch „überhaupt“, von „redet“ durch „spricht“, das Weglassen des Artikels „die“ (Gotteslästerung) und der Zusatz von „besonders aber“, „dies geschieht“ und „zu entehren“. 62 Zu De- und Rekontextualisierung im Zusammenhang mit kultureller Übersetzung siehe Peter Burke: Translating Knowledge, Translating Culture, in: Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, hg. von Michal North, Köln u. a. 2009, 69–77, hier: 70; ders.: Übersetzungskulturen im frühneuzeitlichen Europa, in: Übersetzungen: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2 (2012), 17–49, hier: 20.

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strebte Beer danach, sein Buch im offiziellen österreichischen Schulsystem als Lehrbuch zu etablieren und sich so im wahrsten Sinne des Wortes in die österreichische Schullandschaft einzuschreiben. Er suchte also zum einen, gemäß dem neuen maskilischen Erziehungsideal die Bibellektüre generell zu popularisieren, und andererseits, sein eigenes Lehrbuch auf dem Markt zu etablieren. Dabei lassen sich vor allem drei Popularisierungsstrategien nachweisen, nämlich erstens die gezielte Auswahl und Aufbereitung der erzählten Texte unter Berücksichtigung thematischer, sprachlicher wie materieller Dimensionen; zweitens die Kommentierung in der theologischen Sprache der Zeit, die Anknüpfungspunkte auf christlicher wie jüdischer Seite bot. Diese beiden Strategien gehen mit einer deutlichen Betonung universalreligiöser und der Rücknahme partikularreligiöser jüdischer Aspekte einher. Als dritte Popularisierungsstrategie hat sich die Beachtung von politischen Machtverhältnissen herausgestellt, die sich in der Auswahl der Vorlagen äußert. Dabei lassen die ersten beiden genannten Strategien einen großen normativen Spielraum zu, wohingegen die letzte Strategie deutlich hegemonial bedingten normativen Grenzen unterliegt. Beers Kinderbibel ist daher wie andere jüdische Kinderbibeln auch das Ergebnis einer komplexen Übersetzungshandlung zwischen der nichtjüdischen Umwelt und dem traditionellen und sich neu entwickelnden jüdischen Selbstbild. Da es sich bei dem Sefer Toledot Israel im Besonderen und bei jüdischen Kinderbibeln im Allgemeinen um Erziehungsmittel handelt, die sozusagen qua Funktion auf die Erzeugung einer kulturellen Identität abzielen, sind diese nicht nur das Ergebnis eines kulturellen Übersetzungsprozesses, sondern auch dessen Protagonisten bzw. Agenten und damit nicht nur das Resultat einer Transformation, sondern gleichzeitig auch transformierende Kraft an sich, die generationenübergreifend über Jahrzehnte hinweg andauerte. Im Falle von Beers Sefer Toledot Israel lässt sich diese Agentschaft im deutschsprachigen Raum bis in die 1870er Jahre und jenseits des deutschsprachigen Raumes in weiteren Ländern gar bis in die Zeit jenseits der Jahrhundertwende nachweisen, da das Werk in zahlreichen Neuauflagen und Übersetzungen verbreitet wurde.63 Jüdische Kinderbibeln folgen anderen normativen Grenzen, als angesichts der Autorität des heiligen biblischen Buchstabentextes und der traditionell strengstens geregelten Überlieferungskultur der Hebräischen Bibel64 vielleicht zu erwarten gewesen wäre. So werden der Übertragung für Kinder zum Beispiel weder durch Wörtlichkeit noch durch den Kanonumfang Grenzen gesetzt. Dagegen werden aber offensichtlich gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Form 63

Zur Auflagengeschichte siehe Hecht, Ein jüdischer Aufklärer (Anm. 11), 371. Hierzu siehe zum Beispiel Hanna Liss: Vom Sefer Tora zum sefer: Die Bedeutung von Büchern im ‚Buch der Frommen‘ des R. Yehuda ben Shemu᾽el he-Chasid, in: Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften, hg. von Daniela Luft/Joachim Friedrich Quack, Berlin 2014 (Materiale Textkulturen 5), 207–228, hier: 209–213. 64

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und Inhalt des allgemeinen religiösen Diskurses, Familienvorstellungen sowie moralische und bürgerliche Werte durchaus beachtet. Zohar Shavit stellte bereits fest, dass Übersetzer sich im Bereich der Aufbereitung von Werken der Literatur für Kinder große Freiheiten nehmen können, gerade auch wenn es um moralische und ideologische Aussagen geht,65 wobei sich zum Teil tiefgreifende textliche Veränderungen einführen und Deutungsschwerpunkte ändern lassen. Für jüdische Bearbeitungen der Hebräischen Bibel für ein kindliches Publikum, wie etwa Peretz Beers 1796 erstmals erschienener Kinderbibel Sefer Toledot Israel, gilt dies offenbar genauso.

65

Zohar Shavit: Translation of Children’s Literature as a Function of its Position in the Literary Polysystem, in: Poetics Today 2.4 (1981), 171–179.

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IV Übertragung und Inspiration

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Speaking Books – Silent Pictures Visualizing Gospel Narrative in Byzantium Karin Krause*

1 Introduction Of all sacred writings, in Byzantine culture the gospels narrating the life of Christ were of unsurpassed significance, and the Gospel Book as an artifact not only symbolized the spiritual presence of Christ but also represented him physically. The book’s identification with Christ manifested itself visibly in different rites associated with its veneration and display. Reflecting the holiness of the gospels, manuscripts containing them were among the most costly and splendidly designed books produced in Byzantium, and over the centuries these texts inspired especially rich imagery in different pictorial media and artistic techniques. In turn, pictures that represented the events described in the gospels generated manifold responses in the realm of literature regarding their significance and meaning, especially in theological treatises, rhetoric, and poetry. What is the relation of visual gospel narrative to the sacred writings from which the pictures are derived? This is the guiding question for the present article, and I will approach it by analyzing primary writings from different periods and literary genres as well as exemplary testimonies from the realm of the visual arts. Byzantine religious culture was essentially normative, which is perhaps most evident in the empire’s continuing struggle to define orthodoxy, an important part of which was the definition of the role of religious images.1 Much of the rel* Throughout its creation, this article has profited from conversations with friends and colleagues. I owe special thanks to the editors of this volume, as well as to Nathan Hardy (University of Chicago), Sarah Fredericks (University of Chicago), and Lioba Theis (University of Vienna) for reading drafts and making invaluable suggestions as to the text’s improvement. Margaret M. Mitchell (University of Chicago) in several inspiring conversations most generously shared with me her expertise in ancient and Early Christian literature. She also helped me revise some of the translations from the Greek cited in this article. All errors of course remain my own. 1 Averil Cameron: The Cost of Orthodoxy, in: Church History and Religious Culture 93 (2013), 339–361. Paul Magdalino: Orthodoxy and Byzantine Cultural Identity, in: Orthodoxy and Heresy in Byzantium. The Definition and the Notion of Orthodoxy and some other Studies on the Heresies and the Non-Christian Religions, ed. by Antonio Rigo, Rome 2010, 21–40.

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evant reasoning was developed during Byzantine iconoclasm in the eighth and ninth centuries when the veneration of icons – and even the legitimacy of their very existence – was intensely disputed.2 Scholarship on the period is vast and has centered upon image theory in particular. The great majority of studies have concentrated on portrait icons, especially of Christ, and their doctrinal complications, a focus that is in fact suggested by the theological writings that originate in the period of iconoclasm.3 However, the same sources also convey important insights into the place of visual narrative in Byzantium, thus furnishing evidence that has attracted considerably less attention by scholars. Whereas claims to the divine inspiration of scripture were voiced early on and are in fact encountered in the Bible itself, in Christian culture there exists no comparable early tradition on the inspiration of visual images. That the lack of a contribution from the Holy Spirit to the pictorial arts was regarded as a major problem, is particularly evident in Byzantine iconoclastic writings declaring Christian icons as most unholy manifestations of pagan idolatry. As is known, iconophile theologians from the same period sought in manifold ways to defend religious images against any such accusation that denied their validity and holiness. Due to scripture’s inspiration, visual narrative derived from it almost necessarily had to be judged in relation to the contents of the sacred text. Ultimately, the theological discourse in Byzantium that aimed at defending the truth and validity of pictorial narrative based on scripture broached the potentialities and limitations of the visual arts with respect to literature. The strong and indeed inseparable connections between word and image in Byzantine culture are manifest already in the twofold meaning of the Greek graphein (γράφειν) – to write and to paint or draw – and, correspondingly, of graphe (γραφή), signifying both a written document and a visual image. Writings from iconoclasm and beyond reveal that the debate on Christian religious images was largely conducted along categories of truth and falsehood, and it is hardly a coincidence that these categories basically correspond to those employed since antiquity in literary criticism of narrative. 2 Byzantine iconoclasm evolved in two phases. The beginning of the first phase is difficult to determine and has traditionally been assigned to the reign of Emperor Leo III, c. 730. It was terminated by the Second Council of Nicaea (the Seventh Ecumenical Council) in 787. After a new outbreak of iconoclasm in 815, its second phase lasted to 843; a recent major work on the history of iconoclasm which critically reevaluates the textual and visual sources is Leslie Brubaker/John F. Haldon: Byzantium in the Iconoclast Era (c. 680–850): A History, Cambridge/New York 2010. Unless otherwise specified, in the present article I use the term ‘icon’ to encompass religious images created in various artistic media and techniques. 3 Recent monographs of special merit include Clemena Antonova: Space, Time, and Presence in the Icon: Seeing the World with the Eyes of God, Farnham 2010; Kenneth Parry: Depicting the Word. Byzantine Iconophile Thought of the Eighth and Ninth Centuries, Leiden 1996, 44–51, and Charles Barber: Figure and Likeness. On the Limits of Representation in Byzantine Iconoclasm, Princeton/Oxford 2002.

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What Byzantine thinkers especially problematized, explicitly or implicitly, was the silence of pictures (the undeniable fact that they cannot express themselves audibly) opposed to books that ‘speak’ when their contents are read out loud. Reflections on the silence of pictures are deeply rooted in ancient thought, but, as writings from Byzantium demonstrate, in the realm of scripture they cannot be separated from the important question of how capable art and literature respectively are of rendering truth. Following this introduction, I will first offer an outline of the significance of scripture and particularly the gospels in Byzantium, discussing what the notion of these texts being divinely inspired entails in religious thought as well as with regard to their practical use. I will then turn to discussing writings since classical antiquity which address from very different perspectives the characteristics of pictures. With regard to visual accounts of scriptural narratives, the views voiced in Byzantium are in the first place aimed at pointing out the pictures’ accuracy with regard to the holy text, and, as I am going to demonstrate, the discussion reveals interesting parallels to problems addressed from early on by translation theorists. Guided by questions and analytical methods relevant to scholarship on intermedial narratology, I will challenge the claims made in Byzantine image theory by means of an example-based comparison of gospel narrative and pictures derived from it. My chief aim is not only to illuminate the profound communicative differences existing between textual and visual discourse, but also to show how Byzantine artists responded creatively to the challenges posed by their medium, one by definition inanimate and mute. Last, but not least, this intermedial analysis serves to call into question the frequent appropriation by scholars of the primarily linguistic term ‘translation’ to denote the rendering of textual narrative in pictures. I will conclude my investigation with a closer look at select Byzantine ekphraseis from the post-iconoclastic era in order to show how in this literary genre rhetoric was specifically employed to ‘animate’ pictures. It appears that official orthodox image theory, carefully defined in earlier centuries, was blurred in the realm of ekphrasis, where it was claimed that artists, too, were divinely inspired.

2 Divine Inspiration and the Holiness of the Gospel Book Divine inspiration of scripture was a commonplace notion in Byzantium, and one that encompassed certain apocryphal writings in addition to those belonging to the biblical canon.4 Over time, inspiration was extended to other religious 4 Bruce M. Metzger: The Canon of the New Testament. Its Origin, Development, and Significance, Oxford 1987, esp. 256–257; Albert C. Sundberg: Bible Canon and the Christian Doctrine of Inspiration, in: Interpretation 29 (1975), 352–371, esp. 368 and 370–71. Eusebius is an important early testimony on “divine writings” (θείων γραμμάτων) comprising texts outside the biblical

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writings as well, first and foremost those of the Church Fathers.5 Reflecting their sanctity and authority, the protection of manuscripts of scripture was at an early date regulated by the Church in an official document: Canon 68 of the Council in Trullo (Concilium Quinisextum), held in Constantinople in 691/2, which under penalty of excommunication prohibited the destruction of books containing biblical or patristic writings, at least as long as their texts were legible.6 Although Christian authors unceasingly insisted that holy scripture communicates truth since it is divinely inspired, it is important to emphasize that no systematic theory of inspiration has been developed in Christian theology.7 Biblical as well as patristic writings reveal diverse views on what exactly is meant or encompassed by ‘truth’ in scriptures, and what constitutes the human contribution in their creation.8 The rise of Christendom and the establishment of the canon of the New Testament were accompanied by an openly aggressive rejection of texts that were considered false and heretical. A case in point are the prologues drawn up to canon; Eusebius, Ecclesiastical History, III.3 (quotation from the bilingual edition, trans. Kirsopp Lake, Cambridge, MA 1926 (LCL 153), 194, l. 8). A useful overview on notions of the divine inspiration of scripture from antiquity to the Second Vatican Council has been provided by Johannes Beumer et al.: Die Inspiration der Heiligen Schrift, Freiburg/Br. 1968 (Handbuch der Dogmengeschichte 1, fasc. 3b); also see, more recently, Klaus Thraede: Inspiration, in: Reallexikon für Antike und Christentum 18 (1996), 329–365. 5 On the notion of the divine inspiration of the Church Fathers in Byzantine and contemporary orthodoxy see Vasilios Makrides: Die Autorität und Normativität der Tradition. Zum Umgang mit Heiligen Schriften im orthodoxen Christentum, in: Heilige Schriften. Ursprung, Geltung und Gebrauch, ed. by Christoph Bultmann et al., Münster 2005, 72–85. For responses to this idea in the visual arts of Byzantium see, for instance, Margaret M. Mitchell: The Heavenly Trumpet: John Chrysostom and the Art of Pauline Interpretation, Tübingen 2000, 34–36, 436–439, 488–499 (Appendix 2); Karin Krause: Göttliches Wort aus goldenem Mund. Die Inspiration des Johannes Chrysostomos in Bildern und Texten, in: Chrysostomosbilder in 1600 Jahren. Facetten der Wirkungsgeschichte eines Kirchenvaters, ed. by Rudolf Brändle/Martin Wallraff, Berlin/ New York 2008, 139–167. Barbara Schellewald: Johannes Chrysostomos und die Rhetorik der Bilder im Bema der Sophienkirche in Ohrid, in: Chrysostomosbilder in 1600 Jahren, ed. by Rudolf Brändle/Martin Wallraff, Berlin/New York 2008. 6 Concilium Quinisextum / Das Konzil Quinisextum, trans. Heinz Ohme, Turnhout 2006, 102; Engl. trans. George Nedungatt/Michael Featherstone (eds.): The Council in Trullo Revisited, Rome 1995, 150, 260–261. 7 Thraede, Inspiration (n. 4), esp. 360–361 (“Generell liegt allen christl. Verfassern so oder so an einer Autorität der Schrift; sie aber besteht auch ohne die Stütze einer Theorie der Verbaloder Real I[nspiration];” ibid., 361). 8 Thraede, Inspiration (n. 4), esp. 340–362; Beumer, Inspiration (n. 4), 1–31; R. M. Grant: The Letter and the Spirit, New York 1957, 31–114. In the case of the gospels, these issues are inseparable from the questions arising from divergences and obvious contradictions present in these texts; for an assembly and analysis of important patristic sources, see Margaret M. Mitchell: Patristic Counter-Evidence to the Claim that ‘the Gospels Were Written for All Christians,’ in: New Testament Studies 51 (2005), 43–44, 46–79, esp. 52, 55, 59–60, 77. Similar observations regarding the tension between the divine and the human elements may be made in pagan literature as well; most recently, Penelope Murray: Poetic Inspiration, in: A Companion to Ancient Aesthetics, ed. by Pierre Destrée/Penelope Murray, Oxford 2015, 158–174.

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explain the purpose, origins, and authority of the gospels, different versions of which are encountered in the preface materials of medieval gospel manuscripts.9 In one of the earliest texts, the Prologue to Luke, it is explained that it was necessary to set forth, for those of the Gentiles who believed, the accurate narrative of the dispensation, that they should not be distracted by the Jewish fables ( Ἰουδαικαῖς μυθολογίαις) nor miss the truth through deception by the heretical and empty delusions (αἱρετικαῖς καὶ κεναῖς φαντασίαις).10

Even more unforgivingly, Gregory of Nazianzus accused the Eunomians of being “plunderers of scripture” who “steal the meaning of the scriptural words … and throw the way of truth into disorder.”11 Similarly, the same father criticized the pagans for taking pleasure in fables (μῦθοι), thus caring little for the truth and seeking to beguile the ear, instead of the soul.12 In their classification of texts according to categories of true and false, these early Christian views reveal themselves as firmly grounded in ancient literary criticism. According to Hellenistic narrative theory, myth (μῦθος), has the connotation of being unrealistic, invented, or fabulous, and thus represents “false history” (ψευδὴς ἱστορία).13 It finds its sharpest contrast in the category of narrative believed to represent factual truth, “true history” (ἀληθὴς ἱστορία), or simply “history” (ἱστορία).14 As will be discussed below, historia (ἱστορία) is the term 9 Adolf von Harnack: Die ältesten Evangelien-Prologe, in: Sitzungsberichte der preussischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 24 (1928), 322–341. Mitchell, Counter-Evidence (n. 8), 55–57, 69; on the earliest textual traditions, recently Otto Zwierlein: Die antihäretischen Evangelienprologe und die Entstehung des Neuen Testaments, Mainz/Stuttgart 2015 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 2015.5). 10 … δηλῶν διὰ τοῦ προοιμίου τοῦτο αὐτὸς, ὅτι πρὸ αὐτοῦ ἄλλα ἐστὶ γεγραμμένα, καὶ ὅτι ἀναγκαῖον ἦν τοῖς ἐξ ἐθνῶν πιστοῖς τὴν ἀκριβῆ τῆς οἰκονομίας ἐκθέσθαι διήγησιν ὑπὲρ τοῦ μὴ ταῖς Ἰουδαϊκαῖς μυθολογίαις περισπᾶσθαι αὐτοὺς μήτε ταῖς αἱρετικαῖς καὶ κεναῖς φαντασίαις ἀπατωμένους ἀστοχῆσαι τῆς ἀληθείας·; § 5–10; ed. Zwierlein, Evangelienprologe (n. 9), trans. R. G. Heard: The Old Gospel Prologues, in: Journal of Theological Studies 6 (1955), 1–16, at 7 (translation adjusted). Zwierlein has demonstrated that the Greek version is a translation from a Latin version of this prologue; ibid., 31–44 (esp. 31, 43), 69. All three (Latin) prologues were composed by one and the same author around 340, but represent traditions dating back to the second century (ibid., 69–70). 11 … οἱ τοῦ γράμματος ἱερόσυλοι καὶ τὸν νοῦν τῶν γεγραμμένων κλέπτοντες … καὶ τὴν ὁδὸν τῆς ἀληθείας ταράσσουσι …; Gregory, Orationes Theologicae / Theologische Reden, trans. Hermann-J. Sieben, Freiburg/Br. et al. 1996, 222, ll. 3–6 (Or. 4 [30], 1); English translation adjusted from Faith Gives Fullness to Reasoning. The Five Theological Orations of Gregory Nazianzen, introduction and commentary by Frederick W. Norris, translation by Lionel Wickham and Frederick Williams, Leiden/New York 1991, 262. 12 Ταῦτα μὲν παιζόντων μῦθοι καὶ Ἕλληνες, οἵ, τῆς ἀληθείας ὀλίγα φροντίζοντες, τῷ κομψῷ τῶν πλασμάτων καὶ τῷ λίχνῳ τῶν λέξεων καὶ ἀκοὴν καὶ ψυχὴν γοητεύουσιν; Or. 2, 104; Discours 1–3, ed. Jean Bernardi, Paris 1978 (SC 247), 224. 13 Roos Meijering: Literary and Rhetorical Theories in Greek Scholia, Groningen 1987, 72–73, 78–84, esp. 78–79. 14 On historia understood as narration representing the real facts, see Meijering, Theories

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used in Early Christian and Byzantine writings to denote not only scriptural narrative, but also visual narrative derived from it, thus implying the authority not only of the sacred text, but also of the images. Since the gospels relate the life, deeds, and words of Christ, they hold a special place as the most eminent texts of scripture. In addition to the tetraeuangelon (or tetraeuangelion), the book containing the canonical four gospels, from about 700 C. E. the Gospel Lectionary (euangelion), a book in which the gospel texts are arranged in the order of their use for readings during the liturgical year, came into use.15 For Orthodox Byzantine Christians, the Gospel Book not only related the life and words of Christ, but Christ was in fact believed to be physically present in the book. This notion is, for instance, manifest in the celebration of the Divine Liturgy when, during the Little Entrance, i. e., the procession introducing the Liturgy of the Word, the deacon solemnly carries and then elevates the Gospel Book.16 According to various Byzantine commentators on this rite, the book symbolizes Christ incarnate who has joined the faithful in celebrating mass.17 Paul the Silentiary’s rhetorical description (ekphrasis) of the ambo of (n. 13), 77. This understanding applies to, or is at least not contradicted by, the Byzantine sources cited further down in the present article, which use the noun to refer to sacred scriptures (and visual narratives derived from them), not questioning their truth and authority. In ancient literary criticism are encountered differentiated views regarding the degree of ‘truth’ in narrative qualified as historia, and Roos Meijering points out that in antiquity “the majority of our sources hesitate to qualify everything falling under the head of ἱστορία as real truth;” ibid. In fact, ancient literary criticism distinguished between three categories of narrative as true, false (myth), and if true (ibid., 75–82, esp. 76–77). The tripartite distinction of narrative categories also shines through in biblical exegesis: it is, for instance, reflected in Origen’s De principiis (esp. IV 2, 9), where the author explains that the historical accounts of scripture also include seemingly true and unrealistic or impossible elements; Origenes: Vier Bücher von den Prinzipien, ed. Herwig Görgemanns/Heinrich Karpp, Darmstadt 1976, 726–730. It should be emphasized, though, that Origen does not intend to question the validity of inspired writing here, but, on the contrary, interprets its unrealistic elements as an invitation to seek for the deeper meanings of scripture, its hidden truth; on Origen’s doctrine of divine inspiration and his approaches to scriptural exegesis, see Grant, Letter (n. 8), 90–104, esp. 95–96. Geoffrey W. H. Lampe: A Patristic Greek Lexicon, Oxford/New York 1961, 678–679, lists a large number of patristic testimonies that illuminate the broad range of meanings of ‘truth’ in scripture. 15 On the different types of Gospel Lectionaries in Byzantium and their use see John Lowden: The Jaharis Gospel Lectionary: The Story of a Byzantine Book, New York/New Haven 2009, 15–41; on the Byzantine terminology, ibid., 15. 16 Frank E. Brightman: Liturgies, Eastern and Western: Being the Texts, Original or Translated, of the Principal Liturgies of the Church, vol. 1: Eastern Liturgies, Oxford 1896, 368. For a useful summary of the historical development of this rite see Andrew Walker White: Performing Orthodox Ritual in Byzantium, Cambridge 2015, 61–62. 17 St Germanus of Constantinople: On the Divine Liturgy. The Greek text with translation, introduction, and commentary by Paul Meyendorff, Crestwood 1984, § 24; Nicholas Cabasilas: A Commentary on the Divine Liturgy, transl. by J. M. Hussey and P. A. McNulty, with an introduction by R. M. French, Crestwood 1998, § 20; St. Symenon of Thessalonika: The Liturgical Commentaries, ed. and trans. Steven Hawkes-Teeples, Toronto 2015 (Studies and texts 168), § 46. For interesting observations regarding the Western medieval evidence for the understanding of the Gospel Book as representing Christ, see Bruno Reudenbach: Der Codex als Verkörperung

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Hagia Sophia, composed soon after the consecration of the rebuilt church in 562, describes the elevation of the Gospel Book as the culminating point of the procession as follows: Here the priest who brings good tidings passes along on his return from the ambo, holding aloft the golden book; and while the crowd strives in honor of the immaculate God to touch the sacred book with their lips and hands, the countless waves of the surging people break around.18

What is described here is reminiscent of imperial adventus ceremonies, during which the ruler receives the reverence of the people.19 In Byzantium, the idea that Christ is indeed the only true king to whom even earthly rulers bow became manifest during the public veneration of the Gospel Book by the emperors during the liturgy, as well as during processions on feast days. The Book of Ceremonies compiled in the tenth century describes roughly two dozen occasions on which the rulers offered prostration, proskynesis (προσκύνησις), and a kiss to the Gospel Book.20 That it embodies Christ as king is especially evident in the rites performed in the imperial palace at Constantinople on the feast of Palm Sunday: at the culminating point, the book is set up for veneration on the emperor’s throne in the Chrysotriklinos, the main throne hall.21 The Gospel Book – or rather Christ himself – was also present when new emperors were proclaimed.22 A similar use of the Gospel Book was manifest in its ceremonial enthronement at Church councils, a custom serving to symbolize Christ’s guiding presence and presidency Christi. Mediengeschichtliche, theologische und ikonographische Aspekte einer Leitidee früher Evangelienbücher, in: Erscheinungsformen und Handhabungen Heiliger Schriften, ed. by Joachim F. Quack/Daniela Christina Luft, Berlin 2014, 229–244, 133–138. 18 English trans. quoted from Cyril Mango: The Art of the Byzantine Empire 312–1453, Englewood 1972, 95; ἔνθεν ὑποτροπάδην χρυσέην εὐάγγελος ἀνὴρ \ βίβλον ἀερτάζων διανίσσεται. ἱεμένης δὲ \ πληθύος, ἀχράντοιο θεοῦ κατὰ μύστιδα τιμήν, \ χείλεα καὶ παλάμας ἱερὴν περὶ βίβλον ἐρεῖσαι, \ κύματα κινυμένων περιάγνυται ἄσπετα δήμων; Paul Friedländer: Johannes von Gaza und Paulus Silentiarius: Kunstbeschreibungen justinianischer Zeit, Leipzig/Berlin 1912, 263– 264: ll. 218–222. “The priest who brings good tidings” is literally “the Gospel-man.” The “golden book” is likely to be a reference to the book’s precious cover. 19 This parallel has been drawn by scholars with regard to similar liturgical rites involving the Gospel Book in the Latin West; Thomas Lentes: Textus Evangelii. Materialität und Inszenierung des textus in der Liturgie, in: ‘Textus’ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, ed. by Ludolf Kuchenbuch/Uta Kleine, Göttingen 2006, 136–137, 147; Reudenbach, Codex (n. 17), 237. 20 Constantine VII Porphyrogenitus: The Book of Ceremonies, with the Greek edition of the Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae (Bonn, 1829), translated by Ann Moffatt/Maxeme Tall, Canberra 2012, 14, 29, 64, 76, 102, 112, 117, 120, 123, 126, 132, 145, 150, 151, 158, 166. The term used in the Book of Ceremonies is euangelion (εὐαγγέλιον), denoting the four Gospels in their liturgical arrangement, i. e., the Lectionary (on the terminology see Lowden, Jaharis [n. 15], 15). Some of the most lavishly decorated Lectionaries to survive were made for use by the patriarchal clergy who served Hagia Sophia and other nearby churches; ibid., 23–40. 21 Constantine VII, Book of Ceremonies (n. 20), 175. 22 Constantine VII, Book of Ceremonies (n. 20), 419–420.

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during the debates.23 The splendidly illustrated ninth-century copy of the Orations of Gregory of Nazianzus in Paris (Cod. Paris. gr. 510, f. 355r) contains a fullpage miniature depicting the Second Ecumenical Council held in Constantinople in 381 [Fig. 1]: an open Gospel Book of considerable size is prominently displayed high up on a throne, below which the participants of the council are arranged in a semicircle, including Emperor Theodosius the Great.24 Outside the official realm, the public exhibition of ‘sacred books,’ beyond doubt including books which contained the gospels, is described by the ninthcentury theologian Theodore the Studite, who noted that they are “put on public displays in all the churches of God to the eyes of all human beings in the same way as their content is there for all to hear.”25 This passage represents a rare testimony for the display in Byzantium of manuscripts for the purpose of being seen and revered. Unfortunately, Theodore remains silent regarding the details of such presentations, and, although it would seem likely, it is not clear whether or not the books were opened for this purpose, or whether their text was read out loud during their display. It is worth noting that in Byzantium, Gospel Books and Lectionaries in particular were among the most splendidly designed manuscripts. Far more frequently than other books, they were equipped with figural miniatures and are often characterized by an exuberant use of gold to highlight both text and images.26 Flickering candle light would have enhanced the aesthetic appeal of the colors and gilding even for those who only saw the books from a distance. Such luxury manuscripts would have made particularly impressive display copies, serving to emphasize all the more the holiness of the writings contained in them. In these manuscripts, including even less elaborate examples, the gospel text was usually written in an array of different calligraphic scripts demonstrating the full repertoire of Byzantine scribal capability. The custom of the Gospel Book being venerated as a material artifact by means of devout touching and kissing mirrors both the sanctity of the writings contained in it and its identification with Christ. The touch and kiss of the faithful are directed at Christ himself, embodied by the Gospel Book with which they 23 Christopher Walter: L’iconographie des conciles dans la tradition byzantine, Paris 1970, 147–148, 235–239; Leslie Brubaker: Vision and Meaning in Ninth-century Byzantium. Image as Exegesis in the Homilies of Gregory of Nazianzus, Cambridge 1999, 212. 24 A detailed analysis of the iconography of this miniature is found in Brubaker, Vision (n. 23), 210–217, 485. For similar depictions of Gospel Books in images representing Church councils, see Walter, Conciles (n. 23), 236. Seen in relation to the dimensions of the human figures in this miniature, the book on the throne is of exceptionally large size (50 to 60 cm, estimated), exceeding the dimensions of the largest codices surviving from Byzantium which rarely measure more than 40 cm in height. 25 Βίβλοι γάρ εἰσιν ἱεραὶ, προκείμεναι κατ᾽ ὄψιν ἐν πάσαις ταῖς τοῦ Θεοῦ Ἐκκλησίαις, παντὶ ὀφθαλμῷ ἀνθρώπου, ὡς ἀκοῇ, αἱ διὰ λόγου; Theodore the Studite, Antirrheticus, in: Writings on Iconoclasm, translated and introduced by Thomas Cattoi (Ancient Christian Writers 69), New York/Mahwah 2015, I. 19; PG 99, 349A; trans. Cattoi. 26 For examples see Lowden, Jaharis (n. 15).

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Figure 1: The Second Ecumenical Council at Constantinople (381), The Orations of Gregory of Nazianzus, Paris, BnF, Cod. gr. 510, f. 355r. © Bibliothèque nationale de France.

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interact. More generally, the practice reflects notions commonplace in Christian culture that artifacts, or more broadly matter, may contain sacred power and that blessings may be obtained through physical contact between the faithful and sacred objects of various kinds, including icons and liturgical implements.27 These beliefs were especially powerful in the veneration of relics. That the Gospel Book assumed the status of a relic of Christ, is evidenced by a passage in John of Damascus’ treatises On the Divine Images composed in the eighth century. John described holy sites in Palestine and relics associated with the life and Passion of Christ as “receptacles of divine energy,” in which “God was pleased to work our salvation.”28 In a similar way he argued that because the Gospel Book represents “matter … filled with divine energy and grace,” it invites veneration that includes even the ink used for the copying of the holy text.29 The ink on the page represents a matter of veneration because it was sanctified by the sacred text which it not only renders legible but actually contains in its substance.30 What the Gospel Book shares with relics is the presence of the divine in the material object.

27 This belief is most clearly expressed in the proceedings of the Second Council of Nicaea (787): … καὶ ἀσπαζόμενοι ταύτην καὶ τιμητικῶς προσκυνοῦντες μεταλαμβάνομεν ἀγιασμοῦ, ἐπεὶ καὶ ἱερα διάφορα σκεύη ἔχοντες ταῦτα ἀσπαζόμεθα καὶ περιπτυσσόμεθα καὶ ἁγιασμόν τινα εἰληφέναι παρ᾽ αὐτῶν ἐλπίζομεν; Concilium Universale Nicaenum Secundum, Concilii Actiones VI–VII (Acta Conciliorum Oecumenicorum sub auspiciis Academiae Scientiarum Bavaricae edita, series secunda, volumen tertium, pars tertia), edidit Erich Lamberz, adiuvante Uwe Dubielzig, indices confecit Gerard Duursma, Berlin/New York 2016, 680, ll. 11–15 (“and by embracing it [i. e., the icon] and offering to it the veneration of honor, we share in the sanctification. Also we kiss and embrace the different holy utensils which we have, and we express the hope of receiving sanctification from them;” trans. Daniel J. Sahas: Icon and Logos: Sources in Eighth-century Iconoclasm: an Annotated Translation of the Sixth Session of the Seventh Ecumenical Council [Nicea, 787], Toronto 1986, 99 [adjustments made]). 28 Ταῦτα καὶ τὰ τοιαῦτα σέβω καὶ προσκυνῶ … οὐ διὰ τὴν αὐτῶν φύσιν, ἀλλὰ ὅτι θείας ἐνεργείας εἰσι δοχεῖα καὶ δι᾽ αὐτῶν καὶ ἐν αὐτοῖς ηὐδόκησεν ὁ θεὸς τὴν σωτηρίαν ἡμῶν κατεργάσασθαι; De imag. III.34, Die Schriften des Johannes von Damaskos, ed. Bonifatius Kotter, vol. 3, Berlin/New York 1975, 139, ll. 13–18; St John of Damascus, Three Treatises on the Divine Images, trans. Andrew Louth, Crestwood 2003 (“These and suchlike [i. e. various sites in the Holy Land and relics of Christ’s life] I reverence and venerate … not because of their nature, but because they are receptacles of divine energy and in them God was pleased to work our salvation”). 29 Τὴν δέ γε λοιπὴν ὕλην σέβω καὶ δι’ αἰδοῦς ἄγω, δι’ ἧς ἡ σωτηρία μου γέγονεν, ὡς θείας ἐνεργείας καὶ χάριτος ἔμπλεων … Ἢ οὐχ ὕλη τὸ μέλαν καὶ ἡ τῶν εὐαγγελίων παναγία βίβλος; John of Damascus, De imag. I. 16; ed. Kotter (n. 28), 89–90: ll. 14–17, 21–23; trans. Louth (n. 28). 30 It must be said, though, that the argument that the materials used to produce books of holy scripture are themselves sacred is relatively uncommon in Christianity (cf. the regulation of Canon 68 of the Concilium Quinisextum, protecting sacred writings from destruction only as long as they remain legible; see above, n. 6). It is possible that John of Damascus, writing in Muslim lands, was inspired by the popular belief that the inks used to copy verses from the Qur᾽an were imbued with holiness, which led to the practice of dissolving them for the purpose of ingestion; Finnbar Barry Flood: Bodies and Becoming. Mimesis, Mediation, and the Ingestion of the Sacred in Christianity and Islam, in: Sensational Religion: Sensory Cultures in Material Practice, ed. by Sally M. Promey, New Haven 2014, 474–481.

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Byzantine chronicles that relate the conversion of the people of Rhos (Rus’) to Christianity in the ninth century report a miracle that likewise demonstrates the relic-like status of the Gospel Book as an artifact, simultaneously highlighting the divine truth inherent in its text.31 When an archbishop equipped with “the Holy Book of the divine gospel” was sent as a missionary to the Rhos by the Byzantine Emperor Basil I, the pagans desired a miracle similar to those described in the Bible as proof for their validity.32 They demanded that “the very book of the Christian faith, that is, the divine and holy gospel” be thrown into the fire and announced that they would become Christian if the book remained intact.33 Due to the holiness and authenticity of its text, the story implies, the Gospel Book was found entirely unharmed despite being exposed to the flames for several hours, and the pagans eagerly agreed to be baptized.34 The impressive account of the ‘ordeal by fire’ leading to the conversion of an entire people finds its ultimate inspiration in the ancient civic ritual of book burning. The purpose of this ritual was the purification from a curse believed to have been brought about by books, a practice that was adopted by early Christians as a sign of conversion.35 In the mir31

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Theophanes, Chronographiae, ch. 97, 313–317, ed./trans. Ihor Ševčenko, Berlin/New York

32 τοῦ δὲ τὴν ἱερὰν τοῦ θείου εὐαγγελίου βίβλον προτείναντος, καὶ τινα τῶν τοῦ Σωτῆρος ἡμῶν καὶ θεοῦ θαυμάτων αὐτοῖς ἀπαγγείλαντος, καὶ τῶν ὑπὸ θεοῦ τερατουργηθέντων κατὰ τὴν Παλαιὰν τὴν ἱστορίαν αὐτοῖς ἀναπτύξαντος, “‘εἰ μή τι τῶν ὁμοίων,’” ἔφασαν εὐθέως οἱ Ῥῶς, ‘καὶ ἡμεῖς θεασόμεθα, καὶ μάλιστα οἷον τὸ ἐν τῇ καμίνῳ τῶν τριῶν λέγεις παίδων, οὐκ ἄν σοι ὅλως πιστεύσωμεν, οὐδὲ τὰς ἀκοὰς ἡμῶν ἔτι τοῖς ὑπὸ σοῦ λεγομένοις ὑπόσχωμεν (“The prelate held out the Holy Book of the divine gospel and recited to them some of the miracles performed by our Savior and God; he also expounded to them some of the marvels wrought by God in the Old Testament. Forthwith the Rhos said, ‘Unless we are shown some similar thing, especially something like that which, as you say, the three young men in the furnace, we shall not in the least believe you, nor shall we again lend our ears to your message …’”); Theophanes, Chronographiae (n. 31), 314, ll. 16–23, trans. Ševčenko (adjustments made). 33 οἱ δὲ ᾐτήσαντο αὐτὸ τὸ τῆς πίστεως τῶν Χριστιανῶν βιβλίον, ἤτοι τὸ θεῖον καὶ ἱερὸν εὐαγγέλιον, ἐν τῇ ὑπ᾽ αὐτῶν ἀναφθείσῃ ἐμβληθῆναι πυρκαϊᾷ· καὶ εἰ ἀβλαβὲς τηρηθείη καὶ ἄκαυστον, προσελθεῖν τῷ παρ᾽ αὐτοῦ κηρυσσομένῳ θεῷ (“They asked that the very book of the Christian faith, that is, the divine and holy gospel, be thrown into a fire kindled by them; should it be preserved without damage and remain unconsumed, they would join the God of whom he preached”); Theophanes, Chronographia (n. 31), 316, ll. 31–35, trans. Ševčenko (slightly adjusted). The story of the Three Men in the Furnace (Dan 3; cf. previous footnote) was likely chosen because of the obvious parallel of the truth and validity of ‘correct’ faith being proven by means of an unharmful ‘ordeal by fire.’ 34 An illustration of this ordeal was included in the Chronicle of John Skylitzes in Madrid (National Library, Ms. Vitr. 26–2, f. 103v); Vasiliki Tsamakda: The Illustrated Chronicle of Ioannes Skylitzes in Madrid, Leiden 2002, 38, fig. 232. 35 Daniel Sarefield: The Symbolics of Book Burning. The Establishment of a Christian Ritual of Persecution, in: The Early Christian Book, ed. by William E. Klingshirn/Linda Safran, Washington, D. C. 2007, esp. 169–173. On the burning of pagan and Jewish books in the Early Christian era, see also Acts 19:19; Norman H. Baynes: The Icons before Iconoclasm, in: The Harvard Theological Review 44 (1951), 96; Guy G. Stroumsa: The End of Sacrifice. Religious Transformation in Late Antiquity, Chicago/London 2009, 44–45. On the practice of book burning as continued in early Byzantium, see Barbara Crostini: Book and Image in Byzantine Christianity, in: Aesthetics

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acle account relating the conversion of the Rhos, it is significant that the Gospel Book resists the flames, thus delivering on its own account the proof of its purity and authenticity derived from the divine origin of the sacred writings it contains. Given the relic-like nature of the Gospel Book in Byzantium, it is noteworthy that in the medieval West ordeals by fire are frequently reported to have been applied to relics in order to test or prove their authenticity.36 The belief that the Evangelists were divinely inspired is also reflected in numerous Byzantine writings of different genres and has left a strong imprint on the visual arts.37 Encountered in some texts and images is the notion that the gospels were dictated by the divine voice or an individual who functions as an intermediary, thus making an especially strong claim to the authenticity of the sacred writ.38 A narrative frequently illustrated in Byzantium was a widely known legend of how the Gospel of Saint John was conveyed to humankind: an anonymous text usually referred to as the Acts of John by Prochorus narrates the divine inspiration of John the Evangelist and the dictation of the gospel to his disciple, Prochorus, on the island of Patmos.39 It was first recorded between the late fourth and the early seventh centuries and became immensely popular in the Orthodox realm.40 and Theurgy in Byzantium, ed. by Sergei Mariev/Wiebke-Marie Stock, Boston/Berlin 2013, 109, 111; Christine Caldwell Ames: Medieval Heresies, Cambridge 2015, 125. 36 Thomas Head: Saints, Heretics, and Fire: Finding Meaning through the Ordeal, in: Monks & Nuns, Saints & Outcasts. Religion in Medieval Society. Essays in honor of Lester K. Little, ed. by Sharon Farmer/Barbara H., Ithaca/London 2000, 220–238; Thomas Head: The Genesis of the Ordeal of Relics by Fire in Ottonian Germany: an Alternative Form of ‘Canonization,’ in: Procès de canonisation au Moyen Âge, aspects juridiques et religieux / Medieval Canonization Processes, Legal and Religious Aspects, ed. by Gabor Klaniczay, Rome 2004, 19–37. The same motif is also present in accounts of martyrdom, e. g. the Martyrdom of Polycarp (I owe this reference to Margaret Mitchell); Paul Hartog: Polycarp’s Epistle to the Philippians and the Martyrdom of Polycarp. Introduction, Text, and Commetary, Oxford 2013, 260, § 15.2, also see 254, § 11.2. 37 Grant has rightly pointed out that the Evangelists in the gospels do not describe themselves as divinely inspired; Grant, Letter (n. 8), 56–57. The notion of the inspired Evangelist is, however, commonplace in Byzantine book epigrams, poems that introduce their writings in manuscripts; for examples, see Klaas Bentein et al.: New Testament Book Epigrams. Some New Evidence from the Eleventh Century, in: Byzantinische Zeitschrift 103 (2010), 15, 16; on the iconography of the Evangelists, see Herbert Hunger/Klaus Wessel: Evangelisten, in: Reallexikon zur byzantinischen Kunst 2 (1969), 451–507. 38 On the earliest images depicting the Evangelists receiving dictation or otherwise emphasizing the authenticity of the written document, see Karin Krause: Heilige Schrift im Bild. Spätantike Portraits der inspirierten Evangelisten als Spiegel eines neuen Medienbewusstseins, in: Bild und Text im Mittelalter, ed. by Karin Krause/Barbara Schellewald, Köln 2011, esp. 41–43, 64–74. 39 Acta Joannis, ed. Theodor Zahn, Erlangen 1880, 3–165, here 154–8; see for a summary of the relevant passage Derek Krueger: Writing and Holiness. The Practice of Authorship in the Early Christian East, Philadelphia 2004, 37–38; partly translated into English by Nancy Ševčenko: The Cave of the Apocalypse, in: Hiera Monē Hagiou Iōannou tou Theologou – 900 Chronia historikēs martyrias (1989), 169–180, here 169–170; see also R. Alan Culpepper: John, the Son of the Zebedee. The Life of a Legend, Columbia 1994, 206–222, esp. 220–221. For other traditions that do not include Prochorus, see Mitchell, Counter-Evidence (n. 8), 57–60. 40 Edgar Hennecke/Wilhelm Schneemelcher (eds.): Neutestamentliche Apokryphen in deut-

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Figure 2: Frontispiece Miniature to the Gospel of John, Byzantine Gospel Book, Athos, Dionysiou, Cod. 588, f. 225v. © Stylianos M. Pelekanides et al. (eds.), The Treasures of Mount Athos. Illuminated Manuscripts, vol. 1: The Protaton and the Monasteries of Dionysiou, Koutloumousiou, Xeropotamou and Gregoriou. Athens 1973, fig. 287.

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One of the most striking illustrations of this account, a miniature painted around the year 1000, survives in a Gospel Book now on Mount Athos (Dionysiou, Ms. 588, f. 225v) [Fig. 2].41 Faithfully illustrating the text of the Acts of John, the divine message is recorded in the very moment of its oral transmission. The hand of God is seen issuing from heaven in a gesture of speech directed at the Evangelist, and the first words of the gospel ( Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος …), delivered orally by God for John to hear, have been inscribed in the miniature in a red uncial script. Rather appropriately, it represents the most distinguished of Byzantine book scripts and, in the hierarchy of calligraphic scripts encountered in manuscripts, its use was largely limited to highlighting major headlines, and not for the text itself as is the case here.42 This type of majuscule was initially developed for inscriptions in stone – hence its name, Epigraphische Auszeichnungsmajuskel – 43 and its use to render divine words in this miniature was almost certainly intended to underscore the claim that God’s revelation is not only most significant, but in fact unalterable, as if carved in stone and thus of eternal validity. Because the divine words were conveyed to John from heaven, the painter has intriguingly – but rather logically – written the letters upside down as they are being issued from above, by the ‘speaking’ hand of God.44 While the Evangelist attentively listens to God’s voice, he simultaneously dictates the exact wording of the message to his scribe Prochorus, who scrupulously records it. Remarkably, contradicting scribal custom, he writes in a heavy codex, its quires already firmly bound and equipped with red bookmarks, and, once again highlighting the importance of the gospel text, here too it is rendered in majuscule letters.45 scher Übersetzung (2 vols.), 6th ed., Tübingen 1997, 385–391; Acta, ed. Zahn (n. 39), LVII–LX; Culpepper, John (n. 39), 206; Krueger, Writing (n. 39), 216, n. 15. 41 Treasures, cat. no. 5.2, 199 [Sotiris N. Kadas]; Stylianos M. Pelekanides et al. (eds.): The Treasures of Mount Athos. Illuminated Manuscripts, vol. 1: The Protaton and the Monasteries of Dionysiou, Koutloumousiou, Xeropotamou and Gregoriou, Athens 1973, 446–448, figs. 287–288. 42 Herbert Hunger: Minuskel und Auszeichnungsschriften im 10.–12. Jahrhundert, in: La paléographie grecque et byzantine, Colloques internationaux du centre national de la recherche scientifique, no. 559, Paris, 21–25 octobre 1974, Paris 1977, 204, 207–208. In this miniature, the same script has also been employed for the name label identifying the Evangelist (“Saint John the Theologian”). 43 Herbert Hunger: Epigraphische Auszeichnungsmajuskel. Beitrag zu einem bisher kaum beachteten Kapitel der griechischen Paläographie, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 26 (1977), esp. 195–196, 201, 203; Rudolf Stefec: Anmerkungen zu einigen handschriftlich überlieferten Epigrammen in epigraphischer Auszeichnungsmajuskel, Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 59 (2009), 203. Epigraphische Auszeichnungsmajuskel was also commonly used for engraved or embossed inscriptions in the sumptuous arts, for instance, on icon frames or reliquaries. 44 To my knowledge, among the many visual renderings of this popular account in Byzantium, the detail of the script rendered upside down in this miniature is unique. 45 Not only does this portrait of Prochorus neglect ancient and Byzantine scribal practice in many ways, it also deviates from the text of the Acts of John. The latter relates that John’s scribe recorded the original dictation on papyrus. Only later upon the Gospel’s completion did he transcribe the text carefully on parchment sheets of good quality, which were subsequently assem-

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In the text of the Acts of John, the ancient notion of a mortal who is chosen as a compliant human “instrument” (ὄργανον)46 employed to voice the divine message has survived. In fact, nothing in the text suggests that there is a human contribution to this message or its written record. This late antique text and its many illustrations, which emphasize the need to document the original divine revelation faithfully for posterity in writing and to publicize it by means of books, reflect a remarkable awareness of the impact of different media of communication: as the miniature argues in its iconography, it is the written document, the book, that secures and conserves for all time the divinely authorized version of the gospel word for word. I have argued elsewhere that, whereas the concept of divine inspiration originated in pagan and ancient Jewish cultures of orality, the frequent insistence on inspired writ or writing is a novelty typical of Christian culture; it reflects changed attitudes toward authenticity that are also strongly reflected in visual images.47 As exemplified by the miniature depicting the inspiration of the Gospel of John, sophisticated iconography was developed in Byzantium to emphasize the argument of verbal inspiration and to ascertain visually that the divine message was recorded faithfully in writing at the very moment of its oral transmission.48 The arguments put forward in the popular legend about St. John dictating to his scribe Prochorus and its illustrations parallel views occasionally encountered in patristic writings that divine inspiration encompasses the exact wording, extending even to the diacritics of Greek script. For instance, Origen of Alexandria claimed that “divine wisdom comprehends the inspired scripture in its entirety, including even the smallest letter,” and that “every letter, according to its capacity, contains traces of wisdom.”49 Similarly, John Chrysostom proclaimed “that in the holy scriptures nothing is dispensable or superfluous, even if it were merely an iota or one little stroke.”50 Such claims may not be taken at face value and bled into a book; Acta, ed. Zahn (n. 39), 154–157. Krueger, Writing (n. 39), 38 has shown that this story reflects standard ancient practices for the production and distribution of books. The shape of the letter alpha appearing in the text that Prochorus is recording is typical for the alphabets of both the Epigraphische and Alexandrinische Auszeichnungsmajuskel; Hunger, Auszeichnungsschriften (n. 42), 205, 207. 46 On the concept of the ὄργανον see Thraede, Inspiration (n. 4), esp. 339, 346, 356–358. 47 Krause, Schrift (n. 38). 48 The earliest surviving image from the Byzantine realm is the portrait of St. Mark the Evangelist in the Rossano Codex. I have discussed this miniature along with other early images of the inspired Evangelists in Krause, Schrift (n. 38) and will dedicate a chapter to later iconographical developments in a book that is currently in progress. 49 … ἣν ἐπὶ πᾶσαν ἔφθασε Γραφὴν ἡ σοφία τοῦ Θεοῦ θεόπνευστον μέχρι τοῦ τυχόντος γράμματος … ἑκάστῳ γράμματι κατὰ τὸ ἐνδεχόμενον ἴχνη τῆς σοφίας; Origen, Selecta in Psalmos, Hom. 1, 4; PG 12, 1081. For a differentiated analysis of Origen’s views on the nature of scripture, see Grant, Letter (n. 8), 90–104; more recently, Thraede, Inspiration (n. 4), 360–361; Mitchell, Counter-Evidence (n. 8), 65–67. 50 … ὅτι τῶν θείων Γραφῶν οὐδὲν περιττὸν, οὐδὲν πάρεργόν ἐστι, κἂν ἰῶτα ἓν, κἂν μία κεραία ᾖ …; In illud, Salutate Priscillam et Aquilam, Hom. 1,1 (on Rom 16:3); PG 51, 187 (cf.

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must be assessed in relation to their respective textual context as well as against overall views of patristic authors regarding the human contribution to inspired writings. Yet the claims they make as to the utmost authenticity of sacred writ documenting verbatim inspiration are echoed in writings as well as visual images produced in Byzantium. The notion of literal inspiration is encountered especially frequently in portraits of the Evangelists thus highlighting that manuscripts containing the gospels faithfully conserve the original word of God. The Prochorus scene of the Dionysiou Codex may be understood, then, as a visual assertion that the word of God and its written record are indeed identical, a claim that is also manifest in the expression “scripture says” (λέγει ἡ γραφή), frequently encountered in the New Testament as a substitute for “God says.”51 The common notion that a written text speaks signals what is indeed important to keep in mind, namely the primarily aural dimension of scripture, its audible presence when read during the liturgy and other occasions when sacred writings were recited in public.52 The acoustic aspect of scripture, its blend with orality, becomes most obvious in the notion of ‘speaking books.’ Widespread in different cultures and periods, it may be traced back to antiquity, to the “speaking letters” (γράμματα λέγοντα) of Hellenistic inscriptions.53 Not only listening, but writing, too, involved aural activity, because when a text was copied or recorded, it was in the process read or spoken aloud, either by the scribe himself or by means of dictation.54 This latter practice is neatly visualized in the miniature introducing the Gospel of John in the Dionysiou Codex discussed above. Pictures that emphasize the inspiration of the gospels and its record in writing would have served Mt 5:18), my translation. For a similar argument, see Gregory of Nazianzus: Ἡμεῖς δέ, οἱ καὶ μέχρι τῆς τυχούσης κεραίας καὶ γραμμῆς τοῦ πνεύματος τὴν ἀκρίβειαν ἕλκοντες …; Or. 2, 105; SC 247 (n. 12), 224. Margaret M. Mitchell is currently preparing an English translation of Chrysostom’s homily on Rom 16:3. There, she will also comment on Chrysostom’s ambiguous views on inspiration and authorship as evidenced in this homily. The translation will be part of in her forthcoming book entitled John Chrysostom on Paul: Praises and Problem Passages (for the Writings from the Greco-Roman World series, Society of Biblical Literature). I thank the author for letting me consult a draft of her work before its publication. 51 Beumer, Inspiration (n. 4), 4, 6–7. 52 William A. Graham: Beyond the Written Word: Oral Aspects of Scripture in the History of Religion, Cambridge/New York, 123–125; Günter Lange: Bild und Wort. Die katechetischen Funktionen des Bildes in der griechischen Theologie des sechsten bis neunten Jahrhunderts, Würzburg 1969, 33. Whereas reading texts aloud was by far the most common practice in Antiquity and the Middle Ages, scholars have demonstrated that silent reading was also practiced occasionally; esp. Bernard M. W. Knox: Silent Reading in Antiquity, in: Greek, Roman, and Byzantine Studies 9 (1968), 421–435; M. F. Burnyeat: Postscript on Silent Reading, in: Classical Quarterly 47 (1997), 74–76. 53 On the earliest evidence see Timo Christian: Gebildete Steine. Zur Rezeption literarischer Techniken in den Versinschriften seit dem Hellenismus, Göttingen 2015 (Hypomnemata 197), 46–45. For examples from different periods and contexts, see Josef Balogh: Voces Paginarum. Beiträge zur Geschichte des lauten Lesens und Schreibens, in: Philologus 82 (1927), esp. 202–204. 54 For evidence from different times and cultural contexts see Balogh, Voces (n. 53), 104–105, 206, 212–220.

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to reassure even those who could not read that what was read out loud for them corresponded exactly to the original divine message.55 They confirm visually that the ‘speaking’ Book of the Gospels enables those listening to its narrative to hear exactly the same inspired words that were heard in antiquity and recorded in writing by the Evangelists. Significantly, whereas scripture was understood as inspired and thus sacred and venerable, no equal tradition existed for visual images, including those visualizing scriptural narrative. Writings from the period of iconoclasm reveal that this shortcoming of the visual arts triggered anxieties regarding the question of the legitimacy of pictorial narrative derived from sacred writ. At stake was the question of how pictures illustrating biblical narrative, oftentimes included in the very books that contain these texts, can possibly be as equally true, holy, and venerable as the inspired writ itself. As will be traced in the next section, this question formed part of a larger discourse in Byzantium that originated in pagan antiquity and was aimed at establishing what visual narrative can and cannot successfully accomplish in relation to textual narrative. In the writings of Byzantine theologians, remarks on the interrelation of text and image are usually tied inseparably to reflections on the effects that pictures have on the beholder, or on the benefits s/he may gain from them. Iconophile writers especially highlighted the instructive properties of images, their commemorative value, and their power to arouse emotions,56 and the claimed beneficial effects of icons cannot always be separated from the matters discussed in the present article. However, my chief aim in the next section is to investigate how Byzantine theorists viewed intermedial relations between textual and visual narrative of scripture.

3 Pictures: Dead or Alive? It was not until after iconoclasm ended that we encounter in Byzantium the explicit claim that religious art was actually the result of divine inspiration. This appears to be a relatively late response to the fact that there is no early Christian tradition for such a claim. Accordingly, during the iconoclastic debates, those who opposed Christian icons did not cease to point out loudly that the pictures lacked any contribution from the Holy Spirit and, consequently, lacked holiness; on the contrary, in their view, icons were products of demonic invention and relegated to the realms of paganism and idolatry. 55

In Late Antiquity and the Middle Ages, analphabetism would have applied to a great majority of the population, although numerical estimates are difficult for obvious reasons. For a recent assessment of (il)literacy in Byzantium (and beyond), see Michael Jeffreys: Literacy, in: The Oxford Handbook of Byzantine Studies, ed. by Robin Cormack, Oxford 2015, 1–9. 56 These were the most common assets of pictures defined in the theoretical discourse. For a good overview of the major arguments see Brubaker, Vision (n. 23), 19–58, esp. 43–52. The most exhaustive study on the didactic and pedagogical benefits of icons remains Lange, Bild (n. 52).

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The Horos, the definition or publicized decision,57 of the first iconoclastic council held at Hiereia in 754 makes this plain.58 This document, in which Christian icons are rejected in ways that could hardly be more pejorative, forms part of only a handful of surviving testimonies that provide first-hand insight into the polemic of the iconoclasts. In it, Christian religious images, since they are created “with profane hands,”59 represent “a craft which is dead (νεκρᾷ τέχνῃ) and hateful, not one which vivifies, but rather one vainly invented by the pagan adversaries.”60 Icons are bluntly condemned as “products of the wicked craft of the painters.”61 Being “lifeless and dumb” (ἀψύχοις καὶ ἀναύδοις) and “made of material colors,” they are “the invention (εὕρεσις) of demonic craft.”62 57 The aim of Horoi was to publicize decisions of normative nature made during Church councils, which would be valid for the Church in its entirety. On the genre and significance of the term, Johannes Bernhard Uphus: Der Horos des Zweiten Konzils von Nizäa 787. Interpretation und Kommentar auf der Grundlage der Konzilsakten mit besonderer Berücksichtigung der Bilderfrage, Paderborn 2004, 13–37, esp. 37. 58 The Horos of Hiereia is contained in the proceedings of the Second Council of Nicaea held in 787 (Actio VI); Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 606–782. Two translations into modern languages have been published based on Mansi’s 18th-century edition of the text (Joannes Dominicus Mansi: Sacrorum Conciliorum Nova et Amplissima Collectio, Tomus Decimus Tertius, Graz 1960, 208D–356D), into German (Krannich et al.: Synode von Hiereia: Die ikonoklastische Synode von Hiereia 754. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar ihres Horos, besorgt von Torsten Krannich, Christoph Schubert und Claudia Sode, nebst einem Beitrag zur Epistula ad Constantiam des Eusebius von Cäsarea von Annette von Stockhausen, Tübingen 2002, 29–69) and into English (Stephen Gero: Byzantine Iconoclasm during the Reign of Constantine V, with Particular Attention to the Oriental Sources, Louvain 1977 [Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium 384. Subsidia 52], 68–94; the English citations from Actio VI in the present article are from Gero’s translation and have been adjusted where necessary, based on Lamberz’ new edition published in 2016). 59 Trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 74; τίς ἡ ἀνόητος ἐπίνοια τοῦ σκαιογράφου δι᾽ οἰκτρὰν αἰσχροκέρδειαν ἐπιτηδεύσαντος τὸ ἀνεπιτήδευτον, τουτέστι τὰ καρδίᾳ πιστευόμενα καὶ στόματι ὁμολογούμενα χερσὶ βεβήλοις διαμορφῶσαι; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 654, ll. 13–15 (the quotation is from Rom 10:10 and serves to underscore the sanctity of the divine words as opposed to manmade pictures). 60 οὓς ὁ ἐν νεκρᾷ τέχνῃ καὶ στυγητῇ μηδέ ποτε ζησάσῃ, ἀλλ᾽ ἐξ ἀντικειμένων Ἑλλήνων ματαίως ἐφευρεθείσῃ, λογιζόμενος ἀναστηλοῦν βλάσφημος ἀποδείκνυται; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 686, ll. 31–32 (“He who intends to raise up a memorial to them [i. e. the saints], by means of a craft which is dead and hateful, not ever alive, but rather one vainly invented by the pagan adversaries, is shown to be a blasphemer”); trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 79 (adjustments made), similarly, ibid., 690, ll. 10–16, where pictures are disqualified as “inglorious and dead matter” (ἀδόξῳ καὶ νεκρᾷ ὕλῃ; ibid., l. 13). 61 … ὁρίζομεν ἀπόβλητον εἶναι καὶ ἀλλοτρίαν καὶ ἐβδελυγμένην ἐκ τῆς τῶν χριστιανῶν ἐκκλησίας πᾶσαν εἰκόνα ἐκ παντοίας ὕλης καὶ χροματουργικῆς τῶν ζωγράφων κακοτεχνίας πεποιημένην; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 746, ll. 4–7. 62 Εἴ τις τὰς τῶν ἁπάντων ἁγίων ἰδέας ἐν εἰκόσιν ἀψύχοις καὶ ἀναύδοις ἐξ ὑλικῶν χρωμάτων ἀναστηλοῦν ἐπιτηδεύοι μηδεμίαν ὄνησιν φερούσας – ματαία γάρ ἐστιν ἡ ἐπίνοια καὶ διαβολικῆς μεθοδείας εὕρεσις – καὶ οὐχὶ δὴ μᾶλλον τὰς τούτων ἀρετὰς διὰ τῶν ἐν γραφαῖς περὶ αὐτῶν δηλουμένων οἶόν τινας ἐμψύχους εἰκόνας ἐν ἑαυτῷ ἀναζωγραφεῖ καὶ πρὸς τὸν ὅμοιον αὐτοῖς ἐκ τούτου διεγείρεται ζῆλον, καθὼς οἱ ἔνθεοι ἡμῶν ἔφησαν πατέρες, ἀνάθεμα; Concilium, ed.

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The Horoi of both iconclastic councils, that of Hiereia and that of the later one held at Constantinople (815) explicitly define Christian icons, particularly those depicting Christ, as “spurious” or “images falsely so-called” (ψευδώνυμοι εἰκόνες), and hence images that do not even deserve the name.63 According to the iconoclasts, the Eucharist and the ‘images’ of holy persons provided in scripture were the only true and inspired images.64 As explained in the Horos of Hiereia, the bread of the Eucharist was transformed into ‘a true image’ of Christ’s body when it became sanctified by the descent of the Holy Spirit during consecration;65 “the divinely-given image of his flesh, the divine bread, was filled with the Holy Spirit, [as was] the chalice of the life-giving blood from his side.”66 Since there was no similar prayer of consecration for pictorial images, iconoclasts argued that images necessarily remain “common and without honor, just as the painter prepared” them.67 In contrast, spiritual and moral benefit may be gained from “the divinely inspired scriptures,” because in them “the lives of holy men are depicted and handed down as living images of the conduct approved by God.”68 Lamberz (n. 27), 770, ll. 8–13 (“If anyone undertakes to set up the forms of all the saints in lifeless and dumb icons, made of material colors, something which is without profit – for this aim is vain and the invention of demonic craft – rather than [to depict] their virtues, manifested in the writings about them, painting as it were, living images for himself, exciting his zeal to be like unto them, as our inspired fathers said – anathema”); trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 91. The notion that Christians may become true or ‘living’ images of Christ and the saints by imitation of their virtues described in texts has been derived from the patristic literature and goes back to a classical topos; see Mitchell: Trumpet (n. 5), 49–55; Paul J. Alexander: The Iconoclastic Council of St. Sophia (815) and its Definition (Horos), in: Dumbarton Oaks Papers 7 (1953), 50–51. 63 Concilium Universale Nicaenum Secundum, vol. 3, ed. Lamberz, Concilium (n. 27), 676, l. 15: Ἡ … τῶν ψευδωνύμων εἰκόνων κακωνυμία (“the evil name of the images falsely so-called”); similarly, ibid., 666, ll. 19–20: τὴν ψευδωνύμως γινομένην καὶ λεγομένην ὑπ᾽ αὐτῶν τοῦ Χριστοῦ εἰκόνα (“the image of Christ falsely made and falsely so-called”). The spuriousness of images was the main point of opposition expressed in the Horos of 815; Alexander, Council (n. 62), esp. 41, 59–60, fragment 14. 64 Alexander, Council (n. 62), 50–51; on the Eucharist as icon, see Stephen Gero: The Eucharistic Doctrine of the Byzantine Iconoclasts and Its Source, in: Byzantinische Zeitschrift 68 (1975), 4–22. 65 … ὁμοίως καὶ τὸν τῆς εὐχαριστίας ἄρτον ὡς ἀψευδῆ εἰκόνα τῆς φυσικῆς σαρκὸς διὰ τῆς τοῦ ἁγίου πνεύματος ἐπιφοιτήσεως ἁγιαζόμενον θεῖον σῶμα εὐδόκησε γίνεσθαι … (“likewise it pleased him to make the bread of the Eucharist into a sanctified divine body a true image of the natural flesh by the descent of the Holy Spirit”); Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 672, ll. 4–6; trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 77, adjusted. 66 … ἡ θεοπαράδοτος εἰκὼν τῆς σαρκὸς αὐτοῦ, ὁ θεῖος ἄρτος, ἐπληρώθη πνεύματος ἁγίου σὺν τῷ ποτηρίῳ τοῦ ζωηφόρου αἵματος τῆς πλεῦρας αὐτοῦ; Concilium Universale Nicaenum Secundum, vol. 3, ed. Lamberz, Concilium (n. 27), 672, ll. 9–11; trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 77, adjusted. 67 … κοινὴ καὶ ἄτιμος, ὡς ἀπήρτισεν αὐτὴν ὁ ζωγράφος; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 676, ll. 17–18; trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 78. 68 “Μεγίστη γὰρ ὁδὸς πρὸς τὴν τοῦ καθήκοντος εὕρεσιν,” ὁ ἅγιος ἔφη Βασίλειος, “ἡ μελετὴ τῶν θεοπνεύστων γραφῶν …;” Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 714, ll. 21–22. The quotation is from Basil’s first epistle to Gregory of Nazianzus; trans. Gero, Iconoclasm (n. 58), 83, n. 104.

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To iconoclastic theologians, Christian pictures, far from being of divine origin, represented products of demonic intervention and manifestations of falsehood or “error” (πλάνη).69 Divine inspiration not only rendered the non-pictorial images of Christ and holy persons worthy of being called images (icons), but, significantly, the indwelling of the Holy Spirit also rendered them ‘living’ or ‘life-giving.’70 Numerous writings from antiquity on recognize and reflect upon the lifelessness of visual images resulting from their creation by craftsmen, and the fact that they are man-made was crucial for the Christian contempt for idolatry.71 Reflecting their view that Christian pictorial images are expressions of paganism, iconoclast theologians employed exactly the same vocabulary that early Christian authors used to condemn pagan imagery. For instance, in his Preparation for the Gospel Eusebius had disqualified pictorial representations of pagan deities, Zeus in particular, as follows: “… the other [i. e., the image], being the work of common mechanics, is the imitation of the nature of a mortal body, and represents a deaf and dumb image of living flesh in lifeless and dead matter.”72 Early Christian writers had often linked idolatry to fornication and other sins,73 and Theodoret of Cyrrhus, for instance, had claimed that artists who produced pornographic images of mythological themes were trained by the devil in order to beguile the illiterate.74 Origen likewise claimed that because (pagan) statues are lifeless and without a soul, they can easily be inhabited by demons, and dur69

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τῶν εἰκόνων πλάνης; “the error of images;” Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 616, l. 6, 752,

70 Eusebius’ account of Constantine the Great’s campaign to recover the Holy Sepulchre of Christ is an interesting early example of a similar way of thinking: both the removal of the temple of Aphrodite and the excavation of Christ’s tomb that had been hidden by it are by Eusebius ascribed to the emperor’s divine inspiration; Eusebius von Caesarea: De Vita Constantini – Über das Leben Konstantins, eingeleitet von Bruno Bleckmann, übersetzt und kommentiert von Horst Schneider [Abdruck der 2. Auflage des griechischen Textes von F. Winkelmann, GCS, Eusebius, Werke 1/1], Turnhout 2007, III.25–28, esp. 25, 26(6), 27. The same account nicely contrasts the “truly genuine tomb … for dead idols” (ταφεῶνα … νεκρῶν εἰδώλων), i. e., the temple of Aphrodite, with the cave of the Holy Sepulchre seen as a visible testimony of Christ’s resurrection – of “the Saviour’s return to life” (τῆς τοῦ σωτῆρος ἀναβιώσεως); ibid., III.26(3), III.28 (trans. Averil Cameron/Stuart G. Hall, Oxford/New York 1999). 71 An insightful analysis of the textual and visual evidence from pagan antiquity has been provided by Deborah Steiner: Images in Mind: Statues in Archaic and Classical Greek Literature and Thought, Princeton 2001, 135–184; on early Christian views and some evidence from the Old Testament, see Troels Myrup Kristensen: Making and Breaking the Gods. Christian Responses to Pagan Sculpture in Late Antiquity, Aarhus 2013, 66–67, 85. 72 τὸ δὲ βαναύσων ἀνδρῶν ἔργον θνητοῦ σώματος φύσιν ἀπομεμίμηται, καὶ ζώσης σαρκὸς ἀψύχῳ καὶ νεκρᾷ ὕλῃ κωφὴν καὶ ἄναυδον εἰκόνα καταγέγραπται; Eusebius, Praeparatio, III.10, 106b; ed. Edwin H. Gifford, Oxford 1903; trans. Edwin H. Gifford, Grand Rapids 1981. Numerous similar statements are found throughout this work, esp. in Book III, ch. 7–10. 73 Kristensen, Gods (n. 71), 66. 74 Graecarum affectionum curatio, ed. Johannes Raeder, Leipzig 1904, 7:7–8; Theodoret of Cyrus: A Cure for Pagan Maladies, translation and introduction by Thomas Halton, New York/

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ing the early Christian period the notion of a demonic presence in statues had often led to their damage and destruction.75 In turn, however, writings from the period of iconoclasm and beyond testify to different approaches that iconophile authors used to defend Christian icons against charges of error and idolatry and to substantiate the truth and holiness of the Christian religious image as such.76 In what follows, I will concentrate on arguments developed in defense of visual narrative of holy scripture, and of the gospels in particular.77 A common approach to substantiating the truth of pictures that rendered visible events from scripture was to claim that they faithfully conveyed the same narrative as the text. In order to define the relation of pictorial narrative to the text from which it is derived, Theodore the Studite, for instance, writing in the ninth century, cites a famous dictum from Basil the Great’s On the Forty Martyrs of Sebaste, a homily delivered in 373 at the church housing their relics in Caesarea:78 … what there [i. e., in “the divinely engraved Gospels” (τῶν θεοχαράκτων Εὐαγγελίων)79] is incised with paper and ink, here on the icon is incised by means of colors of all sorts or by means of some other material. So the great Basil says, “What the historical account (ὁ λόγος τῆς ἱστορίας) presents, the painting silently shows by imitation (γραφικὴ σιωπῶσα διὰ μιμήσεως δείκνυσιν).”80

Significantly, the claim Theodore makes here – that images are equal to the text insofar as they convey the same discourse – implies that because the text is holy, Mahwah 2013 (Ancient Christian Writers 67), 160; Jean Pépin: Ut scriptura pictura. Un thème de l’esthétique médiévale et ses origines, in: From Augustine to Eriugena. Essays on Neoplatonism and Christianity in Honor of John O’Meara, ed. by F. X. Martin/J. A. Richmond, Washington, D. C. 1991, 178–181. 75 Origen, Contra Celsum, VIII, § 18, 22–26, ed. Miroslav Marcovich, Boston 2001, 535; passage cited in Alexander, Council (n. 62), 50. Kristensen, Gods (n. 71), 65–106; Cyril Mango: Antique Statuary and the Byzantine Beholder, in: Dumbarton Oaks Papers 17 (1963), 56, 59–61. 76 For a summary see Parry, Word (n. 3), 44–51. 77 This reasoning cannot of course always be separated from the theology of the icon as such, indepently of its subject. 78 PG 31, 508–525; (CPG 2863), citation 509A. On the date and location of the sermon, Johan Leemans et al.: Let us die that we may live: Greek Homilies on Christian Martyrs from Asia Minor, Palestine, and Syria (c. AD 350–AD 450), London/New York 2003, 67. 79 See earlier in the same chapter; Theodore the Studite, Antirrheticus (n. 25), I. 10, trans. Cattoi, 53; PG 99, 340D: Ἢ οὐχὶ καὶ ἐπὶ τῆς ἐν πίνακί σωματοειδοῦς αὐτοῦ θέας τὸ αὐτὸ ἔστιν ὑπολαμβάνειν, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν θεοχαράκτων Εὐαγγελίων (“And then, should we not understand the same thing concerning his manifestation in bodily form … on a writing implement, such as in the case of the divinely imprinted gospels?”). 80 καὶ ὅ ἐνταῦθα διὰ χάρτου καὶ μέλανος, οὕτως ἐπὶ τῆς εἰκόνος, διὰ ποικίλων χρωμάτων, ἢ ὅ τε τύχοι ἂν ἄλλων ὑλῶν ἐγχαράττεται. Ἅ γὰρ, φησὶ, ὁ λόγος τῆς ἱστορίας παρίστησι, ταῦτα γραφικὴ σιωπῶσα διὰ μιμήσεως δείκνυσιν, ὁ μέγας Βασίλειος; Theodore the Studite, Antirrheticus (n. 25), I. 10; PG 99, 340D–341A, trans. Cattoi (n. 25), 53 (adjustments made). The notion of engraving or incising is remarkable (here as well as in the passage cited in the previous note) because what is claimed is the permanence of both textual and visual gospel narrative.

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pictures are as well, an elegant way of bypassing the problem that the visual arts lack divine inspiration of their own. Because iconophile writers did not cease to reiterate Basil the Great’s argument on the close ties of text and image, and because it raises a number of fundamental issues that will be addressed in the present article, it is worth quoting here the relevant passage from Basil’s oration in full: Come then, let us bring them [i. e., the martyrs] out into the public eye by remembering them, let us present to those who are here the common benefit deriving from them, demonstrating to everyone, as if in writing, the acts of the men’s prowess. When often both writers (λογογράφοι) and painters (ζωγράφοι) express manly deeds of war, the former setting them down in order with words, the latter engraving them onto tablets, they both arouse many to bravery, too. What the historical account presents by being listened to, the painting silently shows by imitation (διὰ μιμήσεως).81

This passage reflects the notion of ‘speaking books’ that I addressed above, and the pictures, according to Basil, render the same story as the narrative (historia) “through mimesis.” Theodore the Studite thus extracts the claim that pictures imitate a previously existing textual account from Basil’s homily, skipping, however, his phrase: “by being listened to.” It is likely that he did so intentionally to highlight the fact that the text of the gospels exists in written form, “by means of paper and ink” (διὰ χάρτου καὶ μέλανος). Theodore’s choice of the term ὁ χάρτης is significant because it refers to a sheet of papyrus (“paper”) or a papyrus roll in the first place,82 and not to a parchment codex which in ninth-century Byzantium would have been the common medium to accommodate the text of the gospels. The noun ὁ χάρτης may also denote an “official document,” and I would suggest that Theodore wanted to emphasize this aspect of the gospels as well.83 This interpretation conforms to his description of the gospels as written, or rather en81 Leemans, Homilies (n. 78), 68, trans. Pauline Allen (adjustments made); PG 31, 508D–509A: Δεῦρο δὴ οὖν, εἰς μέσον αὐτοὺς ἀγαγόντες διὰ τῆς ὑπομνήσεως, κοινὴν τὴν ἀπ’ αὐτῶν ὠφέλειαν τοῖς παροῦσι καταστησώμεθα, προδείξαντες πᾶσιν, ὥσπερ ἐν γραφῇ, τὰς τῶν ἀνδρῶν ἀριστείας. Ἐπεὶ καὶ πολέμων ἀνδραγαθήματα καὶ λογογράφοι πολλάκις, καὶ ζωγράφοι διασημαίνουσιν, οἱ μὲν τῷ λόγῳ διακοσμοῦντες, οἱ δὲ τοῖς πίναξιν ἐγχαράττοντες, καὶ πολλοὺς ἐπήγειραν πρὸς ἀνδρίαν ἑκάτεροι. Ἃ γὰρ ὁ λόγος τῆς ἱστορίας διὰ τῆς ἀκοῆς παρίστησι, ταῦτα γραφικὴ σιωπῶσα διὰ μιμήσεως δείκνυσιν. 82 Lampe, Lexicon (n. 14), 1519; Henry G. Liddell/Robert Scott: A Greek-English Lexicon, 9th ed., with a rev. supplement, Oxford 1996, 1980; Walter Bauer: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6th, compl. rev. ed., ed. by Kurt Aland/Barbara Aland, Berlin/New York 1988, 1753–1754. 83 Lampe, Lexicon (n. 14), 1519. This complies well with the roll format that the term may indicate as well. Scrolls continued to be widely used for charters and other documents of official character until long into the Middle Ages; Ahasver von Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften, 13th ed., Stuttgart et al. 1992, 68, 69. For the gospels as charters and the implications of this understanding see Carsten Colpe: Heilige Schriften, in: Reallexikon für Antike und Christentum 14 (2014), 184–223, at 209–210; Krause, Schrift (n. 38), 63.

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graved, by God (θεοχαράκτων) which renders them similar to the stone tablets of the law in the Old Testament.84 Basil’s reasoning constitutes early evidence on how a Christian intellectual thought that visual narrative functioned in relation to texts, and the passage was often cited by later writers as an authoritative source. It thus seems important to understand what the Church Father tried to point out in this brief passage, especially what exactly he meant by mimesis.85 Though most often translated as ‘imitation,’ in antiquity the noun mimesis had a wide range of meanings and was used in a great variety of contexts both outside and within the realm of philosophy.86 Significantly, in early Christian and Byzantine culture, mimesis and its cognate terms were more specifically understood to mean accurate, truthful ‘imitation,’ or ‘copying’ of a model.87 This signification of the term is in fact crucial for the theology of the Christian icon as developed during the period of iconoclasm. According to Byzantine iconophile image theory, similarity in appearance achieved by imitation links the icon to its model or prototype, and it is due to exact similitude that the icon can show truth.88 It is this same understanding of mimesis as the faithful copying of a model that Basil’s homily, mentioned above, reflects as well, and it is in fact crucial for his argument, according to which the pictures narrate the same story as their prototype, the text. 84

Ex 24:12, Ex 31:18, Dt 5:22. Daniele Iozzia discussed the cited passage from Basil’s homily and its contexts at some length in his recent book but does not comment on the significance of mimesis; Daniele Iozzia: Aesthetic Themes in Pagan and Christian Neoplatonism. From Plotinus to Gregory of Nyssa, London 2015, esp. 25–37, 47–52. 86 For a recent overview and up-to-date bibliography see Paul Woodruff: Mimesis, in: A Companion to Ancient Aesthetics, ed. by Pierre Destrée/Penelope Murray, Oxford 2015, 329– 340. Scholars have repeatedly pointed out the lack of a clear definition, as well as the interpretive problems arising from the ambiguities of the term in Platonic and Aristotelian thought; Roos Meijering, Theories (n. 13), 70–71; Elizabeth Belfiore: The Theory of Imitation in Plato’s Republic, in: Oxford Readings in Ancient Literary Criticism, ed. by Andrew Laird, Oxford 2006, 87–114. Alexander Nehamas: Plato on Imitation and Poetry in Republic 10, in: Plato. On Beauty, Wisdom, and the Arts, ed. by Julius Moravcsik/Philip Temko, Totowa, NJ 1982, 47–78; John T. Kirby: Mimesis and Diegesis: Foundations of Aesthetic Theory in Plato and Aristotle, in: Helios 18 (1991), 123, n. 2. In contrast, Woodruff interprets the varying views on mimesis encountered in Plato’s writings as a result of the thinker’s development rather than as inconsistencies (Woodruff, Mimesis [n. 86], 331–335, esp. 331, 332) and sees Aristotle’s concept of mimesis as being basically identical to that of Plato (ibid., 335–338, esp. 335). 87 Gerhard B. Ladner: The Concept of the Image in the Greek Fathers and the Byzantine Iconoclastic Controversy, in: Dumbarton Oaks Papers 7 (1953), 13; Lampe, Lexicon (n. 14), 871– 872; Erich Trapp et al. (eds.): Lexikon zur byzantinischen Gräzität besonders des 9.–12. Jahrhunderts, Wien 1994, 1027. On the concept of mimesis as perfect copy in patristic writings (with a focus on John Chrysostom), see Mitchell, Trumpet (n. 5), 49–55, et passim. This understanding of mimesis is lost in the translation of the passage from Basil provided by another translator who has chosen to render διὰ μιμήσεως δείκνυσιν with the more neutral meaning “by representation,” i. e., “by showing” (“… das zeigt die Malerei schweigend durch Darstellung”); Lange, Bild (n. 52), 15. 88 Ladner, Concept (n. 87), esp. 12–17; Parry, Word (n. 3), 22–43; Barber, Figure (n. 3), 107–123. I will return to these matters in greater detail further down. 85

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Another early text that offers reflections on the characteristics of visual narrative is Gregory of Nyssa’s homily On St. Theodore the Martyr, preached at the saint’s shrine in Euchaïta in 381.89 Although Gregory also characterizes the visual arts as mimetic, he conveys a rather different understanding as to what exactly constitutes the source for artistic imitation. After summarizing the iconography of a mural that depicted Saint Theodore’s martyrdom, Gregory explains that the artist, having fashioned all these things for us by his use of colors, he described accurately (σαφῶς διηγόρευσε), as if in a book that utters speech (ὡς ἐν βιβλίῳ … γλωττοφόρῳ), in great detail the martyr’s contest and at the same time he also adorned the church as a beautiful meadow. For even though it remains silent, painting (γραφή) knows how to speak on the wall and be of the greatest profit.90

Although it would seem self-evident that the painter devised the paintings based on an existing narrative, Gregory deliberately seeks to obscure the dependence of the iconography on a text. Yet, in his view, too, although the term mimesis does not appear here, the picture is truthful and reliable due to its clear and accurate portrayal of the martyr’s suffering (σαφῶς διηγόρευσε). Claudia Rapp has demonstrated how in late antique hagiography veracity is construed by presenting the narration, diegesis (διήγησις), of the saint’s life as if it were an eyewitness account. Clarity (σαφήνεια), achieved by an accurate rendering of the saint’s deeds, and attention to detail are important characteristics of this form of storytelling.91 Significantly, in the brief passage cited above, Gregory transfers the claim to the eyewitness account from the realm of literature to the visual arts. After all, to bring the contents of a depiction vividly before the eyes was also the declared purpose of ekphrasis.92 As a result, ideally at least, the depicted action becomes ‘alive’ in the 89 Brouria Bitton-Ashkelony: Encountering the Sacred: The Debate on Christian Pilgrimage in Late Antiquity, Berkeley 2005, 35; PG 46, 736C–748D; Gregorii Nysseni Opera Online, ed. Ekkehard Mühlenberg/Giulio Maspero, text 50 (De Sancto Teodoro), 61–71; Leemans, Homilies (n. 78), 82–91, trans. Leemans, ibid., 83–91. 90 … πάντα ἡμῖν ὡς ἐν βιβλίῳ τινὶ γλωττοφόρῳ διὰ χρωμάτων τεχνουργησάμενος σαφῶς διηγόρευσε τοὺς ἀγῶνας τοῦ μάρτυρος καὶ ὡς λειμῶνα λαμπρὸν τὸν νεὼν κατηγλάϊσεν· οἶδε γὰρ καὶ γραφὴ σιωπῶσα ἐν τοίχῳ λαλεῖν καὶ τὰ μέγιστα ὠφελεῖν; PG 46, 737D–740A; Gregorii Nysseni Opera Online (n. 89), 63, ll. 9–13; trans. Leemans, Homilies (n. 78), 85 (adjustments made). The extracts cited form part of an elaborate praise of the aesthetic appeals of the visual arts, which, according to Gregory, lead the beholder to spiritual edification; for the context see, Iozzia, Themes (n. 85), esp. 25–37. John of Damascus in the eighth century draws heavily on Gregory in his iconophile treatises On the Divine Images; De imag. I. 47 (cf. II.43; ed. Kotter [n. 28], 151), and the Damascene’s vivid appreciation of the aesthetics of the visual arts is in fact singular within the entire literary corpus on image theory produced during Byzantine iconoclasm, which tends to prioritize ‘sober’ theological reasoning. 91 Claudia Rapp: Storytelling as Spiritual Communication in Early Greek Hagiography: The Use of Diegesis, in: Journal of Theological Studies 49 (1998), 431–448., esp. 433–434, 440–442, 446. 92 Jas’ Elsner: Introduction. The Genres of Ekphrasis, in: Ramus. Critical Studies in Greek and Roman Literature 31 (2002), 1–18, esp. 1. Also see further below in the present article.

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eyes of the beholder and is even able to utter speech, thus overcoming the silence that normally characterizes the visual medium.93 As Gregory implies, this effect is the result of the painter’s accurate and detailed rendering of the actual events by means of mimesis, and, due to the resulting immediacy and vividness of the depiction, the beholders themselves are actually transformed into participants in the events portrayed on the wall. The important difference between Gregory’s rhetoric and that of Basil the Great or later writers who quoted him is that visual narrative is by Gregory presented as an accurate imitation of the actual event, and not of a textual account relating it. It must be said, though, that the reader of this brief passage is left alone as she tries to resolve the practical implications that arise from the paradox of a silent medium uttering speech. How exactly did the picture manage to communicate meaning to those who stood in front of it looking, or rather, what exactly did Gregory mean by his enthusiastic assumption that a picture may ‘speak’ on its own account? Not without reason, as we shall see further below, writings from medieval Byzantium reveal serious concerns about the undeniable fact that works of the visual arts cannot by themselves generate sound. Silence as an essential feature of the visual medium and its contrast with the ‘speaking book’ was frequently referenced by writers from antiquity, and the contrast is commonplace.94 Whereas the notion of the ‘speaking book’ results from traditional reading practice, meaning literature that is made accessible by being read out loud, the silence of pictures and what that silence entails is not normally explained, but apparently understood as self-evident by authors who have used the topos. This is astonishing, I think, and in fact difficult to acknowledge. After all, the book remains silent, too, as long as it is left unopened and unread, and pictures, on the other hand, may be mediated to an audience by means of speech, namely by individuals who voice in front of them an explanation of their iconography.95 Only if their contents are known, recognizable, or explained to the beholder, can silent pictures serve as ‘books for the illiterate,’ to cite the old and widespread stereotype.96 To be properly understood, they thus rely on words, written or spoken. The various merits of visual images – arousing emotions, trig93 On Gregory’s homily and texts from Late Antiquity that make similar claims, see Mitchell, Trumpet (n. 5), 36, n. 10. 94 On the ubiquitous presence of the topos, see Pépin, Scriptura (n. 74), with bibliography. 95 Rhetorical ekphrasis constitutes a particularly elaborate approach to responding with words to a work of the visual arts; Elsner, Genres (n. 92). It has been noted, though, that ekphrasis is not aimed at providing an accurate, ‘archaeological,’ description of the work; Liz James/Ruth Webb: To Understand Ultimate Things and Enter Secret Places. Ekphrasis and Art in Byzantium, in: Art History 14 (1991), 1–15, esp. 9. 96 On the ancient roots of the notion that pictures provide instruction for the illiterate, Ernst Kitzinger: The Cult of Images in the Age before Iconoclasm, in: Dumbarton Oaks Papers 8 (1954), 136, n. 227; Lange, Bild, (n. 52) 127–128, n. 122; on this topos in writings from Byzantine iconoclasm, esp. by John of Damascus, see ibid., 124–127, 133–134.

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gering the memory of people and events, and aiding spiritual contemplation, for example – have often been praised since ancient times.97 However, with regard to visual narrative, the limitations of the silent picture are immediately obvious when it comes to communicating content on its own account. It is this admittedly negative implication of silence that I am concerned with in the first place, leaving aside the many merits of silence which include its important communicative functions in realms outside the scope of the present study.98 As I suggest here, and throughout this article, the undeniable fact that pictures cannot express themselves audibly becomes especially obvious – and indeed most problematic – when oral speech or dialogue is involved. As I will show, this shortcoming of the visual medium troubled both writers in Byzantium and artists alike. In contrast to Gregory of Nyssa’s enthusiastic view regarding the capacity of pictures to tell a story on their own account, Byzantine iconophile writers tend to emphasize the primacy of the textual narrative: visual narrative ‘imitates’ the textual discourse already in existence. A text attributed to John of Damascus refers to this hierarchy rather explicitly in order to distinguish Christian visual images from pagan ones. It argues that images illustrating holy writ “speak, and are not mute like the idols of the gentiles, because all scripture read in church …is recounted to us by means of narrative pictures (διὰ εἰκονικῆς ἱστορίας).”99 It is significant that silence is seen as a feature that applies solely to pagan imagery because, as the author implies, they are not based on sacred and authoritative writings.100 In contrast, ‘speaking books’ that contain scripture lend their voices to visual narrative derived from them by their being read aloud, or, put differently, the image depends on the textual discourse that discloses its meaning. Basil the Great and Gregory of Nyssa were of course not the first thinkers to reason about the interrelation of art and literature and the mimetic aspects of the visual arts. Both authors reveal their familiarity with arguments first documented by Plutarch, citing Simonides of Ceos, who, however, more explicitly 97 For some of the earliest testimonies in Christian culture, see, for example, Kitzinger, Cult (n. 96), 134–142. 98 An excellent overview of scholarship since Antiquity dedicated to the phenomena and effects of silence in general can be found in Mary Beth Dinkler: Silent Statements. Narrative Representations of Speech and Silence in the Gospel of Luke, Berlin/Boston 2013, 6–18. 99 Oratio adversus Constantinum Cabalinum; PG 95, 324C (my translation) Ὥστε καὶ λαλοῦσι, καὶ βωβαὶ οὐκ εἰσὶν, ὡς τὰ εἴδωλα τῶν ἐθνῶν. Πᾶσα γὰρ γραφὴ ἀναγινωσκομένη ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ … διὰ εἰκονικῆς ἱστορίας ἡμῖν διηγοῦνται …; Henry Maguire: Art and Eloquence in Byzantium, Princeton 1981, 10. The attribution of this oration to the authorship of John of Damascus has been contested; Gerhard B. Ladner: Origin and Significance of the Byzantine Iconoclastic Controversy, in: Mediaeval Studies 2 (1940), n. 22, n. 135. 100 The argument put forward here is of course not entirely logical as books containing Classical myths existed and were read in Byzantium as well. It is possible that the author had 1 Cor 12:2 in mind (“You know that when you were pagans, somehow or other you were influenced and led astray to mute idols;” I owe this thought to Margaret Mitchell).

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than the Christian authors shows his awareness of the different modes of communication that result from the specific medial characteristics of images and texts respectively: Simonides, however, calls painting “silent poetry” (ζῳγραφίαν ποίησιν σιωπῶσαν) and poetry he calls “speaking painting” (ποίησιν ζῳγραφίαν λαλοῦσαν): for the actions which painters portray as taking place at the moment literature narrates and records after they have taken place. Even though artists with color and design, and writers with words and phrases, represent the same subjects, they differ in the material and the manner of their imitation; and yet the underlying end and aim of both is one and the same; the most effective historian is he who, by a vivid representation of emotions and characters, makes his narration like a painting. Assuredly Thucydides is always striving for this vividness (ἐνάργειαν) in his writing, since it is his desire to make the reader a spectator, as it were, and to produce vividly in the minds of those who peruse his narrative the emotions of amazement and consternation which were experienced by those who beheld them.101

It is significant that paintings, despite being qualified as mute, are in the words of Simonides credited with a greater immediacy that is praised as an asset specific to the visual medium. The Greek noun zographia (ζωγραφία) itself, which was used in antiquity and inherited by the Byzantines to denote a painting or the art of painting, qualifies pictures as capable of rendering events in a vivid manner.102 The painter, the zographos (ζωγράφος), in the literal sense of the word is one who paints from life (or nature),103 thus providing a visual eyewitness account of what he saw. Perhaps unsurprisingly, it is writers who are encouraged by Simonides to strive for the same immediacy and vividness characteristic of the visual medium in order to turn readers into spectators as if they were eyewitnesses of the events described in the text. The concept Simonides references here is enargeia (ἐνάργεια), i. e., ‘visual clarity’ or ‘vividness’ – the capacity of literature to evoke a visual image.104 Just as painting does, he argues, literature should aim to make 101 Πλὴν ὁ Σιμωνίδης τὴν μὲν ζωγραφίαν ποίησιν σιωπῶσαν προσαγορεύει, τὴν δὲ ποίησιν ζωγραφίαν λαλοῦσαν. ἃς γὰρ οἱ ζωγράφοι πράξεις ὡς γινομένας δεικνύουσι, ταύτας οἱ λόγοι γεγενημένας διηγοῦνται καὶ συγγράφουσιν. εἰ δ’ οἱ μὲν χρώμασι καὶ σχήμασιν οἱ δ’ ὀνόμασι καὶ λέξεσι ταὐτὰ δηλοῦσιν, ὕλῃ καὶ τρόποις μιμήσεως διαφέρουσι, τέλος δ’ ἀμφοτέροις ἓν ὑπόκειται, καὶ τῶν ἱστορικῶν κράτιστος ὁ τὴν διήγησιν ὥσπερ γραφὴν πάθεσι καὶ προσώποις εἰδωλοποιήσας. ὁ γοῦν Θουκυδίδης ἀεὶ τῷ λόγῳ πρὸς ταύτην ἁμιλλᾶται τὴν ἐνάργειαν, οἷον θεατὴν ποιῆσαι τὸν ἀκροατὴν καὶ τὰ γινόμενα περὶ τοὺς ὁρῶντας ἐκπληκτικὰ καὶ ταρακτικὰ πάθη τοῖς ἀναγινώσκουσιν ἐνεργάσασθαι λιχνευόμενος; Plutarch: Moralia, vol. 4, with an English translation by Frank Cole Babbitt, Cambridge/London 1936 (LCL 305), repr. 1999, 346F–347A, trans. Babbitt (adjusted); cf. Moralia, 17F–18A. On further ancient writings that illuminate the interrelation of the pictorial arts and literature, see Mitchell, Trumpet (n. 5), 41, n. 31. 102 Liddell/Scott, Lexicon (n. 82), 758; Trapp, Lexikon (n. 87), 646 (ζωγράφος). 103 Liddell/Scott, Lexicon (n. 82), 758; Trapp, Lexikon (n. 87), 646. 104 Although Plutarch (Simonides) does not use the noun enargeia in the passage cited, it is clearly the operative concept. On enargeia in literature see Meijering, Theories (n. 13), 29–53, esp. 29–30 (“In fact, ἐνάργεια is not really a property of the text, but of the visual image suggested by it;” ibid., 29); also see, Ruth Webb: Imagination and the Arousal of the Emotions in GrecoRoman Rhetoric, in: The Passions in Roman Thought and Literature, ed. by Susanna Morton

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things present before the eyes of the audience as if they were real.105 This is precisely the quality associated with the visual arts, which Gregory of Nyssa also highlighted when referring to the painted scenes of martyrdom in the Church of St. Theodore at Euchaïta. The immediate context of Simonides’ reasoning is the lengthy narrative of a battle rendered in a painting.106 Roos Meijering has addressed the paradox that a static picture thus serves as a paradigm for enargeia as recommended for the production of literature, whereas the narration of a continuous story (relating, as in this case, a dense sequence of combat actions) “suggests a succession of pictures” that the listener visualizes in his or her mind, and which we today would compare to a movie, rather than a still image.107 In fact Meijering’s insight reveals another characteristic feature of the picture aside from its silence, namely that it is motionless. As I will demonstrate further below, the picture’s inability to move or display movement was indeed a fundamental problem that Byzantine writers recognized and one with which artists clearly struggled in their attempts to render a story visually. I will also return to enargeia and notions of ‘living images’ that are seen in the post-iconoclastic era as the results of divine inspiration. By its reference to “manly deeds of war,” Basil the Great’s passage, cited above, reveals its ultimate inspiration from Plutarch (Simonides). However, whereas writing and painting are presented by the latter as parallel activities that each in their own right imitate the historical event, Basil introduces into the argument a different understanding of mimesis: visual narrative is based on, or rather copies accurately, an older historical account that serves as model or prototype for the pictures. Pictorial narrative is thus relegated to a place secondary to the text. Regardless of his praise of the painting, in Gregory of Nyssa’s rhetoric, too, concerns about the picture’s ability to communicate meaning are at least implied: it is “the book that utters speech,” against which the silent painting is measured. In contrast to the early Christian authors, Simonides was remarkably unconcerned about the communicative limits of the visual arts and instead values them in their own right. The notion manifest in Basil the Great’s homily On the Fourty Martyrs, that visual narrative of scripture closely follows the pre-existing textual account by means of mimesis, automatically implies the validity of the pictures because they are accurate with regard to the sacred text. It is this train of thought Braund/Christopher Gill, Cambridge 1997, esp. 117–121; Ruth Webb: Ekphrasis. Imagination and Persuasion in Ancient Rhetorical Theory and Practice, Farnham/Burlington 2009, 87–106; Stratis Papaioannou: Byzantine Enargeia and Theories of Representation, in: Byzantinoslavica 69 (2011), 48–60; Lange, Bild (n. 52), 16–21. 105 On the effect of enargeia as a rhetorical device serving to make present an event see Webb, Imagination (n. 104), esp. 117–121; Webb, Ekphrasis (n. 104), 100–103; Papaioannou, Enargeia (n. 104), 52. 106 Plutarch, Moralia (n. 101), 346B–347C. 107 Meijering, Theories (n. 13), 37. The author also pointed out that this modern understanding of the idea differs from the characteristics of enargeia described by ancient authors.

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that is also encountered in writings from the era of Byzantine iconoclasm, as evidenced, for instance, by Theodore of Studios who transferred Basil’s claim from hagiography to the realm of the gospels. As I will argue in the next section, the claim that visual renderings of sacred scripture accurately follow the textual account reveals striking parallels to issues discussed from antiquity by theorists of interlingual translation.

4 Accuracy: Visual Narrative of Scripture in Light of Translation Theory Existing doubts and anxieties about the fidelity of visual narrative to the textual account recorded in the Gospel Book are reflected in the reasoning of the ninthcentury iconophile Patriarch Nicephorus, who sought to explain the relation of text and image in a remarkably detailed manner. After citing Basil the Great (“What the historical account presents by being listened to, the painting silently shows by imitation”)108 and in accord with the Church Father’s argument, Nicephorus seeks to substantiate the accuracy of the pictures as follows: The partnership (κοινωνία) of image and writing is such as if they were [united] in one and the same manuscript as one can see in the very old books; the discourse is related alternately, here in syllables, and there in pictures (ἱστορίας) that show the same narration as the writing. Hence, just as the narrative of the gospels contains within itself what Christians ought to believe without needing another writ or discourse that guarantees it or testifies to it as being worthy of veneration and honor, so the painting of divine representations also provides in itself what is worthy of belief because it is of the same nature as the gospel writ and requires no extrinsic proof. [Painting] signifies the events of the gospel and requires the same honor. Therefore, if any extrinsic testimony is required at all [for the pictures], what other [proof] could we produce at any rate than the confirmation by the words of the gospel? If, consequently, the gospel, resounding in the hearing of those who have faith, is worthy of honor to such a high degree (since “our faith comes from hearing” [cf. Rom 10:17109]), then the things that tell good news by means of sight and through perception, since they present the very same teaching to us, either will surpass (verbal) teaching due to speed – since indeed sight has a greater enticement toward conviction than hearing does – or at least will not be put in second place. And thus [the picture110] shall be a gospel.111 108 Nicephorus, Antirrheticus III.5; PG 100, 381D; for the entire argument see ibid., III.4–5; PG 100, 381C–D. 109 ἄρα ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς, ἡ δὲ ἀκοὴ διὰ ῥήματος Χριστοῦ (SBLGNT) (“So faith comes from what is heard, and what is heard comes through the word of Christ.”). 110 I think it is clear from the context that the missing subject of this sentence is ‘the picture’ (see also, Lange, Bild [n. 52], 210). 111 Ἐπὶ τοσοῦτον δὲ ἐν ἀμφοτέροις ἡ κοινωνία, ὡς ἐν μιᾷ καὶ τῇ αὐτῇ βίβλῳ, καθὰ πολλαχοῦ ἐν ἀρχαιοτάταις ἰδεῖν ἔστι δέλτοις, παρὰ μέρος γεγράφθαι, ἐντεῦθεν μὲν τὸν διὰ τῶν συλλαβῶν λόγον, ἐντεῦθεν δὲ τὸν διὰ τῆς ἱστορίας ταύτης, καὶ τὴν αὐτὴν προδείκνυσθαι ὑφήγησιν τῇ ἐν γράμμασιν. Ὡς οὖν τοῦ Εὐαγγελίου ἡ συγγραφὴ αὐτόθεν ἔχει παρὰ Χριστιανιοῖς τὸ ἀξιόπιστον, οὐ προσδεομένη ἑτέρας συγγραφῆς ἤ λόγου τοῦ συνηγορήσοντος ἣ προσμαρτυρήσοντος, πρὸς

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Despite presenting text and pictures of the gospels as a “partnership” of equals, more relevant here is specifically the notion that they provide “the same narration.” However, Nicephorus’ reasoning about the respective merits and rank of writ and pictures is ambiguous: he suggests that textual and visual narratives of the gospels are equally reliable, and yet he also implies – although at first denying it – that the pictures may need the gospel text as a confirmation of the authenticity of the story they convey visually. Secondary in terms of authority, the images thus depend on scripture that confirms their historical accuracy and truth. On the other hand, and apparently in order to balance the subservient role of pictures, Nicephorus emphasizes the primacy of sight over hearing, a notion that is firmly rooted in ancient thought.112 The primacy of vision that is ascribed to sight’s greater immediacy, and thus the greater reliability of pictures compared to texts is a recurring argument in Nicephorus’ writings.113 It is especially this latter idea that is significant enough for him to help resolve the paradox of images being both of secondary and primary rank, as well as to assert that the pictures themselves be regarded “a gospel.” This claim is perfectly in line with Byzantine usage of the noun historia (ἱστορία) and the verb historein (ἱστορεῖν; to tell, to narrate) in reference to visual narrative of scripture, thus borrowing a term from literary criticism to classify pictures.114 With regard to the gospels, this choice reflects the capacity of images to witness the historical truth of Christ.115 According to τὸ εἶναι αὐτὴν σεβασμίαν καὶ ἔνδοξον· οὕτω καὶ ἡ τῶν θείων ἀπεικασμάτων γραφὴ, ἡ αὐτὴ τῇ εὐαγγελικῇ τυγχάνουσα, οἴκοθεν τὸ πιστὸν ἐπάγεται, καὶ οὐκ ἄν δεηθείη τῆς τῶν ἔξωθεν ἀποδείξεως, σημᾶναί τε τὰ τοῦ Εὐαγγελίου, καὶ τὴν αὐτὴν ἐκείνῳ τιμὴν ἀπενέγκασθαι. Εἰ γοῦν ἐδεῖτο μαρτυρίας τῆς τῶν ἐκτὸς, τί ἄν ἄλλο τις προεστήσατο, ἤ πάντως τὸν τοῦ Εὐαγγελίου λόγον βεβαιοῦντα ἐισήγαγεν; Εἰ τοίνυν τὸ Εὐαγγέλιον ταῖς ἀκοαῖς τῶν πιστῶν ἐνηχούμενον, τοσούτου τιμᾶσθαι ἄξιον (καὶ γὰρ ἡ πίστις ἡμῶν ἐξ ἀκοῆς), τὰ τῇ θέᾳ αὐτῇ προσπίπτοντα, καὶ δι᾽ αὐτῆς τῆς αἰσθήσεως, τὸ ταυτὸν τῆς διδασκαλίας ἡμῖν παριστῶντα, ἣ παρευδοκιμήσει τῆς διδασκαλίας τῷ τάχει, διότι καὶ ὄψις ἀκοῆς μᾶλλον τὸ ἐπαγωγὸν πρὸς πίστωσιν κέκτηται, ἣ πάντως οὐκ ἐν δευτέροις τετάξεται. Καὶ οὕτως ἔσται Εὐαγγέλιον. Nicephorus, Antirrheticus III.6; PG 100, 384A–B. 112 On the primacy of sight as a common argument of the iconophiles to defend images, Lange, Bild (n. 52), 19, 24–25, 209–210 (see ibid., 19, n. 32, and 209, n. 47, for a survey of the relevant ancient writings); Moshe Barasch: Icon: Studies in the History of an Idea, New York 1992, 277–279. Barber, Figure (n. 3), 127–129, discusses a section of the passage cited from Nicephorus as well, within a larger argument on the potential ambiguity of texts as opposed to the value of sight; similarly, Charles Barber: The Body within the Frame: a Use of Word and Image in Iconoclasm, in: Word & Image 9 (1993), 146–147. 113 PG 100, 380D–381A, 381C–384A. 114 According to Liddell/Scott, Lexicon (n. 82), 842, ἱστορία and related terms apply exclusively to the realm of literature; on the use of ἱστορία (and related terms) also with regard to visual narrative (or, more generally, painting), see Lampe, Lexicon (n. 14), 679 (4.); Trapp, Lexikon (n. 87), 720–721. 115 Michele Bacci: With the Paintbrush of the Evangelist Luke, in: Mother of God. Representations of the Virgin in Byzantine Art, ed. by Maria Vassilaki, Milan 2000, 81; on the self-perception of New Testament authors as historians bearing witness to the life and revelation of Christ, see Grant, Letter (n. 8), 56–57.

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Nicephorus, pictures that illustrate scripture are themselves historiai, and thus authoritative as they have been validated by the holy writ. This view echoes that of (Pseudo-)John of Damascus, cited above, that pictorial narratives of scriptures (termed historiai there as well) simply re-narrate the textual account.116 The belief that pictorial images visualize a story with greater immediacy is regarded by Nicephorus as an asset that makes up for their silence. Although the patriarch recognizes that texts and images appeal to different senses, the most important point for him, too, is the mimetic role of pictures to “show the same narration as the writing.” The claim that visual narrative accurately replicates the scriptural account and is thus authentic and venerable parallels arguments encountered in early translation theory. There, matters of accuracy are of primary concern as well, and this applies particularly to translations of holy scriptures, since the latter are divinely inspired. The well-known legend of the Septuagint represents an early text case that illustrates these concerns. Though the legend exists in several variants, each makes a claim regarding the accuracy and reliability of the translation, and in some versions the Septuagint is presented as divinely inspired.117 According to the Letter of Aristeas (2nd cent. B. C. E.),118 after the completed translation had been read out aloud, the following was determined by the officials: “Inasmuch as the translation has been well and piously made and is in every respect accurate, it is right that it should remain in its present form and that no revision of any sort take place.”119 According to Philo’s version (1st cent. C. E.), the translators were “reflecting how great an undertaking it was to make a full version of the laws given by the Voice of God, where they could not add or take away or transfer anything, but must keep the original form and shape …”120 Philo then claims divine 116

See above, n. 99. Douglas Robinson: Western Translation Theory from Herodotus to Nietzsche, Manchester/ Northampton 2002, 4; Grant, Letter (n. 8), 32, 34, 81–82. On the translation of the Septuagint, also see Christoph Kugelmeier’s contribution in this volume (pp. 93–111). Kugelmeier also discusses the Letter of Hieronymus to Pammachius, addressed further down in the present article. 118 On the date, see Benjamin G. Wright III: The Letter of Aristeas. ‘Aristeas to Philocrates’ or ‘On the Translation of the Law of the Jews, Berlin/Boston 2015, 21–30, esp. 27–28. 119 Ἐπεὶ καλῶς καὶ ὁσίως διηρμήνευται καὶ κατὰ πᾶν ἠκριβωμένως, καλῶς ἔχον ἐστὶν, ἵνα διαμείνῃ ταῦθ’ οὕτως ἔχοντα, καὶ μὴ γένηται μηδεμία διασκευή; § 310, Aristeas to Philocrates (Letter of Aristeas), ed. and trans. Moses Hadas, New York 1973, 220–221. According to this version, the claim to accuracy is substantiated by the fact that the translation was accepted by the Jews of Alexandria; Wright, Aristeas (n. 118), 451–452; cf. § 308–311. Wright has pointed out the parallels of this account to the acceptance of the Hebrew law by the people at Mount Sinai: “The entire congreation of the Jews recognizes that the Greek translation has equal status to the Hebrew. In that sense, then, we have a second giving of the law in which the Greek can replace the Hebrew and now constitute the scriptural corpus of the Jewish community in Alexandria, since it is everything that the Hebrew is;” ibid., 443–444. 120 λογισάμενοι παρ᾿ αὑτοῖς, ὅσον εἴη τὸ πρᾶγμα θεσπισθέντας νόμους χρησμοῖς διερμηνεύειν, μήτ᾿ ἀφελεῖν τι μήτε προσθεῖναι ἢ μεταθεῖναι δυναμένους, ἀλλὰ τὴν ἐξ ἀρχῆς ἰδέαν καὶ τὸν τύπον αὐτῶν διαφυλάττοντας …; De vita Mosis II.VI.34; Philo: On Abraham. On 117

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origin for the translation, describing that “… they [i. e., the translators] became, as it were, possessed, and, under inspiration, wrote, not each scribe something different, but the same word for word, as though dictated to each by an invisible prompter.”121 He goes on to explain that “the Greek words used corresponded exactly with the Chaldean, well suited to the things they indicated.”122 The result was that both versions, the original and its Greek translation, were regarded by those familiar with both languages “with awe and reverence as sisters, or rather one and the same, both in matters and in words.”123 The very fact that these narratives emerged at all makes plain the limits of translation, and they reveal deep anxieties and distrust regarding translations of scripture. The repeated claim these legends make to accuracy implies a general problem applying to all translations, biblical and others, that has been noted by theoreticians from antiquity on: complete accuracy in translation is in fact often impossible to achieve due to profound differences of both linguistic and cultural nature, not to mention the untranslatabilty of wordplays. Hence, theorists have repeatedly pointed to the necessity of replacing literal translations with sensefor-sense translations.124 In the case of holy scripture and its claims to inspired truth, the concerns voiced from early on for the accuracy of translations have lost nothing of their relevance.125 Jerome’s Letter to Pammachius (Epistula 57), drawn up in Bethlehem in 396 C. E.,126 illustrates well the conflict just described. In the letter, which has sometimes been called “the founding document of Christian translation theory,”127 JeJoseph. On Moses (vol. 6), trans. by F. H. Colson, Cambridge 1935 (LCL 289), 464–465, trans. Colson. 121 καθάπερ ἐνθουσιῶντες προεφήτευον οὐκ ἄλλα ἄλλοι, τὰ δ᾿ αὐτὰ πάντες ὀνόματα καὶ ῥήματα, ὥσπερ ὑποβολέως ἑκάστοις ἀοράτως ἐνηχοῦντος; De vita Mosis II.VII.37–38; Philo, Moses (n. 120), 466–467 (translation adjusted). 122 συνενεχθῆναι δ᾿ εἰς ταὐτὸν κύρια κυρίοις ὀνόμασι, τὰ Ἑλληνικὰ τοῖς Χαλδαϊκοῖς, ἐναρμοσθέντα εὖ μάλα τοῖς δηλουμένοις πράγμασιν; De vita Mosis II.VII.38–39; Philo, Moses (n. 120), 468–469 (adjustments made in the translation). 123 σαφεστάτη δὲ τοῦδε πίστις· ἐάν τε Χαλδαῖοι τὴν Ἑλληνικὴν γλῶτταν ἐάν τε Ἕλληνες τὴν Χαλδαίων ἀναδιδαχθῶσι καὶ ἀμφοτέραις ταῖς γραφαῖς ἐντύχωσι, τῇ τε Χαλδαϊκῇ καὶ τῇ ἑρμηνευθείσῃ, καθάπερ ἀδελφὰς μᾶλλον δ᾿ ὡς μίαν καὶ τὴν αὐτὴν ἔν τε τοῖς πράγμασι καὶ τοῖς ὀνόμασι τεθήπασι καὶ προσκυνοῦσιν …; De vita Mosis II.VII.40; Philo, Moses (n. 120), 468–469. 124 Robinson, Translation (n. 117). Cicero and Horace are regarded the first theorists to have pointed out the need to replace word-for-word translation by sense-for-sense translation; for the relevant writings, see ibid., 6–12, 15–16. For the same argument, see recently, David Bellos: Is That a Fish in Your Ear? Translation and the Meaning of Everything, New York 2011, esp. ch. 10: “The Myth of Literal Translation.” 125 See various contributions in Frederick W. Knobloch: Biblical Translation in Context, Bethesda 2002; Jason David BeDuhn: Truth in Translation. Accuracy and Bias in English Translations of the New Testament; Lanham u.a 2003, esp. 11–26, 51–62. 126 On the date, see Edoardo Bona: La libertà del traduttore. L’epistola de optimo genere interpretandi di Gerolamo, Rome 2008, 32. 127 Robinson, Translation (n. 117), 23; similarly, Bellos, Fish (n. 124), 103. The Letter was of course not conceived as a treatise on translation theory, but drawn up by Jerome to defend one

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rome provides an explanation of his own approaches to translation and sets out to differentiate carefully between those applying to the Bible and other texts. “Now I not only admit but freely announce that in translating from the Greek – except of course in the case of holy scripture, where even the syntax contains a mystery – I render, not word for word, but sense for sense.”128 What is meant here is that Jerome resorts to literal translation in specific cases where the exact sense of the source text is obscure.129 Referring to examples of biblical translations made by translators whose authority is beyond question, which he then discusses at length, Jerome defends the sense-for-sense renderings present in their versions: For all these examples it should be apparent that the Apostles and the Evangelists, in translating the writings of the Old Testament, have tried to communicate the meaning rather than the literal words, and that they have not cared greatly to preserve the structure of the discourse, so long as they could clearly present the contents to men’s understanding.130

Further down, Jerome concludes that “in dealing with the Bible one must consider the meaning and not the literal words.”131 Accuracy and fidelity in translation is here, unlike in Philo’s version of the legend of the Septuagint, not understood as a word-for-word translation, but one aimed at correspondence, or equivalence of sense between both versions.132 What exactly constitutes equivalence in translation is much disputed among translation theorists even today, and it is, ultimately, a question directed at the limits of translation.133 Unfortunately, as far as Byzantine image theory is concerned, we lack an argument that of his translations against criticism. On the circumstances of the text’s composition, see Bona, Libertà (n. 126), 32–33. 128 Ego enim non solum fateor, sed libera voce profiteor me in interpretatione Graecorum, absque scripturis sanctis, ubi et verborum ordo mysterium est, non verbum e verbo, sed sensum exprimere de sensu; Hieronymus: Liber de optimo genere interpretandi (Epistula 57). Ein Kommentar von G. J. M. Bartelink, Leiden 1980, § 5.2; ed. Bona, Libertà (n. 126), 76; trans. Paul Carrol, in Robinson, Translation (n. 117), 25. 129 Bellos, Fish (n. 124), 103–104, esp. 107; Bona, Libertà (n. 126), 59. Given the overall argument of the Letter to Pammachius, what is clearly not meant here is the claim that scripture in general requires word-for-word translation (as some scholars have wrongly concluded from the phrase cited in isolation from its context); for informed discussions of the phrase in the context of Jerome’s assessment of biblical translation, for instance, ibid., 55–67; Beumer, Inspiration (n. 4), 27–28. 130 Ex quibus universis perspicuum est apostolos et evangelistas in interpretatione veterum scripturarum sensum quaesisse, non verba, nec magnopere de ordinatione sermonibusque curasse, cum intellectui res paterent; Hieronymus, Liber (n. 128), § 9.8; ed. Bona, Libertà (n. 126), 88. 131 … non verba in scripturis consideranda, sed sensum; Hieronymus, Liber (n. 128), § 10.4; ed. Bona, Libertà (n. 126), 90. 132 It has been demonstrated by scholars that Jerome in his own approaches to translation of scripture aims at balancing both sense-for-sense and literal translation; Bona, Libertà (n. 126), 57–61; similarly, Bartelink in his commentary on the relevant passage in Hieronymus, Liber (n. 128), 44–47. 133 For a critical discussion of various modern positions, see Werner Koller: Einführung in die Übersetzungswissenschaft, 8th, rev. ed., Tübingen/Basel 2011, 77–85, 91, 159–306; Anthony Pym: Exploring Translation Theories, London/New York 2010, 6–42.

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would be equally extensive and carefully developed as Jerome’s scholarly reasoning on the limits of translation. The understanding of accuracy evidenced, for instance, in the passage cited from Patriarch Nicephorus’ treatise entails precisely this: visual narrative of holy scripture reproduces the text by means of mimesis, i. e. faithful copying, thus rendering the same discourse as the text, only by means of pictures. Hence, text and image not only correspond to the broader sense of the narrative, but, in Patriarch Nicephorus’ words, they provide “the same narration.” In fact, the manuscript he envisions, which displays alternating textual passages and their visual renderings, reinforces this understanding of a close correspondence of text and image. The patriarch’s view of the “partnership of image and writing” recalls Philo’s metaphor of the original text and translation of the Septuagint being “sisters.” (Twin sisters would in fact seem more appropriate, given Philo’s claim to the equivalency of both versions, “both in matters and in words.”) But is it possible to faithfully ‘translate’ a textual account into the ‘language’ of visual images, and should the outcome be called a ‘translation’ at all, as has been the case in scholarship? Scholars up to the present day have pointed out the polyvalent, flexible meaning of the term ‘translation’ that extends far beyond the realm of linguistics.134 Translation theory, however, has been concerned almost exclusively with translations from one language to another.135 Translation as a term has frequently been appropriated in modern scholarship on intermedial narratology and art history to include the visual sphere and denote the ‘translation’ of a textual narrative into pictures or, vice-versa, the deciphering of visual images and their ‘translation’ into words.136 At first glance, the use of the term in contexts of intermedial analysis does not seem surprising given the common use of phrases such as ‘the language of pictures,’ or the notion that visual images may ‘tell’ a story – which is, in Byzantine sources, reflected in the use of the term historia with regard to both textual and visual narrative. It must be said, though, that whereas the use of the term ‘translation’ in the investigation 134 Koller, Übersetzungswissenschaft (n. 133), 76–85, esp. 76–77; Susan Bassnett-McGuire: Translation Studies, London/New York 1980, esp. 146–153; Annette Kopetzki: Übersetzung, in: Handbuch Medien der Literatur, ed. by Natalie Binczek/Till Dembeck/Jörgen Schäfer, Berlin/ Boston 2013, 377–387, at 377–378. 135 Bassnett-McGuire: Translation (n. 134), 7; Koller, Übersetzungswissenschaft (n. 133), 77. For other concepts of translation, equally in the realm of linguistics, see Bassnett, Translation (n. 134), 6–8; Meir Sternberg: Polylingualism as Reality and Translation as Mimesis, in: Poetics Today 2 (1981), 221–239. Selected primary writings on translation theory from antiquity to the modern era have been assembled, for instance, in Robinson, Translation (n. 117), and Rainer Schulte/John Biguenet (eds.): Theories of Translation. An Anthology of Essays from Dryden to Derrida, Chicago/London 1992. 136 See, for example, Jean-Marie Schaeffer: Narration visuelle et interprétation, in: Time, Narrative & the Fixed Image, ed. by Mireille Ribière/Jan Baetens, Amsterdam/Atlanta, GA 2001, 13, 15; Karen Parna: Narrative, Time and the Fixed Image, in: Time, Narrative & the Fixed Image, ed. by Mireille Ribière/Jan Baetens, Amsterdam/Atlanta, GA 2001, 30; Kopetzki, Übersetzung (n. 134), 377.

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of text-based visual narrative appears to have been tacitly accepted by scholars, its applicability seems never to have been substantiated or reflected upon theoretically. It would be worthwhile, then, to investigate systematically and on a larger scale, taking into account different cultural and historical contexts, the extent to which theoretical concepts of translation as developed in the realm of linguistics may be made fruitful for the analysis of pictorial narrative.137 No translation theory in the proper sense was ever developed in Byzantium.138 It is significant, though, that Byzantine intellectuals, including those who wrote extensively on image theory, did not employ common linguistic terms for ‘translation’ – metaphrasis (μετάφρασις),139 hermeneusis (ἑρμήνευσις), or hermeneia (ἑρμηνεία)140 – when referring to pictures. This very fact should perhaps already caution us against applying it uncritically to visual contexts. ‘Transfer,’ ‘Übertragung,’ or ‘transposition’ seem to be appropriately neutral substitutes, as the terms are less charged with implications pointing to the linguistic realm.141 I argue that in the realm of visual gospel narrative, at least, the appropriation of the term ‘translation’ to denote the narration of the text in visual images is ques137 It should be mentioned that in translation theory, a (controversial) concept termed ‘intersemiotic translation,’ the “translation of verbal signs into other sign systems,” has been developed in order to include shifts of genres, for example, motion pictures based on novels, poetry based on visual images, or stage performances based on literary texts; Bassnett, Translation (n. 134), 7, 179 (quote); Koller, Übersetzungswissenschaft (n. 133), 79, n. 51. 138 For early translation theories (or rather texts that may, from a modern perspective, be understood as such) developed in other cultural contexts see Robinson, Translation (n. 117). 139 The word has multiple meanings in the realm of linguistics, only one of which is ‘translation from one language into another.’ Most often metaphrasis denotes an intralingual translation of an existing text from one literary genre or stylistic register to another, a rewriting accomplished with the aim of either elaborating or simplifying the source text. The connotations of metaphrasis in Byzantium thus partly coincide with those of paraphrasis (παράφρασις), meaning the rewriting of the content of a text in other words or its stylistic rewriting; Martin Hinterberger: Between Simplification and Elaboration: Byzantine Metaphraseis Compared, in: Textual Transmission in Byzantium: between Textual Criticism and Quellenforschung, ed. by Juan Signes Codoñer/Inmaculada Pérez Martín, Turnout 2014, 34; Juan Signes Codoñer: Towards a Vocabulary for Rewriting in Byzantium, in: Textual Transmission in Byzantium: between Textual Criticism and Quellenforschung, ed. by Juan Signes Codoñer/Inmaculada Pérez Martín, Turnout 2014, 76–82; Geoffrey Horrocks: Greek. A History of the Language and Its Speakers, Second Edition, Chichester 2010, 213–214; Emmanouēl Kriaras: Lexiko tēs Mesaiōnikēs Hellēnikēs Dēmōdous Grammateias: 1100–1669, Thessalonikē 1968 (Kentro Hellēnikēs Glōssas 10), 113–114; Trapp, Lexikon (n. 87), 1013; Evangelinus Apostolides Sophocles: Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods, Hildesheim/New York 1975, 753. Likely to avoid using the term ‘translation,’ Horrocks defines Byzantine “metaphrases” “transpositions” of texts between registers (Horrocks, Greek [n. 139], 227, 264–268, 501, 504, my emphasis). 140 The primary meaning of these nouns is ‘interpretation,’ or ‘explanation;’ ἑρμήνευσις: Trapp, Lexikon (n. 87), 566; ἑρμηνεία: Liddell/Scott, Lexicon (n. 82), 690; Lampe, Lexicon (n. 14), 549; for both meanings, also see Grant, Letter (n. 8), 128. 141 Interlinguistic translation is just one meaning among several of the Latin terms ‘transfero’ and ‘translatio;’ P. G. W. Glare: Oxford Latin Dictionary, 2nd ed. (2 vols.), Oxford 2012, 2163–2164 (6a), 2167.

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tionable from the outset, because of significant obstacles grounded in the different properties of each medium.142 In the following section, I will demonstrate that despite the claims of the Early Christian and Byzantine thinkers cited above, text and image cannot possibly convey the same narrative. As the images reveal, artists were well aware of the potentialities and limitations of their profession.

5 Soundless Voice, Static Movement: Aims and Challenges of Visual Storytelling The first example I discuss is taken from a Gospel Book illuminated at Constantinople in the late eleventh or early twelfth century (now Florence, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Plut. 6.23, f. 14v) [Fig. 3–4].143 The manuscript is densely illustrated throughout with image strips that present painted scenes of minute dimensions, which alternate with sections of texts.144 Strikingly, this codex appears to be a later representative of the kind of manuscript Patriarch Nicephorus had in mind when he explained his idea of a “partnership of image and writing … as if they were [united] in one and the same manuscript,” in which “the discourse is related alternately, here in syllables, and there in pictures.”145 In the Florentine codex, the paintings precede the gospel passages to which they belong, and the images thus serve as painted headings introducing these texts. Although on most pages the text takes up far more space than the pictures, their alternating arrangement indeed suggests their mutual interdependence as they relate the life of Christ.146 This frieze (and in fact the manuscript as a whole) clearly reflects the aim of its artist to render as closely as possible in pictures what the text relates,147 and it therefore offers an excellent opportunity to analyse its 142

Medial differences between textual and visual narrative have been addressed more systematically and theoretically with regard to Western European art of the Early Modern period; particularly insightful, especially with regard to methodology, are Wendy Steiner: Pictures of Romance. Form against Context in Painting and Literature, Chicago/London 1988, esp. 7–42, and Werner Wolf: Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie, in: Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, ed. by Vera Nünning/Ansgar Nünning, Trier 2002, 23–104, esp. 53–75. 143 Tania Velmans: Le tétraévangile de la Laurentienne (Florence, Laur. VI. 23), Paris 1971, 12–13; Jeffrey C. Anderson: Manoscritti miniati del Nuovo Testamento, in: Voci Dell’Oriente: Miniature e testi classici da Bisanzio alla Biblioteca Medicea Laurenziana, ed. by Massimo Bernabò, Florence 2011, 179–192, at 183–184. 144 One page measures 22 × 18 cm, and the image friezes thus measure only about 2 cm in height. 145 See above n. 111. 146 While the small format of the book and especially of its picture strips necessitates a closeup look and thus suggests use by an individual or small group, we unfortunately do not know how such artifacts were used or perhaps even presented to an audience. 147 A high degree of fidelity toward the text applies to the great majority of the miniatures contained in this codex; Velmans, Tétraévangile (n. 143), 13.

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Figure 3: Page in a Byzantine Gospel Book, Florence, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Plut. 6.23, f. 14v. © Su concessione del MiBACT. È vietata ogni ulteriore riproduzione con qualsiasi mezzo.

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Figure 4: The Healing of the Leper (Mt 8:1–4), Florence, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Plut. 6.23, f. 14v (detail). © Su concessione del MiBACT. È vietata ogni ulteriore riproduzione con qualsiasi mezzo.

adherence to the textual account. However, we shall see that despite good intentions to render the contents of the written account faithfully in images, the painter faced significant obstacles grounded in his very profession, or rather in the characteristics proper to the visual medium. The sequence of images seen in the upper strip on f. 14v illustrates the account of Christ healing the leper in Mt 8:1–4.148 The first section serves as an illustration to verse 1: “When Jesus had come down from the mountain, great crowds followed him.”149 A densely packed group of figures representing the “great crowds”150 gather in front of a rocky landscape likely indicating “the mountain,” and two of them point toward Christ, who is already in the process of performing the miracle described in the following two verses (Mt 8:2–3): “… and there was a leper who came to him and knelt before him, saying, ‘Lord, if you choose, you can make me clean.’ He stretched out his hand and touched him, saying, ‘I do choose. Be made clean!’” The leper is seen prostrate at the feet of Christ, who in turn issues a gesture indicating oral speech in his direction, but does not touch him, as 148 Velmans, Tétraévangile (n. 143), 23; Anderson, Manoscritti (n. 143), 183–184, color plate 27. The image frieze at the bottom of the page, which I will not discuss here, illustrates the story of Jesus healing the centurion’s servant (Mt 8:5–13). 149 Unless otherwise specified, English quotations from the New Testament are taken from the New Revised Standard Version (NRSV). 150 Anderson, Manoscritti (n. 143), 184, interprets them as a group of Pharisees not mentioned in the text, but given that “followers” are explicitly referred to in the text, and because of the obvious aim of the painter to provide a ‘literal’ illustration of this gospel passage, it seems more likely that these figures represent the followers of Christ.

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the text relates.151 “Immediately his leprosy was cleansed,” the text continues, and once again we see the figure of the leper – no longer crouching on the ground, but standing upright with his skin now cleansed of the dots that in his previous portrait indicated a leprous rash. There is a noticeable gap between this scene and the next, related to the last section of this brief account: “Then Jesus said to him, ‘See that you say nothing to anyone; but go, show yourself to the priest, and offer the gift that Moses commanded, as a testimony to them.’” We see the man complying with the demand of Christ, while the gap between this and the previous scene serves quite ingeniously to indicate the lapse of time.152 The leper offers what appears to be a small dish to the priest, who is seated in front of a building not mentioned in the gospel. When confronted with the text, the image sequence makes it clear that the challenges of rendering narrative content verbally as opposed to visually are fundamentally different. The frieze provides a largely faithful and dense representation of the textual account in a sequential visual narrative. In the sequenced segments of the strip, the figures, and the leper in particular, move forward from left to right, thus simulating movement in space and time.153 This approach of the painter to illustrate textual narrative highlights a fundamental problem. Although what we see is to some extent evocative of a filmstrip, a miniature in a book is not a movie, but remains a static – inanimate – image, or a sequence of several such images. Gaps in the narrative sequence are thus unavoidable, rendering it impossible for the picture to depict the action gradually in its entirety. Yet, by depicting the details of the leper – first prostrate on the ground, then standing upright with his illness gone, and then, having turned around, offering his gift – the painter has created a sequence that, centuries later, could well be imagined as distant pictures in a flip-book. By arranging his visual narrative in an image frieze (instead of individually framed separate scenes), the painter demonstrated a clear awareness of the obstacles raised by the need to depict continuous motion and vivid action in a still picture. Outside the immediate realm of gospel narrative, one more miniature from Byzantium should be discussed here to further characterize the problems arising 151 καὶ ἐκτείνας τὴν χεῖρα ἥψατο αὐτοῦ (Mt 8:3; SBLGNT). The miniature’s emphasis is on visualizing speech. Whether or not it was the intention of the painter, the abstention from depicting physical touch appears to be a visual correction of Matthew’s wording, acknowledging the Old Testament prohibition of touching the unclean (Lev 5:3); Donald A. Hagner: Matthew 1–13, Dallas 1993 (World Biblical Commentary 33A), 199; Bart D. Ehrmann: Studies in the Textual Criticism of the New Testament, Leiden/Boston 2006, 121; on Christ’s laying on hands as a sign of healing and transmission of divine power, see ibid., 131. 152 Time is impossible to depict accurately in a pictorial work; Tony Schirato/Jen Webb: Understanding the Visual, London et al. 2004, 85–87. For general observations on how time and space are rendered in the miniatures of this manuscripts see Velmans, Tétraévangile (n. 143), 16–17. 153 What we see depicted is perhaps most aptly described with foreign language terms such as “déroulement de l’action” (Velmans, Tétraévangile [n. 143], 13), or ‘Handlungsablauf.’

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when physical movement in space was to be rendered visually in a fixed image. It is found in a Psalter that has been variously dated between the mid-eleventh and first half of the twelfth century (Jerusalem, Greek Orthodox Patriarchate, Cod. Taphou 53, f. 195r)154 [Fig. 5] and is as remarkable as it is unique in its approach to suggesting action in a static picture. The miniature illustrates King David’s flight from his son Absalom, who persecuted and aimed to kill him in order to secure rule of the kingdom for himself (2 Sam 15–18; Ps 142[143]). Absalom has just entered the realm of his father, the picture, from an undefined space outside the confines of the miniature, and in doing so he has penetrated its ornamental border. Armed with a spear, he is chasing David, who in turn seeks to get away. Intriguingly, evoking a film – a motion picture – the golden background appears to be uncoiling toward the right as if the painter wanted to assure that in their heading forward the figures would always remain in the picture that appears to be moving along with them. To that end, the miniature’s ornamental frame has been discontinued to the right side to simulate the scene’s moving forward on the manuscript’s page. Despite the obvious ingenuity of its artist, however, the miniature is bound to remain still and fixed on the page it adorns. It is an early representative of what much later, especially in the field of photography, would be called an ‘arrested image,’ representing figures whose motion appears to be frozen in space and time.155 The miniature of Absalom chasing David is unique in its attempt to challenge the limits of the pictorial medium as to the representation of movement. Many centuries after its creation, neurophysiology has revealed that the human eye is in constant motion and thus in fact incapable of producing an arrested image, one framed or with clearly defined outlines, parallel to those produced by artists. As beholders, we “are always reframing as we move our eyes across a scene or object, and as we move our heads or bodies within the viewing field,”156 an observation that is only beginning to be fruitfully harnessed in art historical investigations that take advantage of eye tracking technology.157 Significantly, it is thus the observer who makes the still picture move in her or his own perception. It is tempting to suggest, then, that the Byzantine painters of both the picture strip illustrating the Healing of the Leper and the Psalter miniature were well aware of 154 Panayotis L. Vokotopoulos: Byzantine Illuminated Manuscripts of the Patriarchate of Jerusalem, Athens/Jerusalem 2002, no. 14, 68 (with further bibliography), color plate on p. 69. On the problems concerning the date of this manuscript, see Suzy Dufrenne: L’illustration des psaumes dans le Psautier de Jérusalem, cod. Taphou 53: rôle des tituli, in: Byzantine East, Latin West: Art-historical Studies in Honor of Kurt Weitzmann, ed. by Doula Mouriki, Princeton 1995, 347–354. 155 Schirato/Webb, Understanding (n. 152), 37, esp. 45–47, 193. 156 Schirato/Webb, Understanding (n. 152), 35–39, 45, quotation on 37. 157 More specifically on eye-tracking and visual narratology see: https://kunstgeschichte.univie.ac.at/en/research-projects/laboratory-for-cognitive-research-in-art-history-crea/towardsan-experimental-narratology-of-the-image/, last accessed on 02–02–2017.

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Figure 5: David Persecuted by Absalom, Page in a Byzantine Psalter, Jerusalem, Patriarchate, Cod. Taphou 53, fol. 195r. © Panayotis L. Vokotopoulos, Byzantine Illuminated Manuscripts of the Patriarchate of Jerusalem, Athens/Jerusalem, 2002, fig. 29.

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essential human viewing habits and sought to exploit them profitably when confronted with the limitations of their medium. Scholarship on narratology has pointed out that textual narrative is by definition temporal and sequential in structure.158 Around the middle of the eighteenth century, scholarship first broached the most fundamental difference between visual and textual narrative, identifying literature as a temporal art and painting a spatial art, the latter described as being of limited suitability to represent action unfolding in a flow of time.159 This shortcoming of the visual arts pertained in the first place to works that display one scene only or conflate multiple scenes from a narrative in one single image. The image strips that the painter of the manuscript containing the story of the leper has chosen throughout to renarrate the textual account in pictures reveal his awareness that rendering temporal flows visually is a problem. Known since antiquity, the format he chose was one of the best suited for rendering visual narrative in a manner both linear and coherent, at least before the invention of the motion picture.160 Visual renderings of textual narrative from the Byzantine realm like the examples just discussed reveal their creators’ familiarity with the different communicative properties of textual and visual narratives respectively. Artists sought to meet as best as they could a limitation intrinsic to their own profession: the difficulty of representing temporal processes in static pictures. Aside from visualizing the dimension of time, artists face more obstacles when attempting to represent non-visual aspects of a narrative, including, for instance, the characters’ inner feelings and desires, or motivations for action that are implied rather than narrated in the text.161 However, it is probably safe to say that the silence of the visual medium poses the greatest obstacle to artists requested to represent textual narrative in a visually coherent manner when it includes oral speech or dialogue. In the case of the image strip of the story of the leper, regardless of the fact that the picture precedes the gospel passage to which it belongs and over which it thus pretends to have priority, the text that appears beneath is 158

E. g., Parna, Narrative (n. 136), 29–34, Schaeffer, Narration (n. 136). Lessing’s Laocoon, published in 1766 is usually seen as the first systematic treatment of these issues. Among the many scholarly writings that discuss this text see especially the seminal study by W. J. T. Mitchell: Iconology. Image, Text, Ideology, Chicago/London 1986, 95–115. More generally on the temporal and spatial aspects of literature and art, see Schaeffer, Narration (n. 136); Tzvetan Todorov: Genres in Discourse, Cambridge 1993, 27–38. Useful studies with a focus on visual narrative are Steiner, Pictures (n. 142), 7–42, and Wolf, Erzähltheorie (n. 142), 53–75, although they concentrate on Western European examples, mostly from the Renaissance and Baroque periods. 160 On ancient narrative friezes, see recently Luca Giuliani: Image and Myth. A History of Pictorial Narration in Greek Art, Chicago/London 2013, esp. 225–242 (I thank Marion Meyer, University of Vienna, for this reference). It has been pointed out that scholarship on intermedial narrativity often failed to pay attention to this format; Wolf, Erzähltheorie (n. 142); Schaeffer, Narration (n. 136), 27; Steiner, Pictures (n. 142), 13, 20–21. 161 Wolf, Erzähltheorie (n. 142), 54–55. 159

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in fact indispensable for understanding the iconography. In order to benefit fully from the contents of the visual narrative, one needs to turn to the text to which it belongs. Significantly, about half of the passage consists of oral speech conveying the conversation between Christ and the leper, contents that are crucial for the story and which are necessarily absent from the picture. Without the proximity of the text (as would be the case, for instance, in a mural), the contents of the dialogue would need to be mediated, at least to uninitiated individuals. Given the picture’s lack of a voice, sacred words uttered by Christ would in this case be left unheard. Only the text itself can fill in the missing information; by reading it aloud, the reader would lend his voice to the mute figures. It is conceivable that, if performing before an audience, the reader would even simulate the different speakers of the dialogue by adjusting his voice accordingly. This case study shows that the silence of pictures, the exact meaning and scope of which usually remained undefined in ancient and medieval writings, becomes most obvious where direct speech is involved. What we witness on the manuscript page with the story of the Healing of the Leper recalls Patriarch Nicephorus’ admission, quoted above, that visual gospel narrative might require “extrinsic testimony” by the text itself to prove its validity. Although Nicephorus did his best to argue that texts and images are equal in the sense that they “show the same narration as the writing,” the juxtaposition of text and iconography of the leper story, at least as it has been carried out thus far, suggests that the pictures are indeed in need of textual ‘confirmation’ or, better, supplementation. However, while it is impossible to deny that the pictures are to a large extent dependent on the written account to furnish critical information that is otherwise undepictable, there are still qualities particular to the visual rendering of the narrative. They should not be ignored because, in turn, they supplement information that is lacking from the text. It should be noted that silence is of course also an important feature of literature, and, as one writer observed, “in narrative specifically, speech and silence are represented and mutually constituted in subtly intricate and inextricable ways.”162 It is also important to keep in mind that events that have happened in reality and their written account are never identical,163 which is what Simonides must have meant when he stated that “literature narrates and records [actions] after they have taken place.”164 In order to illus162 Dinkler, Statements (n. 98), 19. Dinkler’s recent study is specifically dedicated to an investigation of how speech and silence are represented in the narrative of the Gospel of Luke. 163 Mieke Bal: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative, 3rd ed., Toronto 2009, 6. Interestingly, with regard to some of the issues addressed in the present article, in modern translation theory, the recording of a story in writing has been called a ‘translation’ into another reality; Hans Erich Nossak: Translating and Being Translated, in: Schulte/Biguenet, Theories (n. 135), 228–238, at 228. 164 See above n. 101. Barber, Body (n. 112), 146; Lange, Bild (n. 52), 228–229.

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trate the account of the leper’s healing in the Florentine codex, the painter had to use his own imagination to supply basic information the text fails to provide, such as what the figures looked like or what type of clothing they were wearing. These are details that any reader of the story would produce individually as mental images, a process that scholarship on the act of reading has dubbed ideation.165 Far from being authoritative, the painter provided in pictures just one possible version, his personal idea, of what is absent from the narrative – what the text remains silent about. To employ the topos of enargeia, the painter thus aids the viewer’s imagination in order to transform him into an eyewitness of the historical action described in the gospel. As is well known, images may be employed to provide visual comments that are frequently exegetical in nature, and may thus be more or less independent from the details narrated in the text as such. The last section of the image frieze relating the leper’s story provides such a commentary to what remains cryptic in the Gospel text. After all, Matthew’s account does not reveal the nature of “the gift that Moses commanded” (Mt 8:4), and it is precisely this information that the last section of the picture frieze seeks to supplement visually. The iconography reveals that the painter was familiar with the detailed procedures described in the Book of Leviticus for the cleansing of lepers, to which the gospel text alludes.166 The bowl carried by the leper likely represents the “earthen vessel”167 employed for the preparation of the sacrifice of purification (Lev 14:5).168 The building behind the priest also finds its explanation in the text of Leviticus specifying that the leper approaches the priest who awaits him at “the doors of the tent of witness” (Lev 14:11, 23). The details depicted in the last section of the frieze complement the text of Matthew by visually referencing the passage in the Old Testament to which it relates, thus supplying information that remains obscure in the textual account. Yet at the same time, for someone unfamiliar with the intertextual reference of the story, the visual additions would hardly be sufficient to fully illuminate the argument. Hence, both text and image remain incapable of communicating the content and meaning of the story in a fully intelligible way and ultimately depend on the theological training and explanatory faculties of their recipients. This ex165 Wolfgang Iser: The Act of Reading, Baltimore/London 1987, 135–151; on reader response to narrative and the mental processes involved in reading, see recently Dinkler, Statements (n. 98), 28–31, et passim. 166 Hagner, Matthew (n. 151), 198–200; Manlio Simonetti (ed.): Ancient Christian Commentary on Scripture, New Testament Ia: Matthew 1–13, Downers Grove, IL 2001, 160. 167 English quotations from the Septuagint are taken from the NETS Electronic Edition: http://ccat.sas.upenn.edu/nets/edition/ (last accessed in Feb. 2017). 168 It might alternatively be, for instance, the “cup of oil” that is repeatedly mentioned in the text (e. g., Lev 14:10, 21). The white dots seen on the vessel in the miniature indicate its content in only an abstract manner, and thus cannot be related more specifically to any item mentioned in the detailed description of the procedures of purification.

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ample from Byzantium makes plain why centuries earlier Plato had arrived at the pessimistic, yet undeniably true judgment about the shortcomings of both written and visual discourse: they both remain silent because they are unable to answer out of themselves questions reaching beyond what they attempt to represent.169 Regardless of the fact that the painter who visualized the story of the Healing of the Leper aimed at rendering the textual account as accurately as possible, he was ultimately unable to replicate fully the story rendered in the text. Text and image offer two versions of the same narrative and are complementary in nature. While this arguably underscores the idea of a “partnership” of text and image, mutual reciprocity is hardly how Nicephorus conceived of the idea with regard to the gospels. His claim was that text and image relate “the same narration,” which it seems cannot possibly be achieved. This is due primarily to the gospel narrative being interspersed with direct speech and dialogue throughout. It is especially the lack of a voice, then, that renders the claim of the text’s visual mimesis problematic. The very silence of the pictures, their lack of voices, also demonstrates the inadequacy of the term ‘translation’ for the rendering of textual narrative in pictures, at least as far as the gospels are concerned and in fact any text that incorporates direct speech. Pictorial narrative derived from these texts is far removed from being ‘literally’ faithful, and it cannot count as a sense-for-sense translation either. As one scholar has aptly noted, even in the most loosely translated text “translators are not granted the right to skip.”170 In the case of the visual narration of the Healing of the Leper, the painter omitted – or rather was compelled to omit – about half of the text, specifically the parts central to the narrative, which relate the dialogue between Christ and the man. After all, one of the most obvious

169 Phaedrus, 275D: ΣΩΚΡΑΤΗΣ. Δεινὸν γάρ που, ὦ Φαῖδρε, τοῦτ᾿ ἔχει γραφή, καὶ ὡς ἀληθῶς ὅμοιον ζωγραφίᾳ. καὶ γὰρ τὰ ἐκείνης ἔκγονα ἕστηκε μὲν ὡς ζῶντα, ἐὰν δ᾿ ἀνέρῃ τι, σεμνῶς πάνυ σιγᾷ. ταὐτὸν δὲ καὶ οἱ λόγοι· δόξαις μὲν ἂν ὥς τι φρονοῦντας αὐτοὺς λέγειν, ἐὰν δέ τι ἔρῃ τῶν λεγομένων βουλόμενος μαθεῖν, ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτὸν ἀεί. ὅταν δὲ Eἅπαξ γραφῇ, κυλινδεῖται μὲν πανταχοῦ πᾶς λόγος ὁμοίως παρὰ τοῖς ἐπαΐουσιν, ὡς δ᾿ αὕτως παρ᾿ οἷς οὐδὲν προσήκει, καὶ οὐκ ἐπίσταται λέγειν οἷς δεῖ γε καὶ μή· πλημμελούμενος δὲ καὶ οὐκ ἐν δίκῃ λοιδορηθεὶς τοῦ πατρὸς ἀεὶ δεῖται βοηθοῦ· αὐτὸς γὰρ οὔτ᾿ ἀμύνασθαι οὔτε βοηθῆσαι δυνατὸς αὑτῷ (“Socrates: Writing [γραφή], Phaedrus, has this strange quality, and is very like painting [ζωγραφίᾳ]; for the creatures of painting stand like living beings [ζῶντα], but if one asks them a question, they preserve a solemn silence. And so it is with written words; you might think they spoke as if they had intelligence, but if you question them, wishing to know about their sayings, they always say only one and the same thing. And every word, when once it is written, is bandied about, alike among those who understand and those who have no interest in it, and it knows not to whom to speak or not to speak; when ill-treated or unjustly reviled it always needs its father to help it; for it has no power to protect or help itself ”); Plato: Euthyphro, Apology, Crito, Phaedo, Phaedrus, with an English Translation by Harold North Fowler, Cambridge, MA 2014 (LCL 36). 170 Bellos, Fish (n. 124), 105.

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limitations of pictures, that they cannot render oral speech – at least not by purely pictorial means – is a problem that does not apply to inter-lingual translations. The comparison of the story of the Healing of the Leper in text and image demonstrates the divergent potentialities and limitations of the textual and visual medium respectively. By no means can it be substantiated that pictures relate “the same narration as the writing,” as Patriarch Nicephorus argued, or that they replicate or ‘copy’ the text by means of mimesis as Theodore the Studite suggested following Basil the Great. The motivations guiding these views are obvious and they parallel the claims to accuracy made in the legends on the translation of the Septuagint. Only if the visual account faithfully renders what the text relates, and thus conveys an identical message, may it be regarded true and equally venerable as the holy writ, a claim that was indeed essential in the quest to defeat iconoclasm.171 One could be tempted to object that medieval theorists might simply have been unaware of the profound communicative discrepancies between texts and images, discrepancies grounded in medial differences that are difficult to bridge. The extant written sources suggest otherwise, however. In fact, Nicephorus’ and Theodore’s views on the mimetic role of visual narrative in the ninth century, during the second phase of iconoclasm, signify a step in a different direction from the theoretical reasoning developed earlier. Both writers referred to visual gospel narrative more specifically, a topic which had already been broached in image theory during the first phase of iconoclasm. Thinkers in this period arrived at a more realistic assessment of the interrelation of text and image. A text read by Epiphanius the Deacon172 during the Sixth Session of the Second Council of Nicaea held in 787 shows that iconophile theologians not only recognized that profound discrepancies existed between texts and images, they also sought to reconcile their undeniable medial differences productively. The text argues as follows: The pictorial representation follows the narrative of the gospel; and the narrative of the gospel follows the pictorial representation. Both are good and honorable. For things which are indicative of each other undoubtedly speak for each other.173 171 This view would hardly remain uncontested from the perspective of twentieth-century structuralist narrative theory that distinguishes between story – i. e., the plot, or content – and discourse – i. e., the way in which the content is conveyed; Seymour Chatman: Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film, Ithaca/London 1978, esp. 19–27. It deserves to be noted that Plutarch (Simonides) appears to have anticipated the main traits of structuralist narrative theory, observing that “[e]ven though artists with color and design, and writers with words and phrases, represent the same subjects, they differ in the material and the manner of their imitation;” see full quotation above, n. 101. 172 Epiphanius, Deacon of Catania (Sicily), who represented bishop Thomas of Sardinia at the council; Sahas, Icon (n. 27), n. 188, p. 181. 173 ἐπακολουθεῖ γὰρ ἡ διὰ στηλογραφίας ἀνατύπωσις τῇ εὐαγγελικῇ διηγήσει καὶ αὕτη τῇ στηλογραφικῇ ἐξηγήσει, καὶ ἄμφω καλὰ καὶ τίμια. τὰ γὰρ ἀλλήλων δηλωτικὰ ἀναμφιβόλως καὶ

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This reasoning on the interrelation of text and image is novel among ancient and Byzantine writings, because it is not resemblance, but mutual reciprocity that is emphasized here. The meaning of this is explicated in the text read by Epiphanius about an icon of the Annunciation to the Virgin Mary. Significantly, this choice also demonstrates that the silence of pictures was definitely recognized as a problem. His argument reveals a remarkably sophisticated understanding of the complex interplay of textual and visual narrative that does not attempt to downplay or hide the fact that they do not accomplish the same thing: And when we see in an icon the angel bringing the good news to the virgin, we must certainly bring to mind the gospel narrative “the angel Gabriel was sent from God to the virgin. And he came to her and said: ‘Greetings, favored one! The Lord is with you. Blessed are you among women.’” Thus from the gospel we have heard of the mystery carried out to the Virgin through the angel, and we are reminded of it. And when we see the event in an icon we perceive it in the same way more vividly.174

The most theologically significant detail of the story, the message voiced by the angel, is – unsurprisingly – absent from the mute image. It needs to be added by the memory of the beholder, and the text in fact highlights the often praised capacity of pictures to trigger remembrance of an event.175 In a later example of a Byzantine icon of the Annunciation painted in the twelfth century (Sinai, The Holy Monastery of St. Catherine) [Fig. 6], Gabriel’s hand is conspicuously raised in a gesture of speech against the ‘void’ of the golden background in a way that stands out.176 Yet despite the angel’s ostentatious gesture, the picture cannot render the sound of his voice. As one gazes at the icon, the angel’s words themselves are absent, and the fact that the image is still able to communicate the message announcing Christ’s incarnation depends on the viewer’s familiarity with the story related in the Gospel of Luke. On the other hand, according to Epiphanius’ reasoning, the picture has the merits of bringing the scene vividly before the eyes of the beholder, who is thus enabled to perceive the historical event as if it were happening right in front of him. This view highlights the capacity of visual τὰς ἀλλήλων ἔχουσιν ἐμφάσεις; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 678, ll. 19–21; Sahas, Icon (n. 27), 98 (trans. adjusted and emphasis added in both versions). 174 οὕτως καὶ ἐνταῦθα· ἐὰν ἴδωμεν ἐν εἰκόνι εὐαγγελιζόμενον τὸν ἄγγελον τῇ παρθένῳ, πάντως εἰς ἀνάμνησιν ἔχομεν ἐλθεῖν τῆς τοῦ εὐαγγελίου διηγήσεως ὅτι ἀπεστάλη ὁ ἄγγελος Γαβριὴλ ὑπὸ τοῦ Θεοῦ πρὸς τὴν παρθένον, καὶ εἰσελθὼν πρὸς αὐτὴν εἶπε· Χαῖρε κεχαριτωμένη, ὁ κύριος μετὰ σοῦ, εὐλογημένη σὺ ἐν γυναιξίν. οὐκοῦν εὐαγγελίου ἠκούσαντες τὸ πραγματευθὲν μυστήριον διὰ τοῦ ἀγγέλου πρὸς τὴν παρθένον, καὶ ἀναμιμνησκόμεθα, καὶ ἐν εἰκόνι ὁρῶντες ὡσαύτως ἐμφαντικώτερον τὸ πραγματευθὲν ἐννοοῦμεν; Lamberz, Concilium (n. 27), 678, ll. 23–29 (italics original, cf. Lk 1:26–28, with omissions). 175 On writings from Byzantium that address visual memory, see, for instance, Leslie Brubaker: Pictures Are Good to Think with: Looking at Byzantium, in: L’écriture de la mémoire. La littérarité de l’historiographie. Actes du IIIe colloque international philologique “EPMHNEIA”, Nicosie, 6–7–8 mai 2004, ed. by Paolo Odorico et al., Paris 2006, 221–240. 176 Measurements: 63.1 x 42.2 cm; Robert S. Nelson/Kristen M. Collins: Icons from Sinai: Holy Image, Hallowed Ground, Los Angeles 2006, 152–153.

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Figure 6: The Annuciation to the Virgin Mary, Byzantine Icon, Sinai, The Holy Monastery of St. Catherine. © The Holy Monastery of St. Catherine.

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images to transform the viewer into an eyewitness, as addressed above. The passage implies that because of the vividness evoked by pictorial arts, the picture is capable of rendering present – enlivening – the scene depicted in it. The same notion of animated, ‘living’ pictures is an important element of rhetorical ekphrasis, examples of which from Byzantium will be discussed further down. Epiphanius’ contribution emphasizes not that the image relates the same story as the text by imitation, but rather that one medium complements the other. Textual and visual narrative are partners – to use the metaphor later employed by Nicephorus – but their interdependence here is not based on claims of the primacy of the text. The important observation that text and image are mutually complementary and thus valued each in their own right for their respective communicative merits is rare in its explicitness within the entire corpus of image theory produced during Byzantine iconoclasm. The theologians at Nicaea must have recognized the significance of the argument, however, because it was also included and elaborated upon in the council’s Horos: In summary, we preserve all the traditions of the Church, which for our sake have been decreed in written or unwritten form, without introducing any innovation. One of these [traditions] is that of iconographic representation, because it works in unison with the narrative of the gospel proclamation to confirm that the incarnation of God the Word was true and not imaginary, and is of similar benefit to us [as the gospel]. For things which are indicative of each other undoubtedly speak for each other.177

The council’s recognition that textual and visual narrative of the gospels are mutually indicative or complementary is quite remarkable. It differs in significant ways from views expressed in the following century by Theodore the Studite and Patriarch Nicephorus, according to whom visual gospel narrative depends on the preexistent, authoritative text. Yet, the expectation of the Acts of Nicaea that the beholder add undepictable content – spoken words – from memory of course presupposes the viewer’s familiarity with the story, and remains to some degree in the realm of theory, especially as far as the precise wording of the sacred text is concerned. Artists displayed a more practical approach to the problem of pictures’ lack of a voice by simply adding the missing message in writing. This practice was observed above with the text of John 1:1 written into the miniature depicting the divine inspiration of St. John the Evangelist, thus rendering the Gospel’s oral dictation by the ‘speaking’ hand of God [Fig. 2]. An icon dated to the ninth cen177 καὶ συνελόντες φαμέν· πάσας τὰς ἐκκλησιασικὰς ἐγγράφως καὶ ἀγράφως τεθεσπισμένας ἡμῖν παραδόσεις ἀκαινοτομήτως φυλάττομεν· ὧν μία ἐστὶ καὶ ἡ τῆς εἰκονικῆς ἀναζωγραφήσεως ἐκτύπωσις ὡς τῇ ἱστορίᾳ τοῦ εὐαγγελικοῦ κηρύγματος συνᾴδουσα πρὸς πίστωσιν τῆς ἀληθινῆς καὶ οὐ κατὰ φαντασίαν τοὺ θεοῦ λόγου ἐνανθρωπήσεως, καὶ εἰς ὁμοίαν λυσιτέλειαν ἡμῖν χρησιμεύουσα· τὰ γὰρ ἀλλήλων δηλωτικὰ ἀναμφιβόλως καὶ τὰς ἀλλήλων ἔχουσιν ἐμφάσεις; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 824, ll. 23–29; previously ed. Uphus, Horos (n. 57), 6, ll. 20–27; trans. Sahas, Icon (n. 27), 178–179 (adjusted and emphasis added).

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tury, now in the collection of the Monastery of Saint Catherine at Mount Sinai, is another prime example of how text could be simply added [Fig. 7].178 No detail in the different gospel accounts of the Crucifixion suggests that the Virgin Mary and the disciple John stood motionless at a given moment, neatly arranged to flank the cross symmetrically. Yet this arrangement is the key compositional feature in this and other Byzantine images of the Crucifixion. Despite the addition in this particular example of elements derived from the textual narrative, most conspicuously the two crucified thieves, the painter has in fact largely avoided visualizing action that would justify calling this image a narrative. This is all the more remarkable in light of the detailed renderings of the story of Christ’s Crucifixion in the gospels. Hans Belting has rightly pointed out that compositions such as this one, although based on textual narrative, are not themselves narrative in character, but represent “a unity of ideas,” a theological argument.179 This icon constitutes a good example of what in today’s classification is termed a ‘still’ or ‘fixed’ image. Significantly, however, the painter sought to animate the picture, namely by conveying the exact words that Christ addressed to Mary and John respectively. He added quotations from the sacred text above the heads of the mourning bystanders: “Here is your son” – “Here is your mother” (Jn 19:26; 27). Although we do not know precisely how an icon such as this would have been approached by or mediated to the faithful, there is ample evidence that in Byzantium inscriptions on works of art were pronounced orally.180 Hence, ideally at least, individuals would have voiced to themselves, or possibly even to a larger audience, some of Christ’s last words cited in the icon of the Crucifixion, and the mute painting was thus able to speak with the same authority as the text of John’s Gospel. Yet the citations in the Sinai icon seem to highlight rather than resolve the problem that the pictorial medium cannot adequately render sound. At least as far as their practical function to convey orally spoken content is concerned, the citations of human utterances here and elsewhere foreshadow the speech balloons of the graphic novel. Scholars in the field of comic studies have described 178 Measurements: 47.1 x 34.4 cm. Helen C. Evans/Brandie Ratliff (eds.): Byzantium and Islam: Age of Transition, 7th–9th Century, New York/New Haven 2012, no. 28, 56–57 (Kathleen Corrigan); Kurt Weitzmann: The Icons, vol. 1: From the Sixth to the Tenth Century, Princeton 1976, no. B. 50, 79–82, pl. 37, 105–106; Leslie Brubaker/John F. Haldon: Byzantium in the Iconoclast Era (ca. 680–850): The Sources. An Annotated Survey, Aldershot/Burlington 2001, 68–69. 179 Hans Belting: Likeness and Presence: A History of the Image before the Era of Art, Chicago 1994, 271. 180 Amy Papalexandrou: Text in Context: Eloquent Monuments and the Byzantine Beholder, in: Word & Image 17 (2001), 259–283; Amy Papalexandrou: Echoes of Orality in the Monumental Inscriptions of Byzantium, in: Art and Text in Byzantine Culture, ed. by Liz James, Cambridge 2007, 161–187; Euthymia Pietsch-Braounou: “Die Stummheit des Bildes”: Ein Motiv in Epigrammen des Manuel Philes, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 57 (2007), 135– 148, at 148; Bissera V. Pentcheva: The Sensual Icon. Space, Ritual, and the Senses in Byzantium, University Park 2010, 196–197.

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Figure 7: The Crucifixion, Byzantine Icon, Sinai, The Holy Monastery of St. Catherine. © The Holy Monastery of St. Catherine.

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the latter as a “desperation device” in the struggle of depicting sound in a silent medium.181 Without being read aloud, voices that are substituted in the pictorial realm by means of script remain an illusion (this holds particularly true in an era when silent reading has long become commonplace). However, unlike speech balloons in modern comics, in Byzantium inscriptions of the kind that have been added to the icon of the Crucifixion at Sinai had an important theological significance because they served to link the persons and events depicted in the image to their prototypes. The corresponding theories were developed during iconoclasm, which explains why written labels became more widespread in Byzantine art from the later ninth century on. Most inscriptions on Byzantine icons are not quotations of direct speech, but rather name labels or titles identifying individuals or narrative scenes. These are very common even in the case of well-known and easily recognizable figures such as Christ, or festival scenes like the Annunciation to the Virgin Mary or the Nativity of Christ.182 The reason for their addition lies less in their use for identifying the figure or scene represented, which would have been unnecessary in the majority of the cases due to their commonplace iconographic types or formulas. Rather, these inscriptions function as a seal of authenticity.183 The label confirms that the figure or scene depicted is a faithful portrait of an individual (Christ, the Virgin Mary, a saint) or of an event, most often from the New Testament. According to Byzantine image theory, the label functions as a link to the venerable ‘originals,’ Christ and his saints, to whom the veneration is directed. This theory was explained in the Acts of the Second Council of Nicaea: “… and when we signify an icon with a name we transfer the honor to the prototype, and by embracing it and offering to it the veneration of honor, we share in the sanctification.”184 181 Will Eisner: Comics & Sequential Art, Tamarac 2001, 26 (quote); also see Mervi Miettinen: Representing the State of Exception: Power, Utopia, Visuality and Narrative in Superhero Comics, in: Images in Use: Towards the Critical Analysis of Visual Communication, ed. by Matteo Stocchetti/Karin Kukkonen, Amsterdam/Philadelphia, 2011, 284–288. 182 John of Damascus, De imag. (n. 28) III.81–82; on the so-called Feast Cycle in Byzantium, see Thomas Mathews, The Sequel to Nicaea II in Byzantine Church Decoration, in: Perkins Journal 41.3 (1988), 11–21. Such labels are also seen in the two icons at Sinai discussed above (Icon of the Annuciation [Fig. 6]: “The Annunciation,” or literally, “The Greeting,” “The Visit,” Ὁ ΧΑΙΡΕΤΙCΜΟC; Icon of the Crucifixion [Fig. 7]: “Mother of God,” ΜΗ(τηρ) Θ(εο)Υ; “John,” ΙΟΑΝΝΗC). 183 An interesting parallel case are the inscriptions on Byzantine seals that were not intended to be read but served primarily to authenticate documents; Jeffreys, Literacy (n. 55), 4. 184 ὡσαύτως καὶ ἐπὶ τῆς εἰκόνος διὰ τῆς τοῦ ὀνόματος σημασίας εἰς τὴν τοῦ πρωτοτύπου τιμὴν ἀναφερόμεθα, καὶ ἀσπαζόμενοι ταύτην καὶ τιμητικῶς προσκυνοῦντες μεταλαμβάνομεν ἀγιασμοῦ … Lamberz, Concilium (n. 27), 680, ll. 11–14; trans. Sahas, Icon (n. 27), 99. The most insightful argument regarding the significance of inscriptions on works of art is found in Lange, Bild (n. 52), 224–228, 233–245; more recently, see Karen Boston: The Power of Inscriptions and the Trouble with Texts, in: Icon and Word: The Power of Images in Byzantium, ed. by Antony Eastmond/Liz James, Aldershot/Burlington 2003, 35–57.

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Prototype and icon (by means of inscription) carry the same name, and the name was in fact seen as an imitation of the prototype; both are thus linked to form a unity, which further justifies the veneration of the prototype through his or her faithful, mimetic, visual portrait.185 By means of the homonymia, the image renders present for the beholder the one who is depicted on it.186 As a logical consequence, the icon – or rather the individual(s) seen on it – may also by means of the inscription speak to the beholder, as Theodore of Studios points out exemplifying an icon of the Savior: Therefore, as the Divine Word can say, “I am the Light of the World,” so the image can also be called by this inscription. And so, when Christ can say, “To me every knee shall bow, in the heavens, and on the earth, and under the earth,” the image can also say this by its inscription. And when Christ can say, “I am the life and the resurrection,” then the image can also say this by the inscription.187

In these statements, like those cited in the Sinai icon of the Crucifixion, it is Christ himself who speaks to the beholder through his icon. The notion that the addition of speech in writing contributes to the animation of the picture is firmly rooted in antiquity.188 Nevertheless, it still cannot be denied that, with regard to the practi185 This way of thinking ultimately goes back to the ancient notion of the truth and correctness of names as discussed, for instance, in Plato’s Cratylus, which discusses names along with paintings as forms of mimesis: ΣΩ. Οὐκοῦν καὶ τὸ ὄνομα ὁμολογεῖς μίμημά τι εἶναι τοῦ πράγματος; ΚΡΑ. Πάντων μάλιστα. ΣΩ. Οὐκοῦν καὶ τὰ ζωγραφήματα τρόπον τινὰ ἄλλον λέγεις μιμήματα εἶναι πραγμάτων τινῶν; ΚΡΑ. Ναί. ΣΩ. Φέρε δή – ἴσως γὰρ ἐγὼ οὐ μανθάνω ἅττα ποτ᾿ ἔστιν ἃ λέγεις, σὺ δὲ τάχ᾿ ἂν ὀρθῶς λέγοις – ἔστι διανεῖμαι καὶ προσενεγκεῖν ταῦτα ἀμφότερα τὰ μιμήματα, τά τε ζωγραφήματα κἀκεῖνα τὰ ὀνόματα, τοῖς πράγμασιν ὧν μιμήματά ἐστιν, ἢ οὔ; ΚΡΑ. Ἔστιν. ΣΩ. Πρῶτον μὲν δὴ σκόπει τόδε. ἆρ᾿ ἄν τις τὴν μὲν τοῦ ἀνδρὸς εἰκόνα τῷ ἀνδρὶ ἀποδοίη, τὴν δὲ τῆς γυναικὸς τῇ γυναικί, καὶ τἆλλα οὕτως; ΚΡΑ. Πάνυ μὲν οὖν (“Soc. And you agree that the name is an imitation of the thing named? / Cra. Most assuredly. / Soc. And you agree that paintings also are imitations, though in a different way, of things? / Cra. Yes. / Soc. Well then – for perhaps I do not understand, and you may be right – can both of these imitations, the paintings and the names, be assigned and applied to the things which they imitate, or not? / Cra. They can. / Soc. First, then, consider this question: Can we assign the likeness of the man to the man and that of the woman to the woman, and so forth? / Cra. Certainly”); Plato, Cratylus, 430B–C (Plato: Cratylus: Parmenides, Greater Hippias, Lesser Hippias, with an English Translation by Harold North Fowler, Cambridge 2014 [LCL 167], 157). Moshe Barasch: Icon: Studies in the History of an Idea, New York 1992, 72–74, esp. 73. 186 On the function of name labels in icons see Lange, Bild (n. 52), 219–220, 224–227, 233– 245; also see Nicephorus, Antirrheticus I.30; PG 100, 280B, 293B. 187 Τοιγαροῦν ἐπειδὴ λέγοι αὐτὸς ὁ Θεὸς Λόγος, Ἐγώ εἰμι τὸ φῶς τοῦ κόσμου· τοῦτο φαίη ἂν διὰ τῆς ἐπιγραφῆς καὶ τὸ αὐτοῦ ἀπεικόνισμα. Πάλιν ἐπειδὰν λέγοι ὁ Χριστὸς, Ἐμοὶ κάμψει πᾶν γόνυ, ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχθονίων· τοῦτο φαίη ἂν διὰ τῆς ἐπιγραφῆς καὶ τὸ αὐτοῦ ἀπεικόνισμα. Πάλιν ἐπὰν λέγοι ὁ Χριστὸς, Ἐγὼ ἐιμι ἡ ζωὴ καὶ ἡ ἀνάστασις· τοῦτο φαίη ἄν διὰ τῆς ἐπιγραφῆς καὶ τὸ αὐτοῦ ἀπεικόνισμα; Theodore the Studite, Antirrheticus II.17, trans. Cattoi (n. 25), PG 99, 361C–D (translation adjusted). 188 The idea that objects can speak may be traced back to Hellenism. The notion that a divinity and its statue were one and the same, which is also reflected in the name inscribed on the artifact, is likewise encountered in antiquity. The label ensured that the statue was able to

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calities of its reception or accessibility by the faithful, the image depends on the written word for its message to be properly understood. The quotations of spoken words on the Sinai icon of the Crucifixion and other works of art demonstrate that the missing acoustic component in pictures by no means ceased to be a fundamental problem for those who produced and used visual images after the official re-institution of the cult of images in 843. Instead, the lack of a voice in the visual medium was substituted by epigrams and poems, for instance composed for or inspired by icons, practices typical for the Middle and Late Byzantine periods.189 Cod. Marc. gr. 524 preserves a series of twentyone such epigrams, which were in all likelihood composed to be added to a festival cycle of New Testament scenes as written supplements. The majority of these poems convey direct speech, either by the author, who addresses the figures depicted as if they were alive, or uttered by the figures themselves, and two of the epigrams even render dialogue.190 The following poem supplements an image of the Annunciation to the Virgin Mary with dialogue between the Archangel Gabriel and the Virgin Mary: [Angel:] “Greetings to you, the perfect purity, you will bring forth the offspring of God.” [Virgin:] “A wondrous thing, given that there is no husband.” [Angel:] “Yet you will receive the divine spirit.” [Virgin:] “So be it.”191

The epigram for the Resurrection of Lazarus reads as follows: [Christ:] “Lazarus, come forth!” [Lazarus:] “Who awakened me by calling? – Oh yes, take off the cloth from me; the voice of Christ my friend is around me.”192

When put into practice to serve as inscriptions for pictures, these and similar epigrams illustrate rather well the idea of a reciprocity between image and word, recognized by the theologians at the Second Council of Nicaea. They supply inact just as the real person; Christian, Steine (n. 53), 28–88, esp. 73–75, 88, 237–272; Lange, Bild (n. 52), 233–234. 189 On the widespread use of epigrams in Byzantine art and architecture see Wolfram Hörandner et al.: Byzantinische Epigramme in inschriftlicher Überlieferung (4 vols), Vienna 2009– 2018. 190 Wolfram Hörandner: A Cycle of Epigrams on the Lord’s Feasts in Cod. Marc. Gr. 524, in: Dumbarton Oaks Papers 48 (1994), 117–133; on the original purpose of these epigrams, see ibid., 122, n. 9; on the presumed date of origin, between the mid-11th and early 13th cent., ibid., 123. 191 [Ἄγγελος] Πάναγνε χαῖρε, τὸν Θεοῦ τέξεις γόνον. \ [Θεοτόκος] Τεράστιον τὸ ῥῆμα συζύγου δίχα. \ [Ἅ.] Ναὶ πνεῦμα δέξῃ θεῖον. [Θ.] Ὡς γένοιντό μοι; ed. Hörandner, Cycle (n. 190), no. II, 118 (trans. 120, adjustments made). With regard to biblical authority, it is remarkable that this dialogue represents a rather loose and simplified version of that provided in Lk 1:26–38. For similar epigrams documented elsewhere for the Annunciation, see ibid., 123–124. 192 [Χριστός] Λάζαρε δεῦρο· [Λάζαρος] Τίς βοῶν ἤγειρέ με; \ ναὶ ναὶ τὸ σουδάριον ἐξάρατέ μου· \ φωνή με Χριστοῦ τοῦ φίλου περιτρέχει; ed. Hörandner, Cycle (n. 190), no. VII, 11, trans. 120.

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formation in writing that is absent from the image, namely words spoken by the characters depicted. Icon and poem would complement each other in an optimal manner in situations of performance, when oral speech supplied by the epigram is voiced by readers in front of the picture. Likewise, over forty epigrams from the Late Byzantine court poet Manuel Philes (c. 1270–after 1332) survive that address the silence of images,193 as is the case with another poem inspired by an icon representing the Resurrection of Lazarus: Here Christ resurrects the friend. / But he does not move. And if someone asks why / the painting, although it does not breathe, will answer him: / “Christ is silent, which word ought to set me in motion?”194

Again, the epigram supplies the content of oral speech, apparently delivered by the painted figure of Lazarus.195 This poem is particularly revealing with regard to the iconoclastic notion of the dead picture because it explicitly problematizes the lack not only of sound, but in fact the lack of life – movement and breath – in pictures. However, drawing on the rhetorical topos of enargeia, the author suggests that the painted episode seems so vivid that one can easily imagine the picture becoming alive (like Lazarus!) and speaking regardless of the muteness that characterizes the visual medium. More specifically, Philes makes use of the stylistic means of empsychos graphe – ‘ensouled writing’ or ‘living writing’ – in order to bring the event vividly before the eye of the beholder by describing the depicted figures as if they were alive.196 This ancient technique continued to be used in Byzantine ekphraseis, and in the final section I will discuss two examples of such texts dating from the post-iconoclastic era. These ekphraseis are revealing in that they offer a response to the problem addressed initially in this article, that, in contrast to holy scripture, pictures derived from it lack divine inspiration. In doing so, they attempt by means of rhetoric to overcome the most obvious shortcoming of pictures – that they are inanimate – while simultaneously seeking to substantiate their truth and validity. I argue that these texts represent a late response to the critique voiced during Byzantine iconoclasm, that – as a result of their lack of inspiration – Christian religious images are ‘dead’ and ‘false.’ 193 Pietsch-Braounou, Stummheit (n. 180); Efthymia Braounou-Pietsch: Beseelte Bilder: Epigramme des Manuel Philes auf bildliche Darstellungen, Vienna 2010. 194 Κἀνταῦθα Χριστὸς ἐξεγείρει τὸν φίλον· Ὁ δ’ οῦ κινεῖται· κἄν τις εἴποι τοῦ χάριν, Ἐρεῖ πρὸς αὐτὸν ἡ γραφὴ κἂν μὴ πνέῃ· Χριστὸς σιωπᾷ· τίς με κινήσει λόγος; ed. Pietsch-Braounou, Stummheit (n. 180), 137; Braounou-Pietsch, Bilder (n. 193), no. 61, 125. 195 In light of the context, this would at least seem a logical assumption. However, it is not entirely clear whether γραφὴ refers to the painted figure of Lazarus only, or to the painting in its entirety. 196 “Im Rahmen dieser Technik werden die abgebildeten Figuren oft als lebend, sich bewegend oder auch sprechend beschrieben, wobei nicht nur optische, sondern auch akustische oder sonstige sinnliche Erfahrungen durch das Wort evoziert werden;” Braounou-Pietsch, Bilder (n. 193), 41. More specifically, on Philes and enargeia, ibid., 33–52, esp. 42.

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6 Empsychos graphe: Animated Pictures and Inspired Artists That pictures are inanimate, lifeless, or ‘un-ensouled’ (apsychos; ἄψυχος) was of course recognized by iconophile theologians as well. It was indeed of crucial importance to emphasize this fact in order to distance the theology of the Christian icon from pagan beliefs in animated statues.197 The fact that the image itself is lifeless was crucial for drawing a clear distinction between the icon and its venerable prototype, as was stated, for instance, in the proceedings of the Second Council of Nicaea: “For it is quite clear to everyone that ‘icon’ is one thing and ‘prototype’ another; the one is inanimate (ἄψυχον), the other animate (ἔμψυχον).”198 That the veneration rendered to the icon is conveyed to the prototype was an argument frequently repeated during iconoclasm, and it was likewise recorded in the Horos of the Second Council of Nicaea defining the orthodox position.199 As cited in John of Damascus’ third treatise On the Divine Images, Leontius of Neapolis explained what this meant for the faithful venerating icons: “… when I venerate the icon of Christ, I do not venerate the nature of the wood or the colors – God forbid! – but, venerating the lifeless form of Christ, through it I seem to hold and venerate Christ himself.”200 This understanding is based on the conviction that, although icon and original differ in essence, both may be venerated together by means of the icon. The truth of the prototype is contained in the icon, which is owed to the likeness, homoioma (ὁμοίωμα), between icon and model achieved by means of imitation.201 Through their resemblance, the icon is united with the person depicted; it participates in the grace of the prototype, and thus becomes “a vehicle of divine power.”202 The inseparable link between the icon and its model, established by means of likeness according to Byzantine iconophile thought, distinguished Christian religious images from pagan idols that lacked a true and 197 Sarah Iles Johnston: Animating Statues: a Case Study in Ritual, in: Arethusa 41 (2008), 445–447; Algis Uzdavinys: Animation of Statues in Ancient Civilizations and Neoplatonism, in: Late Antique Epistemology: Other Ways to Truth, ed. by Aude Busine et al., Basingstoke 2009; Steiner, Images (n. 71), 135–184. 198 ἀρίδηλον γὰρ πᾶσιν ὑπάρχει ὅτι ἄλλο ἐστὶν εἰκὼν καὶ ἄλλο πρωτότυπον· τοῦτο μὲν ἔμψυχον, ἐκεῖνο δὲ ἄψυχον; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 668, ll. 22–24; trans. Sahas, Icon (n. 27), 91; also see Nicephorus, Antirrheticus 1.17; PG 100, 228D–229A. 199 ἡ γὰρ τῆς εἰκόνος τιμὴ ἐπὶ τὸ πρωτότυπον διαβαίνει, καὶ ὁ προσκυνῶν τὴν εἰκόνα προσκυνεῖ ἐν αὐτῇ τοῦ ἐγγραφομένου τὴν ὑπόστασιν; Concilium, ed. Lamberz (n. 27), 826, ll. 16–18; Sahas, Icon (n. 27), 179. 200 … οὕτως κἀγὼ τῇ εἰκόνι τοῦ Χριστοῦ προσκυνῶ, οὐ τῇ φύσει τοῦ ξύλου καὶ τῶν χρωμάτων – μὴ γένοιτο –, ἀλλ᾽ ἀψύχῳ χαρακτῆρι Χριστοῦ προσκυνῶν δι᾽ αὐτοῦ αὐτὸν Χριστὸν δοκῶ κρατεῖν καὶ προσκυνεῖν; John of Damascus, De imag. III.87, ed. Kotter, trans. Louth (n. 28); Baynes, Icons (n. 35), 100. 201 Ladner, Concept (n. 87), 12–13, esp. 13; Parry, Word (n. 3), 25; Barber, Figure (n. 3), esp. 107–137, esp. 107–111. 202 Parry, Word (n. 3), 22–33, esp. 24–27, n. 24. In addition, as has been pointed out above, the shared name unites the icon with its prototype (homonymy); ibid., 28; Barber, Figure (n. 3), 127.

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sacred prototype.203 Along these same lines, it is due precisely to the link of the Christian icon to the real, ‘living’ individuals or actual events depicted on it that it is far from being ‘dead,’ as the iconoclasts claimed. In Byzantine iconophile thought, the distinction between the prototype, the sacred person, and his or her depiction in an icon by means of mimesis was of course crucial. Whereas the icon, according to this view, participates in the original through resemblance, it was important to emphasize that both are not identical in essence or nature. It must be said, though, that the clear distinction between prototype and icon was not always acknowledged with due rigor; in practice, the image often got blurred with the original. This blurring was reflected not only in popular belief in miracles involving pictures whose figures display human behavior or exude human body fluids,204 but also in rhetoric. In ekphraseis produced by leading Byzantine intellectuals during the centuries after the end of iconoclasm, visual images are described not only as life-like, but as actually living, which includes envisioning them as equipped with a voice or the ability to move. The stylistic technique of empsychos graphe is pushed to its extreme in ekphrastic writings, in which the icon is occasionally even identified as the living prototype. This is in fact perfectly in line with Byzantine thought, according to which enargeia was synonymous with ‘truth,’ permitting pure vision of reality itself.205 Photios’ Homily 17 is a prime example of an early literary testimony where the stylistic device of empsychos graphe has been deliberately employed to blur the distinction of an icon and its ‘living’ original, the prototype. Delivered by the patriarch on Holy Saturday 867, the homily celebrated the unveiling of the mosaic depicting the Virgin Mary and Child in the apse of the Hagia Sophia [Fig. 8].206 203 Parry, Word (n. 3), 28. For instance, John of Damascus makes this rather plain: “… idols are likenesses (ὁμοιώματα) of falsely-called (ψευδωνύμων) [gods], of adulterers and murderers, of child-sacrificers and catamites, and not of prophets and apostles;” De imag. III.88 (trans. Louth [n. 28]); πῶς λέγεις εἴδωλα ταῦτα, ὦ ἀνόητε; Τὰ γὰρ εἴδωλα τῶν ψευδωνύμων, τῶν μοιχῶν καὶ φονευτῶν καὶ τεκνοθυτῶν καὶ μαλακῶν ὁμοιώματά εἰσι καὶ οὐ προφητῶν οὐδὲ ἀποστόλων (ed. Kotter [n. 28], 181). It is remarkable, I think, that John chose, of several possible terms, ὁμοιώματα to refer to pagan imagery, because this seems to suggest that pagan images are copied from and thus resemble a prototype as well, but an ‘un-holy’ one in their case. 204 For examples, see Gilbert Dagron: Holy Images and Likeness, in: Dumbarton Oaks Papers 45 (1991), 23–33; Maria Vassilaki: Bleeding Icons, in: Icon and Word. The Power of Images in Byzantium. Studies presented to Robin Cormack, ed. by Anthony Eastmond/Liz James, Aldershot/Burlington 2003, 121. 205 Papaioannou, Enargeia (n. 104), esp. 50–52, 54–55; on the ancient roots of this idea, see Webb, Ekphrasis (n. 104), 100. 206 Photiou Homiliai, Ekdosis keimenou, eisagōgē kai scholia hypo Basileiou Laourda, Thessalonikē 1959, 164–172; trans. Cyril Mango: The Homilies of Photios, Patriarch of Constantinople. English Translation, Introduction and Commentary, Cambridge 1958, 286–296; for the date and occasion, see ibid., 279; on this ekphrasis, however with a focus different from the issues addressed in the present article, see Robert S. Nelson: To Say and to See. Ekphrasis and Vision in Byzantium, in: Visuality before and beyond the Renaissance, ed. by Robert S. Nelson, Cambridge/ New York 2000, 143–168, esp. 146–151, 155.

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This act was understood as a celebration of the triumph over “the iconoclastic heresy,” and in fact a celebration of the triumph of orthodoxy as such.207 In his ekphrasis of the image, Photios refers to the Virgin as follows: For, as it were, she fondly turns her eyes on her begotten child in the affection of her heart, yet assumes the expression of a detached and imperturbable mood at the passionless and wondrous nature of her offspring, and composes her gaze accordingly. You might think her not incapable of speaking, even if one were to ask her, ‘How did you give birth and remain a virgin?’ To such an extent have the lips been made flesh by the colors, that they appear merely to be pressed together and stilled as in the mysteries, yet their silence is not at all inert, nor in the copying is her form beautified, but it is just exactly the archetype.208

Photios’ description reveals his familiarity with the limitations of the still image, which he seeks to remedy for his audience through the evocation of an animated figure:209 what is described here is not a lifeless image, but a representation of the Virgin who is able to see, depicting the very moment of her turning her gaze to the child in her lap.210 Photios’ wording is curiously ambivalent as to the fact that the picture is mute, a shortcoming that is, however, remedied by his words. Although the Virgin’s portrait is not perceived audibly, it is well-capable of speaking, he claims, because this is not a mere work of art, but “just exactly the archetype” (αὐτόχρημα … ἀρχέτυπον) – the Virgin herself. How the picture is capable of transforming itself into the real person before its spectators is explained earlier in Photios’ homily: through eyesight the behold207 Ταύτην τὴν ἡμέραν εἴ τις ὀρθοδοξίας ἀρχὴν καὶ ἡμέραν, ἵνα μηδὲν ὑπέρογκον εἴπω, καλέσειεν, οὐκ ἂν ἁμάρτοι τοῦ δέοντος· καὶ γάρ, εἰ καὶ βραχὺς ὁ χρόνος, ἐξ οὗ τῆς εἰκονομαχικῆς αἱρέσεως ἀπῃθαλώθη τὸ φρόνημα καὶ τὰ τῶν ὀρθῶν δογμάτων εἰς πάντα τῆς οἰκουμένης περιηυγάσθη τὰ πέρατα βασιλικῷ καὶ θείῳ προστάγματι φρυκτωρούμενα, ἐμὸν καὶ τοῦτο καλλώπισμα· (“If one called this day the beginning and day of Orthodoxy [lest I say something excessive], one would not be far wrong. For though the time is short since the pride of the iconoclastic heresy has been reduced to ashes, and true religion has spread its light to the ends of the world, fired like a beacon by imperial and divine command, this too is our ornament”); Photiou Homiliai (n. 206), Hom. 17, § 3 (II.300–301), p. 168, ll. 10–15; trans. Mango, Homilies (n. 206), 291. 208 Καὶ γὰρ οἱονεὶ τῇ μὲν στοργῇ τῶν σπλάγχνων τὴν ὄψιν πρὸς τὸ τεχθὲν συμπαθῶς ἐπιστρέφουσα, οἷα δὲ τῷ ἀπαθεῖ καὶ ὑπερφυεῖ τοῦ τόκου εἰς ἄσχετον ἅμα καὶ ἀτάραχον ἁρμοζομένη κατάστημα διαθέσεως παραπλησίως φέρει τὸ ὄμμα σχηματιζόμενον. Εἴποις ἄν αὐτὴν (μηδ᾽ εἴ τις ἐπερωτῴη, πῶς δὲ παρθενεύεις καὶ τέτοκας;) μηδ᾽ ἄν τὸ φθέγξασθαι παραιτήσασθαι. Οὕτω διεσαρκώθη τὰ χείλη τοῖς χρώμασιν, καὶ συνεπτύχθαι μόνον καὶ ἠρεμεῖν ὡς ἐν μυστηρίοις, ἀλλ᾽ οὐκ ἔχειν δι᾽ ὅλου τὴν ἡσυχίαν ἀκίνητον, οὐδὲ μιμήσει τὴν μορφὴν ἐνωραΐζεσθαι, ἀλλ᾽ αὐτόχρημα τυγχάνειν ἀρχέτυπον; Photiou Homiliai (n. 206), Hom. 17, § 2 (II.299), p. 167, ll. 14–22; trans. Mango, Homilies (n. 206), 290 (adjustments made; my emphasis). 209 It is important to keep in mind that ekphrasis does not describe the actual thing (e. g. an icon) but rather reflects its active perception by the author, who creates for his audience an illusion of presence; Braounou-Pietsch, Bilder (n. 193), 38–39. 210 Photios’ elaboration on the Virgin’s turning gaze recalls and has likely been inspired by the notion widespread in ancient literature of the statue’s ability to see as a sign of its animation; cf. Steiner, Images (n. 71), 135–136, 149–151, 156–157, esp. 168–181.

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Figure 8: Apse Mosaic of the Virgin and Child, Istanbul, Hagia Sophia. © Digitales Forschungsarchiv Byzanz (DiFaB), Universität Wien, Photo: Fani Gargova (o:102065).

er is capable of achieving “the most exact vision of truth.”211 The enargeia of the mosaic that is, in reality, evoked by the patriarch’s rhetorical hyperbole, is thus presented as the result of his audience’s visual faculty enabling them not simply to view an image, but to witness its truth, or reality. This, the author explains, is the effect of the artist’s exact imitation of the prototype, and – significantly – Photios claims that it was due to divine inspiration that the artist was able to achieve this utmost degree of accuracy: “With such exactitude has the art of painting, which is a reflection of inspiration from above, set up a lifelike imitation (ἀκριβῶς εἰς φύσιν τὴν μίμησιν ἔστησεν).”212

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τοιαύταις ἡμᾶς ἡ τῆς παρθένου μορφὴ ἐγχαραττομένη κατευφραίνει δεξιώσεσιν, οὐκ οἴνου κρατῆρος, ἀλλὰ καλοῦ θεάματος παρέχουσα ἀπαρύεσθαι, ὑφ᾽ οὗ τὸ νοερὸν ἡμῶν τῆς ψυχῆς διὰ τῶν σωματικῶν ὀμμάτων καταρδόμενον καὶ πρὸς ἔρωτα θεῖον ὀρθοδοξίας τὴν βλάστησιν ὀμματούμενον τὴν τοῦ ἀληθοῦς ἀκριβεστάτην θέαν ἐν λόγῳ καρποφορίας προβάλλεται. (“With such a welcome does the representation of the Virgin’s form cheer us, inviting us to draw not from a bowl of wine, but from a fair spectacle, by which the rational part of our soul, being watered through our bodily eyes, and given eyesight in its growth toward the divine love of Orthodoxy, puts forth in the way of fruit the most exact vision of truth”); Photiou Homiliai, ed. Laourdas (n. 206), Hom. 17, § 2 (II.298–299), p. 166, l. 32–p. 167, l. 6; trans. Mango, Homilies (n. 206), 290; for a most insightful analysis of Photios’ notion of sight, see Nelson, Ekphrasis (n. 206), esp. 150–156. 212 ὑπόκρισις ἄρα τῆς ἄνωθεν ἐπιπνοίας ἡ ζωγράφος τέχνη οὕτως ἀκριβῶς εἰς φύσιν τὴν

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In significant ways, then, Photios’ understanding of the relation of image and prototype goes beyond the ‘official’ understanding of their shared resemblance, achieved by the means of artistic imitation that does not encompass the essence of the original, only its form. In the case of the mosaic depicting the Virgin, the prototype’s nature (φύσις) was also imitated in the icon, which is why the picture is no longer just a picture, but the ‘living’ prototype, the Virgin Mary herself. Significantly, this kind of all-encompassing mimesis is ascribed, not to artistic skill, but to divine intervention. The notion of the divinely inspired artist, which situates the icon in the realm of scripture, has, I believe, not received the attention it deserves.213 Not only is it novel, since, unlike the inspiration of Christian sacred writings, it is not substantiated by an early tradition, but, as we have seen, the claim also has important implications with regard to the Byzantine Orthodox view of the relation of icon and prototype and what is encompassed by artistic mimesis. In the realm of sacred words, divine inspiration resulted in the pronunciation and faithful documentation in writing of sacred words by human implements. However, whereas it certainly makes a claim for authenticity as well, the key idea in the divine inspiration of pictures is that it causes enlivenment in a ‘dead’ art. Equally significant, the claim of divine inspiration of works of art challenges the critique repeatedly voiced by the iconoclasts that Christian icons represent the handiwork of craftsmen, just like pagan images.214 Just like those who faithfully voiced or recorded an inspired message in writing, craftsmen are employed as human implements to fashion artifacts of divine design. Notions of accuracy and authenticity are carried to an extreme in that the artifact does not remain an artifact. It not only resembles the form of its prototype, but also the latter’s essence, thus becoming endowed with life (empsychos). Challenging the careful distinction iconophile theologians made between icon and prototype, Photios’ concept of artistic inspiration is not limited to achieving an outward resemblance by means of mimesis. Because of divine intervention, the artifact and its prototype are one and the μίμησιν ἔστησεν; ed. Mango, Homilies (n. 206), 290, n. 19; correcting Photiou Homiliai, ed. Laourdas (n. 206), Hom. 17, § 2 (II.299), p. 167, ll. 12–14. 213 Charles Barber’s remarks on artistic inspiration addressed in writings by Patriarch Photios are an exception (Figure [n. 3], 113–114); also see Glenn Peers: Real Living Painting: QuasiObjects and Dividuation in the Byzantine World, in: Religion and the Arts 16 (2012), 433–460, at 438. The transfer of the idea of divine inspiration from holy scripture to include artists as well in Byzantium does not, to my knowledge, antedate the second half of the 9th cent. Also, as the texts of post-iconoclastic date suggest, only some artists creating Christian images were recipients of divine inspiration. It seems significant that the claim is not made in theological treatises drawn up in defense of religious images. In the scope of this article, it must be sufficient to discuss a limited selection of the relevant writings, leaving aside, for instance, the evidence provided by epigrams (see, for example, Henry Maguire: Image and Imagination: the Byzantine Epigram as Evidence for Viewer Response, Toronto 1996, 21). 214 On differing concepts of the ‘artificer’ developed during iconoclasm, Barber, Figure (n. 3), 111–115.

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same, and the parallels to animated images of paganism are difficult to ignore. However, it is the claim to the picture’s utmost truth guaranteed by the inspiration of the Christian God that makes all the difference and situates it outside the realms of both dead art and idolatry. The understanding that artists could be the recipients of divine inspiration is also expressed by Michael Psellos roughly two-hundred years later in his Sermon on the Crucifixion, which contains an elaborate ekphrasis of an icon depicting the Crucifixion of Christ.215 In greater detail than Photios before him, Psellos comments on the question of divine inspiration, which is here also extended to paintings – or, more precisely, some paintings, which are thus regarded as superior to ‘regular’ icons: … God inspires (ἐμπνεῖ) with his grace not only creatures who possess reason but also images which lack life; an indication of this fact is the likenesses which often move, speak, and behave with the power of reason towards those who observe them. These likenesses seem to be the product of a human hand, but God actually fashions them without our knowing it, if I may put it thus, and presents them in visible form by using the hand of the craftsman as his vehicle for the picture.216

Psellos singles out as divinely inspired those miraculous icons that show themselves to be endowed with life and act like human beings. It is significant that ‘inspiration’ is here rather explicitly characterized with regard to the twofold associations of the divine pneuma as both the life-giving, animating, ‘breath’ (offered by God to Adam) and the pneuma directed at human beings who are thus employed as implements to voice or record in writing a divine message.217 Because God inspired the painter, the result is not only a most authentic depiction, but one that is alive. The image is so “endowed with life” that as one gazes at it the depiction is even capable of evoking the impression of physical movement: 215 Ed. Paul Gautier: Un discours inédit de Michel Psellos sur la crucifixion, in: Revue des études byzantines 49 (1991), 25–66; for an English translation of the ekphrasis and comments see Elizabeth A. Fisher: Image and Ekphrasis in Michael Psellos’ Sermon on the Crucifixion, in: Byzantinoslavica 55 (1994), 44–55. Previous contributions focusing on different aspects of this ekphrasis include Belting, Likeness (n. 179), 261, 269–271, 528–529, Appendix no. 28; Charles Barber: Living Painting, or the Limits of Pointing? Glancing at Icons with Michael Psellos, in: Reading Michael Psellos, ed. by Charles Barber/David Jenkins, Leiden/Boston 2006 (similarly, Charles Barber: Contesting the Logic of Painting. Art and Understanding in Eleventh-Century Byzantium, Leiden/Boston 2007, 75–80); Papaioannou, Enargeia (n. 104); Pentcheva, Icon (n. 180), 191–194; Peers, Painting (n. 213), 437–440. 216 § 57; trans. Fisher, Image (n. 215), 51 (see also ibid., 47, 49–50); ed. Gautier, Discours (n. 215), ll. 1259–1264: Οὐ λογικαῖς μόνον φύσεσιν, ἀλλὰ καὶ ἀψύχοις ἰνδάλμασιν ἐμπνεῖ τὴν χάριν Θεός, καὶ σύμβολον τούτου κινούμενα πολλάκις εῖκάσματα καὶ φωνὴν ἀφιέντα καὶ λογικώτερα τοῖς ὁρῶσι διατιθέμενα, καὶ δοκεῖ μὲν ἔργα εἰναι χειρός, λεληθότως δὲ καὶ τεχνουργεῖται τούτοις Θεός, εἰ οὕτως εἰπεῖν χρή, καὶ αἰσθητῶς ἐμφαντάζεται, ὀργάνῳ τῇ τοῦ τεχνίτου χειρὶ πρὸς τὴν γραφὴν άποχρώμενος. 217 On the dual significance of pneuma see Klaus Thraede: Hauch, in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 (1986), 720–723. Gen 2:7 describes God blowing breath into Adam (… ἐνεφύσησεν εἰς τὸ πρόσωπον αὐτοῦ πνοήν ζωῆς).

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However, the marvel lies not in this [i. e., “that the picture is exact as regards the precision of its technique”218], but in the fact that the whole image seems to be endowed with life (ἐμψυχῶσθαι) and even to participate in movement. If one will but direct his gaze to the parts of the picture one after another, it will seem to him that some alter, some increase, some change, some experience or effect a difference, as if waxing or waning, and accordingly the dead body in the picture, even that which in fact seems so lifeless, will appear endowed with life (ἔμψυχον).219

What Psellos describes in this paragraph reflects the characteristic human viewing habits that I addressed above: the human gaze cannot possibly perceive what would have been depicted on the icon, namely a static depiction of the Crucifixion, but it would rather be moving restlessly along its different parts, thus setting the still picture in motion. This is how, even outside the realms of rhetoric and spirituality, any image may become alive in the eyes of the beholder. Both Psellos’ vivid description of the animated icon of the Crucifixion and the popular miracle accounts of living icons he references reflect concerns regarding the limits of visual representation that had been voiced since antiquity, and which culminated in the allegation made by Byzantine iconoclasts that Christian icons represent a ‘dead’ art. In fact, Psellos himself points out that icons normally “lack life,” and is thus perfectly in line with the common philosophical distinction between image and prototype. When Psellos claims that the icon featured in his ekphrasis is animate, he stresses its superiority over ‘ordinary’ icons and in fact aligns it with the original, the historical Crucifixion. It is worthwhile to examine more closely Psellos’ exact understanding of this icon’s relation to both other icons and to its prototype. Psellos distinguishes the authenticity of inspirited, animated, icons from ‘regular’ ones that he describes as being merely “imitations and likenesses of likenesses.”220 This latter qualification would have complied perfectly with the Byzantine understanding of mimesis and ‘likeness’ (homoioma) as defined during iconoclasm, namely that icons are legitimate and may be venerated due to their resemblance to the prototype. The wording also reflects the reality of the contemporary production of icons being of course not direct imitations of the living person or real event, but rather copied from other icons that were in turn believed to resemble the original. 218 § 63; trans. Fisher: Image (n. 215), 54–55; ed. Gautier, Discours (n. 215), 1411: … ὅτι μέν προς ἀκρίβειαν τῆς τέχνης ἠκρίβωται ἡ γραφή … 219 § 63; trans. Fisher, Image (n. 215), 55; ed. Gautier, Discours (n. 215), ll. 1413–1417: ἔστι δὲ τὸ θαυμαζόμενον οὐκ ἐντεῦθεν, ἀλλὰ τῷ δοκεῖν ἐμψυχῶσθαι σύμπασαν τὴν εἰκόνα καὶ μηδεμιᾶς ἀμοιρεῖν τῶν κινήσεων. Εἰ γοῦν ἐπερείσῃ τις τοῖς μέρεσιν ἐφεξῆς ταύτης τὰ ὄμματα, τὰ μὲν αὐτῷ ἠλλοιῶσθαι δόξειε, τὰ δὲ ηὐξῆσθαι, τὰ δὲ μεθίστασθαι, τὰ δ᾽ ἄλλο τι πάσχειν ἢ ποιεῖν, ὥσπερ ἄρτι φυόμενα ἤ φθίνοντα, οὕτω καὶ τὸν νεκρὸν αὐτῆς ἔμψυχον καἰ τὸ δοκοῦν οὕτως ἄψυχον ἀκριβῶς. Cf. Adam’s description as εἰς ψυχὴν ζῶσαν (Gen. 2:7). 220 μιμήματα κaὶ εἰκασμάτων εἰκάσματα; ed. Gautier, Discours, § 63, ll. 1420–1421; trans. Fisher, Image (n. 215), 55.

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Doubts as to the fidelity of icons to the true appearance of their respective prototype were occasionally voiced in Byzantium,221 and Psellos’s argument appears to reflect these doubts in the way he implies that some icons are the products not even of imitation, but of artistic imagination.222 In contrast to such products of questionable venerability, the icon of the Crucifixion that Psellos praises in his ekphrasis surpasses others as it truthfully visualizes reality due to its status as divinely inspired: But in this picture such things [i. e., likenesses] do not seem to take their existence from [mere] colors, but the whole thing resembles nature, which is without art (ἀτεχνῶς) endowed with life and movement. No one can discover from what source the image has become like this.223 221 Byzantine sources reveal some concern that the copying of icons from other icons could lead to deviations from the prototype; see, for instance, John of Damascus, De imag. (n. 28) I. 39. A testimony of pre-iconoclastic date is Epiphanius of Salamis who wrote in a letter addressed to Emperor Theodosius I: [24.] ἅμα δὲ καὶ ψεύδονται ἐξ ἰδίας αὐτῶν ἐννοίας μορφὰς τῶν ἁγίων ἄλλως καὶ ἄλλως ἀνατυποῦντες, ποτὲ μὲν γέροντας ποτὲ δὲ νεωτέρους τοὺς αὐτοὺς , ἃ μὴ ἑωράκασιν ἐμβατεύοντες. κόμην γὰρ ἔχοντα τὸν Σωτῆρα γράφουσιν ἐξ ὑπονοίας διὰ τὸ Ναζωραῖον αὐτὸν καλεῖσθαι, ἐπείπερ οἱ Ναζωραῖοι κόμας ἔχουσιν. σφάλλονται δὲ οἱ τοὺς τύπους αὐτῷ συνάπτειν πειρώμενοι· οἶνον γὰρ ἔπινεν ὁ Σωτήρ, ὃν οἱ Ναζωραῖοι οὐκ ἔπινον. [25.] καὶ αὐτὸ γὰρ ὅπερ πλάσσουσιν ἀπὸ ἰδίας ἐννοίας διανοούμενοι, ψεύδονται· γράφουσι γὰρ Πέτρον τὸν ἅγιον ἀπόστολον οἱ πλάνοι γέροντα ἄνδρα, τὴν κεφαλὴν καὶ τὸ γένειον κεκαρμένον· γράφουσι δὲ καὶ τὸν ἅγιον Παῦλον ἄλλοι μὲν ἀναφαλαντέα, ἄλλοι δὲ φαλακρὸν γενειήτην … (“Furthermore, they lie by representing the appearance of saints in different forms according to their whim, sometimes delineating the same persons as old men, sometimes as youths, [and so] intruding into things which they have not seen. For they paint the Saviour with long hair, and this by conjecture because He is called a Nazarene, and Nazarenes wear long hair. They are in error, those who try to attach stereotypes to Him: for the Saviour drank wine, whereas the Nazarenes did not. In this, too, they lie in that they invent things according to their whim. These impostors represent the holy apostle Peter as an old man with hair and beard cut short; some represent St. Paul as a man with receding hair, others as being bald and bearded …”); ed. Georg Ostrogorsky: Geschichte des byzantinischen Bilderstreites, Breslau 1929, 71–72, nos. 24–25; trans. Mango, Art (n. 18), 42 (It has been suggested that the cited passage represents an interpolation made during the iconoclastic controversy; István M. Bugár: What Did Epiphanius Write to Emperor Theodosius?, in: Scrinium 2 [2006], 72–91, esp. 91); for other examples, see Parry, Word (n. 3), 27; Dagron, Images (n. 204), 24. The accounts of miracles and visions arising around icons of saints, which were aimed at confirming the authenticity of their portraits, imply doubts as to the validity of the representations with regard to their prototypes; many examples are discussed in Dagron, Images (n. 204). 222 § 63; ed. Gautier, Discours (n. 215), ll. 1429–1433: Ἀλλ᾽ ἐγὼ ταύτην δὴ τὴν γραφὴν οὐ πρὸς ἑτέρας γραφὰς παραβάλοιμι, oὔτ᾽ εἴ τινες τῶν τῆς ἀρχαίας χειρός τοιαύτας ἀνεστηλώκασιν ἢ πρὸς τὸ ἀρχέτυπον ἀκριβῶς ἀπεικόνισαν, οὔτε μήν εἴ τινες τῶν καθ᾽ ἡμᾶς ἢ τῶν ὀλίγων πρὸ ἡμῶν ἔνιοι τοιαῦτα εἴδη ἐκαινοτόμησαν (“But I would not compare this picture to any others, neither if some of those from the ancient band [of artists] had set up such pictures as monuments or modeled them precisely on the archetype, nor indeed if any of those from our own time or some few from a slightly earlier generation had made such innovations in form”); trans. Fisher, Image (n. 215), 55. 223 § 63; trans. Fisher, Image (n. 215), 55 (adjusted); Gautier, Discours (n. 215), ll. 1421– 23: Ἐνταῦθα δὲ οὐκ ἐκ χρωμάτων τὰ τοιαῦτα δοκεῖ συνεστάναι, ἀλλ᾽ ἔοικε τὸ σύμπαν ἐμψύχῳ φύσει καὶ ἀτεχνῶς κινουμένῃ, καὶ οὐδὲ δύναταί τις εὑρεῖν ὁπόθεν οὕτω γεγένηται ἡ εἰκών.

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It is interesting to note that the image in this passage “resembles nature,” whereas in an earlier passage Psellos goes yet a step further and presents the same icon as “… a very work of nature, so that the picture seems to be the product not of art but of nature.”224 This is quite a claim to make. According to ancient mimesis theory, the arts (technai) practiced by human beings were seen as imitations of nature.225 This argument is related directly to orthodox thought, according to which Christ is a natural image of the Father, thus being superior to icons that are images by imitation.226 Psellos’ argument that ‘ordinary’ icons (i. e., icons that lack inspiration) are ‘likenesses of likenesses’ carries the argument even further. It clearly reflects Plato’s critique of the painter being “an imitator of what the others [i. e., the craftsmen] manufacture,” his work thus being “three stages away from nature.”227 What the painter creates is “far removed from reality,” an imitation of “the appearance” (φαντάσματος) of objects and not of truth (ἀληθείας), of forms or natural objects.228 Hence, according to Plato, painting is an imitation of an imitation, of things as they appear.229 In contrast, Psellos suggests that Christ on the icon of the Crucifixion is not a product of artistic imitation, but a natural, true, image – it is Christ himself. Consequently, in concluding his ekphrasis of the picture, the author explicitly invites his audience to become eyewitnesses of the historical Crucifixion, which he, Psellos, has rendered real by means of empsychos graphe: “What then, has the promise been realized for you? Lo, see the Lord himself crucified …”230 224 § 59; trans. Fisher, Image (n. 215), 52 (adjusted); Gautier, Discours (n. 215), ll. 1302– 1303: Ἐνταῦθα δὲ τι καὶ πλέον ἐστί, μᾶλλον δὲ αὐτὸ τοῦτο τὸ ἔργον τῆς φύσεως, ἱνα μὴ τέχνῃ, ἀλλὰ φύσει ἡ γραφὴ νομισθῇ. 225 Hermann Koller: Die Mimesis in der Antike. Nachahmung, Darstellung, Ausblick, Berne 1954, 58–63, 67. 226 John of Damascus, De imag. (n. 28), I.9, II.18, 23, 26; Theodore the Studite, Antirrheticus (n. 25), III. Part 2: κατὰ μίμησιν τοῦ φυσικοῦ τὸ τεχνητόν· τεχνητὸν γὰρ οὐδὲν ἄν λεχθείη μὴ προηγουμένου τοῦ φυσικοῦ (PG 99, 417A) (“Whatever is artificial is creation in imitation of what is natural; for, in fact, nothing would be called artificial if it were not preceded by something that is natural;” trans. Cattoi); Ladner, Concept (n. 87), 16–17; Parry, Word (n. 3), 23–24, 28, 30, 32, 39. 227 The full argument is developed in Plato: Republic. Books 6–10, ed. and trans. by Chris Emlyn-Jones and William Preddy, Cambridge 2013 (LCL 276), X. 597a–598d. Quotations are taken from X. 597e: Τοῦτο, ἦ δ’ ὅς, ἔμοιγε δοκεῖ μετριώτατ’ ἂν προσαγορεύεσθαι, μιμητὴς οὗ ἐκεῖνοι δημιουργοί. Εἶεν, ἦν δ’ ἐγώ· τὸν τοῦ τρίτου ἄρα γεννήματος ἀπὸ τῆς φύσεως μιμητὴν καλεῖς; Πάνυ μὲν οὖν, ἔφη; ed./trans. Emlyn-Jones/Preddy, 401. 228 Plato, Republic (n. 227), X. 598b: Τοῦτο δὴ αὐτὸ σκόπει· πρὸς πότερον ἡ γραφικὴ πεποίηται περὶ ἕκαστον; πότερα πρὸς τὸ ὄν, ὡς ἔχει, μιμήσασθαι, ἢ πρὸς τὸ φαινόμενον, ὡς φαίνεται, φαντάσματος ἢ ἀληθείας οὖσα μίμησις; Φαντάσματος, ἔφη. Πόρρω ἄρα που τοῦ ἀληθοῦς ἡ μιμητική ἐστιν …; 403 (trans. adjusted). 229 Koller, Mimesis (n. 225), 63–68; Nehamas, Plato (n. 86), 55–56, 58, 60–63; Belfiore, Imitation (n. 86), 92–98. 230 § 64; trans. Fisher, Image (n. 215), 55 (adjustments made); ed. Gautier, Discours (n. 215),

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It is highly probable that this piece of rhetoric was performed orally, or was at least drawn up for this purpose.231 Like Photios’ earlier ekphrasis on the apse mosaic of Hagia Sophia, Psellos’ ekphrasis of the icon of the Crucifixion provides an important Byzantine testimony to how the contents and meanings of religious images were mediated to an audience. Therefore, although painting is a still and silent medium, it may become alive by means of rhetoric. After all, Byzantine ekphrasis represents a creative solution to the limitations of the visual medium. In its presentation of religious images as animate, it simultaneously makes an important claim that is absent from theological reasoning in the ‘official’ orthodox position: pictures, too, could be divinely inspired.

7 Conclusions Theoretical approaches to defining the parameters of visual narratives of scripture and the gospels in particular were aimed at substantiating the view that pictures were just as true and venerable as the sacred writings on which they were based. This claim proved necessary in order to meet accusations levied by iconoclast theologians, who charged that pictorial images represented dead, manmade artifacts that belonged to the realm of pagan idolatry and were void of any divine contribution. The view oft repeated by iconophile writers, that visual narrative of scripture closely replicates the textual account, automatically implies that the text validates the images. Perhaps more importantly, the pictures, though they lacked divine inspiration of their own, could thus have a share in the truth and sanctity of the text regardless. The close interrelation of textual and visual narrative in Byzantine sources from iconoclasm is also evident in the classification of pictures according to categories of ‘true’ and ‘false’ in ways that parallel some of those used in ancient literary criticism of narrative. This parallel is also evident in the adoption by Byzantine intellectuals of the term historia to denote ll. 1439–1440: Τί οὖν, πεπλήρωταί σοι τὰ τῆς ἐπαγγελίας; ᾽Ιδοὺ καὶ αὑτὸν θέασαι ἐσταυρωμένον τὸν Κύριον … 231 Literary historians have expressed doubts that this sermon, given its extreme length, was actually drawn up to be delivered before an audience. It has in fact been suggested that the piece was conceived rather as rhetorical fiction for private reading; Gautier, Discours (n. 215), 9–10; more reluctantly, Fisher, Image (n. 215), 44–45. This latter scenario is, however, very unlikely, especially because of the decidedly oral, and aural, nature of rhetoric in Byzantium; see Emmanuel Bourbouhakis: Rhetoric and Performance, in: The Byzantine World, ed. by Paul Stephenson, London/New 2011; Margaret Mullett: Rhetoric, Theory and the Imperative of Performance: Byzantium and now, in: Rhetoric in Byzantium, ed. by Elizabeth Jeffreys, Aldershot/Burlington 2003, 151–158. In Mullett’s words, rhetoric in Byzantium functioned as “the screenplay … for a fundamentally performative society;” ibid., 151. What cannot be ruled out, though, is the possibility that Psellos’ sermon, in the version it has come down to us, has been recorded in writing only after its oral performance; ibid., 153 and n. 13.

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pictorial narrative of scripture in visual contexts in addition to its standard use to mean textual narrative (or ‘history writing’). Comparisons of the respective properties and effects of art and literature were not new in Byzantium, but deeply rooted in ancient thought. Yet, it appears that the claims to divine truth as inherent in the scriptures of Christianity, evinced, for instance, in the status and veneration of the Gospel Book, contributed significantly to the widespread priority of word over image. The view that pictures recount the narrative of the historical account accurately, in turn, aligned well with the Christian appropriation of the concept of mimesis, defined as the faithful copying of a prototype. Thus aimed at achieving likeness between the original and its copy, mimesis also governed Byzantine image theory as established during iconoclasm and, in the case of visual narrative of scripture, it was the text that served as the prototype for the images. Claims voiced about the fidelity of visual narrative to scripture likewise echoed early legends on the translation of the Septuagint, and they paralleled the discourse on accuracy conducted by translation theorists since ancient times. Yet, as I have argued, despite these shared concerns, it is problematic to call pictorial narrative a ‘translation’ of the text from which it has been derived, as has often happened in modern scholarship. In the case of the gospels, or, more generally, narrative incorporating direct speech, I suggest the appropriation of this term from the realm of linguistics should be avoided due to the profound communicative differences of the textual and visual medium respectively. This is especially because, unlike written or spoken language, pictures cannot replicate human utterances. Visual renderings of the gospels are therefore of very limited accuracy as they not only lack completeness, but are incomplete in a significant way: they leave sacred words unsaid. Remarkably, the realistic and novel assessment that pictures needed to be complemented by the text, emphasized at the Second Council of Nicaea in 787, was not pursued by later iconophile writers who, on the contrary, insisted on the (alleged) congruence of scripture and pictures derived from it. Significantly, though, the different views expressed in writings from the period of iconoclasm regarding how pictures relate to the textual discourse underlying them represent early stages of intermedial narrative theory that was not developed further until centuries later. Byzantine iconophile theologians would likely not have appreciated the focus of the present article because it highlights significant shortcomings of the visual medium rather than its many merits, which make up the focus of iconophile writings (and usually of modern scholarship as well). The silence that characterizes pictures was already observed in ancient literature, and from early on it was judged in contrast with the rhetorical topos of the ‘speaking book.’ In turn, numerous intellectuals since ancient times have praised the greater immediacy of visual images and their merit to render present what is depicted in them, as well as their capacity to trigger the memory of individuals of past events (to cite only

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some of the assets claimed for the visual medium). Yet it must be said that the sources usually fail to illuminate the practicalities of how exactly pictures may communicate meaning. After all, in the case of pictorial narrative it needs to be acknowledged that the favorable effects ascribed to visual storytelling largely depend on the beholder’s familiarity with the textual account. If the beholder is not familiar, then the iconography stands in need of explanation – by means of words – to be intelligible and useful. Only if their story is known may pictures ‘speak’! Where direct speech is involved, words were employed in manifold ways to supplement the sound of human utterances: inscriptions or epigrams could be voiced by readers who would thus animate the mute representations. Artists in Byzantium encountered substantial obstacles as they attempted to render scripture faithfully in visual images, and, to varying degrees, the scenes discussed above reflect the struggle their creators experienced with the fact that the picture is also static and inanimate. Not only is it unable to generate sound, but its limitations are equally obvious when it comes to visualizing the movement of figures or any action that unfolds in time and space. It is revealing to observe how rhetoric, more specifically the genus of ekphrasis, was deployed purposefully to ‘enliven’ the dead image. Ideally, at least, due to the rhetorical techniques of enargeia and empsychos graphe, the depicted figures and events could become alive and real before the mind’s eye – hence, again, however, by means of words. It seems that in Byzantium, outside the immediate realm of ‘sober’ theorizing, literary ekphrasis was employed to deliberately undermine and blur the careful philosophical distinction between the living prototype and its pictorial representation developed by iconophile intellectuals to refute charges of idolatry. By introducing the novel claim that pictures, just like texts, may be divinely inspired, the authors of such ekphraseis safely situated religious art in the realm of the sacred, thus resolving in their own way the major theological conflict that had brought about Byzantine iconoclasm in the first place. What rhetoric reveals is the gap that exists between theoretical ideals reflecting the official position of the Orthodox Church and practical manifestations of human interaction with the visual. All attempts to animate the picture and make it speak are ultimately aimed at experiencing in a most immediate and authentic manner the presence of the divine.

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Wiederholung – Erinnerung – Übertragung Ein Deutungsversuch des Eingangsteils von Sure 5 Nora Schmidt

1 Einführung Es ist ein Verdienst des Ägyptologen Jan Assmann uns an die kulturwissenschaftliche Bedeutung der Religionskritik Sigmund Freuds erinnert zu haben.1 Sowohl Freud als auch Assmann interessierten sich vor allem für die Figur Mose und die Beziehungen der in der Hebräischen Bibel zur Sprache gebrachten Gedächtnisprogrammatik zum pharaonischen Gottesbegriff. Beide waren darum bemüht, Kontexte, Begründungen und Konsequenzen des „Auftauchens der monotheistischen Idee“2 zu beschreiben, deren Anlass Freud in der „pharaonischen Weltherrschaft“3 sah, die sich „von ihrem Boden (in Ägypten) losgelöst“ habe und „auf ein anderes Volk übertragen“4 worden sei. Der Pharao – für Freud ein Herrschertypus, der seinerseits in der Tradition der patriarchalen „Horden“Gesellschaft stehe, in der der Vater seine Autorität gewaltsam durchgesetzt und aufrechterhalten habe, sei in den israelitischen „Vater-Gott“ transferiert worden, dessen Verehrung aber mit einem Trauma belegt sei, das durch die Ermordung des ägyptischen Königs Echnaton in der kulturellen Vorvergangenheit der Israeliten ausgelöst worden war. Der Imperativ des Erinnerns (hebr.: Zakhor!), der für die israelitische Identitätskonstruktion fortan so wichtig werden sollte, war in Freuds Darstellung eine Auseinandersetzung mit diesem „Täter-Trauma“, das nach einer langen Latenzphase an der Figur Mose – die Freud ebenfalls als ein Mordopfer sah – ausagiert wurde. So abenteuerlich diese Beschreibung der Religionsgeschichte von Pharaonischer zu Israelitischer Zeit heute klingen mag, enthält sie doch interessante Be1 Zum Beispiel in seiner Studie „Monotheismus, Gedächtnis und Trauma. Reflexionen zu Freuds Moses-Buch“, in: Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis, 3. Aufl., München 2007, 62–80, und durch eine neue Herausgabe von Freuds letztem Buch: Der Mann Mose und die monotheistische Idee. Drei Abhandlungen, hg. von Jan Assmann, Stuttgart 2010. 2 Assmann: Religion und kulturelles Gedächtnis (Anm. 1), 64. 3 Ebd. 4 Freud, Drei Abhandlungen (Anm. 1), 112.

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obachtungen, die – in leicht anderer Wendung – einen unleugbar beobachtbaren Zusammenhang von Erinnerung, Schuld und Trauma im Kontext der Bibel aufzeigen. Auch Jan Assmann ist von Freuds Beobachtungen fasziniert und kritisierte lediglich dessen „Hermeneutik des Misstrauens“,5 die auf Freuds „Faszination durch die Archäologie“6 beruhe. Die Bücher der Bibel seien für Freud – wie das bewusste menschliche Handeln zumeist – ein „Trümmerfeld“,7 das erst in der Tiefe die neurotischen Vater-Verstrickungen des Volks um Mose zu erkennen gebe. Freud selbst bediene einen „Pathos des Befreiers“8 als der Analytiker dieser in den Trümmern der Texte vermeintlich verschütteten Bedeutungen. Assmann hält diese Tiefenanalyse Freuds für die Texte der Hebräischen Bibel aber für unnötig: „Die Wahrheit steht in den Texten selbst. Sie reden von Gedächtnis, Erinnern, Vergessen und Verdrängen, von Trauma und Schuld.“9 Ich möchte in diesem Beitrag kein Urteil darüber fällen, ob die Analysen Freuds und Assmanns für den in den Büchern Mose und vor allem im Deuteronomium zur Sprache gebrachten Erinnerungsappell zutreffen, sondern den von beiden „Gedächtnistheoretikern“ postulierten Zusammenhang einer solchen „kollektiven Schuldneurose“ mit dem monotheistischen Gottesbegriff hinterfragen, und zwar mit Blick auf das Fortleben der israelitischen Erinnerung im Koran. Hierbei beschränke ich mich auf eine Interpretation des ersten Teils von Sure 5, dem vermutlich letzten Text der koranischen Verkündigung, da dort ein Teil der komplizierten Beziehungsgeschichte zwischen Gott und Israel wiedererzählt und – mithilfe des jüdischen Gedächtnisparadigmas – eine neue Beziehung zum monotheistischen Offenbarungsgott eingenommen wird. Einiges spricht dafür, dass das israelitische Trauma mit Blick auf die neue islamische Gemeinschaft aufgehoben wird: dies aber nicht in Form einer triumphalen Geste, sondern durch ein neues Gottesbild, das nicht mehr von Zorn und Eifersucht, sondern von Barmherzigkeit und Gnade bestimmt ist. Um eine solche Entwicklung von israelitischer Traumageschichte zu muslimischer Gnadengeschichte zu beschreiben, soll der in diesem Sammelband zentrale Begriff der ‚Übertragung‘ in einem doppelten Sinne konturiert werden. Einerseits – im Rückgriff auf Freud selbst – als ein Begriff, der eine spezifische psychodynamische Leistung beschreibt, die in ganz überspitzter Paraphrase in der Heilung von einem traumatischen Konflikt durch Liebe besteht, andererseits als ein Begriff des kulturellen Transfers. Denn die zweite interessante Pointe von Freuds Überlegungen in dessen Buch über Mose ist die Kategorie der Übertragung als eines Transfers, der scheinbar spurlos, d. h. ohne direkte Transmission von Texten, materiellen Wissensträgern und ohne direkte Informanten, ‚unbewusst‘ statt5 6 7 8 9

Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis (Anm. 1), 62–67. Ebd., 63. Ebd., 80. Ebd. Ebd., 68.

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findet.10 Der Begriff der Übertragung ist gerade deshalb eine Bereicherung für das kulturwissenschaftliche Begriffsrepertoire, weil er – was die Transmissionsgeschichte angeht – mit einer Unschärfe operiert. Gerade in den Koranwissenschaften kann er produktiv gemacht werden, denn dem Koran liegen nicht die Schriften der Bibel zugrunde, die von einem dann muslimischen ‚Autor‘ in einen neuen Glaubenstext und Kanon verwandelt worden wären, sondern vielmehr reflektiert der Koran vermutlich das rituell geformte und exegetisch durchwirkte Wissen der Bibel, das von christlichen und jüdischen Akteuren in Predigten, Homilien, Gebeten und Liturgien performiert und repräsentiert wurde. Eine lückenlose Transmission von Mose zu Muhammad ist freilich ebenso wenig rekonstruierbar (und ebenso wenig anzustreben) wie eine durchgängige Überlieferungskette von Echnaton zu Mose. Bevor wir uns dem Text von Sure 5 und der dort enthaltenen Erzählung über die Israeliten widmen, sind daher mehrere Vorbemerkungen nötig. Einerseits was den Begriff der Übertragung bei Freud selbst angeht, dann zur Behauptung eines Zusammenhangs des monotheistischen Gottesbegriffs mit einer erinnerten Schuld und schließlich zur behaupteten Teilnahme des Korans an einem israelitischen Gedächtnisdiskurs.

2 Der psychoanalytische Übertragungsbegriff 2.1 Der engere Kontext: Erlösung vom Wiederholungszwang Freuds Übertragungsbegriff hat seinen Ursprung nicht in dessen Religionskritik, sondern im Therapiezimmer, und Freud selbst ist nicht der „Entdecker“ des Phänomens der Übertragung in der Psychotherapie, sondern vor ihm hat sein Kollege Josef Breuer eine intensive und Jahrzehnte währende Übertragungs-Erfahrung mit seiner als Anna O. in die Geschichte der Psychoanalyse eingegangenen Patientin Bertha Pappenheim gemacht.11 Breuers Umgang mit der starken emotionalen Bindung der Anna O. wurde oft als Scheitern oder gar als Missbrauch des therapeutischen Vertrauensverhältnisses interpretiert.12 Anna O. hatte sich ausschließlich von Breuer behandeln, zeitweise sogar nur von ihm ernähren (füt10 Freuds Theorie von der „Wiederkehr des Verdrängten“, d. h. der Wiederkehr eines verdrängten Vatermordes, ist gerade aufgrund der Annahme eines kollektiven Gedächtnisses, das ohne bewusste Überlieferung über Generationen „archaisch vererbt“ wird, kritisiert worden. Yosef Hayim Yerushalmi interpretierte Freuds These als „lamarckistisch“ und damit „von den revolutionären Entdeckungen der Molekularbiologie und der Genetik“ widerlegt. (Yosef Hayim Yerushalmi: Freuds Mose. Endliches und unendliches Judentum, aus dem Amerikanischen von Wolfgang Heuß, Berlin 1991, 55 f.). 11 Die Geschichte der Anna O. wird von Freud in seinen „Studien zur Hysterie“ dargestellt und analysiert. 12 Wolfgang Schmidtbauer: Wenn Helfer Fehler machen, Hamburg 1997, 194–199.

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tern) lassen. Nachdem Breuer diese Rolle über ein Jahrzehnt hinweg fürsorglich angenommen hatte, soll er die Therapie schließlich „fluchtartig“ abgebrochen und Anna O. ihren Leiden überlassen haben. Freud arbeitete den Begriff der Übertragung später in seinen Vorlesungen zur Psychoanalyse aus. Er bemerkte, „daß der Patient, der nichts anderes suchen soll als einen Ausweg aus seinen Leidenskonflikten, [häufig] ein besonderes Interesse für die Person des Arztes entwickelt.“13 Zunächst sah Freud die an den Therapeuten herangetragene Liebe, die sich in unterschiedlicher Form, etwa als „stürmische Liebesforderung“, als der Wunsch, „als bevorzugte Tochter angenommen zu werden“, oder im „Vorschlag einer unzertrennlichen, aber ideal unsinnlichen Freundschaft“14 manifestiere, als Hindernis einer erfolgreichen Kur. Schließlich aber wurde er sich des Heilungs-Potenzials der Übertragungsliebe bewusst: Erst die zuvor als „störender Zufall“ wahrgenommene Liebe stelle die Weiche dafür, dass vom Patienten „alles, was sonst zu glauben schwerfällt, so leicht verstanden“15 werden kann. Auch seine Patienten selbst „hätten immer gewußt, daß sie nur durch die Liebe gesund werden können, und von Beginn der Behandlung an erwartet, daß ihnen durch diesen Verkehr [durch die Psychotherapie] endlich geschenkt werde, was ihnen das Leben bisher vorenthalten [habe].“16 Aus der Erkenntnis um die Übertragung einer nichterfüllten Liebe der Vergangenheit auf den Therapeuten erwächst Freuds Sorge, wie mit dem Liebeswunsch angemessen umzugehen sei: Es ist ausgeschlossen, daß wir den aus der Übertragung folgenden Forderungen des Patienten nachgeben, es wäre widersinnig, sie unfreundlich oder gar entrüstet abzuweisen; wir überwinden die Übertragung, indem wir dem Kranken nachweisen, daß seine Gefühle nicht aus der gegenwärtigen Situation stammen und nicht der Person des Arztes gelten, sondern daß sie wiederholen, was bei ihm bereits früher einmal vorgefallen ist. Auf solche Weise nötigen wir ihn, seine Wiederholung in Erinnerung zu verwandeln. Dann wird die Übertragung, die, ob zärtlich oder feindselig, in jedem Falle die stärkste Bedrohung der Kur zu bedeuten schien, zum besten Werkzeug derselben, mit dessen Hilfe sich die verschloßensten Fächer des Seelenlebens eröffnen lassen.17

In Freuds Begriffen bliebe die Beziehung zwischen Therapeut und Patient, wenn dieser der Liebesforderung seiner Patientin nachgäbe, auf der Ebene des „Lustprinzips“. Durch eine kurzfristige Befriedigung des Liebeswunsches würde die langfristige Erlösung vom traumatischen Konflikt der Vergangenheit verhindert. Was der Therapeut leisten soll, ist aber, die Erinnerung als solche zu entlarven und so „Wiederholung“ in „Erinnerung“ zu verwandeln. Der Analytiker ist hier 13 Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–17), Freud-Studienausgabe, hg. von Alexander Mitscherlich/Angela Richards/James Strachey, Bd. 1, 11., korr. Aufl., Frankfurt am Main 1989, 423. 14 Ebd., 425. 15 Ebd. 16 Ebd., 424. 17 Ebd., 427 (Hervorhebung von mir).

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ein Bote zwischen dem Unbewussten und dem Bewusstsein, dessen Leistung gerade darin besteht, das verborgene Wissen so unberührt wie möglich ans Licht zu bringen und sich selbst als Übermittler möglichst unsichtbar zu machen. Gerade in dieser Unsichtbarkeit wird er „geliebt“. Es ist vielleicht nicht unwichtig zu bemerken, dass Angehörige der Patienten Freuds behaupten: „Er schwärmt für Sie, er vertraut Ihnen blind; alles, was Sie sagen, ist für ihn wie eine Offenbarung.“18 Die Analogie zwischen der Rede des Analytikers zur Offenbarungsrede kann uns zu einer pointierten Beschreibung seiner Funktion als Boten des Unbewussten führen. Die Übertragung in der Therapie ist die Offenbarung eines – auch für den Analytiker! – unverfügbaren Wissens. Die Übertragung in der Therapie ist demnach das Gegenteil zur zwanghaften Erinnerung und zur Wiederholung eines Traumas, die Freud für die „Geburtsstunde des Monotheismus“ diagnostiziert. Durch die Übertragung wird ein Zwang unterbrochen und die Erinnerung von der Gegenwart getrennt. Sie verliert damit nicht ihre Bedeutung als Vergangenes, aber ihrer manipulativen Kraft auf die Handlungen und Empfindungen der Gegenwart sind durch die positive „Überwindung des Lustprinzips“19 Schranken gesetzt. 2.2 Gedächtnis als Imperativ. Die These der Geburt des Monotheismus aus der Schuld Assmann interpretiert im Zusammenhang mit seiner Freud-Lektüre und auch in anderen Kontexten seiner Studien zum Zusammenhang von Monotheismus und einer „Sprache der Gewalt“,20 dass der „exklusive Monotheismus“ und der Geltungsanspruch eines Wissens, das von göttlicher Offenbarung herrührt, dafür verantwortlich seien, dass eine moralische „wahr/falsch“-Dichotomie und damit auch Schuld und Strafe zentral für die israelitische Identität würden. Schuld und Strafe sind für ihn – anders als für Freud – nicht Reflexe eines latent überlieferten und dann abgerufenen und ausagierten Traumas, sondern Folge eines spezifischen Wahrheits- und Gottesbegriffs.21 Den Zusammenhang von Monotheismus und dem Imperativ des Erinnerns begründet Assmann primär mit dem Text des Deuteronomiums. Dieser Text sei eine Abschiedsrede Moses an 18

Ebd., 423. Sigmund Freud: Bemerkungen über die Übertragungsliebe. Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse III (1915), in: Kleine Schriften II (Kapitel 26), entspricht: Freud-Studienausgabe (Anm. 13), Ergänzungsband: Schriften zur Behandlungstechnik, 6., korr. Aufl., Frankfurt am Main 2007, 219–238, hier: 223. 20 Jan Assmann: Monotheismus und die Sprache der Gewalt, 4. Aufl., Wien 2007, 24–26. 21 Assmann ist für diesen Ansatz stark kritisiert worden. Während der Vorwurf des Antisemitismus sicher auf einem Missverständnis beruht, sind die Kritikpunkte an Assmanns Vorstellungen von Monotheismus gut zusammengefasst in der Einleitung zum Sammelband: Jürgen Manemann (Hg.): Monotheismus, Münster 2003. 19

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sein Volk, das ohne seinen Führer, der nach Moab zurückkehren muss, ins Gelobte Land einziehen wird: Seine [Moses] ganze Sorge gilt der Furcht, das Volk könne im gelobten Land die Dinge vergessen, die es seit dem Auszug aus Ägypten erlebt hat, und die Verpflichtungen, die es durch das Bündnis mit Jahwe auf sich genommen hat. Das ganze Buch ist grundiert vor der tiefen Angst vor dem Vergessen.22

Der Imperativ des Erinnerns sei insofern ein „Gedächtnis-Machen“23 im Dienst der Sicherung der Gemeinschaft, ohne den das israelitische Volk drohe, sich an die Handlungsweisen der nicht-jüdischen Bewohner Kanaans zu assimilieren und damit seine Identität als Volk Gottes zu verlieren. Aber gerade das Festhalten an dieser Erinnerung sei so schwer, denn: Dem Volk wird das Kunststück abverlangt, mitten im Überfluß der Entbehrung, mitten in der urbanen oder agrarischen Seßhaftigkeit des nomadischen Lebensstils zu gedenken, also eine Erinnerung, die durch keine ‚Rahmen‘ der gegenwärtigen Wirklichkeit bestätigt wird.24

Gerade die „Exterritorialität“ der Erinnerung interpretiert Assmann im Kontext der Außerweltlichkeit der Offenbarung. Die Israeliten würden dazu angehalten, „als Fremde auf Erden“25 zu leben, nämlich einzig nach dem mit Gott in der Wüste geschlossenen Bund und nach den dort offenbarten Gesetzen, nicht nach den Gesetzen ihrer sozialen Umwelt. Assmanns scharfsinnige Bemerkung, dass in diesem Konzept Erinnerung gerade nicht heimatstiftend, sondern ent-heimatend wirke, führt ihn zu der Einsicht, dass ein Zusammenhang bestehe zwischen dem monotheistischen Offenbarungsgesetz und dem Verbot der Assimilation an nicht-jüdische, das heißt nicht-geoffenbarte, menschengemachte Gesetze und Vorschriften: „Du sollst nicht vergessen heißt, Du sollst dich nicht assimilieren, nicht einmal an das Gelobte Land. Der Monotheismus fundiert eine existenzielle Weltfremdheit.“26 Zunächst möchte ich betonen, dass der Zusammenhang zwischen dem Imperativ des Erinnerns, der monotheistischen Offenbarungsrede und dem Assimilationsverbot eine Interpretation Assmanns ist und nicht ‚eine Wahrheit, die die Texte selbst sagen‘. Assmann bemerkt weiter, dass ein Teil des „Erinnerungsbuches“ Deuteronomium von den Strafen handle, die das Volk im Fall des Vergessens, d. h. des Verstoßes gegen das mit Gott geschlossene Bündnis, träfe. Durch die Strafandrohung und die dabei inaugurierte „Sprache der Gewalt“ bekommt der Erinnerungsimperativ den Charakter einer traumatischen Erfahrung. Hinzu kommt, dass das Gebot „Erinnere dich!“ im Grunde unerfüllbar sei, da es gleich22 23 24 25 26

Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis (Anm. 1), 69. Ebd. Ebd. Ebd., 71. Ebd.

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zeitig den Befehl impliziere, alles Heidnische zu vergessen. Der Mensch lebe fortan in der ständigen Sorge, gegen Gott zu sündigen. Aus dieser Ambivalenz entspringe der „mörderische Vaterhass“,27 den Freud als ödipale Verstrickung gedeutet hatte. Interessanter als die von Assmann sehr stark betonte „wahr / falschDichotomie“, die eine scharfe Abgrenzung von Juden und Heiden, Gläubigen und Ungläubigen, generell von Freund und Feind begründet habe,28 scheinen mir zwei Beobachtungen zu sein, die Assmann zwar macht, aber nicht in den Vordergrund stellt: Zum einen beruht das beim Übertritt in die Sesshaftigkeit „gemachte“ israelitische Gedächtnis auf einem Erinnerungszwang. Der Imperativ „Erinnere dich!“ ist ein Gehorsamsakt, der – nun mit Freud gesprochen – offenbart, dass die Beziehung zwischen Gott und Israel auf Angst, nicht auf Liebe beruht. Es ist in diesem Sinne kein wirkliches Erinnern im Sinne Freuds gefordert, sondern „Wiederholung“. Ein Teil dieser auf Zwang und Angst basierten Bindung ist das tabuisierte Aufbegehren gegen den Vater. Dieser Konflikt wird gerade nicht als ein realer Kampf zwischen den Anhängern des monotheistischen Gottes und ihren vermeintlichen heidnischen „Feinden“ ausgetragen, sondern im Innern jedes Menschen: Die Unterscheidung zwischen wahr und falsch trennt nicht nur Juden und Heiden, oder Christen und Heiden, oder Muslime und Ungläubige, sondern sie schneidet mitten durch das menschliche Herz, das nun erst eigentlich zum Schauplatz religiöser Dynamik wird.29

Vor allem in der Spätantike wird die „psychologische“ Rhetorik des kranken Herzens oder der „Sucht“ des Götzendienstes von den Kirchenvätern für die Beschreibung – und Verurteilung – der Heiden beigebracht. „Idolatrie ist in ihren Augen [Theodorets und Eusebius’] eine Seuche und vor allem eine Sucht, gegen die das Gesetz als eine Entziehungskur wirken soll.“30

27

Ebd., 75. Zu der Kritik an dieser Theorie Assmanns aus islamwissenschaftlicher Perspektive siehe z. B. Thomas Bauer, der sich im Zuge seiner Untersuchung zu kultureller Bewältigung von und Positionierung zu Phänomenen der Mehrdeutigkeit im islamischen Kulturkreis dagegen ausgesprochen hat, dass der Monotheismus prinzipiell zu Unfähigkeit zu Bedeutungs- und Meinungspluralismus führe: Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011, 313: „Die vorkoloniale islamische Welt kannte dagegen während der längsten Zeit ihrer Geschichte einen dem Westen vergleichbaren Universalisierungsehrgeiz nicht. Dies ist umso bemerkenswerter, als die beherrschende Religion, eben der Islam, ebenso wie das Christentum eine monotheistische Religion mit universellem Wahrheitsanspruch ist. Doch anders, als Jan Assmann behauptet, muß ein theologischer Wahrheitsanspruch allein noch nicht zu religiös motivierter Gewalt führen. Kulturen sind komplexer als die in ihrem Rahmen betriebenen Theologien.“ 29 Assmann, Religion und Kulturelles Gedächtnis (Anm. 1), 78. 30 Ebd. 28

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2.3 Kultische Wiederholung und Polemik – Fortleben und Kritik des israelitischen Gedächtnisdiskurses im Koran Während in der Forschungsliteratur – und auch im öffentlichen Diskurs – oft darauf hingewiesen wird, der Koran beanspruche den Status einer „letzten Offenbarung“ und der Übertrumpfung der Vorgänger- und Nachbarreligionen, möchte ich hier stattdessen einem Moment der „Heilung“ von den als degeneriert oder falsch wahrgenommenen Verhältnissen der anderen Religionsgemeinschaften nachgehen. Generell geht es im Koran nirgendwo darum, die Offenbarungserlebnisse vorausgegangener Propheten abzustreiten oder die heiligen Texte der benachbarten Religionen inhaltlich zu korrigieren, sondern vielmehr werden die gelebten Beziehungen der nichtmuslimischen Gemeinschaften zu Gott als fehlerhaft oder inauthentisch diagnostiziert. Das augenfälligste Beispiel hierfür ist der – ebenfalls in Sure 5 und in drei chronologisch unmittelbar vorausgegangenen in Medina verkündeten Suren31 artikulierte – Vorwurf, die Juden (und Christen) hätten ihre Offenbarungen verfälscht32 oder einen Teil davon vergessen. Eine kurze Einordnung dieses Vorwurfs der „Verfälschung“ ehemals integrer heiliger Texte, den die islamische Tradition später vielfach wiederholt hat, soll hier einen Ausgangspunkt für die Lektüre von Sure 5 darstellen. Der koranische Vorwurf an Juden und Christen, ihre Schriften verfälscht oder teilweise vergessen zu haben, wird erst in medinischen Verkündungstexten laut, d. h., er wird in einer Umgebung artikuliert, die stark von jüdischen religiösen Praktiken geprägt war.33 An dem Vorwurf des tahrīf zeigt sich beispielhaft die ˙ Ambivalenz der muslimisch-jüdischen Beziehung. Einerseits beruht der Verfälschungsvorwurf der Schriften auf der Annahme einer Kontinuität der Offenbarung in Bibel, Evangelium und Koran. Insofern ist der tahrīf-Vorwurf mit der ˙ christlichen hermeneutischen Technik der Typologie vergleichbar, die auch auf dem Einschluss des jüdischen Kanons in den christlichen beruht, gleichzeitig 31

Siehe z. B. Q4:46, 2:59 und 75, 7:162. Zu dem Begriff tahrīf siehe z. B.: M. Accad: Falsification and/or Misinterpretation of the ˙ XXIV/2 (2003), 67–97, hier: 68–69. Bible, in: Theological Review 33 Generell ist der Vorwurf zumindest gegenüber den Christen nicht neu. Ihnen soll bereits von den Manichäern derselbe Vorwurf gemacht worden sein, die Evangelien absichtlich verfälscht zu haben Dies berichtet Augustinus im 5. Buch seiner Confessiones: Augustinus Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart, Frankfurt am Main 1987, 231: „Denn die Reden eines gewissen Elpidius, der sich in öffentlichen Religionsgesprächen gegen die Manichäer wandte, hatten mich, auch schon in Karthago, nachdenklich gestimmt, da er Beweise aus der Schrift vorbrachte, gegen die so leicht nicht aufzukommen war, und die Entgegnung der Manichäer schien mir recht unzulänglich. Übrigens rückten sie nicht gerne öffentlich damit heraus, sondern im privaten Gespräch mit uns. Da sagten sie dann, die Schriften des Neuen Testaments seien verfälscht worden, wer weiß von welchen Leuten, die das Gesetz der Juden dem christlichen Glauben hätten aufpfropfen wollen; […]“ Zu inschriftlichen Zeugnissen der Juden auf der arabischen Halbinsel siehe Robert Hoyland: The Jews of the Hijaz in the Qur᾽an, in: New Perspectives on the Qur᾽ān, hg. von Gabriel Said Reynolds, London/New York 2010, 91–116. 32

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aber den Anspruch der Deutungshoheit über den Text des Alten Testaments impliziert und der früheren Religion ein falsches Verständnis attestiert. Dem koranischen Verfälschungs-Vorwurf geht dabei eine vielschichtige Auseinandersetzung mit den biblischen Israeliten und der Figur Mose voraus. Während Mose in mekkanischen Suren als eine Art „Typus“ zum Propheten Muhammad figurieren konnte,34 stellten die Begegnung mit den Juden in Medina, das Erleben ihrer kultischen und liturgischen Praktiken35 und vermutlich auch ihre Deutungen des Bibeltextes selbst eine Zäsur in der islamischen Positionierung zur jüdischen Religion dar.36 Bis zum Verkündigungsabschluss, den Sure 5 markiert, hat sich das Verhältnis zu den Juden politisch gesehen verschlechtert. Die zeitgenössischen Juden, von denen der Prophet und seine Gemeinde sich Unterstützung erhofft hatten, sind zu einer Konkurrenzpartei geworden. Angesprochen werden sie nun nicht mehr als das biblische Volk um Mose, das zuvor als typologischer Vorläufer für die Erlebnisse der muslimischen Glaubensgemeinschaft gedeutet werden konnte, sondern in erster Linie in ihrem Status als „Schriftbesitzer“.37 Ausgehend von der Tatsache, dass bis in das 8. Jahrhundert keine arabischen Bibelübersetzungen überliefert sind und sich im Koran selbst – trotz der Prominenz biblischen Wissens – nirgends direkte „Zitate“ der Hebräischen Bibel oder der Evangelien finden, hat Sidney Griffith den Begriff der „interpreted bible“ eingeführt: „The Qur᾽an mirrors in writing the unwritten modes of transmission of the biblical and traditional lore circulating among the Arabic-speaking Jews and Christians in Arabia prior to the rise of Islam“.38 So verheißungsvoll die These für Koranwissenschaftler ist, dass den im Koran reflektierten biblischen Geschichten dokumentarische Bedeutung für die nicht schriftlich überlieferten Bibeln der Juden und Christen der arabischen Halbinsel zukommen soll, suggeriert sie auch, dass schriftliche Texte für die religiösen Gemeinschaften im Entstehungsmilieu des Koran keine große Bedeutung hatten. Diese Erkenntnis kann nicht bedeutungslos für den im Koran geäußerten Vorwurf sein, die Juden und Christen hätten ihre Offenbarungen „verfälscht“. Was also ist im Koran gemeint, wenn dies den Juden (und Christen) vorgeworfen wird?

34 Vgl. Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010, 669–671. 35 Zum Einfluss der Yom Kippur Zeremonien auf das muslimische Ramadan-Fasten siehe Shlomo Goitein: The Muslim Month of Fasting, its Early Development and Religious Meaning, in: Studies in Islamic History and Institutions, hg. von dems., Leiden 1966, 90–110. 36 Siehe vor allem Neuwirths Beobachtungen zu den medinischen Einschüben in Sure 20: Angelika Neuwirth: Oral Scriptures in Contact. The Qur᾽anic Story of the Golden Calf and its Position between Narrative, Cult and Inter-communal Debate, in: Scripture, Poetry and the Making of a Community. Reading the Qur᾽an as a Literary Text, Oxford 2015, 306–327. 37 In Sure 5 primär als „diejenigen, denen die Schrift vor dir gegeben wurde“. 38 Sidney H. Griffith: The Bible in Arabic. The Scriptures of the ‚People of the Book‘ in the Language of Islam, Princeton 2013, 89.

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Q3:78 „Einige von ihnen verdrehen die Schrift mit ihren Zungen (yalūna alsinatahum bi-l-kitābi), damit ihr es für einen Teil der Schrift haltet, wobei es nicht zur Schrift gehört, und sagen, es stamme von Gott, doch ist es nicht von Gott. Damit sagen sie gegen Gott wissentlich eine Lüge aus.“39

Der Vorwurf der Verfälschung bezieht sich hier offenbar auf die Aussprache eines religiösen Textes, d. h. vermutlich auf rezitatorische oder liturgische Manifestationen der Bibel, nicht auf eine intellektuelle, etwa politisch motivierte Verfälschung eines schriftlichen Kanons. Gemeint sein könnte die liturgische Bibellesung mit Kantilene, die Bibel und Koran – für die im Kollektiv „ihr“ angesprochenen Muslime – verwechselbar machen würde. In einem chronologisch späteren Vers heißt es: 4:46 „Einige von denen, welche Juden sind, die rücken die Wörter weg von ihrem Platz (yuharrifūna l-kalima ῾an mawādi῾ihī) und sprechen: „Wir hören und sind widerspenstig!“ ˙ ῾nā wa-῾asainā) und „höre,˙ ohne selbst gehört zu werden!“ und „Bewahre uns!“, in(sami ˙ dem sie ihre Zungen verdrehen und den Glauben schmähen. Doch hätten sie gesagt: „Wir hören und gehorchen!“ und „Höre!“ und „Schau auf uns!“, so wäre das für sie wahrlich gut und angemessen. Doch Gott verfluchte sie ihres Unglaubens wegen! So glauben sie nur wenig.“

Es geht auch hier nicht um die Abweichung von einem „Original“ der Bibel, über welches der koranische Verkünder selbst Deutungshoheit beanspruchen würde, sondern „the focus here already is on a perversion of meaning rather than text.“40 Die den Juden in den Mund gelegte Aussage: „Wir hören und rebellieren“ (sami῾nā wa-῾asainā) ist – wie Rudi Paret vermutet – eine „sinnentstellende Über˙ tragung des hebräischen Ausdrucks wĕ-šāma῾nū wĕ-῾asīnū in 5. Mose 5, 24“41 und damit vielleicht eine polemische Verballhornung eines in der jüdischen Liturgie zentralen Versteils. Angeprangert wird demnach das gottesdienstliche (und damit moralische) Fehlverhalten der Juden, nicht deren falsche Bibelinterpretation. Der Verfälschungsvorwurf zielt ebenfalls nicht auf eine inhaltliche Diskrepanz zwischen Koran und Bibel ab. Überhaupt finden sich im Koran, anders als in der postkoranischen islamischen Tradition, keine Aussagen darüber, welcher Art die Verfälschung der Schrift durch Juden und Christen sei, d. h. etwa welche Teile ihrer ursprünglichen Offenbarungsschrift verloren gegangen sein sollen.42 39 Ich übernehme hier die Übersetzung von Max Henning mit kleiner Änderung. Die Übersetzungen aus dem Koran orientieren sich im Folgenden an denen von Hartmut Bobzin und Rudi Paret. Ich zitiere Q3:78 (statt Sure 3, Vers 78). 40 Accad, Misinterpretation of the Bible (Anm. 32), 69. 41 Rudi Paret: Der Koran. Kommentar und Konkordanz, 7. Aufl., Stuttgart 2005, 24. 42 Versuche der Rekonstruktion der unverfälschten Texte, die Behauptung, verloren gegangene Verse zu besitzen oder Wissen darüber zu haben, spielen in religionspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Sunna und Schia ebenso eine große Rolle wie in islamischen Polemiken gegenüber Juden und Christen. Meist wird behauptet, die vergessenen oder unterdrückten Verse hätten Muhammad oder – in der Darstellung schiitischer Autoren – Ali und seine Söhne angekündigt oder gepriesen. Oder aber die Bibel solle ursprünglich Verse des Korans enthalten

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Vielmehr scheint der Vorwurf der Offenbarungsverfälschung ein grundsätzliches Urteil über die religiöse Moral der Juden und Christen darzustellen, wie sie sich in deren kultischem Umgang mit ihrer Offenbarung reflektiert. Grundsätzlich lautet der Vorwurf an die Juden im Koran letztlich, sie hätten durch Verdrehen oder „Vergessen dessen, was gesagt worden ist“ (Q5:13) Gott die Treue gebrochen.43 Die starke Betonung der Schuld „der Juden“ beruht, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch auf der muslimischen Beobachtung ihrer rituellen Praktiken in Medina, über die wir freilich nur wenig Kenntnis haben. Ein Beispiel gibt Shlomo Goitein: Bei der Ankunft der Muslime in Medina soll das jüdische AshuraFasten (das Bußfasten) stattgefunden haben, in dem die Juden an die Befreiung der Israeliten aus Ägypten und das folgende Aufladen von Schuld durch die Errichtung des Goldenen Kalbes erinnerten. Konfrontiert mit der „impressive celebration which did not escape the attention of the followers of the new religion“,44 soll Muhammad hierauf ausgesagt haben, er selbst sei „näher an Mose“ und das Fasten solle deshalb auch für seine Gemeinschaft gelten.45 Das jüdische FastenRitual kulminiert schließlich in dem Versöhnungsfest Yom Kippur, in dem der göttlichen Vergebung der Sünde des Idolatrievergehens und seiner Selbstoffenbarung als eines barmherzigen Gottes gedacht wird. Gerade der „Versöhnungsvers“ (2. Mose 34,6) spielt eine entscheidende Rolle in den jüdischen Liturgien, in denen die 13 Eigenschaften (Middot) Gottes wiederholt aufgerufen werden.46 Ausschlaggebend für den Koran sind die Texte der Bibel hier offenbar für die religiöse Selbstvergewisserung im Sinne eines ‚reenactment‘ der biblischen Geschichte, das immer auch das Drama von Schuld und Versöhnung involviert. Goitein ist dem Einfluss des in Medina offenbar verbreiteten Zeremoniells des jüdischen Fastens auf das muslimische Ramadan-Fasten nachgegangen, dessen Bedeutung wiederum in der Vergebung „aller Sünden“47 liege. In Mekka hatte die Praxis des Fastens offenbar noch nicht zum islamischen Kultus gehört, sondern es wird im (früh)medinischen Vers 2:173 erstmals erwähnt und die Etablierung der „Institution“ eines Fastenmonats, des Ramadan, daraufhin mit einem neuen, „islamischen“ heilsgeschichtlichen Ereignis begründet, das – genau wie das jüdische Gedenken – die Zusammengehörigkeit von göttlicher Offenbarung und Sündenvergebung reflektiert: die Herabsendung des Koran in einem „Monat“

haben, wie der jüdische Konvertit Ka῾b al-Akhbār nach seiner Konversion zum Islam bekannt haben soll. Siehe: Hava Lazarus-Yafeh: Intertwined Worlds. Medieval Islam and Bible Criticism, Princeton 1992, 24. 43 Q5:12–13 (siehe unten). 44 Goitein, Month of Fasting (Anm. 35), 95. 45 Ebd., 95–96. 46 Vgl. auch Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (Anm. 34), 524–25. 47 Goitein, Month of Fasting (Anm. 35), 100.

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(2:185), womit offenbar der Anfang der Offenbarungserfahrung und des prophetischen Wirkens Muhammads gemeint ist. Ausgehend von diesen Einsichten in die Präsenz jüdischer Erinnerungskultur im direkten Umfeld der koranischen Verkündigung in Medina soll im Folgenden nun eine Interpretation des entsprechenden Teils von Sure 5 unter den Gesichtspunkten von Erinnerung und Trauma angestellt werden, wie sie Freud und Assmann als charakteristisch für die israelitische Gottesbeziehung beschrieben haben.

3 Der Prophet als Medium der Übertragung in Sure 5 3.1 Sure 5 (al-Mā᾽ida) als Reflexionsfigur Ein knapper Überblick über die Sure als Ganze ist nötig, denn den israelitischen Gedächtnisdiskurs und den Vorwurf der Verfälschung der Schriften im Kontext von Sure 5 zu lesen bedeutet auch, eine zumindest teilweise Komponiertheit der Sure in ihrer heutigen Form anzunehmen. Theodor Nöldeke bemerkte, die Komposition der ‚langen Suren‘, zu denen al-Mā᾽ida zählt, sei „nicht durchsichtig“.48 Während Sure 5 und die übrigen medinischen „Rede-“ und „Langsuren“49 wegen ihrer – vor allem im Vergleich mit den früheren mekkanischen Suren – geringen kompositionellen Einheit oft als „Sammelkörbe“50 eingestuft wurden, d. h. als Repositorien für übrig gebliebene Verkündigungstexte, haben einzelne Forscher bereits versucht, Kohärenzen auch an diesen Suren nachzuvollziehen.51 Sure 5 besteht aus 120 Versen, die sich in unterschiedliche Redeeinheiten oder thematische Teile gruppieren lassen, deren Übergänge zum Teil durch direkte Ansprachen markiert sind. Während der inhaltliche Zusammenhang dieser Themensequenzen nicht ohne weiteres ersichtlich ist, bemerkte Nicolai Sinai, dass die Sure „jedoch von einem dichten Netz terminologischer Korrespondenzen überlagert und zusammengebunden [wird]. […] Dabei weisen einander entsprechende Wendungen häufig ungefähr denselben Abstand zum Anfang bzw. 48 Theodor Nöldeke: Geschichte des Qorans. Teil 1: Über den Ursprung des Qorans, Nachdruck der Leipziger Originalausgabe von 1909, Elibron 2005, 227. 49 Zu Differenzierung und Zuordnung medinischer Suren zu diesen Surentypen siehe Angelika Neuwirth: Vom Rezitationstext über die Liturgie zum Kanon. Zu Entstehung und Wiederauflösung der Surenkomposition im Verlauf der Entwicklung eines islamischen Kultus, in: The Qur᾽an as Text, hg. von Stefan Wild, Leiden 1996, 69–106, hier: 95 (Rede-Suren) und 98 (Langsuren). 50 Ebd. 51 Neil Robinson und vor allem Michael Cuypers haben auf Symmetrien als rhetorische Charakteristika hingewiesen. Siehe Michael Cuypers: The Banquet. A Reading of the Fifth Sura of the Qur᾽an (Übers. des Originals: Le festine. Une lecture de la sourat al-Ma᾽ ida), Miami 2009. Und: Neil Robinson: Hands Outstretched: Towards a Re-reading of Surat al-Mā᾽ida, in: Journal of Qur᾽anic Studies 3 (2001), 1–19.

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Ende der Passage auf.“52 Wiederkehrend innerhalb der Sure ist vor allem die Anrede an die Gemeinde d. h. die bereits muslimischen Hörer mit den Worten „O ihr, die ihr glaubt“53 (yā ayyuhā lladhīna āmanū) an 15 Versanfängen (Verse 1, 6, 8, 11, 35, 51, 54, 57, 87, 90, 94, 95, 101, 105, 106). Diese Vokative werden am Surenanfang (Verse 1–3) und am Surenende (Verse 105–108, unmittelbar vor einer Abschlusspassage über Jesus) von konkreten Vorschriften und kultischen oder moralischen Anweisungen begleitet. Ein zweites augenfälliges, den Text durch Wiederholung strukturierendes Merkmal sind Gottesbeschreibungen als Schlussklauseln an 25 Versen (Verse 1, 2, 3, 4, 7, 8, 14, 18, 19, 34, 39, 40, 43, 51, 54, 74, 76, 93, 95, 98, 114, 116, 117, 118, 120), unter denen einige mehrfach genannt werden. Insbesondere die Bereitschaft Gottes zu Vergebung und Barmherzigkeit (inna llāha ghafūrun rahīm, Verse 34, 39, 74) wird wiederholt. Hinzu kommen le˙ xikalische Wiederholungen in unterschiedlichen Kontexten im Verlauf der Sure: Das Versprechen (al-mīthāq) und das Vergessen, aber auch metaphorische Bilder im Umkreis des Herzen bzw. des „Inneren“ (qalb, sudūr, nafs), die Bezeich˙ nung von Offenbarungsschriften als „Licht und Rechtleitung“ (nūr wa-hudā), der Vorwurf der Verfälschung der Offenbarungsschriften und die Thematik des Mordes an Propheten bzw. Gott gefälligen Menschen. Vor allem aber ist von der Erinnerung selbst wiederholt die Rede. Der Imperativ „Gedenke …!“ (Udhkur!) findet sich in Form von Formulierungen, die explizit die Gnade Gottes als entscheidendes Moment der Religionsgeschichte betonen. Den Gedächtnisappellen „Gedenket der Gnade, die Gott euch erwiesen hat“ (wa-dhkurū ni῾mata llāhi ῾alaikum …, Verse 7, 11, 20, 110) folgen (in drei der vier Fälle) kurze „Gedächtnispassagen“ über durch göttlichen Beistand bewältigtes oder abgewendetes Unheil. Einmal ist die Formulierung in eine direkte Rede des Mose gefügt (20: „Damals als Mose zu seinen Leuten sagte: ‚Leute! Gedenkt der Gnade, die Gott euch erwiesen hat!“). Ein weiteres Mal ist der Appell direkt von Gott an Jesus gerichtet (110: „Gott sprach: ‚Jesus, Sohn der Maria! Gedenke meiner Gnade, die ich dir und deiner Mutter erwiesen habe, als ich dich mit dem heiligen Geist stärkte, […]“). Immer aber ist mit dem Imperativ: „Erinnere Dich!“ ein Erinnern von göttlicher Gnade gemeint. 3.2 Jüdische Erinnerungsgeschichte in Sure 5 Wir wollen uns nun ansehen, wie der jüdische Gedächtnisdiskurs und die biblische Geschichte selbst in Sure 5 dargestellt werden. Im Anschluss an Speise- und Gebetsempfehlungen, die in Form direkter Ansprache der Gläubigen (Verse 1–3) bzw. des Propheten (Vers 4) ausgesprochen 52 Nicolai Sinai: Die heilige Schrift des Islams. Die wichtigsten Fakten zum Koran, Freiburg 2012, 98. 53 Alle Versangaben im folgenden Fließtext beziehen sich auf Sure 5. Ich habe weiterhin Übersetzungen von Bobzin und Paret konsultiert.

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werden, folgt in Vers 12 die erste „Gedächtnispassage“ zu den „Kindern Israels“ (banū Isrā᾽īl): (12) Gott nahm das Versprechen (mīthāq) der Kinder Israels entgegen. Und wir erweckten unter ihnen zwölf Führer. Und Gott sprach: „Siehe, ich will mit euch sein! Wenn ihr das Gebet verrichtet und die Armensteuer gebt und Meinen Gesandten glaubt und ihnen helft und Gott ein schönes Darlehen gebt, dann decken Wir eure Missetaten zu. Dann führen Wir euch in Gärten ein, in deren Niederungen Bäche fließen. Wer von euch hiernach nicht glaubt, ist vom rechten Weg abgeirrt.“ (13) Doch weil sie ihr Versprechen brachen, haben Wir sie verflucht und ihre Herzen verhärtet (qāsiyatan). Sie entstellten den Sinn der Wörter und vergaßen einen Teil von dem, was ihnen gesagt wurde. […] (Q5:12–13)

Zunächst scheint es in diesen Versen grundsätzlich darum zu gehen, den „Versprechensbruch“ der Israeliten zu bezeugen. Gott hatte ihnen seinen Schutz unter der Bedingung der Einhaltung dreier Vorschriften zugesichert: der Verrichtung des Gebets, dem Zahlen der Steuer und dem Glauben an die göttlichen Gesandten (im Plural). Die Nennung der „zwölf Anführer“ in Verbindung mit der Erwähnung des Versprechens, Gott werde die Israeliten „in Gärten einführen“, legt nahe, dass die Passage den bevorstehenden Einzug der Israeliten in das ihnen verheißene Land in Erinnerung ruft. Sie wird aber nicht als eine Geschichte „über die Israeliten“ erzählt, sondern sie oszilliert zwischen der Referenz auf die konkrete israelitische Heils- bzw. Traumageschichte und der Darstellung des von Gott und Israel gegebenen Versprechens und dessen Bruch als scheinbar lange erwiesener Tatsache. Die Aussage der Treulosigkeit scheint damit auch auf die späteren, vielleicht gar noch auf die zeitgenössischen Juden bezogen zu sein. 3.2.1 Das Erreichen des Heiligen Landes im Buch Numeri

Aller Wahrscheinlichkeit nach referiert die Passage auf das im Buch Numeri berichtete Zögern der Israeliten vor dem Einzug ins Heilige Land.54 Wir wollen uns diesen Text kurz vergegenwärtigen. Vor allem der der Entsendung der zwölf „Spione“55 vorausgehende Bericht in der Mose-Erzählung ist erhellend. Denn bereits vor dem Erreichen der Grenze Kanaans steht das Klagen des Volkes über die als zu schwer empfundenen Bedingungen des Lebens im Exil im Vordergrund. Die Passage ist ein typisches Beispiel für den Konflikt zwischen den Is-

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Rudi Paret findet die Identifikation der von ihm als „Obmänner“ übersetzten Anführer problematisch. Heinrich Speyer hatte neben den von ihm ebenfalls nahegelegten Führer der israelitischen Stämme aus dem Numeri-Bericht auch die 12 Richter erwähnt. Siehe Heinrich Speyer: Die biblischen Erzählungen im Qoran, 3. Nachdruck der Originalausgabe aus Gräfenhainichen, Hildesheim/Zürich/New York 2008, 347–348. 55 So paraphrasiert Uri Rubin: Between Bible and Qur᾽an: the Children of Israel and the Islamic Self-Image, Princeton/New Jersey 1999, 60.

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raeliten und Gott, der auf die Unzufriedenheit und Ungeduld seines Volkes mit Zorn reagiert:56 Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des Herrn sehr. Und auch Mose verdross es. „[…] Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: ‚Gib uns Fleisch zu essen!‘ Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.“ (4. Mose 11, 10–14)

Der Ausruf Moses, ihm sei das Volk zu schwer, zeigt hier deutlich, wie anspruchsvoll die Rolle des „Boten“ zwischen den ungeduldigen Menschen und dem zornig waltenden, aber über alle Macht verfügenden Gott ist. Mose artikuliert gar einen Todeswunsch angesichts der kaum tragbar schweren Gefühle, die an ihm ausagiert werden: Das Volk beklagt sich darüber, während des Marsches durch die Wüste kein Fleisch zu essen zu bekommen. Gottes Zorn entbrennt wegen dieses Mangels an Vertrauen und Geduld. Er gewährt daraufhin die entbehrte Speise, allerdings nicht, weil er die schwere Entbehrung als solche anerkennen würde, sondern um den Menschen die Eitelkeit ihres Verlangens vor Augen zu führen. Gott verspricht den Israeliten Fleisch […] nicht nur einen Tag, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig Tage lang, sondern einen Monat lang, bis ihrs nicht mehr riechen könnt und es euch zum Ekel wird, weil ihr den Herrn verworfen habt, der unter euch ist, und weil ihr vor ihm geweint und gesagt habt: Warum sind wir aus Ägypten gegangen. (4. Mose 11, 19–20)

Indem die Israeliten Fleisch zu essen bekommen, wird ihrem Verlangen zwar nachgegeben, gleichzeitig aber die Forderung einer solchen Ersatzbefriedigung durch den angekündigten Ekel bestraft.57 Gott sendet Fleisch nicht aus Gnade, sondern aus Zorn. Worin aber besteht das Vergehen des Volkes? In den Begriffen Freuds liegt die Interpretation nahe, dass die Israeliten bereit sind, für ein kurzfristiges Verlangen ihre unmittelbar bevorstehende Heilserfüllung einzutauschen. Die Israeliten begreifen nicht, dass „der Herr unter ihnen“ ist, sondern sie wünschen sich angesichts der erlittenen Entbehrungen zurück in die Gefangenschaft nach

56 Zu weiteren Beispielen, insbesondere einer Interpretation der Episode vom Goldenen Kalb im Hinblick auf den Zorn Gottes, siehe Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt (Anm. 20), 25–26. 57 Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass auch Freud in seinem Kapitel über Übertragungsliebe die Ersatzbefriedigung mit einer Fleischmetapher anschaulich macht. Der Therapeut, der gegen das Enthaltsamkeitsgebot während der Analyse verstößt, sei wie ein Spaßvogel, der während eines Hunderennens, bei dem es einen Wurstring zu gewinnen gebe, während des Rennens eine einzelne Wurst auf die Rennbahn werfe, auf die sich die Hunde dann stürzen und darüber ihr Ziel vergessen (Freud, Bemerkungen [Anm. 19]).

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Ägypten. Das Szenario der aus Zorn gewährten – und damit verdorbenen – Ersatzbefriedigung ist der Auftakt für die dann folgende Situation, die den ganzen Vertrauensmangel der Israeliten offenbart: Gott fordert Mose auf, Kundschafter nach Kanaan zu schicken. Diese kehren mit der Nachricht zurück, das ihnen verheißene Land sei besetzt. Die Nachricht erweitert sich in kurzer Zeit zu Gerüchten über übermächtige Riesen, die im Land herrschten, woraufhin das Volk sich weigert einzuziehen und von Gott nun ganz drastisch für seinen Vertrauensbruch bestraft wird: „Eure Leiber sollen in der Wüste verfallen. […] Eure Kinder sollen Hirten sein in der Wüste vierzig Jahre und eure Untreue tragen, bis eure Leiber aufgerieben sind in der Wüste.“ (4. Mose 11, 33–34). Bezeichnenderweise ist es wiederum der ‚Bote‘ Mose, der den Zorn Gottes besänftigt und ihm seine Selbstoffenbarung am Sinai als eines barmherzigen Gottes in Erinnerung ruft. Mose ‚verliest‘ seinem Herrn den entscheidenden Vers, der die Versöhnung zwischen Gott und Israel nach dem Kapitalverbrechen, dem Errichten des Goldenen Kalbes, angekündigt hatte: „Der Herr ist geduldig und von großer Barmherzigkeit und vergibt Missetat und Übertretung, aber er lässt niemand ungestraft, sondern sucht heim die Missetat der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.“ Und er bittet: „So vergib nun die Missetat dieses Volkes nach deiner großen Barmherzigkeit, wie du auch diesem Volk vergeben hast von Ägypten an bis hierher.“ (4. Mose 11, 18–19) Durch das Vorhalten dieses ‚Mantras‘ gelingt Mose tatsächlich die Beruhigung des Gotteszorns. Die Verantwortung Moses besteht nicht nur darin, das murrende Volk zu ertragen und zu leiten, sondern auch darin, den Offenbarungsgott selbst an sein Versprechen der Barmherzigkeit zu erinnern. Mose ist weit mehr als ein indifferenter Mittler zwischen Gott und Mensch. Er nimmt aktiv Einfluss auf die alles entscheidenden Gefühle der Israeliten und Gottes und steht selbst ganz körperlich für deren Verständigung ein. Erlauben wir uns für einen Moment, die Analogie zwischen dem Propheten und dem Analytiker weiter zu ziehen: Für die Israeliten ist die „vergessene Wahrheit“ – in Freuds Therapieerfahrung meist ein unerfüllter Liebeswunsch der Vergangenheit –, die zu erkennen so schwerfällt, der monotheistische Gott selbst. Durch oberflächliche Begehrlichkeiten und geringes Durchhaltevermögen droht sie weiter verdrängt zu werden und sich so das Trauma von Schuld und Strafe zu wiederholen. Gleichzeitig scheint aber der Herr selbst seine Barmherzigkeit zu ‚vergessen‘ und muss an sie durch Mose, der den ‚Versöhnungsvers‘ verliest, erinnert werden. Die Leistung Moses besteht darin, zwischen Gott und Israel kommunikativ und emotional zu vermitteln. Aber er bewirkt keine Erlösung von dem neurotischen Konflikt. Wiederholung wird nicht in Erinnerung verwandelt. 3.2.2 Missglückter Einzug ins Heilige Land in Sure 5

Wenden wir uns mit diesem Eindruck den entsprechenden Versen in Sure 5 zu.

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Wir haben gesehen, dass von der Ernennung von 12 Führern (den ins Heilige Land vorausgeschickten „Spionen“), der Zusicherung des göttlichen Schutzes, der Verheißung von „Gärten, durcheilt von Bächen“ und der Tatsache, dass die Israeliten ihr Versprechen brachen, die Rede war. In den Versen 20–26 wird die Erzählung fortgesetzt und nun um das konkrete Ereignis der Weigerung der Israeliten zum Eintritt ins Heilige Land erweitert: Das heißt, dass gerade die problematische Ankunft an der Grenze des verheißenen Landes im Vordergrund steht. Der Akzent liegt also, wie in der „Abschiedsrede Moses“ (dem Deuteronomium), in dem als problematisch erkannten Übergang des israelitischen Volkes in eine neue Sesshaftigkeit nach seinem langen Flüchtlingsdasein: (20) Damals als Mose zu seinen Leuten sagte: „O Volk! Gedenket der Gnade, die Gott euch erwiesen hat! (udhkurū ni῾mata llāhi ῾alaikum) Als er Propheten unter euch auftreten ließ und euch zu Königen machte und euch gab, was er keinem von den Menschen in aller Welt gegeben hat. (21) O Volk! Tretet ein in das Heilige Land, das Gott euch bestimmt hat, und kehrt nicht um, so dass ihr den Schaden habt!“ (22) Sie sagten: „O Mose! In Ihm sind gewalttätige Leute. Wir werden es nicht betreten, solange sie nicht aus ihm herausgehen. Wenn sie jedoch aus ihm herausgehen, wollen wir es betreten.“ […] (24) Sie sprachen: „O Mose! Wir werden es niemals betreten, solange sie darin sind. Geh doch du mit deinem Herrn hin und kämpft! Wir werden hier bleiben.“ (Q5:20–24)

Anders als im Buch Numeri wendet sich Mose an Gott nicht mit einer Klage darüber, dass das Volk für ihn zu schwer zu tragen sei, sondern mit der Bitte, Gott möge zwischen ihm und dem Volk unterscheiden, d. h. ihn nicht für die Fehltaten seiner Begleiter zur Rechenschaft ziehen. Hierauf folgt das – eher resignierte als aufbrausend zornige – Urteil Gottes über das Volk: „So sei es [das Land] ihnen für vierzig Jahre verwehrt, während sie auf der Erde umherirren.“ (26) Und der Trost an Mose: „Mach dir wegen des Volkes der Frevler keinen Kummer!“ (26) Sicher kann man eine Entschärfung des ausgetragenen Konflikts gegenüber der biblischen Erzählung feststellen. Der redende Mose scheint bereits vollständig aufgeklärt über die Beschaffenheit dieses Konflikts zu sein, wenn er mahnt, das Volk hätte selbst den Schaden, falls es umkehre. Die zwölf vorausgeschickten Anführer werden nicht nochmal erwähnt, sondern ihre Information über die Anwesenheit vermeintlich übermächtiger Feinde im Heiligen Land ist den sich weigernden Israeliten bereits bekannt. Der so verhinderte Effekt einer Spannungssteigerung trägt dazu bei, dass die „Gedächtnispassage“ sich als solche zu verstehen gibt: als Text, der bereits bekanntes Wissen ins Bewusstsein ruft. Eingebettet in die Verkündigung Muhammads in Medina ist diese Form der Erinnerung kontrapräsentisch in doppelter Hinsicht. Zum einen ist das exterritoriale Erinnern, das Assmann als besondere Herausforderung der Israeliten in Kanaan gedeutet hatte, der Normalfall für die koranische Hörerschaft. Hier ist nicht der Ort, um diese Behauptung einzeln zu belegen. Der Hinweis muss genügen, dass die islamische Identität sich im Verlauf der koranischen Textgeschichte immer

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schon durch Rückgriff auf biblische Geschichten entfaltet, eine ferne ‚Textwelt‘ also scheinbar der deiktischen Referenz auf gemeinsam erlebte Wirklichkeit vorgezogen wird. Diese exterritoriale Erinnerung steht – anders als im Deuteronomium – nicht im Kontext des Einhaltens eines bestimmten Offenbarungsgesetzes. Vielmehr weisen die biblischen Figuren, aber auch biblische Redeformen wie psalmengeprägte Gebete,58 die koranische Verkündigung gerade als Offenbarungsrede aus. Man könnte in Abgrenzung zu Assmanns Monotheismus-These sagen, dass der monotheistische Gott des Korans sich gerade durch Tradition (die Sendung von Propheten und die Selbstoffenbarung in Schriften), nicht durch Revolution (den vollständigen Bruch mit ethischen oder gesellschaftlichen Praktiken und Werten) zu erkennen gibt. Aber was hat die Geschichte der Israeliten überhaupt mit den Ereignissen in Medina zu tun? Warum sollte es für Muhammad und seine Hörer wichtig sein, sich ausgerechnet den gescheiterten Eintritt ins Heilige Land zu vergegenwärtigen? Geht es tatsächlich lediglich darum, die rivalisierende Glaubensgemeinschaft der Juden als undankbar und ihren eigenen Versprechen gegenüber untreu darzustellen? Und wenn die Passage der Form nach eine „Bewusstmachung“ der biblischen Geschichte darstellt, sollten wir dies zum Anlass nehmen zu fragen, wie diese Geschichte in Sure 5 neu interpretiert wird. Die in den Versen 12–13 angedeutete und in den Versen 20–26 referierte Situation zwischen den Israeliten und Gott ist offenbar eine paradoxale, in der Zuversicht belohnt und Angst bestraft wird. Die Strafe Gottes für die Weigerung eines Teils des Volkes, das Land zu betreten, besteht nicht vorrangig – wie in der Bibel – darin, einen großen Teil der Israeliten physisch zu vernichten oder physisch leiden zu lassen, sondern vielmehr im Vorhalten eines Spiegels, nämlich dem „Verhärten ihrer Herzen“. Zu dem Vorwurf an die Israeliten, kein Vertrauen zu haben, kommt der zuvor geäußerte hinzu, die Juden hätten ihre Offenbarung verfälscht, der nicht mehr an die Israeliten vor den Toren Kanaans gerichtet ist. Der Vorwurf des Vergessens „dessen, was ihnen gesagt worden ist“, bezieht sich auch nicht – wie im Deuteronomium – auf die Verhinderung von Assimilation an nicht-göttliche soziale Gesetze. Im Koranvers gipfelt die Untreue in einer seelischen Strafe, ausgedrückt in der Metapher des verhärteten Herzens. Das Vergessen (eines Teils der Schrift) ist gleichzeitig die Schuld und die Strafe der Juden. Der Prophet Muhammad selbst ist – im Vergleich zu Mose – sehr viel weniger sichtbar. Aber fungiert er tatsächlich lediglich als „Sprachrohr“ der Erinnerung?

58 Siehe vor allem die Deutungen frühmekkanischer Suren in: Angelika Neuwirth: Quranic Readings of the Psalms, in: The Qur᾽ān in Context, hg. von Angelika Neuwirth/Nicolai Sinai/ Michael Marx, Leiden/Boston 2010, 733–778.

D

Wiederholung – Erinnerung – Übertragung

281

3.3 Das „Heute“ als heilsgeschichtliche Kategorie Wir haben bereits bemerkt, dass Erinnerung im Kontext der Sure 5 stets als Erinnerung von Gottes Gnadenhandeln dargestellt wird. Die gesamte Menschheitsgeschichte scheint von gnadenhaften Zuwendungen Gottes durchzogen: Neben Mose wird an Jesus und Maria, Kain und Abel als Empfänger von Gnade (ni῾ma) erinnert. Der Erinnerungsimperativ (Gedenke! Udhkur!), den Assmann im Kontext des Deuteronomiums als Ursache für die Ambivalenz-Beziehung (und damit für Gefühle des Zorns, des Hasses und des Misstrauens) gedeutet hatte, geht in Sure 5 nicht mit einer „Sprache der Gewalt“ einher, sondern vielmehr mit einer Sprache der Erlösung von gewaltsamen, traumatischen Erfahrungen. Eine Besonderheit der Sure ist die Zeitkategorie des „Heute“ (al-yaum), die sich drei Mal ebenfalls im ersten Teil der Sure und damit in geringer Entfernung zu der Israeliten-Passage findet und die – im Kontext unserer Untersuchung der Kategorien Erinnerung und Trauma – berücksichtigt werden muss. Gott ist der Sprecher der folgenden Verse. Er richtet sich an seine Glaubensgemeinschaft, die Hörer des Propheten: Heute haben diejenigen, die ungläubig sind, hinsichtlich eurer Religion nichts mehr zu hoffen. Darum fürchtet nicht sie, sondern mich! Heute habe ich euch eure Religion vervollständigt und meine Gnade an Euch vollendet (atmamtu ῾alaikum ni῾matī), und ich bin damit zufrieden, dass ihr den Islam als Religion habt. Und wenn einer von euch aus Hunger sich in einer Zwangslage befindet, (und aus diesem Grund gegen ein Speisegebot verstößt), ohne sich (bewusst) einer Sünde zuzuneigen, so ist Gott barmherzig und bereit zu vergeben. (Q5:3)

Im Eingangsteil des Verses ist noch von der Gottesfurcht die Rede, allerdings gerade im Hinblick darauf, dass alle realen Gefahren von den Gläubigen weggenommen wurden. Der Vers ist ganz offenbar von Optimismus getragen und spricht von der Position einer bereits verwirklichten Gnade her. Die entscheidende Aussage Gottes ist: „Heute habe ich euch eure Religion vervollständigt und meine Gnade an euch vollendet.“ Die Nähe Gottes ist keine zukünftige Heilserwartung, sondern eine momentane Wirklichkeit. Und sie geht mit der Lockerung der in der Offenbarung enthaltenen Vorschriften einher: Wenn jemand aus Not gegen ein Gebot verstößt, kann er sich der Barmherzigkeit Gottes sicher sein. Liest man den Vers 5:3 als eine Antwort auf die in der Sure kurz darauf folgende Geschichte des israelitischen Schuldtraumas,59 vorgeführt durch den missglückten Einzug ins Heilige Land, möchte man ihn als eine Aufhebung der Schuld und eine Heilung vom (uralten) Trauma deuten. Die Gnade Gottes, von der in der Sure so oft die Rede ist, überwiegt „heute“ seinen Zorn. Das emphatische „Heute“, das auch an das „Ich aber sage euch …“ der Jesusrede erinnern 59

Statt wie Nöldeke als „das Hochgefühl des Propheten über den Erfolg seiner Wirksamkeit“ (Geschichte des Qorans [Anm. 48]).

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282

Nora Schmidt

mag, zeigt eine bewusste Auseinandersetzung mit der belasteten Vergangenheit an. Diese Wende geht nicht zufällig mit einer Neudeutung von Erinnerung selbst einher. Nun wird Erinnerung – manifestiert in den (biblischen) Gedächtnispassagen und betont durch die Formeln „Gedenket der Gnade, die Gott erwiesen hat …“ – eine positive, die Beziehung des Menschen zu Gott stabilisierende Erfahrung. Der Imperativ „Erinnere dich!“ verliert durch die positive Neubestimmung des „Heute“ den Charakter eines Gehorsamsaktes. Man möchte sagen, die Erinnerung sei vom Problem zur Lösung geworden. Vor allem aber stehen das Erinnern an die „monotheistische Idee“ und das Offenbarungsgesetz nicht im Zeichen eines sozialen Assimilationsverbotes: Heute sind euch die guten Dinge (tayyibāt) erlaubt. Und was diejenigen essen, die (vor euch) die Schrift erhalten haben, ist˙ für euch erlaubt, und was ihr esst, für sie. Und zum Heiraten sind euch erlaubt die ehrbaren gläubigen Frauen und die ehrbaren Frauen derer, die vor euch die Schrift erhalten haben, wenn ihr ihnen einen Lohn gebt […]. (Q5:5)

Statt die muslimische Glaubensgemeinschaft an ein „eigenes“ Gesetz zu binden, das ihnen die Interaktion mit ihrer sozialen Umwelt erschweren würde, wird hier ausdrücklich beiden Glaubensgemeinschaften, den Juden und Muslimen, erlaubt, dasselbe zu essen wie die je andere. Angesichts dessen dass in der Sure alle Sünden der „alten“ religiösen Gemeinschaften aufgezählt werden (der Götzendienst, die Übertretung von Speisevorschriften und sogar der Prophetenmord!60), greift es nicht zu weit, das „Heute“ als eine neue heilsgeschichtliche Zeitkategorie zu deuten. „Heute“ gehört das „alte“ Paradigma von Schuld und Strafe der Vergangenheit an. An seine Stelle tritt gerade nicht ein neues Verpflichtungsverhältnis (etwa ein Bund) zwischen Gott und Mensch, sondern das Aufheben von Schuld und die „Vollendung der Gnade“ Gottes. Inwiefern ist dieses Ereignis durch Übertragung zustande gekommen? 3.4 Übertragung Mein kurzer Lektürevorschlag des Eingangsteils von Sure 5 mithilfe einzelner Texte aus der Hebräischen Bibel wird deutlich gemacht haben, dass es mir nicht um einen Vergleich der Religionen und ihrer heiligen Texte geht, sondern um den Nachvollzug der Deutung eines virulenten Moments jüdischer Erinnerungskultur und der damit verbundenen biblischen Geschichte im Koran. Die Zusammenhänge von Schuld, Verdrängen und Erinnern, die Assmann skizziert, sind inspirierend für eine Lektüre nicht nur derjenigen Passagen des Korans, die explizit von Mose und den Israeliten handeln. Aber gerade mit Blick auf den Islam, die monotheistische Religion schlechthin und auf den Koran, den 60

Der Prophetenmord wird erwähnt in 2:61, 87, 91; 3:21, 112, 181, 4:155; 5:70.

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Wiederholung – Erinnerung – Übertragung

283

Offenbarungstext par excellence, kann die These von einer „existenziellen Weltfremdheit“ des Monotheismus, eines prinzipiellen Assimilationsverbots einer Gemeinschaft, deren Gesetze auf Offenbarungsereignissen beruhen, und der damit einhergehenden starren Freund/Feind-Dichotomie nicht aufrechterhalten werden. An der polemischen Auseinandersetzung mit den Christen und Juden haben wir einerseits bemerkt, dass nicht deren exegetischer Umgang mit einem schriftlichen Kanon, sondern vielmehr die kultischen Manifestationen der Bibel ausschlaggebend für die koranische Polemik waren; gleichzeitig zeigen die Passagen aber auch ein zunehmend normatives Selbstverständnis des koranischen Korpus selbst an, das sich in konkreter Abgrenzung zu anderen heiligen Texten behauptet. Diese koranische Selbstbehauptung geht allerdings immer von einer Verschränkung von heiligem Text und gottesdienstlicher Übung aus und führt den rechtmäßigen, aufrichtigen Umgang mit heiligen Texten als Argument für eine ethische Maxime der Gottestreue, nicht als ein Argument für die zwingende Autorität eines spezifischen Kanons oder darin enthaltener inhaltlicher Weisungen ein. Der in den medinischen Suren artikulierte Vorwurf an die „Schriftbesitzer“, Teile ihrer Offenbarungen verfälscht oder vergessen zu haben, ist somit auch ein Argument dafür, dass ein Kanonisierungsprozess des Koran und die Etablierung eines Konzepts vom Koran als „heiligem Text“ in Nachfolge der vorausgegangenen Offenbarungsschriften bereits während der Verkündigungszeit beginnt. Freuds Übertragungstheorie selbst hat den heuristischen Wert, die Texte der Bibel als Ausdruck real erlebter, „ausagierter“ Gefühle (der Menschen gegenüber Gott) zu betonen. Gerade für eine Lektüre des Korans ist eine solche Heuristik hilfreich, da der Koran ein Verkündigungstext ist, der von Anfang an selbst Gegenstand ritueller Übungen war und der kommunikative und emotionale Interaktionen zwischen Gott und Prophet, zwischen Gemeinde und Prophet und auch zwischen ihm und seinen Kontrahenten abbildet. Wenn „der Koran“ insgesamt das Protokoll einer prophetischen Verkündigung darstellt, variieren die rhetorischen Formen und literarischen Sujets im Verlauf des Verkündigungsprozesses in Mekka und in Medina ebenso wie die Rolle, die hierbei „die Bibel“ spielt. An diesem Prozess sind die Juden weder rein historische (oder hermeneutische) Repräsentanten, noch passive Objekte in Abgrenzung zur islamischen Identität, sondern die Juden im Publikum des Verkünders sind zum Teil selbst angesprochene61 und damit einbezogene Akteure am koranisch-jüdischen Text- und Gedächtnisdiskurs. Wir brauchen also – anders als Freud – einen diskursiven Zusammenhang zwischen „der Bibel“ und „dem Koran“ nicht als sich wunderbar ereignende Wiederkehr kollektiv verdrängten Wissens zu deuten. Der Verkünder des Korans baut ganz bewusst auf das Wissen der Bibel auf und stellt sich 61

61:6).

In den Formulierungen yā banū Isrā᾽īl (in den medinischen Versen Q2:40, 47, 122 und

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284

Nora Schmidt

selbst – vereinzelt – bewusst in die Tradition Moses. Auch die Beobachtung des liturgischen, kultischen und exegetischen Umgangs mit der Bibel in seinem Umfeld scheint Einfluss auf die koranische Verkündigungsgeschichte und die Etablierung eines islamischen Kultus gehabt zu haben. Für die Koranforschung bedeutet die Heuristik der Übertragung damit eine in meinen Augen bereichernde Distanzierung von ‚historischen‘ Rekonstruktionen und Hypothesen darüber, was und wie viel von der Bibel und von spätantiken religiösen Wissensbeständen die Muslime der ersten Generation bzw. der Prophet selbst gewusst haben konnten. Viel aufschlussreicher ist zweifellos, den Funktionen und Deutungen biblischer Geschichte im Koran und ihren unterschiedlichen, sich während der 22 Jahre des Verkündungsprozesses vielfach ändernden Funktionen nachzugehen. Auch unsere Lektüre von Sure 5 machte deutlich, dass hier nicht einzelne Geschichten des biblischen Kanons oder einzelne theologische Überlegungen etwa von den Juden in Medina an die Gemeinde um den Propheten Muhammad (unbeschadet) ‚weitergereicht‘ wurden. Ebenso wenig ‚bediente‘ sich der Prophet an den Traditionsbeständen seiner Nachbarn, sondern die Übernahme, Weiterentwicklung und Deutung von biblischem Wissen – der Bericht von Exodus und Landnahme, die jüdische Auseinandersetzung mit der ‚Schuld‘ der Israeliten – sind das ‚Material‘, das die Muslime in die Lage versetzt, ein neues monotheistisches Paradigma zu kreieren. Aber was nützen Freuds Hypothesen zur Religionsgeschichte, wenn die These von der Wiederkehr des Verdrängten weder nötig, noch nachvollziehbar für unsere Interpretation des Korans ist? In einem, am Ende seines Buches über Freuds Mose platzierten „Monolog mit Freud“, fasst Yosef Yerushalmi die Bedeutung von Freuds Sicht der Religionsgeschichte auf treffende Weise zusammen: Genau wie man den Ursprung [einer Religion] nicht nur durch unpersönliche sozioökonomische Kräfte ohne Berücksichtigung der Rolle des „großen Mannes“ erklären kann (…), lässt sich auch das Funktionieren der Überlieferung nicht lediglich mit wörtlicher Weitergabe begreifen, wie Sie (Freud) ebenfalls betonen. Mit anderen Worten, Kraft und Lebensdauer einer religiösen Überlieferung lassen sich nicht begreifen, wenn die Überlieferung vor allem geistes- oder bildungsgeschichtlich dargestellt wird oder auch als Symbolsystem mit dekodierbaren, mythischen, materiellen und gesellschaftlichen Referenten, während man die psychologischen Dimensionen außer Acht läßt.62

Und Yerushalmi denkt weiter: „Genau hier könnte die Psychoanalyse weiterhelfen.“63 Die Übertragung, wie Freud sie in der individualen Psychoanalyse beobachtete, als der zunächst unverhofft gefundene Schlüssel für die Bewältigung eines traumatischen Konflikts, ließ uns das „heilende“ Moment des islami-

62 63

Yerushalmi, Freuds Mose (Anm. 10), 129. Ebd.

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Wiederholung – Erinnerung – Übertragung

285

schen Gottesbegriffs – als einer Antwort auf das abgerufene Schuldtrauma der Israeliten – erkennen. Wir haben gesehen, dass das Entscheidende an der Übertragungstheorie Freuds war, dass Heilung durch die Unterbrechung eines Wiederholungszwangs und die Installierung von „echter“ Erinnerung gelingt. Hierfür bedarf es der Figur eines ‚Boten‘, mit Freud gesprochen, eines „großen Mannes“64, an dem sich die Übertragungsliebe (oder der Übertragungshass) Bahn bricht und dem es gelingen kann, mittels der an ihn herangetragenen Übertragungsliebe, entlang der Spur eines Traumas zurückzugehen und sie umzulenken oder zu verwischen. Es wird deutlich geworden sein, dass ich diese Botenfunktion in dem Propheten Muhammad sehe, dem es gelingt, die Ambivalenzbeziehung zu dem koranischen Offenbarungsgott – der natürlich derselbe Gott ist wie der sich am Sinai offenbarende und über die Ungeduld der Israeliten verzweifelte Gott – zu heilen. Den Begriff der Übertragung so in seiner „ursprünglichen“, d. h. freudianischen, psychodynamischen Bedeutung mit Blick auf den Koran und den frühen Islam zu verwenden ist freilich ambivalent, denn er setzt voraus, dass eine psychologische Perspektive auf die Religionsgeschichte ernst genommen werden kann. Genau dafür möchte ich plädieren. Natürlich kann und soll ein solcher Ansatz nicht bedeuten, eine „jüdische“ oder „islamische Seele“ zu diagnostizieren (geschweige denn zu kurieren). Wohl aber möchte ich die im Koran zur Sprache gebrachten Diskurse um Schuld, Strafe und Vergebung und die Auseinandersetzung mit (israelitischer) Erinnerung als wirkliche, lebendige Debatten begreifen, die drängende persönliche, politische und psychische Bedürfnisse einer neuen Deutung israelitischer Heils- und Traumageschichte zum Ausdruck bringen. Die Entwicklung eines neuen monotheistischen Paradigmas, das Barmherzigkeit und Gnade ins Zentrum rückt, ist insofern durch Übertragung zustande gekommen, als es eine bewusste Unterbrechung der als problematisch wahrgenommenen Wiederholung eines Dramas von Schuld und Strafe, welches in kultische Handlungen wiederholt wird, zu bedeuten scheint und dieses Wissen stattdessen in Erinnerung verwandelt. Dass es sich dabei in den koranischen Zuschreibungen der jüdischen Gottesbeziehung als „neurotisch“ befangen um eine Religionspolemik handelt und nicht die „wahren“ Zustände jüdischer Religiosität und ebenso wenig um die einzige Deutung des biblischen Monotheismus, liegt auf der Hand. Wie tragfähig die Heuristik der Übertragung für eine religionshistorische Perspektive auf die Figur (und den Erfolg) des Propheten Muhammad ist, wird sich erst zeigen, wenn größere Teile des Korans mit ihr konfrontiert werden. Das Übertragungskonzept bietet in meinen Augen eine vielversprechende Möglichkeit, die besondere Bedeutung des Propheten und den Status des von ihm ver-

64

Freud, Der Mann Mose (Anm. 1), 132–137.

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kündeten Wissens als Offenbarungswissen in die Textanalyse einzuspeisen, die ‚typologische‘ Beziehung zwischen Muhammad und Mose neu zu gewichten und letztlich auch die besondere Bedeutung des Erinnerns biblischer Geschichten im Koran anders zu begründen als mit Begriffen der Intertextualität.

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Register Seitenzahlen, die kursiv gesetzt sind, verweisen auf Fußnoten.

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D

I Werke, Textstellen 1. Bibel Hebräische Bibel / Altes Testament Gen 2,3 2,8 35,22 38,13 ff.

41 21 62 62

Ex 3 4,28–31 13,8 20,11 24,12 31,18 32,1–20 32,16 32,21–25 32,35 39,43–40,38

140 140 137 41 217 217 62 21 62 62 126

Lev 14,5 14,10 14,11 14,21 14,23 18,21 Num 7,13 ff. 18,16

238 238 238 238 238 62 54 54

1 Sam 6,4 6,11 25,22 25,34

53 53 53 53

2 Sam 11,2–17 13,1–22 15–18

62 62 234

1 Kön 10,16 14,10 16,11 21,21

54 53 53 53

2 Kön 9,8

53

2 Chron 9,15 f.

54

Neh 5,13–7,45

41

Ps 94,9 142

21 234

Prov 8,22

20

Hld 3,11

172

Dtn 5,22 25,17–19

217 43

Jes 45,18

21

Ri

42, 44

Jona 4,6

99

D

290

I Werke, Textstellen

Amos 8,5

54

Cant 1,15 4,1 5,12

28 28 28

Septuaginta 1 Makk

42, 44

2 Makk

42, 44

Sap 4,6 7,2

54 54

Apocrypha Sir Prol. 21 f.

117

Neues Testament Mt 8,1–4 8,2 f. 8,4 11,19 15,17 27,25 Mk 16,9–20

232 232 238 1 54 56 46

Lk 1,46–55 2,1–8 2,1–3 22,43

46 1 5 46

Joh 8,44 11,39

56 54

Apg 20,28

46

1 Kor 10,9

46

Gal 2,11–14

45

1 Thess 2,15

56

1 Tim 3,16

46

Hebr 1,3

46

Jak 3,3

42

1 Joh 5,7 f.

45

Apk 2,9 3,9

56 56

2. Rabbinica Mischna Mishna/Mischna

19 f., 24, 113, 122

mAv 5,6

21

mMeg 4,9

62

mSot 7,2–4

20

8,1 9,1

20 20

mYev 12,6

20

Tosefta tMeg 25b

62

D

291

2. Rabbinica

tSan IV 7

21

tSot 7,7

20

Babylonischer Talmud

71a

21

ySheq 3,4

20

yTan 4,8, 68d

154

bBer 55a

20

bBQ 82b–83a

20

bEr 13a

24, 28

bMeg 1,8

24

bMen 29b

22, 28 f.

R MekhY Yitro [Bahodesh] 2,207 24

bPes 54a

21

Lev Rab XI VII 3

bQidd 49a

26

Midraschim

bSan 21b 22a

21 21

bShab 104a 115a

28 20

Midrash/Midrasch

19, 20, 29, 113, 118, 148

Exodus Rabbah 2,3

148

Genesis Rabbah 68,5

151

Mekhilta

24

30

Midrash Shir ha-Shirim 29 Sifre Deut 161

26

Tan 5, Wayyera

26

Weitere Hebraica Abraham ibn Daud Sefer haqabbala

138

bSot 20a 32a 33a

28 24 20

bTem 14b

Ya῾aqov ben Asher Ba῾al ha-Turim ˙ Kommentar zu Dtn 6,4 23

26

Mass. Sof. I,7 IX IX,1

22 f., 28 26, 117 23 28

Maimonides Mishne Tora, Hilkhot Tefillin, u-Mezuza we-Sefer Tora II,9 29

Jerusalemer Talmud yMeg I 11

25

Seder olam rabbah

138

Seder olam zuta

138

Sifre Pitronot

27

D

292

I Werke, Textstellen

3. Bibelübersetzungen und weitere Bibelkommentare Saadia Gaon Tafsīr

Bibel in gerechter Sprache 56, 58 Bibel in Leichter Sprache 4 f.

Septuaginta

Buber, Martin / Franz Rosenzweig Die Schrift 31, 107 Elberfelder Bibel

53, 101

Evangelium in Leichter Sprache

4

Gute Nachricht Bibel

101

King James Bible

50

Lutherbibel

124 f., 129–131 12, 20, 25 f., 30 f., 38, 40 f., 44 f., 56, 58, 62, 93–96, 98– 100, 102 f., 105, 108, 115–117, 119, 121

Targum Targum Jonatan Targum Onkelos

119 119, 123, 130 f.

31, 39, 49, 50, 54

Mendelssohn, Moses Be’ur

Ulfila Bibelübersetzung

41–44

185

Volxbibel

1–4, 6

Offene Bibel

4

Vulgata

Peschitta

121

12, 34, 38, 40, 45, 50, 56–58, 93–97, 102, 108, 110, 121

Philippson, Ludwig Die Tora

31

Zennerenne

172

Piscatorbibel

51, 53

Zürcher Bibel

57, 101

4. Koran 3

1 1–4 5–7

86 87

2 f. 40 44 47 59 61 75 87 91 122 143

74 283 74 283 270 282 270 282 282 283 74

2

21 112 181

282 282 282

46 155

270 282

12 f. 70

273, 276 282

162

270

6

283

4

5

7 61

D

293

6. Weitere Autoren und Werke

5. Korankommentare und -umsetzungen in andere Sprachen Al-Qur’an tafsinya

71

Al-Qur’an dan terjemahnya

71, 86 f.

Jassin, Hans Bague Bacaan Mulia

74, 85

Seddik, Yousseff Si le Coran m’était conté

5

Thalib, Muhammad Al-Qur’anul Karim

77, 89

6. Weitere Autoren und Werke Acta Ioannis

206

Aristeas Epistula ad Philocratem (= Aristeasbrief) 94, 116, 225 Augustinus Confessiones V 270 De doctrina christiana II,11,16 36, 39, 96 II,11,36 39 II,12,18 107 II,13,19 107 II,14,21 107 Enarrationes in Psalmos 138,20 99 Epistulae 28,2 37, 45, 99 f. 40,9 37 71,4 45, 99 82,35 45 Basilius von Caesarea Homilia ad martyrum de Sebaste 215 f., 222 Beer, Peter / Peretz Sefer Toledot Israel Chanson de Roland Cicero Academica 1,4–10 De finibus 1,1–10

3,5 De optimo genere oratorum 13–22 De oratore 1,155 Tusculanae disputationes 1,1–5

109

109 109

109

Concilium Nicaenum Secundum (= Lamberz) Actio 6 f. 204 6 212 Concilium Quinisextum Canon 68 198, 204 Constantinus VII Porphyrogenetus Liber de ceremoniis 20

201

Diomedes Ars grammatica GL I 451,8

96

28

(Pseud)Epiphanius von Salamis Epistula ad Theodosium 257

110

Erasmus von Rotterdam Epistolae 465,68–72 101

176–181, 185 f., 188–192

109

D

294 Eusebius von Caesarea De vita Constantini 3,25–28 Historia ecclesiastica 3,39

I Werke, Textstellen

214 38, 198

Felbinger, Ignatz von Großer Katechismus mit Fragen und Antworten 187 Lesebuch für Schüler der deutschen Schulen in den Städten und größeren Märkten der kaiserl. königl. Staaten 187 Germanus von Konstantinopel De divina liturgia 24 200 Gregor von Nazianz Orationes 2,104 30,1

199 199

Gregor von Nyssa Homiliae 85

218

Hieronymus Epistulae 22,29 f. 95 57 (= Liber de optimo genere interpretandi) 95, 227 57,5 6 57,5,2 95, 97, 108 112,19 f. 99 112,19 37, 100 Prologus in Hester 110 Prologus in Iob 20–23 94 40 95 Prologus in Pentateucho 29 93 Iordanes Getica 51,267

44

Johannes Chrysostomus Homiliae 1,4 198 Johannes von Damaskus De imaginibus I,9 259 I,16 205 I,47 218 II,18 259 II,23 259 II,26 259 III,81 f. 247 III,88 251 (Pseud)Johannes von Damaskus Oratio adversus Constantinum Cabalinum 220 Luther, Martin An die Ratsherren aller Städte deutschen Lands, dass sie christliche Schulen aufrichten und erhalten sollen (1524) 37 Michael Psellus Homilia in crucifixionem 57 255 63 256 f. 64 258 Nicephorus Callistes Antirrheticus I,30 III,5 III,6

247 223 225

Nicholas Cabasilas Commentarius in divina liturgia

200

Origenes Appendix Probi Contra Celsum 8,18 De principiis 4,2,9 Hexapla

99 215 200 98 f.

D

295

6. Weitere Autoren und Werke

Selecta in Psalmos 1,4

210

Paulus Silentiarius Ekphrasis Peregrinatio Egeriae

200 99

Philo von Alexandria De Vita Mosis II,VI 34 II,VII 37 f. II,VII 40

225 226 226

Philostorgius Historia ecclesiastica 2,5

42

Photius von Konstantinopel Homiliae 17,2 252–254 17,3 252 Plato Cratylus 430B-C De re publica 597A–598D Phaedrus 275D Timaeus 60A

247 258 239 101

Plinius Naturalis historia 15,25

103

Plutarchus Moralia 17F–18A

221

346B–347C 346F–347A

222 221

Quintilianus Institutio oratoria I,5,4 I,6,45 VIII,2,1 VIII,3,17 VIII,3,56

95 108 96 95 95

Rufinus von Aquileia Apologia contra Hieronymum II,39

103

Simeon von Thessaloniki Commentarii liturgici 46 200 Theodoret von Cyrus Graecarum affectionum curatio 214 Theodorus Studites Antirrheticus I,10 II,17 III,2

215 247 258

Theophanes Chronographia 31 97

205 205

Thomas von Kent Le Roman des Toute Chevalerie

28

D

II Personen Dieses Register führt die in den Beiträgen behandelten Personen und Personengruppen auf, d. h. Figuren aus Bibel und Koran sowie Autoren von Quellentexten, nicht jedoch Autorinnen und Autoren von wissenschaftlicher Sekundärliteratur. Abdullah Yusuf Ali 72 Abel 156, 281 Abraham ibn Ezra 130 Ælfric 47 Al-Jāḥiẓ 124 Al-Qirqisānī 123 Amoräer 25 Apostel 45, 52, 96 Aquila 25 f., 45, 98, 101–103, 117 f., 209 Arafat, Muhammad Yasser 66 f. Aristeas 93 f., 116, 225 Ashariten 131 Augustinus 36–38, 44 f., 96, 98–100, 102, 107 f., 270 Ayatollah Mehdi Rouhani 5 Baeck, Leo 32, 61 Bakry, Oemar 74 Beer, Peter / Peretz 173, 174 f., 176, 178, 179 f., 187, 192 Ben Sira 23, 116 f. Benjamin, Walter 114 Bowdler, Henrietta und Thomas 54 f. Buber, Martin 31 f., 59, 107, 109 Büdinger, Moses Mordechai 176 f., 185 Ceriol, Fadrique Furió 48 f. Chouraqui, André 53, 59 Cicero 95, 105, 109 f., 114 f., 226

Emser, Hieronymus 47 Engländer, Hermann 178 Erasmus von Rotterdam 45–49 Esau 154, 156, 166 Felbiger, Ignaz von 187–190 Francke, August Hermann 49 Freud, Sigmund 13, 263–267, 269, 274, 277 f., 283–285 Genonim 122 f. Goethe, Johann Wolfgang von 110 Goten 41–44 Gregor von Nazianz 199, 202 f., 210, 213 Gregor von Nyssa 218, 220, 222 Griesbach, Johann Jakob 59 Hai Gaon 123 Hamka 76 Haside Ashkenas 28 ˙ Hassan, Ahmad 75 Herodotus 101, 103, 225 Hieronymus 6, 26, 34, 37 f., 44 f., 47, 56, 93, 94 f., 97–105, 108, 110, 115, 225, 226–228, 227 Hofjude(n) 148, 159, 162 Holzhay, Georg 48 f. Horaz 95, 109

De Jonge, Morris 48, 61 Dietenberger, Johannes 57

Iordanes 43 f. Isaak 151, 154, 172, 177 Ismael 130 f.

Echnaton 263, 265 Eck, Johann 47, 57 R. El῾azar ben Yehuda 21, 23

Jakob 151, 154, 156 Jassin, Hans Bague 72–77, 80–85 Johannes Chrysostomus 198

D

297 Johannes von Damaskus 204, 218 f., 246, 250 f., 257 f. (Pseud-)Johannes von Damaskus 220, 225 Johlson, Josef 176 f., 178 Jonatan ben Uzziel 119 Josef 1, 154, 156, 159, 162, 166 Josephus, Flavius 43, 116, 180 Josua ibn Schueb 166 Judah ben Saul ibn Tibbon 122 Kabbalisten 165 Kain 156, 166, 281 Karl IV. 48 Kindermann, Ferdinand 188 Lazarus 248 f. Lea 28 Lindbeck, George 59 Luther, Martin 38 Magundihardja, Haji R. Ganda 72 Mandelstamm, Leon Jehuda 47 Manuel Philes 244, 249 Marchessou, Hélène 59 Maria Theresia 187 Maskilim 38, 170–172, 180, 185 Mendelssohn, Moses 32, 38, 172, 181, 183, 185, 187 Mohammed / Muhammad 13, 78 f., 130, 265, 271–274, 279 f., 284–286 Montaigne, Michel 47 Morus, Thomas 47 Mose / Moses / Moshe 12–14, 24, 29, 57, 113, 116, 128, 130, 137–140, 142, 144, 148, 156, 159, 162, 166, 233, 238, 263–265, 267 f., 277–279, 271–273, 275–282, 284, 286 Moses ben Nachman / Nachmanides 138 f. Natronai Gaon 123 f. Neumann, Immanuel Moritz 175, 177 f. Nicephorus Callistes, Patriarch 223–225, 228, 230, 237, 239, 240, 243, 247, 250 Noah 154

Photius, Patriarch 251–255, 259 Piscator, Johannes 50, 53 Plato 101, 109 f., 217 Psellus, Michael 255–259 Ptolemäus II. 93, 116 Ptolemäus / Talmai 25, 117 Rabbinen 20 f., 23, 25 f., 30, 32, 115, 117 f., 123, 137 Rebekka 154 Robert von Reading 37 Rosenzweig, Franz 31 f., 107, 110 Rückert, Friedrich 73 Saadia Gaon 12, 124, 129 f., 137 Samaritaner 21, 120 Schleiermacher, Friedrich D. E. 110 Seddik, Youssef 5 R. Shemu’el ben Meïr / Rashbam 27 f. R. Shelomo Yitzhaqi / Schlomo ben Jizchak / Rashi˙ / Raschi 27, 183 Solomon ibn Adret 165 Spener, Philipp Jacob 49 Steinheim, Salomon Ludwig 61 Suharto, Haji Mohamed 70, 77, 81 Sutor, Petrus 47 f. Symmachus 45, 98, 101, 117 Tannaiten 24 Thalib, Muhammad 77–79, 80–84, 89 Theodorus Studites 202, 215 f., 240, 243, 247, 258 Theodotus 45, 98, 101, 117 Thomas von Kent 28 Ulfila 41–44 Waldenser 46 Widodo, Joko 67 Wilhelm IV. von Bayern 47, 57 Wohlgemuth, Joseph 59

Origenes 37, 98 f., 109, 200

R. Ya῾aqov ben Asher Ba῾al ha-Turim 23, 29 ˙ Yehuda ibn Quraysh 123 f. Yunus, Mahmud 83

Pharao 142, 144, 148, 154, 156, 263 Philippson, Ludwig 31 Philo von Alexandria 25 Philostorgius 42–44

Zunz, Leopold 30 Zutphen, Gerhard Zerbolt von 48 f.

D

III Begriffe, Konzepte, Sachen Adaptation, Adaption 3, 14, 26, 82, 169, 189 Adressatenorientierung 4 f., 8, 10, 12, 33, 61, 93–111, 128, 131, 135 f., 166, 173–178 Aktualisierung 2, 7 f., 102, 113–115, 136, 139 f., 148, 162, 165 f., 172 Aneignung 13 f., 20, 28, 30, 32, 62, 108, 169, 172, 180 Anpassung, kulturelle siehe auch ,Aktualisierung‘ 10, 67, 83, 102, 30 f., 180 Apokryphen siehe auch ,Kanon, Kanonizität‘ 39, 55 f., 175, 206 Äquivalenz 2 f., 5, 12, 30, 63 f., 65, 83 f., 97, 109 f., 114, 118, 128, 131, 169 Äquivalenztypen denotativ 2 dynamisch 3, 110 funktional 2 f., 5, 13, 64 f., 110 konnotativ 97 pragmatisch 2, 169 textnormativ 2, 169 wirkungsbezogen 84, 110, 114, 117 f., 128 Problematisierung 2, 30, 63, 169 Assimilationsverbot 268, 282 f. Auftraggeber 34, 38, 41, 47, 56–58, 60 f., 72, 136 f., 156, 159, 162, 165 f. Ausgabe, zweisprachig 38, 70 f., 82, 177, 180 Auslegung siehe ,Exegese‘ Autorität, religiöse 5, 9, 40, 42, 50 f., 64, 69, 75, 81, 129 Bearbeitung 3–5, 9, 32, 34, 48, 55, 114, 118, 169 f., 177, 181, 185, 188, 192 Bibel (Typen), für einzelne Versionen siehe das Register „I Werke, Textstellen“ Auswahlbibel 51 f., 60, 174 Kinderbibel 6, 12, 38, 51 f., 55, 60, 169– 192 Vollbibel 51, 174

Bibelgesellschaft 34, 40, 47, 54 Bibelzitat 181 f., 189, 271 Bilderstreit, Ikonoklasmus 195–197, 211, 216–219, 240, 243, 246, 249–251, 256, 259–261 Bilderzählung 13, 135, 136, 139, 142, 144, 154, 196–199, 215–230, 236–246, 259–261 Bildkonvention 12, 136 f. Binnendifferenzierung, religiöse 8, 11 Buchdruck 40, 45, 60, 65, 68 Ekphrasis 197, 218 f., 222, 249–251, 253–255, 261 Exegese siehe auch ,Kommentar‘ 8, 10, 11 f., 14, 22 f., 27, 29–32, 52, 58, 60, 63, 78 f., 111, 114 f., 119, 124, 129, 131, 138, 148, 167, 183 f. Autorität exegetischer Traditionen 12, 30 f., 78, 82, 131, 183 Grenzen Normativität 3, 6, 9, 12, 16, 20, 33–35, 40, 59, 64, 137, 175, 177, 180, 191, 198 Überschreitung 1, 4, 9, 33, 48, 61, 63, 71, 81 Ikonoklasmus siehe ,Bilderstreit‘ Indigenisierung siehe ,Anpassung, kulturelle‘ Inkulturation siehe ,Anpassung, kulturelle‘ Inspiration 13, 93, 113, 116, 122, 196–211, 213–216, 222, 225 f., 243, 249–261 Institutionen Religionsministerium der Republik Indonesien / Departemen Agama / Kementerian Agama 69 f., 73 f., 76, 78–84, 86 f. Intertextualität 13, 130, 238, 286

D

III Begriffe, Konzepte, Sachen

Kanon, kanonisch, Kanonizität 2, 7 f., 10, 13 f., 22, 26, 35, 39, 52–56, 98–100, 115, 122, 135 f., 174–177, 191, 197 f., 206, 265, 270, 272, 274, 283 f. Kommentar Bibelkommentar 19, 26, 28 f., 37, 118 f., 124 f., 128 f., 138 f., 171, 178, 180 f., 183, 185–187, 189 Korankommentar 19, 64, 66, 68–71, 78 f., 84 Verhältnis zur Übersetzung 8, 64, 66, 68, 70–72, 78, 118 f., 128 Kontakt interkulturell 12, 14, 28, 102, 130 f., 173 interreligiös 11, 13 f., 26 f., 29 f., 56, 98, 104, 111, 130, 187, 189, 191 Koran siehe auch ,Kommentar: Korankommentar‘ (Un)übersetzbarkeit 64, 264 f., 270– 273, 275, 280, 282–286

299

Schriftbild 11, 21, 29 f., 32, 72, 114, 119, 180, 208 Sprache Alltagssprache 115 f. Hochsprache 121, 130 Jugendsprache 1 f., 4 Literatursprache 122 Liturgiesprache 34, 46–48, 56, 60, 98 f., 104, 116, 121 Nationalsprache 65, 68–70 Offenbarungssprache 6, 20 f., 30, 64, 105, 114 Regionalsprache 68, 70 Volkssprache 34, 46–48, 60, 115 sprachliche Ebenen Lexik 93, 105, 110, 117, 128 Morphologie 12, 106, 114, 117 f., 127 f. Semantik 30, 32, 63, 104, 109, 114, 117, 128, 182, 184, 186 Syntax 63, 71, 73 f., 84, 93, 105, 116 f., 128, 177, 182–185, 227

Lesung, liturgische 31, 119, 123, 137, 210, 272 Mimesis 204, 216–223, 228, 258 Namensformen (Eigennamen) 56 f. Norm implizit 3, 10, 71 religiös 9 f., 14, 67 sozial 5, 9, 10, 12, 54, 136, 166, 170, 191 sprachlich 2, 54, 170 Pädagogik, Didaktik 5, 36, 42, 52, 54 f., 128, 137, 162, 172 f., 176, 185 Paraphrase 19, 34, 64, 68, 114, 118, 172, 181, 229 Popularisierung 15, 28, 33–36, 60, 169, 171, 174, 177, 181, 191 Rezipientenorientierung siehe ‚Adressatenorientierung‘ Rezitation 11, 13, 26, 30, 32, 64, 66–68, 76, 82 f., 123, 272 Schrift Schriftart 8, 22–24, 28, 68, 121, 127, 180, 208

Tabuisierung, Tabubruch 7 f., 10 f., 14, 33–63, 76, 269 Talmud 19 f., 22–24, 26, 62, 113, 119, 122, 154 Text Bedeutung vs. Wortlaut 10, 14, 27 f., 30, 108, 176 f. Layout 72 f., 76 f., 78, 82 f., 119, 120, 127, 180 Texte, heilige heiliger Text vs. heilige Schrift 8, 21, 113 Kanonisierung 7 f., 39, 52, 175, 270 f., 283 Offenbarungscharakter 7 f., 20 f., 30, 113, 270, 274 f., 280, 283 Sakralisierung 7, 16, 26 (Un)übersetzbarkeit 9, 11, 19–21, 25, 28, 30, 59, 64, 83, 114, 116 Unveränderlichkeit 4 f., 7 f., 12, 14, 24, 64, 177 Verfahren der Textsicherung 39 f., 191 Verfälschung 3–5, 57, 270–272, 274 f. Tora mündlich 8, 19 f., 22, 26, 29 f., 32, 113, 118 f. Schriftgestalt 21–24, 28–30, 114, 127

D

300

III Begriffe, Konzepte, Sachen

Transposition siehe ,Übertragung‘ Übersetzbarkeit siehe ,Texte, heilige: (Un)übersetzbarkeit‘, ,Koran: (Un)übersetzbarkeit‘ Übersetzungsanspruch Ersetzung des Ausgangstextes 12, 19, 31, 38, 64, 83 f., 117 partikular vs. universal 27 f. Übersetzungsfehler 50, 74 f., 77, 80 f., 84, 109 Übersetzungsprinzipien Ausgangs- vs. Zieltextorientierung 10, 12, 14, 35, 50, 53, 57, 63 f., 83 f., 96, 105–110, 114 f., 127, 130 f., 169 f., 176, 185 sensus de sensu 6, 25, 100, 105, 108 f., 115, 227 verbum e verbo 6, 25, 108 f., 114, 227 Übersetzungsrevision 34, 46, 49 f., 53 f., 57, 115, 225 Übersetzungstheorie 2, 3, 9, 27, 30, 50, 53, 63 f., 84, 94, 105–111, 113–115, 116, 135, 169 f., 177, 223–229, 260 Übersetzungstradition 44 f., 68, 98–104, 123 f., 129, 131

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Übersetzungstyp (einschl. Übertragungen als Übersetzungen im weiteren Sinn) dokumentarisch 63 f., 83 f., 102, 105, 110 instrumentell 63–66, 70, 84 intermedial 5, 9, 14, 228 intralingual vs. interlingual 173, 177 f., 181–184, 187, 190, 229 kommentierend siehe auch ,Kommentar: Verhältnis zur Übersetzung‘ 9, 78, 135 kommunikativ 3, 12 kulturell 3, 9, 12, 170–173, 178–188, 190 f. Übertragung (Begriff) 1, 9, 64, 70 f., 169, 229, 264–267 nach Freud 265–267, 283f. Übersetzung in weiterem Sinn 1, 3–6, 8–16, 25, 31, 64 f., 68, 70 f., 73, 78 f., 94, 97, 105, 108–110, 114 f., 119, 125, 135 f., 169 f., 177, 182, 190 f., 229 Zielgruppe einer Übersetzung 2 f., 5 f., 42 f., 50–52, 58, 82, 135–167, 170 Bildungselite 28, 37, 122, 131, 166 Laienpublikum 28, 46–48, 51, 60