Berlin - Brandenburg: Raum- und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum [1 ed.] 9783428497638, 9783428097630

Die Publikation enthält alle Referate, die während des IX. Symposiums der Fachgruppe Geographie und Raumplanung in der Z

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Berlin - Brandenburg: Raum- und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum [1 ed.]
 9783428497638, 9783428097630

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Berlin - Brandenburg

SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 67

Berlin - Brandenburg Raum- und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum

Herausgegeben von

Karl Eckart und Klaus Birkholz

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Berlin-Brandenburg, Raum- und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum I

hrsg. von Karl Eckart und Klaus Birkholz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 67) ISBN 3-428-09763-7

Alle Rechte vorbehalten @ 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-09763-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (sllwefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

INHALTSVERZEICHNIS

Kar! Eckart und Klaus Birkholz Vorwort

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Matthias Platzeck Grußwort

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Klaus Birkholz und I10na Möser Zukunfts standort Hennigsdorf - Lebendige Industriestadt im Grünen

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Klaus Birkholz Der gemeinsame Planungsraum Berlin-Brandenburg - eine Einführung aus räumlich-geographischer Sicht ________________________________________________________ 21 Wolf Beyer Demographische Probleme und Prognosen - Bevölkerungsentwicklung zwischen Wunschdenken und Realität

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Frank Schrader Landschafts- und Wirtschaftsentwicklung - Nutzungskonflikt oder miteinander vereinbar?

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Gabriele Saupe Tourismus - Chance im ländlichen Brandenburg? ____________________________________ 77 Gert Wolfgang Heinze Verkehrsentwicklung durch Raumentwicklung in Berlin-Brandenburg _______ 93 Peter Neumann Urbanität zwischen Metropole und ländlichem Raum (?) - Die Beispiele Hennigsdorfund Ludwigsfelde _____________________________________________________________ 117 Elmar Kulke Großflächige Einzelhandelszentren im Umland von Berlin ______________________ _ 129

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Inhaltsverzeichnis

Norbert Bergmann Der Landkreis Oberhavel - ein Raumprofil durch das Land Brandenburg .... 143 Walter König Die Region Prignitz-Oberhavel - Regionalplanung von der Stadtkante Berlins bis Niedersachsen

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Manfred Sinz und Jörg Räder Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg - eine Zwischenbilanz .... 174 Konrad Scherf Einige ergänzende Bemerkungen zu raumtheoretischen Ansätzen sowie zur raumordnungspolitischen und raumplanerischen Behandlung der Gesamtproblematik der Tagung ............................................................ 201 Klaus Krakat Deutsche Industrieregionen: Strukturwandel am Beispiel des Industriestandortes Oberschöneweide in Berlin

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Hans Viehrig "Raum- und Kommunalentwicklung im ländlichen Raum Nordbrandenburgs" - Exkursion im Rahmen des 9. Symposiums der Fachgruppe Geographie und Raumplanung der Gm ................................................. 243 Mitarbeiterverzeichnis

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VORWORT Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis des IX. Symposiums der Fachgruppe Geographie und Raumplanung, das in der Zeit vom 7. bis 8. November 1997 in Hennigsdorf stattgefunden hat. Die Schirmherrschaft dieser zweitägigen Veranstaltung hatte Matthias Platzek, Minister ftir Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg, übernommen. Das Symposium konnte in Kooperation mit der Stadtverwaltung Hennigsdorf und dank umfangreicher Unterstützung von ADtranz Deutschland durchgeftihrt werden. Allen Sponsoren, einschließlich des Technologie Zentrums Verkehrstechnik, in dessen Räumen das Symposium stattfand, sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt. Unser Dank gilt insbesondere Herrn Oliver Neuhoff, der alle Texte formatiert und das druckfertige Layout erstellt, sowie Herrn Dipl.-Ing. Harald Krähe, der die druckfertigen Vorlagen zahlreicher Karten hergestellt hat. So konnten die insgesamt vierzehn Beiträge zusammengebracht werden. Es sind die Ausftihrungen von Experten, die allesamt seit Jahren, z.T. seit Jahrzehnten, Strukturentwicklungen in Berlin-Brandenburg analysiert und publiziert haben. Die Zusammenstellung der Beiträge zeigt, daß es nicht nur um eine Diskussion zwischen Theoretikern ging, sondern auch um einen Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen zwischen diesen und Akteuren und Verantwortlichen aus dem Bereich der Raumordnung und Landesplanung. Das Spektrum der Schwerpunkte ist weit gespannt, wie das Inhaltsverzeichnis ausweist. Nach der Vorstellung des gemeinsamen Planungsraumes BerlinBrandenburg folgen Ausftihrungen über demographische Probleme und Prognosen. Mit Darstellungen über die Landschafts- und Wirtschaftsentwicklung wird der immer wiederkehrende Nutzungskonflikt in diesem Raum herausgearbeitet. Dabei spielen der Tourismus, die Verkehrsentwicklung, die Urbanität und die Entwicklung von Einzelhandelszentren eine große Rolle. Karl Eckart und Klaus Birkholz

Matthias Platzeck GRUSSWORT Vor knapp einem halben Jahr wurde ich gebeten, die Schirmherrschaft über ihre Tagung zu übernehmen. Dafür möchte ich mich bei ihnen sehr herzlich bedanken. Ich habe diese Aufgabe sehr gerne übernommen, da dieses Thema geeignet ist, uns sowohl den deutsch-deutschen als auch den ost- und westeuropäischen Integrationsprozeß vor Augen zu führen. Und dies ist auch die Schwierigkeit bei dem von Ihnen gewählten Thema man muß sich ihm von sehr verschiedenen Seiten nähern: Erst die Zusammenschau sozialer, wirtschaftlicher, räumlicher, sozialpsychologischer und auch rechtlicher Wertungen ergibt das Mosaik, das Sie "Berlin-Brandenburg, Raum- und Kommunalentwicklung im Spannungsfeld von Metropole, Umland und ländlichem Raum"

nennen. Nicht alles, was sich in diesem "spannenden" Raum abspielt, ist allein aus heutiger Sicht oder bis zur heutigen Sicht erklärbar - auch die verschiedenen Zeiten, Herkünfte und die Visionen, die unsere privaten, sozialen und politischen Denk- und Handlungsmuster prägen, müssen befragt werden. Wie ich Ihrer Agenda entnommen habe, werden Sie sich mit den "griffigen" Fakten, wie z.B. den räumlichen Strukturen und raumbildenden Funktionen befassen; Sie werden Akteure aus Politik, Wirtschaft und Planung zu Wort kommen lassen und Sie werden sich dem gesellschaftlichen und individuellen Wertewandel stellen. Ein sehr anspruchsvolles - aber auch ein sehr notwendiges Unternehmen. Ich möchte Sie darin im gesamten Anliegen Ihrer Gesellschaft unterstützen: Verständnis und Förderung aller Prozesse, die das Bild eines friedlichen Deutschland im vereinten Europa bekräftigen und nicht nur den deutschdeutschen, sondern den europäischen Integrationsprozeß beschleunigen helfen. Spätestens seit 1990 begannen die europäischen Regionen ihre Startpositionen und ihre Erfolgsaussichten in einem sehr globalen Wettlauf um raumwirtschaftliche und politische Bedeutung zu erkennen: In diesem selbst bestimmten

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Matthias Platzeck

Wettkampf hat der Raum Berlin - Brandenburg die Chance für einen soliden Neuanfang erhalten: Eine sehr große Stadt muß sich Schritt für Schritt ein metropolitanes Dasein neu erarbeiten, ihr Umland neu wahrnehmen und erschließen, muß künstliche wirtschaftliche Hilfestellungen der Vergangenheit abschütteln. Ebenso müssen das engere und weitere Umland eigene Kräfte mobilisieren, um sich als attraktive Standorte ins Gespräch zu bringen. Diese neue Metropolregion an der östlichen Grenze des Traditionellen ( nicht des geographischen) Westeuropas hat die Chance, mit ihren infrastrukturellen Angeboten, mit Schlüsselprojekten, mit abgestimmten räumlichen Perspektiven diesseits und jenseits der Grenze oder mit länderübergreifenden kommunalen Kooperationen den Integrationsprozeß zwischen Ost- und Westeuropa entscheidend mit zu beeinflussen. Die räumlichen und strukturpolitischen Interessen Berlins müssen berücksichtigt werden - eine Metropole muß sich auf Wachstum einstellen und Wachstum benötigt Raum. Räumliche Arbeitsteilung als Prozeß und Ergebnis soll im Raum Berlinl Brandenburg aber auch Bedingungen schaffen, um Brandenburger Wachstumspole zu stärken und ihre Synergien für die ländlichen Räume zu erschließen sowie die Verkehrsströme, insbesondere im Ballungsraum, zu beherrschen. Das Wachstum soll also im geordneten Räumen erfolgten, damit die natürlichen Ressourcen, nicht nur die Landschaft in und um Berlin, sondern im gesamten Land Brandenburg gemeinsam nutzbar bleiben. Das geht nicht über Nacht, schon gar nicht unabhängig voneinander. Als Raumordnungsminister dieses Bundeslandes stehe ich natürlich in der Pflicht wie ebenso mein Berliner Amtskollege Senator Strieder. Beide Länder haben deshalb schon frühzeitig auf diesem Gebiet miteinander gearbeitet und einen gemeinsamen Planungsraum (1995) gebildet, auch wenn im Frühjahr 1996 die Fusion leider nicht zustande gekommen ist. Beide Länder haben die Chancen gemeinsamer Raumordnung erkannt und gemeinsam die landespolitische Verantwortung dafür übernommen und instituionell umgesetzt. Die gemeinsame Landesplanung beider Länder arbeite in Gestalt der gemeinsamen Landesplanungsabteilung erfolgreich seit 1996. Wir haben zuerst als wichtigste sachlicher Positions-- und Zielbestimmung das Landesentwicklungsprogramm erarbeitet, das als Staatsvertrag am 7. August dieses Jahres unterzeichnet wurde. Zur Zeit befassen sich die Parlamente mit diesem Dokument, das in bei den Ländern Gesetzesrang erhalten wird.

Grußwort

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Mit diesem Staatsvertrag haben die Regierungen zweier benachbarter Bundesländer erstmals in der Geschichte der bundesdeutschen Raumordnung nicht nur ein gemeinsames Planungsdokument schlechthin, sondern ein gemeinsames Programm mit einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie vereinbart. Kernstück dieser Strategie ist, wie Sie wissen, das Leitbild der dezentralen Konzentration. Die gemeinsame Landesplanung der Länder Berlin und Brandenburg Wurde mit dem "Zwang zum Einvernehmen" konstruiert. Das ist ein Prinzip der modemen Demokratie, das Anordnung oder Nötigung kraft personifizierten Machtanspruches nicht kennt. Seine Techniken von Verhandlungsdemokratie sind informeller Natur, ihm ist mit Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, Staatsverträgen allein nicht beizukommen. Es erfordert vor allem neben Sach- und Entscheidungskompetenz die Bereitschaft zum Interessenausgleich. Das ist kein einfacher Prozeß. Das Ringen um die richtigen und vor allem akzeptablen Inhalte unseres Leitbildes war eine wichtige, letzten endes befriedigendes Erfahrung, die zugleich mit einer Aufforderung verbunden ist: Alle kommunalen und staatlichen Entscheidungsträger, die über Instrumente verfügen, müssen deren Wirkungen im Hinblick auf dieses Leitbild prüfen und danach ausrichten. Raumordnungspolitik kann wünschenswerte Zustände nicht erzwingen, sie kann moderierend Rahmenbedingungen formulieren, sie selbst hat aber nicht die Instrumente und darf sie auch nicht haben, um deren Umsetzung allein zu bewältigen. Schon ein solcher Anspruch wäre absurd - widerspricht er doch den gerade in der Bundesrepublik so erfolgreich praktizierten Föderalismus und seinem Subsidaritätsprinzip. Die Landesplaner aus Berlin und Brandenburg werden Mitwirkung und Mitverantwortung genauso einfordern, wie gleichberechtigte Kommunikation zwischen Ministern, Senatsverwaltungen, Regionalen Planungsgemeinschaften, Kommunen und Bevölkerung. Das Gegenstromprinzip soll das Hierarchiedenken ablösen. "Metropole, Umland und ländliche Räume" - jeder für sich, allein, gegeneinander, miteinander? Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, diese scheinbar banale Frage beschäftigt uns tagtäglich und oft genug mit der unmittelbaren Schärfe rechtlicher Konsequenzen und wirtschaftlicher Folgen. Deshalb verknüpft die raumpolitische Strategie das Leitbildes die Chancen und die Potentiale, aber auch die Anforderungen an Strukturwandel und Strukturentwicklung zwischen Metropole, engerem Umland und äußerem Entwicklungsraum. Für die gestaltenden

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Matthias Platzeck

Akteure kann es eigentlich nur heißen: Wir sind auf dem Weg, einen modemen Metropolenraum mit seinen Verflechtungen zu gestalten, unser Ziel ist der "Metropolenraum im Gleichgewicht". Ich wünsche uns allen deshalb für einen anregenden Disput: Tabulose Bewertung des Zustandes, Verständnis für die Position der Partner, aber auch Visionen und vor allem pragmatische Ideen zu ihrer Verwirklichung!

Klaus Birkholz und Ilona Möser ZUKUNFTSSTANDORT HENNIGSDORF LEBENDIGE INDUSTRIESTADT IM GRÜNEN Das 9. Symposium der Fachgruppe Geographie und Raumplanung der Gesellschaft für Deutschlandforschung fand vom 07. bis 08. November 1997 im Technologiezentrum Verkehrstechnik in Hennigsdorf statt. Mit knapp 25.000 Einwohnern ist Hennigsdorf die zweitgrößte Stadt im Landkreis Oberhavel. Sie liegt im engeren Verflechtungsraum BrandenburgBerlin direkt nordwestlich vor den Toren der deutschen Hauptstadt. Als traditioneller Industriestandort besitzt Hennigsdorf umfangreiche wirtschaftliche Potentiale, die sie für Investoren zunehmend interessanter macht. Sie bietet ihren Bewohnern und Besuchern aber auch ein attraktives Wohnumfeld, ein neu errichtetes, multifunktionelles Stadtzentrum mit zahlreichen Einzelhandels- und Dienstleistungseinrichtungen, eine gewässerreiche und grüne Umgebung sowie die unmittelbare Nähe zur größten deutschen Stadt und Metropole Berlin. Die Stadt Hennigsdorf ist eine amts freie Gemeinde im Landkreis Oberhavel. Der Kreis ist Bestandteil der Planungsregion Prignitz-Oberhavel. Das im Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 07. August 1997 über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg verankerte raumordnerische Leitbild der dezentralen Konzentration weist Hennigsdorf als einen Ort mit besonderem Handlungsbedarf im engeren Verflechtungsraum BrandenburgBerlin aus. Dies kommt auch in dem Gemeinsamen Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin vom 02.03.1998 zum Ausdruck, in dem Hennigsdorf den Gemeinden im Umland Berlins mit 'potentiellem Siedlungsbereich' (Typ 1 - Gemeinde) zugeordnet wurde. Das bedeutet, daß, gemessen an der Zahl von 1990, ein Einwohnerzuwachs von 50 % bis zum Jahre 2010 für Hennigsdorf als raumordnerisch verträglich angesehen wird. J. Vom FischerdorJzum bedeutenden Industriestandort

Die Geschichte Hennigsdorfs reicht bis weit ins Mittelalter zurück. Als der

Ort im Jahre 1375 im Landbuch Kaiser Karl IV. erstmals urkundlich erwähnt

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wurde, lebten hier zehn Familien, die sich vom Fischfang und der Landwirtschaft ernährten. Daran änderte sich fünf Jahrhunderte hinweg wenig - Hennigsdorfblieb ein idyllisches im Haveltal gelegenes kleines Dorf. Der Bau einer Zugbrücke über die Havel sowie die Errichtung einer Zollstation erhöhten Anfang des 16. Jahrhunderts die Bedeutung des Ortes kaum. Auch die dann Mitte des 18. Jahrhunderts stärker einsetzende Siedlungstätigkeit ließ die Bevölkerungszahl Hennigsdorfs im Jahre 1783 nur auf 190 anwachsen. Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt der Ort eine Posthalterei. In diese Zeit flUlt auch die Kanalisation der Havel. Sie ist nun auch für größere Frachtkähne passierbar. Dies sowie die 1893 eröffnete Eisenbahnstrecke von Kremmen über Hennigsdorf nach Berlin waren Voraussetzungen für Industrieansiedlungen im Ort. So wurden 1872 eine Ziegelei und 1898 ein Sägewerk in Hennigsdorf errichtet. Doch erst durch die zweite Randwanderung der Berliner Industrie zwischen Jahrhundertwende und I. Weltkrieg sowie in derem Gefolge kam es zur Errichtung von industriellen Großbetrieben, die der Stadt auch noch heute ihr Gepräge verleihen. Hennigsdorfs Geschichte ist ab 1910 eng verknüpft mit der Geschichte der AEG. Wasserweg und Eisenbahn waren die wesentlichsten Standortvorteile, die auf einem 75 ha großen Gelände westlich des Havelufers zur Gründung der AEG führten. Damit war der Grundstein für die profil bestimmende industrielle Entwicklung des Ortes gelegt. Das Produktionsprogramm reichte zu Beginn von Flugzeugen, über Industrieporzellan, Isolatoren bis zu kompletten Signalanlagen. Im Jahre 1916 baute die AEG in Hennigsdorf eine Pulverfabrik, 1918 nahm der zweite noch heute profilbestimmende Industriebetrieb, das Stahl- und Walzwerk als Rohstoffbasis für die AEG seine Produktion auf. Erst mit dem Ende des I. Weltkrieges begann die AEG am Standort Hennigsdorf mit der Reparatur und Fertigung von Dampflokomotiven. In den 20er Jahren folgte dann die Produktion von Elektrolokomotiven. Der ab 1926 zur Mitteldeutschen Stahlwerk AG gehörende zweite große Industriebetrieb Hennigsdorfs steigerte zum Ende der 20er Jahre seine Produktion von Roh- und Walzstahl erheblich. In beiden Großbetrieben arbeiteten jetzt rund 5.000 Menschen. Der industrielle Aufschwung zog eine rege Siedlungs- und Bautätigkeit nach sich. Es entstanden in der Nähe der beiden Großbetriebe mehrere Werkssiedlungen. Damit kam es auch zu einem raschen Bevölkerungsanstieg. Hatte Hennigsdorf vor der Jahrhundertwende im Jahre 1890 rund 1.000 Einwohner, waren es

Zukunftsstandort Hennigsdorf - Lebendige Industriestadt im Grünen

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1910 bereits fast 2.800 und 1925 schon 7.700. Im Jahre 1933 lebten über 10.000 Menschen in Hennigsdorf und nach dem 11. Weltkrieg waren es im Jahre 1946 bereits wieder über 13.000. Auch nach dem Krieg prägten die beiden jetzt volkseigenen Betriebe, die Lokomotivbau-Elektrotechnischen Werke und das Stahl- und Walzwerk, über Jahrzehnte das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben im Ort. Fast die gesamte Infrastruktur Hennigsdorfs (Wohnungen, Kindergärten, Sportplätze, Kulturhäuser, medizinische und Verkehrseinrichtungen etc.) wurde durch die beiden Großbetriebe initiiert. Dies führte jedoch nicht nur zu quantitativen Zuwächsen sondern hatte auch städtebauliche und infrastrukturelle Defizite zur Folge. Hinzu kam, daß seit dem Bau der Mauer 1961 sich die unmittelbare Nähe zu Berlin zum Nachteil der Stadt entwickelte (Grenzgebietsrestriktionen, Verkehrsprobleme etc.). Im Jahre 1962 erhielt Hennigsdorf mit inzwischen fast 20.000 Einwohnern das Stadtrecht. Die Bevölkerung wuchs in den Folgejahren bis 1981 auf ein Maximum von etwa 27.700 Personen, um dann bis zur deutschen Einheit 1990 auf eine Zahl von etwa 24.700 zurückzugehen. Danach nahm sie insbesondere aufgrund der ungünstigen Altersstruktur und des starken Geburtenrückganges kontinuierlich bis 1996 ab. Von 1996 bis zum 30.09.1997 ist erstmals wieder seit 1981 ein Anstieg der Hennigsdorfer Bevölkerungszahl zu beobachten. Die rege Bautätigkeit läßt zumindestens in naher Zukunft trotz hoher Sterbefallüberschüsse auch auf weitere geringe Zuwächse durch Zuwanderungen hoffen. Hennigsdorf ist bis heute aufgrund seiner Industriestruktur ein Einpendlerzentrum. Viele der Beschäftigten in Hennigsdorf kamen schon in den 20er Jahren aus den umliegenden Dörfern und Berlin. Dies änderte sich auch mit dem intensiven und komplexen Wohnungsneubau zu DDR-Zeiten nicht wesentlich. Mehr als zwei Fünftel aller in Hennigsdorf einer Erwerbstätigkeit nachgehenden Personen pendelten in den 70er Jahren täglich in die Stadt. Das Verhältnis von Aus- und Einpendlern betrug dabei etwa eins zu fünf. Im Jahre 1996 pendelten trotz starkem Arbeitsplatzabbau nach der Wende, insbesondere in den beiden Großbetrieben, wieder rund 7.000 Beschäftigte in die Stadt. Die nunmehr wieder unmittelbare Nähe Berlins sowie die mit dem Wohnungsneubau verbundene Verstärkung der Wohnfunktion brachten es jedoch mit sich, daß nun auch etwa 5.000 Hennigsdorfer als Auspendler außerhalb der Stadt tätig sind. Etwa die Hälfte der Hennigsdorfer Auspendler arbeitet in Berlin. 2. Aufdem Weg zum Zentrumfür Verkehr und Technik Am 09. November 1989 bekam die Stadt mit dem Fall der Mauer ihre natürliche Umgebung und ihre Nachbarschaftslage zu Berlin zurück.

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Das Stahl- und Walzwerk wurde im Mai 1992 an die italienische Finna RIVA verkauft und trägt jetzt die Bezeichnung' Hennigsdorfer Elektro-Stahlwerke GmbH' (H.E.S.). Die AEG knüpfte an ihre historische Tradition an und übernahm ihre alte Produktionsstätte für den Schienenfahrzeugbau. Ende 1993 verlagerte sie den Hauptsitz der AEG-Bahnsysteme nach Hennigsdorf. Anfang 1996 ging das Kompetenzzentrum für den AEG-Schienenfahrzeugbau als joint venture in das Unternehmen von ABB Daimler-Benz Transportation (Deutschland) über. Unter der Finnenbezeichnung ADtranz bestimmt es nunmehr als weltweit größter Komplettanbieter von Bahnsystemen die weitere Profilierung des Industriestandortes Hennigsdorf als Zentrum für Verkehr und Technik aus nationaler wie internationaler Sicht entscheidend mit. Von den bei ADtranz Deutschland insgesamt 7.800 Beschäftigten an neun Standorten arbeiten 3.300 in Hennigsdorf, dem Finnensitz Deutschland. Mit dem Standort Hennigsdorf ist ADtranz der größte industrielle Arbeitgeber im Land Brandenburg. Hennigsdorf ist im Rahmen der innerbetrieblichen Spezialisierung die Produktverantwortung für Hochgeschwindigkeitszüge und Reisezugwagen zugeordnet worden. Vor dem Hintergrund dieser Standortvorteile wurde im Jahre 1995 das Technologiezentrum Verkehrstechnik (TZV) im Technopark Hennigsdorf auf ehemaligem AEG-Gelände ins Leben gerufen. Es versteht sich als Kristallisationspunkt für innovative Unternehmen, vor allem aus den Bereichen Schienenfahrzeugbau und Verkehrstechnik. Im Technologiezentrum Verkehrstechnik, dem Tagungsort des 9. Symposiums der Arbeitsgruppe Geographie und Raumplanung der Gesellschaft für Deutschlandforschung, konzentrieren sich Forschungs- und Entwicklungspotentiale von Finnen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die eng mit großen Industrieunternehmen zusammenarbeiten. Mit der UNITEC GmbH, einer Gesellschaft der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und dem Frauenhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik haben dort zwei bedeutende Forschungseinrichtungen ihren Sitz. Das TZV ilirdert Existenzgründer und innovative Unternehmen, vennittelt Projektpartnerschaften und Kooperationen und unterstützt Produkt- und Technologieentwicklung. Die inhaltlich-wissenschaftliche Ausrichtung liegt in den Händen des Beirates, in dem bedeutende Unternehmen und Institutionen der Verkehrstechnik vertreten sind. Neben ADtranz sind dies u.a. die Deutsche Bahn AG, die Berliner Verkehrsgesellschaft, die Daimler-Benz AG und die Deutsche Waggonbau AG. Das im Raum Hennigsdorf geplante Bahntechnische Erprobungszentrum ist ein weiterer wesentlicher Faktor für die eingeschlagene Entwicklung. Wichtiger Bestandteil einer integrierten Standortentwicklung ist der weitere zügige Aufbau und die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen.

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Dies wird durch die Errichtung von insgesamt sieben Gewerbeflächen mit einer Summe von rund 107 ha begünstigt. Der Technopark, das größte Gewerbegebiet Hennigsdorfs, bietet Büro- und Serviceflächen rur Handel, Gewerbe, Produktion und Verwaltung. Hier hat auch ein Teil der Stadtverwaltung ihren Sitz. 3. Das neue Stadtzentrum - pulsierende Mitte Hennigsdorfs Bis 1996 konnte der erst drei Jahre zuvor begonnene Bau des Stadtzentrums im wesentlichen fertiggestellt werden. Hennigsdorf erhielt damit einen bisher nicht vorhandenen, attraktiven städtbaulichen Mittelpunkt mit einer Einkaufspassage, einem Hotel, dem Stadthaus, zahlreichen Geschäfts- und Büroräumen rur kundenorientierte Dienstleister sowie einer Vielzahl von Wohnungen. Das Stadtzentrum reicht vom Bahnhofsvorplatz (Postplatz) entlang einer Achse über den Havelplatz bis zur Fontanestraße. Zum Shopping fordert die ganz besondere Atmosphäre in der Havelpassage auf. Dafilr sorgen Licht und Wasser, Pflanzen und Farben, ein Spielbereich, Restaurants und ein kleines Forum rur wechselnde Attraktionen. Mit der Neugestaltung des Postplatzes, dem attraktiven Bahnhofsumfeld und dem 1998 fertiggestellten Bahnhofsgebäude sowie der Eröffuung des Einkaufs- und Erlebniscenters 'Das Ziel' im Juli 1996, eines der wenigen innerstädtisch errichteten Einzelhandelszentren brandenburgischer Städte, gewann das Stadtzentrum weiter an Profil. 4. Stadterneuerung - das Sanierungsgebiet Ortskern Im Herbst 1993 hat die Stadtverordnetenversammlung konkrete Ziele und Maßnatunen zur Sanierung des Ortskernes Hennigsdorf beschlossen und damit die Weichen gestellt rur die vorbereitenden Planungen in diesem Gebiet. Seit Anfang des Jahres 1995 liegt ein erster Entwurf des Gesamtkonzeptes vor mit konkreten Vorstellungen zur städtebaulichen Neuordnung der ehemaligen Industrieflächen des Stahlwerkes und der historischen Stadtmitte. Darin sind u.a. das Verkehrs-, das Gestaltungskonzept und der Rahmenplan verankert. Auf der Grundlage fortlaufender Planungen sowie städtbaulicher Wettbewerbe wird dieses Konzept laufend fortgeschrieben und dem aktuellen Entwicklungsstand angepaßt. Die Rekonstruktion, Instandsetzung und Modernisierung erhaltenswerter, ortsbildprägender, denkmalgeschützter Gebäude sollen das historische Ortsbild wieder aufwerten und Geschichte lebendig werden lassen. Beredtes Beispiel dafUr ist das am Ortseingang gelegene rund 140 Jahre alte Küsterhaus, das direkt neben der denkmalgeschützten Martin-Luther-Kirche auf geschichtsträchti2 Eckan I Birkbolz

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gern Boden steht. Das historische Gemäuer, das nach originalgetreuem Vorbild saniert wurde, prägt seit 1995 wieder in voller Schönheit den Ortseingang der Stadt. 5. Arbeitsplatznahes Wohnen - stadtnah und im Grünen

Hennigsdorf ist eine 'grüne Stadt'. Mit einem Waldanteil von etwa 35 % an der Gemarkungsfläche nimmt Hennigsdorf (Siedlungs- und Verkehrsfläche: 39 %) unter den Brandenburger Städten einen Spitzenplatz ein. Ebenso verhält es sich beim Vergleich der Wasserflächenanteile. Mit 7,4 % Wasserfläche weist Hennigsdorf einen Wert auf, der mehr als das doppelte vom Landesmittel beträgt. Dies zeigt die große Funktionsvielfalt und -mischung in Hennigsdorf, insbesondere von Arbeit, Wohnen und Erholen. Der seit 1994 wieder jährlich ansteigende Wohnungsbestand beträgt gegenwärtig knapp 12.000. Allein von 1995 bis 1996 wuchs die Zahl der Wohnungen um mehr als 5 %. Der Wohnungsbestand änderte sich in Hennigsdorf jedoch nicht nur quantitativ sondern vor allem auch qualitativ. Mehr als die Hälfte aller Wohnungen wurden seit 1990 saniert und modernisiert. Die Wohn fläche je Einwohner wuchs auf 29,6 m2 • Städtebauliche Akzente setzte dabei die Instandsetzung und Modernisierung von Werks siedlungen aus den 20er und 30er Jahren. Jüngstes Beispiel dafUr sind die über 250 Wohnungen in der Marwitzer Straße, die 1997 an ihre Mieter übergeben werden konnten. Um der weiteren Nachfrage nach attraktivem aber auch bezahlbarem Wohnraum noch besser gerecht werden zu können, wird das Konzept' Arbeit, Freizeit und Wohnen' mit spürbar höherer Lebensqualität fUr die 'alten' und 'neuen' Hennigsdorfer konsequent umgesetzt. Dazu gehört innerstädtisch auch der Neubau von 37 Sozialwohnungen, die im Juli 1995 bezugsfertig übergeben werden konnten. Ein großzügiger, attraktiver Wohnpark fUr alle Ansprüche entsteht im landschaftlich schönsten Stadtgebiet im Ortsteil Nieder Neuendorf auf einer ehemaligen Industriebrache. Bis Ende 1998 werden hier rund 1.300 Wohnungen im Projekt 'Havel-Promenade - Wohnen am Wasser' fertiggestellt sein. Bestandteil dieses neuen kleinen Stadtteils von Hennigsdorf ist auch ein Jachthafen innerhalb der Wohnanlage, der in seiner Mitte von einer Zugbrücke überspannt wird. 6. Verkehrsknolenpunkt zwischen Brandenburg und Berlin

Hennigsdorf, die 'lebendige Industriestadt im Grünen' ist verkehrlich gut erschlossen und erreichbar. In Stadtnähe befinden sich zwei Autobahnanschluß-

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stellen zu den BAB 10 und 111, davon eine in nur 4 km Entfernung. Eine dritte wird gegenwärtig gebaut. Die nächste Bundesstraße ist 7 km entfernt. Über ein gut ausgebautes Landesstraßennetz ist Hennigsdorf aus Berlin und allen anderen Richtungen gut erreichbar. Nach Flughafen Berlin-Tegel sind es nur 20 Autominuten und nach Berlin-Spandau auf der fast vollständig erneuerten und Ende 1997 wieder eröffneten Landesstraße 172 nur 10 Minuten.

Abbildung 1 Hennigsdorf bei Berlin Hambl.lfg, ROSfock

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20 km

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Das Auto erlangte ftlr die Hennigsdorfer insbesondere nach 1990 u.a. auch wegen der noch nicht erfolgten Wiederherstellung der S-Bahnverbindung nach Berlin eine immer größere Bedeutung. Dies widerspiegelt sich auch in der Bestandsentwicklung. So nahm die Anzahl der in Hennigsdorf zugelassenen Pkw allein von 1995 bis 1996 um 4 % zu. Sie betrug 1997 über 11.000. Dies entspricht einer Pkw-Dichte von mehr als 460 Pkw je 1.000 Einwohner und damit in etwa dem Landesdurchschnitt.

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Der Ausbau des kommunalen Straßennetzes hat zwar quantitativ und qualitativ mit dem raschen Anstieg des motorisierten Individualverkehrs nicht in jedem Falle Schritt gehalten, hat sich jedoch im Vergleich zu vor 1990 wesentlich verbessert. Hennigsdorf liegt direkt an der Havel-Bundeswasserstraße. Es existiert aufgrund von Spezialisierung und Wettbewerb zwischen den Hauptverkehrsträgem sowie veränderter Güterstrukturen zwar kein öffentlicher Hafen mehr, jedoch ein Werkshafen auf dem Gelände des Stahl- und Walzwerkes. Der Schienenverkehr spielte rur die Herausbildung des Industriestandortes Hennigsdorf eine wesentliche Rolle und prägte über 80 Jahre maßgeblich sein wirtschaftliches Profil. Nach 37-jähriger Pause wird Hennigsdorf im Jahre 1998 mit der Wiederaufnahme des S-Bahnverkehrs nach Berlin und als Endpunkt des 'Prignitz-Express' wieder zu einem wichtigen Kristallisations- und Umsteigepunkt des öffentlichen Personenverkehrs zwischen dem ländlichen Raum der Region Prignitz-Oberhavel und der Metropole.

Klaus Birkholz DER GEMEINSAME PLANUNGSRAUM BERLIN-BRANDENBURG - EINE EINFÜHRUNG AUS RÄUMLICH-GEOGRAPHISCHER SICHT I. Der Raum, die Lage und die Landschaft

Die Region Berlin-Brandenburg gehört zum Norddeutschen Tiefland und befindet sich im Nordosten der Bundesrepublik Deutschland. Die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen begrenzen den gemeinsamen Planungsraum Berlin-Brandenburg im Norden, Westen und Süden. Oder und Neiße bilden auf etwa 250 km Länge die Grenze zwischen dem gemeinsamen Planungsraum und der Republik Polen und damit auch gleichzeitig den größten Teil der Grenze zwischen Deutschland und seinem östlichen Nachbarstaat. Der Grenzverlauf stellt einen Teil der Außengrenze der Europäischen Union nach Osten dar. Sie hat nach den politischen Umwälzungen in Osteuropa sowie der deutschen Wiedervereinigung nicht die Funktion eines nach Osten verschobenen "Eisernen Vorhangs", markiert heute jedoch noch deutlich das Wohlstandsgefalle zwischen EU und den mittel-osteuropäischen Staaten. Der gemeinsame Planungsraum ist zu einer Drehscheibe im Ost-Westverkehr und einem wichtigen Transitraum geworden. Der heutige gemeinsame Planungsraum wurde vor allem durch die letzte Inlandvereisung vor rund 10.000 Jahren geprägt. Es entstand ein beeindruckender Formenschatz eiszeitlicher Landschaften, die ihre Vielfalt und Ursprünglichkeit teilweise bis heute bewahren konnten. Insbesondere im mittleren Teil des Raumes haben glaziale Prozesse ein Mosaik von sich ständig abwechselnden Niederungen und Plattenresten geschaffen. Diese "Zone der großen Thäler" (A. Penck, 1887) wird nicht nur von der dichten Aufeinanderfolge dreier von Ost nach West verlaufender Urstromtäler (Baruther, Berliner, Eberswalder) charakterisiert, sondern auch von nordsüdlich ausgerichteten Tälern, die als Abflußrinnen des Schmelzwassers oder als ausgeschürfte Vertiefung abgetrennter Inlandeisreste ehemals größere Grundmoränenplatten in kleinere Hochflächen (Glien, Barnim, Teltow ... ) zerteilten. Die heute den Talungen folgenden Flüsse wie Oder, Spree, Dahme und Havel, eine Vielzahl von Kanälen sowie zahlreiche, durch die Inlandvereisung entstandene Seen machen Berlin-Brandenburg zu einem der gewässerreichsten Räume in der Bundesrepublik Deutschland. Mit rund 3,4 % Wasserfläche liegt der gemeinsame Planungsraum im Vergleich zu

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den Bundesländern (ohne Stadtstaaten) nach den Küstenanrainern Mecklenburg-Vorpommern mit 5,5 % und Schleswig-Holstein mit 4,7 % an dritter Stelle. Durch Folgewirkungen der landschaftsformenden Prozesse der Eiszeiten aber auch durch frühe Eingriffe des Menschen in die Wasserflihrung der Flüsse (Eindeichung, Bau von Wehren und Stauanlagen) kam es in den Niederungsgebieten Brandenburgs zu großflächigen Vermoorungen. Zu den auch heute noch die Landschaft prägenden, zum Teil trockengelegten und kultivierten Niederungsgebieten zählen u.a. das Oderbruch, eine der fruchtbarsten Landschaften Deutschlands, der Spreewald, das Rhinluch oder das Havelländische Luch. Verlandungs-, Versumpfungs- und Kesselrnoore haben im heutigen Planungsraum sogar ihren mitteleuropäischen Verbreitungsschwerpunkt. Der Fläming hebt sich im Süden des gemeinsamen Planungsraumes gegenüber den anderen Landschaften als großer und geschlossener Altmoränenrücken heraus. Mit dem Hagelberg (201 m) erreicht hier das gesamte Norddeutsche Tiefland seine höchste Erhebung. Der Niederlausitzer Landrücken, nördlich und südlich von landwirtschaftlich geprägten Beckenlandschaften begrenzt, bildet als zum größten Teil bewaldeter, langgestreckter Endmoränenzug die östliche Fortsetzung des Flämings. Hier befinden sich im wesentlichen auch die brandenburgischen Braunkohlentagebaugebiete. Die vielfältigen Landschaften im heutigen gemeinsamen Planungsraum Berlin-Brandenburg sind durch die über Jahrhunderte andauernde Tätigkeit des Menschen in unterschiedlichem Maße beeinflußt und überformt worden. So haben hier beispielsweise Landwirtschaft und Waldnutzung eine lange Tradition. Etwa die Hälfte der Fläche wird noch heute landwirtschaftlich genutzt. Mit mehr als einem Drittel Waldbedeckung übertrifft Berlin-Brandenburg den Bundesdurchschnitt um 5 %-Punkte. Der Siedlungs- und Verkehrsflächenanteil (Besiedlungsgrad) beträgt knapp 10 % der Gesamtfläche, wobei das Land Brandenburg etwa 7 % und das Land Berlin einen Wert von rund 62 % aufweist. Damit gehört Berlin trotz ausgedehnter Wald- und Wasserflächen zu den Städten mit dem höchsten Besiedlungsgrad in der Bundesrepublik. Die Flächennutzung im gemeinsamen Planungsraum ist räumlich stark differenziert. So weist Z.B. der Landkreis Prignitz mit rund 68 % einen fast doppelt so hohen Anteil an landwirtschaftlich genutzten Flächen auf wie Oberspreewald-Lausitz. Während Oder-Spree mit 48 % den höchsten Waldflächenanteil besitzt, beträgt der des Landkreises Uckermark nur 22 %. Das heutige landschaftliche Ensemble des gemeinsamen Planungsraumes reicht so u. a. vom großstädtisch verdichteten Kerngebiet Berlins über

Der gemeinsame Planungsraum Berlin-Brandenburg - eine Einführung

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Abbildung 1 Großlandschaften in Berlin-Brandenburg

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Quelle: Die naturraumliche Gliederung Brandenburgs

weitläufige, mit Seen durchsetzte Mischwaldareale und Kiefernforste, landwirtschaftlich genutzte Flächen, große Heideflächen, geschlossenen Niederungskomplexen und Flußauen bis hin zu großflächigen militärischen Konversionsgebieten und extrem überformten Bergbaufolgelandschaften.

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Die vielfliltige Gestaltung der Landschaft, ihre Nutzung und ökologische Bedeutung stellt eine wichtige Ressource rur Umwelt- und Naturschutz, rur einen im Einklang mit der Natur zu entwickelnden "sanften Tourismus" und eine zeitgemäße Landwirtschaft dar. Zur Bewahrung und Entwicklung dieser landschaftlichen Qualitäten wurden zahlreiche, z.T. einzigartige Landschaften unter Schutz gestellt wie z. B. der Spreewald, die Schorfheide oder das Untere Odertal. Im Auf- und Ausbau von Groß schutzgebieten (Nationalparks, Biosphärenreservaten und Naturparks) liegt dabei neben der Sicherung und Festsetzung von schutzwÜTdigen Flächen in Form von Natur- und Landschaftsschutzgebie-ten der Schwerpunkt der Brandenburgischen Naturschutzpolitik. 2. Gliederung und Verwaltungsaufbau

Die Region setzt sich aus der mit Abstand bevölkerungsreichsten Stadt der Bundesrepublik Deutschland und dem flächengrößten der neuen Länder zusammen. Mit mehr als 30.000 km 2 nimmt der Planungsraum fast 9 % der Fläche Deutschlands ein. In ihm leben mehr als 6 Mio. Einwohner und damit knapp 8 % der bundesdeutschen Bevölkerung. Der Raum ist sehr inhomogen strukturiert. Die dicht besiedelte Bundeshauptstadt Berlin wird von den stark ländlich geprägten und im Vergleich zu anderen Ländern der Bundesrepublik wesentlich geringer besiedelten Teilräumen Brandenburgs umgeben. Während Berlin, die flächengrößte Stadt Deutschlands, nach München die höchste Bevölkerungsdichte aufweist, ist Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern das am dünnsten besiedelte Land der Bundesrepublik Deutschland. Die beiden Länder Berlin und Brandenburg verbindet trotz der in den letzten 50 Jahren historisch und politisch unterschiedlich verlaufenen Entwicklung innerhalb der zwei voneinander getrennten Teilräume des heutigen gemeinsamen Planungsraumes eine gemeinsame Geographie, Geschichte und Kultur. Berlin und Brandenburg erhielten mit der staatlichen Einheit am 03. Oktober 1990 ihren historisch einmal bereits vorhandenen Landesstatus zurück. Mit dem im Juli 1991 gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages zum Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin erfolgte die AusftUlung der im Einigungsvertrag festgeschriebenen Funktion Berlins als deutsche Hauptstadt. Der Stadtstaat Berlin ist in 23 Bezirke untergliedert, das Land Brandenburg dagegen administrativ in 14 Landkreise und 4 kreisfreie Städte. Der Aufbau der Landesverwaltung Brandenburg ist zweistufig. Die obersten Landesbehörden. (z.B. Ministerien) bilden mit ihren nachgeordneten oberen Landesbehörden (z.B. Landesvermessungsamt) die erste Stufe. Zur zweiten Stufe gehören die

Der gemeinsame Planungsraum Berlin-Brandenburg - eine Einführung

Abbildung 2 Verwaltungsgliederung im gemeinsamen Planungsraum

Planungsregionen und Kreise Brandenburgs

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allgemeinen (z.B. Landräte) und sonstigen (z.B. Straßenbauämter) unteren Landesbehörden. Eine Besonderheit stellen drei ländeTÜbergreifende Verwaltungsbehörden zwischen Brandenburg und Berlin dar (z.B. die Gemeinsame Landesplanungsabteilung). Zur effektiveren Gestaltung und Lösung ihrer kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben haben sich die Gemeinden auf der Grundlage der Amtsordnung des Landes Brandenburg vom 19. Dezember 1991 zu Ämtern zusammengeschlossen. Zum 31.12.1997 existieren im Land 1.696 Gemeinden, 158 Ämter und 60 amtsfreie Gemeinden. Im Land Brandenburg erfolgte im Jahr 1993 eine Kreisgebietsreform, die zu einer Reduzierung der Zahl von ehemals 38 Land- und 6 Stadtkreisen führte. Die durchschnittliche Fläche der Landkreise erhöhte sich von 760 km 2 auf über 2.060 km 2 • Damit verfügt das Land Brandenburg über die von der Fläche her größten Landkreise der Bundesrepublik Deutschland bei gleichzeitig vielfach geringerer Gemeindegröße und Bevölkerungsdichte. Die Regionalplanung, deren Träger die Regionalen Planungsgemeinschaften sind, vollzieht sich entsprechend dem Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung vom 18. Mai 1993 innerhalb von fünf Regionen. Sie bestehen aus zwei bis fünf Landkreisen bzw. kreisfreien Städten und sind ebenso wie die meisten Landkreise sektroral von der Landesgrenze auf die Metropole Berlin zulaufend zugeschnitten. Damit soll der Disparitätenausgleich zwischen berlinnahen und peripher gelegenen Landkreisen gefördert werden. Entsprechend seinen charakteristischen Funktionen im raumordnerischen Leitbild der Dezentralen Konzentration wird der gemeinsame Planungsraum in die beiden Raumkategorien "engerer Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin" und "äußerer Entwicklungsraum" unterschieden, wobei der engere Verflechtungsraum aus der Kernstadt Berlin sowie seinem Umland (Brandenburger Teil des engeren Verflechtungsraumes) besteht. 3. Der räumlich-strukturelle Wandel 3.1 Wirtschaftsräumliche Aspekte

Der weitgehend auch mit einem Wertewandel verbundene räumlichstrukturelle Umbruch betrifft in unterschiedlichem Maße alle sozioökonomischen Bereiche und Teilräume der Region Berlin-Brandenburg. Er ist durch Deindustralisierung und Tertiärisierung der Wirtschaft sowie damit verbunden im Land Brandenburg auch durch Extensivierung und Marginalisierung der Landwirtschaft sowie einen gravierenden Bedeutungsverlust des Braunkohleabbaus gekennzeichnet.

Der gemeinsame Planungsraum Berlin-Brandenburg - eine Einflihrung

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Die mit der Einflihrung der Marktwirtschaft und dem Wegfall der Subventionen flir das frühere Berlin (West) einsetzenden wirtschaftlichen Strukturveränderungen, insbesondere im produzierenden Gewerbe, der Rückgang der Braunkohlenförderung (auf gegenwärtig etwa ein Drittel der Menge von 1989), die Stillegung von Braunkohlekraftwerken und -veredlungsbetrieben, die Schließung von Stahl- und Walzwerken, Chemie- und Maschinenbaubetrieben sowie die gravierenden Anpassungs- und Umstellungsprobleme in der Landwirtschaft Brandenburgs waren wie auch die Schließung bzw. Auslagerung von zahlreichen traditionellen, industriellen Produktionsstätten aus Berlin (West) u.a. mit einem starken Arbeitsplatzabbau verbunden. Während im engeren Verflechtungsraum insbesondere im Umland Berlins durch Neuansiedlungen vorrangig im tertiären sowie, wenn auch in weitaus geringerem Maße, im industriellen Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, fand im äußeren Entwicklungsraum keine vergleichbare Entwicklung statt. Für den Verlust einer Vielzahl meist kleinerer Industriestandorte, die sich inselartig über den gesamten Raum verteilten, gab es in den wenigsten Fällen einen adäquaten Ersatz. Mit den im Zuge der Privatisierung erfolgten Schließungen zahlreicher flir die jeweiligen Teilräume früher strukturbestimmenden Industrieuntemehmen gingen in Städten wie Wittenberge, Wittstock, Neuruppin, Premnitz, Luckenwalde wichtige Impulsgeber flir den ländlichen Raum verloren. Die Übertragung von Verwaltungsaufgaben im Zuge der Kreis- und Gemeindereform im Land Brandenburg bzw. die Neu- und Ausgründung von Betrieben mit lokaler Bedeutung, etwa auf dem lebensmittelproduzierenden oder Bausektor reichte nicht aus, um die Arbeitsmarktdefizite flir diese Standorte und den ländlichen Raum zu kompensieren. Dementsprechend weist der äußere Entwicklungsraum im Juli 1997 mit 21,3% auch die höchste Arbeitslosenquote aller Teilräume auf, der engere Verflechtungsraum mit 14, 6 % dagegen die niedrigste. Die Quote in Berlin (West) liegt mit 17,9 % um einen %-Punkt über der von Berlin (Ost). Die Bandbreite der Arbeitslosenquoten der Kreise des Landes Brandenburg reicht dabei von knapp 11 % in Potsdam bis über 24 % in Uckermark. Im Vergleich der Länder belegt Berlin mit einer Quote von 17,6 % vor Bremen den vorletzten Platz im Ensemble der alten Länder. Brandenburg weist mit 18,9 % nach Sachsen die zweitniedrigste Arbeitslosenquote der neuen Länder auf (Maximum aller Bundesländer: Sachsen-Anhalt mit 21,9 %). Die Zahl der Erwerbstätigen im heutigen gemeinsamen Planungsraum Berlin-Brandenburg ging von 1989 bis 1995 um etwa ein Fünftel aufrund 2,6 Mio. Beschäftigte zurück. Diese Entwicklung verlief zeitlich und räumlich unterschiedlich. Während sie von 1989 bis 1992 in Brandenburg um etwa 470.000

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