Über die Fortschritte der kritischen Metaphysik: Beiträge zu System und Architektonik der kantischen Philosophie 3787330143, 9783787330140

Die Beiträge dieses Bandes thematisieren den metaphysischen Ursprung und die metaphysische Stoßrichtung der kantischen P

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Über die Fortschritte der kritischen Metaphysik: Beiträge zu System und Architektonik der kantischen Philosophie
 3787330143, 9783787330140

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Ein Blick auf Kants vorkritische Ontologie aus der Perspektive der kritischen Philosophie
On the Real Progress of Kant’s Thoughts on Freedom and Psychological Personality
Kants Vermögensmetaphysik
Kants Fortschritte auf dem langen Weg zur konsequent-kritischen Metaphysik
Die Kennzeichnung des »dritten Stadiums« der neueren Metaphysik als »Theologie« in Kants später Preisschrift und damit verbunden
Der Begriff der praktisch-dogmatischen Metaphysik
Von der Wissenschaft zur Weisheit. Kant über die Fortschritte der Metaphysik1
Epochen und Stadien der Metaphysik der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift
Kant’s Late Metaphysics: On »Metaphysics Proper« in the Fortschritte der Metaphysik
Kant als Historiker der Metaphysik ein Fortschritt ohne Geschichte1
Die Tendenz der Metaphysik zur Physik
Autorenverzeichnis

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Andree Hahmann | Bernd Ludwig (Hg.)

Über die Fortschritte der kritischen Metaphysik Beiträge zu System und Architektonik der kantischen Philosophie

Kant-Forschungen · Band 22

Meiner

KANT-FORSCHUNGEN Begründet von Reinhard Brandt und Werner Stark Band 22

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Andree Hahmann / Bernd Ludwig (Hg.)

Über die Fortschritte der kritischen Metaphysik Beiträge zu System und Architektonik der kantischen Philosophie

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹ http://portal.dnb.de › abrufbar. ISBN 978-3-7873-3014-0 ISBN eBook: 978-3-7873-3015-7

www.meiner.de

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Inhalt Andree Hahmann und Bernd Ludwig Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Andree Hahmann Ein Blick auf Kants vorkritische Ontologie aus der Perspektive der kritischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Steven Tester On the Real Progress of Kant’s Thoughts on Freedom and Psychological Personality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Dietmar H. Heidemann Kants Vermögensmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Bernd Ludwig Kants Fortschritte auf dem langen Weg zur konsequent-kritischen Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Rudolf Langthaler Die Kennzeichnung des »dritten Stadiums« der neueren Metaphysik als »Theologie« in Kants später Preisschrift und damit verbundene systematische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Mario Caimi Der Begriff der praktisch-dogmatischen Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Günter Zöller Von der Wissenschaft zur Weisheit. Kant über die Fortschritte der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Andreas Brandt Epochen und Stadien der Metaphysik: der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

6 Inhalt

Marcos A. Thisted Kant’s Late Metaphysics: On »Metaphysics Proper« in the Fortschritte der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Antoine Grandjean Kant als Historiker der Metaphysik: ein Fortschritt ohne Geschichte . . . . . . 217 Ernst-Otto Onnasch Die Tendenz der Metaphysik zur Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Einleitung Andree Hahmann und Bernd Ludwig

Mit Blick auf die Rezeption und Auslegung der kantischen Philosophie lassen sich abhängig von vorgängigen Interessen und Vorlieben immer wieder andere und zum Teil auch widerstreitende Schwerpunktsetzungen feststellen. Kant als einen Metaphysiker ernst zu nehmen, ist ein gewichtiges Projekt des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Martin Heidegger war nicht der erste und auch nicht der einzige, der diesen Aspekt der kantischen Philosophie hervorgehoben hat. Zu dieser Zeit finden sich ähnliche und damals auch höchst wirkungsvolle Ansätze etwa bei Wilhelm Wundt und später bei Heinz Heimsoeth, die beide auf die Verbindungen Kants zu seinen rationalistischen Vorgängern hinweisen und diese auch in ihren (heute eher selten berücksichtigten) Werken ausgearbeitet haben. Dass diese Auslegungen zum Teil recht schnell wieder vergessen wurden, liegt (neben den damit mitunter verbundenen Vereinnahmungsversuchen Kants für eine vermeintlich genuin deutsche Philosophie) auch daran, dass in der seit längerem dominanten angelsächsischen Diskussion der kantischen Philosophie das Interesse eher bei entweder erkenntnistheoretischen oder aber praktischen Fragestellungen liegt.1 Hinzu kommt ein allgemeines Desinteresse an, ja oft sogar eine Zurückweisung von metaphysischen Fragestellungen, weshalb sich im Laufe des 20. Jahrhunderts eine eher moderate, antimetaphysische Lesart der kantischen Philosophie durchgesetzt hat. Diese Diagnose ist freilich oberflächlich und nicht sonderlich differenziert. Doch hilft dieser kurze Überblick vielleicht zu verstehen, warum die hier im Vordergrund stehende kantische Schrift Über die Fortschritte der Metaphysik so überraschend wenig Aufmerksamkeit in der Kantforschung der letzten Jahre erfahren hat und stattdessen eher stiefmütterlich behandelt wurde. Das fängt erst langsam an sich zu ändern, bedingt vor allem durch das Wiedereinsetzen eines allgemeinen Interesses an Metaphysik, aber auch durch die Wiederentdeckung der Einsicht, dass die kantische Philosophie nicht nur ihren Ursprung in der nach-wolffschen Philosophie des 18. Jahrhunderts hat, sondern dass Kant mit seinen Fragestellungen insgesamt dieser philosophischen Strömung sehr viel näher bleibt, als die bislang eher auf die empiristische Tradition hin ausgelegten Interpretationsansätze bemerkt haben. Vor diesem Hintergrund nimmt nun die aus dem Nachlass veröffentlichte (sog.) Preisschrift eine besondere Stellung ein, erlaubt sie doch einen wertvollen Blick auf die Herausarbeitung und Bewertung der Entwicklung der kantischen Philosophie insge1  Auf wichtige Ausnahmen sowie einen neuerdings einsetzen Wandel weist Heidemann in seinem Beitrag hin.

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samt und insbesondere der reifen Architektonik des kritischen Systems. Denn in der leider nur Fragment gebliebenen Schrift gibt Kant eine Antwort auf die Preisfrage der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1791 nach den wirklichen Fortschritten der Metaphysik seit Leibniz’ und Wolffs Zeiten, und zwar indem er diese Frage zugleich zum Anlass nimmt, die Ergebnisse seines eigenen transzendentalphilosophischen Ansatzes in Beziehung zu den Errungenschaften seiner philosophischen Vorgänger zu setzen und zu bewerten. Man muss wissen, dass zu diesem Zeitpunkt alle drei Kritiken bereits erschienen sind und Kant mithin die endgültige Architektonik seiner kritischen Philosophie vor Augen stand. Allein das verschafft dem Text bereits eine besondere Bedeutung und gibt ihm in gewisser Weise ein Alleinstellungsmerkmal. Bekanntlich hatte Kant zum Zeitpunkt der Publi­kation der Kritik der reinen Vernunft noch keine weitere Kritik geplant. Mit dem in der Transzendentalen Methodenlehre der Schrift von 1781 vorgestellten »Kanon der reinen Vernunft« sollten auch die Teile der praktischen Philosophie allesamt als abgehandelt gelten, die einer reinen Vernunftlehre ihren Platz finden können: Das gilt insbesondere für die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele, die dann in der Dialektik der zweiten Kritik erneut abgehandelt werden. Ähnlich unerwartet erschien 1790 die Kritik der Urteilskraft, von deren Notwendigkeit selbst 1788, in der Kritik der praktischen Vernunft, noch nicht die Rede war und deren zweiter Teil mit der Naturteleologie ein Problemfeld erneut bearbeitet, dem bereits der Anhang zur Dialektik der ersten Kritik gewidmet war. Zwischen der Publikation der ersten und zweiten bzw. zweiten und dritten Kritik haben sich also bezüglich der kritischen Architektonik signifikante Umschichtungen ergeben. Vor diesem Hintergrund bietet die Preisschrift eine geradezu einzigartige Perspektive nicht allein auf die allgemeine Architektonik der kritischen Philosophie, sondern zudem auf Kants eigentliche Metaphysik, die Lehre vom Übersinnlichen. Die Schrift liefert dabei nicht nur einen Eindruck des Gesamtsystems der kritischen Philosophie, sondern Kant weist darin die auch mit den jeweiligen Kritiken verbundenen Ansprüche einem bestimmten Ort innerhalb dieses Projekts zu. Hierbei zeigt sich nun, dass die in den einzelnen Kritiken selbst erhobenen Ansprüche zuweilen revidiert bzw. modifiziert werden. Vor diesem Hintergrund wird auch die Zielsetzung dieses Sammelbands ersichtlich. Die Beiträge thematisieren den metaphysischen Ursprung und die metaphysische Stoßrichtung der kantischen Philosophie. Das geschieht vor allem im Ausgang von und mit Blick auf die kantische Preisschrift. So wird deren Sonderstellung genutzt, um ausgehend von ihr einerseits einen Blick zurück auf die Entwicklung der kritischen Philosophie sowie deren Architektonik in Abgrenzung zur rationalistischen Schulphilosophie und andererseits einen Blick nach vorn zur vermeintlich nachkritischen Revision der Systematik im Opus postumum zu werfen.



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Zur Entwicklung der kantischen Philosophie Die Genese der kantischen Philosophie wird gewöhnlich unterschieden in eine vorkritische und eine kritische Phase. Diese Unterscheidung ist vor allem dem Fokus auf die theoretische Philosophie Kants geschuldet, weshalb hierfür das Datum der Publikation der Kritik der reinen Vernunft entscheidend ist. Entsprechend gilt das Jahr 1781 als Wendepunkt in der Beurteilung der kantischen Philosophie. Diese Unterscheidung, die zum Teil auch der kantischen Selbsteinschätzung geschuldet ist, hat mehrere Konsequenzen. Allein bei einer ersten oberflächlichen Betrachtung wird ersichtlich, dass die sog. kritische Phase von Kants Philosophie den Großteil der Aufmerksamkeit in der Literatur auf sich gezogen hat, wohingegen die vorkritischen Werke deutlich weniger Beachtung gefunden haben. Die frühen Werke lassen jedoch den leibniz-wolffschen Ursprung der kantischen Philosophie noch sehr viel deutlicher hervortreten, da Kant sich hier nicht nur der Terminologie seiner Vorgänger bedient, sondern auch viele der von ihnen behandelten Fragestellungen explizit übernimmt. Die Vernachlässigung der vorkritischen Philosophie hat daher auch eine ›nichtmetaphysische‹ Lesart der sog. kritischen Philosophie begünstigt. Oder man hat schlichtweg viele der auch später noch anzutreffenden metaphysischen Aussagen Kants als nicht ernst zu nehmende Relikte aus früheren Phasen abgetan. Das ändert sich freilich, wenn die vorkritische Philosophie selbst verstärkt beachtet wird, so wie es unlängst in neueren Studien zur Entwicklung einzelner Fragestellungen der kantischen Philosophie geschehen ist.2 Es wird in der Forschung schon lange vermutet, dass diese einfache Einteilung selbst aus verschiedenen Gründen problematisch ist. Gegen sie spricht etwa, dass die bereits 1771 veröffentlichte Inauguraldissertation wesentliche Elemente der späteren, dann als kritisch betrachteten Philosophie aufweist und vor allem den ersten Teil der Kritik der reinen Vernunft, die transzendentale Ästhetik, prinzipiell antizipiert. Zumindest die Inauguraldissertation nimmt also eine gewisse Sonderstellung ein. Hinzu kommen die Vorlesungen zur Moralphilosophie der 1770er Jahre, in denen Kant bereits viele seiner späteren Gedanken vorwegnimmt und die damit im Hinblick auf die Erläuterung der Entwicklung auch und gerade der praktischen Philosophie eine besondere Bedeutung einnehmen. Vor allem der Umgang mit der Inauguraldissertation macht jedoch zugleich deutlich, dass man bedacht darauf sein muss, die Unterschiede zwischen diesen Texten und den späteren im Blick zu behalten. Kant unterscheidet 1770 zwar bereits zwischen einer durch die subjektiven Formen der Anschauung bestimmten und einer auf reinen Vernunftbegriffen gegründeten Welt, doch ist für ihn eine Erkenntnis der letzteren zu diesem Zeitpunkt nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Die Mög2  Siehe etwa Martin Schönfeld, The Philosophy of the Young Kant: The Precritical Project, Oxford 2000; Eric Watkins, Kant and the Metaphysics of Causality, Cambridge 2005; Andree Hahmann, Kant im Widerspruch zu Leibniz. Kritische Metaphysik der Substanz, Berlin, New York 2009; Corey Dyck, Kant and Rational Psychology, Cambridge 2014.

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lichkeit einer solchen Erkenntnis aus bloßen Begriffen markiert hingegen einen entscheidenden Unterschied zur späteren Konzeption der Kritik der reinen Vernunft. Auch der Gebrauch der Vorlesungsnachschriften ist mit besonderen Schwierigkeiten belastet. In erster Linie muss man bedenken, dass Kant dort einen Stoff behandelt, der sich an den zum philosophischen Unterricht vorgesehenen Schulbüchern orientiert. Hinzu kommt, dass es sich um Mitschriften handelt, banale Fehler oder Verständnisschwierigkeiten daher nicht auszuschließen sind. Noch schwerer wiegt jedoch, dass sich innerhalb der praktischen Philosophie Kants ebenfalls eine Entwicklung selbst nach dem Einschnitt von 1781 nachweisen lässt. Diese Veränderungen betreffen indes keine geringfügigen Punkte. So führt erst die Grundlegung 1785 den Autonomiebegriff ein, und die Kritik der praktischen Vernunft setzt wenig später mit ihrer »Faktum«-Lehre wesentliche Überlegungen der Grundlegung wieder außer Kraft – Entwicklungsschritte, die in der aktuellen Wahrnehmung der kantischen Philosophie aus systematischer Perspektive durchaus entscheidende Errungenschaften betreffen. Nimmt man überdies das kantische Spätwerk oder Opus postumum in seinem Anspruch ernst, wird die Einteilung in ›vorkritische‹ und ›kritische‹ Philosophie noch problematischer. All das macht es geboten, die sog. kritische Architektonik selbst noch einmal unter diesen genetischen Aspekten zu durchdenken.

Zur Architektonik des kritischen Systems In der Architektonik des kritischen Systems lassen sich grundlegende Veränderungen und Umgestaltungen feststellen. Bereits rein äußerlich unübersehbar ist der erwähnte Übergang von der einen Kritik zu den drei Kritiken. Dabei gewinnt die in der Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft vorgezeichnete Deutung der Metaphysik als eine praktisch-dogmatische Lehre zunehmend an Bedeutung, auch wenn freilich noch offen bleibt, wie dies genau zu verstehen ist oder wie die Unterscheidung von theoretisch- und praktisch-dogmatischer Metaphysik sich etwa zu der anderen von Kant formulierten Unterscheidung zwischen einer Metaphysik der Natur und einer Metaphysik der Freiheit verhält. In der Preisschrift (wie auch andeutungsweise bereits in der Kritik der praktischen Vernunft) wird dann tatsächlich noch eine weitere Neubestimmung des Verhältnisses der kritischen Metaphysik zur traditionellen vollzogen, indem die traditionelle Trias von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Strukturelement auch einer kritischen Metaphysik erklärt wird. Dies ist insofern bedeutsam, als es in der Kritik der reinen Vernunft durchaus noch so erscheinen konnte, als gäbe es gar keinen spezifischen inhaltlichen Kern einer kritischen Lehre vom Übersinnlichen, die ihrerseits noch einmal neben die beiden Metaphysiken von Natur und Sitten treten könnte. Wo hätten dann aber Gott und Unsterblichkeit positiv zum Thema werden können (wie es ja zumindest der Kanon forderte)? Dabei wird von Kant in allen Phasen der ›kritischen‹ Philosophie die traditionelle metaphysische Vormachtstellung der Ontologie zurückgewiesen. Deren »stol-



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zer Name« wird von dem einer »Analytik der reinen Verstandesbegriffe« abgelöst und letzterer bezeichnet jene kritische Lehre, die wesentlich in der Kritik der reinen Vernunft ausgebreitet wird und die Kant zur Propädeutik einer eigentlich praktischdogmatischen Metaphysik erklärt. Gibt es bei Kant am Ende überhaupt eine Gesamtkonzeption der Philosophie, in der alle diese Elemente, die Kritiken genauso wie das ›Doktrinale‹, zu einem kohärenten Ganzen zusammenwachsen, oder bleibt es bei einem fragmentierten Programm, von dem nicht einmal klar ist, ob seine projektierte Umsetzung überhaupt auf eine schlüssige Gesamtarchitektonik hinausweist?

Die Beiträge Den Band eröffnet ein Beitrag von Andree HAHMANN, der die vorkritische Onto­ logie aus der Perspektive der späten Preisschrift thematisiert. Das verdeutlicht zum einen die Gemeinsamkeit, die die kantische Philosophie mit ihren Vorgängern teilt. Denn so wie diese hat auch Kant 1755 noch Ontologie, Kosmologie und Theologie eng miteinander verschränkt, d. h., metaphysische Fragen größtenteils ontologisch behandelt. Zum anderen zeigt sich jedoch, dass Kant die rationalistische Metaphysikkonzeption der leibniz-wolffschen Philosophie bereits zu diesem Zeitpunkt entschieden kritisiert und zurückgewiesen hat. Kant hat also schon früh eine kritische Position hinsichtlich der traditionellen Metaphysik eingenommen. Dabei zeichnet sich die kantische Darstellung auch in dieser frühen Phase seiner Entwicklung durch ein hohes Maß an Originalität und Eigenständigkeit aus. Dieselben Fragestellungen werden von Kant später erneut aufgegriffen und dann im Licht der neugewonnenen Erkenntnisse einer neuartigen, und zwar kritischen Lösung zugeführt. Mit Blick auf die traditionelle, vorkritische Metaphysik ebenso wie auf die praktisch-dogmatische, (nach)kritische Metaphysik nimmt die Konzeption des höchsten Guts eine besondere Rolle ein, welche somit sozusagen als Vermittler zwischen vorkritischer Metaphysik und kritischer Philosophie fungiert. Das macht wiederum eine gewisse Kontinuität im kantischen Denken sichtbar, das sich schrittweise von der kritisierten Metaphysikkonzeption der Vorgänger hin zu einer praktisch-dogmatischen Metaphysik fortentwickelt hat. Steven TESTER widmet sich in seinem Aufsatz der für die kantische Entwicklung insgesamt ungemein bedeutsamen Fragestellung der moralischen Zurechnung. Ausgehend von einer Betrachtung der kantischen Vorlesungen und Reflexionen zur rationalen Psychologie aus den 1760er und 1770er Jahren formuliert Tester die für Kant wesentlichen theoretischen Bestimmungen der Seele für seine Diskussion von Freiheit und Personalität. In der Kritik der reinen Vernunft unternimmt Kant zwar den Versuch, sich von dieser Position zu entfernen und sich von seinen vorkritischen Ansichten zur Personalität und Freiheit kritisch zu distanzieren, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch ohne Erfolg. Erst die Kritik der praktischen Vernunft vollendet die Entwicklung, auch wenn die dort von Kant vorgestellte Position zumindest

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prima vista unter einem erheblichen Defizit leidet. So fehlt dem ersten Anschein nach die für moralische Zurechnung wichtige Bestimmung der Personalität, welche in den älteren Ansätzen dominiert hat. Tester zeigt nun, dass hierzu eine weitergehende Theorie zur Beharrlichkeit der Seele benötigt wird, welche nur aus dem übergeordneten Argumentationszusammenhang der Kritik der praktischen Vernunft extrahiert werden kann. Daraus ergeben sich nun aber die für die moralische Zurechnung notwendigen Eigenschaften der Unsterblichkeit und der psychologischen Personalität. Das macht wiederum klar, dass Kant auch in seinem späteren Werk die rationalistische Konzeption der Seele nicht vollständig zurückweist, sondern eine modifizierte Version vorlegt, die letztlich der Kritik an der rationalistischen Psychologie nicht anheimfällt. Dietmar HEIDEMANN nimmt kritisch Stellung zu dem Versuch, die reife kantische Philosophie ausgehend von vorkritischen Positionen zu beleuchten und verortet diesen Versuch selbst in einen größeren Zusammenhang, der durch das erneute Interesse an metaphysischen Fragestellungen bedingt wird. Heidemann betont noch einmal, dass die Unterschiede zwischen vorkritischer und kritischer Philosophie nicht nivelliert werden dürfen. So unterstreicht er, dass Kant Metaphysikkritiker ist und das der Sache nach auch bleibt. Im Herzen der kantischen Philosophie und folglich auch seiner Kritik liegt jedoch seine eigene »Vermögensmetaphysik«, das ist die Trennung in zwei Erkenntnisstämme: Sinnlichkeit und Verstand. Beide Vermögen sind irreduzibel und verfahren kooperativ in ihrer Erkenntnisaktivität. Hinzu kommt, dass ihr Ursprung unerkennbar ist. Heidemann grenzt diesen Ansatz von der leibnizschen Theorie des dunklen und klaren Vorstellens ab, um vor diesem Hintergrund die von Kant als Begründung seines eigenen kognitiven Dualismus vorgebrachten Argumente kritisch zu beleuchten. Dabei wird insbesondere die Bedeutung der so herauskristallisierten »Vermögensmetaphysik« für Kants eigene Metaphysikkritik diskutiert. Einen übergeordneten Blick auf die Architektonik unter Einbeziehung der praktischen Philosophie liefert Bernd LUDWIG, der in der Entwicklung der kantischen Metaphysikkonzeption zwei bedeutsame Schritte rekonstruiert: 1781 löst mit der Kritik der reinen Vernunft eine Moral-Theologie sowohl die spekulative Theologie als auch die rationale Psychologie als Grundlagen der Gottes- und der Unsterblichkeitslehre ab. Erst mit der Kritik der praktischen Vernunft tritt dann 1787/88 eine Moral-Eleuterologie an die Stelle der noch bis 1785 ausdrücklich als spekulativ charakterisierten Lehre von der Willensfreiheit. Damit verliert die rationale Psychologie ihre Bedeutsamkeit auch für die Freiheitslehre: Erst mit diesem zweiten Schritt wird der Weg frei für die Konzeption einer praktisch-dogmatischen Metaphysik, die endgültig jeden Anspruch auf eine spekulative Erkenntnis der Intelligibilia – als da wären: Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit – zurückweisen kann, ohne dabei die praktische Objektivität ihrer Ideen infrage zu stellen. Rudolf LANGTHALER verlegt mit seinem Beitrag den Fokus dann ganz auf die kantische Preisschrift. Für ihn liegen vor allem theologische Aspekte im Bereich der Drei-Stadien-Lehre der Preisschrift im Zentrum des kantischen Interesses, die



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im dritten (praktisch-dogmatischen) Stadium die Theologie als Leitdisziplin nennt; Langthaler unternimmt den Versuch, eine Veränderung der Postulatenlehre dahingehend aufzuweisen, dass die drei praktischen Ideen nun ein teleologisches Gefüge bilden, das sich von der früheren Ethikotheologie noch einmal bedeutsam unterscheidet. Erst mit der Preisschrift (und nicht etwa bereits zur Zeit der dritten Kritik) zeigt sich bei Kant eine schlüssige Konzeption der Metaphysik. Der Aufsatz von Mario CAIMI betont den Umstand, dass die von Kant propagierte Wende in der Metaphysik insbesondere eine Deutung als praktische dogmatische Metaphysik zur Folge hatte. In der Preisschrift scheint Kant nun prima vista die Möglichkeit einer gewissen Erkenntnis des Übersinnlichen zu behaupten, auch wenn er dies mit der Einschränkung versieht, dass es sich um keine theoretische Erkenntnis handle. Kant nennt diese Erkenntnis »praktisch-dogmatische Metaphysik«. Caimi vermutet, dass Kant damit eine neue Wissenschaft vorstellt, deren Entstehung zum einen von der Vollständigkeit der Kritik der dogmatischen Metaphysik abhängt und zum anderen die Entdeckung des absoluten Faktums des moralischen Gesetzes voraussetzt. Neuartig ist die Wissenschaft, weil sie deckungsgleich mit einer praktischen Metaphysik sein kann. Dabei stimmen ihre Objekte und ihre Erkenntnisansprüche weiterhin mit der traditionellen (theoretischen) Metaphysik überein. Verschieden ist lediglich ihr Begründungsansatz. So basiert sie auf dem Faktum der praktischen Vernunft. Damit enthält die praktisch-dogmatische Metaphysik weder rein theoretische noch rein praktische Erkenntnisse, was sie als völlig neue Form von Wissenschaft auszeichnet. Ebenfalls dem Metaphysikbegriff Kants, verstanden in der systematischen Spanne zwischen Wissenschaftslehre und Weisheitslehre, ist der Beitrag von Günter ZÖLLER gewidmet. Ausgehend von der Erörterung des Verhältnisses von transzendentaler Kritik und theoretischer Metaphysik wird Kants kritische Konzeption einer praktisch-dogmatischen Metaphysik im Einzelnen diskutiert. Zöller sieht in der Preisschrift schließlich eine »triplizitäre Postmetaphysik«, deren Gegenstand das Übersinnliche »in uns, über und nach uns« sein soll. Andreas BRANDT hat sich in seinem Beitrag der Fortschrittskonzeption der Preisschrift angenommen, die der kantischen Bewertung der Ansätze seiner Vorgänger und auch der Einordnung einer eigenen philosophischen Position zugrunde liegt, mit dem Ergebnis, dass Kant Metaphysik generell als Disziplin des Fortschreitens vom Sinnlichen zum Übersinnlichen definiert und einen historischen Fortschritt (»Epochen«) mit einem systematischen Fortschritt (»Stadien«) in einer Theorie der Philosophiegeschichte verbindet. Dabei geht es einmal um die Wissenschaftsgeschichte seit Leibniz, sodann auch um eine systematische Erweiterung der Erkenntnis im Sinne des »Überschritts vom Sinnlichen zum Übersinnlichen«, der für Kants Konzept der Metaphysik charakteristisch ist. Die »Stadien« sind dabei Behandlungsarten oder Paradigmen des metaphysischen Denkens, das sich im Erkenntnisfortschritt vom Sinnlichen zum Übersinnlichen verändert, je nach Art des Mediums, in dem fortgeschritten wird. Die Originalität des Entwurfs besteht nun laut Brandt darin, dass Kant eine Konvergenz von historischer und systematischer Ent-

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wicklung zu zeigen versucht, die sich aber in der Durchführung als problematisch erweist. Zu einer anderen Einschätzung des kantischen Unternehmens kommt Marcos THISTED in seinem Aufsatz, der sich ebenfalls auf die systematische Ableitung der drei Stadien der Metaphysik konzentriert. In Betracht zieht Thisted vor allem den zweiten Entwurf der Preisschrift, dessen Kohärenz auch mit Hinblick auf Kants übergeordnetes Metaphysikverständnis aufgezeigt werden soll. Seinen Fokus legt Thisted hierbei auf die kritische Begründung der Einteilung in drei Stadien und die dahinter stehende Architektonik des metaphysischen Systems. Als die eigent­ liche Metaphysik beinhaltet sie ein neues System, welches den logischen Übergang vom »theoretico-dogmatischen« zum »practisch-dogmatischen« Vernunftgebrauch aufzeigt. Diese eigentliche Metaphysik ist es nun, die von Kant in drei Stadien unterschieden wird, und zwar Wissenschaftslehre, Zweifellehre und Weisheitslehre. Erstere bezieht sich auf das apriorische Wissen der Objekte der Sinne, die Zweifel­ lehre beinhaltet die Anleitung zum Übergang vom Wissen des Sinnlichen zum Übersinnlichen und letztere argumentiert für ein praktisch-dogmatisches Wissen, was zugleich das letzte Stadium der Metaphysik darstellt. Für Thisted folgt diese Einteilung aus der Natur der reinen Vernunft selbst, weshalb entsprechend auch die systematische Grundlegung der Einteilung durch die Kritik eben jenes Vernunftvermögens geschieht. Antoine GRANDJEAN argumentiert in seinem Aufsatz dafür, dass die kantische Auffassung der Geschichte der Philosophie nur auf paradoxe Weise einer Philosophie der Geschichte zugeordnet werden kann, und zwar nur insofern, als sie zeigt, dass es eine Geschichte der Metaphysik niemals geben kann, wenn mit ›Geschichte‹ so etwas wie eine qualitativ differenzierte Zeitlichkeit gemeint sein soll. Die Frage wird gestellt ausgehend von der Fortschrittsproblematik, was eine zeitliche Dimension implizit zu enthalten scheint. Aus diesem Grund ist es laut Grandjean auch nachvollziehbar, dass eine oberflächliche Lektüre der kantischen Antwort auf die akademische Frage nach den Fortschritten der Metaphysik zu einer genau entgegengesetzten Einschätzung gekommen ist. Dagegen stellt Grandjean heraus, dass die Metaphysik wesentlich ein Fortschreiten vom Sinnlichen zum Übersinnlichen beinhaltet, wobei sich der Überschritt laut Kant in drei Stadien vollzieht, die wiederum auf die systematischen Punkte der Kritik der kritischen Philosophie gespiegelt werden. Gleichwohl kann die Metaphysik aus ebenso wesentlichen Gründen nur ahistorisch sein. Das soll laut Grandjean vor allem durch den dritten von Kant aufgezeigten Schritt bestätigt werden, da hierdurch die Zirkularität der beiden ersten Schritte (des dogmatischen und des skeptischen) durchbrochen wird. Das macht laut Grandjean zugleich deutlich, dass die kritische Philosophie anders als Hegels System keine wirkliche Philosophie der Geschichte bietet. Abgerundet wird der Blick auf die kantische Metaphysikkonzeption durch den Beitrag von Ernst-Otto ONNASCH, der die Perspektive systematisch auf das kantische Nachlasswerk, das sog. Opus postumum, erweitert. Onnasch stellt ausgehend von diesen späten Entwürfen die Frage nach einer Lücke im kantischen System,



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sodass das Nachlasswerk als Antwort auf eine vermeintliche Schwierigkeit innerhalb der Architektonik des kritischen Systems erscheint. Mit dieser Lücke verbindet Onnasch eine »Tendenz« in der Metaphysik selbst, d. h. eine Aufforderung zum Übergang, was schließlich zur Modifikation der ursprünglichen Architektonik des kritischen Systems führt. De facto wird zwischen kritischer Philosophie und Meta­ physik ein weiteres philosophisches Teilstück eingeschaltet, welches dem Übergang von der Metaphysik zur Physik bzw. der Anwendung reiner Prinzipien auf Erfahrung gewidmet ist. Damit einher geht laut Onnasch, dass der Metaphysik von Kant eine neuartige Funktion beigemessen wird, und zwar sollen die synthetischen Prinzipien a priori nicht länger bestätigt, sondern deren Realität soll dargelegt werden, d. h., die Anwendbarkeit der reinen metaphysischen Prinzipien auf einen empirischen Bereich erwiesen werden. Angelpunkt des kantischen Arguments ist, dass die Existenz eines Stoffes (der sog. Ätherstoff) als Grundlage der Erfahrungseinheit aus dem Denken entwickelt wird, um so die systematische Einheit der Physik zu garantieren. In diesem Band wird auf die Kritik der reinen Vernunft, wie üblich, mit den Seitenzahlen der ersten (A) und zweiten (B) Auflage verwiesen, auf die übrigen KantTexte mit Bandnummer, Seiten- und ggf. Zeilenzahl der Ausgabe der KöniglichPreußischen Akademie der Wissenschaften (und deren Nachfolgern), Berlin 1902 ff.

*** Die Beiträge zu diesem Band gehen größtenteils auf eine Tagung zurück, die im September 2014 an der Georg-August-Universität Göttingen stattfand. Wir danken allen Teilnehmern für ihren Beitrag zum Gelingen der Tagung und der DFG für die finanzielle Förderung. Für ihre tatkräftige und kompetente Unterstützung bei der Organisation und Durchführung der Tagung bedanken wir uns bei Iris Karakus sowie bei Mortezza Fakharian und Armin Schneider für die vorbildliche redaktionelle Begleitung der Publikation.

Ein Blick auf Kants vorkritische Ontologie aus der Perspektive der kritischen Philosophie Andree Hahmann In seinem zweiten Kantbuch merkt Heidegger an, dass der Titel der im Jahr 1755 von Kant veröffentlichten Habilitationsschrift Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis (Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio) auch über der fast 30 Jahre später erschienenen Kritik der reinen Vernunft hätte stehen können.1 Diese Einschätzung mag zwar in Ansehung der erklärten Programmatik der frühen Habilitationsschrift mit Einschränkungen sinnvoll erscheinen, aber bereits ein erster Blick auf das kantische Vorgehen und die Anwendung der von ihm dort herausgestellten ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis deutet in eine ganz andere Richtung. Nimmt man nun hinzu, was Kant selber in der späten Preisschrift und der dort geäußerten Kritik an der älteren und vermeintlich dogmatischen Metaphysik anmerkt, wird schnell deutlich, wie sehr Kant 1755 noch eben dieser Form von Metaphysik anhängt. In der Preisschrift kritisiert Kant nämlich seine Vorgänger dafür, dass diese die ontologischen Prinzipien (die sich zwar in ihrer Anwendung auf mögliche Gegenstände der Erfahrung erstrecken können) über die Erfahrungsgegenstände hinaus zum Übersinnlichen erweitern und damit den Bereich verlassen, in dem sie allein gesetzgebend sind (20:262). Anders formuliert: Die Metaphysica generalis liefert die Antworten auf Probleme der Metaphysica specialis. In diesem Aufsatz soll der frühe kantische Ansatz und die dort formulierte Kritik an den Vorgängersystemen aus dem Blickwinkel von Kants eigener später Philosophie betrachtet werden. Mit der Diskussion der vorkritischen Position verfolge ich drei Ziele: Erstens soll an einem Beispiel herauskristallisiert werden, dass und wie Kant selber 1755 noch Ontologie, Kosmologie und Theologie miteinander verschränkt hat. Zweitens wird verdeutlicht, dass Kant trotz dieser Gemeinsamkeit mit der rationalistischen Metaphysikkonzeption die leibniz-wolffsche Philosophie schon 1755 in entscheidenden Punkten kritisiert und zurückweist. Ungeachtet der Nähe zu und der Übereinstimmung mit seinen Vorgängerpositionen hinsichtlich seines prinzipiellen Vorgehens übt Kant bereits hier massive Kritik an seinen Vorläufern und etabliert eine bislang nicht adäquat gewürdigte eigenständige Position. Drittens wird gezeigt, wie Kant in seiner sogenannten kritischen Philosophie wichtige Punkte aus dieser früheren Diskussion wieder aufgreift und dann im Licht der

1  Heidegger

1984, 104.

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neugewonnenen Erkenntnisse modifiziert. Das wirft wiederum ein Schlaglicht auch auf die kantische Entwicklung hin zur praktisch-dogmatischen Metaphysik, insbesondere aber die Stellung der kantischen Konzeption des höchsten Guts zwischen vorkritischer und konsequent kritischer Philosophie. Ich werde folgendermaßen vorgehen. Zunächst soll die kantische Behandlung des Problems der Verbindung der Substanzen in der Nova dilucidatio diskutiert werden. Das macht deutlich, wie der junge Kant die Beantwortung metaphysischer Fragen in der Ontologie gründet. Im Anschluss wird die Diskussion derselben Problematik in der Kritik der reinen Vernunft thematisiert. Schließlich gehe ich auf eine bislang wenig beachtete Stelle aus dem Abschnitt über den Kanon der reinen Vernunft ein und zeige, wie die zuvor herausgestellten vorkritischen Gedanken in einem neuen Gewand für die Systematik der kritisch revidierten Metaphysik relevant werden.

1. Göttlicher Verstand und influxus physicus In der 1755 veröffentlichten Neuen Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis oder kurz Nova dilucidatio konfrontiert Kant seine Vorgänger mit einem gravierenden Problem, das sich aus der Anwendung des Substanzbegriffs ergibt und die Frage der Verbindung der Substanzen zu einer Welt betrifft:2 Die einzelnen Substanzen, deren keine die Ursache des Daseins einer anderen ist, haben ein getrenntes, d. h. ohne alle anderen durchaus verständliches Dasein. Wird mithin einfach das Dasein einer beliebigen gesetzt, so ist in ihr nichts, was das Dasein anderer, von ihr verschiedener, dartäte. (1:413.3–6;3 Übersetzung: Monika Bock.) Demnach ist es unmöglich, aus dem Dasein einer Substanz auf das Dasein einer anderen Substanz zu schließen. Das ist deshalb so, weil andernfalls eine notwendige Verbindung zwischen beiden Substanzen gesetzt wäre. Diese Verbindung würde wiederum nach dem zuvor von Kant erläuterten Erkenntnisprinzip des Satzes vom zureichenden Grunde den Grund des Daseins der einen Substanz in eine andere verlegen. Das Ergebnis wäre, dass die einzelnen Substanzen keine selbstständige 2  Ganz ähnlich formuliert Kant bereits in seiner Wahren Schätzung, was ihn dort aber nur dahin führt, die Ausdehnung in der Kraft der Substanz zu gründen, da in der Kraft der vollständige Grund der Bestimmungen einer Substanz enthalten sein müsse. Siehe Wahre Schätzung, 1:24.1–7: »Weil alles, was unter den Eigenschaften eines Dinges vorkömmt, von demjenigen muß hergeleitet werden können, was den vollständigen Grund von dem Dinge selber in sich enthält, so werden sich auch die Eigenschaften der Ausdehnung […] auf die Eigenschaften der Kraft gründen […]«. 3  »Substantiae singulae, quarum neutra est causa exsistentiae alterius, exsistentiam habent separatam h. e. absque omnibus aliis prorsus intelligibilem. Posita igitur cuiuslibet ex­sis­ tentia simpliciter, nihil ipsi inest, quod arguat exsistentiam aliarum a se diversarum.«



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Existenz hätten. Es würde sich also nicht mehr um Substanzen, sondern Akzidenzen einer wahrhaft für sich bestehenden Substanz handeln.4 Das Problem wird an dieser Stelle relevant, weil Kant kurz zuvor gegen die Vertreter einer prästabilierten Harmonie behauptet, dass sich Substanzen nur aufgrund einer Änderung ihrer äußeren Verhältnisse, d. h. ihrer Verbindung zu anderen Substanzen, innerlich verändern können.5 Eine Modifikation des inneren Zustands der Substanz ist also auf äußere Verhältnisse angewiesen. Diese Kritik ist in erster Linie gegen Wolff gerichtet. Wolff sieht laut Kant den Grund für die Veränderung der inneren Bestimmungen einer Substanz in einer Kraft zur Veränderung, die der Substanz wesentlich angehört. Sollte die innere Veränderung der Substanz auf eine Modifikation ihrer äußeren Verhältnisse angewiesen sein, dann wäre aber, so Kant weiter, auch die leibnizsche Theorie der prästabilierten Harmonie unmöglich. Denn diese erlaubt in Kants Augen keine reale äußere Gemeinschaft der Substanzen, weil Leibniz anstelle des realen Einflusses eine nur begrifflich ideale Verbindung setzt.6 Wie könnte nun eine Verbindung der Substanzen aussehen, wenn diese aufgrund ihres Begriffs kausal isoliert sein müssen?7 Zunächst stellt Kant fest, dass trotz dieser Schwierigkeit, »alles im All in wechselseitiger Verknüpfung verbunden angetroffen wird«.8 Die Einheit der Substanzen ist eine Voraussetzung für die Ein4  Oder anders ausgedrückt, in logischer Hinsicht wäre die Substanz nicht mehr Subjekt, sondern Prädikat, das von einem anderen Subjekt ausgesagt wird. Damit gerät man aller­ dings in Widerspruch zur Definition der Substanz, wonach diese immer nur Subjekt, aber niemals Prädikat sein dürfe. Zur Definition der Substanz siehe etwa Refl. 3829, 17:305: »Die Begriffe der substantzen, in so fern sie abstrahirt seyn, sind nur respectiv: daher die Korper substantzen sind, in so fern sie die subiecten der inhaerentz ihrer accidentien seyn und keinem andern bekannten subiect inhaeriren; sie würden aber nicht substantzen heissen, in so fern sie wiederum ein ander subiect [seyn] haben, davon sie blos die Wirkungen seyn.« 5  Zur frühen Kritik Kants an seinen Vorgängerpositionen siehe ausführlich: Watkins 2005, bes. 100–180. 6 Leibniz, Monadologie §§ 51, 52, 56 = GP VI, 615 f.; GP IV, 292 (Leibniz gegen Descartes und den Cartesianismus); GP III, 634 ff. (Brief an Remond, 11.02.1715). 7  Langton sieht das als Beweis ihrer Reduktionismusthese an. Demzufolge wendet sich Kant gegen Leibniz, der die relationalen Bestimmungen der Substanz auf ihre inneren Bestimmungen reduziert habe, wohingegen diese den Substanzen extra hinzugefügt werden müssten: Langton 1998, 107–123. Siehe dagegen Watkins 2005, 141–144, der meiner An­sicht nach zu Recht auf die Probleme dieser Interpretation hinweist: Leibniz stimmt in diesem Punkt mit Kant überein, denn auch wenn für ihn die Substanzen (Monaden) in keinen wirkursächlichen Verhältnissen stehen, bedeutet das gerade nicht, dass sie nicht begrifflich aufeinander bezogen wären, und zwar in einer durch Finalursachen bestimmten und von Gott zu Beginn der Welt prästabilierten Ordnung. Seiner Ansicht nach kann es lediglich keine wirkursächlichen Verhältnisse zwischen ihnen geben, d. h., Leibniz schließt vires transeuntes aus. Es ist überdies fragwürdig, ob Kant diese übergehenden Kräfte zwischen einfachen Substanzen sieht. 8  1:413.13: »[…] nihilo tamen minus omnia in universo mutuo nexu colligata reperiantur […]«.

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heit der Welt und mithin die Erfahrung des Raumes, der das Ergebnis der Verbindung der Substanzen sein soll. Setzen sich die wahrnehmbaren Körper aus Substanzen zusammen, so werden auch alle wahrnehmbaren Veränderungen letztlich auf einer Modifikation der äußeren Beziehung der Substanzen beruhen müssen. Nun soll aber durch die Erfahrung erwiesen sein, dass es sowohl Raum als auch Veränderung unter den Körpern gibt. Daraus schließt Kant, »daß dies Verhältnis von der Gemeinsamkeit der Ursache, nämlich von Gott als dem allgemeinen Grund (Prinzip) der Daseienden abhängt« (1:413.13–15; Übersetzung: Monika Bock). Gott ist also das Prinzip der Gemeinschaft der Substanzen. Wie ist das gemeint? Das Schema des göttlichen Verstandes, der Ursprung des Daseienden, ist ein fortdauernder Akt, den man Erhaltung nennt, in welchem, wenn beliebige Substanzen für sich allein und ohne Verhältnis der Bestimmungen von Gott vorgestellt werden, keine Verknüpfung zwischen ihnen und keine wechselseitige Beziehung entstände; wenn sie aber in dessen Verstande als in Beziehung stehend vorgestellt werden, so beziehen sich die Bestimmungen später im steten Fortgang des Daseins dieser Vorstellung entsprechend immer aufeinander, d. h., sie wirken und wirken zurück, und es besteht ein äußerer Zustand der einzelnen, den es, wenn man von diesem Grundsatze abwiche, durch ihr bloßes Dasein gar nicht geben würde. (1:414.1–8;9 Übersetzung: Monika Bock, modifiziert.) Die Verbindung der Substanzen hat also ihre Quelle im göttlichen Verstand,10 genauer: im Schema des göttlichen Verstandes. Ich möchte an dieser Stelle nur anmerken, dass auch in späteren Texten die Konzeption des Schemas eine besondere Funktion hinsichtlich der Vermittlung des Intelligiblen mit dem Sinnlichen einnimmt. Ich denke dabei nicht nur an den Schematismus der Kritik der reinen Vernunft, sondern auch an die späten Entwürfe zum Privatrecht oder auch das Opus postumum. Was genau hat man sich unter dem Schema an dieser Stelle vorzustellen? Kant spricht von einem andauernden Akt, der zum einen die endlichen Substanzen in ihrem Dasein erhält und zum anderen für die Möglichkeit ihrer Vergemeinschaftung verantwortlich sein soll. Nur unter der Voraussetzung, dass die Substanzen   9  »Schema intellectus divini, exsistentiarum origo, est actus perdurabilis (conservationem appellitant), in quo si substantiae quaevis solitario et absque determinationum relatione a Deo conceptae sunt, nullus inter eas nexus nullusque respectus mutuus orietur; si vero in ipsius intelligentia respective concipiantur, huic ideae in continuatione exsistentiae conformiter postea determinationes semet semper respiciunt, h. e. agunt reaguntque, statusque quidam singularum externus est, qui, si ab hoc principio discesseris, per solam ipsarum exsistentiam nullus esse potest.« 10  Man beachte eine bemerkenswerte Parallele zur kantischen Position aus der Kritik der reinen Vernunft, denn auch dort sieht Kant den Grund der Gemeinschaft der Substanzen im Verstand, allerdings nicht im göttlichen, sondern im menschlichen, der mit quasi göttlichen Fähigkeiten ausgestattet wird: A 211–218 / B 256–265 (Dritte Analogie der Erfahrung). Siehe dazu Abschnitt 2.



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durch den göttlichen Verstand in Gemeinschaft stehend gedacht werden, können sie sich in ihrem Dasein tatsächlich aufeinander beziehen. Ohne göttliches Eingreifen könnte es also auch keine Gemeinschaft von Substanzen geben, da die reale kausale Verbindung zwischen ihnen dem Substanzbegriff selber widerspräche. Weil aber die Gemeinschaft der Substanzen, wie gesagt, empirische Realität ist, denn das beweist uns die Existenz der Körper, des Raumes usw., muss es auch einen gött­ lichen Verstand geben, der zugleich als Urheber der Substanzen und als Grund ihrer Vergemeinschaftung fungiert. Der göttliche Verstand als intuitus originarius denkt sich also im Akt der Erschaffung der Substanzen diese auf solche Weise, dass sich die Substanzen in ihren Bestimmungen real aufeinander beziehen (1:413.10–15).11 Daraus folgt aber zugleich, dass die aktuale Gemeinschaft der Substanzen a posteriori die Existenz Gottes beweist, da aus dem Gegebensein der Körper und des Raumes (beides beruht nach Kant auf einer Gemeinschaft von Substanzen; 1:414.10–12)12 notwendig auf dessen Möglichkeitsbedingung geschlossen werden kann: das Schema des göttlichen Verstandes. Werfen wir noch einen kurzen Blick auf das kantische Modell der Gemeinschaft der Substanzen und grenzen dieses von den zeitgenössischen Theorien ab: Mit den Vertretern der Theorie des physischen Einflusses der Substanzen (influxus physicus) und gegen Leibniz hebt Kant hervor, dass sich die Bestimmungen der Substanzen real und nicht bloß ideal aufeinander beziehen.13 Die Substanzen üben eine wechselseitige Wirkung aufeinander aus, d. h., eine Substanz bewirkt real etwas in einer anderen Substanz. Mit Leibniz und gegen die Vertreter der Theorie des physischen Einflusses betont Kant aber, dass diese reale Beziehung nur durch das Eingreifen des göttlichen Verstandes ermöglicht wird. Denn nur so können Substanzen, die bereits aufgrund ihres Begriffs »ein getrenntes, d. h. ohne alle anderen durchaus verständliches Dasein« haben (1:413.4–5; Übersetzung: Monika Bock),14 miteinander in Beziehung stehen und einander äußerlich sein. Die Gemeinschaft ließe sich wie gesagt aus ihrem Begriff allein nicht verständlich machen. Dass sich die Gemeinschaft der Substanzen niemals aus dem bloßen Begriff einer Substanz ergibt, ist für Kant sehr wichtig und wir werden im nächsten Abschnitt hierauf zurückkommen. 11  »Cum ergo, quatenus substantiarum singulae independentem ab aliis habent exsistentiam, nexui earum mutuo locus non sit, in finita vero utique non cadat, substantiarum aliarum causas esse, nihilo tamen minus omnia in universo mutuo nexu colligata reperiantur, relationem hanc a communione causae, nempe Deo, exsistentium generali principio, pendere confitendum est.« Zur Konzeption der göttlichen Anschauung siehe Klingner 2016. 12  »Quoniam locus, situs, spatium sunt relationes substantiarum, quibus alias a se realiter distinctas determinationibus mutuis respiciunt, hacque ratione nexu externo continentur […]«. 13  Das unterstreicht etwa Kants Lehrer Knutzen in seiner Schrift Systema causarum efficientium; ebenso Crusius, der in dieser Hinsicht als der wirkmächtigste Gegner der wolffschen Philosophie gelten darf. 14  »[…] exsistentiam habent separatam h. e. absque omnibus aliis prorsus intelligibilem.«

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Zuvor möchte ich aber noch auf drei Punkte aufmerksam machen. Erstens wäre es verfehlt, Kant unter dem Eindruck seiner Kritik an Leibniz vorschnell zu einem Vertreter der Theorie des physischen Einflusses zu erklären. Kant selber nennt seine Konzeption das verbesserte systema universalis substantiarum commercii und er distanziert sich explizit vom herkömmlichen influxus physicus, der seiner Ansicht nach in Anbetracht des Substanzbegriffs unhaltbar ist. Im Ergebnis weist Kants verbesserte Theorie des physischen Einflusses aber nicht nur Elemente der leibnizschen prästabilierten Harmonie auf, sondern sogar des Okkasionalismus’ Malebranches, den Kant hier als dritten Adressaten seiner Kritik nennt. Zweitens liefert Kant an dieser Stelle einen aposteriorischen Gottesbeweis, der der kantischen Auskunft zufolge anderen apriorischen Gottesbeweisen überlegen ist, da er von der Wirklichkeit des Raumes und der Körper auf dessen Möglichkeitsbedingung, den göttlichen Verstand, schließt. Drittens, und das kann an dieser Stelle nur angerissen werden, übernimmt Kant denselben Gedanken mit einigen Modifikationen auch in seine 1770 erschienene Inauguraldissertation.15 Dort sieht Kant sich lediglich genötigt, seine Konzeption 15  2:390.18–24; 2:407.23–27. 2: 408.13–19: »Substantiae mundanae sunt entia ab alio, sed non a diversis, sed omnia ab uno. Fac enim illas esse causata plurium entium necessariorum: in commercio non essent effectus, quorum causae ab omni relatione mutua sunt alienae. Ergo UNITAS in coniunctione substantiarum universi est consectarium dependentiae omnium ab uno. Hinc forma universi testatur de causa materiae et nonnisi causa universorum unica est causa universitatis, neque est mundi architectus, qui non sit simul creator.« Siehe auch die folgende, ungefähr aus dieser Zeit stammende Reflexion (Refl. 4137, 17:430.2–15): »Eine substantz der Welt mag nicht der Schopfer einer andern seyn, weil sie sonst von sich selbst (ihrer ganzen Existenz nach) abhangen würde (ob commercium). (Denn Dinge, die in commercio stehen, können nur durch das, was ihre Existentz als äusserlich abhangig moglich macht, in commercio stehen). Die substantia creatrix est extramundana. Der Schopfer einer substantz ist zugleich der Schopfer aller, weil sie alle übrige in abhangigkeit von dieser Versetzt. (Es ist keine Gemeinschaft ohne ein gemeines principium.) Die Erschaffung ist eine Einheit, d. i. es kamen nicht nach und Nach mehrere substantzen zu den erschaffnen hinzu. Denn sonst würden wir keine Regel oder Einheit zu dem Gebrauche unseres Verstandes haben. Wenn z. E. beym Wachsthum eines Baumes substantzen dazu entstünden; also muß das principium stabile perpetuum auch invariabile in Ansehung der qvantitaet seyn.« Es können nur alle Substanzen zusammen erzeugt bzw. vernichtet werden, das gebietet die Einheit des Verstandes. Eine Konsequenz daraus ist das Prinzip der Erhaltung der Substanz »in Ansehung der Quantität«. Siehe auch die folgende, mit Blick auf die in der Kritik der reinen Vernunft dargelegte Konzeption bemerkenswerte Reflexion (Refl. 4108, 17:418.21–419.3): »Der mundus vere intelligibilis ist mundus moralis. Die principien von deren Form gelten vor iedermann, und aus derselben kan man auf Gott schließen als die causam mere intelligibilem; aber dieser mundus intelligibilis ist kein obiect der Anschauung, sondern der reflexion. Das Anschauen Gottes würde zugleich intuitum intellectualem von der Welt geben. Diejenigen, welche einen intuitum mere intellectualem annehmen, der nach dem Tode natürlicher Weise anhebe, behaupten, das die Seele nach dem Tode in der Andern welt sich sehe und nicht dahin übergehe (Abscheiden der Seele), daß sie zu dem mundo immateriali als der wahren substantz ieder-



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noch einmal dezidiert von Leibniz’ prästabilierter Harmonie abzuheben. So weist er darauf hin, dass seine Theorie eine allgemeine Harmonie und keine spezielle, d. h. für die einzelnen Substanzen bestimmte Harmonie sei (2:409.10–13).16 Trotz vieler Unterschiede, die die Inauguraldissertation bereits von den vorkritischen Schriften trennen, ist sich Kant in diesem einen Punkt auch 1770 noch sicher, dass nämlich die Substanz aufgrund ihres Begriffs notwendig auf das Eingreifen Gottes angewiesen ist, um mit anderen Substanzen in einer Gemeinschaft stehen zu können. Wenden wir uns vor diesem Hintergrund nun der Kritik der reinen Vernunft zu.

2. Das Schema der Gemeinschaft In der Inauguraldissertation liegen bekanntlich schon wesentliche Ergebnisse der transzendentalen Ästhetik vor. In gewisser Weise unterscheidet Kant auch schon zwischen zwei Quellen der Erkenntnis: dort aber Sinnlichkeit und Vernunft. Die wesentliche Neuerung der Kritik der reinen Vernunft gegenüber der Inauguraldissertation besteht in der Zurückweisung der Erkenntnis aus bloßen Begriffen und der damit verknüpften Einschränkung des Erkenntnisanspruchs auf den Bereich möglicher Erfahrung. Fortan ist keine reine Begriffserkenntnis in spekulativer Absicht mehr möglich. Im Ergebnis bedeutet das, dass man zu keiner Erkenntnis der beiden Welten, des mundus sensibilis atque mundus intelligibilis, kommen kann. Stattdessen bezieht sich die menschliche Erkenntnis einzig auf die durch die Formen der Sinnlichkeit bestimmte Welt. Deren zeitliche und räumliche Einheit wird wiederum nicht durch das Schema des göttlichen Verstandes gesichert, sondern, und das ist bezeichnend, mittels der Applikation der schematisierten Kategorie der Gemeinschaft durch den menschlichen Verstand. Die Bestimmung der Anwendung wird von Kant in der dritten Analogie der Erfahrung diskutiert, die aus diesem Grund in der ersten Auflage als Grundsatz der Gemeinschaft überschrieben ist.17 Ich möchte im Folgenden nicht weiter auf die Funktion der Grundsätze eingehen. Uns interessiert an dieser Stelle vor allem, ob und wie Kant das oben ausgeführte Problem der Vergemeinschaftung der Substanzen ab 1781 thematisiert. Dass Kant dieses Problem auch noch in der Kritik der reinen Vernunft sieht, hierfür aber zeit gehöre, daß die cörperliche Welt nur eine gewisse sinnliche Erscheinung der geisterwelt sey, daß die Handlungen hier symbola von dem eigentlichen character in der intelligiblen welt seyn, und daß der tugendhafte nicht in den Himmel übergehe, sondern sich nur darin sehe.« 16  »Harmoniam autem talem voco generaliter stabilitam, cum illa, quae locum non habet, nisi quatenus status quilibet substantiae individuales adaptantur statui alterius, sit harmonia singulariter stabilita […].« – »Eine solche Harmonie aber nenne ich allgemein bestimmt, während diejenige, welche nur statthat, sofern beliebige individuelle Zustände einer Substanz dem Zustand einer anderen angepaßt werden, eine einzeln bestimmte Harmonie ist […].« (Übersetzung: Wilhelm Weischedel). 17  A 211: »Grundsatz der Gemeinschaft. Alle Substanzen, sofern sie zugleich sein, stehen in durchgängiger Gemeinschaft, (d. i. Wechselwirkung unter einander)«.

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eine neuartige Lösung im Sinn hat, verdeutlicht das nachfolgende längere Zitat, das sich in der allgemeinen Anmerkung zum System der Grundsätze findet: Endlich ist die Kategorie der Gemeinschaft ihrer Möglichkeit nach gar nicht durch die bloße Vernunft zu begreifen und also die objective Realität dieses Begriffs ohne Anschauung und zwar äußere im Raum nicht einzusehen möglich. Denn wie will man sich die Möglichkeit denken, daß, wenn mehrere Substanzen existieren, aus der Existenz der einen auf die Existenz der anderen wechselseitig etwas (als Wirkung) folgen könne, und also, weil in der ersteren etwas ist, darum auch in den anderen etwas sein müsse, was aus der Existenz der letzteren allein nicht verstanden werden kann? Denn dieses wird zur Gemeinschaft erfordert, ist aber unter Dingen, die sich ein jedes durch seine Subsistenz völlig isolieren [Herv. A. H.], gar nicht begreiflich. Daher Leibniz, indem er den Substanzen der Welt, nur wie sie der Verstand allein denkt, eine Gemeinschaft beilegte, eine Gottheit zur Vermittelung brauchte; denn aus ihrem Dasein allein schien sie ihm mit Recht unbegreiflich. Wir können aber die Möglichkeit der Gemeinschaft (der Substanzen als Erscheinungen) uns gar wohl faßlich machen, wenn wir sie uns im Raume, also in der äußeren Anschauung vorstellen. Denn dieser enthält schon a priori formale äußere Verhältnisse als Bedingungen der Möglichkeit der realen (in Wirkung und Gegenwirkung, mithin der Gemeinschaft) in sich. (B 292 f.)18 Das Zitat unterstreicht erstens, dass Kant auch 1781 noch der Auffassung ist, dass sich Substanzen ihrem Begriff nach »völlig isolieren« (B 293). Aus diesem Grund wird auch die Anwendung der Kategorie der Gemeinschaft ihrer Möglichkeit nach mit Hinblick auf ihren bloßen Begriff nicht begreiflich sein können. Denn die in diesem Begriff gedachte Gemeinschaft von Substanzen widerspräche der durch den Substanzbegriff vorausgesetzten absoluten Selbstständigkeit der Substanz.

18 Siehe auch die folgenden Reflexionen aus der Zeit nach der Publikation der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft: Refl. CIX E 39 – A 235 [s. B 294], 23:35.2–3: »Mundus phaenomenon oder ein Ganzes von Substanzen im Raum läßt sich leicht denken, aber gar nicht als noumenon, weil jene isolirt sind.« Refl. 5863, 18:371.14–15: »Im Begriffe des Raums liegts, daß eine substantz der Welt in eine andere nicht ein-fließen kan, ohne von ihr zu leiden.« Refl. 5985, 18:416.15–16: »Das commercium der substantzen als pha-enomene im Raum macht keine Schwierigkeit – das andere ist transscendent.« Refl. 5988, 18:416.24–417.3: »Das sind nicht drey systemata, das commercium zu erklären, sondern die harmonie der substantia-rum entweder per commercium oder absqve commercio. Jenes ist der influxus physicus. In der Sinnenwelt ist vermoge des Raumes schon eine Bedingung des commercii, und die äußere caussalitaet (des Einflusses) ist nicht schweerer zu begreifen, als die innere caussalitaet der actionum immanentium. Caussalitaet läßt sich gar nicht begreifen. Nehmen wir aber substantzen als noumena an (ohne Raum und Zeit), so sind sie alle isolirt; folglich anstatt des Raumes muß eine dritte substantz gedacht werden, darin sie alle unter einander in commercio stehen können per influxum physicum.«



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Zweitens folgt hieraus eine explizite Kritik an Leibniz, die sich implizit auch auf Kants eigene frühere Position richtet. Denn Leibniz, genauso wie der junge Kant aus den Jahren 1755 und 1770, hat Gott als Mittler der Gemeinschaft der Substanzen angesetzt, weil diese Gemeinschaft in Ansehung des Begriffs »mit Recht« (B 293), wie Kant hier noch einmal unterstreicht, nicht einsehbar sein soll. Hierin liegt, wie wir gesehen haben, der Fehler der gewöhnlichen Theorie des physischen Einflusses (influxus physicus), weshalb diese Theorie als solche von Kant bereits 1755 zurückgewiesen bzw. unter Zuhilfenahme des göttlichen Verstandes, wie wir oben gesehen haben, modifiziert wurde. Trotzdem ist der Rückgang auf den gött­ lichen Verstand an dieser Stelle nichts weiter als eine Verlegenheitslösung, die zwar begrifflich gefordert, aber noch immer falsch ist, wie Kant jetzt auf der Grundlage seiner transzendentalphilosophischen Konzeption darlegt. Drittens ermöglicht diese transzendentalphilosophische Konzeption auch eine neuartige Lösung des Problems: Denn das Problem stellt sich nicht mehr, sobald man die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere aber das Wesen des Raumes in Anschlag bringt: Der Raum als äußere Anschauungsform enthält in sich bereits »formale äußere Verhältnisse als Bedingungen der Möglichkeit der realen (in Wirkung und Gegenwirkung, mithin der Gemeinschaft)«. Insofern aber die reinen Verstandesbegriffe in ihrer schematisierten Form als allgemeine Regeln auf die Formen der Anschauung bezogen werden, wird auch verständlich, dass Kant in der dritten Analogie selber eine reale Gemeinschaft der Substanzen, die auf einem wechselseitigen Einfluss beruhen soll,19 behauptet. An dieser Stelle ist allerdings Vorsicht geboten: Denn man sollte die von Kant in der dritten Analogie ausgeführte Position nicht vorschnell mit der vorkritischen Theorie des physischen Einflusses in Verbindung bringen.20 Auch wenn Kant hier dem Namen nach einen allgemeinen, wechselseitigen Einfluss der Substanzen behauptet, besteht ein alles entscheidender Unterschied zur Theorie des influxus physicus, wie diese vor 1781 verstanden worden ist: Denn was Kant in der dritten Analogie in eine wechselseitige Gemeinschaft setzt, sind keine selbstständigen Substanzen, die durch ihre Gemeinschaft die Existenz des Raumes bewirken könnten. Stattdessen hat man es nur mit Substanzen in der Erscheinung, d. h. aber Substanzen, die bereits durch die beiden transzendentalen Anschauungsformen Raum und Zeit formal bestimmt sind, zu tun. Die Substanz in der Erscheinung hat im

19  A 214 / B 261: »Soll diese subjektive Gemeinschaft auf einem objektiven Grunde beruhen, oder auf Erscheinungen als Substanzen bezogen werden, so muß die Wahrnehmung der einen, als Grund, die Wahrnehmung der andern, und so umgekehrt, möglich machen, damit die Sukzession, die jederzeit in den Wahrnehmungen als Apprehensionen ist, nicht den Objekten beigelegt werde, sondern diese als zugleichexistierend vorgestellt werden können. Dieses ist aber ein wechselseitiger Einfluß, d. i. eine reale Gemeinschaft (commercium) der Substanzen […]«. 20  Hierin sehe ich ein Hauptproblem in Watkins ansonsten ausgezeichnetem Buch. Siehe ausführlich dazu Hahmann 2009.

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Gegensatz zu den durch bloße Begriffe gedachten Substanzen keine notwendigen inneren Bestimmungen, die wiederum für die begrifflich geforderte Selbstständigkeit unerlässlich sind. Solche inneren Bestimmungen kann es aber, wie Kant etwas später wiederum in kritischer Auseinandersetzung mit Leibniz’ Monadentheorie versichert, im Raum gar nicht geben: Der Raum lässt nur äußere Verhältnisse zu, weshalb es sich bei diesem Inneren auch nur um eine bloße Grille handeln soll A 277 / B 333). Halten wir also fest: Auf der formalen Bestimmung des Raumes gründet sich die Möglichkeit der realen Verbindung der Substanzen, »Denn dieser enthält schon a priori formale äußere Verhältnisse als Bedingungen der Möglichkeit der realen (in Wirkung und Gegenwirkung, mithin der Gemeinschaft) in sich« (B 293). Was allerdings durch die Anwendung der schematisierten Kategorie der Gemeinschaft miteinander in Verbindung gesetzt wird, sind nur Substanzen in der Erscheinung. Als solche können diese über keine wahrhaft inneren Bestimmungen verfügen, da sie abhängig sind von den subjektiven Formen der Anschauung, mithin widerspricht die Gemeinschaft solcher Substanzen auch nicht der durch den Begriff geforderten Selbstständigkeit der Substanz. An dieser Stelle könnte die Geschichte ihr Ende finden und das Problem der vorkritischen Philosophie eben als ein solches erwiesen sein, da es sich unter kritischen Vorzeichen nicht mehr stellt. Allerdings kommt diese Fragestellung mit Antwort, wie ich im letzten Abschnitt zeigen möchte, auf merkwürdig verwandelte Weise erneut zum Vorschein.21

3. Systematische Einheit der Zwecke als höchstes Gut Im zweiten Abschnitt des Kanons der reinen Vernunft thematisiert Kant das Ideal des höchsten Guts. In diesem Kontext macht er auf den Vorteil aufmerksam, den seine Moraltheologie gegenüber der spekulativen Theologie besitzt und den er darin sieht, daß sie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen, allervollkommensten und vernünftigen Urwesens führet, worauf uns spekulative Theologie nicht einmal aus objektiven Gründen hinweiset, geschweige uns davon überzeugen konnte. Denn, wir finden weder in der transzendentalen, noch natürlichen Theologie, so weit uns auch Vernunft darin führen mag, einigen bedeutenden Grund, nur ein einiges Wesen anzunehmen, welches wir allen Naturursachen vorsetzen, und von dem wir zugleich diese in allen Stücken abhängend zu machen hinreichende Ursache hätten. […] Denn, wie wollten wir unter verschiedenen Willen vollkommene Einheit der Zwecke finden? (A 814 f. / B 842 f.)

21  Siehe

dazu auch Heimsoeth 1971, 89–91.



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Bevor wir uns das kantische Argument etwas genauer anschauen, möchte ich noch einmal an ein wesentliches Ergebnis der obigen Diskussion erinnern. Kant war in seiner vorkritischen Philosophie der Überzeugung, aufgrund des Gegebenseins einer Gemeinschaft von zufälligen Substanzen auf deren extramundane, notwendige Ursache schließen zu können: den Verstand Gottes. Denn ohne einen göttlichen Verstand soll die Gemeinschaft dieser dem Begriffe nach isolierten Substanzen unmöglich sein. Von diesem Beweis der Existenz Gottes ebenso wie der Begründung für die Verbindung der Substanzen zu einer Welt nimmt Kant aufgrund der tran­ szendentalphilosophisch geänderten Voraussetzungen aber 1781, wie wir dann im vorausgehenden Abschnitt gesehen haben, Abstand. In welchem Verhältnis steht dann die 1781 geäußerte Frage der Vereinigung der einzelnen Willen zu einer vollkommenen Einheit der Zwecke zur vorkritischen Problematik der Verbindung selbstständiger Substanzen zu einer Welt? Und wieso kann auch hier nur ein allervollkommenstes Wesen die systematische Einheit herbeiführen? Zunächst ist zu bemerken, dass der Anlass nicht mehr die kosmologische Fragestellung der Verbindung der Substanzen zu einer Welt ist, sondern das Problem wird durch ein praktisches Interesse der Vernunft motiviert. So hebt die Untersuchung an von der Fragestellung: »wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen?« (A 805 / B 833) Die Frage zeichnet sich laut Kant dadurch aus, dass sie ihrer Natur nach sowohl theoretisch als auch praktisch ist. Gemeint ist damit, dass eine theoretische Erkenntnis gefordert ist, die nur mit Hinblick auf das Praktische gewonnen werden kann. Das bedeutet also, dass die theoretische Erkenntnis zwar auf eine Erweiterung über die Grenzen der Erfahrung hinaus abzielt, d. h. ihrem Wesen nach metaphysisch ist, die Beantwortung aber mit der Einschränkung versehen wird, dass sie nur in praktischer Hinsicht gültig sei. Dieses Vorgehen wird Kant später als praktisch-dogmatische Metaphysik bezeichnen und in der Preisschrift als letzte Stufe der Entwicklung der Metaphysik ausgeben.22 Als (praktisch) gewiss und daher keiner weiteren Begründung bedürftig vorausgesetzt wird von Kant an dieser Stelle, dass es moralische Gesetze gibt.23 Fragwürdig ist jedoch, wie sich die Erfüllung ihrer Forderung zum Gegenstand der menschlichen Hoffnung: der Glückseligkeit verhält. Weil es nun aber moralische Gesetze gibt, die die menschlichen Handlungen bestimmen, muss es nach Kant auch mög-

22  A 818 / B 846: »Und so hat am Ende doch immer nur reine Vernunft, aber nur in ihrem praktischen Gebrauche, das Verdienst, ein Erkenntnis, das die bloße Spekulation nur wähnen, aber nicht geltend machen kann, an unser höchstes Interesse zu knüpfen, und dadurch zwar nicht zu einem demonstrierten Dogma, aber doch zu einer schlechterdings notwendigen Voraussetzung bei ihren wesentlichsten Zwecken zu machen.« 23  A 807 / B 835: »Ich nehme an, daß es wirklich reine moralische Gesetze gebe, die völlig a priori (ohne Rücksicht auf empirische Bewegungsgründe, d. i. Glückseligkeit,) das Tun und Lassen, d. i. den Gebrauch der Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt, bestimmen, und daß diese Gesetze schlechterdings (nicht bloß hypothetisch unter Voraussetzung anderer empirischer Zwecke) gebieten […]«.

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lich sein, dass solche Handlungen, die diesen Gesetzen gemäß geschehen sind, in der Geschichte tatsächlich aufgefunden werden können. Denn, da sie [die reine Vernunft; A. H.] gebietet, daß solche geschehen sollen, so müssen sie auch geschehen können, und es muß also eine besondere Art von systematischer Einheit, nämlich die moralische, möglich sein, indessen daß die systematische Natureinheit nach spekulativen Prinzipien der Vernunft nicht bewiesen werden konnte […]. (A 807 / B 835) Dieser letzte Hinweis ist bemerkenswert, wird damit doch zum einen daran erinnert, dass es unmöglich ist, eine solche systematische Einheit allein durch spekulative Prinzipien zu begründen, anders ausgedrückt: Die systematische Einheit der Welt ihrer Substanz nach lässt sich theoretisch nicht erkennen (wie wir oben gesehen haben). Zum anderen, und das soll uns später noch beschäftigen, weist Kant bereits auf die theoretische Funktion dieses praktisch gewonnenen Ideals der reinen Vernunft hin und zwar hinsichtlich der Erkenntnis einer zweckhaften Einheit der Natur, die als solche vernunftgefordert ist. Wird die Welt nun aber den sittlichen Gesetzen gemäß und damit als systematische Einheit gedacht, handelt es sich um eine moralische Welt. Hierbei wird von den sinnlichen Hindernissen der Handlungen gemäß dem sittlich Gebotenen abstrahiert: Das ist eine praktische Idee, die zwar nicht mit der sinnlichen Welt übereinstimmt, aber als Vernunftidee gleichwohl einen gewissen Einfluss auf die von Kant jetzt so genannte »Sinnenwelt« (A 808 / B 836) haben soll. Der in der Inauguraldissertation eingeführten Sinnenwelt (mundus sensibilis) wird von Kant eine moralische Welt als mundus intelligibilis entgegengesetzt. Zweierlei gilt es mit Hinblick auf die moralische Welt zu beachten: Erstens hat sie nicht Realität als Gegenstand einer intelligiblen Anschauung (womit Kant implizit andeutet, dass eine intelligble Welt in theoretischer Hinsicht nur von einer intelligiblen Anschauung erkannt werden kann24) und zweitens zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie eine durchgängige systematische Einheit der freien Willkür eines jeden Einzelnen mit sich selbst und mit allen anderen aufweist. Letzteres folgt aus dem Sittengesetz, nämlich aus der notwendig vorausgesetzten Einheit der moralischen Prinzipien der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch. Dieser vorausgesetzten Einheit im praktischen Gebrauch entspricht nun nach Kant im theoretischen Gebrauch der Vernunft die Annahme der Zuteilung der Glückseligkeit, und zwar proportioniert zur Würdigkeit, sich ihrer verdient gemacht zu haben. Damit ist die oben angesprochene erkenntniserweiternde Hoffnung gemeint, deren Gegenstand jetzt spezifiziert wird als verdiente Folge solcher Handlungen, 24 Aus diesem Grund ist für Heidegger die Erkenntnis der Dinge an sich nur für den göttlichen Verstand möglich, weshalb die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erschei­ nung auch den Unterschied zwischen menschlicher und göttlicher Erkenntnis markiert. Siehe dazu Hahmann, Finite and infinite intuition. Heidegger on transcendental idealism (im Erscheinen).



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die der sittlichen Forderung gemäß sind. Aus dieser theoretischen Annahme zusammen mit den praktisch notwendigen Prinzipien ergeben sich zwei Systeme: das der Glückseligkeit und das der Sittlichkeit. Beide Systeme sollen »in der Idee der reinen Vernunft« verbunden sein.25 Dabei sieht die Verbindung so aus, dass in einer intelligiblen Welt die Glückseligkeit tatsächlich proportioniert zur Glückswürdigkeit ausgeteilt wird. Das kann wiederum nur in einer intelligiblen Welt geschehen, »weil die durch sittliche Gesetze teils bewegte, teils restringierte Freiheit, selbst die Ursache der allgemeinen Glückseligkeit, die vernünftigen Wesen also selbst, unter der Leitung solcher Prinzipien, Urheber ihrer eigenen und zugleich anderer dauerhafte Wohlfahrt sein würden« (A 809 / B 837). Kant geht offenbar davon aus, dass jeder Einzelne unter dieser Bedingung seine Glückseligkeit durch ein Handeln gemäß den moralischen Gesetzen herbeiführen könnte.26 Aber dieses System der sich selbst lohnenden Moralität ist nur eine Idee, deren Ausführung auf der Bedingung beruht, daß jedermann tue, was er soll, d. i. alle Handlungen vernünftiger Wesen so geschehen, als ob sie aus einem obersten Willen, der alle Privatwillkür in sich, oder unter sich befaßt, entsprängen. (A 809 f. / B 837 f.) Die systematische Einheit ist also auch in diesem Fall nur dann gegeben, wenn sie durch einen einheitlichen obersten Willen gestiftet wird parallel zur Vereinigung selbstständiger Substanzen zur Welt. Als problematisch erweist sich jedoch, dass die notwendige Hoffnung auf die Verbindung der Glückswürdigkeit mit der Glückseligkeit dem tatsächlichen Lauf der Natur widerspricht. Anders als der uns bekannte Beweis von der tatsächlichen Verbindung der Substanzen (wofür ja die tatsächliche Existenz des Raumes gesprochen hat) kann die Verbindung in diesem Fall nicht auf der Erfahrung beruhen, sie widerstreitet dieser vielmehr. Wird mithin bloß Natur der Erfüllung der Hoffnung zugrunde gelegt, dann wäre diese vergeblich. Die Belohnung der Sittlichkeit kann also nur dann als möglich eingeräumt werden, wenn eine »höchste Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet, zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird« (A 810 / B 838). Die Idee dieser höchsten Vernunft, die Kant hier wohl nicht zufällig als »Intelligenz« bezeichnet, soll nun das »Ideal des höchsten Guts« (ebd.) sein. Er ergänzt sogleich, dass es sich um das höchste ursprüngliche Gut handelt, denn hiervon wird dann das abgeleitete höchste Gut unterschieden: die intelligible oder moralische Welt. Die moralische Welt setzt sich also aus zwei Elementen zusammen, Sittlichkeit und 25  A 809 / B 837: »[…] daß also das System der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit unzertrennlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden sei.« 26  Kant zieht hier also nicht die Möglichkeit in Betracht, dass das Erreichen der Glückseligkeit von anderen Faktoren als menschlichen Handlungen abhängen kann: Glück beim Lottospiel etwa oder schönes Wetter, wohingegen Naturkatastrophen schlechte Auswirkungen auf das menschliche Glück hätten. Für Kant verschafft sich der Mensch selbst das Leid und alle Übel sind deshalb wohl menschengemacht.

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Glückseligkeit. Und weil diese Welt offensichtlich nicht besteht, wird man sie als eine »künftige Welt« (A 811 / B 839) ansehen müssen. Was für Kant in der Kritik der reinen Vernunft (noch) bedeutet, dass diese Welt mit einem künftigen Leben verbunden ist.27 Wichtig für uns ist aber vor allem festzuhalten, dass die Sittlichkeit ein System ausmacht und dass Kant den systematischen Charakter vorerst lediglich bei der Sittlichkeit entdeckt. Nur bei ihr findet sich die vernunftgeforderte Einheit, in der die freie Willkür der Menschen mit sich selbst und untereinander zusammenstimmt. Die Glückseligkeit zeichnet sich hingegen durch Beliebigkeit aus (in der diese etwa von den einzelnen Handelnden gesehen wird). Diese Beliebigkeit bedeutet aber für die freie Willkür der Einzelnen eine wechselseitige nicht systematische Einschränkung. Die systematische Einheit ist, wie Kant jetzt noch einmal herausstreicht, »nur möglich in der intelligibelen Welt, unter einem Weisen Urheber und Regierer« (A 811 / B 839; A 813 / B 841). Dass diese zweckmäßige Einheit zugleich auch Garant der Triebfeder der moralischen Gebote sein soll (A 811 f. / B 839 f.), ist für die Argumentation an dieser Stelle wichtig, wird aber von Kant später aufgegeben.28 Mit Blick auf die oben dargelegte vorkritische Debatte ist der folgende Bezug zu Leibniz vielsagend: Kant erinnert daran, dass Leibniz die Verbindung der Wesen nach moralischen Gesetzen als ein Reich der Gnaden betrachtete und dieses vom Reich der Natur unterschied. Die Verbindung beider Reiche stiftet für Leibniz bekanntlich sein System der prästabilierten Harmonie, wogegen Kant sich bereits mit seiner früheren kritischen Ausarbeitung von 1755 (siehe oben Abschnitt 1) gewandt hat. Trotz aller Unterschiede zwischen Kants vorkritischem Ansatz und der in der Kritik der reinen Vernunft vorgelegten Theorie stimmen beide Ansätze doch darin überein, dass die verlangte Einheit nur durch eine göttliche Vernunft – jetzt verstanden als höchstes ursprüngliches Gut – gestiftet werden kann. Nur Gott »gründet, erhält und vollführet« (A 814 / B 842) die geforderte systematische Einheit. Diesen 27  Man beachte, dass Kant in der Kritik der praktischen Vernunft das Postulat der Unsterb­ lichkeit nicht an der Unerreichbarkeit der Vereinigung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit als höchstes Gut in diesem Leben knüpft, sondern daran, dass die moralische Vervollkommnung mehr Zeit benötigt. Siehe 5:122: »Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig ist. Da sie indessen gleich­ wohl als praktisch nothwendig gefordert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus zu jener völligen Angemessenheit angetroffen werden, und es ist nach Principien der reinen praktischen Vernunft nothwendig, eine solche praktische Fortschreitung als das reale Object unseres Willens anzunehmen.« 28  Dass die kantischen Ausführungen zum höchsten Gut und der Stellenwert, den Kant diesem beimisst, zwischen der Kritik der reinen Vernunft und den späteren Texten zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen, ist bekannt. Zur frühen Konzeption des höchsten Guts siehe A 815 / B 843; Refl 7097 (1776–1778), 19:248; Refl 6110, 18:458. Diese Ansicht wird von Kant später explizit zurückgewiesen: 5:71 ff., 109; 5:450. Zur Entwicklung der kantischen Position siehe Düsing 1971 sowie Forschner 1988.



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Umstand macht Kant schließlich – sowohl vor 1781 als auch danach, wie wir jetzt sehen – zum Beweis der Existenz dieser höchsten Vernunft: Gott, den Kant sodann als allwissend, allmächtig, allgegenwärtig und ewig bestimmt (A 815 / B 843).29 Halten wir zudem mit Blick auf die vorausgehende Diskussion fest, dass Kant an dieser Stelle dezidiert nicht von noumenalen Substanzen spricht, sondern von der freien Willkür der Individuen. Substanz bezeichnet für Kant seit 1781 nur noch das beharrliche Substrat der Erscheinungen. Wir haben oben gesehen, dass diese Einschränkung für die Lösung des Problems der Vereinigung der Substanzen zu einer Welt entscheidend ist. Denn nur deshalb, weil durch die subjektive äußere Form der Anschauung bereits a priori die Bedingungen der wechselseitigen Beziehungen des räumlich Gegebenen bestimmt sind, bezieht sich das Reale im Raum, das sind die Substanzen, in ihrer Existenz wirklich aufeinander. Hierbei handelt es sich aber eben nur um Substanzen in der Erscheinung, die als solche keine wahrhaft inneren Bestimmungen haben können. Zum Schluss möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei Dinge richten: Zunächst soll noch einmal hervorgehoben werden, dass sich die Art der Erkenntnis Gottes (genitivus obiectivus!) mit Blick auf die transzendentalphilosophische Wende Kants natürlich fundamental gewandelt hat. Denn auch wenn es sich um eine theoretische Erkenntnis handelt, soll diese doch praktisch und gerade nicht wissenschaftlich spekulativ begründet sein. Hierin erkennt Kant das Wesen einer praktisch-dogmatischen Metaphysik, die Kant in der Preisschrift explizit gegen seine Vorgänger und, wie wir jetzt deutlich sehen, auch gegen seine eigene vorkritische Position abgrenzt. Zweitens wird die systematische Einheit der Zwecke von Kant zwar explizit unterschieden von der Sinnenwelt und stattdessen als intelligible bzw. moralische Welt (»regnum gratiae«; A 815 / B 843) vorgestellt. Gleichwohl soll diese Einheit darüber hinaus auch auf die systematische Einheit aller Dinge führen. Es geht Kant also um nichts weniger als die Vereinigung der spekulativen mit der praktischen Vernunft, mit Leibniz gesprochen also dem Reich der Natur mit dem Reich der Gnaden.30 In dieser Funktion gibt jetzt das Ideal des höchsten Guts die Richtung für die Naturforschung vor. Denn nur unter der Voraussetzung, dass es diese systematische 29 Allmächtig muss er sein, da nur so eine vollkommene Einheit der Zwecke erreicht werden kann, der auch die Natur unterworfen ist, d. h., eine Vereinigung von Sittlichkeit und Glückseligkeit stattfinden kann. Allwissend, damit er in die Herzen der Menschen blicken kann und ihre aufrichtige Gesinnung erkennt. Allgegenwärtig, sodass ihm die geforderten Bedürfnisse bewusst sind. Und schließlich ewig, damit die Übereinstimmung auch zu allen Zeiten geschieht. 30  A 815 f. / B 843 f.: »Aber diese systematische Einheit der Zwecke in dieser Welt der Intelligenzen, welche obzwar, als bloße Natur, nur Sinnenwelt, als ein System der Freiheit aber, intelligibele, d. i. moralische Welt […] genannt werden kann, führet unausbleiblich auch auf die zweckmäßige Einheit aller Dinge, die dieses große Ganze ausmachen, nach allgemeinen Naturgesetzen, so wie die erstere nach allgemeinen und notwendigen Sittengesetzen, und vereinigt die praktische Vernunft mit der spekulativen. Die Welt muss also aus einer Idee entsprungen vorgestellt werden, wenn sie mit demjenigen Vernunftgebrauch, ohne welchen

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Einheit der Zwecke überhaupt gibt, die mithin die praktische mit der theoretischen Zwecksetzung vereint, darf man auch in der spekulativen Betrachtung der Natur systematische Einheit voraussetzen. Kant wird das in der Kritik der Urteilskraft später so ausdrücken, dass nur unter der Voraussetzung des Unbedingten das, was jederzeit bedingt ist (die Erscheinungen), zu einer systematischen Einheit (in der äuße­ren Zwecksetzung) verbunden werden kann.31 Letzteres ist für Kant aber durch die Beschaffenheit der Vernunft selbst gefordert (siehe dazu den unmittelbar anschließenden Abschnitt zur Architektonik der reinen Vernunft). Das alles bezeichnet für Kant schließlich die hier vorgestellte transzendentale Theologie, »die sich das Ideal der höchsten ontologischen Vollkommenheit zu einem Prinzip der systematischen Einheit nimmt, welches nach allgemeinen und notwendigen Naturgesetzen alle Dinge verknüpft, weil sie alle in der absoluten Notwendigkeit eines einigen Urwesens ihren Ursprung haben« (A 816 / B 844). Dass Kant damit offensichtlich einen wichtigen vorkritischen Gedanken wieder aufgenommen und kritisch revi­diert zu einem zentralen Aspekt nicht nur seiner Moralphilosophie in der Gestalt des höchsten Guts, sondern auch für die übergeordnete Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft gemacht hat, sollte in diesem Aufsatz gezeigt werden.

4. Ergebnis Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen und fasse noch einmal kurz zusammen: Wir haben gesehen, dass Kant die in seiner Preisschrift geäußerte Kritik am Vorgehen der dogmatisch rationalistischen Metaphysik zum Teil auch gegen seine eigene frühere Position richtet. Denn auch der junge Kant unternimmt ausgehend von ontologischen Bestimmungen den Versuch, auf Fragen der metaphysica specialis zu antworten. Selbst wenn Kant noch ganz im Rahmen der rationalistischen Diskussion bleiben sollte, präsentiert sich sein Ansatz hier schon als eine originelle Kritik der leibniz-wolffschen Philosophie. Der fundamentale Bruch mit dieser Tradition vollzieht sich aber erst mit der in der Kritik der reinen Vernunft geforderten Bezugnahme des Denkens auf die Anschauung. Fortan ist die Erkenntnis aus reinen Begriffen unmöglich. Zugleich bietet sich hiermit aber auch eine neuartige Lösung für die durch den Substanzbegriff geforderte Isolation der Substanzen: Weil sich nämlich der Raum dadurch auszeichnet, dass dieser der Form nach bereits äußere Verhältnisse enthält, steht alles im Raum Befindliche in einer realen äußeren Verbindung. Es ist jedoch überaus wichtig zu beachten, dass man es mit der Substanz in der Erscheinung (substantia phaenomenon) zu tun hat, die Kant an anderer Stelle auch als einen »Inbegriff von lauter Relationen« (A 265 / B 321) bezeichnet. Dieser spekulativen Beschränkung steht jedoch bereits in der Kritik der reinen Vernunft wir uns selbst der Vernunft unwürdig halten würden, nämlich dem moralischen, als welcher durchaus auf der Idee des höchsten Guts beruht, zusammenstimmen soll.«. 31  Siehe dazu ausführlich Hahmann 2013.



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eine praktisch-dogmatische Erweiterung der Vernunft gegenüber, d. h., in praktischer Absicht darf und muss die Vernunft durchaus dogmatisch verfahren. In diesem Kontext stellt sich nun erneut die Frage der Einheit der Welt. Im Fokus steht nur diesmal die intelligible Welt, die jetzt als moralische Welt einen Teil des höchsten Guts ausmacht, das auf dem göttlichen Willen als einiger und allbefassender Ursache beruht. Etwas später präzisiert Kant diese erste Bestimmung: Gott selbst wird jetzt zum höchsten Gut und die moralische Welt zum abgeleiteten höchsten Gut.32 Kant hält zwar auch in späteren Schriften noch an der Auffassung des höchsten Guts als dieser moralischen Welt fest (5:230, 231 f., 235),33 doch treten mit der Kritik der praktischen Vernunft und der dort vorgestellten Dialektik sowie der Postulatenlehre neue Gedanken in den Vordergrund. Mit Blick auf die Kritik der reinen Vernunft kann daher als eine Besonderheit festgehalten werden, dass hier die Verbindung dieser für die kantische Metaphysik insgesamt wichtigen Konzeption zur vorkritischen Diskussion besonders deutlich hervortritt. Gleichwohl ist zu bedenken, dass nicht nur das Verhältnis von Gott bzw. moralischer Welt und Sittengesetz, sondern auch der Zusammenhang zwischen Naturteleologie und praktischer Teleologie in der Kritik der reinen Vernunft noch nicht vollständig entwickelt vorliegen. In der späteren Kritik der praktischen Vernunft und der Kritik der Urteilskraft werden diese Thematiken von Kant erneut durchdacht und erhalten ihren endgültigen Platz in der kritischen Systematik. Die Kritik der reinen Vernunft scheint also zumindest in diesen Fragen eine Mittelstellung einzunehmen zwischen vorkritischer und konsequent kritischer Philosophie. Dass Kant aber gleichwohl an entscheidenden Ergebnissen dieser Diskussion und mithin auch am Fortwirken der vorkritischen ontologischen Annahmen festhält, zeigt der erneute Blick in die späte Preisschrift. Der dort vorgelegte Abschnitt zur »moralischen Theologie« behandelt die kantische Weltlehre, die auch seine Vorstellung vom Endzweck der Schöpfung vorstellt. Dass Kant auch hier wolffsche und leibnizsche Gedanken aufgreift, hat Mario Caimi mit seinem Beitrag in diesem Band gezeigt.34 Wichtig für die vorliegende Untersuchung ist aber vor allem, dass dieser Endzweck als höchste Ehre Gottes in der teleologischen Ordnung der Welt gesehen und mit dem höchsten Gut identifiziert wird. Die dort von Kant angeführten Erläuterungen übernehmen mithin nicht nur die Gedanken aus dem Kanon der reinen Vernunft, sondern auf diese Weise implizit auch die vorkritischen Überlegungen. Denn auch die Ehre Gottes wird darin gesehen, dass in der Welt eine solche Zweckverbindung angetroffen wird, »die, im Ganzen genommen, das höchste in einer Welt mögliche Gut, mithin die teleologische oberste Bedingung des Daseyns derselben enthalte, und einer Gottheit als moralischen Urhebers würdig sey« (20:306). Mit Blick auf dieses vorkritische Erbe wird jetzt deutlich, warum Kant die im höchsten Gut vorgefundene systematische Einheit der Natur und der Sitten zum »Weltbegriff« (A 838 f. / B 866 f.; 9:24) der Philosophie erhebt. 32  Siehe

A 810 f. / B 838 f.; 5:226; sowie V-Met/Pölitz, 28:335. 1971, 17 erklärt daher das höchste Gut zum ethischen Weltbegriff. 34  Caimi (s. dessen Beitrag in diesem Band) verweist auf § 371 der deut­schen Metaphysik. 33  Düsing

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Literatur Caimi, Mario: Der Begriff der praktisch-dogmatischen Metaphysik. (In diesem Band, 157–170). Düsing, Klaus: Das Problem des höchsten Gutes in Kants praktischer Philosophie. – In: Kant-Studien 62.1 (1971), 5–42. Edwards, Jeffrey: Substance, Force, and the Possibility of Knowledge – On Kant’s Philosophy of Material Nature. Berkeley/Los Angeles/London 2000. Forschner, Maximilian: Moralität und Glückseligkeit in Kants Reflexionen. – In: Zeitschrift für philosophische Forschung 42 (1988), 351–370. Hahmann, Andree: Kritische Metaphysik der Substanz. Kant im Widerspruch zu Leibniz. Berlin/New York 2009. – Pflichtgemäß, aber töricht! Kant über Spinozas Leugnung der Vorsehung. – In: D. Hüning / S. Klingner / C. Olk (Hg.): Das Leben der Vernunft. Beiträge zur Philosophie Kants. Berlin/Boston 2013, 477–505. – Finite and infinite intuition. Heidegger on transcendental idealism. (Im Erscheinen). Heidegger, Martin: Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (Wintersemester 1935/36). Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1984. Heimsoeth, Heinz: Studien zur Philosophie Immanuel Kants I – Metaphysische Ursprünge und ontologische Grundlagen. Bonn 1971. Herz, Markus: Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit. Meiner, Hamburg 1990. Kant, Immanuel: Kants Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Preussischen Akademie der Wissenschaften / von der Deutschen / Göttinger Akademie der Wissenschaften. Berlin, 1900 ff. (AA). – Werke in sechs Bänden. Hg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1960. – Kritik der reinen Vernunft, Nach der ersten und zweiten Originalausgabe. Hg. von Jens Timmermann. Hamburg 1998. Klingner, Stefan: Kants Begriff einer intellektuellen Anschauung und die rationalistische Rechtfertigung philosophischen Wissens. – In: Kant-Studien 107/4 (2016), 617–650. Knutzen, Martin: Systema causarum efficientium. Leipzig 1745. Langton, Rae: Kantian Humility – Our Ignorance of Things in Themselves. Oxford 1998. Laywine, Allison: Kant’s Early Metaphysics and the Origins of the Critical Philo­sophy (North American Kant Society Studies in Philosophy, vol. 3). Atascadero 1993. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften. Hg. von C. J. Gerhardt. Berlin 1875–1890 (Hildesheim 1962). – Philosophische Schriften. Hg. und übersetzt von Hans Heinz Holz. Darmstadt 1965. Schmucker, Josef: Die Frühgestalt des Kantischen ontotheologischen Arguments in der Nova Dilucidatio und ihr Verhältnis zum Einzig möglichen Beweisgrund von 1762. – In: H. Heimsoeth / G. Tonelli / D. Henrich (Hg.): Studien zu Kants philo­sophischer Entwicklung. Hildesheim 1967. Schmucker, Josef: Die Ontotheologie des vorkritischen Kant. Berlin/New York 1980.



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On the Real Progress of Kant’s Thoughts on Freedom and Psychological Personality Steven Tester Freedom is a central idea for Kant’s ethics because it is a necessary condition for moral accountability and the imputability of actions. I can be held accountable for actions that I have undertaken only if I was free in carrying them out. And as Kant argues, such freedom cannot merely be the freedom of spontaneity identified by Leibniz and Wolff, which Kant derides as the freedom of a turnspit, but must be a causal power to begin an action spontaneously and without determination by antecedent conditions.1 It is well known, however, that Kant’s arguments for human freedom undergo a transformation from the pre-critical period to the critical period and to the writings on practical philosophy.2 In the lectures on metaphysics and parts of the Third Antinomy and the Groundwork, he argues that we are conscious of ourselves as beings that can exercise such freedom. And in the Critique of Practical Reason, he abandons this strategy, perhaps recognizing its inconsistency with tenets of transcendental idealism, and argues that our freedom is demonstrated by our recognition of the moral law as a fact of reason. This latter argument is also taken to be representative of Kant’s final considered view on the demonstration of the freedom that is necessary for the imputability of actions. Problematically, however, an important aspect of Kant’s previous discussion of freedom and the imputability of actions in the pre-critical period and the Critique of Pure Reason is absent in the Critique of Practical Reason. In his considerations of the imputability of actions in the lectures on metaphysics and the theoretical writings, Kant is explicit that both freedom and psychological personality are necessary conditions for the imputability of actions. The thought there is that actions can be imputed to me and I can be held morally accountable for these actions only if I was free in carrying them out and if I continue to be the same person who carried the actions out. The

1 See AA 5:97. All references to Kant are to the Akademie Ausgabe: Immanuel Kant, Kant’s gesammelte Schriften, ed. Preussische Akademie der Wissenschaften and Deutsche Aka­demie der Wissenschaften zu Berlin (Berlin: De Gruyter, 1900 ff.). The Critique of Pure Reason is cited according to the standard A/B edition and page number, and other works are cited according to volume and page (e. g. x:xx). Translations are from: P. Guyer / A. Wood 1998; K. Ameriks / S. Naragon 1997; G. Hatfield / M. Friedman / H. Allison / P. Heath 2002; M. Gregor / J. Timmermann 2012; M. Gregor 1997; M. Gregor 1996a; A. Wood / G. di Giovanni 1998; P. Guyer / E. Matthews 2000; M. Gregor 1996b. 2  See Guyer 2006, 210–38.

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fact that an account of psychological personality is not provided in the Critique of Practical Reason also creates problems for Kant’s account of moral obligations and our striving for the highest good. In what follows, I will argue, however, that although Kant is not explicit in the Critique of Practical Reason about the role psychological personality must play in the imputability of actions and does not provide an explicit argument for what psychological personality consists in or how we can know that subjects have it, he implicitly accepts that it must play a role, and he provides an implicit demonstration of our psychological personality when he argues that the immortality of the soul is a necessary postulate of pure practical reason. In the first section (1), I discuss Kant’s initial arguments for freedom and psychological personality in the lectures on metaphysics and reflections from the late 1760’s to mid 1770’s, and I show that he struggles albeit to some degree unsuccessfully to distance himself in the Critique of Pure Reason from his earlier pre-critical arguments for freedom and personality, which rely on the idea that we are conscious of ourselves as a self-active substance with freedom and psychological personality. In the second section (2), I show how Kant abandons his arguments for freedom and psychological personality from consciousness in favor of arguments in the Critique of Practical Reason that show that freedom and psychological personality are both necessary postulates of pure practical reason. We can also see from this discussion as a whole that in the progress of Kant’s thoughts on freedom and psychological personality from the pre-critical period to the writings on practical philosophy he does not entirely abandon a rationalist metaphysics of the soul but argues for this metaphysics in a way that does not succumb to the criticism he raises against rationalist doctrines of the soul in the Critique of Pure Reason.

1. The Consciousness Arguments 1.1  The Lectures on Metaphysics In the 1760’s and 1770’s Kant exhibits some sympathy with the Lockean idea that personality or personhood is a forensic term as when he says for example in Anthropologie-Collins (1772/73): »personality makes it that something can be imputed [imputirt] to me« (25:11).3 But although Kant is sympathetic to the forensic nature of personality, he does not go so far as Locke in arguing against the rationalist and Scholastic idea that the kind of consciousness required for psychological personality is consciousness of oneself as a substantial soul. Rather, in his lectures on metaphysics from the period, Kant maintains that psychological personality consists in immediate consciousness of ourselves as an active substance that exercises vari-

3  See

Locke 1975.



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ous powers by means of which we ground accidents.4 And we retain psychological personality so long as we retain such consciousness. Although Kant is not explicit about his reasons for holding this view, the most obvious philosophical reason he might have preferred the rationalist view over the Lockean view is that it is able to incorporate consciousness into considerations about psychological personality without falling into some of the well-known problems generated by the Lockean view involving lapses in consciousness and the veridicality of one’s consciousness of one’s activities.5 In contrast with his empiricist and rationalist predecessors, however, Kant also explicitly links consciousness of oneself, or what he calls »psychological personality,« with consciousness of one’s freedom, or what he calls »practical personality.« He is reported as saying in Metaphysik L1, for example: »Personality can be taken practically and psychologically; practically, if free actions are ascribed to it; psychologically, if it is conscious of itself and of the identity« (28:296). Despite the distinction between practical and psychological personality, however, Kant is clear that both our psychological personality and our practical personality require consciousness of our self-activity and of ourselves as a »self-active« substance (Refl. 4225, 17:464, 1769–70?). He writes, for example: »Since freedom is a complete selfactivity of the will not to be determined by stimuli or anything else that affects the subject, in its case it comes down only to the certainty of personality: that it is, namely, conscious that it acts from its own power of choice, that the will is active and not passive […]« (Refl. 4225, 17:464, 1769–70?). Here and elsewhere Kant’s idea appears to be that we would have both psychological and practical personality in cases in which we are conscious of our activity and conscious of our carrying out this activity through our own power. And indeed, as Kant sometimes suggests, psychological personality entails practical personality insofar as one’s consciousness of oneself is consciousness of activities brought about through one’s own power.6 This position is not entirely surprising given the Wolffian context in which Kant was immersed and in which it was commonly held that substances such as the soul bring about actions through their own free activity and are conscious of doing so.7 On the basis of his conception of the preservation of psychological and practical personality in the consciousness of our self-activity, Kant also delivers a conception of the forensic nature of personality as requiring not only personality but freedom as well, which goes beyond both the empiricist and rationalist positions. Regarding the difference between animals and humans and their personality, he writes for example:

4  On Kant’s pre-critical view that we have an immediate cognition of ourselves as a substance, see Wuerth 2006, 532. 5  See Leibniz 1996. 6  Heiner Klemme has also noticed this. See Klemme 1996, 98. 7  See for example Wolff 2009.

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The consciousness of one’s self, the concept of the I, does not occur with such beings that have no inner sense; accordingly no non-rational animal can think: I am; from this follows the difference that beings that have such a concept of the I possess personality. This is psychological personality, to the extent they can say: I am. It further follows that such beings have freedom, and everything can be imputed to them; and this is practical personality, which has consequences in morality (28:277).8 Here again, freedom is taken to follow from psychological personality. And from the combination of both psychological and practical personality follows the imputability of actions. This is to say that we can be held morally responsible for our actions only if we are conscious of our activities and of carrying out these activities freely. In short, psychological personality and practical personality, or freedom, are jointly necessary for the imputability of actions and are established by our consciousness of ourselves as self-active substances.

1.2  The Critique of Pure Reason An argument in the Third Antinomy that is used to establish the idea that we can act freely in spite of causal necessity among empirical appearances retains vestiges of the argument for freedom from the 1770’s insofar as it takes freedom to follow from apperception. Kant writes: In the case of lifeless nature and nature having merely animal life, we find no ground for thinking of any faculty which is other than sensibly conditioned. Yet the human being, who is otherwise acquainted with the whole of nature solely through sense, knows himself also through pure apperception, and indeed in actions and inner determinations which cannot be accounted at all among impressions of sense; he obviously is one part phenomenon, but in another part, namely in regard to certain faculties, he is a merely intelligible object, because the actions of this object cannot at all be ascribed to the receptivity of sensibility. (A 546 f. / B 574 f.) Kant’s suggestion that we »know ourselves through pure apperception« as an »intelligible object,« through our actions and inner determinations, most particularly through our exercise of the spontaneous faculties or powers of understanding and reason, recalls his earlier view from the 1770’s that we are conscious of both our psychological and practical personality through our consciousness of our self-activity and our exercise of powers in this activity.9 However, Kant’s claim that we

8 On psychological and practical personality, see also Klemme 1996, 97–101. See also: 6:233; Refl. 5646, 18:295; 25:735-7 Anthropologie-Pillau. 9  My argument here focuses only on the role that consciousness of and knowledge of the noumenal self as an intelligible object can be interpreted as playing in the Third Antinomy



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can know ourselves in this way in the Critique of Pure Reason is initially surprising because it appears to violate a central tenet of the critical philosophy, namely that knowledge requires both concepts and intuitions. Although we may have a concept of such an intelligible object, or noumenal self, we cannot have an intuition of it. And from this it follows that we cannot have cognition of it.10 However, as Kant suggests in this passage, we do not know ourselves as a noumenal self through the »receptivity of sensibility,« which would be knowledge of ourselves through an intuition. Rather, we know ourselves »in actions and inner determinations which cannot be accounted at all among impressions of sense.« This is to say that we do not have an intuition of ourselves but somehow come to know ourselves through our actions, actions that cannot be ascribed to the merely receptive faculty of sensibility but must be ascribed to the spontaneous faculties of understanding and reason.11 In the 1770’s, it was somewhat clear that this kind of non-receptive awareness of our activities was supposed to be an immediate consciousness of ourselves as a soul exercising its powers. However, in the Critique of Pure Reason, it is unclear what kind of status this alternative kind of knowledge could have since Kant gives no indication that such immediate cognition in the absence of concepts and intuitions would be possible. It appears, however, that Kant does not appeal to cognition of the noumenal self as an intelligible object through intuitions and concepts nor to immediate cognition of it through consciousness of our exercise of spontaneous powers. Rather, the argument appears to be an inference from the existence of certain spontaneous powers of which we are aware to the existence of an intelligible object or noumenal self that is the source of these spontaneous powers and the actions that arise and how this line of argument has a legacy in Kant’s pre-critical views. This is not, however, to say that there are no additional arguments at work in the Third Antinomy. The passage quoted previously continues: »We call these faculties understanding and reason; chiefly the latter is distinguished quite properly and preeminently from all empirically conditioned powers, since it considers its objects merely according to ideas and in accordance with them determines the understanding, which then makes an empirical use of its own concepts (even the pure ones)« (A 546 f. / B 574 f.). It is clear here and in the surrounding discussion that Kant also makes the point that we have the faculty of reason, which is determined by ideas rather than sensibility. And when we consider ourselves only with regard to this faculty, we recognize ourselves as an intelligible being endowed with freedom. Kant also points out that although it is conceivable that we possess such freedom, we cannot know exactly how it operates. He also reiterates this line of thought much more clearly in the Prolegomena (04:345 f.). This line of argument also escapes the problems associated with the argument from consciousness. 10  Bernd Ludwig points out that Hermann Andreas Pistorius also raised such an objection to Kant’s account of freedom. See Ludwig 2012, 166–7. See also Pistorius’ »Rezension von J. Schulzes Erläuterungen« and »Rezension der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« in Gesang (ed.) 2007. 11  On spontaneity and freedom, see Allison 1995.

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from them. Kant reasons that since spontaneous actions and the exercise of certain faculties cannot be the result of receptivity, we infer that they have a source in a spontaneous noumenal self. But if this is Kant’s argument, then some problems arise for it as well. As Kant indicates in the Third Antinomy and elsewhere in the Critique, we may have indirect knowledge of things in themselves through their effects. He writes, for example: »The empirical character is once again determined in the intelligible character […]. We are not acquainted with the latter, but it is indicated through appearances, which really give only the mode of sense (the empirical character) for immediate cognition« (A 551 / B 579).12 In the context of the discussion of the Third Antinomy, Kant appears to claim that we can have indirect knowledge of ourselves as a noumenal self through the effects that this noumenal self produces, namely spontaneous actions. But the problem with such an argument is that, as Kant notes in the Fourth Paralogism, the existence of some effect is compatible with any number of causes of this effect.13 Thus it is unclear whether we can make a valid inference from the existence of what seems to be a spontaneous act in consciousness to the existence of a spontaneous ground of this action in the noumenal self. It is perfectly conceivable that an apparently spontaneous effect could be occasioned by something that is itself causally determined. So it appears that Kant provides neither a strong argument for our cognition or immediate consciousness of the noumenal self nor for our inferential knowledge of it in the Third Antinomy. And in the absence of any epistemic argument for how we can have knowledge of the existence of a noumenal self endowed with freedom, Kant’s claims about its existence appear to go beyond experience and lapse back into a purely a priori and dogmatic doctrine. Indeed, Kant is actually well aware of the kinds of difficulties presented by his argument in the Third Antinomy, and in the Third Paralogism discussion of psychological personality, which attempts to undermine the rationalist’s arguments for the soul, he actually argues that we are not warranted in concluding facts about the soul from facts about apperception or our consciousness of ourselves. In his discussion of the rationalist doctrine of personality, Kant initially agrees with the rationalist that »what is conscious of the numerical identity of the Self in different times, is to that extent a person« (A 361). And as he suggests in the Paralogisms, and argues for in greater detail in the Transcendental Deduction, we are conscious of the numerical identity of our self in different times, or in other words, have unity of apperception, when we are conscious of synthesizing our representations through the use of our various mental powers such as understanding and sensi12  He also writes: »The real morality of actions (their merit and guilt), even that of our own conduct, therefore remains entirely hidden from us. Our imputations can be referred only to the empirical character. How much of it is to be ascribed to mere nature and innocent defects of temperament or to its happy constitution (merito fortunae) this no one can discover, and hence no once can judge it with complete justice« (A 551 / B 579). 13  See A 368 f.



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bility. As Kant puts it in the B edition, apperception »contains a synthesis of the representations, and is possible only through the consciousness of this synthesis« (B 133). This is to say that one retains one’s psychological personality or personhood to the extent that one carries out the activities of synthesis and one is conscious of carrying out these activities. However, although this dependence of psychological personality upon consciousness of one’s activity of synthesis bears a great deal of similarity with the explanation of psychological personality and our consciousness of self-activity in the 1770’s, Kant explicitly rejects the idea that consciousness of our activity of synthesis and the resultant synthetic unity of apperception is the consciousness of a soul or that any inference can be made from facts about our synthetic activity to facts about the identity of a soul or noumenal self.14 As Kant notes, it is quite conceivable that we might have a continuing unified consciousness but this consciousness is grounded in a series of distinct and independent substances. In short, nothing about the identity of the soul follows from apperception.15 The critique of the rationalist conception of the soul in the Third Paralogism thus makes it all the more surprising to see Kant in the Third Antinomy appealing to facts about apperception and our self-activity in order to establish facts about the noumenal self or the intelligible ground of spontaneous actions. This also means that a very large and problematic inconsistency arises between the Third Antinomy and the Third Paralogism that threatens to undermine the usefulness of Kant’s account of freedom and psychological personality in the Critique of Pure Reason for questions about moral responsibility and the imputability of actions. Kant suggests in the Third Paralogism that the kind of consciousness of numerical identity that we do have, namely the consciousness of synthesized representations and our activity of synthesis is »necessary and sufficient for practical use« (A 365 f.), by which he presumably means that apperception is necessary and sufficient for forensic use, i. e. for attributions of moral responsibility.16 Now, if it were true, as the Third Antinomy passage discussed previously appears to suggest, that apperception entails the existence of a free noumenal self, then one could see how apperception could be necessary and sufficient for practical use. Apperception would be necessary and sufficient to establish psychological personality and free14  Kant writes: »[T]his identity of the subject, of which I can become conscious in every representation, does not concern the intuition of it, through which it is given as object, and thus cannot signify the identity of the person, by which would be understood the consciousness of the identity of its own substance as a thinking being in all changes of state […]« (B 408). 15  Kant writes: »The identity of the consciousness of Myself in different times is therefore only a formal condition of my thoughts and their connection, but it does not prove at all the numerical identity of my subject, in which – despite the logical identity of the I – a change can go on that does not allow it to keep its identity […]« (A 363). 16  Kant writes that this conception of personhood is acceptable »insofar as it is merely transcendental, i. e. a unity of the subject which is otherwise unknown to us, but in whose determinations there is a thoroughgoing connection of apperception« (A 365 f.).

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dom and so necessary and sufficient for moral responsibility, just as it was thought to be in the 1770’s. But as we have seen, the argument of the Third Antinomy is dubious given Kant’s restrictions on immediate and inferential knowledge of a noumenal self, and it is also dubious given his rejection in the Third Paralogism of inferences from facts about apperception and our synthetic activities to facts about the soul or noumenal self. So contrary to Kant’s claims otherwise, on his own account, apperception and the accompanying consciousness of our synthetic activities cannot be sufficient for practical purposes since it is not sufficient to establish freedom and psychological personality, which are jointly required for moral responsibility. Moreover, it is dubious whether the kind of psychological personality Kant describes in the Third Paralogism would even be sufficient to establish the kind of psychological personality that would be necessary and sufficient for practical use. It follows, for example, from Kant’s understanding of psychological personality in terms of consciousness of the activity of synthesis that one would cease to be a person whenever one ceases to synthesize representations in the cognition of objects, which would mean that we cease to be persons when we sleep or daydream. But surely we would not want to say that someone who commits a crime while daydreaming is not morally responsible for his or her actions. Interpreted along these lines, Kant’s account of psychological personality fails to demonstrate the existence of a noumenal self required for freedom and also fails to give a strong account of the nature of psychological personality. And since freedom and psychological personality are required for moral responsibility, all of this suggests that the Third Paralogism and Third Antinomy have not provided a very convincing account of the necessary and sufficient conditions for moral responsibility. Although Kant takes up the issue of freedom but not psychological personality again in the Groundwork of the Metaphysics of Morals, his argument does not differ greatly from that of the Third Antinomy and so faces many of the problems raised for the Third Antinomy by the Third Paralogism rejection of consciousness of the noumenal self as an intelligible object. The aim of Groundwork III is to show that the moral law necessarily applies to us as rational beings. And Kant demonstrates this by showing that we are rational beings, that we have freedom of the will because we are rational beings, that the moral law is the law of freedom of the will, and that as rational beings we are subject to the moral law. According to Kant’s argument, freedom must be conceived positively not as mere freedom from causal determination by natural laws but as a causality that acts in accordance with laws of a different kind (04:446). This law must be autonomously given by itself (04:447) and can only be the moral law. Crucially, however, Kant’s discussion of freedom in the Groundwork relies on the idea that we are conscious of our use of reason and reason’s spontaneity. And in being conscious of the spontaneity of reason we are conscious that we are intelligible beings. This line of argument, however, appears very similar to the problematic argument in the Third Antinomy that from consciousness of our spontaneous activity we can conclude that the intelligible object or noumenal self at the basis of this activity has freedom. In what follows, I will



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consider how Kant abandons these arguments from consciousness in favor of a new kind of argument in the Critique of Practical Reason.

2. The Presupposition Arguments Kant ultimately demonstrates the conceivability of transcendental freedom as a capacity for spontaneous activity independent of empirical determination in the Critique of Pure Reason and the Groundwork, but we have also seen that he unsuccessfully attempts to argue for freedom on the basis of our consciousness of our spontaneous activities. This means that although freedom is conceivable, it is unclear whether we have grounds for accepting that we have such freedom. In the Critique of Practical Reason, however, Kant supplies the reasons for accepting that we have such freedom by arguing that our freedom is revealed by our recognition of the moral law. The validity of the moral law is a fact of reason, and we recognize that it provides reasons for action independent of our empirical desires and interests. And we recognize that we thus have the ability to carry out actions on the basis of duty alone rather than empirical incentives. In this regard, the idea of freedom is not merely theoretically conceivable but is given reality through the practical use of reason. The validity of the moral law is the ground for assuming the reality of the idea of freedom as a causal power that we possess and exercise independent of empirical conditions. This is not, however, the only argument Kant provides for freedom in the Critique of Practical Reason. In his discussion of God and the immortality of the soul as practical postulates, Kant also includes the idea of freedom as a practical postulate. Regarding these postulates he writes: These postulates are those of immortality, of freedom considered positively (as the causality of a being insofar as it belongs to the intelligible world), and of the existence of God. The first flows from the practically necessary condition of a duration befitting the complete fulfillment of the moral law; the second from the necessary presupposition of independence from the sensible world and of the capacity to determine one’s will by the law of an intelligible world, that is, the law of freedom; the third from the necessity of the condition of such an intelligible world to be the highest good, through the presupposition of the highest independent good, that is, of the existence of God. (05:132) We may consider each of these in turn. Regarding immortality, according to Kant rational psychology previously overstepped its boundaries in asserting the immortality of the soul because it had no grounds for asserting the permanence of the ultimate subject of thought which would be required for understanding this ultimate subject as a substance. The category of substance and the attendant notion of persistence could be applied only to an object revealed in intuition, and the ultimate subject of thought could not be revealed in intuition in this way. And since

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the notion of persistence could not be applied to this ultimate subject of thought neither could immortality. However, practical reason postulates this duration or permanence that makes up the central feature of a substance as a necessary condition for pursuit of the highest good as an end of practical reason.17 Regarding God, Kant argues that we are faced with an antinomy of sorts when we consider our duty to bring about the highest good or the state in which we have achieved virtue and we have happiness commensurate with our virtue. Given our experience in this world it appears that such a state cannot be achieved, and if we have no reason to believe that such a state can be achieved then we cannot adopt it as an end. So in order to think of this highest good as achievable we have to assume God has created the world in such a way that will support this end. Thus God and immortality are presupposed as postulates of pure practical reason. Freedom itself is also such a postulate of pure practical reason, but Kant is less explicit about why freedom must be presupposed in this way. Freedom and the independence of our free actions from the sensible world must be presupposed on a number of grounds. It is only if we can act independently of sensible conditions and determine our will in accordance with laws of the intelligible world, i. e. in conformity with the moral law, that we can be accountable for our actions. It also seems that freedom is required to make sense of our striving to bring about the highest good. If our actions were determined by sensible conditions, then there would be no reason for such striving, and we might excuse ourselves from action according to the so-called logon aergon or the sophism of lazy reason. It is, however, unclear why Kant provides this argument for freedom as a practical presupposition in addition to the argument that the existence of freedom follows from our obligation to the moral law, which is a fact of reason.18 One might also wonder whether Kant could have abandoned the argument for freedom from the fact of reason and maintained that the argument that freedom is a necessary postulate of pure practical reason is sufficient for his purposes. These issues notwithstanding, however, it is clear that Kant provides arguments in the Critique of Practical Reason that establish freedom without relying on the argument from consciousness familiar from his previous attempts. And in this regard he has managed to establish that we have

17  For an objection to Kant’s argument for the immortality of the soul as a postulate of pure practical reason, see Yovel 1980, 113. According to Yovel, Kant’s argument ultimately implies that the body must also be immortal, which Yovel maintains is absurd and thus undermines Kant’s argument. For an extensive discussion of this as well as other objections, see Surprenant, 2008. 18  Kant also discusses freedom as a practical postulate in »What Real Progress Has Metaphysics Made in Germany since the Time of Leibniz and Wolff?« where he argues that the freedom posited as a practical postulate is that of autocracy whereas freedom as the power of the will to do what is required regardless of sensibility is autonomy. See 20:295 and Kant 2002, 346. See 6:381–385, 393–397); 29:626, 243 and 27:139, 363 in Kant 1997; Beck 1987; Beck 1960, 207–8; Baxley 2010, 51–60; Baxley 2003.



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the kind of freedom that is one of the necessary conditions for moral responsibility or the imputability of actions he identified in the pre-critical and critical period. Problematically, however, the Critique of Practical Reason does not provide an argument for the second necessary condition for moral responsibility Kant identifies, namely psychological personality. The fact that he does not reconsider psychological personality is problematic because the arguments for psychological personality from consciousness in his previous writings fail to deliver an adequate account of psychological personality since these arguments violate the strictures placed on knowledge of noumena and fail to show how psychological personality can be retained across gaps in conscious experience. The failure to provide an explicit account of psychological personality is not, however, merely a general problem but one that has important repercussions for Kant’s account of our moral obligations as well as his account of our motivations for acting morally. Indeed, there are a number of scenarios in which the account of moral agency and our obligations to the moral law require the retention of psychological personality. Consider a scenario in which I make a promise to someone and then fail to keep this promise because I forgot making it. Am I still morally obligated to make good on this promise? And am I still morally praiseworthy or blameworthy depending on whether I make good on the promise or not? It seems that Kant would answer in the affirmative to both questions. However, it makes sense to hold someone morally accountable for the promise they made only if the person who makes good on the promise or fails to make good on the promise is the same person who made the promise, i. e. that psychological personality is retained. Now consider an account of psychological personality that might support the idea that one retains moral responsibility in this scenario. One might think that for Kant there must be some psychological connection between my actions and my preceding reasons for my actions in order for these actions to be attributable to me. It is only if I can recognize my actions as following from these reasons that I can attribute these actions to myself. In this regard, my retention of psychological personality would depend on my explicit ability to understand that my current actions follow from previous reasons. And this sort of psychological personality is necessary for my moral responsibility for my actions. This is to say that I am accountable for these actions and these actions are imputable to me only if I can see that they follow from my previous reasons. The problem is that in the scenario involving the failed promise, there is no connection between my action or inaction and the reasons that preceded it. I do not make good on the promise, but I do not know why since I have forgotten having made the promise in the first place. And so there is a lack of psychological continuity between my actions and the reasons that preceded it. Nevertheless, Kant it seems would maintain that I am morally obligated to fulfill this promise and am morally responsible for having failed to fulfill it. Another way to think about this is whether my obligation to fulfill the promise is excused when I have no memory of having made the promise. It seems not. In order to be morally responsible for my actions, it appears that I must retain psychological personality, and this personal-

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ity cannot depend on my explicit ability to connect my reasons for action with my action or inaction, nor can it depend on any sort of explicit conscious psychological connection. Consider another point. In the Critique of Practical Reason, Kant argues that God and immortality must be assumed as postulates of pure practical reason in order to explain how we can adopt the highest good as an end. But it might be argued that immortality itself would make very little sense if psychological personality were not retained. What difference would it make if we bring about the highest good if we were not or could not be regarded as the same persons who strove to bring about the highest good? But how would such psychological personality be retained? On the option canvassed above, we would have to understand how our happiness in the afterworld is grounded in actions we previously undertook and how these actions were connected with our reasons for acting. Or, less strictly, we would simply have to have an explicit psychological connection with our past actions such as having some memory of having undertaken some action or not.19 But it seems counterintuitive to think that such a strong connection is needed on Kant’s view. An understanding of psychological personality as requiring memory or explicit psychological connections between one’s actions and the reasons that motivate these actions would not provide the right results in either of the scenarios considered. In the first scenario, someone who makes a promise would be excused from their obligation to fulfill the promise and so excused from responsibility for having failed to make good on the promise simply because they forgot about making the promise. And in the second scenario, we might not find happiness in some future life for actions undertaken in this life simply because we forgot undertaking them or no longer understand how these actions followed from antecedent reasons. So what is needed is an understanding of psychological personality that allows that one is the same person even across such gaps in memory or explicit reasoning. What I would like to argue is the following two points: (1) For Kant the retention of psychological personality requires the persistence of a soul. By allowing for a persisting soul, we can understand how in the scenarios above one retains one’s moral obligations and can be considered morally responsible for actions even across lapses of memory or moments when one does not understand how one’s actions follow from antecedent reasons. And (2) the argument for a soul that persists with psychological personality is part of a larger and partly implicit argument Kant makes in the Critique of Practical Reason for the existence of the soul endowed with the properties necessary for morality including immortality and practical and psychological personality. First we may consider (1), the claim that psychological personality requires the persistence of a substantial soul. As early as the Critique of Pure Reason, Kant recognizes the importance of the soul for overcoming lapses in memory. But his discus19  One way to avoid this problem is to argue that God would restore us with full memory of our actions. Locke sometimes suggests such a position; see Locke 1975.



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sion of the soul is not a demonstration of the existence of the soul but a reflection on the heuristic value of assuming its existence. According to Kant, although the transcendental idea of the soul cannot be referred to an object, the presupposition of such an object can guide the empirical use of reason toward systematic unity. And as such it is a necessary maxim of reason to proceed in accordance with this idea (A 671 / B 699). Regarding the soul, he writes: »Following the ideas named above as principles, we will first connect all appearances, actions, and receptivity of our mind to the guiding thread of inner experience as if the mind were a simple substance that (at least in this life) persists in existence with personal identity, while its states – to which the states of the body belong only as external conditions – are continuously changing« (A 672 / B 700). The suggestion Kant makes here is that if we presuppose the existence of a substantial soul and treat the mind as if it were a substantial soul then we can attribute all actions and appearances to this soul as the bearer of these properties. Although Kant suggests in the Appendix to the Transcendental Dialectic that the presupposition of the existence of such a soul has heuristic use, we can also see that it has a use in securing psychological personality or personal identity insofar as such a soul would persist across changes in both the body associated with it and the representations attributed to it. He makes a similar point in the Third Paralogism where he writes: It is remarkable, however, that personality, and its presupposition, persistence, hence the substantiality of the soul, must be proved only now for the first time. For if we could presuppose these, then what would of course follow is not the continuous duration of consciousness, but rather the possibility of a continuing consciousness in an abiding subject, which is already sufficient for personality, since that does not cease at once just because its effect is perhaps interrupted for a time. (A 365) In this case, the presupposition of the substantiality and persistence of the soul not only would allow actions and appearances to be attributed to a single thing but would also solve the problem of lapses of consciousness raised against the Lockean view of psychological personality. If we were to presuppose a soul that is substantial and persists across time, we would not have a continuing consciousness but the possibility of a continuing consciousness. This is to say that although consciousness may be interrupted, the possibility of a continuing consciousness is retained whenever the substantial soul persists. And the persistence of this substantial soul that supports the possibility of a continuing consciousness would be sufficient for psychological personality. Thus what is required for psychological personality is not a continuing consciousness but a persisting substantial soul. And it is clear how the presupposition of a persisting soul that is sufficient for psychological personality in this way would resolve the difficulties raised earlier regarding forgotten promises and happiness in a future life. The fact that someone may have forgotten a promise or fails to connect their current actions with previous reasons does not mean that they are exculpable because psychological personality does not depend

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upon a continuing consciousness but only upon the persistence of a substantial soul. Likewise, the fact that someone may not recall their actions in an afterlife does not make them exculpable because they retain psychological personality as long as their substantial soul persists. In both the passage from the Appendix and the Third Paralogism, we can see that Kant maintains that if we presuppose the existence of a persisting soul we may have an adequate account of psychological personality. Second, we may consider (2), the idea that Kant’s argument for psychological personality in the Critique of Practical Reason is linked with his discussion of immortality as a postulate of pure practical reason. In his discussion of immortality, Kant reiterates the idea that previous philosophers failed to establish the immortality of the soul because they assumed that the ultimate subject of thoughts and representations was permanent but were not warranted in doing so because the conditions for the application of the concept of a substance as an enduring thing were lacking. Since the claim that the soul is immortal was founded on the illegitimate claim that the soul is an enduring substance, the claim that the soul is immortal also fails. However, in the Critique of Practical Reason Kant claims to have overcome the paralogistic reasoning of his predecessors by arguing that practical reason legitimately postulates the duration involved in the immortality of the soul.20 He writes: [T]he problem in the solution of which speculative reason could do nothing but commit paralogisms (namely, the problem of immortality) [arises] because it lacked the mark of permanence by which to supplement the psychological concept of an ultimate subject, necessarily ascribed to the soul in self-consciousness, so as to make it the real representation of a substance; this mark practical reason furnishes by the postulate of a duration required for conformity with the moral law in the highest good as the whole end of practical reason. (05:133) Although Kant is not explicit about this, however, it is not only duration and the accompanying immortality that are postulated. By furnishing the mark of permanence needed for immortality, pure practical reason also furnishes the mark need for the real representation of a substance. By postulating the immortality of the soul required for conformity with the moral law in the highest good, practical reason also postulates its permanence, or persistence, and its substantiality. In another passage on the importance of immortality for the endless progress toward complete conformity of our dispositions with the moral law in attaining the highest good, Kant is also more explicit about additional properties of soul that are 20  Kant also presents related moral arguments for immortality in his lectures from the 1760’s where he suggests in various ways that the proper distribution of rewards and punishments is not made in this life and so requires an afterlife; see 28:110. For similar arguments in later lectures, see 28:289. Karl Ameriks discusses these earlier arguments at length in Ameriks 2000, 177–188. As Ameriks notes, Kant is also clear in his later period that any argument for immortality should also establish the persistence of personal identity; see Ameriks 2000, 182; 28:763.



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postulated. He writes: »This endless progress is, however, possible only on the presupposition of the existence and personality of the same rational being continuing endlessly (which is called the immortality of the soul)« (05:122).21 It appears that the practical postulate of immortality is much more than just a practical postulate of a single property of persistence after death but also includes the presupposition of the existence and personality of the soul. It should be evident why Kant includes the existence of the soul in addition to its immortality. It would make very little sense to presuppose the immortality of the soul for the purposes of moral philosophy if one did not also presuppose the existence of such a soul. But what kind of personality does Kant think is presupposed here? Is it practical personality, i. e. freedom, or is it psychological personality, i. e. personhood? As we have seen from his lectures, Kant often uses »personality« to refer to both.22 So it would not be a stretch to think that both are presupposed. As a postulate of pure practical reason, freedom is required for the endless progress of morality perhaps for the obvious reason that something could not count as a moral action if it were not done from freedom. But psychological personality must also be presupposed because it is needed in order to ensure that present actions and the attainment of the highest good are connected. As pointed out previously, it would make very little sense to suggest that we strive for the kingdom of ends if we could not have some assurance that the person who may achieve happiness is the same person who made themselves deserving of happiness through their previous actions.23

21  Kant writes: »This endless progress is, however, possible only on the presupposition of the existence and personality of the same rational being continuing endlessly (which is called the immortality of the soul). Hence the highest good is practically possible only on the presupposition of the immortality of the soul, so that this, as inseparably connected with the moral law, is a postulate of pure practical reason (by which I understand a theoretical proposition, though one not demonstrable as such, insofar as it is attached inseparably to an a priori unconditionally valid practical law)« (05:122). 22 See for example 28:296. On Kant’s distinction between psychological and practical personality, see also Klemme 1996, 97–101. 23  A statement from Metaphysik Dohna (1792–1793) also suggests some support for my argument that Kant provides a moral or practical argument for the presupposition of our personality. He writes: »We can consider the personality of the soul: (1) morally – insofar as this being is capable of an ascription (imputation of action), free, – we have just treated of that. (2) Psychologically. – Do we indeed maintain identity of person in our whole life? The I is intellectual, through that the human being connects his states, thus identity occurs, but that which perdures, empirical consciousness in time, a human being cannot name. Thus identity is not at all to be doubted morally, but (physically) theoretically one cannot assume it, as little as the water in a river always remains the same {(Locke, Essay)}« (28:683). Since the Critique of Practical Reason, it is clear that the intellectual I for Kant is the soul that persists with identity. Although we cannot have an experience of persisting empirical consciousness in time or of a persisting physical object, we cannot doubt morally that there is a soul that persists with identity.

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The passages above suggest that when Kant argues for the presupposition of the immortality of the soul in the Critique of Practical Reason, he is also arguing for the presupposition of its existence, substantiality, persistence, and practical and psychological personality. Although Kant has shown in the Critique of Pure Reason that a speculative consideration of the existence of the soul and its properties including substantiality, simplicity, and personality is excluded, and thus that knowledge claims about it are excluded, in the Critique of Practical Reason, Kant has discovered a line of argumentation that allows him to establish all of the properties denied to the soul in the Paralogisms of Pure Reason on the basis of the importance of these properties for morality. Although he expends his efforts on demonstrating only one property, namely immortality, it is clear that the others are also central to the possibility of morality and so also are presuppositions of pure practical reason.24 An analogous line of argumentation can be found in Kant’s discussion of God and the properties of God. Kant argues in the Critique of Practical Reason that God is necessary to ensure we achieve happiness commensurate with our virtue and as such is a legitimate postulate of pure practical reason, but he is not explicit about whether God has those properties commonly accorded to him in rationalist theology such as perfection, omniscience, or omnipotence. In the Critique of Judgment, however, he explains how these properties are involved in practical reason’s presupposition of God’s existence. He writes: In relation to the highest good possible under his rule alone, namely the existence of rational beings under moral laws, we will conceive of this original being as omniscient, so that even what is inmost in their dispositions (which is what constitutes the real moral value of the actions of rational beings in the world) is not hidden from him; as omnipotent, so that he can make the whole of nature suitable for his highest end; as omnibenevolent and at the same time just, because these two properties (united as wisdom) constitute the conditions of the causality of a supreme cause of the world as a highest good under moral laws; and likewise all of the remaining properties, such as eternity, omnipresence, etc. (for goodness and justice are moral properties), which must be presupposed in relation to such a final end, must also be thought in such a being. (05:444) Not only must we conceive of the existence of God, God must also be omniscient, because he must see the dispositions that constitute the real moral value of our actions, omnipotent, so that he can create a world that is suitable for future happiness, omnibenevolent, omnipresent, and eternal. Regarding the demonstration of the existence of God and those properties associated with him by rational theology, Kant also points out: »This moral argument is 24 One issue that, however, remains unclear throughout Kant’s discussion of the soul as a practical postulate is how one is to make sense of a persisting soul as a thing in itself. Given that things in themselves are neither spatial nor temporal, it is unclear what exactly persistence can mean here.



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not meant to provide an objectively valid proof of the existence of God, nor meant to prove to the doubter that there is a God; rather, it is meant to prove that if his moral thinking is to be consistent, he must include the assumption of this proposition among the maxims of his practical reason« (05:450–1n). Analogously, the moral argument for the soul and its immortality along with its practical and psychological personality is not meant to be a theoretical and objectively valid proof but is intended to demonstrate that we must assume the existence of the soul and its properties including its practical and psychological personality as postulates of pure practical reason. As such, this postulate of pure practical reason is »a theoretical proposition, though one not demonstrable as such, insofar as it is attached inseparably to an a priori unconditionally valid practical law« (05:122). In this regard, the demonstration of the existence of the soul and its properties differs dramatically from Kant’s argument in the Appendix that the soul is a necessary supposition of reason in its empirical use as it strives toward systematic unity in its thinking about the attributes of thought and mental faculties. It also differs from the tentative assertions in the Third Paralogism that problems associated with lapses in consciousness could be overcome by assuming the existence of a persisting soul as the ground of possibility of continuing consciousness. But Kant’s solution in the Critique of Practical Reason combines insights from both by recognizing that the existence of the soul must be presupposed rather than directly argued for on the basis of consciousness and recognizing that the presupposition of such a soul also carries with it the presupposition of its psychological personality. If it is true, however, that Kant endorses some of the traditional properties of the soul as postulates of pure practical reason, one might wonder why the arguments he raises against these properties in the Paralogisms do not also apply. A central point that Kant makes in the Critique of Pure Reason is that the claims made by the rationalist regarding substantiality, simplicity, and persistence of the soul are synthetic a priori claims. And he argues that these synthetic a priori claims cannot be justified on the basis only of the analytic a priori arguments provided by the rationalist, nor can they be justified on the basis of a posteriori arguments. But the arguments for the properties of the soul in the Critique of Practical Reason are also synthetic a priori claims. In contrast with the rationalist’s arguments, however, Kant shows that such claims are legitimate. They are legitimate a posteriori claims because they are constitutive of morality and as such are objective. Just as the principles of understanding and the categories are synthetic a priori truths because they are constitutive of experience and the world of appearances, the postulates are legitimate synthetic a priori truths because belief in them is constitutive of morality.25 This is the case most obviously for freedom and permanence but can also be extended as we have seen to psychological personality. So in this regard, Kant is able to secure the postulates and the various properties of the soul without succumbing to the objections he raised against rationalist philosophers. 25  I

am in agreement on this point with Walker 2010, 139 f. and Surprenant 2008, 87 f.

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Beyond freedom and psychological personality, it also appears that there are a variety of other features that belong to the soul on Kant’s account. It is clear, for example, from the discussion of our practical agency in the Critique of Practical Reason that there are various mental faculties that are required for practical agency including reason and the will. Reason is required for giving oneself maxims. And the will is characterized as a faculty to produce objects corresponding to the representation of those objects (05:15) or as a faculty to determine one’s actions according to the representation of rules or principles (05:32).26 Elsewhere Kant also mentions the »two faculties of the mind, the faculty of cognition and that of desire« (05:12) and uses formulations such as »faculty of the human soul« (05:10). Indeed one might surmise that those cognitive faculties that Kant identifies in the Critique of Pure Reason – understanding, reason, sensibility, and the imagination – that are sources of synthetic a priori knowledge are also required for practical agency. And it is evident from his formulations that such faculties have their foundation in the soul. But rather than arguing that the presupposition of the soul would merely enable systematic unity in the empirical study of the mind and its mental faculties as he does in the Critique of Pure Reason, Kant has good reason to maintain that morality requires not only the existence of the soul but also the existence of these faculties that are grounded in the soul and necessary for reasoning about morality. Ultimately what Kant’s account appears to require is that we have a soul that is substantial, simple, persisting, immortal, free, and possesses psychological personality and the cognitive faculties required for cognition and moral reasoning. Such a soul also has the requisite properties for moral responsibility and the imputability of actions. This is a point the details of which are often overlooked in discussions of Kant’s practical philosophy. Kant has, however, found a way to demonstrate the existence of this soul and its properties in a way that does not succumb to reason’s propensity to extend itself beyond the boundaries of experience in theoretical questions and has found a secure ground for this demonstration through a consideration of the prerequisites for morality. The fact that Kant’s arguments in the Critique of Practical Reason move toward establishing a metaphysical view of the soul and its properties also suggests that his seeming commitments to the soul in the Critique of Pure Reason are not a mere anomaly associated with the A edition and later abandoned in the B edition but persist throughout his writings.27 It also gives good reason to think that interpretive accounts that are dismissive of Kant’s commitments to the soul in their treatments of personal identity and rational agency overlook the broader story within which Kant’s discussions of personal identity and rational 26 Kant’s characterization of the will is complicated by the fact that he is sometimes inconsistent in his characterizations. For a discussion of Kant’s uses of Wille and Willkür, see Allison 1990, 29. However, how Kant characterizes these faculties is not relevant to the present argument. 27  See Horstmann 1993.



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agency figure.28 We can see that rather than abandoning the basic metaphysical picture of the soul and its properties, Kant alters his arguments. He moves away from arguments for the soul and its freedom and psychological personality on the basis of consciousness, which is a legacy from rational psychology, and arrives at arguments that maintain that the soul and its freedom and psychological personality are necessary postulates of pure practical reason.29

28  An overview of somewhat recent interpretations of Kant on personal identity and the self can be found in Zöller 1993, 445–466. Interpretations that do not construe personhood or personal identity in terms of a metaphysical view of the soul in Kant include: Powell 1990; Melnick 2009; Kitcher 1982a; Kitcher 1982b; Kitcher 1984; Keller 2001; Aquila 1997; Strawson 1966. Other interpretations that construe personhood, personal identity, and the self in Kant in terms of the soul, an entity, or substance include: Wuerth 2006; Ameriks 2000; Marshall 2010; Rosefeldt 2000. My interpretation differs from Wuerth insofar as I argue that although Kant’s metaphysical view of the soul and its properties does not change substantially from the pre-critical to critical period, his arguments for this view do change from consciousness arguments to presupposition arguments. My interpretation also differs from Marshall insofar as it focuses on how Kant uses the consciousness and presupposition arguments to establish his claims about the soul and its properties. 29  I would like to thank Bernd Ludwig, Andree Hahmann, Günter Zöller, Marcus Willa­ schek, Martin Sticker, Andreas Brandt, and Rachel Zuckert as well as participants of the Göttingen Kant-Oberseminar and the conference on Kant’s Kritische und vorkritische Metaphysik for helpful questions, criticism, and discussion of drafts of this paper.

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Kants Vermögensmeta­phy­sik Dietmar H. Heidemann

Einleitung Kants Verhältnis zur Meta­phy­sik ist seit jeher Streitpunkt der Aneignung und Auslegung seiner Philosophie. Stellvertretend für die Auseinandersetzungen um Kants Meta­phy­sikverständnis stehen zwei Publikationen des Jahres 1924. In diesem Jahr erscheinen unabhängig voneinander Max Wundts Buch Kant als Meta­phy­siker sowie Heinz Heimsoeths Abhandlung »Persönlichkeitsbewußtsein und Ding an sich in der Kantischen Philosophie«.1 Beide seinerzeit einflussreiche Veröffentlichungen markieren insofern eine Wendemarke der Kant-Interpretation, als in ihnen für eine Umkehr von einer meta­phy­sikfeindlichen zu einer meta­phy­sikfreundlichen Lesart Kants plädiert wird. Für eine meta­phy­sikfeindliche oder gar antimetaphysische Interpretation der kritischen Philosophie steht der in Deutschland in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer noch einflussreiche Neukantianismus, der in den kritischen Werken Kants eine Grundlegung von Wissenschafts- und Kulturphilosophie ohne jegliche metaphysische Ambitionen erblickt. Wundt und Heimsoeth halten die neukantianische Deutung für einseitig, ja für ein Zerrbild der kritischen Philosophie, da sich Kant durchaus kein von aller Meta­phy­sik gereinigtes philosophisches Selbstverständnis zuschreiben lasse; vielmehr lasse sich Kant auch in seiner kritischen Philosophie von genuin metaphysischen Motiven leiten. Eine Rehabilitierung Kants als Meta­phy­siker oder zumindest der Tragweite meta­ physischer Gehalte seiner Philosophie, wie sie Wundt und Heimsoeth auf für das spätere Kant-Verständnis wirkungsmächtige Weise unternehmen, wird in unseren Tagen erneut versucht, und zwar in zwei voneinander unabhängigen Kontexten. Zum einen ist spätestens seit den 1980er Jahren das Interesse der Forschung an Kants vorkritischer Philosophie sowie vor allem deren Quellen stetig gewachsen. Dies belegt zumindest die Anzahl entsprechend einschlägiger Publikationen, die den Fokus weg von Kants Hauptschriften auf die Philosophie vor der kritischen Wende richten. Leitend ist hierbei im Wesentlichen die Absicht, das Gesamtkorpus des kantischen Werkes weiter zu erschließen, um mit Hilfe der vorkritischen Schriften zu einem umfassenderen Verständnis der kritischen Philosophie und ihrer metaphysischen Voraussetzungen zu gelangen.2 Einer anderen Richtung folgen hingegen die aktuell in Teilen der Literatur zu beobachtenden Tendenzen, die kriti1  Vgl. 2  Vgl.

Wundt 1924 und Heimsoeth 1956. zum Beispiel Dyck 2014, Rockmore 2001, Schönfeld 2000.

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sche Philosophie als eine im Grunde bloß alternative Ausdrucksform vorkritischer Philosophie, und das heißt eben vorkritischer Meta­phy­sik, zu verstehen. Dabei handelt es sich letztlich um Versuche, die kritische Wende zu nivellieren, sodass sich in Kants philosophischer Entwicklung letztlich keine fundamentalen Brüche erkennen lassen. Diese Versuche der Rehabilitierung vorkritischer kantischer Meta­ phy­sik werden nicht selten von Seiten analytisch inspirierter Kant-Forschung unternommen in der Absicht, Kant für die gegenwärtigen Debatten der analytischen Meta­phy­sik anschlussfähig zu machen.3 Wie immer man im Einzelnen zu solchen der Sache nach zunächst einmal legitimen Aktualisierungsversuchen steht, ob man also etwa die Annahme der Existenz nicht-raumzeitlicher Gegenstände und deren kausalen Eigenschaften mit dem transzendentalen Idealismus für kompatibel hält oder nicht, so scheint doch die Nivellierung der kritischen Wende, also des Bruchs Kants mit der Meta­phy­sik aus altem Schrot und Korn, unvereinbar zu sein mit der Entwicklung der kantischen Philosophie insbesondere in den späten 1760er und dann vor allem 1770er Jahren.4 Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Kant mit der kritischen Wende Meta­phy­sikkritiker wird und dann auch bleibt, also die von klassischer metaphysica specialis und generalis erhobenen Erkenntnisansprüche systematisch in Frage stellt. Eine völlig andere Frage ist es, ob Kant den metaphysischen Implikationen seiner kritischen Philosophie hinreichend gerecht wird. Diese metaphysischen Implikationen kritischer Philosophie lassen sich meines Erachtens nicht leugnen und können paradigmatisch an dem abgelesen werden, was sich – hier begrenzt auf die theoretische Philosophie – als kantische Vermögensmeta­phy­sik bezeichnen lässt. Unter kantischer Vermögensmeta­phy­sik verstehe ich den theoretischen Gesamtkomplex der Grundlegung des kritischen kognitiven Dualismus, also der Lehre von Sinnlichkeit und Verstand als den zwei irreduziblen Stämmen menschlicher Erkenntnis. Nicht nur Kants eigene positive Theorie hängt vom kritischen kognitiven Dualismus ab; entscheidend geprägt von der Lehre der Dualität der Erkenntnisstämme ist Kants Meta­phy­sikkritik selbst. Ich werde daher für zwei unmittelbar miteinander zusammenhängende Thesen argumentieren, nämlich erstens, dass Kants Vermögensmeta­ phy­sik Voraussetzung seiner eigenen Meta­phy­sikkritik ist, sowie zweitens, dass Kant in seiner Vermögensmeta­phy­sik zwar an der Unerkennbarkeit der metaphysischen Fundamente von Sinnlichkeit und Verstand festhalten muss, aber durchaus

3  Vgl.

stellvertretend für zahlreiche andere Publikationen Langton 1998. Zumindest für die Behauptung der Existenz von Dingen an sich und deren kausalen Eigenschaften kann wiederum Langton als Beispiel dienen: »Kant affirms the existence of things in themselves and speaks of them affecting our minds, and being the cause of appearances« (Langton 1998, 7). Wenn Langton mit »things in themselves« nicht in Raum und Zeit existierende Körperdinge meint, ist es meines Erachtens nicht möglich, ihnen Existenz und kausale Eigenschaften zuzuschreiben, da diese nach kantischer Auffassung nur Erscheinungen, das heißt Gegenständen in Raum und Zeit zukommen können. Vgl. zu den aus einer solchen Auffassung resultierenden Schwierigkeiten: Heidemann 2010. 4 



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dazu in der Lage ist, den kognitiven Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand mit eigenen Argumenten positiv zu rechtfertigen. Im ersten Abschnitt dieses Beitrags wird zunächst erläutert, was im Einzelnen unter kantischer Vermögensmeta­phy­ sik und kognitivem Dualismus zu verstehen ist. Im zweiten Abschnitt werden die Grundzüge der leibnizschen Theorie des dunklen und klaren Vorstellens skizziert, die Kant als den nervus probandi seiner Meta­phy­sikkritik erachtet, um im dritten Abschnitt die kantischen Argumente gegen diese Theorie und für den eigenen kognitiven Dualismus zu erörtern. Dabei wird insbesondere die Bedeutung der kantischen Vermögensmeta­phy­sik für Kants eigene Meta­phy­sikkritik diskutiert. Ein Fazit resümiert die dazu angestellten Überlegungen.

1. Kants Vermögensmeta­phy­sik Kants kognitiver Dualismus, also die Lehre von Sinnlichkeit und Verstand als die beiden Quellen menschlicher Erkenntnis, zeichnet sich durch drei Thesen aus: erstens durch die Irreduzibilitätsthese, der zufolge Sinnlichkeit und Verstand weder aufeinander noch auf ein drittes Prinzip zurückgeführt werden können; zweitens durch die Kooperationsthese, wonach menschliche Erkenntnis nur möglich ist durch das kognitive Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Verstand; sowie drittens durch die Unerkennbarkeitsthese, der zufolge wir keine Einsicht in Ursprung und Herkunft unserer kognitiven Vermögen besitzen.5 Dass der kognitive Dualismus eine Vermögensmeta­phy­sik beansprucht, folgt aus der Unerkennbarkeitsthese, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft ausdrücklich vertritt. So erläutert er den kognitiven Dualismus etwa mit dem Hinweis darauf, dass »sich die allgemeine Wurzel unserer Erkenntniskraft teilt und zwei Stämme auswirft« (A 835 / B 863).6 Allerdings lasse sich dies bloß vermuten, denn die »zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis« entsprängen, wie es weiter heißt, nur »vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel« (A 15 / B 29). In der Kategoriendeduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (A 124) werden Sinnlichkeit und Verstand ferner als die beiden äußersten »Enden« identifiziert, zwischen denen die Einbildungskraft vermittle. Hier sieht es so aus, als sei die Ein-

5  Engstrom (2006) stimmt der hier so bezeichneten Irreduzibilitäts- und Kooperationsthese ausdrücklich zu und hält Letztere für den eigentlich entscheidenden Grund der Kants theoretischer Philosophie letztlich doch zugrundliegenden kognitiven Einheit von Sinnlichkeit und Verstand in einem ursprünglichen Erkenntnisvermögen. Mit der Unerkennbarkeitsthese dürfte die Unifizierung der ursprünglich irreduziblen Erkenntnisstämme aber nur schwer vereinbar sein (siehe unten). Zu Kants Begründung der Unerkennbarkeitsthese siehe Henrich 1955, 38 ff. 6 Die Kritik der reinen Vernunft wird zitiert nach der Ausgabe von Jens Timmermann (Hrsg.), Hamburg 1998 (A für die erste Auflage, B für die zweite Auflage). Alle übrigen Werke etc. nach der Akademie-Ausgabe, Berlin 1900 ff.

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bildungskraft jene »uns unbekannte Wurzel«, auf die die Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes zurückgeführt werden könnten. Allerdings ist diese dualistische Auffassung mit der von Kant in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft vertretenen triadischen Konzeption von »Sinn, Einbildungskraft und Apperzeption« als den drei Erkenntnisquellen, »worauf die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt, und Erkenntnis der Gegenstände derselben beruht« (A 115), nicht vereinbar. Dabei nennt Kant die Einbildungskraft selbst »eine blinde, obgleich unentbehrliche Funktion der Seele« (A 78 / B 103), die als »eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele [wirke], deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden« (A 141 / B 180 f.). So ist es Kants dezidierte Auffassung, dass der »transzendentale Grund« der Einheit unseres Erkenntnisvermögens überhaupt unerkennbar ist, da er »ohne Zweifel zu tief verborgen« (A 278 / B 334) liegt. Als solche steht die Unerkennbarkeitsthese in Einklang mit der generellen Erkenntnisrestriktion des transzendentalen Idealismus und insbesondere mit den in den Paralogismen vorgetragenen Argumenten gegen die Selbsterkenntnisansprüche rationalistischer Seelenmeta­phy­sik. Das Ich erkennt sich eben nur als Erscheinung im inneren Sinn und hat keinen vollständigen epistemischen Zugang zu seinen eigenen kognitiven Prozessen und Strukturen. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung, die dem kognitiven Dualismus in Kants kritischer Philosophie zukommt, ist die Unerkennbarkeitsthese gleichwohl höchst unbefriedigend, da Kant mit ihr einzugestehen scheint, ein Grundtheorem des kritischen Idealismus nicht legitimieren zu können. Die Vermögensmeta­phy­sik der kritischen Philosophie ist dabei so angelegt, dass es zwei kognitive Vermögen gibt, Sinnlichkeit und Verstand, die jeweils spezifische kognitive »Fähigkeiten« (A 51 / B 75; A 19 / B 33) besitzen. Grundsätzlich versteht Kant unter einer kognitiven Fähigkeit eine »Eigenschaft« (A 51 / B 75), die dem Gemüt zukommt. Dass das Gemüt eine kognitive Fähigkeit besitzt, heißt nichts anderes, als dass es bestimmte kognitive Aktivitäten ausführen bzw. Funktionen erfüllen kann, wie sinnlich wahrzunehmen, zu fühlen, sich etwas einzubilden, zu reflektieren, zu urteilen usw. Nun kommen dem menschlichen »Gemüt« bzw. Geist nach Kant zwei fundamentale kognitive Fähigkeiten zu, die Fähigkeit der sinnlichen Anschauung sowie die Fähigkeit diskursiv-begrifflichen Denkens. Diese Fähigkeiten sind insofern fundamental, als sie nicht aufeinander reduziert werden können und also unabhängig voneinander sind. Allerdings kann eine Fähigkeit nicht ohne einen ›Träger‹ oder Inhaber, zu dem sie gehört, einfach vorhanden sein und ausgeführt werden. In Kants Vermögensmeta­phy­sik ist daher die Fähigkeit der Anschauung dem Vermögen der Sinnlichkeit und die Fähigkeit begrifflichen Denkens dem Vermögen des Verstandes zuzuschreiben. In metaphysischer Hinsicht setzt sich das menschliche »Gemüt« demnach aus den beiden kognitiven Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes zusammen, die ›Träger‹ oder Inhaber jeweils spezifischer kognitiver Fähigkeiten sind, wobei wir keine Einsicht in Ursprung und Herkunft dieser Vermögen selbst besitzen. Gemäß diesem Modell des kognitiven Dualismus gehört eine kognitive Fähigkeit stets zu einem kogni­tiven



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Vermögen bzw. ein kognitives Vermögen hat eine kognitive Fähigkeit, sodass wenn es keine kognitiven Vermögen gäbe, es auch keine kognitiven Fähigkeiten geben könnte. Bereits an dieser Stelle ließe sich einwenden, dass die Dualität der Erkenntnisquellen und der ihnen jeweils zugeordneten Erkenntnisfähigkeiten bei Kant zwar nicht zu bestreiten ist, dass der systematische Sachzwang des Themas Ver­ mögensmeta­phy­sik im Rahmen einer Theorie der erkennenden Subjektivität, um die es auch Kant geht, nach einer Grundlegung der Dualität von Sinnlichkeit und Verstand in den subjektiven Leistungen eines den kognitiven Dualismus gründenden Vermögens verlangt. Damit ist thematisiert, was Henrich in diesem Zusammenhang »Einheit der Subjektivität«7 nennt und mit dem die systematische Forderung nach einer originären Einheit der Pluralität unserer subjektiven kognitiven Vermögen verbunden ist. Denn was kann es bedeuten, von subjektiven Vermögen der Erkenntnis zu sprechen, wenn diese nicht in der Subjektivität des Erkennenden als ihr Einheitsgrund verankert werden können. Die Schwierigkeit besteht dabei eben in der Beantwortung der Frage nach dem ontologischen ebenso wie epistemischen Status dieser als ursprünglich anzusehenden Einheit, durch die insbesondere auch die Kooperation disparater Erkenntnisvermögen und ihrer jeweiligen Fähigkeiten erklärbar wird. Kant kann sich dieser Frage nicht entziehen. Wenn auch unter anderen konzeptionellen Vorzeichen, ist das systematische Sachproblem der »Einheit der Subjektivität« bereits in der vorkritischen Meta­phy­sik eines der großen Themen der Schulphilosophie. Die schulmetaphysische Debatte um den Vermögensbegriff, mit der Kant vertraut war, wurde insbesondere von Wolff geprägt. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist der Begriff der »Kraft« bzw. der von Kant so bezeichneten »Grundkraft« (A 648–651 / B 676–679) der Seele und ihrer Vermögen. Während eine solche Kraft für Kant eine metaphysische, wenn auch nicht logische Illusion bleibt,8 nimmt Wolff nicht nur an, dass die »Seele« ein »einfaches« und »vor sich bestehendes Ding« ist (DM, §§ 742  f.), sondern darüber hinaus, dass sie eine »Kraft« hat, aus der »ihre Veränderungen herfließen«, wobei es sich nur um »eine einige Kraft« handeln kann, »von der alle ihre Veränderungen herkommen« (DM, §§ 744  f.).9 Diese »Kraft« ist für Wolff insofern die Grundkraft der Seele, als sie alle anderen Kräfte, wie etwa die Einbildungskraft, das Gedächtnis, Verstand oder Wille, hervorbringt (DM, § 747). Sie ist die »vorstellende Kraft« oder vis repraesentativa und sogar das »Wesen der Seele« (DM, § 754 f.). 7  Vgl.

Henrich 1955. Vernunft hat »[…] nichts anders vor Augen, als Prinzipien der systematischen Einheit in Erklärung der Erscheinungen der Seele, nämlich: alle Bestimmungen, als in einem einigen Subjekte, alle Kräfte, so viel möglich, als abgeleitet von einer einigen Grundkraft, allen Wechsel, als gehörig zu den Zuständen eines und desselben beharrlichen Wesens zu betrachten […]« (B 710 f.). 9  Christian Wolff: Vernuenfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen ueberhaupt (= Deutsche Meta­phy­sik, abgk. DM). 8  Die

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Von der »Kraft« unterschieden werden muss nun das »Vermögen«: »[D]enn das Vermögen ist nur eine Möglichkeit etwas zu tun; hingegen da die Kraft eine Quelle der Veränderungen ist […]. Durch das Vermögen ist eine Veränderung bloß möglich, durch die Kraft wird sie wirklich.« (DM, § 117) Kant wird den Begriff des Vermögens völlig anders verwenden als Wolff. Während für Wolff »Vermögen« die Möglichkeit der Seele bezeichnet, aufgrund ihrer Kraft Veränderungen zu bewirken, sodass der Terminus ›Vermögen‹ in seiner Theorie als (psychologischer) Modalbegriff fungiert, bezieht Kant den Begriff ›Vermögen‹ in aller Regel auf die beiden Quellen bzw. Stämme der Erkenntnis, nämlich Sinnlichkeit und Verstand (bzw. Vernunft), denen er, wie gesehen, spezifische Fähigkeiten zuschreibt.10 Der entscheidende Punkt ist nun, dass gemäß der Irreduzibilitätsthese Sinnlichkeit und Verstand deshalb zwei nicht aufeinander rückführbare kognitive Vermögen sind, weil sich beide Vermögen jeweils durch irreduzible kognitive Fähigkeiten auszeichnen, die sinnlich-­anschauliche und die diskursiv-begriffliche Fähigkeit.11 Das heißt der fundamentale Unterschied zwischen der sinnlich-anschaulichen und der diskursiv-begrifflichen Fähigkeit ist Erklärungsgrund für die fundamentale Differenz von Sinnlichkeit und Verstand als Vermögen und nicht umgekehrt. Diese Erkenntnis, wonach die Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes fundamental unterschiedliche, irreduzible kognitive Fähigkeiten ausüben, macht Kant als das zentrale Argument gegen die Meta­phy­sik leibniz-wolffscher Provenienz geltend, ohne offenkundig zu bestreiten, dass wir keine theoretische Einsicht in den metaphysischen Grund der Dualität unseres Erkenntnisvermögens besitzen. Im Folgenden geht es um die Erörterung der Frage, ob Kant angesichts seiner eigenen Vermögensmeta­ phy­sik überzeugend für die Unhaltbarkeit der leibniz-wolffschen Theorie des klaren und dunklen Vorstellens zu argumentieren vermag, auf die sich seiner Ansicht nach der Kernbestand neuzeitlicher Meta­phy­sik stützt.

10  Die historischen Zusammenhänge sind allerdings komplexer, als sie an dieser Stelle berücksichtigt werden können. Schon Henrich (1955, 32 ff.) referiert den Wolff-Hintergrund der kantischen Kritik an der Annahme einer Grundkraft der Seele und geht dabei auf weitere relevante Autoren wie Leibniz, Baumgarten, den Wolff-Gegner Crusius sowie Locke und Tetens ein. Vgl. hierzu umfassender Heßbrüggen-Walter 2004. Zu Kants Verwendung des Begriffs ›Vermögen‹ siehe ebenso Falduto 2014, 1–33. 11 Die Tatsache, dass die beiden Fähigkeiten und damit die beiden Vermögen dem Erkenntnisvermögen als solchen zuzurechnen sind, bedeutet jedoch anders, als Engstrom (2006, 6) meint eben nicht dass es »one capacity« im Sinne eines zuletzt grundlegenden kognitiven Vermögens gibt, aus dem sie in gewisser Weise entspringen. Auf der anderen Seite ist natürlich nichts gegen die Behauptung des einen Erkenntnisvermögens einzuwenden, sofern dieser Begriff klassifikatorisch verstanden wird, also als Begriff, unter den die Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes als zwei spezifische, irreduzible Erkenntnisvermögen fallen.



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2. Kants Meta­phy­sikkritik und die Theorie des klaren und dunklen Vorstellens Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass sich bereits der vorkritische Kant in gewissem Sinne als Meta­phy­sikkritiker versteht oder, besser gesagt: als Kritiker bestimmter klassischer metaphysischer Auffassungen seiner Zeit. Um nur einige Beispiele zu nennen: In der Nova Dilucidatio spricht Kant sich gegen das Prinzip des Widerspruchs als »einziges, unbedingt erstes und umfassendes Prinzip für alle Wahrheiten« (01:388) aus. In Der einzig mögliche Beweisgrund nennt er die »Meta­ phy­sik« einen »bodenlosen Abgrund«; sie sei ein »finsterer Ocean und ohne Leuchtthürme« (02:66). Im Versuch über den Begriff der negativen Größen kritisiert er – mit Kästner – die von ihm sogenannte »falsche Meta­phy­sik« dafür, ihre Prinzipien in der Regel nicht »an einem wahren und brauchbaren Begriffe zu prüfen« wie die »Mathematik«, »weil hier gelehrter Unsinn nicht so leicht wie sonst das Blendwerk von Gründlichkeit zu machen vermag« (02:170). Und um ein weiteres Beispiel zu geben, in der Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze (1764) behauptet Kant nicht ohne Selbstbewusstsein: »Die Meta­phy­sik ist ohne Zweifel die schwerste unter allen menschlichen Einsichten; allein es ist noch niemals eine geschrieben worden« (02:283). Auch wenn Kant hier als Kritiker der Meta­phy­sik auftritt, bewegt er sich vor der kritischen Wende doch mehr oder weniger auf dem Boden klassischer neuzeitlicher metaphysica specialis und generalis. Dies ändert sich mit der kritischen Wende. Für Kant erlangt nun die leibnizwolffsche Theorie des klaren und dunklen Vorstellens in der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Meta­phy­sik als Wissenschaft von Anfang an, d. h. mit der kritischen Wende beginnend, zentrale Bedeutung. Dies deutet sich bereits in dem Aufsatz Von dem ersten Grunde des Unterschieds der Gegenden im Raum von 1768 an, in dem Kant gewissermaßen als implizites Nebenprodukt seiner Analyse des Phänomens der inkongruenten Gegenstücke gegen Leibniz die theoretische Eigenbedeutung der Anschauung aufweist, und tritt klar hervor in der Inauguraldissertation De mundi sensibilis. Im Anschluss an die Einführung von Sinnlichkeit und Verstand als alleinigen Quellen der Erkenntnis heißt es dort: Hieraus erhellt, daß mit Unrecht die sinnliche Erkenntniß als eine verworrene, und die Verstandeserkenntniß als eine deutliche erklärt wird. Denn dies sind nur logische Unterschiede, welche das Gegebene, was aller logischen Vergleichung unterliegt, gar nicht berühren. Die sinnlichen Begriffe können sehr deutlich und die des Verstandes sehr verworren sein. Jenes zeigt sich in dem Urbild der sinnlichen Erkenntniß, in der Geometrie; dieses in dem Werkzeuge aller Verstandesbegriffe, der Meta­phy­sik, von der es allbekannt ist, daß sie trotz aller angewandten Mühe die Nebel der Verwirrung, welche den gewöhnlichen Verstand verdunkeln, nicht immer mit so glücklichem Erfolg, wie jene, vertreiben kann. (02:394–395)12 12  Alle

in diesem Aufstaz verwendeten Übersetzungen entstammen Kant (1982)

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Kant kritisiert an dieser Stelle Wolff und implizit Leibniz dafür, die Lehre von den verworrenen und deutlichen Vorstellungen »zum großen Schaden der Philosophie« (02:395) verbreitet zu haben, ohne allerdings zu spezifizieren, worin dieser »Schaden« konkret besteht. Um die kantische Kritik nachvollziehen zu können, wird im Folgenden kurz Leibniz’ Theorie des deutlichen und verworrenen Vorstellens skizziert. Anschließend werden die Haupteinwände Kants gegen diese Theorie erörtert. Hierbei ist zu beachten, dass weitestgehend unklar ist, ob und welche Schriften Leibniz’ Kant überhaupt gelesen hat. Für die hier verfolgten Zwecke ist diese Frage jedoch nicht entscheidend, da sich Kants Rezeption dieser Theorie, die er wohl am ehesten als Adaptionen bei Wolff,13 Baumgarten, Meier u. a. kennengelernt hat, ohnehin kaum den Details widmet und eher allgemeiner Art ist. Kants Kritik wird sich aber letztlich als sachlich zutreffend erweisen. Leibniz’ Theorie des verworrenen bzw. dunklen und klaren bzw. deutlichen Vorstellens versteht Kant als Grundlagentheorie wahrer und falscher Erkenntnis im Allgemeinen, aber insbesondere in der Meta­phy­sik. In der kleinen Schrift Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis von 1684 hat Leibniz diese Theorie als Kritik an Des­ cartes bündig dargelegt. Den Kern seiner Theorie resümiert Leibniz dort wie folgt: Die Erkenntnis ist also entweder dunkel oder klar und die klare Erkenntnis wiederum entweder verworren oder deutlich, die deutliche Erkenntnis aber ent­ weder inadaequat oder adaequat und gleichfalls symbolisch oder intuitiv; wenn aber die Erkenntnis zugleich adaequat und intuitiv ist, so ist sie am vollkommensten.14 Leibniz konzipiert seine Ideen- oder Vorstellungstheorie gemäß einem Gradationsoder Stufenmodell, das, anders als die kantische Theorie, nicht von einem kategorialen Unterschied zwischen sinnlichen und begrifflichen Vorstellungen ausgeht, sondern diesen anhand der Zu- und Abnahme von Bewusstseinsgraden expliziert. Diese lassen sich als Stufen der kognitiven Transparenz des Bewusstseins verstehen, sodass man auch von einem Transparenzmodell sprechen kann, demzufolge sinnliche und begriffliche Erkenntnis durch Grade kognitiver Differenziertheit mentaler Gehalte spezifiziert sind. So seien sinnliche Vorstellungen dunkel und begriffliche Vorstellungen klar. Der Grundunterschied zwischen dunklen und klaren Vorstellungen ist dabei nicht derselbe wie zwischen verworrenen und deutlichen Vorstellungen. Dunkel sind diejenigen Vorstellungen, die zu keiner Erkenntnis bzw. keinem Wiedererkennen hinlangen, z. B. wenn ich in der sinnlichen Wahrnehmung die von mir schon früher wahrgenommenen Blume nicht von anderen Objekten 13  Auch in Bezug auf Wolff gilt, dass nicht sicher belegt werden kann, welche Schriften Kant tatsächlich gelesen hat. Vgl. École 1991. 14  Leibniz 1996b, 33. Das lateinische Originalzitat lautet: »Est ergo cognitio vel obscura vel clara, et clara rursus vel confusa vel distincta, et distincta vel inadaequata vel adaequata, item vel symbolica vel intuitiva: et quidem si simul adaequata et intuitiva sit, perfectissima est« (Leibniz 1880, 422).



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hinreichend unterscheiden kann. In diesem Fall habe ich eine dunkle Vorstellung der Blume.15 Hingegen ist eine Vorstellung bzw. Erkenntnis klar, wenn ich die vorgestellte Sache wiedererkennen kann. Sie sei klar, aber verworren, wenn ich nicht ausreichend viele Merkmale angeben kann, die dem vorgestellten Gegenstand zukommen, z. B. wenn ich Farben oder Gerüche in der Wahrnehmung klar unterscheiden kann, ohne dies zugleich rein begrifflich adäquat ausdrücken zu können. Klar und deutlich sei eine Vorstellung, die es erlaubt, ein Ding von einem anderen mit Hilfe einer ausreichend großen Anzahl von Merkmalen zu unterscheiden, so wie sie in eine Nominaldefinition eingehen.16 Nun können klare Vorstellungen deutlich, darüber hinaus aber auch inadäquat sein, etwa wenn die in eine Vorstellung eingehenden Teilvorstellungen klar, aber nur verworren erkannt werden. Wird aber alles, was in einen Begriff oder eine Vorstellung eingeht, »deutlich erkannt« oder »wenn man die bis zum Ende durchgeführte Analyse kennt, so ist die Erkenntnis adaequat«.17 Die klare, deutliche und zugleich adäquate Vorstellung bzw. Erkenntnis ist der systematische Ort metaphysischer Erkenntnis, die Leibniz letztlich als intuitive Erkenntnis versteht, in der alle in einen Begriff eingehenden Vorstellungen in größter, vollkommenster Klarheit zugleich erfasst werden.18 Ob der Mensch »eine vollkommene Analyse der Begriffe« zustande zu bringen vermag »bis zu den absoluten Attributen GOTTES, nämlich zu den ersten Ursachen und dem letzten Grund der Dinge«, lässt sich nach Leibniz nicht sagen.19 Auch wenn menschliche Erkenntnis der Einschränkung ihrer eigenen Endlichkeit unterliegt, hält Leibniz am bewusstseinstheoretischen Transparenzmodell metaphysischer Erkenntnis fest. Wie er in den Nouveaux Essais gegen Locke ausführt, zeigt die »attention à ce qui est en nous«, dass wir angeborene Ideen besitzen wie »Estre, Unité, Substance, Durée, Changement, Action, Perception, Plaisir« u. a.20 Angeborene Ideen seien immer in uns, auch wenn wir uns ihrer nicht permanent bewusst sind. So wie wir uns unbewusste Vorstellungen, die »petites perceptions«21, die sich auf der ideentheoretischen Stufenleiter am äußersten Ende der dunklen, sinnlich unstrukturierten Vorstellungen befinden,22 bewusst machen können, können 15  Vgl.

Leibniz 1996b, 33. ebd., 33–35. 17  Vgl. ebd., 35–37. 18  Vgl. ebd., 37–39. 19  Vgl. ebd., 41–43. 20  Leibniz 1996c, XVI (Preface). 21  Vgl. ebd., XX ff. (Preface). 22 Zur Illustration gibt Leibniz das Beispiel des Meeresbrausens: »Et pour juger encor mieux des petites perceptions que nous ne saurions distinguer dans la foule, j’ay coustume de me servir de l’exemple du mugissement ou du bruit de la mer dont on est frappé quand on est au rivage. Pour entendre ce bruit comme l’on fait, il faut bien qu’on entende les parties qui composent ce tout, c’est à dire les bruits de chaque vague, quoyque chacun de ces petits bruits ne se fasse connoistre que dans l’assemblage confus de tous les autres ensemble, c’est 16  Vgl.

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wir uns auch die zumeist unbewussten angeborenen Ideen durch kontinuierlichen Intensitätsanstieg mentaler Klarheit bewusst machen. Ganz grundsätzlich gilt daher für Leibniz, »qu’encor les perceptions remarquables viennes par degrés de celles qui sont trop petites pour estre remarquées«.23 Wird durch graduelle kognitive Transparenzzunahme des Bewusstseins eine klare, deutliche und zugleich adäquate Vorstellung erlangt, so ist in Leibniz’ Gradationsmodell die vollkommene, nämlich intuitive Erkenntnis erreicht. Solche intuitive Erkenntnis in ihrer Vollkommenheit ist dabei nach Leibniz nur Gott möglich, wie der paradigmatische Fall der individuellen Substanz zeigt. Während der menschliche Verstand die Nominaldefinition der individuellen Substanz als demjenigen Subjekt, dem Prädikate zugeschrieben werden, das selbst aber keinem anderen zugeschrieben wird, noch erfassen könne, also eine klare und deutliche Erkenntnis der individuellen Substanz haben kann, komme es allein Gott zu, in vollkommener Erkenntnis, den vollständig bestimmten Begriff einer individuellen Substanz zu erfassen. Diese apriorische intuitive Erkenntnis beinhalte den metaphysischen Begriff einer individuellen Substanz, nämlich die »notion si accomplie qu’elle soit suffisante à comprendre et à en faire deduire tous les predicats du sujet à qui cette notion est attribuée«.24 Der vollständig bestimmte Begriff einer individuellen Substanz gewährt demzufolge Einsicht in dasjenige, was diese an sich selbst unabhängig von menschlichen, sinnlich-­ anschaulichen Bedingungen ist. Diesen auf einem Kriterium kognitiver Transparenz basierenden Anspruch auf metaphysische Erkenntnis bestreitet Kant in seiner Kritik des leibniz-wolffschen Vermögensmonismus.

3. Der transzendentale Vermögensdualismus und Kants Kritik des leibniz-wolffschen Vermögensmonismus Leibniz’ Stufenmodell des dunklen und klaren Vorstellens, das Kant auch Wolff zuschreibt, stellt einen vermögenstheoretischen Monismus dar, der ein einziges, nämlich das Vorstellungsvermögen ansetzt, auf dessen Grundlage Erkenntnis anhand der graduellen, kontinuierlichen Steigerung der kognitiven Durchsichtigkeit der eigenen mentalen Zustände, des Bewusstseins, erklärt wird. Der leibnizsche Vermögensmonismus geht insofern davon aus, dass die Möglichkeit der Erkenntnis von der graduellen kognitiven Transparenz bzw. Intransparenz des Bewusstseins abhängt. Im leibnizschen Vermögensmonismus erblickt Kant den systematischen à dire dans ce mugissement même, et ne se remarqueroit pas si cette vague qui le fait, estoit seule. Car il faut qu’on en soit affecté un peu par le mouvement de cette vague et qu’on ait quelque perception de chacun de ces bruits, quelques petits qu’ils soyent; autrement on n’auroit pas celle de cent mille vagues, puisque cent mille riens ne sauroient faire quelque chose.« (Leibniz 1996c, XXII [Preface]). 23  Vgl. ebd., XXVIII (Preface). 24  Vgl. Leibniz 1996a, 74.



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Grundfehler aller neuzeitlichen Meta­phy­sik und darüber hinaus. Denn das menschliche Erkenntnisvermögen zeichnet sich nach Kant nicht durch einen kognitiven Monismus aus, der zwischen Vorstellungen der Sinnlichkeit und des Verstandes keinen gattungsmäßigen, kategorialen Unterschied macht, sondern durch den kognitiven Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand als irreduzibler, weil kategorial distinkter Vermögen. Demnach ist menschliche Erkenntnis nur möglich durch die Kooperation von Sinnlichkeit und Verstand als deren Quellen oder Stämme und lässt sich nicht mit Hilfe eines kognitiven Transparenzkriteriums anhand von KlarDunkel-Graden des Bewusstseins erklären. In seiner Meta­phy­sikkritik präsupponiert Kant den Vermögensdualismus jedoch nicht einfach, um den leibnizschen Vermögensmonismus zurückzuweisen. Kants Widerlegung der leibniz-wolffschen Auffassung ist zunächst immanent und erst darauf folgen die Argumente für den eigenen Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand als irreduzibler Vermögen bzw. für Anschauung und Begriff als deren spezifische Vorstellungstypen. Die Unhaltbarkeit des Vermögensmonismus ist dabei für Kant von der kritischen Wende an das bleibende Grundargument gegen die leibniz-wolffsche Meta­phy­sik. Wie ein roter Faden durchzieht es noch die Preisschrift, derzufolge das Übel aller Meta­phy­sik »die Ermangelung aller Anschauung a priori [war], welche man als Prinzip gar nicht kannte, die vielmehr Leibnitz intellektuirte, d. i. in lauter verworrene Begriffe verwandelte« (20:281 f.). Die verfehlte Auffassung, dass »Anschauung von Begriffen der Dinge, nur dem Grade des Bewußtseyns nach, nicht specifisch, unterschieden sey« (20:278), macht Kant in der Preisschrift (20:282–285) ganz explizit gegen alle Prinzipien, die Leibniz, »Meta­ phy­siker von altem Schrot und Korn« (20:278), in seiner Meta­phy­sik vertritt, geltend, und zwar gegen klassische metaphysische Theoreme wie den »Grundsatz der Identität des Nichtzuunterscheidenden«, den »Satz des zureichenden Grundes«, gegen das »System der vorherbestimmten Harmonie« sowie überhaupt die »Monadologie« (20:281–285). Vorrangig drei Fragen sind nun zu beantworten: (1) Aus welchen Gründen ist der leibnizsche Vermögensmonismus nach Kant verfehlt? (2) Wenn der leibnizsche Vermögensdualismus sich auch als unhaltbar erweist, wieso sollten wir dann zum kantischen Vermögensdualismus übergehen. (3) Welche Bedeutung hat dieser Vermögensdualismus für die kantische Meta­phy­sikkritik? Die erste Frage soll hier summarisch beantwortet werden, da Kant gegen den leibniz-wolffschen Vermögensmonismus geradezu stereotyp dasselbe Argument vorbringt. In De mundi sensibilis, der Kritik der reinen Vernunft, der Logik, der Anthropologie sowie in Vorlesungen kritisiert Kant die Gleichsetzung der Anschauung mit der verworrenen und des Begriffs mit der klaren Vorstellung. Denn, so Kant, die Disjunktion: »verworren« – »klar« bzw. »undeutlich« – »deutlich« sei nur logisch-komparativ und berühre gar nicht den Inhalt oder das »Gegebene« der Erkenntnis, worauf es bei der Unterscheidung zwischen sinnlich-anschaulicher und intellektuell-begrifflicher Erkenntnis aber ankommt. Nach Kant kann das Sinnliche auch »deutlich« und das Intellektuelle auch »verworren« vorgestellt werden. Dies zeige die Klarheit der geo-

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metrischen Erkenntnis und die metaphysische Erkenntnis, die zuweilen dunkel bleibe. Im Übrigen mache die undeutliche Vorstellung etwa des Begriffs des Rechts diesen nicht zu einem sinnlichen Phänomen, wie Leibniz und Wolff behaupten müssten, denn der Begriff »Recht« (A 43 / B 61) erscheine ja nicht, sondern werde gedacht. Diese theorieimmanenten Defizite beweisen gemäß Kant die ganze Unhaltbarkeit der leibniz-wolffschen Konzeption. Auch wenn Kants Einwände der Sache nach zutreffen, erweist sich die Bewertung seiner Kritik am Vermögensmonismus leibnizscher bzw. wolffscher Provenienz allerdings als schwierig. In seinen Werken behandelt Kant die schulmetaphysische Theorie des klaren und dunklen Vorstellens stets ohne Rücksicht auf Details und die Unterschiede zwischen den vertretenen Ansätzen.25 Kants eigene Theorie der Erkenntnisquellen erweist sich in dieser Hinsicht letztlich aber als die tragfähigere Option, wie aus der Beantwortung der zweiten Frage hervorgeht. Die zweite Frage problematisiert Kants eigene Legitimation des Vermögensdualismus. Wenn der leibniz-wolffsche Vermögensmonismus aus immanenten Gründen auch falsch sein mag, wie begründet Kant dann den transzendentalen Vermögensdualismus, haben wir im Zusammenhang der Diskussion der Unerkennbarkeitsthese doch gesehen, dass wir keine metaphysische Einsicht in letzte Gründe unserer kognitiven Fähigkeiten besitzen und also keine Ableitung der Erkenntnisvermögen aus einem höheren Prinzip erfolgen kann? Angesichts der Unerkennbarkeitsthese muss Kant zweierlei zeigen: erstens, dass Sinnlichkeit und Verstand für sich eigenständige Erkenntnisquellen sind, d. h., sich nicht aufeinander oder ein drittes Prinzip reduzieren lassen, sowie zweitens, dass Sinnlichkeit und Verstand ursprünglich heterogen sind, weil ihnen jeweils eigene, nicht übertragbare irreduzible kognitive Fähigkeiten, nämlich anschauliche bzw. begriffliche Vorstellungen zu haben, zukommen. Das Hauptargument, mit dem Kant diesen Nachweis zu erbringen beansprucht, ist das Isolationsargument, demgemäß in der transzendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit als intuitives Vermögen und in der transzendentalen Logik der Verstand als konzeptuelles Vermögen isoliert werden.26 Im Ausgang vom Vorstellungstypus ›Erkenntnis‹, der eine rein klassifikatorische Funktion hat und nicht für ein selbständiges ursprüngliches Vermögen steht, differenziert Kant sowohl eingangs der transzendentalen Ästhetik (A 19 f. / B 33 f.) als auch zu Beginn der transzendentalen Logik zwischen Anschauung und Begriff bzw. Sinnlichkeit und Verstand als den »zwei Grundquellen des Gemüts«, nämlich des Vermögens, »Vorstellungen zu empfangen«, sowie des Vermögens, »durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen«. Entsprechend heißt es:

25  Zu diesen Unterschieden und zur kantischen Rezeption der Theorie(n) des klaren und dunklen Vorstellens siehe die hilfreiche Abhandlung von Oberhausen 2002. Zur Problematik dunkler Vorstellungen vgl. auch Heidemann 2012, 39 ff. 26  Vgl. für das Folgende Heidemann 2002, bes. 78–89.



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»In der transzendentalen Ästhetik also werden wir zuerst die Sinnlichkeit iso­ lieren […].« (A 22 / B 36). »In einer transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand, (so wie oben in der transzendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit) […].« (A 62 / B 87). Kant führt die Anschauung ein als dasjenige Element der Erkenntnis, das sich »unmittelbar« auf Gegenstände bezieht, Gegenstände »gibt« und auf Affektion angewiesen ist. Das Vermögen, Kant spricht an dieser Stelle von »Fähigkeit (Rezeptivität)«, der Affektion heißt Sinnlichkeit. Diese ist charakterisiert durch Empfindung als ihr sinnlicher Gehalt. Begriffe dagegen »entspringen« dem Verstand als demjenigen Vermögen der Erkenntnis, durch das Anschauungen gedacht werden. Kant kennzeichnet den »Begriff« hier als die Vorstellungsart des Allgemeinen, die durch Merkmale nur indirekt auf Anschauung referiert, wobei die menschliche Anschauung sinnlich ist. Das heißt, menschliches Denken bezieht sich nur indirekt vermittels abstrakter, genauer diskursiv-abstrakter Begriffe als Merkmalskomple­xionen auf sinnlich Angeschautes. Sinnlichkeit und Verstand bzw. deren spezifische Vorstellungen, Anschauung und Begriff, lassen sich dann wie folgt charakterisieren: Die (menschliche) Anschauung (intuitus) ist sinnlich, rezeptiv und beruht auf Affektion (A 68 / B 93); auf die Gegenstände der Erkenntnis referiert sie unmittelbar und stellt daher nur Einzelnes vor. Der Begriff (conceptus) hingegen »entspringt« der Spontaneität des Verstandes, ist diskursiv und beruht auf Funktionen (ebd.); auf die Gegenstände der Erkenntnis referiert er mittelbar durch andere Vorstellungen und stellt daher nur Allgemeines vor. Kant geht in der Weise vor, dass er in der transzendentalen Ästhetik das Vermögen der Sinnlichkeit in seiner Differenz vom Vermögen des Verstandes und in der transzendentalen Logik das Vermögen des Verstandes in seiner Differenz vom Vermögen der Sinnlichkeit darstellt, und zwar anhand der ihnen jeweils eigentümlichen, irreduziblen und nicht übertragbaren Fähigkeit, nämlich der anschaulichen Fähigkeit der Sinnlichkeit und der begrifflichen Fähigkeit des Verstandes. Die so bewerkstelligte Isolation der Elemente unserer Erkenntnis beweist dann die theo­retische Eigenständigkeit sowie Nichtreduzierbarkeit von Sinnlichkeit und Verstand durch den Nachweis, dass anschauliches und begriffliches Vorstellen, also Anschauung und Begriff, als deren je eigentümliche Fähigkeiten, in der mensch­ lichen Erkenntnis irreduzibel sind. Wie erfolgt die Isolation von Sinnlichkeit und Verstand im Einzelnen? In der transzendentalen Ästhetik können zwei Stufen der Isolation unterschieden werden: zunächst die Isolation der empirischen Anschauung, um auf einer zweiten Stufe von der empirischen Anschauung dasjenige abzutrennen, was an ihr die Empfindung ausmacht. Dadurch wird auf der zweiten Isolationsstufe die reine Anschauung als der eigentliche Untersuchungsgegenstand der transzendentalen Ästhetik gewonnen. Was gemeint ist, erläutert Kant an folgendem Beispiel: Von der »Vorstellung eines Körpers« seien zuerst abzusondern die Verstandesbegriffe wie »Substanz, Kraft, Teilbarkeit usw.«, um die empirische Anschauung zu erhalten.

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Werden nun von dieser auch noch die Empfindungsgehalte wie »Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe usw.« abgetrennt, bleibt als Resultat dieser Isolation die reine Anschauung (»Ausdehnung und Gestalt«, A 21 / B 35). Die Nichtreduzierbarkeit der Anschauung ist damit jedoch noch nicht erwiesen. Den entsprechenden Nachweis führt Kant im Wesentlichen mit dem dritten und vierten Raum- sowie dem vierten und fünften Zeitargument der transzendentalen Ästhetik (B 39 f.; A 32 f. / B 47 f.). Der Nachweis besteht im Grunde aus zwei koordinierten Argumenten. Erstens: Der Raum bzw. die Zeit »ist kein diskursiver oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff«. Zweitens: Die Teile des Raumes und der Zeit können nur als Einschränkungen des einen Raumes und der einen Zeit vorgestellt werden. Mit dem ersten Argument beruft sich Kant auf die charakteristische Vorstellungsweise der Anschauung als repraesentatio singularis: »Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, ist aber Anschauung.« (A 32 / B 47). Das heißt, in der Anschauung stellen wir – weil die unsrige sinnlich und nicht intellektuell ist – immer nur Einzelnes vor, und zwar als Einschränkungen oder Ausschnitte in der einen homogenen, kontinuierlichen Anschauung. Dagegen sind Begriffe abstrakte Vorstellungen, deren Repräsentationsform gemäß logischer Über- und Unterordnung von Vorstellungen diskursiv verfährt. Deshalb werden uns die Gegenstände der sinnlichen Anschauung durch Affektion unmittelbar als einzelne und nicht erst mittelbar durch eine höhere, abstrakte Vorstellung gegeben. Für den Begriff zeigt dies das zweite Argument: Begriffe werden nach dem Modell der Subordination konzipiert als allgemeine Vorstellungen. Sie sind distributive Vorstellungen, da sie vielen »möglichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches Merkmal)« zukommen, indem sie diese »unter sich« enthalten (B 39 f.). Unter Begriffen gibt es also, nach Gattung und Art geordnet, höhere und niedere Vorstellungen, die umfangreicher und inhaltsärmer sein können, wie zum Beispiel der Begriff »Baum« gegenüber den Begriffen »Erle«, »Buche«, »Tanne« usw. umfangreicher, aber inhaltsärmer ist. Der Begriff »Baum« repräsentiert daher als allgemeine Vorstellung lediglich die von den vielen Baumarten abstrahierte analytisch-identische Merkmalkomplexion, durch die sich ein Baum als Baum auszeichnet. Ein Begriff repräsentiert als etwas diskursiv Allgemeines, das heißt Abstraktes, also eine Komplexion höherer und niederer »Teilvorstellungen« (A 32 / B 48) und stellt selbst keine konkreten, einzelnen Gegenstände vor. Auf diese kann er sich daher nur indirekt »vermittelst gewisser Merkmale« (A 19 / B 33) beziehen. Die Anschauung bezieht sich unmittelbar auf Gegenstände, da sie eine »unendliche Menge von Vorstellungen« nicht wie der Begriff »unter sich«, sondern als Einschränkungen des Raumes oder der Zeit »in sich« enthält. Aus diesem Grunde beruht das auf diese Weise isolierte Vermögen der Sinnlichkeit bzw. die ihr eigentümliche Fähigkeit der Anschauung nicht auf Funktionen, sondern auf Affektionen und lässt sich in seiner Eigenbedeutung gegenüber dem Begriff isolieren. Die transzendentale Logik argumentiert entsprechend, dass Begriffe auf »Funktio­ nen« »beruhen« (A 68 / B 93) und dadurch von der Anschauung wesentlich unterschieden sind. Der Terminus »Funktion« charakterisiert die dem Begriff eigentüm­



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liche Repräsentationsform: Ein diskursiver Begriff repräsentiert nur Allgemeines, er ist repraesentatio universalis oder generalis. Sofern durch einen Begriff viele Vorstellungen zu einer »gemeinschaftlichen« zusammengefasst werden, setzt dies eine Operation der Ordnung verschiedener Vorstellungen unter eine Vorstellung voraus, zum Beispiel die logische Ordnung der vielen Baumarten unter den Begriff ›Baum‹. Diese Operation drückt der Begriff der Funktion aus als »die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen« (ebd.). Also referiert ein (diskursiver) Begriff nur mittelbar durch Merkmale auf Gegenstände, da jeder Begriff immer nur andere Vorstellungen unter sich enthält. Die begriffliche Fähigkeit des Verstandesvermögens, kurz: der Begriff, erweist sich damit als eine von der Anschauungsfähigkeit des Vermögens der Sinnlichkeit grundsätzlich zu unterscheidende irreduzible Art des Vorstellens und lässt sich als solche ebenfalls isolieren. – Als derart isolierte kognitive Fähigkeiten sind anschauliches und begriffliches Vorstellen unabhängig und weder aufeinander noch auf ein drittes Prinzip reduzierbar. Dies ist es, was Kant gegen den leibniz-wolffschen Vermögensmonismus gezeigt zu haben beansprucht. Die Rechtfertigung des transzendentalen Vermögensdualismus selbst erfolgt also nicht konstruktiv, indem die Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes bloß vorausgesetzt und dann aus einem höheren Vermögen abgeleitet werden. Letzterem steht ohnehin die Unerkennbarkeitsthese entgegen. Kant verfährt vielmehr rekonstruktiv, indem er anschauliches und begriffliches Vorstellen als irreduzible, wesentliche Fähigkeiten den Vermögen der Sinnlichkeit bzw. des Verstandes zuschreibt und damit gegen den Vermögensmonismus leibniz-wolffscher Herkunft die kategoriale Heterogenität beider Erkenntnisvermögen nachweist. Sofern man die Kooperationsthese akzeptiert, also, dass menschliche Erkenntnis nur durch das kognitive Zusammenwirken der Erkenntnisquellen möglich ist, erweist sich aufgrund der Irreduzibilität von Anschauung und Begriff und damit von Sinnlichkeit und Verstand der kantische Vermögensdualismus als die gegenüber dem leibnizwolffschen Vermögensmonismus tragfähigere Alternative.27 Gesteht man Kant zu, den Nachweis der Irreduzibilität der anschaulichen und begrifflichen Fähigkeit und damit von Sinnlichkeit und Verstand als Erkenntnisvermögen rekonstruktiv erbracht zu haben, stellt sich drittens die Frage nach der Bedeutung dieses Vermögensdualismus für Kants Meta­phy­sikverständnis. Kants Meta­ phy­sikkritik steht und fällt mit dem Vermögensdualismus. Denn Erkenntnis des Übersinnlichen wie die Behauptung kausaler Eigenschaften von Dingen, die keine Gegenstände der uns möglichen Anschauung sind, also von Dingen an sich, oder die Existenz reiner Geistsubstanzen bzw. Monaden ist nicht möglich, wenn wie im transzendentalen Vermögensdualismus Sinnlichkeit und Verstand unverzichtbare Elemente der Erkenntnis sind. Noch der späte Kant der Preisschrift lässt daran keinen Zweifel aufkommen: 27  Ob der kantische Vermögensdualismus darüber hinaus eine Theorieoption darstellt, ist eine Frage, die im Rahmen dieses Beitrags nicht mehr behandelt werden kann.

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Durch die Kritik der reinen Vernunft ist hinreichend bewiesen, daß über die Gegenstände der Sinne hinaus es schlechterdings kein theoretisches Erkenntniß, und, weil in diesem Falle alles a priori durch Begriffe erkannt werden müßte, kein theoretisch-dogmatisches Erkenntniß geben könne, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil allen Begriffen irgend eine Anschauung, dadurch ihnen objective Realität verschafft wird, muß untergelegt werden können, alle unsre Anschauung aber sinnlich ist. Das heißt mit andern Worten, wir können von der Natur übersinnlicher Gegenstände, Gottes, unsers eigenen Freyheitsvermögens, und der unsrer Seele (abgesondert vom Körper) gar nichts erkennen, was dieses innere Prinzip alles dessen, was zum Daseyn dieser Dinge gehört, die Folgen und Wirkungen desselben betrifft, durch welche die Erscheinungen derselben uns auch nur im mindesten Grade erklärlich, und ihr Prinzip, das Object selbst, für uns erkennbar seyn könnte. (20:296) Rationalistische Meta­phy­sik klassischen Formats, also metaphysica specialis und generalis, erweist sich damit als wissenschaftlich undurchführbar. Zählt man Kants eigene vorkritische Meta­phy­sik zum Typus klassischer rationalistischer Meta­phy­sik, so muss sie sich als inkompatibel mit der kritischen Philosophie erweisen. Zwischen vorkritischer Meta­phy­sik und kritischer Philosophie besteht daher Diskontinuität. Die kritische Philosophie erachtet Kant dabei durchaus selbst als Meta­phy­sik bzw. als deren Grundlegung: Die Transscendentalphilosophie, d. i. die Lehre von der Möglichkeit aller Erkenntniß a priori überhaupt, welche die Kritik der reinen Vernunft ist, von der itzt die Elemente vollständig dargelegt worden, hat zu ihrem Zweck die Gründung einer Meta­phy­sik, deren Zweck wiederum als Endzweck der reinen Vernunft, dieser ihre Erweiterung von der Grenze des Sinnlichen zum Felde des Übersinnlichen beabsichtiget, welches ein Überschritt ist, der, damit er nicht ein gefährlicher Sprung sey, indessen daß er doch auch nicht ein continuirlicher Fortgang in derselben Ordnung der Prinzipien ist, eine den Fortschritt hemmende Bedenklichkeit an der Grenze beyder Gebiete nothwendig macht. (20:272 f.) Die hier so bezeichnete »den Fortschritt hemmende Bedenklichkeit« spiegelt Kants grundsätzliche Skepsis gegenüber metaphysischen Erkenntnisansprüchen wider. Diese Skepsis wird gespeist, wie gesehen, durch die Zurückweisung des rationalistischen Vermögensmonismus, die sein kritisches Werk wie ein roter Faden durchzieht. Auf der anderen Seite mag es daher auf der Hand liegen, Kants Meta­ phy­sikkritik als eine durch rationalistische Fehlannahmen geprägte und daher auch limitierte Sichtweise zu relativieren, sodass solche Modelle metaphysischer Erkenntnis, die nicht auf dem rationalistischen Vermögensmonismus fußen, sich als immun gegenüber den kantischen Einwänden erweisen könnten. Dem ist nicht so. Besteht Meta­phy­sik in der Erkenntnis des Übersinnlichen, so ist sie, gleich wie Versuche ihrer Rechtfertigung angelegt sein mögen, als Wissenschaft nicht möglich, da der transzendentale Vermögensdualismus Erkenntnis restringiert auf die Gegen-



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stände einer uns möglichen Anschauung, und diese ist sinnlich. Genuin metaphysische Erkenntnisansprüche sind epistemische Ansprüche in Bezug auf Gegenstände, die keine Gegenstände unserer sinnlichen Anschauung sind. Jegliches Projekt ihrer Rechtfertigung ist daher nach Kant zum Scheitern verurteilt: »Vom Übersinnlichen ist, was das speculative Vermögen der Vernunft betrifft, kein Erkenntniß möglich (Noumenorum non datur scientia).« (20:277) Diese Erkenntnisrestriktion gilt auch für die Vermögensmeta­phy­sik der kritischen Philosophie, sodass sich der Vermögensdualismus von Sinnlichkeit und Verstand und deren Fähigkeiten nicht auf der Grundlage eines epistemisch unzugänglichen metaphysischen Prinzips rechtfertigen lässt. Auch wenn der kantische Vermögensdualismus keine bloße Präsupposition der kritischen Philosophie, sondern rekonstruktiv begründbar ist, erweist er sich im Lichte einer Theorie der Subjektivität, die die ursprüngliche Einheit aller subjektiven Vermögen fordert, gleichwohl als ein hinsichtlich seiner Grundlegung unfertiges Lehrstück.

4. Fazit In der Einleitung zu diesem Beitrag wurden zwei miteinander zusammenhängende Thesen formuliert: Erstens, dass Kants Vermögensmeta­phy­sik, d. h. der Dualismus der Erkenntnisstämme, Voraussetzung seiner eigenen Meta­phy­sikkritik ist, sowie zweitens, dass Kant in seiner Vermögensmeta­phy­sik zwar von der Unerkennbarkeit einer metaphysischen Fundierung von Sinnlichkeit und Verstand ausgehen muss, dies aber nicht heißt, auf eine positive Begründung des kognitiven Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand verzichten zu müssen. Beide Thesen haben sich meines Erachtens hinreichend belegen lassen. Metaphysische Erkenntnisansprüche bestehen nach Kant in synthetischen Urteilen a priori, d. h. in Urteilen, die unabhängig von Erfahrung Erkenntnis erweitern. Da sie also nicht analytisch sind, bedarf es einer eigenen Quelle a priori, die die Ressourcen ihrer Rechtfertigung bereitstellt. Dies kann nach Kant allein die reine Anschauung sein, die im Falle endlicher menschlicher Erkenntnis sinnlich ist und somit die Möglichkeit von Erkenntnis auf Gegenstände unserer sinnlichen Anschauung restringiert. Der hinter diesem zentralen Theorem der kantischen Philosophie stehende argumentative Aufwand hängt in jeder Hinsicht vom transzendentalen Vermögensdualismus und also der kategorischen Differenz und Irreduzibilität von Sinnlichkeit und Verstand bzw. Anschauung und Begriff ab. Dass der transzendentale Vermögensdualismus selbst nicht an der Unerkennbarkeitsthese scheitert und Kant damit der Grundlage seiner Meta­phy­sikkritik beraubt wird, hat die Rekonstruktion der Gründe seiner positiven Rechtfertigung zeigen können.

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Schönfeld, Martin: The Philosophy of the Young Kant: The Precritical Project. Oxford 2000. Wolff, Christian: Vernuenfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen ueberhaupt, Halle 111741 (=  Deutsche Meta­phy­sik, abgek. DM). – In: ders.: Gesammelte Werke. Hg. und bearb. von J. École / H. W. Arndt / Ch. A. Chorr / J. E. Hofmann / M. Thomann. Hildesheim u. a. 1962 ff. Wundt, Max: Kant als Meta­phy­siker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1924.

Kants Fortschritte auf dem langen Weg zur konsequent-kritischen Meta­phy­sik Bernd Ludwig

Philosophische Sachen muß man immer verbessern. Wolf schrieb zuviel. Crusius ist so eigensinnig dasjenige was er in der Jugend geschrieben nicht verbessern zu wollen. O wir irren ja alle. und ist es nicht lobenswürdiger wenn man nach erlangten bessern Einsichten seine Meinung ändert und verbessert. Die Resignation auf seine eigene Ehre ist ein grosser Probierstein eines Wahrheitliebenden. (24:397; Logik Philippi 1772)

Die Aufgabe von Kants nicht fertiggestellter und uns nur in Gestalt von drei fragmentarischen Entwürfen nebst einigen zufälligen Makulaturblättern überlieferten Preisschrift sollte es sein, die Fortschritte der Meta­phy­sik in Deutschland seit Leibniz und Wolff zu bestimmen: Die Fortschritte also eines Teils der Philosophie in einem Teil des gelehrten Europa in einem Teil des laufenden Jahrhunderts – so Kants Paraphrase der Preisfrage der Berliner Akademie von 1791 (20:259)1. Seine öffentliche Antwort in einem Satz, so viel zumindest lässt sich bereits nach einer kursorischen Durchsicht des Textes auch heute noch sicher behaupten, wäre gewesen: Die bedeutendsten und auch letzten, ja die letztmöglichen bedeutenden Fort-Schritte der Meta­phy­sik wurden in (Ost-)Preußen während des letzten Vierteljahrhunderts erarbeitet – und haben, gleichwohl, für die gesamte Philosophie welt-geschichtliche Bedeutung. Was ist nun aber überhaupt jene Meta­phy­sik, die Kant zufolge jüngst ihre verbindliche Gestalt gewonnen hat? Um Verwirrungen zu vermeiden, muss man vorab im Auge behalten, dass Kant vom Terminus ›Meta­phy­sik‹ wesentlich in zwei Bedeutungsdimensionen (die er selbst allerdings nirgendwo ausdrücklich voneinander absetzt) Gebrauch macht: In den Komposita ›Meta­phy­sik der Natur‹ und ›Meta­ phy­sik der Sitten‹ (exemplarisch 04:387) steht ›Meta­phy­sik‹ (epistemologisch) für die reinen Teile der Natur- bzw. Sittenlehre; von diesen wird im Folgenden nur am Rande die Rede sein.2 ›Meta­phy­sik‹ sans phrase (exemplarisch A VIII f.) hingegen bezeichnet (ontologisch) die Lehre vom Übersinnlichen und steht für jene Abteilung der Philosophie, um die es im Folgenden gehen wird und die als solche klar 1 Kant-Texte werden grundsätzlich nach ›Band:Seite‹ der Akademie-Ausgabe (Berlin 1900 ff.) zitiert, die Kritik der reinen Vernunft nach A bzw. B (1. bzw. 2. Auflage). 2  Siehe dazu unten Anm. 7.

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von den zwei vorgenannten ›Meta­phy­siken‹ abgrenzbar ist. Beiden Verwendungen des Ausdrucks ›Meta­phy­sik‹ ist dabei allerdings gemeinsam, dass sie für wesentlich nicht-empirische Wissenskorpora stehen.

I. 1787–1792 Die Meta­phy­sik im zweiten Sinne ist bei Kant zur Zeit der Arbeit an der Preisschrift, also um 1792, etwas im Rahmen der Schulphilosophie prima facie gänzlich Unspektakuläres: Sie ist, als Teilbereich der Philosophie, der »Vernunfterkenntnis nach Begriffen« (A 732), eine ihrerseits zweiteilige Wissenschaft in Gestalt eines Systems, das auf Vollständigkeit hin angelegt ist – und diese am Ende auch beansprucht. Deren erster, allgemeiner Teil ist [d]ie Ontologie […], diejenige Wissenschaft […], welche ein System aller Verstandesbegriffe und Grundsätze, aber nur so fern sie auf Gegenstände gehen, welche den Sinnen gegeben, und also durch Erfahrung belegt werden können, ausmacht. Sie berührt nicht das Übersinnliche, welches doch der Endzweck der Meta­phy­sik ist, gehört also zu dieser nur als Propädeutik, als die Halle, oder der Vorhof der eigentlichen Meta­phy­sik, und wird Transscendental-Philosophie genannt, weil sie die Bedingungen und ersten Elemente aller unserer Erkenntniß a priori enthält. (20:260) Und Die Transscendentalphilosophie […ist] die Lehre von der Möglichkeit aller Erkenntniß a priori überhaupt, welche die Kritik der reinen Vernunft ist, von der itzt die Elemente vollständig dargelegt werden … (20:272) Der zweite, der besondere Teil der Meta­phy­sik widmet sich nun deren eigent­lichem Gegenstandsbereich, dem Übersinnlichen – und hier ist das Feld, auf dem »das gänzliche Mißlingen aller Versuche« sich ereignet hat: auf dem von rationaler Kosmologie, rationaler Psychologie und rationaler Theologie. Die »beabsichtigten […] Eroberungen« haben sich hier bislang als bloß »vermeynte« erwiesen und skeptischen Einwürfen nicht Stand gehalten (20:263). Kant teilt seinem Selbstverständnis nach mit ›den Skeptikern‹ die Einsicht, dass die traditionelle Meta­phy­sik, die dogmatische, unter anderem daran scheitert, dass sie sich in eine Antinomie verstrickt, indem sie zentrale Sätze über die Welt als Ganze genauso beweisen kann wie deren kontradiktorisches Gegenteil. Nun wäre es ein Leichtes, dieses Scheitern zum Anlass zu nehmen, zumindest den zweiten Teil der Meta­phy­sik einfach ›skeptisch‹ ad acta zu legen und den ersten entsprechend zu einer rein negativen Propädeutik auszubauen – wären da nicht zwei gewichtige Gründe, die das verunmöglichen bzw. verbieten: Einmal ist Meta­phy­sik als eine Naturanlage unabweisbar, denn unsere Ver­stan­des­ tätigkeit führt (u. a. durch ihre stets mögliche Iteration) notwendig auf bestimmte



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reine Vernunftbegriffe, d. h. auf Ideen, die wegen u. a. eben dieser Notwendigkeit transzendental genannt werden (im Unterschied3 etwa zu den ›willkürlich erdichteten‹ Ideen oder zu den praktischen – wie etwa der der Republik), bei denen aber gleichwohl mangels Schematisierung die Möglichkeit des Gegenstandsbezugs fraglich ist – und die somit zur Hypostasierung verführen: Da z. B. jede Ursache als eine natürliche Gegebenheit wiederum verursacht ist, führt dies am Ende zur Idee einer unverursachten Ursache, d. h. einer absoluten Spontaneität bzw. einer transzendentalen oder einer intelligiblen Freiheit (wobei diese vier Ausdrücke bei Kant unterschiedliche, aber, wie wir sehen werden, gleichwohl koextensive Begriffe bezeichnen), deren Möglichkeit zunächst einmal fraglich ist. Wenngleich sich dem verstandesbegabten Wesen demnach eine Meta­phy­sik zwar aufdrängt, so ist sie nicht deshalb auch schon unverzichtbar, das zeigt sich gerade am Freiheitsbegriff: In Ansehung der theoretischen Aufgaben von aller [!] Art ist gar keine analytik und Meta­phy­sik nöthig wenn man nur den Begrif der Freyheit in den der mechanischen Nothwendigkeit umwandelt. Ob Gegenstände des äussern oder auch des innern Sinnes sich uns wie sie an sich selbst sind darstellen oder nur wie sie erscheinen: Ob die Begriffe wodurch dieses Mannigfaltige in einen allgemeinen Zusammenhang zur Erfahrung gebracht werden a priori vor oder a posteriori in der Erfahrung gegeben sind ist dem theoretischen Forscher gleichgültig. (20:335) Diese letzte, gängige Vorstellungen möglicherweise befremdende Behauptung findet sich auch z. B. 1797 in der Vorrede zur Meta­phy­sik der Sitten wieder, wo Kant darauf hinweist, dass die Naturwissenschaftler ihre allgemeinen Prinzipien, »die aus Gründen a priori abgeleitet werden können«, durchaus ohne Schaden nur auf »das Zeugnis der Erfahrung hin annehmen« und über die ganze materielle Natur ausdehnen, so etwa Newton im Falle des Prinzips der Wechselwirkung (06:213; vgl. 28:821). Kurz: Die Notwendigkeit einer Kritik der reinen Vernunft verdankt sich nicht der Sorge um die Erkenntnis der Natur (vgl. 28:618, auch schon A VII und B 395 Fn.). Dass reine, nicht-empirische Prinzipien in der Naturwissenschaft, genau wie die Mathematik, mit Recht vorausgesetzt werden, ist für den kritischen Kant ohnehin nicht mit Gründen zu bezweifeln, und er antizipiert derartige Zweifel auch bei seiner Leserschaft nicht. Spätestens mit den Prolegomena (04:276) wird es dann vollends deutlich, dass er diese beiden Erfolgsunternehmungen gerade deshalb eingehend untersucht, weil er zeigen will, dass sie ihren beeindruckenden Erfolg auf solche Erkenntnisvoraussetzungen bauen, die für die Meta­phy­sik gerade nicht 3  So A 320, 338, 409, 565, 28:1233; in A 327 muss es demnach heißen: »Ich verstehe unter der [transzendentalen] Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann«. Nur wenn man das ›transzendentalen‹ einfügt, ist (1) der Satz überhaupt dem Inhalte nach zutreffend (vgl. auch 18:228); und auch nur dann ergibt (2) die mit »Also …« angeschlossene Explikation der »jetzt erwogenen« Ideen als transzendentale (d. i. als reine, nicht-willkürliche und transzendente) einen Sinn.

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erfüllt sind: die Bezogenheit der reinen Naturwissenschaft auf etwas in der sinn­ lichen Anschauung Gegebenes und die mathematische Konstruktion der Begriffe in einer reinen Anschauung.4 In dem letzten Zitat deutete sich an der Freiheit nun aber die Unverzichtbarkeit zumindest von drei »gemachte[n] Begriffe[n]«, den transzendentalen, »in theoretischer Rücksicht transscendenten Ideen« an (20:295). Wenn man nur den Begriff der Freiheit in den der Naturnotwendigkeit verwandelt, so hieß es, wird eine Kritik der reinen Vernunft entbehrlich. Das kann man durchaus auch positiv ausdrücken: 6. Ursprung der critischen Philosophie ist Moral, in Ansehung der Zurechnungsfähigkeit der Handlungen. 7. Hierüber unaufhorlicher Streit. 8 Alle Philosophien sind im Wesentlichen nicht unterschieden bis auf die critische. (20:335; vgl. 20:345) Kant antwortet in dieser Bemerkung auf die Frage: »Was wollten die Alten mit der Meta­phy­sik?« Die Antwort ist: 4 Wie gleich die ersten Absätze der Vorrede von 1781 klarstellen (A VII) und weitere Textstellen durchweg bestätigen (etwa A IX, A 763 oder später dann noch deutlicher etwa B 127, 20:329), ist der vom kritischen Kant thematisierte Skeptizismus ausschließlich einer bezüglich der Erkenntnis des Übersinnlichen (und damit möglicherweise auch eines intelligiblen Substrats der sinnlichen Natur). Eine reflektierte Auseinandersetzung hingegen mit z. B. der Wahrnehmungsskepsis, mit einer Skepsis bezüglich der Naturerkenntnis oder gar der Mathematik (die das 17. Jahrhundert bewegten, exemplarisch: M. Mersennes La verité des sciences contre les Septiques ou les Pyrrhoniens von 1625) ist daher in der Kritik der reinen Vernunft grundsätzlich nicht zu erwarten (und de facto auch nicht zu finden): Für Kant sind diese weiteren Spielarten des Skeptizismus schließlich bloße Irritationen im Gefolge der ersten und werden mit dieser gemeinsam unweigerlich dem Dogmatismus in das von der Kritik geschaufelte Grab folgen (04:271, 351). Zudem ging es Kant ja ausdrücklich um den Kontrast zwischen dem (durch »einmal zustande gebrachte Revolution« eröffneten, B XVI) sicheren Voranschreiten von »Mathematik, Naturlehre usw.« auf der einen und dem dauerhaften Scheitern der Meta­phy­sik auf der anderen Seite (etwa A XI Fn.; vgl. 09:84; 24:557). In seiner ›wissenschaftspolemischen‹ Situation (im durch I. Newtons Principia mathematica philosophiae naturalis von 1687 beflügelten 18. Jahrhundert) kam es ihm darauf an, mittels einer Untersuchung des menschlichen Vernunftvermögens eine (dem Anspruch nach alternativlose, vgl. A 24; B XXII Fn. und B 24 f.) Erklärung der allseits zugestandenen und von je her vorbildhaften »Notwendigkeit und strenge[n] Allgemeinheit« der mathematischen wie auch der reinen naturwissenschaftlichen Grundsätze zu liefern (vgl. A 46 f., A 149 f., A 762, A 854, 4:275): Nur wenn man weiß, »wie« dort die synthetischen Urteile a priori »möglich« sind, dann weiß man auch, dass (und warum) man von der »Wirklichkeit« (B 20) einer wissenschaftlichen Mathematik (»dieses Stolzes der menschlichen Vernunft« – und »in unserer Zeit« nun auch noch einer erfolgreichen Naturwissenschaft; A 464 und A XI Fn.) – gerade nicht auf die Möglichkeit einer »reinen Vernunfterkenntnis« des Übersinnlichen (vgl. A 853 f.) schließen darf. Dieses war ja gerade der Fehler, für den Platon immer wieder exemplarisch gescholten wird (etwa: A 4 f., 05:141, 20:324, 28:620) und dem sich die nunmehr bereits zwei Jahrtausende währende – und durch die Kritik nun endlich zu überwindende – Misere



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»Das Übersinnliche zu erkennen«, das ist: »4. Gott Freyheit und Unsterblichkeit. 5. In dem 1sten u. 3ten einigten sie sich leicht aber nicht in dem zweyten. Die »critische[ ] Philosophie« ist demnach, so Kants intendierte öffentliche Selbstdarstellung Anfang der 90er Jahre, das Projekt, die vernünftige Rede von Gott, von der Unsterblichkeit und insbesondere von der Freiheit, d. h. der »Zurechnungsfähigkeit der Handlungen«, vor dem Hintergrund jener explanatorisch und prognostisch erfolgreichen Naturwissenschaft zu retten, die ihrerseits insbesondere auf den Freiheitsbegriff verzichten kann (und dies aus methodischen Gründen sogar tun muss; s. o.). Diese Aufgabe stellte sich nicht zuletzt auch angesichts des für Christian Wolff 1723 zeitweise sogar lebensbedrohend gewordenen Verdachts, dass eine sich von der Offenbarung befreiende und auf die Vernunft allein bauende Philosophie in Verbindung mit dem angenommenen methodischen Praedeterminismus der modernen Physik unvermeidlich in den Fatalismus führe.

der dogmatischen Meta­phy­sik des Abendlandes verdankt. Selbstredend: Wenn es andere Erklärungen der Möglichkeit von Mathematik und reiner Naturwissenschaft gäbe als Kants subjekttheoretische, dann – so darf man einwerfen – könnte Platon immer noch recht gehabt haben. Solche Erklärungen müssten allerdings auch eine Epistemologie des Übersinnlichen implizieren, die die Meta­phy­sik zumindest vor der Antinomie bewahrt: Der onus probandi liegt damit seit 1781 also erst einmal beim Dogmatismus, und Kant weiß sich in diesem Punkt auf der sicheren Seite (dazu etwa 04:379 ff. oder 05:05). – Bereits Julius Ebbinghaus hatte des Öfteren, m. E. völlig zu Recht, darauf hingewiesen, dass der kritische Kant niemals gegen Autoren argumentiert, die die Geltung der Mathematik oder etwa des Kausalprinzips für die Gegenstände der Erfahrung in Frage stellen (gerade das tun ja weder die neuzeitlichen Dogmatiker noch David Hume, der ›geistreichste aller Skeptiker‹, der den ›moral sciences‹ durch Einführung von Newtons ›experimental method‹ die metaphysischen Eskapaden austreiben will – und wer sonst käme für Kant denn hier in Frage?), sondern nur gegen solche, welche die dort involvierten Anschauungsformen und Kategorien für metaphysische Zwecke missbrauchen (Ebbinghaus 1954, 152). Allerdings verrennt auch Ebbinghaus sich dann wieder mit der – weder aus Kants Texten begründbaren noch aus dem philosophiehistorischen Kontext motivierbaren – Behauptung, der kritische Kant wollte gleichwohl mit seiner »Analyse auf den stolzen Namen einer Begründung [?] der exakten Wissenschaften und damit auf naturphilosophische Relevanz Anspruch erheben« und dürfe deshalb nicht einfach die ›Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit‹ der mathematischen und der rein-naturwissenschaftlichen Urteile voraussetzen. Denn dann könne er »weder dem Skeptiker beweisen, dass alle möglichen Gegenstände der Wahrnehmung diesen Regeln unterliegen müssen, noch dem Ontologen bestreiten, dass sie ihre Tragweite auf alle möglichen Gegenständen überhaupt erstrecken« (eBd. 158): Dieses grundsätzliche (im ersten Punkt m. E. ohnehin jedes Denken überfordernde, im zweiten dagegen Kants ingeniöse Beweislastumkehr durch die Antinomie ignorierende) fundamentalistische Missverständnis des Projekts einer kritischen Philosophie, die doch die Grenzen der menschlichen Erkenntnis ganz ausdrücklich enger ziehen will (»Verengung«, B XXIV, vgl. B XXX), haben allerdings erst jene Neukantianer propagiert, von denen Ebbinghaus sich eigentlich zu distanzieren versuchte.

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Damit wird deutlich, dass in den 1790er Jahren (auf die ich mich bislang bezogen habe) der Freiheitsbegriff für Kants Meta­phy­sik eine tragende Rolle spielt. Diese Rolle geht nun allerdings weit über jene hinaus, die Kant ihm bereits 1781 in der Kritik der reinen Vernunft zugewiesen hatte: Auch dort hieß es, dass die Freiheit der eigentliche Stein des Anstoßes für die Philosophie [sei], welche unüberwindliche Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Causalität einzuräumen. Dasjenige in der Frage über die Freiheit des Willens, was die specu­ lative Vernunft von jeher in so große Verlegenheit gesetzt hat, ist eigentlich [!] nur transscendental und geht lediglich [!] darauf, ob ein Vermögen angenommen werden müsse, eine Reihe von successiven Dingen oder Zuständen von selbst anzufangen. (A 448) Denn nur wenn ein solches »Vermögen« überhaupt möglich ist, lässt sich – unerachtet der Gesetze der Natur – die Rede von einer »absoluten Spontaneität der Handlung als den eigentlichen Grund der Imputabilität derselben« (ebd.) rechtfertigen. Aber mit einer Zurechnungslehre ist die Bedeutung des transzendentalen Freiheitsbegriffs 1781 auch schon vollständig ausgeschöpft: Im Text der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft spielt die Freiheit nämlich jenseits der Behandlung der Zurechnungsfrage (d. h. außerhalb der dritten Antinomie) überhaupt keine eigenständige Rolle.5 Ganz anders, wie wir sahen, in den 1790er Jahren, wenn die Freiheit (und mit ihr die Zurechnung) dann nicht bloß das Zentralproblem der Philosophie bleibt (weil man sich darüber offensichtlich immer noch nicht »leicht« einigen konnte), sondern auch zum Zentralbegriff in der metaphysischen Trias von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit wird. Sie avanciert dabei sogar zum Grundbegriff einer kritischen Meta­phy­sik, wenn es dann heißt: Allererst nachdem die moralischen Gesetze das Übersinnliche im Menschen, die Freyheit, deren Möglichkeit keine Vernunft erklären, ihre Realität aber in jenen praktisch-dogmatischen Lehren beweisen kann, entschleyert haben: so hat die Vernunft gerechten Anspruch auf Erkenntniß des Übersinnlichen. (20:310) 5  Die Freiheit rückt bei Kant erstmals 1787, in der Vorrede zur zweiten Auflage, erkennbar ins Zentrum der Meta­phy­sik (B XXI ff.; in Vorrede und Einleitung der ersten Auflage hingegen wird die Freiheit nicht einmal erwähnt). Auch wird die Trias ›Gott, Freiheit und Unsterblichkeit‹, die in der Dialektik die Destruktion der traditionellen Meta­phy­sik strukturiert, 1781 nur eher beiläufig in der Methodenlehre erwähnt (A 750, 798), aber gerade nicht in der Architektonik (vgl. unten Anm. 45; 1781 ist mitunter auch nur von den zwei metaphysischen Grundproblemen Gott und Seelenunsterblichkeit die Rede, etwa A 741, 804, 811); erst in zwei Ergänzungen der zweiten Auflage weist Kant darauf hin, dass auch die kritische Meta­phy­sik im Wesentlichen die traditionelle Trias zum Gegenstand hat (B 7, 396). – Ob die damit einhergehende und von Kant seitdem vorgetragene Selbstdeutung einer wesentlich praktisch motivierten Genese (»Ursprung«, s. o.) der kritischen Philosophie tatsächlich auto­ biographische Züge hat oder nicht doch eher als nachträgliche Rationalisierung zu lesen ist, sei dahingestellt: Das überlieferte vorkritische Material drängt uns die erste Deutung zumindest nicht auf.



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Und es folgen Gott und Unsterblichkeit als die Garanten der Erreichbarkeit des erstrebten höchsten Guts. Auf die diesbezüglichen Details kann und muss ich an dieser Stelle noch nicht weiter eingehen, denn aus dem Bisherigen wird nun bereits klar, dass in den 1790er Jahren der zweite Teil der Meta­phy­sik, die Lehre vom Übersinnlichen, nur eine genuin moralisch-praktische Meta­phy­sik, in Kants Worten eine praktisch-dogmatische Meta­phy­sik sein kann: Diese ist in ihren epistemischen Ansprüchen abhängig von der »Freiheit als übersinnlichem, aber durch den Kanon der Moral erkennbares Vermögen« (20:330), das dann seinerseits durch die Ideen von Gott, Unsterblichkeit, und das von der Sittlichkeit selbst diktirte Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht [sc. der Erreichung des höchsten Guts] ergänzet [wird], und so diesem Begriffe objective, aber praktische Realität verschafft. (20:300) Den Grundriss dieser Konzeption kennen wir allerdings bereits aus der Kritik der Praktischen Vernunft, d. i. seit 1787/88:6 Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus, und alle andere Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche als bloße Ideen in dieser ohne Haltung bleiben, schließen sich nun an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realität, d. i. die Möglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbart sich durchs moralische Gesetz. (05:03) Das ist die Lehre (1) von der epistemischen Priorität des Pflichtbewusstseins (bzw. des »Kanons der Moral«, s. o.) gegenüber der Einsicht, dass wir frei sind (genauer: dass wir unsere Freiheit zu Recht voraussetzen) und damit der Zurechnung fähig; und (2) von der Abhängigkeit der Realität der Ideen von Seelenunsterblichkeit und Gott von der Realität der Freiheitsidee. Zudem wird auch (3) der oben erörterte Gedanke, dass der Freiheitsbegriff ausschließlich um des Sittengesetzes willen bemüht werden müsse, bereits (und erstmalig) 1787/88 deutlich formuliert: [M]an würde niemals zu dem Wagstück gekommen sein, Freiheit in die Wissenschaft einzuführen, wäre nicht das Sittengesetz und mit ihm praktische Vernunft dazu gekommen und hätte uns diesen Begriff nicht aufgedrungen. (05:30) Damit ist nun die Frage nach Form und Inhalt der Meta­phy­sik bei Kant in den 1790er Jahren im Grundriss beantwortet:

6  Das Buch sollte im Spätsommer 1787, d. h. wenige Monate nach der zweiten Auflage der ersten Kritik erscheinen; weil dem Drucker allerdings zwischenzeitlich die »scharfen Lettern« ausgegangen waren (10:506), kam es erst zum Jahresende heraus und war dann, den Üblichkeiten entsprechend, auf 1788 vordatiert.

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Diese kritische Meta­phy­sik baut offenkundig auf den ersten beiden Kritiken auf: Ihr erster Teil, die Propädeutik (die Ontologie), auf der Kritik der reinen Vernunft. Und der zweite Teil (die eigentliche Meta­phy­sik) auf der Kritik der praktischen Vernunft, die in ihrer Analytik zeigt, dass »reine Vernunft wirklich praktisch ist« (05:03) und sich damit in das Übersinnliche erweitert. Erst diese zweite Kritik stellt also die herrliche Eröffnung [vor], die uns durch reine praktische Vernunft vermittelst des moralischen Gesetzes widerfährt, nämlich die Eröffnung einer intelligibelen Welt durch Realisirung des sonst transscendenten Begriffs der Freiheit, und hiemit das moralische Gesetz selbst, welches durchaus keinen empirischen Bestimmungsgrund annimmt […] (05:94) Und da Seelenunsterblichkeit und Gottesexistenz, die Gegenstände der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft, traditionell in der rationalen Psychologie und der rationalen Theologie behandelt wurden, soll Kants praktisch-dogmatische Meta­ phy­sik der 1790er Jahre nun offenkundig eine kritische Nachfolgedisziplin der metaphysica specialis der wolffschen Schule darstellen, und zwar genauso, wie die kritische Transzendentalphilosophie die Nachfolge der metaphysica generalis, der Ontologie, antritt (s. o.). Allerdings geht diese prima facie gänzlich konventionelle ›1+3‹-Architektur nur auf, weil Kant seit 1781 die Freiheitslehre in der rationalen Kosmologie abhandelt – was aus der Perspektive einer möglichen Wolff/Baumgarten-Nachfolge zunächst einmal befremdet, denn die Freiheit war bei Wolff genauso wenig ein Gegenstand der Kosmologie wie bei Baumgarten: Bei Wolff gibt es im Index der Cosmologia Generalis keine Einträge für ›libertas‹ oder ›spontaneitas‹, und auch in Baumgartens Metaphysica kommen die Termini nur in der Psychologie und in der Theologie vor. Der Frage, warum Kant seit der Kritik der reinen Vernunft die Freiheit in der Kosmologie behandelt, werde ich mich unten im Abschnitt III zuwenden. Wenn man nun Kants Architektonik der Meta­phy­sik, so wie er sie in der Preisschrift vorstellt, ernst nimmt, dann muss entweder die Meta­phy­sik als in den beiden ersten Kritiken bereits abgehandelt angesehen werden (die Ontologie der metaphysica generalis 1781 in der ersten und die Trias der metaphysica specialis 1787 in der zweiten) – wofür u. a. sprechen könnte, dass Kant mitunter nicht das Übersinnliche selbst, sondern nur den »Überschritt« vom Sinnlichen zum Übersinnlichen als den Gegenstand der Meta­phy­sik bezeichnet (20:305 u. ö.), und ein solcher Überschritt ließe sich in den beiden Schriften ja durchaus verorten. Oder aber ein erst noch zu lieferndes Buch mit dem Titel ›Meta­phy­sik‹ wird mit seinen zwei Teilen (dem allgemeinen, der Propädeutik und dem speziellen, der Meta­phy­sik i. e. S.) etwa die übersinnlichen Glaubensinhalte zum Gegenstand machen und dafür an die zwei Kritiken anschließen7 (wobei allerdings schwer abzuschätzen ist, was eigentlich 7  Gedachtes ›Sich Anschließen‹ ist keinesfalls mit der Zuordnung der Meta­phy­sik der Natur zur Kritik der reinen Vernunft und der Meta­phy­sik der Sitten zur Kritik der praktischen Ver-



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über diese beiden Texte hinaus bezüglich Freiheit, Seelenunsterblichkeit und Gott noch im Umfang einer Monographie philosophisch zu erörtern wäre8). Eine unkontroverse Entscheidung zwischen diesen beiden Varianten ist mangels einschlägiger Positionierung Kants vermutlich gar nicht möglich,9 aber eine solche Entscheidung ist für die folgenden Überlegungen auch nicht erfordert.

II. 1781–1787 COSMOLOGIA GENERALIS est scientia praedicatorum mundi generalium, eaque vel ex experientia propius, EMPIRICA, vel ex notione mundi, RATIONALIS. (Baumgarten, Metaphysica, § 351;17:103)

Die rationale Kosmologie handelt bei Wolff wie bei Baumgarten von der Welt als Ganzer; aber selbst dort, wo sie sich mit Zufall und Notwendigkeit befasst, ist von der Freiheit als einem Handlungs-Vermögen, einer spontaneitas, sei diese nun secundum quid oder gar absoluta, nicht die Rede. Für Kant hingegen ist die spontaneitas absoluta in Gestalt einer transzendentalen Freiheit eines der vier Themen seiner kritischen Kosmologie und von diesen fraglos das für den hiesigen Kontext wichtigste. Und das gilt für die gesamte kritische Phase, d. h. seit der Kritik der reinen Vernunft. In der Preisschrift heißt es: »so bleibt doch der Begriff der Freyheit, so wie er, als sinnlich-unbedingte Kausalität, selbst in der Kosmologie vorkommt, zwar sceptisch angefochten, aber doch unwiderlegt« (20:294). Das verweist bekanntermaßen auf den dritten Widerstreit (A 444 ff.) der kosmologischen Antinomie, in welchem die absolute Spontaneität einer ›skeptischen Anfechtung‹ ausgesetzt war. Diese bestand darin, dass zwar einerseits eine »Kausalität durch Freiheit« zur Erklärung der Erscheinungen in der Welt anzunehmen notwendig ist (Thesis), andererseits aber deren Annahme nicht möglich ist, weil »sie dem Kausalgesetze entgegen« steht, das seinerseits notwendig ist (Antithesis).

nunft (vgl. 06:205) zu identifizieren (die naturgemäß gleichfalls erst mit Erscheinen einer zweiten Kritik möglich geworden ist; vgl. unten Anm. 45). Diese beiden ›Meta­phy­sik(en) der …‹ handeln definitiv nicht vom »Überschritt« zum Übersinnlichen oder von der ›übersinnlichen Trias‹ (wie man auch den beiden publizierten Anfangsgründen direkt entnehmen kann), sie liefern vielmehr den reinen Teil der Natur- und der Sittenlehre (vgl. o. Text zu Anm. 2). Dafür entnehmen sie ihre jeweiligen Gesetzesbegriffe aus der Analytik der ersten bzw. der zweiten Kritik (Gesetz[e] der Natur und das Gesetz der Freiheit, dazu 05:171 f.). 8  Siehe zu den möglichen Inhalten den Beitrag von Rudolf Langthaler in diesem Band. 9  Das betrifft schon die alte Frage, ob das Buch von 1781 das »System« nur vorbereite (A 83, A 841), dieses also erst »nach Vollendung der Kritik der reinen Vernunft aufgebaut werden kann und soll« (20:310) oder es bereits vorstelle (12:371).

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Die spekulative Pointe dieser Antinomie liegt für Kant darin, dass (1) die dogmatische Philosophie in der Tat unwiderlegte Beweise für Thesis und Antithesis bietet und dass gleichwohl (2) in eben diesem Rahmen die beide Behauptungen zueinander »contradictorisch« (05:94) sind, nichtsdestotrotz aber (3) in einer »berichtigten Bedeutung alle beide wahr sein können« (A 532). Die erste Annahme ist hierbei gleichsam programmkonstitutiv, denn stünde auch nur einer der beiden Beweise als solcher in Frage, dann müsste Kant die zentrale Voraussetzung der Kritik aufgeben: Die nämlich, dass kein »synthetischer Satz a priori aus dogmatischen Gründen« »fest« steht, weil es immer auch für den kontradiktorisch entgegengesetzten einen gleichwertigen dogmatischen Beweis gibt (so 04:379): Der dritte Widerstreit der Antinomie wäre dann gar keiner und könnte (unter anderem) nicht den reklamierten »indirekten Beweis« (A 506 und 536) für den Transzendentalen Idealismus liefern. Da Kant für seine Zwecke also nicht einfach einen der Beweise (oder gar beide) direkt in Zweifel ziehen darf, muss er (tertium non datur) für die ›Hebung‹ des Widerstreits zeigen, dass die Beweise von Thesis und Antithesis »zweierlei Kausalität«, d. h. zwei unterschiedliche »Arten der Kausalität« (A 532, 543; vgl. 04:457), zum Gegenstand haben, zwei Arten, die allerdings dann, wenn man »Grundsätzen [folgt], die jede dogmatische Meta­phy­sik nothwendig anerkennen muß« (04:379), nicht unterschieden werden können, wodurch dann unausweichlich der »Schein« eines kontradiktorischen »Gegensatze[s]« entsteht (A 422; vgl. A 588). Der entscheidende Schritt zur kritischen »Auflösung« der dritten Antinomie (A 538–558; vgl. 04:343–348) besteht für Kant somit in einer semantischen Berichtigung (s. o.: »berichtigte Bedeutung«; vgl. auch: »zweierlei Bedeutung«, B ­XXVII), in der Berichtigung nämlich, dass nur der Beweis der Antithesis sich auf die Naturkausalität bezieht, der der Thesis hingegen auf eine davon unterscheidbare (und auch tatsächlich unterschiedene) intelligible Kausalität, die ihrerseits mit dem »Naturmechanismus«10 zusammen bestehen kann: In seinem Handexemplar notiert Kant (am Rand von A 490) dazu: »Jenes ist [!] wahr von Phänomenen, dieses von Noumenen außer der Welt« (23:41 =Refl. CLXX), womit der vermeintliche Widerspruch in der Tat verschwunden ist. Und weil die dogmatischen Beweise für eine »Kausalität aus Freiheit« sowie für die »Naturnothwendigkeit« »nicht Blendwerke, sondern gründlich waren« (A 507), können sie schließlich »in berichtigte[r] Bedeutung« weiterhin Bestand haben (s. u.). Dieses auf den ersten Blick geradezu verstörend schlichte Manöver (vgl. den verwandten Fall 06:255) ist – wenn es denn nicht bloß ad hoc und damit philosophisch belanglos sein soll – nun allerdings spekulativ höchst voraussetzungsreich, denn als exklusiver »Schlüssel« dient Kant dabei programmgemäß der transzendentale Idealismus mit seiner kritischen Raum-Zeit-Lehre und der dadurch eröffneten, grundlegenden Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich. Weil das hier nicht mein Thema sein kann, zitiere ich nur Kants Fazit: 10  »Naturmechanismus und Freyheit widerstreiten einander nicht, weil die caussalitaet nicht in einem Sinne genommen wird.« (18:250).



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Wenn Erscheinungen für nichts mehr gelten, als sie in der That sind, nämlich nicht für Dinge an sich, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind. Eine solche intelligibele Ursache aber wird in Ansehung ihrer Causalität nicht durch Erscheinungen bestimmt, obzwar ihre Wirkungen erscheinen und sie durch andere Erscheinungen bestimmt werden können. Sie ist also sammt ihrer Causalität außer der Reihe, dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen angetroffen werden. Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache als frei [Thesis] und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben [sc. ihren natürlichen Ursachen; B. L.] nach der Nothwendigkeit der Natur [Antithesis] angesehen werden. (A 537; vgl. 04:345 f., 05:114) Diese kritische Unterscheidung von intelligibler und natürlicher Kausalität löst nun aber nicht allein das genuin kosmologische Problem des »Ursprungs der Welt« (A 448), sondern 1781 sogar ohne Weiteres auch noch das erheblich drängendere (und in unseren Kontext fallende) Problem der menschlichen Willensfreiheit, des »eigentliche[n] Stein[s] des Anstoßes für die Philosophie« (A 448): Kant vertritt nämlich in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft ausweislich des der Antinomie unmittelbar vorausgehenden Paralogismus-Kapitels11 (s. dort A 348 ff., mit A 365 u. A 400 f.) noch die traditionsnahe Auffassung, dass der Mensch sich selbst nicht bloß zu den Erscheinungen zählt, sondern sich – wenn auch ausschließlich »zum praktischen Gebrauche« – anlässlich des »Ich denke« gleichermaßen als »Substanz in der Idee« (A 351), d. i., als »intelligiblen Gegenstand« (A 546) verstehen (Kant schreibt sogar: »erkennen«!)12 kann und muss. Es behalten für ihn somit (wohlgemerkt: im Text von 1781!) »die psychologischen Lehrsätze ihre unstreitige Richtigkeit« (A 400), und den Satz: »[D]ie Seele ist [!] Substanz« kann man also »gar wohl gelten lassen« (A 350). Allerdings darf man bei dieser 11  Eine ausführliche Erörterung und Begründung der folgenden Behauptungen findet sich in Ludwig 2012. 12  Kant selbst betont einerseits, es gehe um die Frage, ob es möglich (und notwendig) sei, unsere Freiheit »vorauszusetzen« (besonders deutlich etwa 04:461); andererseits redet er aber – wie hier – mitunter auch ›unkritisch‹ vom ›Erkennen‹, ›Beweisen‹ oder ›Wissen‹ der Freiheit sowie anderer Intelligibilia (z. B. A 557; 04:447, 453 f.; 05:04, 29, 30, 42, 468; 06:239; 20:310 und 330 [s. o.]; 21:41). Das löst sich leicht auf, wenn man Formeln wie: ›Wie erkennen/beweisen wir unsere Freiheit?‹, ›Woher wissen wir, dass wir frei sind?‹ &c. auffasst als Stenogramme für die Frage: ›Wie erkennen/beweisen/wissen wir, dass es sowohl möglich als auch notwendig ist, Freiheit beim Menschen – und zwar im Unterschied zu anderen Weltwesen – vorauszusetzen?‹. – Auch wenn die hier einschlägige ›Möglichkeit‹ wesentlich eine spekulative ist, so bezieht sich, wie wir sehen werden, zumindest die ›Notwendigkeit‹ auf unser (praktisches) Selbstverständnis als Handelnde, sodass die ›Freiheitserkenntnis‹ als solche dann keine theoretische Erkenntnis sensu stricto sein kann (sondern nur ein »Postulat«; vgl. 05:94, 132): »Ich bin frei« ist für Kant jedenfalls kein deskriptiver Satz (dazu: Ludwig 2015a).

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»Substanz in der Idee« nicht auf eine unendliche Zeitdauer (und damit auf die Unsterblichkeit) schließen, wie es die im Paralogismus kritisierte »vernünftelnde Seelenlehre« versucht, denn die (Seelen‑)Substanz »ist« bloß eine intelligible, sie ist »nicht in der Realität« (A 351), kein »reales Subjekt der Inhärenz« (A 350); sie steht also gar nicht unter Zeitbedingungen, und ihr Begriff ist demnach auch nicht »empirisch brauchbar« (A 349). Unerachtet seiner Zurückweisung der Unsterblichkeitslehre der rationalen Psychologie hält Kant hier 1781 also noch ganz entschieden (und gegen alle Erwartungen, die zuvor die Analytik bei seinen nachgeborenen Lesern erzeugt haben dürfte, s. etwa: A 147, 242 f., 251 f. oder 286–289) an deren spekulativer Voraussetzung einer Substanzialität der Seele fest (das gilt auch noch 1785/86: 4:542 f.). Deshalb kann er dann in seiner ›Anmerkung‹ zur Thesis der Freiheitsantinomie – die kritische Auflösung der Frage nach der Freiheit des Menschen partiell vorwegnehmend – problemlos die »Entschließung« zum Aufstehen vom Stuhl als ein Beispiel anführen für eine »völlig freie« (d. h. zeitenthobene; vgl. A 553) Tat jener vernünftigen »Substanz[ ]« (A 450), als die »jedermann Sich selbst notwendigerweise […] ansehen« muss (A 349). Diese Substanz in der Idee (die »Seele« nämlich, s. o.) ist als intelligible zwar genauso wenig »in der Welt selbst« (»in der Realität«, s. o.) wie der »erste Anfang« der Welt. Aber wie dieser kann auch sie (als eine intelligible Ursache) gleichwohl Wirkungen »im Laufe der Welt« (ebd.) haben – also für jene »Substanzen in [!] der Welt«, von denen und von deren »Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen« in Kants Anmerkung zur Antithesis die Rede ist (A 449). Dieses (gerade im Rahmen der kritischen Philosophie fraglos äußerst befremd­ liche) Lehrstück wird dann der Sache nach – wenn auch ohne den speziellen Rückgriff auf die Substanz-Terminologie – in der eigentlichen Auflösung der Antinomie (in A 537 bzw. A 550 ff.) noch einmal ausführlich exponiert. Es liegt dort der Unterscheidung eines intelligiblen Charakters des Menschen als »Dinges an sich selbst« (der »Denkungsart«, die »den Bedingungen der Zeitfolge nicht unterworfen ist«) von dem empirischen als »Dinges in der Erscheinung« (der »Sinnesart«, die »die (empirische) Ursache aller seiner Handlungen ist«) zugrunde (A 539, 551 ff.) und wird uns bis 1785 noch zweimal wiederbegegnen – bevor es dann um 1786 der kantischen Selbstkritik zum Opfer fällt (s. u.). Hier nun stellt sich (wenn man über alle Ungereimtheiten im Detail zunächst einmal hinwegsieht) die ganz grundsätzliche Frage, wie Kant 1781 die zugrunde liegende Annahme rechtfertigt, dass das den Naturgesetzen unterworfene Sinnen­ wesen Mensch sich mit seiner Vernunft bzw. seinem Selbstbewusstsein (»Ich«) auch als einen »intelligiblen Gegenstand« verstehen darf bzw. muss: als ein Glied eben jener zeitlosen, übersinnlichen Welt der »Dinge an sich«, in der allein diejenige intelligible Kausalität möglich ist, die als eine transzendentale Freiheit der Naturkausalität nicht widerstreitet und »der eigentliche Grund der Imputabilität« sein soll.13 13  Damit der Mensch eine absolute Spontaneität bei sich selbst voraussetzen kann, reicht es offenkundig nicht hin, dass eine solche als eine intelligible Freiheit (d. h. »im Intelligiblen«)



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In den von Kant seit 1786/87 verfassten Texten, beginnend mit den Überarbeitungen für die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft (s. B 429 ff.), gibt es auf diese Frage durchweg nur die eine Antwort, die wir oben in Abschnitt I bereits kennengelernt haben und die Kant bis ins opus postumum (z. B. 21:26, 419 ff.; 22:52 f., 60; vgl. 29:1022 f.) in unzähligen Varianten emphatisch wiederholt: Es ist ausschließlich das Bewusstsein der Verpflichtung seitens des Sittengesetzes, durch welches sich uns unsere Freiheit und damit unsere Teilhabe am zeitlosen Intelligiblen erschließt. Das ist die bereits zitierte »herrliche Eröffnung, die uns durch reine praktische Vernunft vermittelst des moralischen Gesetzes widerfährt« (05:94; Herv. B. L.). Nun ist es offenkundig, dass Kant Freiheit und intelligible Existenz des Menschen auf diesem Wege nur erschließen kann, indem er jenen direkten begrifflichen Zusammenhang von Freiheit und Sittengesetz ins Spiel bringt, der ihm – soweit wir es heute beurteilen können – allerdings erst seit 1784 zu Gebote steht.14 Doch selbst zu dieser Zeit wertet er ihn noch nicht in der ab 1787 dann einschlägigen Richtung aus – sondern zunächst einmal nur in der umgekehrten: Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit sammt ihrem Princip daraus durch bloße Zergliederung ihres Begriffs (04:447). Von einem philosophisch tragfähigen Schluss auch in die entgegengesetzte Richtung, vom Sittengesetz also auf die Freiheit, ist in der Grundlegung nirgendwo die Rede (und somit auch nicht von einer echten ›Reziprozität‹ von Freiheit und Gesetz),15 sondern erstmals zwei Jahre später, in den Überarbeitungen der Kritik überhaupt möglich ist (was ja durch die kosmologische Notwendigkeit eines »ersten Anfangs einer Reihe« »einmal […] bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist«, A 450). Es bedarf noch des zusätzlichen Nachweises, dass der Mensch selbst – im Unterschied etwa zu den der Zurechnung nicht fähigen, vernunftlosen Tieren, Pflanzen und Mineralien – mit seiner praktischen Vernunft tatsächlich »über die Sinnenwelt hinausgeh[t]« (04:453 f.): Damit ich mobil telefonieren kann, reicht es ja ebenfalls nicht aus, dass das Telefonieren ›im Mobilfunknetz‹ überhaupt möglich ist (was etwa ein nur damit zu erklärender mobiler Informationsaustausch zwischen Grete und Hans hinreichend ›beweist‹), ich selbst muss auch mit meinem Mobiltelefon ›im Mobilfunknetz sein‹, gleichsam ›über das kabelgebundene Festnetz hinausgehen‹. 14  Wir finden ihn erstmals in den Vorlesungen von 1784/85 (28:1323 ff.; 29:626 ff.) und in der zu dieser Zeit verfassten Grundlegung. Vermutlich führten erst Überlegungen im Anschluss an die in der Freiheitsfrage seltsam unsichere Schulz-Rezension von 1783 (siehe: 08:13 f.) Kant zu einer Neubestimmung seines Freiheitsbegriffs: Zumindest ist noch dieser Schrift (wie auch der Meta­phy­sik Vorlesung aus derselben Zeit, siehe: 29:900 ff.) ein begriff­ licher Zusammenhang von Freiheit und Sittengesetz gänzlich unbekannt. 15  Auf 04:447 z. B. heißt es unmittelbar vor dem obigen Zitat: »[…] also ist [!] ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.« Die Cambridge-Übersetzung schreibt hier 1996: »[…] hence a free will and a will under moral laws are [!] one and the same« und lockt (wie auch schon Abbot 1895 oder Bennet dann 2008) ihre Leser mit dem Plural auf Abwege: Zuvor wurde durch die »Zergliederung« des Begriffs vom freien Willen näm-

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der reinen Vernunft (B 430 ff.) und in der Kritik der praktischen Vernunft. In dieser betont Kant dann allerdings mit großem Nachdruck, dass gerade der Schluss von der Voraussetzung der Freiheit auf das Gesetz (mit dem die Grundlegung explizit operiert) überhaupt nicht erkenntniserweiternd geführt werden könne, weil es gar keinen Zugang zur menschlichen Freiheit gebe, der seinerseits nicht wieder vom Bewusstsein des Sittengesetzes abhängig wäre: Von der Freiheit kann sie [sc. die Kenntnis des Unbedingt-Praktischen] nicht anheben; denn deren können wir uns weder unmittelbar bewusst werden […] noch darauf aus Erfahrung schließen (05:29),16 lich in der Tat nur gezeigt, dass jeder freie Wille ein Wille unter sittlichen Gesetzen ist, und im nachfolgenden Satz wird genau das mittels eines einfachen Konditionals völlig adäquat reformuliert. Ein Bikonditional hätte Kant mit der »Zergliederung« eines Begriffs schließlich gar nicht begründen können (die Teil-Ganzes-Relation ist nicht symmetrisch!), und irgendein anderes Argument ist 1785 nicht zu finden. – Allein mit diesem einen Konditional wird im Folgenden dann auch jener »Cirkel« konstruiert (04:451; vgl. 453), in welchem »gutgesinnte Seelen« progressiv (sc. »weil«) von der Freiheit aufs Gesetz schließen, nachdem sie zuvor regressiv (sc. »um zu«) vom Gesetz auf die Freiheit geschlossen haben (vgl.: ›Um die Nässe der Straße zu erklären, nehmen wir an, dass es geregnet hat, und weil es demnach geregnet hat, ist die Straße nass.‹). – In diesem Zusammenhang behauptet Kant nun aber zumindest (so könnte man dagegenhalten), dass Freiheit und Selbstgesetzgebung »beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe« sind. Das wiederholt allerdings nur einen Gedanken aus 04:447, und ein Plädoyer für die Reziprozität von Freiheit und Sittengesetz lässt sich hieran auch nicht ablesen, denn dafür fehlt 1785 noch eine Umkehrung jenes Arguments, welches in 04:447 von der Selbstgesetzgebung überhaupt erst zum Sittengesetz führte. Dieses letzte Argument finden wir auch in der Kritik der praktischen Vernunft wieder (§ 6). Für jene Umkehrung, welche dort 1787 dann (in § 5) den Schluss vom Sittengesetz auf die Selbstgesetzgebung (und damit dann auch auf die Freiheit) ermöglicht, gibt es 1785 jedoch noch kein Pendant. – Damit dürften die einschlägigen Stellen ausgeschöpft sein: Selbstredend kann man die Reziprozitätsthese auch weiterhin auf eigene Rechnung in die Grundlegung hineinlesen, denn der Text widerspricht ihr offenkundig nicht. Festzuhalten ist allerdings, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass Kant selbst sich bis 1785 für die Frage interessiert hat, ob er vom Sittengesetz gültig auf die Freiheit schießen könnte (und: warum sollte er sich bis dahin denn auch dafür interessiert haben?). 16 Die ausdrückliche Erklärung, dass man speziell von der oben zitierten Folgerung (04:447; vgl. auch 452 f.) prinzipiell keinen erkenntniserweiternden Gebrauch machen kann, findet sich 05:31: »[…] ob er [sc. der sittliche Grundsatz] gleich analytisch sein würde, wenn man die Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber als positivem Begriffe, eine intellektuelle Anschauung voraussetzen müsste, die man hier gar nicht annehmen darf.« – Ich gestehe freimütig, dass mir persönlich aus der gesamten abendländischen Überlieferung von den Vorsokratikern bis 1787 kein einziger Text bekannt ist, in dem der hier vehement abgewiesene Schluss von einer ›Voraussetzung der Freiheit‹ aufs moralische Gesetz (via ›Zerlegung‹ bzw. ›analytisch‹) zu finden wäre – außer Kants Grundlegung. Wir haben es hier also mit einer verklausulierten, in der Sache allerdings völlig transparenten Selbstkritik zu tun (was in der zweiten Kritik des Öfteren der Fall ist, s. etwa 05:109 und 125 gegen A 811). – Nehmen wir



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heißt es 1787. Und bei dieser Behauptung wird es für Kant, wie gesehen, dann auch bleiben. Doch zuvor, d. h. sowohl 1781 zufolge der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft als auch 1783 zufolge der Prolegomena wie auch 1785 zufolge der Grundlegung, ging es doch! Es erschließt sich zwar auch dort die intelligible Existenz des Menschen (und damit die Möglichkeit, eine intelligible Freiheit seines Willens vorauszusetzen) aus dem Bewusstsein eines Sollens, d. h. aus einem genuin praktischen datum (siehe A 534, A 547). Selbstredend kann ein derartiges Sollen aber auch schon 1781 für Kant nicht einfach dasjenige sein, welches bereits mit einer praktischen Vernunft als solcher einhergeht und das zweckrationale Handeln endlicher Wesen unweigerlich begleitet: Damit es auf eine intelligible Freiheit verweisen kann, muss das Sollen von einer reinen praktischen Vernunft ausgehen. Und genau ein solches Sollen glaubt Kant auch schon 1781 entdeckt zu haben. Doch anders als dann seit 1787 ist dies hier definitiv nicht das moralische: Der Auflösung der ›Antinomie‹ in der Kritik der reinen Vernunft zufolge gibt nämlich die Vernunft nicht demjenigen Grunde, der empirisch gegeben ist, nach und folgt nicht der Ordnung der Dinge, so wie sie sich in der Erscheinung darstellen; sondern macht sich mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirischen Bedingungen hinein paßt, und nach denen sie sogar Handlungen für nothwendig erklärt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber gleichwohl voraussetzt, daß die Vernunft in Beziehung auf sie Causalität haben könne; denn ohne das würde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten. (A 548; Herv. B. L.) Die Möglichkeit der Bestimmung des Handelns durch eine absolute Spontaneität muss beim Menschen demnach um eines mit dessen praktischer Freiheit einhergehenden Bewusstseins eines solchen ›Sollens‹ willen vorausgesetzt werden, das von einer »mit völliger Spontaneität« selbst erzeugten (und demnach definitiv nichtsinnlichen) Ideen-Ordnung ausgeht und deshalb »von allen empirischbedingten Kräften unterschieden« ist (A 547).17 Dass dies das sittliche Sollen in specie sein zum Zwecke der Vergewisserung einmal kontrafaktisch an, die Kritik der praktischen Vernunft wäre vor der Grundlegung verfasst worden: Welchen Reim könnte man sich dann auf die hier konfrontierten Stellen machen, außer eben dem, dass Kant (1) in der Kritik gegen ein – auch nach über 200 Jahren Kant-Forschung immer noch nicht wiederentdecktes – Phantom argumentiert haben muss und dass er (2) bis zur Grundlegung, die das durchschlagende, kritische Argument dann ignoriert, die Erinnerung an dasselbe, seinen Verstand oder sogar beides verloren hat? 17  Wir nehmen an, »daß die Ideen der Vernunft wirklich Kausalität haben« (A 550). – Der spezifische Bezug auf die Ideen wurde zuvor in A 533 f., im bloßen »Schattenriss der Auflösung«, noch nicht explizit gemacht, sondern erst in A 542–58, wo Kant dann »die Momente ihrer Entscheidung, auf die es eigentlich ankommt, auseinander setzen, und jedes besonders in Erwägung ziehen« will (Herv. B. L.). Dort versucht er (wie u. a. A 546 f. deutlich wird) sicherzustellen, dass die schulphilosophische Auffassung (für Baumgarten s. etwa: 17:126),

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könnte, wird von Kant an keiner einzigen Stelle der Schrift auch nur erwogen, geschweige denn antizipiert oder gar behauptet.18 Ganz im Gegenteil: Die »eigene Ordnung nach Ideen« betrifft hier sogar ganz ausdrücklich »das Angenehme« und »das Gute« gleichermaßen (so A 548). Dieser Verweis auf die Kausalität der Ideen findet sich erneut 1783 in den Prolegomena, wo an der systematisch einschlägigen Stelle von der Selbstbestimmung nach »objective[n] Gründen, die Ideen sind« (04:345), die Rede ist: Durch die transzendentale Freiheit »wird also die praktische Freiheit, nämlich diejenige [!], in welcher die Vernunft nach objectiv-bestimmenden Gründen Causalität hat, gerettet« (04:346). Mit geradezu entwaffnender Deutlichkeit (und in sachlicher Kontinuität mit der oben erörterten »Stuhl«-Passage aus der Anmerkung zur Thesis der 3. An­tinomie) heißt es dann, die Vernunft sei daher »die Eigenschaft19 eines Din›Freiheit‹ sei ein notwendiges Attribut des Denkens bzw. des Selbstbewusstseins, es rechtfertigt, die Spontaneität des vernünftigen Menschen tatsächlich in jenem zeitlosen Intelligiblen zu verorten, das die kritische Raum- Zeitlehre eröffnet – womit dann die Auflösung der dritten Antinomie für die Frage nach der Willensfreiheit fruchtbar gemacht werden kann. Denn dies versteht sich angesichts der kritischen Lehre von der Zeit als »Form des inneren Sinnes« (A 33) offenkundig nicht (mehr) von selbst und bedarf daher eines zusätzlichen Arguments. Dafür bemüht Kant 1781 einen vorgeblich über alle natürlichen Verstandesfunktionen hinausweisenden Ursprung von Ideen (auf den sich in ähnlicher Weise z. B. schon Descartes für seinen ideentheoretischen Gottesbeweis der 3. Meditation prominent berufen hat). – Seit wann Kant ein solches ›Ideen-Argument‹ explizit hinzuzieht, lässt sich m. W. nicht genauer bestimmen, zumindest Mitte der 1770er Jahre scheint für ihn der einfache Verweis auf die Apperzeption noch hinreichend gewesen zu sein (s. 28:269; vgl. unten Anm. 36). – In diesem Kontext ist es zumindest bemerkenswert, dass wir Spuren einer Lehre von transzendentalen, d. h. von der Vernunft »nach ihren ursprünglichen [!] Gesetzen erzeugt[en]« Ideen (A 338 f.), den fraglos nächstliegenden Kandidaten für Begriffe definitiv nicht-sinnlicher Provenienz, bei Kant erstmals gegen Ende der 1770er Jahre finden (18:228), während er um 1772 noch notiert hatte: »In der transscendentalphilosophie kommen notionen, aber nicht Ideen vor« (17:558). 18  Das wäre 1781 auch (noch) gar nicht möglich gewesen, denn Kant geht hier davon aus, dass die moralischen Grundbegriffe zwar a priori, aber gleichwohl »nicht gänzlich reine Vernunftbegriffe sind«, weil ihnen nämlich »etwas Empirisches (Lust oder Unlust)« bzw. »Begierden und Neigungen« zum Grunde liegen (A 569 und A 15 – davon macht dann, wie wir noch sehen werden, der verbindlichkeitstheoretische Gottesbeweis des Kanon Gebrauch): Selbst für moralische Begriffe muss demnach gelten, dass auch sie nur dann rein sind, wenn sie ihrerseits Ideen sind, wie etwa die »reine Tugend« oder der »stoische Weise« (ebd.; vgl. A 801 Fn.; zu A 15 siehe die Korrektur in B 29, welche 1787 dann der neuen, ›reinen‹ Verbindlichkeitslehre der Grundlegung Rechnung trägt: Die Neigungen sind seit 1785 bloß noch Antagonisten oder aber redundante Motive gebotenen Handelns). 19 Dass Kant an dieser Stelle einen transzendenten Gebrauch der Substanz-AkzidenzKategorie(n) macht, ist hier nun fast schon mit Händen zu greifen – und wurde Anfang 1786 von einem aufmerksamen Rezensenten (und dank dessen dann auch von Kant selbst) bemerkt (s. u. Abschnitt IV). Käme Kants Argumentation an dieser systematischen Scharnier-



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ges an sich selbst«, ein Vermögen, »ohne Einfluß der Umstände der Zeit oder des Orts Handlungen die Regel [zu] geben«: eine intelligible Kausalität also, d. h. als »Entschließung und That […] gar nicht in der Abfolge bloßer Naturwirkungen« (A 450) – aber das Sittengesetz ist auch hier nirgendwo in Sicht. In der Grundlegung schließlich lesen wir, noch einmal zwei Jahre später, an korrespondierender Stelle (in dem letzten von drei20 rein bewusstseinstheoretischen Anläufen), dass der Mensch in sich wirklich [!] ein Vermögen findet, dadurch er sich von allen anderen Dingen, ja von sich selbst, sofern er durch Gegenstände affiziert wird, unterscheidet, [die Vernunft nämlich, die] unter dem Namen der Ideen eine so reine Spontaneität zeigt, daß sie dadurch [!] weit über alles, was ihr Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht. (04:452) Auch hier wird die Möglichkeit einer Voraussetzung der intelligiblen Freiheit nicht mit irgendeinem Rückgriff auf das Sittengesetz dargelegt, sondern abermals mit Verweis auf die »reine Spontaneität« der Ideen und das darauf gegründete Selbstverständnis des Menschen als einer »Intelligenz«, die »zur Verstandeswelt gehörig« ist (ebd.) – zum »Ganze[n] vernünftiger Wesen, als Dinge an sich selbst« (04:458). Allerdings kommt jetzt noch etwas hinzu: Verhielte es sich hier anders (also so, wie dann ab 1787), so wäre der von Kant 1785 erstmals angezielte Schluss von der mit Recht vorausgesetzten Freiheit auf »die Sittlichkeit sammt ihrem Princip« (s. o.) allzu offensichtlich eine petitio principii: Wenn wir uns als frei denken, so heißt es ja kurz darauf dann noch einmal, versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt und erkennen21 die Autonomie des Willens und samt ihrer Folge [!], der Moralität (ebd.).

stelle ohne einen solchen dogmatischen Kategoriengebrauch aus, wäre man versucht, den Ausdruck einfach als einen vorkritischen Lapsus abzutun (sc. ›Eigentlich meinte er nur…‹  – ja, aber was hätte er hier denn dann überhaupt gemeint haben können?). 20 Zunächst wird 04:450 f. an den »gemeinste[n] Verstand« und dessen »rohe« Unterscheidung von Sinnes- und Verstandeswelt appelliert, sodann an den »nachdenkende[n] Mensch[en]«, der »sein Ich« zur »intellektuellen Welt zählen muss« (das schulphilosophische ›Apperzeptions-Argument‹, vgl. o. Anm. 17), bevor dann am Ende das entscheidende (s. o.: »wirklich«) Ideen-Argument aus KrV bzw. Prolegomena vorgetragen wird. – Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, dass »Kant seine Deduktion in der GMS unter Berufung auf eine Popularphilosophie in der garveschen Manier eines Synkretismus [etc.]« verfasst habe, als eine Art »Kinderversion«, wie es etwa Manfred Baum anlässlich dieser Stelle behauptet (Baum 2014, 223 und 217): Zwar werden in der Grundlegung die transzendentalphilosophischen Prämissen nicht explizit dargelegt (und auch die Terminologie bleibt durchweg untechnisch), aber es wird kein einziges Argument bemüht, das möglicherweise im Rahmen dogmatischer Philosophie Bestand hätte, aber den Rahmen der kritischen – zumindest in denjenigen Versionen, die Kant 1781 und 1783 vorgestellt hat! – sprengt. 21  Vgl. oben Anm. 12.

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Kurz: Der Mensch, der sich einer Nötigung durch seine ideengenerierende (und somit reine) Vernunft bewusst ist (oder auch nur »bewusst zu sein glaubt«, 04:459), kann und muss 1781, 1783 wie 1785 eben darum seine absolute, völlige, überzeitliche oder reine Spontaneität, d. h. eine intelligible Freiheit, voraussetzen. Das Sittengesetz bemüht Kant in dieser Zeit dafür definitiv nicht – und sein ambitioniertes Projekt im III. Abschnitt der Grundlegung geriete, wie er selbst dort eigens betont, geradewegs in einen »Cirkel«, wenn wir »die Idee der Freiheit nur um des sittlichen Gesetzes willen zum Grunde legten« (04:453) – also darauf angewiesen wären, vom Sittengesetz auf die Freiheit zu schließen und damit, wie in der Kritik der praktischen Vernunft, ersteres zur ratio cognoscendi der letzteren zu erklären. Soweit die auf uns gekommenen Texte bezeugen, hat Kant sein Ideen-Argument um 1786 herum (wieder) fallengelassen, denn 1785 begegnet es uns definitiv zum letzten Mal, und bereits 1787 ist das ideengenerierte Sollen vom kategorischen Sollen abgelöst: An der Systemstelle der Nötigung durch eine Ordnung nach übersinnlichen Ideen steht seitdem (wie wir eingangs gesehen haben) die unabweisbare, nicht-sinnliche Nötigung durch das moralische Gesetz (B 430)22 – welches damit nun zur (exklusiven) ratio cognoscendi (05:04 Fn.) unserer Teilhabe am Intelligiblen und unserer Freiheit wird (die sich ja bereits 1785 als ratio essendi des Gesetzes erwiesen hatte, s. o.). Für diese scheinbar marginale, aber, wie sich zeigen wird, bezüglich der Systemarchitektonik sowohl der Kritik(en) als auch der Meta­phy­sik äußerst folgenreiche Revision hatte Kant gute Gründe, auf die ich hier allerdings noch nicht eingehen muss, weil die textlichen Befunde auch ohne den Nachvollzug dieser Gründe erfreulich eindeutig23 sind: Bis 1785 ging Kant davon aus, dass wir Sinnenwesen die Möglichkeit der Voraussetzung unserer intelligiblen Freiheit, d. h. einer absoluten Spontaneität unseres Willens, anhand unseres Vermögens der Ideen erschließen (und insofern spekulativ, s. 04:456 und 04:461 – auch wenn es dabei um unser praktisches Selbstverständnis geht, s. 04:455), weshalb die Freiheit in der Grundlegung dann ihrerseits die Rolle eines Erkenntnisgrundes des Moralprinzips einnehmen kann und soll, ohne dass dies in einen Zirkel führte. Seit 1787 22  Von einer ›Deduktion der Freiheit aus der reinen [!] praktischen Vernunft‹ ist demnach mit vollem Recht sowohl 1785 als auch 1787/88 die Rede (04:447; 05:48); allerdings zeigt sich die einschlägige Reinheit (dass »reine Vernunft wirklich practisch ist«, 05:03) auf je unterschiedliche Weise. 23  Es ist uns m. W. nichts aus der Feder oder dem Munde Kants überliefert, was auch nur den geringsten Zweifel daran begründen könnte, dass er das, was er an den drei oben genannten Stellen (den einzigen systematisch-einschlägigen in seinen kritischen Druckschriften bis 1785) geschrieben hat, zu dieser Zeit auch behaupten wollte (selbst wenn es mit dem transzendentalen Idealismus de facto letztlich unvereinbar ist, wie er wenig später einsehen musste, s. u.). Und Entsprechendes gilt dann auch für die nachher, ab 1787, betonte Abhängigkeit der Freiheitserkenntnis vom Sittengesetz: Sie ist fortan bei Kant ohne Alternative und in allen (uns heute zugänglichen) thematisch einschlägigen Texten zu finden, die nach 1786 von ihm verfasst – oder vorgetragen – wurden (für bloße Wiederabdrucke – wie die gesamte zweite Hälfte der ersten Kritik, die Prolegomena und die Grundlegung – gilt das naturgemäß nicht).



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erschließen wir unsere Freiheit dann jedoch exklusiv vermittels des Sittengesetzes, von dem in dieser besonderen Funktion bei Kant bis einschließlich 1785 an keiner einzigen Stelle die Rede war: Die epistemische Priorität hat also zwischen 1785 und 1787 definitiv die Seite gewechselt – und damit ist dem Projekt von Grund­ legung III der Boden entzogen: Um 1786 ist es aus dem kantischen Gedankenkreis genauso unvermittelt wieder verschwunden, wie es um 1784 in ihn hineingeraten war.24 Das ist für unsere leitende Frage nach der Herausbildung der Gestalt der kantischen Meta­phy­sik nun offensichtlich höchst bedeutsam: Solange die Möglichkeit der Voraussetzung der Freiheit nämlich noch nicht vom Bewusstsein des Sittengesetzes abhängig ist, also bis in die Grundlegung hinein, kann es bei Kant auch noch nicht jene eingangs behandelte Konzeption der in allen drei Teilen moralischpraktisch-dogmatischen metaphysica specialis geben, die sich seit 1787 herauskristallisiert. Und es kommt sogar noch etwas hinzu: Gott und Unsterblichkeit erhalten ihren »Bestand und objective Realität« 1781 ganz ausdrücklich nicht vom »Schlussstein« der Freiheit, wie man es 1787 dann in der Kritik der praktischen Vernunft lesen kann (s. o.). Ihre Gegenstände werden in der Kritik der reinen Vernunft vielmehr direkt als »Bedingung[en] der Möglichkeit der verbindenden Kraft« der schlechthin notwendigen moralischen Gesetze postuliert. Im Vorausblick auf den praktischen ›Kanon‹ heißt es im Abschnitt über die ›Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft‹:

24  Das zentrale Moment besagten Projekts in Abschnitt III bestand darin, unter der Voraussetzung der Freiheit (vgl. 04:461) die Möglichkeit [!] eines kategorischen Imperativs (d. h., einer Nötigung durch ein Gesetz der reinen praktische Vernunft) und damit einer »reinen Moralphilosophie« (04:389) aufzuweisen. Dies geschah vermittels der freiheitsbasierten »Deduktion« der Idee eines reinen Willens (nicht etwa, wie seit 1947 gemeinhin unterstellt, einer ›Deduktion des kategorischen Imperativs‹, dazu ausführlich: Ludwig 2009), welcher für den sinnlich-affizierten Willen »unmittelbar gesetzgebend« (und damit nötigend) ist (04:454; vgl. unten Anm. 29). – Gleich im ersten Absatz der Vorrede der Kritik der praktischen Vernunft erklärt Kant Vorhaben solcher Art geradeheraus für überspannt: Wenn »reine Vernunft wirklich praktisch ist, so beweiset sie ihre und ihrer Begriffe [!] Realität durch die That, und alles Vernünfteln wider die Möglichkeit [!], es zu sein, ist vergeblich« (05:03): Mit seinem Ansinnen, mittels einer »Deduktion« irgendwelche ›Vernünftler‹ von der Möglichkeit eines kategorischen Imperativs zu überzeugen, hatte er 1785 demnach versucht (so Kant nun selbstkritisch), eine Wand neben dem offenen Scheunentor einzurennen, denn im unabweisbaren Bewusstsein einer Nötigung durch »reine[ ] practische[ ] Gesetze« beweist die Vernunft bereits »durch die That« (also ohne jede Deduktion: 05:46 ff., 05:93) die erforderte »Realität« des Begriffs [!] eines reinen Willens (so 05:55) – und leistet damit dann ihrerseits eine »Deduktion […] der Freiheit« (05:47). – Die Kritik der praktischen Vernunft setzt die Grundlegung daher »nur [!] in so fern, als diese mit dem Princip der Pflicht vorläufige Bekanntschaft macht [I. Abschnitt] und eine bestimmte Formel derselben angiebt und rechtfertigt [II. Abschnitt] voraus« (05:08): Der III. Abschnitt kann demnach 1787 schadlos ad acta gelegt werden – und wenn man die kritische Philosophie ernst nimmt, muss man das ohnehin tun (s. u.).

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Wir werden künftig von den moralischen Gesetzen zeigen, daß sie das Dasein eines höchsten Wesens nicht bloß voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings nothwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur praktisch postuliren; jetzt setzen wir diese Schlußart noch bei Seite. (A 634; vgl. A 776) Im Kanon (der ganz ausdrücklich nicht mehr zur Transzendentalphilosophie gehört, A 801), wird von Kant dann – wie wir sahen: völlig zutreffend – behauptet, von den drei transzendentalen Ideen: Freiheit, Gott Unsterblichkeit, habe die erste, als Gegenstand »spekulative[n] Wissen[s]«, bereits in der Antinomie »hinreichende Erörterung« (A 804) erfahren. Sie sei demnach bereits »oben abgethan« (A 802), weshalb es nunmehr nur noch um die »zwei [!] Kardinalsätze unserer reinen Vernunft« gehe (A 741; vgl. A 852 ff.), d. h. um Gottesexistenz und Seelenunsterblichkeit. Dabei werde eine transzendentale Freiheit nun auch definitiv keine Rolle (mehr) spielen, sondern nur noch jene praktische Freiheit (das also, »was in Absicht auf sinnliche Antriebe Freiheit heißt«, A 803; Herv. B. L.), die bereits »durch die Erfahrung bewiesen werden« kann. Sie ist Gegenstand der empirischen Psychologie und besteht darin, dass sich die Willkür des Menschen – anders als das arbitrium sensitivum brutum des vernunftlosen Viehs (›bruta‹; vgl. 17:155 und 17:589 [Refl. 4548] sowie 27:131) – als arbitrium sensitivum liberum durch die Vorstellungen von »entferneten« Gütern und Übeln über dasjenige hinwegsetzen kann, was »reizt, d. i., die Sinne unmittelbar [!] affiziert«. Kant weist seine Leser in diesem Kontext (A 803) sogar nachdrücklich darauf hin, dass es hier, wo es jetzt (nur noch) »um die Vorschrift« (also um Verbindlichkeit, nicht aber um Zurechnung25) geht, offen bleiben kann und soll (»geht uns […] gar nicht an«), ob diejenigen Vorstellungen, mittels deren Menschen sich von ihren unmittelbaren Affektionen distanzieren können, allesamt wiederum »nur Natur sein mögen« (wie es z. B. der Fall ist, wenn man um des Befindens am nächsten Morgen willen den vielfältigen Reizen des Nachtlebens nur eingeschränkt nachgibt) oder ob sie auch »von allen [!] bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt« unabhängig sein können (»liberum arbitrium intellectuale oder transcendentale«, 28:255, vgl. 677).26 Es soll für die hier im Kanon 25 Vgl. 29:903: Beim Praktischen »sehe ich nicht auf die oberste Ursache, sondern auf den letzten Zweck«. 26 Die transzendentale/intelligible Freiheit ist die Möglichkeit der Willensbestimmung seitens einer solchen Vernunft, die auch unabhängig von sämtlichen (d. h. auch von allen ›entferneten‹) sinnlichen Begehrungen praktisch sein kann. Sie ist also eine Willensfreiheit zweiter Stufe. Weil nun eine praktische Vernunft nicht notwendig eine reine praktische ist, ist die praktische Freiheit im Rahmen der kantischen Semantik also grundsätzlich auch ohne eine transzendentale/intelligible möglich (siehe auch 29:903; für eine Diskussion weiterer einschlägiger Stellen siehe Ludwig 2014, Fn. 2-4; für ein Beispiel siehe unten Anm. 49). Als eine solche dezidiert ›nicht-transzendentale‹ Freiheit kann sie dann in specie präziser als bloß »psychologische und comparative« (05:97) bezeichnet werden und ist als eine »Naturursache« (A 803) Gegenstand der empirischen Psychologie (vgl. 28:222 f.; d. h., sie ist definitiv keine



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anstehenden Überlegungen zur »Vernunft im praktischen Gebrauche« (A 803) also ohne jede Bedeutung sein, ob sich unter unseren praktischen Vorstellungen in der Tat auch jene mit »völliger Spontaneität« selbst hervorgebrachten Ideen finden, die Kant »oben« (d. h. in der »Antinomie«, der »transzendentalen Philosophie«; A 801) eigens für den Nachweis heranziehen musste, dass wir Menschen zumindest unsere praktische Freiheit nicht ohne die Voraussetzung einer intelligiblen, transzendentalen denken (können) – und wir damit der Zurechnung fähig sind.27 Die Möglichkeit einer solchen Beschränkung des Kanons auf die erfahrungsverbürgte Dimension praktischer Freiheit wird sogleich klar, wenn man berücksichtigt, dass es Kant dort um die moraltheologischen Postulate von Gott und Unsterblichkeit geht (A 811 f.) und er dabei auf jenes Lehrstück der traditionellen, naturrechtlichen Verbindlichkeitstheorie zurückgreift, dem zufolge die sittlichen Forderungen die ihnen eigene Verbindlichkeit (ihren Gebotscharakter!) überhaupt erst durch intelligible Kausalität; so aber u. a. noch Josifović 2015, 502), seit 1781 also der Anthropologie (A 848; vgl. 20:281): Unsere innere wie äußere Erfahrung beweist auf Schritt und Tritt, dass wir Menschen eine (»dienend[e]«, 29:613) praktische Vernunft haben (denn ohne eine solche gäbe es weder Zweckrationalität noch abstrakte Gratifikations- bzw. Sanktionssysteme); dass diese praktische Vernunft zudem eine (»gesetzgebend[e]«, ebd.) reine praktische ist, scheint hingegen nicht nur mit unserer Erfahrung, sondern sogar mit der »Naturnothwendigkeit im Widerspruch zu stehen« (04:455; vgl. A 803) – und ist deshalb »ein Problem für die Vernunft« (A 802; Herv. B. L.). – Unmittelbar erfahren, also ›bewusst erleben‹ (so etwa u. a. Josifović, ebd.), können wir eine Kausalität unserer Vernunft allerdings genauso wenig wie irgendeine andere Kausalität: Das hatte Kant bereits in den 1760er Jahren aus Humes erster Enquiry [s. dort: Sect. VII, Part 1] gelernt. Die Vernunftkausalität ist uns stattdessen aber »aus den Imperativen klar, welche wir in allem Practischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben« (A 547) – und dies tun wir erfahrungsgemäß oftmals mit Erfolg (sonst würden wir es ja lassen). Dass wir uns sogar durch Imperative einer reinen Vernunft bestimmen können, ist für Kant zwar auch eine »Thatsache« (05:468), allerdings definitiv keine empirische (so etwa 05:31, 08:416, 29:1022 und bereits 04:407). 27  Spätestens hier im Kanon gerät man in beindruckende Schwierigkeiten, wenn man ›oben‹ in der Auflösung der Antinomie das ›Ideen-Argument‹ übersehen hat, weil man sich nur an den plakativen und rein thetischen Formeln des »Schattenriss« orientiert (s. o. Anm. 17; etwa: »dass auf diese transscendentale Idee der Freiheit sich der praktische Begriff derselben gründe« und: »die Aufhebung der transscendentalen Freiheit [würde] zugleich alle [!] praktische Freiheit vertilgen«, A 533 f.): Dann handelt man sich nämlich (unter anderem) jene vermeintliche Inkonsistenz von Antinomie und Kanon ein, die seit längerem unter dem Schlagwort ›Kanonproblem‹ (Dieter Schönecker) diskutiert wird. Ein solches ›Problem‹ kann es allerdings nur um den Preis geben, dass man bereit ist anzunehmen, Kant hätte es entgehen können, dass er geradezu einen transzendentalphilosophischen Offenbarungseid ablegt, wenn er ›in der Antinomie‹ aus der laut Kanon dann ausdrücklich empirisch bewiesenen praktischen Freiheit ohne irgendeine Zusatzannahme auf eine überzeitliche, transzendentale schließt. Davon kann jedoch (s. o. Anm. 17 und 26) bei Kant überhaupt keine Rede sein – auch wenn sein ›Ideen-Argument‹ letztendlich ein untaugliches ist; siehe aber neben anderen noch: Kohl 2014 und Esteves 2014.

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die Beigesellung von jenseitigen »Verheißungen und Drohungen« gewinnen.28 Das­ jenige, was in diesem Kontext (also in der Verbindlichkeitstheorie von 1781) »auf entfernete Art nützlich oder schädlich ist« (A 802), sind jedenfalls keine spekulativ-strittigen Gegenstände von irgendwelchen ›völlig spontan‹ erzeugten Vernunftideen, sondern solche von handfest-sinnlichen Begriffen: himmlische Freuden und Höllenqualen – mutmaßliche Instanzen von unermesslicher sinnlicher »Lust und Unlust« (dazu oben Anm. 18). Dass die moralischen Gesetze, um deren Verbindlichkeit willen man die Existenz Gottes sowie ein künftiges Leben auf diese Art postulieren (kann und) muss, auch tatsächlich jedermann verbinden (d. h. »schlechterdings notwendig sind«, A 634, s. o.), darf man dabei, so Kant zu Beginn des Kanons, unbedenklich voraussetzen, denn die Moralisten liefern dafür brauchbare »Beweise«, und selbst die gemeinen Menschen stimmen darin durchweg überein, wenn sie nur ihre Handlungsgrundsätze reflektieren (A 807; das ist der Verweis auf die in A 634 angedeutete »anderweitige [!] Betrachtung«29). 28  Vgl.: ›Obligatio est necessitas imposita poenae justae metu.‹ (Leibniz). – Mit der Grundlegung ist eine solche heteronome Moral für Kant dann nicht mehr haltbar (siehe dazu bereits 29:643 f.; dann 1786: 08:139; und die schließlich ganz auf die hoffnungstheoretische Dimension der traditionellen Moraltheologie reduzierte Gotteslehre in der Dialektik der zweiten Kritik, 05:107 ff., bes. 125). Diese Revision von 1785 betrifft allerdings zunächst nur die Verbindlichkeitslehre; die eigentliche Freiheitslehre, d. h. die Zurechnungslehre, bleibt 1785 gegenüber 1781 noch unverändert (diese Differenz übersieht etwa Kohl 2014, 331 ff.). 29  Hier zeigt sich, dass es Kant schon 1781 völlig fremd gewesen wäre, die Verbindlichkeit moralischer Prinzipien, d. h. die »praktisch-unbedingte-Nothwendigkeit« des sittlich Gebotenen (04:425), eigens zu ›begründen ‹ (bzw. eine ›Rechtfertigung des Sittengesetzes‹ zu liefern o. ä.); nicht anders als 1787/88, wo er sie dann auch expressis verbis in der »Achtung« als »Faktum vor allem Vernünfteln«, als ein ›erstes datum‹ behandelt (05:91; vgl. auch die Wiederaufnahme von A 807 in 05:32). Somit sollte man auch zwischen 1781 und 1787, also insbesondere in der Grundlegung, keinen derartigen Versuch erwarten. Kant selbst erstickt auch jede diesbezügliche Hoffnung im Keim: »Wir begreifen nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des kategorischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit« (04:463; zu dieser »Unbegreiflichkeit« siehe unten den Text zu Anm. 35). In der Tat wird 1785 auch nur das spezifische »oberste Prinzip« der hier sogar vom »ärgste[n] Bösewicht« (04:454) immer schon zugestandenen sittlichen Verpflichtung aus »den Quellen desselben« geschöpft und damit »festgesetzt« (04:392). In Frage steht dabei nicht etwa, ob, sondern (wie Kant auch unmittelbar bevor er zur Tat schreitet betont) allein, »woher [!] das moralische Gesetz verbinde« (04:450; vgl.: »wie [!] bloß die Nöthigung des Willens […] gedacht [!] werden könne«, 04:418). Kants Antwort lautet: Das Gesetz verbindet uns aus dem Intelligiblen, zu dem der Mensch sich »gehörig« (04:452) denken muss und wo er sich, insofern er ein freies Wesen ist, einen (nötigenden) »reinen Willen« in der Idee (04:454) zuschreiben muss (bzw. sich »anmaßt«, 04:457). Potentielle Adressaten eines solchen Arguments sind offenkundig nicht irgendwelche moralskeptischen Pappkameraden (denn niemand wird durch eine Erklärung beeindruckt, deren Explanandum er leugnet). Vielmehr sind es leibhaftige Vertreter falscher (sc. heteronomer) metaethischer Theorien (vgl. 04:441 ff.; die wichtigsten werden 29:621 f. und



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1781 sichert das allgemein anerkannte Bewusstsein der Verbindlichkeit des Sittengesetzes auf diese Weise die praktische Realität der transzendentalen Ideen von Gott und Unsterblichkeit – und alle spekulativen Beweise diesbezüglich sind demnach ab sofort entbehrlich. Bereits damit muss die Kritik der reinen Vernunft in Kants Selbstverständnis einen geradezu ungeheuerlichen Bruch mit der traditionellen Meta­phy­sik vollzogen haben: Denn man hatte, wie er Mitte der 1790er Jahre in seiner ›Meta­phy­sik der Sitten‹-Vorlesung berichtet, vor der Kritik – umgekehrt – stets von der Gottes­ erkenntnis auf die Möglichkeit der Verbindlichkeit schließen wollen, wobei das bemerkenswerte Verdienst bei einem der neueren Autoren darin bestand, dass er die einschlägige Gotteserkenntnis in der (spekulativen) Vernunft allein und nicht mehr in der Offenbarung suchte: Obzwar die Obligation durch die Vernunft festgestellt wird, so nimmt man doch an, daß wir uns als passive Wesen bei Ausübung unserer Pflicht ansehen müssen, und daß eine andere [!] Person da seyn müsse, die uns zur Pflicht necessitirt. – Diese nöthigende Person fand Crusius in Gott, und Baumgarten gleich als im göttlichen Willen, jedoch durch die Vernunft und nicht positiv erkannt, und auf diesem Princip ist ein besonderes moralisches System gebauet worden. (27:122 f.) Die Kritik der reinen Vernunft behält 1781, wie gesehen, zwar noch die Lehre von der sittlichen Fremd-Necessitation bei (siehe auch A 589; vgl. zuvor 27:277 f.), dreht dabei allerdings die epistemische Priorität kurzerhand um: Auch wenn Gott nicht durch die Offenbarung »positiv erkannt« wird und zudem sämtliche spekudann 05:40 genannt), die als »Moralisten« (s. o.) über Verbindlichkeit immer schon affirmativ reflektieren. Da sie jedoch von der freiheitsbasierten »Deduktion« der Idee eines gesetzgebenden »reinen Willen[s]« (04:454) nichts ahnen, können sie nicht einsehen, wie kategorische Imperative möglich sind, und müssen am Ende dann, contre cœur, den Verbindlichkeitsskeptikern und »Fatalist[en]«, wie etwa Schulz, das Feld überlassen (was die Grundlegung in einer Nebenbemerkung thematisiert, 04:456 f.). Jedenfalls dringen sie niemals zu jener (autonomen) Moral vor, deren »Prinzip« Kant per analysin (»durch Entwickelung des einmal allgemein im Schwange gehenden Begriffs der Sittlichkeit«, 04:445) ›bestimmt‹ (04:392; vgl. 09:149) hat (= Abschnitt I), sodann einer »Prüfung« (ebd.) mit Blick auf die Tauglichkeit für eine systematische Sittenlehre unterzieht (= Abschnitt II) und dessen »Quellen« (ebd.) er endlich mittels seiner transzendentalphilosophischen Freiheitslehre in einem »reinen Willen« lokalisiert (= Abschnitt III) – sodass man nachher, in einer Meta­phy­sik der Sitten, dann per synthesin einen legitimen und gemeinvernünftigen »Gebrauch« (ebd.) dieses Prinzips zum Zwecke einer »wissenschaftlichen und systematischen Bearbeitung des Erkenntnisses« (09:149) machen kann. – Zur Struktur der Argumentation speziell dann in Grundlegung III siehe Ludwig 2014, 233–249. Für die (allein schon hermeneutischen) Schwierigkeiten, in die man unausweichlich gerät, wenn man sich der (trotz Kants deutlicher Warnung in 04:463, s. o.) verbreiteten Interpretationshypothese anschließt, Kant wolle dort die Verbindlichkeit (bzw. ›Geltung‹) des kategorischen Imperativ begründen (bzw. ›beweisen‹) oder eine Rechtfertigung des Sittengesetzes liefern, siehe z. B. die Diskussion bei Milz 2014, 137 f.

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lativen Gottesbeweise durch die Kritik nun endgültig widerlegt sind (A 583 ff.), so können Gott und Seelenunsterblichkeit zumindest noch als ›praktische Postulate‹ (s. o.) im Dienste einer allseits unbestrittenen, sittlichen Verbindlichkeit gerettet werden – und für den moralisch-praktischen Gebrauch reicht das allemal hin: Die von Kant auch zuvor bereits hochgeschätzte Moraltheologie wird mit der Kritik der reinen Vernunft nun zur einzig möglichen philosophischen Gottes- und Unsterblichkeitslehre (dazu: A 632 ff.). Die dritte der transzendentalen Ideen, die der Freiheit, soll 1781, wie sich zeigte, bei dieser Argumentation ganz ausdrücklich keine Rolle spielen, und deren objektive Realität in Hinblick auf den menschlichen Willen wiederum wird zu dieser Zeit verbürgt durch das Bewusstsein der Nötigung seitens »mit völliger Spontaneität« selbst erzeugter Ideen – und somit ohne speziellen Rückgriff auf das Sittengesetz: Deshalb konnte die Willensfreiheit von Kant ja bereits »oben« als »speculative Frage« in der transzendentalphilosophischen Dialektik »abgethan« werden: Ihre »hinreichende Erörterung« musste nicht bis zum praktischen Kanon warten, in welchem dann bezüglich der anderen beiden Ideen, Gott und Unsterblichkeit (den »zwei [!] von der Verbindlichkeit […] nicht zu trennenden Voraussetzungen«, A 811) jene – moraltheologische – »Schlußart« (A 634) zum Zuge kommt, die auf das allgemein zugestandene Bewusstsein der moralischen Gesetze zurückgreift. Und wie nun auch ersichtlich ist, hätte Kant ein analoges moralphilosophisches Postulat der Freiheit 1781 noch gar nicht heranziehen können, denn den dafür benötigten begrifflichen Zusammenhang von Willensfreiheit und Sittengesetz musste er erst noch entdecken (~1784) und zudem als einen »wechselweise[n]« (05:29) behaupten (~1786). Der entsprechende Zusammenhang von Gott und Verbindlichkeit war dagegen bereits durch die Tradition vorgegeben (s. o.) und Kant musste sich daher nur noch auf die Schlussrichtung des moraltheologischen Gottesbeweises, d. h. auf die vom Gesetz auf Gottesexistenz und Seelenunsterblichkeit, beschränken (1781).

III. ~1775–1781 Die grundsätzliche Möglichkeit einer Freiheit als intelligibler Kausalität mit Wirkungen »im Laufe der Welt« (d. h. die objektive Realität des Begriffs der transzendentalen Freiheit überhaupt) ist seit 1781 – wie wir sahen – durch die kritische Auflösung der Freiheitsantinomie im Rahmen der Kosmologie »bewiesen (obzwar nicht eingesehen)« (A 450; vgl. 05:15: »gerechtfertigt«). Bereits damit war für Kant endgültig die »Abtreibung« jenes generellen, dogmatischen Einwands gelungen (04:459; vgl. 05:94), eine absolute Spontaneität sei angesichts ihres Widerspruchs zu der ihrerseits notwendig anzunehmenden Naturordnung unmöglich, ein bloßes Hirngespinst – und eine Sittlichkeit, die dergleichen für ihre kategorischen Imperative voraussetzt, folglich chimärisch (vgl. 04:445). Es steht nun aber noch die oben angekündigte Beantwortung der Frage aus, warum wir diese allgemeine Erörterung der Möglichkeit der Freiheit beim kriti-



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schen Kant ausgerechnet innerhalb der Kosmologie finden. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erörterungen ergibt sich die Antwort allerdings beinahe von selbst, wenn man sich – in Anlehnung an die Preisfrage – zunächst fragt, in welchem Teil der metaphysica specialis die Möglichkeit der Freiheit denn zu Leibniz’ und Wolffs Zeiten behandelt wurde. Und die nächstliegende Antwort auf diese Frage ist auch schon fast die richtige: Man vermutet die Freiheitslehre im zweiten Teil, in der rationalen Psychologie. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn gerade dasjenige, was für Kant an der Freiheitsfrage nicht-empirisch, sondern »transzendental« und damit philosophisch bedeutsam ist (s. A 448), wird sowohl bei Wolff als auch bei Baumgarten erst in der rationalen Theologie behandelt. Ein Blick in eine Mitschrift der Meta­phy­sik-Vorlesung der siebziger Jahre, in die (m. W. nicht präziser zu datierende) sog. Meta­phy­sik L1, zeigt uns, dass Kant einige Jahre vor der Kritik der reinen Vernunft in diesem Punkt noch auf dogmatischen Pfaden wandelt – und liefert uns vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen auch eine zwanglose Erklärung dafür, warum er dies dann seit 1781 nicht mehr tun muss. In der Kosmologie der Vorlesung kommt die Freiheit nur an einer Stelle vor – und zwar dort, wo ihre Behandlung in die Theologie vertagt wird: Die Nothwendigkeit der Natur kann aber nicht der Erklärungsgrund von allem allein seyn; der erste Grund des Entstehens muß durch Freiheit geschehen, weil nichts einen Grund zum Entstehen abgeben kann, als Freiheit, wovon in der Theologia rationalis ein Mehreres vorkommt. (28:200) Der Grund für diese Delegation ist, wie wir später in den einleitenden Bemerkungen zur Theologie erfahren, der, dass die Welt überhaupt […] in der Cosmologie erwogen worden [ist], die Folgen der Welt in der rationalen Psychologie, und die Ursache der Welt soll in der rationalen Theologie erwogen werden. Die Erkenntniß von Gott ist also das Ziel und die Endabsicht der Meta­phy­sik; […] Aus dieser Erkenntniß können wir hernach alle praktischen Folgen auf unser Verhalten ziehen. (28:302) Kurz: Ohne die »Erkenntniß von Gott« hängen Kosmologie, Psychologie und damit am Ende sogar »alle« praktischen Lehren gleichsam in der Luft: Der vorkritische Kant betreibt hier ganz offensichtlich noch ›Ontotheologie‹. Erst in der Theologie soll die Freiheit – und zwar exemplarisch in Gestalt des freien, göttlichen Ratschlusses – als ein »Grund zum Entstehen« thematisch werden, und das ist dann allerdings nicht nur einschlägig für die »Ursache der Welt« als Ganzer, sondern auch für die menschliche Freiheit, wie sie in der rationalen Psychologie erörtert wird: In dieser darf man sich nämlich, so lesen wir dort, auf keine Erfahrung berufen, sondern [muss] aus Principien der reinen Vernunft die spontaneitatem absolutam darthun; wo ich also über das Practische hinaus gehe, und frage: Wie ist solche [lies ›diejenige‹; B. L.] practische Freiheit

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möglich, nach der ich aus dem innern Principio, durch keine äußere Ursache determinirt, handele? […]. Ich oder die Seele hat Spontaneitatem absolutam actionum. Dieses sind lauter transscendentale Begriff[e]. Diesen Satz aber noch weiter zu examiniren, müssen wir noch ausgesetzt seyn lassen, bis dahin, wo von der göttlichen Freiheit in der theologia naturali geredet wird. (28:269) Wenn wir danach suchen, was die rationale bzw. natürliche Theologie denn zur Freiheitsfrage und damit zur Möglichkeit der Freiheits-Voraussetzung sowohl in der Kosmologie als auch in der Psychologie beiträgt, so müssen wir nun nur noch nach dem Attribut »kosmologisch« Ausschau halten und werden dann auch schon fündig. Ich zitiere noch einmal einen längeren Passus: Der kosmologische Beweis, aus dem Daseyn zufälliger Dinge auf das Daseyn einer nothwendigen Ursache zu schließen, ist der natürlichen Vernunft gemäß; und das ist auch der Beweis, der von den Alten immer gebraucht ist. […] Der erste Beweger ist aber ein freies Wesen; die erste Bewegung muß aus dem innern Princip der freien Willkühr entspringen. Also beweiset die Welt nicht allein eine erste Ursache, sondern eine Ursache, die da wirkt nach Freiheit. Dieses Prädicat der Freiheit ist aus der Psychologie entlehnt; man kann sich aber auch eine transscendentale Freiheit, als eine absolute Spontaneität, aus dem innern Princip zu handeln, denken. […] Also können wir aus dem kosmologischen Beweise, aus dem Zufälligen aufs Nothwendige, auf eine Ursache aus Freiheit schließen; denn ohne Freiheit kann keine Ursache seyn. – Kommen wir aber bis zur Freiheit; so können wir daraus alle übrigen Vollkommenheiten und Eigenschaften in der theologia naturali herleiten. Wir können also aus dem kosmologischen Beweise in die theologiam naturalem übergehen. (28:315 f.) Wir können vielleicht, wir müssen aber nicht – und vor allem sollen wir es auch nicht mehr tun! Hier kann ich es dank der obigen Vorbereitungen nun kurz machen: 1781 wird Kant entsprechend das bewährte (und bei »den Alten« allenfalls in der »epikureische[n] Schule« strittige, A 450) Kernstück des kosmologischen Gottesbeweises, den Beweis einer »nach Freiheit« wirkenden Ursache, isolieren und in die Kosmologie hinüberretten. Alles Übrige aber, d. h. das damit traditionell verbundene »ens realissimum« mitsamt seiner vorgeblichen »absoluten Nothwendigkeit«, kurz: die gesamte ›Ontotheologie‹, kann und soll 1781 (und nicht etwa erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts!) endgültig auf dem Müllhaufen der Meta­phy­sikgeschichte entsorgt werden (s. A 605 ff.), denn ein (spekulativ-)notwendiges Wesen ›außer uns‹ (vgl. 05:105) hat in einer kritischen Philosophie keinen Platz mehr.30 Wie Kant

30 Vgl. A 603 ff.; 05:105. – Deshalb wird die Objektivität des Gottesbegriffes beim kritischen Kant, wie wir bereits sahen, konsequent als eine (bloß-)praktische in einer Moraloder »Ethikotheologie« behandelt, d. h. ohne jede ›spekulativ-ontologische‹ Implikation (dazu A 814 f. und 18:715 [Refl. 6433]): 1781 im praktischen Kanon der ersten und 1787/88 dann in der Dialektik der zweiten Kritik.



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in seiner Anmerkung zur Thesis der vierten Antinomie betont, führt das kosmologische Argument nämlich auf eine »Ursache nur nach Gesetzen der Sinnlichkeit, mithin nur als zur Zeitreihe gehörig, den Regressus beschließen[d]« (A 458). Die Vereinnahmung einer solchen ersten Ursache für die Zwecke der philosophierenden Theologen konnte diesen demnach nur durch eine »metabasi@ ei@ allo geno@«, gelingen, indem sie empirische und intelligible Zufälligkeit nicht unterschieden (ebd.) und so auf ein schlechthin notwendiges Wesen außer der Zeitreihe schlossen. Zehn Jahre später heißt es dann lakonisch: »Über die innere Beschaffenheit jener Weltursache konnten sie nun manchen Unsinn ausbrüten« (05:458). Wie es um diese Argumentation im Einzelnen auch immer bestellt sein mag: Für Kant jedenfalls ist vom traditionellen kosmologischen Gottesbeweis seit 1781 nur noch der (Teil‑)Beweis für eine Kausalität aus Freiheit zu retten. Dasjenige also, »was der natürlichen Vernunft gemäß [… und] von den Alten immer gebraucht« (28:315), »nicht Blendwerk[ ], sondern gründlich« ist (A 507, s. o.), wird nun zum Argument für die Thesis der Dritten Antinomie (und folgerichtig wird die Spontaneität einer ersten Ursache in der Kritik des kosmologischen Gottesbeweis nicht thematisiert; A 603 ff.). Genau wie zuvor in der Vorlesung ist es dieses (Teil‑)Argu­ ment, welches die »Annahme« zumindest einer absoluten Spontaneität (im »Ursprung der Welt« nämlich) in der Idee notwendig macht.31 Vermittels der Auflösung der Freiheitsantinomie im Rahmen des transzendentalen Idealismus gewinnt damit die Freiheitsidee als solche objektive Realität (d. h., sie ist der Begriff von – zumindest – einem möglichen, intelligiblen Gegenstand) – und zwar unabhängig von der Moral und erstmals auch ganz ohne jede spekulative bzw. natürliche Theologie: Die »Voraussetzung« einer intelligiblen Freiheit wird damit grundsätzlich – und damit auch und gerade in der Psychologie – ohne Widerstreit mit der Naturordnung spekulativ »möglich« (vgl. A 450). Es drängt sich die Vermutung auf, dass Kant mit diesem freiheitstheoretischen ›Befreiungsschlag‹ einen Stein zertrümmert hat, der ihm für lange Zeit mit scheinbar »unüberwindliche[n] Schwierigkeiten« (A 448, s. o.) den Weg zum Abschluss einer Kritik der reinen Vernunft versperrte: Auf diese Weise werden nämlich unversehens alle spekulativen Gottesbeweise, deren vermeintliche Gotteserkenntnis mit der kritischen Lehre von Vernunft und Sinnlichkeit als den »zwei Stämme[n] der Erkenntnis« (A 15) naturgemäß inkompatibel ist, entbehrlich – und es bleibt nur der moraltheologische Beweis (vgl. 28:306, 28:336 ff.) übrig, der für Kant ja zuvor schon »in Ansehung des Practischen der vollkommenste und vortrefflichste« war 31  »[…] bewiesen (obzwar nicht eingesehen)« (s. o.). Die Frage, in welchem Maße etwa der 2. Einwand gegen das »kosmologische Argument« in A 610 nicht auch das Argument der Thesis der dritten Antinomie treffen müsste, lasse ich offen. Sie stellt sich, ganz unabhängig von jeder speziellen Deutung der Auflösung der Antinomie, als eine nach der Konsistenz des Textes, denn Kant behauptet ja explizit (s. o.), dass er in der Antinomie jeweils beide Beweise »retten« kann: Dann aber darf der Einwand zumindest bezogen auf die Rede von Dingen an sich selbst nicht gültig sein.

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(28:320; vgl. 05:478): Er überlebt als einziger unbeschadet die Kritik der reinen Vernunft: im praktischen Kanon von deren Methodenlehre.32 Schon in der Vorlesung fühlt Kant sich allerdings bemüßigt, auf die epistemische Grenze hinzuweisen, die man grundsätzlich nicht überschreiten kann, wenn man jene Freiheits-Idee, deren objektiver Realität man sich vermittels eines kosmologischen Beweises versichert hat, hernach auch für die Frage der Willensfreiheit von Geschöpfen, insbesondere der Menschen, dienstbar machen will: Es wird durch den Verstand der Speculation noch schwer einzusehen, wie [!] ein ens derivativum actus originarios ausüben könne; allein der Grund, daß wir es nicht [!] einsehen können, liegt in unserem Verstande [!]; denn wir können niemals den Anfang begreifen, sondern nur, was in der Reihe der Ursachen und Wirkungen geschieht. Allein weil die Möglichkeit solcher Freiheit nicht kann eingesehen werden; so folgt noch nicht daraus, daß, weil wir es nicht einsehen, es auch keine Freiheit geben könne. […] Nun können wir nicht einsehen, wie [!] die Seele solche Handlungen ausüben kann. Diese Schwierigkeit ist kein Einwurf. (28:268 f.) Wie Freiheit in der Welt möglich ist, bleibt für unseren Verstand unbegreiflich: Actu ¯  s originarios sind als solche also »niemals« zu erklären oder zu verstehen; es kann demnach keine Theorie freier Handlungen geben.33 Aber das ist noch kein »Einwurf« dagegen, dass es zurechenbare Handlungen gibt, dass Freiheit also möglich ist. In der Kritik der reinen Vernunft findet diese (proto‑)kritische Beschränkung ein unmittelbares Echo in Kants Anmerkung zur Thesis der dritten Antinomie: Die Freiheitsfrage ist eigentlich nur transscendental und geht lediglich darauf, ob [!] ein Vermögen angenommen werden müsse,34 eine Reihe von successiven Dingen oder Zustän32  Bereits in der Vorlesung hält Kant fest, dass der moraltheologische Beweis allein bereits ausreicht, um die Theologie »durch einen syllogismum cornutum ad absurdum practicum, vel morale vel pragmaticum« gegen den skeptischen Atheismus zu sichern; und für den dogmatischen (tertium non datur) Atheismus fehlen ohnehin die Beweise (28:322 f.). – Dass Kant zu dieser Zeit gleichwohl noch an theoretischen Gottesbeweisen festhält, wird unmittelbar verständlich, wenn man die hier noch angenommene Unverzichtbarkeit zumindest des kosmologischen Beweises für die grundsätzliche Auflösung der spekulativen Dimension der Freiheitsfrage berücksichtigt: Kant unternimmt sogar den Versuch einer zumindest »subjectivsufficient[en]« Rettung des ontologischen Beweises (28:314) – und bereitet damit (ungeahnt) seine 1781er Lehre von einer bloß-regulativen Funktion der Gottesidee (die dann allerdings nur noch eine transzendentale ist; A 642 ff.) vor. 33  Das ist definitiv kein Mangel, da wir ja, wie es später sogar heißt, »ohne Widerspruch nicht einmal daran denken können, sie [sc. die Willensfreiheit] verstehen zu wollen.« (05:144n.). 34  Wenn »einmal [!] das Vermögen, eine Reihe in der Zeit ganz von selbst anzufangen bewiesen [!] ist«, dann ist eine absolute Spontaneität offenkundig möglich, und es ist »uns nunmehr auch erlaubt«, solch ein Vermögen »mitten im Laufe der Welt« anzunehmen (A 450; vgl. 05:15, 48) – daher steht oben an dieser Stelle »müsse« und nicht etwa »dürfe«: »Tran-



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den von selbst anzufangen. Wie [!] ein solches möglich sei, ist nicht eben so nothwendig beantworten zu können, da wir uns eben sowohl bei der Causalität nach Naturgesetzen damit begnügen müssen, a priori zu erkennen, daß [!] eine solche vorausgesetzt werden müsse, ob wir gleich die Möglichkeit, wie [!] durch ein gewisses Dasein das Dasein eines andern gesetzt werde, auf keine [!] Weise begreifen und uns desfalls lediglich an die Erfahrung halten müssen. (A 448) Dieses Echo findet wiederum zahlreiche Nach-Echos in späteren Äußerungen Kants.35

IV. ›Consequent-critische‹ Meta­phy­sik Mit der Kritik der reinen Vernunft ist die rein spekulative Frage nach der Möglichkeit einer absoluten Spontaneität 1781 also endgültig von der Theologie abgekoppelt und wird im Rahmen einer kritischen Kosmologie mit der transzendentalen Idee einer intelligiblen Kausalität aus Freiheit positiv beantwortet: Spekulative Gottesbeweise jeder Art sind damit für die Zurechnungslehre entbehrlich geworden, und für alle anderen seriösen Zwecke kommt man (davon war Kant schon länger überzeugt: 28:267 ff.) ohnehin mit jenem moraltheologischen Gottespostulat aus, welches für seine »Schlussart« nur die praktische Freiheit der empirischen Psychologie sowie das Bewusstsein der Verbindlichkeit des Sittengesetzes voraussetzt (s. o.): Der erste Schritt zu einer praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik ist 1781 damit getan. Die menschliche Selbstzuschreibung einer intelligiblen Existenz wird von Kant, wie wir sahen, zu dieser Zeit allerdings noch nicht an dieses Bewusstsein des Sittengesetzes geknüpft, sondern, gänzlich traditionsaffin, im Ich- bzw. Ideen-Beszendentalien« sind in der Schulphilosophie die metaphysisch notwendigen Entitäten (vgl. 17:45; s. u. Anm. 47). 35  Das erste vernehmen wir bereits am Ende der Antinomie-Auflösung (A 558): Er habe hier nicht die Wirklichkeit der Freiheit »dartun«, ja nicht einmal deren Möglichkeit »beweisen«, d. h., »aus bloßen Begriffen a priori […] erkennen« wollen, denn insbesondere letzteres gelingt bei »keinem [!] Realgrunde und keiner [!] Kausalität« (sc. wir können grundsätzlich nicht begreifen wie eine Kausalität, sondern immer nur feststellen, dass sie ggf. möglich ist; vgl. zu dieser durch Hume inspirierten Restriktion der Erkennbarkeit von Realgründen schon 02:204). Das ›nicht dartun‹ ist hier also definitiv kein ›noch nicht dartun‹: Es wird gerade kein Desiderat benannt (wie es die Kant-Literatur fast durchgängig unterstellt; dazu Ludwig 2015b), sondern es wird vielmehr abschließend nur noch einmal die unüberschreitbare Grenze für ›unseren Verstand‹ (s. o.) abgesteckt. – Das erste externe Echo vernehmen wir dann im Abschnitt »Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie« am Ende der Grundlegung (dort 04:456 ff., besonders 461; vgl. oben Anm. 29), weitere dann z. B. in der zweiten Kritik (05:04, 46 und 133 f.), in der Religionsschrift (06:144 Fn.), den Fortschritten (20:310, s. o.), der Rechtslehre (06:280 Fn.) und im Opus postumum (21:421 f.): Das »wie« muss unbeantwortet bleiben, und die kritische Philosophie kann dem Rechnung tragen (04:463, 05:48 u. ö.).

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wusstsein des vernunftbegabten Subjekts verankert.36 Daher konnte auch die Lehre von Willensfreiheit bzw. Imputabilität – anders als die »zwei Kardinalsätze unserer reinen Vernunft« über Gott und Seelenunsterblichkeit – 1781 noch »in der Antinomie«, d. h., innerhalb der transzendentalphilosophischen Elementarlehre der Kritik der reinen Vernunft, »hinreichend[ ]« abgehandelt werden (A 804). Davon will uns noch ein letztes Mal die Grundlegung im Jahre 1785 überzeugen: »[D]ie Grenze der praktischen Philosophie« fängt bei der Freiheit des Willens noch nicht an, vielmehr muss zunächst die »speculative Vernunft« alle diesbezüglichen Uneinigkeiten »zu Ende bringen« (04:456). Mit seiner Kritik der praktischen Vernunft37 hat Kant 1787/88, wie wir sahen, dann auch diese systematische Zuordnung aufgelöst38 und damit den zweiten (und 36 In der Anthropologie-Vorlesung dieser Zeit kann Kant daher noch behaupten, man müsste von seinem Pferd bereits dann absteigen und es als »Gesellschafter« ansehen, wenn es den Ich-Gedanken fasste (25:859; vgl. 19:183; ferner 28:268 f.). – Apperzeption und Vernunftvermögen überhaupt sind dabei für Kant (wie seit Einführung des Apperzeptionsbegriffs bei Leibniz) nur zwei Seiten einer Medaille (deutlich etwa: 08:414). 37  Diese zweite Kritik war 1781 definitiv nicht antizipiert. Ein 1785 angekündigtes Buch ähnlichen Namens sollte dereinst die »Einheit [der praktischen Vernunft] mit der speculativen in einem gemeinschaftlichen Prinzip« darstellen (04:391; Herv. B. L.); eine Aufgabe, der sich die 1787 erschienenen Schrift jedoch explizit verweigert (siehe etwa: »[…] ohne mit der speculativen Verabredung getroffen zu haben«, 05:06) und die Kant kurz darauf dann in abgewandelter Form ausdrücklich (s)einer dritten Kritik zuweist (05:176 ff.). 38  In einem Brief an Kiesewetter (11:154 f.) betont er 1790, die Freiheit des Willens sei gar nicht Gegenstand der Kritik der reinen Vernunft (gewesen), sondern vielmehr der der Kritik der praktischen Vernunft, denn in jener gehe es zunächst nur um »den transscendentalen Begrif der Caussalität eines Weltwesens überhaupt«, erst in dieser dann (unter Hinzuziehung des moralischen Gesetzes) um die Kausalität des Willens im Besonderen. Der Kontext verrät keine geistige Verwirrung, in der Einleitung der zweiten Kritik steht etwa dasselbe (05:15), und beide Äußerungen sind (wie auch zahlreiche weitere aus der Zeit nach 1787) genau dann ohne jede hermeneutische Verrenkung verständlich, wenn man annimmt, dass die Analytik der zweiten Kritik 1787 eigentlich die ›sittengesetzfreie‹ Willensabhandlung von 1781 (d. h.: A 533–557) ersetzt haben sollte (und dass Kant Kiesewetter somit etwas über eine angezielte, aber im Druck nie realisierte Version der Kritik der reinen Vernunft berichtet). – Bevor Kant seine Überarbeitung der ersten Kritik nach dem Ende des Paralogismus vorzeitig abgebrochen hat, wollte er eine ›Kritik der praktischen Vernunft‹ noch in jene integrieren (dazu 3:556 und 10:471), und dies hat in Gestalt zweier seitdem leerlaufender Vorverweise (B 430, 432) dauerhaft Spuren hinterlassen. Über Details des weiteren Überarbeitungsprozesses schweigen die Quellen; dabei hätte dann aber fraglos die Willensproblematik nunmehr aus der Auflösung der dritten Antinomie in irgendeinen moralisch-praktischen Kontext verlagert werden müssen (worauf neben B 425, 431 etwa auch 23:50 [E 52] hindeutet). Dafür bot sich der Sache nach zunächst einmal nur der Kanon an, und eine um die Freiheitslehre erweiterte Version desselben wurde – so lässt sich vermuten – dann als Kritik der praktischen Vernunft schließlich in ein eigenes Buch ausgelagert: mit der Freiheit in deren Analytik und Gott und Unsterblichkeit in deren Dialektik (diese letztere aber nun ohne die mit der Autonomielehre der Grundlegung unverträgliche, verbindlichkeitstheoretische »Schlussart« von 1781, sondern nur noch als mo-



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zugleich auch schon letzten) großen Schritt zu einer durchweg praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik getan. Der Anstoß dazu kam allerdings von außen: Kant hatte nämlich (darauf bin ich oben noch nicht näher eingegangen) im Mai 1786 von einem Rezensenten39 lernen müssen, dass ein spekulativer Zugang zum eigenen intelligiblen »Dasein« (bzw. zur intelligiblen »Existenz«) genauso wenig mit der kritischen »zwei Stämme«-Lehre (s. o.) vereinbar ist, wie es der zu einer Intelligenz außer uns war: Sich selbst als einen Teil einer intelligiblen Welt (d. h., als einen »intelligiblen Gegenstand«, als ein »Ding an sich selbst« oder als eine »Intelligenz […] zur Verstandeswelt gehörig«, d. h., zum »Ganze[n] vernünftiger Wesen, als Dinge an sich selbst«, wie es in A 546, 04:346 bzw. 04:452 hieß, s. o.) nicht bloß zu denken, sondern auch zu erkennen, setzte neben dem Begriff vom Ich noch eine intellektuelle Anschauung dieses Ich voraus, d. h. eine »Selbstanschauung« des »Bestimmende[n] in mir« (so Kant in B 157 f.), die ein kritischer Philosoph jedoch »hier gar nicht annehmen darf« (05:31; vgl. o. Anm. 16): »O wir irren ja alle« (s. o.)! Wie sich 1787 dankenswerterweise (und vermutlich auch für Kant selbst »auf unerwartete Weise«, siehe 05:106) herausstellt, muss man dergleichen für die eigene Freiheit aber auch gar nicht annehmen (vgl. B 429 f. und 05:04 ff.): Damit man diese »voraussetzen« darf, ist es nämlich überhaupt nicht erforderlich, eigens zu »erkennen«, dass man selbst »wirklich« (vgl. 04:452, s. o.) am Intelligiblen, dem exklusiven Sitz absoluter Spontaneität, teilhat40 (solange eine intelligible Freiheit raltheologische Hoffnungslehre, s. o. Anm. 28). – Die zweite Hälfte der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft enthält demnach noch zwei Textblöcke von 1781 (A 533–557 und A 795–831), die 1787 eigentlich durch eine ›Kritik der praktischen Vernunft‹ ersetzt werden sollten und mit dieser definitiv inkompatibel sind (s. dazu Ludwig 2012, 179 ff.). Somit wären die zwei obsoleten Passagen (1781er Willenslehre und Moraltheologie) nur deshalb wieder abgedruckt worden (anders als Deduktion und Paralogismus von 1781), weil Kant seinen ursprünglichen Integrationsplan nach B 432 unvermittelt aufgegeben und stattdessen aus den neuen Versionen kurzerhand ein eigenes Buch gemacht hat. Über die Gründe dafür, dass er diese zweite Kritik in der Vorrede vom »Aprilmonat 1787« nicht erwähnt, obgleich zu der Zeit bereits feststand, dass es sie geben wird und worin ihr innovativer Beitrag besteht (siehe etwa B XXI f.), kann man nur spekulieren. 39  Einschlägig sind die beiden Rezensionen von Hermann Andreas Pistorius zu J. Schulzes ›Erläuterungen zur Kritik der reinen Vernunft‹ und zur Grundlegung in Bd. 66.1 (hier: S. 111) bzw. Bd. 66.2 (hier: S. 463) der Allgemeinen deutschen Bibliothek vom Mai 1786: Pistorius wirft Kant an den beiden genannten Stellen vor (und zwar völlig zu Recht, was man überdeutlich auch und gerade an den Prolegomena ablesen kann; s. oben Anm. 19), er greife in seiner Freiheitslehre auf eine kategoriale Bestimmtheit von »Theile[n]« der intelligiblen Welt zurück und verstoße damit geradeheraus gegen die kritischen Erkenntnisrestriktionen; siehe dazu wie zum Folgenden ausführlich Ludwig 2012, 166 f. 40  Damit kann man seit 1787 jene kruden »Zwei-Welten«-Lehren ad acta legen, zu denen die früheren Schriften (insbesondere A-Paralogismus und Grundlegung) durchaus noch Anlass bieten konnten: Die »intelligible Welt« ist seitdem nicht mehr vorzustellen als ein ›metaphysischer Aufenthaltsort‹ irgendeines »denkenden Selbst« o. ä. (vgl. A 383, 4:452), sondern sie ist nur noch ein »regulative[s] Prinzip, welches die Beschaffenheit der Freiheit als Form

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nur nicht grundsätzlich, d. i. spekulativ, unmöglich ist – was die kritische Kosmologie der ersten Kritik aber bereits geklärt hatte; vgl. 05:15). Vielmehr muss eine »consequente Denkungsart der speculativen Critik« (05:06) nur den in der Grundlegung erstmals herangezogenen Zusammenhang von Willensfreiheit und moralischem Gesetz als einen reziproken ausweisen (s. 05:28 ff.) und kann sodann vermittels Umkehrung der epistemischen Priorität (s. 05:04 Fn.) den gewünschten kritischen Erkenntnisrestriktionen Genüge tun: Wer sich »unleugbar« (05:32) als dem Sittengesetz unterworfen begreift, muss bei sich in praktischer Absicht eine absolute Spontaneität als eine intelligible Freiheit voraussetzen (»ultra poße nemo obligatus!«, 28:693; vgl. 27:563) und ist somit ein der Zurechnung fähiges Wesen: »Er urteilt also, daß er etwas kann, darum weil er sich bewusst ist, dass er es soll« (05:30).41 Das allgemein zugestandene Bewusstsein sittlicher Nötigung, welches Kant 1781 (wie schon in den siebziger Jahren) zunächst nur für die moraltheologischen Postulate von Gott und Seelenunsterblichkeit »mit Recht vorausgesetzt« hat (A 807), wird von ihm 1787 unter dem neuen Titel eines ›Factum der reinen praktischen Vernunft‹ ausbuchstabiert.42 Es beschert uns fortan »vermittels des Postulats der der Causalität nicht objectiv bestimmt, sondern, und zwar mit nicht minderer Gültigkeit, als ob dieses geschähe, die Regel der Handlungen nach jener Idee für jedermann zu Geboten macht« (05:404; vgl. auch 05:45, 67 ff. und 105). 41  Den Grundgedanken finden wir bei Kant m. W. zum ersten Mal in einer Randbemerkung im Handexemplar der Kritik der reinen Vernunft, nach gängiger Datierung also im unmittelbaren Umkreis der Überarbeitung für deren zweite Auflage: »Die Moral ist das, was wenn sie richtig ist, durchaus Freyheit voraussetzt. Ist jene wahr, so ist die Freyheit bewiesen.« (23:42 [ad A 558]). Veröffentlicht liest man ihn dann erstmals in B XXVIII. Konsequentkritisch ist Kants praktische Philosophie also erst seit 1786/87. Als ›kritisch‹ kann man sie allerdings auch schon 1785 bezeichnen – wenn man dies an der Autonomielehre festmacht. Orientiert man sich jedoch am Versuch einer kritischen Auflösung der Imputabilitätsfrage, dann ist Kants praktische Philosophie schon seit 1781 kritisch. Erhebt man hingegen den Anti-Empirismus in der Sittenlehre zum Kriterium, gibt es bereits in den 1770er Jahren eine ›kritische praktische Philosophie‹; macht man den Universalismus zu deren Markenzeichen, gibt es sie möglicherweise auch schon in den späten 1760ern. Welchen dieser – auf dem Weg zu einer konsequent-kritischen Moral allesamt notwendigen – Schritte man nun auch immer als die ›kritische Wende in der Moralphilosophie‹ o. ä. bezeichnen möchte: In jedem Falle ist Kants Entwicklung die einer ›Purifizierung‹ und zunehmenden Alleinstellung der Moral (für die beiden zuletzt genannten Phasen illustriert dies Kosbiau Trevisan 2015). 42  Diese »Factum«-Lehre als solche ist, wie man nun noch einmal deutlich sieht, definitiv keine Innovation von 1787, denn dem Inhalt nach hatte sich Kant auf sie spätestens in den siebziger Jahren mit seiner Würdigung der Moraltheologie festgelegt (vgl. o. Anm. 29 und 32). Da Gott und Unsterblichkeit in der Grundlegung allerdings genauso wenig Thema sind wie etwa Raum und Zeit, tritt diese Lehre 1785 dort naturgemäß auch nicht deutlicher in Erscheinung als die transzendentale Ästhetik. Der Sache nach liegt sie gleichwohl der ›Bestätigung‹ der »Richtigkeit dieser Deduktion« (sc. der Idee des reinen Willens) durch Verweis auf den »ärgste[n] Bösewicht« mit dem beharrlichen Wunsch, ein guter Mensch zu sein,



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Freiheit« (05:133; vgl. 05:94) die »herrliche […] Eröffnung einer intelligiblen Welt« (05:94) – und zwar ganz ohne dabei den Verdacht zu wecken, dass es dazu irgendeiner »intellektuellen Anschauung« unserer selbst bedürfte (05:31). Den Rezensenten-Einwand von 1786 hat Kant in vollem Umfang akzeptiert43 und sogleich in ein konsequent-kritisches Argument umgebogen: Diejenigen transzendentalen Ideen, welchen eine reine praktische Vernunft auf genannter Grundlage objektive Realität verschafft, taugen nun allesamt naturgemäß gar nicht zum theoretischen, sondern eben »nur zum praktischen Gebrauche« (05:05; vgl. 05:105 f.) – und zwar zum moralisch-praktischen in specie: In den Überarbeitungen in der zweiten Auflage der ersten Kritik (siehe dort insbesondere: B 157 ff. sowie B 431 ff.) und in der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft (05:89 ff.) wird nun erstmals deutlich gemacht, dass und warum dies in einer kritischen Philosophie nicht nur für die beiden transzendentalen Ideen von Gott und Unsterblichkeit gelten muss (vgl. A 769 ff.), sondern genauso für die dritte, die Idee der menschlichen Willensfreiheit: Unsere Anschauungsformen, Raum und Zeit, sind Formen der bloß-sinnlichen äußeren und inneren Anschauungen, mit denen wir ins Intelligible grundsätzlich nicht hineinschauen können – und bloßes Hineindenken reicht (gegenteiligen Suggestionen wie z. B. in A 546 f. oder 04:458 zum Trotz) für metaphysische Zwecke gerade nicht hin, denn »denken kann ich was ich will, solange ich mir nur nicht selbst widerspreche« (B XXVI; vgl. 23:69). zugrunde (04:454 – und dieser »ärgste« ist seinerseits auch nur eine kritisch-gewandete Reinkarnation des »größten« von 1774/75, 27:418). Neu ist somit 1787 allein die Erweiterung der systematischen Funktion, die diesem bis dahin nur für die Moraltheologie bemühten Lehrstück dadurch zuwächst, dass Kant es zur alternativlosen Grundlage auch seiner Freiheitslehre und damit des exklusiven Zugangs zum Intelligiblen sowie der gesamten Meta­phy­ sik erklärt. Angesichts seines damit dramatisch erhöhten Gewichts wurde es (so darf man vermuten) aus dem eher randständigen Kanon der Methodenlehre der spekulativen Kritik in die Elementarlehre einer neuen, praktischen Kritik exportiert und wird fortan unter eigenem Titel entsprechend häufiger thematisiert und ausführlicher erörtert. Allerdings sind auch diese Erörterungen wiederum nicht so ausführlich, dass man Grund zu der Annahme hätte, Kant selbst habe das »Faktum« seit 1787 auf einmal als irgendetwas Spektakuläres oder gar philosophisch Problematisches angesehen (was er, wie auch schon 1781, ausdrücklich dementiert, z. B. 05:91). Für ihn dürfte es sich eher so dargestellt haben (siehe etwa 05:106), dass er die bereits 1781 und 1785 vorgestellten Theorieelemente 1787 ›nur‹ noch einmal neu zueinander in Beziehung setzt, sie dabei jeweils ein wenig nachjustiert und schließlich auf zwei Kritiken verteilt (vgl. oben Anm. 38). – Wenn man nicht von vorneherein scharf genug zwischen dem überkommenen Gehalt einerseits und der seit 1787 neuen Funktion (nebst Benennung) des datums sittlicher Nötigung andererseits unterscheidet, dann kann man mit der unpräzisen Frage, ob es (schon) ›in der Grundlegung eine Faktum-These gibt‹, eine gelehrte Verwirrung stiften, deren Auflösung mit zunehmend subtiler – und einen profanen Text hermeneutisch überfordernder – Schrift-Auslegung dann in immer weitere Ferne rückt (siehe etwa die Diskussion zwischen Schönecker und Puls, in: Puls 2014, 1–58). 43 Dies zeigt sich deutlich in den Überarbeitungen des Paralogismen-Kapitels (s. etwa B 426 f. vs. A 355); dazu ausführlich: Ludwig 2012.

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Wie die rationale Theologie bereits seit 1781, so ist für Kant seit 1787 auch die rationale Psychologie »als Doktrin«, d. h. als ein Korpus metaphysischer Lehrsätze von »unstreitige[r] Richtigkeit«, die man »gar wohl gelten lassen« kann (s. o.), endgültig obsolet (B 421; vgl. 05:460 f.): Sie erweist sich nun als eine Ansammlung bloß-analytischer Urteile über den Begriff eines denkenden Subjekts (B 407 ff.) und kann uns demnach ohne hinzukommende Anschauung keine Kenntnis über dessen Existenz verschaffen – über eine intelligible genauso wenig wie über seine sinnliche. Nachdem die Seele als »Substanz in der Idee« (A 351), das »transzendentale Subjekt« (A 355, vgl. B 427) und alle anderen – sit venia verbo! – ›intelligiblen Innereien‹, die Kant 1781 noch als Gegenstände »gelten lassen« wollte, sich 1787 im Zuge der »consequenten Denkungsart« als bloße »logische Functionen«, d. h. nur als die »Formen für das Verhältnis der Begriffe im Denken«, erwiesen haben (B 407, 23:25), spielt eine rationale Psychologie für die Grundlegung von Kants Willensfreiheitslehre keine Rolle mehr (05:133).44 Das einzige denkende Subjekt, das wir kennen, ist »unser[ ] denkende[s] Selbst im Leben« (05:461; vgl. B 415); es ist gleichsam von Fleisch und Blut, kurz: Es ist der Mensch. (Punkt!) Die fraglos stets »mögliche Abstraktion von meiner empirisch bestimmten Existenz« ist eben noch lange nicht dasselbe wie das »Bewusstsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst«, des vorgeblichen Gegenstandes (sc. ›Die Seele ist eine intelligible Substanz‹) einer rationalen Psychologie (so B 427). Erst mit dieser Klarstellung gegenüber seiner 1781 noch ›inkonsequenten‹ Paralogismenkritik gelingt es Kant, den transzendentalen Idealismus 1787 endgültig von der schwersten Erblast des Cartesianismus zu befreien: von einem nicht-ausgedehnten Gegenstand, der denkt. Und da die kritische Philosophie nun also auch in der Psychologie endlich ganz konsequent zwischen dem Inbegriff aller möglichen Gegenstände/Objekte (den möglichen Realitäten) und dem umfassenderen aller logisch-möglichen Begriffe/Urteile (dem Denkmöglichen) unterscheidet (B XXVI; vgl. dazu 28:1172 f.), hat sie erst jetzt die schulphilosophische Gegenstandstheorie tatsächlich und in Gänze hinter sich gelassen – auch wenn Kant seinen Lesern beharrlich suggeriert, dies sei ihm eigentlich schon 1781 gelungen: Es ist ja offenbar genug und in der Kritik unzählige mal gesagt worden, daß ein transscendentales Princip über die Objecte und ihre Möglichkeit etwas a priori bestimmen müsse, mithin nicht, wie die logischen Principien thun (indem sie von allem, was die Möglichkeit des Objects betrifft, gänzlich abstrahiren), blos die formalen Bedingungen der Urtheile betreffe. (08:194)

44  Sie behält nur eine limitative Funktion (»als Disziplin«, B 421); damit wird allerdings nicht ausgeschlossen, dass sie es uns erlaubt, den Begriff des denkenden und handelnden Subjekts hernach für praktische Zwecke weiter auszubuchstabieren (so, wie es die Theologie mit dem Gottesbegriff macht; etwa A 641, 05:137 f., 05:444), d. h., Fragen etwa der moralischpraktischen Identität des Menschen &c. zu behandeln – den wichtigen Hinweis auf diese Option verdanke ich Steven Tester (siehe auch seinen Beitrag in diesem Band).



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Damit kann (und muss) sich jene für Kant endgültige Konzeption einer genuin praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik herausbilden, von der in der Preisschrift die Rede ist und die nun auch de facto ohne die Annahme einer intellektuellen SelbstAnschauung und somit ohne jede theoretische Erkenntnis des ›Übersinnlichen in mir‹ auskommt.45 Deren ersten Teil, die metaphysica generalis, bildet die Transzen­ dentalphilosophie als eine ›kritisch-revidierte Ontologie‹ (Klaus Reich). Deren Grundzüge werden dargelegt in einer Kritik der speculativen Vernunft (vgl. 05:45 und 05:482), die bei Kant allerdings weiterhin – vermutlich aus Gründen werkgeschichtlicher Kontinuität – auch ›Kritik der reinen Vernunft‹ heißt. Der zweite Teil ist gegründet in einer Kritik der praktischen Vernunft. Diese Schrift greift thematisch jene Trias von Freiheit, Seelenunsterblichkeit und Gott auf, welche prominent schon in Descartes’ Meditationes de Prima Philosophia am Beginn der neuzeitlichen Meta­phy­sik46 steht. Zufolge der durch die Transzendentale Dialektik der ersten Kri45  Versucht man, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was für Kant zwischen 1781 und 1787 eigentlich Architektonik und Gegenstand einer kritischen Meta­phy­sik gewesen sein könnten, so wird man insbesondere nach der Lektüre der Prolegomena zu Resignation neigen: Nachdem man fast zwanzig Seiten lang (04:36 ff.) darüber belehrt wurde, wie »Meta­phy­sik als Wissenschaft« nicht möglich ist – endet die Schrift. Die Möglichkeit der Meta­phy­sik als Wissenschaft bleibt dort genauso vage wie deren Möglichkeit als irgendetwas anderes. Auch in der ›Architektonik‹ der Kritik der reinen Vernunft gibt es zuvor nur eher tastende Pläne, wie der heterogene doktrinale Bestand der Schulphilosophie dereinst neu arrangiert werden könnte, wobei die Lehren vom Übersinnlichen als »Transzendentale Physiologie« zur Meta­ phy­sik der Natur gehören sollen (A 845 ff. – was man angesichts der Tatsache, dass zumindest Gott und Seelenunsterblichkeit seit 1781 wesentlich Gegenstand einer Moral-Theologie sind, nicht unbedingt erwarten wird). Die Frage, welche Art von Einsichten dort im Einzelnen verhandelt werden sollen, und insbesondere die Frage, ob es darunter dann auch autochthone synthetische Urteile a priori geben wird, bleibt unbeantwortet. Zuvor konnten die berühmten ›drei Fragen‹ (A 805; vgl. 09:24, 28:533 f.) suggerieren, Kant wolle derzeit das gesamte Gebiet der Philosophie (»Alles [!] Interesse meiner Vernunft […]«) mit der nun vorliegenden Kritik der reinen Vernunft (›wissen können‹), der bereits in Arbeit befindlichen Meta­phy­sik der Sitten (›tun sollen‹) sowie einer moraltheologischen Gottes- und Unsterblichkeitslehre, die das Erbe der metaphysica specialis kritisch verwaltet (›hoffen dürfen‹), ausmessen. Am Ende der ›Architektonik‹ heißt es dann allerdings, dass Meta­phy­sik »als bloße Spekulation mehr dazu dient, Irrtümer abzuhalten als Erkenntnis zu erweitern« (A 850; vgl. 02:351) – also doch nur ›Meta­phy­sik als Kritik‹? Anscheinend war die Klärung solcher Fragen für Kant 1781 cura posterior. – Mit der Existenz der zweiten Kritik lösten sich die meisten dieser Rätsel dann auch von ganz allein (s. o. Anm. 7): Der Meta­phy­sik als der ›triadischen‹ Lehre vom Übersinnlichen liegt nun mit dem Sittengesetz ein eigener »synthetischer Satz a priori« als Prinzip zugrunde (05:31), und die apriorischen Ausdifferenzierungen von Naturgesetzgebung und Freiheitsgesetzgebung (05:174 f.) werden separat jeweils in einer Meta­phy­sik der Natur und in einer Meta­phy­sik der Sitten behandelt. – Kants Meta­phy­sik-Vorlesungen der 1790er Jahre orientieren sich allerdings weiterhin stark am doktrinalen Bestand von Baumgartens Metaphysica und reflektieren, vermutlich u. a. deshalb, nicht die durch die Einleitung(en) der Kritik der Urteilskraft und die Preisschrift nahegelegte Gesamt-Architektur. 46  Nach der Exposition des methodischen Zweifels in der ersten der sechs Meditationen

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tik umgedeuteten Systematik (s. o.) besetzt sie damit architektonisch die Trias von Kosmologie, Psychologie und Theologie, das Terrain also der schulphilosophischen metaphysica specialis. Kant unterlegt dieser jedoch einen völlig neuen Sinn und verschafft der Meta­phy­sik »durch eine andere, der bisherigen ganz entgegengesetzte Behandlung« (B 24) auch eine neue systematische Einheit: Der Anschluss an die Tradition gelingt nämlich ausschließlich durch deren radikale Überwindung in moralisch-praktischer Absicht,47 d. h. in Gestalt einer Moral-Eleutheriologie mitsamt einem von dieser abhängigen, hoffnungstheoretischen Duo von Moral-Pneumato­ logie und Moral-Theologie,48 die den transzendentalen (und somit spekulativ tran­ und vor der Betrachtung der körperlichen Dinge in der fünften behandeln die zweite bis vierte Seele, Gott und die Freiheit des Willens. 47  Dazu Langthaler, in diesem Band, Abschnitt 3. – Ein gängiges Missverstehen des kantischen Projekts als Ganzem bringt z. B. der Schluss eines im Detail sehr hellsichtigen Aufsatzes von W. H. Walsh exemplarisch zum Ausdruck: »What was said about God in a moral context thus belonged to a different language game from that in what we say how things are. If only for that reason, the idea that Kant advocated a practical-dogmatic metaphysics cannot be correct.« (Walsh 1976, 384) Meta­phy­sik handelt für Kant aber gar nicht von »things«, sondern (und genau das ist die kritische Grundeinsicht) zunächst einmal nur von unseren transzendentalen Ideen (B 395 Fn.). Es geht bei ihr demzufolge gar nicht um die Frage, »how things are«, denn eine solche Frage stellt sich ja erst dann, wenn man – dogmatisch – unterstellt, Transzendentalien seien tatsächlich entia [!] necessaria, und im ›Sprachspiel‹ der Meta­phy­sik sei demnach von irgendwelchen übersinnlichen Dingen die Rede (vgl. Baumgarten, Metaphysica, § 89: »V eritas in essentialibus et attributis entis [!], T ranscendentalis ** [** die nothwendige metaphysische Wahrheit]«; 17:45). Kant zufolge kann die Aufgabe der Meta­phy­sik jedoch nur sein, den möglichen Gebrauch der notwendig von der Vernunft hervorgebrachten Ideen auszuloten. Das konsequente Ergebnis der kritischen Untersuchung lautet 1787: Alle drei transzendentalen Ideen sind (mangels intellektueller Anschauung) ausschließlich von »praktischem Gebrauche«: Meta­phy­sik, die Lehre vom Übersinnlichen, von Gott Freiheit und Unsterblichkeit, ist – wenn sie denn überhaupt als »Wissenschaft« (vgl. 20:315 f.) möglich ist – nur als eine moralisch-praktische »Weisheitslehre« möglich (05:163); vgl. unten Anm. 50. 48  Weil das rein hoffnungstheoretische Unsterblichkeitstheorem (anders als das verbindlichkeitstheoretische von 1781; s. A 811) nicht mehr von der Annahme der Existenz Gottes abhängt, ist Kants Unsterblichkeitslehre seit der Kritik der praktischen Vernunft nicht mehr moral-theologisch: 1787/88 ist die Seelenunsterblichkeit eine conditio sine qua non für das Erreichen der Glückswürdigkeit (weil diese in endlicher Zeit definitiv nicht zu erlangen ist; so 05:122); und (ein) Gott muss darüber hinaus garantieren, dass die Glückseligkeit den Anschluss nicht verpasst (weil der Mensch selbst dergleichen nicht vermag; so 05:124). – Der Aufweis von zwei notwendigen (!) Voraussetzungen einer Realisierung des »a priori gegebene[n]« (05:04) Willensobjekts, des höchsten Guts, verpflichtet Kant, nebenbei bemerkt, nicht darauf, auch eine Erklärung dafür anzubieten, wie denn nun der gedachte »Progressus« von Glückswürdigkeit und -seligkeit tatsächlich möglich sein könnte (was dann Antworten u. a. auf die bizarren Fragen einschlösse, wie der Imperativcharakter des Sittengesetzes und das Glücksbegehren das Ende der sinnlichen Existenz überdauern können): Für die praktischen Zwecke einer kritischen Meta­phy­sik genügt die Einsicht, dass der Progress (a) praktisch notwendig ist und (b) ohne (zumindest) diese zwei Voraussetzungen nicht



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s­zendenten, 05:133) Ideen von Freiheit, Unsterblichkeit und Gott eine praktische Realität zumindest für diejenigen unter den vernünftigen Wesen verschaffen, die sich einer Nötigung durch das Sittengesetz bewusst sind – und damit ihrer Imputabilität: Nur für diese »Personen« (die sich selbst das Gesetz geben, 06:223) will Kant 1797 am Ende die Bezeichnung »Vernunftwesen« reserviert wissen (06:418). Sogar für das »allervernünftigste Weltwesen« (so stellt er schon 1792/93 in der Religionsschrift klar; 06:26 Fn.), also für ein güterabwägender Zwecksetzung und rationaler Mittelwahl in höchstem Maße fähiges Geschöpf (gleichsam ein automaton spirituale perfectissimum),49 hätten die Freiheit und mit ihr Seelenunsterblichkeit und Gott, kurz: alles Übersinnliche keinerlei Bedeutung, und die gesamte Meta­phy­ sik wäre demnach nichts als leeres Hirngespinst – sofern sich nicht zusätzlich das Sittengesetz »als höchste Triebfeder ankündigte« (ebd.): »Von dem Übersinnlichen […] gibt es kein theoretisch-dogmatisches Erkenntniß« (20:293). Andersherum: Das einzige, was die Menschen erwarten dürfen, wenn sie versuchen, über den Horizont ihrer Erfahrung (und damit den »sicheren Gang einer Wissenschaft« von der Natur, B XIV) hinauszugreifen, ist eine Aufklärung über sich selbst, und zwar über ihr sittliches Selbstverständnis als freie Wesen. Über das also, was der Mensch, »wenn er moralisch consequent denken will, […] unter die Maximen seiner practischen Vernunft aufnehmen müsse« (05:451 Fn.).50 Diese möglich wäre – weshalb man an sie glauben muss, um nicht der Vernunft zu entsagen, oder (wie es dem rechtschaffenen Spinoza andernfalls droht; 05:452) zu verzweifeln. Und wenn man – wie bereits bei der »unbegreifliche[n] Eigenschaft« (06:418 u. ö.) der Freiheit – über das »Wie möglich« (s. o. Anm. 35) nicht reden kann, dann muss man sogar darüber schweigen (vgl. 05:04, 470). 49  Dieses Vermögen ›rationaler Selbstbestimmung‹ allein macht ein Wesen für Kant nicht zum Gegenstand der Achtung (vgl. 06:434 f.), ganz im Gegenteil: es »könnte nichts schreck­ licheres gedacht werden« (27:1320)! Ein solches Wesen wäre nämlich erst einmal nur unendlich gefährlicher als alles vernunftlose Vieh, »[d]enn von einem Thier, das Vernünftelt, kan man alles besorgen« (15:891): »Das Thier richtet sich nach seinem Instinct, der Regel hat, aber bei einem solchen Menschen weiß ich mich nicht im geringsten zu versehen« (27:1320). Genau deshalb erschrickt Robinson zutiefst beim Anblick der »Fußtapfen eines Menschen«, denn diese weisen erfahrungsgemäß auf ein animal rationale hin. Bei einem solchen kann man dann nur hoffen, dass es entweder auch das Zeug zum animal morale mitbringt, also nicht »frey ohne Gesetz«, eben kein »Wilder« ist (den »sogleich todt zu schießen« nicht unklug wäre, wie der »Ritter Marion [Dufresne]« und seine Gefährten am 12. Juni 1772 in Neuseeland – allerdings zu spät – erkannten; ebd.), oder aber zu schwach, um tatsächlich gefährlich zu werden (in einer zwangsbewehrten Rechtsordnung muss ein solches Wesen folglich schwächer sein als der legitime Zwangsstab; dazu: Ludwig 2015c). 50 »kat’ anjrwpon a priori beweisen heißt: hinreichend fürs Subiect, aber nur in practischer Absicht beweisen« (18:713 [=Refl. 6428]). – Die Radikalität der kantischen Reli­ gions­kritik entgeht mitunter auch jenen neueren Autoren, die sich selbst vermutlich (noch) kritischer wähnen als Kant: »If a certain practical principle presupposes certain factual propositions, then reason, however pure, cannot establish the validity of that practical principle without independently showing that those factual propositions are true. We cannot therefore

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kritische Einsicht leitet »unser Selbsterkenntnis von der fruchtlosen, überschwenglichen Spekulation zum fruchtbaren practischen Gebrauche« (B 421; vgl. B XXX). Sie sollte uns fortan insbesondere davor bewahren, jenen Geistersehern weiterhin Gehör zu schenken, die von einer spekulativ-dogmatischen Meta­phy­sik nicht lassen können und – etwa mit der Theologie als ihrer »Zauberlaterne von Hirngespenstern« (05:141) – »über alle Gränze der Sinnlichkeit hinaus etwas sehen, d. i. nach Grundsätzen träumen (mit Vernunft rasen51), wollen« (05:275). use the practical principle to prove that these are truths of fact. This consideration is fatal to Kant argument in the Critique of Practical Reason […]« (Mackie 1982, 112). Ein solcher Vorbehalt fällt nun geradewegs wieder hinter Kants radikal deflationäre These zurück, dass der transzendentalen Gottes-Idee zwar eine unentbehrliche praktische Bedeutung zukommt (»so zu handeln, als ob ein Gott sei« [09:93; vgl. 16:541, 20:305 u. ö.]; wobei die Begründung dieser Forderung ihrerseits an dieser Stelle kontrovers bleiben mag), sie aber – unerachtet ihrer spekulativen Unabweisbarkeit (alle vernünftigen Wesen haben diese Idee!) – als eine transzendente naturgemäß kein Begriff eines Gegenstandes möglicher Erkenntnis ist (vgl. o. Anm. 47). Wer diese Idee nicht bloß dem moralisch-praktischen Bedürfnis gemäß ausgestaltet, sondern vielmehr fordert, dass ›Gottesbeweise‹ &c. instruktive »factual propositions« bzw. »truths of fact« über irgendeinen Gegenstand dieser Idee zutage fördern mögen, ignoriert, dass eine Idee ihre moralisch-praktische Funktion auch ohne jeden faktischen Bezug auf irgendeinen ›wirklichen‹ Gegenstand erfüllen kann: »An ihn aber moralisch-praktisch glauben, heißt nicht[,] seine Wirklichkeit vorher theoretisch für wahr annehmen« (08:396 Fn; dazu auch 05:106, 05:482). Um die Tragfähigkeit von Kants theo-epistemischem Minimalismus zu würdigen, muss man sich z. B. nur die praktische Rolle vor Augen halten, die die – sogar dezidiert kontrafaktische und zudem sittlich nicht geforderte – Vorstellung spielen kann, ein bereits verstorbener, enger Freund würde das eigene Handeln beobachten. Auf die wesentlich praktische Funktion der Gottesvorstellung hatten vor Kant allerdings auch schon andere hingewiesen: »And therefore the name [!] of God is used [!] not, to make us conceive him (for he is incomprehensible […]), but that we may honour him« (Hobbes, Leviathan Kap. III.12, XLVI.15 u. ö.; vgl. dazu 05:137 f., 05:444). Ähnlich Hume: »The proper office of religion is to regulate the heart of men, humanize their conduct, infuse the spirit of temperance, order and obedience. […] When it distinguishes itself, and acts as a separate principle over men it has departed from its proper sphere, and has only become a cover to faction and ambition« (Dialogues XII). Kritische Religionsphilosophie ist demnach Moralphilosophie plus Ideolenkritik im baconschen Sinne – und sonst gar nichts. 51  Gegenüber jenem »Wahnsinn (dementia)«, der »zwar den formalen Gesetzen des Denkens zu der Möglichkeit einer Erfahrung gemäß ist, aber durch falsch dichtende Einbildungskraft selbstgemachte Vorstellungen für Wahrnehmungen« (07:215) nimmt, ist, wie auch Kant weiß, die Philosophie in der Regel machtlos: »Ich habe nie gesehen, daß jemand von dieser Krankheit je geheilt worden ist (denn es ist eine besondere Anlage mit Vernunft zu rasen)« (ebd.; vgl. B 278 f.). Im Falle der dogmatischen Meta­phy­sik besteht aber zumindest Hoffnung auf Linderung der Symptome: Auch wenn diese Form gelehrter Raserei aus dem Keim einer natürlichen Anlage sprießt (s. o.), so gedeiht sie doch vornehmlich auf dem Nährboden der »arroganten Ansprüche der Schulen, die sich gerne hierin (wie sonst mit Recht in vielen anderen Stücken) für die alleinigen Kenner und Aufbewahrer solcher [sc. metaphysischer] Wahrheiten möchten halten lassen, von denen sie dem Publicum nur den Gebrauch mittheilen,



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Die Kennzeichnung des »dritten Stadiums« der neueren Meta­phy­sik als »Theologie« in Kants später Preisschrift und damit verbundene systematische Perspektiven Rudolf Langthaler 1. Zu Kants Unterscheidung von »drei Stadien in der neueren Meta­phy­sik« und seine Selbstverortung im »dritten Stadium der Meta­phy­sik«1 In seiner späten Preisschrift über die »Fortschritte der Meta­phy­sik« hat Kant als die drei Stadien der neueren Meta­phy­sik: »Dogmatismus – Skeptizismus – Kritizismus der reinen Vernunft« unterschieden: Mit Blick auf seine Selbstverortung im »dritten Stadium« ist dabei sein Hinweis – gerade auch in systematischer Hinsicht – sehr aufschlussreich, dass diese »Zeitordnung […] in der Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens gegründet« ist (20:264).2 Dem entspricht sodann Kants Auskunft, dass genauer besehen die Kritik der reinen Vernunft als der »dritte und neueste Schritt« dieser neueren Meta­phy­sik indes noch nicht die »eigentliche Meta­phy­sik« selbst sei, zumal diese durch die »Kritik« allererst ihre kritische Fundierung erhält; innerhalb dieses »dritten Stadiums« thematisiere deshalb der »erste Teil« als »Kritik« zunächst die unverzichtbaren Schritte hin zur Meta­phy­sik, während der »zweite Teil« sodann erst »die Fortschritte der Meta­phy­ sik selber im Felde der reinen Vernunft vorstellig« (20:265) mache. Demgemäß vereinige dieses – von Kant bemerkenswerterweise als »Theologie« bezeichnete – »dritte Stadium der Meta­phy­sik« (20:281) sowohl »Vernunftkritik« als auch »kritische Meta­phy­sik« in sich, wofür wohl gleichermaßen die von ihm auch andernorts betonte Entsprechung von »Zeit-« und »natürlicher Gedankenfolge«3 zu beachten 1  Zu den näheren Umständen der Entstehung der Preisschrift und ihrem fragmentarischen Charakter s. Mohr 2004, 548 ff., und die dortigen Verweise. 2  Mit Recht verweist Mohr auf die damit erfolgende Anknüpfung an Kants frühere Ver­ ortung seiner Philosophie in der jüngeren Geschichte der Philosophie und betont: »Diese Art der Geschichtsaneignung lässt offensichtlich die gesamte Entwicklung der Philosophie auf die Theorie Kants als das letzte Stadium der Philosophie hin angelegt erscheinen« (Mohr 2004, 560). 3 Dieser »teleologische« Charakter bleibt auch für die Stadien-Folge der Preisschrift zu beachten. In diesen Stadien der Meta­phy­sik werde eben, wie Kant in einem Brief an Morgenstern mitteilt, die natürliche Gedankenfolge sichtbar, »wie sie [die »Geschichte der Philosophie«] sich nach und nach aus der menschlichen Vernunft hat entwickeln müssen[!]« und wie in der Folge »die Elemente derselben in der Kritik d. r. V. aufgestellt werden« (12:36). In diesem Sinne fragt Kant auch: »Wie der Dogmatism[,] aus ihm der Skepticism[,] aus beiden

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sei.4 Diese gewiss sehr bemerkenswerte Kennzeichnung des »dritten Stadiums der Meta­phy­sik« als »Theologie« verfolgt nicht zuletzt die Absicht, die Theologie gleichermaßen davor zu bewahren, zu einer bloßen »Zauberlaterne von Hirngespinsten« (05:141) zu verkommen bzw. sie den haltlosen Anmaßungen eines »doktrinalen Glaubens« auszuliefern; ebenso soll ihr solcherart offenbar das (schon zur Zeit Kants drohende) Schicksal erspart werden, gemeinsam mit der traditionellen Meta­phy­sik als philosophisch obsolet gewordene »Gestalten des Bewusstseins von gestern« verabschiedet bzw. als »Scheinprobleme der Philosophie« allzu hastig entsorgt zu werden.5 Die sich »der Zeit nach« entwickelnde teleologisch-gestufte Verfassung der Vernunft6 zeigt sich auch in Kants interessantem Hinweis darauf, dass die Transzenzusammen der Criticism habe entstehen müssen[!]« (20:342). Daran schließt sich der interessante Hinweis an: »Wie es aber möglich [ist,] eine Geschichte in ein Vernunftsystem zu bringen, welches Ableitung des Zufälligen aus einem Prinzip und Einteilung erfordert«; darin sind offenbar die Aspekte von »Genesis und Geltung« in aufschlussreicher Weise unterschieden und gleichermaßen aufeinander bezogen – mitunter in sehr bemerkenswerten Wendungen, wie die Notizen der Losen Blätter verraten: So beantwortet Kant die Frage, ob »sich ein Schema zu der Geschichte der Philosophie apriori entwerfen lasse«, mit der These, dass »die Idee einer Meta­phy­sik der menschlichen Vernunft unvermeidlich [!] aufstösst [!] und diese ein Bedürfnis fühlt[,] sie zu entwickeln[,] diese Wissenschaft aber ganz in der Seele[,] obgleich nur embryonisch vorgezeichnet[,] liegt« (ebd.). Denn »es ist nicht die Geschichte der Meinungen[,] die zufällig hier und da aufsteigen [!], sondern der sich aus Begriffen entwickelnden Vernunft« (ebd.), die darin auch einen Läuterungsprozess durchlaufen und daraus erst ihre Bestimmtheit gewinnen bzw. erst ihren unauflöslichen Zusammenhang sichtbar machen: Eine kantische Problemperspektive, die sich in systematischer Hinsicht noch als sehr bedeutsam erweisen soll: s. dazu Abschn. 3. 4  Der letzte Abschnitt der »transzendentalen Methodenlehre« (und damit der Kritik der reinen Vernunft) trägt den Titel: »Geschichte der reinen Vernunft«, wozu Kant anmerkt: »Dieser Titel steht nur hier, um eine Leerstelle zu bezeichnen, die im System übrig bleibt, und künftig ausgefüllt werden muss« (A 852 / B 880). Der in der späten Preisschrift vorliegende Entwurf einer »Stadienlehre« knüpft hier an diese benannte »Leerstelle« offensichtlich an – nicht zuletzt in der besonderen Hinsicht, dass in dieser »Geschichte der Vernunft« letztere sich selbst »durchsichtig« wird und in ihrer »Entwicklung« – in der notwendigen Abfolge der »Stadien« – sich selbst begreift und so, am Ende und Ziel, erst »zu sich kommt«; dies nicht zuletzt dadurch, dass sie diese Stadien als »Produkte« derselben begreift. 5 Völlig zu Recht merkt B. Ludwig an: »Und da Seelenunsterblichkeit und Gottesexistenz, die Gegenstände der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft, traditionell in der rationalen Psychologie und der rationalen Theologie behandelt wurden, soll die praktischdogmatische Meta­phy­sik der neunziger Jahre nun offenkundig eine kritische Nachfolgedisziplin der metaphysica specialis der wolffschen Schule darstellen, und zwar genauso, wie die kritische Transzendentalphilosophie die Nachfolge der metaphysica generalis, der Ontologie« war (Ludwig 2017, in diesem Band, 86). 6 Diesbezüglich sind auch die als Lose Blätter zugänglichen Notizen Kants zu dieser Preisschrift interessant, die diese teleologischen Nötigungs-Perspektiven seiner »Geschichte der Philosophie« sichtbar machen: »Eine philosophische Geschichte der Philosophie ist selber



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dentalphilosophie der »eigentlichen Philosophie« zugrunde liegt bzw. noch im »Vorhof« der »eigentlichen Meta­phy­sik« verbleibt7 – denn, so betont er ausdrücklich: »Transzendentalphilosophie« habe »zu ihrem Zweck die Gründung einer Meta­phy­ sik, deren Zweck wiederum, als Endzweck der reinen Vernunft, dieser ihre Erweiterung von der Grenze des Sinnlichen zum Felde des Übersinnlichen beabsichtiget, welches ein Überschritt ist, der, damit er nicht ein gefährlicher Sprung sei, indessen dass er doch auch nicht ein continuirlicher Fortgang in derselben Ordnung der Prinzipien ist, eine den Fortschritt hemmende Bedenklichkeit an der Grenze beider Gebiete notwendig macht« (20:273); erst dies vermag zuletzt den dadurch vorbereiteten und auch legitimierten »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« (20:292) zu leisten. Dergestalt sei erst das Programm der Meta­phy­sik als »Idee einer Wissenschaft, als Systems« (20:310), einlösbar, »welches nach Vollendung der Kritik der reinen Vernunft aufgebaut werden kann« (ebd.). Hingegen bleibe die »Transzendentalphilosophie« mit der in ihr geleisteten »Kritik« (als der erste Teil dieses »dritten Stadiums der Meta­phy­sik«) für sich genommen bloß die Voraussetzung der »eigentlichen Meta­phy­sik«; dies ermögliche auch lediglich einen »leeren Begriff von Gott«, sofern sich dies mit der »Idee des höchsten metaphysischen Gutes« (20:302) begnügen müsse. Denn erst der bemerkenswerte kantische Rekurs auf eine sogenannte »transzendente Theologie« führe darüber hinaus, in dem der »Überschritt zum Übersinnlichen« auch erst wirklich – eben »praktischdogmatisch« – vollzogen werde. Im Unterschied zu dem bloß »metaphysischen Begriff« der »rationalen Theologie« (als einer in diesem Sinne »immanenten Theologie«?) wäre eben erst in dieser – deshalb so genannten? – »transscendenten Theologie« ein solches »transscendere« vollzogen bzw. die Legitimation dafür erbracht.8 nicht historisch oder empirisch, sondern rational, d. i. apriori möglich. Denn ob sie gleich Facta der Vernunft aufstellt so entlehnt sie solche nicht von der Geschichtserzählung, sondern sie zieht sie aus der Natur der menschlichen Vernunft als philosophische Archäologie« (20:341). 7  Kants Argumentation ist hier sehr genau zu nehmen: »So viel ist in neuerer Zeit in der Transzendentalphilosophie geschehen, und hat geschehen müssen, ehe die Vernunft einen Schritt in der eigentlichen Meta­phy­sik, ja auch nur einen Schritt zu derselben hat tun können« (20:277; Herv. R. L.); vom Schritt »in« der Meta­phy­sik wird also hier der Schritt »zu derselben« ausdrücklich unterschieden. – Diesen Unterschied nivelliert vermutlich G. Mohr, wenn er als die Auffassung Kants geltend macht: »Mit diesem Ausdruck [eigentliche Meta­phy­sik] bezeichnet Kant seine eigene, von ihm neubegründete Meta­phy­sik. Unter den Voraussetzungen der KrV ist Meta­phy­sik nur noch transzendentale Erkenntnis, nicht länger als Erkenntnis des Transzendenten (Übersinnlichen) möglich. […] Meta­phy­sik kann demnach lediglich noch darin bestehen, das allem Wissen, sei es empirisch oder apriori, implizite Wissen apriori aufzuklären, das als Bedingung alles Wissens fungiert« (Mohr 2004, 571). 8  Der genaue Sinn dieses – m. W. nur hier verwendeten – Terminus »transzendente Theologie« ist freilich unklar bzw. jedenfalls mehrdeutig: Es spricht – einerseits – einiges dafür, dass statt dieser Bezeichnung im Grunde (wie auch in der Kritik der reinen Vernunft bzw. in den Prolegomena: vgl. § 55) in ähnlichem Kontext von einer »transzendentalen Theologie«

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Näherhin hat Kant die für dieses »dritte Stadium« beanspruchte »Vollendung der Meta­phy­sik« offenkundig bemerkenswerterweise an den Nachweis geknüpft, dass darin – gemäß der früheren Leitidee eines »Systems der reinen Vernunft« (A 841 / B 869) – diese Meta­phy­sik als »System der Ideen« des »Übersinnlichen« »einen Kreis« (Hegel) ausmacht, »dessen Grenzlinie in sich selbst zurück kehrt, und so ein Ganzes von Erkenntnis des Übersinnlichen beschließt, außer dem nichts von dieser Art weiter ist, und der doch auch alles befasset, was dem Bedürfnisse dieser Vernunft genügen kann« (20:300). Wenn die Meta­phy­sik als ein »vollendetes Ganzes« (und nur so auch als »System«) zu begreifen ist, dann bleibt genau jener Sachverhalt zu beachten, dass ihr einerseits jenes kritische Geschäft der Transzendentalphilosophie vorgelagert bleibt, während sie selbst erst in dem »praktischdogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« ihren Abschluss zu finden und den Endzweck der »ganzen Meta­phy­sik« als Wissenschaft einzulösen vermag, nämlich »von der Erkenntnis des Sinnlichen zu der des Übersinnlichen durch die Vernunft fortzuschreiten« (20:260). In dem dadurch bestimmten »Endzweck der Meta­phy­sik« artikuliert sich das »innigste Interesse« der Vernunft (ebd.) – nämlich das »Interesse der Vernunft an sich selbst« (vgl. 05:119 f.)9, dass diese sich somit selbst bestimmt und sich so an ihrer Selbsterhaltung und Vollendung orientiert und so über jenes »kritizistische« Ergebnis, »zum Glauben Platz zu bekommen« (B XXX), auch noch hinausweist. Darin bringt sich freilich auch der systematische Anspruch zur Geltung, dass solche – den Vernunfthorizont eröffnende – »Vollendung« ebenso impliziert, dass eine Erweiterung darüber hinaus auch gar nicht möglich ist.10

die Rede sein sollte, zumal unmittelbar nach dieser »Überschrift« Themen der andernorts von Kant so genannten »transzendentalen Theologie« wie der »metaphysische Gottesbegriff« (omnitudo realitatis) angeführt werden; für die ungewöhnliche Bezeichnung »transzendente Theologie« wäre anzuführen, dass bekanntlich erst in dem »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« der »kritizistisch gebrochene« »Überschritt« zum »Dasein Gottes« vollzogen wird, der in dieser Preisschrift ein zentrales Thema ist und von dem sogleich ausführlicher die Rede sein soll. (Zuletzt scheint aber doch die erstgenannte InterpretationsVariante die plausiblere zu sein.) – Zu Recht weist jedenfalls Mohr (2004, 581 f.) auf die in der Preisschrift dargelegte »Transformation der theoretisch-dogmatischen Erkenntnis des Übersinnlichen in das praktisch-dogmatische Fürwahrhalten, Glauben in praktischer Rücksicht, also die Übersetzung des Endzwecks der Meta­phy­sik von der Spekulation der theoretischen Vernunft in ein moralisch motiviertes und moralbestärkendes Postulat der praktischen Vernunft« hin – eine Transformation, die von Kant »ausdrücklich als ein Fortschritt dargelegt« werde.   9  Schon in der zweiten Kritik Kants ist davon die Rede, dass die Vernunft sich ihr »Interesse selber« bestimmt (04:249); noch im späten Jachmann-Prospekt weist er darauf hin, dass die »Vernunft (practische) […] ihr eigener letzter […] Zweck« sei (Henrich 1966, 42). 10  In den Losen Blättern zur Preisschrift heißt es: »Mir scheint das rathsamste zu sein, davon anzufangen was das Interesse zuerst hervorbrachte eine Meta­phy­sik zu gründen (die Freiheit sofern sie durch moralische Gesetze kund wird) denn die Auflösung der damit verbundenen Schwierigkeit veranlasst eine völlige Anatomie unserer Erkenntnisvermögen u. so



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In mehrfacher Hinsicht ist die hier zutage tretende gestufte Argumentation Kants sehr aufschlussreich: Zeigt sich doch, dass jenes »dritte Stadium« sich nicht nur der Überwindung einer dogmatischen Meta­phy­sik und eines antimetaphysisch-­ empiristischen Skeptizismus verdankt (bzw. sich als solche versteht), sondern dass dieser gesuchte »Überschritt« notwendigerweise und allein auf der Basis einer – die rechte »Ordnung der Prinzipien« befolgenden – Begründung des »Primats der praktischen Vernunft in Verbindung mit der theoretischen« erfolgen kann und auch nur dies einen »gefährlichen Sprung« (08:393) vermeiden lässt. Die von Kant auf dem gesicherten Boden des »praktisch-dogmatischen Überschritts zum Übersinn­lichen« gesuchte Fundierung eines »moralischen Monotheismus« ist möglicherweise auch seiner Erinnerung an jenes berühmte metaphysische Gespräch zwischen Jacobi und Lessing geschuldet. Denn Kant wollte dem von Jacobi gegenüber Lessing geltend gemachten Glauben »an eine verständige persönliche Ursache« der Sache nach zwar folgen, zumal er selbst ausdrücklich auf die unverzichtbare Idee eines »verständigen Wesens, als eines von der Welt wesentlich unterschiedenen Urgrundes aller Dinge« (20:305), rekurrierte; gleichwohl wollte er Jacobis berühmtes frei­mütiges Bekenntnis, sich für seinen geltend gemachten Glauben an »eine verständige persönliche Ursache der Welt« mit einem »salto mortale aus der Sache« zu helfen,11 und eine daraus möglicherweise folgende »Kopf-unten-Lage« keinesfalls akzep­tieren. Dieses »dritte Stadium« der jüngeren Meta­phy­sik stellt somit im Grunde lediglich die Einlösung jener schon früher – bezeichnenderweise in Kants Auseinandersetzung mit Jacobi – benannten Aufgabe in Aussicht: »Der Begriff von Gott und selbst die Überzeugung von seinem Dasein kann nur allein in der Vernunft angetroffen werden, von ihr allein ausgehen« (08:142) – wobei solcher »Ausgang« eben ein gesicherter »Überschritt« und kein »Sprung« sein soll, in dem die Vernunft – nämlich in der im »Dasein Gottes« gedachten »absoluten Position« – gleichwohl außer sich gerät,12 ohne dass die »Annehmung« dieses »Daseins« indes als bloße irrationale Dezision anzusehen wäre, und es nach wie vor dabei bleiben muss, einen »Grundsatz der Einsichten« nicht mit einem »Folgesatz des Bedürfnisses« der Vernunft (08:140) zu verwechseln. Kants These, dass »das Übersinnliche, worauf doch der Endzweck der Vernunft in der Meta­phy­sik gerichtet ist, für die theoretische Erkennt-

konnte man den ganzen Kreis durchlaufen hier ist ein Begrif des Übersinnlichen mit seiner Realität (aber nur der practischen) gegeben« (2:345). 11  So Jacobi in dem berühmten Passus seiner Schrift: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn: Jacobi 2000, 20. 12  In diesem Kontext dürfte auch Kants Bemerkung im opus postumum besonderes Interesse verdienen: »Gott ist der Begriff von einem persönlichen Wesen. Ob ein solches existiere, wird in der Transsz. Phil. nicht gefragt« (21:45) – aber, so darf man wohl ergänzen, sehr wohl in der »kritizistisch« legitimierten »eigentlichen Meta­phy­sik«. – Schelling hätte diese späte kantische These wohl als einen bedeutsamen Schritt in Richtung »positiver Philosophie« gewürdigt.

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nis eigentlich gar keinen Boden hat« (20:262),13 ist freilich noch dahingehend zu präzisieren: Diese Ideen bleiben als Abschlussgedanken in ihrer Berechtigung, d. h. in ihrer »Denkmöglichkeit« sowie sogar als notwendige Inhalte der Vernunft vorausgesetzt und erfüllen so auch eine unverzichtbare kritisch-negative Funktion – ungeachtet dessen, dass die Vernunft ein besonderes praktisches Interesse an den Ideen »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit« nehme (20:300),14 zumal sie sich buchstäblich eben nicht an einer Theorie der Natur«, sondern am »moralischen Lauf der Dinge« orientieren. Denn gerade die für den ordnungsgemäßen »praktisch-dogmatischen Überschritt« erforderliche Grenzbestimmung, die den »kontinuierlichen Fortgang in derselben Ordnung der Prinzipien« hemmen muss (20:273), bleibt auf die »Einheit der Vernunft« verwiesen und gleichermaßen auf die grenzbegrifflich ausgewiesenen Resultate der Kritik angewiesen, wobei lediglich eine erste Grenze durch die Einsicht markiert ist: »Vom Übersinnlichen ist, was das spekulative Vermögen der Vernunft betrifft, kein Erkenntnis möglich (noumenorum non datur scientia)«. Wie darüber dennoch vernünftigerweise reden, wenn davon weder geschwiegen noch darauf verzichtet werden darf: Nicht zuletzt der Beantwortung dieser Frage ist dieses als »Theologie« bezeichnete »dritte Stadium« gewidmet. Jenes metaphysische Vorhaben eines »praktisch-dogmatischen Überschritts zum Übersinnlichen« ist somit auch dem in der Vorrede zur »zweiten Auflage« der Kritik der reinen Vernunft benannten berühmten Programm verpflichtet, »das Wissen aufheben« zu müssen, »um zum Glauben Platz zu bekommen« – eine Wendung, die ja ohnedies eine »teleologische« Ausrichtung bzw. »Nötigung« erkennen lässt, sofern sich daran die im Stadium der »Theologie« zu leistende systematische Entfaltung jenes »Vernunftglaubens« knüpft, wofür die Kritik zunächst erst einmal »Platz bekommen« muss. »Um zum Glauben Platz zu bekommen« – eben dies verweist auf die nach Kant mit dem »dritten Stadium« der Meta­phy­sik erreichte »praktisch-dogmatische Vollendung ihres Weges« und bedeutet näherhin, dass jener »Endzweck der Meta­phy­sik« nur über die Bestimmung des »Endzwecks der praktischen Vernunft«, des »Endzwecks der Schöpfung« und über die Frage nach dessen Ermöglichungsgrund ins Blickfeld treten kann – es sind dies bekanntlich die Leitthemen der kantischen »Ethikotheologie«: Sie hat innerhalb des »dritten Stadiums« ihren systematischen Ort und findet in Kants später Preisschrift noch eine systematische Vertiefung bzw. Weiterführung. Erst durch die Einheit beider Aspekte bzw. Teile dieses »dritten Stadiums« ist folglich auch die »Selbsterhaltung der Vernunft« – ihre Bewahrung und ebenso ihre »Realisierung« – gewährleistet. So zeigt sich: Auf die 13  Vgl.

dazu auch Refl. 6343, 18:667 f. der Sache knüpft Kant hier an die Bemerkung der ersten Kritik an, dass die »Meta­ phy­sik […] zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit« habe und erst aus der »Verbindung« von »Theologie und Moral« »Religion« resultiere (B 395 Anm.); diesen so benannten »Zweck der Meta­phy­sik« konzentriert Kant sodann in den Aufweis dieser »Zweckverbindung der Vernunftideen« selbst, der die Unverzichtbarkeit derselben und ihre genaue Stelle sichtbar macht. 14  In



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als »drittes Stadium« aufgewiesene Einheit des »Kritizismus« und der »eigentlichen Meta­phy­sik« zielt die auf diesem Fundament errichtete »Theologie« – wie auch immer jene merkwürdige kantische Bezugnahme auf eine »transzendente Theologie« (20:301) näherhin zu verstehen sein mag. Ihren Abschluss findet jene (als zweiter Teil dieses »dritten Stadiums« ausgewiesene) »eigentliche Meta­phy­sik« freilich erst in jener »Weisheitslehre« von den »höchsten Zwecken der menschlichen Vernunft«,15 die sie in der Überwindung einer »Vermessenheit«16 sowohl im »theoretischen« als auch »praktischen Vernunftgebrauch« auszubilden vermag. Für die Entfaltung dieses als »Theologie« ausgewiesenen »dritten Stadiums der Meta­phy­sik« und des darin zu vollziehenden bzw. rechtfertigenden »praktisch-dogmatischen Überschritts zum Übersinnlichen« in der Preisschrift erweist sich eine von Kant ausdrücklich angeregte »teleologische« Perspektive als richtungsweisend, die direkt an systematisch bedeutsame Themen und Thesen der dritten Kritik anknüpft und diese weiterführt: »Man kann und soll die Welt nach der Analogie mit der physischen Teleologie, welche letztere uns die Natur wahrnehmen lässt (auch unabhängig von dieser Wahrnehmung) apriori als bestimmt, nämlich dem Endzweck aller Dinge nach Gesetzen der Freiheit zusammen anzutreffen, annehmen, um der Idee des höchsten Guts nachzustreben, welches als ein moralisches Produkt, den Menschen selbst, als Urheber (so weit es in seinem Vermögen ist), auffordert« (20:307)17. Bevor diese »Analogie« näher verfolgt werden soll (s. u., S. 147 ff.), seien jedoch noch einige der für diese thematische Anbindung der späten Preisschrift 15 Noch in seinem Vorwort zu Jachmann betonte Kant: »Philosophie nicht als bloße Wissenschafts[-] […] sondern als Weisheitslehre d. i. als Wissenschaft des Endzwecks der menschlichen Vernunft ist nie bloß theoretisch sondern enthält Prinzipien der praktischen Vernunft schon in ihrem Begriffe und zwar solche die nicht (bloß) technische sondern moralische praktisch« (zit. n. Henrich 1966, 43). – »Aber Philosophie in buchstäblicher Bedeutung des Worts, als Weisheitslehre, hat einen unbedingten Wert; denn sie ist die Lehre vom Endzweck der menschlichen Vernunft, welcher nur ein einziger sein kann, dem alle andere Zwecke nachstehen oder untergeordnet werden müssen, und der vollendete praktische Philosoph (ein Ideal) ist der, welcher diese Forderung an ihm selbst erfüllt« (08:441). 16 Kants kritisches Programm wendet sich gegen »Vermessenheiten« aller Art, die sich gleichermaßen in dem »unbegrenzten Vertrauen der Vernunft auf sich selbst zum grenzen­ losen Misstrauen, und wiederum von diesem zu jenem« (20:264) – und zwar sowohl im Gebiet der theoretischen als auch der praktischen Vernunft – artikuliert und deren Überwindung er für eine Voraussetzung der »Selbsterhaltung der Vernunft« hielt, die er schon früh als »Fundament des Vernunftglaubens« ansah – als dessen Fundament, aber nicht als diesen selbst. 17  Vorbereitet ist diese bedeutsame, weil richtungsweisende »teleologische Perspektive« der Preisschrift auch durch den in der »Allgemeinen Anmerkung zur Teleologie« (die Kants dritte Kritik beschließt) ausgesprochenen Hinweis, dass die »moralische Teleologie, welche nicht minder fest begründet ist, wie die physische, vielmehr dadurch, dass sie apriori auf von unserer Vernunft untrennbaren Prinzipien beruht, Vorzug verdient, […] auf das« führe, »was zur Möglichkeit einer Theologie erfordert wird, nämlich auf einen bestimmten Begriff der obersten Ursache als Weltursache nach moralischen Gesetzen, mithin einer solchen, die unserm moralischen Endzwecke Genüge tut« (05:614).

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bestimmend gebliebene Problemperspektiven kurz vergegenwärtigt, soweit dies mit Blick auf das »Stadium der Theologie« von Interesse ist. Dabei soll jene von Kant empfohlene Perspektive eine Aussicht auf den »Endzweck der Meta­phy­sik« eröffnen, in der dieser Bezug noch auf die Idee der »Zweckverbindung« (20:306) dieser Vernunftideen selbst ausgedehnt wird (s. dazu u., S. 139 ff.).18 Zunächst sei noch eine kurze Vergegenwärtigung kantischer Begründungsfiguren vorangestellt, die sich auch für die spätere Entfaltung dieses »dritten Stadiums der Meta­phy­sik« als aufschlussreich erweisen soll.

1.1 Anmerkung: Eine kritische Anknüpfung an die physiko- und ethikotheologischen Perspektiven und deren »teleologische« Aufhebung in Kants später Preisschrift Zur Erinnerung: »Physikotheologie« und »Ethikotheologie« machen nach Kant – in Abgrenzung von der sogenannten »rationalen Theologie« – bekanntlich den Kernbestand der »natürlichen Theologie« aus. Abgesehen von seiner allgemeinen »Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft«, der auch die Ansprüche der »Physikotheologie« ausgesetzt bleiben, zielt ein spezieller Kritikpunkt darüber noch hinaus: Denn die zwar schon in der ersten Kritik konstatierte »Unmöglichkeit eines physikotheologischen Gottesbeweises« hat die »Methodenlehre der Kritik der Urteilskraft« sodann zu einer Kritik an einem noch grundsätzlicheren Defizit dieser »Physikotheologie« verschärft. Mag – im Sinne der Frage: Wie muss eine Welt für »vernünftige Wesen« nach »ihrem theoretischen Vermögen« beschaffen sein? – zwar der heuristischen Orientierung der »Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch« (genauer: der »reflektierenden Urteilskraft«) ein »deistischer« Gottesbegriff (d. h. die Idee des »höchsten Wesens« als »oberster Intelligenz«) durchaus genügen, so sind es jedoch die mit der Weltstellung und Lebensführung des Menschen als des existierenden »Endzwecks der Schöpfung« verbundenen praktisch-moralischen Vernunftansprüche, die über eine physikotheologische Konzeption in prinzipieller 18  Vornehmlich auf diese in der »wirklichen Welt« mögliche »Zweckverbindung«, »die […] das höchste in einer Welt mögliche Gut […] enthalte« (20:306), und auf den darin realisierten »praktisch-dogmatischen Überschritt« ist es zu beziehen, wenn dieses »dritte Stadium der Meta­phy­sik«, das darin den Zusammenhang der Ideen des »Übersinnlichen« gleichsam als ein »System der Postulate« nachzeichnet, nach Kant bemerkenswerterweise »einen Kreis« (20:300) ausmachen soll, in dem diese »Ideen des Übersinnlichen« vereinigt sind. – Hätten dem jungen Hegel diese Motive der kantischen Preisschrift bekannt sein können, so müsste man geradezu davon ausgehen, dass er das kantische Bild des »Kreises« aufnehmen und gleichsam vollenden wollte: » […] so wird diese Ethik nichts anderes als ein vollständiges System aller Ideen, oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein. Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen« (Hegel TWA 1, 234). Die Nähe dieser Motive des jungen Hegel zu dem angeführten »Bild des Kreises« in der späten kantischen Preisschrift ist jedenfalls frappierend.



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Hinsicht hinausweisen und noch eine andere Beurteilungsperspektive (im buchstäblichen Sinne) notwendig machen. Deshalb betont Kant in Abgrenzung davon: »Eine Moraltheologie (Ethikotheologie) wäre der Versuch, aus dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden kann) auf jene Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen« (05:436); diese kann nur als »höchste Weisheit« gedacht werden und vermag auch nur als solche einen zureichenden Grund eines »Endzwecks der Schöpfung« anzugeben und entsprechend, allein »der Vernunft genugtuend«, den »Begriff von Gott zuerst bestimmt hervor[zu]bringen« (05:481). Allein so sah Kant bekanntlich auch der Forderung entsprochen, »den Begriff von einer Gottheit« nicht leichtfertig »an jedes von uns gedachte verständige Wesen« zu verschwenden (05:438), d. h. diesen auf einen solchen »Kunstverstand« bzw. »oberste Weltursache« – und sei es auch eine »in allem Betracht unendliche Intelligenz« (05:441) – anzuwenden (wie es in der »Methodenlehre der Kritik der Urteilskraft« heißt). Erst diese Ethikotheologie sah Kant in der Lage, auf gesichertem Fundament den »praktisch-dogmatischem Überschritt zum Übersinnlichen« zu vollziehen und damit zuletzt den »Endzweck der Meta­phy­sik« – d. h. den denkerischen »Überschritt vom Sinnlichen zum Übersinnlichen« – zu erreichen. Denn nur auf solche – ethikotheologisch an »moralischen Zwecken« bzw. am »praktischen Endzweck« orientierte – Weise sei ein Gottesbegriff auszubilden, welcher der Weltstellung des Menschen als eines »vernünftigen, aber endlichen Wesens« und den daran geknüpften unabweislichen Vernunftansprüchen – seiner Existenz- und Orientierungsnot – zu genügen vermag und überhaupt erst die Orientierung an der Idee eines »Endzwecks der Schöpfung« bzw. des »Ganzen aller Zwecke« erlaubt.19 Eine solche Frage nach einem »Endzweck der Schöpfung« müsse schon deshalb gänzlich außerhalb des Hori­ zontes einer »Physikotheologie« bleiben, weil Letztere – gleichermaßen existenzund »weisheitsvergessen« – für das Verständnis der Weltstellung des Menschen als »Endzweck der Schöpfung« und seine moralischen Zwecke keinen Platz lässt. Mit Blick auf jenes, in der späteren Preisschrift näher ausgewiesene Stadium der »Theologie« bleibt freilich auch noch der richtungsweisende Hinweis Kants (in den Schlusspartien der Kritik der teleologischen Urteilskraft) sehr beachtenswert, der in ethikotheologischem Kontext vermessene Ansprüche jedweder Art abwehrt: Demzufolge könne an einer Theologie ohnedies nur insoweit gelegen sein, »dass sie nicht zur Erweiterung oder Berichtigung unserer Naturerkenntnis und überhaupt irgend einer Theorie, sondern lediglich zur Religion, d. i. dem praktischen, namentlich dem moralischen Gebrauch der Vernunft in subjektiver Absicht nötig sei« (05:482). Vor diesem Hintergrund besagt jener spätere Ausweis der »Theologie« als »drittes Stadium« der neueren Meta­phy­sik eben, dass dies dem in der Entfaltung der Religionsthematik zu explizierenden »Überschritt vom Sinnlichen zum Übersinnlichen« gewidmet sein muss und dergestalt die »metaphysische Naturanlage« 19 Die zunächst in Kants Aufsatz Was heißt: Sich im Denken orientieren? vorgestellte »Orientierungs«-Metapher nimmt Kant auch in dieser Preisschrift auf: vgl. 20:261.

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in dem »Fortschritt zum Übersinnlichen in der Welt, in der wir leben« (wie es beim späten Kant heißt) uns nicht nur erkennend-logisch – d. h. gemäß einem »theoretischen Weltbegriff« – orientieren; der dieser »eigentlichen Meta­phy­sik« zugedachte »praktisch-dogmatische Überschritt« ist folglich nichts anderes als die Explikation jener Gestalten des Glaubens, für die die Kritik vorgängig »Platz bekommen« hat. Diesem Begründungsgang entspricht auch recht genau die durch »Vernunft, Herz und Gewissen« geleitete Orientierung des religiösen Bewusstseins in Kants Reli­ gionsschrift, die im Grunde ohnehin lediglich die Leitthese Kants näher expliziert, dass und wie ›Moral unumgänglich zur Religion‹ (06:6) führe: Dass der Mensch durchs moralische Gesetz zum guten Lebenswandel berufen sei, dass er durch unauslöschliche Achtung für dasselbe, die in ihm liegt, auch zum Zutrauen gegen diesen guten Geist und zur Hoffnung, ihm, wie es auch zugehe, genug tun zu können, Verheißung in sich finde, endlich, dass er, die letztere Erwartung mit dem strengen Gebot des erstern zusammenhaltend, sich als zur Rechenschaft vor einen Richter gefordert beständig prüfen müsse: darüber belehren und dahin treiben zugleich Vernunft, Herz und Gewissen. Es ist unbescheiden, zu verlangen, dass uns noch mehr eröffnet werde, und wenn dieses geschehen sein sollte, müsste er es nicht zum allgemeinen menschlichen Bedürfnis zählen. (06:144 f.) Diese dem »Stadium der Theologie« eingeschriebenen – nichts anderes als jenen »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« ausbuchstabierenden – Sätze aus Kants Religionsschrift lesen sich wie eine vorweggenommene Erläuterung zu seiner sehr späten – fragmentarischen – These, dass die Philosophie als »Wissenschaft des Endzwecks der menschlichen Vernunft […] nie bloß theoretisch [ist], sondern enthält Prinzipien der praktischen Vernunft schon in ihrem Begriffe und zwar solche[,] die […] moralische praktisch[e sind]«20.

2. Der »praktisch-dogmatische Überschritt zum Übersinnlichen« und die »teleologisch« angelegte Weiterführung der Ethikotheologie in Kants später Preisschrift Im Rückbezug auf diese ethikotheologische Begründungsfigur (und gleichermaßen in Abgrenzung von ihr) sind zunächst die von Kant innerhalb dieses »dritten Stadiums« – als »das der Theologie« – vorgenommenen Unterscheidungen bemerkenswert, zumal sie auch gegenüber der in Kants Ethikotheologie in den Vordergrund tretenden Bestimmung des »Glaubens« als »fides« als »Vertrauen auf die [von mir hineingelegte«] Verheißung des moralischen Gesetzes« (05:603 Anm.) eine wichtige Verschiebung sichtbar machen. Dies wird auch daraus sichtbar, dass jene ethikotheologische Charakterisierung der »fides« als »Vertrauen in die Verheißung des 20  Zit.

n. Henrich 1966, 43.



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moralischen Gesetzes« sich in dieser späten Preisschrift zu dem »von der Sittlichkeit selbst [!] diktierte(n) Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht« (20:300) hinsichtlich des »höchste[n] in der Welt zu befördernde[n] Gut[s]« zuschärft. Jedoch sind, wie sich zeigen soll, auch weitere systematische Problemverschiebungen nicht zu übersehen, die allesamt in engem Zusammenhang mit dem schon früh benannten Thema »Selbsterhaltung der Vernunft« stehen, das nunmehr, auf dem Fundament der neuen »Freiheitslehre« Kants, einen neuen systematischen Stellenwert erhält. Entsprechend den beiden Teilen dieses »dritten Stadiums« – nämlich Kritik bzw. Transzendentalphilosophie und »eigentliche Meta­phy­sik« ergibt sich: Hatte die Kritik die Themen »Gott, Freiheit, Unsterblichkeit« zwar als den »eigentlichen Gegenstand der Meta­phy­sik« geltend gemacht, so war jedoch – zunächst – die kritische Zurückweisung der diesbezüglichen Ansprüche der »dogmatischen Meta­phy­sik« die vorrangige Aufgabe; der Aufweis des unverzichtbaren grenzbegrifflichen Status dieser »transzendentalen Vernunftideen« knüpfte daran an. Das von Kant als »Theologie« ausgewiesene »dritte Stadium der Meta­phy­sik« leistet – mit dem Aufweis aller »Erkenntnisse apriori, die darauf führen, und sie notwendig machen« (20:281) – erst den gesuchten »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« – eigentliches Thema der »eigentlichen Meta­phy­sik« (»metaphysica specialis«), das deshalb über jenes berühmte »kritische« Programm, »um zum Glauben Platz zu bekommen«, noch hinausführt und so auf die Aufgabe verweist, die ›Tiefenstruktur‹ dieses »Vernunftglaubens« näher zu explizieren. Besonders aufschlussreich ist dabei, dass Kant im Anschluss an die Bestimmung des in dem »praktisch-dogmatischen Überschritt« vollzogene Bestimmung der »Modalität unseres Fürwahrhaltens« den »Glauben« als eine »Annehmung, Voraussetzung (Hypothesis)« bestimmt, die indes »nur darum notwendig ist, weil eine objektive praktische Regel des Verhaltens, als notwendig, zum Grunde liegt […]«, ohne die jedoch die »Selbsterhaltung der Vernunft« nicht gedacht werden könnte. Allein die Frage nach dem »zureichenden Grund« dieser (vernünftigen) Hoffnung auf den »Endzweck, den der Mensch hat und haben soll« (20:305), führt auf diesen Glauben (bzw. rechtfertigt ihn): »Ein solcher Glaube ist das Fürwahrhalten eines theoretischen Satzes, z. B. es ist ein Gott, durch praktische Vernunft« (20:297).21 Dies ist die Bestimmung des Postulates, worin die theoretische Möglichkeit, ja »Denknotwendigkeit« dieses »Gegenstandes« mit der praktischen Notwendigkeit so verknüpft ist, dass erst aus der Verbindung beider die Wirklichkeit des Daseins resultieren soll, weil die »Annehmung« jenes »theoretischen Satzes« sich selbst nicht zu tragen vermag, d. h. diese Annehmung des (freilich als möglich vorausgesetzten) Daseins praktisch legitimiert und auch für eine »moralisch konsequente Denkungsart« – als Folge der Moral – als geboten 21  Paradox gesprochen wäre zu sagen: Dieser Glaube ist ein »Fürwahrhalten eines theo­ retischen Satzes: z. B. es ist ein Gott […]« nicht aus theoretischen Gründen bzw. »durch theoretische Vernunft«, weil dieses »Fürwahrhalten« eben nicht »vom Objekt« her, sondern aus dem »subjektiv-moralischen Interesse« des Menschen begründet ist – und allein dies auch die »ganz andere Art des Fürwahrhaltens« und seine besondere Gewissheit begründen soll.

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behauptet wird und derart bestätigt, es sei zwar nicht zur Moral, jedoch sehr wohl »moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen« (05:125), will dies lediglich auch »moralisch konsequent« gedacht werden (05:451 Anm.). Dass das Fortschreiten zum »höchsten Gut« als einem übersinnlichen »Gegenstand der Vernunft« und Endzweck derselben »Pflicht« ist (20:294) und es eben für diesen Fortschritt als einen »praktisch-dogmatischen Überschritt« ein »Stadium der Meta­phy­sik […] geben müsse«, erklärt zugleich dieses Stadium zur Vollendungsgestalt der Meta­phy­sik – Kant spricht auch von dem »den ganzen Zweck der Meta­ phy­sik erfüllenden Stadium« (20:296); dass der Fortschritt dahin »Pflicht sei«, erklärt sich offenbar daraus, dass dieser »Gegenstand der Vernunft« ohnedies nichts anderes als die Idee der »moralischen Welt« darstellt, der gegenüber bloße Gleichgültigkeit nicht erlaubt sein kann und sich erst recht die grundsätzliche (explizite) Negation derselben aus moralischen Gründen verbieten muss. Dass es dieses Stadium der Meta­phy­sik – »unzweifelhaft«! – geben müsse, ist also allein moralisch – durch die Unumgehbarkeit der »höchsten Zwecke der Vernunft« – begründet und liegt so auch der Frage nach einem angemessenen »theoretischen Begriff von der Quelle« (20:294), zugrunde. Letzterer gewinnt bekanntlich erst über Kants Lehre vom »symbolischen Anthropomorphismus« und die dadurch ermöglichte »symbolische Versinnlichung« »Bestimmtheit« und bewahrt so die – als Grenzbegriff zwar unverzichtbare – Idee des höchsten metaphysischen Gutes« (20:302) davor, ein bloß »leerer Begriff« bleiben zu müssen (20:304); ein solcher »metaphysischer Gott« vermag – über seine negative »Schutzwehr«-Funktion hinaus – auch den vom späten Kant gesuchten »moralischen Monotheismus« ja schon deshalb nicht zu begründen bzw. ihm zu genügen, weil hierfür die Rückbindung an die im Bewusstsein des »moralischen Gesetzes« »entschleierte« (20:310) Idee der Freiheit sich als »unumgänglich« erweist.22 Denn die über die kritische »Symbolisierung« verfolgte Absicht, dadurch den »Vernunftbegriffen objektive Realität zu verschaffen« und dadurch eine »praktische Erkenntnis« des »Übersinnlichen« zu begründen, setzt den moralisch verankerten Bezug zu den vorgängig schon »grenzbegrifflich« gedachten Ideen voraus – und erst unter dieser – von Kant für diesen »Überschritt« eingemahnten – Voraussetzung werden diese auch bestimmbar und entsprechen somit der Forderung einer »Erkenntnis nach der Analogie«, »die der [praktischen] Vernunft zu denken notwendig ist« (20:280). Erst daraus resultiert also der »zur Religion taugliche« Gottesbegriff (als »lebendiger Gott« und »weiser Welturheber«), der als zureichender Grund und als Ziel, also als »Urquell alles Guten, als sein Endzweck« (s. u., S. 131 ff.) auch allein der adäquate »terminus ad quem« menschlicher Hoffnung sein kann. Freilich ist hier von einer »Erkenntnis des Übersinnlichen« allein »nach der »Ana-

22  »Allererst nachdem die moralischen Gesetze das Übersinnliche im Menschen, die Freiheit, deren Möglichkeit keine Vernunft erklären, ihre Realität aber in jenen praktisch-dogmatischen Lehren beweisen kann, entschleiert haben, so hat die Vernunft gerechten Anspruch auf Erkenntnis des Übersinnlichen« (20:310).



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logie« und »in praktisch-dogmatischer Rücksicht« die Rede, die notwendig in jener »Einheit der Vernunft« begründet ist.

2.1 Das »Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses der reinen praktischen Vernunft« – die daran geknüpfte sinn-konstitutive Hinsicht: »Handle so, als ob wir wüssten, dass diese Gegenstände wirklich wären« Die von Kant in diesem »dritten Stadium der neueren Meta­phy­sik« in Analogie zur physischen Teleologie gedachte »moralische Teleologie« mündet sodann in die »Erste-Person-Perspektive« des – »subjektiv-moralisch« begründeten und als »praktisch-gültig« (20:298) beanspruchten »Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses [!] der reinen praktischen Vernunft« ein und lässt dergestalt eine besondere ›Tiefenstruktur‹ des kantischen »Vernunftglaubens« erkennen: Ich glaube an einen einigen Gott, als den Urquell alles Guten in der Welt, als sein Endzweck; – Ich glaube an die Möglichkeit, zu diesem Endzweck, dem höchsten Gut in der Welt, so fern es am Menschen liegt, zusammenzustimmen; – Ich glaube an ein künftiges ewiges Leben, als der Bedingung einer immerwährenden Annäherung der Welt zum höchsten in ihr möglichen Gut (20:298), in dem, wohlgemerkt, auch die »eigene Glückseligkeit« lediglich als »einem solchen Ganzen zugehörig« erhofft wird. Die derart beabsichtigte Legitimation eines »praktisch-dogmatischen Überschritts zum Übersinnlichen« verankert demnach jene Sätze der Meta­phy­sik: »Es ist ein Gott […]« und die Begründung des »Vernunftglaubens« (als »freies Fürwahrhalten« bzw. »freies Annehmen«) – gegenüber den dogmatischen Ansprüchen des »doktrinalen Glaubens« – nunmehr in dem »ichförmigen« »Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses [!] der reinen praktischen Vernunft«. Jene beiden »Kardinalsätze« der traditionellen Meta­phy­sik: »Es ist ein Gott, es ist ein künftiges Leben« sind in ihrer ›Tiefenstruktur‹ demzufolge im Sinne dieses »Credo in den Artikeln des Bekenntnisses [!] der reinen praktischen Vernunft« zu verstehen – artikuliert sich darin etwa ein »Machtspruch der Vernunft« von besonderer Art? Diesbezüglich sei mit Rücksicht auf den spezifischen Charakter des dieses »Credo« auszeichnenden »freien Fürwahrhaltens« auch auf die von Kant daran geknüpfte aufschlussreiche Argumentation hingewiesen, die sich freilich – hinsichtlich einer darin möglicherweise latent vorhandenen »performativ-propositionalen Doppelstruktur« – noch als differenzierungs-bedürftig erweist:23 Ein solches »Credo« – dies gilt für Kant freilich nach wie vor – 23  Es wäre gewiss eine lohnende Aufgabe, die in Kants Werk bestimmenden »Glaubens«Kennzeichnungen auch im Lichte der modernen Sprachphilosophie (Sprechakttheorien) zu analysieren und die darin zutage tretende ›Tiefenstruktur‹ dieser »Glaubenssätze« in ihrem Anspruch systematisch zu interpretieren: Von der »vorkritisch« noch beanspruchten

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verstattet also keinen Imperativ (kein crede), und der Beweisgrund dieser seiner Richtigkeit ist kein Beweis von der Wahrheit dieser Sätze, als theoretischer betrachtet, mithin keine objektive Belehrung von der Wirklichkeit der Gegenstände derselben, denn die ist in Ansehung des Übersinnlichen unmöglich, sondern nur eine subjektiv-, und zwar praktisch-gültige, und in dieser Absicht hinreichende Belehrung, so zu handeln, als ob wir wüssten, dass diese Gegenstände wirklich wären (20:298; vgl. 09:93, 66)24; wobei dieses »als ob« keinesfalls »fiktionalistisch« missverstanden (bzw. »entsorgt«) werden darf.25 Darin kommt vielmehr gewissermaßen ein sinnkonstitutiver Anspruch zum Ausdruck bzw. zur Geltung, in dem offenbar eine eigentümliche Verknüpfung des »propositionalen Gehaltes« dieses Satzes mit dem performativen Sinn dieses bekenntnishaften »freien Annehmens« zutage tritt; der in diesem »freien »wichtigste[n] aller unserer Erkenntnisse: Es ist ein Gott« (02:65 und den in der Kritik der reinen Vernunft so genannten »Kardinalsätzen«: »Es ist ein Gott, es ist ein künftiges Leben«, über das hierfür zunächst geltend gemachte »ich bin moralisch gewiss etc.« (A 829 / B 857) hin zu jenem in der »zweiten Kritik geäußerten postulatorischen Anspruch des »Ich will, dass ein Gott sei« sowie jenem kantischen »Fides«-Glauben – und zuletzt eben auch bis zu jenem »Credo in den drei Artikeln des Bekenntnisses [!] der reinen praktischen Vernunft« und dem daran geknüpften »Handle so, als ob ein Gott sei […]« und dem sich darin (in dem keineswegs fiktionalen »als ob«) artikulierenden »reflektierenden Glauben« in seiner epistemischen »Besonderheit«. Näherhin wäre dabei zu prüfen, ob in den näheren Charakterisierungen dieses Glaubens eine »performativ-propositionale Doppelstruktur« – gewissermaßen »Kant-immanent« – zutage tritt, die auch die Unablösbarkeit dieser beiden Aspekte voneinander vor Augen führt; es wäre dies eine Aufgabe, die wohl innerhalb dieses »Stadiums der Theologie« anzusiedeln wäre – näherhin als das noch anspruchsvollere religionsphilosophische Programm, nicht nur »zum Glauben Platz zu bekommen«, sondern sodann auch diesen »Glauben zu denken«. 24  Auch auf einem Losen Blatt zur Preisschrift heißt es: »Die Ideen von Gott und Zukunft bekommen durch moralische Gründe nicht objectiv theoretische, sondern bloß practische Realität[,] so zu handeln[,] als ob eine andere Welt wäre« (20:342). – Deshalb hat Kant auch auf einem anderen Losen Blatt zur Preisschrift von einem »gründlichen Beweis« als einem »theoretisch dogmatischem Urteil« ein »praktisch-dogmatisch« geltendes »Argument« unterschieden: »Ein gründlicher Beweis gilt nur für das theoretisch dogmatische Urtheil[,] ein Argument kann aber auch für practisch-dogmatisch gelten. Es begründet alsdann einen freyen[,] nicht durch Demonstration abzudringenden[,] aber nichtsdestoweniger so fern gesicherten Beyfall[,] daß der[,] so es überlegt[,] sicher ist[,] von ihm in practischer Absicht nicht abtrünnig zu werden. Ein solches findet in Ansehung jener drey Arten des Übersinnlichen statt. In Ansehung dieser Ideen mag er theoretisch betrachtet zweifelnd seyn, aber sie als ob sie ihm vorleuchten, kann er nicht entbehren« (20:350). 25  Ergänzt werden diese religionsphilosophischen »Als-ob«-Perspektiven der Preisschrift durch die von Kant – in dem wiederum zeitnahen Aufsatz Das Ende aller Dinge – als »weise« bezeichnete gebotene »Rücksicht«, »so zu handeln, als ob ein andres Leben, und der moralische Zustand, mit dem wir das gegenwärtige endigen, samt seinen Folgen, beim Eintritt in dasselbe unabänderlich sei« (08:330).



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Annehmen« und der hierfür beanspruchten »Verbindlichkeit« sowie der daraus resultierenden praktisch-gültigen Belehrung: »handle so, als ob […]« liegt offenbar eine eigentümliche »Selbstreflexivität« zugrunde, die nähere Beachtung verdient, von Kant selbst freilich nur beiläufig angezeigt wurde, obgleich sie auch in jener angeführten Bestimmung des »Glaubens« als »Fürwahrhalten eines theoretischen Satzes, z. B. es ist ein Gott, durch praktische Vernunft« (20:297), anklingt. Dergestalt sind jene von Kant so bezeichneten beiden Kardinalsätze: »[E]s ist ein Gott, es ist ein künftiges Leben« (A 741 f. / B 769 f.) auf eine Weise gleichsam »aufgehoben«, dass in jenem »ich-zentrierten« »Credo« die beiden angezeigten »Alsob«-Perspektiven vereinigt sind und eben dies offenbar auch jenen beanspruchten »Beweisgrund seiner Richtigkeit« ausmacht.26 Genauer noch wäre zu sagen: Hatte Kant im »Kanon der reinen Vernunft« die logische Gewissheit: »es ist moralisch gewiss, dass ein Gott sei etc.« durch die moralische Gewissheit: »ich bin moralisch gewiss etc.« (05:537) ersetzt, so wird diese geltend gemachte moralische Gewissheit nunmehr im Sinne des postulatorischen »Ich will, dass ein Gott sei …« (05:143) 26  Besonders interessant sind diese späten Überlegungen Kants in der Preisschrift über die von ihm befundene »Richtigkeit« bzw. über die »subjektiv-, und zwar praktisch-gültige, und in dieser Absicht hinreichende Belehrung, so zu handeln, als ob […]« nicht zuletzt im Rückbezug auf jene sehr frühe aufschlussreiche Erklärung über den Status des »Fürwahrhaltens« des »Vernunftglaubens«, »in welchem das Fürwahrhalten eben den Grad hat als beim Wissen, aber von anderer Art ist, indem es nicht von der Erkenntnis der Gründe im Objekt, sondern von dem wahren Bedürfnis des Subjekts in Ansehung des theoretischen, sowohl als praktischen Gebrauchs der Vernunft hergenommen ist. Es bleibt immer glauben, niemals wird’s wissen und ist auch als das erstere für Geschöpfe am zweckmäßigsten« (16:371 f.). Die hier betonte »Andersartigkeit« dieses Fürwahrhaltens und seiner gleichwohl geltend gemachten »graduellen« Gleichrangigkeit steht offenbar in engstem sachlichen Bezug zu der für jenes »Credo« beanspruchten »Richtigkeit« bzw. seines Status als »subjektiv- und zwar praktischgültige, und in dieser Absicht hinreichende Belehrung«, die jenen Unterschied zwischen theoretischem »Beweis« und »praktisch-gültigem Argument« (s. o. Anm. 24) voraussetzt. Eine Bemerkung aus Kants »Logik« über die Eigenart der »praktischen Überzeugung« des »moralischen Vernunftglaubens« und das für ihn eigentümliche »ich bin gewiss«) schließt sich hier in der Sache an; ihr zufolge erweise sich, so Kant, »diese praktische Überzeugung oder dieser moralische Vernunftglaube […] oft [als] fester als alles Wissen. Beim Wissen hört man noch auf Gegengründe, aber beim Glauben nicht; weil es hierbei nicht auf objektive Gründe, sondern auf das moralische Interesse des Subjekts ankommt« (09:72). Diese Gegenüberstellung ist freilich nicht leicht nachvollziehbar: Offensichtlich wird hier dem (stets falliblen) Wissen ein »Es-sich-gelegen-sein-Lassen« (subjektives »Inter-esse«) gegenübergestellt, das indes mit der von Kant stets betonten »Aufrichtigkeit« und der »Feuerprobe der Wahrhaftigkeit« engstens verbunden ist (vgl. dazu auch die Schlussanmerkung in Kants Theodizee-Aufsatz). Vgl. auch einen weiteren Passus aus Kants Logik (09:93): »Man kann keiner theoretischen Idee objektive Realität verschaffen oder dieselbe beweisen, als nur der Idee von der Freiheit, und zwar, weil diese die Bedingung des moralischen Gesetzes ist, dessen Realität ein Axiom ist. Die Realität der Idee von Gott kann nur durch diese und also nur in praktischer Absicht, d. i. so zu handeln, als ob ein Gott sei, also nur für diese Absicht bewiesen werden«.

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transformiert; zuletzt erweist sich der theoretische »[Kardinal]-Satz: Es ist ein Gott, es ist ein künftiges Leben« in seiner ›Tiefenstruktur‹ als jenes ›Credo‹-Bekenntnis des ›Ich glaube an einen einigen Gott‹ und an ein ›künftiges Leben‹, das als »freies Annehmen« auch in diesem moralisch begründeten »Ich will, dass ein Gott […] sei« fundiert ist. Dieses selbst in einem moralisch verankerten unbedingten »UrteilenMüssen« (der »moralisch konsequenten Denkungsart«) verwurzelte postulatorische »Ich will …« hat dergestalt noch eine nähere Entfaltung bzw. »Präzisierung« gefunden, in dem auch jenes »Ich bin moralisch gewiss« – und das darin maßgebende »Als-ob« – einen neuen Stellenwert erhält.27 So zeigt sich: Jenes »dreistufige Credo« bedeutet offenbar – mit jener praktischkonstitutiven »Als-ob«-Perspektive – auch eine nochmalige Zuschärfung der ethikotheologischen Begründungsfigur der dritten Kritik: Denn der dort zwar betonte handlungs-konstituierende Zweckbezug und die darauf beruhende Idee, dass »der Freiheitsbegriff […] den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen« soll (05:176), sowie die daran geknüpfte Frage, wie die (gemäß der Idee der »moralischen Welt« bestimmten) »moralischen Zwecke« realisierbar und zuletzt auch noch die Orientierung an einer »Idee des Ganzen aller Zwecke« möglich sein soll(en), führt folgerichtig auf die Frage nach der »Bedingung der Möglichkeit« derselben und findet so in dem diese »Als-ob«-Perspektiven entfaltenden »Credo« gewissermaßen erst seine nähere Explikation. Derart wird eine gestufte Begründungsfigur erkennbar: Zunächst war die Aussicht auf eine »begründete Hoffnung« »ethikotheologisch« darauf gerichtet, dass nicht allein der Mensch einen ihm a priori vorausgesetzten »praktischen Endzweck«, sondern dass »auch die Schöpfung selbst, ihrer Existenz nach, einen Endzweck habe«, also der »subjektiv-praktischen Realität dieses Endzwecks« ein »Endzweck der Schöpfung« korrespondiert. Bezüglich der Hoffnung auf das »höchste Gut« als den »ganzen Endzweck« war Kants Argument in seiner Erklärung über die »Gültigkeit des moralischen Beweises« u. a. zunächst doch dies: »Zur objektiven theoretischen Realität also des Begriffs von dem Endzwecke vernünftiger Weltwesen wird erfordert, dass nicht allein wir einen uns apriori vorgesetzten Endzweck haben, sondern dass auch die Schöpfung, d. i. die Welt selbst, ihrer Existenz nach einen Endzweck habe: wel27 Aufschlussreich ist mit Blick auf diese genannten »Als-ob«-Bestimmungen des »Vernunftglaubens«, dass sich in Kants spätem Aufsatz Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie eine bemerkenswerte – diesem Wandel korrespondierende – Kennzeichnung des »Postulates« findet: »Postulat ist ein apriori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit (mithin auch keines Beweises) fähiger, praktischer Imperativ. Man postuliert also nicht Sachen, oder überhaupt das Dasein irgend eines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime (Regel) der Handlung eines Subjekts« (08:418 Anm.). Allerdings scheint diese Wendung auch missverständlich zu sein und läuft doch wenigstens Gefahr, den in der ursprünglichen Bestimmung des Vernunftpostulates – als eines »theoretische[n], als solchen aber nicht erweisliche[n] Satz[es], sofern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängt« (05:122) – enthaltenen »propositionalen« Gehalt preiszugeben bzw. aus den Augen zu verlieren.



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ches, wenn es apriori bewiesen werden könnte, zur subjektiven Realität des Endzwecks die objektive hinzutun würde« (05:453). Indes, in der Preisschrift – d. h. innerhalb des »dritten Stadiums der Meta­phy­ sik« – modifizierte bzw. verschärfte Kant den mit diesem sogenannten »moralischen Beweis« der dritten Kritik verbundenen Anspruch in einer sehr bemerkenswerten Weise. Jener »moralische Beweis«, so betonte Kant nunmehr auch in dieser Preisschrift, sei eben kein »Beweis schlechthin«, vielmehr sei dieser über die Begründungsfigur des »praktischen Endzwecks« vermittelt und ziele also auf die Begründung eines »Hoffnungsglaubens« ab. Bezüglich der »freien Annahme« der »Existenz Gottes« gehe die Annahme der Realität des in dieser »von uns gemachten« Idee [Gottes] »Gedachten« freilich über die Vernunft hinaus – sofern es dieses »setzt« als nicht bloß »gesetzt«, sondern eben als »vorausgesetzt«. In diesem Sinne sei, so Kants gewiss aufschlussreiche Argumentation, dieser »moralische Beweis« eigentlich nicht ein Beweis von seinem [Gottes] Dasein schlechthin (simpliciter), sondern nur in gewisser Rücksicht (secundum quid),28 nämlich auf den Endzweck, den der moralische Mensch hat, und haben soll, bezogen, mithin bloß der Vernunftmäßigkeit, ein solches anzunehmen, wo dann der Mensch befugt ist, einer Idee, die er, moralischen Prinzipien gemäß, sich selbst macht, gleich als ob er sie von einem gegebenen Gegenstande hergenommen, auf seine Entschließungen Einfluss zu verstatten (20:305). Dieser gewiss erstaunliche Rekurs auf ein »als ob von einem gegebenen Gegenstande Hergenommenes« wäre demnach wohl als eine konsequente Weiterführung und Klärung jener – durchaus mehrdeutigen – Kennzeichnung des »Daseins Gottes« als einer »der Vernunft abgenötigten Voraussetzung« (08:137 Anm.) zu verstehen. Worauf »endliche Vernunft« hier also zwar notwendig »hinaussieht«, dies vermag sie jedoch »innerhalb« ihrer selbst gerade nicht einzuholen.29 Damit ist auch gesagt: Im Unterschied zu einer – wie in den tradierten theologischen Begründungsansprüchen – in dem schon vorgängig ausgewiesenen »Glauben« begründeten »Hoffnung« 28  Mit diesem ausdrücklich betonten »secundum quid« knüpft Kant offenbar an die in der Ethikotheologie der KU (§ 88) betonte »Beschränkung der Gültigkeit des moralischen Beweises« an, wonach der Rekurs auf das Dasein eines nicht nur »verständigen«, sondern »zugleich […] moralische[n] Wesen[s], als Welturheber[s], mithin ein[es] Gott[es] angenommen werden müsse«, lediglich »ein »zweiter Schluss« sei, »welcher so beschaffen ist, dass man einsieht, er sei bloß für die Urteilskraft, nach Begriffen der praktischen Vernunft, und als ein solcher, für die reflektierende, nicht die bestimmende Urteilskraft gefället« (05:455). Auch die angeführte »secundum quid«-Argumentation der Preisschrift macht deutlich, dass dies zwar in epistemischer Hinsicht unentscheidbar bleibt, jedoch die den moralisch relevanten Gesichtspunkten geschuldete Rücksicht (d. h. dem daran orientierten »Vernunftvermögen«) diese An-Nahme unumgänglich macht. 29  Auch in diesem engeren Kontext verdient Kants Notiz aus dem opus postumum Beachtung: »Gott ist der Begriff von einem persönlichen Wesen. Ob ein solches existiere, wird in der Transsc. Phil. nicht gefragt« (21:45).

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ist solcher »Hoffnungsglaube« eben nicht auf Einsicht begründet, sondern beruht auf einem der »Vernunft anhängenden Bedürfnis«, dessen Aufweis überdies auch noch einmal den Begründungsstatus jenes »Ich will, dass ein Gott sei …« (05:143) vergegenwärtigt. Genauer besehen ist es also ein – gleichermaßen auf die begründete Hoffnung als auch auf den Glauben gerichtetes – zweifaches »als ob«, das sich in der Preisschrift für den Status des Glaubens und seines »Gegenstandes« als maßgebend erweist: Jene »Belehrung« des Credo: »handle so, als ob wir wüssten, dass diese Gegenstände (Gott, höchstes Gut, Unsterblichkeit der Seele] wirklich wären«, fundiert nun die von Kant eingeräumte Erlaubnis, in einer solchen »Hin-Sicht« der zwar von uns selbst gemachten – d. h. vorgängig »spekulativ« als denkbar ausgewiesenen – Gottesidee, ›gleich also ob sie von einem gegebenen Gegenstande hergenommen wäre, auf seine Entschließungen Einfluss zu verstatten‹ (20:305). Dieser »Als-ob«Perspektive korrespondiert so das »Als-ob« jenes »freien Annehmens«, wobei sich dieses, einer »moralisch konsequenten Denkungsart« gemäß, gleichwohl als notwendig erweist. Dabei ist jene analoge Argumentation Kants in seiner Begründung der »Hoffnung« und des »Glaubens« bemerkenswert, wonach der dem erhofften »praktischen Endzweck« – moralisch konsequent – vorausgesetzte »Endzweck der Schöpfung« auf der Ebene des »Glaubens« offenkundig eine unübersehbare Entsprechung hat. Denn in dem in seiner Preisschrift vorgenommenen (oben angeführten) Rekurs auf den »moralischen Beweis« (s. o., S. 134 f.) modifizierte Kant diese Argumentation nun allerdings im Sinne des Glaubens an das »Dasein Gottes« gemäß jener Hinsicht, dass eine zwar »von uns gemachte Idee« als eine eben »nicht allein von uns gemachte« »angenommen«, sondern »gleich als ob sie von einem gegebenen Gegenstande hergenommen« wird,30 der freilich nicht lediglich ein sol30  In systematischer Hinsicht ist diese späte Argumentation Kants nicht zuletzt deshalb aufschlussreich, weil sie in der Sache an seine in der ersten Kritik so nachdrücklich eingeschärfte Unterscheidung zwischen dem »Gegenstand in der Idee« und dem »Gegenstand schlechthin« (A 670 / B 698) anknüpft – und zwar so, dass er in diesem »Als-ob« des »Hernehmens« durchaus auf den »Gegenstand schlechthin« rekurriert, weil andernfalls der Sinn jenes »Handle so, als ob […] diese Gegenstände wirklich wären« hinfällig wäre, das in einem unbedingten Vernunftbedürfnis begründet ist. Damit wird die Unterscheidung zwischen dem »Gegenstand in der Idee« und dem »Gegenstand schlechthin« keinesfalls unterlaufen, sondern behält durchaus ihren kritischen Sinn, zumal der »Gegenstand in der Idee« in seiner unverzichtbaren »regulativen« Funktion für den theoretischen »Weltumgang« davon unangetastet bleibt. Deshalb steht jenes »Handle so, als ob […]« und sein »Als-ob« des »Hernehmens« auch nicht auf einer Ebene mit jener von Kant empfohlenen regulativen Perspektive »zur größten systematischen Einheit des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Prinzips des größtmöglichen empirischen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen« (A 679 / B 707), zumal hierfür lediglich ein Gegenstand »in der Idee und nicht an sich selbst zum Grunde gelegt« werden müsse (A 674 / B 702). – Eine genauere Bezugnahme auf Kants frühere – in seiner »Vernunftkritik« nachdrücklich eingeschärfte – Unterscheidung zwischen dem »Gegenstand in der Idee« und dem »Gegenstand schlechthin« (vgl. A 669 f. / B 697 f.) ist hier nicht möglich.



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cher »in der Idee« ist, sondern offenbar »ein Gegenstand schlechthin« sein soll. In solchem eingeräumten »Als-ob-des-Hergenommenseins« bringt sich offenbar eine kantische Variante eines »gottsetzenden Bewusstseins« zur Geltung, das jene zwar »selbstgemachte Idee« (20:310) gleichwohl vor dem Vorwurf bloßer »Fiktionalität« zu bewahren sucht31 – so wie, analog dazu, jene Idee des vorausgesetzten »Endzwecks der Schöpfung« es verhindern soll, dass »der Endzweck, den der moralische Mensch hat und haben soll«, sich als »chimärisch« erweist. Als eine Vereinigung jener analogen Argumentationsstruktur von »Hoffnung« und »Glaube« lässt sich sodann Kants ausdrückliche – Hoffnung und Glauben zusammenschließende – Begründung dafür verstehen, wie »Moral unumgänglich zur Religion« führe – nämlich durch den Rekurs auf die »Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen« (06:6), »in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich Endzweck des Menschen sein kann und soll« (06:3). Jenes »als ob von einem gegebenen Gegenstande Hergenommene« fungiert dergestalt als »ratio essendi« jener »Hoffnung«; diese ist darauf gerichtet, dass jener zwar unbeirrbar wahrgenommenen – und »unüberschreibaren« – Stimme: »es müsse anders zugehen« (05:458), etwas »entspricht« – so also, »als ob« der darin leitenden »Vorstellung von etwas, dem sie [die Menschen] nachzustreben sich verbunden fühlten« (ebd.), etwas »entgegenkommt«. Die Einheit der beiden genannten »Alsob«-Perspektiven klingt jedoch möglicherwiese – indirekt – auch schon in jener frühere Kennzeichnung der Hoffnungsfrage als »praktisch und theoretisch zugleich« (A 805 / B 833) an. Diese Gestalt des in der späten Preisschrift entwickelten »Vernunftglaubens«, der in das Credo: »Handle so als ob diese Gegenstände wirklich wären« und in jene eingeräumte »Hin-Sicht« einmündet, »als ob« die zwar selbstgemachte Gottesidee zugleich »von einem gegebenen Gegenstande hergenommen« – also »gesetzt als nicht »bloß gesetzt« – wäre, könnte wohl, in behutsamer Anlehnung an die regulativen »Als-ob«-Bestimmungen der »reflektierenden Urteilskraft« und mit Rücksicht auf den besonderen Begründungsstatus, als ein »reflektierender Glaube« bezeichnet werden32 – eine Kennzeichnung, die durch die kantische Analogisierung von »physischer« und »moralischer Teleologie« in der Sache wohl auch nahegelegt wird. Im Kontext des in der späten Preisschrift ausgesprochenen Hinweises auf den »Fortschritt zum Übersinnlichen der Welt, in der wir leben« und darin auch Orientierung suchen, gewinnen diese »Als-ob-Bestimmungen« für das Ganze einer »moralischen 31  Denn dieses kritisch reflektierende »Als-ob« bewahrt so auch davor, diese (»als ob«) »von einem Gegenstande hergenommenen Ideen« als zwar »selbstgemachte Ideen« mit bloßen Wahngebilden der »dichtenden Einbildungskraft« zu verwechseln bzw. sie als solche abzutun, die »selbstgemachte Vorstellungen für Wahrnehmungen« (08:215) hält. 32 Nur nebenbei sei angemerkt, dass sich diese Kennzeichnung eines »reflektierenden Glaubens« bei Kant in einer Anmerkung der Religionsschrift bemerkenswerterweise auch tatsächlich findet (s. 06:52 f. Anm.); allerdings ist diese Bestimmung dort von Kant inhaltlich doch deutlich anders akzentuiert.

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Lebensgeschichte jedes Menschen« (06:143) eine unverzichtbare sinn-orientierende Realität; sie entspricht durchaus auch der semantischen Nähe der »Sinnkategorie« zur Bestimmung des »Endzwecks« und trägt so auch der diesem »Sinn-Begriff« immanenten Zielrichtung Rechnung. Interessant ist in diesem Kontext wohl auch dies, dass offenbar das gleichermaßen legitimierende und appellative »Handle so, als ob…« auch das »Überwiegende« in dem von Kant so genannten (moralisch inspirierten) »Zweifelglauben« (als ein »überwiegendes praktisches Fürwahrhalten« (05:473)) deutlich erkennbar macht und ihn gegen den selbst »dogmatischen Unglauben« in Stellung bringt. Im Ausgang von jenem ethikotheologisch begründeten »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen«, der somit den menschlichen Vernunftgebrauch (im Sinne des »Endzwecks der Meta­phy­sik« im »dritten Stadium« derselben) gewissermaßen erst »abschließt und krönt«, resultieren nun weitere – ebenfalls diesem »Stadium der Theologie« zugehörige – Problemperspektiven, die indes über die in der »Methodenlehre der Kritik der Urteilskraft« entwickelte Konzeption der »Ethiko­theologie« noch hinausführen. Zeigt doch schon ein Blick auf die darin zutage tretenden metaphysischen Leitideen, dass diese sich in einer bloßen Vertiefung der ethikotheologischen Motive nicht erschöpfen. Die darüber noch hinausführenden »teleologischen« Aspekte erweitern vielmehr jenes als »Theologie« bezeichnete »dritte Stadium« auf entscheidende Weise. Davon wird im Folgenden noch die Rede sein. Zunächst soll sich dabei, in einem ersten Schritt, zeigen: Innerhalb dieses »dritten Stadiums« der neueren Meta­phy­sik – als dem »Vollendungsstadium« der darin zutage tretenden »teleologischen Verfassung« derselben – spielt die nähere Bestimmung der »Ideen des Übersinnlichen« und ihre zu einer inneren »Zweckverbindung« entwickelte Einheit eine entscheidende Rolle.33 Darin, so soll sich daran anschließend erweisen, wird auch jene vom späten Kant ausdrücklich nahegelegte Analogisierung von »physischer und moralischer Teleologie« (s. o., S. 125) in einer auch systematisch bedeutsamen Hinsicht noch vertieft.

33  Mit Blick auf spätere Ausführungen sei schon hier angemerkt: Über die beiden ersten Kritiken Kants scheint bezüglich der Themen »Freiheit, Seelenunsterblichkeit und Gott« von besonderem Interesse dies zu sein, dass Kant mit seiner ausdrücklich affirmierten Analogisierung von »physischer« und moralischer Teleologie« (20:307) einerseits an die in der dritten Kritik entfaltete »moralische Teleologie« anknüpft und Letztere in systematischer Hinsicht noch vertieft; andererseits tritt mit der in der Preisschrift explizit betonten »Zweckverbindung« ein Gesichtspunkt in den Vordergrund, der in systematischer Hinsicht über alle drei Kritiken noch hinausführt, d. h., auch die maßgebend gewordene »Ethikotheologie« und die darin entfaltete »metaphysica specialis« noch überholt und die »Vernunftforschung« noch auf weitere unabweisliche Fragen führt. S. dazu jedoch die Überlegungen Ludwigs in diesem Band (bes. 86 f.).



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3. Kants Rekurs auf eine »Zweckverbindung« der »Ideen des Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns«. Ein – später – Schritt Kants über die »Ethikotheologie« hinaus? Ein Fortschritt wird wohl schon daraus ersichtlich, dass die Ideen »Gott und Unsterblichkeit« nun nicht mehr lediglich als solche gedacht werden, die sich an den »Begriff der Freiheit« anschließen »und … mit ihm und durch ihn objektive Realität und Bestand« gewinnen (05:4). In den späten Preisschrift-Entwürfen benannte Kant das Fundament des religions-konstituierenden Begründungszusammenhangs dieser Vernunftideen sodann – der »Ordnung der Zwecke« entsprechend – ganz ähnlich dahingehend: »Ingleichen hat man da etwas, wodurch das Übersinnliche (Gott, wo­ rauf der Zweck eigentlich geht) erkannt [!] werden kann, weil ein Gesetz der Freiheit als übersinnlich gegeben« (20:292), d. h., »Freiheit als übersinnliche[s], aber durch den Kanon der Moral erkennbares Vermögen« (20:330) ausgewiesen ist. Gleichwohl sind in dieser Preisschrift jene »Ideen« nunmehr als in einer »Zweckverbindung« dieser »Ideen« des »Übersinnlichen […] in uns, über uns und nach uns« (20:295) vereinigte »Momente« zu begreifen.34 Demgemäß ist es bemerkenswert, dass auch die schon in ethikotheologischem Kontext maßgebende »Verknüpfung« »aller drei [Ideen] unter einander zu einer Religion« (20:474) sich nun zu solchem »nexus finalis« verdichtet.35 Denn in solcher »Zusammenstimmung« sind diese »Ideen« eben nicht lediglich als »Elemente« verbunden, sondern auch auf eine Weise als »zueinander gehörig« ausgewiesen, dass sie aus solchem »Zueinander« auch erst ihre Bestimmtheit in ihrem jeweiligen Unbedingtheitsanspruch gewinnen.36 Dies besagt, dass der gesuchte »praktisch-dogmatische Überschritt zum Übersinnlichen« und die als »Endzweck der Meta­phy­sik« intendierte »Weisheitslehre« nur durch die gebotene Grundlegung und »Ordnung der Prinzipen« erfolgen kann – einer solchen, 34  Unschwer ist diese »Zweckverbindung« in der Kennzeichnung der »natürlichen Religion« (in Kants zeitnaher Religionsschrift) wiederzufinden: »Die natürliche Religion als Moral (in Beziehung auf die Freiheit des Subjects), verbunden mit dem Begriffe desjenigen, was ihrem letzten Zwecke Effect verschaffen kann, (dem Begriffe von Gott als moralischem Welturheber) und bezogen auf eine Dauer des Menschen, die diesem ganzen Zwecke angemessen ist (auf Unsterblichkeit), ist ein reiner praktischer Vernunftbegriff« (06:157). 35 Die späte Preisschrift nimmt offenbar eine Anmerkung aus der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft auf und verfestigt den dort erwähnten »notwendigen Schlusssatz« nunmehr zu einer »Zweckverbindung«: »Die Meta­phy­sik hat zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, so dass der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten, als einen notwendigen Schlusssatz, führen soll« (B 395 Anm.). 36  Der in Reinholds Briefen über die Kantische Philosophie enthaltene Hinweis, dass aus der moralischen Verankerung heraus die Ideen »Inhalt, Zusammenhang und durchgängige Bestimmung« gewinnen (GS 2/1, 113), darf in solcher Hinsicht aufgenommen werden, sofern sie als solche »in den ursprünglichen (nicht erst erworbenen) Anlagen unserer Natur gegründet sind« (GS 2/1, 37).

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die eben in jenem unhintergehbaren »Übersinnlichen in uns« verankert ist und sonach diese Ordnung näherhin als eine »Zweckverbindung« jener Vernunftideen des »Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns« ausweist.37 In der darin zutage tretenden »gewissen Organisation der reinen praktischen Vernunft« (20:310) ist der »zweckmäßige Gebrauch der Vernunft« und somit auch der »praktisch-dogmatische Überschritt zum Übersinnlichen« auf sicherem Boden begründet und vermag allein auf solche Weise die traditionelle »metaphysica specialis« und deren Themen zu retten.38 Es ist diese in der – durch das moralische Gesetz »entschleierten« – Wirklichkeit der Freiheit fundierte »Zweckverbindung« der Vernunftideen, die so auch den »Horizont der Vernunft« aufspannt bzw. »beschreibt« (20:300) und dergestalt auch das Grundgerüst der »Vernunftreligion« darstellt: Es ist der »Endzweck der praktischen Vernunft« (das »höchste Gut«) bzw. die Idee des ihm korrespondierenden »Endzwecks der Schöpfung«, der selbst einerseits (als »ratio cognoscendi«) erst auf dieses ganze Gefüge der »Ideen des Übersinnlichen« (gleichsam als »ratio essendi« desselben) verweist – d. i. auf jenes »System der Voraussetzungen«, das dergestalt jene »von uns selbst gemachten Ideen« – in denen die Vernunft sich »schafft«39 und zugleich erhält – zu einem kreisförmig gedachten »systematischen Ganzen« »zweckmäßig« zusammenschließt. Demnach ist es die in der Idee des »höchsten Gutes« selbst gedachte »Zweckmäßigkeit«, nämlich die »harmonisch zusammenstimmende« Einheit von »Moralität und Glückseligkeit« als der »moralisch notwendige Endzweck unsrer reinen Vernunft« (vgl. 20:299), deren Fundierung in dieser nun selbst als inneres Gefüge gefassten »Zweckverbindung« der Ideen des »Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns« ausgewiesen werden soll. Darauf weist auch Kants späte Bemerkung hin, dass eben die allein im »moralischen Gesetz« offenbar werdende Wirklichkeit der »Idee der Freiheit« als das »Übersinnliche in uns« es ist40, die – gemäß jener rechten »Ordnung der Prinzipien« (20:273) – »die 37 Der schon in Kants zweiter Kritik erfolgte Hinweis auf einen durch die »praktische Vernunft« »auf unerwartete Weise« eröffneten Ausblick – obgleich kein »Sehen« – auf eine »übersinnliche Ordnung und Verknüpfung« (05:106) führt darüber hinaus zuletzt noch – nicht weniger »unerwartet« – auf eine »Zweckverbindung« der Ideen. In der Tat lässt sich sagen, dass die von Kant in der Preisschrift sogenannte »eigentliche Meta­phy­sik« (als »metaphysica specialis«) als der »zweite Teil« der »praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik« zwar »in einer Kritik der praktischen Vernunft« gründe (so Ludwig 2017, 113), gleichwohl darüber noch hinaus­weise. 38  S. dazu die grundlegenden Überlegungen von B. Ludwig in diesem Band. 39  Vgl. Kants späte Bemerkung, dass nämlich die Transzendentalphilosophie erst jenes »System der reinen Vernunft« ermöglicht, d. h. ein System »von subjektiven Ideen, welche die Vernunft selbst schafft […] indem sie sich selbst [!] schafft« (21:93; vgl. auch 21:22, 43. Dann ist es eben die in diesem »System« der »subjektiven Ideen« sich realisierende »Zweckverbindung«, die so innerhalb des von Kant als »Theologie« bezeichneten »dritten Stadiums« auf eine weitere Begründungsfigur verweist. 40  Interessant ist, dass Kants später Rekurs auf das »logische Ich«, das als »Subjekt […],



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zwei übrigen in ihrem Gefolge bei sich führt« (wie es in dem noch späteren Text über die Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie heißt). Derart sah Kant also (vermutlich Motiven Wolffs folgend), über jenes zunächst bestimmende Anschluss-Verhältnis hinaus, »gleichsam in der Verkettung […] eines […] Vernunftschlusses« eine innere »Zusammenstimmung« (»consensus«) derselben begründet, die es somit erlaubt, jene »Verknüpfung« auch als eine systematisch-teleologische – »beschließende« – »Zweckverbindung« zu begreifen, die auf solche Weise jene Idee der »moralischen Teleologie« noch vertieft und zugleich in gewisser Weise überholt. In solchem »Zusammenschluss« dieser »Vernunftideen« gewinnt die – von Kant schon in der ersten Kritik so bezeichnete – »teleologia rationis humanae« wohl auch erst ihre Vollendungsgestalt innerhalb dieses »Vollendungsstadiums« der Meta­phy­sik. Die in der »Geschichte der reinen Vernunft« sich entwickelnden einzelnen Momente des »Übersinnlichen« sind demnach nicht bloß als vereinigte zu begreifen; die darin gedachte, in der Moralität verankerte »Zusammenstimmung derselben«, d. i. ihre innere »Zugehörigkeit«, erweist sich vielmehr geradezu als eine Voraussetzung für die Erreichung des »Endzwecks der Meta­phy­ sik«, der sich in diesem »dritten Stadium« der Meta­phy­sik auch erst als ein solcher »Endzweck« begreift. Dies ist auch für jene kantische Selbstverortung in der »Geschichte der Meta­phy­sik in der neueren Zeit« deshalb bestimmend, weil dafür eben die Verbindung jenes »Kritizismus« mit dem »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« maßgebend ist, die Kant ausdrücklich als den Inhalt des »dritten Stadiums« der Meta­phy­sik bestimmt hat. Die im Ausgang von dieser »Zweckverbindung der Ideen« eröffnete Perspektive verdankt sich offenbar selbst jener Analogisierung von »physischer« und »moralischer Teleologie« und stellt gegenüber der ethikotheologisch begründeten »moralischen Teleologie« (der dritten Kritik) zweifellos noch eine bedeutsame Weiterführung dar. In der solcherart konzentrierten Verknüpfung jener »selbstgemachten« (und doch »nötigenden«) Vernunftideen gewinnt offenbar auch erst der wichtige kantische Hinweis auf den entscheidenden Begründungsstatus jenes »Creditiv des moralischen Gesetzes« (05:48) seine systematische Einlösung – also gleichsam erst am Ende des (als »Theologie« bezeichneten) »dritten« Stadiums der Meta­phy­sik« und des darin ausgewiesenen »praktisch-dogmatischen Überschritts zum Übersinnlichen«. Dass jene in der Moralität als dem »Übersinnlichen in uns« verankerte Zweckverbindung bzw. »Zusammenstimmung der Ideen des Übersinnlichen« nunwie es an sich ist, im reinen Bewusstsein […] reine Spontaneität anzeigt, weiter aber auch keiner Erkenntnis seiner Natur fähig ist« (20:296), doch in einer gewissen Spannung zu der andernorts geäußerten Auffassung steht, dass ein »Bewusstsein seiner selbst« »an sich« gar nicht möglich sei außer eben im »moralischen Gesetz«, d. h. in dem »Selbstbewusstsein einer reinen praktischen Vernunft« (05:29), das hier allerdings gar keine Erwähnung findet und in seinem Rekurs auf das »zweifache Ich« gewissermaßen zwischen dem »logischen Ich« und dem »psychologischen Ich« durchfällt.

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mehr auch das ethikotheologische Grundgerüst der »Vernunftreligion« darstellt, bedeutet zweifellos eine Vertiefung bzw. Festigung gegenüber jener (am Ende der Ethikotheologie der dritten Kritik) als möglich erwogenen »Verknüpfung« der ›Vernunftideen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit unter einander zu einer Religion‹ (05:474). Jene Verankerung in dem »archimedischen Punkt« der »im moralischen Gesetz sich offenbarenden Freiheit« ist es jedoch auch, die diese in der »moralisch konsequenten Denkungsart« verwurzelte »Zweckverbindung« vor dem Verdacht bewahrt, dass die darin vereinigten »Voraussetzungen in notwendig praktischer Absicht« sich bloß lebensdienlichen »Erdichtungen« im Dienste bloßer Selbstbehauptung verdanken bzw. sich darin erschöpfen – eben deshalb insistierte Kant auch auf der notwendigen »Ordnung der Prinzipien«. So ergibt sich: Die aus dem »Übersinnlichen in uns, außer uns und nach uns« gefügte »Zweckverbindung« stellt also das dem »Vernunftbegriff in abstracto« entsprechende Grundgerüst der Vernunftreligion dar, das (bzw. dessen »Momente«) in der »Geschichte der menschlichen Vernunft« selbst aus dem »Vernunftbegriff in concreto« erst »herausgeschält« wurde und sich nunmehr in dem dadurch eröffneten »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« »realisiert«, d. h., so erst konkrete Gestalt gewinnt. Dieser »Vernunftbegriff in abstracto« ist somit selbst eine nach-denkende Vorstellung des in der »Geschichte der menschlichen Vernunft« sich »läuternden« und auch konkretisierenden »Bewusstseins des Absoluten«;41 darauf verweist auch Kants Notiz: Die Erkenntnis des Allgemeinen in abstracto ist spekulative Erkenntnis; – die Erkenntnis des Allgemeinen in concreto gemeine Erkenntnis. – Philosophische Erkenntnis ist spekulative Erkenntnis der Vernunft, und sie fängt also da an, wo der gemeine Vernunftgebrauch anhebt, Versuche in der Erkenntnis des Allgemeinen in abstracto zu machen (09:27). Nur nebenbei sei hier noch angemerkt: Eine unübersehbare Entsprechung hat diese nunmehr maßgebende »Zweckverbindung der Vernunftideen« wohl auch darin, dass jene »fides«-Bestimmung der dritten Kritik (05:471 Anm.) sich in der Preisschrift zu dem »von der Sittlichkeit diktierten Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht« (20:300) festigt. Darin wird wohl auch sichtbar, dass in diesen besonderen Aspekten einer »moralischen Teleologie« ein »Sein-Sollendes« besonderer Art erst zur Geltung kommt. Es ist der – ungeachtet aller »Hinderniss[e], welche die Einflüsse der Natur auf uns, als Sinnenwesen, verüben m[ag]« (20:295; Herv. R. L.) – »unnachlassliche«, weil praktisch-orientierende und motivierende »Glaube an die Tugend, als das Prinzip in uns«, der als unbedingter »Sollens«-Anspruch dem 41 Beachtung verdient in diesem Kontext auch Kants Hinweis auf die »Geschichte des Glaubens«, »welche mit dem Messianischen Glauben anhebend durch den evangelischen (der jenen zurücklässt) zum rein=moralischen hinweiset«; Kant bezeichnet diese »Geschichte des Glaubens« auch als »Vehikel der Religionslehre« (23:431), darin sind Aspekte der zeitlichen Abfolge und der systematischen »Gedankenfolge« miteinander verknüpft.



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kantischen Hinweis auf dieses »von der Sittlichkeit selbst diktierte Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht« zugrunde liegt. Im Sinne eines moralisch-konstitutiven »Als-ob« versammelt es so die gläubigen – und einander auch ermutigenden – Glieder des »ethischen Gemeinwesens« zu einer gemeinsamen Aufgabe »unter der Fahne der Tugend als Vereinigungspunkt für alle, die das Gute lieben« (06:94)42 und unter jenem »Credo«, dessen performative Gestalt ebenso seine kommunikative Tiefendimension sichtbar macht. Im Rückblick wird hier eine bemerkenswerte Stufung sichtbar: War es zunächst, als eine Frucht des »kritischen Geschäfts«, lediglich um die widerspruchsfrei zu denkende »Möglichkeit« der Freiheits- und auch der Gottesidee zu tun, so trat sodann das Bemühen um den Aufweis der »Kompossibilität« bzw. der »Kohärenz« der entsprechenden »Vernunftideen« in den Vordergrund, die sich in der hierfür vorausgesetzten »Einheit der Vernunft« letztendlich zu einer als »Zweckverbindung« ausgewiesenen »Zusammenstimmung« gefestigt hat und dergestalt auch die »teleologia rationis humanae« erst zum Abschluss bringt. Die darin zutage tretende teleologische »Stufung« von besonderer Art soll sich für die nachfolgenden Überlegungen noch als höchst bedeutsam erweisen: Denn es ist demzufolge die »apriorische« Idee des »Endzwecks der reinen praktischen Vernunft« und zuletzt die »Idee des Ganzen aller Zwecke« selbst, die ihrerseits auf diese »Zweckverbindung« der »Ideen des Übersinnlichen« als ein System der der Vernunft »abgenötigten Voraussetzungen« (08:137) verweist, sofern ohne diese jener »Endzweck der praktischen Vernunft« – selbst ein »moralisches Produkt« (20:307), den der »moralische [!] Mensch« als »vernünftiges, aber endliches Wesen« »hat, und haben soll [!]« (20:305) – und der ihn fundierende »Endzweck der Schöpfung« nicht als möglich gedacht werden können, in denen Vernunft sich allerdings selbst erhält.43 42  Das moralische »Sollen« bleibt auf das darin begründete »Sein-Sollen« gemäß der Idee der »moralischen Welt« bezogen, kann doch die »Moral« unmöglich gegenüber dem – sitt­ lichen – »Begriff des Endzwecks gleichgültig« sein; andernfalls verfiele sie selbst einer »Ein­ äugigkeit«, weil sie so einseitig (als »Vermögen der Prinzipien«) von sich selbst als »Vermögen der Zwecke« »abstrahieren« würde. Demgegenüber insistierte Kant auf der »Ordnung der Zwecke« bzw. der »Idee der moralischen Welt« – eine »Welt, sofern sie allen sittlichen Gesetzen gemäß wäre«. Dass Kant später sogar von einem »von der Sittlichkeit diktierten Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht« [d. i. der Erreichung des »höchsten Gutes«] spricht (20:300), ist eben darin fundiert. 43  Eine (vielleicht lediglich durch die Besonderheit dieser späten Preisschrift erklärbare) Abweichung bzw. Ungenauigkeit zeigt sich vermutlich auch darin, dass einerseits neben »Gott« und »Unsterblichkeit« das »von der Sittlichkeit selbst diktierte Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht« als Bedingung der Möglichkeit des »höchste[n] in der Welt zu befördernden Gut[s]« angeführt wird (20:300), während an einer späteren Stelle der Preisschrift dieser »Endzweck« selbst (neben »Gott« und der »Unsterblichkeit der Seele«) als ein integriertes Moment innerhalb der »Organisation der reinen praktischen Vernunft« (20:310) fungiert. In dieser Preisschrift wird übrigens nicht das »höchste in der Welt mögliche, und, so viel an uns ist, als Endzweck zu befördernde physische Gut« (im Unterschied zum § 91 der dritten Kritik)

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3.1 Die »Zweckverbindung« der »Ideen des Übersinnlichen« und das kantische Motiv der »Selbsterhaltung der Vernunft« Durch die in der »Geschichte der reinen Vernunft« sich entfaltende »Zusammenstimmung« zu diesem teleologischen »Gefüge der Vernunftideen« als »System dieser Vernunftideen«44 ist mit der für dieses »dritte Stadium der Meta­phy­sik« (20:293 ff.) bestimmenden Verbindung der »Vernunftkritik« mit dem »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« auch die »Selbsterhaltung der Vernunft« erst gewährleistet. Derart wird jene »Zweckverbindung« der »Vernunftideen« als ein Gefüge erkennbar, in dem die menschliche Vernunft sich selbst – im Sinne einer analog zur Bestimmung des »Naturzwecks« verstandenen »sich selbst erhaltenden Zweckmäßigkeit« – erhält, d. h. sich gleichermaßen »realisiert« und aufrechthält. Die in bzw. durch diese »Zweckverbindung« bzw. »Zusammenstimmung« der »Ideen des Übersinnlichen« allein gewährleistete »Selbsterhaltung der Vernunft« und die ihr immanente »Verfassung« legen freilich die Erinnerung daran nahe, dass bemerkenswerterweise schon der frühe Kant diese »Selbsterhaltung der Vernunft« ausdrücklich als »Fundament des Vernunftglaubens« geltend gemacht hat45. So zeigt sich aber auch, dass »endliche Vernunft« in dieser »Zusammenstimmung« der Ideen des »Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns« sich selbst auch auf eine Weise »erhält« und affirmiert, die über die »moralische Teleologie« der »Ethikotheologie« noch hinausweist. Die in dieser »Zweckverbindung der Vernunftideen« sich manifestierende »teleologische Verfassung« ist demzufolge offenbar selbst als »teleologisch« verankert zu begreifen und führt so mit Blick auf den »Endzweck der Vernunft« »unausbleiblich« noch auf weitere Fragen. So unzweifelhaft nach Kant die »moralisch-teleologische« Vollkommenheit »auf den Menschen selbst ursprünglich gegründet sein muss« (20:306), so unübersehbar ist jedoch auch die Beschaffenheit, dass diese sich darin zeigende »gewisse Organisation der reinen praktischen Vernunft« (20:310) als solche vorausgesetzt ist, d. h., diese zwar »hervorbringt« (»realisiert«), gleichwohl nicht »generiert«. Dies mag noch einmal verdeutlichen: Dass die Ideen »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit« von der Vernunft »geschaffene« sind, d. h., menschliche Vernunft sich selbst allein in ihnen »ergreift«, sich also in ihrer »Zweckverbindung« verwirklicht bzw. erhält – zumal diese »durch reine Vernunft geschaffenen Ideen« erst über die moralischpraktische Vernunft »objektive Realität« (dies bedeutet hier gleichermaßen: »Sachals »Glaubenssache« geltend gemacht, sondern lediglich die darauf abzielenden Bedingungen. Ähnliche Unschärfen, die dann auch die genaue Bestimmung des Status der Hoffnung und des Glaubens betreffen, sind in diesen späten Texten nicht zu übersehen. 44 Im opus postumum heißt es »Transsc. Philos. ist die reine Philosophie (weder mit empirischen noch mathematischen vermengt) in einem System der Ideen der speculativen und moralisch//practischen Vernunft in so fern dieses ein unbedingtes Ganze ausmacht« (21:77); »Transsc. Philos. ist das System der Ideen in einem absol. Ganzen« (21:80). 45  Refl. 2446, 16:371 f.



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haltigkeit« und »Wirklichkeit«) erhalten46 –, dies zielt zwar primär darauf ab, dass menschliche Vernunft sich allein in ihnen »setzt«. In solchem »Schaffen« ihrer Ideen realisiert endliche Vernunft sich indes auf eine Weise, dass sie sich dergestalt selbst zugleich als eine ver- und gefügte erweist; sofern sie sich sowohl bezüglich ihres »Dass« als auch ihres »Was« gewissermaßen als vorausgesetzt erfährt, bleibt sie sich hinsichtlich ihrer internen Verfassung und ihrer »Realität« selbst jedoch unverfügbar. Wenn, wie erwähnt, nach Kant die Vernunft als »Vermögen der Prinzipien« (und deren »Ordnung«) ihr eigenes Interesse »sich selbst« bestimmt (05:119 f.), dann setzt sie sich – gerade auch in solchem »Interesse an sich selbst« – selbst in diesem Prinzipien-Status voraus, begreift sich somit auch in ihrer Wirklichkeit als »unbegreiflich« und ihre Prinzipien selbst als »prinzipiiert« durch ein unbedingtes »principium, quod non est principiatum« (20:287). Folglich muss auch dieser selbst in dem »moralisch« begründeten »Sinn des Unbedingten« verankerte, jedoch erst durch das gesamte »Gefüge« dieser Ideen eröffnete und entfaltete Vernunft-Horizont (s. dazu o., S. 140) in dieser zweifachen Hinsicht (seiner »Faktizität« und inneren Verfassung«) »unbegreiflich« bleiben.47 Ein wenig genauer betrachtet wird so – im Ausgang von jener Idee der »moralischen Teleologie« und in Einbeziehung dieser erweiterten Motivkonstellationen der späten Preisschrift – eine bemerkenswerte Stufung nachvollziehbar: Zunächst geht zwar auch die in der späten Preisschrift bestimmende Begründungsfigur von der in der Idee des »höchsten Gutes« gedachten »Zweckmäßigkeit« aus, d. h. von der »harmonisch zusammenstimmenden« Einheit von »Moralität und Glückseligkeit« als dem darin gemäß der Idee der »moralischen Welt« bestimmten »höchsten Weltbesten« (05:451), das in der Idee des »Endzwecks der Schöpfung« begründet ist. Der »ethikotheologisch« ausgewiesene »Endzweck der praktischen Vernunft« und der ihn ermöglichende »Endzweck der Schöpfung« werden also selbst durch jene – als »Gefüge« der »Ideen des Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns« gedachte – »innere Zweckverbindung« fundiert. Folglich sind hier beide Ebenen einer »Zweckmäßigkeit« zu unterscheiden und gleichermaßen aufeinander zu beziehen. Des Weiteren, so soll sich zeigen, führt jene zwar den »Endzweck der praktischen Vernunft« ermöglichende »Zweckverbindung der Ideen des Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns« nun – gemäß solcher Stufung – über diese erweiterte »moralische Teleologie« konsequenterweise noch auf die Frage nach deren »zureichendem Grund«, d. h. auf die »ratio essendi« dieser »teleologischen Verfassung der menschlichen Vernunft«, worin diese sich selbst »erhält« (s. u. 4.). So bestä46  21:91 f. Kant selbst begünstigt offenbar ein Missverständnis, wenn er diese »durch reine Vernunft geschaffenen Ideen« auch als »von uns willkürlich gemacht« bezeichnet, sofern sie »nicht von den Objekten abgeleitet sind« (20:300); indes, dies ist bei Vernunftideen (erstens) ohnedies nicht der Fall und (zweitens) verdeckt diese Bezeichnung »willkürlich« den diese »Vernunftideen« auszeichnenden »Nötigungscharakter«. 47  Auch in diesem Sinne wäre eine frühere (obgleich nur beiläufig geäußerte) Bemerkung Kants zu verstehen: »In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt« (04:349 Anm.).

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tigt sich: Obgleich diese »Zweckverbindung« der Vernunftideen als Ermöglichungsgrund des »höchsten Guts« als des »Endzwecks der praktischen Vernunft« gedacht werden muss, verweist diese reale Einheit und »Zweckverbindung der Vernunftideen« also selbst – im Sinne einer gestuften Weiterführung der Idee einer »transzendentalen Zweckmäßigkeit« – auf die Frage nach ihrem Ermöglichungsgrund. Damit gelangt diese von Kant auch sogenannte »Vernunftforschung« (20:265) innerhalb dieses »dritten Stadiums der Meta­phy­sik« nicht allein an die Grenzen der Verstandeserkenntnis, d. i. der Erfahrungsgrenzen, vielmehr stößt sie so an die ihr selbst immanenten Grenzen und ist, in grenzbegrifflicher Behutsamkeit, gleichermaßen »genötigt«, sich auch »auf dieser Grenze zu halten«. Denn nur in solchem »Sich-auf-der-Grenze-Halten« erhält sie sich selbst »an den Grenzen« derselben und widersteht so auch allen – buchstäblich – darüber hinausgehenden Versuchungen einer Grenz-Überschreitung. Nur so bleibt sie in solcher »Erfahrung«, eben als »endliche Vernunft«, auch vor jener zwiefachen »Vermessenheit« bewahrt, die nach Kant bekanntlich »das Längenmaß der Kräfte« verkennt (05:383 Anm.) bzw. eine grenzbegrifflich sensible »docta ignorantia« – nicht weniger »vermessen« – in eine unkritisch-dogmatistische Leugnung des »jenseits der Grenze« verkehren müsste.

3.1.1 Die der »Zweckverbindung« der Vernunftideen eingeschriebene »Weisheit«: die sich darin manifestierende besondere »Zweckmäßigkeit« Zu beachten bleibt überdies, dass in jener »Zweckverbindung der Vernunftideen« (und in der sich darin manifestierenden »Ordnung der Prinzipien«) auch wiederum die der »praktischen Bestimmung des Menschen weislich angemessene Proportion seiner Erkenntnisvermögen« (05:146) und somit »menschliche Weisheit« begründet ist, durch die der Mensch als »vernünftiges [aber] endliches Wesen« erst in »das System aller Zwecke passe« (03:531). Nicht zuletzt die darin zutage tretende »Affinität« macht so auch die Frage nach dem »zureichenden Grund« eben dieser menschlichen Weisheit – damit aber des hierfür konstitutiven »Nicht-Wissens«! – unumgänglich und verschärft so noch einmal jenen Begründungsanspruch. So wäre nun auch das in Kants erwähntem Rekurs auf die »der praktischen Bestimmung des Menschen weislich angemessene Proportion seiner Erkenntnisvermögen« ausdrücklich geltend gemachte Motiv in diesem Kontext aufzunehmen: »Also möchte es auch hier wohl damit seine Richtigkeit haben, was uns das Studium der Natur und des Menschen sonst hinreichend lehrt, dass die unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren, nicht minder verehrungswürdig ist, in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zu teil werden ließ« (05:148). Solche die »ganze Bestimmung des Menschen« und das Ganze der »moralischen Lebensgeschichte jedes Menschen« (06:143) betreffende Auskunft bezieht sich so nicht zuletzt auf diese im »System der Postulate« sich widerspiegelnde »Weisheit«. Darin fände auch der mit dem »zweckmäßigen Vernunftgebrauch« konvergierende Gedanke eine nochmalige Bestätigung, dem zufolge »die letzte Absicht der weislich uns versorgenden Natur,



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bei der Einrichtung [!] unserer Vernunft, eigentlich nur aufs Moralische gestellet« ist (A 801 / B 829). Solcher Verweis auf den in der »Einrichtung unserer Vernunft« implizierten »teleologischen« Aspekt der »Weisheit« wäre demnach selbst über jenes Gefüge der »Zweckverbindung der Vernunftideen« vermittelt und sollte sodann auch für jene schon erwähnte »Erkenntnis« desselben »nach der Analogie« (20:280) Berücksichtigung finden, die gleichwohl als ein »praktisch-dogmatisches Erkenntnis« (20:296) anzuerkennen sei. Daran anschließend sei noch dies angemerkt: Wenn also die in jener »Zweckverbindung« der Vernunftideen und mit ihr auch die darin verankerte Weisheit sich selbst in der angezeigten Weise »entzogen« bleibt und dies durchaus auch dem Sinn-Anspruch der – endzweck-orientierten – »menschlichen Weisheit« entspricht, so bleibt ebenso daran zu erinnern, dass solche »Entzogenheit« nach Kant offenbar selbst einen ganz besonderen – der Idee der »moralischen Teleologie« integrierten – Aspekt der »Zweckmäßigkeit« ausmacht, der als solcher selbst in jener »Zweckverbindung der Vernunftideen« enthalten ist. Demzufolge wäre also auch noch die in dieser »Zusammenstimmung« sich manifestierende »Weisheit« als »Reflexe des Übersinnlichen außer uns«, d. h. als eines »weisen Welturhebers«, anzusehen. Dieser nicht zu vernachlässigende Aspekt sollte auch den Zusammenhang zwischen der Idee der »menschlichen Weisheit« und der Idee des »weisen Welt­urhebers« im Sinne der von Kant wiederholt geltend gemachten zweckmäßigen »Zusammenstimmung« gemäß seiner kritischen Analogie-Konzeption noch vertiefen. Daraus ergibt sich: Infolge dieser gestuften Begründung verlangen eben nicht nur jener »Endzweck der praktischen Vernunft« und der ihn ermöglichende »Endzweck der Schöpfung« nach einer Letztbegründung. Denn nicht allein die »moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur« wären als der unaufgebbare ethikotheologische »terminus a quo« der Bestimmung der Gottesfrage zu begreifen; vielmehr sind es die als Ermöglichungsgrund beider gedachte – als solche gleichwohl aus sich »unbegreifliche« – »Zweckverbindung der Ideen« und auch die darin verankerte »Weisheit«, die auf einen dieser »Zusammenstimmung« der »Vernunft­ideen« noch vorausliegenden und unverfügbar-unerforschlichen »Grund« derselben verweisen. Bevor dies noch näher beleuchtet werden soll, sei noch darauf hingewiesen: Ist eine Konsequenz daraus nicht dies, gemäß jener von Kant affirmierten Analogie zwischen »physischer« und »moralischer Teleologie« (20:307), Letztere auf die hier in den Vordergrund tretende »Zweckverbindung der Vernunftideen« zu übertragen, d. h. näherhin: auch die derart resultierende Idee einer (vielleicht so zu nennenden) »noologischen Teleologie« »analog« zu jener »moralischen Teleologie« zu denken – und stünde eben dies nicht zuletzt auch mit dem in der Preisschrift erwähnten Motiv der »Ehre Gottes« (als dem »Endzweck der Schöpfung«: 20:306) in engem Zusammenhang?48 Eine Erweiterung jenes »dritten Stadiums der Meta­phy­ sik« als desjenigen »der Theologie« wäre wohl die notwendige Folge daraus; und 48  Von hier aus wäre – was sich erneut schon aufgrund der zeitlichen Nähe nahelegt – auch wiederum ein motivlicher Zusammenhang zu jenen kantischen Überlegungen zum

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erst die systematische Explikation der inneren Verfassung dieser Idee einer »noologischen Teleologie« könnte dieses »dritte Stadium« gewissermaßen zum Abschluss und auch zur Vollendung bringen. Dies müsste freilich auch bedeuten, dass die (schon in Kants Abhandlung »Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie« vorgenommene) Bezugnahme auf die »Angemessenheit der obersten Weltursache zu einem Ganzen aller Zwecke als Wirkung« (08:183) auch die Rücksicht auf diese »Zweckverbindung« nicht ausgeblendet lassen kann, obgleich eben dies eine besondere kritische Behutsamkeit für die darin zweifellos unumgängliche »Brechung« erfordert. Die »unbegreifliche Wirklichkeit« dieses »gefügten Gefüges« der »Vernunftideen« und die darin zutage tretende »Zweckmäßigkeit« gemäß der »moralischen Teleologie«, die in dem diesen »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« eröffnenden »dritten Stadium« der Meta­phy­sik gewissermaßen erst zu sich kommt, wäre als Basis einer zwar »ethikotheologisch« begründeten und näherhin »noo-theologisch« verfassten Konzeption zu verstehen, die, im Sinne des späten kantischen »Analogie«-Motivs (vgl. 08:399), jene vernunftkritisch errichteten »Haltesignale« dabei natürlich keinesfalls ignorieren kann. Davon soll im Folgenden wenigstens kurz die Rede sein.

4. Eine »noo-theologische« Ergänzung der »Ethikotheologie« im Ausgang von diesem »dritten Stadium der Meta­phy­sik«? Die gebotene Rücksicht darauf, dass in dieser »Zweckverbindung der Vernunftideen« auch der »zweckmäßige Gebrauch der Vernunft« verankert und darin wiederum »menschliche Weisheit« begründet ist, die sich in der angezeigten »Vernunftverfassung« widerspiegelt bzw. durch diese konstituiert ist, erlaubt bzw. verlangt somit eine besondere Akzentuierung: Denn weder die in jener »Zusammenstimmung« der »Vernunftideen« – und in der »weislich angemessenen Proportion seiner Erkenntnisvermögen« – sich spiegelnden »teleologische« »Grundverfassung der Vernunft« und deren »Interesse an sich selbst« noch ihr daran geknüpfter Geltungsanspruch sind aus sich selbst zu begründen und bleiben so in ihrer »Wirklichkeit« »unbegreiflich«; beide Aspekte (die so selbst als »ratio cognoscendi« fungieren) verweisen so »unausbleiblich« auf die Frage nach der »ratio essendi« derselben. Wenn die unauflösliche, d. h. aber auch: in ihrer inneren Zuordnung unumkehrbare Verknüpfung der Vernunftideen des »Übersinnlichen« in der angezeigten Weise eine teleologische Verfassung ans Licht bringt und überdies die Rückfrage nach dem »unerforschlichen Grund« (06:138) derselben verlangt, so ist eine Folge daraus offensichtlich diese: Ist die Ethikotheologie »der Versuch, aus dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur […] auf jene Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen« (05:436), so weist die angezeigte – gegenüber den »physikotheologi»Zweck der Schöpfung« herzustellen, die sich in der »Vorrede« zur ersten Auflage der Reli­ gionsschrift finden.



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schen« bzw. »ethikotheologischen Perspektiven vielleicht als »noo-theologisch« zu bezeichnende – Begründungsfigur nunmehr darauf hin, aus solcher »Zweckverbindung« (und der ihr eingeschriebenen »Weisheit«) sodann auf deren »Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen«; ohnedies resultiert erst daraus die symbolische Bestimmung der »Idee von Gott« als »weisem Welturheber«, ohne in solcher kritischen Analogie-Konzeption jedoch den grenzbegrifflichen Status des »Gegenstands in der Idee« wiederum zu unterlaufen. Es spricht demnach einiges dafür, dass auf solche Weise noch eine letzte Steigerung dieser gestuften Idee einer »Teleologie« bzw. der »transzendentalen Zweck­ mäßigkeit« ins Blickfeld rückt, die derart auch die ethikotheologische Gottesidee nicht nur ergänzt, sondern in gewisser Hinsicht auch notwendig über sie hinausweist. Die über die kosmologische, physikotheologische und auch ethikotheologische Begründungsfigur gehende Stufenfolge führt über die von Kant betonte »Zweckverbindung der Ideen«, in der sich menschliche Vernunft »realisiert«, zuletzt noch auf die – von Kant wiederholt angeführte – Frage nach dem »Grund aller Realitäten«, worin also auch noch diese »Zweckverbindung« selbst als mitenthalten zu begreifen wäre. Ungeachtet jenes »Sich-entzogen-Seins« ist die – in grenzbegrifflicher Behutsamkeit – darüber »hinaussehende« Vernunft »unausbleiblich« auf den Gedanken eines »Grundes« verwiesen; dieser nötigt so zu einer noch radikaleren Fassung der von Kant ausdrücklich erhobenen metaphysischen Frage nach dem »Grund aller Realitäten«, der sich gewissermaßen als noch »gründlicher« erweisen muss; gleichwohl bleibt auch dies diesem als »Theologie« bezeichneten »dritten Stadium der neueren Meta­phy­sik« zugehörig – und doch auf eine Weise, dass in Absehung davon jedenfalls auch die »praktisch-dogmatische Vollendung« des Weges der Meta­phy­sik und somit » die Gelangung der Meta­phy­sik zu ihrem Endzwecke« (20:281) nicht zu erreichen ist. Demnach liegt es nahe, die darin berührte Idee eines »Grundes aller Realitäten« auch auf die »Zweckverbindung der Vernunftideen« auszudehnen, in der »endliche Vernunft« sich selbst erhält. Die in dieser Begründungsfigur zutage tretende »transzendentale Zweckmäßigkeit« führt so noch eine letzte »Steigerung« vor Augen, die sich so für diese gestufte Idee einer »Teleologie« auch als bestimmend erweist: Stellt doch jene im »archimedischen Punkt« der Freiheit verankerte »Zweckverbindung« jener »Ideen des Übersinnlichen« – die ihrerseits den »Endzweck der reinen praktischen Vernunft« erst als denkbar ausweisen soll – selbst die Basis dar für die Vermittlung und die Bestimmung des »Begriffs der Gottheit« (als »ratio essendi« jener »Zweckverbindung« und der darin gründenden »Weisheit«), der nunmehr gemäß dieser besonderen abschließenden »transzendentalen Stufung« zu bestimmen wäre. Im Blick auf diese in Kants Preisschrift zutage tretenden Problemkonstellationen liegt jedoch auch eine Einbindung einiger Motive aus Kants spätem Aufsatz Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie besonders nahe. Dies erweist sich auch bezüglich der hier im Vordergrund stehenden Leitthemen der Preisschrift als sehr aufschlussreich, zumal sie sich thematisch in einer zweifachen Hinsicht einfügen und eine bedeutsame sachliche Bereicherung darstellen.

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4.1 Kants späte Kennzeichnung des »Übersinnlichen in uns« als »Reflex« des »Übersinnlichen außer uns« im Lichte jener »Zweckverbindung« der »Vernunftideen« In diesem späten Aufsatz Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie hat Kant gegenüber vermessenen philosophisch-theologischen Ansprüchen zeitgenössischer neuplatonisierender Tendenzen in kritischer Anlehnung an das platonische »Sonnengleichnis« dies geltend gemacht: »Zwar in die Sonne (das Übersinnliche) hinein sehen, ohne zu erblinden, ist nicht möglich; aber sie in der Reflexe (der die Seele moralisch erleuchtenden Vernunft), und selbst in praktischer Absicht hinreichend, zu sehen, wie der ältere Platon tat, ist ganz tunlich« (08:399). Diese »die Seele moralisch erleuchtende Vernunft« ist – als »Reflexe« des »Übersinnlichen außer uns« – nichts anderes als jene unbegreifliche Faktizität der »bedingten Unbedingtheit« in der »entschleierten Gestalt« des »moralischen Gesetzes«, dessen »Reflexe«-Charakter das Denken im Sinne jener kantischen Variation des platonischen »Sonnengleichnisses« auf seinen »für uns unerforschlichen Grund« verweist.

4.1.1 Eine naheliegende Erweiterung dieser »Reflexe« auf die ganze »Zweckverbindung der Vernunftideen«? Näherhin besagt dies in gebotener Berücksichtigung eines bedeutsamen Aspekts der ungefähr zeitgleich mit der Preisschrift verfassten kantischen Religionsschrift: Wenn das im Anspruch des »moralischen Gesetzes« offenbare »Übersinnliche in uns« jene »Zweckverbindung« der Vernunftideen und ihrer »Zusammenstimmung« als ein »gefügtes Gefüge« fundiert, so wäre es doch lediglich konsequent, von dem »archimedischen Punkt« des »Übersinnlichen in uns« aus diese »Reflexe« sodann auf diese ganze »Zweckverbindung« überhaupt auszudehnen, d. h., eben diese ganze »gewisse Organisation der reinen praktischen Vernunft« (20:310) selbst als solche »Reflexe« zu begreifen, die allein auch einen der »Ordnung der Prinzipien« genügenden »praktisch-dogmatischen Überschritt zum Übersinnlichen« zu legitimieren vermögen.49 Jenes ganze – notwendig im »archimedischen Punkt« der Freiheit verankerte – Gefüge der »Zusammenstimmung« der »Ideen des Übersinnlichen« wäre demnach als jene »Reflexe« anzusehen, die so (im Sinne jener zuvor benannten kritischen Analogie-Figur) »verweisend« auf ihren Grund und »Abgrund« 49  Diesbezüglich wäre wohl vor allem von jener Anmerkung der Religionsschrift über die unbegreifliche Wirklichkeit des »moralisch schlechthin gebietenden Gesetzes« auszugehen: »Wäre dieses Gesetz nicht in uns gegeben, wir würden es, als ein solches, durch keine Vernunft herausklügeln, oder der Willkür anschwatzen: und doch ist dieses Gesetz das einzige, was uns der Unabhängigkeit unsrer Willkür von der Bestimmung durch alle andern Trieb­ federn (unsrer Freiheit) und hiemit zugleich der Zurechnungsfähigkeit aller Handlungen bewußt macht.« (06:26).



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hin notwendig zu denken geben. Findet diese mögliche bzw. notwendige Ausdehnung jenes »Reflexe-Motivs« auf das Zueinander jener Ideen des »Übersinnlichen« ihre sachlich angemessene Berücksichtigung, so sind mit Blick auf jene angezeigte »Zweckverbindung der Vernunftideen« in der Preisschrift jedoch weitere Fragen wohl unabweislich, die eine weiterführende Problemvertiefung nach sich ziehen. Daran anknüpfend bleibt zunächst jene als »noo-theologisch« charakterisierte Verankerung der »Zweckverbindung der Ideen des Übersinnlichen« und die daran geknüpfte Frage nach dem Grund dieser »Vernunftform« (und somit der Rekurs auf die kritische kantische Idee eines »weisen Welturhebers«) mit einer ebenfalls vom späten Kant vorgestellten Argumentationsfigur zu verbinden, die er in einer auch diesbezüglich denkwürdigen Weise in seiner noch späteren Schrift Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton … geltend gemacht hat. Auch darin hat er erneut den für die Bestimmung des »ens realissimum« entscheidenden Unterschied zwischen »Inbegriff« und »Grund aller Realitäten« betont:50 Mache ich mir aber vom ens realissimum den Begriff als Grund aller Realität, so sage ich: Gott ist das Wesen, welches den Grund alles dessen in der Welt enthält, wozu wir Menschen einen Verstand anzunehmen nötig haben (z. B. alles Zweckmäßigen in derselben); er ist das Wesen, von welchem das Dasein aller Weltwesen seinen Ursprung hat, nicht aus der Notwendigkeit seiner Natur […], sondern nach einem Verhältnisse, wozu wir Menschen einen freien Willen [bzw. Vernunft] annehmen müssen, um uns die Möglichkeit desselben verständlich zu machen. Hier kann uns nun, was die Natur des höchsten Wesens (objektiv) sei, ganz unerforschlich und ganz außer der Sphäre aller uns möglichen theoretischen Erkenntnis gesetzt sein, und doch (subjektiv) diesen Begriffen Realität in praktischer Rücksicht (auf den Lebenswandel) übrig bleiben; in Beziehung auf welche auch allein eine Analogie des göttlichen Verstandes und Willens mit dem des Menschen und dessen praktischer Vernunft angenommen werden kann, ungeachtet theoretisch betrachtet dazwischen gar keine Analogie Statt findet. Aus dem moralischen Gesetz, welches uns unsere eigene Vernunft mit Autorität vorschreibt, nicht aus der Theorie der Natur der Dinge an sich selbst, geht nun der Begriff von Gott hervor, welchen uns selbst zu machen die praktische reine Vernunft nötigt (08:399 Anm.). Eben dies verweise auf die unverzichtbare Idee eines »verständigen Wesens, als eines von der Welt wesentlich [!] unterschiedenen Urgrundes aller Dinge« (20:305), 50  Diese Unterscheidung hatte Kant auch im Kontext seiner Preisschrift (20:342) vor Augen: »Von Bestimmung des Begriffs von Gott nicht als Inbegriff, sondern Grund aller Realität, sonst ist es Anthropomorphism«. »Ich brauche ihm [dem Begriff des »ens realissimi«] alsdann nicht Verstand (aber nicht wie der unsrige) und Willen zuerteilen, sondern es ist der Grund alles dessen, was wir nicht anders als durch Verstand möglich denken und so auch vom Willen« (20:324); vgl. dazu die einschlägigen Ausführungen in dem noch späteren Aufsatz Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton …: 08:387 ff.

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den noch der späte Kant – in einer durch den »symbolischen Anthropomorphismus« »gebrochenen« Form – für seine Konzeption des »moralischen Theismus« beansprucht hat51 und für den als solchen die Bestimmungen des »allein Heilige[n]«, des »allein Selige[n]«, des »allein Weise[n]« unverzichtbar sind, »weil diese Begriffe schon die Uneingeschränktheit bei sich führen« (05:131). Von solchem »Grund« – gleichermaßen »Abgrund« der und für die Vernunft – ist, entsprechend jener schon wiederholt angezeigten späten kantischen Argumentation, freilich nur »ex negativo« zu sagen, dass das Denken derart auf die Idee eines »Wesens« verwiesen wird, welches, allerdings »nicht aus der Notwendigkeit seiner Natur (per emanationem)«, »den Grund alles dessen in der Welt enthält, wozu wir Menschen Weisheit anzunehmen nötig haben« (so in Abwandlung eines schon wiederholt angeführten kantischen Argumentes),52 wie der späte Kant selbst in kritischer Bezugnahme auf die Begründungsfigur der »Analogie« ausdrücklich geltend gemacht hat. In einem notwendigen weiteren Schritt wäre sonach die (direkt von Leibniz übernommene) – das »religiöse Verhältnis« erst fundierende – Kennzeichnung desselben als »Urquell alles Guten in der Welt, als sein Endzweck« (20:298) bzw. als »weiser Welturheber« als eine »symbolische Darstellung« desselben anzusehen und als eine solche auch erst zu legitimieren. Diese Idee müsste demzufolge auch den »Grund« jenes »Vernunfthorizonts« enthalten, der durch jenes Gefüge der »Vernunftideen« eröffnet ist und in der »Geschichte der Vernunft« zur Entfaltung kommt – und erst darin wäre im Grunde die im »dritten Stadium« (als »das der Theologie«: 20:281) intendierte »Vollendung der Meta­phy­sik« und ihres »Endzwecks« eingeholt. Zu unterscheiden und zu verknüpfen wäre zuletzt also dies: In jenem »gefügten Gefüge« der Vernunftideen und ihrer »inneren Organisation« »realisiert« und »erhält« menschliche Vernunft sich selbst und erfährt sich darin, wie gezeigt, »reflexiv« als eine solche, die gerade in solcher »Selbsterhaltung« nicht über sich selbst verfügt; gleichwohl dürfen diese Erfahrung des »Nicht-Verfügens« als »Verfügtheit«, »Fügung« sowie die Frage nach ihrem »Grund« nicht einfachhin ins Affirmative gewendet werden, weil dies eine kritisch bleibende »negative Theologie« nach wie vor strikt verbieten muss. Jedoch bleibt einer kritischen »Analogie«-Konzeption zufolge zu bedenken: Beide genannten Aspekte – d. h. die im und als »Gefüge« sich vollziehende »Selbsterhaltung der Vernunft« und das darin zugleich innegewordene Nicht-Verfügen über sich selbst – sind verankert in der späten kantischen Bestimmung Gottes als jenem »Wesen«, das (allerdings »nicht aus der Notwendigkeit seiner Natur [per emanationem]«) »den Grund aller Realität« enthält und somit von diesem »Grund« selbst noch einmal unterschieden bleibt. Demgemäß wäre auch jene »theologische Idee« zuletzt als jenes – im »dritten Stadium« auszuweisende –

51  Vgl.

dazu auch die – dazu ebenfalls zeitnahe – Reflexion 6317a, 18:629 f. diesem Sinne wäre hier ein schon wiederholt angeführtes kantisches Argument zu variieren: 08:399 Anm. 52  In



Das »dritte Stadium« der neueren Metaphysik in Kants später Preisschrift 153

»Wesen« zu denken, das den »Grund« des in dieser »Zweckverbindung« sich manifestierenden »Zusammenstimmens« jener Ideen enthält53. Gewiss, Kant hat diese Konsequenzen in seinen Entwürfen zur späten Preisschrift selbst nicht (mehr) gezogen. Sie hätten es wohl auch unumgänglich gemacht, die darin vorgenommene Charakterisierung der »Theologie« (als des »dritten Stadiums« der »Fortschritte der Meta­phy­sik in der neueren Zeit«) bzw. der »theologischen Idee« in inhaltlicher Hinsicht in entsprechender Weise zu modifizieren. Dessen ungeachtet verdienen m. E. die an seine Ethikotheologie anschließende Idee der »Zweckverbindung der Vernunftideen«, die von der differenzierten Idee einer »teleologia rationis humanae« ihren Ausgang nimmt, und die darauf gestützte »nootheologische« Begründungsfigur nicht zuletzt in einer systematischen Hinsicht besonderes Interesse. Die voranstehend skizzierten Motive der noch späteren Abhandlung Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie fügen sich in jene dargelegten Problemkonstellationen der Preisschrift nicht nur ein, sondern bereichern diese noch in entscheidender Hinsicht.

4.2 Die Frage nach dem Ermöglichungsgrund der sich in dieser inneren »Zweckverbindung« der »Vernunftideen« manifestierenden »Vernunftform« Es hat sich gezeigt: Jener Sachverhalt, dass erst im »Zusammenschluss« jener »Vernunftideen« die »Selbsterhaltung der Vernunft« sich realisiert, kann in der Folge auch den ethikotheologisch-»teleologischen« Status der Gottesidee nicht unberührt lassen. Vielmehr erweitert sich auf solche Weise die ethikotheologisch orientierte Frage zu derjenigen nach dem Grund dieser »Zweckverbindung« und verschärft derart auch die Mahnung Kants, »den Begriff von einer Gottheit« nicht leichtfertig zu verschwenden (05:438). Wird also in diesem Gefüge der Vernunftideen genauer besehen der endzweck-orientierte Vernunft-Horizont des »endlichen Vernunft­ wesens« bestimmt, so erweist sich damit eben auch die Frage nach dem Grund des in jenem »gefügten Gefüge« sich entfaltenden Sinnhorizontes als unumgänglich. Sie zielt somit auf den hinreichenden »Grund« der sich in dieser »Zweckverbindung der Ideen des Übersinnlichen« manifestierenden »Vernunftform«. Wohl auch in diesem Sinne darf es verstanden werden, wenn Kant zunächst auf jene Ideen des »Übersinnlichen« als das Gefüge der »Momente der praktisch-dogmatischen Erkenntnis des Übersinnlichen« (20:295) verweist und später – näherhin im Kontext seines »Ehre-Gottes«-Motivs – darauf rekurriert, »dass in der wirklichen Welt eine solche Zweckverbindung sei, die im ganzen genommen, das höchste in der Welt 53 Lediglich als ein klärungsbedürftiges Problem sei hier auch benannt, dass die Vermittlung jenes absolut »grenzbegrifflich« gedachten »Gegenstands in der Realität« mit Kants Bezugnahme auf Gott als das »Wesen«, »das den Grund aller Realitäten« enthält, sodann wohl auch im Ausblick auf jene schwierigen – und auch widersprüchlichen – Bestimmungen im opus postumum (zum »System der Ideen«) erfolgen müsste.

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mögliche Gut, mithin die teleologische oberste Bedingung des Daseins derselben enthalte, und einer Gottheit, als moralischen Urhebers, würdig sei« (20:306). Diese »Zweckverbindung« manifestiert sich eben als jene oben erwähnte »Organisation der reinen praktischen Vernunft« als die innere »Verfassung der Vernunft« selbst. Damit gewinnt die in der Preisschrift maßgebende Idee der »Zweckverbindung« der »Ideen des Übersinnlichen« innerhalb dieses »dritten Stadiums der Meta­phy­sik« und mit Blick auf den Zielpunkt eines »Endzwecks der Meta­phy­sik« in systematischer Hinsicht noch einen besonderen Stellenwert. Die diese Idee der moralischen »Teleologie« ergänzende – nicht: ersetzende – »nootheologische« Perspektive wäre demnach in analoger Weise so zu bestimmen, dass in der sich in dieser Vernunftverfassung widerspiegelnden »Zweckverbindung« (der sie auszeichnenden »Zusammenstimmung«) nun auch der Versuch begründet wäre, auf jene »oberste Ursache der Welt« und ihre »Eigenschaften zu schließen«. In der so eröffneten Frage nach dem »unerforschlichen« Grund dieser »Zusammenstimmung« der »Vernunftideen des Übersinnlichen« bleibt freilich besonders darauf zu achten, dass in diesem als »Zweckverbindung« erkennbaren Gefüge eben auch die Idee des »Übersinnlichen außer uns« selbst als ein mit den anderen »Ideen« verbundenes »Moment« integriert ist. Ausgehend von jenem »Endzweck der praktischen Vernunft« offenbart sich in der Frage nach dessen Ermöglichungsgrund diese »Zweckverbindung« selbst als das »System der Voraussetzungen in notwendig praktischer Rücksicht« – ein »Zusammenstimmen«, in dem menschliche Vernunft sich selbst erhält und auf eine andere »teleologische« Begründung bzw. ein »transzendentales Substratum« verweist. Lediglich eine Konsequenz daraus wäre dann wohl dies: Jene in der Preisschrift in Bezug auf den »moralischen Beweis« eingeräumte Befugnis (s. o., s. 134 f.), »einer Idee [d. i. Gottes], die er, moralischen Prinzipien gemäß, sich selbst macht, gleich als ob er sie von einem gegebenen Gegenstande hergenommen, auf seine Entschließungen Einfluss zu verstatten« (20:305), wäre demnach auch in diesem erweiterten Kontext aufzunehmen, d. h., nunmehr auf den Grund jener »Zweckverbindung des Ideen des Übersinnlichen« auszudehnen, der so als vorausgesetzt – gesetzt als nicht gesetzt – zu denken wäre. Die von dieser »noo-theologischen« Perspektive ausgehende Ausschau nach einem »theoretischen Begriff von der Quelle« – »Urquell alles Guten in der Welt, als sein Endzweck« (20:298) – erschöpft sich demnach nicht in dem Ursprung des »praktischen Endzwecks«; dieser wäre so vielmehr über jene »Zweckverbindung der Vernunftideen« vermittelt und sollte gleichermaßen eine »Erkenntnis« desselben »nach der Analogie« ermöglichen, die als ein »praktisch-dogmatisches Erkennen« (20:297) gelten soll. Begründet ist ein solcher Rekurs auf diesen neuerlichen – grenzbegrifflich thematisierten – »Abgrund« eben in dem Sachverhalt, dass sowohl in der Vernunftidee des »Endzwecks der reinen praktischen Vernunft« als auch in dem ihn erst ermöglichenden »Gefüge« jener »selbstgemachten Vernunftideen« die Vernunft in der »Zweckverbindung« der Ideen des »Übersinnlichen in uns, über uns und nach uns« sich selbst zwar notwendig »realisiert« (»schafft«) und darin als »endliche Vernunft« sich selbst »erhält«; gleichwohl vermag sie sich »dergestalt«,



Das »dritte Stadium« der neueren Metaphysik in Kants später Preisschrift 155

wie schon dargelegt, keineswegs aus sich selbst zu begründen, d. h., sie bleibt sich selbst in solcher Nötigung in eigentümlicher Weise entzogen; sie wird so – als »endliche Vernunft« – »gewissermaßen über sich »hinaus«- besser wohl: »hinter sich zurückgezogen« – und eben dies verweist so das Denken auf einen neuen »Abgrund für die menschliche Vernunft«. Als »Geheimnis« »viel zu denken« geben somit nicht nur der »unerforschliche Grund« der Freiheit (06:138), sondern erst recht derjenige der in dieser Einheit des »Übersinnlichen in uns« begründeten »Zweckverbindung« der »Vernunftideen« überhaupt. Anders noch: Das ganze Gefüge der »Vernunftideen« wäre es somit, das in seiner – gleichsam horizont-eröffnenden – internen Verfassung über sich selbst hinaus-, besser: in ihren »unerforschlichen« Grund zurückverweist und so über die Ethikotheologie hinaus – grenzbegrifflich – eine »nootheologische« Perspektive eröffnet, die wohl über jene schon erwähnte – in Kants Preisschrift bemerkenswerterweise – sogenannte »Theologie« noch hinausführt. Auch wenn sich für einen derartigen »noo-theologischen« Versuch bei Kant zwar keine expliziten Anhaltspunkte finden, so sind diesbezüglich gleichwohl jene sachlich naheliegenden Anknüpfungspunkte nicht zu übersehen, die es erlauben sollten, jenes Vorhaben eines »praktisch-dogmatischen Überschritts zum Übersinnlichen« in der angezeigten Weise noch weiterzuführen. Der damit verbundene kritische Anspruch bewahrt einerseits davor, unversehens erneut in das Fahrwasser einer »dogmatistischen Meta­phy­sik« zu geraten; andererseits könnte jenes als »Theologie« bezeichnete »dritte Stadium der Meta­phy­sik« auch erst in Einbeziehung dieser angezeigten weiterführenden Motive seinen Abschluss finden.

4.2.1 Anmerkung: Die Frage nach dem »Grund« dieser »Vernunftform« – im Blick auf Kants Verweis auf die in der Preisschrift angeführte Idee eines »einigen Gott[es], als den Urquell alles Guten in der Welt, als seinen Endzweck« (20:298) Resümierend lässt sich sagen: Vor diesem Hintergrund liegt es wohl nahe, diesen im Sinne einer »kritischen Analogie« geltend gemachten »Grund« jener »Zweckverbindung der Vernunftideen« sodann auch auf jene in Kants später Preisschrift selbst angeführte »symbolische« Idee eines »einigen Gott[es], als den Urquell alles Guten in der Welt, als sein Endzweck« (20:298) zu beziehen – und zwar näherhin in der zweifachen Hinsicht, dass darin dieser »Urquell« nun auch als zureichender Grund des »Dass« und des »Was« der in dieser »Zweckverbindung« zutage tretenden Verfassung zu bestimmen wäre – freilich wiederum im Sinne eines kritizistisch gebrochenen teleologischen »Als-ob«. Ein solches Vorhaben, nunmehr – in entsprechend analoger Weise (s. o., S. 145) – aus der in »ihrer Wirklichkeit unbegreiflichen« teleologischen Tiefenstruktur der menschlichen Vernunft, d. h. dieser besonderen »Zweckmäßigkeit«, auf jene »höchste Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen« (05:436), hätte so zwar alle anderen »ontotheologischen« und »moraltheologischen« Momente der »theologischen Idee« notwendig in sich »aufgehoben«; sie lenkt zu-

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letzt den so resultierenden »Abschlussgedanken« auf eine umgreifende Einheit von »Schul«- und »Weltbegriff der Philosophie« und somit auf die zu denkende Verbindung der Idee des »Ganzen aller Zwecke« (08:279) sowie des in der Philosophie unentbehrlichen »transzendentalen Begriffs« von Gott, als dem allerrealsten Wesen«. Die Idee der »moralischen Teleologie« führt der Preisschrift zufolge nicht nur – über die bei Kant zunächst maßgebende »negative Theologie« hinaus – auf jenen »theoretischen Begriff von der Quelle«, woraus der »Endzweck der reinen praktischen Vernunft« »entspringen kann« (20:294) – d. i. auf die postulatorisch verankerte Idee eines »weisen Welturhebers« bzw. eines »machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen« (06:6). Vielmehr wäre ein solcher »theoretischer Begriff von der Quelle« dahingehend weiterzuführen und gewissermaßen zu »radikalisieren«, dass dieser nun auch als »Grund« der in jener »Zweckverbindung« sich manifestierenden »Vernunftform« ausgewiesen werden kann. In dieser modifizierten Gestalt wäre auch, daran anschließend, das – zwar nicht aus beanspruchter »Einsicht«, aber doch in einem »Vernunftbedürfnis« begründete – Postulat des »Daseins Gottes« von daher zu bestimmen bzw. zu rechtfertigen als ein »theoretischer, als solcher aber nicht erweislicher Satz«, sofern er mit dieser unauflöslichen »Zweckverbindung« der »Vernunftideen« unzertrennlich verbunden ist. Die Frage: »Warum ist denn überhaupt Vernunft?« hätte demzufolge selbst ihren Ort innerhalb dieses, als »Theologie« bestimmten, »dritten Stadiums« der »neueren Meta­phy­sik«.

Literatur Hegel, G. W. F.: Werke in zwanzig Bänden (Theorie-Werkausgabe). Redaktion Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel. Frankfurt/M. 1971 ff. Henrich, Dieter: Zu Kants Begriff der Philosophie. Eine Edition und eine Fragestellung. – In: F. Kaulbach / J. Ritter (Hg.): Kritik und Meta­phy­sik. Berlin 1966, 40–59. Jacobi, F. H.: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke. Hamburg 2000 (Philosophische Bibliothek Band 517). Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (Bde I–XXII); von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Bd. 23); von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (ab Bd. 24). Berlin 1900 ff. Ludwig, Bernd: Kants langer Weg zu (s)einer consequent-kritischen Meta­phy­sik. – In diesem Band, 79–118. Mohr, Georg (Hg.): Immanuel Kant. Theoretische Philosophie. Texte und Kommentar. Bände 1–3. Frankfurt/M. 2004. Reinhold, C. L.: Briefe über die Kantische Philosophie. Bände 1 u. 2. – In: ders.: Gesammelte Schriften. Hg. v. M. Bondeli. Basel 2007 f.

Der Begriff der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik Mario Caimi

Die kritische Prüfung der reinen Vernunft hat bekanntermaßen das Ergebnis hervorgebracht, dass es keine Erkenntnis ohne die Zusammenarbeit von Sinnlichkeit und Verstand geben kann: »Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Gedanken ohne Inhalt sind leer« (A 51 / B 75). Das bedeutet, dass eine Erkenntnis des Übersinnlichen (also dessen, das jenseits der Reichweite der Sinnlichkeit liegt) nicht möglich ist. Nun ist Meta­phy­sik allerdings die Wissenschaft, die genau diese Erkenntnis des Übersinnlichen anstrebt. Daher hat man Kants kritisches Werk als Ankündigung des Endes der großen metaphysischen Systeme des 17. Jahrhunderts aufgefasst, die Wolff und Baumgarten kodifiziert haben. Jedoch scheint Kant in seiner Abhandlung über die Fortschritte der Meta­phy­sik anzudeuten, dass eine gewisse (wenn auch keine rein theoretische) Erkenntnis des Übersinnlichen doch möglich ist. Im genannten Werk entwickelt er, nach eigener Aussage, eine praktisch-dogmatische Meta­phy­sik. In vorliegender Arbeit werde ich versuchen, diesen Begriff der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik zu erklären. Meine Hypothese ist, dass es sich um einen völlig neuen Begriff handelt, dessen Möglichkeit von zwei Bedingungen abhängt: a) der vorangehenden Durchführung einer Kritik an der dogmatischen Meta­ phy­sik und b) der Entdeckung des Faktums der praktischen Vernunft. Dieser neue Meta­phy­sikbegriff lässt sich nicht mit dem einer praktischen Meta­phy­sik gleichsetzen. Es ist vielmehr der Begriff einer Meta­phy­sik, deren Themen und Erkenntnisansprüche sich mit denen der herkömm­lichen theoretischen Meta­phy­sik decken. Nur ihre Grundlage ist neu: Sie basiert auf dem Faktum der praktischen Vernunft. Somit sind ihre Ergebnisse keine rein theoretischen; sie sind eben etwas Neues, das wir noch nicht vollständig bestimmt haben. Diese neue Meta­phy­sik steht dem von Kant sogenannten »Weltbegriff« der Philosophie und somit der Weisheit nahe.

Zum Beweis der These Um die genannte These zu erhärten, muss zunächst eine zeitliche Entwicklung erfasst werden, die sich an den kantischen Texten belegen lässt. In den Prolegomena (1783) beschreibt Kant eine Meta­phy­sik, die noch nicht praktisch-dogmatisch ist, sondern eine immer noch rein theoretische Meta­phy­sik bleibt. In der Kritik der praktischen Vernunft (1786) begegnet uns dann ein neues, entscheidendes Element der neuen Meta­phy­sik, nämlich das Faktum der praktischen Vernunft. In den Fortschritten (circa 1793) wird dieses Element in die Meta­phy­sik eingefügt, die fortan

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als praktisch-dogmatische Meta­phy­sik bezeichnet wird. Diese drei Momente bilden die Struktur des vorliegenden Beitrags.

Erste Phase: die analogisch-dogmatische Meta­phy­sik Gegen 1783 entwirft Kant, nachdem er die metaphysischen Ansprüche der reinen Vernunft der Kritik unterzogen hat, ein Projekt der theoretischen Meta­phy­sik, das die kritischen Restriktionen der Möglichkeit der Erkenntnis beachtet. Die Möglichkeit einer wissenschaftlichen, rein theoretischen Meta­phy­sik wird darin auf drei Begriffe, den der Grenze, den der Analogie und den der relativen Annahme, aufgebaut.1 Erkenntnis lässt sich jetzt nur innerhalb der Grenzen der Erfahrung erreichen. Gerade in dieser Restriktion, also in (oder besser: auf) dieser Grenze der Möglichkeit der Erkenntnis liegt für die kritische Lehre die Möglichkeit und sogar die Notwendigkeit einer Meta­phy­sik, die sich so als ein notwendiger Bestandteil der kritischen Lehre erweist. Deswegen entwickelt Kant in den Prolegomena zuallererst den Begriff der Grenze. Eine Grenze setzt zwei Seiten voraus. Sie umschließt einerseits das Begrenzte, aber sie trennt es zugleich vom Anderen, nämlich von dem, was außerhalb der Grenze bleibt. In den Worten der Prolegomena: eine Grenze [ist] selbst etwas Positives […], welches sowohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als zum Raume, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt. (04:361)2 Die kritische Begrenzung der Erkenntnis beinhaltet somit einen Hinweis auf das, was außerhalb der Grenze der Erfahrung liegt. Sofern wir uns genau auf der Trennungslinie, d. h. auf der Grenze selbst, aufhalten, leisten wir dem strengen kritischen Gebot Folge, nach dem wir innerhalb des Gebiets bleiben müssen, das legitimer Weise erkannt werden kann. Kant erklärt das in den Prolegomena: Wenn wir mit dem Verbot, alle transscendente Urtheile der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit dem Anschein nach streitende Gebot, bis zu Begriffen, die außerhalb dem Felde des immanenten (empirischen) Gebrauchs liegen, hinauszugehen, verknüpfen: so werden wir inne, daß beide zusammen bestehen können, aber nur gerade auf der Grenze alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehört eben so wohl zum Felde der Erfahrung, als dem der Gedanken­ wesen […] (04:356 f.). 1  Siehe

dazu Hinske 1999. ist der Begriff der Schranke ein bloß negativer Begriff. Er schließt das Eingeschränkte in sich, ohne es auf etwas Äußeres zu beziehen (04:352). Knittermeyer hat bemerkt, dass der Begriff der Grenze nur in die Meta­phy­sik gehört und nicht in die Naturwissenschaft. Knittermeyer 1957/58, 299, Anm. 25. Für eine andere Deutung des Begriffs der Grenze siehe Rescher 1981, 315–317. 2 Dagegen



Der Begriff der praktisch-dogmatischen Metaphysik

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Da die Grenze zu beiden Seiten der Trennung gehört, so wird diejenige Erkenntnis legitim, welche ihren Platz innerhalb der Grenzen selbst hat: Da aber eine Grenze selbst etwas Positives ist, welches sowohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als zum Raume, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine wirkliche positive Erkenntniß, deren die Vernunft blos dadurch theilhaftig wird, daß sie sich bis zu dieser Grenze erweitert, so doch, daß sie nicht über diese Grenze hinaus zu gehen versucht. (04:361) Die Erkenntnis, die man in der Grenze der Erfahrung erreichen kann, ist die des Verhältnisses der Erfahrungswelt zum Feld des Unbedingten. Durch die Erkenntnis dieser Beziehung ist die Vernunft nicht länger innerhalb der Grenzen der Erfahrung eingesperrt. Trotzdem übertritt sie nicht die kritische Restriktion der Erkenntnis, wie man im Text der Prolegomena lesen kann: Aber die Begrenzung des Erfahrungsfeldes durch etwas, was ihr [d. i. der Vernunft; M. C.] sonst unbekannt ist, ist doch eine Erkenntniß, die der Vernunft in diesem Standpunkte noch übrig bleibt, dadurch sie nicht innerhalb der Sinnenwelt beschlossen, auch nicht außer derselben schwärmend, sondern so, wie es einer Kenntniß der Grenze zukommt, sich blos auf das Verhältniß desjenigen, was außerhalb derselben liegt, zu dem, was innerhalb enthalten ist, einschränkt. (04:361) Uns ist nur das eine Glied dieses Verhältnisses bekannt, nämlich der Boden (territo­ rium) der Erfahrung. Die Meta­phy­sik strebt an, das andere Glied des Verhältnisses, nämlich das Unbedingte, zu erkennen, zu dem der Boden der Erfahrung im Verhältnis steht. Vor allem aber gilt es, das Verhältnis selbst zu bestimmen. Das ist möglich, ohne die Grenzlinie zu verlassen, wie der Text der Prolegomena deutlich macht: nun frägt sich: wie verhält sich unsere Vernunft bei dieser Verknüpfung dessen, was wir kennen, mit dem, was wir nicht kennen und auch niemals kennen werden? Hier ist eine wirkliche Verknüpfung des Bekannten mit einem völlig Unbekannten (was es auch jederzeit bleiben wird), und wenn dabei das Unbekannte auch nicht im Mindesten bekannter werden sollte – wie denn das in der That auch nicht zu hoffen ist –, so muß doch der Begriff von dieser Verknüpfung bestimmt und zur Deutlichkeit gebracht werden können. (04:354) Hier tritt der Begriff der Analogie auf. Analogie ist die Identität eines Verhältnisses mit einem anderen, wenn auch die Glieder beider Verhältnisse sehr voneinander abweichen können (04:357f.). Was wir erkennen können (die Welt der Erfahrung), steht in einem gewissen Verhältnis zu dem unerkennbaren Intelligiblen. Fänden wir ein gleiches Verhältnis allerdings zwischen erkennbaren Gliedern (d. i. zwischen sinnlichen Gegenständen), so könnten wir es wagen, das unbekannte Glied im ersten Verhältnis durch die Analogie mit dem entsprechenden Glied im zweiten Verhältnis zu bestimmen. Natürlich würden wir durch diese Bestimmung keine richtige Erkenntnis des Übersinnlichen erlangen. Wir erkennen das Übersinnliche

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auf diese Weise nur durch eine entsprechende Analogie mit den Erfahrungsgegen­ ständen (B 724f.). Wir haben aber dem intelligiblen Glied im ersten Verhältnis zumindest einen sinnlichen (wenn auch nur analogischen und somit lediglich symbolischen) Inhalt zugeordnet. Wir erhalten dadurch ein Symbol des übersinnlichen Gegenstandes, den wir erkennen möchten.3 Der Erkenntniswert dieses Symbols (das eine legitime, wenn auch restringierte Erkenntnis verschafft) wird durch die logische Struktur der Analogie zwar nicht mit logischer Notwendigkeit, aber zumindest als eine zulässige und wohlbegründete Annahme gesichert (09:133).4

Zweite Phase: Die Entdeckung des Faktums der praktischen Vernunft Gegen 1786 macht Kant eine Entdeckung, die dieses ursprüngliche Projekt der Meta­phy­sik grundlegend verändert: Er entdeckt nämlich das Faktum der Vernunft.5 Die metaphysische Erkenntnis, die bis dahin nur eine Erkenntnis durch Analogie war, erhält infolge dieser Entdeckung die Ergänzung der absoluten Notwendigkeit. Eine derartige absolute Notwendigkeit ist praktischer Herkunft. Sie fügt sich aber in das Projekt der wissenschaftlichen Meta­phy­sik ein, ohne es in ein praktisches Projekt zu verwandeln. Die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik mag zwar auf einem unbedingten moralischen Gebot begründet sein, sie greift aber nicht in praktische Angelegenheiten ein. Das praktische Gebot behält unabhängig von den Ergebnissen der auf das Faktum der Vernunft begründeten Meta­phy­sik seine Gültigkeit. Während die Meta­phy­sik in den Prolegomena den Anspruch erhebt, »als Wissenschaft auf[zu]treten«, erlaubt das Hinzufügen des Faktums der praktischen Vernunft der Meta­phy­sik nicht nur als Wissenschaft, sondern auch als Weisheit aufzutreten. Eine solche Verbindung der Meta­phy­sik mit der Weisheit ist in der Kritik der reinen Vernunft (B 866) als »Weltbegriff« der Philosophie dargelegt. In der Kritik der reinen Vernunft (B 867) wird dieser Ausdruck wie folgt erklärt: In dieser Absicht ist Philosophie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntniß auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae). In der ersten Kritik war die Meta­phy­sik noch Einwänden ausgesetzt, die ihre Gültigkeit abschwächten. Bernd Ludwig hat darauf hingewiesen, dass es möglicherweise Pistorius’ Kritik der Deduktion der Freiheit im dritten Abschnitt der Grundlegung zur Meta­phy­sik der Sitten war, die eine große Schwäche der kritischen Meta­phy­sik aufdeckte.6 Nun ermöglicht die Entdeckung des Faktums der praktischen Vernunft 3  Siehe

die ausführliche Erklärung der Symbolisierung in KU, § 59, 05:352. Über die Grenzen der Gültigkeit der analogischen Erkenntnis vgl. KU, § 90, 05:464 Anm. 5  Ludwig 2010, 611. 6  »Kant sieht sich im Frühsommer 1786 durch eine […] Kritik des Rezensenten Hermann Andreas Pistorius an der Moralepistemologie des Dritten Abschnitts der Grundlegung dazu 4 



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der praktischen Meta­phy­sik (und somit auch der praktisch-dogmatischen Meta­ phy­sik) eine stabile Basis zu geben. Das absolut Unbedingte stellt sich sozusagen im Feld der Meta­phy­sik ein. Fortan besitzt die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik (nicht bloß die vermeintliche Wissenschaft der ersten Ursachen und der ersten Prinzipien, sondern die Philosophie nach dem Weltbegriff) die Würde einer wohlbegründeten Lehre. Sie ist jedoch keine Wissenschaft im eigentlichen Sinne, sondern, wie bereits angedeutet, viel mehr als das: Sie wird zur Weisheit. Die Tatsache aber, dass diese neue, praktisch-dogmatische Meta­phy­sik auf ein notwendiges Bedürfnis der praktischen Vernunft begründet ist, leiht ihr objektive Gültigkeit und eine Gewissheit, die »dem Grade nach keinem Wissen nachsteht« (08:141). In seiner Auseinandersetzung mit Wizenmann stellt Kant fest, dass die Begründung metaphysischer Lehren auf ein Bedürfnis der Vernunft selbst, das »aus einem objektiven Bestimmungsgrunde des Willens, nämlich dem moralischen Gesetze« entspringt, die Voraussetzungen der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik »berechtigt« (05:143 Anm.).

Dritte Phase: Die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik in den Fortschritten Kant stellt die neue Meta­phy­sik in den Fortschritten vor.7 Dass er dabei die kritische Ausarbeitung der theoretischen Meta­phy­sik aus den Prolegomena übernimmt, wird an den Erklärungen über die Funktion der Meta­phy­sik klar. Diese wird nicht als die Wissenschaft des Übersinnlichen, sondern als die Wissenschaft des Überschritts zum Übersinnlichen erklärt.8 Sie bleibt somit, wie in den Prolegomena verlangt wird, da, wo der Übergang sich ereignet, nämlich exakt auf der Grenze zwischen dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen, angesiedelt. Nun wird die neue Meta­phy­sik gegenüber der, die in den Prolegomena vorgetragen wurde, um die absolute Begründung bereichert, die das Faktum der Vernunft liefert. Es wäre voreilig, anzunehmen, dass die Meta­phy­sik, die hier ihren Ursprung hat, eine praktische Meta­phy­sik ist.9 Die praktische Notwendigkeit erfüllt zwar gezwungen, diesen vollständig zu verwerfen und durch etwas gänzlich Neues zu ersetzen.« (Ludwig 2010, 595). 7  Dieses Thema sowie andere, die mit ihm zusammenhängen (wie etwa der Glaube, das moralische Credo, der Endzweck u. a. m.) wurden in Caimi 1989 behandelt. 8  20:316: »Sie ist eine Wissenschaft, vom Erkenntnisse des Sinnlichen zu dem des Übersinnlichen fortzuschreiten«. Auch 20:260: »[…] sie ist die Wissenschaft, von der Erkenntniß des Sinnlichen zu der des Übersinnlichen durch die Vernunft fortzuschreiten«. Vgl. 20:286 u. a. 9  Reinhard Brandt verneint mit Nachdruck die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft in einer praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik, wie wir sie hier darstellen möchten: »Eine Pauschalvorstellung von der Meta­phy­sik in der Kantischen Philosophie [kann] nur die Kreation des Interpreten sein […] in den Werken, die die Quelle unserer Erkenntnisse bilden, lässt sich eine einheitliche Vorstellung von Meta­phy­sik […] nicht finden« (Brandt 1990, 77).

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eine Funktion in ihr; sie liefert nämlich den Postulaten der Meta­phy­sik einen unbedingten Grund. Diese Postulate haben aber ihrerseits eine nur sekundäre praktische Aufgabe: Sie dienen lediglich dazu, einer möglichen Entmutigung des moralischen Handelnden abzuhelfen. Sie tragen nichts zum Gebot des moralischen Gesetzes und auch nichts zur Pflicht, dieses zu erfüllen, bei. Im Gegenzug ist ihre theoretische Funktion viel wichtiger: Sie liefern eine Antwort auf die Fragen der spekulativen Meta­phy­sik. Kant erklärt in den Fortschritten ausdrücklich, dass die neue Meta­phy­sik dem theoretischen Interesse der Vernunft entgegenkommt und dass sie keine rein praktische Meta­phy­sik darstellt. Das behauptet er, indem er in den Fortschritten die Ergebnisse der metaphysischen Untersuchungen darlegt: Die neue Meta­phy­sik »enthält also keine praktischen Lehren der reinen Vernunft, aber doch die theoretischen, die dieser ihrer Möglichkeit zum Grunde liegen« (20:261). Nicht eine praktische Meta­phy­sik wird hier gesucht, sondern eine theoretische Wissenschaft. Eine solche wurde in den Fortschritten als Vollendung des kritischen Unternehmens entwickelt. Eine andere Stelle der Fortschritte bestätigt dies mit Nachdruck: Zuvörderst muß man wohl vor Augen haben, daß in dieser ganzen Abhandlung der vorliegenden academischen Aufgabe gemäß, die Meta­phy­sik blos als theoretische Wissenschaft, oder, wie man sie sonst nennen kann, als Meta­phy­sik der Natur gemeynt sey, mithin der Überschritt derselben zum Übersinnlichen nicht als ein Schreiten zu einer ganz andern, nämlich moralisch-praktischen Vernunftwissenschaft, welche Meta­phy­sik der Sitten genannt werden kann, verstanden werden müsse, indem dieses eine Verirrung in ein ganz andres Feld (metabasi@ ei@ allo geno@) seyn würde, obgleich die letztere auch etwas Übersinnliches, nämlich die Freyheit, aber nicht nach dem, was es seiner Natur nach ist, sondern nach demjenigen, was es in Ansehung des Thuns und Lassens für praktische Prinzipien begründet, zum Gegenstande hat. (20:293) Hier wird eindeutig behauptet, dass die neue Meta­phy­sik nicht als eine Meta­phy­ sik der Sitten aufzufassen ist. Es wäre irrtümlich, sie mit einer praktischen Lehre zu verwechseln. Die praktische Vernunft hat in der neuen Meta­phy­sik gewiss eine eigene Funktion. Diese ist aber lediglich eine Hilfsfunktion.

Seinerseits behauptet W. H. Walsh 1976, dass eine auf die Sittlichkeit begründete Meta­phy­sik unmöglich ist. Die einzige Funktion der kantischen Überlegung über Gott und die Sittlichkeit sei die, der Handlung zur Hilfe zu kommen, nicht aber die, eine Meta­phy­sik aufzubauen. Für Friedrich Wilhelm von Herrmann (2004, 14) gehören die Themen der metaphysica specialis in das Gebiet der praktischen Vernunft. Er vollzieht jene Synthese von theoretischer und praktischer Meta­phy­sik nicht in jener praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik, für die wir uns aussprechen. Die von uns angeführten Texte der Fortschritte der Meta­phy­sik scheinen in merkwürdigem Gegensatz zu den Aussagen dieser Interpreten zu stehen. Eine Darstellung der Geschichte der metaphysischen Kant-Interpretation ist bei Funke 1976 zu finden.



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Die Inhalte der neuen, praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik Nach Baumgarten gliedert sich die Meta­phy­sik in Ontologie, Kosmologie, Psychologie und Theologie.10 Die allgemeine Meta­phy­sik (Ontologie) wird bei Kant zur transzendentalen Analytik des Verstandes (KrV, B 303). In den Fortschritten legt er die Hauptlehren der transzendentalen Analytik als den allgemeinen Teil der neuen Meta­phy­sik dar (20:315). Es bleiben die drei Teile der besonderen Meta­phy­sik, die den Inhalt der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik ausmachen. Sie sollen im Folgenden kurz erläutert werden.

1. Theologie Die Theologie hebt in den Fortschritten von den unbedingten praktischen Zwecken an und versucht, von diesen ausgehend, Gottes Existenz zu beweisen. Das Dasein Gottes ist die (für unsere Reflexion einzig vorstellbare) Bedingung der Verwirk­ lichung solcher Zwecke. Diese Verwirklichung ist ohnehin Pflicht (B 854).11 Durch das Faktum der praktischen Vernunft werden diese Zwecke als unbedingt verbindlich vorgestellt. Dadurch erhält die analogische Reflexion, in der die Theologie ihren Ursprung hat, eine absolute Begründung. Aus diesem Grund darf die Moraltheologie sich auf einen unbedingten Grund berufen, auch wenn ihre Ergebnisse auf einer Reflexion statt einer Deduktion basieren.12 Zu beachten ist, dass diese Schlussfolgerung (nämlich die Existenz Gottes) für die Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes irrelevant ist. Denn das moralische Gesetz ist nicht aufgrund der Ergebnisse aus der Moraltheologie verpflichtend, sondern aus sich selbst heraus, ohne dass das Dasein Gottes zur Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes nötig wäre.13 Die so begründete Moraltheologie führt gleichwohl zu einem gewissen Fortschritt in der Erforschung eines Gegenstandes der Meta­phy­sik. Sie ermöglicht nämlich die Behauptung des Daseins Gottes, wenn diese Behauptung auch lediglich praktische Gründe aufweisen kann. Dies alles ist den Lesern der Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft wohlbekannt. Aller-

10  Baumgarten

2011, 54. Vgl. 05:436: »Eine Moraltheologie (Ethikotheologie) wäre der Versuch, aus dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden kann) auf jene Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen«. Ein Vergleich der Physikotheologie mit der in KU, § 85 enthaltenen Moraltheologie ist bei Gerardo Cunico (2008, 311) zu finden. 12  Die Moraltheologie wäre auch ohne eine absolute Begründung immer noch eine gültige theoretische Reflexion, allerdings lediglich eine, die auf einer Hypothese begründet ist (B 857). 13 20:305: »[…] nicht um die Sittlichkeit ihren Gesetzen, und selbst ihrem Endzwecke nach zu begründen, denn diese wird hier vielmehr, als für sich selbst bestehend, zum Grunde gelegt«. 11 

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dings wird in den Fortschritten ausdrücklich erklärt, dass diese aus praktischen Gründen aufgestellte Behauptung ein theoretischer Satz sei. Kant erklärt den Vernunftglauben als »das Fürwahrhalten eines theoretischen Satzes, z. B. es ist ein Gott, durch praktische Vernunft« (20:297). Wir haben hier also einen theoretischen Satz, der für eine ethische Gesinnung entbehrlich ist und nur in der praktischdogmatischen Meta­phy­sik seine vollständige Bedeutung findet. Auf diese Weise gewinnt die Theorie durch die Reflexion eine gültige Ergänzung.14 Das ist der erste Teil der praktisch-dogmatischen speziellen Meta­phy­sik, nämlich die Theologie.

2. Kosmologie Wo im Urtext steht: »Vermeynte theoretisch-dogmatische Fortschritte in der moralischen Teleologie, während der Leibnitz-Wolfischen Epoche«, korrigiert der Herausgeber der Fortschritte in der Akademie-Ausgabe, Gerhard Lehmann, das Wort »Teleologie« zu »Theologie« (20:306).15 Er folgt dabei Rosenkranz und Hartenstein, die dieselbe Änderung in ihren Ausgaben der Fortschritte vorgenommen hatten. Wir dürfen annehmen, dass dies der Grund ist, weshalb Max Wundt auf das Fehlen einer Kosmologie in den Fortschritten hinweist.16 Unterziehen wir den Text aber einer näheren Betrachtung, so lässt sich erkennen, dass der vermeintliche Mangel gar nicht besteht. Der Abschnitt über die »moralische Teleologie« enthält die Betrachtung der Weltlehre und eine Darlegung des Begriffs des Endzweckes der Schöpfung. Kant übernimmt hierbei Gedanken von Wolff17 und von Leibniz,18 indem er den Endzweck der Schöpfung als die Ehre Gottes erklärt. Er deutet diese Ehre als eine teleologische (zweckmäßige) Anordnung der Welt, welche das höchste in der Welt mögliche Gut enthält und einer Gottheit würdig ist. Über den Endzweck schreibt der Philosoph in den Fortschritten: daß dieser Endzweck die Ehre Gottes sey, […] wodurch nichts andres verstanden werden kann, als daß in der wirklichen Welt eine solche Zweckverbindung sey, die, im Ganzen genommen, das höchste in einer Welt mögliche Gut, mithin die teleologische oberste Bedingung des Daseyns derselben enthalte, und einer Gottheit als moralischen Urhebers würdig sey. (20:306) 14  Eine

»der Theorie annoch mangelnde Ergänzung« (20:305). Siehe G. Lehmann: Lesarten zu den Fortschritten der Meta­phy­sik, 20:519: »306 9 Theologie] Rink: Teleologie (Korr. Rosenkranz).«. 16  Max Wundt 1924, 380. 17  Wolff 1737, 311, § 371: »Endzweck der Schöpfung ist die Ankündigung der Herrlichkeit Gottes«. Finis creationis est manifestatio gloriae divinae, seu Deus mundum ideo creavit, ut gloriam suam manifestaret. 18  Leibniz (1875–1890): Monadologia, § 86 u. § 87, Bd. VI, 621 f.; Principes de la Nature et de la Grâce, § 15, Bd. VI, 605. 15 



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In der hier angedeuteten Teleologie wird eine Aussage über die Beschaffenheit der Naturwelt (der »wirklichen Welt«) getroffen: Die »wirkliche« Welt sei derart gestaltet, dass in ihr ein System von moralischen Zwecken möglich ist. Diese Aussage hat für den reinen Willen keine besondere Bedeutung, insofern dieser in jedem Fall verpflichtet ist, dem moralischen Gesetz Folge zu leisten, wie die Welt auch immer beschaffen sein mag. Die aufgestellte Behauptung ist also ein theoretischer Satz, der vermittelst der Reflexion über die Bedingungen der Möglichkeit, dem unbedingten Gebot des Gesetzes Folge zu leisten, seine Begründung findet. Das Faktum der praktischen Vernunft vereint sich auf diese Weise mit der Theorie, um den meta­ physischen Gegenstand zu bestimmen, den wir Welt nennen. Dementsprechend erklärt Kant in den Fortschritten: Was also in theoretischer Rücksicht unmöglich ist, nämlich der Fortschritt der Vernunft zum Übersinnlichen […] das ist in praktischer Rücksicht […] wirklich, d. i. man kann und soll die Welt nach der Analogie mit der physischen Teleologie, welche letztere uns die Natur wahrnehmen läßt, (auch unabhängig von dieser Wahrnehmung) a priori, als bestimmt, mit dem Gegenstande der moralischen Teleologie, nämlich dem Endzweck aller Dinge nach Gesetzen der Freyheit zusammen anzutreffen annehmen. (20:307) Das Wissen um solche Übereinstimmung der Zwecke ist nun die Weisheit. Also mündet auch die Kosmologie der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik in eine Lehre der Weisheit.

3. Psychologie Die Lehre von der Seele bildet den dritten Teil der speziellen Meta­phy­sik. In den Fortschritten wird diese Lehre nur dahingehend vorgestellt, dass die praktischen Grundlagen der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik eine solche Darstellung ermöglichen. Alles, was in diesem Abschnitt der Fortschritte über die Seele behauptet wird, folgt aus den Bedingungen zur Erfüllung der Pflicht; nur so weit erstreckt sich die metaphysische Psychologie. Sie kann daher Thesen wie die des Lebens nach dem Tode oder die der Unsterblichkeit der Seele aufstellen, und zwar aus praktischen Gründen. Nicht deswegen gehört aber diese Seelenlehre in die Sittenlehre im engeren Sinne. Sie ist vielmehr eine für die Sittenlehre entbehrliche, für die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik dagegen bedeutsame theoretische Ergänzung. Ganz in unserem Sinne hat Günter Zöller darauf hingewiesen, dass Kants Erklärungen über die Unsterblichkeit der Seele keinen Teil der Sittenlehre ausmachen. Sie seien vielmehr »theoretische Implikationen von moralischen Normen« und Erweiterungen der theoretischen Erkenntnis über das sonst unerreichbare Feld des Übersinnlichen.19 19 »Human

post-mortem existence and the existence of a most perfect divine being are not

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Die in der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik aufgestellten Thesen über die Seele sind theoretische Sätze, die gewisse Bestimmungen der Seele (etwa ihre Unsterblichkeit) aussprechen. Solche Sätze tragen nicht zum Gebot des moralischen Gesetzes bei.

Die Art des Fürwahrhaltens in der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik Bisher ist deutlich geworden, dass in der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik theo­ retische Sätze von praktischen Lehren abgeleitet werden. Nun wird in den Fortschritten »das Fürwahrhalten eines theoretischen Satzes, z. B. es ist ein Gott, durch praktische Vernunft« zum Glauben erklärt (20:297). So wie in der Kritik der reinen Vernunft (B 850f.) werden auch in den Fortschritten drei Arten des Fürwahrhaltens anerkannt: das Meinen, das Glauben und das Wissen (20:297). Basieren Meinen und Wissen auf theoretischen Urteilen, so ist der Glaube das Fürwahrhalten einer Annahme, die deswegen notwendig ist, weil sie sich auf eine notwendige praktische Regel bezieht. Der Grund dieser Annahme ist das Gebot, nach der Verwirk­ lichung des moralischen Endzwecks zu streben. Die Einhaltung dieser Regel führt zur Verwirklichung des höchsten Guts. Die Regel wäre allerdings sinnlos, wenn es unmöglich ist, ihr Folge zu leisten. Wir vermögen zwar nicht einzusehen, wie die Befolgung dieser Regel in der wirklichen Welt möglich ist. Aber auch wenn wir diese Möglichkeit nicht erklären können, vertrauen wir darauf, dass das Gebot des moralischen Gesetzes einen Sinn hat und dass sich das uns zur Aufgabe gestellte höchste Gut verwirklichen lassen wird. »Dieses Vertrauen schliesst eine Behauptung dessen ein, was uns als die einzig vollstellbare Bedingung der Verwirklichung des Endzweckes erscheint, nämlich das Dasein Gottes und ein künftiges Leben«.20 Es liegt auf der Hand, dass die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik, obwohl sie auf Glaube gründet, keine rein praktische Meta­phy­sik ist. Sie ist mehr als nur das, indem sie Beiträge sowohl von der praktischen als auch von der theoretischen Vernunft in sich aufnimmt. Das Gebot der praktischen Vernunft hängt keineswegs von jenen theoretischen Sätzen ab, die der Vernunftglaube vorgibt. Im Text der Fortschritte finden wir eine Vereinigung von praktischer und theoretischer Vernunft. Diese Vereinigung wird von dem Vorhaben geleitet, die Möglichkeit der Verwirk­ lichung des moralischen Endzwecks theoretisch zu erklären.

part and parcel of the practical norms of morality as such. Rather they are to be regarded, on Kant’s account, as theoretical implications of morality’s norms – and as exceptional extensions of theoretical cognition into a domain otherwise inaccessible to humanly possible cognition, viz., the supersensible.« (Günter Zöller 2016). 20  Caimi 1989, 127f.



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Weisheit Im Endzweck kommt die ganze Reihe aller Zwecke zur Vollendung. Er ist das höchste in der Welt mögliche Gut, d. i. die Sittlichkeit verbunden mit der entsprechenden Glückseligkeit. Nun ist die theoretische Erkenntnis des höchsten Guts die Weisheit, und die Lehre von der Vereinbarkeit aller Zwecke in Anbetracht des Endzwecks ist die Lehre der Weisheit. Im Wortlaut der Fortschritte heißt es: Weisheit ist die »Zusammenstimmung zu der summe aller unsrer Zwecke«.21 So mündet die hier dargelegte praktisch-dogmatische Meta­phy­sik in eine Lehre der Weisheit. Die eben herangezogene Erklärung der Weisheit bringt diese in die Nähe der Philosophie nach deren Weltbegriff.22 »Daraus können wir schließen, dass durch den Weltbegriff der Philosophie diese Wissenschaft mit der Weisheit gleichgesetzt wird. […] Sowohl die praktische wie auch die theoretische Philosophie treten hier auf. Sie bringen die kritische Philosophie zu ihrer Vollendung«23 Die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik erweist sich als Weisheitslehre und somit als Philosophie nach dem Weltbegriff. Dies wird durch den Text der Fortschritte bestätigt, wenn Kant die »erste Erklärung« der Meta­phy­sik bespricht. Diese erste Erklärung würde sie [d. i. die Meta­phy­sik; M. C.] […] als eine zur Philosophie in der eigenthümlichen Bedeutung des Wortes, d. i. zur Weisheitslehre gehörige Unterweisung, von anderen Lehren auszeichnen. (20:261)24 Sowohl die theoretische Transzendentalphilosophie als auch die praktische Vernunft beteiligen sich an dieser neuen Meta­phy­sik. Die erste trägt dazu das Wissen um die Grenze aller Erkenntnis bei, die zweite die Realität des Freiheitsbegriffs. Kant fasst zum Schluss zusammen: Es sind nämlich zwey Angeln, um welche sie sich dreht: Erstlich die Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit, welche in Ansehung der theoretischen Prinzipien aufs Übersinnliche, aber für uns Unerkennbare, blos hinweiset, indessen daß sie auf ihrem Wege zu diesem Ziel, wo sie es mit der Erkenntniß a priori der Gegenstände der Sinne zu thun hat, theoretisch-dogmatisch ist; zweytens, die Lehre von der Realität des Freyheitsbegriffes, als Begriffes eines erkennbaren Übersinnlichen, wobei die Meta­phy­sik doch nur praktisch-dogmatisch ist. Beyde Angeln aber sind gleichsam in dem Pfosten des Vernunftbegriffes von 21  Ergänzungen zu den Fortschritten der Meta­phy­sik, 23:471. Vgl. B 385: Weisheit ist »die Idee von der nothwendigen Einheit aller möglichen Zwecke«. 22  Vgl. A 328, B 385 und 5:108. Claudio La Rocca weist ebenfalls auf diese Konkordanz des Weltbegriffs der Philosophie mit der Weisheit hin. Er bezieht sich dabei auf Refl. 1652 (16:66). Siehe La Rocca 2003, 221. 23  Caimi 2012. 24  Auch bei Zöller (im Druck), 14.

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dem Unbedingten in der Totalität aller einander untergeordneter Bedingungen eingesenkt. (20:311)25 »Was die theoretische Vernunft für sich allein nicht vermag (nämlich, sich über das Feld des Übersinnlichen auszustrecken), das vermag sie in Verbindung mit der praktischen Vernunft. Die praktische Vernunft bestimmt aber den Endzweck des menschlichen Handelns. Die kritische Philosophie kommt also zu ihrer höchsten Entfaltung, wenn sie die theoretische Erkenntnis mit dem Vernunftsystem der Zwecke zusammenbringt; das aber heißt, dass sie diese Entfaltung erlangt, wenn sie zur Weisheit wird.«26 Im Opus postumum wird diese Auffassung der Philosophie (und somit der Meta­phy­sik) bestätigt: »Philosophie — Ein Erkentnisact, dessen Product nicht blos auf Wissenschaft (als Mittel), sondern auch als Zweck an sich selbst auf Weisheit abziehlt« (21:7).27

Schlussbetrachtung Die kantischen Stellen, die hier angeführt wurden, bringen etwas Neues zutage. Sie weisen auf einen neuen, noch nie betretenen Weg hin: das ist der Weg zu einer bisher unbekannten Meta­phy­sik, die keine rein praktische ist. Sie als eine derart praktische Meta­phy­sik zu betrachten wäre laut Kant eine ›metabasi@ ei@ allo geno@‹, d. i. ein Übergang zu einem ganz anderen Seinsbereich. Die Sittlichkeit ist von der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik ganz unabhängig. Kant entwirft in diesen Texten eine ganz neue Auffassung der Meta­phy­sik, in der die Ergebnisse seiner kritischen Untersuchungen aufgenommen werden. Sein ausdrücklicher Hinweis auf etwas ganz und gar Neues fand leider bei den Auslegern wenig Beachtung. Die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik strebt nach einem theoretischen Wissen über die Gegenstände der herkömmlichen Meta­phy­sik. Um dieses Wissen zu erlangen und festzulegen, geht sie dogmatisch vor, d. h. sie verfährt nach Prinzipien und nach Begriffen. Sie wird aber vor allem deshalb praktisch-dogmatische Meta­phy­sik genannt, da sie ein Prinzip (nämlich das Faktum der praktischen Vernunft) in sich aufnimmt, das praktischer Natur ist. Die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik leitet aus diesem Prinzip allerdings keine praktischen Gesetze ab. Das genannte Prinzip hat in der neuen Meta­phy­sik keine praktische Funktion. Es dient als absoluter Grund von theoretischen Erkenntnissen. Dieser Grund besitzt absolute, wenn auch nur praktische Notwendigkeit. Unbedingte Notwendigkeit ist etwas, was die theore-

25  Nähere

Erklärung in Caimi 1991. 2012. 27  Auch La Rocca (2003, 227) findet im Ersten Konvolut des Opus postumum eine Bestätigung für die Gleichsetzung der Philosophie mit der Weisheit. Die Verbindung der praktischen Prinzipien der Vernunft mit den theoretischen verweist auch auf die Kritik der Urteilskraft, wie es Gerardo Cunico bemerkt hat. Siehe Cunico 2008, 310. Siehe auch Caimi 1993. 26  Caimi



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tische Meta­phy­sik, für sich allein betrachtet (d. h., ohne das Faktum der praktischen Vernunft heranzuziehen), nicht erreichen kann.28 Die praktisch-dogmatische Meta­phy­sik stellt im Vergleich zu der herkömm­ lichen, theoretisch-dogmatischen Meta­phy­sik etwas völlig Neues dar. Sie ist aber keine Wissenschaft im strengen Sinne, sondern etwas mehr als eine Wissenschaft: Sie verkörpert den Weltbegriff der Philosophie und ist somit eher als Weisheit denn als Wissenschaft zu betrachten.29 Die Art des Fürwahrhaltens ist bei dieser neuen Meta­phy­sik anders als bei der Wissenschaft. Wir haben es hier als Vernunftglaube gekennzeichnet.

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Von der Wissenschaft zur Weisheit. Kant über die Fortschritte der Meta­phy­sik1 Günter Zöller »Noumenorum non datur scientia.« (20:277)

Der Beitrag eruiert den Meta­phy­sikbegriff Kants in der systematischen Spanne zwischen Wissenschaftslehre und Weisheitslehre. Der erste Abschnitt erörtert das architektonisch-methodologische Verhältnis von transzendentaler Kritik und theoretischer Meta­phy­sik beim kritischen Kant, insbesondere in der Kritik der reinen Vernunft. Der zweite Abschnitt präsentiert Kants kritische Konzeption einer limitativen Meta­phy­sik des (psychologischen) Anti-Materialismus, (kosmologischen) Anti-Determinismus und (theologischen) Anti-Fatalismus in den Prolegomena zu einer jeden künftigen Meta­phy­sik (1783). Der dritte Abschnitt behandelt Kants kritische Konzeption einer praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik des »Übersinnlichen in uns, über und nach uns« im Fragment der Preisschrift über die Fortschritte der Meta­phy­sik (1793).

1. Transzendentale Kritik und theoretische Meta­phy­sik In den späten 1780er Jahren notiert sich der Göttinger Physiker und Philosoph G. Chr. Lichtenberg in einem der Sudelbücher, die seinen postumen weltliterarischen Ruhm als Aphoristiker und Satiriker begründen sollten, die folgende Beobachtung: Ich habe schon lange gedacht, die Philosophie wird sich noch selbst fressen. – Die Meta­phy­sik hat sich zum Teil schon selbst gefressen. (Lichtenberg 1968, 742) Die Prognose des Autophagismus, die Lichtenberg der Philosophie im Allgemeinen stellt und die er im Hinblick auf die Meta­phy­sik gar als Diagnose vorträgt2, verdankt sich nicht genereller Kulturkritik oder allgemeiner Skepsis gegenüber der Philosophie. Vielmehr ist sie Bestandteil von Lichtenbergs gründlicher, kenntnis1  Die Druckfassung dieses Beitrags entstand in Rahmen meiner Gastprofessuren an der Venice International University und der Università Ca’ Foscari Venezia im Frühjahr 2015. Eine frühere Version erschien in Con-Textos Kantianos. International Journal of Philosophy 1 (2014), 66–79. 2  Zur Wiederaufnahme des Topos siehe Bouveresse 1984.

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reicher und produktiver Auseinandersetzung mit der kritischen Philosophie Kants, insbesondere mit der kritischen theoretischen Philosophie der Kritik der reinen Vernunft3. Die von Lichtenberg in den Sudelbüchern zusammengetragene Reflexion und Reaktion auf zentrale Konzepte und Doktrinen Kants, allen voran die des transzendentalen Idealismus (»Vorstellung in uns«) und die der transzendentalen Einheit der Apperzeption (»es denkt«) hat, als sie ab 1800 im Rahmen der Publikation von Lichtenbergs Vermischten Schriften veröffentlich wurde, sogar auf Kant zurückgewirkt, der im Opus postumum den Lichtenberg der Sudelbücher neben den Schelling des System des transzendentalen Idealismus (1800) unter die Fortführer des kritischen Idealismus rechnet (siehe 21:87). Bei der von Lichtenberg so drastisch beschriebenen Tendenz der Philosophie und speziell der Meta­phy­sik zur Selbstdestruktion handelt es sich um eine ungleich radikalere Beurteilung von Kants philosophischer Revolution und revolutionärer Philosophie, als es ihre notorische frühere Einschätzung durch Moses Mendelssohn gewesen war, der den kritischen Kant den »alleszermalmenden« genannt hatte.4 Mendelssohns Auffassung vom Omnidemolitor Kant war erfolgt aus der Perspektive der von der Kritik der reinen Vernunft methodologisch diskreditierten, konzeptuell desavouierten und doktrinal destruierten leibniz-wolffschen Schulphilosophie, als deren aufgeklärt-populärer Spätrepräsentant Mendelssohn sich verstanden hatte. Lichtenberg dagegen nimmt seine Einschätzung aus der Binnenperspektive der kritischen Philosophie vor, als deren unorthodoxer Anhänger und undoktrinaler Fortsetzer er sich und sein Wirken sieht. Wenn Lichtenberg die Meta­phy­sik als in Selbstverzehr begriffen ausgibt, dann liegt darin die Behauptung, dass die Meta­phy­sik nicht einem Angriff von außen zum Opfer gefallen ist, sondern durch sich selbst und an sich selbst zugrunde geht. Mit seiner Vorstellung vom reflexiven Kannibalismus nimmt Lichtenberg – in grotesker Übertreibung zwar, aber doch in sachlicher Übereinstimmung mit Kant – das Selbstverständnis der Kritik der reinen Vernunft als einer Selbstkritik der Vernunft im Hinblick auf deren grundsätzliche Befähigung (»Vermögen«) zur rein-apriorischen Gegenstandsbeziehung auf. Lichtenbergs Narrativ von der selbstfresserischen Philosophie und speziell von der suikannibalen Meta­phy­sik präsentiert die von Kant angestrebte Selbstprüfung der Vernunft im Hinblick auf deren Ergebnis als, zumindest partielle (»… zum Teil …«) Selbstaufhebung und Selbstvernichtung. Auch Kant hat die Meta­phy­sikkritik, als die das Unternehmen einer »Kritik der reinen Vernunft« entwicklungsgeschichtlich beginnt und systemarchitektonisch endet, in ihrer Selbstbezüglichkeit erkannt und gelegentlich mit der Formel von der »Meta­phy­sik von der Meta­phy­sik« (10:269)5 namhaft gemacht. Der darin angedeutete Status der Kritik als Metametaphysik indiziert zunächst die thematischtopische Kontinuität von Meta­phy­sik und Kritik, die beide Metempirisches, Aprio­ 3  Siehe

dazu Zöller 1998 und Zöller 1992. Mendelssohn 1979, 5. 5  Brief an M. Herz, nach dem 11. Mai 1781. 4  Siehe



Kant über die Fortschritte der Metaphysik

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risches zum Gegenstand haben. Sodann kommt in Kants duplikativ-rekursiver Einschätzung des Verhältnisses von Kritik und Meta­phy­sik zum Ausdruck, dass die Kritik der Meta­phy­sik ebenso zugrunde liegt wie auf sie zu folgen vermag. Schließlich ist mit der Paarung von Kritik und Meta­phy­sik eine klandestine Kontinuität, ja essentielle Identität zwischen Kritik und Meta­phy­sik angezeigt. Die Kritik löst die Meta­phy­sik nicht nur auf; sie löst die Meta­phy­sik auch ab. Mit einer von Leibniz’ proto-kritischem Programm für die moderne Meta­phy­sik entlehnten Formel kann von der kritischen Emendation der Meta­phy­sik bei Kant die Rede sein.6 Das enge, tendenziell identifikatorische Verhältnis von Kritik und Meta­phy­sik bei Kant hat aber nicht nur doktrinale Gründe, die Kritik und Meta­phy­sik in der Sache zusammenführen. Dass Kant auch das revisionistisch oder sogar revolutionär auf die Meta­phy­sik bezogene Unternehmen der Kritik noch im weiteren, eigens erweiterten Umkreis der Meta­phy­sik ansiedelt, reflektiert auch eine konzeptuell-terminologische Verlegenheit, fehlt doch bei Kant und auch in der nachkantischen Philosophie, speziell im deutschen Idealismus, noch jener disziplinäre Neologismus, mit dem dann die nach-idealistische, neukantianische akademische Philosophie die estimierte Kritik von der inkriminierten Meta­phy­sik sondern sollte – ›Erkenntnistheorie‹. Zu den tentativen Titeln, die der späteren Wortprägung vorgreifen und sie anbahnen, gehören »Traktat von der Methode« (Kant), »Transzendentalphilosophie« (bei Kant, Fichte und Schelling), »Wissenschaftslehre« (bei Fichte und Bolzano) und »Logik« (bei Hegel). Im Vergleich zu den Vorgängerkonzeptionen, die allesamt noch die Ursprungsprägung und Zielintention der Meta­phy­sik als Erster Philosophie (prōtē philosophia, prima philosophia) aufnehmen, tritt der Begriff ›Erkenntnistheorie‹ dann gezielt und gewollt spezialisiert, akademisiert und professionalisiert auf. Doch nicht nur der Kritikbegriff Kants erweist sich als Platzhalter für künftige Konzeptionen. Auch der Begriff der Meta­phy­sik ist bei Kant multidimensional und differenziert angelegt. Er designiert ebenso die durch Kritik revidierte, ja in den Orkus der Philosophiehistorie relegierte ›alte‹ Meta­phy­sik, die eben noch in Gestalt der leibniz-wolffschen Schulphilosophie eine moderne Spätblüte erlebt hatte, wie die durch Kritik possibilisierte, per anticipationem auch schon etablierte, »künftige« Meta­phy­sik, die kritische Errungenschaften in Methode und Selbstverständnis in die verwandelt fortgeführte Bearbeitung der metaphysischen Kernanliegen (›Gott, Seele, Welt‹) einbringt. Vor allem aber stellt die Kritik die Meta­phy­sik unter die logisch-methodische Erstanforderung der Wissenschaftlichkeit (»Meta­phy­sik als Wissenschaft«, wie es in der Titelformulierung der Prolegomena heißt), der gegenüber alle früheren Versuche auf dem Gebiet der Meta­phy­sik als methodisch naiv und doktrinal defizient erscheinen und ein für alle Mal durch den Doppelstandard von Gewissheit und Wahrheit abgelöst werden sollen. Doch wird die primäre Perspektive der Kritik auf die »Meta­phy­sik als Wissenschaft« originär wie destinatär eingeschränkt durch einen gegenüber der metaphysischen Tradition wie ihrer kritischen Transformation alternativen Meta­phy­sikbegriff. 6  Siehe

dazu Zöller 2004.

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Im Hinblick auf ihren Ursprung gilt die Meta­phy­sik dem kritischen Kant als vorwissenschaftlich-lebensweltliches Fundamentalprojekt menschlicher Vernunft (»Naturanlage«, »metaphysica naturalis«; B 21), das mit proto-praktischen Konzepten (»Bedürfnis«, »Interesse«; A 583 / B 611; 4:257) begründet und legitimiert wird und die angestrebte wissenschaftliche Meta­phy­sik zum bedingt-notwendigen Instrument und probaten Mittel der essentiellen Selbstverständigung und fundamentalen Weltorientierung endlich-vernünftiger Wesen werden lässt. Doch beinhaltet die Zurückführung der Meta­phy­sik auf eine naturwüchsige Disposition (»Naturanlage«) bei Kant nicht etwa die Naturalisierung der Meta­phy­sik, sondern gerade umgekehrt die Namhaftmachung eines supranaturalen, metempirischen Kerns menschlicher Existenz und Lebensführung (»Vernunftnatur«), der das Natürliche – unter Einschluss des Psychischen – essentiell übersteigt und so den Menschen mit den Mitteln des vernünftigen Denkens über sich selbst aufklärt und auf sich selbst zurückführt. In der, mit dem dispositionellen Ursprung der Meta­phy­sik korrelierten, finalen Perspektive entspricht der der Meta­phy­sik als Wissenschaft vorgängigen Meta­phy­ sik als Naturanlage die der wissenschaftlichen Meta­phy­sik nachfolgende und aus ihr folgende Meta­phy­sik als gelehrt-gelebter Weisheit (»Weisheitslehre«) (20:261; 273; 301). Der ultimative Schritt von der Szienz zur Sapienz in Kants Meta­phy­ sikkonzeption nimmt das traditionelle, vor allem für die Antike charakteristische Selbstverständnis der Philosophie als Lebensform (bios) auf. Doch während die frühere Philosophie die lebenspraktische Zweckbestimmung der Philosophie überwiegend im Hinblick auf die praktische Philosophie als zweite Philosophie, speziell die Ethik, entwickelt hatte, verortet Kant die Zielform der Philosophie im Ausgang von der Meta­phy­sik als ›Erster Philosophie‹ und speziell von deren kritischer Neubegründung.

2. Die Grenzbestimmung der reinen Vernunft In der Gesamtdisposition der Kritik der reinen Vernunft ist die kritische Intention auf Meta­phy­sik nicht nur generell präsent, sondern sogar prominent. Die Abfolge von transzendentaler Analytik und dreigegliederter transzendentaler Dialektik (Paralogismen, Antinomie und Transzendentales Ideal der reinen Vernunft) nimmt passgenau die Einteilung der alt-neuen Schulmetaphysik in generelle Meta­phy­ sik oder Ontologie (metaphysica generalis, ontologia) und spezielle Meta­phy­sik (metaphysica specialis) und die Unterteilung der speziellen Meta­phy­sik nach der Thementrias Seele – Welt – Gott in die rationale Psychologie, die rationale Kosmologie und die rationale Theologie (psychologia rationalis, cosmologia rationalis und theologia rationalis) auf, die dabei zu Bestandteilen einer reinen Gegenstandslogik (»transzendentale Logik«) werden. Durch die der Reallogik der reinen Vernunft architektonisch vorgelagerte und systematisch vorausgesetzte reine Formenlehre der Sinnlichkeit (transzendentale Ästhetik) wird der Ambitus rein-vernünftiger, gültiger Gegenstandserkenntnis in



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der Kritik der reinen Vernunft präliminar eingeschränkt. Statt mit den Dingen selbst (»Dinge an sich«) hat es die Meta­phy­sik ursprünglich mit deren empirischen Manifestationen (»Erscheinungen«) zu tun, die auf zweifache Weise fortbestimmt werden können. Durch den konstitutiven Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe (»Kategorien«) gelangt die Vernunft (im weiteren Sinne) zu objektiven Gegenständen in Raum und Zeit (»Natur«). Durch den regulativen Gebrauch der reinen Vernunft­ begriffe (»transzendentale Ideen«) gelangt die Vernunft (im engeren Sinne) zu idea­ len gegenständlichen Ausgestaltungen des Unbedingten. Für den positiv-kritischen, konstruktiven Theorieteil der transzendentalen Logik (transzendentale Analytik) spezifiziert Kant selbst das Nachfolgeverhältnis zur generellen Meta­phy­sik schulphilosophischer Prägung mit der Einschätzung, den »stolze[n] Namen der Ontologie« durch den bescheidenen Titel einer »Analytik der Erscheinungen« ersetzt zu haben (A 247 / B 303). In der Begrifflichkeit der Schul­ logik formuliert, liefert die Kritik der reinen Vernunft in ihrem ersten Teil so einen »Kanon des reinen Verstandes« (A 796 / B 824; siehe auch A 131 / B 170), nach dessen Maßgabe empirische Gegenstandserkenntnis oder die Erkenntnis empirischer Gegenstände zustande kommt. Doch ist der kanonische reine Verstand nicht befähigt, bloß für sich und ohne die Zusatzbedingungen von sinnlicher Anschauung die Funktion eines logischen Instruments der Erkenntniserweiterung (»Organon«) (A 12 / B 26) zu übernehmen. Im Hinblick auf den negativ-kritischen, destruktiven Theorieteil der transzendentalen Logik (transzendentale Dialektik) führt die Kritik des reinen Vernunftvermögens zur Verabschiedung der alten Meta­phy­sik von Seele, Welt und Gott zugunsten einer Rumpfmetaphysik der korrelierten regulativen Ideen zum Zweck des optimierten empirischen Verstandesgebrauchs. Schulphilosophisch formuliert resultiert die Kritik des erfahrungsfreien, reinen Vernunftgebrauchs in dessen gezielter Kontrollierung und planmäßigen Polizierung (»Disziplin der reinen Vernunft«), sodass die Vernunft in ihrem, die Erfahrung überschreitenden Gegenstandsbezug weder ein Erkenntnisleistungsmittel (»Kanon«) noch ein Erkenntniserweiterungsinstrument (»Organon«) zu liefern vermag. Mit ihrer Doppeltheorie des reinen Verstandes und der reinen Vernunft, die deren direkt-konstitutiven bzw. indirekt-regulativen Erfahrungsgegenstandsbezug begründet, verwandelt die Kritik der reinen Vernunft die klassische Meta­phy­sik in eine kritische Meta­phy­sik in Gestalt der nicht-empirischen Theorie der Erfahrung oder einer »metaphysic of experience« (H. J. Paton). Doch finden sich in der Kritik der reinen Vernunft, zusätzlich zur kritischen Aufhebung der Meta­phy­sik in die Kritik der reinen theoretischen (oder vielmehr spekulativen Vernunft), auch Hinweise und Verweise sowie Ankündigungen und Planungen, die auf eine allererst zu liefernde Meta­phy­sik Bezug nehmen, welche auf der Grundlage und nach Maßgabe der Kritik der reinen Vernunft zustande kommen soll. Mehr noch: Die angekündigte Meta­phy­sik ist mehrfach und verschieden skizziert und projektiert. Es sind insbesondere die rahmenden Partien der Kritik der reinen Vernunft – die Vorreden und Einleitungen der ersten und zweiten Auflage sowie die unverändert in die zweite Auflage übernommene Transzendentale

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Methodenlehre –, die eine post-kritische Meta­phy­sik skizzieren und projektieren. Dabei kommt es überdies zur Pluralisierung des Meta­phy­sik-Vorhabens im Anschluss an die Kritik der reinen Vernunft. Da ist zunächst die geforderte formelle Komplettierung der Kritik der reinen Vernunft in einem »System der Transzendentalphilosophie« (A 12 / B 25), das die vorerst nur skizzierte, aber im Entwurf schon vollständige »Idee der Transzendental-Philosophie« (A 14 / B 28) nach dem Vorbild der schulmetaphysischen Lehrbücher (Baumgarten, Metaphysica) liefern soll. Doch unterscheidet sich die systematisch ausgestaltete Transzendentalphilosophie nach Kants eigenem Bekunden nicht wesentlich von den methodischen und doktrinalen Konzepten der Kritik der reinen Vernunft, die sie um abgeleitete Begriffe ergänzen soll. Anders verhält es sich mit der im Anschluss an die Kritik der reinen Vernunft zu liefernden Meta­phy­sik, die nicht wie die Transzendentalphilosophie auf alle Arten von Gegenständen (»Gegenstände überhaupt«) geht, sondern auf eine spezifische Art von Gegenständen oder von Gegenstandsbereichen. In der Perspektive auf eine post-kritische spezielle Meta­phy­sik projektiert die »Architektonik der reinen Vernunft« ein umfassend ganzheitliches und diffizil durchgegliedertes Lehrgebäude von Disziplinen und Teilgebieten der Meta­phy­sik (Siehe A 845 f. / B 873 f.). Maßgeblich für Kants eigene posteriore philosophische Produktion ist dabei die Zweiteilung der Meta­phy­sik nach den komplett-disjunktiven Gegenstandsgebieten Natur und Freiheit, die zur Doppelkonzeption der Meta­phy­sik als »Meta­phy­sik der Natur« und »Meta­phy­sik der Sitten« führt (A 841 / B 869). Die kritische Fundierung der reinen praktischen Philosophie oder puren Moralphilosophie hat Kant zwischen den beiden Auflagen der Kritik der reinen Vernunft (1781, 1787) mit der Grundlegung zur Meta­phy­sik der Sitten (1785) geliefert und nach der zweiten Auflage der ersten Kritik um die Kritik der praktischen Vernunft (1788) mit ihrem systematischen Schwerpunkt auf der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft ergänzt. Die ausgeführte Meta­phy­sik der Sitten liefert dann das so betitelte Werk mit seiner Zweiteilung in eine reine Rechtslehre (Meta­ physische Anfangsgründe der Rechtslehre) und eine reine Ethik (Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre). In beiden Fällen beschränkt sich die Meta­phy­sik dabei auf die Herleitung und Aufstellung eines vergleichsweise formalen Inbegriffs apriorischer Prinzipien für eine faktisch vorliegende Domäne vernünftiger Regulation, die das positive Recht und die geltenden Sitten grundieren und normieren soll. Schwieriger gestaltet sich die Zuordnung der projektierten Meta­phy­sik der Natur zu Kants naturphilosophischen Produktionen. Zwar erfüllen die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786) dieses disziplinäre Desiderat. Doch verweist Kant auch nach deren Publikation, in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (1787), auf die zusammen mit der »Meta­phy­sik der Sitten« noch ausstehende »Meta­phy­sik der Natur« (B XLIII). Einschlägige spätere Werke Kants sind die naturphilosophischen Teile der Kritik der Urteilskraft (1790) mit ihrem methodologischen Fokus auf der systematischen Verfasstheit der Natur im Allgemeinen und der selbstorganisiert-selbstorganisierenden Natur (»belebte



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Materie«)7� im Besonderen sowie große Teile des sog. Opus postumum mit ihrer Aufgabenstellung des Übergangs von den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur empirischen Naturwissenschaft (»Physik«). Doch gibt es neben dem projektierten System der Transzendentalphilosophie, der elusiven Meta­phy­sik der Natur und der exekutierten Meta­phy­sik der Sitten noch eine weitere Meta­phy­sikkonzeption beim kritischen Kant. Sie findet sich just in dem Werk, das den Verweis auf eine allererst zu liefernde Meta­phy­sik schon im Titel trägt, den Prolegomena zu einer jeden künftigen Meta­phy­sik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Über weite Teile ist die Schrift eine alternative Darstellung der kritischen Transzendentalphilosophie – nach regressiver, analytischer Methode –, mitmotiviert durch die Fehlverständnisse der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, insbesondere die doppelte Verwechslung des transzendentalen Idealismus mit dem berkeleyschen Idealismus und dem humeschen Skeptizismus.8 Allerdings erweist sich das Abzielen der Prolegomena auf eine futurische wissenschaftliche Meta­phy­sik als insgesamt problematisch, ja aporetisch. Die positiven Theorieteile der Kritik der reinen Vernunft erscheinen in der Repräsentation der Prolegomena von der Meta­phy­sik und ihrer Grundlegung getrennt und dem transzendentalphilosophischen Unternehmen einer prinzipientheoretischen Fundierung von reiner Mathematik und reiner Naturwissenschaft zugewiesen. Die Behandlung der eigentlichen Meta­phy­sik wiederum reduziert die Meta­phy­sik auf eine Naturanlage, deren Überführung in eine Wissenschaft (»Meta­phy­sik als Wissenschaft«) sich als unmöglich erweist. Da die Prolegomena überdies nur die theoretische Meta­phy­sik im Blick haben, unter Ausschluss der praktischen Meta­phy­sik (»Meta­phy­sik der Sitten«), ist überhaupt nicht abzusehen, welche »künftige[ ] Meta­phy­sik als Wissenschaft« mit den Resultaten der Prolegomena und darüber hinaus den Ergebnissen der diesen zugrundeliegenden Kritik der reinen Vernunft kompatibel wäre. So gesehen tragen die Prolegomena einen irrealen Konditional im Titel – sie detaillieren den Wissenschaftstypus, den metaphysische Erkenntnis, gleich welcher Art und welchen Ausmaßes, zu erfüllen hätte (diskursive synthetische Urteile a priori über erfahrungsjenseitige Gegenstände), von dem sie aber auch feststellen, dass er in der theoretischen Meta­phy­sik keinen systematischen Ort hat.9 Doch erschöpfen sich die Prolegomena nicht in Epilegomena auf eine zum Aussterben verurteilte wissenschaftliche Spezies. Im Anschluss an die negativ-destruktive Kritik an einer unmöglichen Meta­phy­sik nach Art der Spezialmetaphysik alten Stils erkundet ein eigener Paragraph der Prolegomena, der systemarchitektonisch dem zweiteiligen Anhang zur transzendentalen Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft entspricht, die »Grenzbestimmung der reinen Vernunft« (04:350–365, §§ 57–60). Auf der Grundlage der kritischen Konzeption des »Grenzbegriffs« (A 255 / B 310 f.) als einer Vorstellung, die auf der Grenze zwischen den Bereichen des 7  Siehe

dazu Zöller 2012. dazu Editor‘s Introduction, in: Zöller (Hg.) 2004, 20 f. 9  Siehe dazu ebd., 26. 8  Siehe

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Sinnlichen und des Übersinnlichen zu lokalisieren ist, und unter Heranziehung der epistemologischen Unterscheidung von Schranken als Negationen einer Größe und Grenzen als selber positiven Raumteilen zwischen voneinander getrennten Räumen (04:352) erörtert Kant das kritische Komplementärverhältnis von Wissensbegründung und Wissensbegrenzung.10 Dabei kontrastiert Kant die Beschränkung des Verstandes, genauer: des objektiv-gültigen Verstandesgebrauchs, auf Bedingungen der Sinnlichkeit – und damit auf (mögliche) Gegenstände in Raum und Zeit (Erscheinungen) – um die Begrenzung des so beschränkten Verstandes durch die Vernunft und ihre Ideen des Übersinnlichen. Zwar vermag die Vernunft mit ihren Ideen nicht, das vakante Feld des Übersinnlichen gültig zu besetzen. Dort markieren die Vernunftbegriffe gegenüber den applikativ sinnlich-beschränkten Verstandesbegriffen eine Dimension oder Domäne, die sich den Bedingungen der Sinnlichkeit und den auf diese eingeschränkten Verstandesleistungen essentiell entzieht und den eigentümlichen Gegenstandsbereich einer Ideen-Meta­phy­sik ausmacht, die limitativ – durch Abgrenzung von dem, was sie nicht ist und leistet – bestimmt wird. Kants Absicht hinter der kritischen Rehabilitation der Meta­phy­sik zu Ende der Prolegomena ist die Zurückweisung des dogmatischen Skeptizismus, für den die Grenzen der Sinnlichkeit zugleich die Grenzen von Sinn sind. Für Kant dagegen markieren die Einschränkungen des Verstandes zwar den Gegenstandsbereich möglicher Wissenschaft, nicht aber den Gesamtbereich sinnhaften Gegenstandsbezugs. Der spezifische Gehalt der limitativen Meta­phy­sik, die Kant in den Prolegomena entwirft, betrifft die Salvierung der metaphysischen Kernthemen Seele, Welt und Gott vor einem Reduktionismus, der den positiven Dogmatismus der Schulmetaphysik durch einen negativen Dogmatismus skeptischer Couleur ersetzt, indem er in der Seelenlehre den Materialismus, in der Weltlehre den Determinismus und in der Gotteslehre den (atheistischen) Fatalismus vertritt (04:363). Die limitative Meta­phy­sikkonzeption begegnet dem skeptizistischen Neo-Dogmatismus in Psychologie, Kosmologie und Theologie mit einem noumenalen Agnostizismus, der im Rückgriff auf die »kritische Unterscheidung« von Ding an sich und Erscheinung a limine ausschließt, dass die Seele rein materieller Natur ist, dass die Welt rein naturkausal determiniert ist und dass das Göttlich-Ganze blind regiert ist – ohne dabei eine positiv-direkte Neubestimmung der Natur der drei Gegenstände der speziellen Meta­phy­sik leisten zu können. Der kritische Idealismus in epistemologischen Dingen erweitert sich so in metaphysischer Hinsicht zum psychologischen Anti-Materialismus, kosmologischen Anti-Determinismus und theologischen Anti-Fatalismus.

10  Siehe

dazu Zöller 2008 sowie Zöller 2011.



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3. Praktisch-dogmatische Meta­phy­sik Zu der in den Prolegomena anvisierten limitativen Meta­phy­sik tritt in Kants kritischen Schriften eine weitere Variante der surrogativ und simulativ restituierten Spezialmetaphysik von Seele, Welt und Gott. Auch dabei besteht der systematische Kontext in der gezielten Ergänzung der auf Erfahrungsermöglichung beschränkten Transzendentalmetaphysik um eine auf Erfahrungsüberschreitung ausgerichtete Transzendenzmetaphysik. Doch ist die alternative Spezialmetaphysik, oder besser: die Alternative zur Spezialmetaphysik, in diesem Fall nicht exklusiv theoretisch begründet, sondern moralisch motiviert und praktisch orientiert. In allen drei Kritiken ergänzt Kant nämlich die apriorische Prinzipientheorie, die auf Naturgegenstände, auf freie Handlungen bzw. auf als durch freie Handlungen mögliche Naturgegenstände geht, durch die begründete Bezugnahme auf übersinnliche Gegenstände, die sich dem Wissen und seiner apodiktischen Gewissheit essentiell entziehen, aber über alternative Ressourcen der vernünftigen Ausweisung verfügen. Im Kanon der reinen Vernunft der Kritik der reinen Vernunft sind dies die metaphysischen Gegenstände erlaubt-erforderlichen Hoffens auf die Erfolgsbedingungen moralischen Handelns (A 804 / B 832 – A 819 / B 847), in der Dialektik der reinen praktischen Vernunft der Kritik der praktischen Vernunft sind es die zu postulierenden Gegenstände eines moralisch bestimmten endlich-vernünftigen Willens (05:122–134) und in der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft in der Kritik der Urteilskraft handelt es sich um die bedingt-notwendigen Objekte eines frei-willentlichen Fürwahrhaltens (05:442–485). Inhaltlich rekurrieren die drei spezialmetaphysischen Perspektiven der Kritiken auf die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele als integraler Bestandteile des »höchsten Gut[s] in der Welt« (05:125), d. i. der je individuell zu bemessenden Remuneration von Sittlichkeit durch Sinnlichkeit (»Glückseligkeit«). Doch ist der Eudämonismus in allen drei Kritiken nicht Moralprinzip, sondern Moralkonse­ quenz, die dabei unter dem Vorbehalt ihrer Ermöglichung und Verwirklichung durch zusätzliche Bedingungen psychologischer und theologischer Art steht. Für das Meta­phy­sikprojekt im Horizont der Lehre vom höchsten Gut, das sich in allen drei Kritiken entwickelt findet, ist es dabei charakteristisch, dass die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Affirmation der metaphysischen Gegenstände (Gottesexistenz, Seelenunsterblichkeit) in der praktischen Gewissheit moralischer Verpflichtung liegt, während die Materialien für die inhaltliche Ausgestaltung der moralisch-motivierten Meta­phy­sik der theoretischen Philosophie entstammen. Im Hinblick auf das Unternehmen einer Substitution der als unmöglich erwiesenen theoretisch-wissenschaftlichen Meta­phy­sik durch eine moralisch-praktisch fundierte und limitierte Meta­phy­sik erhoffter, geglaubter und erwünschter fremdpersonaler Divinität und eigenpersonaler Immortalität verwendet Kant im Fragment seiner Preisschrift über die Fortschritte der Meta­phy­sik (1793) den Projekttitel einer »praktisch-dogmatisch« begründeten Meta­phy­sik (20:311). Der doktrinale Anspruch der alten Spezialmetaphysik wird damit auf spezifisch praktischer Grundlage funk-

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tional fortgeführt: An die Stelle von Theoremen treten dabei Postulate, das Wissen wird durch den (Vernunft-)Glauben ersetzt und aus sachlich zwingenden Gründen werden faktisch alternativlose Bedürfnisse. Mit der Meta­phy­sik alter Intention und Ambition hat die postulatorische Meta­ phy­sik den gezielten Überschritt (»Übergang«) (20:260) vom Sinnlichen zum Übersinnlichen gemein, der aber unter Bedingungen kritischen Philosophierens weder auf theoretische Meta­phy­sik im Stil einer »Meta­phy­sik der Natur« noch auf praktische Meta­phy­sik nach Art einer »Meta­phy­sik der Sitten« führt. Stattdessen dient die kritisch-postkritische Meta­phy­sik bei Kant der theoretischen Ermöglichung und der praktischen Verwirklichung des Endzwecks menschlicher Existenz, ihrer »Bestimmung« (A 840 / B 868 und A 464 / B 492) – der Vereinbarung von Sittlichkeit und Sinnlichkeit, von (rein-praktischer) Vernunft und (verdientem) Vergnügen in einer gelungenen Lebensführung, die das antike philosophische Bildungsideal der sophia in spezifisch moderner Form fortführt. Statt zum vermeintlichen Wissen suprasensibler Gegenstände zu führen, kulminiert die mögliche Meta­phy­sik in der Weisheit. An die Stelle der Meta­phy­sik als Wissenschaft (»Wissenschaftslehre«) tritt so die Meta­phy­sik als »Weisheitslehre« (20:261).11 Wie passgenau Kant den philosophiegeschichtlichen Fortschritt von der alten, pseudo-wissenschaftlichen Meta­phy­sik zur neuen, weisheitlichen Meta­phy­sik konzipiert, wird deutlich an der Erweiterung der praktisch-dogmatischen Meta­phy­sik über die beiden Postulate der Seelenunsterblichkeit und Gottesexistenz hinaus um den kosmologischen Gegenstand der Spezialmetaphysik, die Freiheit. Die praktischdogmatische Meta­phy­sik umfasst so ein dreifaches Übersinnliches »in uns, über und nach uns«, das den Ambitus metaphysischen Denkens in einem Kreisgang ausschreitet, der von der Freiheit über die ihr vorauszusetzende Gottexistenz zur dadurch ermöglichten Seelenunsterblichkeit führt, die wiederum den vernünftigen Gebrauch der Freiheit mitmotiviert. Die in der metaphysischen Weisheitslehre eigens postulierte Freiheit versteht Kant dabei so, dass sie über die im bloßen Moralbewusstsein gewisse Möglichkeit rein vernünftiger Willensbestimmmung (»Autonomie«) hinausgeht und zusätzlich, aber eben nur postulatorisch, die wirkliche Befähigung (»Vermögen«) zur Selbstbestimmung zum rein moralischen Wollen und Handeln (»Autokratie«) umfasst.12 Die exekutive moralische Freiheit der Autokratie ist nicht, wie die legislative moralische Freiheit der Autonomie, unmittelbar praktisch gewiss, sondern Gegenstand eines Vernunftglaubens, der unter kontingenten Bedingungen steht (»Bedürfnis«) und der – wie der Glaube an Gottesexistenz und Seelenunsterblichkeit – einem 11  Siehe dazu G. Zöller, »›The supersensible … in us, above us and after us.‹ The Critical Conception of the Highest Good in Kant’s Practico-Dogmatic Metaphysics«. In: The Highest Good in Kant’s Philosophy. Hg. von Th. Höwing. De Gruyter, Berlin/Boston 2016, 263–279. 12  Siehe Zöller 2010a, 385–404, deutsche Fassung ders. 2010b, 351–377, sowie Zöller 2014, 329–338 und Zöller, »Autocracy«, erscheint in The Cambridge Kant Lexicon. Hg. von Julian Wuerth. Cambridge University Press, Cambridge.



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»freien Fürwahrhalten« (20:298) entspringt. Die gewisse Freiheit (Autonomie) und die geglaubte Freiheit (Autokratie) markieren so die architektonische Alternative im Meta­phy­sikbegriff Kants zwischen kritischem Wissensstand und postkritischem Glaubensbedürfnis, indizieren aber auch deren Entwicklungsgang (»Fortschritt«) von der Wissenschaft zur Weisheit.

Literatur Bouveresse, Jacques: Le Philosophe chez les autophages. Paris 1984. Lichtenberg, Georg Christoph: Schriften und Briefe 1 (J 620). Hg. v. Wolfgang Promies. München 1968. Mendelssohn, Moses: Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes. Der Briefwechsel Mendelssohn – Kant. Hg. von D. Bourel. Stuttgart, 1979. Zöller, Günter: Lichtenberg, Georg Christoph. – In: E. Craig (Hg.): Routledge Encyclo­ pedia of Philosophy, 10 Bde. London 1998, Bd. 5, 622–625. – Lichtenberg and Kant on the Subject of Thinking. – In: Journal of the History of Philosophy 30 (1992), 417–441. – Meta­phy­sik nach der Meta­phy­sik. Die limitative Konzeption der Ersten Philosophie bei Kant. – In: K. Gloy (Hg.): Unser Zeitalter – ein postmetaphysisches? Würzburg 2004, 231–243. – Reflexion und Regulation. Kant über Begriffe und Prinzipien der Vernunft in der Kritik der Urteilskraft. – In: B. Dörflinger / G. Kruck (Hg.): Worauf die Philosophie hinaussieht. Kants regulative Ideen im Kontext von Teleologie und praktischer Philosophie. Hildesheim/New York 2012, 31–48. – Editor’s Introduction. – In: Immanuel Kant, Prolegomena to Any Future Metaphysics. Übers. v. P. G. Lucas und G. Zöller. Oxford Philosophical Texts. Oxford, 2004. – In der Begrenzung zeigt sich der Meister. Der metaphysische Minimalismus der Kritik der reinen Vernunft. – In: J. Chotaš / J. Karásek / J. Stolzenberg (Hg.): Meta­phy­sik und Kritik. Interpretationen zur »Transzendentalen Dialektik« der Kritik der reinen Vernunft. Würzburg 2008, 19–33. – Der negative und der positive Nutzen der Ideen. Kant über die Grenzbestimmung der reinen Vernunft. – In: B. Dörflinger / G. Kruck: Über den Nutzen von Illusionen. Die regulativen Ideen in Kants theoretischer Philosophie. Hildesheim/New York 2011, 13–27. – ›The supersensible … in us, above us and after us.‹ The Critical Conception of the Highest Good in Kant’s Practico-Dogmatic Metaphysics. – In: Th. Höwing (Hg.): The Highest Good in Kant’s Philosophy. Berlin/Boston 2016, 263–279. – Autocracy. The Psycho-Politics of Self-Rule in Plato and Kant. – In: E. B. Pires / B. Nonnenmacher / S. B. von Stülpnagel (Hg.): Relations of the Self. Coimbra 2010a, 385–404 (deutsche Fassung Zöller 2010b). – Autokratie. Die Psycho-Politik der Selbstherrschaft bei Platon und Kant. – In: H. Busche / A. Schmitt (Hg.): Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Würzburg 2010b, 351–377.

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– Libertas civilis. Zur politischen Prägung von Freiheit und Autonomie bei Kant. – In: M. Egger (Hg.): Philosophie nach Kant. Neue Wege zum Verständnis von Kants Transzendental- und Moralphilosophie. Berlin/Boston 2014, 329–338. – Autocracy. – In: J. Wuerth (Hg.): The Cambridge Kant Lexicon. Cambridge, im Er­ scheinen.

Epochen und Stadien der Meta­phy­sik: der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift Andreas Brandt Die Preisfrage der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahr 1791, zu der Kant seine Entwürfe einer Preisschrift geliefert hat,1 hat die wissenschaftlichen Fort­schritte der Meta­phy­sik seit Leibniz’ und Wolffs Zeiten in Deutschland zum Gegenstand. Einen wissenschaftlichen Fortschritt zu konstatieren setzt voraus, dass man eine Vorstellung von einem zu erstrebenden Ziel hat, dem sich die Wissenschaft nähern kann: Es muss ein Ziel geben und einen Weg, auf dem das Ziel erreicht werden kann, und wenn man sich auf dem Weg so bewegt, dass man sich dem Ziel nähert, dann schreitet man fort. Wenn es sich um die geschichtlichen Fortschritte in der Philosophie handelt, benötigt der Historiograph eine eigene systematisch-philosophische Position, die den Maßstab abgibt, um historische Positionen als mehr oder weniger fortschrittlich bzw. rückständig beurteilen zu können. Ein bekanntes Beispiel systematischer Philosophiegeschichte enthält das Erste Buch (A) der Aristotelischen Meta­phy­sik. Aristoteles betrachtet seine Vorgänger unter der Systematik seiner eigenen Vier-Ursachen-Lehre, wobei er konstatiert, dass die frühesten ionischen Philo­sophen nur die Materialursachen, Platon und dessen Schüler hingegen auch die Formursachen berücksichtigt hätten. Aristoteles selbst verfügt über die am meisten ausgearbeitete Ursachentheorie, die vier Arten von Ursachen kennt, nämlich außerdem die Wirk- und die Zielursache. Bei dieser Sichtweise laufen die Vorgänger teleologisch auf Aristoteles’ eigene Position zu, die den Bezugsrahmen bildet, in dem die Vorgeschichte systematisch verortet wird.2 Ein zweites, weniger bekanntes Beispiel sind Leonard Nelsons in den 1920er Jahren gehaltene Vorlesungen Fortschritte und Rückschritte in der Philosophie (veröffentlicht in Band VII der Gesammelten Schriften). Er beurteilt die Positionen in der Perspektive der fort­schreitenden Lösung des Hume’schen Problems, das er für das zentrale Problem der Philoso­phie hält, und lässt die Position nicht etwa von Kant, sondern die von Jakob Friedrich Fries als die schließlich überzeugende Lösung er1  Immanuel Kant über die von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Meta­phy­sik seit Leibnizens und Wolff’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? Hrsg. von Friedrich Theodor Rink, Königsberg 1804. 2 Aristoteles, Meta­phy­sik, Erstes Buch (A) 983b–988a.

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scheinen. Dabei presst er die historischen Positionen in ein begriffliches Schema, das auf der Fries’schen Einteilung der Erkenntnisvermögen beruht, womit unhistorische Verzerrungen oder Vergewaltigungen der historischen Positionen vorprogrammiert sind. Trotzdem ist Nelsons methodische Reflektiertheit, mit der er sein eigenes philosophiehistorisches Vorgehen erläutert und rechtfertigt, vorbildlich: Es gibt keine Fortschrittskonzeption ohne philosophische Zielvorstellung, die andere philosophische Ziel­vorstellungen ausschließt; man muss sich entscheiden, welche Zielvorstellungen die richtigen sind, und muss die damit verbundenen Einseitigkeiten und Parteilichkeiten bewusst in Kauf nehmen.3 Welche Kriterien des Fortschritts sind es, die bei der Preisaufgabe der Berliner Akademie zum Tragen kommen? Der 1. Preisträger, Johann Christoph Schwab, hat zu Anfang seiner Abhandlung den Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts folgendermaßen definiert:4 Fortschritt bedeutet Vervollkommnung (= Gewinn) einer Wissenschaft: 1. durch Erweiterung ihres Umfangs (materieller Gewinn), 2. durch bessere Anordnung ihres Systems (formeller Gewinn), 3. negativer Gewinn durch Ausschluss des Irrigen und Falschen (Grenzbestimmung). Ein Beispiel für die Erweiterung gibt die Messkunst (hier verstanden als Geodäsie oder Geo­graphie), nämlich durch Vermehrung des Umfangs der erdkundlichen Kenntnisse. In der Philosophie besteht der Fortschritt eher in formellem Gewinn: deutlichere Begriffe, systema­tisch klarere Anordnung der Erkenntnis, bessere Begründungen, bessere Sprache. Dies sind Kriterien, die man als wissenschaftsmethodisch bezeichnen kann. Offen bleibt bei dieser Definition, ob der Fortschritt eher evolutionär (im selben Paradigma) oder revolutionär (durch Paradigmenwechsel) erfolgt.5 Ein Beispiel für einen evolutionären Fortschritt hätten wir etwa dann, wenn Christian Wolff einen dritten Band der Theologia rationalis veröffent­licht hätte, in dem ein neuer Gottesbeweis gefunden worden wäre, der die vorhandene Meta­phy­sik systematisch erweitert hätte. Das Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft war dagegen eher ein Paradigmenwechsel, bei dem die Meta­phy­sik als Ganze auf eine neue erkenntnistheoretische Grundlage gestellt wurde. Man geht sicherlich nicht fehl mit der Ver­mutung, dass die Akademie solche einschneidenden wissenschaftsgeschichtlichen Ereignisse im Auge hatte und das wissenschaftliche Publikum zu ihrer Beurteilung herausforderte. 3 

Zu Nelsons methodischen Prinzipien Nelson 1977, bes. 21–32. über die Frage: Welche Fortschritte hat die Meta­phy­sik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht? Von Johann Christoph Schwab, Karl Leonhard Reinhold und Johann Heinrich Abicht. Hrsg. von der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1796, 6–9. 5  Diese Unterscheidung gilt seit Kuhn (1962) als Standard in der wissenschaftstheoretischen Terminologie. 4  Preisschriften



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Kant fehlt es in den Entwürfen zur Preisschrift an einer ähnlich klaren Definition des Begriffs des wissenschaftlichen Fortschritts, wie Schwab sie besitzt. Man kann sie nur indi­rekt finden, nämlich über die Bestimmung des Endzwecks der Meta­phy­sik. Dies ist der Begriff, den Kant tatsächlich definiert, indem er dabei den Begriff des Fortschritts als Defi­niens gebraucht. Die Meta­phy­sik, so heißt es, »ist die Wissenschaft, von der Erkenntnis des Sinnlichen zu der des Übersinnlichen durch die Vernunft fortzuschreiten« (20:260). Warum redet Kant hier nicht einfach »von der Erkenntnis des Übersinnlichen«? Weil die übersinnlichen Gegen­stände, auf die es uns ankommt, da sie die Zwecke der menschlichen Vernunft selber ver­körpern, unter kantischen Prämissen nur auf der Grundlage des Sinnlichen überhaupt Realität haben. Es gibt keinen genuinen, direkten, unabhängigen Zugang zu ihnen, sondern der Zugang eröffnet sich beim Übergang oder Fortschritt vom Sinnlichen zum Übersinnlichen. Die Meta­phy­sik ist eine Wissenschaft des Übergangs oder Fortschritts. Das war vor Kant nicht unbedingt der Fall und es zeigt, wie Kant die Meta­phy­sik, von der er ihre jüngere Geschichte zu behandeln vorgibt, in Wahrheit theoretisch neu konzipiert. Schon dabei zeigt sich ein besonderer Begriff des Fortschritts, der Kants Konzept für die Preisschrift von vornherein auf eine bestimmte Bahn lenkt. Der im Ausschreibungstext der Akademie genannte Fortschrittsbegriff zielt ursprünglich auf die wissenschaftliche Vervollkommnung der Meta­phy­sikentwürfe in einer bestimmten historischen Epoche, und so hat ihn Schwab auch aufgefasst. Kant setzt einen systematischen Fortschrittsbegriff dagegen, der – im Sinne der Meta­phy­sikdefinition – die Meta­phy­sik selber gewissermaßen erst konstituiert. Dabei geht es um die Erweiterung der Vernunfterkenntnis vom Sinnlichen zum Übersinnlichen. Fortschritt heißt: Die Erkenntnis fängt vom Sinnlichen an und erweitert sich schrittweise bis zu den letzten Erkenntniszielen, die im Übersinnlichen liegen. Es geht um die Stadien der Meta­phy­sik »in den Fortschritten der reinen Vernunft zu ihrem Endzweck« (20:300). Die Meta­phy­sik ist eine Fortschritts- oder Übergangsdisziplin, auch eine des Grenzgangs. Dieser systematische Erkenntnisfortschritt ist etwas völlig anderes als der wissenschafts­geschichtliche Fortschritt in der Bearbeitung dieser Disziplin seit Leibniz und Wolff. Beide Begriffe überlagern sich in den Entwürfen der Preisschrift und kommen sich gegenseitig in die Quere; in welcher Weise genau, wird die weitere Analyse sogleich zeigen.

1. »Der kritische Weg ist allein noch offen« Es ist bemerkt worden, dass die Entwürfe an die schon in der Kritik der reinen Vernunft6 genannte Dreiteilung von Dogmatismus, Skeptizismus und Kritizismus anknüpfen.7 Ein Beleg dafür ist in der Preisschrift eine Passage in Kants Vorrede 6  A 761 / B 789 u. A 856 / B 884 (im 1. und 4. Kapitel der Methodenlehre, wo es im letzten Absatz des Werkes heißt, dass der kritische Weg »allein noch offen« sei). 7  Vgl. Mohr 2004, 560.

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(20:261–264), in der die Geschichte der Meta­phy­sik unter den Titeln Dogmatismus und Skeptizismus skizziert wird und wo es zusammenfassend heißt: Es sind also drey Stadien, welche die Philosophie zum Behuf der Meta­phy­sik durchzugehen hatte. Das erste war das Stadium des Dogmatism; das zweyte das des Sceptizism; das dritte das des Kriticism der reinen Vernunft. (20:264) Wenn wir in erster Näherung annehmen, dass die Entwicklung der Meta­phy­sik über die Stadien Dogmatismus – Skeptizismus – Kritizismus verläuft und dass den Stadien verschie­dene Behandlungsarten oder Paradigmen einer in ihrem inhaltlichen Bestand im Prinzip unveränderten Meta­phy­sik entsprechen (jedenfalls im Bereich der Ontologie), dann können wir sehen, wie einzelne Theoreme in ihrem Status und ihrer epistemischen Rechtfertigung verändert werden. Beim Übergang von Leibniz über Hume zu Kant verändert sich zum Beispiel das Kausalitätsprinzip von einem starken ontologischen Prinzip (Leibniz’ Prinzip vom zureichenden Grund) über einen nur noch psychologisch zu erklärenden subjektiven Glauben (Hume) zum kritischen Grundsatz a priori für Gegenstände möglicher Erfahrung als Erscheinungen (Kant). »Wege« der scientifischen Methode nach KrV A 856 / B 884

theoretische Meta­phy­sik / Beispiel: Kausalitätsprinzip

1. dogmatisch

Leibniz: Prinzip vom zureichenden Grund für Dinge an sich (ihrer inneren Möglichkeit nach)

2. skeptisch

Hume: Kausalitätsskepsis (keine rationale Rechtfertigung, nur psychologische Erklärung des Prinzips)

3. kritisch

Kant: transzendentaler Grundsatz für Erfahrungsgegen­stände (objektive Regel für Erscheinungen)

Ein solches Schema, das auf der Basis der Kritik der reinen Vernunft auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist jedoch zu einfach, wenn es um die Stadien-Lehre geht, wie sie in den späteren Partien der Preisschrift (insbesondere in der »zweiten Abteilung«, s. u.) ausgeführt wird. Denn Kant versteht dort den Fortschritt zugleich so, dass die Stadien in bestimmte sys­tematisch unterschiedene Bereiche der metaphysica generalis und specialis fallen, mit der Folge, dass die Stadien zugleich eine Zuordnung der Gebiete der Meta­phy­sik bedeuten sowie auch bestimmter Systemteile innerhalb von Kants Vernunftkritik bzw. des Systems der kriti­schen Meta­phy­sik. Nur deshalb kann er das dritte Stadium auch das »praktisch-dogmatische« Stadium nennen. Aber gehen wir der Reihe nach vor, indem wir uns den Aufbau der Schrift, wie sie in Rinks Kompilation erkennbar ist, vergegenwärtigen.



Der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift 187

2. Die »erste Abteilung«: Transzendentalphilosophie als Vorhallendisziplin In Rinks Anordnung der Entwürfe sind die am besten ausgearbeiteten Teile in zwei »Abteilungen« gegliedert, die im Wesentlichen die erste und zweite Handschrift umfassen (die dritte Handschrift setzt neu an, ist in der Ausarbeitung weitaus weniger gediehen und wird deswegen in der Akademie-Ausgabe, zusammen mit den »Losen Blättern« und »Ergänzun­gen«, unter die »Beilagen« gerechnet). Kant selber erläutert die zweiteilige Systematik in dem kurzen Vorspann unter der Überschrift »Abhandlung« (20:265), die der Vorrede oder Einleitung folgt. Beide Abteilungen gehören zur »Abhandlung«, d. h. zum Hauptteil der geplanten Schrift. Die erste Handschrift bringt die erste Abteilung (20:265–280) und den Beginn der zweiten, nämlich davon den Abschnitt über das »erste Stadium der Meta­phy­sik« (20:281– 286). In der zweiten Handschrift folgt der Rest der zweiten Abteilung, nämlich die Abschnitte über das »zweite« und »dritte Stadium der Meta­phy­sik« sowie weitere fünf Abschnitte bis zum »Anhang zur Übersicht des Ganzen« (20:286–311). Die erste Abteilung behandelt die sog. Transzendentalphilosophie oder Ontologie (beide Begriffe werden synonym gebraucht), die zweite »die eigentliche Meta­ phy­sik in Ansehung ihres Endzwecks«. Diese schon in der Einleitung oder Vorrede (20:259–264) dargelegte Eintei­lung beruht auf Kants Meinung, dass die eigentlichen Zwecke der Meta­phy­sik im Übersinn­lichen liegen und dass die Menschen genau deswegen Meta­phy­sik betreiben, nämlich weil sie die Frage nach Gott, nach der Unsterblichkeit der Seele und nach der Moral bzw. der Willens­freiheit beschäftigt. Die Ontologie, als metaphysica generalis oder Transzendentalphiloso­phie, gehört nicht dazu. Niemand bearbeitet sie um ihretwillen, sondern nur weil sie die methodische Voraussetzung ist, hinsichtlich der genannten übersinnlichen Gegenstände wissenschaftlich etwas ausmachen zu können. Deshalb weist Kant ihr nur den Status einer Vorhallendisziplin zu: Die Ontologie ist diejenige Wissenschaft (als Theil der Meta­phy­sik), welche ein System aller Verstandesbegriffe und Grundsätze, aber nur so fern sie auf Gegenstände gehen, welche den Sin­nen gegeben, und also durch Erfahrung belegt werden können, ausmacht. Sie berührt nicht das Übersinnliche, welches doch der Endzweck der Meta­phy­sik ist, gehört also zu dieser nur als Pro­pädeutik, als die Halle, oder der Vorhof der eigentlichen Meta­phy­sik, und wird TransscendentalPhilosophie genannt, weil sie die Bedingungen und ersten Elemente aller unserer Erkenntniß a priori enthält. (20:260) Kant verwendet hier den Begriff »Ontologie« im Sinne seiner kritischen Restriktion der Erkenntnis auf Gegenstände möglicher Erfahrung, d. h. im Sinne der Tran­ szendentalen Ana­lytik, von der er in der Kritik der reinen Vernunft (= KrV) gesagt hatte, dass der »stolze Name einer Ontologie« ihr weichen müsse (B 303). Die KrV kennt keine Ontologie im klassischen Sinne (als Wissenschaft vom Seienden als Seienden oder von der inneren Möglichkeit der Dinge), und dass Kant die Tran­ szen­dentale Analytik jetzt wieder so nennt, erscheint wie eine Reminiszenz an die

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frühere Meta­phy­siktradition, mit der er eine Kontinuität zu suggerieren bemüht ist, die es in der Sache eigentlich nicht mehr gibt. Kant hat mit seiner Transzenden­ talphilosophie ein neues wissenschaftliches Paradigma eröffnet, in dem es eine »Ontologie« nur in einem neuen, kritisch restringierten Sinne geben kann. Dies hat zur Folge, dass die (neu verstandene) Ontologie kein eigentlicher Teil der Meta­phy­ sik mehr ist. Meta­phy­sik wird im Kern metaphysica specialis, zu der die bisherige metaphysica generalis nur noch als Propä­deutik gehört, die das Übersinnliche nicht berührt. Die alte (vorkantische) Ontologie war dagegen sehr wohl eine Wissenschaft vom Übersinnlichen; man denke z. B. an die cartesia­nische und nachcartesianische Substanzlehre oder an Leibniz’ Monadologie, die eine Wissenschaft von den Dingen an sich war, insofern sie durch bloßes Denken erkannt werden unter Absehung von ihrer Erscheinung. Für Kant ist die Ontologie nur noch eine Lehre von den Elementarbegriffen des Verstandes und ihrer Anwendung auf Erscheinungen, während die eigentliche Meta­phy­sik die übersinnlichen Gegenstände betreffen. An anderer Stelle wird der Unterschied der zwei Abteilungen mittels des FormMaterie-Gegensatzes erläutert: Man könne die Lösung der Aufgabe unter zwei Abteilungen bringen, […] davon die eine das Formale des Verfahrens der Vernunft, sie als theoretische Wissenschaft zustande zu bringen, die andere das Materiale — den Endzweck, den die Vernunft mit der Meta­phy­sik beabsichtiget, wiefern er erreicht, oder nicht erreicht ist, von jenem Verfahren ableitet. (20:265) Aus der Betrachtung des Inhalts der ersten Abteilung ist ersichtlich, dass Kant tatsächlich Transzendentalphilosophie im Sinne der transzendentalen Analytik betreibt. Nur oberflächlich wird der historische Bezug auf Leibniz und Hume gewahrt, indem Kant drei Schritte unter­scheidet: 1. die Unterscheidung der analytischen und der synthetischen Sätze, 2. die Frage, wie synthetische Urteile a priori möglich sind, überhaupt gestellt zu haben, 3. die positive Beantwortung der Frage durch die transzendentale Analytik. Dieser dritte Schritt wird in fünf Unterabschnitten, die von Seite 266 bis 280 reichen, weit­läufig ausgeführt, sodass die Beantwortung der dritten Frage den Hauptteil der ersten Abtei­lung ausmacht – es ist die Frage, zu deren Beantwortung Kant die erste Kritik geschrieben hatte, und es ist somit nicht überraschend, dass der Text zu deren Kurzfassung gerät. Die Gliederung ist umstritten und verbesserungsfähig. Um den Aufbau stringenter zu gestalten, schlage ich eine verbesserte Gliederung sowie kleine redaktionelle Änderungen vor, mit denen nach dem Vorspann (26516– 26623) folgende fünf Abschnitte entstehen:8

8 Textkritische und editionswissenschaftliche Erwägungen können in diesem Beitrag nur am Rande berücksichtigt werden. Zu diesen Fragen ausführlicher: Mohr 2004, 548–584; ­Vleeschauwer 1979.



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(a) Von Anschauungen a priori (266–271). Die Überschrift ist zu ergänzen. Der Abschnitt beginnt in Zeile 26624 mit dem Absatz »Eine Anschauung, die a priori möglich seyn soll«. (b) Von Begriffen a priori (271–272). Die zwei Absätze 27232–2734 »Die Tran­ szendental­philosophie…« und 2735–10 »Hieraus folgt nun…« sollten gestrichen oder an das Ende der ersten Abteilung verschoben werden (dahin gehören sie der Sache nach). (c) Von dem Umfange des theoretisch-dogmatischen Gebrauches der reinen Vernunft (273–279). Die erneute Überschrift »Erste Abteilung« (27311) sollte gestrichen werden; der Text stellt faktisch nicht den Anfang, sondern die Fortsetzung der ersten Abteilung dar.9 (d) Von der Art, den reinen Verstandes- und Vernunftbegriffen objektive Realität zu ver­schaffen (279 f.). (e) Von der Trüglichkeit der Versuche, den Verstandesbegriffen, auch ohne Sinnlichkeit, objektive Realität zuzugestehen (280). Kant referiert hier die Hauptthemen und Theorieelemente der transzendentalen Ästhetik und Analytik der KrV und dies in einer Weise, dass der Text als eine brauchbare Einführung in seine Theoretische Philosophie gelesen werden kann. Eine eigenwillige Akzentuierung stellt dabei die Lehre vom »doppelten Ich« dar, das einmal als Objekt (als psychologisches Ich oder empirisches Bewusstsein) und einmal als Subjekt (als logisches Ich oder Subjekt der Apperzeption) gedacht wird und im Selbstbewusstsein vereinigt wird (vgl. 268 und 270 f.); Kant findet es »schlechterdings unmöglich zu erklären«, wie es möglich sei, »dass ich, der ich denke, mir selber ein Gegenstand (der Anschauung) sein, und so mich von mir selbst unterscheiden könne«, und doch sei es ein unbezweifeltes Faktum. Trotz solcher neuen Akzente bleiben die Ausführungen innerhalb des systematischen Kontextes der KrV. Erst in den späteren Partien – etwa von 277 an – erscheinen wieder historische Bezüge, die hauptsächlich Kants Abgrenzung zu leibnizschen oder wolffschen Positionen betreffen. Was Kant hier darlegt, ist insgesamt eine Beschreibung von Fortschritten, die in Lösun­gen von Problemen der wissenschaftlichen Methode der Meta­phy­sik besteht, die aus seiner Sicht noch keine befriedigende Lösung gefunden haben. Wir wollen Meta­phy­sik betreiben und tun es auch immer schon (als »Naturanlage«), aber wir wollen dabei wissenschaftlich verfahren und den »sicheren Gang der Wissenschaft« gehen, den die Mathematik und die Physik schon gefunden haben (vgl. KrV, Vorrede zur zweiten Auflage 1787). Dies ist ein Fortschritt in der wissenschaftlichen Bearbeitung der Meta­phy­sik, und er gehört in eine Dis­ziplin, die sich mit der kritischen Untersuchung der Möglichkeit der wissenschaftlichen Meta­phy­sik beschäftigt, d. h. eine »Propädeutik der Meta­phy­sik« oder eben eine »Kritik der reinen 9  So auch die Anmerkung in der Weischedel-Ausgabe, wo vermutet wird, dass die beiden vorangehenden Ab­schnitte ursprünglich an eine andere Stelle gehörten. Vgl. Kant 1977, 605.

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Vernunft«. Soweit ist es eine adäquate Darlegung der erreichten Fortschritte in der wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Disziplin.

3. Die »zweite Abteilung«: Übergang zum Übersinnlichen als Zweck der Meta­phy­sik Dieses Verfahren ändert sich in der zweiten Abteilung erheblich. Kant redet hier nicht mehr von Schritten der wissenschaftlichen Bearbeitung der Meta­phy­sik, sondern von Stadien des Fortschritts der Meta­phy­sik auf ihrem Weg vom Sinnlichen zum übersinnlichen Endzweck. Dabei identifiziert er drei Stadien, die sich auf die Gebiete der Ontologie, der Kosmologie und der Theologie abbilden lassen. Es geht bei dieser Einteilung also nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, um die drei Gebiete der metaphysica specialis und auch nicht um Gott, Freiheit und Unsterblichkeit; obwohl es letztlich schon um diese Themen geht, aber als Endzwecke des Fortschritts, nicht als Differenzierung der Stadien. Das erste, theoretisch-dogmatische Stadium ordnet Kant der Ontologie, das zweite, skeptische der Kosmologie, das dritte, praktisch-dogmatische der Theologie zu. Anstelle der vorhin anvisierten, historischen Abfolge Leibniz – Hume – Kant sehen wir eine Abfolge systematischer Gebiete. Dass es sich tatsächlich um solche handelt, zeigt auch die Passage S. 2735–10, die isoliert in der ersten Abteilung steht und die nach meiner Vermutung an deren Ende gehört (s. o.). Kant ordnet hier den drei Stadien Begriffe für systematische Untersuchungsgebiete oder Lehren zu, nämlich eine Wissenschaftslehre, eine Zweifellehre und eine Weisheitslehre: Hieraus folgt die Eintheilung der Stadien der reinen Vernunft, in die Wissenschaftslehre, als einen sichern Fortschritt, – die Zweifellehre, als einen Stillestand, – und die Weisheitslehre, als einen Überschritt zum Endzweck der Meta­ phy­sik: so daß die erste eine theoretisch-dogmatische Doctrin, die zweyte eine sceptische Disciplin, die dritte eine practisch-dogmatische enthalten wird. Dabei entsteht bei der ersten Zuordnung (Ontologie, Kosmologie und Theologie) noch das Problem, dass die Ontologie oder Transzendentalphilosophie eigentlich schon in die erste Abteilung fallen sollte. Wie es zu dieser doppelten Zuordnung der Ontologie kommt, ist nicht leicht zu entscheiden. Dem tatsächlichen Inhalt nach handelt Kant im ersten Stadium hauptsächlich von Leibniz und Wolff und ihren vier verfehlten ontologischen Prinzipien, nämlich 1. dem Grundsatz der Identität des Nichtzuunterscheidenden, 2. dem Satz des zurei­chenden Grundes, 3. dem System der prästabilierten Harmonie und 4. der Monadenlehre. Im zweiten Stadium geht es um die kosmologischen Antinomien der transzendentalen Dialektik und im dritten um die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft. Während also das zweite und dritte Stadium verschiedene systematische Gebiete Kants behandeln, redet Kant bei der Behandlung des ersten Stadiums faktisch fast nur von Leibniz und Wolff. Ist die Ursache vielleicht darin zu sehen, dass ihm systematisch zum



Der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift 191

Thema Ontologie nichts mehr übrig geblieben ist, nachdem er sich schon in der ersten Abteilung über die transzendentale Analytik verbreitet hat? Der Abschnitt erscheint wie ein historischer Zusatz zu den vorwie­gend systematischen Ausführungen der ersten Abteilung; beide Male geht es um Ontologie, dort um die positive Darstellung der Theorie Kants, hier um Leibniz-Kritik.10 Nur ganz am Ende des Abschnitts über das erste Stadium (20:285 f.) heißt es zur Systematik, dass zu dem theoretisch-dogmatischen Teil auch die rationale Naturlehre, d. h. die rationale Körperlehre und die rationale Seelenlehre, gehört, d. h. die Meta­phy­sik der ausgedehnten und der denkenden Natur. In Kants Architektonik sind fünf wiederkehrende Gebiete der Meta­phy­sik identifizierbar, die hinsichtlich der Zuordnung schwanken: einmal die Transzendentalphilosophie als formale Disziplin, dann vier inhaltlich bestimmte Bereiche: rationale Physik, rationale Psychologie, rationale Kosmologie und rationale Theologie. Gemäß des Architektonik-Kapitels KrV (A 846 / B 874) soll das ganze System der Meta­phy­sik vier Hauptteile ausmachen: 1. Ontologie, 2. rationale Physiologie (Körper- und Seelenlehre), 3. rationale Kosmologie, 4. rationale Theologie. Hier werden Physik und Psychologie unter der Physiologie zusam­mengefasst. Die Gliederung der Preisschrift nennt in der ersten Abteilung die Ontologie, in der zweiten noch einmal Ontologie sowie Kosmologie und Theologie. Man bräuchte nur den verdoppelten Titel ›Ontologie‹ durch ›Physiologie‹ zu ersetzen und hätte dann drei materiale Teile der Meta­phy­sik neben der formalen Ontologie. Die historischen Ausführungen über Leibniz wären bei konsequenterer Anlage der Schrift in die erste Abteilung zu verschieben und in der zweiten durch rationale Physik und Psychologie zu ersetzen.11 Buchtechnisch (im Hinblick auf Kants veröffentlichte Schriften) 10  Der letzte Leibniz betreffende Absatz (»Der Satz der Identität …«, 28520–30) erscheint besonders schwach: Anstatt die Fortschritte, die die Meta­phy­sik seit Leibniz bis heute gemacht hat, darzustellen, werden die leibnizschen Sätze selber als Neuerungen bezeichnet; und obendrein lässt Kant es ausdrücklich offen, ob diese Neuerungen den Namen »Fortschritt« verdienen, statt es selber zu beurteilen. Damit verfehlt er das Thema gleich zweimal: Erstens soll es um die Fortschritte seit Leibniz gehen, nicht um die Fortschritte durch Leibniz; und dass zweitens diese Neuerungen wirkliche Fortschritte sind, wäre in der Abhandlung zu zeigen, anstatt es dem Publikum zur Beurteilung zu überlassen. 11  In Vorlesungsnachschriften zur Meta­phy­sik finden sich weitere Variationen dieser Architektonik. Zum einen wird die Transzendentalphilosophie (= Ontologie) als reine Meta­phy­ sik und die Körper- und Seelenlehre als angewandte Meta­phy­sik bezeichnet (vgl. Meta­phy­sik von Schön, 28:470); zum anderen wird die Transzendentalphilosophie der metaphysica propria gegenübergestellt; die Erstere behandelt nur die Elementarbegriffe a priori, die Letztere ist auf Gegenstände bezogen, die teils sinnlicher, teils intellektueller Natur sind mit einer vierfachen Einteilung der Gebiete: psychologia rationalis, physica rationalis, cosmologia rationalis, theologia rationalis vel naturalis. Die Körper- und Seelenlehre bilden diejenigen Teile der angewandten bzw. eigentlichen Meta­phy­sik, die zu Gegenständen des äußeren und inneren Sinnes gehören, neben den rein intellektuellen Gegenständen der Kosmologie und der Theologie (vgl. Meta­phy­sik K3, 29:956).

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wären diese Gebiete der Physiologie (Körper- und Seelenlehre) ungefähr mit den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zu identifizieren sowie mit einem noch nicht geschriebenen Systemteil zur rationalen Psychologie, soweit er sich nicht in der bloß negativen Erörterung des Paralogismus-Kapitels erschöpfen würde. Jedoch heißt es zum positiven Gehalt der rationalen Psychologie, dass er auf wenige Prinzipien a priori beschränkt bleiben muss, nämlich: der Begriff der Immaterialität einer denkenden Substanz, der Begriff ihrer Veränderung und der Identität der Person, bey den Veränderungen allein, […] alles übrige aber empirische Psychologie, oder vielmehr nur Anthropologie ist. (20:286) An anderer Stelle hingegen (20:281) stellt Kant es so dar, dass die Naturlehre (Physik und Psychologie) in die Kosmologie fallen, was jedoch weniger gut mit der Annahme harmoniert, dass die Kosmologie mit Ideen vom Unbedingten, Einen, Ganzen befasst ist; Physik und Psy­chologie soll eigentlich von endlichen Gegenständen in der Welt handeln und nicht vom Weltganzen; die Körperlehre sollte von sinnlichen Gegenständen handeln, die Kosmologie von übersinnlichen (bei der Seelenlehre schwankt diese Zuordnung). Auch sind die Gebiete der Physiologie nicht antinomisch und skeptisch, wenn man ihre erkenntniskritischen Grenzen beachtet. Wenn Physik und Psychologie dem theoretisch-dogmatischen Teil der Meta­phy­ sik zugeschlagen werden, müssen sie einen eigenen Bereich neben der Transzen­ dentalphilosophie/Ontologie bilden (ob man sie nun »Physiologie« nennt oder nicht). Die Tatsache, dass Kant die Gebiete mal hierhin, mal dorthin stellt, zeigt, dass von einer späten, abgeklärten, definitiven Alterskonzeption der Meta­phy­sik keine Rede sein kann. Wichtig ist hier nur, dass Kant der Meinung ist, dass es einen theoretisch-dogmatischen Teil der Meta­phy­sik gibt, d. h., dass das theoretisch-dogmatische Stadium ein noch aktuelles Gebiet besitzt und dass es in diesem Gebiet also kein historisch überholtes Stadium darstellt. Es existiert ein gesicherter Bestand der Ontologie sowie der reinen Naturwissenschaft als erster materialer Teil der Meta­phy­sik. Nur gibt es von ihm aus keinen Fortschritt zu den übersinnlichen Gegenständen, solange sich die Naturerkenntnis ins räumlich und zeitlich Unendliche erstreckt und kein immanentes Ende findet, sondern vielmehr aller Erkenntnisfortschritt in diese Gebiete selbst fällt. Wie kommt es also zum Fortschritt, zum Übergang zu den höheren Stadien? Kant schreibt dazu (erstens): In jenem [ersten] Stadium sieht sich die Vernunft in einer Reihe einander untergeordneter Bedin­gungen, die ohne Ende immer wiederum bedingt sind, zum unaufhörlichen Fortschreiten zum Unbedingten aufgefordert, weil jeder Raum und jede Zeit nie anders, als wie Theil eines noch größern gegebenen Raumes oder Zeit vorgestellt werden kann, in denen doch die Bedingungen zu dem, was uns in jeder Anschauung gegeben ist, gesucht werden müssen, um zum Unbedingten zu gelangen. (20:286f.)



Der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift 193

Es gibt also zunächst einen immanenten Fortschritt, der sein Ziel zwar intendiert, aber nicht erreicht. Methodisch geht es in der Sinnenwelt unaufhörlich weiter. Was, trotz dieser Unaufhörlichkeit, den Fortschritt begrenzt und den Übergang zu einem anderen Stadium motiviert, ist ein Vernunftbegriff, nämlich der Begriff des Unbedingten oder Ganzen oder Vollendeten, den die Vernunft unerbittlich fordert. Denn wo es Bedingtes gibt, muss auch etwas Unbedingtes sein; jedenfalls kann die Vernunft sich nicht mit einer ins Unbegrenzte laufenden Reihe von Bedingtem zufrieden geben. Daher (zweitens) der – nur einem theoretischen Sprung erreichbare – kosmologische Überschritt zum Unbedingten: Der zweyte große Fortschritt, welcher nun der Meta­phy­sik zugemuthet wird, ist der, vom Bedingten an Gegenständen möglicher Erfahrung zum Unbedingten zu gelangen, und ihr Erkenntniß bis zur Vollendung dieser Reihe durch die Vernunft (denn was bis dahin geschehen war, geschah durch Verstand und Urtheilskraft) zu erweitern, und das Stadium, welches sie itzt zurücklegen soll, wird daher das der transscendentalen Kosmologie heißen können, weil Raum und Zeit in ihrer ganzen Größe, als Inbegriff aller Bedingungen betrachtet und als die Behälter aller verknüpften wirklichen Dinge vorgestellt, und so das Ganze von diesen, sofern sie jene aus­füllen, unter dem Begriffe einer Welt vorstellig gemacht werden soll. (20:287) Das Problem ist nur, dass unter den Bedingungen von Raum und Zeit »das Unbedingte in der aufsteigenden Reihe der Bedingungen schlechterdings unerreichbar ist«. Der Fortschritt zu den Ideen ist nicht nur unvollendbar, sondern, weil die reine Vernunft ihn trotzdem fordert und mit dogmatischen Beweisen ausstattet, verwickelt sie sich in die kosmologischen Antinomien mit der Folge des Skeptizismus. Die Ausführung der Kosmologie und ihr antinomisches Scheitern machen den Fortschritt im zweiten Stadium aus. Die Behandlung der Antinomien nimmt den größten Teil bis zum Ende des Abschnitts ein (20:288–292). Von dem Skeptizismus, deren Folge die Antinomik der Vernunft ist, schreibt Kant, dass er darum für die Meta­phy­sik traurig ausfallen mußte, weil, wenn sie nicht einmal an Gegenständen der Sinne, ihre Forderung des Unbedingten betreffend, befriedigen kann, an einen Überschritt zum Übersinnlichen, der doch ihren Endzweck ausmacht, gar nicht zu denken war. (20:288) Wie kommt Kant trotzdem zur Annahme, dass es ein drittes Stadium des Fortschritts gibt, nämlich das praktisch-dogmatische Stadium? Die Antwort lautet: durch einen argumentativen Neuanfang nach dem skeptischen Scheitern der theoretischdogmatischen Kosmologie. Er setzt neu an, indem er den Begriff des Endzwecks der reinen praktischen Vernunft entwickelt und dessen notwendige Realisierungs­ bedingungen, die in der praktischen Postulatenlehre ent­halten sind. »Der Endzweck der reinen praktischen Vernunft ist das höchste Gut, sofern es in der Welt möglich ist« (20:294), und dessen Bedingungen sind die übersinnlichen Ideen Freiheit, Gott und Unsterblichkeit. Auf die Frage, warum es ein drittes, praktisch-dogmati-

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sches Sta­dium der Meta­phy­sik geben muss, antwortet er mit einem moralischen Argument: Dieser Gegenstand ist übersinnlich; zu ihm als Endzweck fortzuschreiten ist Pflicht; dass es also ein Stadium der Meta­phy­sik für diesen Überschritt und das Fortschreiten in demselben geben müsse, ist unzweifelhaft. (20:294) Was heißt »fortschreiten« in diesem Kontext? Da Kant es als Pflicht bezeichnet, scheint er hier an den moralischen Fortschritt bei jedem Individuum (die moralische Besserung des Menschen bis zur Erreichung des Endzwecks) zu denken. Doch wäre das ein Fortschritt der Meta­phy­sik? Ein solcher müsste eher in einem theoretischen Argumentations- oder Explikationsfortschritt bestehen. Aber auch dieser kann moralisch geboten sein, denn: Ohne alle Theorie ist dies aber doch unmöglich, denn der Endzweck ist nicht völlig in unserer Gewalt, daher müssen wir uns einen theoretischen Begriff von der Quelle, woraus er entspringen kann, machen. (Ebd.) Dies spricht für die Annahme, dass der Fortschritt in der Meta­phy­sik in der Etablierung eines Explikationszusammenhanges besteht, der in praktischer Absicht unternommen wird, der vom Konzept des höchsten Guts ausgeht und die Ideen Freiheit, Gott und Unsterblichkeit involviert, als Bedingungen der Realisierung des höchsten in der Welt möglichen Guts. Kants Rede von einem »Kreis«, dessen »Grenzlinie in sich selbst zurück kehrt und ein Ganzes von Erkenntnis des Übersinnlichen beschließt« (20:300), kann m. E. nur bedeuten, dass der Bereich abgeschlos­sen ist und nicht durch andere Ideen bzw. andere praktische Erkenntnis vermehrt werden kann. Ausgangs- und Endpunkt des Kreises ist vermutlich der Begriff des höchsten in der Welt möglichen Guts. Die Titel der drei Stadien und die ihnen zugeordneten Leitwissenschaften verdienen noch eine Anmerkung. Kant ordnet dem skeptischen Stadium faktisch nur die Kosmologie, dem praktisch-dogmatischen Stadium nur die Theologie zu.

Stadien

Gebiete der Meta­phy­sik

Systemteile der ›Kritiken‹ (bzw. eines Systems der Meta­phy­sik)

1. theoretisch-dogmatisch

Ontologie (Transzenden­tal­ philosophie)

KrV, Transzendentale Analytik

2. skeptisch

Kosmologie

KrV, Transzendentale Dialektik / kosmologische Antinomien

3. praktisch-dogmatisch

Theologie

negativ: KrV, Transz. Dialektik / Transz. Ideal positiv: KpV, Postulatenlehre



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Dabei lässt die Zuordnung der Theologie zum 3. Stadium außer Acht, dass die Psychologie und Kosmologie auch eine praktisch-dogmatische Seite haben, nämlich die Willensfreiheit (als eine Form des kosmologisch Unbedingten) und die Seelenunsterblichkeit. Und im 2. Stadium haben die Theologie und die rationale Psychologie auch eine skeptische Seite, nämlich in der Kritik der Gottesbeweise und der Paralogismen. Daher könnte man, wenn man das Schema systematisch vervollständigt, zu dieser Übersicht kommen:

Stadien

Gebiete der Meta­phy­sik

Systemteile der ›Kritiken‹ (bzw. eines Systems der Meta­phy­sik)

1. theoretisch-dogmatisch

Ontologie (Transzen­ den­tal­philosophie)

KrV, Transzendentale Analytik

Kosmologie

negativ: kosmologische Antinomien KrV, Transz. Dialektik

rationale Psychologie

negativ: psychologische Paralogismen KrV, Transz. Dialektik

Theologie

negativ: Kritik der Gottes­ beweise KrV, Transz. Dialektik

Theologie

positiv: Postulat der Existenz Gottes KpV, Dialektik

Kosmologie /

positiv: Willensfreiheit als Form der kosmologischen Unbedingtheit KpV, Analytik

rationale Psychologie

positiv: Postulat der Seelen­ unsterblichkeit KpV, Dialektik

2. skeptisch

3. praktisch-dogmatisch

Ob die Prävalenz der Kosmologie im 2. Stadium und der Theologie im 3. Stadium systemati­sche Gründe besitzt oder ob sie eher eine willkürliche Akzentsetzung darstellt, die der literari­schen Form einer Gelegenheitsschrift geschuldet ist, wäre noch die Frage. In literarischer Hinsicht ist es ein Vorzug, jedes Stadium mit nur einer Leitwissenschaft auszustatten; neben der kürzeren und schlankeren Darstellung gewinnt diese Systematik auch an Fasslichkeit und Prägnanz gegenüber einer systematisch vollständigen Abhandlung. Rein systematische Gründe für diese Wahl sehe ich nicht.

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4. Stadien, Epochen und ihre Konvergenz Ich fasse die Stadien-Lehre zusammen: Es geht Kant nicht nur um Wissenschaftsgeschichte seit Leibniz, sondern auch um die sachliche Entwicklung innerhalb der kritischen Philosophie selbst, nämlich eine systematische Erweiterung der Erkenntnis im Sinne des »Überschritts vom Sinnlichen zum Übersinnlichen«. Die »Stadien« sind Behandlungsarten, Methoden oder Paradigmen des metaphysischen Denkens, das sich im Erkenntnisfortschritt vom Sinnlichen zum Übersinn­lichen verändert. Es gibt einen systematischen Fortschritt der Erkenntnis, der verschiedene Stadien umfasst, indem er sich ändert je nach Art des Mediums, in dem fortgeschritten wird. So wie der Fortschritt auf dem Land andere Mittel erfordert als der im Wasser oder in der Luft, so ändert sich die Behandlungsart der Meta­phy­sik je nach Art der Gegenstände, mit denen sie es zu tun hat. In der Naturerkenntnis schreitet die Vernunft in gesicherter (theoretisch-dogma­tischer) Art fort. In Bezug auf das Weltganze kommt diese Methode an ihr dialektisches und skeptisches Ende. In Bezug auf Gott (auch in Bezug auf die Unsterblichkeit und Freiheit) wird eine Meta­phy­sik des Übersinnlichen möglich, die in den Begriffen und Sätzen theoretisch, aber in der Begründungs­dimension praktisch ist, nämlich auf der Grundlage des moralischen Bewusstseins, aus der nur die Voraussetzungen und Folgen entwickelt werden. Ein terminologisches Indiz dafür, dass die Stadien-Lehre tatsächlich primär systematisch und weniger historisch gemeint ist, ist der Umstand, dass Kant immer dann, wenn es um Leibniz und Wolff geht, von der »Epoche« redet, hingegen wenn es um die Gebiete der Meta­phy­sik geht, von »Stadium«. Die Analyse des Sprachgebrauchs zeigt, dass »Stadium« der systematische, »Epoche« der historische Begriff ist. Die Bezeichnung »Epoche« wird fast immer mit den Namen Leibniz und Wolff verbunden,12 während die »Stadien« vorzugsweise die systematischen Behandlungsarten der Meta­phy­sik (theoretisch-dogmatisch, skeptisch, praktisch-dogmatisch) bezeichnen;13 wo der Sinn zugleich ein historischer ist, sind die betreffenden Stellen im Sinne der Konvergenz von historischem und systematischen Fort­schritt (s. u.) zu verstehen.14 Kant spricht außerdem von »Schritten« (insbesondere in der Vorrede und in der ersten Abteilung) und meint damit stets sachliche Fortschritte, auch dann, wenn er sie mit bestimmten historischen Positionen verknüpft.15 Nur zweimal spricht Kant stattdessen auch von »Stufen«.16 Was wird nun aber aus dem wissenschaftsgeschichtlichen Fortschritt seit Leibniz? Wenn man den systematischen und den historischen Fortschrittsbegriff miteinander kombiniert bzw. die Epochen- und die Stadien-Lehre vereinigt, dann muss die Diagnose lauten: Die leibniz-wolffsche Meta­phy­sik (die Meta­phy­sik dieser Epo12  »Leibnitz-Wolffische

Epoche«: 28102; 30610; 3085–6. »Neuere kritische Epoche«: 31035. 28621–28714; 2931–22; 29428; 3003; 3031; 3265. 14 2648–11; 2815–16. 15 26139–2647; 26516–26613; 31815. 16 30936; 32419. 13 2815–16 u. 20;



Der doppelte Fortschrittsbegriff in Kants Entwürfen der späten Preisschrift 197

che) ist in allen Systemteilen innerhalb des theoretisch-dogmatischen Stadiums geblieben und war deshalb kein reeller Fortschritt, nur ein eingebildeter.17 Die prätendierten Erkenntnisziele wurden nicht wirklich erreicht. Der historische Fortschritt von Leibniz zu Kant ist darin zu sehen, dass nur die Ontologie in das theoretischdogmatische Stadium, jedoch die Kosmologie in das skeptische und die Theologie in das praktisch-dogmatische Stadium fallen (auch die Psychologie mit der Frage der Seelenunsterblichkeit und die Kosmologie mit der Frage eines wirkursächlich Unbedingten). Dazwischen ist der historische Fortschritt auch darin zu sehen, dass mit gewissen Themen zunächst eine skeptische Lösung anvisiert wurde (Hume). Historische Epochen / systematische Stadien des Fortschritts der Meta­phy­sik Historische Epoche

Ontologie

Kosmologie

Theologie

Leibniz

theoretischdogma­tisch

theoretischdogma­tisch

Hume

skeptisch

skeptisch

skeptisch

Kant

theoretischdogma­tisch

skeptisch

praktischdogmatisch

theoretischdogma­tisch

Ein letzter hier zu behandelnder Punkt betrifft Kants Annahmen über eine systematisch notwenige Abfolge der Epochen der Philosophiegeschichte. Es wurde angestrebt, den all­gemeinen wissenschaftsgeschichtlichen und Kants philosophischsystematischen Fortschrittsbegriff möglichst auseinander zu halten. Jedoch kann man die Entwürfe so lesen, dass Kant eher eine Konvergenz von geschichtlicher und systematischer Entwicklung anzunehmen scheint. Das zeigt sich an Stellen, in denen Kant Beispiele für die ersten zwei Stadien anführt, die bis in die Antike zurückreichen, und an Stellen, die von der Annahme einer natürlichen Entwicklung der Vernunft handeln. In der bereits zitierten Stelle aus der Vorrede (20:264) spricht Kant von Stadien des Dogmatismus, des Skeptizismus und des Kritizismus, die er geschicht­lich versteht. Das Zitat geht weiter: Diese Zeitordnung ist in der Natur des menschlichen Erkenntnißvermögens gegründet. Wenn die zwey erstern zurückgelegt sind, so kann der Zustand der Meta­phy­sik viele Zeitalter hindurch schwankend seyn, vom unbegrenzten Vertrauen der Vernunft auf sich selbst, zum grenzenlosen Mißtrauen, und wiederum von diesem zu jenem abspringen. (20:264) Und in den »Losen Blättern zu den Fortschritten der Meta­phy­sik« denkt Kant über eine »philosophirende Geschichte der Philosophie« (20:340) nach und wirft dabei Fragen wie diese auf: 17  Der Gegensatz von reellen und bloß vermeintlichen Fortschritten thematisiert Kant in der dritten Handschrift auf S. 315–323.

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Andreas Brandt

Ob die Geschichte der philosophie selbst ein Theil der Philosophie seyn könne […] Ob eine Geschichte der Philosophie mathematisch abgefaßt werden könne[.] Wie der Dogmatism aus ihm der Skepticism aus beyden zusammen der Criticism habe entstehen müssen. (20:342 f.) Oder: Ob sich ein Schema zu der Geschichte der Philosophie a priori entwerfen lasse mit welchem die Epochen die Meynungen der Philosophen aus den Vorhandenen Nachrichten so zusammentreffen als ob sie dieses Schema selbst vor Augen gehabt und darnach in der Kentnis derselben fortge­schritten wären. (Ebd.) Die letzte Frage wird so beantwortet: Ja! wenn nämlich die Idee einer Meta­phy­sik der Menschlichen Vernunft unvermeidlich aufstößt und diese ein Bedürfnis fühlt sie zu entwickeln diese Wissenschaft aber ganz in der Seele obgleich nur embryonisch vorgezeichnet liegt. (Ebd.) Wenn Kant tatsächlich eine Konvergenz von historischer und systematischer Entwicklung der Meta­phy­sik angenommen (und nicht nur verschiedene Fortschrittsbegriffe durcheinander geworfen hat), dann hätte er einen Entwurf einer Philosophie der Philosophiegeschichte, die, wenn sie ausgearbeitet wäre, mit Hegels Phänomenologie des Geistes vergleichbar wäre. Der Leser/die Leserin hätte die Wahl, entweder die kühne konstruktive Interpretationsleistung zu bewundern oder die an der Inkommensurabilität der historischen Theorien notwendig schei­ternde Durchführung zu bemängeln. Meine Vermutung ist, dass die enormen Probleme bei der Konzeption und Durchführung dieses Versuchs – neben dem Zeitmangel angesichts wichtigerer Publikationsvorhaben Kants Anfang der 90er Jahre – einen der Gründe darstellen dürften, warum er ihn fallen gelassen und die Preisschrift nicht eingereicht hat.

Literatur Kant, Immanuel: Schriften zur Meta­phy­sik zur Logik 2 (Werkausgabe Band VI). Hg. von W. Weischedel. Frankfurt/ M. 1977. Kuhn, Thomas S.: The Structure of Scientific Revolutions. Chicago 1962. Mohr, Georg: Immanuel Kant. Theoretische Philosophie. Texte und Kommentar. Band 3. Frankfurt/M. 2004. Nelson, Leonard: Gesammelte Schriften in neun Bänden. Hg. von P. Bernays (etc.). Hamburg 1970–77. Band VII: Fortschritte und Rückschritte der Philosophie. Aus dem Nachlaß hrsg. von J. Kraft. 2. durchgesehene Auflage 1977. Vleeschauwer, Herman J.: La composition du Preisschrift d’Immanuel sur les progrès de la métaphysique, Journal of the History of Philosophy (16) 1979, 143–196.

Kant’s Late Metaphysics: On »Metaphysics Proper« in the Fortschritte der Metaphysik Marcos A. Thisted Introduction Most scholars devoted to Kant’s philosophy agree on the relevance of the Fortschritte der Metaphysik – the posthumous manuscript that Kant started writing in the early 1790s and abandoned before finishing –: it is the main document after the publication of the three great Critiques showing the persistence of the goal of founding a science of metaphysics that is not restricted to immanent metaphysics but also involves the realm of the supersensible.1 However, the agreement among interpreters ends when it comes to evaluating the characteristic features of such critical metaphysics encrypted in the short and convoluted pages of the unfinished Kantian manuscript. While some have claimed that Kant is not referring there specifically to a metaphysical science but to a metaphysical faith,2 others have argued that the philosopher refers to the metaphysics of morals;3 according to the interpretation regarding which there is greater consensus among students of the Fortschritte, the metaphysics examined there is called »practico-dogmatic metaphysics« – i. e., a theoretico-practical metaphysics through which knowledge of the supersensible can be achieved without infringing upon the restrictions set by the critique of pure reason.4 1  On the metaphysical character of the Fortschritte der Metaphysik see Caimi 1992. See also de Vleeschauwer 1974; Delekat 1963; Grandjean 2013, 11–12. 2  K. Oesterreich argues that in the Fortschritte der Metaphysik Kant sometimes characterises this metaphysical faith as dogmatic (Oesterreich 1906, 93–113) or as practical (113–128). 3  Cf. Han 1988, 205–245. 4  The concept of a »practico-dogmatic metaphysics« can be traced to H. Heimsoeth who expressly states that the Fortschritte is one of the writings in which it is best developed (Heimsoeth 1929, 85–104). The notion was adopted by M. Aebi (1947, 30–31) and F. Delekat (1963, 239–46). It should be pointed out, however, that Kant does not refer in the Fortschritte to a practico-dogmatic metaphysics but to practico-dogmatic knowledge. This difference is significant: as will be shown below, this practico-dogmatic knowledge characterises the practical foundation of knowledge of the supersensible in the third stage of »metaphysics proper«. Using this term, Kant distinguishes the third stage – called the doctrine of wisdom – from the first stage – called the doctrine of science. Accordingly, the present interpretation will argue that, strictly speaking, in the Fortschritte there is no such »practico-dogmatic metaphysics« and that it is an interpretive reconstruction that does not conform to the argumentative development of Kant’s manuscript. »Practico-dogmatic knowledge« in turn characterises – from

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In this paper, we will again take up the study of the metaphysics contained in Kant’s posthumous text for the purpose of critically reviewing some of these interpretations,5 and we will try to offer a new viewpoint on this vexata quaestio, which might shed some light on its most obscure aspects. To the extent that the critical concept of metaphysics is mainly dealt with in the Second Section of the text, our analysis will focus on this chapter of Kant’s manuscript.6 While a distinctive aspect of this interpretation lies in establishing the consistency between such a concept of metaphysics and the Kantian text to which it belongs as a whole, we will previously refer to Rink’s edition of the work (Part 1) and its argumentative structure (Part 2). In the third part, we will introduce our own interpretation of the concept of metaphysics as presented in this Second Section of the Fortschritte. There we will try to outline some of the basic characteristics of this late Kantian metaphysics (particularly, the critical foundation for its division into three stages [Stadien] and its architectonic organisation in the form of a metaphysical system). Finally, in the last part of this article we will highlight the consistency existing between the concept of metaphysics as presented here and the general argumentation in the Fortschritte.

a strictly gnoseological point of view – one part of »metaphysics proper« (die eigentliche Metaphysik), which should not be confused with the systematic whole of this metaphysics. 5  We will specifically refer to the last two interpretations (that it is a metaphysics of morals and that it is a practico-dogmatic metaphysics) because the first hypothesis – that it is metaphysical faith rather than a metaphysical science – does not stand up to strict textual analysis: Kant explicitly states that rational faith is the characteristic manner of »holdingfor-true« [Fürwahrhalten] in the practico-dogmatic knowledge of the third stage (20:297). As regards the hypothesis that it is a metaphysics of morals, our analysis will show that there are enough textual and argumentative data to refute it. As to the most widely accepted hypothesis, i. e., that it is a practico-dogmatic metaphysics, the thesis is correct in itself but based on a category mistake: As we have already noted, »practico-dogmatic« is the term chosen by Kant to characterise knowledge in the third stage not metaphysics as a whole. 6  Scholars devoted to the Fortschritte usually admit that this posthumous text by Kant introduces two different concepts of metaphysics (see Caimi 1989, 23–28; Grandjean 2013, 12–13). While, according to the first concept, metaphysics is »the system of pure theoretical philosophy« (20:261.16–17), matching the definition of transcendental philosophy summarised in the First Section, the second concept defines »metaphysics proper« as »the science of progressing by reason from knowledge of the sensible to that of the supersensible« (20:260.5– 6), a concept that is – as we argue here – elaborated upon in the Second Section. But there is a close relationship between both concepts – transcendental philosophy is considered as a means for the treatment of metaphysics proper. Although we will only deal with the latter, we will also emphasise the antecedent-consequent relationship existing between the two concepts.



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1. The Fortschritte der Metaphysik: Difficulties and Problems The texts of the Fortschritte der Metaphysik were written between 1792 and 1795.7 They belong, then, to the period extending from the completion of the great critical endeavour and the beginning of the review of the fundamental categories of transcendental philosophy in the Opus postumum. Kant’s evident purpose in them was to respond to a question posed – with clear anti-Kantian motivation –8 by the Royal Academy of Sciences in Berlin. The nature of the Preisfrage, which invited intellectuals of the Aufklärung to express their views on the success or failure of the critical endeavour concerning German metaphysics, is preserved in the title of Kant’s work: »What Real Progress Has Metaphysics Made in Germany Since the Time of Leibniz and Wolff?«.9 The exegesis of the texts that make up this last and unfinished Kantian Preis­ schrift10 is difficult because of various obstacles. Let’s mention the most relevant ones. First, we should consider the uncertainty about the specific context in which the manuscripts were written. In fact, scholars dealing with the Fortschritte der Metaphysik have not been able exactly to determine not only whether the author’s inten  7  On the problem of dating the Fortschritte der Metaphysik, see De Vleeschauwer 1974, 305–306.   8  When the Academy of Sciences in Berlin announced this call, the influence of NeoWolffianism was apparent. It might even be the case that the academic question had been devised as the complement of the attack that J. Eberhard directed against Kant in the Philo­ sophisches Magazin.   9 The complete title of Kant’s posthumous work is even longer: »Concerning the Prize Question Posed by the Royal Academy of Sciences in Berlin for the Year 1791: What Real Progress Has Metaphysics Made in Germany Since the Time of Leibniz and Wolff?« [»Über die von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf’s Zeiten in Deutschland gemacht hat?«]. As was customary, the Academy’s question was originally posed in French: »Quels sont les progrès réels de la Métaphysique en Allemagne depuis le temps de Leibnitz et de Wolf?«. We are quoting the Fortschritte der Metaphysik based on Peter Heath’s English version (Kant 2004). 10  In the introductory study to his Italian translation, P. Manganaro questions the idea that the Fortschritte der Metaphysik may effectively be a Preisschrift since we do not know whether Kant was actually considering participating in the contest or not (Manganaro 1977, 32–33). But this comment by Manganaro seems to miss the target of his criticism: What causes the Fortschritte to be considered »the last Kantian Preisschrift« does not involve the decision to participate in the official contest but the decision to respond to the Academy’s question. And there are no doubts about the latter. However, this does not necessarily suggest that his intention may have been to participate in the official channel proposed for the prize: There was a »parallel path«, opened by S. Maimon with Über die Progressen der Philosophie (1793), which consisted in publishing one’s own work independently thereby avoiding the Academy’s judgment whose strong anti-Kantian bias did not bode an even-handed resolution.

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tion was to participate in the academic contest, but also the reasons that may have led Kant to abandon an already very advanced project. Some suppose that this was due to reasons not connected with the development of the work; others claim that it was due to certain difficulties with the doctrinal development of the manuscript. Thus, for example, H.-J. de Vleeschauwer rules out the possibility that an internal difficulty in the general argumentation of the manuscript may have forced Kant to quit writing the Fortschritte der Metaphysik, and considers it sufficient evidence to the contrary that Kant ultimately delivered the work to Rink for publication.11 The opposite hypothesis is favoured by, among others, F. Duque, who thinks that in the Fortschritte der Metaphysik there are two »viewpoints«, a »systematic« one and a »historical« one, whose irreconcilable character might have led the author to abandon his work.12 Second, there is mystery surrounding the circumstances concerning the editing and publication of the work. In this sense, it is worth pointing out that, on the one hand, it has not been possible to determine what exactly the reasons were that made Kant leave the material to his executor Friedrich T. Rink – were these papers designated by Kant for publication, or did they have a different purpose? –; on the other hand, the criteria used by Rink himself for treating the material left by Kant are highly diffuse and dubious. This circumstance worsens due to the unfortunate loss of the original manuscripts.13 Third, we should take into account the bewilderment caused even today among interpreters of Kant’s critical philosophy by the existence of a text in which the alleged »destroyer of metaphysics« openly favours a critical metaphysics whose ultimate purpose is knowledge of the supersensible – and which, for this same reason, can neither be identified with the »metaphysics of experience« nor subsumed under the metaphysics of morals. Despite these significant obstacles, which render a conclusive interpretation of the texts in the Fortschritte der Metaphysik difficult, by jointly considering the philological,14 11  He lists the following options as possible external reasons: Kant’s age, the anxieties resulting from Berlin’s orthodox censorship, other more urgent works, the risk of being discredited by the Academy (see de Vleeschauwer 1974, 305–306). 12  Duque 1987, LXVI. Allison (2004, 341) also believes that Kant hesitates about presenting metaphysics from a historical or from a systematic viewpoint. 13  On these kinds of questions, see, in addition to the essential study by H.-J. de Vleeschauwer cited above, the comments by Brandt 1987, 65–66. Rink’s task as an editor of the papers left by Kant was already questioned by T. Weisskopf 1970, 171–183. L. White Beck echoes Weisskopf’s criticism in Beck 1978, esp. 194–197. 14  From the point of view of the context in which the texts included in the Fortschritte were written, it is essential to acknowledge that the academic Preisfrage brought into contact two enlightened controversies that had been developing along parallel paths until then: on the one hand, the controversy that for several years had confronted Neo-Wolffianism with criticism concerning Leibnizian philosophy; on the other hand, the controversy over the problem of the appropriate method for writing the history of philosophy. As regards the former,



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contextual,15 and philosophical aspects involved in the writing of Kant’s posthumous text it is possible to reconstruct the probable main lines of the argumentative structure laid out by Kant for his manuscript.16 This task, which has been undertaken elsewhere, is not the purpose of this article, which nevertheless takes it for granted. And, while we cannot dwell on its specific aspects, a brief summary will be given of some of the major conclusions arrived at there, as this determines the possibility of appropriately characterising the novel concept of metaphysics proper introduced by the Fortschritte der Metaphysik.17

2. The Argumentative Structure of the Fortschritte der Metaphysik As can be gathered from the texts written by Kant as an introduction to the Fortschritte der Metaphysik,18 his aim in the Preisschrift was to establish the right the discussion broadened from the topics relating to metaphysica generalis to include topics inherent in metaphysica specialis. As regards the latter, it implied Kant’s engagement in the discussion between eclecticism and criticism (cf. Geldsetzer 1966, 519–527; Braun 1973, 206–240; Baldo et al. 1988, 671–877). Appropriately assessing the context in which Kant’s manuscript emerges helps to determine its thematic core more accurately: It is not exclusively about discussing the problem of dogmatic metaphysics but about appropriately establishing the relationship between the concept of metaphysics and the concept of progress. This thematic core can also be found in the major papers submitted for the contest – namely those by J. C. Schwab, K. Reinhold and S. Maimon. So says a privileged witness of this dispute, von Eberstein 1794/1797, 487–488. 15 Despite the enormous difficulties involved in reviewing Rink’s edition, which are caused by the absence of original manuscripts written by Kant, the consideration of some plays on words that Kant uses as rhetorical indicators (particularly, but not only, the distinction between Schritte zur Metaphysik and Fortschritte der Metaphysik) is a starting point for reconstructing the main argumentative pieces of Kant’s text, mostly when the concepts to which these plays on words refer are identified. 16  The precise determination of the context for this »occasional writing« and the resolution of the main philological problems have allowed us to offer a rough reconstruction of the argumentative structure of the work and to determine on a more sound basis – from the strictly philosophical point of view – the novelty introduced by Kant with the concept of a metaphysics proper. This topic is the focus of the third part of this article. 17 This problem was addressed extensively in my PhD thesis, Kant and Critical Metaphysics circa 1792–1795. Analysis and Interpretation of the Fortschritte der Metaphysik, supervised by Mario Caimi. This material will soon be digitally published by the University of Buenos Aires. 18  One of the main philological anomalies in the Fortschritte der Metaphysik is the exis­ tence of two versions of the introductory chapter (cf. De Vleeschauwer 1979, 158–164). The editor, F. T. Rink, chose one of them – apparently the one included in the first manuscript left by Kant – as the »official« version, placing it at the beginning of the work (cf. 20:259264). The other version of the Introduction was left behind as Appendix I (20:315–320), even

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approach for addressing – as requested by the Academy of Sciences in Berlin in its Preisfrage – the problematic relationship between the classic concept of metaphysics and the modern concept of progress.19 Kant examines this fundamental question from two perspectives: a negative and a positive one. On the one hand, he argues that the specific characteristics of a science such as metaphysics make it impossible to respond to the question through a history of metaphysics: As a complete science, metaphysics cannot be presented according to an indefinite, endless progression.20 But this impossibility does not suggest the challenge posed by the Academy should though Rink himself considered it »more complete« (20:257.21–22). In this editorial decision there certainly lies the origin of the difficulties encountered by scholarly critics when striving to recognise the structural characteristics of the argumentation followed by Kant in his reply to the Academy’s Preisfrage. In fact, it is the version left for the Appendix that contains the main textual keys for identifying the argumentative cores of Kant’s manuscript. Actually, as we will see below, on the one hand the distinction between the Schritte and Fortschritte of metaphysics prefigures the division of the text into two sections respectively devoted to transcendental philosophy, and to metaphysics proper; and, on the other hand, it prefigures the distinction between real progress and apparent progress in metaphysics, which specifies the criterion to be adopted in order to settle the dispute between the critical philosophy and Leibniz-Wolffian philosophy. The version located at the beginning of the Fortschritte only introduces the negative viewpoint from which Kant considers the question, namely, that the progress of metaphysics cannot be exposed historically because it is a comprehensive science, but he fails to provide enough elements for a positive answer. For this reason, in our argumentative reconstruction we have combined both answers for the purpose of showing the argumentative lines laid out in Kant’s text. 19 The background in which the Fortschritte appears falls outside the debate between Neo-Leibnizianism and criticism. Added to this controversy, there is a more recent dispute about the appropriate method with which the history of philosophy – here particularly metaphysics – should be written. This two-fold concern is common to several of the major contributions; in any case, what makes the Fortschritte stand out is the way in which both are settled. The controversy over the relationship between metaphysics and progress – the thematic core around which Kant’s manuscript is organised – is settled by establishing a critical system of metaphysics mainly characterised by exposing the progress of pure reason through three systematically organised stages. The controversy against Leibniz-Wolffianism is instead settled through the concept of objective reality used for distinguishing between real or merely apparent progress in metaphysics. 20  At the beginning of the »official« version of the Introduction, Kant explicitly states that the progress of metaphysics cannot be exposed »historically« since it is a complete science, which makes it different from other disciplines such as astronomy or chemistry (in the case of empirical sciences) or mathematics and pure mechanics (in the case of pure sciences) (cf. 20:259.11–24; cf. also 04:473; cf. Grandjean 2008, v. IV, 3–14). This completeness characterising metaphysics stems from the critique of pure reason, which must necessarily precede it so that it can be a science, and at the same time entails its structuring as a systematic whole based on the idea of this science (20:321.1–17). Therefore, the progress of metaphysics can only relate to the reconstruction of the dynamism of the power of pure reason within this systematic whole (cf. Grandjean 2013, 21–22).



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be abandoned; rather, it demands that the critical philosopher adopt a different viewpoint: Instead of a historical exposition of the progress of metaphysics, Kant chooses to present a logical-systematic exposition of the progress of pure reason in metaphysical science.21 That is the only way of positively responding to the Academy’s question: by formulating a system of metaphysics made up of three stages in which the path followed by pure reason is reflectively reconstructed from know­ ledge of the sensible to that of the supersensible. This alternative path is introduced by Kant through a series of subtle linguistic ironies and plays on words that make it difficult to understand. Therefore, we should look more carefully at the Kantian text in order to recognize its main argumentative steps. As Kant claims, the Academy’s question in fact conceals a more complex question (20:315.5–15).22 The first step to answering it properly is to break down the two questions that implicitly come together in its equivocal formulation. Following this approach, the task is thus divided into two remarkably different questions. First, it is necessary to determine the »steps« (Schritte) taken towards metaphysics and the »progress« (Fortschritte) of metaphysics following them (20:315.8–13).23 The second »implicit« question consists in establishing whether the progress that metaphysicians claim to have made in metaphysics is real or merely apparent (20:315.14–15). Through this playful initial approach, Kant metaphorically anticipates the outline of his manuscript. In fact, the First Section presents a brief summary of transcendental philosophy outlining the three most recent »steps« taken »towards metaphysics«. The Second Section in turn contains the most recent »progress of metaphysics proper«, which is divided into three parts called »stages of pure reason«. To answer the second implicit question, namely regarding the distinction between the real and merely apparent progress of metaphysics, Kant puts forward the critical concept of objective reality: Only those metaphysicians who can prove that their metaphysical concepts effectively refer to objects of possible experience will be able to succeed in overcoming this challenge.24 21  In the definition of metaphysics proper, Kant introduces the concept of progress (metaphysics »is the science of progressing by reason from knowledge of the sensible to that of the supersensible«) possibly for the purpose of adjusting the characterisation of the stages of pure reason to the concept of metaphysics (cf. Grandjean 2013, 15). This attempted adjustment becomes clear because on other occasions instead of the term progress Kant more appropriately writes transition. 22  For the reasons referred to above, below we will discuss the version of the Introduction in Appendix I to the Fortschritte (20:315–320). 23  Students of the Fortschritte have overlooked this play on words introduced by Kant in the »Introduction«. What is remarkable is that it is precisely thanks to this type of textual indicator that it is possible to reconstruct the argumentative structure of Kant’s text. This topic was dealt with in Thisted (forthcoming). 24  Kant uses a subtle word choice to suggest the relationship between the Preisfrage and the criterion through which he will settle the dispute between Leibniz-Wolffian philosophy and criticism, namely, the concept of objective reality. In fact, recall that the Academy’s Preis-

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This second question falls outside the scope of this paper, so we will simply mention it. However, the distinction between the steps towards metaphysics and the progress of metaphysics, and especially the latter, is the main focus of the remainder of this article. 3. The Second Section of the Fortschritte der Metaphysik: Metaphysics Proper Let us summarise some of the main characteristics of the Second Section of the Fortschritte der Metaphysik, where – as stated earlier – Kant offers his positive answer to the question posed by the Academy of Sciences in Berlin.25 In this section, Kant details »the current state of metaphysics proper« (20:265.8–12). This eigentliche Metaphysik actually represents a novel system of metaphysics whose argumentative role is to show the logical transition26 or progress of pure reason from »theoretico-dogmatic knowledge« of the sensible to »practico-dogmatic knowledge« of the supersensible.27 For this purpose, Kant divides eigentliche Metaphysik into three stages28 respectively called the doctrine of science (Wissenschaftslehre), frage had originally been presented in French: »Quels sont les progrès réels de la Métaphysique en Allemagne depuis le temps de Leibnitz et de Wolff« (the emphasis is my own). However, as we know, German admits two translations for the adjective »réel«: »wirklich« or »reell«. Kant chose the Latin term when usual practice would have been to choose »wirklich« (the evidence for this is that Rink himself translates the title of Kant’s work as: »Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolf’s Zeiten in Deutschland gemacht hat?«). It is possible to identify a philosophical ground for choosing the adjective »reell«. Kant seems to want to suggest by means of this expression the concept that should be used for determining which progress of metaphysics was real and which was only apparent: the concept of objective reality [objektive Realität] (cf. 20:318–320; 279–280; 296–310). 25  The Second Section starts on page 281 of the Academy Edition, but it is uncertain on which page it finishes. It apparently ends on page 296 where the Auflösung der akademische Aufgabe starts. However, the topics discussed in the Auflösung actually extend and further explore the characterisation of the third stage of metaphysics (cf. Caimi 1989, 112). 26  The transition of pure reason in the system of metaphysics proper takes place in the accomplished whole as previously determined by the critique of pure reason. This transition or progress is »dogmatic« to the extent that it takes place according to critical principles. Kant metaphorically identifies this logical-systematic progress through two metaphors: first, by drawing a circle (20:300) and then using the curious metaphor of a door, which will be discussed below (20:311). 27  That this is a system is something Kant basically suggests in 20:311, although other passages also confirm this. This system would correspond to a metaphysics of »nature« in a sense absolutely different from the one Kant usually assigns to this term (cf. 20:293.4–15). 28  In the Fortschritte, Kant coherently (but for a few exceptions) uses the terms Schritte, Stadien and Stufen for differentiating respectively »steps« of transcendental philosophy (20:265.16; 20:266.1; 20:266.10), »stages« of metaphysics proper (20:273.5–10; 20:281.4–18), and »phases« of the Weisheitslehre –, i. e., knowledge of the supersensible – (20:309.36–37). These triads suggest a high level of development in the manuscript.



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doctrine of doubt (Zweifellehre) and doctrine of wisdom (Weisheitslehre), which are in turn architectonically articulated as a system. Below we will examine more carefully the criteria followed by Kant for dividing and systematically organising this doctrine of the stages of metaphysics proper.

3.1  The Division of eigentliche Metaphysik into Three Stages of Pure Reason The metaphor through which Kant introduces the relationship between transcendental philosophy and metaphysics proper evidently seeks to emphasise the critical dictum according to which the former should determine the latter.29 What is this foundational relationship, which is established between transcendental philosophy and metaphysics proper between the First Section and the Second Section of the Fortschritte about? Or, more specifically: Why, does the division of the »matter« of metaphysics into three stages of pure reason »follow« from the »formal« consideration of metaphysics in transcendental philosophy? (cf. 20:265) The answer to this critical question can be found in a well-known fragment of the Fortschritte misplaced by the editor of the work:30 Transcendental philosophy, i. e., the doctrine of the possibility of all a priori knowledge as such, which is that Critique of Pure Reason whose elements have now been completely set forth, has as its purpose the founding of a metaphysics, whose purpose in turn envisages as an aim of pure reason the extension of the latter from the limits of the sensible to the field of the supersensible; a transit which, if it is not to be a dangerous leap, seeing that it is not, after all, a continuous progression in the same order of principles, makes necessary a scrupulous attention to the bounds of both domains, which obstructs progress. (20:272–273)31

29 Here we mean the distinction between the steps towards metaphysics [Schritte zur Meta­physik] and the progress of metaphysics [Fortschritte der Metaphysik], which we referred to above. 30  In his study of the Fortschritte, M. Caimi has suggested that this page should be placed as a transition from the First Section to the Second one (see Caimi 1989, 56–57). Our analysis confirms this suggestion and adds elements to justify this decision, which helps to explain the relationship between transcendental philosophy and metaphysics proper as the foundation for the two sections of Kant’s manuscript. 31  »Die Transscendentalphilosophie, d.i. die Lehre von der Möglichkeit aller Erkenntniß a priori überhaupt, welche die Kritik der reinen Vernunft ist, von der itzt die Elemente vollständig dargelegt worden, hat zu ihrem Zweck die Gründung einer Metaphysik, deren Zweck wiederum als Endzweck der reinen Vernunft, dieser ihre Erweiterung von der Grenze des Sinnlichen zum Felde des Übersinnlichen beabsichtiget, welches ein Überschritt ist, der, damit er nicht ein gefährlicher Sprung sey, indessen daß er doch auch nicht ein continuirlicher Fortgang in derselben Ordnung der Prinzipien ist, eine den Fortschritt hemmende Bedenklichkeit an der Grenze beyder Gebiete nothwendig macht.«.

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We already find at the beginning of this fragment a clear textual confirmation that the relationship between transcendental philosophy (First Section) and metaphysics proper (Second Section) has a foundational character. The main consequence of this foundation is the division into the three stages of pure reason. In fact, the study of the form or method of metaphysics – a task of transcendental philosophy that precedes metaphysics proper – demands that reason restricts its theoretical progress to the field of the sensible (therein lies the first stage of pure reason, where knowledge is theoretico-dogmatic); it also demands the ultimate abandonment of all hope of a theoretical extension of reason to the field of the supersensible (therein lies the second stage of pure reason, which has no knowledge and is merely a »pivot« enabling the transition from one stage to the other and is therefore called the »sceptical stage«); and it only authorises an extension of reason to the field of the supersensible where it concerns its practical use (therein lies the role of the third stage of pure reason, where knowledge is based on the practical use of reason and is therefore called the »practico-dogmatic« stage). If metaphysics did not conform to the severe restrictions imposed by transcendental philosophy, a »dangerous leap«32 would take place, which is proper to fanatical thinkers, rather than the sought-after dogmatic progress –, i. e., a progress based on principles drawn from the Critique of Pure Reason (cf. 20:292.20–22). The paragraph following the quotation above confirms this interpretation point by point, stressing that this division into three stages has its origin in the critical restriction based on transcendental philosophy: From thence follows33 the division of the stages of pure reason, into doctrine of science, as a sure advance; doctrine of doubt, as a halting-point; and doctrine of wisdom, as a transition to the ultimate purpose of metaphysics: so that the first will contain a theoretico-dogmatic doctrine, the second a skeptical discipline, and the third a practico-dogmatic [doctrine; M. A. T.34]. (20:273)35 32  Kant’s mention here of a possible »dangerous leap« refers to the controversy over pantheism (since it was Jacobi who praised, based on the results of transcendental philosophy, the possibility of the leap of historical, not rational, faith). Kant seems then to oppose to that fanatical attempt the transition that reason makes in metaphysics proper since it takes place according to principles. 33  Emphasis M. A. T. Cf. also the following related fragment, placed between asterisks by Rink, which highly probably refers to the relationship between transcendental philosophy and metaphysics proper: »Hieraus folgt das Prinzip der Eintheilung der ganzen Metaphysik: Vom Übersinnlichen ist, was das speculative Vermögen der Vernunft betrifft, kein Erkenntniß möglich (Noumenorum non datur scientia)« (20:277.6–8). 34  Kant omitted the noun to which »practico-dogmatic« refers. What could be its referent? Following the text, it could only be »doctrine« or »discipline«; but the third stage is not a »discipline« so there is only »doctrine« left. That it should be a »creed«, as the translator of the text into English assumes, appears to be an excessive interpretation. 35  »Hieraus folgt die Eintheilung der Stadien der reinen Vernunft, in die Wissenschaftslehre, als einen sichern Fortschritt, – die Zweifellehre, als einen Stillestand, – und die Weis-



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Thus, the formal or methodological treatment of transcendental philosophy that precedes the material treatment of metaphysics determines the division of this science into three different stages. These can be clearly characterised: the Wissenschaftslehre, referring to the a priori knowledge of the objects of the senses; the Zweifellehre, as a sceptical discipline involving a guideline for moving from know­ ledge of the sensible to knowledge of the supersensible; and the Weisheitslehre, containing practico-dogmatic knowledge, whose foundation lies in the doctrine of practical freedom in the second Critique. Each of these stages of metaphysics proper was to be characterised in the Second Section, but Kant only partially completed their presentation.36 Based on this consideration concerning the relationship between transcendental philosophy and metaphysics proper, we have gained an initial approach to the characterisation of the latter.

3.2  The Systematic Order of the Stages of Pure Reason in Metaphysics Proper In the previous subsection we dealt with the foundation for the division of the stages of pure reason. Now we will deal with the problem of its systematic arrangement.37 This new characteristic of the doctrine of the stages of pure reason is discussed in depth in a fragment at the end of the second manuscript of the Fortschritte, in a short supplement38 that offers a retrospective look at the science of metaphysics proper as a whole (20:311). In this excerpt, after having stated the formal requirement of a system of metaphysics –namely, that »any principle in it is demonstrable for itself«, and that its principles should be perfectly mutually derived – Kant says:

heitslehre, als einen Überschritt zum Endzweck der Metaphysik: so daß die erste eine theoretisch-dogmatische Doctrin, die zweyte eine sceptische Disciplin, die dritte eine practischdogmatische enthalten wird.«. 36  We have already said that the Second Section is composed of three stages. However, in the manuscripts left by Kant they are unevenly developed. We have two relatively complete versions on the second stage (20:286–292; 20:326–329). On the third stage, there is a disorderly but long exposition with some minor argumentative gaps (see the discussion above on the problem concerning the length of the Second Section compared with the topics regarding the third stage). The greatest problem lies in the first stage: Kant was only able to write a critique of Leibniz-Wolffian ontology but failed to introduce the positive part of this theoretico-dogmatic stage in that critique. However, in some places he left clear indications of the way in which the unwritten chapter should be completed (20:338–339; 20:286.23–31; 20:337–338). This is consistent with the summary exposition of a priori judgments and thus with the theses in the Transcendental Aesthetic and the Transcendental Analytic (cf. Grandjean 2013, 22–26). 37  On the Kantian concept of system, cf. Hinske 1991, 169–177 and Zöller 2001, 63–66. 38  Cf. the Supplement in Review of the Whole (20:311).

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There are two hinges on which [metaphysics] turns: first, the doctrine of the ideality of space and time, which in regard to theoretical principles merely points toward the supersensible, but for us unknowable, in that on its way to this goal, where it is concerned with the knowledge a priori of objects of sense, it is theoretico-dogmatic; second, the doctrine of the reality of the concept of freedom, as that of a knowable supersensible, in which metaphysics is still only practico-dogmatic. But both hinges are sunk, as it were, into the doorpost of the rational concept of the unconditioned in the totality of all mutually subordinated conditions, where there is need to remove that illusion which creates an antinomy of pure reason, by confusion of appearances with things-in-themselves, and which contains, in this very dialectic, an invitation to make the passage from the sensible to the supersensible. (20:311.10–24)39 A careful look at this fragment shows the criterion adopted by Kant for architectonically arranging the exposition of the stages of pure reason: their belonging to a system of metaphysics guided by the definition of the discipline as »the science of progressing by reason from knowledge of the sensible to that of the supersensible«. Accordingly, the Wissenschaftslehre is the first of the three stages since in it reason –founded on the principle of the ideality of space and time – can only show the supersensible as that which is »unknowable« for theoretical reason. The Zweifellehre is, in turn, in the second place since the supersensible is presented in it as »knowable« (i. e., as non-contradictory but not thereby known). Even if there is, strictly speaking, no knowledge of the supersensible whatsoever, this stage is presented as a »guideline« for the progress of reason from knowledge of the sensible to knowledge of the supersensible. And, finally, the Weisheitslehre is the third and last stage because in it pure reason, based on the »doctrine of the reality of the concept of freedom«, attains practico-dogmatic knowledge of the supersensible.40 Thus besides the principle of the division of the stages of pure reason, the Fortschritte also critically justifies the principle of their systematic order as parts making up a system of metaphysics. Consequently, if the relationship between transcendental philosophy and metaphysics proper (discussed by Kant on the Loose page 39  »Es sind nämlich zwey Angeln, um welche sie sich dreht: Erstlich die Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit, welche in Ansehung der theoretischen Prinzipien aufs Übersinnliche, aber für uns Unerkennbare, blos hinweiset, indessen daß sie auf ihrem Wege zu diesem Ziel, wo sie es mit der Erkenntniß a priori der Gegenstände der Sinne zu thun hat, theoretisch-dogmatisch ist; zweytens, die Lehre von der Realität des Freyheitsbegriffes, als Begriffes eines erkennbaren Übersinnlichen, wobei die Metaphysik doch nur praktischdogmatisch ist. Beyde Angeln aber sind gleichsam in dem Pfosten des Vernunftbegriffes von dem Unbedingten in der Totalität aller einander untergeordneter Bedingungen eingesenkt, wo der Schein weggeschafft werden soll, der eine Antinomie der reinen Vernunft, durch Verwechselung der Erscheinungen mit den Dingen an sich selbst bewirkt, und in dieser Dialektik selbst Anleitung zum Übergange vom Sinnlichen zum Übersinnlichen enthält.«. 40  Cf. Grapotte 2004, 292–321. See also Caimi 1991.



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20:272–273) offers us the criterion for dividing this latter science into three clearly differentiated stages, the consideration of its incorporation into a system founded on the very idea of metaphysics allows us to identify the systematic place each of these stages should have. In other words, the form-matter relationship between transcendental philosophy and metaphysics proper enables the distinction between a theoretico-dogmatic stage, a sceptical stage, and a practico-dogmatic stage; but it is systematic examination that makes it possible to arrange them, i. e., suggests that the theoretico-dogmatic stage is the first one, the sceptical stage is the second one, and the practico-dogmatic stage is the third one.

4. Consistency between This Interpretation of the Concept of Metaphysics and the Argumentative Structure of the Work The exegesis of some of the main texts in the Fortschritte der Metaphysik has allowed us to show that the doctrine of the stages of pure reason should be understood as a metaphysics whose content is pure reason itself. This metaphysics is a science to the extent that it meets two key requirements: It has been preceded by a criticism of the faculty of knowledge (which justifies its division into three different stages), and its content is architectonically organised as a system based on the idea of science itself (which provides the three stages with their respective place in the system). In support of this interpretation, we have provided sound textual evidence of the principles of division and systematic organisation of this metaphysics proper composed of the three stages of metaphysics referred to above – the Wissenschaftslehre, Zweifellehre and Weisheitslehre.41

41  As the reader may have noticed, there are many points of connection between the interpretation of the Fortschritte by A. Grandjean (2013, 9–72) and the interpretation presented here. The most significant of them is the following one: Both interpretations agree – unlike the rest of the tradition of exegesis of the Fortschritte – that the doctrine of the stages of metaphysics developed in the Second Section is not aimed at presenting a history of metaphysics but at offering an entirely critical system of metaphysics called »metaphysics proper«. This system of metaphysics, and not an impossible history of metaphysics, has the task of showing the progress of pure reason in this science. In his exposition, Grandjean does not consider, however, which two requirements a discipline such as metaphysics must meet in order to take »the sure path to science«: its previous foundation on a Critique of Pure Reason and its systematic organisation based on an architectonic and not merely rhapsodic unity. In the exposition of the relationship between the steps towards metaphysics determining its principle of division and the progress of reason in metaphysics architectonically organised around the idea of this science lies the originality of the present interpretation, which confirms the relevance of metaphysics proper as an expression of the maturity of critical reflection on the problem of metaphysics in the early 1790s.

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In fact, as can be concluded from the previous pages, transcendental philosophy, whose formal role is expressed in the definition of this science (namely, the »system of pure theoretical philosophy«; 20:261.16–17), offers the formal principle for division into the three stages of pure reason. And the idea of a metaphysical science, which is expressed in its characteristic definition (namely, that metaphysics is »the science of progressing by reason from knowledge of the sensible to that of the supersensible« [20:260.5-6]), provides these stages of pure reason the a priori principle for their systematic architectonic organisation into an articulated whole in pursuit of the final aim of reason in this science – knowledge of the supersensible – and turns them into parts of a system of metaphysics. This reconstruction of metaphysics proper composed of a doctrine of the stages of pure reason is the only one that conforms to the argumentative structure of Kant’s manuscript. In fact, the present interpretation has highlighted the consistency existing between the peculiar translation Kant gives of the academic Preisfrage in the Introduction to the Fortschritte, how this translation is related to the plan exposed in the Treatise (20:265), and, finally, how this plan is consistently developed in the two sections that make up Kant’s posthumous text. In this argumentative outline, the doctrine of the stages of pure reason plays the specific role of answering the following question: What is the progress of metaphysics based on the previous steps taken by transcendental philosophy? Kant’s reply to this question is remarkable.42 The progress of metaphysics should not be shown historically but systematically. The concept of metaphysics introduced by the Fortschritte also suggests that in the years following completion of the critical synthesis Kant may have started to outline a concept of metaphysics that, while on the one hand revisited topics that were already present in his earlier works, on the other hand also signified a break with the previous conception of metaphysics. The enormous novelty represented by this dynamic conception of metaphysics founded on the display of the faculty of knowledge rather than the content of the disciplines is the newest contribution made by Kant’s late metaphysics.43 42  Perhaps it was to this peculiar association of metaphysics and progress that Rink referred at the beginning of his brief editorial comment: »Die Veranlassung dieser Schrift liegt am Tage, ich kann mich dessen also überheben, hier weitläuftiger davon zu reden. Die Preisfrage, von der sie handelt, machte, als sie bekannt wurde, mit Recht einiges Aufsehen. Drey verdiente Männer, die Herren Schwab, Reinhold und Abicht, trugen den Preis davon, und ihre hierher gehörigen Aufsätze sind bereits seit dem Jahre 1796 in den Händen des Publicums. Wie sie meistens, ein jeder seinen eigenen Gang, bey der Untersuchung einschlugen: so ist auch Kant seinen eigenthümlichen, und zwar den verschiedensten Weg gegangen, den einzigen indessen, von dem sich voraussehen ließ, daß, wenn er diese Preisfrage zum Gegenstande seiner Beantwortung nehmen sollte, er ihn wählen würde« (20:257.1–11; emphasis M. A. T.). 43 We should highlight an implication that follows from this study: In the Fortschritte der Metaphysik Kant presents a metaphysics in which not only the content has been deeply changed – metaphysica generalis introduces the contribution of pure sensibility, and meta-



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Conclusion With the exposition of metaphysics proper, Kant finds a positive answer to the problem of the progress of metaphysics. The refutation of the historical, fragmentary, temporary progress of metaphysics did not entail – as we stated earlier – an utter rejection of the possibility of giving a positive answer to the problem posed regarding the progress of metaphysics. But given the characteristics inherent in the metaphysical science (the fact that this is a pure, comprehensive science, a systematic whole), this progress can only be logical-systematic. The Second Section of the Fortschritte is devoted to presenting precisely what this logical-systematic progress of pure reason is about and why only critical philosophy can justify it. In fact, the three stages of pure reason show the dogmatic path – which means a path based on critical principles – of this faculty from knowledge of the sensible (theoretico-dogmatic knowledge in the first stage of pure reason, i. e., the doctrine of science) to knowledge of the supersensible (practico-dogmatic knowledge in the third stage of pure reason, i. e., the doctrine of wisdom), with the transition between one and the other being guided by a sceptical discipline ensuring the critical character of such a transition (the second stage of pure reason, i. e., the doctrine of doubt). Thus the metaphysics of the Fortschritte is not limited to the third stage of metaphysics: It comprises all three stages of pure reason. And this is required by the very definition of metaphysics that characterises the Fortschritte der Metaphysik (metaphysics is »the science of progressing by reason from knowledge of the sensible to that of the supersensible«). Certainly the doctrine of science, as the first stage of pure reason, focuses on knowledge of the sensible; the doctrine of doubt, as the second stage of pure reason, contains a guideline for moving from one stage to the next; and in the doctrine of wisdom, as the third and final stage of metaphysics, the physica specialis is based on the practical use of pure reason – but also the form in which that content is organised is absolutely novel. In fact, the conception of system followed by Kant here differs toto caelo from that sought by Leibniz-Wolffianism. Unlike the rhapsodic character of the structure of previous systems, the architectonic unity guiding Kant is the idea of metaphysics expressed in its characteristic definition. This idea precedes and systematically organises the parts of metaphysics proper. This dynamism inherent in the system of metaphysics understood from this perspective is absolutely different from Baumgarten’s classic system (Manchester 2003). This does not prevent Kant from stressing and showing to readers trained in the scholastic system those points of connection between what is new and what is old, i. e., the systematic place where the disciplines of the old system were to be located, as considered also in the new system (thus, for instance, the topics proper to ontology are to be found in the first stage; the topics of cosmology are partly found in the second stage –as dialectical objection– and partly in the third stage –as moral teleology–; the topics of rational psychology and theology are found wholly in the Weisheitslehre, etc.). What is inappropriate is to claim that Kant may have changed the content but not the form in which such content is expressed: »new wineskin for new wine« seems to be the motto of the Fortschritte.

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ultimate purpose of reason is accomplished – knowledge through the three successive phases in which knowledge of the supersensible is articulated.44 Thus each one of these »doctrines« shows the content of one of the partial concepts making up the definition of metaphysics proper: The doctrine of science shows knowledge of the sensible; the doctrine of wisdom shows knowledge of the supersensible; and the doctrine of doubt shows the transition from knowledge of the sensible to knowledge of the supersensible. Finally, an implication of this interpretation is that the Fortschritte der Metaphysik, which was aimed at responding to the controversy around the relationship between metaphysics and progress, provides a novel presentation of metaphysics. We have shown that this is a true science founded on the Critique of Pure Reason and architectonically articulated as a system; it is therefore not mere faith (whether dogmatic or moral). Moreover, this science brings together aspects based on the theoretical and the practical use of pure reason; its aim is however, in any case, knowledge (whether theoretico-dogmatic knowledge of the sensible or practico-dogmatic knowledge of the supersensible); it is therefore not limited to metaphysics of morals. And, finally, this system of critical metaphysics contains in its third stage, as a part of itself, practico-dogmatic knowledge of the supersensible; but this is just one part rather than the whole of the metaphysical science that Kant intended to establish. Therefore, we should point out that the originality of the Fortschritte lies in emphasising the dynamism of the very power of reason in its task of self-criticism. It is pure reason that, seeking to criticise its own claims, rises from knowledge of the sensible to knowledge of the supersensible.

44  This stage, which is the newest of the three, is in turn split into three »phases« (Stufen) founded on the practical use of pure reason – so-called moral theology, teleology and psychology – where reason attains practico-dogmatic knowledge of the supersensible (cf. 20:309– 310).



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Kant als Historiker der Meta­phy­sik: ein Fortschritt ohne Geschichte1 Antoine Grandjean

Für Kant ist Rationalität, wie man weiß, gleichbedeutend mit Systematizität (A 832 / B 860; 09:139). Indessen gibt es kein eigentliches System, dessen eigene Geschichte nicht ein Moment seines Inhalts ausmachte. Wenn also ein System nur besteht, indem es seine eigene Einbettung in die Geschichte der Philosophie thematisiert, so gehorcht eine solche Thematisierung stets genau der Logik, die dem betreffenden System eignet, derart, dass man diese aus jener gewinnen kann. Von daher bildet die Frage nach der Geschichte der Vernunft unausweichlich sowohl ein Zentralthema der kantischen Philosophie als auch einen der Orte, wo sich die eventuelle Eigentümlichkeit der kritischen Systematizität in Bezug auf die metaphysische Überlieferung vorzüglich zu erkennen gibt. Die These, welche der vorliegende Beitrag erhärten möchte, ist folgende: Die kantische Auffassung der Geschichte der Philosophie lässt sich nur auf paradoxe Weise einer Philosophie der Geschichte zuordnen, insofern sie zeigt, dass es eine Geschichte der Meta­phy­sik niemals geben kann, wenn unter »Geschichte« so etwas wie eine qualitativ differenzierte Zeitlichkeit verstanden werden soll, und zwar diesseits der Frage, ob man diese eventuell als Fortschritt ansprechen kann. Die »philosophierende Geschichte« (20:340), die Kant in einem Entwurf zur sogenannten Preisschrift über die Fortschritte der Meta­phy­sik skizziert, ist in diesem Sinne ironische Geschichte: Wenngleich die Meta­phy­sik ihrem Wesen nach ein Fortschreiten ist, so widerstreitet eben dieses Wesen doch jeder Geschichtlichkeit, die über die strenge Trennung zwischen ebenso radikalem wie dauerhaftem Nichtsein einerseits und vollgültiger und unvermittelter Errichtung andererseits hinausginge. Nicht nur aufgrund philologischer Bedenken also sollte man sich vor der Abkürzung hüten, die die Frage, auf die zu antworten Kant unternahm, in den Titel einer nicht existenten, weil radikal unvollendeten Schrift transformiert und somit die Antwort auf die Frage »Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Meta­phy­sik seit Leibnitzens und Wolff’s Zeiten in Deutschland gemacht hat?« in die Darlegung vermeintlicher Fortschritte der Meta­phy­sik verwandelt. Die Frage beantworten, heißt nämlich 1  Eine erste Fassung des folgenden Beitrags erschien in französischer Sprache unter dem Titel »Kant historien de la métaphysique: Un progrès sans histoire«. – In: V. Rohden / R. Terra / G.  Almeida / M.  Ruffing (Hg.): Recht und Frieden in der Philosophie Kants. Akten des 10. Internationalen Kant-Kongresses. Band 4. Berlin / New York 2008, 3–14.

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für Kant behaupten: Meta­phy­sik ist ein logisches Fortschreiten, das einem chronologischen Fortschritt nicht unterworfen sein kann. Und wir werden sehen, dass der Kritizismus, hier wie anderswo, kein Vorhegelianismus ist, weil seine Behandlung der Geschichte der Philosophie zur Gänze darauf abzielt, die Faktizität seines eigenen Auftretens aufzuzeigen. Freilich ist es verlockend, den Kritizismus in die Nähe der spekulativen Einstellung zu rücken, welche »die Verschiedenheit philosophischer Systeme […] so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit [begreift]2«. Scheint doch die »philosophierende Geschichte der Philosophie«, die Kant in dem unvollendeten Manuskript der erwähnten Fortschritte der Meta­phy­sik skizziert, die Rationalität der Geschichte der Vernunft selbst zu begründen: »Eine philosophische Geschichte der Philosophie ist selber nicht historisch oder empirisch sondern rational d. i. a priori möglich. Denn ob sie gleich Facta der Vernunft aufstellt so entlehnt sie solche nicht einer Geschichtserzählung, sondern sie zieht sie aus der Natur der menschlichen Vernunft als philosophische Archäologie« (20:341)3. Und dieses Motiv ist umso prägnanter, als es bereits am Schluss der Kritik der reinen Vernunft anklingt4. Dennoch begäbe sich eine hegelianisierende Deutung dieser »philosophierenden Geschichte der Philosophie« auf Irrwege. Denn allem Anschein zum Trotz geht es hier nicht um die Frage nach einer Notwendigkeit des Irrationalen und somit nach einer (wenigstens schwachen) »Rationalität« desselben. Die einzigartige Kraft – oder die einzigartige Illusion – des Hegelianismus liegt vielmehr darin, dass er die Rationalität des Auftretens des Rationalen selbst aufzuweisen gedenkt. Eine solche Notwendigkeit findet sich aber nirgends bei Kant, dessen Geschichte der Philosophie vielmehr eine irreduktible Unstetigkeit aufzeigt zwischen dem Kritizismus und allem, was ihm vorhergeht. Gerade weil die Geschichte der herkömmlichen Meta­ phy­sik im kantischen Sinne dialektisch ist, kann die kritische Geschichte der Philosophie nicht im hegelschen Sinne dialektisch sein. Tatsächlich gibt es für Kant eine Notwendigkeit der Illusion, aber keine solche der Wahrheit. Eine auf die Natur der Vernunft gegründete Geschichte ist nur die im Grunde statische Geschichte der mit ihr wesentlich verknüpften Illusion, also eine Geschichte, die gar keine ist – bis die Kritik kommt, sie kraft ihres radikal kontingenten Auftretens zu verwandeln. Auch hier ist der Kritizismus kein Vorhegelianismus, weil er kein Hegelianismus unter Vorbehalt ist. Die beiden Veranstaltungen konkurrieren vielmehr direkt.

2  Hegel

1986, 12. auch Brief an Morgenstern, 14. August 1795, 12:36: »eine Geschichte der Philosophie, nicht nach der Zeitfolge der Bücher, die darin geschrieben worden, sondern nach der natürlichen Gedankenfolge, wie sie sich nach und nach aus der menschlichen Vernunft hat entwickeln müssen […], so wie die Elemente derselben in der Kritik d. r. V. aufgestellt werden«. 4  A 853 / B 881: »Ich will jetzt die Zeiten nicht unterscheiden, auf welche diese oder jene Veränderung der Meta­phy­sik traf, sondern nur die Verschiedenheit der Idee, welche die hauptsächtlichsten Revolutionen veranlaßte, in einem flüchtigen Abrisse darstellen.«. 3  Siehe



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Zunächst wäre eine kontinuistische Deutung dieser philosophierenden Geschichte der Philosophie fehlerhaft, die jener Doppeldeutigkeit der Fortschritte verfiele, welche den gesamten kantischen Text organisiert. Denn in der Vorrede zur Preisschrift unterscheidet Kant drei »Schritte« der Meta­phy­sik, bevor er, im Haupttext der Abhandlung, ihre drei »Stadien« darlegt5. Diese beiden Dreifaltigkeiten decken sich indes keineswegs. Die »Schritte« sind jene, die die Meta­phy­sik in der Geschichte zu vollziehen imstande ist und von denen untersucht werden muss, ob sie, am Wesen dieser Meta­phy­sik gemessen, Fortschritte sind oder nicht. Die »Stadien« ihrerseits artikulieren auf logische Weise eben dieses dynamische Wesen der Meta­ phy­sik, von der gesagt werden kann, dass sie in einem Überschreiten des Sinnlichen zum Übersinnlichen besteht. Die drei »Schritte« sind die im eigentlichen Sinne historischen des Dogmatismus, des Skeptizismus und des Kritizismus, von denen die beiden ersteren gleichsam unvordenklich sind, wogegen der letzte, entscheidende, streng zeitgenössisch ist, da es Kant selbst ist, der ihn vollzieht (20:261–264)6. Was die drei »Stadien« der Meta­phy­sik betrifft, so haben sie die Eigentümlichkeit, alle dem Zeitpunkt ihres dritten Schritts anzugehören: Das »erste Stadium« ist das­ jenige »des theoretisch-dogmatischen Fortganges« der kritischen Meta­phy­sik, und es entspricht genau den Errungenschaften der transzendentalen Ästhetik und Analytik (20:281–286); das »zweite Stadium« ist dasjenige »des sceptischen Stillstandes« (20:281) innerhalb der kritischen Meta­phy­sik, »der zweyte große Fortschritt« (20:287), der seinerseits der transzendentalen Dialektik entspricht, genauer: »der transscendentalen Kosmologie«, d. h. der Kritik der Antinomie; das »dritte Stadium« der Meta­phy­sik schließlich ist dasjenige »der praktisch-dogmatischen Vollendung ihres Weges« (20:281), und es entspricht der Problematik, die vom »Kanon der reinen Vernunft« eröffnet und in der Kritik der praktischen Vernunft sowie in der Kritik der Urteilskraft erneut bearbeitet wird (20:293 ff.). Wie man sieht, bemisst sich die Gesamtheit der »Fortschritte der Meta­phy­sik« nach Stadien, nicht nach Schritten, wobei die in Rede stehenden Stadien völlig 5  Die Vorrede kann beirren, da sie ein Mal das Wort »Stadium«, das in der Folge die drei logischen Momente im Überschreiten des Sinnlichen bezeichnet, welches die kritische Meta­ phy­sik ausmacht, auf die verschiedenen historischen »Schritte« bezieht, die die Meta­phy­sik vollzogen hat. 6  Die Verwechslung zwischen der geschichtlichen Abfolge der Schritte und der der systematisch-begrifflichen Logik der Stadien wird noch gefördert durch die scheinbare Identität der Termini, die Kant im einen und im andern Falle gebraucht: die drei Stadien (das ontologische, das kosmologische und das theologische) der kritischen Meta­phy­sik werden wiederum mit Hilfe des Adjektivpaares dogmatisch/skeptisch beschrieben. Aber dieses Paar hat im einen und anderen Falle nicht den gleichen Sinn. Das »theoretisch-dogmatische« Stadium fällt nicht unter den Dogmatismus (also unter ein Vorgehen ohne Kritik), sondern unter ein »aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend[es]« Verfahren (B XXXV). Ebenso ist das skeptische Stadium der Meta­phy­sik dasjenige, das gemäß einer »skeptischen Methode« die kosmologischen Thesen und ihre Antithesen gegenüberstellt, um die dogmatische Vernunft zu verunsichern (vgl. A 423 f. / B 451 f., A 485 f. / B 513 f. und A 756 f. / B 784 f.).

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gleichzeitig sind. Kant spielt hier lediglich mit dem Sinn des Wortes Fortschritt, indem er die Zweideutigkeit des »Meta-« der Meta­phy­sik ausspielt, welches ihm zufolge gleichbedeutend ist mit »trans-«: Die »Fortschritte der Meta­phy­sik« haben keinen wirklich zeitlichen Sinn, weil sie lediglich auf das Fortschreiten oder Aufsteigen zum Übersinnlichen hinweisen, welches die Definition der Meta­phy­sik ausmacht, ist diese doch »die Wissenschaft, von der Erkenntnis des Sinnlichen zu der des Übersinnlichen durch die Vernunft fortzuschreiten« (20:260).7 Tatsächlich ist es eine Besonderheit der Preisschrift, dass sie sich zwischen den beiden möglichen Bedeutungen von meta- nicht entscheidet, sondern diese vielmehr artikuliert. Kant wird hier der Polysemie des griechischen Präfix gerecht: Sein topisch-qualitativer Sinn (das griechische meta- bedeutet soviel wie das lateinische supra-) und sein chronologischer Sinn (meta- steht für das lateinische post-) sind nicht radikal zu trennen. Denn die Erkenntnis (oder das Denken) dessen, was jenseits des Physischen ist, erfolgt erst nach der Erkenntnis des Physischen8. Die Erkenntnis des Supraphysischen ist also nur möglich in Gestalt einer Postphysik, und die Meta­phy­sik bezeichnet die Gesamtheit des Denkweges, der vom Physischen zu dessen Jenseits führt. Eben deshalb handelt es sich um eine Transphysik9. 7  Fortschritte, 20:260. Es ist demnach falsch, zwei Auffassungen Kants von der Geschichte der Philosophie zu unterscheiden, deren erste Vernunft und Geschichte entkoppelte und deren zweite, im eigentlichen Sinne chrono-logische, vorhegelianisch wäre. Der Text der Fortschritte der Meta­phy­sik, von dem man diese zweite Auffassung erwarten könnte, steht ihr eindeutig entgegen. 8  Dieser Punkt wurde schon von den ersten griechischen Kommentatoren des Aristoteles hervorgehoben: Da das an sich Erste das für uns Zweite ist, wird das Höhere später erkannt, sodass Erstrangigkeit und Vorrangigkeit einander entgegen laufen (siehe Reiner 1954, 215 ff.). Man findet dasselbe wieder bei Thomas von Aquin, die Theologie betreffend: »theologia […], quae alio nomine dicitur Metaphysica, id est transphysica, quia post physica discenda occurit nobis, quibus ex sensibilibus competit in insensibilia devenire« (Thomas von Aquin 1927, 100). 9  20:316: »Man will vermittelst ihrer über alle Gegenstände möglicher Erfahrung (trans physicam) hinausgehen, um, wo möglich, das zu erkennen, was schlechterdings kein Gegenstand derselben seyn kann.« Siehe auch 260; 28:540. Statt den Doppelsinn auszunutzen, den die dynamisch verstandene Vorsilbe trans- enthält, versteht ihn Kant in manchen Texten einseitig material. Er stellt dann die Deutung der Meta­phy­sik als »transphysica« ihrer chronologischen Deutung als »postphysica« entgegen. Siehe 28:381: »Das Wort Metaphysica kommt her von meta ta fusika und heißt nicht: post-physica, sondern trans-physica, jenseits der Naturwissenschaft.« Diese ausschließliche Beziehung der Vorsilbe trans- auf die materiale Transzendenz der Gegenstände der Meta­phy­sik scheint dem Auftreten der Bezeichnung »transphysica« bei Albertus Magnus zu entsprechen (Albertus Magnus 1960, 2; vgl. Jean-Luc Marion, »La science toujours recherchée et toujours manquante«, Marion 1999, 16). Bei Albertus indessen ist die in Rede stehende Transzendenz die ontologische, nicht ontische, der Prinzipien des Seienden als Seienden, die dessen regionale oder gattungsmäßige Bestimmungen überschreiten (vgl. Courtine 1990, 103 f.). Die gleiche, materiale und statische Bedeutung des Wortes findet sich im 17. Jh. bei Timpler, der erläutert, die metaphysica sei



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Wenngleich Kant hier mit einem großen Teil der Überlieferung einhellig ist, versteht er doch unter »Meta­phy­sik« nicht allein die Erkenntnis des Übersinnlichen, die nach derjenigen des Sinnlichen kommt, sondern den gesamten Prozess, durch welchen die Vernunft es unternimmt, vom einen zum anderen überzugehen. Diese Definition, die das semantische Spiel mit dem Wortlaut der akademischen Preisfrage ermöglicht, hat die Eigentümlichkeit, dynamisch und subjektiv zu sein, indem sie das Wesen der Meta­phy­sik als »Überschritt« qualifiziert. Der Terminus ist interessant, erlaubt er doch Kant, die doppelte Besonderheit seines Vorgehens zu verdeutlichen. Der Terminus Überschritt präzisiert zunächst, wobei er ihn zugleich korrigiert, den Terminus Fortschritt, indem er die Diskontinuität verstärkt, die zu unterschätzen der zweite Begriff Anlass geben könnte, sofern er ein stetiges Fortschreiten auf homogenem Grunde suggerieren mag (vgl. 20:273, 317): Genau genommen geht es um Überschreiten und nicht um Fortschreiten, weil es nicht angeht, den Schritt zum Übersinnlichen zu erstreben und gleichzeitig seine abgrundtiefe Alterität in Bezug auf das Sinnliche zu verwischen (siehe hierzu 05:175 f.; 09:195 f.). Das Überschreiten markiert solcherart, a parte objecti, die Dimension des Bruches oder der Unstetigkeit, die dem Wesen der Meta­phy­sik eignet. A parte subjecti wiederum bleibt der Überschritt sehr wohl ein Übergang, d. h., er steht für ein Vorgehen, das eine gewisse logische wie auch teleologische Einheit bewahrt. Mit anderen Worten, das Überwinden muss durch das Überwundene selbst motiviert sein, und der, welcher es vollzieht, macht beiderseits einen, obzwar alterierten, Gebrauch der gleichen und einzigen Grundsätze, über die er zum Behufe des Denkens verfügt. Von diesem Standpunkt betrachtet steht der Überschritt im Gegensatze zum Sprung (vgl. 20:273), d. h. zu einem Verlassen der vernünftigen Grundsätze der Reflexion seitens dessen, der sich einem blinden Glauben anvertraut, und Kant denkt dabei recht deutlich an die von Jacobi vertretene These.10 Somit ist die Meta­phy­sik, als Überschreiten des Sinnlichen in Richtung auf das Übersinnliche, weder ein Sprung in den Glauben außerhalb der Vernunft noch ein stetiges Fortschreiten. An wirklichen Fortschritten der Meta­phy­sik gibt es demnach nur die drei Stadien oder Etappen des Überschrittes, der sie ihrem Wesen nach ist, wobei sie dieses ihr Wesen erst in ihrem dritten historischen Schritte, dem kritischen, verwirklicht: »Das sind nun die drey Stufen des Überschrittes der Meta­phy­ sik zum Übersinnlichen, das ihren eigentlichen Endzweck ausmacht« (20:309). Was indes die zeitliche Geschichte der vorkritischen Meta­phy­sik anbelangt, so besteht sie aus Nicht-Ereignissen, aus schlichter und einfacher Stagnation in der Illusion, die niemals als Moment des Auftretens der Wahrheit aufgehoben wird: »Es war verentweder, aufgrund ihrer Posteriorität im Hinblick auf die Physik, postphysica, oder, aufgrund der Transzendenz ihrer Gegenstände im Hinblick auf die Natur, transphysica genannt worden (Metaphysicae systema methodicum, 1604, Lib. 1, cap. 1, S. 3 f. ; zit. bei Reiner 1955, 79). 10  Siehe hierzu Was heißt: Sich im Denken orientieren?, wie auch den Brief an Jacobi vom 30. August 1789 (11:75 f.).

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gebliche Mühe, die sie sich von jeher gegeben hat, diesen auf dem Wege der Speculation und der theoretischen Erkenntniß zu erreichen, und so wurde jene Wissenschaft das durchlöcherte Faß der Danaiden« (ebd.). Was sich »seit Leibnitzens und Wolff’s Zeiten« ereignet hat, ist also ein regelrechter Sprung, vom Nichts zum Alles, der erst nach ihnen, d. h. Anno 1781, erfolgte. Tatsächlich sind Dogmatismus und Skeptizismus Schritte, die nicht vorankommen: »[Es] kann mit der größten Gewißheit dargethan werden, daß bis auf Leibnitzens und Wolffs Zeit, diese selbst mit eingeschlossen, die Meta­phy­sik in Ansehung jenes ihres wesentlichen Zwecks nicht die mindeste Erwerbung gemacht hat« und demzufolge »daß diese Wissenschaft bis zu jenem Zeitpunkte noch gar keine Fortschritte zu ihrer eigenen Bestimmung gethan habe« (20:317). Kants Position hat sich also seit der Kritik der reinen Vernunft und den Prolegomena nicht verändert (04:256; B XIV). Vor der Kritik hat die Geschichte der Meta­phy­sik niemals ein anderes Schauspiel geboten als das einer geradezu sisyphusartigen Vergeblichkeit (vgl. Refl. 5115, 18:94). Im Grunde gibt es nur zwei Epochen der Meta­phy­sik: Vor Kant ist die Meta­phy­ sik noch immer so, wie sie zu Zeiten des Aristoteles war, also zu der Zeit, da es sie als Wissenschaft noch nicht gab: »daß vor dem Entstehen der kritischen Philosophie es noch gar keine gegeben habe« (06:206; vgl. 04:368; B 21). Dass aber Kants Meinung zu diesem Punkte stets dieselbe bleibt, liegt daran, dass sie sich auf seine Auffassung von der Natur der Meta­phy­sik selbst gründet, die der strengen Alternative des »entweder Nichts, oder Alles« (20:259; vgl. auch 04:263) gehorcht: Die Vernunft hat es in ihr nur mit sich selbst zu tun und braucht nicht geduldig das Feld der Empirie zu durchforsten, um dort Entdeckungen zu sammeln. Ihr Feld liegt ihr unmittelbar vor Augen, wenn sie es nur richtig zu bearbeiten versteht. Wer weiß, wie er zu schauen hat, und somit etwas sieht, sieht also alles. Ihre Geburt ist ihre Reife, ihr Beginn ihre Vollendung.11 Man kann ebenso gut sagen, Meta­phy­sik habe keine Geschichte. Unvermittelt bleibt die Trennung zwischen der trostlosen Wiederholung ihres Nichts und der augenblicklichen Errichtung ihrer Wahrheit. Die Kritik hat an der ersteren keinen Anteil und bringt die letztere allein hervor. Daher fehlt sie in den drei Dichoto-

11  20:310, 321 und 345; A XIII f., A XX und B XXIII f.; 04:366 und 382; 04:473; Refl. 5062, 18:76. Zwar schreibt Kant in der »Architektonik«, jeder Philosoph sammle Materialien für ein System, dessen Idee dunkel in der Vernunft eingewickelt sei, wobei jedes besondere System ein Glied des Systems der menschlichen Erkenntnis bilde (A 834 f. / B 862 f.). Dieser Text besagt aber nichts gegen die anderen Stellen. Es ist darin keine Rede von einheitlichem Fortschritt. Ja mehr noch, die Abfolge der Systeme ist nicht die fortschreitende Verwirklichung des Systems, sondern die Wiederholung seines Verfehlens, Versuche, die alle gleichwertig sind: »Alle Philosophien sind im Wesentlichen nicht unterschieden bis auf die critische« (20:335). Die Anhäufung von Material führt zu nichts, solange sie auf dem falschen Weg ist, und nur die radikale Diskontinuität der kritischen Erfindung macht sie fruchtbar. Vgl. hierzu Bourgeois 1983, 170 f.



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mien, welche »die Geschichte der reinen Vernunft« strukturieren, indem sie aufzeigen, dass »der Kritische Weg allein noch offen [ist]« (A 856 / B 884). Radikal ist also der Kontinuitätsbruch, der da bewirkt, dass »die Kritik sich zur gewöhnlichen Schulmetaphysik gerade wie Chemie zur Alchymie, oder wie Astronomie zur wahrsagenden Astrologie [verhält]« (04:366). Daher ist jede Reform unzureichend, und es bedurfte für die Meta­phy­sik einer regelrechten Revolution12 angesichts dessen, dass der Skeptizismus, für Kant die dogmatische Negation des Dogmatismus, ein sich selbst verkennender Konservatismus ist. Fallen Leibniz und Wolff »unter die größten und verdienstvollsten Reformatoren der Philosophie zu unsern Zeiten« (09:32), so ist klar, dass die Revolution die Reform nicht etwa radikalisiert, sondern umstürzt. Die kritische Begründung des Baues der Meta­phy­sik ist nicht seine Restaurierung. Sie ist seine ursprüngliche Grundlegung und Errichtung13 dort, wo ein Rückblick nur ein Feld von »Ruinen« (A 852 / B 880) gewahrt. Daher hat die vorkritische (und ebenso, sollte man hinzufügen, die nachkantische …) Philosophie für Kant niemals einen logischen Sinn, sondern stets nur zeitliche Bedeutung. Als Revolution ist die Kritik der erste und endgültige Grundriss für dieses System-Haus, wobei Kant die herkömmliche Architekturmetapher zwar aufgreift, aber radikal umdeutet, da es sich um des praktischen Interesses willen ziemt, bei seiner Zeichnung das Bauen dem Wohnen unterzuordnen, also dem Dach, welches schützt (»Schlußstein« [05:3 f.]), den Vorzug einzuräumen vor dem Fundament, das trägt. Ein solches, ein für alle Mal entworfenes Haus wartet nicht auf denjenigen, der sein Fundament verbessern, ihm ein Zimmer hinzufügen oder ein Stockwerk aufbauen könnte. Wohl mag die Errichtung des Baues das Talent eines Innenausstatters nutzen, der ihn eleganter gestaltet, als er auf dem Plan aussieht (20:310). Aber das einzige, was dieser Bau wirklich benötigt, ist Innenreinigung, damit nicht die Illusion wieder einziehe und ihn schließlich unbewohnbar mache.14 In einer politisch-juristischen Metapher ausgesprochen bedeutet dies, dass der ewige Friede, den die Kritik in die Philosophie trägt, ein bewaffneter Friede ist, sowohl gegen jene, die sie angreifen, als auch gegen jene, die sich auf sie berufen werden, was den Vorteil hat, die philosophierende Vernunft lebendig zu halten, damit diese, wenn sie aus dem Dogmatismus erwacht ist, nicht sogleich wieder in einen kritischen, recht todähnlichen Schlaf falle (08:416 f.).

12  B

XXII; 04:257: »eine völlige Reform, oder vielmehr eine neue Geburt«. Fink 1976, 17. 14  20:310: »Die Meta­phy­sik ist hiebey selbst nur die Idee einer Wissenschaft, als Systems, welches nach Vollendung der Kritik der reinen Vernunft aufgebaut werden kann und soll, wozu nunmehr der Bauzeug, zusammt der Verzeichnung vorhanden ist: ein Ganzes, was, gleich der reinen Logik, keiner Vermehrung, weder bedürftig, noch fähig ist, welches auch beständig bewohnt, und im baulichen Wesen erhalten werden muß, wenn nicht Spinnen und Waldgeister, die nie ermangeln werden, hier Platz zu suchen, sich darin einnisteln, und es für die Vernunft unbewohnbar machen sollen.« Beck und Reinhold galten wahrscheinlich eine Zeit lang als Hausangestellte. In Fichte hingegen erkannte Kant sofort den Faun. 13  Siehe

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Zu dieser radikalen Unstetigkeit der philosophischen Zeitlichkeit kommt hinzu die Faktizität des Abschlusses der Zeiten der Illusion. Denn die beiden ersten historischen Schritte sind Schritte, die sich im Kreise drehen: Der Skeptizimus »war ein Rückgang, welcher weise und der Meta­phy­sik vorteilhaft gewesen seyn würde, wenn er nur bis zum Anfangspunkte des Ausganges gereicht wäre, aber nicht um dabey stehen zu bleiben mit der Entschließung, keinen Fortgang ferner zu versuchen, sondern ihn vielmehr in einer neuen Richtung vorzunehmen« (20:263). Das Bild des Sisyphus steht nicht nur für das Auf-der-Stelle-Treten. Es steht auch für ein trostloses Kreisen, sodass hier keine Kausalität Rechenschaft geben kann von der Entstehung dessen, was ja die Kausalität suspendieren soll. Deshalb ist der Übergang vom (vorkritischen) Nichts zum (kritischen) Alles ebenso wenig notwendig als linear. Zwar entquillt der Skeptizismus direkt den Widersprüchen, in die sich der Dogmatismus verstrickt.15 Aber der Kritizismus seinerseits ergibt sich notwendig weder aus dem Skeptizismus noch aus dem ständigen Umschlagen des Dogmatismus in Skeptizismus. Das Schema eines allmählichen Übergangs aus der Kindheit, die zugleich Naivität und Allmachtsfantasie ist (Dogmatismus), ins (kritische) Erwachsenenalter, durch eine Jugend hindurch, die sich der Kindheit als einer Illusion bewusst wird (skeptische Krise), darf uns nicht täuschen (siehe A 760 f. / B 788 f.). In der Philosophie gibt es noch mehr als anderswo ewige Teenager und manche Greise sind übergroße Kinder. Und nichts verhindert das ständige Hin und Her zwischen Kindischem und Unreifem, wovon gerade die Geschichte der Philosophie das Schauspiel bot: Stellt man die Vorrichtung der »Geschichte der reinen Vernunft« und jene der sogenannten Fortschritte der Meta­phy­sik Seite an Seite, so hat es mindestens zwei erste »Schritte« (Platonismus, Leibnizianismus) und zwei zweite »Schritte« (griechische Skeptiker, englische Skeptiker) gegeben. Und die kritische Einstellung ist keine notwendige Wirkung dieser Zirkularität. Nur Ekel, Miso­ logie und »gänzlicher Indifferentism« gehen linear daraus hervor, die ihrerseits nur ein »Vorspiel« (A X; 04:367) sind, das zwar auf einen Neuanfang hoffen lässt, aber niemals zureicht, ihn anzustoßen. War der Tod der klassischen Meta­phy­sik notwendig und ist es laut Kant die Verbreitung der Kritik nicht weniger (04:367),16 so gibt es hingegen keinerlei Notwendigkeit der Geburt derselben. Ist die kritische Neubegründung der Meta­phy­sik zwar motiviert (es geht schließlich bei der Meta­phy­sik um das wesentliche Interesse der Vernunft), so ist sie indessen nicht nezessitiert. In dieser Hinsicht ist die Geschichte 15  20:263: »Dieser, alle ferneren Anschläge vernichtende Rückgang gründet sich auf das gänzliche Mißlingen aller Versuche in der Meta­phy­sik.«; 04:271: Die Widersprüche zwischen dogmatischen Systemen sind »die erste Ursache des so früh entstandenen Scepticismus«; 04:351: »Der Scepticism ist uranfänglich aus der Meta­phy­sik und ihrer polizeilosen Dialektik entsprungen«. 16  Fügen wir hinzu, dass Kant, der sich der dogmatischen Trägheit der Vernunft bewusst ist, nicht behauptet, dass der Triumph der Kritik bald bevorstehe. Siehe besonders Refl. 5015, 18:61.



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der Philosophie streng homogen mit der Geschichte überhaupt: Wenngleich das Negative sich selbst zerstört, so enthält diese Selbstnegation nichts von der Setzung des Positiven.17 Die »Euthanasie der falschen Philosophie« ist nicht die Ursache der Entstehung der wahren Philosophie, und die »Krise« erzeugt niemals die Kritik, die sie nur erhoffen lassen kann.18 Muss die Illusion verfaulen, damit die Wahrheit komme, so folgt diese doch nicht aus dem, worauf sie folgt. Das Erwachen ist nichts Zwangsläufiges, weil die Vernunft einen allzu tiefen Schlaf schläft, in den sie jene Illusionen wiegen, die für sie natürlich und von ihr untrennbar sind. Deshalb rufen die Antinomien, die Kant wecken, bei den Skeptikern nur Spott hervor (vgl. 04:340). Diese lachen im Schlafe. Nach Vollzug der ersten beiden historischen »Schritte« der Meta­phy­sik ist die Situation also durch und durch unbestimmt (vgl. 10:264): Sie öffnet entweder zur Wiederholung des Gleichen, die zu überwinden das strenge Kausalschema nicht gestattet, oder zu seiner endgültigen Suspendierung, die einen kontingenten philosophischen Akt erfordert: die Entscheidung zum Kritisieren. Da sie als Entschluss nicht sich selbst vorhergeht, ist die Kritik in keiner Hinsicht eine Konsequenz. Was natürlich keineswegs die Fruchtbarkeit des »Schocks« ausschließt, den manche Lektüren, etwa die Humes oder Rousseaus, auslösen. Im Gegenteil: Der Entschluss zum Kritisieren hängt an der doppelten Kontingenz eines Ereignisses und seiner Rezeption. Das historische Bewusstsein, das der Kritizismus von sich selbst hat, ist also das Bewusstsein seiner singulären Faktizität. Als Ereignis, das keine bloße Tatsache ist, weil sein Eintreten nicht als notwendige Wirkung der ihm vorausgehenden philosophischen Situation erklärt werden kann, weigert sich die Kritik überdies, als eine zusätzliche Lehre gedeutet zu werden, welche auf die Fragen, die die Überlieferung sich seit je gestellt hat, andere Antworten gäbe als diese. Indem er die philosophische Weise des Fragens radikal verändert, gibt sich der kritische Diskurs ein noch unbearbeitetes Untersuchungsfeld (die Vernunft selbst), eine nie dagewesene Methode (die transzendental-kritische Reflexion), um eine unerhörte Frage (›Wie ist Synthetisches a priori möglich?‹) zu beantworten (vgl. 04:376; 08:244–246) und wird somit »eine ganz neue und bisher unversuchte Wissenschaft« (Brief an Garve, 7. August 1783, 10:340). Daher nimmt er für sich in Anspruch, »eine noch ungewöhnliche […] Sprache« (10:338) zu sein, die von jeder Übersetzung in die Sprache der Meta­phy­sik verraten würde (vgl. 04:262; 23:57). Nicht allein weiß letztere

17 Vgl. Bourgeois 1983, 172. Zum Motiv der notwendigen Selbstzerstörung, die dennoch nicht mit einer Neugeburt zusammenfällt, siehe 04:366 f. 18  Siehe bereits den Brief an Lambert vom 31. Dezember 1765, 10:56 f.: »die Euthanasie der falschen Philosophie« ist ein Vorspiel zu ihrer Wiedergeburt. »Ehe wahre Weltweisheit aufleben soll, ist es nöthig, daß die alte sich selbst zerstöhre, und, wie die Fäulnis die vollkommenste Auflösung ist, die iederzeit vorausgeht, wenn eine neue Erzeugung anfangen soll, so macht mir die Crisis der Gelehrsamkeit zu einer solchen Zeit, da es an guten Köpfen gleichwohl nicht fehlt, die beste Hofnung, daß die so längst gewünschte große revolution der Wissenschaften nicht mehr weit entfernet sey«.

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nicht, wie sie sagen soll. Noch grundsätzlicher weiß sie nicht, was sie sagen will, weil sie das praktische Interesse verkennt, das sie seit jeher beseelt, sodass sie nicht anders kann, als es zu verfehlen. Als eine Art Ursprache gibt einzig die Kritik den ursprünglichen Sinn der Meta­phy­sik kund, indem sie diese von der Sprache der Überlieferung befreit, in welcher sie seit jeher kundgegeben wurde.19 Fügen wir hinzu, dass sie selbst all jenes zu korrigieren vermag, worin ihre Ansprüche auf Exklusivität und auf Abschluss der Geschichte der Meta­phy­sik überzogen sein könnten, da sie die philosophische Sprache von ihrer Vergangenheit befreit, und zwar auf eine Weise, die ebenso gut ihre Zukunft freigibt: »es giebt keinen klassischen Autor der Philosophie« (08:219), d. h., kein Philosoph kann beanspruchen, die endgültigen Regeln dessen, was philosophischer Stil zu sein hat, auf bestimmte Weise zu fixieren. Auch Kant nicht. Aus dem Französischen von Patrick Lang (Université de Nantes)

Literatur Albertus Magnus: Metaphysicorum lib., I; tr.1, c.1, O. o. Hg. v. B. Geyer, 16/1. Münster 1960. Bourgeois, Bernard: L’histoire de la raison pure selon Kant. – In: Revue de Théologie et de Philosophie 115(1983), 165–174. Courtine, Jean-François: Suarez et le système de la métaphysique. Paris 1990. Fink, Eugen: Die Idee der Transzendentalphilosophie bei Kant und in der Phänomenologie. – In: E. Fink: Nähe und Distanz. Phänomenologische Vorträge und Aufsätze. Freiburg/München 1976. Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes. Thorie-Werkausgabe Bd. 3. Frankfurt/M. 1986. Marion, Jean-Luc: La science toujours recherchée et toujours manquante. – In: J.-M. Narbonne / L. Langlois (Hg.): La Métaphysique. Son histoire, sa critique, ses enjeux. Paris/Québec 1999, 13–36. Reiner, Hans: Die Entstehung und ursprüngliche Bedeutung des Namens Meta­phy­sik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 8 (1954), 210–237 und 9 (1955), 77–99. Thomas von Aquin: Expositio super Boetium de Trinitate, Q. V, Art. 1, Resp. In: Opuscula omnia. Hg. v. P. Mandonnet. Bd. 3. Paris 1927.

19  Dies ist der Sinn der Platon-Lektüre zu Beginn der Transzendentalen Dialektik (A 313 f. / B 370 f.) und der »Apologie für Leibniz«, die sich am Ende der Antwort auf Eberhard findet. Eberhard beabsichtigt, die Kritik in die Sprache der klassischen Meta­phy­sik zu übersetzen, obwohl doch nur das Umgekehrte getan werden kann und muss (08:248–250).

Die Tendenz der Meta­phy­sik zur Physik Ernst-Otto Onnasch

In fraglos authentischen Dokumenten hat der alte Kant angegeben, dass es hinsichtlich zentraler Stücke seiner Philosophie noch Entscheidendes zu tun gibt. In einem Brief vom 21. September 1798 an Christian Garve geht er sogar so weit zu schreiben, dass ohne Lösung dieser Aufgaben, eine Lücke »im System der crit. Philos. […] seyn würde« (12:257).1 Bemerkenswerterweise wird diese Lücke von der Kant-Forschung kaum thematisiert; ebenso wenig wird nach dem der kritischen Philosophie zugrunde liegenden Problem gefragt bzw. wodurch diese Lücke verursacht ist. In seinem späten Übergangswerk, dem sogenannten Opus postumum, hat sich Kant dann darum bemüht, diese Lücke zu beheben. Mit dieser Lücke im Zusammenhang steht eine ›Tendenz‹ in der Meta­phy­sik. Was es mit dieser Tendenz unter systematischem Gesichtspunkt auf sich hat, soll im Verfolg näher dargestellt werden. Das Übergangswerk erörtert – in weiten Teilen – den Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik, wofür es in der Meta­phy­sik eine, wie sich Kant ausdrückt, ›Tendenz‹ gibt. Definiert wird diese damit, dass, wenn »eine Wissenschaft die Principien zu einer ihr untergeordneten enthält«, diese »eine Tendentz (Aufforderung zum Übergange) zu der letztern« habe (21:638). Im Falle der Meta­phy­sik wird diese Tendenz des Übergangs »von der Vernunft für die Naturwissenschaft postulirt« (21:642). Das aber heißt, die Meta­ phy­sik oder das reine Denken birgt eine Tendenz in sich, von den Prinzipien des reinen Denkens aus der empirisch verfahrenden Physik die systematische Einheit zu garantieren. Mit anderen Worten, ohne Übergang könnte die Physik kein System sein. Der Übergang führt ferner, wie es von der Art der Sache wohl auch zu erwarten ist, »einerseits Principien a priori anderentheils aber auch empirische bey sich« (21:482; vgl. auch 506). Sofern der Übergang jedoch zur Meta­phy­sik gehört, müssen seine Prinzipien, auch die empirischen, aus dem reinen Denken bzw. der Vernunft abgeleitet werden. 1  Ähnlich auch in seinem Brief vom 19. Oktober 1798 an Johann Gottfried Carl Kiesewetter, wo er in der dritten Person schreibt, seine Kräfte reichten gerade noch aus, »eine Arbeit, die er unter Händen hat, noch zu Stande zu bringen; womit er das critische Geschäfte zu beschließen und eine noch übrige Lücke auszufüllen denckt; nämlich ›den Übergang von den metaph. A. Gr. der N. W. zur Physik‹, als einen eigenen Theil der philosophia naturalis, der im System nicht mangeln darf, auszuarbeiten« (12:258). Vgl. weiter auch das vierte Konvolut, loses Blatt 5, 21:482: »Es ist also zwischen den metaphys. Anfangs. Gr. d. N. W. u. der Physik noch eine Lücke auszufüllen deren Ausfüllung ein Ubergang von der einen zur anderen genannt wird«.

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Nun könnte es tatsächlich so scheinen, dass sich Kant mit seiner neuen Konzeption des Übergangs einer rationalistischen Position annähert. Dem ist jedoch nicht so, weil auch im Übergangswerk seine philosophischen Gegner Rationalisten sind, insbesondere Spinoza und der als neuer Leibniz gefeierte Schelling.2 Offenbar hat Kant während der Abfassung des visierten Werkes erkannt, dass in seinen Ausführungen eine gewisse Nähe zu solchen Positionen erkannt werden könnte, weshalb er sich explizit von ihnen meinte distanzieren zu müssen. Es muss daher versucht werden, den Übergang und die mit ihm verbundene Tendenz von der Meta­phy­sik zur Physik so auszulegen, dass damit die Grundideen des kritischen Programms nicht in Bedrängnis kommen.

I. Die Frage, was Meta­phy­sik nach Kant ist, lässt sich auf dem Papier einfach beantworten. Sie ist eine Wissenschaft auf der Grundlage synthetischer Prinzipien a priori. Das kantische System kennt genau zwei Meta­phy­siken, nämlich eine der Sitten und eine der Natur. Ob Kant tatsächlich eine Meta­phy­sik der Sitten formuliert hat, ist eine eigene Frage, gewiss nicht formuliert hat er seine Meta­phy­sik der Natur. Für diese hat er lediglich die Anfangsgründe vorgelegt. Gemeinhin wird die Kritik der reinen Vernunft als der dieser Meta­phy­sik der Natur vorhergehende kritische Teil angesehen, sofern hier die zentrale Frage der Transzendentalphilosophie beantwortet wird, wie synthetische Urteile a priori möglich sind. Diese Frage lässt sich dann in die Fragen nach der Möglichkeit von Meta­phy­sik, Naturwissenschaft und letztlich Erfahrung überleiten. Nun sollte die erste Kritik dem ursprünglichen Plan zufolge beide Meta­phy­siken ermöglichen. Seit spätestens 1788 hat sich allerdings an diesem Plan einiges geändert, sofern von nun an die Kritik der praktischen Vernunft der Meta­phy­sik der Sitten vorgeschaltet wird. Zum selben Zeitpunkt findet auch ein Umdenken hinsichtlich des allgemeinen Zusammenhangs von kritischer Philosophie und Meta­phy­sik statt. Denn Kant erörtert seit 1788/89 zunächst tentativ, dann aber stets entschiedener eine besondere Aufgabe der Transzendentalphilosophie, die mit einem Übergang innerhalb seiner Meta­phy­sik zusammenhängt.3 Offenbar findet in den späten 80er Jahren ein Umbau des ursprünglichen Systemplans statt, wodurch Meta­phy­sik und kritische Philosophie ihren zunächst noch relativ unvermittelten Zusammen-

2  Schelling als der neue Leibniz: vgl. Erlanger Litteratur-Zeitung vom 28. und 29. April 1801, Nr. 82 und 82, Sp. 649–663, Sp. 663. Die Rezension ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Henrik Steffens verfasst, vgl. HKA I/9,2.25 Anm. 72. Vgl. dazu auch Hecht 2000. 3  An dieser Stelle kann ich nicht auf die etwas frühere Datierung der ersten Denkansätze Kants eingehen, die er in Bezug auf die Anforderungen stellt, die später im Übergangswerk zum Tragen kommen. Nach Förster 1987, bes. S. 537, stammen die ersten Ansätze erst aus dem Jahr 1790.



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hang verlieren. Zwischen kritischer Philosophie und Meta­phy­sik wird nämlich ein weiteres philosophisches Teilstück eingeschaltet, das mit dem Übergang von der Meta­phy­sik zur Physik bzw. mit der Anwendung reiner Prinzipien auf Erfahrung zusammenhängt. Übrigens – und das wird von der Literatur zum Übergangsproblem wenig beachtet – bedarf es eines solchen Übergangs nicht nur im Rahmen der Meta­phy­sik der Natur, sondern auch im Rahmen der Meta­phy­sik der Sitten. So schreibt Kant an einer Stelle seiner Meta­phy­sik der Sitten (1797/98): »gleichwie von der Meta­phy­sik der Natur zur Physik ein Überschritt, der seine besondern Regeln hat, verlangt wird: so wird der Meta­phy­sik der Sitten ein Ähnliches mit Recht angesonnen: nämlich durch Anwendung reiner Pflichtprincipien auf Fälle der Erfahrung jene gleichsam zu schematisiren und zum moralisch-praktischen Gebrauch fertig darzulegen« (6.468). Nun hat Kant seine Metaphysischen Anfangsgründe von 1786 auch als eine »Anwendung« der Meta­phy­sik bezeichnet. Jedoch heißt Anwendung in diesem Zusammenhang, dass sie der Meta­phy­sik lediglich zur besseren Fasslichkeit vor- oder nebengeschaltet ist (vgl. 10:406). Nach der soeben zitierten Passage aus der Meta­phy­sik der Sitten geht es beim Übergang jedoch nicht um eine Anwendung mit dem Zweck, die Meta­phy­sik leichter fasslich zu machen (ebenso wenig findet sie – wie die Metaphysischen Anfangsgründe – auf der Grundlage von etwas Empirischem statt, nämlich einer empirischen Materie), sondern geht es vielmehr um ein Problem, das mit der Anwendung reiner Pflichtprinzipien zusammenhängt, um die Meta­phy­sik so einzurichten, dass sie überhaupt eine Bedeutung für den moralisch-praktischen Gebrauch bekommen kann. Wie dieser Übergang im Rahmen der Meta­phy­sik der Sitten genauer Gestalt annimmt oder annehmen soll, kann hier dahingestellt bleiben. Klar ist jedoch, dass für beide Meta­phy­siken, d. h. für ihre konkrete Anwendbarkeit, ein systematisches Zwischenstück benötigt wird, das den Zusammenhalt zwischen reiner Meta­phy­sik und konkreter Anwendung auf Fälle der Erfahrung einerseits und für den moralisch-praktischen Gebrauch anderseits herstellt, die jeweils durch eine Lücke voneinander getrennt sind. Mit der systematisch neuen Aufgabestellung eines Übergangs kommt jedoch auch die ursprüngliche Aufgabe der Meta­phy­sik innerhalb des kantischen Systemplans ins Gedränge, nämlich »Bestätigung der Richtigkeit der Kritik der speculativen sowohl als praktischen Vernunft« zu sein (B XLIII). Nach dem neuen Systemplan gehört der Übergang ausdrücklich zur Meta­phy­ sik, d. h. zum doktrinalen Teil der Philosophie und nicht zu ihrem kritischen Teil.4 Die Kritik zeigt, dass die Philosophie notwendig synthetische Prinzipien a priori zur Anwendung bringt, und in diesem Zusammenhang zeigt sie zugleich, wie sie und damit auch wie Meta­phy­sik und Physik als Wissenschaft oder Erfahrungslehre selbst möglich sind. Sie legt somit den Grund für die in der Meta­phy­sik enthaltenen synthetischen Prinzipien a priori. Der Meta­phy­sik selbst kommt dann eine eigene, 4  Vgl. in diesem Sinne auch die Kritik von Tuschling 1993, 154. Dass der Übergang tatsächlich zum doktrinalen Teil der Philosophie bzw. zur Meta­phy­sik gehört, erhellt z. B. auch aus 23:173.

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von der Kritik nicht geleistete Aufgabe zu, die Realität der synthetischen Prinzipien a priori darzutun, wie es in den Fortschritten heißt (vgl. 20:323). Es geht also nicht länger um deren Bestätigung, wie noch in der ersten Kritik, sondern vielmehr um die Realität jener Prinzipien; und das ist offenbar gemeint, wenn es um die Anwendbarkeit der reinen metaphysischen Prinzipien auf einen empirischen Bereich geht, womit sich dann auch zugleich die Frage auftut, wie von der Meta­phy­sik als einem reinen Bereich zum anderen empirischen übergegangen werden kann. In den Fortschritten spricht Kant von zwei verschiedenen Hinsichten der synthetischen Urteile in der Meta­phy­sik, sofern nämlich die Reihe der Bedingungen entweder »als Object der Sinnlichkeit oder der bloßen Vernunft betrachtet« (20:328) werden kann. Mit diesen beiden Objekthinsichten versteift er sich nicht auf die Position, dass »alles aus bloßen Naturursachen« geschieht, »es kann auch zugleich aus übersinnlichen Gründen (causa noumen.)« geschehen. Die auf die Sinnenvorstellung eingeschränkte Ursache lässt sich folglich auch als eine intelligible Ursache denken, »davon der Gedanke schon im Begriff eines mundi phaenom. liegt, in dem alles bedingt ist« (20:328 f.), weshalb die Vernunft der kantischen Meta­phy­sik nicht der Totalität der Bedingungen widerspricht. Was aber ist es, das sich in dem mundi phaenomenon als Bedingung denken lässt? Meines Erachtens weist diese Passage der Fortschritte schon auf einen zentralen Gedanken des späteren Übergangswerkes hin, dass es nämlich für die Sinnenvorstellung auch eine Ursache gibt, die sie selbst zwar in ihrer Totalität nicht zu erkennen gibt, aber doch als existierend auszuweisen vermag. Ist nämlich der Gedanke in einem mundi phaenomenon mitgedacht, in dem, sofern unter der RaumZeitbedingung vorgestellt, alles bedingt ist, dann liegt in aller Welterscheinung offenbar auch der Gedanke ihres Daseins, obwohl alles und folglich auch das Dasein einer Welterscheinung – obwohl immer nur als Aggregat – erst mit der Anschauung zustande kommt. Das heißt, die mit der Sinnenvorstellung entstehende Reihe der Bedingungen enthält immer schon den Gedanken, durch den das Dasein derselben in jener Reihe gedacht wird. Diese Auffassung bringt Kant bereits in einer Reflexion aus den späten 70er Jahren zum Ausdruck: »Alle Gegenstände der Sinne sind zuletzt auf ein (g existirend) Noumenon gegründet« (Refl. 5553, 18:225). Dem Übergangswerk zufolge wird nun im mundi phaenomenon das Dasein eines allverbreiteten Stoffs (Äther oder Wärmestoff) gedacht, der die Grundlage aller – selbst allerdings noch präreflexiven – Erfahrungseinheit ausmacht, die freilich nicht selbst als die Totalität der Reihe von Bedingungen in der Sinnenvorstellung erscheint, sondern lediglich als Aggregat, das zu einer solchen nur gedachten, allerdings auch als existierend gedachten Reihe gehört. An dieser Stelle kann und braucht nicht auf diesen allverbreiteten Stoff eingegangen zu werden. Die Pointe ist, dass Kant einen existierenden Stoff als Grundlage der Erfahrungseinheit aus dem Denken entwickelt. Denn ohne einen solchen Stoff fehlte es der Physik an einer systematischen Einheit. Mithin ist für die Anwendung der apriorischen Begriffe auf die Physik ein Übergang von der Meta­phy­sik zur Physik notwendig, durch den a priori einsichtig gemacht werden kann und muss, dass alles erscheinende Dasein Teil eines und des-



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selben, obzwar lediglich intelligibel zu erfassenden Daseins ist. Anders gewendet, aber immer noch nach Formulierungen aus dem Übergangswerk: Die Physik muss immer schon als System verstanden werden, da es sonst keinen Grund dafür gäbe, was sich überhaupt empirisch aggregieren lässt. In der Meta­phy­sik bzw. in der Meta­phy­sik der Natur waltet daher eine Tendenz zur Physik, und zwar in dem Sinne, dass die Meta­phy­sik auch die die Sinne affizierenden bewegenden Kräfte der Materie zu einem System in einem Ganzen der Erfahrung zusammenbindet. Dieses Zusammenbinden geschieht allerdings, und hierin liegt die Pointe des Übergangswerks, erst nachdem für uns Erfahrung statthat, also nicht a priori vor aller Erfahrung wie in der vorkantischen Meta­phy­sik. Der Übergang thematisiert somit ein noch grundlegenderes synthetisches Prinzip a priori, das gewissermaßen die Möglichkeit synthetischer Sätze a priori überhaupt erst ermöglicht, allerdings in dem Sinne ermöglicht, dass die Meta­phy­sik kraft des Übergangs die Grundlage ihrer Anwendung vorgibt. Erweitert wird unsere Erkenntnis durch dieses synthetische Prinzip a priori, sofern nur durch ein solches die Einheit der Erfahrung selbst auszuweisen ist. Die Physik liefert nämlich lediglich Erfahrungsaggregate, die auf diese Einheit nur dann zurückweisen, wenn es, wie für die kritische Philosophie notwendig, nur eine Erfahrung, einen Raum und eine Zeit gibt. In der Kritik der reinen Vernunft ist diese Erfahrungseinheit als »das transscendentale Object« ausgewiesen, das »die bloß intelligibele Ursache der Erscheinungen überhaupt« ist (A 494 / B 522). Diesem Objekt »können wir allen Umfang und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen zuschreiben und sagen: daß es vor aller Erfahrung an sich selbst gegeben sei« (A 494 / B 522 f.). Denn einen wirklichen Gegenstand geben die Wahrnehmungen nur dann her, wenn »diese Wahrnehmung mit allen andern nach den Regeln der Erfahrungseinheit zusammenhängt« (A 495 / B 523). Im »Anhang zur transzendentalen Dialektik« heißt jenes transzendentale Objekt »Urgrund[…])« für die »systematische Einheit des Mannigfaltigen im Weltganzen« oder »Substratum der größtmöglichen Erfahrungseinheit« (A 678 /  B 706). An den zitierten Stellen der ersten Kritik geht es allerdings immer nur um ein regulatives Prinzip. Und diese Sichtweise ändert sich seit Kants ersten Überlegungen zum Übergang, wo es darum geht, dass der Physik eine durch das Denken gestiftete daseiende systematische Einheit zugrunde liegt. Beim Übergang von der Meta­phy­sik zur Physik geht es folglich um eine Verbindung von Denken und Gegenstand (der äußeren Sinne), mithin um die Verbindung von einem dabile mit dem cogitabile. Ohne einen solchen Überschritt könnte, so Kants spätere Einsicht im Übergangswerk, die Physik niemals mehr sein als ein Aggregat von fragmentarischen Wahrnehmungen und gäbe es im Bewusstsein keine Wahrheit, die Erfahrung heißt. Die gesamte Physik muss nämlich als ein System gedacht werden oder als »ein Objekt möglicher Erfahrung«5, in dem »das formale 5  Vgl. dazu auch A 156 / B 195: »Die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unsern Erkenntnissen a priori objective Realität giebt.«

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Princip der Verknüpfung des Empirischen in der Anschauung in einem System der Warnehmungen, ohne welches keine Erfahrungseinheit Statt hat« (22:307), enthalten ist. Dies ist auch, was Kant unter dem enigmatischen »forma dat eße rei« versteht, sofern die Erfahrungseinheit »nicht aus einem fragmentarischen Aggregat von Warnehmungen hervorgehen und eine Natur mit ihren Attributen darstellen kann« (ebd.). Das heißt, eine Form muss den in uns erscheinenden Dingen ein einiges Dasein geben, das in der Erscheinung selbst nur als ein aggregiertes Dasein, mithin nicht als jenes einige Dasein Dasein hat. Und diese Form besteht im Übergang als Tendenz, wird also von der Meta­phy­sik der Physik gestiftet. Denn wir können, wie es an vielen ähnlichen Stellen heißt, »nichts von der Erfahrung ausheben als nur[,] was wir selbst in dieses Ganze einer möglichen Erfahrung vorher hineingelegt haben[,] nämlich das Formale der Verbindung der Erscheinungen zu einem solchen Ganzen der Physik« (22:309). Wir könnten mit anderen Worten in den einzelnen empirischen Erscheinungen gar keine Einheit anbringen, etwa, dass es unsere Erscheinungen sind, wenn diese Einheit nicht immer schon von uns selbst, und zwar zum Behufe der Erfahrung a priori, der Zusammensetzung der Erscheinungen zugrunde gelegt wäre. Kant verwendet den Ausdruck »Tendenz« vornehmlich und systematisch relevant in den Blättern zum Übergangswerk, davor kommt er eher nur sporadisch vor, insbesondere in seiner letzten Druckschrift, der Anthropologie, wo die allgemeine Besserung des Menschengeschlechts als eine ›Tendenz‹ erläutert wird. Auch hinsichtlich des systematischen Orts der Tendenz klären die Blätter zum Übergangswerk nicht immer mit aller wünschenswerten Klarheit auf. An vielen Stellen schlägt er sie den Metaphysischen Anfangsgründen zu, zuweilen aber auch der Meta­phy­sik der Natur. Generell ist allerdings stets klar, dass in der Tendenz der Begriff des Übergangs beschlossen liegt, nämlich um für den Überschritt »vom fragmentarischen empirischen zum systematischen nach Principien a priori das Gesetz zu geben« (21:291). Es geht, wie gesagt, um die Überbrückung nach synthetischen Prinzipien a priori der Kluft zwischen Denken und Gegebenem, zwischen den Metaphysischen Anfangsgründen und der Physik und mithin »von Begriffen[,] die einerseits a priori gedacht[,] andererseits empirisch gegeben werden müssen[,] weil die Naturlehre es hier überhaupt und im Allgemeinen mit den bewegenden Kräften der Materie zu thun hat« (21:367). Es ist die daseiende allgemeine Grundlage der Materie, die a priori gedacht werden muss, obwohl das Dasein der Materie nur als empirisch – und mithin nur als aggregiertes Gegebenes – gegeben sein kann. Die Erfahrung im Rahmen der kritischen Philosophie kann die gesuchten Prinzipien des Übergangs freilich nicht hergeben, denn das wäre zirkulär. Alle Erkenntnisse der Physik müsse aber immer schon als zu einer und derselben Erfahrung gehörend gedacht werden, mithin muss die Einheit aller Erfahrung schon in einem für die Physik gedachten, mithin in einem lediglich intelligiblen Begriff a priori einer Materie überhaupt liegen. Und zu diesem Begriff gibt es in der Meta­phy­sik eine Tendenz, die das Übergangswerk dann näher untersucht und herausarbeitet;



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denn ohne einen solchen Begriff kann in der Meta­phy­sik nicht legitim zur Physik als System fortgeschritten werden. Eine späte Reflexion bestätigt diese Funktion der Meta­phy­sik, sofern sie »Anwendung der transscendentalPhilosophie auf Dinge, die nicht Gegenstände der Erfahrung werden können, entweder auf ein Gantzes der Gegenstande der Sinne oder auf übersinnliche Dinge« ist (Refl. 6415, 18:710). Im Übergang, der nach Kant zur Meta­phy­sik gehört, geht es um die Anwendung der Transzendentalphilosophie auf das Ganze der Sinnengegenstände. Die Physik weiß von diesem Ganzen nichts, sie bringt vielmehr immer nur aggregierte Erfahrungserkenntnisse hervor und niemals die immer schon unterstellte Erfahrungseinheit selbst. Allerdings, und hierin besteht die vielleicht eigentliche Pointe des Übergangswerks, könnte in der Physik, die ja immer nur kraft der Erfahrung die bewegenden Kräfte und Wirkungen der Materie erkennt, diese Erfahrung gar nicht gemacht werden, wenn sie ihrem Erfahrungsgebrauch nicht a priori Gesetze zum Grunde legte, die die Einheit oder das System jener bewegenden Kräfte der Materie bestimmen. Ohne diese Einheit oder ohne dieses System vorauszusetzen, kann im Grunde genommen auch gar keine Erfahrung stattfinden.

II. Gehen wir das Problem des Übergangs und damit das der Tendenz von einer etwas anderen Richtung an. Nach der Kritik der reinen Vernunft beginnt alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung (vgl. B 1) und in ihrem Verlauf wird ihre Möglichkeit dargetan. Die Wirklichkeit der Erfahrung wird von Kant allerdings als eine Evidenz vorausgesetzt, damit ist sie jedoch noch nicht als ein wirkliches Dasein gegeben. Wird nun die Möglichkeit der Erfahrung von der kritischen Philosophie in der Tat streng bewiesen, ist immer noch die Frage, ob dieser Beweis überhaupt etwas über die Wirklichkeit der Erfahrung aussagt bzw. was dieser über sie ausmacht. Die von Kant verfolgte Strategie ist im Grunde genommen, von der Möglichkeit der Erfahrung als einer Evidenz auf ihre Wirklichkeit zu schließen. Und in diesem Verfahren besteht offenbar jene Lücke, die es in der kritischen Philosophie noch zu schließen gilt. Denn der Schluss von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit ist unzulässig, weshalb auch die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung nicht allein für den Beweis ihrer Wirklichkeit in Anschlag gebracht werden können. Das Problem ist also nicht, dass wir, wie es in den Prolegomena heißt, der Natur unsere Gesetze auflegen, sondern vielmehr, wie das Denken ein System der Erfahrung begründen kann, das nur unter den Bedingungen von Raum und Zeit als aggregierte Erfahrung existiert. Sein oder erkennbares Sein steht ja nach der kritischen Philosophie immer unter den Bedingungen von Raum und Zeit und ist deshalb nur als ein raum-zeit­ liches Sein gegeben. Weil jedoch Raum und Zeit keine diskursiven Begriffe sind, ist auch das uns Gegebene bzw. das unter den raumzeitlichen Bedingungen Verbundene nicht diskursiv. Folglich bedarf das, was als Erscheinung existiert (denn alles,

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was existiert, mithin gegeben ist, steht der kritischen Philosophie zufolge unter den Bedingungen von Raum und Zeit), eines selbst nicht empirisch gegebenen Prinzips, mithin eines Prinzips a priori, durch das die Existenz des Erscheinenden immer schon als zu einer quasi präreflexiven Erfahrungseinheit gehörend bestimmt ist. Mangelte es an einem solchen Prinzip, gäbe es keinerlei Garantie dafür, dass die gegebenen empirischen Vorstellungen im System der Erfahrung so miteinander verknüpft werden, wie sie unter den raumzeitlichen Bedingungen erscheinen, und zwar so erscheinen, dass sie bereits hier unter derselben systematischen Einheit stehen, wie sie im System der Erfahrung diskursiv verbunden werden. Dass die Meta­phy­sik eine Tendenz zur Physik besitzt, heißt somit, dass es in ihr eine natürliche Hinwendung auf einen für die Physik lediglich unterstellten Grund gibt, der in der Physik immer nur als aggregierte Erfahrungswirklichkeit oder -existenz hervortritt. Bedingung für dieses Hervortreten ist die Möglichkeit von Erfahrung, von der es allerdings keinen direkten Übergang oder Überschritt auf ihre Wirklichkeit als eine Erfahrung gibt, die die kritische Philosophie voraussetzt und kraft der Einheit der transzendentalen Apperzeption zwar als zu einer subjektiven Einheit gehörend ausweist, aber eben deshalb noch nicht zu einer wirklichen Erfahrungseinheit macht, die für das System der Physik vorausgesetzt ist. Hier klinkt in gewissem Sinne die spätere schellingsche Formel von Grund und Existenz nach, wobei der Grund der Existenz nur aus den Bedingungen ihrer Möglichkeit einsichtig gemacht werden kann und die Existenz selbst nichts ist, das der Erfahrung zugänglich wäre, wenn ihr Grund nicht aus derselben Erfahrung dargetan werden könnte. Auch die Tendenz der kantischen Meta­phy­sik geht auf den Grund der Erfahrung als einen Grund. Und dieser Grund ist für die Erfahrung immer schon vorausgesetzt, obwohl er erst durch das die Erfahrungsmöglichkeit bestätigende Denken in die Erfahrung tritt, nämlich als diese Erfahrung zu einem System verbindend. Zur Überbrückung der Lücke kann nicht die Kritik, sondern nur die vor ihr begründete Meta­phy­sik ein Prinzip a priori bereitstellen, durch das immer schon garantiert ist, dass das lediglich unter den Bedingungen von Raum und Zeit stehende sinnlich Gegebene zu einer Erfahrung, d. h. zu einem System der Physik gehört. Erbracht werden muss das geforderte Prinzip im Rahmen und unter den Bedingungen der Transzendentalphilosophie, was dann aber auch bedeutet, dass die Existenz der Seinseinheit aus dem Denken hergeleitet wird. Der Übergang beschäftigt sich somit mit dem von der kritischen Philosophie vehement bestrittenen Problem der alten Meta­phy­sik, aus dem Denken das Sein herzuleiten, jedoch ohne dabei jene Grenzen zu überschreiten, die die kritische Philosophie dem Denken angelegt hat. Es muss dem alten Kant in der Tat einen tantalischen Schmerz bereitet haben, am Ende seines Denkweges, der dem metaphysischen Unfug seiner Vorgänger den Garaus machen wollte, seine eigene Philosophie vor ein ganz ähnliches Problem gestellt zu sehen, als die vormalige Meta­phy­sik stand. Sofern nach Kant alles, was ist, immer unter den Bedingungen von Raum und Zeit gegeben ist, Raum und Zeit jedoch keine diskursiven Begriffe, sondern Begriffe der reinen Anschauung sind, gibt es einen Unterschied zwischen gedachtem Sein



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und in der Anschauung gegebenem Sein. Das in der Anschauung gegebene Sein erscheint, so Kant, direkt, während die unter Begriffe gebrachte Erscheinung die Folge eines Erkenntnisprozesses ist, wobei dieser in die angeschaute Natur noch etwas hineinlegt, wodurch der Systemcharakter der Natur als einer begründet wird. Letztere Erscheinung nennt Kant im Übergangswerk Erscheinung der Erscheinung, womit einerseits angezeigt wird, dass es zwischen direkter und indirekter Erscheinung einen Unterschied gibt, anderseits, dass zwischen beiden Erscheinungen eine Verbindung hergestellt wird, die nicht analytischer, sondern synthetischer Natur ist und noch dazu als a priori in Anschlag gebracht werden muss. Die kantische Philosophie benötigt folglich ein Prinzip, diese Verbindung in dem Sinne zu ermöglichen, dass aus der Erfahrungserkenntnis auf die Physik als ein System möglicher Erfahrung zurückgeschlossen werden darf. In der Meta­phy­sik muss mithin ein synthetisches Prinzip a priori angetroffen werden, das den Übergang von der Meta­phy­sik auf die Physik erlaubt. Anders formuliert, wir bedürfen eines synthetischen Prinzips a priori, das uns das raumzeitliche Dasein des empirisch Gegebenen so verständlich macht, dass wir dieses nicht nur seiner Möglichkeit nach erkennen, sondern auch seiner Wirklichkeit nach, d. h. so, wie diese uns nur indirekt erscheint. Weil nun dieses synthetische Prinzip a priori im Rahmen der Meta­phy­sik formuliert werden muss – denn es kann ja nicht empirisch gegeben sein –, muss in der Meta­phy­sik ein Rückschluss von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit entwickelt werden. In den Worten aus dem 10. Konv. des Opus postumum: »Es ist also im Fortschreiten zur Physik nothwendig[,] die Begriffe der activen Verhältnisse der Materie nicht direct aus der Erfahrung zu schöpfen[,] sondern indirect die Möglichkeit derselben als System zum Grunde zu legen und zuvor ein Gantzes derselben der Form nach aufzustellen« (22:314). Es geht mit anderen Worten darum, das Dasein des formalen Grundes der präreflexiven Erfahrungseinheit aufzustellen. Aus dem Denken wird folglich kein Dasein, sondern lediglich die Form des Daseins, das die Physik für ihre systematische Einheit unterstellt und unter den Bedingungen von Raum und Zeit als gegebenes bzw. aggregiertes Dasein erscheint, hergeleitet. Und das ist tatsächlich etwas anderes, als worum es in der traditionellen Meta­phy­sik ging, wo aus dem Denken auf das der Physik unterliegende Dasein geschlossen wurde. Im Übergangswerk verwendet Kant in diesem Zusammenhang immer den Ausdruck »zum Behufe der« oder »für die Erfahrung«. Das heißt, wir bedürfen eines Prinzips a priori, durch das kraft der Möglichkeit von Erfahrung das anschaulich Gegebene überhaupt und immer schon so betrachtet werden darf, dass es in ein System der Erfahrung eingebettet ist und diesem angehört. Zum Behufe oder für die Erfahrung als eine Erfahrung ist es notwendig, dass das empirisch Gegebene immer schon zu einem einigen System gehört, das allerdings nicht empirisch gegeben sein kann. Es wäre nämlich, wie Kant hervorhebt, ein »Erschleichungsfehler in Begriffen«, wenn das, »was dem Subject zukommt[,] welches afficirt wird[,] dem vorgestellten Object beygelegt wird« (22:320). Affiziert ist das Subjekt vom Gegebenen oder genauer von den bewegenden Kräften der Materie; dabei wird das

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Dasein dieser Kräfte dem vorgestellten Objekt nicht beigelegt, denn dieses geht auf das empirische Bewusstsein des Objekts zurück, sondern lediglich die daseiende Form, kraft der jene Kräfte überhaupt erst zu einem System der Natur gehören können. Kant behauptet in diesem Zusammenhang daher auch, dass die »Existenz eines Sinnenobjects […] nicht aus der Erfahrung[,] sondern für sie[,] d. i. zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung in der Physik vorausgehen muß« (ebd.). Existenz oder Dasein hat das Sinnenobjekt freilich nur, wenn es unter den Bedingungen von Raum und Zeit erscheint. Jedoch fehlt einem solchen Dasein zwangsläufig sein vereinigender und somit formaler Grund, der dem direkten Dasein des Sinnen­objekts vor aller Erfahrung und somit Physik indirekt vorhergeht und als gehörend zu einem Dasein auszeichnet. Freilich sind auch Raum und Zeit Formen des Daseins des Sinnenobjekts, doch, weil sie unendliche Reihen ausmachen, keine Formen der Einheit des Daseins, sondern lediglich eines aggregierten, d. h. erscheinenden Daseins. Das Dasein der systematischen Einheit der Physik kann folglich nicht direkt im Gegebensein liegen oder von daher ohne Zirkel bestimmt werden, sondern muss vielmehr indirekt für die Verknüpfung der Wahrnehmungen und damit für die Erfahrung aus dem die Möglichkeit der Erfahrung begründenden Denken genommen werden. Dafür nämlich, dass alles, was uns affiziert, zu einer Erfahrung gehören kann, die von uns gemacht wird, ist es auch notwendig, dass diese Einheit als Grund der Daseienden bereits metaphysisch, d. h. atemporal ›vorher‹ da ist, denn dieses Dasein ist ja in keinerlei Weise empirisch zugänglich oder gegeben, weshalb es kraft eines Übergangs von der Meta­phy­sik zur Physik als systematischer Einheit konstituiert werden muss. Man begeht allerdings einen Fehler, wenn man, wie Kant immer wieder hervorhebt, die »Erscheinung im Subject für einerley mit dem nimmt[,] was dieses Subject thut« (22:322); Erscheinungen beruhen nämlich auf einem in der bestimmbaren Anschauung Gegebenen, wobei nur das Formale oder Subjektive der Anschauung der Gegenstand in der Erscheinung ist, von dem das Subjekt affiziert ist. Das heißt, wir dürfen »das Formale der Erscheinung [nicht; E.-O. O.] für das Materiale des Gegenstandes« derselben nehmen (ebd.). Sofern jedoch die Form der Anschauung als Erscheinung zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung gegeben ist, diese selbst jedoch vom Subjekt gemacht wird, konstituiert sich dieses Subjekt zugleich »selbst zum Gegenstande der Erfahrung für die Physik« als ein Ganzes (22:414). Der zugrunde liegende Gedanke ist hier der, dass »sich die empirische[n] Vorstellungen als Warnehmungen der Sinnenobjecte an seinem eigenen korperlichen Subject in der Erscheinung auch als ein System[,] welches sich a priori nach Art und Zahl specificiren läßt[,] aufstellen und classi­ ficiren lassen, und einen Übergang von der Meta­phy­sik der Natur zur Physik als einem Gantzen ausserhalb dem Subject[,] welches ihm selbst Erscheinung ist[,] an die Hand geben[,] welches als Erscheinung einer Erscheinung a priori in einem System empirischer Erkentnis[,] welche Erfahrung heißt[,] den ersten Ubergang von der Metaph. der Naturwissenschaft zur Physik in einem Elemen-



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tarsystem der bewegenden Kräfte der Materie an dem Subject als seinem eigenen Körper nach allen Functionen der fragmentarischen Aggregationen des Mannigfaltigen in der Erscheinung in der Form eines Gegenstandes der Erfahrung darstellt« (22:357). Kein leicht zu verstehendes Zitat. Der Angelpunt ist hier m. E. der, dass die Physik als Ganze außerhalb des Subjekts am Körper dieses Subjekts in Erscheinung – als nur aggregiertes Mannigfaltiges – tritt; weil dieser Körper jedoch auch selbst ein Gegenstand der Erscheinung und zugleich körperlich-physische Bedingung für die Erscheinungen in uns ist, kann aus der Einheit des Körpers die nimmer selbst erscheinende Einheit der Physik entwickelt werden. In der Körperlichkeit des Subjekts (als Organismus und Empfindung) haust somit quasi jene Form, die für die Physik als Ganze vorausgesetzt ist.6 Vermittelt über die körperliche Einheit des Subjekts bzw. seiner Bewegungskräfte, die erst mit der Erscheinung selbst in Erscheinung treten und sich mit der gegebenen Erscheinung verbinden, ist eine Grundlage dafür geschaffen, das nur empirische Dasein der Bewegungskräfte der Materie hinsichtlich ihrer einheitlichen Form auch a priori zu bestimmen. Kant spricht in diesem Zusammenhang in den späteren Konvoluten des Opus postumum auch von dem Subjekt, das sich selbst zum Objekt macht, was eine Bewegung im Rahmen der Meta­phy­sik ist, die sowohl apriorischer als auch empirischer Art ist. Diese Selbstaffizierung, wie Kant sie auch nennt, ist ein späterer Versuch zur Lösung des Übergangsproblems: nämlich aus dem Denken ein Dasein zu entwickeln, das allem empirischen Dasein in dem Sinne zugrunde liegt, dass es ohne es für die Möglichkeit der Erfahrung oder zu ihrem Behufe keinen einheit­ lichen Daseinsgrund gäbe. Das heißt, für das unter Raum und Zeit stehende daseiende Gegebene oder Materiale der Erscheinung ist die Form desselben Daseins als eines, das vom Subjekt oder Denken produziert wird. Selbstsetzung ist somit eine Tätigkeit des Subjekts, die das Subjekt überhaupt erst als Subjekt für das Subjekt hervorbringt. Ist dem Subjekt etwas gegeben, kann es dieses erst als ein solches erkennen, wenn es selbst die Bedingungen hervorbringt, unter denen Erfahrungs­ erkenntnis statthaben kann, womit es zugleich jene Tendenz entfaltet, alles Gegebene als ein solches aufzufassen, das aus einem selben Daseinsgrund hervorgeht, dessen Form, nicht jedoch Materie, vom Subjekt zum Behufe seiner Erfahrung gesetzt werden muss. Hier geht es nicht um die Schaffung eines regulativen Prinzips, sondern um die unmittelbare Hervorbringung eines synthetischen Prinzips a priori, das für alle Erfahrungserkenntnis in dem Sinne immer schon unterstellt ist, dass sie ohne es schlechthin nicht statthaben würde.

6  Vgl.

dazu auch Onnasch 2013.

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III. Nun ist Selbstaffizierung spätestens seit Fichtes Wissenschaftslehre zu einem zentralen Topos der zeitgenössischen Philosophie avanciert. Erhellend für Kants eigene Auffassung von Selbstaffizierung ist seine Erklärung von 1799 gegen Fichtes Wissenschaftslehre. Diese sei nämlich nach Kant nichts als »bloße Logik, welche mit ihren Principien sich nicht zum Materialen des Erkenntnis versteigt« (12:370). Dasein bleibt im Rahmen der Wissenschaftslehre also bloßes Subjekt-Dasein, das mit dem realen »Object« in keinem wirklichen Zusammenhang steht. Von Fichtes »Transscendental-Philosophie« kann deshalb, wie Kant kritisiert, gar nicht »zur Meta­phy­sik übergeschritten werden«. Vor dem Hintergrund der Arbeit Kants an seinem Übergangswerk, das zum selben Zeitpunkt kurz vor seiner Fertigstellung gestanden haben soll,7 ist diese Kritik durchaus verständlich und auch wichtig für Kants Verständnis von Selbstsetzung oder -affizierung. Kant kritisiert nämlich weiter an Fichte in der Erklärung, es sei vergebliche Arbeit, aus der Wissenschaftslehre bzw. aus dieser Logik »ein reales Object herauszuklauben«. Der allgemeinen Meta­ phy­sik oder der Transzendentalphilosophie fehlt somit das verbindende Glied mit der besonderen Meta­phy­sik, welchen Überschritt das Übergangswerk thematisiert und leisten will, vor welchem die fichtesche Wissenschaftslehre jedoch, so Kant, auf der Strecke bleibt. Kants Fichte-Kritik nimmt somit in gewisser Weise jenes Problem vorweg, das er zugleich unter seiner Feder einer Lösung zuführte. In den späten Konvoluten des Opus postumum greift Kant dann auch Schellings Auffassung von Selbstsetzung an. Bemerkenswerterweise wird dessen Philosophie zusammen mit der Spinozas als »transzendentaler Idealismus« verschmäht (sic!). Ich will an dieser Stelle nicht darauf eingehen, dass Kant lediglich in seiner ersten Kritik und in den Prolegomena den Ausdruck »transzendentaler Idealismus« verwendet und das im Übrigen auch nicht prägnant zur Charakterisierung der eigenen philosophischen Position. Im Opus postumum tritt dieser Ausdruck dann erstmals wieder auf, allerdings zur Charakterisierung eines spinozistischen Philosophie­para­ digmas, das Kant eindeutig abweist.8 Auch in diesem Zusammenhang ist Kants Kritik in ihrer Abgrenzung der Transzendentalphilosophie vom transzendentalen Idealismus erhellend. In der eigenen Transzendentalphilosophie geht es nämlich darum, dass sich das Subjekt nach einem formalen Prinzip als Objekt der Erkenntnis systematisch konstruiert (vgl. 20:97). Niemals verliert jedoch Kant selbst die Tatsache des Gegebenseins des Gegenstands unter den Bedingungen von Raum und Zeit in dem Sinne aus dem Auge, dass er die Selbstaffizierung oder Selbstkonstruierung des Subjekts als Objekt immer und stets auch als das in Raum und Zeit Daseiende versteht oder genauer davon ausgeht. Bei Schelling bzw. Spinoza dagegen geht es

7  Dass Kant um 1799 meinte, kurz vor dem Abschluss dieses Werkes gestanden zu haben, habe ich an anderer Stelle mit zeitgenössischen Dokumenten dargelegt, vgl. Onnasch 2011. 8  Vgl. dazu auch Onnasch 2009.



Die Tendenz der Metaphysik zur Physik

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nach Kant um eine Konstruktion außerhalb von Raum und Zeit, wobei Raum und Zeit erst im Zuge dieser Konstruktion als ihre Elemente hervortreten. Auch in den späten Konvoluten des Opus postumum bleiben Raum und Zeit Bedingungen für die Sinnenvorstellung, die ihrerseits aller Erfahrungserkenntnis zugrunde liegt. Kants Abgrenzung gegen Schelling bzw. Spinoza arbeitet folglich dem Eindruck entgegen, dass im Übergangswerk zwar einem unter raumzeitlichen Bedingungen Gegebenen (dabile) durch ein Gedankending (cogitabile) der Einheitsgrund hergestellt wird, damit noch kein Überschritt von einem gegebenen Dasein zu seinem subjektexternen Grund involviert sei; dies ist und bleibt ein von Kant für unzulässig angesehener Überschritt.9 Die Tendenz der Meta­phy­sik zur Physik ist somit keine Konstruktion des Materialen der Erscheinung, sondern vielmehr formale Bedingung der Daseinseinheit alles Materialen in der Erscheinung zum Behufe der Erfahrung, d. h. Bedingung des der Erfahrungseinheit zugrunde liegenden Daseins, das in der konkreten Erfahrung immer nur in aggregierter Gestalt erscheint und Dasein hat; wobei kraft des Übergangs bzw. der Tendenz der Meta­phy­sik zur Physik allerdings auch klargestellt ist, dass dieses erscheinende Dasein immer nur Aggregat eines Daseins ist, das als Ganzes nicht in die Erscheinung tritt bzw. treten kann. Die Tendenz bewirkt folglich alles, was zu einem System des Mannigfaltigen bzw. zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung vorausgesetzt ist, nämlich das Fortschreiten »zu einem Vollständigen[,] aber doch nie vollendeten System« (21:99).

Literatur Förster, Eckart: Is There ›A Gap‹ in Kant’s Critical System? – In: Journal of the History of Philosophy 25 (1987), 533–555. Hecht, Hartmut: »Die Zeit Leibniz’ zu verstehen, ist gekommen«. – In: E. Hahn (Hg.): Schelling Studien. Bd. 1. Berlin 2000, 127–146.

Onnasch, Ernst-Otto: Der Briefwechsel zwischen Immanuel Kant und Jeronimo de Bosch. Oder ein Beitrag zum holländisch-deutschen Austausch über die kritische Philosophie. – In: Kant Studien 102/1 (2011), 89–112. – Kants Transzendentalphilosophie des Opus postumum gegen den transzendentalen Idealismus Schellings und Spinozas. – In: E.-O. Onnasch (Hg.): Kants Philoso9 Vgl. dazu auch eine andere Kritik Kants aus dem späten ersten Konvolut des Opus postumum: »Unter allen Eigenschaften[,] die einem denkenden Wesen zukommen[,] ist die erste die seiner selbst als einer Person bewust zu seyn[,] nach welcher das Subject nach dem transscendentalen Idealism [gemeint ist die Position Schellings und nicht die Kants! – E.-O. O.] sich selbst a priori zum Objecte constituirt[,] nicht als in der Erscheinung gegeben im Übergang von metaphysischen Anf. Gr der N. W. zur Physik[,] sondern als Wesen[,] das seiner Selbst Begründer und Urheber ist nach der Qvalität der Personlichkeit[.] Das ich bin. – Ich als Mensch bin mir Sinnenobject im Raum u. der Zeit und zugleich Verstandesobject«. (21:14)

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Ernst-Otto Onnasch

phie der Natur, ihre Entwicklung im Opus postumum und ihre Wirkung. Berlin/ New York 2009, 307–355. – The Role of the Organism in the Transcendental Philosophy of Kant’s Opus postu­mum. – In: I. Goy / E. Watkins (Hg.): Kant’s Theory of Biology. Berlin/New York 2013, 239–256. Tuschling, Burkhard: The Concept of Transcendental Idealism in Kant’s Opus Postumum. – In: R. M. Dancy (Hg.): Kant and Critique. New Essays in Honor of W. H. Werkmeister. B.V. Dordrecht/Boston/London 1993, 151–167.

Autorenverzeichnis Andreas Brandt: Studium der Philosophie, Ev. Theologie, Mittlere und Neuere Geschichte und Germanistik in Münster und Göttingen. Promotion (2000) an der Universität Göttingen bei Konrad Cramer mit einer Arbeit über Leonard Nelsons Grundlegung der Ethik und ihre Beziehung zur Theorie Kants (Ethischer Kritizismus, 2002). Von 1999 bis 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Göttingen, seit 2015 Lehrbeauftragter. Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Geschichte der Philosophie der Neuzeit (Descartes, Spinoza, Leibniz, Wolff, Hume, Kant, Nelson; Religionsphilosophie der Aufklärung). Mario Caimi: Studium der Philosophie an den Universitäten Buenos Aires und Mainz, 1982 Promotion an der Universität Mainz. Bis 2013 Professor für Philosophie an der Universität Buenos Aires. Gastprofessor an mehreren Universitäten in Eu­ropa und in Lateinamerika. Mitglied des wissenschaftlichen Beirats u. a. der Kant-Studien (Berlin), Studia Kantiana (Rio de Janeiro), Studi Kantiani (Pisa). 2010 mit dem Internationalen Kant-Preis ausgezeichnet. Übersetzer mehrerer Werke Kants ins Spanische, darunter Kritik der reinen Vernunft, Fortschritte der Metaphysik, Prole­gomena, Streitschrift gegen Eberhard, Anthropologie. Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze über Kants Philosophie. Antoine Grandjean: Absolvent der École Normale Supérieure (Fontenay/Saint-Cloud), lehrt nach Agrégation und Promotion in Philosophie als Maître de conférences (­A ssociate Professor) deutsche Philosophie an der Universität Nantes (Frankreich). Neben seiner Monografie Critique et réflexion. Essai sur le discours kantien (2009) hat er u. a. zwei Kant-Übersetzungen ins Französische (mit ausführlicher Einleitung und Anmerkungen) veröffentlicht: Sur l’échec de tout essai philosophique en matière de théodicée (2009) und Les Progrès de la métaphysique (2013). Andree Hahmann: Studium der Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft und Klassischen Philologie in Köln, Siegen und Marburg, Promotion zum Dr. phil. 2007, 2008 bis 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Habilitation 2015 in Göttingen, seit 2015 DAAD Professor of Philosophy and of Germanic Languages and Literatures, University of Pennsylvania, Arbeitsschwerpunkte: Philosophie der Antike und Neuzeit. Monographien: Was ist Willensfreiheit? Alexander von Aphrodisias über das Schicksal (2005), Kritische Metaphysik der Substanz. Kant im Widerspruch zu Leibniz (2009), Systematischer Kommentar zu Aristoteles’ De Anima (2016) Aufsätze zur antiken Philosophie, Kant und zum Problem der Willensfreiheit.

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Dietmar H. Heidemann: Studium in Köln und Edinburgh, Promotion 1997, Habi­li­ tation 2005 in Köln, 2006 Professor für Philosophie an der Hofstra University, New York, seit 2009 Professor für Philosophie an der Universität Luxemburg. Forschungsschwerpunkte: Philosophie der Neuzeit, insbesondere Kant und der Deutsche Idealismus, Erkenntnistheorie, Metaphysik, Philosophie der Subjektivität. Publi­kationen u. a.:  Der Begriff des Skeptizismus. Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung (2007), Kant und das Problem des metaphysischen Idealismus (1998), (ed.) Kant and Non-Conceptual Content (2013), Herausgeber des Kant Yearbook (2009 ff.) sowie der Kritik der reinen Vernunft im Rahmen der Neuedition von Kants Gesammelten Schriften im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Rudolf Langthaler: Studium der Philosophie, Katholischen Theologie und Germanistik an der Universität Wien. 1988 Habilitation im Fachbereich Philosophie an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Seit Oktober 1999 Professor für Philosophie und Vorstand am Institut für Christliche Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Monographien u. a.: Kants Ethik als System der Zwecke. Zu einer modifizierten Idee der »moralischen Teleologie« (1991); Organismus und Umwelt. Die biologische Umweltlehre im Spiegel traditioneller Naturphilosophie (1992); »Gottvermissen« – eine theologische Kritik der reinen Vernunft? Die neue Politische Theologie im Spiegel der Kantischen Religionsphilosophie (2000); Geschichte, Ethik und Religion im Anschluss an Kant. Philosophische Perspektiven »zwischen skeptischer Hoffnungslosigkeit und dogmatischem Trotz« (2014). Bernd Ludwig: Studium der Physik und der Philosophie in Marburg, Promotion 1985, Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin 1998, seit 2002 Professor für Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Philosophie der Neuzeit, Rechts- und Moralphilosophie. Herausgeber von u. a. Kants Metaphysik der Sitten (Hamburg 1986 u.ö.), Bürger zweier Welten. Freiheit und Verantwortung im Transzendentalen Idealismus (mit M. Brandhorst und A. Hahmann; Hamburg 2012); Monographien: Kants Rechtslehre (1988, 22005); Die Wiederent­ deckung des Epikureischen Naturrechts. Zu Hobbes’ philosophischer Entwicklung von De Cive zum Leviathan im Pariser Exil (1998). Aufsätze zur Philosophie der Neuzeit, zur Rechts- und Moralphilosophie und zum Problem der Kausalität. Ernst-Otto Onnasch: Philosophisches Institut der Universität Utrecht, lehrt und forscht schwerpunktmäßig zur klassischen deutschen Philosophie. Neuere Buchpublikationen neben zahlreichen Aufsätzen: Karl Leonhard Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens in 2 Bänden (2010 u. 2012); Proklos, Theologische Grundlegung/Stoicheiosis Theologike, Gr./Dt. (mit Ben Schomakers, 2015); Johann Friedrich Flatt, Philosophische Vorlesungen 1790. Nachschriften von August Friedrich Klüpfel (mit Michael Franz, im Erscheinen). Ferner der Sam-



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melband: Kants Philosophie der Natur, ihre Entwicklung im Opus postumum und ihre Wirkung (2009). Herausgeber der Reihe Reinholdiana. Steven Tester: Promotion an der Northwestern University in German Studies 2013. Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin in Philosophie 2014. Von 2014 bis 2015 Junior Research Fellow am Lichtenberg-Kolleg, Georg-August-Universität Göttingen. Seit 2015 Lehrbeauftragter am Philosophischen Seminar der Georg-AugustUniversität Göttingen. Forschungsschwerpunkte sind Metaphysik sowie Philosophie des Geistes bei Kant und die Philosophie der frühen Neuzeit. Übersetzer und Herausgeber von Georg Christoph Lichtenberg, Philosophical Writings (2012), Autor von Aufsätzen zu Kant, Lichtenberg, Locke und Leibniz. Marcos Thisted: Promotion an der Universität in Buenos Aires bei Mario Caimi mit der Arbeit Kant and Critical Metaphysics circa 1792–1795. Analysis and Interpretation of the ›Fortschritte der Metaphysik‹. Er lehrt seit 2000 Geschichte der Philosophie an der Universität Buenos Aires. Zahlreiche Vorträge und Publikationen zur Kant-Forschung. Gründungsmitglied der Sociedad de Estudios Kantianos en Lengua Española (SEKLE) und der Grupo de Estudios Kantianos (GEK) in Buenos Aires sowie Mitglied der Société d’Études Kantiennes de Langue Française (SEKLF). Günter Zöller: Universitätsprofessor für Philosophie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Studium: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn; École normale supérieure, Paris; Brown University, Providence, USA. Gastprofessuren u. a. an der Princeton University, Emory University, Seoul National University, McGill University, Chinese University of Hong Kong. Jüngere Buchveröffentlichungen: Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz (2011); Fichte lesen (2013), Res Publica. Plato’s »Republic« in Classical German Philosophy (2015), The Cambridge Companion to Fichte (2016).