Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß [1 ed.] 9783428501113, 9783428101115

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Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß [1 ed.]
 9783428501113, 9783428101115

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Dr. GERHARD GRÜNER

Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß

Schriften zum Prozessrecht Band 157

Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß

Von Dr. Gerhard Grüner

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Grüner, Gerhard:

Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß I von Gerhard Grüner. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Prozessrecht ; Bd. 157) Zug!.: Dresden, Techn. Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10111-1

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-10111-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Meinem Vater posthum

Vorwort Die folgende Arbeit lag der Juristischen Fakultät an der Technischen Universität Dresden im Sommersemester 1999 als Inaugural-Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur wurden bis zum 31.8.1999 berücksichtigt. Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Knut Amelung für die lehrreiche Schulung während meiner Assistentenzeit in Dresden, die Vergabe des Themas, seine immerwährende Geduld und die kritisch-tolerante Korrektur der Arbeit, sowie Herrn Prof. Dr. Otto Lagodny und Herrn Prof. Dr. HansUllrich Paeffgen für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens bzw. des auswärtigen Gutachtens. Besonderen Dank schulde ich Herrn RA Dr. Klaus Wasserburg aus Mainz für vielfältige Hilfestellung von der Literaturbeschaffung bis hin zur fruchtbaren Diskussion (insbesondere im Hinblick auf strafrechtspraktische Gesichtspunkte) in der Endphase der Arbeit. Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang meine Lebensgefährtin Gülcan Yildirim, ohne deren Unterstützung die Arbeit nicht möglich gewesen wäre, sowie Herr Staatsanwalt Stefan Engels als ebenso bohrender wie aufmunternder Diskussionspartner und Korrekturleser. Wiesbaden, März 2000

Gerhard Grüner

Inhaltsverzeichnis Einleitung

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Erster Teil

Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe und Organ der Rechtspflege 15 A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten ............. 15 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16 11. SubjektsteIlung des Beschuldigten als Leitidee ..................... 18 III. Strukturierung der Verteidigerfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 21 1. SubjektsteIlung und prozessuale Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 21 2. SubjektsteIlung und dialektische Wahrheit ...................... 24 3. Konsequenzen für den Verteidiger ............................. 27 4. Verteidiger und Legitimation durch Verfahren ................... 29 a) Wahrheit und soziale Wirklichkeit. ... . ... ... . ... . . . . . ... . .. 31 b) Die Rechtskraft des unwahren Sachurteils .................. 36 c) Gerechtigkeit und Legitimation des Verfahrens. . . . . . . . . . . . . .. 40

B. Der Verteidiger als Organ der Rechtspflege ............................ 41 1. Vorbehalte gegen den Verteidiger im inquisitorischen Strafprozeß .... 42 11. Freie Advokatur und freie Verteidigung ........................... 46 C.

Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem .............. 1. Der Alternativentwurf Verteidigung ............................... 1. Unklare prozessuale Konzeption ............................... 2. Zur Geltung des anwaltlichen Standesrechts .................... 11. Die eingeschränkte Organtheorie von Beulke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Eingeschränkte Organtheorie und anwaltliches Standesrecht ...... 2. Mitwirkung des Verteidigers und öffentliches Interesse ........... 3. Der Verteidiger als Komplize des Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Die zusätzlichen öffentlichen Interessen im einzelnen ............ a) Das öffentliche Interesse an der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ............................................. b) Das öffentliche Interesse an der Effektivität der Strafrechtspflege ................................................... c) Das öffentliche Interesse an der Effektivität der Verteidigung .. 5. Abschließende Wertung ......................................

47 51 52 54 58 58 59 63 64 64 66 68 72

10

Inhaltsverzeichnis III. Das Vertragsprinzip von Lüderssen ............................... 1. Zur Überlagerung strafprozessualer Wertungsmaßstäbe im Mandatsverhältnis ................................................... 2. Zum Standesrecht als öffentlich-rechtliche Komponente im Mandatsverhältnis ............................................... 3. Abschließende Wertung ......................................

73 74 78 79

D. Zusammenfassung Erster Teil ........................................ 80 Zweiter Teil

Die Mißbrauchsproblematik - Der Verteidiger als Spießgeselle des Beschuldigten oder als Gehilfe des Gerichts

82

A. Die Mißbrauchs problematik als Zentralbegriff in Rechtsprechung und

Rechtspolitik ....................................................... 85 B. Prozessuale Gegenmacht - Soziale Gegenmacht als kritische Masse der Mißbrauchsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die widersprüchliche Prozeßstruktur .............................. H. Anwaltliches Standesrecht als EinbruchsteIle staatlicher Restriktion . .. III. Akzeptanz des Verteidigers als Helfer inquisitorischer Wahrheitsfindung .......................................................... IV. Keine Akzeptanz des Verteidigers als soziale und prozessuale Gegenmacht ......................................................... 1. Die Kommunistenprozesse der Weimarer Zeit und der frühen Bundesrepublik ................................................. 2. Die RAF-Prozesse ........................................... C. Versuch einer systematischen Lösung ................................. I. Mißbrauchsproblematik als strafprozessuale Problemstellung ......... I. Vorüberlegung: Prozeß als Kampf ums Recht ................... 2. Prozeßimmanente Grenzen prozessualer Mißbrauchsabwehr . . . . . .. 3. Zur Reichweite prozessualer Wertungsmaßstäbe ................. H. Keine eigenständige Bedeutung der Verteidigerde1ikte ... . . . . . . . . . . . . I. Prozeßordnungswidrigkeit als versteckt strafrechtlicher Maßstab der Verteidigerdelikte ............................................ 2. Prozeßhandlung als maßgebliches Abgrenzungskriterium ......... a) Abgrenzungsfunktion ..................................... b) Zuordnungsfunktion ...................................... III. Das anwaltliche Standesrecht als Instrument gegen mißbräuchliches Verteidigerverhalten ............................................ . I. OrgansteIlung und Sachlichkeitsgebot als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt ............................................ 2. Das Lügeverbot als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt . . . . . . . 3. Schützende Funktion des anwaltlichen Standesrechts .............

90 91 93 94 96 97 100 106 107 108 110 116 119 120 122 124 127 133 134 137 142

Inhaltsverzeichnis

11

IV. Sonderproblem: Weisungsgebundenheit des Verteidigers ............. 1. Weisungsgebundenheit und standesrechtliche Wertungsmaßstäbe ... 2. Weisungs gebundenheit und prozessuale Wertungsmaßstäbe ....... a) Problemfälle: Beweisantrag-Ablehnungsantrag ............... b) Subjektstellung-Subjektsdefizit als Bezugspunkte der Weisungsgebundenheit ............................................ c) Subjektstellung des Beschuldigten und Weisungsgebundenheit . d) Subjektsdefizit und Weisungsgebundenheit .................. e) Keine Einschränkungen der Weisungsgebundenheit des Verteidigers ................................................... V. Zusammenfassung Zweiter Teil ..................................

145 147 149 150 151 153 157 163 164

Dritter Teil

Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers - Der Bundesgerichtshof auf dem Weg zum unparteilichen Parteiprozeß

167

A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung ..... . I. Der Vergleich mit bisher diskutierten Mitwirkungspflichten ......... . 11. Der Verteidiger als Beweisantragspfleger des Beschuldigten ......... 1. Beweisantragspflegschaft als Richterrechtspolitik ................ 2. Unzulässigkeit der Beweisantragspflegschaft nach geltendem Recht ...................................................... III. Mitwirkungs- und Übernahmepflicht: Der Pflichtverteidiger als StaatsAnwalt ........................................................ 1. Verschärfung der Mitwirkungs- und Übernahmepflicht im staatlichen Interesse durch den Bundesgerichtshof .................... 2. BVerfGE 9, 36ff.: Pflichtverteidigung und staatliche Fürsorge .... 3. BVerfGE 39, 238 ff.: Pflichtverteidigung und Verfahrenssicherung . 4. Grenzen von Mitwirkungs- und Übernahmepflicht nach geltendem Recht ......................................................

171 171 176 178

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens .............. I. Dogmatik der unselbständigen Beweisverwertungsverbote und Widerspruchslösung ................................................. . 1. Die dogmatischen Grundlagen unselbständiger Beweisverwertungsverbote .................................................... . 2. Widerspruchslösung und richterliche Aufklärungspflicht ......... . a) Richterliche Aufklärungspflicht und Heilung von Verfahrensfehlern .................................................. b) Keine rechtlichen Anknüpfungspunkte für die Widerspruchslösung als Ausnahmemodell zur richterlichen Aufklärungspflicht . 3. Die Abwägungslehre als inquisitorische Umgehungskonstruktion .. 11. Rügeverlust durch zurechenbares Partei verhalten und Mitwirkungspflichten des Verteidigers ....................................... .

201

179 182 184 188 192 198

205 206 209 209 211 217 220

12

Inhaltsverzeichnis 1. Spannungsverhältnis zwischen Recht und richterlicher Definitionsmacht ...................................................... 2. Zur Verzichtbarkeit von Verfahrensnormen ........ . . . . . . . . . . . . . . a) Verzichtbarkeit und Amtsaufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Belehrungspflichten und Benachrichtigungspflichten als unverziehtbare Verfahrensnormen ............................... c) Verzicht und Verwirkung als Tatbestände des Rügeverlusts .... 3. Revisionsrechtliche Mitwirkungspflichten des Verteidigers und Rügeverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Faktische Übertragung der Belehrungspflichten auf den Verteidiger .................................................... b) Faktischer Rügeverlust durch Beweislast ....................

c.

221 225 226 229 232 236 240 244

Zusammenfassung Dritter Teil ....................................... 246

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Sachwortverzeichnis .................................................... 273

Einleitung "Es ist eine heilige Forderung der Gerechtigkeit, daß der dem juristisch durchgebildeten Anklagebeamten gegenüber fast wehrlose Angeklagte in allen Nicht-Bagatell-Fällen der Verteidigung nicht ermangele." So beginnt das bekannte Handbuch von Dahs, bekanntlich das Standardwerk zur deutschen Strafverteidigung. I Die prozessuale Wirklichkeit sieht für den Strafverteidiger allerdings vergleichsweise düster aus. Das ist in einer inquisitorisch geprägten Prozeßordnung wie dem reformierten Strafprozeß schon strukturell bedingt. Der Strafjurist Bartning bemerkt in den Zwanziger Jahren: "Eine organische und systematische Verteidigung wird durch das geltende Recht unmöglich. Die Binde vor den Augen der Justitia trägt in Wirklichkeit der Verteidiger".2 Zusätzlich hat das anwaltliche Standesrecht die dem Verteidiger entgegengebrachten Vorbehalte der staatlichen Rechtspflegeorgane, wegen der kläglichen Rolle des Verteidigers im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß auch historisch bedingt, nicht in Form einer gesetzlichen Garantie der Seriosität des Verteidigungspersonals überwinden können. Angesichts dieser Umstände verwundert es nicht, daß engagierte Strafverteidigung leicht der Komplizenschaft mit dem Beschuldigten gleichgestellt wird. "Der Deutsche hat kein Talent zur Strafverteidigung. Lieber klagt er an, am liebsten richtet er ... Doch das besonnene, taktisch bedachte Eintreten für einen anderen, das liegt ihm nicht. ,,3 Unter diesen Vorzeichen erscheint es folgerichtig, daß die deutsche Strafverteidigung wenn überhaupt, dann als lästiges Prozeßproblem ins Gespräch kommt. In aller Regel finden derartige Erwägungen unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs von Verteidigerrechten statt. Darf der Verteidiger lügen? Darf er dem Beschuldigten von einem Geständnis abraten? Darf er Weisungen vom Beschuldigten entgegennehmen? Derartige Fragen wurden in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Mißbrauchs problematik diskutiert. Neuerdings wird in der Rechtsprechung zusätzlich das Bestreben deutlich, die Stellung des Verteidigers an Mitwirkungspflichten für eine funktionstüchtige Strafrechtspflege bzw. für die justizförmige Durchführung des Prozesses zu knüpfen, um die staatlichen Rechtspflegeorgane zu entla-

2

Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, das Zitat stammt von Binding. Zitiert nach Müller-Meiningen jr., Der Verteidiger im heutigen Recht S. 49

3

Mauz, Prozesse ohne Verteidigung S. 7.

I

(61).

14

Einleitung

steno Markstein dieser Entwicklung ist zum einen die Entscheidung BGHSt 38, 111 ff., die die Ernennung des Verteidigers zum Beweisantragspfleger des Beschuldigten zum Gegenstand hat, zum anderen die in BGHSt 38, 214 ff., entwickelte Widerspruchslösung, wonach die Erhaltung von Beweisverwertungsverboten zugunsten des Beschuldigten von einem Widerspruch des Verteidigers nach Art einer zivilprozessualen Einrede abhängig ist. Erst recht vor dem Hintergrund einer aus lustizkreisen dem Verteidiger zunehmend angekreideten Krise des Strafprozesses und einer in absehbarer Zeit nicht zu erwartenden Strukturreform des geltenden Rechts,4 war diese Entwicklung Anlaß für die nachfolgende Untersuchung. Ausgehend von den mit der DoppelsteIlung des Verteidigers als prozessualer Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten sowie als standesrechtliches Organ der Rechtspflege zusammenhängenden Grundfragen im Ersten Teil, wird im Zweiten Teil der Versuch der Aufarbeitung und Analyse der Mißbrauchsproblematik unternommen und abschließend im Dritten Teil auf die Mitwirkungspflichten des Verteidigers als Garant eines justizförmigen Strafprozesses eingegangen. Ziel einer so weitgespannten Untersuchung kann es naturgemäß nicht sein, Einzelfragen erschöpfend auszudiskutieren, die sich im Zusammenhang mit dem Verteidiger im Strafprozeß bekanntlich in vielfaltiger Form stellen. Es geht vielmehr darum, allgemeine Grundsätze zu entwickeln bzw. wieder zu entdecken und dadurch Leitlinien zur Behandlung solcher Fragestellungen vorzuschlagen.

4

Näher RieB, FG-Friebertshäuser S. 103 (106ff.).

Erster Teil

Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe und Organ der Rechtspflege Nach § 138 I' sind als Verteidiger im Strafprozeß in erster Linie Rechtsanwälte zugelassen. Daraus folgt eine DoppelsteIlung des Verteidigers im Spannungsfeld zwischen Strafprozeßrecht und anwaltlichem Standesrecht. Schon angesichts der eingangs angesprochenen strukturell bedingten und grundlegenden Unsicherheiten bedarf es einer Verdeutlichung dieser RechtssteIlung. Das soll im Ersten Teil der Untersuchung geleistet werden. Dabei wird zunächst auf die strafprozessualen Gesichtspunkte eingegangen (unter A.), bevor die Wechselwirkungen zwischen anwaltlichem Standesrecht und Strafprozeßrecht, sowie die aus dieser rechtlichen DoppelsteIlung des Verteidigers folgenden Problemstellungen näher beleuchtet werden (unter B. und C.).

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten Die Einrichtung der Verteidigung als elementare Verfahrensinstitution ist ein Hauptanliegen der StPO von 1877 (RStPO 1877)2, die dem geltenden deutschen Strafprozeßrecht zugrundeliegt. Nach § 137 I 1 kann sich der Beschuldigte3 in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen. In den Fällen des § 140 schreibt der Gesetzgeber die Mitwirkung eines Verteidigers sogar zwingend vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Auftrag des Verteidigers nicht nur im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in dem Interesse einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege liegen. 4 Die Mitwirkung des Verteidigers sei kein Luxus, der bei richtigem Funktionieren des Gerichts auch entbehrt werden könne, sondern ein echtes Erfordernis wirklicher. Rechts1 Gesetzesangaben ohne Kennzeichnung sind im folgenden solche der Strafprozeßordnung. 2 Strafprozeßordnung v. 1. Februar 1877, RGB!. S. 253. 3 Aus Vereinfachungs gründen wird der Begriff des Beschuldigten anders als in § 157 im folgenden untechnisch für jedes Verfahrensstadium benutzt. 4 BGHSt 29, 99 (106).

16

1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

pflege. 5 Die hervorragende Bedeutung des Rechts auf Verteidigung im deutschen Strafprozeß schlägt sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nieder. Danach hat das Recht des Beschuldigten auf die Mitwirkung eines Verteidigerbeistands seiner Wahl im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip Verfassungsrang. 6 Darüber hinaus ist das Recht, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen oder den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, nach Art. 6 1II Lit. c EMRK garantiert. Der Bedeutung des Rechts auf Verteidigung entspricht die Rechtsstellung, die dem Verteidiger aus der Übernahme der Verteidigung erwächst. Im Ermittlungsverfahren räumt die RStPO 1877 dem Verteidiger Rechte ein, die über das vorhergehende Partikularprozeßrecht hinausgehen. 7 Das betrifft vor allem das Recht zur Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren und das Kontaktrecht mit dem in Untersuchungshaft einsitzenden Beschuldigten. 8 Eine weitere entscheidende Besserstellung des Verteidigers besteht in der Einrichtung eines selbständigen Beweisantragsrechts, das die im Partikularprozeßrecht übliche Anregertätigkeitkeit vor Gericht ablöste. 9 Dieses selbständige Beweisantragsrecht des Verteidigers wird zwar im Gesetz nicht ausdrücklich genannt, aber im Anschluß an eine frühe Entscheidung des Reichsgerichts als zentraler Teil der Verteidigertätigkeit in der Hauptverhandlung allgemein anerkannt. 10 Dem Verteidiger wird damit in der RStPO 1877 nicht nur im Vergleich zu vorhergehenden deutschen, sondern auch zu den kontinentaleuropäischen Prozeßordnungen eine relativ starke Stellung zugestanden. 11

I. Historischer Hintergrund Die für die Aufwertung der Verteidigerposition im reformierten Strafprozeß maßgeblichen Beweggründe des Gesetzgebers werden vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels des deutschen Strafprozesses deutlich, wie er unter dem Einfluß des französischen, genauer napoleonischen Prozeßrechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts, vor allem aber seit der bürgerlichen s BGHSt 25, 325 (332) unter Berufung auf Sarstedt, Die Revision in Strafsachen S. 107 (108). 6 BVerfGE 34, 293 (307); 63, 380 (390); dazu Gusy, AnwBI. 1984, 225f. 1 Vgl. Annbrüster, Entwicklung der Verteidigung, S. 21 f., 26. 8 Hahn/Mugdan, Materialien, Bd. 3, S. 1555 (Bericht der Kommission). 9 Dazu Annbrüster, Entwicklung der Verteidigung S. 155 f. 10 RGSt 17, 315. 11 Vgl. dazu Hanack, Mandatsverhältnis S. I m. w.N.; zum Vergleich mit den Prozeßordnungen osteuropäischer Nachbarländer Grüner, Vergleichende Simulation S. 28 ff.; zum Vergleich zum österreichischen und schweizerischen Prozeßrecht Heine/Ronzani/Spaniol, StV 1987, 74 (80ff.).

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

17

Revolution von 1848 in Gang kam. 12 Die RStPO 1877 markiert auf diesem Weg die endgültige Ablösung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses, der unter dem Einfluß des kanonischen Rechts sowie der Prozeßordungen der italienischen Stadtstaaten seit dem 14. Jahrhundert allmählich den altdeutschen Parteiprozeß abgelöst hatte l3 und die deutschen Partikularprozeßordnungen strukturell bis ins Jahr 1848, vereinzelt noch bis zur Einführung der Reichsjustizgesetze geprägt hatte. 14 Im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß war die Mitwirkung eines Verteidigers zwar nicht ausgeschlossen gewesen. So enthält schon die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 (CCC) als wegweisendes Gesetzeswerk dieser Epoche Vorschriften zur Aufgabe und Zulassung des Fürsprechs (Art. 88, 90 CCC) sowie zu dessen Erlaubnis zum Verkehr mit dem Gefangenen (Art. 73 CCC).15 Auch die nachfolgenden Partikularrechtsordnungen des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses hatten, zumindest bei schweren Verbrechen, gewöhnlich die formelle Verteidigung des Beschuldigten vorgesehen, und zwar vor der Anordnung von Folter und Strafe gegen den Beschuldigten. 16 Da aber der Inquisitionsprozeß im Vergleich zum Parteiprozeß strukturell durch die Aufgabe der Partei stellung des Beschuldigten geprägt ist, hatte das gemeine Recht den Beschuldigten als .. Wahrheitserforschungsmittel"17 und damit als Objekt des Verfahrens dem als unparteilichen Ermittler agierenden Inquirenten ausgeliefert. Daher hatte sich die formelle Verteidigung zunehmend als prozessualer Fremdkörper dargestellt. 18 Das gilt um so mehr, als der Inquirent in seiner Person nicht nur die Funktion von Anklage und Verteidigung vereinigt, sondern mittelbar auch richterliche Funktion besessen hatte. Nicht nur, daß der Urteilsspruch auf der ausschließlichen Grundlage des vom Inquirenten übersendeten Aktenmaterials erfolgt war; darüber hinaus waren die Richter aufgrund der Bindung an 12 Der nachhaltige Einfluß des französischen Prozeßrechts napoleonischer Prägung auf das deutsche Recht zeigt sich nicht nur darin, daß in Rheinhessen und im Rheinland der "Code d'instruction criminelle" v. 1808 (CIC) dauerhaft Geltung behielt. Der CIC diente darüber hinaus auch dem modemen deutschen Prozeßrecht strukturell, insbesondere betr. die Rolle von Staatsanwaltschaft und Verteidigung als Vorbild; näher Armbruster, Entwicklung der Verteidigung S. 97 ff. m. w. N., 124 f. 13 Näher LR-Lüderssen Vor § 137, 7ff.; Jerouscheck, ZStW 1992, 333ff. m.w.N. 14 Während die übrigen deutschen Partikularrechtsordnungen seit der Revolution von 1848 bis zur Reichsgrundung im Jahre 1871 erheblich liberalisiert worden waren, galt in Mecklenburg und Lippe noch bis zur Einführung der Reichsjustizgesetze das gemeinrechtliche Inquisitionsprinzip, vgl. I. Müller, Verteidigung S. 69 [Anm. 2]. 15 Vargha, Vertheidigung S. 192ff.; Wach, FS-Binding S. 1 (22f.). 16 Vargha, Vertheidigung S. 194f. 17 Wach, FS-Binding S. I (6). 18 Vargha, Vertheidigung S. 192f.

2 Grtlncr

1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

18

feste Beweisregeln und das gebräuchliche Institut der Aktenversendung an rechtsgelehrte Spruchbehörden (nach Art. 219 CCC Iuristenfakultäten oder sonstige Rechtssachverständige) zur selbständigen Bewertung des vom Inquirenten gefundenen Ergebnisses nicht befugt gewesen, wenn auch der Urteilsspruch mitunter in öffentlichen Schauveranstaltungen wie dem sog. entliehen Reichstag gesprochen worden war. 19 Mit der wachsenden Zahl von Partikulargesetzgebungen war folgerichtig die Zurückdrängung der formellen Verteidigung aus dem inquisitorischen Strafprozeß einhergegangen. In den österreichischen Strafprozeßordnungen von 1788 und 1803 hatten diese Beschränkungen sogar dazu geführt, den Verteidiger von der Mitwirkung im erstinstanzlichen Verfahren ganz auszuschließen. 2o Das der RStPO 1877 zugrundeliegende Prozeßmodell des sogenannten reformierten Strafprozesses, im wesentlichen übernommen aus den reformierten Partikularprozeßordnungen,21 verbindet demgegenüber Elemente des Inquisitions- und des Parteiprozesses. Einerseits hielt man zwar an dem unparteilichen Handlungsmonopol des Staates gegenüber dem Beschuldigten im gesamten Verfahren fest. Sowohl die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren als auch das Tatgericht im Hauptverfahren sollten von Amts wegen die den Beschuldigten be- und entlastenden Momente zu erforschen haben. Das schlägt sich im geltenden Recht in den §§ 160 11, 244 11 nieder. Andererseits kam es wieder zur Einführung von Anklage und Verteidigung als Prozeßparteien. 11. SubjektsteIlung des Beschuldigten als Leitidee Die Wiederbelebung des Akkusationsprinzips war von der Einführung von Staatsanwaltschaften als selbständigen Strafverfolgungsbehörden geprägt. 22 Ohne diese Errungenschaft des reformierten Strafprozesses herabsetzen zu wollen, immerhin entsprach die institutionelle Trennung von Anklagebehörden und Gericht einer elementaren Forderung der Frankfurter Paulskirchenverfassung,23 stellte die Einrichtung einer in der Sache unparteilichen Anklagebehörde im Vergleich zu dem Inquirenten des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses allerdings keinen wesentlichen strukturellen Unterschied dar. Erstens ist eine unparteiliche Prozeßpartei, als welche die Staatsanwaltschaft als "Richter vor dem Richter" im Ermittlungsverfahren fungiert,24 eben nur eine künstliche Prozeßpartei. Zweitens war auch Vargha, Vertheidigung S. 174. Vargha, Vertheidigung S. 194. 21 Vgl. Schmid, Verwirkung S. 26. 22 Dazu Bohnert, Abschlußentscheidung S. 33 ff. m. w. N. 23 Art. 46 der ..Grundrechte der deutschen Nation" lautete: .. Im Strafprozeß gilt der Ankiageprozeß", dazu Bohnert, Abschlußentscheidung S. 34. 19

20

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

19

dem gemeinen Recht weder die Einleitung des Strafverfahrens durch einen öffentlichen Ankläge?5 noch die vom Akkusationsprinzip bezweckte gegenseitige Kontrolle staatlicher Organe durch die Teilung des Verfahrens in zulassungsbedürftige Einzelabschnitte26 unbekannt gewesen, so etwa in Fonn der richterlichen Zwischenentscheidung vor dem Übergang von der General- zur Spezialinquisition. 27 Darüber hinaus enthielt die RStPO 1877, da der Gesetzgeber der Unparteilichkeit einer gerichtsunabhängigen Ennittlungsbehörde doch nicht ganz traute,28 auch Vorschriften über die Durchführung einer gerichtlichen Voruntersuchung im Ermittlungsverfahren in schweren Fällen. Diese Fonn der Mitwirkung eines Richters im Ermittlungsverfahren wurde zwar immer mehr zurückgenommen und schließlich zum 1.1.1975 ganz abgeschafft. 29 Im gleichen Maße aber, wie der Gesetzgeber das Instrumentarium der Strafverfolgungsbehörden in den letzten Jahren durch die Einrichtung von unter dem Richtervorbehalt stehenden Befugnissen ausgebaut hat (vgl. nur § lOOb 1), gewinnt die Rolle des Richters im Ermittlungsverfahren in der aktuellen Entwicklung wieder zunehmend an Bedeutung. 3o Die Anerkennung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt bleibt damit als eigentlich prägende Errungenschaft des refonnierten Strafprozesses übrig. Der Beschuldigte ist nicht mehr nur Wahrheitserforschungsmittel, sondern er kann durch die ihm eingeräumten Antrags- und Erklärungsrechte Gang und Ergebnis des Verfahrens selbständig beeinflussen. 3l Erst dadurch wurde dem Verteidiger als Beistand des Beschuldigten wieder eine echte prozessuale Funktion zugewiesen. Denn seine Mitwirkung als .,Beistand des Beschuldigten", wie es § 137 I 1 umschreibt, dient der Sicherung eben dieser Subjektstellung des Beschuldigten. Dahinter stand und steht die Überlegung, der Beschuldigte werde sich nicht selten mit der Wahmeh24 Vgl. nur Kausch, Der Staatsanwalt - ein Richter vor dem Richter? S. 225 m.w.N. 25 So ist nach den Art. 6 ff. CCC die ordentliche Form des Verfahrens trotz ihres inquisitorischen Wesens noch der Anklageprozeß, nur als außerordentliche Form kennt Art. 6 CCC das Verfahren von Amts wegen auf glaubwürdige Anzeige oder Berüchtigung, vgl. Vargha, Vertheidigung S. 173 ff. 26 Dazu Eb. Schmidt, LK I, S. 203. 27 Ausführlich Vargha, Vertheidigung S. 195ff. Dazu auch Bohnert, Abschlußentscheidung S. 22 f. 28 Näher Eb.Schmidt, LK 11 Gerichtliche Voruntersuchung Vorb. 3 ff. Als entscheidender Gesichtspunkt für das größere Vertrauen in die Unparteilichkeit des Ermiulungsrichter erweist sich dabei die Weisungsunabhängigkeit des Ermiulungsrichters. 29 Erstes Strafverfahrensänderungsgesetz (1. StVRG ) v. 20.12.1974, BGBl. I S.3686. 30 Dazu Gropp, 1Z 1998, 501 ff. 31 Vgl. nur Eb. Schmidt, LK I S. 80f. m. w.N.

20

1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

mung seiner Rechte überfordert fühlen. 32 Zum einen wird sich der rechtsunkundige Beschuldigte mit den Regeln des Strafrechts und Strafprozeßrechts sowie den für einen Außenstehenden schwer verständlichen Riten eines gerichtlichen Verfahrens (insbesondere dem juristischen Sprachgebrauch) oft nicht vertraut fühlen. 33 Die Mitwirkung eines Verteidigers, dessen Rechtskundigkeit durch den von § 138 1 umgrenzten Personenkreis und in den Fällen des § 138 I/, 1. Hs. durch das Erfordernis der gerichtlichen Einzelzulassung gewährleistet ist, dient dazu, diesem Defizit in der Person des Beschuldigten abzuhelfen. Aus diesem Grund dürfen Prozeßhandlungen, deren ordnungsgemäße Durchführung eine besondere Rechtskundigkeit voraussetzt, wie die Revisionsbegründung nach § 345 1/ oder der Wiederaufnahmeantrag nach § 366 1/ überhaupt nur unter der Verantwortung des Verteidigers oder eines Rechtsanwaltes vorgenommen werden. 34 Zum anderen machen es spezifisch strafprozessuale Umstände dem Beschuldigten besonders schwer, dem Tatvorwurf unbefangen gegenüberzutreten. Denn der Beschuldigte nimmt eine spannungsreiche Doppelposition ein. Er agiert nicht nur als Prozeßsubjekt, sondern hat zugleich faktisch die Stellung eines Beweismittels inne. 35 So gehört die Vernehmung des Beschuldigten zur Sache zwar gemäß § 244 I formal nicht zur Beweisaufnahme. Dei Beschuldigte, der in seiner Einlassung zur Sache ein Geständnis ablegt, wird aber als Beweismittel bewertet. 36 Falls er sich nicht auf freiem Fuß befindet, ist dem Beschuldigten die Selbstverteidigung erst recht erschwert und im Falle des § 140 I Nr. 5 sogar verwehrt. 37 Über den bekannten prozeßpsychologischen Erfahrungssatz hinaus, der Betroffene selbst sei vor Gericht in der Regel der ungeschickteste Vertreter eigener Interessen,38 hat der Beschuldigte im Strafprozeß also schon aus strukturellen Gründen im besonderen Maße nicht die für eine effektive Selbstverteidigung nützliche Distanz zum Anklagevorwurf. Die Selbstbestellung des Beschuldigten zum Verteidiger ist deshalb - im Unterschied zur SelbstbesteIlung des Rechtsanwalts im Zivilprozeß nach § 78 IV ZPO - nach allgemeiner Ansicht selbst dann unzulässig, wenn er unter den in § 138 I genannten Personenkreis fällt. 39

32 BVerfGE 63, 380 (390f.); BGHSt 38, 372 (374). Dazu Eb. Schmidt, LK 11, Vor § 137, Rn. lff.; Welp, ZStW 1978, 803 (813 f.). 33 Vgl. nur Wassermann, Menschen vor Gericht S. 13 (25 ff.). 34 Vgl. nur Kl./Meyer-Goßner § 245, 9ff.; § 366,4. 35 Vgl. Kl.lMeyer-Goßner § 244, I m.w.N. 36 Vgl. Spendei, JZ 1959, 737 (739). 37 Vgl. näher dazu LR-Lüderssen § 140,29. 38 Welp, ZStW 1978, 804 (814); Alexander ZStW 1931,54 (63). 39 BVerfGE 53, 207 (213ff.); BGH NJW 1954, 1415; BGH StV 1996, 469. Aus dem Schrifttum Kurzka, MDR 1974, 817.

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

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Bedarf der Beschuldigte nach alledem im besonderen Maße des prozessualen Beistands eines Verteidigers, so rückt das Institut der formellen Verteidigung in den Mittelpunkt der Reform des gemeinrechtlichen Strafprozesses. Nicht von ungefähr heißt es in den Gesetzesmaterialien zur RStPO 1877, der Verteidigung sei in den bisherigen deutschen Verfahrensordnungen nicht die notwendige Berücksichtigung gewährt worden. Der Verteidiger sei aber als künftiger, notwendiger Teilhaber bei der Gestaltung eines Strafverfahrens erforderlich, das auf Gerechtigkeit und Vertrauen Anspruch erhebe.40 Weil der Verteidiger funktionell nicht eigene prozessuale Interessen wahrnimmt, sondern die des Beschuldigten, bezeichnet man seine Rolle im Anschluß an Beling als die eines Prozeßsubjektsgehilfen des Beschuldigten. 41

111. Strukturierung der Verteidigerfunktionen Da der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten fungiert, folgte die Einrichtung der formellen Verteidigung im reformierten Strafprozeß akzessorisch den Zielen, die der Gesetzgeber mit der Aufwertung des Beschuldigten zum Prozeßsubjekt anstrebte. Die Aufgabenstellung des Verteidigers im Einzelnen ergibt sich folgerichtig aus einer näheren Betrachtung der Subjektstellung des Beschuldigten und ihrer strafprozessualen Funktionen. 1. Subjektstellung und prozessuale Autonomie

Die Struktur des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses hatte darauf basiert, Gerechtigkeit durch ein wahres Urteil, nicht aber durch ein gerechtes Verfahren herzustellen. Die Subjektstellung des Beschuldigten war einer unparteilichen Prozeßstruktur als (scheinbarer) Garantin einer richtigen Entscheidung geopfert worden. 42 Die Anerkennung der Subjektstellung des Beschuldigten hängt vor diesem Hintergrund untrennbar damit zusammen, daß es im Zuge der Aufklärungsbewegung des 19. Jahrhunderts und der damit zusammenhängenden Liberalisierung und Individualisierung der Gesellschaftsordnungen in den deutschen Partikularstaaten nicht mehr hinnehmbar erschien, den Beschuldigten im Strafprozeß als Objekt richterlicher Wahrheitsfindung schrankenloser staatlicher Allmacht zu unterwerfen. 43 Der Entwicklung individueller Freiheitsrechte des Bürgers gegenüber Hahn/Mugdan, Materialien S. 1555f. Beling, Reichsstrafprozeßrecht S. 119, 148. 42 Dazu Eb. Schmidt, Geschichte S. 8lf.; Annbrüster, Entwicklung der Verteidigung S. 62ff. 43 Näher Sax, Grundrechte S. 909 (970f.); LR-Lüderssen Vor § 137,22. 40 41

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

dem Staat entsprach die Anerkennung prozessualer Autonomie des Beschuldigten. Das Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG, 6 I 1 EMRK, das sich einfachgesetzlich in verschiedenen prozeßgestaltenden Antragsund Erklärungsrechten niederschlägt, ist vor diesem Hintergrund als elementarer Bestandteil eines gerechten Verfahrens und damit zugleich als Eigenwert der SubjektsteIlung des Beschuldigten zu betrachten. 44 Vom Bundesverfassungsgericht wird es sogar als prozessuales Urrecht des Menschen bezeichnet, das nicht nur der Wahrheit, sondern auch der Achtung der Würde des Menschen diene. 4s Weil die prozessuale Autonomie des Beschuldigten kein Derivat staatlicher Fürsorge, sondern Ausdruck seiner Unabhängigkeit vom Staat ist,46 hat sich der Beschuldigte als Prozeßsubjekt in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko um die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs kümmern. 47 Das kommt deutlich in der Respektierung des Rechts auf Passivität zum Ausdruck, das es dem Beschuldigten auch erlaubt, sich als Prozeßsubjekt der tätigen Teilnahme im Strafprozeß zu entziehen. Hamm bezeichnet das Recht auf Passivität sogar als Grundausstattung der Verteidigung. 48 Nach den §§ 231 c, 233 I kann der Beschuldigte sogar auf Antrag in bestimmten Fällen von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung entbunden werden. Das Leitbild vom eigenverantwortlichen Beschuldigten spiegelt sich auch im Verteidigungsinnenverhältnis wider. Nicht nur, daß aus den §§ 217 III, 234 das Erfordernis einer besonderen Ermächtigung des Verteidigers für die Vertretung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung sowie für den Verzicht auf die Ladungsfrist zur Hauptverhandlung abgeleitet wird, weil - in den Worten des Bundesgerichtshofs - die Wahrnehmung seiner verfahrensrechtlichen Stellung der Selbstverantwortung des Beschuldigten obliegt. 49 Das Leitbild vom eigenverantwortlichen Beschuldigten bestimmt darüber hinaus auch die Unterscheidung von fakultativer und notwendiger Verteidigung. Trotz der Bedeutung, die der Gesetzgeber der Mitwirkung eines Verteidigers als Beistand des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß beimaß, blieb nach der ursprünglichen Regelung der notwendigen Verteidigung in der RStPO 1877 weitgehend dem Beschuldigten die Entscheidung darüber überlassen, ob er sich eines Verteidigers bedienen wollte. Die §§ 140, 141 sahen im Vergleich zum reformierten Partikularrecht nur in engem Umfang die Umgehung der autonomen Entscheidung Eh. Schmidt LK I S. 83 f. BVerfGE 55, 1 (6); ähnlich schon BVerfGE 9, 89 (95). 46 LR-Lüderssen Vor § 137, 22. 47 Vgl. BVerfG NJW 1993,456. Dazu auch 1escheck, 1Z 1952,400 (401); LRLüderssen Vor § 137, 21 f. 48 Hamm, NJW 1993, 289 (294 f.). 49 BGHSt 12, 367 ff. 44

4S

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

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des Beschuldigten über die Mitwirkung eines Verteidigers vor. Das war nur dann der Fall, wenn der Beschuldigte aus sachlichen oder persönlichen Gründen keine Gewähr dafür bot, ohne die Mitwirkung eines Verteidigers sein rechtliches Gehör sachgerecht ausüben zu können. Deshalb war die Mitwirkung eines Verteidigers gemäß § 140 I, 2. Alt. wegen des verwickelten Gangs des Verfahrens vor den Schwurgerichten und gemäß § 140 11 Nr. 1 bei Minderjährigen sowie bei Tauben und Stummen notwendig. 50 Ansonsten stellte der Gesetzgeber, blendet man an dieser Stelle einmal die erstinstanzliche Verhandlung vor dem Reichsgericht nach § 140 I, 1. Alt. aus, die Bestellung eines notwendigen Verteidigers nach § 141 gänzlich in das Ermessen des Gerichts. Selbst wenn bei erstinstanzlicher Verhandlung vor dem Landgericht ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildete, war gemäß § 140 11 Nr. 2 ein Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers notwendig. Im reformierten Partikularrecht war die staatliche Fürsorge für den Beschuldigten vereinzelt sogar soweit gegangen, dem Beschuldigten grundsätzlich einen Verteidiger beizuordnen. 51 Auch wenn die Fallgruppen notwendiger Verteidigung im Hinblick auf unwiderleglich vermutete Autonomiedefizite im Laufe der Zeit in mehrfacher Hinsicht erweitert worden sind, insbesondere über die Generalklausei des § 140 11 (" ... Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ..."i 2 und die Erweiterung dieses Instituts de lege ferenda immer wider im Mittelpunkt rechtspolitischer Diskussionen steht,53 spiegelt sich dessen ursprünglicher Ausnahmecharakter bis heute in der Praxis wider. So sollen etwa in der Zeit von 1971-1983 40-45 % aller Hauptverhandlungen vor dem Einzelrichter ohne die Mitwirkung eines Verteidigers durchgeführt worden sein. 54 Mit der prozessualen Autonomie des Beschuldigten hängt untrennbar das Verbot zusammen, ihn bei der Vernehmung zur Sache, also im Grenzbereich seiner Stellung als Prozeßsubjekt und Beweismittel, ohne seinen Willen zum Beweismittel gegen sich selbst zu machen. 55 Den im Rahmen des RVHG 1950 eingeführten § 136a, bekanntlich eine Folge der im natio50 Bezeichnend ist der Hinweis von Köhler, GS 1897, 161 (179), wonach diese körperlichen Gebrechen nicht medizinisch zu fassen seien. Es komme darauf an, daß die Unmöglichkeit bestehe, mit dem Angeklagten in der Hauptverhandlung zu verkehren. 51 So etwa in der Oldenburgischen Strafprozeßordnung von 1857; zum ganzen Hahn, Notwendige Verteidigung S. 58 ff. 52 Näher Kleinknecht/Meyer-Goßner § 140, 26ff. m. w.N. 53 Das reicht bis zu dem Vorschlag durchgehender notwendiger Verteidigung, finanziert durch eine allgemeine Strafrechtsschutz-Haftpflichtversicherung, Gössel, ZStW 1982, 5 (35). Zum Ganzen Hermann, StV 1996, 397 ff. 54 Nach einer nicht offiziellen Statistik des Bundesjustizministeriums, vgl. Hammerstein, JR 1985, 141. Zum Ganzen LR-Lüderssen § 140, 3f., 7. 55 BGHSt 11,213 (214).

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1. Teil: Die rechtliche Doppe1stellung des Verteidigers

nalsozialistischen Strafprozeß betriebenen Demontage der SubjektsteIlung des Beschuldigten, hat der Bundesgerichtshof sogar als rechtsstaatliehe Grundnorm eingeordnet. 56 Es ist andererseits kennzeichnend für den grundsätzlich inquisitorischen Charakter des reformierten Strafprozesses und die daraus entstehende Spannung zur Anerkennung prozessualer Autonomie des Beschuldigten, wenn in Rechtsprechung und Literatur die Belehrungsvorschriften über das Schweigerecht des Beschuldigten bis in die jüngere Zeit ein Schattendasein als sogenannte Ordnungsvorschriften führten, deren Verletzung die Aufhebung des Strafurteils nicht begründen könne. 57 Erst im Anschluß an die Neufassung der Belehrungspflichten durch das liberale StPÄG 196458 setzte sich die Einsicht durch, die Kenntnis des Beschuldigten von seinem Schweigerecht sei notwendiger Bestandteil seiner SubjektsteIlung und damit notwendiger Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafprozesses. 59 Die Rechtsprechung hat diese Entwicklung für die richterlichen Belehrungspflicht in der Hauptverhandlung nach § 243 IV 160 und unter der erdrückenden Kritik des Schrifttums61 schließlich auch für die Belehrung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren nach § 136 I 2, I. Hs. aufgenommen. 62 2. SubjektsteIlung und dialektische Wahrheit

Die Hervorhebung des Beschuldigten als autonomes Prozeßsubjekt stellt nach alledem zwar einen Eigenwert dar, aber keinen Letztwert. Im Vordergrund der Reformbemühungen des 19. Jahrhunderts stand als zweites wichtiges Ziel die Sicherung der Wahrheit. Das öffentliche Interesse an der Feststellung, ob der Vorwurf einer Straftat, also der Störung der öffentlichen Ordnung in ihrem Kernbereich, richtig sei, machte nach ganz überwiegenS6 "Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit" vom 12.9.1950 (RVHG 1950) BGB!. I S. 455. Näher BGHSt 5, 332; 11,213; Niese, ZStW 1953, 199 (209ff.). S7 SO noch BGH GA 1962, 148. Zum Ganzen Eb. Schmidt, NJW 1968, 1209 (1210) m.w.N. S8 Bezogen auf die Belehrungsvorschriften enthält das StPÄG 1964 eine Neufassung der §§ 136 I 2 1. Hs., 243 IV I in Form der Ersetzung des Satzes "Der Beschuldigte ist zu befragen, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle" durch den geltenden Gesetzeswortlaut sowie die Einfügung des § 163a, näher dazu Eb. Schrnidt, NJW 1968, 1209. S9 Das gilt insbesondere für die Erkenntnis, daß aus dem befugten Schweigen des Beschuldigten bei seiner Vernehmung keine für ihn nachteiligen Schlüsse im Hinblick auf die Schuldfrage gezogen werden dürfen, vgl. BGH NJW 1966, 209f.; BGHSt 20, 281. Dazu auch Schrnidt-Leichner, NJW 1966, 189. 60 BGH NJW 1966, 1719; BGHSt 25, 325. 61 Zuletzt Amelung, StV 1991,354. 62 BGHSt 38, 214 (224ff.). Zum Ganzen näher im Dritten Teil der Untersuchung BI.

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

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der Ansicht das Festhalten an dem Prinzip der richterlichen Aufklärungspflicht erforderlich. 63 Nicht von ungefähr bleibt der reformierte Strafprozeß also strukturell ein grundsätzlich inquisitorisches Prozeßmodell. Gerade in diesem Zusammenhang verbirgt sich hinter der Reform des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses aber auch die Erkenntnis, daß eine nur inquisitorisch beherrschte Prozeßstruktur dem Streben nach einem wahren Urteil letztlich mehr schadete als diente. Der Inquirent war im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß mit dem psychologischen Spagat zwischen der Tätigkeit als allseitiger Ermittier und mittelbarer Entscheider psychologisch überfordert gewesen. Zusätzlich hatte ihn seine allmächtige Stellung der Versuchung des Machtmißbrauchs ausgesetzt. 64 Das Streben nach Wahrheit hatte deshalb weniger der Wirklichkeit als der Idee nach den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß beherrscht. 65 Genauso wie durch die institutionelle Trennung zwischen der Anklagebehörde und Gericht erhoffte der Gesetzgeber sich mit der zusätzlichen Erhebung des Beschuldigten zum eigenverantwortlichen Prozeßsubjekt gegenüber dem gemeinen Inquisitionsprozeß eine verläßlichere, weil dialektisch abgesicherte Wahrheit. Der Beschuldigte sollte selbständig auf die Rekonstruktion der angeklagten Tat in dem von ihm für richtig gehaltenen Sinne in der Hauptverhandlung einwirken können. 66 Hauptsächlich vor diesem Hintergrund stellt im übrigen die Reform der Hauptverhandlung im reformierten Strafprozeß nach dem Prinzip von Mündlichkeit und Unmittelbarkeit mit abschließender freier Beweiswürdigung des Tatgerichts einen prozessualen Eigenwert dar,67 auch wenn die Durchsetzung des Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzips einer von der Herausbildung der SubjektsteIlung des Beschuldigten unabhängigen Entwicklung entsprochen haben mag. 68 Das eigenständige Zusammenspiel zwischen SubjektsteIlung des Beschuldigten und Wahrheitsfindung verdeutlicht ein nochmaliger Blick auf die Vorschriften über die notwendige Verteidigung in der RStPO 1877. Die notwendige Verteidigung bei erstinstanzlicher Verhandlung vor dem Reichsgericht nach § 140 I, 1. Alt. ergab sich nach der ursprünglichen Regelung allein, diejenige vor dem Schwurgericht nach § 140 I, 2. Alt. zusätzlich aus der Überlegung, daß bei einem besonders hohen Strafübel die Schutzmittel gegen eine unbegründete Näher Vargha, Vertheidigung S. 272 m. w. N. Eindringlich Vargha, Vertheidigung S. 181ff. 6S Dazu Eb. Schmidt, LK I, S. 80f. 66 Vgl. nur Eb. Schmidt, LK I, S. 80 f; Hahn, Notwendige Verteidigung S. 49; Armbrüster, Entwicklung der Verteidigung S. 63f. 67 Eb. Schmidt, LK I S. 242 f. 68 Zachariä, Gebrechen und Reform S. 230 bezeichnet die reformierten Partikularprozeßordnungen, die das gemeinrechtliche Inquisitionsprinzip mit einer reformierten Hauptverhandlung kombinierten, als "Komödie", näher dazu Malsack, Verteidigung im reformierten Prozeß S. 155f. 63 64

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

Verurteilung um so ausgiebiger zu bemessen seien. 69 Der Gesetzgeber wollte in solchen Fällen, in denen das öffentliche Interesse an einem wahren Urteil den Gesichtspunkt der Autonomie des Beschuldigten als Eigenwert naturgemäß überlagere, Einbußen bei der dialektischen Wahrheitsfindung durch die fehlende Mitwirkung des Verteidigers nicht zur Disposition des Beschuldigten stellen. 7o Nach geltendem Recht ist dieser Gedanke als eigenständige Begründung für das Erfordernis notwendiger Verteidigung in den § 140 1 Nr. 1-3 weiter ausgebaut worden. Danach ist die Verteidigung bei erstinstanzlicher Verhandlung vor dem Landgericht bzw. Oberlandesgericht, bei der Verhandlung von Verbrechen gemäß § 12 I StGB sowie bei einem drohenden Berufsverbot gegen den Beschuldigten notwendig. Genauso sieht § 140 II die "Schwere der Tat", die sich gängiger Praxis zufolge nach der zu erwartenden Strafdrohung bemißt, als eigenständige Generalklausel für die Bestellung des notwendigen Verteidigers vor. 71

Die Bedeutung der dialektischen Wahrheitsfindung liegt nach alledem in der Etablierung einer zusätzlichen Sicherung gegen die psychologische Überforderung der staatlichen Rechtspflegeorgane, insbesondere des Tatgerichts, wie sie als Schwäche des gemeinen Rechts erkannt worden war. Keinesfalls sollte mit dem partei prozessualen Element der SubjektsteIlung des Beschuldigten auch ein parteiprozessualer Wahrheitsbegriff eingeführt werden, wie er etwa im Zivilprozeß das Gericht grundsätzlich gemäß § 308 1 ZPO an die Sachanträge und die zugehörigen Sachvorträge bindet. 72 Denn die Mitwirkung des Beschuldigten bei der Wahrheitsfindung berührt den Umfang der Amtsenmttlungspflichten von Staatsanwaltschaft und Gericht nicht. So begründet bekanntlich die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 II für die Prozeßbeteiligten einen unverzichtbaren Anspruch darauf, die Beweisaufnahme auf alle tauglichen und erlaubten Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. 73 Die Bedeutung des Beweisantragsrechts des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers für die Wahrheitsfindung liegt demgegenüber nicht in der sachlichen Erweiterung der Beweissammlung zugunsten des Beschuldigten. Dafür hätte die aus dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß bekannte Anregertätigkeit 69 Das Reichsgericht war nach § 136 GVG in erster und letzter Instanz zuständig in den Fällen des Hochverrats und Landesverrats, "insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser und das Reich gerichtet sind". Vor dem Schwurgericht waren im wesentlichen Verbrechen mit einer Kapitaldelikte mit einer Strafandrohung von mehr als 5 Jahren Zuchthaus zu verhandeln, vgl. im Einzelnen dazu Hahn, Notwendige Verteidigung S. 61. 70 Vgl. Hahn, Materialien S. 143, 157ff. 71 So etwa BGHSt 6, 199. 72 Näher Jauernig, Zivilprozeßrecht S. 71 ff. 73 Vgl. nur KI./Meyer-Goßner § 244, 11 m.w.N.

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

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ausgereicht. 74 Es geht vielmehr um die Kompetenzzuweisung an den Antragsteller, den beantragten Beweis in die Hauptverhandlung auch dann in die Hauptverhandlung einführen zu können, wenn das Gericht dazu nicht bereit ist. 75

3. Konsequenzen für den Verteidiger Die Mitwirkung des Verteidigers dient folgerichtig zum einen der Realisierung von prozessualer Autonomie des Beschuldigten als elementarer Bestandteil eines gerechten Verfahrens. Sie steht aber weiterhin auch in enger Wechselwirkung zu dem Bestreben, durch die Anerkennung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt ein wahres Urteil im Strafprozeß zu sichem. 76 Der Verteidiger ist in seiner strengen Einseitigkeit für den Beschuldigten, um in den Worten von Gallas zu sprechen, .. Glied eines auf zweckmiißige Wahrheitserforschung gerichteten Mechanismus".77 Dementsprechend sah man im Gesetzgebungsverfahren die .. wichtige, dankbare und willkommene ,,78 Aufgabe des Verteidigers im Strafverfahren darin, die dem Angeklagten günstigen Tatsachen zu erforschen und in das Verfahren einzuführen. In diesem Sinn führt das Bundesverfassungsgericht in dem bekannten Schmidt-Leichner-Beschluß aus dem Jahr 1963 zur AufgabensteIlung des Verteidigers im Strafprozeß aus: "... Seine Mitwirkung besteht darin, daß er - schon um der Chancengleichheit willen - die Interessen und Rechte des Angeklagten wahrnimmt. Zur Wahrheitsfindung des Gerichts trägt er vor allem dadurch bei, daß er alle Umstände zur Geltung bringt, die den Angeklagten zu entlasten geeignet sind." 79 Dagegen hat es in der Literatur Bestrebungen gegeben, die SubjektsteIlung des Beschuldigten und damit auch die Stellung des Verteidigers vom Prinzip der dialektischen Wahrheitsfindung zu lösen und einseitig auf den Schutz des Beschuldigten gegenüber staatlichen Übergriffen bei der Wahrheitsfindung zu reduzieren. So vertritt Gössel die Auffassung, die Mitwirkung des Verteidigers im Strafprozeß diene nur der Wahrung der Personenwürde des Beschuldigten im Strafprozeß. Die Wahrheitsfindung werde im reformierten Strafprozeß schon durch die unparteiliche Amtsermittlungspflicht von Staatsanwaltschaft und Gericht gewährleistet. Daneben sei für Näher Beling, JW 1925,2782 (2784). BGHSt 18, 118 (124); Schulz, StV 1991, 354 (361); Frister, ZStW 1993, 340 (345 ff.); KK-Herdegen § 244, 42. 76 Vargha, Vertheidigung 342ff.; Alexander, ZStW 1931, 53 (59); Gallas, ZStW 1934,253 (261). 77 Gallas, ZStW 1934,256 (262). 18 Hahn, Materialien S. 1555 (Bericht der Kommission). 19 BVerfGE 16, 214 (216). 74

7S

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

die Mitwirkung des Verteidigers kein Platz. Dessen Tätigkeitsbereich sei ausschließlich im Spannungsfeld zwischen der staatlichen Aufgabe zur wirksamen Verbrechensbekämpfung und dem legitimen Schutzanspruch des Individuums gegenüber staatlicher Machtentfaltung angesiedelt. 80 Derartige Überlegungen verkürzen letztlich die SubjektsteIlung des Beschuldigten und damit die Struktur des reformierten Strafprozesses. Wie sollte beispielsweise die eingangs erwähnte Anerkennung eines selbständigen Beweisantragsrechts des Verteidigers als sein zentrales Handlungselement in der Hauptverhandlung vom Prinzip der dialektischen Wahrheitsfindung zu trennen sein? Abgesehen davon führt der Gedankengang Gössels konsequent weitergedacht zu dem Ergebnis, dem Verteidiger sei gar keine originäre Aufgabe im Strafprozeß zugeordnet. Denn bekanntlich sind Staatsanwaltschaft und Gericht schon von Amts wegen an Recht und Gesetz gebunden. Schon diese Selbstbindung des Staates verpflichtet die staatlichen Rechtspflegeorgane im Strafprozeß zur Wahrung der Grundrechte des Beschuldigten. 81 Selbst wenn die Rechtsstellung des Verteidigers die eines Prozeßwächters wäre, würde sich die Frage stellen, warum ausgerechnet die Wahrheitsfindung von der Überwachung des Verteidigers ausgeklammert sein sollte. 82 Schließlich ist nicht zu übersehen, daß die gegenseitige Kontrolle von Staatsanwaltschaft und Gericht die psychologische Verfassung der staatlichen Rechtspflegeorgane als Ermittier und Entscheider in Personalunion in den von ihnen beherrschten Prozeßabschnitten im Strafprozeß gar nicht berührt. Das gilt jedenfalls für die Situation des Gerichts, das in der Hauptverhandlung die Beweisaufnahme zu führen und über das Ermittlungsergebnis zu urteilen hat. 83 Welp hat in diesem Zusammenhang allerdings zutreffend darauf hingewiesen, ein inquisitorisch geprägter Strafprozeß, der die notwendige Verteidigung nicht als allgemeines Prinzip kenne, müsse alle Voraussetzungen für die Erlangung eines wahren Urteils schon außerhalb der Verteidigung anlegen. Das Institut der Verteidigung stelle daher im reformierten Strafprozeß keine notwendige Bedingung für die Erlangung der Wahrheit dar. 84 Das Recht des Beschuldigten, im weiten Maße auf die Einschaltung eines Verteidigers zu verzichten, ist aber, ebenso wie das Schweigerecht des 80 Gössel, ZStW 1982,5 (28ff.). Auch nach Lüderssen, NJW 1986, 2742 (2743); ders., LR Vor § 137, 23 f. nimmt der Verteidiger keine Aufgabe in einem Prozeß der dialektischen Wahrheitsfindung vor Gericht wahrnimmt. Ähnlich schon Römer, FSSchmidt-Leichner S. 133 (138f.) sowie zuletzt Vehling, StV 1992, 86 (89). 81 Dazu Gössel selbst, ZStW 1982,5 (27) m. w.N. 82 Ähnlich Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 127. 83 Bei der Staatsanwaltschaft könnte man dagegen einwenden, daß sie nicht entscheidet, sondern dem Gericht lediglich einen Verdacht zur Verhandlung und Entscheidung vorlegt, dazu Eb. Schmidt, LK I, S. 203. 84 Vgl. Welp, ZStW 1978,804 (8l6f.).

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

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Beschuldigten, lediglich die Folge unvenneidbarer Spannungen zwischen der Autonomie des Beschuldigten und dem Prinzip der dialektischen Wahrheitsfindung. So gibt die prozessuale Autonomie des Beschuldigten ihm die Möglichkeit, sich durch prozessuale Untätigkeit der Wahrheitsfindung sogar dann zu entziehen, wenn das Gegenteil für ihn günstiger wäre. 8S Aus dem gleichen Grund wird das wahrheitswidrige Leugnen der Tat durch den Beschuldigten sanktionslos in Kauf genommen,86 ohne daß damit eine Aufgabe des Prinzips der dialektischen Wahrheitsfindung notwendig verbunden wäre. 87 Die Ansicht, den Verteidiger auf die Rolle eines Kontrollorgans für justizfönniges Handeln der staatlichen Rechtspflegeorgane zu reduzieren oder seine Mitwirkung im Strafprozeß überhaupt vom Prinzip der dialektischen Wahrheitsfindung zu lösen, erscheint nach alledem nicht haltbar. 88 4. Verteidiger und Legitimation durch Verfahren

Nachdem sich bis hierher der untrennbare Zusammenhang zwischen der Stellung des Verteidigers und den Strafprozeßzielen erwiesen hat, verwundert es nicht, daß mit deren Verschiebung oder Ergänzung auch die Stellung des Verteidigers eine Änderung erfährt. Das zeigen etwa die Bestrebungen, die Stellung des Verteidigers an die Verwirklichung materiellrechtlicher Strafzwecke zu binden, wie den der Verbrechensprävention als angebliches Strafprozeßziel. Nach Maihofer ergibt sich daraus ein neues Rollenverständnis des Verteidigers. Dessen Strategie müsse auf die Resozialisierung des Täters und eine daraus resultierende neue Art der Kooperation mit den anderen Rechtspflegeorganen, nämlich die Aufzeigung von Resozialisierungspotential, gerichtet sein. 89 Dieser Rekurs auf das materielle Strafrecht steht allerdings im Widerspruch zur rechtsstaatlichen Unschuldsvennutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung, deren prozessualer Garant der Verteidiger ist. 9o Von größerem Interesse sind dagegen die systemtheoretischen Überlegungen von Luhmann zur Legitimation von Entscheidung durch Verfahren, die von Beulke für die Stellung des Verteidigers im Straf85 Auf einem anderen Blatt steht gerade im Zusammenhang mit dem Verteidiger natürlich, ob es überhaupt einen Regelsatz gibt, daß dessen Mitwirkung sich zugunsten des Angeklagten auswirkt, vgl. Welp, ZStW 1978, 101 (l20f.). 86 Bekanntlich darf ein solches Verhalten nicht strafschärfend berücksichtigt werden, vgl. nur Sch/Sch/Stree § 46, 42 m.w.N. Vgl. auch BGHSt 3, 149 (152) ["Keine Wahrheitspflicht des Beschuldigten"]. Zum Ganzen Rüping, JR 1974, 135 (l38ff.). 87 So aber wohl Arbeitskreis Strafprozeßreform § I AE III 2. 88 Ähnlich Naucke, ZStW 1982,55. 89 Maihofer, ZStW 1982, 47f.; zum Ganzen Lenckner, JuS 1983, 340ff. 90 Roxin, Strafverfahrensrecht S. 108. Ähnlich schon Groenewold, Angeklagt als Verteidiger S. 3 ff.

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

prozeß fruchtbar gemacht worden sind. Luhmann erteilt auch mit Blick auf den Strafprozeß den herkömmlich genannten gerichtlichen Prozeßzielen eine Absage. Ausgehend von der in allen Prozeßordnungen denkbaren Erscheinung des unwahren, aber in Rechtskraft erwachsenden Urteils folgert er, die Feststellung der Wahrheit vor Gericht sei zwar wünschenswert, könne aber nicht die Funktion eines Gerichtsverfahrens, ja noch nicht einmal notwendiger Teil des Prozeßwesens sein. Denn nach Luhmann ist ein bloßes Gebot an die Beteiligten noch keine zureichende Theorie ihres Verhaltens.91 Das führt ihn zu dem Schluß, Gerichtsverfahren dienten allgemein nur der Legitimation des späteren Urteils durch die Selbstverstrickung der Prozeßsubjekte in das Gerichtsverfahren. Durch die Rollenübernahme im Entscheidungsvorgang würde die Persönlichkeit der Verfahrensbeteiligten eingefangen und zur Hinnahme der noch unbestimmten richterlichen Entscheidung motiviert. Ihre dadurch erzeugte, generelle Bereitschaft zur Hinnahme dieser Entscheidung trete an die Stelle der Wahrheit als Prozeßziel.92 Der Preis für diese "heimliche Theorie des Verjahrens.,93 sei dessen gebrochenes Verhältnis zu Wahrheit und Gerechtigkeit. 94 Voranzustellen ist der prozeßrechtlichen Bewertung von Luhmann' s Überlegungen zunächst der Hinweis, daß der Legitimation durch Verfahren eine soziologische aber keine juristische Betrachtung zugrundeliegt. Es geht auf dieser Grundlage in erster Linie um die prozeßexterne Frage nach den Auswirkungen normbefolgenden Verhaltens in einem sozialen System, nicht aber um die prozeßinterne Frage nach dem Sinn und Zweck von Normen in einer Gerichtsordnung.95 Andererseits liegt die Beschäftigung mit Luhmann's Überlegungen aus prozeßrechtlicher Sicht nahe. Insbesondere Paeffgen hat auf die enge Wechselwirkung zwischen Systemtheorie und dem materiellen Sinn sozialer Systeme hingewiesen. 96 So verwundert es nicht, daß Beulke die Legitimation durch Verfahren zur inhaltlichen Konkretisierung von Stellung und Aufgabe des Verteidigers im Strafprozeß herangezogen hat: Indem dieser dem Beschuldigten das Gefühl gebe, gegenüber den Mechanismen des Verfahrens nicht allein zu stehen, erwecke er dessen Bereitschaft zur Mitarbeit im Strafprozeß. Die Mitwirkung des Verteidigers fördere dadurch die Integration des Beschuldigten und binde ihn erst als Prozeßsubjekt in den Strafprozeß ein. Es kommt also zu einer integrativen Rolle des Verteidigers als Mittler zwischen der Maschinerie des StrafprozesLuhmann, Legitimation durch Verfahren S. 17 f. Luhmann, Legitimation durch Verfahren S. 28 f., S. 87 ff. 93 Luhmann, Legitimation durch Verfahren S. 87. 94 Luhmann, Legitimation durch S. 16ff., 105. 95 Eingehend Amelung, Der frühe Luhmann und das Gesellschaftsbild bundesrepublikanischer Juristen, S. 1 ff. 96 Paeffgen, Untersuchungshaft S. 36ff. 91

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ses einerseits und dem Beschuldigten andererseits. 97 Angesichts dieser Umgestaltung der AufgabensteIlung des Verteidigers auf der Grundlage von Luhmann's Überlegungen, erscheint es legitim, der Frage nachzugehen, ob die Überlegungen zur Legitimation durch Verfahren die bisher aus prozeßrechtlicher Sicht gewonnenen Erkenntnisse zu erschüttern vermögen. a) Wahrheit und soziale Wirklichkeit Blendet man einmal den Aspekt der dialektischen Wahrheitsfindung aus, so liegt auf der Hand, daß der reformierte Strafprozeß die materielle Wahrheit als Ziel des gemeinrechtlichen Prozesses in mehrfacher Hinsicht reduziert hat. Ganz abgesehen davon, daß aus Gründen der Allgemeinverständlichkeit von im Namen des Volks gefällten Gerichtsentscheidungen die "Entscheidungsfabrik Strafjustiz,,98 notwendig von Mechanismen beherrscht wird, die als Reduktion von Komplexität der verhandelten Tat aus erkenntnistheoretischer Sicht zur Erforschung der objektiven Wahrheit (etwa bei subjektiven Tatmerkmalen) nicht optimal sein mögen,99 ist der Wahrheitsbegriff des reformierten Strafprozesses eben geprägt durch die Verschränkungen mit dem zusätzlichen Ziel eines gerechten Verfahrens. Man denke in diesem Zusammenhang an die Beweisverbote im Strafprozeß. Zwar macht die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in den sog. Tonband- und Tagebuchfällen deutlich, daß die Wahrheitsermittlung unter bestimmten Voraussetzungen sogar als höherrangig bewertet wird als der Schutz selbst intimster Lebensbereiche des Beschuldigten vor staatlicher Ausforschung. 100 Aber das geltende Strafprozeßrecht kennt keine Pflicht zur Wahrheitsermittlung um jeden Preis. lOl Weiterhin knüpft der richterliche Urteilsmaßstab nicht an die Existenz der angeklagten Tat an, sondern an deren Evidenz. Gemäß § 261 entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. Der Gesetzgeber zwingt das Gericht damit, sich mit dem Vorbringen der Verteidigung in der Hauptverhandlung auseinandersetzen und seine Entscheidung aufgrund des unmittelbaren Eindrucks dieser Auseinandersetzung unabhängig von gesetzlichen Beweisregeln zu treffen. § 261 hängt also unbedingt mit dem Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör, wegen dessen Doppelfunktion aber nur bedingt mit der Wahrheit als Prozeßziel zusammen. Trotzdem ändert auch der Evidenzmaßstab nichts am Wahrheitsanspruch des Urteils. Schließlich kommt im Prinzip der Beulke, Verteidiger S. 64 ff. Krauß, FS-Schaffstein S. 411 (418). 99 Näher Krauß, FS-Schaffstein S. 411 (417ff.) m.w.N. 100 BVerfGE 80, 367 ff. Dazu Lorenz, GA 1992, 254 ff. 101 Dazu BGHSt 14, 358 (365); 31, 304 (308). 97

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1. Teil: Die rechtliche Doppelstellung des Verteidigers

freien Beweiswürdigung weniger das Eingeständnis der Unvollkommenheit jeden menschlichen Erkenntnisvermögens und damit das Abrücken von objektiven Wahrheitsmaßstäben zum Ausdruck. Vielmehr erfolgte die Ablösung gesetzlicher Beweisregeln im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Erwartung, die Ersetzung richterlicher Bruchteilsrechnung durch die persönliche Gewißheit des Gerichts werde die objektiv richtige Rekonstruktion des jeweiligen Einzelfalles zielsicherer leisten. \02 Diese Zielvorstellung steht zwar aus erkenntnistheoretischer Sicht in einem Spannungsverhältnis zu der Erkenntnis, die Verbindung von freier Beweiswürdigung mit der Doppelrolle des Gerichts als Ermittier und Entscheider in der Hauptverhandlung indiziere im besonderen Maße die Gefahr von Fehlurteilen. \03 Vor diesem Hintergrund hat sich schon im letzten Jahrhundert Zachariae in seiner berühmten Schrift "Über die Gebrechen und Reform des deutschen Strafverfahrens" für die Beibehaltung von gesetzlichen Beweisregeln in modifizierter Form ausgesprochen; 104 eine Forderung, die auch im neueren Schrifttum mit dem Ruf nach Normativierung der richterlichen Beweiswürdigung wieder zunehmend aufgegriffen wird. 105 Andererseits erscheint das skizzierte Spannungsverhältnis im gleichen Maße als gemildert, wie die lange Zeit als ureigene Aufgabe des Tatgerichts tabuisierte Beweiswürdigung lO6 der Nachprüfung durch die Revisionsgerichte geöffnet worden ist. So ist in der Rechtsprechung inzwischen anerkannt, daß der Beweiswürdigung des Tatgerichts neben der subjektiven richterlichen Überzeugung eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Schuld Voraussetzung einer Verurteilung ist. \07 Bleibt es bis hierhin bei der Wahrheit als Verfahrensziel, so macht darüber hinaus eine strukturelle Betrachtung der Hauptverhandlung deutlich, daß der Mechanismus "Legitimation durch Verfahren" im reformierten Strafprozeß als systemfremd erscheint. Betrachtet man diesen Mechanismus näher, so basiert er auf zwei Voraussetzungen, nämlich Zwang zum Verfahren und Konsens im Verfahren. \08 Zunächst muß der Staat das Verfahren und die Entscheidung auch dem Widerstrebenden aufzwingen können, 102 Näher Schmitt, Richterliche Beweiswürdigung S. 150ff.; Herdegen, NStZ 1987, 193f. m.w.N. 103 I. Müller, Der Wert der materiellen Wahrheit S. 522ff. m. w. N. 104 Dazu Eh. Schmidt, Einführung S. 293 ff. 105 Dazu Stein, Gewißheit und Wahrscheinlichkeit im Strafverfahren S. 233 (253ff.) m.w.N. 106 So noch BGHSt 10, 208 ff. 107 BGH NStZ 1982,478 Nr, 31, 32; BGH NStZ 1984,376; BGH StV 1982,59; BGH StV 1985, 92 sowie zuletzt in dem spektakulären "Pistazieneisfall" BGH 1 StR 171/98 v. 19.1.1999 S. 11. Zum Ganzen Herdegen, Grundfragen der Beweiswürdigung S. 106 (115f.). 108 Luhmann, Legitimation durch Verfahren S. 27 ff.

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wenn es im öffentlichen Interesse des Rechtsfriedens erforderlich ist. Anderenfalls gewinnt das Verfahren unverbindlichen Charakter und wird von der Rechtsgemeinschaft nicht ernst genommen. Das findet in der durchsetzbaren Anwesenheitspflicht des Beschuldigten nach den §§ 112ff.; 230ff. seinen Niederschlag und bedarf keiner weiteren Erörterung. Zweitens muß ein Konsens zwischen den Verfahrensbeteiligten über die entscheidungslegitimierende Wirkung des Verfahren bestehen. Das kann aber nur der Fall sein, wenn zwischen den Verfahrensbeteiligten Waffengleichheit besteht. Denn jemand, der im Verfahren weniger Rechte als andere hat, bringt keine Bereitschaft auf, die daraus folgende Entscheidung ohne die Bestätigung von deren Richtigkeit zu akzeptieren. 109 Derartige Strukturen mögen dann nicht von der Hand zu weisen sein, wenn Prozeßparteien über den Streitgegenstand und damit über Gang und Inhalt des Rechtsstreits verfügen. So wird etwa auch im Zivilprozeß der Beklagte zwangsweise in seine Rolle verstrickt. Seine Anwesenheit ist im Unterschied zum Strafprozeß zwar nicht erzwingbar. Aber er ist für den Fall seines Ausbleibens gezwungen, die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil als Folge seiner Untätigkeit zu dulden, §§ 33lff. ZPO. Im Prozeß selbst findet jedoch eine Auseinandersetzung zwischen waffengleichen Parteien statt, in dessen Rahmen - nämlich ausschließlich auf der sachlichen Grundlage der Parteivorträge - das Gericht entscheidet. Der Anspruch auf möglichst vollständige Rekonstruktion eines in der Vergangenheit liegenden Sachverhalts von Amts wegen tritt hinter der dann geltenden Verhandlungsmaxime zurück. Selbst in der Beweisaufnahme, die dem Gericht die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit streitiger Tatsachenbehauptungen verschaffen soll, sind nach den §§ 397 I, 402 ZPO dem Zeugen die vom Gericht nicht für sachdienlich gehaltenen Fragen der Parteien vorzulegen. IIO Im inquisistorisch geprägten reformierten Strafprozeß stellt sich das anders dar. Ganz abgesehen von der DoppelsteIlung des Beschuldigten auch als Objekt des Verfahrens und dem ganz sicher nicht konsensual gestalteten Ermittlungsverfahren, gibt es das als rechtspolitischer Programmsatz vielbeschworene Prinzip der Waffengleichheit lll auch in der strafprozessualen Hauptverhandlung nicht. Das erscheint strukturell zwingend vorgegeben, weil es aus inquisitorischer Sicht kontraproduktiv wäre, die nun von der Staatsanwaltschaft auf das Gericht übergegangene unparteiliche Aufklärungs- und Verfahrensdominanz durch waffengleiche Rechte der Verteidigung zu bremsen. 112 So hat der Vorsitzende gemäß Näher dazu Luhmann, Legitimation durch Verfahren S. 88 ff. Thomas-Putzo, ZPO § 397, I. 111 Vgl. nur BVerfG NStZ 1983,273. 112 Müller-Meiningen jr., Der Verteidiger im heutigen Strafrecht S. 49ff.; Welp, ZStW 1978, 804 (806f.). Weil sich die Parteilichkeit des Verteidigers in der Haupt109

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§ 238 1 in Personalunion nicht nur die Verhandlungsleitung und die Beweisaufnahme in Händen. Er bestimmt darüber hinaus gemäß § 241 ll, wann eine Frage des Beschuldigten oder seines Verteidigers an Zeugen oder Sachverständige ungeeignet ist oder nicht zur Sache gehört. Nach den Vorstellungen des Bundesgerichtshofs ist ein Dialog in der Hauptverhandlung mit der Verteidigung sogar nur dann erforderlich, wenn das gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sei. Das Gericht sei deshalb nicht gehalten, seine eigene Auffassung darzulegen, wenn diese von einer nach § 257 abgegebenen Erklärung abweiche. Das gelte selbst dann, wenn bei dieser Gelegenheit grundsätzliche Differenzen in der Wahrnehmung einer Beweisaufnahme offenbar werden würden. 113

Zwar erfährt das inquisitorische Prinzip der Hauptverhandlung Einbrüche durch die mit der SubjektsteIlung des Beschuldigten verbundenen Mitwirkungsrechte und dabei insbesondere durch die Mitwirkung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfen. 114 So ist nicht zu verkennen, daß der Gesetzgeber etwa durch die Einführung des unmittelbaren Fragerechts nach § 240 II 1 im Rahmen des RVHG 1950 die richterliche Hegemonie gegenüber der Verteidigung in der Hauptverhandlung eingeschränkt hat. 115 Insofern beruht der Ablauf der Hauptverhandlung schon auf einem dialektischen Rechtsgespräch l16 bzw. gehorcht konsensualen GrundsätzenY7 Aber schon im unmittelbaren Zusammenhang damit verbietet der ebenfalls durch das RVHG 1950 eingefügte § 240 II 2 die unmittelbare Befragung von Mitangeklagten untereinander und macht die beschränkte Tragweite der SubjektsteIlung des Beschuldigten gegenüber richterlicher Verfahrensherrschaft in der Hauptverhandlung augenfällig. Denn zur Begründung dieser Vorschrift verhandlung gegen das Gericht als Inquirenten richtet, kann dagegen die Frage nach der Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung nach dem Ermittlungsverfahren allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Staatsanwaltschaft nimmt in der Hauptverhandlung funktionell lediglich die unparteiliche Kontrollaufgabe als "Wächterin des Verfahrens" wahr. So wird die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft dann nicht mehr als Ausdruck des Legalitätsprinzips, sondern als "prozessuale Aufgabe eigener Art" angesehen, näher dazu Grüner/Wasserburg, NStZ 1999, 286 (287f.) m.w.N. 113 BGH StV 1997, 561; ähnlich OLG Kob1enz wistra 1987, 357 (358). Kritisch dazu König, StV 1998, 113. Zum Ganzen Gillmeister, StraFo 1997, 8 (12) ["Im Verfahrensverlauf der strafrechtlichen Hauptverhandlung hat das Rechtsgespräch keinen Platz. Man hat den Eindruck, rechtliche Erörterungen seien nicht erwünscht" ... ] 114 Vehling, StV 1992, 86 (90f.). IIS Dazu Niethammer, JZ 1951, 132 (134f.). Dessen Befürchtungen gegenüber dem RVHG 1950 gingen sogar soweit, daß jede Beeinträchtigung der Verfahrensherrschaft des Vorsitzenden mit dem inquisitorischen Prinzip nicht vereinbar sei. 116 Näher J. Meyer, Dialektik im Strafprozeß S. 45 ff. 117 Näher Wohlers, Staatsanwaltschaft S. 256ff.

A. Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten

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wird neben dem Interesse an einem geregelten Verfahrens gang der Schutz der Wahrheitsfindung genannt,118 die der richterlichen Dominanz in der Hauptverhandlung unterworfen bleiben soll. Dagegen stellt das Kreuzverhör nach § 239, das dem Gericht die Beweisaufnahme aus der Hand nimmt, als Element eines idealtypischen Parteiprozesses einen Fremdkörper im deutschen Prozeßrecht dar und hat demzufolge in der strafprozessualen Praxis noch nie eine Rolle gespielt. 1\9 Nicht viel anders dürfte die Wirkung des Verteidigerplädoyers auf das gerichtliche Urteil zu beurteilen sein, nachdem die Beweisaufnahme ohnehin vom Gericht dominiert worden ist. 120 Die höchstrichterliche Rechtsprechung bewertet es sogar als unbedenklich, wenn der Tatrichter den Entwurf der Urteilsformel schon vor dem Schlußplädoyer des Verteidigers gefertigt hat. 121 Ähnlich stellt sich die Situation im Zusammenhang mit Absprachen im Strafprozeß dar. Zwar wird die zunehmende Praxis der Gerichte, mit Anklage und Verteidigung Absprachen über eine einvernehmliche Abwicklung des Verfahrens zu treffen, auch noch dann gebilligt, wenn der gesetzlich bestimmte Anwendungsbereich der §§ 265 a, 153 ff. lange verlassen ist. i22 In einem solchen Fall gewinnt das Verfahren wiederum konsensuale Strukturen: So soll eine Absprache über ein geringeres Strafmaß gegen Geständnis nur dann zulässig sein, wenn sowohl Verteidigung wie Anklage gleichermaßen dazu gehört worden sind. 123 Allerdings ist auch an diesem Punkt nicht zu übersehen, daß die verfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Absprachen von der Bedingung abhängig gemacht wird, das Gericht dürfe in Hauptverhandlung und Urteil nicht an der Wahrnehmung seiner inquisitorische Stellung gehindert werden. 124 Folgerichtig weist der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf hin, das Gericht sei gegenüber der Verteidigung an vorher gegeben Strafmaßzusagen im Urteil nicht gebunden;125 Bindungen durch Absprachen im Strafprozeß dürften nicht soweit gehen, daß das Gericht die Freiheit der Verhandlungsführung sowie des Urteils verliere. 126 Ein Blick auf die aktuelle rechtspolitische Entwicklung zeigt, daß von der inquisitorischen Prägung der Hauptverhandlung wegführende Strukturreformen, wie sie bis in die Siebziger Jahre vergeblich angemahnt wurden, 127 BVerfO NJW 1996, 3408. Kl.lMeyer-Ooßner § 239, 1. Im Zivilprozeß ist ein Kreuzverhör nach § 397 I ZPO erst gar nicht vorgesehen, Thomas-Putzo, ZPO § 397, 1. 120 Dahs sen., AnwBI 1959, 1 (13). 121 BORSt 11,74 (75ff.). 122 Vgl. nur Kl./Meyer-Ooßner Einl. 119ff. m.w.N. 123 BORSt 38, 102 (104f.). 124 BVerfO NJW 1987,2662 (2663). 125 BORSt 36, 210 (212); 38, 102 (104f.). 126 BORSt 37, 99 (104). 118 119



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auch für die Zukunft nicht zu erwarten sind. 128 Das jederzeitige Erklärungsrecht von Verteidigung und Anklage in der Hauptverhandlung, eingeführt im Rahmen des StPÄG 1964, wurde etwa nach kaum zehnjährigem Bestand zum Schutz richterlicher Autorität vor aufgezwungenen Rechtsgesprächen durch die Verteidigung wieder aufgehoben. 129 Durch das neue Zeugenschutzgesetz wird die unmittelbare Befragung bestimmter Zeugen in der Hauptverhandlung dem Zugriff des Beschuldigten und seines Verteidigers sogar ganz entzogen. 130 Insgesamt bleibt damit festzuhalten, daß der reformierte Strafprozeß konsensuale Verfahrens gestaltung auf Kosten inquisitorischer Wahrheitsfindung in aller Regel nicht vorsieht. b) Die Rechtskraft des unwahren Sachurteils Bleibt es damit bei der Wahrheit des Urteils als elementarem Prozeßziel des reformierten Strafprozesses, so bedarf an dieser Stelle allerdings die von Luhmann in den Vordergrund gestellte Rechtskraft des unwahren Sachurteils einer Einordnung in die strafprozessualen Zielvorstellungen. Denn es handelt sich bei diesen Fällen, deren Existenz im Prozeßbetrieb unbestritten ist, gerade vor dem Hintergrund eines inquisitorischen Prozeßmodells um ein Zentralproblem der allgemeinen Prozeßtheorie. 131 Die Zusammenhänge werden vor dem Hintergrund einer kurzen Betrachtung der historischen Entwicklung deutlicher. Der Durchsetzung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses in seinen verschiedenen Ausprägungen liegt die gemeinsame Idee zugrunde, die Wiederherstellung des durch bestimmte Rechtsgutsverletzungen gestörten Rechtsfriedens im Hinblick auf staatliche Machterhaltung bzw. Machtausbau zur öffentlichen Angelegenheit zu machen. 132 Die absolute Autorität des Inquirenten gegenüber dem Beschuldigten im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß entsprach den von absoluter landesherrlicher Gewalt geprägten Staatsordnungen seiner Zeit. Die fast schrankenlose Macht des Inquirenten und der Spruchbehörden, eingesetzt oder gar verkörpert von einem Souverän,133 der seine Vgl. nur Dahs, FS-Schorn S. 14 (32ff.); Roxin, FS-Schmidt-Leichner S. 145 ff. Dazu RieB, StraFo 1999, I (9). 129 Maßgeblich dafür waren die Zusammenstöße zwischen Verteidigung und Gericht in den RAF-Prozessen der Siebziger Jahre, zum ganzen Schmidt-Leichner, NJW 1975,417 (420); Vogel, NJW 1978, 1217 (1225). 130 Das Zeugenschutzgesetz (ZSchG) v. 30.4.1998, BGBI. I S. 820, erlaubt nach den §§ 168 e, 247a dem Richter unter bestimmten Voraussetzungen, die Vernehmung von gefährdeten oder gesperrten Zeugen getrennt von den Anwesenheitsberechtigten durchzuführen und die Vernehmung diesen zeitgleich in Bild und Ton zu übertragen. 131 Näher Sax, ZZP 1954,21 (29). 132 LR-Lüderssen Vor § 137. 7 ff. 127

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territoriale Allmacht selbst von einer höheren Macht (nämlich letztlich von Gottes Gnaden) ableitete, rechtfertigte sich durch die Gewißheit eines wahren Urteils, also der lückenlosen Rekonstruktion des dem Tatvorwurf zugrundeliegenden Geschehens. Im gleichen Maße, wie die Strafverfolgung zur Sache des Staates gemacht wurde, ging es also nicht mehr um die Anerkennung des Tatvorwurfs - wie im Parteiprozeß des frühen Mittelalters, der in erster Linie der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Personalverbänden diente - sondern um die Instrumentalisierung des Beschuldigten als Objekt der Wahrheitsfindung. 134 Vor diesem Hintergrund wird auch die überragende Bedeutung des Geständnisses im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß verständlich. Denn niemand könnte, denkt man einmal den durch die Anwendung der Folter neutralisierten Drang zur Selbstbegünstigung weg, sicherer die Wahrheit des Tatvorwurfs bezeugen als der Beschuldigte selbst. 135 Aus diesem Grund enthielt die CCC, der das Bestreben nach der Vereinheitlichung der wild wuchernden Partikularrechtsordnungen zugrundelag, im Zusammenhang mit der Vernehmung des Beschuldigten verschiedene Kautelen zur Sicherung der Wahrheit. Insbesondere war der Beschuldigte vor einer peinlichen Befragung nach Art. 47 CCC Gelegenheit zur Offenlegung der ihn entlastenden Umstände zu geben, ..... da mancher auß

eynfalt oder schrecken nit Jürzuschlagen weiß, ob er gleich vnschuldig ist, wie er sich entschuldigen und außführen soll." Nach Art. 60 CCC sollte

nur ein glaubhaftes Geständnis zur Grundlage des Urteils gemacht werden. Dabei hatte der Inquirent nach Art. 48 CCC vor allem darauf zu achten, ob das Geständnis Umstände enthielt, die nur der Täter kennen konnte. 136 Verbunden mit der einseitigen Ausrichtung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses auf ein wahres Urteil war die geringe Bedeutung der Rechtskraft. Das zeigt sich in der im breiten Maße zulässigen Restitution von nachträglich als falsch erkannten Gerichtsurteilen durch den Landesherren mit der Folge von Entschädigungsansprüchen des zu Unrecht Verurteilten. 137 Art. 61 CCC sah sogar einen Entschädigungsanspruch des Beschuldigten dann vor, wenn der Inquirent die peinliche Befragung zu Unrecht angeordnet hatte. 138 Das ändert sich im refonnierten Strafprozeß. Das gerechte Verfahren als Folge der zunehmenden Deckungsgleichheit zwischen Staat und GesellEb. Schmidt, LK I, 202f. Pfenninger, FG-Zürcher S. 163 (165 ff.); insoweit ungenau LR-Lüderssen Vor § 137,11. 135 Pfenniger, FS-Rittler S. 355 (358 f.); Preuß, Verteidiger vor Gericht S. 48 (51 f.). 136 Zum ganzen Vargha, Vertheidigung S. 174ff. Dazu auch Kleinheyer, Tradition und Reform der CCC S. 23ff.; Schildt, Der entliehe Reichtstag S. l3lff. 137 J. Meyer, Wiederaufnahmereform S. 55ff.; Wasserburg, Wiederaufnahme S.6f. 138 Kleinheyer, Tradition und Reform der CCC S. 24. 133

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schaft (oder besser Rechtsgemeinschaft) gewinnt eine eigenständige soziale Ordnungsfunktion. 139 Rechtsfrieden bedeutet auf dieser Grundlage die Verarbeitung des durch den Tatvorwurf entstandenen Konflikts zwischen der Rechtsgemeinschaft und dem Beschuldigten nicht nur mit dem Ziel eines richtigen Ergebnisses, sondern auch mit den Mitteln eines gerechten Verfahrens. Damit ist untrennbar das Bedürfnis nach Rechtssicherheit verbunden. Ein vorläufiges Strafurteil, das im Interesse der Wahrheit ohne weiteres jederzeit wieder aufgehoben werden kann, stellt die Verbindlichkeit des im Namen der Rechtsgemeinschaft betriebenen Verfahrens und den von ihr zur Verfügung gestellten Mitteln latent in Frage. Es schafft deshalb keinen Rechtsfrieden. l40 Daher verwundert es nicht, daß mit der Reform des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses das Institut der Rechtskraft des Strafurteils zunehmende Bedeutung erlangte und die Wahrheit als Prozeßziel einschränkte. 141 Auch nach geltendem Recht ist eine Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Sachurteil abgeschlossenen Verfahrens nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 359, 362 möglich. Ansonsten ist ein nach Eintritt der Rechtskraft als unwahr erkanntes Urteil im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen. 142 Andererseits zeigt eine nähere Betrachtung der gegebenen Wiederaufnahmegründe deutlich die Züge eines inquisitorischen Strafprozesses. Denn stets begründen solche Umstände die Wiederaufnahme des Verfahrens, die Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, nicht an der Gerechtigkeit des Verfahrens nachträglich dokumentieren. Eine Ausnahme stellen insoweit lediglich die §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 dar, denn nach § 370 braucht die strafbare Amtspflichtverletzung des Richters keine Auswirkungen auf das Urteil gehabt zu haben. Die Bedeutung dieser Fallgruppe in der Praxis ist jedoch im Wiederaufnahmeverfahren marginal. 143 Dem Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit hat der Gesetzgeber bei der Wiederaufnahme im übrigen nur insoweit Rechnung getragen, als die Wiederaufnahme nach den §§ 296 I, 365 auch vom Verurteilten selbst beantragt werden kann. Im Näher LR-Lüderssen Vor § 137, 16ff. Ausführlich Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 100ff. 141 Hahn/Mugdan, Materialien S. 262; Lampe, GA 1968,32 (37) m.w.N. 142 Sieht man vom Gnadenweg ab, kommt eine Rechtskraftdurchbrechung dann nur noch auf dem Weg der Verfassungsbeschwerde nach den §§ 90 I BVerfGG gegen das Strafurteil in Frage, wenn das Gericht willkürlich Grundrechtspositionen des Beschuldigten verletzt hat, vgl. Lampe. GA 1968.32 (40ff.). 143 Vgl. nur LR-Gössel § 359. 34 m. w. N. So hat der Bundesgerichtshof bei der Überprüfung des ..Reichstagsbrandprozesses" den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 3 schon allein deshalb abgelehnt. weil im Rahmen der späteren landgerichtlichen Überprüfung von Ansprüchen des zum Tode verurteilten Marinus van der Lubbe nach dem Wiedergutmachungsgesetz eine Überprüfung des reichsgerichtlichen Urteils vom Gesetzgeber vorgesehen war. 139 140

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Unterschied dazu sah etwa die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Ungerechtigkeit im nationalsozialistischen Strafprozeß und die Kassation wegen Unverträglichkeit mit der sozialistischen Rechtsordnung im Strafprozeß der DDR die Rechtskraftdurchbrechung nur von Amts wegen vor. l44 Auch wenn man den wesentlich engeren Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens berücksichtigt, weist der Vergleich mit diesen autoritär geprägten Prozeßordnungen auf den Zusammenhang zwischen der stark ausgeprägten Subjektstellung des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß und seiner Antragsbefugnis im Wiederaufnahmeverfahren hin. Die Rechtskraft des unwahren Sachurteils ist nach alledem eine Erscheinung im Spannungsverhältnis zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit, die im Interesse des Rechtsfriedens in der Regel hinzunehmen ist. Nachdem sich die Rechtskraft des Strafurteils nicht als Prozeßziel, sondern als Mittel zum Zweck erwiesen hat,145 kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die Erlangung von Rechtssicherheit als eigenständiges Prozeßziel anzusehen iSt. 146 Genauso erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die verschiedenen Rechtskrafttheorien, die zur Erklärung der Rechtskraft des rechtskräftigen, unrichtigen Sachurteils und der damit verbundenen Vollstreckbarkeit entwickelt worden sind. Denn unabhängig davon, ob man nun mit den Vertretern der materiellen Rechtskrafttheorien dem Urteil rechtsschaffende Wirkung zuerkennt, oder mit den Vertretern der prozessualen Rechtskrafttheorien eine zweite Rechtsordnung, eine Art Gerichtsordnung schafft; das Bedürfnis der Rechtsgemeinschaft nach Rechtssicherheit besteht nach allen Ansichten nur als Reflex eines auf Wahrheit und Gerechtigkeit ausgerichteten Strafprozesses. 147 Eine Neubestimmung des Prozeßziels läßt sich aus dem Phänomen der Rechtskraft des unrichtigen Sachurteils damit nicht ableiten. Nachdem sich bis hierhin die vielfachen Wechselwirkungen und gegenseitigen Verschränkungen von wahrem Urteil und gerechtem Verfahren gezeigt haben, erscheint es zwar mißverständlich, mit dem Bundesverfassungsgericht von dem Prozeßziel der "materiellen Wahrheit" zu sprechen,148 auch wenn die Aufklärung von Straftaten im Wege des StrafprozesNäher Lampe, GA 1968, 33 (36f.). Sax, ZZP 1954,21 (26f.). 146 So Lampe, GA 1968, 32 (48f.); Krey, Strafverfahrensrecht S. 21; Rüping, Strafverfahrensrecht S. 8 f. 147 Näher Sax, ZZP 1954, 21 (31 ff. m. w.N.; 43ff.). Gleiches gilt auch für die Rechtskraft als autonomes Verfahrensziel in den prozessualen Rechtskrafttheorien, vgl. Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage S. 151 ff.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 121 ff.; Eb. Schmidt, LK I S. 47. Das verkennt Lampe, GA 1968, 32 (48). 148 BVerfGE 19, 342 (347); 20, 45 (49); 20. 144 (147); 29, 183 (194); 32, 373 (381). Kritisch dazu auch Krauß, FS-Schaffstein S. 411 f. 144 145

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ses materiellen Verfassungsrang genießt. 149 Der Strafprozeß dient aber auf der Grundlage der von Luhmann sogenannten klassischen, von Grasnick sogar schon als überkommen verabschiedeten Verfahrenstheorien 150 der mit den Mitteln eines gerechten Verfahrens möglichen Rekonstruktion der angeklagten Tat, eben der Erlangung der im Strafprozeß möglichen Wahrheit. 151 Aufgrund der hegemonialen Stellung des Gerichts in der Hauptverhandlung kann im reformierten Strafprozeß nicht die Herstellung von Konsens unter den Prozeßsubjekten oder gar einer neuen sozialen Wirklichkeit an die Stelle dieser prozessualen Wahrheit treten. 152 c) Gerechtigkeit und Legitimation des Verfahrens Soweit es andererseits nur um den prozessualen Eigenwert der Autonomie des Beschuldigten als elementarer Teil eines gerechtes Verfahrens geht, liegt der Gedanke einer integrativen Funktion des Verteidigers auf den ersten Blick näher. So versteht Schmidhäuser unter dem übergeordneten Prozeßziel des Rechtsfriedens die Herstellung eines Zustandes, in dem vernünftigerweise erwartet werden könne, daß sich die Rechtsgemeinschaft über die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Begehung einer Straftat wieder beruhige. 153 In verwandtem Gedankengang dazu führt Beulke aus, der Verteidiger wirke gemeinschaftsintegrierend, indem er dem Beschuldigten bei dessen Rollenfindung bzw. Rollenfestschreibung helfe. Er vermittele damit den Außenstehenden das Gefühl, im Strafprozeß werde nach Gerechtigkeit gesucht. IS4 Daran mag richtig sein, daß die Einrichtung der formellen Verteidigung vor der Rechtsgemeinschaft den in ihrem Namen auf den Beschuldigten ausgeübten Zwang legitimiert, sich dem Prozeß zu stellen (vgl. die §§ 230f.) und dem Strafurteil zu unterwerfen. Ein öffentliches Interesse besteht allerdings nur an der Herstellung, nicht an der Fiktion eines gerechten Verfahrens. Nicht umsonst steht der Begriff der Verfahrensgerechtigkeit in untrennbarem Zusammenhang mit dem Begriff der Justizjörmigkeit, also der Einhaltung der prozessualen Formen. lss Bezogen auf die Mitwirkung des Beschuldigten folgt daraus ein öffentliches Interesse an Vgl. nur BVerfGE 32, 373 (381); 33, 367 (383). Luhmann, Legitimation durch Verfahren S. 105 [Fn. 11]; Grasnick, Wahres über die Wahrheit S. 55 (74). 151 Zutreffend Neumann, Funktionale Wahrheit S. 73 (75): "Ein proklamiertes Ziel wird nicht schon dadurch diskriminiert, daß zu seiner Erreichung nur beschränkte Mittel eingesetzt werden können." 152 Grasnick, Wahres über die Wahrheit S. 55 (75). 153 Schmidhäuser, FS-Eb. Schmidt S. 511 (521 f.). 154 Beulke, Verteidiger S. 80. Ähnlich Vehling, StV 1992, 86 (88 f.), der als rechtliche Interessen der Strafverteidigung nur die öffentlich vermitteJbaren Interessen des Beschuldigten anerkennt. 149

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der Herstellung, nicht nur an der Fiktion seiner prozessualer Autonomie. Weil aber zur prozessualen Autonomie des Beschuldigten auch die Verweigerung der tätigen Teilnahme am Verfahren gehört, geht die vom Verteidiger herbeizuführende Integration des Beschuldigten als Prozeßsubjekt in das Verfahren nicht weiter, als dieser sich darin verstricken lassen will. Denn der Verteidiger ist der Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten, aber nicht der Prozeßmoderator für die Rechtsgemeinschaft. Eine integrative Funktion des Verteidigers als prozessualer Eigenwert ist also nicht zu erkennen. Ansonsten wäre auch nicht zu erklären, daß es dem Beschuldigten im breiten Maße überlassen bleibt, sich überhaupt einen Verteidiger als Beistand zu wählen. 156 Von einer Legitimation des Gerichtsverfahrens als fingierte Gerechtigkeit, die nichts anderes als die Aufgabe eines rechtsstaatlichen Verfahrens bedeuten würde, kann nach alledem keine Rede sein. 157 Es bleibt abschließend entgegen den Überlegungen von der Legitimation von Entscheidung durch Verfahren festzustellen: Die Reform des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses und als dessen Kernpunkt die Erhebung des Beschuldigten zum Prozeßsubjekt mit dem Ziel von Verfahrensgerechtigkeit einerseits und Urteilswahrheit andererseits bestimmt maßgeblich die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß.

B. Der Verteidiger als Organ der Rechtspflege Gemäß § 138 I sind als Verteidiger im Strafprozeß in erster Linie Rechtsanwälte zugelassen. Wie bereits erwähnt, verfolgte der Gesetzgeber mit

dem Leitbild des Rechtsanwalts als Verteidiger sicherlich auch das Ziel, einen gewissen Qualitätsstandard zu sichern, was die Rechtskundigkeit des Verteidigungs personals angeht. Schließlich war es schon in den Partikularrechtsordnungen des gemeinen Rechts üblich gewesen, die Zulassung zum Verteidiger von dessen Rechtskenntnissen als unentbehrliche Eigenschaft des zum Rechtsschutzes des Beschuldigten bestellten Fürsprechers abhängig zu machen. 158 Darin erschöpft sich die Bedeutung der Zulassungsschranke 155 Näher Eb. Schmidt, LK I, S. 44ff.; RieB, FS-Schäfer S. 155 (170f.). Wer allerdings der Justizfönnigkeit den Rang eines eigenständigen Prozeßziels zuspricht, vgl. etwa Wolter, GA 1985, 49 (53) macht aus dem Mittel zum Zweck, eben zur Herstellung von Verfahrensgerechtigkeit, einen Selbstzweck. Insoweit liegen die Dinge ähnlich wie bei der Proklamation der Rechtssicherheit. 156 Anders Beulke, Verteidiger S. 66f., der die vom Verteidiger herbeizuführende Rollenverstrickung des Beschuldigten, die diesen "einfangt", "isoliert", "in die Falle treibt", ausdrücklich als ,,kein Beschuldigteninteresse" bezeichnet. 157 Kritisch auch Arthur Kaufmann, ZStW 1982, 56. Zum ganzen Rottleuthner, KJ 1971, 74ff., 80ff.; Paeffgen, Untersuchungshaft S. 34ff. 158 Vargha, Vertheidigung, S. 199.

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des § 138 I aber nicht. Die Bindung des Verteidigers an das Leitbild des Rechtsanwalts dient vielmehr vor allem dem Zweck, den Verteidiger als vertrauenswürdigen Funktionsträger in den Strafprozeß zu integrieren. Die mit der Mitwirkung eines Prozeßsubjektsgehilfen verbundene Stärkung des Beschuldigten gegenüber staatlicher Strafverfolgung und als dessen Kehrseite die potentielle Behinderung staatlicher Strafverfolgung sollte durch die Garantie der Seriosität des Verteidigungspersonals in Form der Bindung an das anwaltliehe Standesrecht gerechtfertigt werden. Der Hintergrund dieser Konstruktion wird im vollen Ausmaß deutlich, wenn man sich die mit der inquisitorischen Grundstruktur des reformierten Strafprozesses verknüpften Schwierigkeiten mit der Anerkennung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt und die daraus erwachsenden Anforderungen an den Verteidiger im Hinblick auf dessen Einbindung in das System der staatlichen Rechtspflege vergegenwärtigt.

I. Vorbehalte gegen den Verteidiger im inquisitorischen Strafprozeß In der Regel wird das Prozeßziel des Beschuldigten unabhängig von der Berechtigung des Tatvorwurfs in der Erlangung eines Freispruchs oder wenigstens einer milderen Verurteilung bestehen. Am günstigsten wäre es für ihn deshalb, schon die Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden im Keim zu ersticken. Weil aber die Überprüfung eines strafrechtlichen Tatvorwurfs andererseits im öffentlichen Interesse liegt, wird jeder Gesetzgeber den Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren ein Handlungsmonopol bzw. einen Handlungsvorsprung gegenüber der Verteidigung einräumen. Denn nur auf diese Weise läßt sich im Anfangsstadium des Verfahrens das Interesse des Beschuldigten abfangen, eine ihm nachteilige Aufklärungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden um jeden Preis zu stören. 159 Erst recht erscheint die SubjektsteIlung des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß als zweischneidiges Schwert, hängt doch das Festhalten an der inquisitorischen Prozeßstruktur eng mit dem nach deutschen Rechtsverständnis so zentralen materiellen Schuldprinzip zusammen, das die Manipulation der Wahrheit durch allzu einflußreiche Prozeßparteien verbieten SOll.l60 Im reformierten Strafprozeß ist folgerichtig in der Tradition des gemeinen Rechts seit jeher die SubjektsteIlung des Beschuldigten bis zum Abschluß des Ermittlungsverfahrens besonders schwach ausge159 Das gilt auch für die Verfahrensordnungen, die - wie das amerikanische Strafprozeßrecht - kein unparteiliches Vorverfahren kennen, näher Darnaska, ZStW 1978, 828 (832 ff.) oder die im weiteren Prozeßverlauf dem Parteiprinzip folgen, dazu Welp, ZStW 1978,801 (808ff.). 160 Näher Sax, Grundrechte S. 909 (989ff.); Stock, FS-Rittler S. 305 (323 ff.).

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prägt. 161 Erfordert es der Untersuchungszweck, so kann nach geltendem Recht der Stand der Ermittlungen bis zu deren Abschluß durch die Verweigerung des Akteneinsichtsrechts vor der Verteidigung gemäß § 147 11 geheimgehalten werden. Selbst bei der richterlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen im Ermittlungsverfahren, deren Vernehmungsprotokolle unter den Voraussetzungen des § 251 I als Beweismittel in der Hauptverhandlung verwertbar sind, ist der Ausschluß des Beschuldigten von der Anwesenheit nach geltendem Recht gemäß § 168c III möglich, wenn anderenfalls der Untersuchungszweck gefährdet würde. Demgegenüber ist zwar in den §§ 136 I 3, 163 a 11, 166 davon die Rede, daß der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann. Darunter versteht man aber nach gängiger Praxis aber kein förmliches Beweisantragsrecht wie in der Hauptverhandlung, sondern eine Art Anregertätigkeit, deren Nichtbeachtung im weiteren Verfahren folgenlos bleiben SOll.162 Schwieriger steHt sich vom Standpunkt eines reformierten Prozeßverständnisses aus die Ausgestaltung der Verteidigerrechte im Ermittlungsverfahren dar. Macht der Gesetzgeber Ernst damit, die den Beschuldigten bei der Wahrnehmung seiner Subjektstellung hindernden Umstände durch die Einrichtung der formellen Verteidigung ausgleichen zu wollen und zugleich den Charakter eines geheimen Ermittlungsverfahrens vermeiden zu wollen, so hat er jedenfalls den Verteidiger möglichst frühzeitig mit wirksamen Verfahrensrechten auszustatten. So wird in der aktuellen Diskussion zunehmend gefordert, der in der Praxis zunehmenden Bedeutung des Ermittlungsverfahrens gegenüber der Hauptverhandlung de lege ferenda durch den Ausbau der Verfahrensrechte des Verteidigers vor Anklageerhebung über die §§ 147 I, 148 hinaus Rechnung zu tragen. 163 Aber schon nach geltendem Recht darf beispielsweise der Verteidiger von der Anwesenheit bei den eben angesprochenen richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nach den §§ 168c I, III nicht wie der Beschuldigte ausgeschlossen werden. Da der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe aber einseitig den Interessen des Beschuldigten verpflichtet ist, indiziert seine Mitwirkung im Ermittlungsverfahren wiederum die Gefahr der irreparablen Behinderung von unparteilichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Und selbst wenn man die Rechte des Verteidigers im Ermittlungsverfahren einmal ausklammert: 161 So hat der Beschuldigte im amerikanischen Strafprozeß ein Recht auf Zuziehung des Verteidigers bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, dazu Damaska, ZStW 1978,829 (833f.) m. W.N. 162 Vgl. nur ANM S. 335ff.; so hat der Beschuldigte nach allgemeiner Ansicht selbst gegen die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung keine Beschwerdemöglichkeit. Kritisch dazu neuerdings Schlothauer, StV 1995, 161. 163 So etwa Crummenerl, StV 1988,86 (88) m.w.N.

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

Wer könnte garantieren, daß er in der Hauptverhandlung, durch sein Akteneinsichtsrecht bis dahin jedenfalls mit dem Verfahren vertraut und durch den unbewachten Kontakt mit dem Beschuldigten den staatlichen Rechtspflegeorganen an Informationen möglicherweise sogar voraus, nicht auch den Freispruch des Beschuldigten ohne Rücksicht auf die Richtigkeit des Anklagevorwurfs verfolgt? Die Mitwirkung eines mit wirksamen Verfahrensrechten ausgestatteten Verteidigers steht damit immer auch in einem Spannungsverhälnis zu dem Wahrheitsanspruch einer jeden inquisitorisch geprägten Prozeßordnung. Vor diesem Hintergrund hatte man noch in den Vorentwürfen zur Schaffung einer reichseinheitlichen Strafprozeßordnung das Knochengerüst der partikularrechtlichen Prozeßordnungen weitgehend zu übernehmen versucht und den Belangen der Verteidigung praktisch gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens hätten danach der Beschuldigte und sein Verteidiger praktisch überhaupt keine Möglichkeit gehabt, in das Verfahren einzugreifen. Diese Vorschläge konnten wegen der offen auf der Hand liegenden Mängel des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses gerade als Folge der gar nicht oder schwach ausgeprägten Subjektstellung des Beschuldigten letztlich keinen Bestand haben. l64 Ungeachtet der im weiteren Gesetzgebungsverfahren daraufhin vorgenommenen massiven Stärkung der Verteidigerstellung wollte der Gesetzgeber aber nachhaltig sicherstellen, daß dieser sich keinesfalls der gerichtlichen Wahrheitsfindung in den Weg stellen werde. Lediglich gegen die unbegründete Verweisung des Angeklagten zum Hauptverfahren und gegen die unbegründete Verurteilung sollte die Verteidigung den Angeklagten schützen. 165 Keinesfalls dürfe der Verteidiger den wahren Sachverhalt verdunkeln und auf die Ermittlung der gegen den Angeklagten sprechenden Tatsachen hindernd einwirken. 166 Nur vor diesem Hintergrund erkannte der Gesetzgeber den Verteidiger als "künftigen, notwendigen Teilhaber bei der Gestaltung eines auf Gerechtigkeit und Vertrauen Anspruch erhebenden Strafverfahrens" an. 167 Die sich daraus ergebenden erheblichen Anforderungen an die Seriosität des künftigen Verteidigerpersonals standen allerdings im krassem Gegensatz zu dessen damaliger Reputation. Die Rolle des Strafverteidigers war im deutschen Strafprozeß über Jahrhunderte hinweg als etwas Minderwertiges, ja Schimpfliches betrachtet worden. Schon zu Zeiten des mittelalterlichen Parteien prozesses war das einstige Ehrenamt des Fürsprechs mit der zunehmenden Kommerzialisierung dieser Tätigkeit in den Ruf eines unlauteren 164 165

166 167

I. Müller, Verteidigung S. 69 f. m. w. N.; Wohlers, Staatsanwaltschaft S. 185 ff. Hahn, Materialien, S. 142f. Hahn, Materialien, S. 142f. Hahn, Materialien, S. 1555 (Bericht der Kommission).

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Gewerbes geraten. Man hatte schließlich den Fürsprech als "feiler Mann, so der Lüte Wort spricht" gemeinhin derjenigen zugerechnet, denen die Ehre, einen eigenen Stand zu bilden, abgesprochen wurde, nämlich in die Kategorie der Pfeifer, Lautenschläger, Kesselflicker und Schweinschneider. 168 Die Aufgabe des Parteiprinzips im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß hatte das Verteidigeramt dann endgültig als Element von Bedeutung aus der ordentlichen Rechtspflege entfernt. Wenn die Mitwirkung eines Verteidigers in den gemeinrechtlichen Prozeßordnungen überhaupt vorgesehen war, so hatte diese sich im Lauf der partikularrechtlichen Entwicklung, insbesondere seit dem sechzehnten Jahrhundert, im wesentlichen darauf beschränkt, nach Abschluß der inquisitorischen Untersuchung auf der Grundlage der Untersuchungsakte eine Verteidigungsschrift an das Gericht zu verfassen. Wenn diese nicht, wie in der Regel, von einer Flüchtigkeit und Unlust geprägt gewesen war, die ihrer verfahrensrechtlichen Bedeutungslosigkeit entsprach, so hatten die Verteidiger sich häufig unredlicher Mittel (der sprichwörtlichen Advokatenschalkheit) bedient, um das von der Untersuchungsakte im Grunde vorgegebenen Ergebnis doch noch im Sinne des Beschuldigten zu beeinflussen. 169 Daß sich vor diesem Hintergrund "das miserable Prozeßrecht in einer miserablen Advokatur,,170 offenbart hatte und nicht umgekehrt, änderte nichts an dem Mißtrauen, das der Einrichtung der formellen Verteidigung als selbständiges Prozeßinstitut im Gesetzgebungsverfahren zum Teil entgegenschlug. Das betrifft insbesondere die Mitwirkung des Verteidigers vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens. Man befürchtete den Mißbrauch des Akteneinsichtsrechts sowie des Rechts auf unbewachten Verkehr mit dem Beschuldigten durch die Verteidiger. Gerade das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers gefährde seine Integrität. Er werde verführt, die ihm obliegende Pflicht der Mitwirkung an der Verwirklichung des Rechts zugunsten seiner Pflicht als Verteidiger zu verletzen, indem er beispielsweise den Beschuldigten vor einer bevorstehenden Hausdurchsuchung warne. 171

168 Zum Ganzen Vargha, Verteidigung S. 168 ff. Das dort [So 170, Fn. I] zitierte Beispiel eines Magdeburger Schöffen spruchs aus dem 15. Jahrhundert, der den Ausschluß eines selbst mit peinlicher Strafe belegten Dresdner Fürsprechs aus dem Kreis seiner Genossen bestätigt hatte, war offenbar ein für das Selbstverständnis der Fürsprecher dieser Zeit ungewöhnlicher Fall des Festhaltens an der Standesehre. 169 Näher Vargha, Vertheidigung S. 201 ff. 170 Vargha, Vertheidigung S. 852. 171 Hahn, Materialien S. 967f. (Stellungnahmen der Abg. Miquel, Völk, v. Amsberg).

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

11. Freie Advokatur und freie Verteidigung

Angesichts des Spannungsfeldes zwischen der einseitigen Beistandsfunktion des Verteidigers zugunsten des Beschuldigten in einem inquisitorisch geprägten Verfahren, dem daraus resultierenden hohen gesetzgeberischen Anspruch an die Integrität des Verteidigers und dessen traditionell niedrigem Ansehen drängte sich der Rückgriff auf ein noch zu schaffendes anwaltliches Standesrecht als Garant eines seriösen Verteidigungspersonals für den Gesetzgeber geradezu auf. Das gilt um so mehr, als die Entwicklung zu einem liberaleren Strafprozeß mit der zunehmenden Konstituierung einer freien, staatsunabhängigen Advokatur einherging. Der strafprozessuale Gesetzgeber traf daher auf eine selbstbewußte Anwaltschaft, deren Selbstverständnis von einem aufstrebenden bürgerlichen Liberalismus bestimmt war, wie er spätestens seit der Revolution von 1848, in Gang gesetzt allerdings schon vorher unter dem Einfluß des französischen Rechts, die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland prägte. 172 Zwar war bis zum Erlaß der Reichsjustizgesetze die Anwaltschaft in einigen Ländern immer noch der Staatshierarchie eingegliedert gewesen (z. B. in Preußen als verbeamteter lustizkommissar, im Rheinland und Hannover als verbeamteter und von der Regierung ernannter Parteivertreter). 173 Erst die Rechtsanwaltsordnung (RAO 1878) trug reichseinheitlich der anwaltlichen Forderung nach Freiheit der Advokatur von staatlicher Bevormundung Rechnung. 174 Aber schon in der Vormärzzeit, insbesondere seit der Revolution von 1848, hatte das Bestreben nach anwaltlicher Selbstverwaltung zur breitflächigen Selbstorganisation der RechtsanwaltschaJt, vor allem durch Gründung von Anwaltsvereinigungen und öffentlichen Anwaltskammern geführt. Diese hatten in den meisten deutschen Staaten in kurzer Zeit eine liberale Reform des Anwaltsrechts durchsetzen können. l7S Ungeachtet der allseits anerkannten Bedeutung einer freier Advokatur als Grundvoraussetzung für ein rechtsstaatliches Prozeßrecht,176 konnte sich im Gesetzgebungsverfahren nur vor dem Hintergrund der bevorstehenden reichseinheitlichen Regelung des anwaltlichen Standesrechts als Garant eines seriösen Verteidigerpersonals gegen erheblichen Widerstand letztlich 112 Näher Schneider, Rechtsanwalt S. 37 f.; Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 130 m. w.N. 173 Dazu Armbruster, Entwicklung der Verteidigung S. 131; Redeker, NJW 1987, 2610 m. w. N.; LR-Lüderssen Vor § 137 Rn. 5. 174 Rechtsanwaltsordnung (RAO) v. 1. Juli 1878, RGBI. Nr. 23. 17S Näher Schubert, Entstehung und Quellen der RAO S. 7ff. 176 Armbruster, Entwicklung der Verteidigung S. 127f m.w.N. Von entscheidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Schrift von v. Gneist, "Freie Advokatur - die erste Forderung aller Justizreform in Preußen" (1867), vgI. dazu näher Armbruster a. a. O.

C. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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die Ansicht durchsetzen, dem Verteidiger möglichst weitreichende Verfahrensrechte schon vor der Hauptverhandlung zuzugestehen. 177 Dafür wurde sogar in Kauf genommen, daß zu dieser Zeit die Zahl der freien Advokaten im Reichsgebiet noch zu gering war, um den zu erwartenden Bedarf an Strafverteidigern auf Anhieb zu decken. 178 Auf das gesetzgeberische Bestreben, mit dem anwaltlichen Standesrecht einen durch seine Staatsnähe seriösen Teilhaber an staatlicher Rechtspflege zu schaffen, sind nicht nur der strafrechtliche Schutz der Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" durch § 132a I Nr. 2 StGB, sondern auch die teilweise an das Beamtenrecht angelehnten Regelungen zurückzuführen, wie sie das anwaltliche Standesrecht bis heute prägen. Genannt seien nur das Erfordernis der. Zulassung durch die Landesjustizverwaltung (§§ 6ff. BRAO), die Vereidigung (§ 26 BRAO), die Normierung einer Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung (§ 43 BRAO) sowie die Unterwerfung unter die anwaltliehe Ehrengerichtsbarkeit (§§ 113 ff. BRAO).179 Das Bundesverfassungsgericht hat den Anwaltsberuf sogar als staatlich gebundenen Vertrauens beruf charakterisiert, der den Rechtsanwalt in amtsähnlicher Stellung zur Wahrung von Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichte. 180 Aus der Konzeption des Gesetzgebers, nämlich der Etablierung eines standesrechtlich gebundenen Prozeßsubjektsgehilfen des Beschuldigten, resultiert eine rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers: Er ist zum einen Beistand des Beschuldigten (§ 137 I 1). Als solcher dient er der Verwirklichung eines gerechten Verfahrens und eines wahren Urteils durch die einseitige Tätigkeit im Interesse des Beschuldigten. Zugleich ist er über die EinbruchsteIle des § 138 I an die Verhaltensanforderungen gebunden, die das anwaltliche Standesrecht dem Rechtsanwalt setzt.

c.

Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

Aus der DoppelsteIlung des Verteidigers und der daraus erwachsenden Bedeutung des anwaltlichen Standesrechts erklärt sich, daß die strafprozessuale Regelung der formellen Verteidigung sich im wesentlichen darauf beschränkte, in den §§ 137, 147, 148 die Funktion des Verteidigers als Bei177 Vgl. Hahn, Materialien S. 142, den Bericht der Kommission nach der ersten Lesung, a. a. O. S. 1555 f. sowie die letztlich entscheidenden Stellungnahmen v. Schwarze, Ackermann, v. Beyerle in der zweiten Lesung, a.a.O. S. 1840ff. 178 Anders allerdings in Sachsen, "wo unglücklicherweise freie Advokatur bestehe, an Advokaten kein Mangel sei, und gerade die hervorragendsten sich sehr viel mit Vertheidigungen beschäftigen.", Hahn, Materialien a. a. O. S. 953 (Abg. v. Schwarze). Dazu Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung S. 88f. 179 Zum Ganzen Hanack, Mandatsverhältnis S. lOf. ISO BVerfGE 38, 105 (119).

1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

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stand des Beschuldigten sowie das freie Kontaktrecht und das Akteneinsichtsrecht als wichtigste Eckpfeiler der Refonn des gemeinrechtlichen Prozeßrechts zu regeln. Ausgeklammert wurde vom strafprozessualen Gesetzgeber dagegen die Bestimmung der Grenzen des strafprozessual erlaubten Verteidigerverhaltens. Diese Zurückhaltung ist bis heute im Grundsatz erhalten geblieben. Insbesondere kennt das deutsche Prozeßrecht nicht das aus den anglo-amerikanischen Prozeßordnungen bekannte contempt-ofcourt-Verfahren, also die unverzügliche Ahndung der Prozeßsabotage des Verteidigers durch dessen Unterwerfung unter die Strafgewalt des Gerichts. 181 So konnten sich selbst vor dem Hintergrund der spannungsreichen RAF-Prozesse in den Siebziger Jahren die Befürworter einer generalklauselartigen Regelung des Verteidigerausschlusses "aufgrund der Gefährdung der geordneten Durchführung der Hauptverhandlung mit rechtswidrigen Mitteln" nicht durchsetzen. 182 Daß die Regelung einer so konfliktbeladenen Problematik wie die Ausschließung des Verteidigers, immerhin schon im Jahre 1891 vom Reichsgericht angemahnt,183 überhaupt bis in die Siebziger Jahre aufgeschoben wurde, und auch dann erst auf Druck des Bundesverfassungsgerichts in dem bekannten Schily-Beschluß erfolgte,184 unterstreicht die Zurückhaltung des Gesetzgebers, den Grenzen des erlaubten Verteidigerverhaltens strafprozessuale Konturen zu verleihen. Immerhin handelt es sich um eine Frage, die bis zur Einführung der §§ 138 a ff. die Gerichte in regelmäßigen Abständen über Jahrzehnte hinweg immer wieder in aufsehenerregender Weise beschäftigt hatte. 185 Verließ sich der strafprozessuale Gesetzgeber auf die Garantie eines seriösen Verteidigungspersonals durch das anwaltliche Standesrecht, so unterließ es in der Folge allerdings auch der standesrechtliche Gesetzgeber, abweichend von einer Vielzahl vorhergehender partikularrechtlicher Anwaltsordnungen, die Pflichten des Rechtsanwalts im Prozeß, geschweige denn die Grenzen erlaubten Prozeßverhaltens detailliert zu nonnieren. Der Grund für diese Enthaltsamkeit ist wohl darin zu sehen, daß man im Interesse des schnellen Zustandekommens einer reichseinheitlichen Regelung angesichts der unterschiedlichen Entwicklung des Anwaltsrechts in den verschiedenen Partikularstaaten Einzeldiskussionen nach Möglichkeit venneiden wollte. Lediglich § 31 RAO enthielt eine generalklauselartige Bestimmung, wonach die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts nicht für eine pflichtwidrige Handlung in Anspruch genommen werden durfte. 186 Einen 181 182 183 184

185 186

Dazu Beulke, Verteidiger S. 100f., 220ff. m. w. N. Näher Kempf, StV 1996, 507 (511); Jahns, ZRP 1998, 103 (106f.). RG GA 1891,312 (313). BVerfGE 34, 293 (306f.). Dazu näher im Zweiten Teil der Untersuchung B IV. Näher Schubert, Entstehung und Quellen der RAO S. 68 f., 72 ff.

C. Die Doppelstellung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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besonderen Ausdruck für die im Strafprozeß einzuhaltende Grenze der Verteidigung hinzuzufügen, erschien dem Gesetzgeber ganz entbehrlich. Der zugeordnete Verteidiger könne jedenfalls nicht die Übernahme der Verteidigung wegen der Schuld des Angeklagten ablehnen. 187 So kam es nicht einmal zur positiven Umschreibung der Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege, obwohl seine Charakterisierung als "Organ der Gerechtigkeitspflege" bzw. als "Factor der Rechtspflege" schon im Schrifttum der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts verbreitet war,188 und in der Bezeichnung als "Organ der Rechtspflege" sowohl in der Anwaltschaft selbst l89 wie auch in der Rechtsprechung des Ehrengerichtshofs am Reichsgericht l90 ihren nahtlosen Fortgang fand. Auch in der Folgezeit änderte sich an dieser Gesetzgebungstechnik im anwaltlichen Standesrecht strukturell nicht viel,191 sieht man von der Verankerung der Organstellung des Rechtsanwalts in § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959 (BRAO)192 ab. Zu den daraus erwachsenden Pflichten im Einzelnen beschränkte sich aber auch die BRAO im wesentlichen auf die Generalklausel des § 43 BRAO, der den Rechtsanwalt zur gewissenhaften Berufsausübung verpflichtete. Im übrigen hatte nach § 177 II Nr. 2 die Bundesrechtsanwaltskammer die allgemeine Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs in Richtlinien festzustellen. Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1987 dem Gesetzgeber aufgab, die den Beruf des Rechtsanwalts prägenden beruflichen Pflichten selbst zu regeln,193 sind die §§ 43 aff. BRAO an die Stelle dieser Richtlinien für Rechtsanwälte zu § 43 BRAO (RiLiRA) getreten. 194 Diese neuen Regelungen betreffen aber nicht spezifisch die rechtsanwaltliche Tätigkeit als Verteidiger im Strafprozeß. Gerade vor dem Hintergrund der inquisitorischen Grundstruktur des reformierten Strafprozesses führt der Befund lückenhafter gesetzlicher Wertungsmaßstäbe zu Rechtsunsicherheiten in zentralen Bereichen des VerteidigerhandeIns, so etwa im Grenzbereich zwischen Strafverteidigung und Strafvereitelung. Das zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit der sogenannten Wahrheitspflicht des Verteidigers, nach Beulke immerhin ein "essential der Strajverteidigung".195 Dieser Sammelbegriff ist allerdings Schubert, Entstehung und Quellen der RAO S. 68f. Näher Schneider, Rechtsanwalt, Organ der Rechtspflege S. 63 m. w.N.; Vargha, Vertheidigung S. 856f. 189 Eingehend Fuld, JW 1892,53 (54). 190 Übersicht bei Knapp, Verteidiger als Organ der Rechtspflege? S. 34ff. 191 Vgl. Schubert, Entstehung und Quellen der RAO S. 76. 192 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) v. I. August 1959, BGBI. S. 565. 193 BVerfGE 76,171 (I 84 ff.). 194 "Gesetz zur Neurege1ung des Berufsrechts von Rechtsanwälten und Notaren" v. 2.9.1994, BGBI. I S. 2278. 195 Beulke, Strafprozeßrecht S. 67. 187 188

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mißverständlich, denn standesrechtlich trifft den Rechtsanwalt gerade keine Wahrheitspflicht. Im Gegenteil hat der Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten eine umfassende Schweigepflicht, die in § 43 a II BRAO nunmehr sogar ausdrücklich normiert ist. Aber der Rechtsanwalt soll aus standesrechtlicher Sicht aufgrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege einem Lügeverbot unterliegen. Weil aber eine gesetzliche Regelung dieses standesrechtlichen Lügeverbots seit jeher fehlt, ist seine Aussagekraft und Tragweite völlig unbestimmt. 196 Der Versuch der Präzisierung des Lügeverbots in § 68 I 2 RiLiRA, wonach der Rechtsanwalt als Verteidiger keine Beweismittel verwenden durfte, die die Wahrheit verfälschten, ohnehin schon vor der Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts als zu schwammig kritisiert,197 ist in den §§ 43 aff. BRAO nicht weiterverfolgt worden. Auch in der neuen Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA)198 hat sich das anwaltliche Lügeverbot letztlich nicht niedergeschlagen. 199 Diese Situation führt schon in elementaren Fällen zu Abstimmungsproblemen zwischen den standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts mit der prozessualen Aufgabe des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten, beispielsweise wenn er diesem im Prozeß mit dem Rat beisteht, mit falschen Schutzbehauptungen einen Freispruch von dem Anklagevorwurf zu erlangen. 2OO Ähnliche Problem ergeben sich im Zusammenhang mit der Bindung des Verteidigers an Weisungen des Beschuldigten. Die Verquickung von Prozeßrecht und Standesrecht als gesetzlicher Rahmen für den Verteidiger im Strafprozeß nach geltendem Recht erscheint nach alledem schon auf den ersten Blick als ein schwer auflösbares Spannungsfeld. Nachdem die lückenhafte Abstimmung zwischen Strafprozeßrecht und anwaltlichem Standesrecht schon seit jeher geharnischter Kritik ausgesetzt gewesen war,201 trat dieser Mißstand im Zusammenhang mit den RAF-Prozessen der Siebziger Jahre deutlich zutage, als den Verteidigern auf breiter 196 Übersicht über die zahlreichen Fallgruppen Bottke, ZStW 96 (1984) 726 (731 ff.); Otto, Jura 1987, 329ff. Näher dazu im Zweiten Teil der Untersuchung A IV 3. 197 Näher Hanack, Mandatsverhältnis S. 15 (n'" schlichte, so ganz falsche und gefährliche Formulierung ... "). 198 Berufsordnung für Rechtsanwälte v. 29.11.1996, beschlossen aufgrund der Satzungsversammlung gemäß § 191 d III BRAO. 199 Die in der Satzungsversammlung vorgeschlagene Regelung, der Rechtsanwalt dürfe nicht bewußt Unwahrheiten vortragen, konnte sich nicht durchsetzen, weil die Mehrheit der Delegierten eine solche SeJbstbeschränkung der Rechtsanwälte im Vergleich mit den berufsrechtlichen Verhältnissen der Richterschaft für nicht angemessen hielt, vgl. Hartung/Holl, BORA Vor § 4, 68 ff. 200 Nach BVerfGE 76, 171 und der anschließenden Aufhebung von § 68 I 2 RiLiRA erscheint es schon aus standesrechtlicher Sicht fraglich, ob eine solcher Eingriff in die Rechte des Verteidigers auf § 1 BRAO gestützt werden darf. 201 Vgl. nur Wach, FS-Binding I (25ff.); Güde, AnwBI 1961,3.

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Front Rechtsmißbrauch in spektakulärster Form vorgeworfen wurde.2°2 Erst recht unter dem Eindruck einer traditionell restriktiven Handhabung des anwaltlichen Standesrechts gegenüber dem Verteidiger203 verwundert es nicht, daß in der Folgezeit systematisch versucht worden ist, die Rechtsstellung des Verteidigers im Strafprozeß vom anwaltlichen Standesrecht zu lösen, um dadurch dessen Rechte und Pflichten klarer konturieren zu können. Vorreiterfunktion hat insoweit der "Altemativentwurf Verteidigung" (AE) durch den Arbeitskreis Strafprozeßreform aus dem Jahre 1979, wonach Konsequenzen aus dem anwaltlichen Standesrecht für Aufgaben und Stellung des Verteidigers im Strafprozeß nicht gezogen werden dürfen. Dessen prozessuale Stellung wird als die eines unabhängigen Vertrauensmannes und Interessenvertreters des Beschuldigten skizziert. Einen anderen Weg hat in seiner Göttinger Habilitationsschrift Beulke verfolgt, der die OrgansteIlung des Verteidigers nicht im anwaltlichen Standesrecht, aber in den strafprozessualen Wertungsmaßstäben verankert sieht. Dazu entgegengesetzt geht Lüderssen von einem Vertragsprinzip aus, das die prozessuale Stellung des Verteidigers ausschließlich nach Maßgabe des privatrechtlichen Mandatsverhältnisses mit dem Beschuldigten bestimmt. Allen diesen Konzeptionen wohnt gemeinsam inne, die DoppelsteIlung des Verteidigers aufzulösen und die daraus folgenden Problemstellungen auf eine andere rechtliche Ebene zu verschieben. Im Folgenden wird deshalb ihre Vereinbarkeit mit geltendem Recht untersucht. I. Der Alternativentwurf Verteidigung

Der Arbeitskreis Strafprozeßreform verfolgt das Anliegen, mit dem AE einen Gesetzentwurf zur Verteidigung vorzustellen, der in das bestehende System der Strafprozeßordnung nahtlos eingefügt werden könne. Dies sei notwendig, weil im Recht der Verteidigung Mängel im besonderen Maße bestünden. 204 Man geht davon aus, das geltende Strafprozeßrecht kenne keine Vorschrift, die Aufgabe und Stellung des Verteidigers allgemein umschreibe. Aus der Gesamtheit der Regelungen über Rechte und Pflichten des Verteidigers ergebe sich keine einheitliche Konzeption. Auch die Vorschriften des anwaltlichen Standesrecht böten dafür keine Grundlage. Erstens sei nicht jeder Verteidiger ein Rechtsanwalt. Zweitens folge das anwaltliche Standesrecht dem Prozeßrecht, und nicht umgekehrt. 2os Die prozessuale Stellung des Verteidigers im reformierten Strafprozeß beschreibt der Arbeitskreis Strafprozeß, insoweit in Anlehnung an eine von 202 203 204 205

Näher dazu im Zweiten Teil der Untersuchung B IV 2. Näher dazu im Zweiten Teil der Untersuchung B 11 sowie C III. Gcünwald, AnwBI 1980, 5. Arbeitskreis Strafprozeßreform. § I AE I.

1. Teil: Die rechtliche DoppeJstellung des Verteidigers

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Welp vorgezeichnete Konzeption,206 als die eines Interessenvertreters des Beschuldigten, der sich auf dessen Vertrauen stütze, aber nach § 1 11 AE zugleich unabhängig sei.

1. Unklare prozessuale Konzeption Analysiert man die dem Verteidiger zugeschriebenen Aufgaben im Einzelnen, so ist dem Arbeitskreis Strafprozeßreform zunächst grundsätzlich zuzustimmen, wenn der Verteidiger in § 1 1 1 AE als Interessen vertreter des Beschuldigten bezeichnet wird. Denn er fungiert als dessen Prozeßsubjektsgehilfe. 207 Gleiches gilt für das Postulat des § 1 I 2 AE, der Verteidiger stütze sich auf das Vertrauen des Beschuldigten. Das versteht sich für den Wahlverteidiger von selbst; sonst würde ihn der Beschuldigte nicht beauftragen. Aber auch bei der Auswahl des Pflichtverteidigers hat der Vorsitzende, wie das Bundesverfassungsgericht schon im Jahre 1958 klargestellt hat, den Wünschen des Angeklagten möglichst Rechnung zu tragen, wenn dieser auch keinen Anspruch auf die Verpflichtung eines von ihm benannten Verteidiger habe. 208 Dementsprechend bestimmt § 142 I, wenn auch erst in seiner im Jahre 1987 geänderten Fassung,209 der vom Beschuldigten benannte Verteidiger sei zu bestellen, wenn keine wichtigen Gründe entgegenstehen. Der AE enthält darüber keine Bestimmung. Vielmehr soll danach dem Beschuldigten, wenn er entgegen der Aufforderung des Gerichts nach Ablauf der entsprechenden Fristen ohne Verteidiger ist (§ 7 I AE), ein Rechtsanwalt bestellt werden (§ 7 11 AE). In umfangreichen Verfahren nach § 16 11 2 AE soll das Gericht sogar in jedem Fall Ersatzverteidiger zu bestellen haben. Das Vertrauen fehle dann zunächst, könne sich aber in der Folgezeit entwickeln?10 An dieser Stelle verstrickt sich der Arbeitskreis Strafprozeßreform in elementare Widersprüche mit dem zusätzlichen Postulat der Unabhängigkeit des Verteidigers nach § 1 II AE. Stellt das Vertrauen im Verteidigungsinnenverhältnis eine maßgebliche Voraussetzung für die Wahrnehmung von Beschuldigteninteressen dar,211 gewährleistet der AE die Vertrauensstellung des Pflichtverteidigers aber nicht und betont zugleich dessen Unabhängigkeit bei fehlendem Vertrauen,212 so bleibt jedenfalls für diese Fälle unklar, welche Interessen letztlich maßgebWelp, ZStW 1978, 804 ff. Ebenso BRAK, Stellungnahme § I, 2 a. 208 BVerfGE 9, 36 (38). Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung A III 2. 209 Strafverfahrensänderungsgesetz (StV ÄG) v. 27.1.1987, BGBI. S. 475; dazu BGH NStZ 1992, 292. 210 Arbeitskreis Strafprozeßreform, AE § I, 11 3. 211 Arbeitskreis Strafprozeßreform, AE § I, 11 3. 212 Arbeitskreis Strafprozeßreform, AE § I, 11 3. 206

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C. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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lich sein sollen: die vom Verteidiger oder die vom Beschuldigten definierten Interessen?213 Das gilt um so mehr, als die vom Arbeitskreis Strafprozeßreform pauschal postulierte Unabhängigkeit des Verteidigers von Weisungen des Beschuldigten Wertungs maßstäbe des geltenden Rechts mißachtet. Man denke nur an § 297. 214 Angesichts solcher Unklarheiten in der Grundkonzeption verwundert es nicht, wenn der Arbeitskreis Strafprozeßreform auch zu keinen präzisen Ergebnissen in Einzelfragen kommt. Greift der AE solche auf, so handelt es sich entweder um die Wiedergabe von Selbstverständlichkeiten wie das in § 10 AE niedergelegte eigene Ermittlungsrecht des Verteidigers 215 oder um Halbheiten. So soll der Verteidiger nach § 11 1 2 AE berechtigt sein, seine Akteneinsicht dem Beschuldigten zu vermitteln, weil er nicht verpflichtet sei, diesem Informationen vorzuenthalten. 216 Fungiert der Verteidiger aber als Interessenvertreter des Beschuldigten, so kann man an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Vielmehr stellt sich dann die eigentlich interessante Frage, ob er zur Weitergabe von Informationen an den Beschuldigten nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. Im Vergleich zum geltenden Recht, dem der Arbeitskreis Strafprozeßreform jede sachliche Festlegung abspricht,217 ist damit nichts gewonnen. Schließlich kann man die Stellung des Verteidigers kaum klarer beschreiben, als dies in § 137 I 1 geschehen ist: nämlich als die eines Beistands des Beschuldigten. Erst recht vor dem Hintergrund seiner daraus abgeleiteten Aufgabe als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten dürfen die daraus erwachsenden Verfahrensrechte des Verteidigers als im wesentlichen geklärt gelten: Nämlich erstens die Beratung des Beschuldigten betreffend dessen prozessuale Stellung, die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten und die Abstimmung der Verteidigungsstrategie, zweitens die Sachverhaltsaufklärung mittels Befragung des Beschuldigten, Akteneinsichtnahme, Mitwirkung an der Beweisaufnahme wie etwa Befragung von Zeugen und Sachverständigen, Einführung eigener Beweismittel sowie ggf. der Aufnahme eigener Ermittlungen, drittens die Abgabe von sonstigen Anträgen und Erklärungen gegenüber den staatlichen Rechtspflegeorganen, viertens die Vertretung des Beschuldigten in den gesetzlich bestimmten Fällen und schließlich das Bemühen um die Beilegung des Strafverfahrens in Form der Verständigung außerhalb oder innerhalb der Hauptverhandlung mit Gericht bzw. Staatsanwaltschaft (z. B. durch Verfahrenseinstellung nach den Näher Hanack, ZStW 1981,559 (562ff.); BRAK, Stellungnahme § 1 2 a. BRAK, Stellungnahme § I, 2 c. 215 Dazu schon Eberrnayer, DJZ 1927, 134 (137). Ausführlich Jungfer, StV 1981, lOOff. 216 Arbeitskreis Strafprozeßreforrn, § 11 AE 11 l.b. 217 Arbeitskreis Strafprozeßreforrn, AE § 1 I. 213 214

1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

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§§ 153ff.).2 18 Systematisiert man die verschiedenen strafprozessualen Aspekte des Verteidigerhandeins, so nimmt dieser als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten Beratungs-, Fürsprech-, Entlastungs- und Schutzfunktionen wahr. 219

2. Zur Geltung des anwaltlichen Standes rechts Führen die in § 1 AE formulierten Grundsätze nicht weiter als das geltende Recht, sondern verunklaren die schon vorhandenen Spannungsfelder noch zusätzlich, so kann andererseits von dem beziehungslosen Nebeneinander von Standesrecht und Strafprozeßrecht oder gar einem Ausschluß des anwaltlichen Standesrechts durch die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe, wie es der Vorstellung des Arbeitskreis Strafprozeßreform zugrunde liegt, nicht ohne weiteres die Rede sein. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang schon die Überlegung, die Regelung eines reichseinheitlichen Standesrechts für Rechtsanwälte sowie die Bezeichnung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sei der Schaffung der RStPO 1877 zeitlich nachgefolgt, und könne schon deshalb keine Bedeutung für die Rechtsstellung des Verteidigers haben.2 2o Das wird dem bereits skizzierten historischen Kontext nicht gerecht. Aber auch die Zulassung von Hochschullehrern als Verteidiger nach § 138 I 2. Alt. steht zur Garantiefunktion des anwaltlichen Standesrecht für ein seriöses Verteidigungspersonal nur scheinbar in Widerspruch. 221 Schon der Existenz dieser Regelung, in ähnlicher Form auch schon in verschiedenen Partikularprozeßordnungen enthalten, liegt allein der bereits angesprochene Advokatenmangel in dieser Zeit zugrunde. 222 Nachdem dieses Problem heute nicht mehr besteht, fällt die praktische Bedeutung im Vergleich zur Rechtsanwaltsverteidigung entsprechend gering aus.2 23 Darüber hinaus garantiert in solchen Fällen die Bindung der Hochschullehrer an das Disziplinarrecht der Beamten, dem die entsprechenden Regelungen des anwaltlichen Standesrechts nachempfunden sind, dem Gesetzgeber die Verteidigerseriosität. 224 Im übrigen ist die Regelung des Genauere Verästelung bei Barton, Mindeststandards S. 324 ff. Zum Ganzen Beulke, Verteidiger S. 41 ff.; AK-Stem, Vor § 137, 12. 220 Arbeitskreis Strafprozeßreform § 1 AE III 2; genauso LR-Lüderssen Vor § 137,77. 221 So aber Arbeitskreis Strafprozeßreform § I AE I. Genauso Beulke, Verteidiger S. 102.; genauso Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 42f. sowie Krekeler, NStZ 1989, 146 (147). 222 Hahn/Mugdan, Materialien S. 143, 952ff. 223 So hat eine repräsentative Umfrage von Schröter unter deutschen Strafrechtslehrern ergeben, daß selbst in dieser Gruppe überhaupt nur 38,8 % der Befragten schon Mandate nach § 138 I 2. Alt. übernommen hatten, und aus dieser Gruppe in den 5 Jahren vor der Befragung 30,8% gar nicht, sowie 42,3% nicht mehr als 5x tätig gewesen waren, näher Schröter, Hochschullehrer als Verteidiger S. 12ff. 218

219

c.

Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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§ 138 I 2. Alt. von dem Gedanken beherrscht, das anwaltliche Standesrecht werde die freiwillig übernommene Richtschnur des Verteidigerhandelns sein; das scheint unter Hochschullehrern auch anerkannt zu sein. 225 Bei den "anderen Personen" nach § 138 11, stellt sich das Problem erst recht nicht. Denn diese bedürfen einer Einzelzulassung durch das Tatgericht. In diesem Rahmen hat das Gericht die Sachkunde und Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers mit dem anwaltlichen Standesrecht als Richtschnur zu prüfen, um zu verhindern, "daß die Verteidigung in die Hände unwürdiger und untauglicher Personen gerät.,,226 Folgerichtig kann das Gericht die Zulassung als Verteidiger im Gegensatz zu den Fällen des § 138 I wieder im Prozeß zurücknehmen. 227 Wenn der Gesetzgeber im übrigen selbst ausländische Rechtsanwälte nur nach gerichtlicher Einzelzulassung als Verteidiger zuließ,228 und bis heute ungeachtet fortschreitenden europäischen Rechts daran festgehalten hat, daß ein ausländischer Rechtsanwalt in Fällen notwendiger Verteidigung nur im Einvernehmen mit einem deutschen Rechtsanwalt die Verteidigung führen darf,229 so verdeutlicht dies besonders eindringlich die Bedeutung des anwaltlichen Standesrechts für den Verteidiger im Strafprozeß.

Vor allem aber bestehen untrennbare Wechsel wirkungen zwischen den berufsrechtlichen Pflichten, die das anwaltliche Standesrecht dem Rechtsanwalt auferlegt, und der Stellung des Verteidigers im Strafprozeß, solange aus dem anwaltlichen Standesrecht Pflichten hergeleitet werden, die die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Verteidiger im Strafprozeß betreffen. Die von Beulke in diesem Zusammenhang angeführte sog. unwahre Prozeßrüge 230 verdeutlicht, zu welch unhaltbarem Ergebnis die Vorstellung eines möglichen Auseinanderfallens prozessualer und standesrechtlicher Wertungen dann führt. Es geht dabei darum, daß der Verteidiger eine in Wirklichkeit gar nicht geschehene, aber durch das Sitzungsprotokoll dokumentierte Verletzung wesentlicher Förmlichkeiten unter Ausnutzung der formellen Beweiskraft des § 274, 1 in seiner Revisionsbegründung zum Gegenstand einer Verfahrensrüge macht. Dagegen ist gemäß § 274, 2 nur der Nachweis der Protokollfalschung möglich. Der prozeßrechtliche Hintergrund dieser 224 Dazu Hanack, Mandatsverhältnis S. 11; Schröter, Hochschullehrer als Verteidiger S. 151 ff.; 159ff. Anders ist es etwa beim Emeritus. Aus derartigen AusnahmeflilIen können aber, was keiner Erläuterung bedarf, keine allgemeinen Folgerungen gezogen werden. 225 Hanack, Mandatsverhältnis S. 11; Schröter, Hochschullehrer als Verteidiger S. 11. Genauso BGHZ 34, 65 (68) für den Rechtsbeistand. 226 Eb. Schmidt, LK II § 138, 10. 227 Vgl. Kl./Meyer-Goßner § 138, 17 m.w.N. 228 Hahn, Materialien S. 952 ff. 229 Näher KK-Laufhütte, § 138, 13 m. w. N. 230 Beulke, Verteidiger S. 102.

1. Teil: Die rechtliche Doppelstellung des Verteidigers

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Vorschrift besteht darin, den eigentlichen Inhalt der Revisionsinstanz, nämlich die Nachprüfung tatrichterlicher Rechtsanwendung, von der Beweiserhebung und Verhandlung über die Richtigkeit prozeßrechtlicher Tatsachen freizustellen, und dazu eine zuverlässige, weil unmittelbar dokumentierte Erkenntnisgrundlage über die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten in der Hauptverhandlung zu schaffen?3l Aus diesem Grund entspricht die prozessuale Zu lässigkeit der unwahren Prozeßrüge ständiger Rechtsprechung und einhelliger Literaturmeinung. 232 In standesrechtlicher Hinsicht ist allerdings von gewichtigen Stimmen vertreten worden, das standesrechtliche Lügeverbot erfasse auch den Fall der unwahren Prozeßrüge. Der Verteidiger müsse trotz der prozessualen Zulässif:keit der unwahren Prozeßrüge vor Gericht immer die Wahrheit sagen,2 3 oder wenigstens dann, wenn er von der Gerechtigkeit des Urteils überzeugt sei. 234 Der Bundesgerichtshof hat die standesrechtliche Bewertung der unwahren Prozeßrüge zwar offengelassen, aber als verfahrensrechtliche Voraussetzung verlangt, der Verteidiger müsse vor seinem Gewissen und nach außen hin die Verantwortung für die Erhebung einer Verfahrensrüge übernehmen, indem er den Verfahrensfehler ernstlich behaupte und nicht nur auf das Hauptverhandlungsprotokoll verweise. Anderenfalls handele es sich um eine bloße Protokollrüge, die den Formerfordernissen des § 344 11 2 nicht entspreche. 235 Nun kann man schon darüber streiten, ob dieser Kunstgriff, der erst die Verbindung zwischen unwahrer Prozeßrüge und standesrechtlichem Lügeverbot herstellt, in Einklang mit § 274 und dessen spezifisch revisionsrechtlicher Bedeutung steht. Denn wie die höchstrichterliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Verbot der nachträglichen Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls zuungunsten des Revisionsführers klargestellt hat, dient dessen formelle Beweiskraft aus den eben aufgeführten Gründen gerade dazu, die Überlegung auszuklammern, das Revisionsgericht entscheide möglicherweise aufgrund eines unrichtigen Sachverhalts. 236 Die formelle Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokoll bezweckt vielmehr, " ... einen Sachverhalt zu schaffen, der kraft gesetzlicher Vorschrift als Tatsache zu behandeln ist ohne Rücksicht darauf, wie der wirkliche Sachverhalt liegen mag und ob etwa durch sonstige Beweismittel etwas anderes erwiesen werden könnte oder nicht .. .", Näher RGSt 43, 1 (7f.); dazu auch BGHSt 2, 125 (127ff.). Vgl. nur RGSt 43, 1 (6f.); BGHSt 2, 125 (126f.); BGHSt 7, 162 (164); Dallinger, NJW 1951,256 (257); lescheck, GA 1956, 119. 233 lescheck, GA 1956, 119; Dallinger, NJW 1951,256 (257); LR-Dünnebier Vor § 137, 8. 234 Schneidewin, MDR 1951, 193 (194). 23' BGHSt 7, 162 (163ff.). 236 RGSt 43, 1 (6ff.); BGHSt 2, 125 (128); dazu Cüppers, NJW 1951, 930 (931 f.). 231

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C. Die Doppe1stellung des Verteidigers als Orundsatzproblem

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wie schon das Reichsgericht mit entwaffnender Offenheit festgestellt hat. 237 Genausowenig kann dann aber durch die Bezugnahme auf die Sitzungsniederschrift von einem Verstoß gegen § 344 II 2 oder gar einem Mißbrauch des § 274, 1 die Rede sein. 238 Selbst wenn man aber von der prozessualen Unzulässigkeit der Protokollrüge ausgeht, führt trotzdem jede Uneinheitlichkeit zwischen prozessualer und standesrechtlicher Bewertung der unwahren Prozeßrüge zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen. Denn der Anspruch des anwaltlichen Standesrechts an den Rechtsanwalt kann nicht soweit gehen, daß dieser entweder seine prozessual vorgesehenen Verteidigerpflichten unter Aufopferung seiner selbst erbringt, indem er sich nach erfolgreicher Anfechtung des tatrichterlichen Strafurteils selbst standesrechtlichen Sanktionen unterwirft oder seine prozessualen Pflichten als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten den Beschuldigten nicht wahrnimmt, indem er einen revisiblen Verfahrensfehler nicht rügt - mit der zusätzlichen Folge zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche des Beschuldigten. 239 Deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder verbietet das Standesrecht dem Verteidiger die unwahre Prozeßrüge und überlagert damit die prozessuale Wertung; dann kann sie auch prozessual entgegen der herrschenden Auffassung nicht erlaubt sein. Oder es besteht kein standesrechtliches Verbot; dann ist die Ausnutzung des Protokollfehlers mit Hilfe der unwahren Prozeßrüge erlaubt. 240 Insgesamt ist damit zu konstatieren, daß der Arbeitskreis Strafprozeßreform auf der einen Seite nicht nur die schon nach geltendem Prozeßrecht vorhandenen Spannungsfelder nicht aufzulösen vermag, sondern ein dem Spannungsfeld zwischen Strafprozeßrecht und anwaltlichem Standesrecht nicht entsprechendes Konzept vorstellt. Dazu paßt es, wenn die angestrebte Vermeidung der staatlichen Vereinnahmung des Verteidigers über das Standesrecht241 durch die Vorstellung konterkariert wird, der Verteidiger setze sich nach § 6 Il 2 AE der Gefahr standesrechtlicher Sanktionen aus, wenn er ohne vorherige Befreiung von der Übernahme durch den Vorsitzenden ein Mandat nicht übernehme, weil kein Vertrauensverhältnis mit dem Beschuldigten zu erwarten sei. 242 Hanack kritisiert zurecht, der Entwurf sei in der vorliegenden Form wertlos. 243

237 238 239 240

241 242 243

ROSt 43, 1 (6). So aber BORSt 7, 162 (163f.). Cüppers, NJW 1950,930 (931). Ähnlich KK-Laufhütte Vor § 137, 10. Arbeitskreis Strafprozeßreform, AE Vorb. 11.1; § 1 11 3. Arbeitskreis Strafprozeßreform, AE § 6 11 2. Ranack, ZStW 1981,559 (564).

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1. Teil: Die rechtliche Doppe1stellung des Verteidigers

11. Die eingeschränkte Organtheorie von Beulke

Das von Beulke als "eingeschränkte Organtheorie " bezeichnete Leitbild des Verteidigers beruht wie der AE auf der Vorstellung, die standesrechtliche OrgansteIlung des Rechtsanwalts könne als rein berufsrechtliche Regelung auf die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß keinen Einfluß haben. Es bestehe anderenfalls die Gefahr einer Zwei-Klassen-Verteidigung im Hinblick auf die Mitwirkung von Verteidigern, die nicht an das anwaltliche Standesrecht gebunden seien. 244 Allerdings beläßt es Beulke im Gegensatz zu dem Arbeitskreis Strafprozeßreform nicht allein bei der einseitigen Parteistellung des Verteidigers aus prozeßrechtlicher Sicht. Die prozessuale Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten entspreche zwar an sich dem Interesse des Staates an einer wirksamen Gegenwehr des Beschuldigten, berge aber in ihrer Einseitigkeit die Gefahr in sich, der Verteidiger könne sich als bedingungsloser Parteigänger des Beschuldigten verstehen. Einem solchen Komplizen des Beschuldigten müsse in letzter Konsequenz jedes Mittel der Verteidigung recht sein, bis hin zum Aufstellen unwahrer Behauptungen oder der Trübung von Beweisquellen. Da dieses Verständnis von Verteidigung weder mit den weitreichenden Befugnissen des Verteidigers im reformierten Strafprozeß wie etwa den §§ 147 I, 148 noch mit den Zielen einer an Wahrheit und Gerechtigkeit orientierten Strafrechtspflege vereinbar sei, müsse der Verteidiger folgerichtig neben der Wahrnehmung seiner Stellung als Prozeßsubjektsgehilfe Vertreter korrigierender öffentlicher Interessen sein. 245 Das macht nach Beulke die OrgansteIlung des Verteidigers aus. Um aber andererseits den Mißbrauch der OrgansteIlung als Instrument richterlicher Willkür gegen unbequeme Verteidiger zu verhindern, möchte Beulke die öffentlichen Interessen, an die der Verteidiger gebunden sein soll, anhand strafprozessualer Wertungsmaßstäbe abschließend benennen. 246 1. Eingeschränkte Organtheorie und anwaltliches Standesrecht

Zu dem untrennbaren Zusammenhang zwischen der Stellung des Verteidigers im Strafprozeß und dem anwaltlichen Standesrecht wurde bereits im Zusammenhang mit dem AE Stellung bezogen, an dessen Erwägungen Beulke ersichtlich anknüpft. Hinzuzufügen ist dazu nur, daß er diesen 244 Beulke, Verteidiger S. 169; ders., JR 1994, 116 (118); genauso Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 41 ff. 245 Beulke, Verteidiger passim; genauso Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S.77ff. 246 Beulke, Verteidiger S. 81 ff.; genauso Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 91 ff.

C. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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untrennbaren Zusammenhang selbst eingesteht, wenn er etwa ausführt, die unwahre Prozeßrüge sei durch § 274 gesetzlich verankert und müsse daher folgerichtig dem Verteidiger auch prozessual erlaubt sein. Dann dürfe das anwaltliche Standesrecht dem Verteidiger diese Waffe nicht aus der Hand schlagen, indem es die unwahre Prozeßrüge als standes widrig bewerte. 247 Wenn man einmal außer acht läßt, daß Beulke nur über die problematische Wendung vom "institutionell eingeplanten Mißbrauch,,248 zu diesem Ergebnis kommt, widerlegt er dadurch die eigene Vorstellung eines undurchlässigen Verhältnisses zwischen Standesrecht und Prozeßrecht. Folgerichtig räumt Beulke selbst ein, das von ihm so vehement postulierte Lügeverbot des Verteidigers sei nichts anderes als ein zentrales Beispiel eines standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalts. 249

2. Mitwirkung des Verteidigers und öffentliches Interesse Wie sich zu Beginn der Untersuchung gezeigt hat, dient die SubjektsteIlung des Beschuldigten und als Reflex davon die Mitwirkung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten dem öffentlichen Interesse an einem gerechten Verfahren und einem wahren Urteil als wesentlichem Ziel des reformierten Strafprozesses. Etwas anderes meinten im übrigen entgegen mitunter mißverständlicher Darstellung _250 im älteren Schrifttum auch diejenigen nicht, die im Verteidiger mit verschiedenen Differenzierungen einen "Mandatar auch öffentlicher Interessen" sahen.251 Diese Lage der Dinge macht die Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Judikatur deutlich, wenn von der freien Verteidigerwahl als wesentlichem Element der SubjektsteIlung des Beschuldigten,252 dem Anspruch auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers als Ausprägung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires Strafverfahren253 oder von dem untrennbaren verfassungsrechtlichen Zusammenhang zwischen der Freiheit der Advokatur und der SubjektsteIlung des Beschuldigten254 die Rede ist. So hat der Rechtsanwalt nach § 49 I BRAO eine Verteidigung zu übernehmen, wenn er nach den strafproBeulke, Verteidiger S. 102, 156ff., 236f. Beulke, Verteidiger S. 237. 249 Beulke, Strafbarkeit des Verteidigers S. 18 f. 250 So etwa Armbrüster, Entwicklung der Verteidigung S. 138 ff.; Knapp, Verteidiger S. 31 ff. 251 Grundlegend Vargha, Verteidigung S. 281 mit dem berühmten Satz "Der Verteidiger ist nicht nur seines Clienten, sondern auch des Staates Mandatar"; Frydman, Handbuch der Verteidigung S. 65, 75; Glaser, Handbuch 11 S. 241; Birkmeyer, Dtsch. Strafprozeßrecht S. 348 f. 252 BVerfGE 34, 293 (302). 253 BVerfG JZ 1983,438. 254 BVerfGE 34, 293 (306f.). 247 248

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

zessualen Vorschriften dazu bestellt worden ist. Vor diesem Hintergrund hat Gusy zurecht darauf hingewiesen, die formelle Verteidigung beziehe ihre Legitimation aus dem Grundrechtsschutz des Angeklagten. Der Verteidiger schöpfe ausschließlich daraus seine Beteiligung und die daraus abgeleiteten Rechte am und im Strafprozeß. 255 Hamm bezeichnet den Grundsatz, alle Rechte und Pflichten des Verteidigers aus den Rechten des Beschuldigten abzuleiten, sogar als Grundausstattung der Strafverteidigung, als unantastbare magna charta libertatum. 256 Nach alledem ist die Anbindung des Verteidigers an zusätzliche öffentliche Interessen nicht notwendig, weil seine einseitige Aufgabe als Prozeßsubjektsgehilfe entgegen der Konzeption der eingeschränkten Organtheorie keiner rechtsethischen Rechtfertigung bedarf. 257 Paradigmatisch für diese verfassungsrechtlichen Zusammenhänge und deren Verkennung auf der Grundlage der eingeschränkten Organ theorie ist das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147. Nach Beulke steht und flillt die Legitimation des Akteneinsichtsrechts des Verteidigers mit der Vorstellung, dieser dürfe im öffentlichen Interesse an einem funktionstüchtigen Ermittlungsverfahren sein Recht nicht mißbrauchen. Deshalb sei er beispielsweise verpflichtet, die dadurch erworbene Kenntnis einer bevorstehenden Verhaftung oder Beschlagnahme dem Beschuldigten vorenthalten. 258 Aber auch das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren ist kein originäres Verteidigerrecht, sondern nichts anderes als die einfachgesetzliche Ausformung des Rechts auf rechtliches Gehör. 259 Es handelt sich also um ein Beschuldigtenrecht, dessen Ausübung der Gesetzgeber in die Hände des Verteidigers als dessen Prozeßsubjektsgehilfen gelegt hat. Sinn dieser Vorschrift kann es nun nicht sein, dem Beschuldigten Informationen über den Verfahrensstand vorzuenthalten, die dem Verteidiger zugänglich sind. Anders wäre § 147 11 nicht zu erklären, der vor Abschluß der Ermittlungen die Beschränkung oder gar die Versagung der Akteneinsicht des Verteidigers vorsieht, wenn sie den Untersuchungszweck gefahrden kann. 26O Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß der Verteidiger die erlangten Informationen an den Beschuldigten weitergibt und sichert mit § 147 11 den bereits erwähnten Handlungsvorsprung der Ermittlungsbehörden im Interesse der Funktionstüchtigkeit des Strafprozesses. Wie ein Blick in die Gesetzesmaterialien zeigt, lag genau diese Vorstellung der KonzepGusy, AnwBl 1984,225. Hamm, NJW 1993,289 (293). 257 Welp, ZStW 1978, 804 (814). 258 Vgl. Beulke, Verteidiger S. 197. 259 Vgl. BVerfGE 18, 399 (405); ausführlich Bahnsen, Akteneinsichtsrecht S. 15 ff. 260 Ähnlich Vogt, Berufstypisches Verhalten S. 233 f. 255

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c. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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tion des Akteneinsichtsrechts des Verteidigers zugrunde?61 Das kann auch gar nicht anders sein; denn anderenfalls entstünde ein Keil zwischen den Beschuldigten und seinen Verteidiger, der dessen Funktion als Prozeßsubjektsgehilfen konterkarieren würde. 262 Die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf die Person des Verteidigers durch die Strafverfolgungsbehörden kann demnach nur dem Schutz der Unversehrtheit von Originalakten dienen, deren Schutz bei dem standesrechtlich gebundenen Verteidiger als gesichert erscheint, beim Beschuldigten aber nicht. 263 Die Verwirklichung eines selbständigen Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten stellt sich damit heute allenfalls als organisatorisch-technisches Problem dar, vor allem im Hinblick auf die Erstellung von Kopien für den Beschuldigten. 264 Diese Gegebenheiten erlauben eine Beschränkung der Akteneinsicht des Beschuldigten allenfalls in der Weise, ihm aus justizökonomischen Gründen nur die Einsichtnahme in die Originalakten in Gegenwart des Verteidigers zu gestatten. 265 Die darüber hinaus gehende Verweigerung eines eigenen Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten kollidiert im übrigen auch mit Art. 6 I, III EMRK. So räumt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte neuerdings jedenfalls dem unverteidigten Beschuldigten ein eigenes Akteneinsichtsrecht ein. 266 Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat, konsequenter als § 11 1 2 AE, im Grundsatz anerkannt, der Verteidiger sei zur Weitergabe des Akteninhalts an den Beschuldigten prozessual nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Denn die Kenntnis des Beschuldigten, worauf sich der gegen ihn erhobene Vorwurf stütze, sei Voraussetzung der Gestaltung einer sachgerechten Strafverteidigung?67 Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß der Bundesgerichtshof ausnahmsweise dem Verteidiger die Weitergabe von Information doch verbietet, wenn der Untersuchungszweck dadurch gefährdet wird, und dadurch den eigenen Lösungsweg letztlich wieder auf den Kopf stellt. 268 Ähnliche Widersprüche bestimmen auch die ober- und tatgerichtliche Rechtsprechung, wonach sich zwar unverkennbar die Tendenz zeigt, ein eigenständiges Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten anzuerkennen,269 die Verwirklichung dieses Anspruchs aber immer wieder an Bedingungen geknüpft wird, die mit dem Sinn des Aktenein261 262 263 264 265 266 267

268 269

Hahn, Materialien S. 972 ff. (Abg. Bähr, Grimm, Völk, Wolfsson). Vgl. Welp, ZStW 1978,803 (812); F.C. Schroeder, NJW 1987,301 (303). Vgl. LR-Lüderssen § 147,6 m.w.N. Vgl. Welp, ZStW 1978,803 (812f.). OLG Zweibrücken, NJW 1977, 1699. EGMR NStZ1998, 429. Dazu Deumeland, NStZ 1998, 429f. BGHSt 29, 99 (102) m. w. N. BGHSt 29, 99 (103). OLG Zweibrücken NJW 1977, 1699; OLG Hamburg StV 1991,551.

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

sichtsrechts und dessen Beschränkung in keinem sachlichen Zusammenhang stehen. So ist beispielsweise das LG Ravensburg neuerdings der Ansicht, das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten umfasse in erster Linie nur die Einsichtnahme in die Protokollierungen belastender Aussagen,270 wogegen nach einer Entscheidung des LG Hamburg die Akteneinsicht des Beschuldigten mit der geringen Bedeutung des Verfahrens, im konkreten Fall eine Bußgeldsache, begründet wird. 271 Das LG Mainz verweigert dem Beschuldigten unter Bezugnahme auf den bloßen Wortlaut des § 147 I sogar generell ein eigenes Akteneinsichtsrecht. 272 Diese logischen Brüche in der Rechtsprechung sind die Reste eines in den Strukturen des gemeinen Rechts angesiedelten inquisitorischen Grundverständnisses vom Strafprozeß; ein Grundproblemin in der Verteidigerdiskussion, auf das im Zweiten Teil der Untersuchung noch näher einzugehen sein wird. 273 Der Grundsatz, daß Verteidigerrechte grundsätzlich Beschuldigtenrechte sind, schließt Friktionen zwischen deren Reichweite allerdings nicht generell aus. Erinnert sei nochmals an die unterschiedliche Ausgestaltung des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten und seines Verteidigers bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen im Ermittlungsverfahren nach § 168 c 1, 111. Entgegen Welp handelt es sich bei dieser Begrenzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht notwendig um eine gesetzgeberische Fehlleistung,274 sondern um die Berücksichtigung des Umstands, daß Zeugen in Anwesenheit des Beschuldigten nicht zu wahrheitsgemäßen Aussagen bereit sein könnten. Im Interesse eines funktionstüchtigen Ermittlungsverfahrens darf deshalb für diesen Fall ausnahmsweise der Beschuldigte von der richterlichen Zeugen- bzw. Sachverständigenvernehmung im Ermittlungsverfahren ausgeschlossen werden. 275 Unzutreffend ist es allerdings, wenn man in der Kommentarliteratur die Ausschließung des Beschuldigten auf die Erwägung zurückführt, dieser könne die bei der Vernehmung erlangten Informationen im weiteren Verlauf des Verfahrens zur Störung der Ermittlungen verwerten. 276 Diese Deutung der Vorschrift führt die Funktion LG Ravensburg, NStZ 1996, 100. LG Hamburg, NZV 1993, 495. Gerade diese Entscheidung offenbart ein völliges Fehlverständnis des § 147: Dem Beschuldigten wurde die Originalakte überlassen, was wegen des erwähnten Verbots der Selbstbestellung gemäß den §§ 46 I, 60 2 OWiG iVm § 138 I StPO auch durch den Umstand nicht zu rechtfertigen ist, daß es sich dabei um einen Rechtsanwalt handelte. 272 LG Mainz, NStZ 1999, 313. Bis der deutsche Gesetzgeber das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten geregelt habe, bleibe es bei der alleinigen Berechtigung des Verteidigers. 273 Näher im Zweiten Teil der Untersuchung B IV 3. 274 Welp, ZStW 1978. 803 (812). 27S Näher Zazcyk, NStZ 1987, 535 (538 f.). 276 Vgl. nur Kl.lMeyer-Goßner § 168 c, 3 m.w.N. 270 271

C. Die Doppelstellung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten genauso ad absurdum, wie es im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Reichweite des Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten und seines Verteidigers deutlich geworden ist. Das gilt um so mehr, als der Gesetzgeber in § 168c III 2 die Gefahrdung des Untersuchungszwecks namentlich auf den Fall der unwahren Zeugenaussage in Anwesenheit des Beschuldigten bezogen hat, und der Gesetzgeber nach § 253 11 bei widersprüchlichen Zeugen bzw. Sachverständigenaussagen, wie sie als Folge der Einschüchterung durch den Beschuldigten denkbar sind, die Verlesung der früheren Aussage in der Hauptverhandlung vorsieht. Nach gängiger Rechtsprechung ermöglicht diese Verlesung nicht nur einen Vorhalt an die Beweisperson, s()ndern sogar die Einführung der früheren Aussage im Wege des Urkundenbeweises. 277 Auch für den Fall der Ausschließung des Beschuldigten von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren bleibt es deshalb bei dem Grundsatz, daß der Verteidiger zur Information des Beschuldigten darüber prozessual berechtigt und verpflichtet ist. Gerade die Einheitlichkeit der Verteidigung, gegen die sich Beulke mit der eingeschränkten Organtheorie wendet, liegt also der Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten zugrunde. 3. Der Verteidiger als Komplize des Beschuldigten

Beulke befürchtet weiterhin, die Mitwirkung eines einseitigen Parteiinteressenvertreters des Beschuldigten sei gleichzusetzen mit der Gestattung rechtsmißbräuchlichen Verteidigerverhaltens. Damit hängt auch der Einwand zusammen, die Glaubwürdigkeit des Verteidigers, seine Autorität gegenüber den staatlichen Rechtspflegeorganen und damit letztlich die Effektivität seiner Beistandsfunktion würden geschwächt, wenn er einseitig nur an die Interessen des Beschuldigten gebunden werde. 278 Ähnlich argumentiert Krey, es sei einseitig-blauäugig, den Verteidiger ausschließlich als Interessenvertreter des Beschuldigten zu sehen und zugleich alle geltenden Verteidigerrechte beizubehalten. 279 Derartige Befürchtungen verkennen aber nicht nur die Konzeption des Gesetzgebers, sondern beruhen auch auf einer Verkürzung der für die Verteidigerstellung maßgeblichen Rechtsquellen. Wie die Ausführungen von Lüderssen verdeutlicht haben, ist der Verteidiger schon im Mandatsverhältnis an die Regeln des anwaltlichen Standesrechts, neben den allgemeinen Strafgesetzen und möglicherweise dem Prozeßrecht selbst, als Schranken erlaubter Vertragsgestaltung, gebunden. 28o 277

278 279

Zum Meinungsstand KI./Meyer-Goßner § 253, I ff. Vgl. Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 87. Vgl. Krey, Strafverfahrensrecht I, S. 220.

1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

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In diesem Rahmen binden, wie bis zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts § 8 RiLiRA zutreffend festhielt, den Verteidiger die Weisungen des Beschuldigten dann nicht, wenn diese den Verteidiger zu standeswidrigem Verhalten verpflichten würden.2 81 Insgesamt ist also die Überlegung irreführend, die Einräumung elementarer Verfahrensrechte des Verteidigers sei nur vor dem Hintergrund der Bindung an strafprozessual niedergelegte öffentliche Interessen denkbar, die über die Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten hinausgingen. 282 4. Die zusätzlichen öffentlichen Interessen im einzelnen

Entgegen Beulke bedarf die Mitwirkung eines Prozeßsubjektsgehilfen des Beschuldigten also keiner rechtsethischen Rechtfertigung in Form weiterer öffentlicher Interessen. 283 Das allein schließt andererseits weitere öffentliche Interessen als Grundlage der Stellung des Verteidigers nicht aus. Vielmehr ist zuzugeben, daß sich die dem Verteidiger zugeschriebene Rechtsstellung an seinen prozessualen Rechten und Pflichten messen lassen muß und nicht umgekehrt.284 So bezeichnet man beispielsweise den Verteidiger im österreich ischen Strafprozeß als Interessenvertreter des Beschuldigten, nicht aber als Vertreter sonstiger öffentlicher Interessen, setzt seine Weisungsunabhängigkeit vom Beschuldigten jedoch genauso selbstverständlich voraus, wie es die Vertreter der eingeschränkten Organ theorie mit der Anbindung an das öffentliche Interesse der Verteidigungseffektivität tun.2 85 Schon vor diesem Hintergrund ist im folgenden den von Beulke postulierten öffentlichen Interessen nachzugehen, die dessen strafprozessuale OrgansteIlung begründen und abgrenzen sollen. Das gilt im Hinblick auf die in den Siebziger Jahren eingefügten Vorschriften im Strafprozeßrecht zum Schutz vor Mißbrauch von Verteidigerrechten um so mehr. a) Das öffentliche Interesse an der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland Dem § 138 b, der die Ausschließung des Verteidigers in Staatsschutzsachen dann vorsieht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme LR-Lüderssen Vor § 137,38ff. Vgl. Heeb, Verteidiger S. 74; Heinicke, Verteidiger S. 317f. m.w.N., bezeichnet das Beharren auf der formalen Trennung von Berufs- und Prozeßrecht zurecht als Etikettenschwindel. 282 Vgl. BGHSt 29, 99 (102) m.w.N. 283 Vgl. Welp, ZStW 1978, 803 (814). 284 Beulke, Verteidiger S. 33 f. 285 Vgl. Heine/Ronzani/Spaniol, StV 1987,74 (80) m.w.N. 280 281

C. Die DoppeJstellung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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begründet ist, daß seine Mitwirkung eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde, entnimmt Beulke die Aussage, der Verteidiger sei Garant des öffentlichen Interesses an der Sicherheit der Bundesrepublik. 286 Nun leuchtet die Berechtigung eines strafprozessualen Ausschließungsgrundes zum Schutz der Staatssicherheit unmittelbar ein. Denn die freie Verteidigerwahl als Bedingung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist kein absoluter Wert, sondern muß dort seine Grenze finden, wo der Rechtsstaat selbst dadurch ernstlich bedroht wäre. 287 Nicht nachvollziehbar ist allerdings, wenn Beulke daraus den Schluß zieht, de lege lata habe der Verteidiger im Rahmen seiner Mitwirkung das Wohl der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Das verwundert um so mehr, als er selbst einer solchen Inpflichtnahme des Verteidigers für staatliche Belange auch bei restriktiver Handhabung ablehnend gegenübersteht?88 Gerade die bekannte Entscheidung BGHSt 8, 194ff., die dem Gesetzgeber als Vorbild bei der Schaffung des § 138 b gedient hat,289 macht deutlich, wie wenig derartige Überlegungen der tatsächlichen Bedeutung der Vorschrift entsprechen. Konkret stützte der Bundesgerichtshof darin den Ausschluß des OstBerliner Rechtsanwalts F. K. Kaul als Verteidiger in einem Landesverratsverfahren nicht auf dessen persönliche Verhältnisse, sondern auf äußere Gefahren in Form der Bedrohung bundesdeutscher Staatsgeheimnisse durch den zwangsweisen Zugriff östlicher Geheimdienste gegen den Willen des Rechtsanwalts. Das allein rechtfertige die Ausschließung des Verteidigers. 290 Andere höchstrichterliche Entscheidungen gibt es in diesem Zusammenhang nicht, wie überhaupt der § 138b in der Praxis keine Rolle spielt.29I Aber selbst wenn man das außer acht ließe: Was folgt aus dem von Beulke angenommenen öffentlichen Interesse, den Verteidiger als Garanten der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, was nicht schon in § 138 b geregelt wäre? Das von Beulke daraus abgeleitete Verbot, die in nichtöffentlicher Verhandlung erörterten Staatsgeheimnisse nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit erneut anzusprechen,292 kann nach dem eindeutigen Regelungsgehalt des § 138 b nur als Vorwirkung einer sonst drohenden Ausschließung des Verteidigers zu verstehen sein, nicht aber als Beulke, Verteidiger S. 104f. BGHSt 8, 194 (198f.). 288 Ausführlich Beulke, Verteidiger S. 104. 289 Näher Beulke, Verteidiger S. 103 m. w. N. 290 BGHSt 8, 194 (197f.). 291 So gab es selbst in den Jahren 1975-1980, also der Hauptzeit der Verfahren gegen mutmaßliche RAF-Terroristen keinen einzigen auf § 138 b gestützten Verteidigerausschluß, vgl. Rieß, NStZ 1981,328. 292 Beulke, Verteidiger S. 158. 286 287

S Grüner

1. Teil: Die rechtliche Doppelstellung des Verteidigers

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eigenständiger Interpretationsmaßstab für dessen prozessuale Stellung und die daraus erwachsenden Rechte und Pflichten.

b) Das öffentliche Interesse an der Effektivität der Strafrechtspflege Weiterhin sieht Beulke in den strafprozessualen Wertungsmaßstäben die Aufgabe des Verteidigers verankert, bei der Führung der Verteidigung das öffentliche Interesse an der Effektivität der Strafrechtspflege zu berücksichtigen. Nach dieser sog. Theorie der besonderen Inpflichtnahme sollen dem Verteidiger schwerwiegende Eingriffe in die Wahrheitsfindung verboten sein. Das wäre nach Beulke dann der Fall, wenn Eingriffe in den Kembereich der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege durch den Verteidiger stattfanden. 293 Nun wird niemand bestreiten wollen, daß die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Wahrheitsfindung im Strafprozeß ein rechtspolitischer Programmsatz von elementarer Bedeutung ist. 294 Im Zusammenhang mit der Mitwirkung des Verteidigers sind vor diesem Hintergrund verschiedene gesetzgeberische Restriktionen aus den Siebziger Jahren als Folge angeblichen Mißbrauchs von Verteidigerrechte in der RAF-Prozessen zu erklären. Man denke nur an die Regelung des Verteidigerausschlusses nach den §§ 138 a ff. sowie an die Beschränkung der Verteidigerzahl nach § /37 I 2. 295 Beulke ist weiterhin zuzugeben, daß sich die Bedeutung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege in der Funktion als rechtspolitischer Programmsatz nicht erschöpft. Vielmehr handelt es sich dabei um einen eigenständigen Argumentationstopos bei der Auflösung einfachgesetzlich nicht geregelter Interessenkollisionen im Spannungsfeld zwischen gerechtem Verfahren und wahrem Urteil. Schließlich verdankt sie schon ihre Schöpfung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1972, in der die grundrechtliche Herleitung eines strafprozessual nicht vorgesehenen Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter mit dem Hinweis auf das rechts staatliche Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege abgelehnt wurde. 296 Die gleichen Überlegungen sind im Zusammenhang mit der Einschränkung sog. verfassungsrechtlichen Beweisverbote anzustellen, also bei der Ableitung von Beweisverboten im Strafurteil unmittelbar aus den Grundrechten des von einer strafprozessualen Beulke, Verteidiger S. 83ff.; 146ff. Eingehend Grünwald, JZ 1976,767 (772f.). 295 Näher BVerfG NJW 1975, 2341 (betr. die §§ 138aff.); BVerfGE 39, 163 (betr. § 137 I 2) sowie Vogel, NJW 1978, 1217 (1222). 296 BVerfGE 33, 367 (383). 293

294

C. Die Doppelstellung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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Zwangsmaßnahme Betroffenen. 297 Erinnert sei in diesem Zusammenhang nochmals an die vorher erwähnten Tonband- und Tagebuchfälle. Die Wendung von der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege verliert aber dann ihren eigenständigen Charakter, wenn der strafprozessuale Gesetzgeber das Spannungsfeld zwischen gerechtem Verfahren und wahrem Urteil bereits in verfassungsrechtlich zulässiger Weise zum Ausgleich gebracht hat.2 98 Denn die Mißachtung der vom Gesetzgeber gefundenen Abwägungsergebnisse bei der Rechtsanwendung aus Gründen der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege wäre dann gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, die staatliche Rechtspflege sei gar nicht funktionstüchtig, weil sie nur unter Mißachtung ihrer eigenen Regeln funktioniere. 299 Genau das verkennt Beulke, wenn er aus Vorschriften wie den §§ 137 I 2, 138a I Nr. 2 schließt, der Gesetzgeber habe den Verteidiger auch unterhalb der dort normierten Eingriffsschwellen im Rahmen seiner Mitwirkung im Verfahren auf ein eigenständiges öffentliches Interesse an der Effektivität der Rechtspflege verpflichten und ihn dadurch bei der Ausübung von Verfahrensrechten beschränken wollen. 300 Ähnlich wie im Zusammenhang mit § 138 b trägt diese Form der Inpflichtnahme des Verteidigers die Gefahr in sich, in willkürlicher Abänderung der vom Gesetzgeber gesetzten Prozeßziele den Verteidiger zum Garanten einer inquisitorischen Wahrheitsfindung zu machen?OI Das gilt um so mehr, als es Beulke es bei der Anwendung seiner Kembereichsthese nicht gelingt, diesem Aspekt der Inpflichtnahme des Verteidigers strafprozessuale Konturen zu verleihen. Einerseits führt das öffentliche Interesse an der Erhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in ihrem Kembereich selbst in Extremfällen nicht zu einer Inpflichtnahme des Verteidigers: So soll der Verteidiger nicht als "Beweisantragspjleger" des Beschuldigten in einem Verfahren in Anspruch genommen werden können, wenn der Beschuldigte mit dem Ziel der Prozeßverschleppung schon Hunderte von Beweisanträgen gestellt hat, und Tausende weiterer Anträge in Aussicht stellt. 302 Im Gegenteil: Wie vorher deutlich geworden ist, soll der Verteidiger als Ausfluß des öffentlichen Interesses an der Effektivität der Verteidigung gegen den Willen des Beschuldigten sogar zur Preisgabe von Verteidigungsrechten nicht berechtigt sein. 303 Genausowenig soll er, wie Vgl. Thiedemann, Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege S. 27ff. BVerfGE 33,367 (382f.); 77, 65 (76). 299 Vgl. nur Hassemer, StV 1982, 275ff. 300 Beulke, Verteidiger S. 93 f. 301 I.Müller, StV 1981,90 (94). 302 Vgl. Beulke, Strafprozeßrecht S. 66, Näher zu der zugrunde1iegenden Entscheidung BGHSt 38, 111 ff. im Zweiten Teil der Untersuchung C 11 2 sowie im Dritten Teil der Untersuchung unter B 11. 303 Beulke, Verteidiger S. 134 ff. 297

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etwa in der Fallkonstellation des Berliner PLO-Verfahrens, 304 nach seinem Ausscheiden aus einem langwierigen Verfahren Informationspflichten an den neu zu bestellenden Pflichtverteidiger haben. 305 Andererseits leitet Beulke aus dem öffentlichen Interesse an dem Kernbereich der Rechtspflege das Verbot der Prozeßverschleppung in Extremfallen her, so etwa beim bewußtem Taktieren des Verteidigers mit dem baldigen Tod des einzigen Hauptbelastungszeugen. 306 Genauso soll der Verteidiger, der sich an falschen Zeugenaussagen zugunsten des Beschuldigten beteiligt, immer Täter einer damit einhergehenden Strafvereitelung nach § 258 StGB sein. Selbst wenn sein Einfluß auf die eigentliche Vernehmung gering gewesen sei, habe er als eingeschränktes Organ der Rechtspflege stets Tatherrschaft und Täterwillen. 307 Derartige Konstruktionen überzeugen aber schon deshalb nicht, weil nach Beulke von einfachgesetzlich normierten Verteidigerpflichten auf seine Stellung zu schließen ist und nicht umgekehrt. 308 Letztlich beschränkt sich die Inpflichtnahme des Verteidigers auf der Grundlage der eingeschränkten Organ theorie im wesentlichen auf die Fälle, die gängigerweise unter dem bereits angesprochenen anwaltlichen Lügeverbot im Zusammenhang mit der sog. Verdunklung des Sachverhalts diskutiert werden?09 Das von Beulke postulierte öffentliche Interesse an der Effektivität der Strafrechtspflege, das der Verteidiger zu vertreten haben soll, verharrt also nicht nur begrifflich im Orakelhaften,310 sondern findet auch im Strafprozeßrecht keinen Anhaltspunkt. c) Das öffentliche Interesse an der Effektivität der Verteidigung Darunter versteht Beulke - im Ergebnis wie schon der Arbeitskreis Strafprozeßreform - nichts anderes als die Unabhängigkeit des Verteidigers von Weisungen des Beschuldigten. Allerdings konterkariert Beulke auch in diesem Zusammenhang seinen eigenen Ansatz, nicht von der Stellung des Verteidigers auf dessen Rechte und Pflichten schließen zu wollen, sondern umgekehrt. Bei der Preisgabe von Rechtspositionen müsse immer auch der Beschuldigte einverstanden sein, während bei der Abwehr durch Gegenangriff der Verteidiger eigenmächtig handeln könne. 3lI Aus diesem Grund soll der Verteidiger bei der Abfassung einer Revisionsbegründung (§ 345 l) 304 305 306 307 308

309 310 311

KG JR 1981, 86, näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung unter B I. Beulke, JR 1982,45 (46f.). Beulke, Verteidiger S. 153 f. Beulke, NStZ 1983, 504 f. Kritisch auch Rudolphi, FS-Kleinknecht S. 379 (388 f.). Näher Beulke, Verteidiger S. 150ff. I. Müller, StV 1981,90 (94). Beulke, Verteidiger S. 86 ff., 134 ff.

C. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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oder bei dem Verzicht auf die Ladungsfrist (§ 218, 1) dem Prinzip der Subsidiarität des Verteidigerwillens bei der Disposition durch Verzicht unterworfen sein?12 Einmal ganz abgesehen von der Frage, ob die schematische Abgrenzung zwischen "geringerer" und "stärkerer" Verteidigung313 den Eigenheiten eines dynamischen Vorgangs wie eines Gerichtsprozesses mit all seinen Unwägbarkeiten und taktischen Prognosen gerecht wird, handelt es sich bei den §§ 218, 2; 345 II doch ausdrücklich um Verteidigerrechte. 314 Und selbst wenn diese Fälle entgegen der gesetzlichen Regelung, die den Beschuldigten gar nicht nennt, zu dessen Disposition stünden, wofür es im Zusammenhang mit § 218, 2 gute Gründe geben mag,315 wäre noch zu begründen, warum die Weisungs gebundenheit des Verteidigers dann nicht für den umgekehrten Fall gelten SOll.316 Denn die Entscheidung des Beschuldigten könnte dann doch nur von der Erwägung bestimmt sein, ob er die Vorbereitung der Hauptverhandlung, vor allem die Beratungsfunktion des Verteidigers, ausreichend wahrgenommen sieht. 317 Es verwundert vor dem Hintergrund solcher Friktionen nicht, daß auch die von Beulke als gesetzliche Wertungsmaßstäbe für sein eigentliches Prinzip des weisungsunabhängigen Verteidigers herangezogenen Vorschriften nicht weiterführen, weil sie über das Verteidigungsinnenverhältnis keine Aussagen treffen. Das gilt zunächst für die unter dem Eindruck der RAF-Prozesse in den Siebziger Jahren eingeführten Beschränkungen der Verteidigerstellung. Diese betreffen wohl die Effektivität der Verteidigung, nicht aber das Wie im Verteidigungsinnenverhältnis. So verbieten die im Jahre 1974 eingeführten §§ 138a 1 Nr. 1, 3; 146318 die Mitwirkung des Verteidigers, weil ihm in diesen Fällen der Gesetzgeber kraft unwiderleglicher Vermutung die Eignung als Beistand des Beschuldigten abspricht. Dem § 138a I Nr. 1, 3 liegt der Gedanke zugrunde, von einem in das Tatgeschehen verwickelten Verteidiger könne keine wirkungsvolle Verteidigung erwartet werden?19 Im Fall des § 146, der rechtspolitisch umstrittensten Reform aus dieser Zeit,320 geht der Gesetzgeber davon aus, daß bei der Verteidigung von mehreren Beschuldigten durch einen Verteidiger regelmäßig die Gefahr eines Interes312 313 314 315

Beulke, Verteidiger S. 137ff. Beulke, Verteidiger S. 137. BGHSt 18,396 (397f.) [zu § 218, 2]; BGHSt 25, 372ff. [zu § 345 11]. Dazu RGSt 43, 161 (162); Eb. Schmidt, LK 11 § 218, 7; Hanack, JZ 1971,

220. 316 So etwa RGSt 43, 161 (162). Die Vermeidung dieser Konsequenz liegt dem Ausschluß des Weisungsrechts in BGHSt 18, 296 (297f.) ersichtlich zugrunde. 317 Hanack, JZ 1971, 220. 318 Gesetz zur Ergänzung des ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (2. StVRG) vom 20.12.1974 (BGBI. S. 3686). 319 BT-Druck 7/2526 S. 11,20. Dazu auch Vogel, NJW 1978, 1217 (1222). 320 Dazu LR-Lüderssen § 146, 3 ff. m. w.N.

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senwiderstreits zwischen den divergierenden Interessen verschiedener Beschuldigter indiziert sein SOll.321 Der entgegenstehende Wille des Beschuldigten kann in diesen Fällen zwar die Ausschließung des Verteidigers nicht verhindern, weil die Verwirklichung seiner Subjektstellung auch im öffentlichen Interesse liegt. Ein Anhaltspunkt für die von Beulke aufgestellte Behauptung, der Gesetzgeber habe sich damit für eine radikale Vernachlässigung der Beschuldigtenwünsche im Verhältnis zu seinem Verteidiger entschieden, ergibt sich aber daraus nicht. Denn abgesehen davon, daß auch der entgegenstehende Wille des Verteidigers in diesen Fällen seinen Ausschluß bzw. seine Zurückweisung nicht verhindern kann, machen derartige Mechanismen zur Sicherung von Verteidigerqualität nicht nur für den unabhängigen, sondern auch für den weisungsgebundenen Verteidiger Sinn. Das gilt vor allem, was keiner weiteren Erläuterung bedarf, für dessen Beratungsfunktion. Aber auch die Erklärungs- und Antragsrechte des Verteidigers erschöpfen sich nicht darin, durch die Rollentrennung zwischen Beschuldigtem und Beistand wirkungsvoller "auch das Unerhörte zu Gehör zu bringen".322 Sie dienen darüber hinaus auch dem Zweck, die nicht selten zu Lasten des Beschuldigten bestehenden Sprachbarrieren vor Gericht zu überwinden. 323 Beulke selbst bezeichnet den Verteidiger in diesem Zusammenhang sogar als Transmissionsriemen des Beschuldigten. 324 Aussagekräftiger erscheint auf den ersten Blick das Institut der notwendigen Verteidigung, das vor Beulke schon Welp für die Begründung der Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers herangezogen hat. 325 Immerhin wird in diesen Fällen dem Beschuldigten schon die Entscheidung aus der Hand genommen, ob er sich überhaupt des Beistands eines Verteidigers bedienen möchte oder nicht. 326 Daraus kann man aber keinen gesetzlichen Wertungsmaßstab für die Weisungsunabhängigkeit des fakultativen Verteidigers ableiten,327 weil dessen Mitwirkung nicht nur zur Disposition des Beschuldigten steht, sondern nach der gesetzlichen Konzeption die fakultative Verteidigung auch den Regelfall bildet. Das bringt etwa § 143 zum Ausdruck, der auch in Fällen notwendiger Verteidigung die Rücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers vorsieht, sobald sich der Beschuldigte einen Verteidiger wählt. Genausowenig greift die Erwägung durch, der notwendige Verteidiger könnte von Weisungen des Beschuldigten unabhängig sein. Zwar findet 321 322 323

324 32.5

326 327

BT-Druck 7/2526 S. 11; BVerfGE 39, 156 (164). Amdt, NJW 1964,2146. Vgl. nur Dürkop, Mandanten-Interessen S. 152 (154) mwn. Beulke, Verteidiger S. 42. Welp, ZStW 1978.804 (821 f.). Welp, ZStW 1978.804 (822); Beulke. Verteidiger S. 115. So aber Welp. ZStW 1978. 804 (822); Beulke. Verteidiger S. 115. 117.

C. Die Doppelstellung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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sich dieser Ansatz gelegentlich in der älteren Literatur;328 er hat sich aber nicht durchsetzen können. Das liegt daran, daß im Gesetz kein Hinweis zu finden ist, wonach der fakultative und notwendige Verteidiger verschiedene Rechte haben sollten. 329 Die Fälle des § 140 I, die von der Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten nach § 81 (Nr. 6) bis zur Ausschließung des bisherigen Verteidigers reichen (Nr. 8), stehen einer schematischen Unterscheidung zwischen der Weisungsgebundenheit des fakultativen und notwendigen Verteidigers zusätzlich entgegen. Folgerichtig sieht § 141 1 eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Verteidigung nur in den Fällen vor, in denen der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat, nicht aber zur Feststellung der Weisungs gebundenheit. Sonderregelungen hat die notwendige Verteidigung lediglich insofern erfahren, als der notwendige Verteidiger nach § 145 I, 338 Nr. 5 zu den Personen gehört, deren Anwesenheit und Mitwirkung das Gesetz vorschreibt. Das betrifft, ähnlich wie die Vorschriften über die Ausschließung des Verteidigers, aber nur die Mitwirkung des Verteidigers an sich, und nicht das Verteidigungsinnenverhältnis. Als nicht einschlägig erweist sich zuletzt der von Beulke zur Bestätigung seines Ergebnisses herangezogene § 297, wonach der Verteidiger für den Beschuldigten Rechtsmittel einlegen kann, jedoch nicht gegen dessen Willen. Nach Beulke bestätigt diese Vorschrift den Grundsatz, daß in allen übrigen Fällen umgekehrt verfahren werden müsse. Der Sinn der Vorschrift liege nicht in der Verleihung der Kompetenz zur Rechtsmitteleinlegung, sondern entgegengesetzt in ihrem Ausnahmecharakter. 33o Für diesen Umkehrschluß kann sich Beulke zwar auf die Zustimmung namhafter Mitstreiter berufen. 331 Aber schon ein Blick auf die allgemeinen Vorschriften über die Rechtsmittel, in deren Zusammenhang § 297 steht, erweckt Zweifel an seinem halbdeklaratorischen Charakter. So kann nach § 296 II die Staatsanwaltschaft von den Rechtsmitteln auch zugunsten des Beschuldigten Gebrauch machen, ohne daß man auf die Idee käme, im Umkehrschluß dazu die Rechte der Staatsanwaltschaft im übrigen auf die einer Anklagepartei beschränken zu wollen. Tatsächlich wäre es mit der prozessualen Autonomie des Beschuldigten nicht vereinbar, die Berechtigung des Verteidigers zur Rechtsmitteleinlegung schon aus seiner allgemeinen Aufgabe als Beistand des Beschuldigten zu entnehmen, die keiner zusätzlichen Legitimation bedürfe. Denn die Entscheidung über die Rechtsmitteleinlegung hat 328 V. Holtzendorff, Handbuch S. 405; Geyer, Lehrbuch S. 433ff. (434); Gerland, Der deutsche StrafprozeB S. 151, der den notwendigen Verteidiger in diesem Fall sogar als "Organ objektiver Wahrheitsermittlung" bezeichnet. 329 Grundlegend RGSt 17, 315. 330 Beulke, Verteidiger S. 115 f. 331 RieB, NJW 1977, 881 (883); Roxin, Strafverfahrensrecht S. 110.

I. Teil: Die rechtliche Doppelstellung des Verteidigers

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höchstpersönliche Interessenabwägungen des Beschuldigten zum Inhalt und kann folgerichtig nur von ihm selbst getroffen werden. Man denke nur an das damit verbundene Kostenrisiko oder den Dispositionsverlust betreffend den Zeitpunkt der Strafvollstreckung. 332 Deshalb bedarf die Rechtsmittelberechtigung des Verteidigers einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, zumal dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Strafprozesses durch die Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung bereits Genüge getan ist. 333 Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof zu Recht angenommen, regelmäßig begründe erst § 297 eine gesetzliche Vermutung dafür, daß der Verteidiger kraft seiner Aufgabe als Beistand für den Beschuldigten Rechtsmittel einlegen könne, soweit nicht dessen Willen entgegenstehe. 334 Anders kann es nur sein, wenn der Beschuldigte den Verteidiger durch die Erteilung gesondert zur Rechtsmitteleinlegung ermächtigt hat. Im Sinnzusammenhang dazu macht § 302 II konsequenterweise auch die Rücknahme des einmal eingelegten Rechtsmittels durch den Verteidiger von einer ausdrücklichen Ermächtigung des Beschuldigten abhängig. 335 5. Abschließende Wertung

Nicht zuletzt dadurch verursacht, daß Beulke die strafprozessuale Organstellung des Verteidigers auf eine kreisschlußartige Überschätzung einer für sich nicht einmal unumstrittenen Einzelfallgesetzgebung aus der Zeit der Terroristenprozesse stützt,336 entspricht die eingeschränkte Organtheorie nicht dem geltenden Recht. Die von ihm herangezogenen strafprozessualen Wertungsmaßstäbe tragen die von Beulke postulierten öffentlichen Interessen nicht, denen der Verteidiger unterworfen sein soll. Das gilt im besonderen Maße für die Effektivität der Verteidigung im Sinne einer Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers. Aussagen darüber betreffen den Kembereich des Verteidigungsinnenverhältnisses und können nur im Gesamtzusammenhang von Subjektstellung des Beschuldigten und Prozeßsubjektsgehilfenstellung des Verteidigers sowie möglicherweise seiner standesrechtlichen Organstellung entschieden werden. Darüber hinaus sind Wertungswidersprüche zwischen den einzelnen öffentlichen Interessen nicht zu übersehen; Vgl. v. Köhler, OS 1897, 161 (218f.). Dazu schon v. Köhler OS 53 (1897) 161 (219). Die Kritik von Vargha, Vertheidigung S. 351 an dem Ausschluß eines eigenen Anfechtungsrechts des Verteidigers wegen dieser Präsumtion von materieller Wahrheit überzeugt nicht, da ansonsten die Einlegung von Rechtsmitteln konsequenterweise nicht zur Disposition des Verteidigers stehen dürfte, sondern von Amts wegen veranlaßt werden müßte. 334 BORSt 12, 367 (370f.), ebenso LR-Oollwitzer, § 297, 2, 13; Kl.IMeyer-Ooßner § 297, 2; AK-Achenbach § 296-298, 4. 335 Vgl. nur LR-Oollwitzer, § 297, 2. 336 Kritisch dazu Ranack, Mandatsverhältnis S. 12f. 332 333

c. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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das betrifft insbesondere die Weisungsgebundenheit des Verteidigers bei der Preisgabe von Verteidigungspositionen einerseits und seine Funktion als Garant der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege im Hinblick auf die Vermeidung mißbräuchlichen Verteidigerverhaltens andererseits. 337 111. Das Vertragsprinzip von Lüderssen

Einen der eingeschränkten Organtheorie entgegengesetzten Weg verfolgt Lüderssen mit dem sog. Vertragsprinzip. Mit der .Subjektstellung des Beschuldigten habe der Gesetzgeber kein anderes Ziel verfolgt, als diesem prozessuale Autonomie einzuräumen. Die Mitwirkung des Verteidigers im Strafprozeß sei Ausdruck der Unabhängigkeit des Beschuldigten vom Staat und nicht Derivat seiner Fürsorge. 338 Für die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß sei aus diesem Grund das seiner Mitwirkung zugrundeliegende Rechtsverhältnis mit dem Beschuldigten allein maßgeblich. Da es sich dabei zivilrechtlich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag betreffend Dienstleistungen höherer Art handele, würden die Rechte und Pflichten des Verteidigers im Strafprozeß vor allem von den §§ 611, 627, 665, 675 BGB bestimmt. Der Verteidiger habe danach die Verteidigung grundsätzlich auf der Grundlage der Weisungen des Beschuldigten gemäß § 665 BGB zu führen. Die §§ 134, 276 BGB markierten die Grenzen seiner Weisungsgebundenheit im Hinblicke auf angesonnene Verstöße gegen Strafgesetze oder die Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts. Weiterhin verstoße es gegen § 138 BGB, wenn dem Verteidiger eine selbstmörderische Prozeßstrategie des Beschuldigten aufgezwungen werden solle; in derartigen Fällen könne der Verteidiger gemäß § 627 11 BGB jederzeit das Mandat beenden. Genauso verstoße es aber gegen die §§ 134, 138 BGB, wenn der Beschuldigte sein Weisungsrecht und damit seine prozessuale Autonomie gänzlich aufgebe. 339 Daß dieses Verständnis von Strafverteidigung nicht gleichbedeutend mit dem Leitbild eines bedingungslosen Komplizen des Beschuldigten oder der Schwächung der Verteidigerautorität ist, wurde bereits angesprochen. Lüderssen gebührt das Verdienst, verdeutlicht zu haben, daß derartige Überlegungen - wie sie insbesondere von den Vertretern der eingeschränkten Organtheorie bis heute vorgebracht werden _340 nicht zutreffen. 341 Das 337 Nach Beulke, Verteidiger S. 137 begrenzt nämlich das öffentliche Interesse an der Effektivität der Rechtspflege das Weisungsrecht des Beschuldigten. 338 LR-Lüderssen, Vor § 137, 2lf. 339 LR-Lüderssen, Vor § 137, 33ff. 340 Domach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 87; Beulke, Strafprozeßrecht S. 67; V. Stetten, StV 1995, 606 (609). 341 Genauso Kempf, Rechtsanwalt als Strafverteidiger S. 30.

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

zeigt sich anhand der verbreiteten Beobachtung, Verteidiger empfanden die Zuschreibung weiterer Funktionen im öffentlichen Interesse durch die Organstellung im breiten Maße nicht als Schutz, sondern als Einbruchstelle richterlicher Pressionen. 342 Aus diesem Grund ist das Selbstverständnis engagierter Strafverteidigung gerade in Konfliktsituationen mit den staatlichen Rechtspflegeorganen von der Betonung der Parteistellung, nicht aber von der Organstellung des Verteidigers getragen. 343 So findet das Vertragsprinzip seinen gedanklichen Ursprung schon in Stellungnahmen der sog. linken Verteidiger der Siebziger Jahre,344 ja im Ansatz sogar in den Ausführungen von Alexander zur der Ausschließung von Strafverteidigern aus Prozessen mit politischen Hintergrund in der späten Weimarer Republik. 345 Trifft es bis hierhin zu, daß die prozessuale Stellung des Verteidigers grundsätzlich von der Subjektstellung des Beschuldigten bestimmt wird, so ist die Tragweite des Vertragsprinzips trotzdem beschränkt. Denn ist auch die Subjektstellung des Beschuldigten im Strafprozeß einerseits nicht obrigkeitlich-fürsorglich zu verstehen,346 so läßt sich die Mitwirkung des Verteidigers im Strafprozeß andererseits auch nicht schematisch auf den Gesichtspunkt der Trennung von Gesellschaft und Staat reduzieren. 1. Zur Überlagerung strafprozessualer Wertungsmaßstäbe im Mandatsverhältnis

Kritisch zu betrachten ist vor allem die dem Vertragsprinzip innewohnende Übergehung strafprozessualer Wertungsmaßstäbe. Zwar gesteht Lüderssen auch zu, die Wertung spezifisch prozessualer Vorgänge in bestimmten Fällen habe nach den Regeln des Prozeßrechts zu erfolgen, so etwa bei der Bevollmächtigung des Verteidigers und der damit zusammenhängenden Wirksamkeit seiner Prozeßhandlungen, deren Beurteilung nicht von den Unwägbarkeiten des Mandatsverhältnisses abhängen dürften?47 Vgl. AK-Stem, Vor §137, 24f.; LR-Lüderssen, Vor § 137, 77. Näher dazu im Zweiten Teil der Untersuchung unter B IV. 344 VBl. vor allem Stroebele, Verteidiger im Verfahren gegen die RAF S. 41 (45f.). Ahnlich die These vom Verteidiger als Vertreter sog. "sozialer Gegenrnacht", vgl. Holtfort, Soziale Gegenrnacht S. 37 (45f.); ASJ-Hannover S. 6lf.; ASJ-Hamburg S. 66f. Ob damit die Vertretung privater Interessen des Beschuldigten oder das öffentliche Interesse an der Verwirklichung seiner SubjektsteIlung gemeint ist, wird allerdings nicht klar, dazu LR-Lüderssen Vor § 137, 88. 345 Alexander, ZStW 51 (1931) 54 (59ff.), bei dem die Idee des Verteidigers als Schutz der Gesellschaft gegen den Staat bereits anklingt: " ... daß der Staatsanwalt das dem Staate stets eigene Wesen auf Ausdehnung seiner Macht vertritt ... während der Verteidiger der Ausdehnung dieser Machtbefugnisse des Staates im Interesse der Individuen und der Gesellschaft entgegentritt ... ". 346 LR-Lüderssen Vor § 137, 21. 347 LR-Lüderssen Vor § 137, 65. 342

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c.

Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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Die Reduktion der SubjektsteIlung des Beschuldigten auf die Verwirklichung privater Interessen führt aber trotzdem zu einem Verständnis von Beschuldigtenautonomie, das schwerlich mit den strafprozessualen Wertungsmaßstäben zu vereinbaren ist, die hinter der Einrichtung der formellen Verteidigung stehen. Das zeigt sich beispielsweise bei der Abgrenzung von erlaubter Strafverteidigung und strafbarer Strafvereitelung nach § 258 StGB, die Lüderssen unter Berücksichtigung der allgemeinen strafrechtlichen Täter- und Teilnahmelehre vollzieht. Solange der Beschuldigte seine Verteidigung eigenverantwortlich in der Hand halte, wenn auch unter Federführung seines Verteidigers, nehme dieser als Teilnehmer oder allenfalls Mittäter an dem Privileg der straflosen persönlichen Selbstbegünstigung des Täters teil. Wenn dagegen der Verteidiger den Beschuldigten beherrsche, was sich im Hinblick auf die prozessuale Autonomie des Beschuldigten ohnehin nicht mehr innerhalb des Rahmens zulässiger Abmachungen bewege, handelt es sich um täterschaftlicher Strafvereitelung. 348 Einmal abgesehen davon, daß das öffentliche Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege eine klarere Grenzziehung zwischen erlaubtem und verbotenem Verteidigerhandeln gebietet, wie sie der Rekurs auf den im materiellen Recht kontrovers diskutierten Grenzbereich zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme schwerlich zu leisten vermag,349 stößt das Vertragsprinzip hier an seine Grenzen. Selbst wenn man an dieser Stelle den Umstand ausblendet, daß entgegen Lüderssen die Subjektstellung des Beschuldigten nicht ausschließlich auf dessen prozessuale Autonomie als Eigenwert, sondern auch auf Belange der Wahrheitsfindung zurückzuführen ist,350 so erscheint es doch als ureigenster Ausdruck prozessualer Autonomie des Beschuldigten, sich so zu verteidigen, wie er es für richtig hält. Das gilt um so mehr, als die Mitwirkung des Verteidigers dem Ausgleich von Defiziten in der Subjektstellung des Beschuldigten dient. Gerade wenn man das elementare Beschuldigtenrecht auf Passivität im Prozeß berücksichtigt, so erscheint es nicht nachvollziehbar, warum es ihm verwehrt sein sollte, die Verantwortung für seine Verteidigungsstrategie ganz an den Verteidiger abzugeben. 351 In die Verteidigungsstrategie und damit zumindest mittelbar in die SubjektsteIlung des Beschuldigten greift Lüderssen im übrigen ganz massiv ein, wenn er etwa bei der Prüfung der Ausschließung nach LR-Lüderssen, Vor § 137, 93 ff. Vgl. nur Lackner, StGB § 25, 2 m.w.N. 350 Lüderssen führt alle Fälle notwendiger Verteidigung folgerichtig auf gesetzliche Vermutung eines Autonomiedefizits zurück, LR-Lüderssen § 140, 10. Schon hier ergeben sich aber erste Probleme: Denn wäre "die Verkennung der hohen Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Sanktion" Hintergrund von § 140 Nr. 1-3, dürfte der Verteidiger angesichts dieser Geringschätzung prozessualer Autonomie des Beschuldigten kaum an dessen Weisungen gebunden sein. 351 Dazu Eisenberg, NJW 1991, 1257 (1258); Hamm, NJW 1993,289. 348

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1. Teil: Die rechtliche Doppe1stellung des Verteidigers

§ 138 a I Nr. 3 oder in einem Folgeprozeß wegen des Tatvorwurfs der

Strafvereitelung den Verteidiger in Versuchung führt, Verteidigungsinterna zu offenbaren. Denn die Verschwiegenheit des Verteidigers ist Grundvoraussetzung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Beschuldigten und damit für eine funktionierende Verteidigung. 352

Aber auch in allgemeinerem Maßstab zeigt sich, daß die Ableitung der prozeßrechtlichen Stellung des Verteidigers aus dem Mandatsverhältnis seine strafprozessualen Rechte und Pflichten nicht immer deckungsgleich abbildet. Sicherlich ist der Aufgabe des Verteidigers als prozeßrechtlicher Prozeßsubjektsgehilfe wie als Auftragnehmer im privatrechtlichen Mandatsverhältnis die Zielrichtung gemeinsam, einseitig die Interessen des Beschuldigten im Strafprozeß wahrzunehmen. Nach prozessualen Wertungsmaßstäben sind neben dem Verteidiger aber zusätzlich die staatlichen Rechtspflegeorgane aufgrund ihrer Unparteilichkeit auch für die Verteidigung des Beschuldigten zuständig. Das gilt für die Einführung entlastender Tatsachen genauso wie für die Berücksichtigung der schützenden Formen des Strafprozeßrechts. Das führt dazu, daß die dem Verteidiger im Mandatsverhältnis zugeordneten Pflichten sich von dessen prozessualer Zuständigkeit als Prozeßsubjektsgehilfe im Verhältnis zu den staatlichen Rechtspflegeorganen unterscheiden. Das zeigt sich deutlich bei einem Vergleich der Haftungssituation zwischen materiellrechtlicher Amtshaftungsklage und strafprozessualer Revision, die strukturell nichts anderes ist als eine in das Prozeßrecht umgedachte Amtshaftungsklage wegen fehlerhafter Verurteilung. 353 Verletzt beispielsweise der Verteidiger seine vertragliche Pflicht zur sorgfältigen Verteidigung, wenn er vor der tatrichterlichen Verurteilung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung nicht auf die naheliegende Verjährung der Tat oder auf einen dem Beschuldigten günstigen Strafzumessungsgrund hinweist, so ist er dem Beschuldigten für dadurch erlittene Vermögensschäden ersatzpflichtig. Das gilt unabhängig davon, ob die staatlichen Rechtspflegeorgane die Verjährung ebenfalls übersehen haben. Eine Amtshaftung ist insoweit nach Maßgabe des Richterprivilegs aus § 839 II 1 BGB in der Regel ausgeschlossen. Anders die strafprozessuale Bewertung: Das mit der Revision angefochtene strafrichterliche Urteil wird aufgehoben werden. Denn ungeachtet der "obrigkeitsstaatlichen Haftungsfreistellung .. 354 des materiellen Rechts ist aus strafprozessualer Sicht zur Überprüfung von Verfahrenshindernissen oder zur fehlerfreien Strafzumessung das Gericht von Amts wegen verpflichtet. 355 Die möglichen Diskrepanzen zwischen den vertraglichen und den prozessualen Pflichten des Verteidigers Dazu Welp, FS-Gallas S. 291 (293). Dazu Blomeyer, JR 1971, 142 (144); Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote S. 15 f. 354 E. Schneider, NJW 1998, 3695 (3696). 352 353

C. Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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verdeutlicht eine zusätzliche Überlegung. Die Qualität der Verteidigerleistung steht im Mandatsverhältnis im Rahmen bestimmter Mindeststandards (§§ 242 BGB, 9 AGBG) zur Disposition der Vertragsparteien,356 die prozessuale Stellung des Verteidigers und die daraus im Verhältnis zu den staatlichen Rechtspflegeorganen erwachsenden Zuständigkeiten aber nicht. So wird ein Eingriffsrecht des Gerichts in die sog. notleidende Verteidigung (advocatus inhabilis) als Ausfluß einer gerichtlichen Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten außerhalb der §§ 138 aff., 146 nur in äußerst engen Grenzen diskutiert. 357 Das gerade in solchen Fallkonstellationen zu Tage tretende Spannungsverhältnis zwischen den gerichtlichen Fürsorgepflichten gegenüber dem Beschuldigten einerseits, sowie dessen prozessualer Autonomie und dem daraus folgenden Schutz des Verteidigungsinnenverhältnisses vor staatlichem Zugriff andererseits, wird in unerträglicher Weise verschärft, wenn die Haftungsfreistellung im Mandatsverhältnis die prozessuale Ebene mit zusätzlicher Rechtsunsicherheit belastet. Hier zeigen sich die Grenzen der Übertragbarkeit des Vertragsprinzips auf die strafprozessuale Ebene. Weiterhin ergeben sich auch Unstimmigkeiten innerhalb des Vertragsprinzips an zentraler Stelle. Das zeigt sich zunächst im Zusammenhang mit dem Pflichtverteidiger. Lüderssen vermag zwar das Institut der Pflichtverteidigung als hoheitlich eingeleitetes Vertragsveifahren in der Form eines Kontrahierungszwangs im öffentlichen Interesse, ähnlich wie im Pflichtversicherungsrecht, zu erklären. 358 Schließlich liegt diese Sicht der Dinge auch dem anwaltlichen Gebührenrecht zugrunde. Der gesetzliche Anspruch· des Pflichtverteidigers gegen den Beschuldigten nach § 100 I 1 1. Hs. BRAGO gründet sich zwar auf die gerichtliche Bestellung, wird aber dem Grunde und der Höhe nach wie der privatrechtliche Gebührenanspruch des gewählten Verteidigers behandelt. 359 Die Übertragung des Vertragsprinzips auf die prozessuale Stellung des Pflichtverteidigers bereitet allerdings Schwierigkeiten. Weil dieser aufgrund seiner Übemahmepjlicht kein Recht hat, die Rücknahme der Bestellung zu verlangen, ist ihm nämlich auf der Grundlage des Vertragsprinzips konsequenterweise das außerordentliche Kündi355 Dazu die zivilrechtliche Entscheidungen BGH NJW 1964, 2402 (2403 f.); OLG Nümberg StraFo 1997, 186 (187) m.w.N. 356 Dazu Barton, Mindeststandards S. 284 m. w. N. 357 Näher Maiwald, FS-Lange S. 746 (759); Ploetz, Fürsorgepflicht S. 133 ff. m. w. N.; Barton, Mindeststandards S. 70ff.; S. llOff.; S. 157 ff.; Feigen, Rechte des Beschuldigten S. 161 (167). Das OLG Celle hat im Jahre 1983 die Ausschließung eines Verteidigers wg. Inkompetenz wieder aufgehoben, OLG Celle I Ws 33/83, zit. nach Kühne, Strafprozeßrecht S. 82. 358 LR-Lüderssen, Vor § 137, 58ff.; § 141, 1 ff.; ablehnend ohne Begründung Roxin, Strafverfahrensrecht S. 109. 359 Riedel/Sußbauer-Fraunholtz, BRAGO § 100, 8.

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I. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

gungsrecht nach § 627 11 BGB abzusprechen. 36o Daraus entsteht aber ein erheblicher Wertungs widerspruch zur Stellung des vom Beschuldigten gewählten Verteidigers. Derartige Diskrepanzen entsprechen aber nicht der auch von Lüderssen postulierten Inhaltsgleichheit von Wahl- und Pflichtverteidigung, gestiftet von der Wahlverteidigung aus. 361 Nicht nur, daß die jederzeit mögliche Kündigung des Dienstverpflichteten gemäß § 627 11 BGB generell Ausfluß des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen den Vertragsparteien ist, wie er gerade den Anwaltsvertrag prägt. 362 Gerade im Rahmen des Vertragsprinzips spielt die Vorschrift eine besondere Rolle, rechtfertigt Lüderssen doch vor allem damit die Weisungsabhängigkeit des auf seine Unabhängigkeit bedachten Rechtsanwalts, der die Verteidigungskonzeption des Beschuldigten nicht akzeptieren möchte. 363 Zudem erscheint es nicht einsichtig, daß ausgerechnet der Pflichtverteidiger, dessen gerichtliche Bestellung Lüderssen in allen Fallgruppen des § 140 auf AutonomiedeJizite des Beschuldigten zurückführt,364 ohne Kündigungsmöglichkeit die Weisungen des Beschuldigten auszuführen hat, auch wenn ihm dessen Verteidigungskonzeption nicht paßt. 365 Dieser Wertungswiderspruch verschärft sich im Vergleich zwischen dem notwendigen Wahlverteidiger, für dessen privat eingeleitete Beauftragung der § 627 11 BGB konsequenterweise gelten muß, und dem Pflichtverteidiger, für dessen gerichtliche Bestellung die Vorschrift nicht gilt. 2. Zum Standesrecht als öffentlich-rechtliche Komponente im Mandatsverhältnis Zuletzt schaffen die dem Vertragsprinzip zugrundegelegten Wechselwirkungen zwischen dem Vertragsprinzip und dem anwaltlichen Standesrecht genau die öffentlich-rechtliche Komponente, die Lüderssen dem Mandatsverhältnis ausdrücklich abspricht. 366 Denn das anwaltliche Standesrecht LR-Lüderssen § 143,13. LR-Lüderssen Vor § 137,60. 362 Das Sonderkündigungsrecht des § 627 beruht auf dem Gedanken, daß wegen der besonderen Vertrauensstellung gewisser höherer Dienstleistungen, wie z. B. bei Rechtsanwälten, keinem der beiden Teilen eine Fortsetzung zugemutet werden kann, wenn das persönliche Vertrauen zwischen ihnen erschüttert ist, vgl. ausführlich Staudinger/Preis, BGB § 627, 2f. 363 LR-Lüderssen Vor § 137, 52ff. Tatsächlich sind in der Praxis Unstimmigkeiten über die Verteidigungsstrategie der häufigste Grund für eine Mandatsniederlegung des Verteidigers, vgl. Vogtherr, Rechtswirklichkeit der Strafverteidigung S. 10 I, III f. 364 LR-Lüderssen Vor § 140,7ff. 365 LR-Lüderssen § 140, 58ff.; § 140, 16. 366 LR-Lüderssen Vor § 137,60. 360

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Die DoppelsteIlung des Verteidigers als Grundsatzproblem

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gewinnt über die §§ 138, 276 BOB als EinbruchsteIle unmittelbar Bedeutung für das Mandatsverhältnis, weil der Verteidiger sich nicht zu standeswidrigem Verhalten verpflichten darf. 367 Falls eine gedachte Reform des Standesrechts zur Folge hätte, Weisungen des Beschuldigten im Mandatsverhältnis ausnahmslos zu verbieten, würde das nach Lüderssen sogar zu einer entsprechenden Umformung des Vertragsprinzips führen. 368 Wenn das Vertrags prinzip ohne die öffentlich-rechtliche Komponente des Standesrechts nicht denkbar ist, so spricht das aber nicht gegen, sondern für eine prozessual relevante DoppelsteIlung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten und als standesrechtlich gebundenes Organ der Rechtspflege gern. § 1 BRAO. 369 3. Abschließende Wertung

Dem Vertragsprinzip liegt die zutreffende Prämisse zugrunde, daß sich das öffentliche Interesse an der Einrichtung bzw. Stärkung der formellen Verteidigung in der RStPO 1877 darauf beschränkt, die Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt abzusichern. Die Mitwirkung des Verteidigers im Strafprozeß beruht auf einem Vertrag oder beim aufgezwungenen Pflichtverteidiger zumindest auf einem vertragsähnlichen Mandatsverhältnis mit dem Beschuldigten. Erst dieses Mandatsverhältnis sowie die darauf basierende Erteilung der Prozeßvollmacht legitimiert den Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfen. Über die §§ 134, 138, 276 BOB entfalten die öffentlichrechtlichen Vorschriften des anwaltlichen Standesrechts und des Strafprozeßrechts für das Mandatsverhältnis Relevanz. Die Wechselwirkungen zwischen dem Mandatsverhältnis und der prozessualen Stellung des Verteidigers aufgezeigt und verdeutlicht zu haben, insbesondere im Hinblick darauf, daß der Verteidiger als einseitiger Interessenvertreter des Beschuldigten keinesfalls dessen bedingungsloser Parteigänger ist, darin besteht der Hauptverdienst des Vertragsprinzips. Die Inkonsequenz von Lüderssen besteht in der Ablehnung jeder öffentlich-rechtlichen Komponente des Mandatsverhältnisses. Das führt zu internen Wertungs widersprüchen und kollidiert vor allem mit strafprozessualen Wertungsmaßstäben über die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß. Es bleibt nach alledem dabei, daß die Stellung des Verteidigers durch seine DoppelsteIlung als strafprozessualer Prozeßsubjektsgehilfe und standesrechtliches Organ der Rechtspflege bestimmt ist.

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LR-Lüderssen Vor § 137, 50f. LR-Lüderssen Vor § 137,55f. Hanack, Mandatsverhältnis S. 33 ff.; Barton, Mindeststandards S. 288 f.

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1. Teil: Die rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers

D. Zusammenfassung Erster Teil - Die mit der RStPO 1877 endgültig vollzogene Abkehr vom gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß hat als wesentliche Reform die Erhebung des Beschuldigten zum autonomen Prozeßsubjekt zum Gegenstand. Im übrigen verbleibt es bei der aus den gemeinrechtlichen Prozeßordnungen übernommenen inquisitorischen Prozeßstruktur. Die Aufwertung des Beschuldigten dient in diesem Rahmen gleichermaßen der Erlangung eines gerechten Verfahrens und eines wahren Urteils. Mit der elementaren Bedeutung der Subjektstellung des Beschuldigten im untrennbaren Zusammenhang steht, daß das Recht auf Verteidigung als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips materiellen Verfassungsrang genießt. - Die prozessuale Stellung des Verteidigers ist die eines Prozeßsubjektsgehilfen des Beschuldigten in den Fällen, in denen sich der Beschuldigte mangels Rechtskundigkeit und Unbefangenheit gegenüber dem Anklagevor-

wurf an der Wahrnehmung seiner Subjektstellung gehindert sieht. Der Verteidiger nimmt für den Beschuldigten als Beistand gemäß § 137 I 1 Beratungs-, Fürsprech-, Entlastungs- und Schutzfunktionen wahr. In den Fällen notwendiger Verteidigung ist die Mitwirkung des Verteidigers für den Beschuldigten sogar unabdingbar und damit dessen Entscheidung entzogen. Das unwiderleglich vermutete Defizit, seine Subjektstellung ohne die Mitwirkung eines Prozeßsubjektsgehilfen ausfüllen zu können, geht in diesen Fällen der eigenverantwortlichen Entscheidung des Beschuldigten vor. Ein zivilrechtliches Mandatsverhältnis mit dem Beschuldigten ist konstitutive Voraussetzung für die Erlangung der VerteidigersteIlung. Im Regelfall stellt sich dieses Mandatsverhältnis als Geschäftsbesorgungsvertrag iSd 611, 675 BGB dar; bei der aufgezwungenen Pflichtverteidigung kann auch entsprechend ein vertrags ähnliches Mandatsverhältnis nach Maßgabe der Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag Legitimationsgrundlage für den Verteidiger sein. Weil die Subjektstellung des Beschuldigten und ihre Absicherung im öffentlichen Interesse an einem gerechten Verfahren und einem wahren Urteil besteht, wird die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß allerdings über die §§ 134, 138, 276 BGB durch die einschlägigen öffentlichrechtlichen Vorschriften insbesondere des Strafprozeßrechts sowie des anwaltlichen Standesrechts, bestimmt,. Deshalb hat sich die Tragweite des sog. Vertragsprinzips für die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß als sehr begrenzt erwiesen.

- Nach § 138 I sind als Verteidiger vor allem Rechtsanwälte zugelassen. Der Verteidiger hat dadurch in der Regel eine DoppelsteIlung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten und als Organ der Rechtspflege iSd § 1 BRAO. Durch die Bindung an ein reichseinheitliches Standesrecht (RAO 1879) wollte der strafprozessuale Gesetzgeber die Seriosität des Verteidi-

D. Zusammenfassung Erster Teil

81

gungspersonals sicherstellen und dem Mißbrauch der Verteidigerstellung, insbesondere im Hinblick auf die Gefährdung der Wahrheitsfindung im Strafprozeß, vorbeugen. Die im Vergleich zu dem vorhergehenden Partikularrecht und den europäischen Kontinentalprozeßordnungen relativ stark ausgeprägte Stellung des Verteidigers, insbesondere im Ermittlungsverfahren, erklärt sich vor diesem Hintergrund genauso wie die bis heute strafprozessual nur versprengt und fragmentarisch geregelte Mißbrauchsabwehr. Vor diesem Hintergrund entfalten die Pflichten des anwaltlichen Standesrechts grundsätzlich auch Wirkung für den Verteidiger. Wie sich andererseits am Beispiel des standesrechtlichen Lügeverbots gezeigt hat, ist das Zusammenspiel von Strafprozeßrecht und Standesrecht schon in elementaren Fällen klärungsbedürftig. - Als verfehlt hat sich ebenfalls der Versuch erwiesen, die Organstellung des Verteidigers von seiner standesrechtlichen Herkunft abzukoppeln und anhand selektiver gesetzlicher Wertungsmaßstäbe in das Strafprozeßrecht zu überführen, um auf diese Weise eine strafprozessuale Doppelstellung des Verteidigers zu konstituieren. Diese sog. eingeschränkte Organtheorie findet im geltenden Recht keinen Anhaltspunkt, weil sie der Grundkonzeption der Verteidigung im reformierten Strafprozeß zuwiderläuft.

6 Grüner

Zweiter Teil

Die Mißbrauchsproblematik Der Verteidiger als Spießgeselle des Beschuldigten oder als Gehilfe des Gerichts Der Gesetzgeber des Jahres 1877 hatte geglaubt, mit der Stärkung der formellen Verteidigung nicht nur der Bedeutung der SubjektsteIlung des Beschuldigten für ein gerechtes Verfahren und ein wahres Urteil Rechnung getragen, sondern durch die Bindung an das anwaltliche Standesrecht den Verteidiger zugleich als vertrauenswürdigen Funktionsträger in den Strafprozeß integriert zu haben. Der beste Schutz vor dem Mißbrauch der Verteidigung liege darin, ihr zukünftig die gebührende Stellung einzuräumen. Das Mißtrauen reize zu Mißbräuchen an; das Vertrauen sichere einen würdigen Gebrauch. 1 In der Tat: Selbst im nationalsozialistischen Strafprozeß, als in Konsequenz der zunehmenden Aufgabe der SubjektsteIlung des Beschuldigten2 die parteiliche Stellung des Verteidigers,3 ja sogar der Fortbestand der formellen Verteidigung als Verfahrensinstitut zur Disposition stand,4 hielt das Reichsgericht an dem Leitbild vom Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfen des Beschuldigten fest. 5 Das wird zwar dadurch relativiert, 1 Hahn, Materialien, S. 1556 (Bericht der Kommission); Abg. v. Schwarze, Ackermann, a.a.O. S. 1841, 1847. Wie hier schon Barton, Mindeststandards S. 88. 2 Vg!. Dix, DJZ 1934, 244 (246); Henkel, Das deutsche Strafverfahren S. 227; Sack, Strafverteidiger S. 54 ("Der Verteidiger ist nicht Verteidiger der Partei, sondern allein Verteidiger des Rechts"). Zur Aufhebung der freien Anwaltsorganisationen Bader, JZ 1972,6 (7); Redeker, NJW 1995, 1241 (1242) m.w.N. 3 Im Vorentwurf der Großen Strafprozeßrechtskommission von 1937 war sogar die Streichung des § 137 I geplant. Nach dem, allerdings nicht mehr umgesetzten, Vorschlag der Kommission sollte es unter der Überschrift "Wahl des Verteidigers" heißen: "Der Beschuldigte kann in jeder Lage des Verfahrens einen Verteidiger wählen. Dasselbe Recht hat selbständig der gesetzliche Vertreter", Schubert/Regge/ Rieß/Schmid, Quellen S. 750. 4 Schubert/Regge/Rieß/Schmid, Quellen S. 336f. (Stellungnahmen von Töwe und Gürtner zur "Verteidigung" in der Großen Strafprozeßkommission v. 1936), S. 518 mit absch!. Antrag v. Töwe. Dazu auch Henkel, Strafverfahren S. 227; Sack, Strafverteidiger und neuer Staat S. 21. S Nach RGSt 70, 390 (392) geht die Verschwiegenheitspflicht im Interesse des Beschuldigten dem Dienst an Wahrheit und Gerechtigkeit vor; nach RGSt 77, 153 (155 f.) ist die Verhandlung auszusetzen, um den Verteidiger bei schwieriger Sachund Rechtslage in die Lage zu versetzen, die "weiten Möglichkeiten für eine ihrer

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daß aufgrund der Ausschaltung unbequemer bzw. systemkritischer Rechtsanwälte engagierte Strafverteidigung ohnehin nicht mehr stattfand. 6 Gerade angesichts der bekannten Verstrickung der deutschen Justiz mit den Zielen nationalsozialistischer Rechtspolitik7 bestätigt die Standhaftigkeit des Reichsgerichts in diesem Punkt aber im besonderen Maße die institutionelle Verankerung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten in der Rechtskultur des reformierten deutschen Strafprozesses. Trotz seiner institutionellen Anerkennung haftet dem Verteidiger unverkennbar der Ruch eines Fremdkörpers im deutschen Strafprozeß an. 8 Nicht nur die öffentliche Meinung begegnet ihm als "schillernde Figur spektakulärer Strafprozesse" argwöhnisch. 9 Der Verteidiger bewegt sich auch als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten aus Sicht der staatlichen Rechtspflegeorgane seit jeher auf einem schmalen Grat zwischen abstrakter Anerkennung und konkretem Mißtrauen. Dieses Grundthema spiegelt sich bis heute in der immer wieder aufflammenden Diskussion um den Mißbrauch von Verteidigerrechten wieder. Auch in der aktuellen Diskussion spielt dieses Thema eine herausgehobene Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit strafprozessualen Großverfahren. 1O Man befürchtet, "die knappe Ressource Recht" werde durch das "gestörte Gleichgewicht zwischen StaatsanVerantwortung bewußten Verteidigung auszunutzen"; ähnlich RGSt 71, 353 (354), RGSt 73, 325 (327); nach RGSt 72, 268 (273) ist es nach vorheriger Verweigerung des Akteneinsichtsrechts nach § 147 verboten, die betroffenen Urkunden im Strafurteil zu verwerten. Vgl. auch RGSt 74, 305 (306f.); RGSt 76, 306 zur NichtbesteIlung des notwendigen Verteidigers. In allen Fällen wurde die tatrichterlichen Verurteilungen aufgehoben bzw. der Verteidiger vom Vorwurf der Begünstigung freigesprochen. 6 Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Strafrechtspflege S. 410, berichtet aus einem selbst erlebten Strafverfahren, in dem der Verteidiger nach dem Antrag des Staatsanwalts auf Freispruch noch die Frage nach einer Verurteilung aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt stellte. Allerdings könnte dieser konkrete Fall dadurch bedingt gewesen sein, daß er seinen Mandanten vor einem NS-Sondergericht bewahren wollte. Die Darstellung von Lewald, NJW 1947/48, 2 (3), die Mehrheit der deutschen Rechtsanwälte habe dem NS-Regime widerstanden, entspricht demgegenüber nicht der Realität, dazu Hannover, KJ 1974, 134 (136f.); Redeker, NJW 1987,2610 m.w.N. 7 Vgl. nur I. Müller, Furchtbare Juristen passim; Rüthers, Entartetes Recht S.213ff. 8 Dazu Domach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 19 m. w.N. 9 Dazu Müller-Meiningen jr., Der Verteidiger im heutigen Strafrecht S. 49 (51); Hammerstein, NStZ 1990, 261 (262); Domach, Verteidiger als Mitgarant S. 18 f. 10 Dazu Schrader, NStZ 1991,224; Maatz, NStZ 1992,513; Hamm, NJW 1993, 289; der, FS-Salger (1995) 273 (275); Herzog, StV 1994, 165 (167);Kintzi, DRiZ 1994,324; Schaefer, NJW 1995, 1723f.; Malmendier, NJW 1997,227 (229); DAVForum "Kurzer Prozeß-Langes Verfahren", AnwBl 1997, 73ff.; Nehm/Senge, NStZ 1998, 377. 6'

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waltschajt. Gericht und Verteidigung" infolge der mißbräuchlichen Ausnutzung von Verteidigerrechten verbraucht. Strafverteidiger versuchten zunehmend um jeden Preis, ein Urteil gegen ihre Mandanten zu verhindern oder die Gerichte zu günstigen Strafaussprüchen zu zwingen. 11 Diese Vorwürfe haben sich beispielsweise in den Thesen zum DJT 1994 niedergeschlagen, der in der Abteilung Strafrecht die Beschleunigung der Hauptverhandlung als Hauptthema zum Gegenstand hatte. Als eine Ursache überlanger Dauer von Strafverfahren wurde aus der Sicht der Staatsanwaltschaft dabei festgestellt: ..... - eine extensive. nicht selten die Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens überschreitende Ausübung von Verteidigerrechten.,,12 Diesen Befund hat kürzlich Generalbundesanwalt Nehm bestätigt, der bei der Analyse von 3 aus 62 mitgeteilten Strafverfahren mit Verdacht auf mißbräuchliches Verteidigerverhalten herausgefunden hat, die mißbräuchliche bzw. exzessive Inanspruchnahme von Verteidigerrechten sei zumindest mitursächlich für die lange Verfahrensdauer gewesen. \3 In einer besonders aufsehenerregenden Entscheidung sah sich das LG Wiesbaden sogar aus prozessualen Gründen an der Aufhebung eines amtsgerichtlichen Freispruchs trotz der Überzeugung von der Schuld der Angeklagten gehindert. Eine Verurteilung sei aufgrund der Ausnutzung der schützenden Formen des Strafverfahrensrechts durch die Verteidigung ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für eine funktionstüchtige Strafrechtspflege bei der derzeit geltenden Rechtslage in angemessener Zeit nicht möglich. Aus Gründen der Effektivität der Strafrechtspflege und der Würde des Gerichts sei daher die Nichtverurteilung der Angeklagten hinzunehmen. 14 Gerade diese Entscheidung macht ungeachtet ihres Ausnahmecharakters die Heftigkeit der Auseinandersetzung deutlich. 15 bestand der dem Verteidiger vorgeworfene .. Kampf gegen die Rechtsordnung" doch im wesentlichen in der Stellung von drei Beweisanträgen in der Hauptverhandlung, deren Ablehnung selbst die Staatsanwaltschaft nur wegen Wahrunterstellung beantragt hatte und die 11 Saiger. Rechtsgestaltende Wirkung des Revisionsrechts S. 8 (9); ähnlich Rudolph, DRiZ 1992,6 (9f.). 12 Linden, Thesen der Gutachter und Referenten der Abteilungen zum 60. Deutschen Juristentag 1994, S. 20 (These 5). Dazu auch der Tagungsbericht zum DJT, NJW 1994,3071. 13 Nehm/Senge, NStZ 1998, 377ff. (389). 14 LG Wiesbaden, NJW 1995, 409. 15 Selbst unter Justizjuristen herrscht einhellige Ablehnung, vgl. Asbrock, StV 1995, 240 (241 f.); Niemöller, StV 1996, 20 I (206). Schaefer, NJW 1995, 1723 f. geht als Hessischer Generalstaatsanwalt andererseits davon aus, die Staatsanwaltschaft habe ..... wahrscheinlich aus heimlicher Genugtuung über die abgegebene Begründung und in falsch verstandener Solidarität mit dem Gericht ... " keine Revision gegen die Entscheidung eingelegt.

A. Die Mißbrauchsproblematik als Zentralbegriff

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das Gericht trotz der eindeutigen Regelung des § 246 I als verspätet ablehnte. 16 Der hessische Generalstaatsanwalt Schaefer hat die Entscheidung sogar zum Anlaß für den Hinweis an die deutschen Strafverteidiger genommen, im eigenen wohl verstandenen Interesse auf Alarmzeichen zu reagieren und einen konstruktiven Beitrag durch die Selbstreinigung der Anwaltschaft von Prozeßsaboteuren und Konfliktverteidigern zu leisten. 17 Nach alledem dürfte Busse das Stimmungsbild unter Justizjuristen zutreffend wiedergeben, wenn er konstatiert: " ... Die deutschen Strafverteidiger werden aus Kreisen der deutschen Justiz eines immer häufiger werdenden Mißbrauchs der Verteidigungsmöglichkeiten beschuldigt. Die Folge seien überlange Hauptverhandlungen, extrem hohe Verfahrenskosten und eine Überforderung der Strafgerichte, die deren Funktionsfähigkeit in Frage stelle. Die Justizverwaltungen finden dafür leider willkommene Abnehmer in den Medien, für die, wie wir alle wissen, Horrorszenarien immer berichtenswert sind ... Mit großer Leichtfertigkeit werden in erster Linie die Strafverteidiger für die die Justiz so belastende Verfahrensdauer verantwortlich gemacht ... ,,18

Ziel des Zweiten Teils der Arbeit ist die Systematisierung der hier sog. Mißbrauchsprobiematik 19 (dazu A. und B.) in Anknüpfung an die vom damaligen Bundesjustizminister Vogel im Zusammenhang mit den RAFProzessen geprägte Begrifflichkeit, um davon ausgehend bei der Konturierung des erlaubten Verteidigerverhaltens nach geltendem Recht zu klareren Ergebnissen zu kommen, als das bisher der Fall war (dazu C.).

A. Die Mißbrauchsproblematik als Zentralbegriff in Rechtsprechung und Rechtspolitik Es gilt zunächst, die Reichweite der Mißbrauchsproblematik zu verdeutlichen. Schließlich bezieht sich diese nicht nur auf Mißbrauch von Verteidigerrechten, sondern ist nicht minder Ausdruck der insgesamt restriktiven Einstellung gegenüber dem Verteidiger im refonnierten Strafprozeß, an der sich über die Zeiten wenig geändert hat. Vargha nimmt schon im Jahre 1879 das Bild von den .. bösen Verteidigern" und den .. guten Richtern,,20 vorweg, wenn er anmerkt: " ... Es ist in der Tat höchst eigenthümlich, dass man alle von Praktikern für nothwendig erkannte Entlastung der Gerichte und Vereinfachung des Verfahrens stets nur auf Kosten der formellen Vertheidigung anstreben will. Diese Tendenz ist ein trauriges Zeichen, wie wenig noch immer das in der Theorie zur Herrschaft beru16

17 18 19 20

Näher Kempf, FG-Friebertshäuser S. 83 (86ff.). Schaefer, NJW 1995, 1723 (1724). Busse, AnwBI 1997,73 (74). Vogel, NJW 1978, 1217 (1223). Kühne, NJW 1998, 3027 (3028).

2. Teil: Die MiBbrauchsproblematik

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fene accusatorische Princip in der Praxis recht erfasst und in's Fleisch und Blut unserer Gerichtsfunctionäre übergegangen ist ...... 21

Genauso beklagt der Mainzer Rechtsanwalt Ludwig Fuld, einer der bekanntesten deutschen Avokaten der Kaiserzeit, die Geringschätzung mancher Richter und Staatsanwälte gegenüber der Advokatur. 22 Alsberg berichtet darüber, daß dienstlichen Erklärungen der staatlichen Rechtspflegeorgane eine höhere Beweiskraft als vergleichbaren Erklärungen der Verteidigung zugesprochen werde. 23 Insbesondere der im Jahre 1909 gegründete Deutsche Richterbund machte seine Geringschätzung gegen die nichtbeamteten "Faktoren der Rechtspflege" in einer Weise deutlich, die dem Szenario eines "Kriegsschauplatzes: Richterbund contra Anwaltschaft" glich.2 4 In jüngerer Zeit dürfte die systematische Zerstörung der deutschen Strafverteidigungskultur im nationalsozialistischen Strafprozeß zur außenseiterhaften Behandlung des Verteidigers zusätzlich beigetragen haben. Die Strafverteidiger, durch zunehmende Selbstorganisation in Zeiten der Weimarer Republik mit beachtlichem Einfluß innerhalb der deutschen Advokatur ausgestattet,2S verloren in dieser Zeit ihre besten, meist jüdischen Kräfte.26 Parallel dazu änderte der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates allein nichts an der in dieser Zeit vorgenommenen Kräfteverschiebung zuungunsten des Verteidigers in den Gerichtssälen,27 zumal angesichts der personellen Kontinuität in der deutschen Justiz im Nachkriegsdeutschland. 28 Als Folge davon spielte die Strafverteidigung in der Bundesrepublik lange Zeit die Rolle eines "Aschenbrödels der Juristerei".29 Der Bundesgerichtshof lehnt sich in einem frühen Urteil sogar noch an die nationalsozialistiVargha, Vertheidigung S. 289. Fuld, JW 1892,53 (54); ähnlich Isermann, Strafverteidiger als Interessenvertreter S. 16f. 23 Alsberg, JW 1926,2756 (2757). 24 Näher zum Ganzen Isermann. Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege S. 16 f. m.w.N. 25 Seit 1919 schufen sich die Strafverteidiger innerhalb des "Deutschen Anwaltsvereins" (DAV) zunehmend eigene Organsiationsstrukturen. vgl. dazu König. Festgabe L. Koch S. 17 (20ff.). Seit 1924 war mit dem Leipziger Rechtsanwalt Martin Drucker sogar ein haupsächlich als Strafverteidiger tätiger Rechtsanwalt Vorsitzender des DAV. Zur ausgeprägten Bedeutung der Strafverteidigung in der Weimarer Republik, Jungfer. Strafverteidigung S. 58 f.; Münchhalffen. StraFo 1995. 62. 26 Näher Krach. Jüdische Rechtsanwälte S. 91 ff.; dazu auch Jungfer. Strafverteidigung S. 43 (50) m.w.N.; ders .• AnwBI1992. 510 (512f.). 27 Vgl. Lüderssen. FS-Sarstedt S. 145 (155); Ostler. JR 1959. 121 (126. 129); ders .• AnwBI. 1983, 50 (59). Exemplarisch anhand der Sitzordnung in der Hauptverhandlung: v. Sauer, NJW 1947/48. 683; PreiBler. NJW 1949. 417; Bader. NJW 1949, 737 (738). 28 Dazu Blasius. KJ 1998. 219 (229) m. w. N. Symptomatisch dafür ist das Bekenntnis des Bundesgerichtshofs, die Verfolgung des NS-Justizunrechts sei insgesamt fehlgeschlagen. BGHSt 40. 30 (40). 21

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A. Die Mißbrauchsproblematik als Zentralbegriff

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sche Terminologie an, wenn er den Verteidiger als Diener am Recht bezeichnet, dessen Tätigkeit neben Gericht und Anklagebehörde die Rechtssicherheit des Strafverfahrens betone. 3o Dahs sen. weist noch im Jahr 1959 darauf hin, daß der Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht selten wie ein "Paria des Strafverfahrens" behandelt werde. 31 Selbst Güde, in seiner Funktion als Generalbundesanwalt nicht dazu berufen, eine Lanze für den Verteidiger zu brechen, konstatiert in dieser Zeit: ..... Die Verteidigung im deutschen Strafprozeß krankt daran, daß der Strafverteidiger von den beamteten Trägem des Strafprozesses - Richter und Staatsanwalt als ein Außenstehender und Fremder angesehen wird und daß er - auch das muß man sagen - oft genug auch selbst wie ein Außenstehender und Fremder handelt. Die Wechselwirkung ist dabei nicht zu verkennen. Die Distanzierung von dem Strafverteidiger, ja man könnte sagen, ein gewisses Mißtrauen gegen ihn, ist aus dem Konzept des alten Gesetzgebers abzulesen und erklärt viele Einzelzüge sowohl in der gesetzlichen Regelung als auch in der Praxis bis heute. Und umgekehrt hat diese mißtrauische Distanzierung auch den Stil des deutschen Strafverteidigers beeinflußt .....32

Die wenig ausgeprägte Neigung der staatlichen Rechtspflegeorgane, den Verteidiger als gleichwertigen Prozeßteilnehmer anzuerkennen, wie sie bis hierher zutagetritt, läßt sich in der Praxis konkret nachverfolgen. Das äußert sich schon in Begriffsschöpfungen wie den der Spurenakten, womit die Rechtsprechung - etwa in dem bekannten ZloJ-Urteil - dem Verteidiger bei Bedarf die vollständige Offenlegung des Ermittlungsverfahrens versagt,33 oder den des Vorermittlungsverfahrens, mit dessen Hilfe die Ermittlungsbehörden mitunter eine Umgehung von Verteidigungs- bzw. Verteidigerrechten nach Art des gemeinrechtlichen Prozesses vorzunehmen pflegen. 34 Als besonders eindringliches Beispiel für verteidigerfeindliches Richterrecht erscheint in diesem Zusammenhang die Behandlung des Verteidigers, der im gleichen Verfahren als Zeuge in Betracht kommt. Bekanntlich unterliegt der Verteidiger genauso wie der Rechtsanwalt einer umfassenden Schweigepflicht betreffend die in dieser Eigenschaft erlangten Geheimnisse. Verletzungen dieser nunmehr in § 43 a 11 BRAO sogar ausdrücklich geregelten Schweigepflicht sind daher nicht nur Gegenstand standesrechtlicher Sank29 Serke, Strafverteidiger in Deutschland S. 7 f.; ähnlich Mauz, Prozesse ohne Verteidigung? S. 7 ff.; Jungfer, Strafverteidigung S. 43 (50) m. w. N.; Gatzweiler, Festgabe L. Koch S. 93 (103). 30 BGHSt 2, 375 (377f.). 3\ Dahs sen., Anw.BI. 1959, 171 (188); ähnlich Wiesmeier, Anw.BI. 1959,213. 32 Güde, AnwBI 1961,3 (5f.). 33 BGHSt 30, 131 ff.; dazu Wasserburg, NJW 1981, 2441 (2442); Beulke, FSDünnebier, S. 285 ff. 34 Dazu LG Offenburg NStZ 1993, 506f. Zum Ganzen LR-Rieß § 152, 33; Weider, AnwBl 1997, 538ff.

2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

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tionen (v gl. die §§ 113ff. BRAO), sondern werden durch § 203 I Nr. 3 StGB sogar strafrechtlich geahndet. Anders stellt sich die materielle Rechtslage nur dar, wenn sie sich ausnahmsweise auf überwiegende Interessen i. S. d. § 34 StGB berufen können?5 Speziell der Verteidiger wird sich aus strafrechtlicher Sicht stets auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen müssen, wenn es sich um ein vom Beschuldigten anvertrautes Geheimnis handelt. 36 Folgerichtig bestimmt die Strafprozeßordnung in § 53 I Nr. 2f., daß Verteidiger und Rechtsanwälte als Zeugen ein Schweigerecht betreffend die in Ausübung ihrer Tätigkeit erlangten Informationen haben, solange sie nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden worden sind. 37 Ungeachtet dessen entsprach es ständiger reichsgerichtlicher Rechtsprechung, daß das Tatgericht den vom Angeklagten benannten Verteidiger zurückweisen dürfe, wenn dieser im gleichen Verfahren als Zeuge fungiere. Denn die Zeugnispflicht sei eine öffentliche Pflicht. Demgegenüber habe der Angeklagte zwar ein Recht auf Verteidigung, aber nicht durch eine bestimmte Person. Die Gefahr, daß die Anklage auf diese Weise dem Beschuldigten den vom ihm gewählten Verteidiger gezielt entziehe, bestehe aufgrund der Organisation der Staatsanwaltschaft und ihrer Verantwortung für den Beschuldigten nicht. 38 Selbst nachdem das Bundesverfassungsgericht in dem bereits erwähnten Schmidt-Leichner-Beschluß festgestellt hatte, das Gesetz normiere gerade keinen Vorrang der Zeugnispflicht,39 entsprach es weiterhin gängiger Meinung, der Verteidiger sei ersetzbar, der Zeuge dagegen unersetzbar. Daher unterliege der Verteidiger den allgemeinen Zeugenregeln. Er könne daher nach dem Ermessen des Gerichts bis zu seiner Anhörung, gegebenenfalls bis zu seiner Entlassung als Zeuge nicht zugleich als Verteidiger auftreten. 4o Jedenfalls dürfe der Verteidiger, soweit ihn das Gericht dann nicht überhaupt ausschließe, im Plädoyer seine belastende Zeugenaussage nicht im Interesse des Angeklagten abschwächen. 41 Dabei blieb es bis zur gesetzlichen Regelung der Verteidigerausschließung durch die §§ 138a ff, die bekanntlich den Ausschließung des als Zeugen auftretenden Verteidiger nicht vorsehen. 42 Näher Sch/Sch/Lenckner § 203, 30ff. Vgl. nur Kl.lMeyer-Goßner § 53, 13 m. w. N. 37 Auch das ist eine Errungenschaft der StPO 1877. Die vorhergehenden Partikularrechtsordnungen enthielten keine vergleichbaren Regelungen, vgl. Armbrüster, Entwicklung der Verteidigung S. 157. 38 RGSt 24, 104 (l06f.). Daran anschließend RGSt 24, 296; RG DJZ 1907, 240; RGSt 55, 219. Anders nur RG GA 1891, 312 (313): Kein Vorrang der Zeugenpflicht vor der Verteidigertätigkeit. 39 BVerfGE 16,214 (216f.), ähnlich aber schon BGH NJW 1953, 1600. 40 Eb. Schmidt, NJW 1953, 1753ff.; LR-Kohlhaas Vor § 48, 4e, § 58, 2a. Genauso schon Gallas, ZStW 1934,256 (264ff.). 41 Vgl. nur Schom, Strafverteidiger S. 28ff. m.w.N. 3S

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A. Die Mißbrauchsproblematik als Zentralbegriff

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Selbst die Praxis des Bundesverfassungsgerichts scheint mitunter nicht frei von der Vorstellung zu sein, der Verteidiger sei auch im reformierten Strafprozeß gegenüber den staatlichen Rechtspflegeorganen kein gleich vertrauenswürdiger Funktionsträger. So führt ein Vorprüfungsausschuß in dem bekannten .. Hosenladenbeschluß" zur Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde aus, die von Verteidigern mutmaßlicher RAF-Terroristen gegen die Anordnung der Leibesvisitation vor dem Betreten des Verhandlungssaals eingelegt wurde: ..... Daß durch derartige Vorkehrungen auch Verteidiger getroffen werden, die keinen Anlaß zu der Annahme gegeben haben, sie würden die ..Ordnung in der Sitzung" geflihrden oder gar terroristische Gewalttäter unterstützen, muß im Interesse der Sicherheit in Kauf genommen werden ... Von prozeßbeteiligten Vertretern des Staates, die nicht nur zur Verfolgung und Wahrung des staatlichen Strafanspruchs im Rahmen rechtsstaatlicher Verfahrensregeln berufen, sondern zugleich kraft ihres Amtes zur Fürsorge für die Angeklagten verpflichtet sind, geht [dagegen] keine Gefahr für die Ordnung in strafgerichtlichen Hauptverhandlungen aus .. ,,43 Das Mißtrauen der staatlichen Rechtspflegeorgane, der Verteidiger könnte sich ungeachtet seiner standesrechtlichen Bindungen mehr als Teilhaber der Interessen seines Mandanten denn als Teilhaber der Rechtspflege verstehen, schlägt sich auch darin nieder, daß die Interessenvertretungen der Justizjuristen traditionell darum bemüht sind, auf eine möglichst restriktive Regelung von Verteidigerrechten im Strafprozeß hinzuwirken. Schon im Jahre 1910 wendet sich der einflußreiche ..Verein sächsischer Richter und Staatsanwälte" gegen eine weitere Liberalisierung des Kontaktrechts zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger. Trotz der insgesamt positiven Erfahrungen mit der freien Verteidigung gebe es keine Gewähr dafür, daß der Verteidiger dem Angeklagten zu dessen Umtrieben nicht die Hand reiche. 44 Auch die mit der .. Diktatur der Armut,,45 begründete Notverordnungspraxis in der Endzeit der Weimarer Republik, die vor allem durch Beschränkungen des Beweisantragsrechts zu einer nachhaltigen Schwächung der Position der Verteidigung führte,46 entsprach den Forderungen aus den Kreisen der Justizjuristen, den Einfluß des Verteidigers im Strafprozeß möglichst zurückzudrängen. 41 Diese verteidigerfeindliche Zielrichtung 42 Seitdem ist auch in der Praxis anerkannt, daß auch der als Zeuge vernommene Verteidiger keiner Beschränkung seiner Verfahrensbefugnisse mehr unterliegt, vgl. KI./Meyer-Goßner Vor § 48, 18. 43 BVerfGE 48, 118; bezugnehmend darauf BVerfG StV 1998, 241 (242f.). 44 Zitiert in der Stellungnahme des .. Sächsischen Anwaltsvereins" in JW 1910,

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Schlegelberger, JW 1932, 1929. Insbesondere durch die Notverordnung v. 14.6.1932, RGBI. I S. 285, vgl. dazu im Einzelnen Gerland, DJZ 1932, Sp. 1182. 4S

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

hat auch in der jüngeren Vergangenheit die Rechtspolitik der Justizjuristen bzw. ihrer Interessenvertretungen mitbestimmt. Das spiegelt sich insbesondere in der Entstehungsgeschichte des StPÄG 196448 wieder, das auf Betreiben der Anwaltschaft gegen den massiven Widerstand des Deutschen Richterbundes vor allem der Stärkung der verfahrensrechtlichen Position der Verteidigung diente. 49 Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die in der Folgezeit von Richtern und Staatsanwälten bisweilen verwendete Bezeichnung des StPÄG 1964 als "Anwaltsgesetz" oder " Verbrecherschutzgesetz ", obwohl diese Liberalisierung des Strafprozesses in Zeiten eines systemintegrierten Anwaltsstandes erfolgte. so Es verwundert nach alledem nicht, daß auch die gescheiterte Regelung der Verteidigerausschließung wegen Prozeßsabotage als geplanter Höhepunkt gesetzgeberischer Eingriffe in die Stellung des Verteidigers in den Siebziger Jahren maßgeblich auf das Betreiben des Deutschen Richterbundes zurückging. S1

B. Prozessuale Gegenmacht - Soziale Gegenmacht als kritische Masse der Mißbrauchsproblematik Erweist sich die Mißbrauchsproblematik als Zentralbegriff für Rechtsprechung und Rechtspolitik, so verdeutlichen die folgenden Ausführungen den untrennbaren Zusammenhang mit den strukturellen Brüchen des reformierten Strafprozesses, wie sie schon im Ersten Teil der Untersuchung angeklungen sind: Zum einen die Mischstruktur des reformierten Strafprozesses als unparteiliches Inquisitionsverfahren kombiniert mit der Subjektstellung des Beschuldigten; zum anderen die zum Teil lückenhafte Regelung der formellen Verteidigung im Spannungsfeld zwischen Strafprozeßrecht und anwaltlichem Standesrecht. Alsberg hat die daraus entstehenden Gefahren für die prozessuale Stellung des Verteidigers im Jahre 1926 mit der Warnung auf den Punkt gebracht, der Verteidiger dürfe nicht vor die Wahl 47 So schlägt etwa der "Preußische Richtervein" in einer vorhergehenden Stellungnahme den Abbau der Fälle notwendiger Verteidigung, die Herabsetzung von Verteidigergebühren sowie die erleichterte Zurückweisung von Beweisanträgen vor, vgl. JW 1932, 916ff. Ähnlich Kohlrausch, JW 1932, 2672. Zum ganzen I. Müller, Verteidigung S. 69 (72) m. w.N. 48 Strafprozeßänderungsgesetz v. 19.12.1964, BGBI I S. 1067. Näher dazu Kleinknecht, JZ 1965, 113ff.; 153ff. 49 Näher Eb. Schmidt, NJW 1968, 1209 (l214f.). Das Unbehagen der Richterschaft gegen die Stärkung der Verteidigerposition spiegelt sich auch bei Schom, NJW 1965,713 (716); Heinitz, JR 1962,241 wieder. so Hanack, FS-Schultz S. 299ff. m.w.N.; Dahs sen., NJW 1965,81. Bezeichnenderweise konstatiert K. Peters, JR 1971, 340 noch im Jahre 1971 das Fehlen des Stichworts "Mißbrauch" in den Lehrbüchern und Kommentaren. SI Dazu Hanack, FG-Schultz S. 299 (314).

B. Prozessuale Gegenmacht

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gestellt werden, entweder Spießgeselle des Beschuldigten oder Träger einer richtergleichen Stellung zu sein. 52 I. Die widersprüchliche Prozeßstruktur Näher einzugehen ist dabei vor allem auf das Mischverhältnis als Inquisitionsprozeß mit parteiprozessualem Einschlag, eine schon von Binding als "häßliche Bastard/orm" sowie als "schweres Mißverständnis des neueren Anklageprozesses" gescholtene Prozeßstruktur. 53 Die inquisitorische Grundstruktur des refonnierten Strafprozesses führt zwingend dazu, die Erforschung der Wahrheit unparteilich anzulegen. Staatsanwaltschaft und Gericht haben von Amts wegen alles zu erforschen, was für die Entscheidung von Bedeutung sein könnte; eben die aus dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß bekannte materielle Wahrheit, wenn auch in der Hauptverhandlung thematisch beschränkt auf die angeklagte Tat, §§ 155, 264. Ein Blick auf die Beweisverbote macht deutlich, wie schwer dieser inquisitorische Wahrheitsanspruch strukturell selbst damit verknüpfbar ist, auf ein wahres Urteil zu verzichten, weil die Verwertung bestimmter Beweise dem Postulat eines gerechten Verfahrens zuwiderlaufen würde. Die richterrechtlich entwickelte sog. Abwägungslehre, die die Verwertung von Beweisen im Strafurteil im Interesse eines wahren Urteils auch dann zuläßt, wenn sie unter Verstoß gegen einfachgesetzliche strafprozessuale Wertungsmaßstäbe, also in einem ungerechten Verfahren erlangt worden sind, legt davon Zeugnis ab. 54 Dem Verteidiger wird dagegen in der Hauptverhandlung, wo der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt, ein Konfrontationskurs gegenüber dem Gericht vom Gesetzgeber funktionell vorgegeben. Denn sein Auftrag liegt darin, "alles geltend zu machen, was dem justiiförmigen Zustandekommen einer richterlichen Überzeugung entgegenstehen muß".55 Schon wenn er das zur Erlangung eines wahren Urteils tut, wird sich das Gericht mit der Akzeptanz seiner Verteidigungshandlungen schwertun. Schließlich stellen diese nicht nur inzident die Qualität der eigenen Aufklärungstätigkeit in Frage. Die damit erzeugte prozessuale Eigendynamik widerspricht auch dem inquisitorischen Verständnis von hegemonialer Definitionsmacht des Inquirenten, der sich selbst unter Berufung auf seine institutionelle Objektivität vor dem Verteidiger schützt. 56 Aus diesem Grunde genießt das Beweisantragsrecht des Verteidigers in der höchstrichterlichen Alsberg, JW 1926, 2756 f. Binding, Abhandlungen 11, S. 201. 54 Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung unter B I 3. 55 Eb. Schmidt, LK 11, Vor § 137, 7. 56 Dazu Hamm, NJW 1993, 289 (292). Ähnlich wohl auch Kühne, NJW 1998, 3027 (3028). 52 53

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Rechtsprechung zwar einerseits besonderen Respekt als notwendiges Instrument dialektischer Wahrheitsfindung. 57 Auf der anderen Seite ist das Bestreben der Tatgerichte nach einem Schutz des Beweisantragsrechts außerhalb der geschriebenen Ablehnungsgründe vor Mißbrauch durch die Verteidigung so alt wie die Strafprozeßordnung selbst. Schon das Reichsgericht hatte sich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1885 damit zu befassen, "daß die geltende Strafprozeßordnung dem Richter keine Befugnis gewährt, die successive immer erneute Stellung von Beweisanträgen. faUs deren Gegenstand an sich erheblich erscheint, deshalb abzuschneiden. weil eine derartige Verteidigungsmethode zu fortgesetzten Vertagungen führt. das Verfahren verzögert und eine Hinausschiebung der Endentscheidung bezweckt wird .. .".58 In jüngerer Zeit ist sogar vom Beweisantragsrecht des Verteidigers "als Grundübel des deutschen Strafprozesses,,59 sowie .. als Daumenschraube für die Tatgerichte ,,60 die Rede. Erst recht wird die Mitwirkung des Verteidigers auf das Mißtrauen des Gerichts stoßen, wenn er den Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Interesse eines gerechten Verfahrens gegen das richterliche Aufklärungsinteresse richtet. Strukturell sind daraus entstehende Spannungen natürlich die notwendige Konsequenz einer jeden inquisitorisch geprägten Prozeßstruktur mit der Verteidigung als partei prozessualem Element. In Deutschland hat dieses Spannungsverhältnis aber sogar zur Folge, daß trotz der Verfahrensherrschaft des Gerichts in der Hauptverhandlung seit jeher das richterliche Bestreben festzustellen ist, die Verantwortung für einen justizförmigen Prozeß dem Verteidiger zu überlassen, soweit es den Schutz von Interessen des Beschuldigten betrifft, die der Wahrheitsfindung entgegenstehen. Das zeigt ein nochmaliger Blick auf die Beweisverbote, deren Realisierung über verschiedene richterrechtliche Konstruktionen bis hin zur Auferlegung einer Art zivilprozessualen Einrede durch die Widerspruchslösung vom Einschreiten des Verteidigers abhängig gemacht werden. 61 Aber auch den Gesetzesmaterialien der RStPO 1877 zum Akteneinsichtsrecht des Verteidigers sind schon Bedenken gegen eine Offenlegung polizeilicher Spurenakten zu entnehmen, ..... sonst würde die Polizei. die in den großen Städten einem organisierten Verbrecherthum gegenüber erfahrungsgemäß nicht immer mit den lautersten Mitteln operieren müsse. lahm gelegt. ,,62

Vgl. Perron, ZStW 1996 (108) 126. ROSt 13, 151 (153). Ähnlich ROSt 22, 235 (236). 59 Bassewitz, DRiZ 1982,458 (461). 60 Schrader, NStZ 1991,224 (225). 61 Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung B I und H. 62 Hahn, Materialien S. 971 (Abg. v. Puttkammer), allerdings mehrheitlich abgelehnt, Hahn a.a.O. S. 970ff., 975. 57 58

B. Prozessuale Gegenmacht

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Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß es sich bei der im Ersten Teil der Untersuchung angesprochenen Kritik an dem Begriff der "materiellen Wahrheit" im Strafprozeß nicht um einen Versuch der terminologischen Überdeckung von Spannungen um den strafprozessualen Wahrheitsbegriff handelt. 63 Vielmehr überdeckt dieser Begriff seinerseits die vom Gesetzgeber angelegten Spannungen um die prozessuale Wahrheit, die sich aus den divergierenden Prozeßzielen im reformierten Strafprozeß ergeben. Daraus erwächst zwangsläufig ein gewaltiges Spannungspotential zwischen Gericht bzw. Staatsanwaltschaft einerseits und Verteidigung andererseits. Es besteht nämlich aus inquisitorischer Sicht kein Bedarf an der Mitwirkung eines einseitig den Interessen des Beschuldigten verpflichteten Verteidigers. Im Gegenteil: Die Inquirenten, insbesondere das Gericht in der Hauptverhandlung, werden strukturell bedingt daran interessiert sein, Verteidigeraktivitäten möglichst einzudämmen, jedenfalls wenn der Verteidiger "nicht mitspielt".64 Der neuerdings in die gerichtliche Praxis eingeführte Begriff der Konfliktverteidigung als Synonym für Unseriosität und Rechtsmißbrauch der Verteidigung spricht für sich. 65 11. Anwaltliches Standesrecht als EinbruchsteIle staatlicher Restriktion Dieser prozessuale Strukturkonflikt gewinnt zusätzliche Brisanz dadurch, daß das anwaltliche Standesrecht seit jeher in dem zweifelhaften Ruf steht, eine Art "Sonderpolizeirecht" gegen Rechtsanwälte zu sein. So berichtet Cüppers, unter der Herrschaft der RAO 1878 und erst recht der nationalsozialistischen RRAnwO 1936 seien die Vorstände der Rechtsanwaltskammem von der größeren Zahl der Rechtsanwälte dahin beurteilt worden, hauptsächlich Rechtsanwälte mit Mißbilligung zu belegen oder sie gar in ein Ehrengerichtsverfahren zu verwickeln. 66 Die anwaltlichen Interessenvertreter im Gesetzgebungsverfahren zur BRAO sprachen sich sogar gegen die gesetzliche Festschreibung einer OrgansteIlung des einzelnen Rechtsanwalts aus Angst vor staatlicher Vereinnahmung aus, nachdem sie anfanglich dem "Zauber dieses Begriffes erlagen".67 Diese Kritik am anwaltlichen Standesrecht als Instrument staatlicher Vereinnahmung des Rechtsanwalts ist bis in die jüngere Zeit nie verstummt. 68 Das gilt um so mehr, als nach § 121 63 So aber Krauß, FS-Schaffstein S. 411 (412). Eingehend Grasnick, Wahres über die Wahrheit S. 55 ff. 64 Grasnick, Wahres über die Wahrheit S. 55 (75). 65 Näher Jahn, ZRP 1998, 103ff.; KK-Laufhütte Vor § 137,8. 66 Cüppers, NJW 1950, 930f. 67 Blanke, AnwBI 1954, 134 (142ff.); Heins, NJW 1958,201 (203f.). 68 Vgl. Dahs, StraFo 1998, 253 (258).

2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

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BRAO die Staatsanwaltschaft (aus inquisitorischer Sicht zwar unparteiliches

Prozeßsubjekt, aber als Anklägerin natürliche Gegnerin des parteilichen Verteidigers)69 zur Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens gegen den unbequemen Verteidiger befugt ist. So ist insbesondere im Zusammenhang mit den RAF-Prozessen der Siebziger Jahre verbreitet die Ansicht vertreten worden, der gerichtlichen Praxis diene das anwaltliche Standesrecht seit jeher als Gängelband zur Disziplinierung unbequemer Verteidiger und damit als Einbruchstelle zur Schwächung der Verteidigerstellung. Im gleichen Maße, wie standesrechtliche Elemente die strafprozessuale Stellung des Verteidigers bestimmten, werde dessen Handlungsspielraum eingeengt. 70 Sie widerspreche dem liberalen Leitbild des Verteidigers71 und binde diesen bedrohlich im hoheitlichen Sinne in staatliche Strafverfolgungsinteressen ein. 72 III. Akzeptanz des Verteidigers als Helfer inquisitorischer Wahrheitsfindung Vor diesem doppelt spannungsgeladenen Hintergrund lief die Mitwirkung des Verteidigers aus Sicht der staatlichen Rechtspflegeorgane solange als insgesamt reibungslos ab, wie die Verteidiger im breiten Maße eher Sekundanten inquisitorischer Wahrheitsfindung und weniger in Ausübung prozessualer Gegenmacht auftraten. Diese Situation kennzeichnete vor allem den Strafprozeß in der Kaiserzeit, als die Advokatur im hohen Maße bemüht war, die Übertragung des "in früheren Zeiten oft erhobenen Vorwurfs der Advokatenrabulisterei,,73 auf den Verteidiger im reformierten Strafprozeß zu verhindern. 74 So stellte nach verbreiteter anwaltlicher Sicht in dieser Zeit die Verpflichtung des Verteidigers zur Teilhabe an einer der materiellen Wahrheit verpflichteten Rechtspflege sogar schon die Übernahme der Verteidigung eines Schuldigen wegen der damit verbundenen Gewissensnöte in Frage. 75 Symptomatisch für dieses Selbstverständnis dürften die folgenden Sätze von Fuld sein: Bakker Schut, Stammheim S. 509 f. m. w. N. Knapp, Der Verteidiger-ein Organ der Rechtspflege S. 5 f., 36 ff. 71 Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1348). 72 Isermann, Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege S. 17 f.; Dahs, NJW 1975, 1385 (1387). 73 Schellhas, DJZ 1901, 132. 74 Fuld, JW 1892, 53 (55); Wildhagen, DJZ 1901, 367 (368f.); Mamroth, DJZ 1901, 205 (206); der DJZ 1903, 307 (310); v. Lilienthai, DJZ 1914, 30. Dazu auch Isermann, Strafverteidiger als Interessenvertreter S. 14 (15) m. w. N. 75 Symptomatisch die Ausführungen von Schellhas, DJZ 1901, 132, der in solchen Fällen der "Pflichtenkollision" die Niederlegung der Verteidigung vorschlägt. Bezeichnend auch der Bericht des Berliner Anwaltsvereins über einen dort gehalte69

70

B. Prozessuale Gegenmacht

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"... Mit dem Augenblick, in welchem die Verteidigung es als erlaubt betrachten würde, auch gegen ihre Überzeugung die Freisprechung des Schuldigen zu erstreben, mit diesem Augenblicke würde sie aufbören, ein Organ der Rechtspflege zu sein, würde sie sich verwandeln - wir schrecken auch vor dem schärfsten Ausdruck nicht zurück - aus einer Dienerin des Rechts in eine Dienerin des Unrechts, würde sie sich erniedrigen zum Spießgesellen und Helfershelfer des Verbrecher.,,76

Selbst richterliche Kritik an dieser allzu sittlichen anstatt strafprozessual orientierten Selbstbeschränkung77 tat man aus anwaltlicher Sicht als .. wohlwollende, aber unzutreffende Beurteilung der Verteidigung" ab. 78 Diese anwaltliche Selbstbeschränkung mag zunächst erschrecken. Denn ganz abgesehen von der darin liegenden Ausblendung der rechtsstaatlichen Unschuldsvennutung, deren prozessualer Garant doch gerade der Verteidiger ist,79 spiegelt sich darin genau das materielle Wahrheits verständnis des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses und die damit verbundene Vernachlässigung der Subjektstellung des Beschuldigten wider. Aber die Auffassung der damaligen Advokatur wird verständlicher, wenn man sich nochmals die tiefgreifenden Bedenken gegen die Einrichtung einer parteilichen Verteidigung vergegenwärtigt, wie sie schon bei der Entstehung der RStPO 1877 und der RAO 1878 zum Ausdruck gekommen waren. Die Ziele der Verteidigung sollten nach weitverbreiteter Ansicht tatsächlich nicht weitergehen, als zu Gunsten des Beschuldigten alles dasjenige geltend zu machen, was der materiellen Wahrheit nicht widerspreche. 8o Besonders prägnant spiegelt sich das damalige Prozeßverständnis im Lehrbuch von Birkmeyer aus dem Jahre 1898 wieder, wo dieser unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien in aller Klarheit ausführt: "Der Verteidiger darf keine unehrenhaften Mittel gebrauchen, um den Beschuldigten zu verteidigen ... Er darf also nie den Angriff als einen ungerechten bekämpfen, soweit er ihn selbst nach Aktenlage für gerecht hält ... " 81

Die Aufhebung des § 180 GVG im Jahr 1921 verdeutlicht, daß die anwaltliche Selbstbeschränkung dem Verteidiger immerhin einen gewissen Vertrauensvorschuß beim Gesetzgeber erbrachte. 82 Diese Vorschrift hatte nen Vortrag von v. Liszt, DJZ 1901, 179. Durch die Betonung der Pflicht des Verteidigers zur einseitigen Tätigkeit auch zugunsten des schuldigen Angeklagten sei die Stellung der Verteidigung in ein "ganz neues und interessantes Licht gerückt worden". 76 Fuld, Recht 1901,2 (3). 77 V. Bippen, DJZ 1901, 157. 78 Mamroth, DJZ 1901,205 (206); Wildhagen, DJZ 1901,367 (368f.). 79 Roxin, Strafverfahrensrecht S. 108. 80 Vgl. nur v. Köhler, GS 53 (1891) 161 (217); Meves, GA 1891, 297 (297, 302); Wach, FS-Binding S. 1 (30). 81 Birkmeyer, Der deutsche Strafprozeß S. 363.

2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

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bis dahin dem Gericht die von vielen Verteidigern als unwürdig empfundenen Befugnis eingeräumt, gegenüber dem Verteidiger in der Hauptverhandlung Ungebührstrafen zu verhängen. 83 Es ergeben sich damit Parallelen zu der Stärkung der Verteidigerstellung durch das StPÄG 1964,84 zu einer Zeit also, in der die Strafverteidigung das Schattendasein "einer überwiegend im Rahmen nicht spezialisierter Anwaltskanzleien ausgeübten Nebentätigkeit,,85 führte. Auch in dieser Zeit mahnte der bereits angesprochene § 68 RiLiRA den Verteidiger in einem Maße zur Selbstbeschränkung, die weniger die Belange eines Prozeßsubjektsgehilfen des Beschuldigten als prozessualen Garanten der Unschuldsvermutung als den Schutz der richterlichen Wahrheitsfindung im Auge hatte ("Der Rechtsanwalt unterliegt auch als Verteidiger der Wahrheitspflicht ... Wenn der Rechtsanwalt, der die Schuld des die Tat oder seine Schuld im Verfahren leugnenden Beschuldigten durch dessen Geständnis oder auf andere Weise kennt oder erfährt, gleichwohl die Verteidigung führen will, so legt ihm diese Gewissensentscheidung die Beachtung der Wahrheitspflicht besonders nah. "). Höchstrichterlich war zu dieser Zeit übrigens längst anerkannt, daß der Verteidiger mit prozessual zulässigen Mitteln für den Freispruch des leugnenden Beschuldigten auch bei Kenntnis von dessen strafrechtlicher Schuld einzutreten befugt sei. 86 Ähnlich restriktiv umschrieb § 6 I, V RiLiRA das eigene Ermittlungsrecht des Verteidigers ("Der Rechtsanwalt darf Personen, die als Zeuge in Betracht kommen, außergerichtlich dann befragen, wenn dies zur pflichtgemäßen Eifüllung seiner Aufgaben erforderlich ist ... es ist aber dabei schon der Anschein einer unzulässigen Beeinflussung zu vermeiden."). Dagegen hatte der damalige Oberreichsanwalt Ebermayer schon im Jahre 1927 darauf hingewiesen, das Recht auf eigene Ermittlungen werde dem Verteidiger wohl von keiner Seite streitig gemacht. 87 IV. Keine Akzeptanz des Verteidigers als soziale und prozessuale Gegenmacht

Die Unverträglichkeit des reformierten Strafprozesses mit der Mitwirkung eines parteigebundenen Verteidigers stand dagegen zur Diskussion, sobald Strafverteidiger im breiteren Maße nur als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten auftraten und mit dieser Betonung prozessualer Gegenmacht die inquisitorische Prozeßstruktur zu stören drohten. Das galt erst recht 82 83

84 8S 86 87

"Gesetz zur Entlastung der Gerichte" v. 11.3.1921, RGB!. S. 229. Vg!. dazu Mamroth, DJZ 1929,67 (71); Dohna, JW 1932,3673 (3674). Näher Hanack, FG-Schultz S. 299f. Gatzweiler, FG-Koch S. 93 (103). BGHSt 2, 375 (377). Ebermayer, DJZ 1927, 134 (137).

B. Prozessuale Gegenmacht

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dann, wenn sich Strafverteidiger zusätzlich als Vertreter sozialer Gegenmacht verstanden, oder wie es der Hamburger Rechtsanwalt Alexander im Jahre 1931 formuliert hat, als Gesellschaftsanwalt auf der Seite des Beschuldigten gegenüber dem staatlichen Anspruch auf Unterwerfung des Einzelnen unter seine Machtsphäre. 88 Der Verteidiger lief dann Gefahr, nicht mehr als Teilhaber an der Rechtspflege, sondern als deren Gegner, eben als Spießgeselle und Komplize des Beschuldigten, betrachtet zu werden.

1. Die Kommunistenprozesse der Weimarer Zeit und der frühen Bundesrepublik Es ist daher nur folgerichtig, daß eine massive Beschneidung der VerteidigersteIlung zum ersten Male in der Spätzeit der Weimarer Republik erfolgte, also in einer Situation fehlender Kongruenz von staatlichen Ordnungsinteressen und breiten gesellschaftlichen Zeitströmungen. Ausgangspunkt waren die Geschehnisse im sog. Tscheka-Prozeß aus dem Jahre 1925, einern Verfahren gegen Kommunisten unter der Anklage des Hochverrats vor dem Leipziger Staatsgerichtshof. Der Vorsitzende ließ einen Verteidiger unter dem Vorwurf fortwährender politischer Agitation und der damit verbundenen Störung des Prozeßfortgangs zwangsweise aus dem Sitzungs saal entfernen, obwohl dafür wegen der erwähnten Aufhebung des § 180 GVG keine sitzungspolizeiliche Ermächtigung mehr zur Verfügung stand - eine Maßnahme, über deren Zulässigkeit bis hin in den Reichstag gestritten wurde. 89 Die steigende Zahl von Strafverfahren mit politischem Hintergrund, verursacht durch ein ausgeprägt autoritäres Gesinnungsstrafrecht im Bereich der Staatsschutzdelikte90 sowie die Verrohung in der Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten,91 führte diese Entwicklung in teilweise spektakulärer Weise weiter. 92 Vor diesem Hintergrund 88

Alexander, ZStW 51 (1931) 54 (61 f.). Ähnlich Schmidt-Leichner, NJW 1973,

969f. 89 Ausführlich Kern, JW 1925, 900; Klee, GA 1925, 269 (270), Mahn, DRiZ 1925, 424f.; Reichert, DRiZ 1925, 427. Zusammenfassend Jungfer, StraFo 1995, 62f. 90 Nach der Auffassung des Reichsgerichts unterlagen alle Handlungen von Mitgliedern des kommunistischen Funktionärskörpers der materiellrechtlichen Bewertung als Bestandteile eines einheitlichen hochverräterischen Unternehmens; dazu Hannover, KJ 1974, 134ff. m.w.N. Exemplarisch dafür die bei Bewer, DriZ 1928, 470ff. angeführten Reichsgerichtsbeschlüsse m. Anm. Eyck. Dazu auch die Eingabe der Anwaltskammer Berlin an das Berliner Kammergericht, AnwBI 1929, 568 f. 91 Näher Krach, Jüdische Rechtsanwälte S. 83ff., 138 ff. 92 Zum Ganzen Krach, Jüdische Rechtsanwälte S. 92ff. m. w. N.; Abeßer, StraFo 1997,266 (267f.). 7 GrlIner

2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

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gingen die Gerichte verschiedentlich dazu über, solche Verteidiger (genauer: die der kommunistischen Angeklagten),93 von denen sie eine Untergrabung ihrer Autorität befürchteten, von der Hauptverhandlung auszuschließen oder erst gar nicht zuzulassen. Begründet wurde das neben prozeßökonomischen Erwägungen regelmäßig mit dem Vorwurf, die Verteidiger hätten sich durch ihre vor dem Prozeß öffentlich zutage getretene Gesinnungssolidarität mit den Angeklagten entweder durch Gerichtsnötigung des Versuchs der persönlichen Begünstigung des Beschuldigten (der heutigen Strafvereitelung) oder der Beteiligung an den angeklagten Taten verdächtig gemacht. 94 Die wegen fehlender strafprozessualer Ausschließungsregeln ersatzweise vorgenommene Rückgriff auf die standesrechtliche Stellung des Verteidigers als "Organ der Rechtspflege", markiert den erstmaligen Rückgriff auf einen standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalt zur Beschränkung strafprozessualer Befugnisse des Verteidigers. So weist das Reichsgericht in der Ausgangsentscheidung aus dem Jahr 1926 die gegen die Ausschließung gerichtete Beschwerde des Verteidigers mit den Worten zurück: " ... Der Senat ist ... der Auffassung, daß der Verteidiger neben dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ein gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege ist. Diese Auffassung muß notwendig dazu führen, an die Tätigkeit des Verteidigers einen strengeren Maßstab anzulegen, als wenn man ihn lediglich als einen Helfer des Angeklagten betrachten würde. Wie das Gesetz vorsieht, daß auch andere Organe der Rechtspflege, namentlich Richter, unter Umständen von der Mitwirkung von einer Strafsache ausgeschlossen sind, kann ein Verteidiger als solcher dann nicht mitwirken, wenn das Gesetz seine Mitwirkung im Interesse der Erforschung der objektiven Wahrheit verbietet ... ,,95

Nun entsprach ein Verteidiger, der sich selbst im Zusammenhang mit dem Anklagevorwurf gegen den Beschuldigten der Gefahr der Bestrafung ausgesetzt sieht, in der Tat schon vor der ausdrücklichen Regelung des Verteidigerausschlusses in den §§ 138aff. nach einhelliger Ansicht nicht dem Leitbild des Gesetzgebers. Weder ist ein solcher Verteidiger wegen der fehlenden Distanz zum Anklagevorwurf geeignet, den Partei standpunkt des Beschuldigten unbefangen wahrzunehmen. Noch eignet er sich wegen eines möglichen Konflikts eigener Interessen mit denen des Angeklagten Dazu Löwenstein, DJZ 1932, 141Of.; Hannover, KJ 1974, 134ff. Vgl. die Zusammenstellung in Anw.BI. 1927, 58; RG JW 1926, 2756; bei Bewer, DRiZ 1928, 470ff.; RG JW 1929, 568. Höhe- und Schlußpunkt dieser Entwicklung war die Ausschließung des später in einem deutschen Konzentrationslager ermordeten Verteidigers Litten (dazu Abeßer, StraFo 1997, 266ff.) wegen des Verdachts der Beteiligung durch "partei politische Hetze" sowie wegen geplanter Verfahrenssabotage im sog. "Felseneckprozeß" von 1932 (Verfahren gegen Kommunisten und Nationalsozialisten nach einer Schlägerei mit tödlichem Ausgang). Ausführlich Krach, Jüdische Rechtsanwälte S. 83ff. m. w.N. 95 RG JW 1926, 2756f. 93

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B. Prozessuale Gegenrnacht

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als dessen Prozeßsubjektsgehilfe. 96 Indem aber die Gerichte der Nichtzulassung bzw. der Ausschließung des Verteidigers allein die vage Vermutung der Tatbeteiligung zugrunde legten, machten sie seine Mitwirkung von freiem richterlichem Ermessen abhängig. 97 Letztlich beruhte die Gerichtspraxis auf dem Grundgedanken, die ausgeschlossenen Verteidiger hätten nicht die Distanz zu den Angeklagten und deren staatsfeindlichen Zielen, die sie als Teilhaber an der Rechtspflege kraft ihrer VerteidigersteIlung haben sollten. 98 Ähnliches ist in den Kommunistenprozessen der Fünfziger und Sechziger Jahre zu beobachten, als im Zuge der Einführung weiträumiger materiellrechtlicher Staatsschutztatbestände, dem verfassungsgerichtlichen Verbot der KPD im Jahre 1956 und der Einrichtung eines durchgängigen Sondergerichtssystems für Staatsschutzsachen99 die immerhin einige Tausend bis zur Hauptverhandlung gediehenen Verfahren in einer Atmosphäre latenter Feindseligkeit abgeurteilt wurden, "die regelmäßig auch den Verteidiger einschloß, der seine Worte unter der ständigen Drohung von Ehrengerichtsverfahren zu wählen hat."IOO Dahinter stand wie schon in den Prozessen der Weimarer Republik das Bestreben, den Verteidiger über das anwaltliche Standesrecht auf Distanz zu dem Beschuldigten zu halten, erst recht in Fällen mit politischem Hintergrund. Das dokumentiert die folgende Begründung eines Ausschließungsbeschlusses des Bundesgerichtshofs, gerichtet gegen einen Verteidiger, der dem Gericht eine Protestnote der "Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft" gegen die Verhaftung des Beschuldigten, eines Funktionärs dieser Vereinigung, übergeben hatte: "Der Verteidiger ist nicht nur Vertreter des Angeklagten; er ist vielmehr ein mit besonderen Befugnissen ausgestattetes Organ der Rechtspflege ... Entsprechend dieser ihm vom Gesetz eingeräumten Stellung hat er sein Verhalten einzurichten. Er hat zwar die vordringliche Aufgabe, die den Angeklagten entlastenden 96 Alexander, ZStW 1931, 54 (64) unter Hinweis auf die ganz herrschende Meinung; ebenso Gallas, ZStW 1934, 253. 97 Alsberg, JW 1926, 2756f.; Gallas, ZStW 1934,256 (260ff.) m.w.N. 98 Alsberg, JW 1926, 2756 (2757); ähnlich die Eingaben der Berliner Anwaltskammer an das RJM, AnwBl 1927,58; JW 1929,568 (569) sowie an das Berliner Kammergericht, JW 1933,414. Näher Krach, Jüdische Verteidiger S. 82ff. 99 Aufgrund des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes v. 30.8.1951 (BGBL I S. 739) wurden für Staatsschutzsachen minderer Bedeutung Spezialstrafkammern für Staatsschutzsachen am Landgericht jeweils eines Oberlandesgerichtsbezirks eingeführt, § 74a GVG. Die Gerichte sollten auch in solchen Sachen die gesamten verfassungsfeindlichen Bestrebungen und Verflechtungen der angeklagten Tat erkennen können sollten, BGHSt 13,378 (380); Dallinger, JZ 1951,621. 100 Hannover, Zeit zum Widerstand S. 127f. Zum ganzen Gössner, Im Antikommunismus vereint S. 97 (100f.); Posser, Anwalt im Kalten Krieg S. 60ff.; 295 ff.; Blasius, KJ 1998,219 (228ff.).



100

2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Umstände hervorzuheben; ihm sind aber insofern Grenzen gesetzt, als er sich in keinem Fall der Wahrheitserforschung in den Weg stellen darf.,,101

In einem ähnlich gelagerten Fall begründete der Bundesgerichtshof in einem weiteren "Kaul-Beschluß" die Ausschließung des gleichnamigen Ostberliner Rechtsanwalts als Verteidiger sogar ganz offen mit dessen ungehörigen Nähe zu den politischen Zielen des Angeklagten: " ... Der Begriff der anwaltlichen Unabhängigkeit schließt Einfluß und Weisungen verfahrensfremder, ja verfahrensfeindlicher Stellen an den Strafverteidiger aus, deren Befolgung den Beschuldigten, mit oder ohne sein Einverständnis, zum bloßen Spielball fremder, hier sogar staatsfeindlicher Interessen machen würde ... Nimmt der Verteidiger seine Amtshandlungen nicht in diesem Sinne unabhängig vor, so leistet er dem Beschuldigten daher nicht den gesetzlich vorausgesetzten Beistand. Er verletzt schon dadurch das Wesen der Verteidigung und handelt von Grund auf prozeßordnungswidrig ... Unabhängigkeit des Verteidigers gehört zu den Grundlagen des in der Strafprozeßordnung geregelten Verfahrens. Das Gesetz kennt keinen politisch "parteilichen", abhängigen "Verteidiger", sondern nur unabhängig handelnde, allein dem Recht, den Gesetzen und Standespflichten unterworfene Verteidiger.,,102

Die strafrechtliche Kommunistenverfolgung der frühen Bundesrepublik und die in diesem Rahmen zu beobachtende Beschneidung von Verteidigerrechten erfuhr allerdings trotz ihrer Breite, die allein schon nach Maihofer "einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehre machte",103 vor dem Hintergrund des kalten Krieges keine nennenswerte Beachtung in der Öffentlichkeit. 104 2. Die RAF-Prozesse

Im besonderen und bleibenden Maße spiegelt sich dagegen die Bedeutung von prozessualer und sozialer Gegenrnacht als kritische Masse der Mißbrauchsproblematik in den Siebziger Jahre wider, als zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die Strafverteidigung in den Mittelpunkt einer öffentlichen grundsätzlichen Auseinandersetzung geriet. lOS Als Konsequenz davon machte der Gesetzgeber die durch das StPÄG 1964 markierte 101 BGHSt 9, 20 (22). Diese Entscheidung hatte zwar vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand, allerdings nur wegen der geringen Bedeutung des Verfahrens, BVerfG MDR 1963, 468. 102 BGHSt 15, 326 (328). 103 Zitiert nach Gössner, Im Antikommunismus vereint S. 101. In der Zeit von 1951-1968 waren insgesamt ca. 150.000 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Kommunistenverfolgung anhängig, von denen ca. 5 % mit einer strafrechtlichen Verurteilung abschlossen, dazu Gössner, Im Antikommunismus vereint S. 97 ff. m.w.N.; Posser, Anwalt im Kalten Krieg S. 18Sf. 104 Dazu Blasius, KJ 1998,219 (228ff.) m.w.N. lOS Mauz, Prozesse ohne Verteidigung S. 7.

B. Prozessuale Gegenmacht

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Stärkung der Verteidigung nicht nur rückgängig,l06 sondern unterwarf den Verteidiger in einem bisher nicht gekannten Maße prozessualen Restriktionen. Das betrifft insbesondere die Regelung des Verteidigerverkehrs, die Beschränkungen bis hin zur Möglichkeit der totalen Unterbrechung in Verfahren unterworfen wurde, deren Gegenstand die Bildung einer terroristischen Vereinigung nach den §§ 129, 129a StGB bildet. Man denke neben dem Kontaktsperrengesetz (§§ 3lff. EGGVG)107 an das Verbot der Übergabe von Schriftstücken durch die sog. Trennscheibenregelung nach § 148 11 3. 108 Ausgangspunkt dafür war zum einen schon allein die konsequente Ausübung prozessualer Gegenmacht durch eine Gruppe sog. "linker Verteidiger", entstanden im Gefolge der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung der späten Sechziger Jahre, deren gemeinsame Zielrichtung darin bestand, die Möglichkeiten der staatlichen Rechtsordnung einseitig im Interesse des "ohnmächtig Rechtsunterworfenen gegen eine übermächtige Exekutive und übermächtige Justiz" zu nutzen;l09 eine Verteidigungsstrategie, die in den Prozessen gegen die Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF), einer aus der außerparlamentarischen Opposition hervorgegangenen Terroristengruppe, ihren Höhepunkt fand. Vor dem Hintergrund eines zugleich tradiert inquisitorischen und autoritären Prozeßverständnisses, in dem schon das Sitzenbleiben bei Eintritt des Gerichts, die Bezeichnung eines Amtsgerichtsrats Dr. M. als "Richter M." sowie die Kritik an der Verhandlungsführung des Gerichts mit dem Wort "muffig" die Verhängung gerichtlicher Ungebührstrafen gegen den Angeklagten zur Folge haben konnte,l10 stellte ein solch parteiliches Eintreten für den Beschuldigten einen Bruch des Grundkonsenses zwischen den Rechtspflegeorganen dar. 111 Bezeichnend für diese Haltung sind die Stellungnahmen zu einem von der 106 Näher I. Müller, Verteidigerrechte S. 79ff.; Hanack, FG-Schultz S. 299 (308ff.); Dahs, NJW 2976, 2145ff. 107 "Kontaktsperrengesetz" v. 30.9.1977 (BGB!. I S. 1877), eingeführt im Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung, näher dazu Vogel, NJW 1978, 1217 (1222f.); I. Müller, Verteidigerrechte S. 69 (84ff.). 108 "Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung" v. 14.4.1978 (BGB!. I S. 497) dazu Vogel, NJW 1978, 1217 (1222). 109 Vg!. nur Holtfort, Linke Verteidiger S. 13; ders., Anwalt als soziale Gegenmacht S. 37ff.; Eschen, StV 1981, 365ff.; ders., 20 Jahre Linke Anwaltschaft S. 201 f.; Ströbele, Verteidiger im Verfahren gegen die RAF S.41 ff. Zusammenfassend Weber, GA 1975, 289; Breucker, Verteidigungsfremdes Verhalten S. 108 ff. m.w.N. 110 OLG Nürnberg JZ 1969, 150ff. 111 "Die Spielregel lautet: Die Würde des Rechts verbietet es, das Gericht hereinzulegen, wohlgemerkt auch, wenn das Recht die Möglichkeit dazu gab." (Bundespräsident Scheel vor dem Deutschen Presseclub in Bonn am 27.9.1977, zitiert nach Holtfort, Linke Anwaltschaft S. 14. Dazu auch Augstein, NStZ 1981, 52ff.

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

"Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) im Bezirk Hannover" im Jahre 1976 vorgelegten Arbeitspapier, in dem der Verteidiger als "engagierter Vertreter von Mandanteninteressen, parteigebundener Helfer und Berater von Gegenmacht" vorgestellt wird, "der den Beschuldigten mit allen Mitteln unterstützt, die nicht ausdrücklich durch die für alle Bürger geltenden Gesetze verboten sind." Der Deutsche Richterbund sah in seiner Stellungnahme darin die Bestätigung für "gewisse Tendenzen in der Anwaltschaft [gemeint waren die RAP-Verteidiger] .. .,das gemeinsame Ringen in den deutschen Gerichtssälen generell zu einer gnadenlosen Auseinandersetzung werden lassen zu wollen." Nach Klein handelt es sich bei der Stellungnahme des ASJ sogar um eine "dem marxistischen Rechtsdenken entstammende Leugnung des Gerechtigkeitswerts des Rechts. ,,112

Den Gesamtzusammenhang macht die Bestandsaufnahme von Hanack aus dem Jahre 1977 deutlich: "Seit einigen Jahren ist in der Bundesrepublik um Amt und Stellung des Strafverteidigers eine erhebliche Unruhe entstanden ... Daß diese Situation allein oder auch nur vornehmlich auf das Verhalten von Strafverteidigern zurückzuführen wäre, wird man nicht behaupten können. Sicher ist aber, daß sich - in ersichtlich nicht zufälligem Zusammentreffen - im Gefolge dieser Entwicklung auch ein gewissermaßen neuer Typ des Verteidigers bemerkbar macht. Es gibt heute in der Bundesrepublik eine Anzahl engagierter und oft (oft, nicht immer) höchst kundiger Anwälte, die· die Möglichkeiten der Strafprozeßordnung ohne jene traditionelle Zurückhaltung und Verbindlichkeit, ja erkennbar oft ohne Rücksicht auf die Prozeßdauer, auf die Würde des Gerichts, die Ordnung der Verhandlung oder auf sonstige Rückwirkungen und vielleicht sogar auf die Belange der Wahrheitsfindung bis zum äußersten ausnutzt ..." 113

Auch in dieser Zeit erlangte die Diskussion ihre besondere Schärfe erst unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gegenmacht, nämlich der entweder auf politischer Überzeugung oder dem prozessualen Selbstverständnis als einseitiger Interessenvertreter beruhenden Solidarisierung der Verteidiger mit dem Grundkonzept der Angeklagten, die Strafverfolgung als Bestandteil des unter der Regie der Staatsschutzbehörden geführten politischen KampAbgedruckt bei Holtfort, Strafverteidiger als Interessenvertreter S. 61, 65, 66. Hanack, FG-Schultz (1977) S. 299 (301 f.). Dazu auch Mauz, Prozesse ohne Verteidigung S. 7 (8): "Endlich einmal wird in diesem Land wirklich verteidigt und schon heißt es, es werde Mißbrauch getrieben. Endlich einmal wird in diesem Land in Anspruch genommen, was die Strafprozeßordnung zur Verfügung stellt und schon muß die Strafprozeßordnung demoliert werden, damit sie nicht mißbraucht werden kann. Doch die Wahrheit ist, daß in Stuttgart-Stammheim endlich einmal versucht wird, die Strafprozeßordnung zu gebrauchen. Was ist für jene, die nun aufschreien und den drohenden Untergang des Rechtsstaats beschwören, die Strafprozeßordnung eigentlich bisher gewesen? Durfte unsere Strafprozeßordnung nur so lange gelten, als sie nicht ernsthaft in Anspruch genommen wurde?" Dazu auch Jungfer, AnwBl 1992, 51Of. 112 113

B. Prozessuale Gegenrnacht

lO3

fes gegen die RAF deutlich zu machen. 114 Prägnantes Beispiel dafür sind die umfangreichen Vietnam-Anträge im Baader-Meinhof-Prozeß. denen die Verteidiger prozeßentscheidende Bedeutung im Hinblick darauf zumaßen, " ... ob derjenige, der sich dem Kampf gegen die Mörder von Vietnam gestellt hat, vor geltendem Recht als mordendes Mitglied einer kriminellen Bande anzusehen ist.'.! 15 Gegen diese "unerwartet schroffe Ausschöpung der Strafprozeßordnung,,116 richtete sich die gerichtliche Strategie der Entpolitisierung sowie der Kriminalisierung gemeinsamer Verteidigungsstrategie zwischen Beschuldigten und Verteidigern in den RAF-ProzessenY7 Nach der Terminologie des Bundesgerichtshofs spricht schon die Selbstbezeichnung als sozialistischer Anwalt oder als politischer Verteidiger "deutlich für eine Solidarisierung nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln und dafür, daß der Anwalt sich in voller Kenntnis der Tätigkeit und der wahren Ziele in die kriminelle Vereinigung als Mitglied eingefügt hat. ,,118

114 Näher Groenewold, Angeklagt als Verteidiger S. lOff.; Breucker, Verteidigungsfremdes Verhalten S. lO8ff., 119. Auf die gedankliche Verwandtschaft der Ausführungen von Ströbele, Verteidiger im Verfahren gegen die RAF S. 41 (45) zum Vertragsprinzip wurde bereits im Ersten Teil der Untersuchung hingewiesen. 115 Zitiert nach Breucker, Verteidigungsfremdes Verhalten S. 152; Bakker-Schut, Stammheim S. 77, 82ff. führt dazu aus: " ... daß in politischen Strafsachen ein linker Verteidiger auf der einen Seite und Staatsanwalt und Richter auf der anderen Seite sich leicht grundSätzlich als Gegner erfahren werden. Formell ist die Position des Verteidigers durch diejenige seines Mandanten bestimmt; im Namen seines Mandanten wird er versuchen, die grundsätzliche politische Opposition des Mandanten so deutlich und überzeugend wie möglich zu präsentieren ... daß Verteidiger und Angeklagte von allen ihnen zur Verfügung stehenden strafprozeßrechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, um so zu versuchen, die Legitimität der Gesellschaftsordnung (deren Rechtsordnung den Gebrauch dieser Möglichkeiten ja schließlich vorsieht) in der Öffentlichkeit in Zweifel zu ziehen". 116 Hanack, FG-Schultz S. 299 (313). 117 Vgl. nur Vogel, NJW 1978, 1217 (1219) (..... daß der Gesetzgeber sicherstellt, daß sich gegen diejenigen, die das Strafverfahren planmäßig zur Fortsetzung ihrer kriminellen Aktivitäten gegen die rechtsstaatliche Grundordnung mißbrauchen, das Strafrecht mit justizförmigen Mitteln durchsetzen läßt"). Dazu auch Groenewold, Angeklagt als Verteidiger S. 66f. 118 Aus einem Beschluß des Bundesgerichtshofs v. 20.1.1975, zitiert nach Ströbele. Verteidiger im Verfahren gegen die RAF S. 42 f. Die Staatsschutzbehörden schrieben den RAF-Verteidigern ..eine Führungsrolle unter den Staatsfeinden zu", dazu Ostendorf, NJW 1979, 1345. Ähnlich Zoebe, FS-Schmidt-Leichner S. 229 (232): "Diese Verteidiger haben -soweit sie noch als Verteidiger tätig sind- in der Regel weniger das Wohl ihrer Mandanten als die Verkündung unterschiedlich wirrer Ideen im Auge. Solche peripheren Erscheinungen eines Berufsstandes können und müssen außer Betracht bleiben, weil sie keine echten Verteidiger im normalen Sinne darstellen." Nach Bottke, ZStW 1984, 726 (741 [Fn. 116]) " ... siedelt das Verteidigungsverständnis der RAF-Verteidiger nicht mehr im geltenden Recht".

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Damit waren die Weichen für die Gerichte gestellt, die Verteidigertätigkeit der RAF-Verteidiger nicht mehr an prozeßrechtlichen, sondern an strafrechtlichen Wertungsmaßstäben zu messen. Diese Situation verschärfte sich mit der Schaffung des § I29a StGB, der in Fortführung des für sich schon rechtspolitisch umstrittenen § 129 StGB 119 die Erfassung des RAF-Sympathisantenkreises durch lückenlose Verfolgung jeder Art von Unterstützung bis hin zur bloßen Mitwisserschaft zum Ziel hatte. 120 Denn der im Interesse einer möglichst effektiven Verteidigung zulässige Austausch von Informationen und Meinungen bestärkt naturgemäß zugleich den Zusammenhalt einer kriminellen Vereinigung. 121 Vor dem Hintergrund einer insgesamt deutlich werdenden Tendenz, die freie Wahl möglicherweise unbequemer Verteidiger zu verhindern,122 setzten sich die RAF-Verteidiger damit allein schon durch die Übernahme der Verteidigung dem Verdacht der Beteiligung an den §§ 129, 129a StGB und zugleich der drohenden Ausschließung nach den §§ 138 aff. aus. 123 Symptomatisch für diese Zusammenhänge ist die strafrechtliche Aufarbeitung der Verteidigertätigkeit im Baader-Meinhof-Prozeß, in dem es zur sukzessiven Ausschließung mehrerer Wahlverteidiger bzw. der von den Angeklagten benannten Pflichtverteidiger kam. 124 Die Hauptrolle spielte dabei ein sog. Info-System, das von den Angeklagten mit Hilfe ihrer Verteidiger zur besseren Kommunikation untereinander, mit den Verteidigern der Mitangeklagten, aber auch mit den sich in Freiheit befindlichen RAF-Mitgliedern organisiert worden war. 12S Die prozeßrechtliche Frage, ob mit diesem Info-System Verteidigungszwecke oder die Weiterführung der RAF verfolgt wurde, vor allem nach dem Verbot der Mehrfachverteidigung durch die Neufassung des § 146 schon aus tatsächlichen Gründen schwierig zu beantworten,126 stellten die Gerichte erst gar nicht. So stützte das OLG Hamburg im Groenewold-Urteil die Verurteilung des früheren RAF-VerteiNäher AK-Ostendorf § 129, 3ff. Sturm, MDR 1977, 6ff.; kritisch Dahs, NJW 1976, 2145ff.; Dencker, StV 1987, 117ff. 121 Vgl. Rudolphi, FS-Bruns S. 315 (334). 122 Aus einer Erklärung der RAK Berlin, AnwBl 1972, 251. Anlaß dafür war die Ausschließung des RAF-Verteidigers Schily wegen des Verdachts der Beteiligung an den §§ 129, 129a StGB durch Kassiberschmuggel mit der Begründung, bei der Beweiswürdigung müßten die in erheblichem Umfange gleichgerichteten Interessen Berücksichtigung finden, die Beschuldigten und Verteidiger verbinden, BGH AnwBl 1972, 323 (326). 123 I. Müller, StV 1981,90 (97f.). 124 Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Croissant, Prozesse ohne Verteidigung S. lO1ff. 125 Näher Bakker-Schut, Stammheim S. 103 ff., 286ff.; Croissant, Verteidigerausschließung S. 19ff.; Stroebele, Verteidiger im Verfahren gegen die RAF S. 41ff.; Groenewold, Angeklagt als Verteidiger S. 68 ff. 119

120

B. Prozessuale Gegenmacht

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digers wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung unter anderem darauf, die von den Angeklagten im Baader-Meinhof-Prozeß verfolgte Verteidigungsstrategie der politischen Selbstdarstellung sei keine Verteidigung gewesen, sondern eine Umfunktionierung des Prozesses in staatsfeindliche Propaganda. Als verteidigungsfremd stelle sich daher die Weiterleitung von sog. "Selbstverständnispapieren .. der Angeklagten durch den Verteidiger dar. Gleiches gelte für die Übernahme der Wortwahl der Angeklagten in eigenen Rundbriefen; das sei geeignet gewesen, die Angeklagten in ihrer Gesinnung zu stärken. Denn der Verteidiger trete an die Seite von Gericht und Staatsanwaltschaft bei der Verwirklichung des Rechts und dürfe jedenfalls nicht den Kampf gegen diese Institutionen unterstützen. 127 Zu der gleichgelagerten Verurteilung des früheren RAF-Verteidigers Croissant meint das LG Stuttgart, es gehöre zwar zu den fundamentalen Rechten eines Angeklagten, sich vor Gericht zur Anklage zu äußern. Dieses Recht hätten die Angeklagten aber mit der Einbringung ihrer politischen Selbstverständniserklärungen mißbraucht, ermöglicht durch das vom Verteidiger mitbetriebene Info-System. 128 In diesem Zusammenhang steht auch die schon im Ersten Teil der Untersuchung behandelte systemfremde Einschränkung des Rechts auf Aktenweitergabe an den Beschuldigten durch den Bundesgerichtshof. Auf der einen Seite gestand das Gericht dem Verteidiger die Befugnis zu, auch dann den Beschuldigten zu Verteidigungszwecken ausreichend über den Akteninhalt zu informieren, wenn das mit einem gewissen Risiko für die Ermittlung der Wahrheit und damit mittelbar für die Bekämpfung des Terrorismus verbunden sei. Das gelte aber nicht im Fall der Gefahrdung des Untersuchungszwecks, der nur anhand des Einzelfalls, nicht jedoch allgemein umschrieben werden könne. 129 Im standesrechtlichen Bereich fand diese Rechtsprechung ihre folgerichtige Entsprechung in der systematischen Verfolgung von politisch gefacbten Verteidigererklärungen als Verstoß gegen das anwaltliche Sachlichkeitsgebot. 130 Im Fall des RAF-Verteidigers Stroebele kam es beispielsweise zu insgesamt dreißig ehrengerichtlichen Anklagen im Zusammenhang mit seiner dies be126 Eingefügt durch das "Ergänzungsgesetz zum 1. StVRG" v. 20.12.1974, BGBL I S. 3868. Daß es sich dabei um eine Lex RAF handelte, zeigt die Stellungnahme von Dünnebier, FS-Pfeiffer S. 265 (275). Zu den tatsächlichen Abgrenzungsschwierigkeiten im Grenzbereich zulässiger Verteidigung Croissant, Verteidigerausschließung S. 19 (21); Hannover, KJ 1974, 134 (142); Hanack, FG-Schultz S. 299 (312), Ostendorf, JZ 1979, 252 (254) sowie im größeren Maßstab Richter H, NJW 1993, 2152ff. 127 OLG Hamburg JZ 1979, 275 (276f.). Nähere Prozeßdokumentation bei Groenewold, Angeklagt als Verteidiger passim. 128 Urteil v. 16.2.1979, 12 KLS 97/76, zitiert nach Bakker-Schut, Stammheim S. 539f. 129 BGHSt 29, 99 (103). 130 Vgl. Eschen, StV 1981, 365 (366f.).

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

züglichen Verteidigertätigkeit, von denen allerdings überhaupt nur zwei zu Ende geführt und mit der geringstmöglichen Sanktion, einer Verwarnung, geahndet wurden. 131 Die Rechtsanwaltskammer Berlin fühlte sich im Jahre 1972 im Anschluß an entsprechende Vorwürfe der Bundesanwaltschaft und der Innenministerkonferenz sogar zu der Erklärung genötigt, es sei weder standeswidrig noch strafbar, wenn Rechtsanwälte Prozeßvollmachten entgegennähmen, die sie zur Verteidigung noch nicht festgenommener Täter ermächtigten. 132 Dieser Befund entspricht der seit Beginn der Achtziger Jahre allgemein zu beobachtenden Tendenz, Strafverteidiger im Hinblick auf Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot verstärkt ehrengerichtlich zu belangen und zwar insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Antrags- und Erklärungstätigkeit. 133 Auf die aktuelle Relevanz der bis hierhin deutlich gewordenen Methode, kraft richterlicher Definitionsmacht nach prozessualen Wertungsmaßstäben nicht oder nicht im gewünschten Sinn aufgelöste Spannungsfelder inquisitorisch zu entscheiden, hat kürzlich Kühne hingewiesen. 134 Vergegenwärtigt man sich zusätzlich den Umstand, daß die Strafverteidigung als strafprozessuales Institut von öffentlicher Bedeutung und nicht nur als feme Angelegenheit einzelner Anwaltsstars in Deutschland erst wieder im Zuge der Terroristenprozesse der Siebziger Jahre wahrgenommen wurde, mithin in letzter Konsequenz die "APO als wesentlicher Geburtshelfer der modemen StraJverteidigung" zu betrachten ist, J3S schließt sich damit der Kreis zur aktuellen Verteidigerdiskussion.

C. Versuch einer systematischen Lösung Nachdem sich die Mißbrauchsproblematik als Streit um die Ausübung von prozessualer bzw. sozialer Gegenmacht des Verteidigers und damit als sedes materiae eines strafprozessualen Strukturkonflikts einerseits sowie der dadurch bedingten Vorprägung des anwaltlichen Standesrechts andererseits erwiesen hat, gilt es nun, diese Zusammenhänge für die Konturierung des erlaubten Verteidigerverhaltens fruchtbar zu machen. Als relevante Rechtsquellen für die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß haben sich im Ersten Teil der Untersuchung vorrangig das Verfassungsrecht, das StrafproBakker Schut, Stammheim S. 509f. Erklärung des Vorstand der RAK Berlin, AnwBI 1972, 251. 133 Zum Ganzen Bakker Schut, Stammheim S. 508ff. m. w.N. Ähnlich Hartstang, Anwaltsrecht S. 711 (n... eine über die bestehenden gesetzlichen Nonnen hinausgehende, zu Laste der Anwaltschaft eingerichtete, Sanktions- und Eingriffsmöglichkeit ... "). 134 Kühne, StV 1996,644 (647f.); ders., NJW 1998, 3027 (3028). 135 Waechtler, StV 1990,138; ähnlich Jungfer, Strafverteidigung S. 37 (56f.). 131

132

C. Versuch einer systematischen Lösung

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zeßrecht und das anwaltliche Standesrecht sowie nachrangig das privatrechtliche Mandatsverhältnis mit dem Beschuldigten herausgestellt. Die Betrachtung der bisherigen Verteidigerdiskussion hat weiterhin gezeigt, daß es in erster Linie um die Erfassung mißbräuchlichen Verteidigerverhaltens anhand strafrechtlicher oder wenigstens standesrechtlicher, nicht aber strafprozessualer Wertungsmaßstäbe ging. Damit stellen sich folgende Fragen. Erstens: Inwieweit betreffen die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe überhaupt die Mißbrauchsproblematik? Zweitens: Welche Relevanz hat das materielle Strafrecht als Mißbrauchsvorbehalt? Drittens: Gibt es einen standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalt, vor allem nach der Neuordnung des anwaltlichen Standesrechts? Und viertens: Wie ist nach alledem das Verteidigungsinnenverhältnis im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit des Verteidigers als Gradmesser für das Verständnis sozialer und prozessualer Gegenmacht nach geltendem Recht zu beurteilen? I. Mißbrauchsproblematik als strafprozessuale Problemstellung

Im Ersten Teil der Untersuchung hat sich gezeigt, daß der strafprozessuale Gesetzgeber Regelungen über den Mißbrauch von Verfahrensrechten nur in sehr spärlichen Maße getroffen hat, sondern sich gerade mit Blick auf den Verteidiger vielmehr auf die integrierende und disziplinarische Kraft des anwaltlichen Standesrechts verließ. Diese Auslagerung der Mißbrauchsabwehr ist zwar in der Folgezeit korrigiert worden. So hat das Reichsjustizamt schon im Jahre 1908 einen Entwurf der Strafprozeßordnung mit einer Generalklausel gegen den Mißbrauch von Verfahrensrechten vorgelegt, wonach das Strafverfahren, insbesondere die Beweisaufnahme, von den Prozeßbeteiligten nicht zu unlauteren Nebenzwecken mißbraucht werden dürfe. Als weiterer Meilenstein der Entwicklung hin zur prozessualen Mißbrauchsabwehr muß die auf diesem Entwurf aufbauende Regelung der Prozeßverschleppung zur Ablehnung von Beweisanträgen aus dem Jahre 1926 genannt werden, die der allgemeinen Regelung der Ablehnungsgründe des § 244 III vorausging. 136 Aber das geltende Recht kennt bis heute außerhalb der Ablehnung mißbräuchlicher Anträge (§§ 26a I Nr. 3; 241; 244 III, V; 245 11; 257 a; 266 III 1) sowie der Ausschließung (neben den §§ 138aff. zählt dazu auch § 137 I 2) keine durchlaufende Mißbrauchsabwehr gegen den Verteidiger im Strafprozeß. 137 So haben sich beispielsweise die Vorschläge von Rebmann und Saiger zur Einführung eines 136 137

Näher Kempf, StV 1996,507 (510). Vgl. nur Kudlich, JuSt 1997,507 (509f.); ders., NStZ 1998,588.

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbots nicht durchsetzen können. 138 Das steht im evidenten Mißverhältnis zur zentralen Bedeutung der Mißbrauchsproblematik, erst recht angesichts zunehmenden Unbehagens aus Iustizkreisen über die Stumpfheit prozessualer Wertungsmaßstäbe gegenüber dem Mißbrauch von Verteidigerrechten, 139 und zieht folgerichtig die Frage nach sich, in welchem Verhältnis die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe zur Mißbrauchsproblematik stehen. 1. Vorüberlegung: Prozeß als Kampf ums Recht

Als gerichtlicher Urteilsmaßstab dient nach § 261 die Evidenz, nicht aber die Existenz der vorgeworfenen Tat. Das Sachurteil stellt sich als Ergebnis einer innerprozessualen Dynamik dar, als Abschluß aufeinanderfolgender Prozeßlagen, die durch die Prozeßhandlungen der Prozeßsubjekte geschaffen werden. 14O Dienen die Vorschriften des materiellen Rechts regulativ der Konfliktvermeidung durch die Festschreibung von Rechten und Pflichten zwischen Rechtssubjekten, so dienen die Vorschriften des Prozeßrechts konstitutiv der Konfliktbewältigung zwischen den Prozeßsubjekten mit dem Ziel einer funktionell günstigen Entscheidung. 141 Beruht das materielle Recht auf dem Prinzip der Fremdverantwortung, so folgt das Prozeßrecht dem Prinzip der Eigenverantwortung. Dieser "Kampf ums Recht" (genauer: der Kampf um ein funktionell günstiges Sachurteil) zwischen gegensätzlich agierenden Prozeßsubjekten, im reformierten Strafprozeß allerdings im wesentlichen beschränkt auf die Hauptverhandlung und auf die Auseinandersetzung zwischen der parteilichen Verteidigung und dem unparteilichen Gericht,142 ist das Vehikel für die Erlangung dialektischer Wahrheit und prozessualer Gerechtigkeit. 143 Die innerprozessuale Dynamik zwischen Prozeßsubjekten, Prozeßhandlungen, Prozeßlagen und Sachurteil bestimmt den Gang des Prozesses. Die Prozeßsubjekte haben die Möglichkeit, durch die Vornahme funktionell günstiger Prozeßhandlungen den Prozeß in eine Lage zu versetzen, die nach ihrer Prognose die Aussicht auf ein funktionell günstiges Sachurteil begründet oder verbessert. l44 Die Prozeßsubjekte dazu im Sinne eines durchsetz138 Rebmann, DRiZ 1979, 363 (368f.); ders., NStZ 1984, 241 (246); SaIger, Vhdl. 60. DIT Bd. III2 M 210. Zum Ganzen Niemöller, StV 1996,501 (502). 139 Vgl. nur Bertram, NJW 1994, 2186 (2188). 140 Dazu nur Demitrijevic, FS-Peters S. 253 f,257ff. 141 Näher Philips, FS-Bockelmann S. 830ff. 142 Man denke nur an das Zusammenspiel von Mündlichkeitsprinzip, SubjektsteIlung und freier richterlicher Beweiswürdigung, näher Eb. Schmidt, LK I S. 84ff. 143 Vgl. nur KMR-Sax Einl. IV 19f. 144 Vgl. nur Eb. Schmidt LK I S. 60ff.

c.

Versuch einer systematischen Lösung

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baren Zwanges wie im materiellen Recht zu verpflichten, wäre systemfremd, weil Konfliktbewältigung durch Prozeßsubjekte deren Selbstbestimmung voraussetzt. 145 Es ergeben sich aber Motivationszwänge, weil die Erlangung eines funktionell günstigen Sachurteils der Mitwirkung von Prozeßsubjekten zugrunde liegt und damit die Vornahme oder Nichtvornahme ihrer Prozeßhandlungen ausschließlich urteilsbezogen erfolgt. Wenn die mögliche Prozeßhandlung dem funktionell angestrebten Sachurteil dienlich erscheint, stellt sie sich als prozessuale Last dar, die das Prozeßsubjekt im eigenen Interesse wahrnehmen sollte. 146 Selbst wenn im Prozeßrecht von Pflichten ausdrücklich die Rede ist, sind diese nicht im materiellrechtlichen Sinn als erzwingbares Verhalten zu verstehen. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Wahrheitspflicht des § 138 I ZPO. Die Verletzung der Pflicht zur Wahrhaftigkeit kann sich im Prozeß allenfalls so auswirken, daß die unwahre Behauptung einer Partei im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung zu einem ihr ungünstigen Sachurteil führt. So stellt die Bindung an das unwahre Geständnis, von dem sich die Partei nur unter den engen Bedingungen des § 290 ZPO lösen kann, die prozessuale Sanktion für den Verstoß gegen die Wahrheitspflicht des § 138 I ZPO dar. 147 Genauso verhält es sich mit der - von Konzen zu Unrecht als Beispiel einer echten Mitwirkungspflicht herangezogenen _148 Vorlegungspflicht von Urkunden nach den §§ 422ff. ZPO. Legt der Gegner auf Antrag des Beweisführers eine Urkunde nicht vor, deren Herausgabe der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts verlangen könnte, so kann eine vom Beweisführer beigebrachte Abschrift der Urkunde bzw. sogar die Behauptungen des Beweisführers über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde vom Gericht nach § 427 ZPO als bewiesen angenommen werden. Ähnlich verhält es sich mit § 444 ZPO für den Fall der Vereitelung des Urkundsbeweises. In diesem Fall können die Beweisbehauptungen über Beschaffenheit und Inhalt der Urkunde als wahr angesehen werden. Zur Vorlage der Urkunde nötigt den Gegner jeweils nur die drohende Aussicht eines ihm ungünstigen Urteils. Diese in groben Zügen skizzierte Eigentümlichkeit prozessualer Wertungsmaßstäbe, deren Offenlegung man bekanntlich Goldschmidts grundlegendem Werk über den Prozeß als Rechtslage aus dem 145 Vgl. nur KMR-Sax Einl. IV 19f. Daran ändert auch § 238 11 als Zwischenrechtsbehelf gegen die Sachleitung des Vorsitzenden nichts. Trotz der beschwerdeähnlichen Ausgestaltung handelt es sich um nicht mehr als eine Selbstüberprüfung des Gerichts, näher Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote S. 31 m.w.N. 146 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage passim; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen vor allem S. 60ff.; Sax, ZZP 1954, 21 (52f.); Eb. Schmidt LK I S.57ff. 147 Vgl. BGHZ 37, 154ff. Näher Pawlowsky, MDR 1997, 7ff. m.w.N. 148 Konzen, Prozeßparteien S. 119.

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Jahre 1925 verdankt,149 gewinnt in zweierlei Hinsicht Relevanz für die MIßbrauchsproblematik. 2. Prozeßimmanente Grenzen prozessualer Mißbrauchsabwehr

Zum einen wird klar, daß die MIßbrauchsproblematik nur in sehr eingeschränktem Maße eine strafprozessuale Angelegenheit sein kann. Der Kampf ums Recht als Folge der SubjektsteIlung des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß schafft eine Dynamik, die einer anderen Kontrolle der Verteidigung auf funktionsgemäße Mitwirkung als der des Sachurteils widerspricht. Schließlich ist MIßbrauchsabwehr im Prozeß nur in der Weise vorstellbar, die Verteidigung entweder mit einzelnen Handlungen oder ganz vom Prozeß, und damit von der Urteilsfindung, auszuschließen. Dann wird aber nicht mehr um das Recht gestritten, sondern dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger das Recht zum Streiten abgesprochen, indem etwa ein Antrag mit der Begründung zurückgewiesen wird, dieser diene nur scheinbar der Herbeiführung des Sachurteils, in Wirklichkeit aber dessen Vermeidung. Eine derartige Zurückweisung bedeutet nichts anderes als die gerichtliche Feststellung dysfunktionalen Verhaltens, was bei rechtsstaatlicher Betrachtung nur als Ausnahmefall vorstellbar ist. 150 Denn erstens setzt der Gesetzgeber eine funktionsgemäße Mitwirkung der Prozeßsubjekte voraus; gerade beim Verteidiger hat er dafür über § 138 Vorkehrungen getroffen. Und zweitens wird die SubjektsteIlung des Beschuldigten und damit der Kampf ums Recht als solcher im gleichen Maße ausgehöhlt, wie sich das Gericht als Inquirent der Hauptverhandlung der Auseinandersetzung mit der Feststellung dysfunktionalen Verhaltens der Verteidigung entziehen kann. Schließlich ist die inquisitorische Grundhaltung des reformierten Strafprozesses überhaupt nur mit der SubjektsteIlung des Beschuldigten als rechtsstaatlichem Korrektiv zu rechtfertigen,151 zumal der Vorwurf dysfunktionaler Verteidigung in Ansehung der Parteilichkeit der Verteidigung und der Unparteilichkeit des Gerichts psychologisch stets naheliegen wird. 152 In diesem Sinne sieht der Entwurf von Mindestregeln der Vereinten Nationen für das Strafverfahren vor: " ... Der Beschuldigte hat das Recht auf eine mündliche Verhandlung ... Gegen einen Angeklagten, der gegen seinen Willen abwesend ist, darf eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt werden. Die Anwesenheit des Angeklagten ist Vgl. dazu nur Konzen, Prozeßparteien S. 113 ff. Näher Schulz, StV 1991, 354 (362): [" ... ein Verfahrensrecht, das nicht mißbraucht werden kann, verdient den Namen nicht ... ]; Rüping, JZ 1997,865 (868f.); Kühne, NJW 1998, 3027. 151 Näher KMR-Sax Einl. 15m. w. N.; RüpinglDornseifer, JZ 1977, 417 f. 152 Vgl. nur Eb. Schmidt, LK 11, Verteidigung Vorb. 6. 149

ISO

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Versuch einer systematischen Lösung

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unverziehtbar, wenn gegen ihn wegen eines schweren Delikts verhandelt wird ... ,,153

Mißbrauchsabwehr gegen Verteidigungsrechte im Strafprozeß bewegt sich nach alledem stets in der Nähe der Gefährdung von Wahrheit und Gerechtigkeit und damit der Rechtsfriedensfunktion der Sachentscheidung. Die Einführung des § 231 a 11, der die Durchführung der gesamten Hauptverhandlung ohne Mitwirkung des Beschuldigten in Fällen vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit vorsieht,154 und ihre verfassungsgerichtliche Absegnung 155 muß vor diesem Hintergrund als rechts staatliche Entgleisung bewertet werden, die zwar mit dem vielzitierten Klima des Hasses in den RAF-Prozessen erklärbar, aber nicht mit dem Grundsatz des Rechts auf rechtliches Gehör vereinbar erscheint. 156 Weil es sich dabei nicht um eine repressive Prozeßstrafe gegen den Beschuldigten handeln soll, sondern vielmehr um die präventive Sicherung einer funktionstüchtigen Rechtspflege,157 ergeben sich bei der Auslegung des vorsätzlichen und schuldhaften Verhaltens des Beschuldigten zusätzlich Einbruchstellen richterlicher Willkür gegenüber dem verteidigungswilligen Beschuldigten,158 die an Büchners Karikatur des französischen Revolutionstribunals erinnern. 159 Das gilt gleichermaßen für das durch § 231 b I 1 präzisierte Richterrecht im Zusammenhang mit der Entfernung des Beschuldigten aus der Hauptverhandlung wegen ordnungswidrigen Benehmens. 160 153 Abgedr. ZStW 1993, 668 (675) unter F) Mündliches Verfahren Nr. 25 (1); 26. Bei den Mindestregeln handelt sich um einen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen von einer internationalen Expertenkommission (deutsche Teilnehmer: Peukert, Schöne, Struensee, Thiedemann) vorgelegten Katalog rechts staatlicher Verfahrensgrundsätze mit dem Ziel, auf internationaler Ebene die Rahmenbedingungen für eine gerechte, unabhängige und wirkungsvolle Strafjustiz zu schaffen, näher ZStW 1993, 668f. 154 Bis dahin war zwar richterrechtlich anerkannt, daß in Anlehnung an § 231 11 nach der Vernehmung zur Sache die vorsätzliche Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit die weitere Mitwirkung des Beschuldigten entbehrlich machen könne. Man wollte aber die Hauptverhandlung vor dem Beschuldigten schützen, der sich vor der Vernehmung zur Sache verhandlungsunfähig macht, näher BT-Drucks. 7/2989 S. 5ff.; RieB, JZ 1975,265 (268ff.); Vogel, NJW 1978,1217 (1224f.). 155 BVerfGE 41, 246 (249f.); 51, 324 (343ff.). 156 Eingehend Grünwald, JZ 1976, 767 (770f.). 157 BT-Drucks. 7/2989 S. 5ff.; dazu auch BGHSt 26, 228 (230); RieB, JZ 1975, 265 (268ff.); Vogel, NJW 1978, 1217 (1224f.). 158 So wägt BGHSt 26, 228 (232f.) zwischen den Interessen des beschränkt verhandlungsfähigen Beschuldigten auf Mitwirkung in der Hauptverhandlung und dem Schutz der anderen Verfahrensbeteiligten vor körperlicher und nervlicher Überbeanspruchung durch eine unabsehbar lange Hauptverhandlung ab. Nach OLG Hamm NJW 1977, 1739 reicht sogar das bewuBte Sich-Hineinsteigern in einen psychischen Ausnahmezustand aus. Zum Ganzen Grünwald, JZ 1976, 767 f.; Groenewold, Angeklagt als Verteidiger S. 26ff. 159 Georg Büchner, Dantons Tod Dritter Akt, Zweite, Vierte und Neunte Szene.

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Nicht umsonst stellt vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung des rechtlichen Gehörs der Gesetzgeber im übrigen hohe Anforderungen an den Nachweis mißbräuchlichen Prozeßverhaltens, besonders wenn zentrale Handlungsinstrumente der Verteidigung wie das Beweisantragsrecht und das Ablehnungsrecht betroffen sind. 161 So unterliegt die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht nach den §§ 244 III 2, 4. Alt., 245 11 3, 4. Alt. in objektiver und subjektiver Hinsicht hohen Begründungsanforderungen, die einen erheblichen Erledigungsaufwand durch das Tatgericht zur Folge haben,162 darf doch der Antragsteller nichts anderes erstreben als die Verzögerung des Verfahrens. 163 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht dafür die nachträgliche Stellung eines Beweisantrags im Verteidigerplädoyer ohne gewichtige zusätzliche Gründe nicht aus, selbst wenn das Verteidigungsmittel aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht wurde. l64 Sogar in dem spektakulären Fall BGHSt 38, 111 ff.,165 dessen Ausnahmecharakter außer Frage steht,l66 war nach den Erkenntnissen des Tatgerichts der Mißbrauch des Beweisantragsrechts durch den Beschuldigten nur aus dessen Gesamtverhalten erkennbar, nicht aber aus den einzelnen Anträgen. 167 Überhaupt hat die Rechtsprechung selbst dann an den geschriebenen Ablehnungsgründen für Beweisanträge 160 Diese Vorschrift sollte im Vergleich zu dem bis dahin geltenden § 247 II klarstellen, daß der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens, auch während seiner Vernehmung zur Sache, wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt werden kann. Eine Minderheit im Rechtsausschuß trat sogar dafür ein, den Beschuldigten in solchen Fällen rechtliches Gehör nur außerhalb der Hauptverhandlung zu gewähren, näher BT-Drucks. 7/2989 S.7; Vogel, NJW 1978, 1217 (1225); Rieß, JZ 1975,265 (271). 161 Vgl. nur Nehm/Senge, NStZ 1998, 377ff. 162 Dazu Rebmann, NStZ 1984,241 (246). 163 Näher BGHSt 21, 118 (121 f.); Rüping/Dornseifer, JZ 1977, 417 (419). Das gilt entsprechend für die Beschränkung des Fragerechts nach § 241 H, jedenfalls wenn das Fragerecht ganz entzogen wird, sowie für die Ausübung von Erklärungsrechten, dazu Frister StV 1994, 445 (452). Vor diesem Hintergrund führt auch der Vorschlag von Kröpil, JR 1997, 315ff., ders., JA 1998, 680ff. nicht weiter, aus § 241 I eine allgemeine Mißbrauchsdefinition abzuleiten. 164 BGHSt 21, 118 (123). 165 BGHSt 38, 111 (112) [" ... Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung (innerhalb eines Jahres bereits) ca. 300 Beweisanträge gestellt, die er aber nach Ablegung eines Geständnisses wieder zurückgenommen hatte. Nach Widerruf des Geständnisses am 78. Verhandlungstag bis zum 107. Verhandlungstag war die Strafkammer "nahezu ausschließlich mit der Entgegennahme und Bescheidung von Beweisanträgen beschäftigt". Dieser hatte zudem angekündigt, 200 vorbereitete Beweisanträge stellen zu wollen. Schließlich hatte der Mitangeklagte ca. 8500 schriftliche Beweisanträge eingereicht; der Angeklagte hatte erklärt, daß er sich diesen - im unbekannten - Anträgen "schon jetzt" anschließe ... "]. 166 Vgl. nur Maatz, NStZ 1992,513; Widmaier, NStZ 1992,519. 167 BGHSt 38, 111 (112).

C. Versuch einer systematischen Lösung

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festgehalten (die Ausnahmezustände in der späten Weimarer Republik sowie der NS-Zeit einmal ausgeklammert),168 wenn dadurch ein Urteil in der Hauptverhandlung unmöglich gemacht wurde. Spektakuläres Beispiel dafür aus der Frühzeit strafrechtlicher Großprozesse ist der sog. ConterganProzeß, der im Jahr 1971 nach einer für diese Zeit ungeheuerlichen Hauptverhandlungsdauer von zweieinhalb Jahren und einer Unzahl von Beweisanträgen der Verteidigung gegen eine Auflage in Form von Geldzahlungen für die Geschädigten eingestellt wurde. 169 Bis in die Siebziger Jahre, also in einer Zeit in der die Rechtspolitik gerade im Zusammenhang mit den RAFProzessen um den Schutz der Hauptverhandlung vor Mißbrauch der Verteidigung fieberhaft bemüht war, standen gesetzliche Eingriffe in das Beweisantragsrecht der Verteidigung nicht zur Debatte. 17o Auf dieser Linie entschied der Bundesgerichtshof noch im Jahr 1979, es sei in jedem Falle unzulässig, die Entgegennahme von Beweisanträgen der Verteidigung wegen Rechtsmißbrauchs generell zu verweigern. 171 Auch der Inanspruchnahme des Verteidigers als Beweisantragspjleger des Beschuldigten durch die genannte Entscheidung BGHSt 38, 111 ff. liegt das Bestreben der Erhaltung des Beweisantragsrechts des Beschuldigten durch eine richterrechtliche Lösung der Mißbrauchsproblematik in Extremfällen zugrunde. 172 Ähnlich wie die geringe Bedeutung der Zurückweisung von Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht spielt auch die Ablehnung von Befangenheitsanträgen als verfahrensfremd i. S. d. § 26 a Nr. 3 in der gerichtlichen Praxis eine unbedeutende Rolle. Dieser Fall ist aufgrund der zentralen Bedeutung der richterlichen Unparteilichkeit in einer inquisitorisch geprägten Prozeßordnung ausgehend von der Rechtsprechung des Reichsgerichts an so hohe Nachweisanforderungen gebunden, daß er praktisch kaum vorkommen dürfte. 173 Vor dem Hintergrund der prozeßstrukturellen Bedeutung von Verteidigungsrechten als Mittel im Kampf ums Recht und ihrer verfassungsrechtlicher Dimension als Ausdruck des Rechts auf rechtliches Gehör erscheint es schon im Ansatz nicht überzeugend, wenn Kudlich neuerdings ein allgemeines Mißbrauchsverbot im Strafprozeß als Schutz gegen die zweckwidrige Vgl. dazu Schulz, StV 1991, 354 (359). LG Aachen JZ 1971, 507. Ostermeyer, ZRP 1971, 75 (76) spricht in diesem Zusammenhang von " ... einem verlorenen Kampf von Staatsanwaltschaft und Gericht in der Materialschlacht der Gutachten gegen eine Verteidigung, der die Sachverständigen auf der flachen Hand wuchsen wie die Schlangen auf dem Haupt der Meduse." 170 Vogel, NJW 1978, 1217 (1225). 171 BGH JR 1980,218 (219). Ähnlich BGHSt 29, 149 (152). 172 Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung unter A 11. m Dazu schon RGSt 30, 73 (74); 56, 50. Zum Ganzen Kl./Meyer-Goßner § 26a, 6; KK-Pfeiffer § 26 a, 4. 168 169

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Ausübung von Verteidigungsrechten in Erwägung zieht. Zwar nehme der Gesetzgeber in Kauf, mit der Einräumung von Verteidigungsrechten den Verfahrensabschluß zu erschweren. Die einfachgesetzlich niedergelegten Abwägungen im Spannungs feld zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit sollen nach Kudlich aber nur für den Regelfall abschließend sein. Anders sei es dann, wenn der hinter dem jeweiligen Verfahrensrecht stehende Zweck gerade nicht erreicht werden könne. Dann dürfe über das rechtsfortbildende Institut eines allgemeinen Mißbrauchsverbots sowie durch die Schaffung von Mißbrauchsnormen de lege ferenda in Verteidigungsrechte eingegriffen werden. 174 Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als Mißbrauchsabwehr aus prozeßstrukturelien Gründen im Einzelfall zulässig sein kann. So hat etwa der Bundesgerichtshof einen Hilfsbeweisantrag der Verteidigung zurecht als mißbräuchlich und damit unzulässig bezeichnet, der sich auf den Schuldspruch beziehe, jedoch unter der Bedingung eines bestimmten Strafausspruch gestellt worden sei. 17S Das findet seinen Grund darin, daß prozessuale Konfliktbewältigung als eigenverantwortlicher Kampf ums Recht bedingungsfeindlicher Struktur ist: "Wer kann. der SOll.,,176 Die allgemein anerkannte Zulässigkeit bedingter Prozeßhandlungen stellt sich daher nicht umsonst als einfach gesetzlich nicht geregelte, weil rechtlich nicht gebotene Einrichtung dar, die lediglich auf prozeßökonomischen Gründen gründet und damit richterlichem Ermessen unterliegt. 177 Abgesehen von solch prozeßintem bedingter, freischwebender Mißbrauchsabwehr stünde es einem rechtsstaatlichen Strafprozeß schlecht an, wenn Zweckwidrigkeitserwägungen zu Lasten der Verteidigung das geltende Prozeßrecht, aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts geringeres als "Ausführungsgesetz zum Grundgesetz", 178 nach Art einer teleologischen Reduktion suspendieren könnten. Das gilt angesichts der inquisitorischen Grundhaltung des reformierten Strafprozesses um so mehr. Kudlich. der diese Zusammenhänge durchaus einräumt, gibt im Zusammenhang mit der Entpflichtung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund selbst ein nachdrückliches Beispiel dafür, daß die Zweckwidrigkeit der Verteidigungshandlung nichts anderes als die inquisitorische Zweckmäßigkeit widerspiegelt. 179 Seine Forderung nach einer Abkehr von tradierten rein deduktiven Subsumtionsmodellen, die Kudlich, JuS 1997,507 (509ff.); ders., NStZ 1998, 588f. BGHSt 40, 287ff. 176 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 64. 177 Das gilt für den Hilfsbeweisantrag in besonderem Maße, weil dieser in der Praxis auch als taktisches Mittel der Verteidigung eingesetzt wird. Verfahrensfehler zu provozieren bzw. richterliches Entgegenkommen zu erzwingen, näher Schrader, NStZ 1991, 224ff. m.w.N. Schlothauer, StV 1988, 542 (544ff.). Zum Ganzen KK-Herdegen § 244, 50ff. 178 Eb. Schmidt, LK I S. 290. 179 Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung unter A 11 3. 174 175

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Versuch einer systematischen Lösung

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der praktischen juristischen Arbeit ohnehin bereits zugrundeliege, 180 vennag diese rechtlichen Zusammenhänge nicht zu überspielen. Sie erinnert vielmehr in unguter Weise daran, daß die Struktur des geltenden Rechts sich als Korrektur von Fehlentwicklungen darstellt, die sich aus einer sukzessiven Demontage der Subjektstellung des Beschuldigten ergeben hatten - und zwar gerade auch im Hinblick auf die Wahrheitsfindung. Die in Ansehung dieser Umstände notwendig fehlende Tauglichkeit strafprozessualer Wertungsmaßstäbe als Mittel der Mißbrauchsabwehr de lege ferenda erweist sich derzeit gerade am Beispiel des § 257 a, der es im Interesse der strafferen Durchführung der Hauptverhandlung dem Gericht erlaubt, den Verfahrensbeteiligten (gemeint ist in erster Linie die Verteidigung) aufzugeben, Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen schriftlich zu stellen. 181 Nicht nur, daß erste Erfahrungen aus der Praxis auf eine kontraproduktive Wirkung der Vorschrift für den angestrebten Zweck hinweisen. 182 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und die damit zusarnrnenhängenden Verfahrens prinzipien wie Mündlichkeit und Unmittelbarkeit reduzieren den Anwendungsbereich der Vorschrift auf eine Weise, die sie selbst dann zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, wenn man ihre Anwendung nicht generell für unvereinbar mit rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen halten würde. 183 Für die prozeßrechtliche Bewertung der Bekämpfung von Prozeßverschleppung durch Ablehnungs- und Beweisanträge de lege ferenda gelten derartige Überlegungen insofern in besonderem Maße, als es sich um zentrale Handlungselemente in der Hauptverhandlung handelt. Die Ansicht, auch ohne fonnelles oder gar autonomes Beweisantragsrecht wirke die Initiativbefugnis der Prozeßsubjekte hinreichend als Aktivator der dem Gericht aufgegebenen Aufklärungspflichten, erscheint damit nicht vereinbar zu sein. 184 Nicht umsonst sind die Bestrebungen nach einer gesetzlichen Einschränkung des Beweisantragsrechts de lege ferenda bis in die jüngste Zeit fehlgeschlagen. 185 Denn jede Aufweichung der strengen AnforderunKudlich, NStZ 1998, 588. Verbrechensbekämpfungsgesetz v. 28.10.1994, BGBl. S. 3186. Zur Begründung BT-Drucks. 12/6853 S. 60, 102f. 182 Niemöller, StV 1996, 501 (506) spricht von "einem stillen Nebenverfahren, das nur noch Papiergeraschel erzeugt ... ". Symptomatisch der Prozeßbericht von Wesemann, StV 1995,220. 183 Näher dazu Münchhalffen, FG-Friebertshäuser S. l39ff.; Krahl, GA 1998, 329 ff. Zum Ganzen Kl./Meyer-Goßner § 257 a, 1 f. m. w. N. 184 So aber Schlüchter, GA 1994, 397 (416f.); kritisch dazu Herdegen, NStZ 1995,202. 185 Von dem im Entwurf zum Rechtspflegeentlastungsgesetz v.11.1.1993 (BGBl. I S. 50) vorgesehenen Restriktionen (dazu Schulz, StV 1991, 354) ist nur die Einführung des § 244 V 2 betreffend die Ladung des Auslandszeugen übrig geblieben, dazu Meyer-Goßner. NJW 1993.498. 180 181

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

gen an die Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht nach geltendem Recht, das ja immerhin aus Richterrecht entstanden ist,186 bedeutet nichts anderes als einen Schritt hin zu vorweggenommener Beweiswürdigung und damit weg vom Grundsatz des rechtlichen Gehörs. 187 Es verbleibt als ultimatives Instrument strafprozessualer Mißbrauchsabwehr gegen den Verteidiger die Ausschließung nach den §§ 138aff. Nachdem sich der in diesem Zusammenhang diskutierte Ausschließungsgrund der Prozeßsabotage nicht durchgesetzt hat, beschränkt sich die praktische Relevanz dieses Instituts allerdings auf die strafrechtlich formulierten Ausschließungstatbestände. 188 Dadurch bewegt sich die Bewertung von Verteidigerhandlungen im Grenzbereich der Ausschließungstatbestände zwischen prozeßrechtlichen und strafrechtlichen Wertungsmaßstäben, wie schon bei der Betrachtung der RAF-Prozesse zu sehen war. Diese Verknüpfung eines an sich prozessualen Instituts mit strafrechtlichen Wertungsmaßstäben bestätigt die Systemfremdheit strafprozessualer Mißbrauchsabwehr. Darauf wird im Einzelnen bei der Behandlung der strafrechtlichen Wertungsmaßstäbe und deren Bedeutung für die Mißbrauchsproblematik einzugehen sein. 3. Zur Reichweite prozessualer Wertungsmaßstäbe

Gezeigt hat sich bis hierhin, daß strafprozessuale Wertungsmaßstäbe aus strukturellen Gründen schwerlich zur Mißbrauchsabwehr gegen den Verteidiger geeignet sind. Vielmehr sichert der Kampf ums Recht, das Streben der Prozeßsubjekte nach einem funktionell günstigen Sachurteil, ihre funktionsgemäße Mitwirkung. Damit stellt sich die Anschlußfrage, ob dadurch die Anwendbarkeit des materiellen Rechts, insbesondere die des materiellen Strafrechts und des anwaltlichen Standesrechts, als Bewertungsmaßstab für Prozeßhandlungen des Verteidigers ungeachtet dessen rechtlicher Doppelsteilung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten und als Organ der Rechtspflege nicht vielleicht doch im Sinne eines Trennungsgebots zwischen prozessualen und materiellrechtlichen Wertungsmaßstäben gesperrt sein könnte. 186 Vgl. nur RGSt 13, 151 ff.; 20, 206ff. Zum Ganzen Kempf, StV 1996, 507 (509f.). 187 Dazu schon BGHSt 21, 118 (I 20 ff.). Kritisch zu der mit Bundesratsentwurf vom 1.3.1996 erneut vorgeschlagenen Erleichterung der Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht (abgedr. DRiZ 1996, 153 (ISS» Niemöller, StV 1996,201 (204); Rüping, JZ 1997, 865 (866f.); Frister, StV 1997, 150ff. 188 Nach Rieß, NStZ 1981, 328f. kamen in der Zeit von 1975-1980 Ausschließungen nach § 138 a I Nr. 2 sowie nach § 138 b nicht vor. Alle durchgeführten Ausschließungsverfahren beruhten auf dem Verdacht der Tatbeteiligung oder der Strafvereitelung des Verteidigers. Ähnlich Remagen-Kemmerling, Ausschließung in Theorie und Praxis S. 108 ff.

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Versuch einer systematischen Lösung

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Immerhin hat sich bis hierhin auch herausgestellt, daß Rechte und Pflichten im Prozeß nur als Möglichkeiten und Lasten zur Vornahme von Prozeßhandlungen denkbar sind, was von nichts anderem als ihrer prognostizierten Aussicht auf ihre Eignung zur Erlangung eines funktionell günstigen Urteils abhängt. Genauso findet die Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit im Prozeß nur insoweit eine Entsprechung, als Prozeßhandlungen danach bewertet werden, ob sie zur Schaffung einer funktionell günstigen Prozeßlage geeignet sind oder nicht, und inwieweit sie dabei von gerichtlicher Zulassung abhängig sind oder nicht. Daraus ergibt sich die Unterscheidung zwischen Beachtlichkeit und Unbeachtlichkeit und zwischen Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen, wobei Einteilung und Bezeichnung dieser Kategorien im Einzelnen wenig geklärt ist. 189 Diese prozessualen Eigentümlichkeiten führen nach Goldschmidt zu einem moralinfreien Verständnis des Prozesses, in dem es zugehe wie im Krieg oder in der Politik. l90 Zur Erlangung eines Freispruchs sei es für den Beschuldigten im Strafprozeß weder notwendig noch hinreichend, die angeklagte Straftat nicht begangen zu haben. Genauso wie die Freisprechung des Schuldigen sei die Verurteilung des Unschuldigen denkbar. 191 Konsequenterweise unterliegen auf dieser Grundlage etwa sog. doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, deren bestimmungsgemäße Wirkung nicht nur die Urteilserlangung betrifft, sondern wie die Verhaftung des Beschuldigten in außerprozessuale Rechtsverhältnisse eingreift, nach Niese der unabhängigen Bewertung in den von ihm sog. verschiedenen sozialen Wirklichkeitsräumen des prozessualen und materiellen Rechts. 192 Die beißende Polemik dagegen - v. Hippei: "Auf der Alm, da is koa Sünd" _193 war vor dem Hintergrund der von Windscheid erst am Vorabend der politischen und rechtsstaatlichen Einigung Deutschlands durchgesetzten Lösung des deutschen Rechts von römischrechtlichen Aktionendenken l94 wahrscheinlich auch zeitgeschichtlich bedingt,195 macht aber auch die grundSätzliche Pro189 Näher Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 92ff.; Eb. Schmidt, LK I S. 130ff. 190 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage S. 292, 353; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 75; ders., ZStW 1951, 199 (228) ["Im Verhältnis zwischen Staat und Individuum geht es im Strafprozeß auf Hauen und Stechen"]. 191 Vgl. Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage S. 342. 192 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 125 ff. 193 V.Hippel, ZZP 1952,424 (443). 194 Näher Hilde Kaufmann, Strafanspruch Strafklagrecht S. 11 ff. 19S Immerhin relativiert das Verständnis von materiellrechtlichen und prozeßrechtlichen Wirklichkeitsräumen als Rechtswissenschaft ohne Recht (v. Hippei, ZZP 1952, 424 (437) die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz, die nach Windscheid die modeme rechtsstaatliche Prozeßordnung von der römischen Rechtsordnung unterscheidet und in der Folge die Führungsrolle des materiellen Rechts ge-

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

blematik eines so postulierten Trennungsgebots deutlich. Nicht umsonst sind die von Goldschmidt geprägten Begrifflichkeiten um den Prozeß als Rechtslage in der modemen Lehrbuch- und Kommentarliteratur auf Worthülsen reduziert worden, die zwar den Ablauf prozessualer Konfliktbewältigung wiedergeben, ohne daß man ihnen aber darüber hinaus den Charakter eines prozessualen Wertungsmaßstabs zur Lösung von Einzelproblemen beimessen würde. 196 Die Vorstellung einer Gerichtsordnung als unabhängiger Wirklichkeits- und Rechtsraum, der erst über die Sachentscheidung wieder mit dem materiellen Recht zusammengeführt wird,197 erscheint mit der dienenden Funktion des Prozesses als Mittel zur Beilegung eines im materiellen Recht wurzelnden Konflikts schwer vereinbar. 198 Gerade die strafprozessuale Verwertbarkeit von nach materiellem Recht verbotenen Zeugenaussagen beruflich schweigepflichtiger Personen nach § 53, auf die sich Eb. Schmidt und Niese als gesetzliche Ausprägung des Trennungsgebots berufen,199 und die davon bestimmte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 2OO macht das deutlich. Ungeachtet der Frage, ob damit gerade im Hinblick auf den Verteidiger dessen Funktion als Prozeßsubjektsgehilfe nicht schon aus prozessualer Sicht mittelbar ausgehöhlt wird,201 steht die Verwertung solcher Zeugenaussagen, die zugleich nach § 203 I StGB unter Strafe gestellt sind, in einem evidenten Spannungsverhältnis zum rechtsstaatlichen Verbot der Wahrheitsfindung um jeden Preis.2°2 Das gilt erst recht in Ansehung der in § 53 nicht vorgesehenen Belehrungspflicht. Für die hier zu klärende Fragestellung soll dieses prozeßdogmatische Grundproblem nicht weiter vertieft werden. Denn was den Verteidiger im Strafprozeß betrifft, so hat der Gesetzgeber sich jedenfalls entschieden, ihn über § 138 an das anwaltliche Standesrecht zu binden. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang nochmals, daß diese standesrechtliche Bindung des Verteidigers zugleich dessen vertragliche Verpflichtung zu genüber dem Prozeßrecht begründet hat, vgl. nur Hilde Kaufmann, Strafanspruch Strafklagrecht S. llff.; Konzen, Prozeßparteien S. l04ff. 196 Symptomatisch die Darstellung bei Roxin, Strafverfahrensrecht S. 149f. Ähnlich Peters, Strafprozeß S. 249ff. 191 Näher Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 106ff. 198 Dazu v. Hippei, ZZP 1952,424 (433ff.); KMR-Sax Einl. X 4; Dencker, Verwertungs verbote S. 62. 199 Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht S. 53 ff.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 129f. 200 BOHSt 9, 59ff.; 15, 200 (202). 201 So Welp, FS-Oallas S. 391 (402ff.), der allerdings die unterschiedlichen Prozeßrollen als Verteidiger und Zeuge und das Schweigerecht nach § 53 I Nr. 2 wenig berücksichtigt. Auf der anderen Seite könnte er nachträglich dadurch bestätigt worden sein, daß die Doppelrolle als Verteidiger und Zeuge nach den §§ 138 a ff. kein Ausschließungsgrund ist. 202 Vgl. nur Lenckner, NIW 1965,321 (325f.).

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standeswidrigem Verhalten ausschließt, so kann es folgerichtig keine prozessuale Last zur Vornahme standes widriger Prozeßhandlungen geben. Auch wenn die prozessuale Beachtlichkeit solcher Prozeßhandlungen im Hinblick auf die Schaffung von Prozeßlagen nicht abgestritten werden kann, überlagert die standesrechtliche Bewertung von Prozeßhandlungen die Eigentümlichkeit prozessualer Wertungsmaßstäbe. Diese Zusammenhänge hat selbst ein entschiedener Verfechter des Trennungsgebots wie Eb. Schmidt als selbstverständlich hingenommen. 203 Die berufsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, als Organ der Rechtspflege zur Wahrnehmung fremder Interessen vor Gericht berufen zu sein, muß es dem Verteidiger erst recht verbieten, die für jedermann geltenden Vorschriften des materiellen Strafrechts zu mißachten. Weil der Verteidiger an die Wertungsmaßstäbe des materiellen Rechts gebunden ist, werden im weiteren Verlauf der Untersuchung die von Goldschrnidt eingeführten Begrifflichkeiten nicht weiter verwendet, sondern es wird weiter von den Rechten und Pflichten des Verteidigers die Rede sein. 11. Keine eigenständige Bedeutung der Verteidigerdelikte

Vor dem Hintergrund der vorangestellten Überlegungen zur Geltung des anwaltlichen Standesrechts kann dem Verteidiger strafprozessual erst recht nicht erlaubt sein, was ihm strafrechtlich verboten ist. Das bedarf grundsätzlich keiner weiteren Erörterung. So darf sich der Verteidiger beispielsweise bei seiner Tätigkeit nicht in strafrechtlich relevanter Weise an Urkunds- oder Aussagedelikten beteiligen, worauf auch der "Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer" in seinen Thesen zur Strafverteidigung ausdrücklich hinweist. 204 Die Bindungswirkung der allgemeinen Strafgesetze für den Verteidiger im Strafprozeß ist aber ohnehin unstreitig und immer unstreitig gewesen, auch wenn bis heute mitunter den sog. linken Verteidigern unterstellt wird, sie hätten das Gegenteil vertreten. 205 Außer dem Verbot strafbarer Handlungen lassen sich Folgerungen für Umfang und Grenzen erlaubten Verteidigerverhaltens daraus nicht ziehen. In diesem Sinne zurecht betont der Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, jenseits der Scheidelinie strafbaren Verhaltens setze der Freiraum der Verteidigung ein. 206 Es sind sogar Rückwirkungen von der prozesEb. Schmidt, Verteidigung Vorb. 25f.; ders., LK 11 JZ 1969, 316f. Thesen zur Strafverteidigung These 20 mit Begründung. 20S SO etwa Breucker, Verteidigungsfremdes Verhalten S. 108ff., 120ff., der sich aber durch die von ihm zitierten Stellungnahmen der RAF-Verteidiger selbst widerlegt. Gerade diejenigen, die sich dem bewaffneten Kampf der RAF anschlossen, distanzierten sich von ihrer Verteidigerrolle, Breucker a. a. O. S. 11 0 ff. Dazu auch Groenewold. Angeklagt als Verteidiger S. 98ff. 203

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

sualen auf die strafrechtliche Ebene denkbar: nämlich dann, wenn nämlich allgemeine strafrechtliche Wertungsmaßstäbe aus prozessualer Sicht der Einschränkung bedürfen. So könnte es mittelbar die Hinzuziehung des Verteidigers und damit die prozessuale Stellung des Beschuldigten unterhöhlen, wenn der Strafverteidiger sich durch die Annahme des Honorars aus inkriminierten Geldmitteln wegen Geldwäsche nach § 261 StGB strafbar machen würde.2°7 In eine ähnliche Richtung weist die neuerdings aus dem materiellen Strafrecht begründete Forderung nach einer Privilegierung des Verteidigers im Vorsatzbereich durch eine Sperrwirkung des § 258 I, 11 für alle tateinheitlich verwirklichten Delikte. 208 Zu behandeln sind an dieser Stelle demnach nur die Fälle, in denen schon die funktionsgemäße Mitwirkung im Strafprozeß an sich den Verteidiger in einen Bereich strafrechtlicher Tatbestandlichkeit bringt. Dann könnten die Wertungsmaßstäbe des materiellen Strafrechts für die Mißbrauchsproblematik Bedeutung gewinnen, insbesondere auch im Hinblick auf die §§ 138aff. 1. Prozeßordnungswidrigkeit als versteckt strafrechtlicher Maßstab der Verteidigerdelikte

Das ist unter zwei Gesichtspunkten möglich. Zum einen bewegt sich der Verteidiger, wie sich in den RAF-Prozessen gezeigt hat, in der Nähe der Beteiligung an angeklagten Dauer- oder Organisations straftaten, wenn deren Fortführung durch die Verteidigung ihrer Mitglieder unterstützt wird. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die §§ 129, 129 a, 84 ll, 85 11 StGB. Zum anderen vereitelt oder verzögert der Verteidiger des Täters regelmäßig dessen Bestrafung und bewegt sich damit begrifflich schon aufgrund der Durchführung einer Strafverteidigung im Bereich der Strafvereitelung nach § 258 1 StGB. Es handelt sich also gewissermaßen um Verteidigerdelikte. Diesbezüglich entspricht es grundsätzlich im Anschluß an die Ausführungen von Gallas einhelliger Ansicht, der Kern des Problems sei Thesen zur Strafverteidigung These 20 mit Begründung. Dazu auch These 21. An dieser Stelle mischen sich spezifisch strafprozessuale Probleme (Schutz der Funktionstüchtigkeit der Verteidigung) mit solchen aus dem materiellen Strafrecht (Berufsadäquates Handeln; dazu Amelung/Grüner, JuS 1995, 48 (5lf.) m. w. N. Die strafprozessuale Diskussion (vgl. zur Aktualität der Problematik nur das Interview mit Jonigk, STERN Nr. 26/99 S. 128 zum Fall Maeffert), dreht sich weniger um das Ob als um das Wie des Schutzes des Verteidigers vor der Anwendung des § 261 StGB in Fällen der Honorarannahme, nämlich um die Frage der Einschränkung des § 261 StGB entweder auf Tatbestands- oder der Vorsatzebene. Darauf einzugehen, würde von der hier zu behandelnden Thematik zu weit wegführen, vgl. demnächst Kempf/Grüner, Rechtsanwalt als Verteidiger (2. Auflage 20(0). 208 Näher Stumpf, NStZ 1997,7 (8ff.) m.w.N.; Wünsch, StV 1997, 45ff. 206

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ausschließlich prozessualer Natur; die strafrechtliche Beurteilung des Verteidigerhandelns in den genannten Fällen werde demzufolge nicht im Strafrecht, sondern im Strafprozeßrecht entschieden. Nur prozeßordnungswidriges Verteidigerhandeln könne auch strafrechtlich verboten sein. 209 Die Richtigkeit dieses Ausgangspunkts ist nicht zu bestreiten, nimmt der Verteidiger doch eine Prozeßrolle als Prozeßsubjektsgehilfe ein und unterliegt in dieser Prozeßrolle folgerichtig strafprozessualen Wertungsmaßstäben. Bei näherem Hinsehen erweist sich allerdings, daß der Begriff der Prozeßordnungswidrigkeit insbesondere in der Rechtsprechung nicht wirklich prozessual ausgefüllt wird. Verstanden wird darunter vielmehr die Sachwidrigkeit des Verteidigerhandelns aus inquisitorischer Sicht, nämlich die Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung des materiellen Rechts auf prozessualem Weg. So bestätigt der Bundesgerichtshof im Nachgang zu den RAFProzessen zur Abgrenzung zwischen Verteidigung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung die bereits geschilderte materiellrechtliche Betrachtungsweise der Gerichte: ,,Der Konflikt, der zwischen einem danach prozessual zulässigen Verteidigerhandeln ... und dem strafrechtlichen Unterstützungsverbot der §§ 129, 129a StGB möglich ist, muß dahin gelöst werden, daß ein solches Handeln kein rechtswidriges Unterstützen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung sein kann, es sei denn, es dient unter dem Anschein zulässiger Verteidigung in Wirklichkeit dem Ziel, einer solchen Vereinigung zu helfen ... Die Erfüllung des Gebots einer ungehinderten und damit wirksamen Strafverteidigung wäre ernsthaft gefahrdet, wenn der Verteidiger der Gefahr ausgesetzt würde, wegen einer üblichen und zulässigen Verteidigertätigkeit strafrechtlich selbst verfolgt zu werden ... Dies gilt allerdings nicht, wenn ein Tun, das sich nur den äußeren Anschein statthafter Verteidigung gibt, in Wirklichkeit dem Ziel dient, einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung zu helfen. ,,2 \0

Im Zusammenhang mit der Strafvereitelung ist die Aufstellung ähnlich materiellrechtlich bestimmter Abgrenzungsformeln wegen der Verschränkung von Strafverteidigung und Strafvereitelung mit dem anwaltlichen Lügeverbot erst recht verbreitet,211 gipfelnd in der Darstellung des führen209 Gallas, ZStW 1934, 256 (257). Ebenso BGHSt 2, 375 (377). Zur Literatur vgl. den Überblick bei Lamberti, Strafvereitelung durch Strafverteidigung S. 95 m.w.N. 210 BGHSt 29,99 (l05f.). 211 Dazu die Beispiele bei I. Müller, StV 1981, 90 (94). Daran hat sich auch in der Folge nichts geändert: Seier, JuS 1981, 806 (808) bezeichnet das Verteidigerhandeln als prozeßordnungswidrig, wenn der Verteidiger einen prozeßordnungswidrigen Erfolg herbeiführt, indem er das Tatgericht durch an sich erlaubtes Verteidigerhandeln irreführt und damit einen prozeßordnungsgemäßen Erfolg verhindert. Nach Strytz, Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung S. 185, 234ff., 265 darf der Verteidiger "Gegenspieler sein, wenn er bei seinem antithetischen Handeln den übrigen Prozeßstoff unverfälscht läßt. ..um ein prozessuales Problem im eigentlichen Sinn handelt es sich keineswegs." Lamberti, Strafverteidigung durch

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den deutschen Großkommentars, demzufolge es für die Strafbarkeit des Verteidigers wegen Strafvereitelung maßgeblich sein soll, ob seine Handlung dazu diene, den Beschuldigten der Bestrafung oder der Verhängung einer Maßnahme zu entziehen. 212 Auch der Bundesgerichtshof sieht die Grenze zur Strafvereitelung dann überschritten, wenn der Verteidiger den Sachverhalt verdunkele und die Strafverfolgung erschwere. 213 2. Prozeßhandlung als maßgebliches Abgrenzungskriterium

Der Vorwurf zirkulärer Argumentation bisheriger Lösungsvorschläge zu den Verteidigerdelikten erscheint nach alledem berechtigt. 214 Denn die Wahrheitsfindung im reformierten Strafprozeß ist nicht nur inquisitorischer Entdeckungs-, sondern über den Kampf ums Recht auch parteilicher Entwicklungsprozeß.2 15 Die Frage nach der eigenständigen Bedeutung der Verteidigerdelikte für die Prozeßordnungswidrigkeit des Verteidigerhandelns und damit für die Mißbrauchsproblematik bedarf daher einer näheren Betrachtung. Fallen die Würfel über das prozeßordnungswidrige Verteidigerhandeln im Prozeßrecht, so weist das zunächst auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen inner- und außerprozessualem Verteidigerhandeln hin. Für die Mißbrauchsproblematik relevant kann nur das innerprozessuale Verteidigerhandeln sein, nämlich die funktionsgemäße Mitwirkung des Verteidigers in seiner Prozeßrolle als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten. Die strafrechtliche Bewertung von außerprozessualem Verteidigerhandeln hat dagegen mit seiner Prozeßrolle, mit prozeßordnungswidrigem Handeln und demzufolge mit der Mißbrauchsproblematik nichts zu tun. Vielmehr richtet sich die Bewertung außerprozessualen Verteidigerhandelns wie für jedermann nach den allgemeinen Gesetzen und damit natürlich auch nach strafrechtlichen Maßstäben. Nachdem die funktionsgemäße MitStrafvereitelung S. 136 bescheinigt zwar, ..... sämtliche in Rechtsprechung und Literatur vorhandenen Lösungsansätze sind als übergreifendes Prinzip zur Abgrenzung erlaubten und verbotenen Verteidigerhandelns nicht geeignet." Ihr eigener, an Fallgruppen orientierter Lösungsvorschlag orientiert sich allerdings selbst an inquisitorischer Rechtsschöpfung. So läuft das ..Prinzip der substantiellen Integrität der Entscheidungsgrundlage" darauf hinaus, aufgrund eines der Rechtsordnung angeblich immanenten Vertrauensgrundsatzes die Konstruktion unwahrer Schutzbehauptungen des Verteidigers wie etwa der unrichtigen Behauptung der Schuldunflihigkeit des Beschuldigten als Strafvereitelung zu werten, Lamberti a. a. O. S. 142 ff.; 212. 212 LK-Ruß § 258, 20. Ähnlich KK-Laufhütte Vor § 137,6 m.w.N.; ders., a.a.O. (1993) Vor § 137, 4 [..Prozessual zulässiges Handeln des Verteidigers im Interesse sachgerechter (!!!) Strafverteidigung läßt jedenfalls die Tatbestandsmäßigkeit des § 258 I StGB von vorneherein entfallen"]. 213 BGHSt 2, 375 (378). 214 LR-Lüderssen Vor § 137, 112. 21S Ähnlich Richter 11, NJW 1993,2152 (2155).

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wirkung der Prozeßsubjekte und damit auch des Verteidigers im Strafprozeß die Vornahme von Prozeßhandlungen zum Inhalt hat, gewinnt dieser Begriff für die Bestimmung innerprozessualen Verteidigerhandelns wegweisende Bedeutung. Dem Rekurs darauf könnte man allerdings den Hinweis entgegenhalten, der Begriff der Prozeßhandlung sei für sich so wenig geklärt und problembeladen, daß seine Verwertung mehr Fragen aufwerfe als zur Klärung beizutragen. 216 Es geht aber hier nur um die Ausgrenzung des außerprozessualen VerteidigerhandeIns. Insoweit hat sich gezeigt, daß man zwar über die Tragweite prozessualer Wertungsmaßstäbe streiten kann, nicht aber über den dadurch beschriebenen Wirkungsmechanismus. Daß der Prozeß durch die Dynamik aufeinanderfolgender Prozeßlagen bis zum Urteil funktioniert, die durch Prozeßhandlungen funktionell widerstreitender Prozeßsubjekte (bzw. wie im Fall des Verteidigers Prozeßsubjektsgehilfen) erzeugt werden, steht außer Frage. Die Vornahme von Prozeßhandlungen stellt damit nichts anderes dar als die tatsächliche Umsetzung von rechtlichen Möglichkeiten, die geschriebene oder ungeschriebene Prozeßrechtsnormen eröffnen. Diese stehen wiederum notwendig unter dem Primat der Prozeßziele, was in jedem Fall die Erlangung einer abschließenden Sachentscheidung umfaßt. 217 Klammert man an dieser Stelle weiterhin die für die Mißbrauchsproblematik nicht interessierende Frage des Prozeßhandlungscharakters von zur Urteilserlangung notwendigen Realakten aus,218 so sind Prozeßhandlungen des Verteidigers nur solche, die seiner prozessualen Rolle als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten entsprechen. 219 Bezeichnet ist damit jede Handlung, die der Verteidiger im Rahmen der im Ersten Teil der UntersuDazu zuletzt Paulus, GS-K. H. Meyer S. 309f. m. w. N. Nach Paulus, GS-K. H. Meyer S. 309 (313 ff.) soll die funktionale Bestimmung der Prozeßhandlung allein anhand des Sachurteils dagegen zirkelschlüssig sein, weil die meisten Prozesse nach dem Opportunitätsprinzip erledigt würden. Letzteres mag richtig sein, ersteres nicht. Die §§ 153ff. beruhen auf einer Verurteilungsprognose, verbunden mit fehlender Bestrafungsbedürftigkeit. Eine auf die VerfahrenseinsteIlung nach den §§ 153ff. gerichtete Handlung dient also wie das Sachurteil der Erlangung einer funktionell günstigen Sachentscheidung. Anders könnte es nur im Fall des § 153d sein, wenn der Verteidiger z.B. durch die Aufwiegelung von Anhängern des Beschuldigten den Prozeß im Hinblick auf den Schutz überwiegender öffentlicher Interessen verhindert (Stichwort Öcalan). Die Vorschrift spielt aber nur als Kronzeugenregelung eine Rolle, vgl. Bernsmann, JZ 1988,539 (543). 218 Näher Paulus, GS-K. H. Meyer S. 309 (317) m. w. N. Wenn allerdings Barton, Mindeststandards S. 321 f. alles, was den Prozeß in irgendeiner Weise beeinflußen kann (wie z. B. das Zuschlagen der Saaltür zur Demonstration der Stärke), unter den Begriff der Prozeßhandlung subsumiert, so verläßt er den Bereich prozessual vorgesehener Handlungsformen. Dann könnte auch das Erschießen des Belastungszeugen grundsätzlich als Prozeßhandlung zu werten sein, was den Prozeßzielen offensichtlich widerspricht. 219 Dazu Paulus, NStZ 1992, 305ff. 216 211

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chung angesprochenen Beratungs-, Fürsprech-, Entlastungs- und Schutzfunktionen vornimmt, um einen günstige Sachentscheidung für den Beschuldigten, sei es durch Sachurteil oder Einstellung nach den §§ 153 ff., zu erlangen. Es fallen unter den Begriff der Prozeßhandlungen also die Beratung des Beschuldigten betreffend dessen prozessualer Stellung, die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten und die Abstimmung der Verteidigungsstrategie, die Weitergabe aller für den Fortgang des Prozesses relevanten Informationen, die Sachverhaltsaufklärung, die Abgabe von sonstigen Anträgen und Erklärungen gegenüber den staatlichen Rechtspflegeorganen, die Vertretung des Beschuldigten in den gesetzlich bestimmten Fällen und das Bemühen um die Beilegung des Strafverfahrens in Form der Verständigung außerhalb oder innerhalb der Hauptverhandlung mit den staatlichen Rechtspflegeorganen. a) Abgrenzungsfunktion Die entscheidende Bedeutung der Prozeßhandlung für die Behandlung der Verteidigerdelikte muß aus zwei Gründen betont werden. Zunächst kommt der Prozeßhandlung eine wichtige Abgrenzungsfunktion zu. Der Rückgriff darauf verleiht dem Begriff der Prozeßordnungswidrigkeit inhaltliche Konturen, weil er das allein in Betracht kommende innerprozessuale Verteidigerhandeln inhaltlich umschreibt. In diesem Zusammenhang darf es zwar seit langem als geklärt gelten, daß evidente Fälle wie einerseits die Beweismittelvernichtung oder die Fluchthilfe zugunsten des Beschuldigten außerprozessuale Verteidigerhandlungen sowie andererseits das Betreiben eines Freispruchs mangels Beweisen trotz Kenntnis von der Schuld des Angeklagten innerprozessuale Verteidigerhandlungen darstellen. 22o In weniger klaren Fällen bleibt diese Unterscheidung aber auf der Strecke. Die dann fehlende Ausgrenzung außerprozessualen Verteidigerhandelns führt bereits zu ersten Unschärfen bei der Bestimmung prozeßordnungswidrigen Verteidigerhandeins. So ist etwa das von Lamberti als prozeßordnungswidrig bewertete Unterrichten des Zeugen von dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung vor dem Gerichtssaal keine Prozeßhandlung des Verteidigers und fällt damit als außerprozessuales Handeln ohne weiteres unter den strafrechtlichen Prüfungsmaßstab des § 258 StGB. 221 Das gilt genauso für den Rat an den Beschuldigten, nicht zur Hauptverhandlung zu erscheinen, dessen strafrechtliche Beurteilung das OLG Koblenz zum Anlaß genommen hat, der Gleichsetzung von Prozeßordnungswidrigkeit und Sachwidrigkeit des Verteidiger220 221

Dazu schon Ebermayer, DJZ 1927, 134 (137). Lamberti. Strafvereitelung durch Strafverteidiger S. 163.

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handeIns aus inquisitorischer Sicht ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. 222 Die mit den Zwangsmitteln des § 230 II erzwingbare Anwesenheit des Beschuldigten dient der Durchführung des Prozesses, weil nach § 230 I in Abwesenheit des Beschuldigten grundsätzlich keine Hauptverhandlung stattfindet. Der Rat zum Fernbleiben verhindert daher den Prozeß und kann schon begrifflich keine Prozeßhandlung sein. Auch der gängigerweise mit Hinweis auf die §§ 112, 146 als Beispiel für prozeßordnungswidriges Verteidigerhandeln angeführte Kassiberschmuggel (oder in allgemeinerem Maßstab der sog. Mißbrauch des Verteidigerverkehrs) zu Verdunklungszwecken fcillt nicht ohne weiteres unter diese Kategorie. 223 Vielmehr ist zu differenzieren: Es handelt sich schon um keine Prozeßhandlung, wenn die dadurch weitergegebenen Informationen nicht der Gestaltung der Verteidigung in der eben umrissenen Form dienen, wie bei der Anweisung zur Vernichtung von Beweismitteln, oder gar verfahrens fremden Informationen wie bei der Erstellung eines Fluchtplans. Stellt sich der Kassiberschmuggel weiterhin als nach den allgemeinen Strafgesetzen unter Strafe gestellte Verteidigerhandlung dar, wie etwa die Nötigung des Zeugen oder die Beteiligung an dessen Falschaussage,224 so ist sie dem Verteidiger ohnehin verboten, ohne daß es auf den Charakter als Prozeßhandlung ankommt. Nur für die dann noch verbleibenden Fälle stellt sich die Frage der Prozeßordnungswidrigkeit des VerteidigerhandeIns. Aus alledem folgt natürlich auch, daß die Beratung von Zeugen über ihr Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht oder gar Ratschläge zu deren Ausübung bzw. Nichtausübung anders als die durch das Ermittlungsrecht gedeckte Befragung von Zeugen zur Sache nicht ohne weiteres zu den Prozeßhandlungen des Verteidigers zählt; die Beurteilung solcher Handlungen unterfällt als außerprozessuales Verteidigerhandeln im vollen Maße den Wertungsmaßstäben des § 258 StGB sowie im Hinblick auf das prozessuale Erfordernis einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht der strafrechtlichen Beurteilung von Täterschaft und Teilnahme. 225 Nicht umsonst weist das Gesetz die Belehrungspflicht und die damit verbundene Möglichkeit der Einflußnahme auf Beweismittel im Prozeß ausschließlich den OLG Koblenz, NStZ 1992, 146 (147). So aber Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1349); Müller-Dietz, Jura 1979, 242 (252); Vormbaum, Schutz des Strafurteils S. 417 ff.; Lamberti, Strafvereitelung durch Strafverteidiger S. 163. 224 Zu einem solchen Fall OLG Frankfurt/Main StV 1992, 360ff. 225 Grundsätzlich bleibt der Verteidiger danach so lange straflos, wie ein von ihm über seine Schweigerechte beratener Zeuge nach den allgemeinen Regeln von Täterschaft und Teilnahme eigenverantwortlich von einem Zeugnis- bzw. Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Weil die Beratung keine Prozeßhandlung ist, kommt § 136a dagegen als Wertungsmaßstab für die Grenze straflosen Verteidigerverhaltens nicht in Betracht. Zum Ganzen BGHSt 10, 393ff.; Wasserburg, Wiederaufnahme S. 94ff.; Krekeler, NStZ 1989,146 (150); Leipold. StraFo 1998. 79ff. 222 223

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unparteilichen Rechtspflegeorganen zu (§§ 52 III 1, 55 ll), und nicht umsonst dürfen diese auf die Entschließungsfreiheit von Zeugen nicht einwirken. 226 Diese Zusammenhänge verkennt der Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, wenn er es als Aufgabe des Verteidigers bezeichnet, gegebenenfalls auf einen Zeugen mit dem Ziel der Ausübung von Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechten einzuwirken. 227 Es verwundert überhaupt, daß die Abgrenzungsfunktion der Prozeßhandlung für das prozeßordnungswidrige Verteidigerhandeln in der Diskussion bisher so lückenhaft rezipiert worden ist, führt doch der Bundesgerichtshof schon im Jahre 1957 gerade im letztgenannten Zusammenhang aus: ..... Der Verteidiger des Angeklagten kann insoweit nicht weniger Rechte haben als jeder Dritte. Er kann sich immer nur fragen, inwieweit ihm seine Stellung stärkere Rechte zugunsten des Angeklagten gibt, als sie jeder andere hat; diese Frage spielt hier keine Rolle .....228

Zuzugeben ist allerdings, daß der Rückgriff auf die Prozeßhandlung schon allein wegen der Vielzahl der denkbaren Sachverhaltskonstellationen nicht per definitionem alle Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen inner- und außerprozessualem Verteidigerhandeln beseitigt, sondern im Einzelfall noch weiterer Ausarbeitung bedarf. Das zeigt exemplarisch der Themenkreis "Strafprozeß und Medien". Zu den Prozeßhandlungen des Verteidigers zählt die Einschaltung der Öffentlichkeit, insbesondere der Medien, sicherlich dann, wenn damit die Aufnahme eigener Ermittlungen, mithin prozessuale Aufklärungstätigkeit, verbunden ist. Ansonsten fällt die Mobilisierung der Öffentlichkeit zugunsten des Beschuldigten an sich unter das außerprozessuale Handeln des Verteidigers. Denn der Verteidiger schafft dadurch zwar möglicherweise ein Prozeßklima, aber keine Prozeßlage. Schließlich hat das Gericht funktionsgemäß nach § 261 auf der Grundlage der öffentlichen Hauptverhandlung, nicht der öffentlichen Meinung zu entscheiden. Das bringt auch § 169 S. 2 GVG mittelbar zum Ausdruck. 229 Dem läßt sich aus Verteidigersicht schwerlich der Hinweis auf seine SchutzZuletzt BGH NStZ 1989,440. BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 29/Begründung. Ähnlich Krekeler, NStZ 1989, 146 (150); Leipold, StraFo 1998, 79 (80) mit der in sich widersprüchlichen Konstruktion, den Verteidiger einerseits jedem Dritten gleichzustellen und damit einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund ..Strafverteidigung" im Zusammenhang mit der Einwirkung auf Zeugen abzulehnen, andererseits aber darauf abzustellen, ob die Einwirkung verfahrensrechtlich unbedenklich ist. 228 BGHSt 10, 393 (394). Ähnlich OLG Düsseldorf, StraFo 1998, 119f.; BGHSt 38, 7ff. Kempf, Rechtsanwalt als Strafverteidiger S. 37. Im Schrifttum wird aber überwiegend auch diese Fallkonstellation als innerprozessuales Handeln des Verteidigers gewertet, was zu überflüssigen Erwägungen zur Verteidigerstellung führt, die hier doch gar nicht betroffen ist, zum Ganzen Bottke, ZStW 1984, 726 (734, 757) m.w.N. 229 Zuletzt BVerfG NJW 1996, 581 (583). Dazu auch Hamm, NJW 1995, 760f. 226 227

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funktion zur Abwehr vor öffentlicher Vorverurteilung des Beschuldigten und dem dadurch verursachten Verurteilungsdruck auf die Gerichte entgegenhalten. Denn dagegen kann der Verteidiger den Beschuldigten durch die Stellung von Anträgen zur Einstellung des Prozesses oder durch Befangenheitsanträge schützen. 23o Wie andererseits die zunehmende strafprozessuale Beschäftigung mit dem Einfluß der modemen Informationsgesellschaft auf die Entscheidungsgänge der Justiz zeigt, kann in bestimmten Fällen eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit einen notwendigen Baustein erfolgreicher Verteidigung darstellen. 231 Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Abgrenzungsfunktion der Prozeßhandlung, deren Wert im Hinblick auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht nur die Beispiele aus der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung, sondern vor allem auch der Rückblick auf die bisherige Verteidigerdiskussion gezeigt haben dürften. b) Zuordnungsfunktion Davon ausgehend hat die Prozeßhandlung weiterhin eine Zuordnungsfunktion. Denn der Rückgriff auf die Prozeßhandlung füllt die prozessualen

Wertungsmaßstäbe, die doch für die Bestimmung der Prozeßordnungswidrigkeit des Verteidigerhandelns maßgeblich sein sollen, erst inhaltlich aus. Für die Abgrenzung funktionsgemäßer Strafverteidigung von der Strafvereitelung führt das zu dem einfachen Ergebnis, daß die Vornahme einer Prozeßhandlung den objektiven Tatbestand des Verteidigerdelikts ausschließt. Jahn hat diesen Zusammenhang kürzlich zutreffend mit der auf Beting zurückgehenden Unterscheidung zwischen Strafvereitelung und Strajjustizvereitelung umschrieben,232 allerdings mit zweifelhafter Begründung: Aus der inquisitorischen Struktur der Hauptverhandlung folge die alleinige Verantwortung des Gerichts für deren Durchführung, weil die Verhandlungsleitung in den Händen des Gerichts liege. Die Strafprozeßordnung rechne daher Fehler des Verfahrens stets dem Gericht und nicht anderen Verfahrensbeteiligten ZU?33 Auch insoweit knüpft Jahn an Beling an, der etwa die Ausschließung von Verteidigern generell für unzulässig gehalten hat, weil alle Schritte des Verteidigers unter der Prüfung des Gerichts stünden. 234 Diese Überlegung kann aber nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein. Zum einen ist gerade die strafprozessuale Hauptverhandlung nicht nur 230 Exemplarisch die Einstellungsanträge von Schily, Politische Prozesse S. 57ff. (Antrag zur Einstellung des RAF-Prozesses in Stammheim) sowie bei Groenewold, Angeklagt als Verteidiger S. 136 ff. 231 Dazu nur Hamm, Macht der Medien passim. 232 Jahn, ZRP 1998, 103 (107). 233 Jahn, ZRP 1998, 103 (108). 234 Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht S. 149f. [Fn. 3].

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inquisitorisch geprägt, weil ihr die SubjektsteIlung des Beschuldigten ein parteiprozessuales Element verleiht. Folgerichtig dient der Verteidiger in seiner Prozeßrolle auch der Erlangung von Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafprozeß. 235 Zum anderen ist die Sachleitung des Gerichts nach § 238 I keine Eigenheit inquisitorisch geprägter Prozeßordnungen, sondern liegt in der Natur jedes Gerichtsprozesses. Konfliktbewältigung zwischen widerstreitenden Prozeßsubjekten erfordert im Interesse von Wahrheit und Gerechtigkeit die Regulation durch das Element der unparteiliche Verhandlungsleitung. 236 Nicht umsonst orientiert sich etwa die zivilprozessuale Rechtsprechung zur Ablehnung von Beweisanträgen im Zivilprozeß an § 244 III, IV.2 37 Daraus ein Zurechnungsmodell zu Lasten des Gerichts auch im Bereich parteilicher Mitwirkung des Verteidigers zu konstruieren, erscheint ähnlich sachfremd wie dem Schiedsrichter im Fußballspiel die Regelwidrigkeit eines Spielers zuzurechnen. Das gilt um so mehr, als das deutsche Strafprozeßrecht im Gegensatz zu einigen anderen kontinentaleuropäischen Prozeßordnungen, insbesondere dem französischen Recht, kein contempt-of-court Verfahren gegen den Verteidiger kennt, mit dessen Hilfe der Verteidiger wegen Mißachtung des Gerichts disziplinarischen Maßnahmen wie etwa der sitzungspolizeilichen Ausschließung oder einer Gerichtssperre auf standesrechtlicher Grundlage unterworfen werden könnte. 238 Die Unterscheidung zwischen Strafvereitelung und Strafjustizvereitelung hat andere und zwar grundsätzlichere Hintergründe. Schutzrichtung des § 258 StGB ist der Schutz des Strafrechtspjlege. Es geht darum, das im Wege des Strafprozesses zu findende Sachurteil (wiederum verstanden als Oberbegriff aller Sachentscheidungen) zu schützen. Als geschütztes Rechtsgut des § 258 StGB muß demnach im Prozeß die prozessual richtige und ordnungsgemäße Instanzenentscheidung betrachtet werden, mit anderen Ähnlich Strytz, Abgrenzung Strafverteidigung Strafvereitelung S. 159. An dieser Stelle könnte übrigens auch die Unterscheidung zwischen der Verhandlungsleitung nach § 238 I sowie der Sachleitung nach § 238 11, der allgemein wenig Bedeutung beigemessen wird - eingehend Erker, Beanstandungsrecht S. 43 ff. m. w. N.- ihre sachliche Berechtigung finden. Diese Frage bedürfte allerdings näherer Untersuchung. 237 BGHZ 53, 245 (259). Zum Ganzen Baumbach/Hartmann § 286, 27 ff. m.w.N. 238 Vgl. nur KK-Laufhütte Vor § 137, 9. Ausführlich aus rechtsvergleichender Sicht Jescheck, FS-Dreher S. 783 ff. Zurecht wendet sich Jahn, NStZ 1998, 389 ff. gegen Ansätze in der ehrengerichtlichen Rechtsprechung, unter Mißachtung gesetzgeberischer Wertungsmaßstäbe (erinnert sei an die Streichung der Ungebührstrafen gegen den Verteidiger im Jahre 1921) das contempt-of-court Verfahren über die Verbindung von sitzungspolizeilichen und strafprozessualen Generalklauseln nach den §§ 176 GVG, 238 I einzuführen. Anders für "Extremfälle" KK-Laufhütte Vor § 137, 9, der mangels objektiver Kriterien dafür allerdings richterrechtlicher Willkür Vorschub leistet. 235

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Worten ein gerechtes Verfahren und ein wahres Urtei1. 239 Auch an dieser Stelle schlägt sich das Spannungsverhältnis zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit im reformierten Strafprozeß nieder. Nachdem dieser sich strukturell auch als Konfliktbewältigung zwischen funktionell gegensätzlichen Prozeßsubjekten mittels Prozeßhandlungen erwiesen hat, muß die Vornahme funktionell günstiger Prozeßhandlung stets als prozeßordnungsgemäß betrachtet werden. 24o Vormbaum weist zurecht daraufhin, rollengemäße und daher der Verhaltenserwartung entsprechende Handlungen eines Verfahrensbeteiligten seien nicht tatbestandsmäßig nach § 258 StGB, und zwar selbst dann nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte (genauer: Prozeßsubjekt) mit seinem Verhalten die Erlangung einer dem Strafrecht widersprechenden Entscheidung und damit einer materiell richtigen Entscheidung - vereitele. 241 Diese Betrachtungsweise liegt übrigens auch der Regelung der Verteidigerausschließung nach § 138 a 1 Nr. 1 zugrunde. 242 Nicht umsonst lobt Groß im Jahre 1975 an der Neuregelung, der Gesetzgeber habe der Versuchung widerstanden, die unzulässige Erschwerung des Prozeßablaufs in diesen Tatbestand aufzunehmen. 243 Gleichfalls ausgeschlossen ist die Anwendung des § 258 StGB für die angesprochene mißbräuchliche Rechtsausübung, namentlich für die mit verschiedenen Differenzierungen verbreitet unter den Tatbestand der Strafvereitelung subsumierten Verschleppungsanträge des Verteidigers. 244 Allerdings handelt es sich dabei an sich gar nicht um Prozeßhandlungen. Schließlich dienen Verschleppungsanträge im Gewand einer prozessualen Handlungsform nicht der Herbeiführung, sondern der Vermeidung oder zumindest der Verzögerung des Urteils. 245 So wird der in Verschleppungsabsicht gestellte Beweisantrag dogmatisch als Oberbegriff aller Scheinbeweisanträge eingeordnet. 246 Das müßte an sich dazu führen, solche Anträge .wegen fehlender Urteilsbezogenheit als nicht ernstlich gemeint und damit unbeachtlich zu übergehen.247 Trotzdem werden solche Anträge nach prozessualen Wertungsmaßstäben wie Prozeßhandlungen behandelt. Auch der in Verschleppungsabsicht gestellte Beweisantrag bedarf nach § 244 III 2 4. Eingehend Vormbaum, Schutz des Strafurteils S. 391 ff. Ähnlich Kempf, Rechtsanwalt als Strafverteidiger S. 40. 241 Vormbaum, Schutz des Strafurteils S. 393. 242 Dazu BT-Drucks. 7/2526 S. 31; Steno Bericht BT 138. Sitzung V. 18.12.1974 S. 9503ff. 243 Groß, NJW 1975,422 (424). 244 Zum Meinungsstand Beulke, Strafbarkeit des Verteidigers S. 90ff. m. W. N.; Parigger, FG-Koch S. 199 (207f.); Scheffler, Überlange Verfahrensdauer S. 249 m.w.N. 245 Eb. Schmidt, LK 11 § 244, 38. 246 ANM S. 637. 247 Näher Eb. Schmidt, LK 11 § 27, 12 f. 239 240

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Alt.; 244 VI einer Ablehnung durch Gerichtsbeschluß. Gleiches gilt für rechtsmißbräuchliche Ablehnungsanträge nach § 26 a Nr. 3. Betrachtet man sich die dafür herangezogenen Begründungen, so erklärt sich die Sonderbehandlung von Verschleppungsanträgen gegenüber sonstigen Scheinhandlungen nur daraus, daß die inquisitorische Grundhaltung des reformierten Strafprozesses durch das Recht auf richterliches Gehör als rechtsstaatliches Gegengewicht ausgeglichen werden soll.248 Entgegen Eb. Schmidt begründet allein die fehlende Offensichtlichkeit des Scheincharakters von Verschleppungsanträgen nicht ihre Zugehörigkeit zum Prozeßbetrieb,249 weil es dem Antragsteller, ganz abgesehen von der fehlenden praktischen Durchführbarkeit dieser Unterscheidung,250 in der Sache um nichts anderes geht als bei anderen Scheinanträgen. 251 Kalkuliert aber der Gesetzgeber die rechtsmißbräuchliche Schaffung von Prozeßlagen aus rechtsstaatlichen Erwägungen ein, so kann das Strafurteil nicht zugleich vor der Schaffung solcher Prozeßlagen durch die Anwendung des materiellen Strafrechts geschützt sein. Dieser Befund entspricht im wesentlichen der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach mißbräuchliches Antragsverhalten grundsätzlich - unter dem üblichen irrationalen Vorbehalt richterlicher Rechtsschöpfung für Extremfälle - nicht unter § 258 StGB fällt. 252 Die dagegen als Wertungsmaßstäbe für eine Art prozessuale Wahrheitspjlich?53 des Verteidigers genannten Vorschriften entfalten in diesem Zusammenhang nicht die ihnen zugeschriebene Relevanz als Ausdruck strafprozessualer Mißbrauchsabwehr. Entgegen der Auffassung von Vormbaum254 verbietet das Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 dem Verteidiger nie die Abstimmung der Verteidigungsstrategie verschiedener Beschuldigter, wenn diese Strategie im Zusammenhang mit der Verteidigung des von ihm verteidigten und zwar gerade des verhafteten Beschuldigten steht. Im Gegenteil: Eben weil § 146 den Verteidiger ausschließlich an die Interessen eines Beschuldigten bindet, droht bei einer solchen Abstimmung der Verteidigungsstrategie kein Interessenkonflikt. 255 Anderenfalls 248 Näher Sax, Grundrechte S. 909 (971 f.l); Paulus, NStZ 1992, 305 (310). Ähnlich ANM S. 637 [Fn. 15]: "Schutz des Angeklagten vor unrichtiger Beurteilung seiner Beweggründe". 249 Eb. Schmidt, LK I S. 127 [Fn. 371] m.w.N. 2.50 ANM S. 637 [Fn. 15]. 2S1 Näher ANM S. 636 m. w. N. 2S2 Vgl. OLG Düsseldorf StV 1986, 288; StV 1992, 57; OLG Karlsruhe StV 1991,519; KG StV 1988, 141; zum Ganzen Jahn, ZRP 1998, 103 (107). 2S3 Der Begriff stammt von Welp, ZStW 1978,803 (819). 2S4 Vormbaum, Schutz des Strafurteils S. 417 ff. 2SS SO weist KK-Laufhütte Vor § 137, 7b darauf hin, daß der Verteidiger von einer gemeinschaftlichen Absprache jederzeit zugunsten des von ihm vertretenen Beschuldigten wieder abweichen kann. Ähnlich im Zusammenhang mit der Vertre-

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würde der von § 146 verfolgte Zweck konterkariert, der nach dem Willen des Gesetzgebers den Interessen des Beschuldigten dienen und nicht schaden sollte.256 Der Hinweis von Welp und Müller-Dietz auf die Bindung des Verteidigers an die Zwecke der Verdunklungshaft nach § 112 I Nr. 3257 geht ebenso ins Leere, weil diese Vorschrift nur Verdunklungshandlungen erfaßt, die dem Verteidiger schon nach den allgemeinen Gesetzen verboten oder erst gar keine Prozeßhandlungen sind. 258 Als allgemeiner Wertungsmaßstab könnte allenfalls das Einwirken auf persönliche Beweismittel in unlauterer Weise nach § 112 1 Nr. 3 b) zu bewerten sein. Diese Vorschrift kann aber keinen interpretatorischen Eigenwert entfalten, weil sie für sich zu unbestimmt ist, um Eingriffe in die Verteidigung und damit in die Subjektstellung des Beschuldigten zu rechtfertigen. So verschiebt Kleinknecht mit seiner Wendung vom Verbot der "anstößigen Einwirkung auf die Integrität der Beweismittel" die Auslegung des § 112 I Nr. 3 b) nicht nur vom Rechtlichen in das Sittliche, sondern unterwirft die Verteidigung des inhaftierten Beschuldigten freiem inquisitorischem Ermessen. 259 Das Bundesverfassungsgericht hat aber im Schily-Beschluß unmißverständlich klargestellt, schwere und für das Verfahren endgültige Beschränkungen der Verteidigerstellung seien nur aufgrund einer klaren und eindeutig bestimmten gesetzlichen Grundlage zulässig.2 60 Diese Entscheidung bezieht sich zwar auf die Entziehung der Verteidigungs befugnis als schärfstem Eingriff in die freie Verteidigung, muß aber sinngemäß und wenigstens im eingeschränkten Maße auch für die Entziehung von einzelnen Verteidigungshandlungen gelten, über die mittelbar die Ausschließung des Verteidigers nach § 138a Nr. 3 herbeigeführt werden kann. Im Ergebnis nicht anders als bei § 258 StGB steht es mit den genannten Dauer- und Organisationsdelikten. Zwar wird deren Rechtsgut selbst nicht durch prozessuale Wertungen ausgefüllt. Aber auch an dieser Stelle sind die verfassungsrechtlichen Schranken zu beachten, die aus verfassungsrechtlicher Sicht schwerwiegenden Eingriffen in die Subjektstellung des Beschuldigten gezogen sind. Hinzuweisen ist nochmals auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Schily-Beschluß. 261 Auf dieser Grundlage verbietet sich die strafrechtliche Sanktionierung von Prozeßhandlungen auf tung mehrerer Beschuldigter in einem Verfahren durch Rechtsanwälte einer Kanzlei BVerfG NJW 1997, 3067; Kleine-Cos~ck, AnwBI 1998,417 (421). 256 Vgl. Seelmann, NJW 1979, 1128 (1130); Kempf, Rechtsanwalt als Strafverteidiger S. 37f.; BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 13/Begründung. 257 Welp, ZStW 1978, 803 (819); Müller-Dietz, Jura 1979, 242 (252). 258 SK-Paeffgen § 112,37 m.w.N. 259 Kleinknecht, JZ 1965, 113 (116). Ähnliche Terminologie bei Amdt, NJW 1964, 2146f. Dazu auch Paeffgen, Dogmatik der Untersuchungshaft S. 110f. 260 BVerfGE 34, 293 (302 f.). 261 BVerfGE 34, 293 (302ff.). 9·

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der Grundlage von weiträumigen und mit deren Vornahme untrennbar verbundener Tathandlungen wie "betätigen", "unterstützen" oder "beteiligen" und als mittelbare Folge davon die Verteidigerausschließung nach § 138a Nr. 1. 262 Das gilt um so mehr, wenn man bedenkt, daß sich der Vorwurf der Beteiligung an derartigen Delikten in der Vergangenheit wiederholt als willkommenes Instrument für die Gerichte erwiesen hat, engagierte Verteidiger als Komplizen des Beschuldigten zu diskreditieren. 263 Es würde an dieser Stelle den Rahmen der Untersuchung sprengen, die Skizze zu den Verteidigerdelikten weiter zu vertiefen. Diese bedarf schon allein wegen der Vielzahl der denkbaren Fallkonstellationen noch der Ausarbeitung im Einzelnen. Festhalten läßt sich im Hinblick auf die hier relevante Mißbrauchsproblematik aber jedenfalls, daß die Vornahme einer nicht nach allgemeinen strafrechtlichen Wertungsmaßstäben verbotenen Prozeßhandlung die Prozeßordnungswidrigkeit und folgerichtig die Verteidigerdelikte als eigenständigen Wertungsmaßstab für Prozeßhandlungen des Verteidigers ausschließt. Daß eine schon nach allgemeinen strafrechtlichen Wertungsmaßstäben verbotene Prozeßhandlung wie die strafbare Beteiligung an einer falschen Zeugenaussage vor diesem Hintergrund nicht vom Verteidigerprivileg gedeckt sein kann, und damit - im Hinblick auf eine mögliche Ausschließung gemäß den §§ 138aff. - auch den Wertungsmaßstäben des § 258 StGB unterflillt, liegt auf der Hand und soll an dieser Stelle nicht nochmals vertieft werden. 264 Ob nach diesem Befund den Verteidiger auch die Vornahme einer Prozeßhandlung strafrechtlich privilegieren kann, die nach prozessualen Maßstäben unwirksam ist, erscheint wegen deren Präferenz für die Verteidigerdelikte fraglich. Denn weil die Wirksamkeit von Prozeßhandlungen eine funktionsgemäße Mitwirkung des jeweiligen Prozeßsubjekts voraussetzt, sind funktionell nicht vorgesehene Prozeßhandlungen zur Erzeugung einer neuen Prozeßlage nicht geeignet. Dadurch rückt an sich hier die Frage der Weisungs gebundenheit des Verteidigers in das Blickfeld des Geschehens. So wäre eine weisungsgebundene Prozeßhandlung des in Wirklichkeit weisungs unabhängigen Verteidigers genauso unwirksam wie im umgekehrten Fall. Sie bräuchte erst gar nicht beachtet oder gar beschieden zu werden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an § 297 2. Hs., der die Rechtsmitteleinlegung des Verteidigers gegen den Willen des Beschuldigten für unwirksam erklärt. 265 Im Hinblick auf die 262 Bottke, JA 1980, 448 kommentiert die Begrifflichkeit der sog. scheinbaren Verteidigungshandlungen in dem von BGHSt 29, 99 (l05f.) verwandten Sinn sogar als ..Gesinnungsrichterei"; ähnlich Roxin, Strafverfahrensrecht S. 130 m. w. N. 263 Ähnlich I. Müller, StV 1981, 90 (97 f.). 264 Dazu BGHSt 31, 10 (l2f.); BGH NStZ 1983,503, Rudolphi, FS-Kleinknecht S. 379 (387 f.); Beulke, NStZ 1983, 504 f. 26.5 Kl.lMeyer-Goßner § 297, 3 ff.

c.

Versuch einer systematischen Lösung

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mögliche Relevanz des anwaltlichen Standesrechts für die Mißbrauchsproblematik wird die Frage der Weisungsgebundenheit des Verteidigers an dieser Stelle aber zunächst zurückgestellt. III. Das anwaltliche Standesrecht als Instrument gegen mißbräuchliches Verteidigerverhalten

Herausgestellt hat sich bis hierhin, daß sich die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe einerseits gegenüber der Mißbrauchsproblematik strukturell neutral verhalten, andererseits aber im Interesse der Subjektstellung des Beschuldigten die Anwendung der Verteidigerdelikte auf Prozeßhandlungen des Verteidigers sperren. Damit kommt - erst recht nach der Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts - der Frage zentrale Bedeutung zu, inwieweit die standesrechtlichen Wertungsmaßstäbe für die Mißbrauchsproblematik relevant sein können. Immerhin hat sich im Ersten Teil der Untersuchung gezeigt, daß nach den Vorstellungen des strafprozessualen Gesetzgebers das anwaltliche Standesrecht Garantiefunktion für die Zulassung seriöser Verteidiger entfalten sollte. In diesen Zusammenhang gehört auch der im älteren Schrifttum mitunter zu findende Appell an die Ehrenhaftigkeit des Rechtsanwalts, bei seiner Prozeßführung alles zu unterlassen, was der Erreichung der Gerechtigkeit und Wahrheit hinderlich wäre. 266 Auf die unvermindert aktuelle Bedeutung eines standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalts weist die Stellungnahme von Malmendier hin, wonach berufsrechtliche Instrumentarien nach geltendem Recht das wirksamste Mittel gegen Konfliktverteidigung im Prozeß darstellen.267 Nach Kuckuk schließt nicht einmal die verfahrensrechtliche Zulässigkeit und die daraus folgende Straflosigkeit des Verteidigerhandelns die Standeswidrigkeit aus. 268 Vorneweg ist zu beachten, daß nicht jede berufsrechtliche Regelung als prozessuale Eingriffsermächtigung in Betracht kommen kann. Weil Strafprozeßziel nach geltendem Recht die Erlangung von Wahrheit und Gerechtigkeit ist, kann ein Mißbrauchsvorbehalt aus dem anwaltlichen Standes266 Dazu Beulke, Verteidiger S. 110 m. w. N. Ein prägnantes Beispiel dafür aus neuerer Zeit geben die gerichtlichen Ausführungen im PLO-Verfahren, durch die standeswidrige Weigerung zur Unterrichtung der nachrückenden Verteidiger erwiesen sich die ausscheidenden Rechtsanwälte der Beiordnung als unwürdig und trügen zu einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Justiz und Anwaltschaft bei, KG JR 1981, 86 (87). Näher zu dieser Entscheidung im Dritten Teil der Untersuchung A 1. 267 Malmendier, NJW 1997,227 (235). 268 Kuckuk, NJW 1980, 298. Ähnlich BGH StV 1981, 133 (136), demzufolge ebenfalls die prozessuale Zulässigkeit des Verteidigerhande1ns die Standeswidrigkeit ausschließt.

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

recht nur in diesem Rahmen Bedeutung finden. Dieser Zusammenhang schlägt sich exemplarisch in der sog. Robenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nieder, so überholt die dahinter stehende Überhöhung althergebrachter Symbolik im Gerichtssaal auch erscheinen mag. 269 Danach ist die Ahndung einer typischer Berufspflichtsverletzung, nämlich die Mißachtung des gewohnheitsrechtlich anerkannten Gebots der Robenpflicht durch prozessuale Sanktionen verfassungsrechtlich zulässig. Das Prozeßgericht dürfe den Prozeßbevollmächtigen in solchen Fällen zurückweisen. Die mit der Robenpflicht erzielte sichtbare Heraushebung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sei nicht nur die selbstverständliche Konsequenz aus der anwaltlichen Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten i. S. d. § 43 BRAO (jetzt durch § 20 BORA konkretisiert), deren Mißachtung standesrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Darüber hinaus liege darin auch ein mittelbarer Nutzen für die Rechts- und Wahrheitsfindung im Prozeß, der die Überwachung der Robenpflicht durch das Prozeßgericht legitimiere. 27o Anders steht es mit standesrechtlichen Pflichtverletzungen, die mit den Strafprozeßzielen in keinem normativen Zusammenhang stehen. So wäre etwa die standesrechtliche Beurteilung einer überhöhten oder zur Unzeit gestellten Gebührenforderung des Verteidigers271 genauso wie unzulässige Werbung des Strafverteidigers272 prozessual irrelevant. Das entspricht dem bis hierher erlangten Befund, wonach Gegenstand der Mißbrauchsproblematik nur Prozeßhandlungen des Verteidigers sein können. Wie schon die Aufarbeitung der bisherigen Verteidigerdiskussionen gezeigt hat, kommt als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt damit die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege, das Sachlichkeitsgebot (dazu unter I)) sowie das anwaltliche Lügeverbot als damit zusammenhängendes Postulat (dazu unter 2)) in Betracht. 1. OrgansteIlung und Sachlichkeitsgebot als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt

Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Schily-Beschluß darauf hingewiesen, daß der Grundsatz der freien Advokatur untrennbar mit der prozessualen Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des BeschulVgl. Prütting, AnwBI 1994,314 (320). Vgl. BVerfGE 28, 21 (30ff.); ebenso BGHSt 27, 34ff. Nach Kühne, Strafprozeßrecht S. 82 sollen diese Entscheidungen aus nicht mitgeteilten Gründen allerdings dogmatisch unhaltbar sein. Zumindest ergeben sich Friktionen dazu, daß die Kleiderordnung im übrigen (Stichwort Langbinder) dem Standesrecht zugeordnet worden ist, näher BVerfGE 34, 138ff.; OLG Zweibrücken NStZ 1988, 144; BGH NStZ 1988,510. 27\ Dazu Liemersdorf, MDR 1989,204 (205) m. w.N. 272 Näher Feuerich, StraFo 1998, 109 ff. 269

270

C. Versuch einer systematischen Lösung

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digten zusammenhängt. 273 Da die Subjektstellung des Beschuldigten wiederum als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips materiellen Verfassungsrang genießt, stellt jeder standesrechtliche Mißbrauchsvorbehalt einen Eingriff in die dadurch mittelbar verfassungsrechtlich geschützte Rechtsstellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten dar. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund gebietet es, daß Voraussetzungen und Folgen eines standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalts gegen Prozeßhandlungen des Verteidigers einer wenigstens einigermaßen klaren gesetzlichen Legitimation bedürfen. Die Heranziehung der OrgansteIlung erscheint dabei schon auf den ersten Blick als problematisch. Wie der Mißbrauch der Organstellung zur Gleichschaltung von Rechtsanwälten mit staatlichen Interessen in der Zeit des Nationalsozialismus sowie in der DDR zeigt, birgt sie die Gefahr staatlicher Vereinnahmung der freien Advokatur in sich. 274 Ähnliches ist auch im geltenden Recht angelegt, nämlich in der Unwürdigkeitsklausel des § 7 Nr. 5 BRAO, mit dessen Hilfe der Bundesgerichtshof die Zulassung politisch unerwünschter Rechtsanwälte auch für den Fall zu verhindern versucht hat, in dem eine strafbare Bekämpfung der demokratischen Grundordnung nach § 7 Nr. 6 BRAO nicht vorlag. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht derartigen Tendenzen eben unter Hinweis auf die überragende Bedeutung der freien Advokatur einen Riegel vorgeschoben. 27s Der Gehalt der Organstellung bleibt aber trotzdem inhaltlich wenig präzise. Das macht schon der Wust an divergierenden Erklärungsversuchen deutlich. 276 So verwundert es nicht, daß das Bundesverfassungsgericht in aller Deutlichkeit klargestellt hat, das standesrechtliche Leitbild des Rechtsanwalts könne keine hinreichende Legitimationsgrundlage für Eingriffe in die prozessuale Rechtsstellung des Verteidigers sein.277 Das kann auch nicht anders sein, macht doch schon die amtliche Begründung zu § 1 BRAO den prozessualen Gehalt der Organstellung von den prozessualen Vorwertungen abhängig. Denn darin ist die Rede davon, der Rechtsanwalt dürfe nicht dem Unrecht dienen oder die Rechtsfindung erschweren. 278 Gerade die Wahrheitsfindung im reformierten Strafprozeß ist aber nicht nur inquisitorischer Entdeckungssondern über den Kampf ums Recht auch parteilicher Entwicklungsprozeß.2 79 Im Ergebnis verbietet sich damit der Rückgriff auf die OrganstelBVerfGE 34, 293 (299ff.); ähnlich BVerfGE 76, 171 (192). Vgl. Knapp, Verteidiger-Organ der Rechtspflege 49ff. (69), 71 ff. (82). 275 Zum ganzen BVerfG, NJW 1983, 1535ff. Daran anknüpfend BVerfG NJW 1996, 709ff. zur Versagung der Zulassung wg. früherer Tätigkeit als Mitarbeiter des 273

274

MfS. 276 277

278

Vgl. Schneider, Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege S. 64ff. BVerfGE 34, 293 (299ff.); ähnlich aber schon BVerfGE 22, 114ff. Vgl. Kleine-Cosack, BRAO § 43 a, 30.

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

lung als prozessuale Eingriffsgrundlage, sieht man einmal von dem jeder rechtsanwaltlichen Tätigkeit innewohnenden Verbot der Mißachtung allgemeiner Gesetze ab, wie es bereits angesprochen wurde. Ähnlich stellt sich ein standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt auf der Grundlage des anwaltlichen Sachlichkeitsgebots dar. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts hervorgehoben, das anwaltliche Standesrecht dürfe den Rechtsanwalt in seiner prozessualen Funktion nicht behindern, als dafür berufenes Organ der Rechtspflege fremde Interessen vor Gericht wahrzunehmen?80 Die Herleitung aus § 43 BRAO iVm §§ 9, 10 RiLiRA sei zu unbestimmt, weil die Richtlinien den Inhalt des anwaltlichen Sachlichkeitsgebotes als gegeben voraussetzten. 281 Es sei der Rechtsprechung auch auf der Grundlage der Organstellung des Rechtsanwalts nicht gelungen, nachvollziehbare Kriterien zur Abgrenzung zwischen sachlichem und unsachlichem Verhalten zu entwickeln?82 Der daraufhin ergangene § 43 a III 2 BRAO verbietet dem Rechtsanwalt in wörtlicher Übernahme verfassungs gerichtlicher Vorgaben zu Inhalt und Grenzen des anwaltlichen Sachlichkeitsgebotes nunmehr nicht mehr als das bewußte Verbreiten von Unwahrheiten sowie das Aufstellen solcher herabsetzender Äußerungen, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlaß gegeben haben. Unabhängig davon, ob man diese Regelung als "Pathoskatalog ohne rechtliche Relevanz .. 283 abtut, ist der Anwendungsbereich des anwaltlichen Sachlichkeitsgebot auf dieser Grundlage jedenfalls schon per definitionem so eng, daß dieses als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt von Belang ausfällt. Das gilt um so mehr, als das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang auf die Wechselwirkungen mit der verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübungs- und Meinungsfreiheit hingewiesen hat. 284 Letztlich beschränkt § 43 a III den Anwendungsbereich auf die für jedermann geltenden Gesetze über den zivil- und strafrechtlichen Ehrenschutz?85 Im Hinblick darauf, daß in allen anderen europäischen Berufsordnungen das Gebot der Sachlichkeit ganz fremd ist, dürfte de lege ferenda eine VerÄhnlich Richter 11, NJW 1993,2152 (2155). BVerfGE 76, 171 (191 f.); BVerfG AnwBI 1990,519. 28\ BVerfGE 76, 171 (19lf.). Nach den §§ 9f. RiLiRA hatte das Verhalten des Rechtsanwalts gegenüber Gerichten und Behörden der Stellung eines gleichberechtigten Organs der Rechtspflege zu entsprechen. Als standeswidrig wird darin die Verwendung unsachlicher Mittel bezeichnet, insbesondere die Anrufung zur Entscheidung nicht vorgesehener Stellen sowie die öffentliche Herabsetzung der Entscheidungsträger. 282 BVerfGE 76, 171 (191). 283 Kleine-Cosack, BRAO § 43 a, 1. 284 BVerfG NJW 1996, 3267f.; BVerfG NJW 1996, 3268f. 28S Kleine-Cosack, BRAO § 43 a, 30. 279

280

c. Versuch einer systematischen Lösung

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schärfung dieses "nationalen Schwerpunkts" des anwaltlichen Standesrechts auch nicht zu erwarten sein?86

2. Das Lügeverbot als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt Unter dem Maßstab der bis hierher herausgearbeiteten Beschränkungen eines standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalts steht auch das anwaltliche Lügeverbot, das bis zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts in dem erwähnten § 68 RiLiRA als standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt im Strafprozeß enthalten war. Schon im Ersten Teil der Untersuchung wurde die zentrale Rolle angesprochen, die dieses "essential der StraJverteidigung" nach ganz überwiegender Ansicht als Richtschnur erlaubten Verteidigerverhaltens, ja sogar als Trennlinie zur Strafvereitelung nach § 258 I StGB spielt. So weist Pfeiffer darauf hin, das standesrechtliche Lügeverbot sei die tragende Grundlage jeder anwaltlichen Tätigkeit. Recht und Wahrheit seien unlösbar miteinander verbunden. Die Verwirklichung des Rechtes könne nicht erreicht werden, wenn dieses Ziel mit Unwahrheiten erstrebt werde. 287 In ähnlicher Weise hat die Rechtsprechung bei der Abgrenzung zwischen Strafverteidigung und Strafvereitelung verschiedentlich auf das Lügeverbot zurückgegriffen. Mit Hinweis auf die Organstellung des Rechtsanwalts wird verschiedentlich darauf hingewiesen, die bewußte Verdunklung und Verzerrung des Sachverhalts sowie die Verfälschung von Beweisquellen falle nicht unter das prozessual erlaubte Verteidigerhandeln. 288 Nach OLG Frankfurt/Main soll es etwa dem Verteidiger erlaubt sein, die noch nicht aktenkundig gewordene Einlassung seines Mandanten dem Verteidiger des Mitangeklagten zur Weitergabe an diesen mitzuteilen. Verboten sei die Weitergabe aber dann, wenn die Verteidiger damit eine Absprache unter den Angeklagten zwecks Verdunkelung der Wahrheit bezweckten?89 Der Bundesgerichtshof wertet das Hinwirken auf den Widerruf eines als wahr erkannten Geständnisses als prozessual unerlaubtes Verhalten. Der Rechtsanwalt verdunkele damit die wahre Sachlage und erschwere die Strafverfolgung. 29o Aber auch aus rechtsanwaltlicher Sicht ist die Bedeutung des anwaltlichen Lügeverbots als Orientierungshilfe für das prozessual erlaubte Verteidigerhandeln hervorgehoben worden. Die Dazu Hartstang, Anwaltsrecht S. 711 f. Pfeiffer, DRiZ 1984,341 (343); ders., BRAK-Mitt. 1987, 102 (103). Aus dem zahlreichen Schrifttum vgl. nur Welp, ZStW 90 (1978) 804 (818); Hartstang I, S. 84ff.; Feuerich, BRAO § I, 18; Vehling, StV 1992,86 (88) jeweils m. w.N. 288 Zuletzt BGH StV 1999, 153 (154) m. w. N. 289 OLG Frankfurt/Main NStZ 1981, 144ff. 290 BGHSt 2,375 (377f.); ähnlich BGHSt 10, 393ff.; BGH StV 1999, 153 (154); OLG Köln NIW 1975, 460f.; KG StV 1984, 336; OLG Braunschweig StV 1984, 500 (501). 286 287

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Aufgabe des Verteidigers berechtige und verpflichte ihn zu kompromißloser Verteidigung, aber nicht mit den Mitteln der Unwahrheit. Dessen Zuordnung zur Rechtspflege schließe jede Unwahrhaftigkeit absolut aus.291 Auch der Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer setzt die Wahrheitspflicht des Verteidigers als Wesenselement seiner Seriosität inzident voraus, wenn auch unter dem Primat von dessen Beistandspflicht gegenüber dem Beschuldigten.292 Solche Überlegungen treffen sicherlich insoweit zu, als der Verteidiger nicht das Recht und nicht die Pflicht hat, standes widrige Prozeßhandlungen vorzunehmen. Sind diese nach prozessualen Wertungsmaßstäben zwar wirksam, weil sie eine neue Prozeßlage auf dem Weg zum Sachurteil herbeiführen, so kann doch eine nach standesrechtlichen Wertungsmaßstäben rechtswidrige Prozeßhandlung mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht rechtmäßig sein. In diesem Zusammenhang zeigt sich nochmals die Bedeutung des anwaltlichen Standesrechts als Garant eines seriösen Verteidigungspersonals für den strafprozessualen Gesetzgeber, wie sie vom Gesetzgeber des Jahres 1877 konzeptioniert worden ist. Vor diesem Hintergrund liegt sogar die Überlegung nicht fern, daß das Verbot standes widriger Prozeßhandlungen die Sperrwirkung des Prozeßrechts gegenüber den Verteidigerdelikten aufheben könnte. 293 Das setzt allerdings die Standeswidrigkeit des Verteidigerhandelns voraus, im hier zu prüfenden Zusammenhang die Verletzung eines standesrechtlichen Lügeverbots, begründet sie jedoch nicht. Und dazu muß in aller Klarheit festgestellt werden, daß nach dem Entfallen des früheren § 68 RiLiRA im Rahmen der Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts ein standesrechtliches Lügeverbot außerhalb des § 43a l/l 2 BRAO nicht normiert ist. 294 Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird wiederum, abgesehen von der aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotenen restriktiven Auslegung, dadurch zusätzlich eingeengt, daß der Rechtsanwalt als zur Vertretung fremder Interessen berufenes Organ der Rechtspflege sich allein durch die Übernahme des von seinem Mandanten vorgetragenen Sachverhalts diesen nicht als persönliche Behauptung zu eigen macht. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts gilt das selbst für den Fall, daß eine Rechtsanwältin erklärt, sie halte die vom Mandanten übernommenen Aussagen für wahrheitsgemäß und habe keinen Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.295 Für den Verteidiger im Strafprozeß muß das erst recht gelten, weil dort eine ZurechDahs, Handbuch des Strafverteidigers S. 28f.; Liemersdorf, MDR 1989, 204f. BRAK, Thesen zur Strafverteidigung, These 19 ("Die Wahrheitspflicht des Verteidigers ist durch seine Schutzaufgabe begrenzt"). 293 Vgl. nur BGH StV 1999, 153 (154) m. w. N. 294 Vgl. Kempf, Rechtsanwalt als Strafverteidiger S. 40. 295 BVerfG NJW 1996,3267. 291

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nungsnonn für tatsächliche Erklärungen des Prozeßbevollmächtigten wie bei § 85. 2 ZPO fehlt. Der Rückgriff auf § 138 I ZPO führt vor diesem Hintergrund nicht weiter, zumal die zivilprozessuale Wahrheitspflicht ebenfalls nur die subjektive Wahrhaftigkeit der Parteien erfaßt. 296 Ohnehin erscheint die Vorschrift kaum auf den Strafprozeß übertragbar. Im zivilrechtlichen Parteiprozeß ist das Gericht an die Sachvorträge der Parteien und deren Prozeßbevollmächtigte gebunden. Die Bindung an das Prinzip von Treu und Glauben dient der Sicherung eines Kernbestands an Wahrheit, ohne den sich jedes staatliche Verfahren unglaubwürdig macht. 297 Im inquisitorisch geprägten Strafprozeß trifft den Beschuldigten dagegen keine Wahrheitspflicht, weil ihn seine prozessuale Autonomie vor jeglicher Mitwirkungspflicht, verstanden als tätige Teilnahme im Strafprozeß, schützt. 298 Weiterhin läßt sich die Fortgeltung des Lügeverbots unter den verfassungsgerichtlichen Vorgaben zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts nicht auf die Erwägung stützen, der Rechtsanwalt dürfe kraft seiner Stellung in der Rechtspflege nicht dem Unrecht dienen und nicht die Rechtsfindung erschweren.299 Nicht nur, daß die Organstellung des Rechtsanwalts sowie die darauf bezogenen §§ 1, 43 BRAO als prozessuale Eingriffsgrundlage zu unbestimmt sind;3oo das Lügeverbot kann darüber hinaus auch nicht auf althergebrachtes Gewohnheitsrecht gestützt werden. Wie das Bundesverfassungsgericht im Schily-Beschluß ausgeführt hat, wäre dafür eine dauernde und allgemeine Übung erforderlich, die von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnonn anerkannt wird. 30l Spätestens seit den Siebziger Jahren sind aber verschiedentlich Stimmen laut geworden, die die Beschränkung der Verteidigerstellung durch das Lügeverbot unter verschiedenen Gesichtspunkten als unzulässigen Eingriff in die Subjektstellung des Beschuldigten abgelehnt haben. 302 Nach Ostendorf soll dem Verteidiger sogar das unterstützende Lügen gestattet sein, weil er mit dem Beschuldigten in einem Boot sitze?03 Nicht von ungefähr wurde ein anwaltliches Vg!. Baumbach/Hartmann, ZPO § 138, 15. Näher dazu Baumbach/Hartmann ZPO Ein!. III Rn. 54f. m.w.N. 298 Vg!. nur KK-Pfeiffer Ein!. 89. So führt nach BGH NJW 1992, 3247 selbst das wahrheitswidrige, qualifizierte Leugnen des Tatvorwurfs nur in Ausnahmefällen zur Strafschärfung. 299 So aber Feuerich, BRAO (2. Aufl. 1992) § 43, 239f. m. w.N.; Kleine-Cosack, BRAO § 43 a, 30; Thesen zur Strafverteidigung Begründung These 19. 300 Vg!. Günther, Strafverteidigung S. 47f.; ähnlich schon Krekeler, NStZ 1989, 146 (150); H. Schneider Jura 1989,343 (345ff.). 301 BVerfGE 34, 293 (303f.). Ähnlich schon Amdt, NJW 1964, 2146f. 302 Bottke, ZStW 1984, 726 (738) m. w. N.: ..... daß die noch 1980 von Beulke vertretene These, die Wahrheitspflicht sei ,dem Grundsatz nach unbestritten' nicht mehr zutrifft ..... Ebenso Schneider, Jura 1989,343 m.w.N.; Richter 11, NJW 1993, 2152 (2154). 296 297

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Lügeverbot im Rahmen der Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts nicht gesetzlich niedergelegt. Die in der Satzungsversammlung der Rechtsanwälte zur Beratung der erwähnten Berufsordnung (BORA) aus dem Jahre 1996 vorgeschlagene Regelung, der Rechtsanwalt dürfe nicht bewußt Unwahrheiten vortragen, konnte sich vielmehr deshalb nicht durchsetzen, weil die Mehrheit der Delegierten eine solche Selbstbeschränkung der Rechtsanwälte im Vergleich mit den berufsrechtlichen Verhältnissen der Richterschaft für nicht angemessen hielt. 304 Darüber hinaus besteht selbst unter den Befürwortern des Lügeverbots keinerlei Einigkeit über dessen Umfang und Grenzen im Strafprozeß und zwar schon in grundlegenden Fragen. Erinnert sei nur an den im Ersten Teil der Untersuchung angeführten Fall des Rats an den Beschuldigten, den Tatvorwurf mit falschen Schutzbehauptungen abzuwehren. Nach überwiegender Ansicht soll der Rat zur Lüge in allen Formen unzulässig sein. Der Verteidiger dürfe den Beschuldigten "stimulierungsneutral,,305 lediglich auf die Möglichkeit der Lüge hinweisen. 306 Dagegen meint Krekeler, es sei zwischen der Empfehlung zur Lüge, der Entscheidung des Verteidigers für den zögernden Beschuldigten, und der vom Verteidiger für den Beschuldigten ausgearbeiteten Lüge zu unterscheiden. Der Verteidiger müsse den Willen des Beschuldigten ermitteln und dürfe diesen nicht zur Lüge überreden. Die Grenze des zulässigen Verteidigerhandelns sei erst dann erreicht, wenn der Verteidiger die Entscheidung des Beschuldigten durch die eigene ersetze und damit seine eigene Wahrheitspflicht verletze. 30? Derartige Beispiele divergierender Auslegung eines anwaltlichen Lügeverbots lassen sich in Legion anführen?08 Nach Dahs und Liemersdorf beschränkt sich die Wahrheitspflicht des Verteidigers nicht einmal auf Prozeßhandlungen. Dem Verteidiger soll sogar die Aufnahme geschlechtlicher Beziehungen mit der Beschuldigten im Hinblick auf das Lügeverbot untersagt sein, weil das seine Distanz zur Sache beeinträchtigen könne. Dem Verteidiger sei dann aus standesrechtlicher Sicht die Niederlegung des Mandats anzuraten?09 Deutlicher kann die Uferlosigkeit des Lügeverbots nicht zutage treten.

303 Ostendorf, NJW 1978, 1345 (1349). Ähnlich Strytz, Abgrenzung Strafverteidigung und Strafvereitelung S. 265 ff.; Paulus, NStZ 1992, 305 (307) m. w. N. 304 Vgl. Hartung/HolI, BORA Vor § 4, 68ff. 305 Krekeler, NStZ 1989, 146 (148). 306 Dazu Bottke, ZStW 1984, 726 (755) m. w.N.; Otto, Jura 1987, 329ff.; Lackner, StGB § 258, 2 d) aa). 307 Krekeler, FG-Friebertshäuser S. 53 (59ff.). 308 Zum Ganzen Bottke, ZStW 1984, 726 (755ff.) m.w.N.; Otto, Jura 1987, 329ff. 309 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers S. 77; Liemersdorf, MDR 1989, 204 (205). Ob das auch unter Eheleuten gilt, wird nicht untersucht.

c. Versuch einer systematischen Lösung

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Letztlich spiegelt das bis heute als Konflikt zwischen Recht und Ethik verbrämte anwaltliche Lügeverbot31O nichts anderes wider als die Vorprägung standesrechtlicher Wertungsmuster durch die Instrumentalisierung eines inquisitorischen Wahrheitsbegriffs gegen den Verteidiger und damit letztlich gegen die SubjektsteIlung des Beschuldigten. Man vergegenwärtige sich nochmals den Meinungsstand im Zusammenhang mit dem Rat zur Lüge. Pech für den geständnisbereiten Beschuldigten, der sich des Beistands eines Verteidigers bedient. Er hätte sich und dem Verteidiger vorweg klar machen müssen, daß er unbedingt freigesprochen werden will. Dann hätte ihm der Verteidiger auch helfen können. Nach verbreiteter Ansicht verbietet das Lügeverbot dem Verteidiger sogar die Erschütterung einer als richtig erkannten Zeugenaussage durch geschickte Befragung. 311 Diese Vorprägung des Standesrechts hängt untrennbar mit der Überlegung zusammen, der Verteidiger verdanke seine Rechte seiner Distanz zum Beschuldigten. Symptomatisch dafür ist die Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, der noch im Jahre 1992 auf der einen Seite die Vorrangigkeit der Beistands- und Verschwiegenheitspflicht des Verteidigers gegenüber der Wahrheitspflicht betont,312 andererseits aber auf die Einbindung des Verteidigers in die Rechtspflege und die damit verbundene Pflichtenkollision hinweist, über die der Verteidiger unter sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Rechtsmaximen zu entscheiden habe. 313 Jedenfalls betreffend die rechtlichen Grenzen erlaubten Verteidigerverhaltens bedarf es einer solchen Abwägung nicht, denn die Rechte des Verteidigers sind Folge der SubjektsteIlung des Beschuldigten. Das im Grenzbereich der noch zulässigen Beweisanträge insbesondere in der älteren Rechtsprechung verschiedentlich zu erkennende Bestreben, eine Zurückweisung wegen Verschleppungsabsicht (§ 244 III 2 4. Alt) unter Hinweis auf das standesrechtliche Leitbild des seriösen Verteidigers als Organ der Rechtspflege besonders strengen Maßstäben zu unterwerfen,314 trägt unter dieser Prämisse für den Verteidiger den Charakter eines Danaergeschenks. Nach alledem erscheint es abgesehen von § 43 a III 2 BRAO als unzulässig, die prozessuale Aufgabe des Verteidigers im Strafprozeß an einen dahingehenden standesrechtlichen Mißbrauchsvorbehalt zu binden. Damit Vgl. nur Prütting, AnwBI 1994, 315 (319ff.). ROSt 70, 390; Kühne, Strafprozeßrecht S. 68; LK-Ruß § 258, 20 mit ähnlichen Beispielen. 312 Nach BRAK, Thesen zur Strafverteidigung Begr. These 3..... gehört es auch zum Freiraum des Verteidigers, Entlastungsbemühungen seines Mandanten oder Dritter lediglich hinzunehmen, ohne selbst anregend oder leitend tätig zu werden. Die Auswertung der Ergebnisse solcher Bemühungen steht in seinem pflichtgemäßem Ermessen." 313 Thesen zur Strafverteidigung, Thesen 3, 19 mit Begründung. 314 Dazu Hanack, Mandatsverhältnis S. 5 ff. m. w. N. 310

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

ist auch das im Ersten Teil der Untersuchung angesprochene Problem der unwahren Prozeßrüge geklärt, nachdem deren standesrechtliche Bewertung sich ebenfalls als Ausfluß des Lügeverbots darstellt. Es gibt keine standesrechtliche Rechtsgrundlage, die dem Rechtsanwalt die Erhebung der unwahren Prozeßrüge verbieten würde. Es bleibt ohne jede Einschränkung bei deren prozessualer Zulässigkeit. Nachdem von dem anwaltlichen Lügeverbot als eigenständigem Rechtsinstitut nichts übrigbleibt, liegt seine strafprozessuale Bedeutung ausschließlich im prozeßtaktischen Bereich. Ein aus der Sicht des Gerichts vertrauenswürdiger Verteidiger wird für den Beschuldigten in bestimmten Fällen mehr erreichen können als der Konfliktverteidiger. So werden in Fällen der in der Beweisaufnahme klar zutage getretenen Schuld des Angeklagten das vom Verteidiger veranlaßte Geständnis des Beschuldigten die Strafzumessung günstiger beeinflussen als ein flammendes Schlußwort, in dem der Verteidiger die Unschuld seines Mandanten beteuert. Im Hinblick auf die bekannt hohe Verurteilungsquote in der Hauptverhandlung sind solche Erwägungen in der Praxis zweifellos von großer Bedeutung. Das gilt um so mehr, als die konsensuale Verfahrens gestaltung durch Absprachen zwischen den Prozeßsubjekten in der strafprozessualen Praxis, wie im Ersten Teil der Untersuchung angesprochen, zunehmend an Bedeutung gewinnt. Grobe Fehleinschätzungen der Prozeßsituation können den Verteidiger in diesem Zusammenhang gegenüber dem Beschuldigten im privatrechtlichen Mandatsverhältnis schadensersatzpflichtig machen,315 lassen aber den Bereich des erlaubten Verteidigerverhaltens unberührt. Es geht also nicht um den Schaden, den die Rechtspflege erleidet, wenn auf das Wort des Rechtsanwalts kein Verlaß mehr ist,316 sondern um den Schaden des Angeklagten und des Verteidigers, in dessen prozeßtaktische Erwägungen auch die Sorge um seinen guten Ruf einfließen werden. 3. Schützende Funktion des anwaltlichen Standes rechts

Konstatieren läßt sich auf der Grundlage der vorherigen Überlegungen zweierlei: Einerseits zeigt sich aus der Sicht eines modemen, den Aktivstatus des Bürgers im Prozeß betonenden Rechtsstaatsverständnisses 317 die 315 Die privatrechtlichen Haftungsstandards des Strafverteidigers sind allerdings wenig geklärt. Die Entscheidung LG Berlin, StV 1991, 310 (312) deutet auf eine verteidigerfreundliche Auslegung hin, kritisch dazu Barton, StV 1991, 322ff. Anders OLG Nümberg, StraFo 1997, 186 (187) m. w.N. Zum Ganzen Barton, Mindeststandards S. 268ff., 364. 316 So Dahs, Handbuch des Strafverteidigers S. 29. 317 Näher dazu im Zusammenhang mit der Weisungsgebundenheit des Verteidigers unter d) bb) (3).

c.

Versuch einer systematischen Lösung

143

begrenzte Aussagekraft der rechtlichen Doppelstellung des Verteidigers für die Mißbrauchsproblematik, wie sie noch der RStPO 1877 konzeptionell zugrundelag. Denn mangels Bestimmtheit der dafür in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen dürfte ein standesrechtlicher Mißbrauchsvorbehalt im Prozeßrecht eigentlich keine Rolle mehr spielen, erst recht in Ansehung der darauf bezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Folgerichtig müßte auch eine standesrechtliche Ahndung insoweit entfallen. So verstanden erscheint es nachvollziehbar, die Organstellung des Verteidigers als Begriff ohne Inhalt abzutun. 318 Andererseits hat sich insbesondere im Zusammenhang mit dem Lügeverbot des Verteidigers auch gezeigt, daß gerade die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und die damit zusammenhängende Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts in der Praxis noch nicht genügend rezipiert wird. Das erscheint in Ansehung der nicht zu leugnenden rechtlichen Doppelstellung des Verteidigers allerdings mißlich, birgt doch dieser Widerspruch die Gefahr in sich, die standesrechtlichen Wertungsmaßstäbe zu Unrecht weiterhin in ein schiefes Licht als eine Art prozessuale "Anti-Verteidiger-Allzweckwa./fe,,319 zu stellen. Gerade das wäre aber irreführend, denn eine derartig selektive Betrachtungsweise war selbst unter Berücksichtigung verteidigerfeindlicher Instrumentalisierung standesrechtlicher Wertungsmaßstäbe (wie etwa des Sachlichkeitsgebots) in den Siebziger Jahren insgesamt nicht sachgerecht. Das gilt im besonderen Maße für die zur Diskreditierung des anwaltlichen Standesrechts wegweisende Saarbrücker Dissertation von Knapp aus dem Jahre 1974, der zu belegen versuchte, die Organstellung des Rechtsanwalts sei in der Judikatur des reichs gerichtlichen Ehrengerichtshofs stets dazu benutzt worden, anwaltliche Pflichtverletzungen in einem besonders grellen Licht erscheinen zu lassen. 32o Erstens kann es in einem standesgerichtlichen Verfahren, auch wenn die standesrechtliche Rechtsprechung zu kritischen Einzelfragen der Strafverteidigung einen "moralisierenden, schwammigen und konservativen ,,321 Einschlag zeigen mag, um nichts anderes gehen als um die Ahndung anwaltlicher Pflichtverletzungen. 322 Zweitens erscheint eine derartig pauschal behauptete Instrumentalisierung der Organstellung zu Lasten des Rechtsanwalts in der Ehrengerichtsbarkeit fraglich?23 Man vergegenwärtige sich in diesem Zusammenhang etwa die 318 Hassemer, ZRP 1980, 328; Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S 334f.; Barton, Mindeststandards S. 33. 319 Dahs, StratFo 1998,253 (258). 320 Vgl. Knapp, Organ der Rechtspflege S. 36ff. 321 Hanack, Mandatsverhältnis S. 14f.; Römer, FS-Schmidt-Leichner S. l33 (136f.) jeweils m. w.N. 322 Vgl. Hanack, Mandatsverhältnis S. 16. 323 Vgl. Hanack, Mandatsverhältnis S. 16.

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2. Teil: Die MiBbrauchsproblematik

Weite des Schutzes vor Selbstbezichtigung im Zusammenhang mit den §§ 55! BRAO. Nach diesen Vorschriften hat der Rechtsanwalt aufgrund seiner standesrechtlichen Organstellung gegenüber der Anwaltskammer zwar eine umfassende Auskunftspflicht. 324 In der ehrengerichtlichen Rechtsprechung ist aber das Schweigerecht des Rechtsanwalts, bestätigt durch die bekannte Gemeinschuldnerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, bis hin zum Stadium der Vorermiulungen ausgedehnt und durch die im Anschluß an die Neuordnung des anwaltlichen Berufsrecht neu gefaßte Hinweispflicht nach § 56 I 3 BRAO abgesichert worden. 32s Die verteidigerschützende Wirkung des anwaltlichen Standesrechts zeigt sich auch dann, wenn es um die strafrechtliche Beurteilung von Handlungen geht, die von einem Rechtsanwalt in Ausübung seiner Verteidigertätigkeit begangen worden sind. So verlangt der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang etwa bei der Prüfung der Strafbarkeit des Rechtsanwalts wegen Urkundenfälschung eine besonders sorgfältige Prüfung der Frage, ob vorsätzliches Handeln vorliegt. Der Verteidiger, der gefälschte Beweisurkunden in den Prozeß einbringe, die ihm vom Beschuldigten zur Verfügung gestellt worden seien, billige selbst bei erheblichen Zweifeln an deren Richtigkeit in der Regel nicht strafbares Verhalten. Dieser Vorbehalt beruhe darauf, daß der Rechtsanwalt als standesrechtliches Organ der Rechtspflege zur Wahrnehmung fremder Interessen berufen sei?26 Das anwaltliche Standesrecht verschafft dem Verteidiger im Strafprozeß somit faktisch genau das bereits angesprochene Vorsatzprivileg. Auf der anderen Seite achtet die höchstrichterliche Praxis peinlich genau darauf, aus der Organstellung des Rechtsanwalts keine besondere Obhutspflicht nach § 13 I StGB zum Schutz der Rechtspflege herzuleiten, wie sich etwa bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer falschen Zeugenaussage durch Unterlassen zeigt. 327 Zuletzt darf der für den Verteidiger bedeutsame rechtspolitische Umstand nicht vergessen werden, daß die Organstellung des Rechtsanwalts als Konkretisierung der grundrechtlich geschützten Freiheit der Advokatur nicht selten Anknüpfungspunkt für den Schutz vor gesetzlichen Restriktionen gewesen ist. 328 Nicht nur, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Sachlichkeitsgebot, die ohne Zweifel der Stärkung der prozessualen Stellung des Rechtsanwalts dient, ausdrücklich auf die Organstellung des Rechtsanwalts zurückgreift. 329 Es war vor allem die Stellung des Rechtsanwalts als Organ Vgl. Feuerich, AnwBl 1992,61 ff. BGHSt 27, 374 (378); BVerfGE 56, 37 (44). 326 BGHSt 38, 345 (350f.). Ähnlich zum Problem der Beihilfe durch Rechtsrat auch schon RGSt 37, 321; BGH NJW 1992,3047. 327 Vgl. BGHSt 4,327 (331); BGH MDR/Dallinger 1957,267. 328 Vgl. RieB, FS-Schäfer S. 155 (201). 324

325

c.

Versuch einer systematischen Lösung

145

der Rechtspflege und die damit verbundene Bindung an das anwaltliche Standesrecht, die den Gesetzgeber bei einer so wesentlichen Frage wie der gesetzlichen Regelung des Verteidigerausschlusses im Jahre 1974 den bereits angesprochenen Bestrebungen zur Einführung des Ausschließungsgrundes der Prozeßsabotage widerstehen ließ. 33o Ähnliche Bestrebungen haben auch im Gesetzgebungsverfahren betreffend die Regelung der akustischen Raumüberwachung im Strafprozeß eine Rolle gespielt, in dessen Rahmen die anfänglich nicht vorgesehene Privilegierung der Rechtsanwälte gerade auch mit dem ausdrücklichen Hinweis auf deren Stellung als Organ der Rechtspflege geltend gemacht wurde. 331 Es kann also nicht die Rede davon sein, die standesrechtliche OrgansteIlung des Rechtsanwalts sei nie dazu benutzt worden, dem Verteidiger im Strafprozeß Befugnisse zuzugestehen, die nicht schon ohnehin ausdrücklich normiert seien. 332 Nicht umsonst beruft sich also mit Hannover ein Protagonist der sog. linken Verteidiger gegen den erwähnten Hosenladen-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts und die daraus entstehenden Folgen für den Verteidiger auf dessen Stellung als Organ der Rechtspflege. 333 Gerade wegen der historischen Bedeutung des anwaltlichen Standesrechts für die freie Advokatur und für die freie Verteidigung im reformierten Strafprozeß als Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Subjektstellung des Beschuldigten wäre zu wünschen, daß sich in Zukunft der Blick auf solche Zusammenhänge richtet, wenn es um die Betrachtung und Anwendung des anwaltlichen Standesrechts geht. 334 IV. Sonderproblem: Weisungsgebundenheit des Verteidigers Nicht nur die Betrachtung bisheriger Verteidigerdiskussionen, sondern auch die Analyse der Mißbrauchsproblematik hat mehrfach die außerordentliche Relevanz der Weisungsgebundenheit für die Abgrenzung zwischen dem erlaubten und dem verbotenen Verteidigerhandeln deutlich gemacht. Man denke nur an die fehlende Distanz zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger als verdeckter Ausschließungsgrund in politischen StrafVgl. nur BVerfG NJW 1996, 3267f. Vgl. BT-Drucks. 7/2526 S. 31; Steno Bericht BT-Sitzung 7/138 S. 9503ff. Dazu Groß, NJW 1975,421 (424); Hanack, Mandatsverhältnis S. 5. m Vgl. BT-Drucks. 13/214 S. 19535 [Abg. Schlauch]. 332 Dahs, NJW 1975, 1385 (1387). 333 Hannover, KJ 1985,396 (401). 334 Dazu Hartstang, Anwaltsrecht S. 335 f. m. w. N. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch zweifelhaft, ob - wie etwa Kuckuk, NJW 1980, 298; Pfeiffer, BRAK-Mitt. 1987, 102 meinen- die schützende Funktion des anwaltlichen Standesrechts notwendig von dessen prozessualem Eingriffscharakter abhängt. 329

330

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

prozessen einerseits sowie an die - im Zusammenhang mit den Verteidigerdelikten angesprochene _335 Problematik unwirksamer Prozeßhandlungen für die strafrechtliche Beurteilung des Verteidigerhandelns andererseits. Die praktische Relevanz dieser Frage darf zwar aufgrund der häufig zu konstatierenden Dominanz des Verteidigers gegenüber dem Beschuldigten nicht überschätzt werden. 336 Auf der anderen Seite würde aber die Überlegung zu kurz greifen, die Mehrheit der Beschuldigten sei ohnehin nicht in der Lage, autonom zu handeln. 337 Schließlich zeigen alle statistischen Untersuchungen, daß man nicht jedem Beschuldigten den Willen und die Fähigkeit absprechen kann, eine eigenständige Prozeßstrategie zu entwerfen. 338 In bestimmten Fallgruppen, man denke etwa an Prozesse wegen Straftaten mit politischem Hintergrund, wird das Gegenteil sogar regelmäßig der Fall sein. Denn dann wird es dem Angeklagten in erster Linie nicht um die Abwehr des Anklagevorwurfs an sich, sondern vor allem um die politische Auseinandersetzung mit dem dahinter stehenden System gehen. 339 Das spiegelt sich nicht nur in den RAF-Prozessen wider,34o sondern zeigt sich beispielsweise auch in den Berichten über politische Strafprozesse in der Sowjetunion?41 Allerdings stellt sich auch in solchen Fällen das Problem der Weisungsgebundenheit nicht, wenn der Verteidiger und der Beschuldigte streitige Auffassungen untereinander einvernehmlich lösen und zu einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie gelangen. Die Bedeutung solcher Fälle sollte insofern nicht gering geschätzt werden, als die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen des Beschuldigten nicht nur untrennbar mit der elementaren Beratungsfunktion eines Prozeßsubjektsgehilfen zusammenhängt,342 sondern auch in der haftungsrechtlichen Rechtsprechung allgemein als Pflicht des Rechtsanwalts zu umfassender und erschöpfender Belehrung des Mandanten 33S

336

297.

Unter b) bb) (2). Vgl. nur Vogtherr, Rechtswirklichkeit der Strafverteidigung S. 34 m. w. N.,

337 Vgl. etwa Beulke, Verteidiger S. 72; Domach, Mitwirkungspflichten S. 83; Liemersdorf, MDR 1989,204 (205). 338 Das bestätigen alle statistischen Untersuchungen: Danach ist jedenfalls eine Minderheit von Beschuldigten in der Lage, nachhaltig auf ihren Rechten zu bestehen bzw. strategisch vorzugehen, vgl. nur Vogtherr, Rechtswirklichkeit der Strafverteidigung S. 34 m;w.N., 297. 339 Vgl. Temming, StV 1982,539 (542). 340 Vgl. Stroebele, Verteidiger im Verfahren gegen die RAF S. 41 (52ff.): ,,Aus einern Gefangenenbrief: ... Entweder der Rechtsanwalt identifiziert sich mit dem Konzept der Stadtguerilla, den Typen, die so was machen, Kampf. Dann wird er die Bedingungen revolutionärer Politik begreifen wie wir, handeln wie wir." 341 Eindringlich dazu die Prozeßberichte von Dina Karninskaja, Strafverteidigerin in Moskau S. 50ff. 342 Näher E. Müller, FG-Friebertshäuser S. 47 f.

c. Versuch einer systematischen Lösung

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ausgestaltet worden ist. 343 Den Verteidiger trifft also in jedem Fall ein Konsensgebot. Es ist bezeichnend für die inquisitorisch-obrigkeitliche Grundstruktur des reformierten Strafprozesses, wenn diese Zusammenhänge erst in neuerer Zeit für die Frage der Weisungsgebundenheit des Verteidigers aufgegriffen worden sind, nämlich im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Verteidigerverständnis der sog. linken Verteidiger. Wegweisende Bedeutung kommt insofern doch der Arbeit des Arbeitskreis Strafprozeßreform zu, der in § 1 1 1 AE ausdrücklich festgehalten hat, der Verteidiger stütze sich auf das Vertrauen des Beschuldigten. Anderenfalls sei der Verteidiger zu zweckmäßiger Verteidigungsstrategie nicht in der Lage. Er könne das, was sich der Beschuldigte wünsche, nicht oder nur unvollkommen umsetzen. 344 Der Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer stellt sogar die unmißverständliche These auf, der Verteidiger solle die Verteidigung im Konsens mit dem Mandanten führen und in grundSätzlichen Fragen Einvernehmen über das konkrete Vorgehen herstellen. 345 So habe der Verteidiger etwa Beweisanträge grundSätzlich in Abstimmung mit dem Mandanten zu stellen. Nur eine solche Kommunikation, die den Mandanten nicht bevormunde, garantiere die Prozeßsubjektsqualität des Beschuldigten. 346 Es verbleiben aber die Fälle, in denen es zu einer einvernehmlichen Lösung zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nicht kommt. Nachdem selbst der hochrangig besetzte Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer die Weisungsgebundenheit des Verteidigers als "eines der umstrittensten und wohl weitgehendst auch noch ungelösten Probleme der Strafverteidigung .. 347 bezeichnet hat, wird im folgenden der Versuch unternommen, die Lösung des geltenden Rechts in groben Zügen darzustellen.

1. Weisungsgebundenheit und standesrechtliche Wertungsmaßstäbe Angedeutet hat sich bis hierher schon, daß die Lösung der Weisungsgebundenheit nicht im anwaltlichen Standesrecht liegen kann. Allerdings findet sich dieser Erklärungsansatz bis in die heutige Zeit. So ist etwa Vehling der Ansicht, die Unabhängigkeit des Verteidigers von seinem MandanOLG Nürnberg, StraFo 1997, 186 m. w.N. Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung § 1 AE Begr. 11 2 a. Ähnlich Kniemeyer, Vertrauen und Unabhängigkeit S. 132 f. 345 BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 10 mit Begründung. 346 BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 35 mit Begründung. 347 BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 9/Begründung. Nach E. Müller, FG-Friebertshäuser S. 47 handelt es sich sogar um eine "rechtliche terra incognita". 343

344

10'

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

ten erkläre sich aus der Zugehörigkeit des Anwalts zur Rechtspflege, seiner standesrechtlichen Organstellung. 348 Genauso wird die Partei unabhängigkeit des Rechtsanwalts seit jeher aus den eigenen Reihen in einer Eindringlichkeit vertreten, die bis zur" unparteilichen . .. über den Parteien stehenden" Verklärung rechtsanwaltlicher Tätigkeit reicht. 349 Nach Henssler kann sogar für den Fall, daß keine Entbindung von Seiten des Mandanten vorliegt, die anwaltliche Schweigepflicht hinter die Aufgabe des Rechtsanwalts zurücktreten, als Organ der Rechtspflege neues Unrecht zu verhindem. 35o Die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, an verschiedenen Stellen des anwaltlichen Standesrechts niedergelegt (§§ 1, 3 1, 7 Nr. 8, 43a I BRAO, 1 III BORA), meint jedoch durchweg die Staatsunabhängigkeit und die Freiheit von staatlichen Weisungen, nicht aber von Weisungen des Mandanten?51 Das Mandatsverhältnis steht mit der standesrechtlichen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts nur insoweit in Verbindung, als Abhängigkeiten im Mandatsverhältnis, die den Verteidiger zu unrechtmäßigem Handeln nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze aufgrund von Weisungen verpflichten würden, mit dem standesrechtlichen Leitbild des Rechtsanwalts nicht vereinbar sind. 352 Zu rechtswidrigem Handeln ist der Verteidiger aber sowohl prozessual wie auch vertraglich ohnehin nicht verpflichtet. Mehr bringen auch die StandesregeIn der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft (CCCB) nicht zum Ausdruck, wenn in 2.1.1 CCCB [Unabhängigkeit] die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts gegenüber Dritten in dem Verbot der Verletzung des Standesrechts konkretisiert wird. Die standesrechtliche Herleitung der strafprozessualen Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers vom Beschuldigten, zuletzt auch postuliert vom Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, kann angesichts fehlender einfachgesetzlicher Regelungen in diesem verfassungsrechtlich sensiblen Bereich nicht weiter gehen, zumal wenn nach eigenem Eingeständnis der Verteidiger im Rahmen des zivilrechtlichen Mandatsverhältnisses doch weisungsgebunden sein soll.353 348 Vehling, StV 1992, 86 (88). Vgl. im übrigen die Nachweise bei AK-Stem Vorb. § 137,41. 349 Habscheid, NJW 1962, 1985 (1988); ähnlich Quack, NJW 1975, 1337 (1341); zum Ganzen Hartstang, Anwaltsrecht S. 329ff. m. w.N. 350 Henssler, NJW 1994, 1817 (1823). 351 Vgl. nur Kleine/Cosack, BRAO § 1, 11 m.w.N.: "Eine darüber hinausgehende Rechtswidrigkeit sonstiger Abhängigkeiten abzuleiten, erscheint weder rechtlich möglich noch praktikabel und erst recht nicht kontrollierbar." 352 BGH NJW 1974, 1865 (1866). 353 BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 9 ["Der Verteidiger ist bei der Ausgestaltung der Verteidigung grundsätzlich nicht weisungsgebunden"]/Begründung: " ... Andererseits ist der Verteidiger zivilrechtlich durch den auf Geschäftsbesorgung gerichteten Dienstvertrag ... an den Mandanten gebunden, woraus - wie die höchstrichterliche Rechtsprechung mehrfach entschieden hat - folgt, daß der Rechtsanwalt im Rahmen dieses Vertrags grundsätzlich weisungsgebunden ist".

C. Versuch einer systematischen Lösung

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Verhält sich das anwaltliche Standesrecht damit neutral zur Frage der Weisungs gebundenheit des Verteidigers, so hat das in erster Erkenntnis Folgen für die Ausübung sozialer Gegenmacht, ein Gesichtspunkt, der bisherige Diskussionen um die Mißbrauchsproblematik wie gesehen gleich einem Brandbeschleuniger beeinflußt hat. Festzustellen ist nämlich, daß die Weisungs gebundenheit des Verteidigers gegenüber dem Beschuldigten nicht im Widerspruch zu dem staatlichen Interesse der Teilhabe an der Rechtspflege steht, zu der das anwaltliche Standesrecht den Rechtsanwalt verpflichtet. 2. Weisungsgebundenheit und prozessuale Wertungsmaßstäbe

Es stellt sich weiterhin die Frage, wie die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe die prozessuale Gegenrnacht verstehen, die der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten auszuüben hat. Immerhin gibt es eine Reihe von Vorschriften, in denen Verfahrensrechte des Verteidigers neben denen des Beschuldigten oder sogar als alleiniges Verteidigerrecht ausdrücklich niedergelegt sind. Neben den §§ 61, 5; 79 1 2; 251 Nr. 4; 345 11; 218, 2 wären hier auch das eigene Fragerecht des Verteidigers gemäß § 240 11 1, sein Erklärungsrecht nach vorherigem Verlangen gemäß § 257 11 sowie der Verzicht auf präsente Beweismittel nach § 245 I 2 zu nennen. In diesen Fällen kann der Verteidiger aufgrund der gesetzlich angeordneten Unterscheidung zwischen Beschuldigten- und Verteidigerrechten nicht an Weisungen des Beschuldigten gebunden sein, sieht man einmal von dem im Ersten Teil der Untersuchung angesprochenen Grenzfall des § 218, 2 iVm § 217 111 ab. Immerhin hat aber der Bundesgerichtshof die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage, wer im Verteidigungsinnenverhältnis das letzte Wort zu dem Verzicht auf die Einhaltung der Ladungsfrist des Verteidigers hat, im Sinne der Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers entschieden?S4 Auf der anderen Seite ist die Ausübung bestimmter Rechte des Beschuldigten durch den Verteidiger nach allgemeiner Ansicht weisungsgebunden. Das sind im wesentlichen die bereits im Ersten Teil der Untersuchung angesprochenen höchstpersönlichen Rechte des Angeklagten nach den §§ 217, 2,· 233; 297, 302 11. Zwischen diesen beiden Fallgruppen steht das Schlußplädoyer des Verteidigers. Auf der einen Seite ist der Verteidiger in § 258 111 1. Hs. erwähnt; ihm soll sogar das Wort von Amts wegen zu erteilen und eine ausreichende Vorbereitungszeit einzuräumen sein. 3ss Diese ausdrückliche Hervorhebung spricht für seine Weisungsunabhängigkeit. Auf der anderen Seite spricht der Bundesgerichtshof bei der Erteilung des letzten Wortes von einem höchstpersönlichen Recht des 354 3SS

Vgl. nochmals BGHSt 18,296 (297); Hanack, JZ 1971,220. KG NStZ 1984,523; LR-Gollwitzer § 258,12 m.w.N.

ISO

2. Teil: Die MiBbrauchsproblematik

Beschuldigten, das seiner Natur nicht übertragbar sei. Deshalb sei dem Verteidiger des abwesenden Angeklagten das Schlußwort nicht zu erteilen. 356 Das deutet auf seine Weisungs gebundenheit hin.

a) Problemfälle: Beweisantrag-Ablehnungsantrag Unabhängig von dem letztgenannten Sonderfall, der für sich näherer Untersuchung bedürfte, läßt sich dem Gesetz keine allgemeine Regelung über die Weisungs gebundenheit des Verteidigers entnehmen. Vielmehr sind die Vorschriften über die Verteidigung im weiten Maße von der vereinfachenden Diktion der RStPO 1877 bestimmt, regelmäßig zwischen den Rechten von Anklage und Verteidigung zu unterscheiden, aber nicht zwischen den Rechten des Beschuldigten und des Verteidigers?57 Wenn § 239 seit jeher nur dem Verteidiger, nicht aber dem Beschuldigten, das Recht zur Durchführung des Kreuzverhörs gibt, so ist daran zu erinnern, daß diese Vorschrift in der Praxis keine Rolle spielt, und zwar aus prozeßstrukturellen Gründen. Schon deshalb dürfen daraus keine allgemeinen Ableitungen gezogen werden. Später eingefügte Vorschriften wie die eben aufgeführten §§ 61 Nr. 5, 79 12, 245 12, 251 I Nr. 4, die ausnahmsweise zwischen den Rechten des Verteidigers und des Angeklagten in der Hauptverhandlung trennen, lassen schon aufgrund ihrer spezifischen Entstehungsgeschichte keine Rückschlüsse auf das Verteidigungsinnenverhältnis im allgemeinen ZU. 358 Nachdem der Gesetzgeber sowohl bei dem Recht auf Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit nach den §§ 22Jf., 24 111 wie auch bei dem Beweisantragsrecht nicht zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger unterscheidet,359 fehlt damit gerade für die im Zusammenhang mit der Mißbrauchsproblematik besonders sensiblen Verteidigungsrechte360 eine ausdrückliche Regelung. Daran ändert auch die nachträgliche Einfügung des § 245 I 2 nichts, mit dem der Gesetzgeber die bis dahin streitig behandelte Frage geklärt hat, ob der Verteidiger bei dem Verzicht auf präsente Beweismittel weisungsgebunden sei. 361 Denn § 245 I erfaßt ausdrücklich nur die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers bei den von Amts wegen herbeigeschafften präsenten Beweismitteln. 362 356 357 358

BGH GA 1978, 372. RieB, NJW 881 (882). Zum Ganzen RieB, NJW 1977, 881 (882f.). Zustimmend Beulke, Verteidiger

S.135f.

359 AusdrUcklich erwähnt sind in § 219 11 überhaupt nur "Beweisanträge des Angeklagten", während § 244 die Beweisantragsberechtigten gar nicht nennt. 360 Vgl. nur Nehm/Senge, NStZ 1998, 377ff. 361 Zum vorherigen Rechtszustand RieB, NJW 1977, 881 (883). 362 Vgl. nur BGHSt 37, 168 (171 ff.).

c. Versuch einer systematischen Lösung

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b) Subjektstellung-Subjektsdefizit als Bezugspunkte der Weisungs gebundenheit Damit bestätigt sich der im Ersten Teil der Untersuchung angedeutete Befund, daß die Frage der Weisungs gebundenheit des Verteidigers nur aus dem prozessualen Gesamtzusammenhang und nicht aus einzelnen Vorschriften beantwortet werden kann. Ein vereinzelter Versuch in der frühen Kommentarliteratur, allein aus dem Wortlaut des § 137 I 1 (" ... sich des Beistands eines Verteidigers bedienen ... ") eine solche Weisungs gebundenheit abzuleiten,363 hat dabei im Hinblick auf die Komplexität der Materie zurecht keinen Widerhall gefunden. Aus dem gleichen Grund ergibt sich entgegen der Ansicht von Hamm eine generelle Weisungs gebundenheit des Verteidigers nicht schon aus Art. 6 Nr. 3 c) EMRK, der dem Beschuldigten das Recht gibt, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten. 364 Diese Verfahrensgarantie zieht als zwingende Folge des Anspruchs auf ein faires Verfahren für sich nur die persönliche Teilhabe des Angeklagten am Verfahren und die Möglichkeit des ständigen Kontakts mit dem Verteidiger nach sich,365 nicht aber zwingend das Leitbild des weisungsgebundenen Verteidigers,366 wie überhaupt die Auslegung der EMRK durch die Straßburger Organe den nationalen Rechtsordnungen ein weites Regelungsermessen einräumt. 367 Allerdings weist der Rekurs darauf in die richtige Richtung, ist doch die Frage der Weisungsgebundenheit des Verteidigers eigentlich die nach der Subjektsqualität des Beschuldigten. 368 Dadurch rücken wieder die rechtsstaatlichen Kernsätze in den Brennpunkt, die sich im ersten Teil der Untersuchung als bestimmend für die Mitwirkung des Verteidigers im reformierten Strafprozeß herausgestellt haben: Der Verteidiger gleicht als Prozeßsubjektsgehilfe die durch fehlende Rechtskundigkeit und verminderte Sachkundigkeit aufgrund fehlender Unbefangenheit vom Beschuldigten so empfundene, im Falle notwendiger Verteidigung sogar unwiderleglich vermutete Defizite bei der Wahrnehmung seiner SubjektsteIlung aus, die ihrerseits wieder der Gerechtigkeit durch prozessuale Autonomie und der Wahrheit durch Dialektik dient. Auf der einen Seite scheint diese SubjektsteIlung schwerlich damit vereinbar zu Stenglein, Strafprozeßordnung § 137, 3. Nach Hamm, NJW 1993, 289 (294) folgt daraus, daß bei unklarem oder widersprüchlichem Antragsverhalten prozessual der Wille des Beschuldigten und nicht die entgegenstehenden Erklärungen des Verteidigers Gültigkeit habe. 36S Frowein/Peukert EMRK § 6, 94 ff.; Stenger, Einfluß der EMRK S. 173 ff. 366 Frowein/Peukert EMRK § 6, 188. 367 Näher Perron, ZStW 1996,129 (130) m.w.N. am Beispiel des Beweisantragsrechts nach Art. 6 III d) EMRK. 368 Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 218f.; Hamm, NJW 1993, 289 (294). 363

364

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

sein, daß der Verteidiger unabhängig vom Beschuldigten und dessen selbst definierter Interessen zu agieren befugt ist. Auf der anderen Seite könnte die Weisungsgebundenheit des Verteidigers seine überlegene Sach- und Rechtskundigkeit konterkarieren. Überschaut man den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur, so besteht bis in die jüngste Zeit breites Einvernehmen über die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers. 369 So soll der Verteidiger etwa gegen den Willen des Beschuldigten entlastende Tatsachen in den Prozeß einführen oder die Untersuchung des Beschuldigten auf seinen psychsischen Zustand gemäß § 81 beantragen dürfen. 37o Die prozeßrechtlichen Begründungen für diese Auffassung lassen sich auf zweierlei Gesichtspunkte zurückführen. Zum einen betrachtet man die SubjektsteIlung des Beschuldigten einseitig unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung. Symptomatisch dafür ist das in Rechtsprechung und ganz überwiegendem Schrifttum seit der wegweisenden Entscheidung RGSt 17, 315 vertretene Postulat vom weisungsunabhängigen Beweisantragsrecht des Verteidigers. Die Stellung des Verteidigers wurzele im öffentlichen Recht. Das ziehe das Recht und die Pflicht nach sich, das Interesse des Beschuldigten an der Einführung entlastender Tatsachen auch gegen dessen Willen wahrzunehmen. 37l Dornach spitzt diese Vorstellung neuerdings sogar dahingehend zu, es sei nicht Aufgabe der Strafverteidigung, sehenden Auges an einer Verurteilung eines unschuldigen Mandanten mitzuwirken, nur weil der Beschuldigte das wünsche und irgendein grundrechtlieh geschütztes Interesse vorliege. 372 Zum anderen heißt es, die überlegene Sach- und Rechtskundigkeit des Verteidigers ginge der Subjektstellung des Beschuldigten vor. So genügt der Rechtsprechung der lakonische Hinweis, der Verteidiger sei der Beistand, von dem der Gesetzgeber besondere Sachkunde verlange, nicht dessen weisungsgebundener Vertreter. 373 Ähnlich die Wertungen in der Literatur. Wegweisend ist insoweit die im Anschluß an Beulke mißverständlich als Autonomieprinzip bezeichnete Konzeption von Welp.374 Der Verteidiger sei ein Organ Nachweise bei AK-Stern Vorb. § 137,41. VgJ. nur Roxin, Strafverfahrensrecht S. 115 f. 371 Nach RGSt 17, 315 "wurzelt die Stellung des Verteidigers ... im öffentlichen Recht und erweist sich insofern von jeder anderen Kontrolle als derjenigen des eigenen Gewissens unabhängig. Hieraus ergiebt sich die Befugnis des Verteidigers, selbständige Anträge auf Beweiserhebung zu stellen ... welche er ... im Interesse des Angeklagten für dienlich erachtet. Selbst der Widerspruch des letzteren ... kann den Verteidiger in diesem Recht, welches zugleich eine Pflicht in sich schließt, nicht beschränken ... ". Daran anknüpfend BGH NJW 1953, 1314. Aus dem Schrifttum vgJ. nur SK-Schlüchter § 244, 73 m. w. N.; KK-Herdegen § 244, 51 m. w. N.; LRGollwitzer § 244, 96, Rieß, NJW 1977, 881 (883); ANM S. 377. 372 Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 131. 373 BGHSt 12, 367 (369); 13, 337 (343); 38, 111 (114). 369

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fachmännisch wohlverstandener Beschuldigteninteressen. 375 Der (gewählte)

Verteidiger schöpfe seine Legitimation zwar aus dem Vertrauen des Beschuldigten. Die Bindung an die Weisungen des Beschuldigten leiste aber fragwürdigen Identifikationsprozessen Vorschub und sei damit der forensischen Wirkung des Verteidigers abträglich. 376 Das hat neuerdings Kniemeyer durch den Hinweis zu präzisieren versucht, daß der Verteidiger die erkannten, vom Mandanten definierten Interessen unter Berücksichtigung seiner sprachlichen und fachlichen Kompetenz für das Strafverfahren neu zu definieren habe. Diese Definition erschöpfe sich aufgrund der Professionalität des Verteidigers nicht in der kritiklosen Übernahme der durch den Mandanten erklärten Interessen, sondern bestehe in der Definition und Durchsetzung von dessen wohlverstandenen Interessen. 377 Auch der Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer betont die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers aufgrund seiner überlegenen Sachkundigkeit. Der Verteidiger habe nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der konkreten Prozeßlage und der wohlverstandenen Interessen des Beschuldigten zu handeln, wenn sich ausnahmsweise eine Abstimmung mit dem Mandanten nicht bewerkstelligen ließe. 378 Im folgenden werden beide Gesichtspunkte, die sich als tragend für das Postulat des weisungsunabhängigen Verteidigers erwiesen haben, kritisch gewürdigt. c) Subjektstellung des Beschuldigten und Weisungs gebundenheit Zunächst setzt die Vorstellung, der Verteidiger sei als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten generell zu weisungs unabhängiger Antrags- und Erklärungstätigkeit befugt, einen Vorrang der dialektischen Wahrheitsfindung gegenüber der prozessualen Autonomie des Beschuldigten voraus. Nur unter dieser Voraussetzung nähme der Verteidiger wohl verstandene Interessen des Beschuldigten wahr, wenn er gegen dessen Willen entlastende Tatsachen vorbringt. Nur dann dürfte der Verteidiger, um einen besonders plastischen Fall herauszugreifen, mit der Abwehr des Anklagevorwurfs wegen einer Bagatellstraftat entgegen dem Willen des mittellosen Beschuldigten dessen unmittelbar bevorstehende Eheschließung mit der Beulke, Verteidiger S. 57, 71. Welp, ZStW 1978, 804 (822). 376 Welp, ZStW 1978, 804 (820ff.). Ähnlich Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung § I, 11 3 (" ... ein weisungsgebundener Verteidiger hat möglicherweise einen zu engen Spielraum für die Anwendung seiner Sachkunde ... "). ln Kniemeyer, Vertrauen und Unabhängigkeit S. 131 f. 378 BRAK, Thesen zur Strafverteidigung Begründung These 35. Ähnlich These 1 ["Der Verteidiger ist frei in der Gestaltung der Verteidigung im Rahmen der Gesetze, seiner Schutzaufgabe und seiner Einordnung in die Funktion der Strafrechtspflege"] mit Begründung. 374 37S

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alternden Milliardärin gefährden, indem er einen Beweisantrag auf Vernehmung der Prostituierten stellt, bei der sich der Beschuldigte zur Tatzeit aufhielt. 379 Bei näherer Betrachtung der strafprozessualen Wertungsmaßstäbe ist aber ein solches Stufenverhältnis zwischen Wahrheitsfindung und Autonomie des Beschuldigten nicht zu erkennen. Im Gegenteil versetzt das elementare Recht auf Passivität den Beschuldigten in die Lage, sich der Mitwirkung an der dialektischen Wahrheitsfindung entweder ganz zu entziehen oder diese Mitwirkung nach seinem Ermessen zu dosieren. Man denke nur daran, daß der Gesetzgeber von der fakultativen Verteidigung als Regelfall ausgeht und somit im weiten Maße schon die Mitwirkung des Verteidigers zur Disposition des Beschuldigten stellt. Dieser Betonung der prozessualen Autonomie des Beschuldigten entspricht die verfassungsgerichtliche Judikatur mit der Hervorhebung der selbständigen Einflußnahme des Bürgers auf Gang und Ergebnis des Verfahrens als unverzichtbares Element des Rechts auf rechtliches Gehör. 38o Die Sache des Beschuldigten, nicht die des Verteidigers wird verhandelt und gehört. 381 Damit harmoniert die Vorstellung kaum, der Beschuldigte gebe seine prozessuale Autonomie beim Verteidiger ab; ganz abgesehen zwischen den dann entstehenden Friktionen zwischen der prozessualen Autonomie des verteidigten und des unverteidigten Beschuldigten. An diese Gegebenheiten knüpft auch die anwaltliche Schweigepflicht an, die nach allgemeiner Ansicht die rechtsstaatlich unverzichtbare Basis des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten markiert und deshalb durch die Androhung straf- und standesrechtlicher Sanktionen geschützt ist. 382 Noch präziser bezeichnet CCCB 2.3.1 das Berufsgeheimnis ausdrücklich als ein Berufsrecht und eine Berufspflicht des Rechtsanwalts. 383 Ist Gegenstand der anwaltlichen Schweigepflicht der Schutz des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten, so konterkariert jede Unterscheidung zwischen günstigen und ungünstigen Tatsachen diesen Zweck. 384 379 Ähnliche Fallbeispiele bringt Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 227f. 380 BVerfGE 9, 89 (95); 26, 66 (71); 38, 105 (111 ff., 115). 381 Gusy, AnwBI 1984, 225 (231). Eingehend Haffke, StV 1981, 471 (480) m.w.N. 382 Vgl. nur Kleine-Cosack § 43 a, 3 ff. m. w. N. 383 CCCB 2.3.1 [Berufsgeheimnis] Satz 3 [n ... Es gehört zum Wesen der Berufstätigkeit des Rechtsanwalts, daß sein Mandant ihm Geheimnisse anvertraut und er sonstige vertrauliche Mitteilungen erhält. Ist die Vertraulichkeit nicht gewährleistet, kann kein Vertrauen entstehen. Aus diesem Grund ist das Berufsgeheimnis gleichzeitig ein Grundrecht und eine Grundpflicht des Rechtsanwalts von besonderer Bedeutung."] Das ist insbesondere de lege ferenda von Bedeutung, ist doch in 1.3.2 Nr. 1 CCCB von dem Wunsch die Rede, die europäischen Standesregeln (entgegen dem jetzigen § 29 BORA) bereits als gemeinsame Auffassung der nationalen Anwaltschaften in der EG anzuerkennen. 384 Dazu K. Müller, MDR 1971, 965 (970).

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Konsequenterweise erfaßt der strafrechtliche Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs des Beschuldigten nach § 203 I Nr. 3 StGB alle dem Verteidiger im Zusammenhang mit dem Mandat anvertrauten und bekanntgewordenen Tatsachen. Die darauf bezogenen berufsrechtlichen Vorschriften nach §§ 43 a 11 2 BRAO, 2 11 BORA betreffen sogar alle in Ausübung des Berufs bekanntgewordenen Tatsachen. Wenn der Verteidiger als Zeuge und damit als Objekt der Wahrheitsfindung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 I Nr. 2 keinen Gebrauch macht, setzt er sich folgerichtig grundsätzlich den straf- und standesrechtlichen Sanktionen aus. Denn die Prozeßordnung verleiht dem Verteidiger ohne Entbindung von der Schweigepflicht durch den Beschuldigten ein Recht zum Schweigen, jedoch kein Recht zum Reden. 385 Die bis heute weit verbreitete Ansicht, die dem Verteidiger mit verschiedenen Differenzierungen die Wahrnehmung überwiegender Interessen nach § 34 StGB zubilligt, wenn er gegen den Willen des Beschuldigten günstige Tatsachen in den Prozeß einführt,386 bleibt dagegen solange zirkulär, wie ein Vorrang der dialektischen Wahrheitsfindung gegenüber der Autonomie des Beschuldigten nicht begründet, sondern vorausgesetzt wird. 387 Solange bleibt, auch wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheiten, kein Raum für ein Ermessen des Verteidigers zur Offenbarung günstiger Tatsachen je nach Schwere des Schuldvorwurfs. 388 Nur bei überwiegenden rechtlichen Interessen, namentlich wenn die Subjektstellung des Beschuldigten mittelbar durch die Beschränkung des Verteidigers in eigenen Angelegenheiten blockiert würde, ist dieser zur Offenbarung von Verteidigungsinterna gegen den Willen des Beschuldigten berechtigt. 389

Woesner, NJW 1957,692 (694). Zuletzt Henssler, NJW 1994, 1817 (1823) m.w.N. 387 Ähnlich wohl Hanack, Mandatsverhältnis S. 20ff., der aus der Schweige- und Treuepflicht des Verteidiger folgert, dieser dürfe den Willen des Beschuldigten respektieren, sich unschuldig verurteilen zu lassen und dessen Verhandlungsunfähigkeit verschweigen. 388 So zur Handhabung der ärztlichen Schweigepflicht K. Müller, MDR 1971, 965 (970). 389 Der Rechtsanwalt ist nach allgemeiner Ansicht befugt, zur Abwehr von strafoder disziplinarrechtlichen Vorwürfen, aber auch zur Durchsetzung von Gebührenansprüchen Verteidigungsintema zu offenbaren (jetzt auch § 2 III BORA), vgl. nur BGHSt I, 366ff.; BGH MDR 1956, 625; KG 1985, 162; zum Ganzen Sch/Sch/ Lenckner § 203. 30 ff. m. w. N. Das findet für den Verteidiger seine Berechtigung im öffentlichen Interesse an der SubjektsteIlung des Beschuldigten. Die Inanspruchnahme des Verteidigers würde mittelbar beeinträchtigt, wenn dieser selbst rechtlos gesteilt wäre. Anders Sch/Sch/Lenckner § 203, 30, 33 m. w. N., dessen Einzelfallabwägung im Ergebnis allerdings von Unwägbarkeiten wie der Abwehr "unbegründeter Verfolgung" und "unbegründeter Zivilklagen" bestimmt ist. 385

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Diese Zusammenhänge verkennt, wer wie Beulke die Schweigepflicht des Verteidigers auf das Privatinteresse des Beschuldigten und das öffentliche Interesse an prozessualer Autonomie des Beschuldigten auf das Recht der freien Verteidigerwahl reduziert,390 oder wie Dornach die prozessuale Autonomie des Beschuldigten als eine Art Anhängsel zur Wahrheitsfindung begreift, deren Anerkennung in einem inneren Zusammenhang mit der Abwehr des Anklagevorwurfs stehen SOll?91 Das wird auch nicht durch den Hinweis von Beulke aufgefangen, ein Übergehen von Beschuldigteninteressen durch Eigenmächtigkeiten des weisungsunabhängigen Verteidigers sei ohnehin nicht zu befürchten. Ein gutwilliger Beobachter der deutschen Prozeßwirklichkeit werde dem deutschen Verteidiger bescheinigen, daß er sich schulmeisterlicher Bevormundung gegenüber dem Beschuldigten zu enthalten versuche. 392 Schon die Richtigkeit dieser Aussage erscheint zweifelhaft, wenn man sich etwa vor Augen hält, daß in einem bekannten, in erster Linie an junge Anwälte gerichteten Standardleitfaden für Strafverteidiger die durch die Weisungsgebundenheit des Verteidigers entstehende Situation mit einem Dampfer verglichen wird, dessen Kurs der Schiffsjunge, nicht aber der Kapitän festlege. 393 Abzulehnen ist mit ähnlichen Erwägungen die zuletzt von Spendel verfochtene Ansicht, der Verteidiger sei nicht Beistand, sondern wie im zivilprozessualen Anwaltsprozeß weisungsunabhängiger Vertreter des Beschuldigten?94 Die strafprozessuale Herleitung ist schon insoweit nicht schlüssig, als der Verteidiger den Beschuldigten hauptsächlich als Prozeßsubjekt vertreten soll, soweit diesem als Beweismittel die Objektsrolle zufällt. 395 Denn diese Begründung erfaßt nicht die eigentlich problematischen Fälle, in denen der Beschuldigte in seiner Rolle als Prozeßsubjekt Weisungen an den Verteidiger erteilt, nämlich im Zusammenhang mit Beweis- und Befangenheitsanträgen. Vor allem aber vernachlässigt die Anlehnung der Verteidigerstellung an die Vorschriften über den Prozeßbevollmächtigten im Zivilprozeß das öffentliche Interesse an prozessualer Autonomie des Beschuldigten als Eigentümlichkeit des reformierten Strafprozesses. Der unter Parteienherrschaft stehende Zivilprozeß erkennt beispielsweise kein Recht der Parteien auf Passivität an. So ist etwa die Parteivernehmung nach den §§ 445 /, 446 ZPO zwar nicht erzwingbar; die Beweiswürdigung wird aber gegen die Partei ausfallen, die ihre Mitwirkung an der Wahrheitsfindung versagt. 396 Diesen elementaren Unterschied Beulke, Verteidiger S. 86f.; 120ff. Domach, Strafverteidiger als Mitgarant S. BI f. 392 Vgl. Beulke, Verteidiger S. 86. 393 Vgl. EI. Müller, Strafverteidigung im Überblick S. 7. 394 Spendei, JZ 1959, 737ff. Ähnlich schon v. Kries, Strafprozeß S. 231 ff.; v. Hippel, Der deutsche Strafprozeß S. 291 ff. 395 Spendei, JZ 1959,737 (739). 396 Vgl. nur Thomas/Putzo, ZPO § 446, 1 m. w.N. 390 391

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berücksichtigt Spendel nicht, wenn er meint, was im Zivilprozeß nicht gegen eine Vertreterstellung des bevollmächtigen Anwalts spreche, könne schwerlich im Strafprozeß dagegen angeführt werden. 397 Letztlich ist der Widerspruch zwischen der seit RGSt 17, 315 postulierten Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers im Interesse der dialektischen Wahrheitsfindung und dem Fehlen einer prozessual tragfahigen Begründung nur dadurch zu erklären, daß im rechts staatlichen Prozeß ohne Grundrechte des Kaiserreichs naturgemäß der Schutz des Bürgers vor ungerechtfertigten Staatseingriffen gegenüber dem Aktivstatus des Beschuldigten im Vordergrund stand. 398 Die eigenständige Bedeutung der prozessualen Autonomie des Beschuldigten geht eben eng mit einem Grundrechtsverständnis einher, wie es erst durch das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Gang gesetzt worden ist. 399 Die inquisitorisch geprägte Vorstellung eines Vorrangs der Wahrheitsfindung gegenüber anderen autonomen Interessen des Beschuldigten mit der Folge einer insoweit bestehenden Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers hat sich damit als nicht tragfahig erwiesen. Vielmehr fehlt es für eine solche Verengung der Begrifflichkeit effektiver Verteidigung an einer stichhaltige Begründung. d) Subjekts defizit und Weisungs gebundenheit Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Verteidigungskompetenz, deren Qualität nicht nur untrennbar mit der Subjektstellung des Beschuldigten zusammenhängt,400 sondern deren Defizite die Mitwirkung des unbefangenen und rechtskundigen Verteidigers weiterhin ausgleichen soll. Wenn die Mitwirkung des Verteidigers dem Ausgleich von Defiziten in der Subjektstellung des Beschuldigten dient, so setzt die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers überlegene Rechts- und Sachkundigkeit gegenüber dem Beschuldigten voraus. Anderenfalls wäre nicht zu erklären, wieso der Prozeßsubjektsgehilfe nicht an Weisungen des Prozeßsubjekts gebunden sein soll. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Ausformung der Sach- und Rechtskundigkeit des Verteidigers durch die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe im Einzelnen, so tragen sie allerdings nicht das Postulat seiner generellen Weisungsunabhängigkeit. Spendei, JZ 1959, 737. Das kommt sehr deutlich zum Ausdruck bei Vargha, Vertheidigung S. 271 ff., 349ff. 399 Dazu Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 208; Schlothauer, StV1981, 443 (447) m. w. N. Eine ähnliche Situation zeigt sich im Beweisrecht, wenn sogar Grünwald, Beweisrecht S. 152 einräumt, die Verletzung von Anwesenheitsrechten des Beschuldigten außerhalb der Hauptverhandlung bis dahin einseitig unter dem Aspekt der Wahrheitsfindung betrachtet zu haben. 400 BVerfGE 38, 105 (111). 397 398

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Das gilt in erster Linie in Ansehung der Rechtskundigkeit, die beim Verteidiger aufgrund der Zulassungsbeschränkungen des § 138 vorausgesetzt wird. Insoweit ergeben sich erste Probleme schon in Fällen, in denen der Beschuldigte nach diesem prozessualen Wertungsmaßstab selbst gleich oder ähnlich rechtskundig ist. Denn fehlt die überlegene Rechtskundigkeit, so entfallt folgerichtig die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers, was angesichts gewisser Unbestimmtheiten innerhalb des § 138 übrigens durchaus zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen könnte. 401 Aber darauf kommt es letztlich nicht an, weil eine überlegene Rechtskundigkeit des Verteidigers zwar wünschenswert sein mag, in den einschlägigen Wertungsmaßstäben aber nur in Einzelfallen wie etwa in § 345 11 ihren Niederschlag findet. Generelle Schlüsse auf andere Verteidigungsrechte lassen sich daraus aber schon deshalb nicht ziehen, weil das geltende Recht keine durchgehende notwendige Verteidigung kennt, sondern vom Regelfall der fakultativen Verteidigung ausgeht. Folgerichtig hat der (verteidigte oder unverteidigte) Beschuldigte nach einhelliger Auffassung eigenständige Antrags- und Erklärungsrechte, nämlich vor allem ein weisungs unabhängiges Beweisantragsrecht,402 ohne daß diesen Handlungen eine mindere Qualität zugeschrieben würde als denen der rechtskundigen Handlungsträger. 403 So sind Beweisanträge des nicht schuldfahigen oder des geisteskranken Beschuldigten404 genauso nach allgemeinen Maßstäben zu prüfen wie die in Widerspruch zu seinen vorherigen Einlassungen stehenden Anträge. 405 Wenn weiterhin § 56 I 3 BRAO in seiner seit der Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts geltenden Fassung gegenüber Rechtsanwälten einen Hinweis über ihr Recht zur Auskunftsverweigerung in Aufsichts- und Beschwerdesachen vorsieht,406 also beim Rechtsanwalt nicht einmal die aktualisierte Kenntnis elementarer strafprozessualer Rechtsgrundsätze in eigenen Angelegenheiten voraussetzt, so weist das darauf hin, daß eine aus der Stellung als Rechtsanwalt hergeleitete, überlegene Rechtskundigkeit des Verteidigers auch mit standesrechtlichen Vorgaben nicht übereinstimmt. Schließlich wendet die einschlägige Kommentarliteratur einhellig die zur Sicherung der Kenntnis des Schweigerechts durch den Beschuldigten im Strafprozeß entwickelten Kautelen ent401 Vor allem im Zusammenhang mit der Auslegung der "Rechtslehrer an Hochschulen", vgl. nur Kl./Meyer-Goßner § 138, 4. 402 Vgl. nur ANM S. 375 m. w. N. 403 Das hängt wiederum untrennbar mit der Subjektstellung des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß zusammen, näher Vargha, Vertheidigung S. 304ff. 404 ANM S. 475 m. W.N. 405 BGH MDR 1977, 46l. 406 Näher Feuerich, BRAO § 56, 34 ff. Auch bis dahin dahin hatten die strafprozessualen Belehrungspflichten über § 116 11 BRAO mittelbar gegenüber dem Rechtsanwalt in berufsrechtlichen Verfahren gegolten, dazu Feuerich, AnwBI 1992, 61 (64f.).

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sprechend auf den Rechtsanwalt an, bis hin zur Unterscheidung zwischen dem verteidigten und dem unverteidigten Rechtsanwalt. 407 Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund zusätzlich, daß die berufsrechtliche Sonderqualifikation des " Fachanwalts für Strafrecht" (§ 43 c BRAO iVm § 13 FA0408 ) ungeachtet der in der haftungsrechtlichen Judikatur festzustellenden Tendenz zur Entlastung nichtspezialisierter Rechtsanwälte von strafprozessualen Detailkenntnissen in der haftungsrechtlichen Judikatur409 keine strafprozessuale Entsprechung gefunden hat,4\O so erscheint der Rekurs auf die überlegene Rechtskundigkeit des Verteidigers als Anknüpfungspunkt einer generellen Weisungsunabhängigkeit um so zweifelhafter. Selbst wenn man aber nicht so weit gehen will, an der überlegenen Rechtskundigkeit des Verteidigers zu rütteln, begründet das keine Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers. Denn die Beratungsfunktion des Verteidigers und das an ihn gerichtete Konsensgebot stehen mit der Verdeutlichung der rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der vom Beschuldigten verfolgten Verteidigungsstrategie in untrennbarem Zusammenhang. Sie dienen dadurch gezielt dem Ausgleich von qualitativen Defiziten von Prozeßhandlungen des Beschuldigten.411 Schon allein aufgrund der parteilichen Stellung des Verteidigers geht diese Art der Qualitätssicherung über die gerichtlichen Fürsorgepflichten notwendig hinaus, den unverteidigten Beschuldigten über seine Rechte und ihren sachgemäßen Gebrauch zu belehren.412 Wenn im Zusammenhang mit dem Verlust von Verfahrensrügen infolge untätiger Hinnahme von Verfahrensfehlern in der Hauptverhandlung der Bundesgerichtshof den unverteidigten, aber vom Gericht über seine Widerspruchspflicht belehrten Beschuldigten dem verteidigten Beschuldigten gleichstellt,413 so Vgl. Feuerich, BRAO § 56,37; KIeine- Cosack, BRAO § 43, 5. Fachanwaltsordnung (FAO) v. 29.11.1996, näher zum Ganzen Hartung/Holl, FAO, Einf. 409 LG Berlin StV 1991,511 f.; OLG Nümberg StraFo 1997, 186 (190). 410 Dazu Basdorf, StV 1997,488 (489). 411 Das gilt um so mehr, als mit der Ausgestaltung der Hauptverhandlung als Kampf ums Recht (Subjektstellung des Beschuldigten, Mündlichkeitsprinzip, freie richterliche Beweiswürdigung) die Rechtskundigkeit des Verteidigers im breiten Maße nur so viel wert ist wie seine rhetorischen Fähigkeiten. Diese werden durch die Rechskundigkeit allein nicht hergestellt. Der Verteidiger kann ein sehr rechtskundiger Jurist und dabei ein ganz ungewandter Redner sein. Im klassischen Staat, Athen und Rom, hielt man sogar den rhetorischen Kunstverstand für unentbehrlicher als den juristischen, weil letzterer durch entsprechende Konsultation von Sachverständigen ersetzbar sei, zum ganzen Vargha, Vertheidigung S. 306ff. 412 Näher Ploetz, Fürsorgepflicht S. SOff. 413 Vgl. nur BGHSt 38, 214 (225f.) für die Belehrung nach § 136 1 2, 1. Hs. Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung unter B 11 2.Ähnliches gilt im Zusammenhang mit der Belehrungspflicht nach §§ 217, 228 III; 265 III, Meyer-Goßner/ App1, StraFo 1998,258 (261). 407

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spricht das dringend für die Weisungsgebundenheit des Verteidigers auch in diesem Fall. Größere Bedeutung wird zur Begründung der Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers ohnehin der überlegenen Sachkundigkeit des Verteidigers zugemessen, seiner Unbefangenheit gegenüber dem Tatvorwurf und damit der Sicherung von Verteidigerqualität, wie sie schon der Leitentscheidung RG JW 1926, 2756 zugrundegelegen hat. Gerade von dieser sog. Rollendistanz des Verteidigers 414 bleibt aber aus rechtlicher Sicht nicht viel übrig, wenn man sich deren einfachgesetzliche Ausprägung nach geltenden prozessualen Wertungsmaßstäben klarmacht. Ausgeschlossen wegen der eigenen Verstrickung mit der angeklagten Tat ist ein Verteidiger nur in den Fällen des § 138a I Nr. 1, 3, also wenn gegen ihn der Verdacht der Tatbeteiligung oder der persönlichen bzw. sachlichen Begünstigung besteht. Darüber hinaus soll die Selbstbestellung als eigener Verteidiger nicht möglich sein, weil dann die "spürbare Distanz zum Beschuldigten hin", die den Verteidiger auszeichnen soll, nicht gegeben sei.41S Hier beginnt die Argumentation allerdings bereits brüchig zu werden, greift doch selbst das Bundesverfassungsgericht zur Begründung der fehlenden Rollendistanz auch auf die Organstellung des Verteidigers zurück - als ob der angeklagte Rechtsanwalt kein Organ der Rechtspflege wäre. 416 Unabhängig davon spielt es in allen anderen Fällen aus prozeßrechtlicher Sicht wegen der abschließenden Regelung der §§ 138aff. keine Rolle, ob und in welchem Maße der Verteidiger in seiner Person eine Distanz zum Tatvorwurf aufweist. 417 Das gilt für die Verteidigung enger Verwandter genauso wie für politische Gesinnungsgenossen, für den als Be- oder Entlastungszeugen fungierenden Verteidiger genauso wie für denjenigen, der sich einer versuchten Anstiftung zur Falschaussage eines Zeugen vor der Hauptverhandlung verdächtig gemacht hat. 418 Nicht einmal der Entzug von Verteidigerrechten wie die §§ 147, 148, die den Verteidiger zur rollenwidrigen Komplizenschaft verlocken könnten,419 ist dann möglich, weil dann mittelbar die Subjektstellung des Beschuldigten ohne hinreichende Rechtsgrundlage eingeschränkt würde. 42o Dabei handelt es sich nicht etwa um die Folge gesetzesKniemeyer, Vertrauen und Unabhängigkeit S. 123. BVerfGE 53, 207 (214). BVerfG NJW 1998,2205 hat einen Rechtsanwalt, der sich mit Hinweis auf die von ihm begehrte Selbstverteidigung mit der Verfassungsbeschwerde gegen die zwangsweise Bestellung eines Pflichtverteidigers gewendet hatte, sogar mit einer Mißbrauchsgebühr belegt. 416 BVerfGE 53, 207 (214). 417 Vgl. nur KK-Lautbütte § 138 a, 3 m. W.N. 418 BT-Drucks. 7/2526 S. IOf.; BT-Drucks. 7/2989 S. 4f. Näher Ulsenheimer, GA 1975, 103 (115 ff.). 419 Der Vorschlag stammt von Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht S. 151 [Fn.l). 414 415

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technischer Unzulänglichkeit, wie man auf den ersten Blick angesichts dieser Liste von Fallkonstellationen meinen könnte, in denen die persönliche oder sachliche Distanz zur Verteidigerrolle offensichtlich doch fehlen kann. Vielmehr entspricht dieser Rechtszustand dem Willen des Gesetzgebers, die SubjektsteIlung des Beschuldigten einerseits durch die freie Wahl des Verteidigers so weit wie möglich zu respektieren421 und andererseits die Ausschließungstatbestände des § 138 a I auch an den Interessen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege auszurichten. 422 Läßt sich die Weisungs unabhängigkeit des Verteidigers nicht aus dessen überlegener Rechts- und Sachkundigkeit ableiten, so steht das nicht in Widerspruch zu dem allgemein postulierten, allerdings nur bedingt gültigen Grundsatz, das Verschulden des Verteidigers dürfe außerhalb gesetzlich bestimmter Fälle, wie namentlich nach § 344 TI 2,423 dem Beschuldigten nicht zugerechnet werden. 424 Die Nichtzurechnung des Verteidigerverschuldens auf der Grundlage derartiger Kompetenzzuweisungen wäre tatsächlich kaum von einem entsprechenden Handlungsfreiraum des Verteidigers gegenüber dem Beschuldigten zu trennen. In der Tat hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung das Verbot der Zurechnung von Versäumnissen des Verteidigers in der Hauptverhandlung zu Lasten des Beschuldigten auf dessen Rechtsunkundigkeit bestützt. 425 Letztlich kann es aber in diesem Zusammenhang um die überlegene Rechts- und Sachkundigkeit des Verteidigers nicht gehen. Sonst wäre nicht erklärbar, wieso dann das Verschulden des Rechtsanwalts als Nebenklägervertreter oder bei der Abfassung von Klageerzwingungsanträgen nach unumstrittener Ansicht ebenso wie nach § 85, 2 ZPO dem Auftraggeber zugerechnet wird. 426 Tatsächlich erweist sich als eigentliche Begründung der Nichtzurechnung des Verteidigerverschuldens das öffentliche Interesse an der SubjektsteIlung des Ähnlich schon Ulsenheimer, GA 1975, 103 (109). BT-Drucks. 7/2526 S. 11. So räumt etwa Ulsenheimer, GA 1975, 103 (117) die fehlende Unbefangenheit des Verteidigers ein, der zuvor eine belastende Zeugenaussage gemacht hat, sieht aber andererseits die Mitwirkung des Verteidigers u. a. durch die Selbstverantwortung des Beschuldigten gedeckt. 422 BT-Drucks. 7/2526 S. 20f.; BT-Drucks. 7/2989 S. 4f. Zum Ganzen Seelmann; NJW 1979, 1128ff. 423 BVerfGE 63, 45 (70f.). Näher Maatz, NStZ 1992, 513 (518); Feigen, Rechte des Beschuldigten S. 161 ff. 424 Zur Entwicklung Eb. Schmidt, LK 11 § 44, 13 f. Grdl. Entscheidungen RGSt 40, 118 (120 ff) [allerdings noch beschränkt auf den bestellten Verteidiger]; RGSt 70, 186 (191) [Erweiterung auf alle Verteidiger, übrigens ein Urteil aus dem Jahre 1936]; BGHSt 14, 306 (309); weitere Nachweise bei Kl.lMeyer-Goßner § 44, 18; KMR-Paulus § 44, 25. Näher zur beschränkten Reichweite dieses Grundsatzes im Dritten Teil der Untersuchung B II 2 sowie B II 3. 425 BGHSt 24, 280 (282f.). 426 Vgl. nur BGHSt 30, 309 (310); Eb. Schmidt, LK II § 44, 15. 420 421

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Beschuldigten im Strafprozeß. Diese soll nicht in der Weise konterkariert werden, daß die Mitwirkung des Verteidigers, die gerade dem Schutz der Subjektstellung des Beschuldigten dient und der Kontrolle der staatlichen Rechtspflegeorgane entzogen ist, den verteidigten Beschuldigten gegenüber dem unverteidigten Beschuldigten benachteiligt. 427 Entsprechend gilt aus verfassungsrechtlicher Sicht, daß jedenfalls im Sanktionenrecht allein vom Verteidiger verschuldete Fristversäumnisse dem Beschuldigten nach § 44, 1 nicht zugerechnet werden dürfen. 428 Darin schlägt sich wiederum der hohe Wert des Rechts auf rechtliches Gehör nieder, das die Verhandlung der Sache vor dem Richter wenigstens dann gebietet, wenn der Beschuldigte nicht persönlich schuldhaft die Einhaltung von dafür vorgesehenen Fristen versäumt hat. 429 Mag sein, daß der Verteidiger aus prozeßtaktischer Sicht einem Distanzgebot unterliegt, und in den genannten Fällen die Mandatsübernahme im Hinblick auf die Qualitätsdefizite seiner Verteidigung und darüber hinaus unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten im eigenen Interesse ablehnen sollte. Nachdem aber das Bundesverfassungsgericht im Schily-Beschluß die Regelung des Verteidigerausschlusses ausdrücklich dem Prozeßrecht zugewiesen hat,430 und dieses nicht zwischen befangenen und unbefangenen, sondern nur zwischen ausgeschlossenen und nicht ausgeschlossenen Verteidigern unterscheidet, verliert der Hinweis auf die überlegene forensische Wirkung des weisungsunabhängen Verteidigers seine rechtliche Bedeutung. Denn eine solche Wirkung hat genau das Distanzgebot des Verteidigers zur Voraussetzung, das dem geltenden Recht fehlt. Mit der forensischen Wirkung eines Verteidigers, der nicht einmal den Beschuldigten von seinem Verteidigungskonzept überzeugen kann, wird es im übrigen ohnehin nicht weit her sein. Oder liegt dieser Erwägung das Zerrbild eines Beschuldigten zugrunde, der einer vernünftigen Verteidigungsstrategie ohnehin nicht zugänglich ist? Das widerspräche allerdings den Vorstellungen des Gesetzgebers von der Subjektstellung des Beschuldigten.

427 RGSt 70, 186 (191); BGHSt 30, 309 (310); OLG Düsseldorf, NJW 1993,341. Aus der Literatur vgl. nur KMR-Paulus § 44, 25; Lang, Verlust von Verfahrensrügen S. 162f. jeweils m. w. N. 428 BVerfG NJW 1991, 351; NJW 1991, 1167 (1168); BVerfGE NJW 1994, 1854. 429 Ähnlich Hamm, NJW 1993, 289 (295). 430 BVerfGE 34, 293 (307).

C. Versuch einer systematischen Lösung

163

e) Keine Einschränkungen der Weisungsgebundenheit des Verteidigers Vor dem Hintergrund der vorangestellten Überlegungen ist mit Heinicke, Hamm und Stern festzustellen, daß der Verteidiger in den gesetzlich nicht geregelten Fällen, das sind insbesondere das Ablehnungs- und das Beweisantragsrecht, grundsätzlich als weisungsgebundener Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten agiert, soweit er den Beschuldigten im Rahmen seiner Beratungsfunktion und des damit zusammenhängenden Konsensgebots nicht vom Gegenteil überzeugen kann. 431 Die wohlverstandenen Interessen des Beschuldigten finden dort ihre Grenze, wo der Beschuldigte entgegenstehende Interessen postuliert, die sich nicht auf ein günstiges Urteil beziehen. Anders kann es nur in Fällen der Verhandlungsunfähigkeit sein, wenn dem Beschuldigten die Fähigkeit zur Auswahl eines Verteidigers abgesprochen wird. 432 Hamm bringt die Dinge auf den Punkt, wenn er die Tabuisierung des Innnenverhältnisses zum Beschuldigten zur rechtsstaatlichen Grundausstattung der Strafverteidigung rechnet. 433 Angesichts der Eindeutigkeit des Befunds besteht kein Anlaß zu einem Modell der limitierten Weisungsgebundenheit, wie es von Stern entwickelt worden ist. Demzufolge soll nur der Verteidiger des Vertrauens an Weisungen des Beschuldigten gebunden sein, und zwar auch nach einem Statuswechsel vom Wahl- zum Pflichtverteidiger. Dagegen habe der Beschuldigte gegenüber Prozeßhandlungen des aufgedrängten Pflichtverteidigers oder des Wahlverteidigers, der kein Vertrauen mehr genieße, lediglich ein Vetorecht. 434 Diese Unterscheidung, abgeleitet aus einer Verquickung des Vertragsprinzips mit einer strafprozessualen Betrachtung der SubjektsteIlung des Beschuldigten, spaltet nicht nur die einheitlich geregelte Stellung des Verteidigers in praktisch nicht nachvollziehbarer Weise auf, sondern erscheint auch im Ergebnis nicht einsichtig. Denn das Schweigen des Beschuldigten zu Prozeßhandlungen des Verteidigers gilt nach allgemeiner Ansicht als konkludente Zustimmung,43S so daß umgekehrt sein Widerspruch dagegen eben nicht anders denn als Weisung des Beschuldigten an den Verteidiger zu werten ist. Genausowenig besteht Anlaß dazu, wie Heinicke die Weisungsbefugnis des Beschuldigten im Rahmen einer von ihm sog. extensiven OrgansteIlung des Verteidigers 436 an grundrechtlich schützenswerte 431 Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 217ff.; Hamm, NJW 1993,289 (294); AK-Stern Vorb. § 137, 43ff. 432 Näher KK-Laufhütte § 137,4 m. w. N. 433 Hamm, NJW 1993, 289 (295). 434 AK-Stern Vorb. § 137, 50ff. 435 Näher dazu im Dritten Teil der Untersuchung unter BIll sowie B 11 2. 436 Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 466. 11'

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2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

Interessen zu knüpfen, die der Beschuldigte mit seinen Weisungen zu verfolgen hat. Bedarf die prozessuale Autonomie des Beschuldigten keiner rechtsethischen Rechtfertigung, so verschließt sie sich jeglichen Vorrangs der von Heinicke postulierten sog. grundrechtsorientierten Handlungsbezogenheit des Verteidigers. 437 Es sei abschließend nicht verschwiegen, daß die hier vertretene Weisungsgebundenheit des Verteidigers den Motiven des Gesetzgebers von 1877 nicht entspricht. Denn eine Regelung, wonach der Verteidiger keiner Zustimmung des Beschuldigten zu einzelnen Prozeßhandlungen bedürfe, wurde nur wegen deswegen nicht aufgenommen, weil eine solche Regelung zwar üblich, aber unnötig sei.438 Genauso hat der Gesetzgeber im Jahre 1976 zur Stärkung der Verteidigerrechte beim Verzicht auf präsente Beweismittel nach § 245 I 2 ausdrücklich auf dessen weisungsunabhängiges Beweisantragsrecht hingewiesen. 439 Nachdem sich aber diese Vorstellungen als unvereinbar mit der Konzeption der SubjektsteIlung des Beschuldigten nach geltendem Recht erwiesen haben, kann es auf solche Erwägungen, die keinen positiven Niederschlag im Gesetz gefunden haben, nicht ankommen. Ob und inwieweit der Verteidiger Weisungen des Beschuldigten entgegenzunehmen bereit ist, stellt sich nach alledem nur als prozeßtaktische Frage, die der Verteidiger im Rahmen seiner Beratungsfunktion mit dem Beschuldigten zu klären hat. Insoweit werden beide Seiten zu berücksichtigen haben, daß der gewählte Verteidiger das Mandat nach § 627 11 BGB niederlegen kann, wenn sich keine Einigung mit dem Beschuldigten über das gemeinsame Vorgehen erzielen läßt und der Pflichtverteidiger in solchen Fällen vom Vorsitzenden wie ein Wahlverteidiger entpflichtet werden muß. 440

v.

Zusammenfassung Zweiter Teil

- Der inquisitorischen Struktur des reformierten Strafprozesses läuft die parteiliche Mitwirkung des Verteidigers zuwider. Das hat dazu geführt, daß der Verteidiger sich aus Sicht inquisitorischer mit der Ausübung prozessualer Gegenrnacht zugleich in der Nähe des Rechtsrnißbrauchs bewegt. Das gilt in eingeschränkten Maße auch für seine Mitwirkung im Interesse der Wahrheitsfindung und in besonderem Maße für seine Mitwirkung im Interesse eines gerechten Verfahrens. Sieht der Verteidiger sich als Vertreter sozialer Gegenrnacht (Stichwort: Kommunistenprozesse und RAF-Pro437 438 439

440

So aber Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger S. 374f., 466. Hahn, Materialien I S. 966 BT-Drucks. 8/976 S. 52. Dazu näher im Dritten Teil der Untersuchung unter A I 4.

c.

Versuch einer systematischen Lösung

165

zesse), so läuft er darüber hinaus Gefahr, daß seine Mitwirkung im Strafprozeß nicht primär an strafprozessualen, sondern an strafrechtlichen Wertungsmaßstäben gemessen wird. Die bisherige Verteidigerdiskussion stellt sich als Folge dieser Mißbrauchsproblematik dar. - Die auf diesen Befund gestützte Analyse hat zunächst ergeben, daß die Struktur des reformierten Strafprozesses als Kampf ums Recht, jedenfalls im Hinblick auf die Verteidigung in der Hauptverhandlung, der strafprozessualen Mißbrauchsabwehr in einem rechtsstaatlichen Strafprozeß enge Grenzen setzt. Das Streben der Prozeßsubjekte nach einem funktionell günstigen Sachurteil und das damit zusammenhängende Prinzip der Selbstverantwortung reguliert die Mißbrauchsproblematik innerhalb des Prozesses. Die sich daraus ergebende Eigentümlichkeit strafprozessualen Wertungsmaßstäbe sperrt nicht nur die Anwendung der sog. Verteidigerdelikte des materiellen Strafrechts auf Prozeßhandlungen des Verteidigers. Sie binden darüber hinaus den Verteidiger auch für den Fall, daß kein Konsens mit dem Beschuldigten erzielt werden kann, grundsätzlich an dessen Weisungen. Somit markieren die Wertungsmaßstäbe der allgemeinen Strafgesetze den Mißbrauch von Verteidigerrechten bzw. die Grenzen des erlaubten Verteidigerhandelns. - Letztere müßte eigentlich erst recht für die Wertungsmaßstäbe des anwaltlichen Standesrechts gelten. Schließlich kommt das anwaltliche Standesrecht vor allem aus historischer Sicht in erster Linie zur gesetzlichen Konturierung der Mißbrauchsproblematik in Frage. Allerdings legen die standesrechtlichen Wertungsmaßstäbe keine hinreichend klar bestimmte Grenze erlaubten Verteidigerhandelns fest, erst recht nicht in Ansehung der verfassungsrechtlich gebotenen Effektivität der Verteidigung. So hat sich gezeigt, daß die vom Bundesverfassungsgericht in Gang gesetzte Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts den Rückgriff auf bisher angewendete standesrechtliche Mißbrauchsvorbehalte wie etwa Organstellung und Lügeverbot sperrt. Vor dem Hintergrund eines auf den Aktivstatus des Beschuldigten bezogenen modemen Rechtsstaatsverständnisses zeigt sich darin die beschränkte Bedeutung der rechtlichen Doppelstellung des Verteidigers für die Mißbrauchsproblematik, wie sie noch den Vorstellungen des Gesetzgebers der RStPO 1877 zugrundelag. Gerade weil diese Entwicklung in der gerichtlichen Praxis noch zu wenig rezipiert wird, erscheint es um so wichtiger, die schützende Funktion des Standesrechts für den Verteidiger hervorzuheben. - Abschließend ist anzumerken, daß sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch ergibt, daß aus dem Verfassungsrecht selbst keine Folgerungen für die Mißbrauchsproblematik ableitbar sind, soweit das nicht einfachgesetzlich durch prozeßrechtliche oder standesrechtliche Rege-

166

2. Teil: Die Mißbrauchsproblematik

lungen konkretisiert ist. 44 ) Diese Selbstverständlichkeit gilt es allein deshalb zu unterstreichen, weil die bereits im Ersten Teil der Untersuchung angesprochene Wendung von der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege auch im Zusammenhang mit der Mißbrauchsproblematik als lokerkarte zur übergesetzlichen Beschränkung von Verteidigerbefugnissen ins Spiel gebracht worden ist. 442 Ebenso ist die entsprechende Heranziehung des in § 34 StGB niedergelegten Güterabwägungsgedankens443 oder des zivilrechtlichen Schikaneverbots nach den §§ 226ff BGB444 als übergesetzliche Eingriffsgrundlagen in Verteidigerbefugnisse ausgeschlossen. Es ist an dieser Stelle nochmals auf den Charakter des geltenden Strafprozeßrechts als "AusJührungsgesetz zum Grundgesetz" hinzuweisen. In diesem Zusammenhang überzeugt auch der Ansatz von Bottke nicht, der mit Hilfe des rechtsstaatlichen Fairneßgrundsatzes eine Wahrheitspflicht des Verteidigers begründen möchte. 44s Eine Fairneßpflicht zwischen den Prozeßparteien mag bei den Gegebenheiten waffengleich gestalteter Parteidisposition wie im Zivilprozeß seine Berechtigung haben, kann aber im reformierten Strafprozeß der ohnehin nicht waffengleich ausgestalteten ParteisteIlung der Verteidigung nicht entgegengehalten werden.

441 442

443 444

44S

Ähnlich Kempf, StV 1996,507 (10); Fischer, NStZ 1997,212 (215ff.). So etwa von Malmendier, NJW 1997,227 (228). Niemöller, StV 1996, 506 ff. Scheffler, JR 1993, 169 (172f.). Bottke, ZStW 1984, 726 (750ff.).

Dritter Teil

Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers Der Bundesgerichtshof auf dem Weg zum unparteilichen Parteiprozeß Die aktuelle rechtspolitische Entwicklung ist von dem Bestreben geprägt, die Strafrechtspflege auf neuartige gesellschaftliche Bedrohungsphänomene einzustellen, wie sie etwa im Bereich der organisierten Kriminalität oder der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität zu Tage treten. Sachverhalte von bisher nicht gekannter Komplexität, bedingt etwa durch multinational operierende und in komplizierten Unternehmensstrukturen schwer zu ortende Täter oder durch die Entstehung neuartiger Risikolagen in Forschung und Technik, stellen die herkömmlich auf die Feststellung der Berechtigung individueller Schuldvorwürfe ausgerichtete Strafrechtspflege vor bisher nicht gekannte strukturelle Probleme. Im materiellen Strafrecht hat diese Entwicklung zu einer Reduzierung von Strafbarkeitsvoraussetzungen in den Bereichen geführt, die mit dem herkömmlichen strafrechtlichen Rüstzeug nicht mehr erfaßbar zu sein scheinen. 1 Vor diesem Hintergrund steht, verschärft durch weiterhin aus der Praxis reklamierten Unzulänglichkeiten alten Rechts gegenüber neuen Herausforderungen, zunehmend auch die Beibehaltung grundlegender Prinzipien des reformierten Strafprozesses zur Diskussion? In diesem Zusammenhang spielen, neben tief in die Struktur des geltenden Rechts eingreifenden, ohne eine Gesamtreform des geltenden Rechts kaum vorstellbar erscheinenden Vorschlägen 3 wie die Einschränkung des Legalitätsprinzips4 oder die weitere Verlagerung des Verfahrensschwerpunkts auf das Ermittlungsverfahren,5 vor allem die Sicherung der HauptZum ganzen Heine. JZ 1995, 651 ff. m. w.N. Näher Heine. JZ 1995.651 (652f.). 3 Vgl. Weigend. Thesen zum 60. DJT 1994 [Thesen 9ff.]. Zu den mannigfaltigen Problemen einer solchen GesamtprozeBreform RieB. FG-Friebertshäuser S. 103 Cl 06 ff.) m. w. N. mit dem Fazit "Gegenüber dem Gedanken einer in absehbarer Zeit zu realisierenden Gesamtreform erscheint Zurückhaltung angebracht, nicht nur. was die Erreichbarkeit angeht, sondern auch. was die Wünschbarkeit betrifft.", RieB a.a.O. S. 108. 4 Näher RieB. NStZ 1994,410 (412f.); Weigend, ZStW 1994.495 (504); Wolter, Aspekte einer StrafprozeBreform S. 35 f.; 56. S Näher RieB. NStZ 1994.410; Eser, ZStW 1992,368 (372f.). 1

2

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

verhandlung und damit des Strafurteils gegen parteilichen Rechtsmißbrauch eine Rolle. Man denke nur an die auf dem Off 1994 von Gössel eingebrachten Vorschläge, aus Gründen der Verfahrens transparenz alle Beweisanträge bereits im Zwischenverfahren stellen zu lassen,6 sowie die Anforderungen an die Urteilsbegründung im Bereich der freien Beweiswürdigung wieder deutlich herabzusetzen. 7 Es kann angesichts der inquisitorischen Grundhaltung des reformierten Strafprozesses nicht überraschen, daß mit der zunehmend postulierten Krise des Strafprozesses 8 im besonderen Maße die Rolle des Verteidigers in den Mittelpunkt kritischer Betrachtung rückt. Das verleiht der Mißbrauchsproblematik eine bisher nicht gekannte Tragweite. Vor allem Justizjuristen reklamieren unüberhörbar die stärkere Einbindung des Verteidigers in die staatlichen Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege aus inquisitorischer Sicht. 9 Die Überbetonung des antagonistischen Prinzips der Abwehr eines von der Anklage ausgehenden Angriffs, wie sie dem derzeitigen Verständnis der Strafverteidigung innewohne, sei korrekturbedürftig. 10 Die daraus entstehenden Forderungen gehen über Einzelrestriktionen notwendig hinaus, wie sie etwa das Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994 mit der Erleichterung des Selbstleseverfahrens nach § 249 1I sowie der mißglückten Regelung des § 257 a enthält. 11 Gössel spricht sogar von einem "Konjlikt zwischen den Rechten der Verfahrensbeteiligten und dem Gebot einer funktionstüchtigen Stra/rechtspjlege, der durch Abwägung der miteinander kollidierenden Rechte aufzulösen ist. .. 12 Selbst der Beschleunigungsgrundsatz, der als Rechtsanspruch des Beschuldigten zum Schutz vor staatlicher Verfahrensverzögerung in den Art. 6 I 1 EMRK, 14 1II c) IPBPR niedergelegt ist und darüber hinaus in untrennbarem Zusammenhang mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 IV GG steht,13 wird umgekehrt zur Beschneidung von Verteidigungsinteressen herangezogen. 14 6 Gössel, Thesen zum 60. DJT 1994 [These 10]. Anders E. Müller a.a.O. S. 26 [These IV]; Weigend a. a. O. S. 28 [These 10]. Die von Gössel angeregte Präklusion des Beweisantragsrechts ist in der weiteren rechtspolitischen Diskussion nicht mehr verfolgt worden, dazu Niemöller, StV 196,501 (505). 7 Gössel, Thesen zum DJT 1994 S. 19 [These 14]. Anders E. Müller a.a.O. S. 26 [These VIII]. Zum Ganzen Perron, JZ 1994, 823; Reine, JZ 1995, 651 (653) m.w.N. 8 Vgl. nur RieB, NStZ 1994, 41Of.; ders., FG-Friebertshäuser S. 103 (l04f.) jeweils m. w.N. 9 Aus der Vielzahl der Beiträge vgl. nur Kintzi, DRiZ 1994, 324 (327); Maatz, NStZ 1992, 513; Ehrmann, Deutsches Polizeiblatt 1994, 29ff.; Wassermann, NJW 1994, 1106f. m.w.N., ders., NJW 1994, 1708ff.; Kröpil, JR 1997, 315ff. 10 Maatz, NStZ 1992, 513. 11 Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994, BGBL I S. 3186. Zum Ganzen Perron, JZ 1994, 823. 12 Gössel, Thesen zum DJT S. 17 [These 3].

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

169

Die in diesem Punkt zu beobachtende parallele Argumentation zu rechtsstaatlichen Entgleisungen der Siebziger Jahre bei der Beschränkung des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten nach den §§ 231 a J,15 damals geprägt durch das Klima des Hasses in den RAF-Prozessen, vermittelt zugleich einen Eindruck von der Schärfe des derzeit geführten Konflikts. Der Bundesgerichtshof hat auf die Forderungen nach einer Korrektur des strafprozessualen Gesamtgefüges durch die zusätzliche Inpflichtnahme des Verteidigers reagiert und auf richterrechtlichem Weg dessen einseitige Parteistellung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten nach zwei Seiten relativiert: Zum einen weist man dem Verteidiger eine gesteigerte Verantwortung für die Durchführung der Hauptverhandlung zu, indem er für deren Funktionsfähigkeit über seine parteiliche Mitwirkung hinaus in Anspruch genommen wird. Zum anderen werden die staatlichen Rechtspflegeorgane auf Kosten des Verteidigers von der Gewährleistung eines justizförmigen Verfahrens entlastet, soweit es die Rechtsstellung des Beschuldigten betrifft. Die Inpflichtnahme des Verteidigers im Interesse einer funktionsfähigen Hauptverhandlung betrifft neben Restriktionen zu Lasten der Verteidigung im Zusammenhang mit der Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers 16 die bereits im Zweiten Teil der Untersuchung angesprochene Einbindung des Verteidigers als Beweisantragspjleger eines Beschuldigten, der die Obstruktion der Hauptverhandlung durch mißbräuchliches Beweisantragsverhalten betrieben hatte}? Maatz führt als Miturheber der Entscheidung dazu aus: " ... der Bundesgerichtshof hat mit der zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen genommenen Entscheidung die Notwendigkeit der Mitwirkung auch des Verteidigers an einer ordnungsgemäß zu fördernden Hauptverhandlung betont und soweit ersichtlich erstmals - herausgestellt, daß auch den Verteidiger die Pflicht trifft, dafür zu sorgen, daß das Strafverfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird. Ob danach die bislang weithin für selbstverständlich erachtete These Bestand haben kann, daß allein die Gerichte Verantwortung für ein einwandfreies Verfahren tragen und der Verteidiger nicht die Aufgabe einer Verfahrenskontrolle des Gerichts hat, erscheint jedenfalls zweifelhaft. 13 Näher Schmidt-Aßmann, Verfahrensgarantien S. 89 (109); Kloepfer, JZ 1979, 209 (212f.); Stenger, Einfluß der EMRK S. 135ff.; 159ff. 14 Gössel, Thesen zum DJT S. 17 [These 1]; ähnlich Kröpil, JR 1997, 315f. Ablehnend E. Müller Thesen zum DJT S. 25 [These I ]; Weigend a. a. O. S. 27 [These 1]. Dazu auch Neumann, NJW 1991,264 (265). IS Näher BT-Drucks. 7/2989 S. 5 [zu § 231 a]; BGHSt 26, 228 (233). Ansätze zur Umkehrung des Beschleunigungsgebots im wohlverstandenen Interesse des inhaftierten Beschuldigten auch bei BGH NJW 1973, 1985 (1986). 16 BGHSt 39, 310 (314ff.); BGH JR 1996, 124; OLG Köln, StV 1994, 234 (235). 17 BGHSt 38, 111 (114f.). Der Begriff des Beweisantragspflegers stammt von Hamm, NJW 1993,289 (296).

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Näher liegt anzunehmen, daß mit dieser Entscheidung die Aufgabe des Verteidigers, über die Gesetzlichkeit des Verfahrens zu wachen, stärker in den Vordergrund gerückt worden ist ... " 18

Zusätzlich nimmt der Bundesgerichtshof als "Reflex einer gestärkten Verteidigerverantwortung,d9 den Verteidiger in bisher nicht gekanntem Maße für die Einhaltung eines justizförmigen Prozesses anstelle von Strafverfolgungsbehörden und Gericht in die Pflicht, soweit es die Einhaltung von Vorschriften betrifft, die dem Schutz des Beschuldigten dienen. Von richtungsweisender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1992, die sich mit den Folgen der unterbliebenen Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht bei der polizeilichen Vernehmung befaßt. 20 Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung21 hat der Bundesgerichtshof darin die unterlassene Belehrung vor der Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren nach den §§ 136 I 2, 163a IV 2 durch ein umfassendes Beweisverwertungsverbot im Strafurteil sanktioniert. Allerdings hat der Bundesgerichtshof dieses Beweisverwertungsverbot für den Fall der Mitwirkung eines Verteidigers an zwei Einschränkungen geknüpft. Zum einen sollen Fehler der Strafverfolgungsbehörden bei der Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht im Ermittlungsverfahren in der Regel ohne Folgen bleiben, wenn bei der Beschuldigtenvernehmung ein Verteidiger mitgewirkt hat. Zum anderen bleibt als eigentlich entscheidende Einschränkung die fehlerhaft erlangte Beschuldigtenaussage im Strafurteil dann verwertbar, wenn der Verteidiger der Verwertung in der Hauptverhandlung nicht rechtzeitig widerspricht. Diese "neuartige Beschränkung von unselbständigen Beweisverwertungsverboten",22 im Anschluß an Rogall als Widerspruchslösung bezeichnet,23 hat in der Folgezeit eine Bedeutung erlangt, die sie neben der bekannten Rechtskreistheorie24 als zweites richterrechtliches Instrument zur systematischen Beschränkung unselbständiger Beweisverwertungsverbote erscheinen läßt. 25 Basdorf verdeutlicht das dahinter stehende Programm: ..... Jenseits des absolut Unverwertbaren (vgl. nur § 136 a) streitet die im Strafverfahren zentrale Wahrheitsermiulungspflicht regelmäßig für die Verwertbarkeit Maatz, NStZ 1992,513 (517). Ähnlich Fischer, NStZ 1997,212 (214f.). Die Wendung stammt von Maatz, NStZ 1992, 513 (517). 20 BGHSt 38, 214 (22lff.). 21 Zuletzt BGHSt 31, 395. 22 Maul/Eschelbach, StraFo 1996, 66. 23 SK-Rogall, Vor § 133, 178. 24 Grundlegend BGHSt 11, 213ff. Näher Grüner, JuS 1994, 193 (194f). m.w.N. 25 MaullEschelbach, StraFo 1996, 66. Zum Ganzen MaullEschelbach, StraFo 1996, 66ff.; Roxin, JZ 1997, 343 (346f.); Ventzke, StV 1997, 543 (545ff.); Basdorf, StV 1997, 488 (490ff.); Dahs, StraFo 1998, 253ff.; Bemsmann, StraFo 1998, 73ff. 18

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A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsflihigen Hauptverhandlung

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aller vorhandenen Erkenntnisse und Beweismittel. Derjenige, der sich unter Berufung auf Verteidigungsrechte hiergegen wenden will, wird folglich gehalten sein, die für sich in Anspruch genommene Ausnahme geltend zu machen ... ,,26

Der enge Zusammenhang zwischen der Mißbrauchsproblematik und der zusätzlichen Inpflichtnahme des Verteidigers im staatlichen Interesse liegt auf der Hand; bringt die letztgenannte Entwicklung doch genau die inquisitorische Grundhaltung zum Ausdruck, die schon das richterrechtliche Verständnis des Rechtsmißbrauchs durch den Verteidiger bestimmt hat. Die folgenden Überlegungen zur Vereinbarkeit der richterrechtlichen Reform der Verteidigerstellung mit dem geltenden Recht knüpfen folgerichtig an die im Zweiten Teil der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse an.

A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung Betrachtet man die Mitwirkung des Verteidigers unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Hauptverhandlung, so handelt es sich bei seiner Inpflichtnahme im staatlichen Interesse auf den ersten Blick um keine neue Erscheinung. Schon im Jahre 1966 hat sich Dahs im Zusammenhang mit zwei aufsehenerregenden Kostenentscheidungen des LG Göttingen gegen die Instrumentalisierung des Verteidigers als Gehilfe des Gerichts gewendet. 27 Gerade der Vergleich mit bisher in diesem Zusammenhang geführten Diskussionen verdeutlicht allerdings die besondere strukturelle Qualität der jetzt eingeschlagenen Richtung - stellt sich doch bei genauerer Betrachtung nun erstmals nicht nur begrifflich, sondern auch funktionell das Problem der Mitwirkungspflichten des Verteidigers außerhalb seiner parteilichen Stellung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten.

J. Der Vergleich mit bisher diskutierten Mitwirkungspflichten Diskutiert wurden zusätzliche Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Interesse der FunktionsHihigkeit der Hauptverhandlung bisher in drei Fallgruppen: Erstens bei der eben erwähnten Kostenentscheidung zu Lasten des Beschuldigten wegen des verspäteten Vorbringens entlastender Umstände durch den Verteidiger, zweitens bei der Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der Verzögerung des Urteils aufgrund der Vertei26 Basdorf, StV 1997, 488 (491). BGH StV 1996, 360 (361) erwägt in einem obiter dictum sogar eine Widerspruchspflicht des Verteidigers gegen die Verwertung eines unter Verstoß gegen § 136a I gewonnenen Beweismittels, dazu Fezer, StV 1997, 57f.; Basdorf, StV 1997,488 (491). 27 Dahs, AnwBl 1966, 371 ff.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

digungsstrategie und drittens bei der Rekonstruktion von vernichteten Akten, die lediglich beim Verteidiger noch vorhanden sind. Bei der letztgenannten Fallgruppe ist der Verteidiger erst gar nicht in seiner Prozeßrolle betroffen, was in der bisherigen Diskussion über die Rekonstruktionspflicht des Verteidigers allerdings nicht berücksichtigt worden ist. Vielmehr hat nach einem Brand in der Geschäftsstelle einer Staatsanwaltschaft der zuständige Oberstaatsanwalt die These vertreten, der Verteidiger sei durch Überlassung der von ihm gefertigten Kopie zur Rekonstruktion der bei der Staatsanwaltschaft vernichteten Akten verpflichtet. 28 Gegen diese aus der OrgansteIlung des Verteidigers hergeleitete Mitwirkungspflicht hat sich insbesondere Waldowsky mit dem Hinweis gewendet, eine solche Mitwirkungspflicht greife in unzulässiger Weise in die rechtsanwaltliche Schweigepflicht sowie in das Verteidigungsinnenverhältnis ein. 29 Dieser Streit geht, eigentlich verwunderlich angesichts der durchaus anerkannten praktischen Relevanz dieser Problemstellung,30 an der Sache vorbei. Entgegen Rösmann handelt sich nicht um ein standesrechtliches Problem, und schon gar nicht um eines, das mit der dafür zu unbestimmten OrgansteIlung des Verteidigers zu lösen wäre. Und entgegen Waldowsky steht der Rekonstruktionspflicht des Verteidigers seine prozessualen Stellung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten nicht entgegen, wenn auch die maßgeblichen Wertungsmaßstäbe strafprozessualer Natur sind. Vielmehr trifft die Editionspflicht nach §§ 94 /, II; 95 / den Verteidiger grundsätzlich wie jeden anderen, der Gegenstände in Gewahrsam hat, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein könnten. Anderenfalls würde § 97 / Nr. / keinen Sinn machen, der den nach § 53 I Nr. 2 zeugnisverweigerungsberechtigten Verteidiger im Hinblick auf den Schutz des Verteidigungsinnenverhältnisses von der Beschlagnahme ausnimmt. 31 Das heißt für den Verteidiger, daß er die von der Staatsanwaltschaft bzw. vom Gericht überlassenen Akten, die unzweifelhaft unter § 94 I fallen, herauszugeben hat. Es kann nicht sein, daß sich der Verteidiger gegenüber den staatlichen Stellen, von denen er die Akten erhalten hat, und nur auf solche Akten kann sich die Rekonstruktionspflicht beziehen, auf die Beschlagnahmefreiheit nach § 97 I Nr. 3 berufen darf. Anders sind solche Fälle nur dann zu beurteilen, wenn in der Akte Verteidigungsinterna dokumentiert sind und eine Wiederherstellung der ursprünglichen Aktenbeschaffenheit, angesichts moderner technischer Möglichkeiten eher ein Ausnahmefall, nicht möglich ist. 32 Rösmann, NStZ 1983, 446ff. Waldowsky, NStZ 1984, 448ff. Ähnlich schon im Jahre 1965 der Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, dazu Waldowsky, a. a. O. 448 f. 30 Dazu Rösmann, NStZ 1983,446; Waldowksy, NStZ 1983,448. 31 Vgl. nur KK-Nack § 97, 1. 28

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A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfahigen Hauptverhandlung

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Bei den beiden erstgenannten Fallgruppen liegen die Dinge auf den ersten Blick nicht ganz so eindeutig, weil der Verteidiger in seiner Prozeßrolle betroffen ist. Aber auch dort handelt es sich in Wirklichkeit nicht um Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Interesse einer funktionsfahigen Hauptverhandlung. Zum einen geht es um die Frage, ob der Beschuldigte seine notwendigen Auslagen (mit anderen Worten die erstattungsfähigen Kosten seiner Verteidigung) ersetzt bekommt, wenn der Verteidiger entlastende Umstände (Stichwort: Vorlage von Beweismitteln) nicht schon im Ermittlungsverfahren, sondern erst in der Hauptverhandlung vorbringt. 33 Dazu hat Dahs die Ansicht vertreten, es laufe der Funktion einer freien Verteidigung zuwider, wenn der Staat mit dem Druckmittel der Kostenentscheidung mittelbar die Verteidigungstaktik bestimmten könne. Der Verteidiger sei nicht der Gehilfe des Gerichts, dagegen aber einseitig den Interessen des Beschuldigten verpflichtee 4 Auch Beulke hat darauf hingewiesen, prozessuale Rechte dürften nicht auf dem Weg über das Kostenrecht unterlaufen werden. 35 Das verdient Zustimmung im Hinblick auf den damit angestrebten Schutz des Verteidigungsinnenverhältnisses vor mittelbarem staatlichen Zugriff. Andererseits unterliegt das Kostenrecht Kritierien, die den Rückschluß von der Kostenentscheidung auf die Mitwirkungspflichten des Verteidigers nicht ohne weiteres zulassen. 36 Denn die Kostentragungspflicht hat der Gesetzgeber in den §§ 464 ff., aus verfassungsrechtlicher Sicht zwar nicht unumstritten, aber immerhin vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet, nach dem Veranlasserprinzip geregelt. 37 Darauf beruht § 467 1lI 2 Nr. J, wonach das Gericht dem Beschuldigten den Ersatz von notwendigen Auslagen versagen kann, der die Erhebung der öffentlichen Klage selbst durch das Verschweigen entlastender Umstände, wahrheitswidrige Selbstbelastung oder ähnliches Verteidigungsverhalten veranlaßt hat. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang zusätzlich, daß die Anwendung der Vorschrift streng auf das Ermittlungsverfahren zu beschrän32 So Kempf, Rechtsanwalt als Strafverteidiger S. 36 f. unter allerdings unzutreffender Bezugnahme auf OLG Frankfurt/Main StV 1982, 64. Angesprochen wird dort die Beschlagnahmefreiheit von Aktenteilen, die nicht von staatlichen Stellen überlassen worden sind. 33 Aufsehen haben in diesem Zusammenhang die beiden bereits angesprochenen Beschlüsse des LG Göttingen aus dem Jahre 1966 erregt, in denen dem verteidigten Beschuldigten, in einem Fall wegen des versäumten Hinweises auf die Verjährung, in einem anderen Fall wegen der verspäteten Benennung eines Entlastungszeugen, die Erstattung seiner notwendigen Auslagen versagt worden war, näher Beulke, Verteidiger S. 204 ff. 34 Dahs, AnwBI 1966, 371 ff. 3S Beulke, Verteidiger S. 204 ff. 36 Ähnlich Hanack, Mandatsverhältnis S. 29. 37 BVerfGE 18, 302 (304). Kritisch mit Hinweis auf die Rehabilitationsinteressen des Beschuldigten Roxin, Strafverfahrensrecht S. 437 m. w.N.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

ken ist,38 so erscheint es ohnehin etwas hochgehängt, von Mitwirkungspflichten des Verteidigers zu sprechen. Vollends deutlich wird der fehlende Zusammenhang zwischen den Kostenregeln und den Mitwirkungspflichten des Verteidigers, wenn Dahs die Versagung der notwendigen Auslagen des Beschuldigten als unzulässige Zurechnung von Verteidigerverschulden bezeichnet. 39 Die Kostenentscheidung muß im Verhältnis zwischen der Staatskasse und dem Beschuldigten ergehen, weil der Prozeß im Verhältnis zwischen dem Staat und dem Beschuldigten stattfindet. Die Vorschrift des § 145 IV, die eine Kostenregelung zu Lasten des Verteidigers für den Fall enthält, daß dieser schuldhaft eine Aussetzung der Hauptverhandlung aus den Gründen des § 145 I 1 verursacht hat, stellt in diesem Zusammenhang eine den Besonderheiten der notwendigen Verteidigung Rechnung tragende Ausnahmeregelung dar. 4o Der Verteidiger als Prozeßsubjektsgehilfe steht abgesehen von diesem Sonderfall, ausgehend vom Veranlasserprinzip, aus kostenrechtlicher Sicht im Lager des Beschuldigten. Das gilt um so mehr, als seine Mitwirkung einseitig den Interessen des Beschuldigten dient und die Gestaltung der Verteidigung staatlichem Zugriff entzogen sein soll. Von der Umgehung prozessualer Wertungsmaßstäbe oder gar der Einführung von Mitwirkungspflichten durch die Hintertür kann daher nicht die Rede sein. Um eine innerprozessuale Problematik geht es dagegen in dem bekannten PLO-Verfahren, in dessen Rahmen ebenfalls Mitwirkungspflichten des Verteidigers zur Diskussion standen. Das Berliner Kammergericht wertete die Weigerung des an der Mitwirkung vorübergehend verhinderten Pflichtverteidigers, den ersatzweise bestellten Pflichtverteidiger über den Ablauf der bisherigen Hauptverhandlung zu unterrichten, als wichtigen Grund zur Aufrechterhaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft. Der Verteidiger habe seine sittlichen, standesrechtlichen und prozeßrechtlichen Mitwirkungspflichten verletzt. Das müsse sich der Beschuldigte zurechnen lassen. 41 Dem hat Beulke entgegenhalten, der Verteidiger habe wegen seiner Schweigepflicht keine Informationspflichten gegenüber einem Pflichtverteidiger, der wie im vorliegenden Fall dem Beschuldigten gegen dessen Willen aufoktroyiert Vgl. dazu BVerfG NStE Nr. 4 zu § 467. Dahs, AnwBI 1966,371 (373). 40 Anwendbar ist § 145 IV also gegenüber dem ausgebliebenen, sich unzeitig entfernenden oder die Verteidigung nicht führenden Verteidiger. Näher BGH StV 1981, 133 (134f.); KK-Laufhütte § 145, 11 f. m. w.N. Die Ausnahmeentscheidung OLG Hamburg AnwBI 1982, 161, in der dem Verteidiger die Kosten des Verfahrens nach § 145 IV auferlegt wurden, weil die Wahrnehmung von Verteidigerrechten die Aussetzung der Hauptverhandlung nach sich zog, hat demgegenüber allseitige Kritik erfahren, vgl. nur Chemnitz, AnwBI 1982, 162f.; Kl.IMeyer-Goßner § 145, 18 m. w. N.; KK-Laufhütte a. a. O. 41 Näher KG JR 1981, 86f. 38

39

A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung

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worden sei. 42 Auch in diesem Zusammenhang kommt es auf Überlegungen zu Umfang und Grenzen der Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Interesse der Funktionsfähigkeit der Hauptverhandlung genauso wenig an wie auf den Umstand, ob die Entscheidung eine unzulässige Zurechnung von Verteidigerverschulden beinhaltet. Den Gegenstand der Problematik bildet vielmehr das Institut der Untersuchungshaft. Diese steht im Zielkonflikt zwischen elementaren Grundrechten des Beschuldigten, die vom Vollzug der Untersuchungshaft betroffen sind, und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege im Hinblick auf Verfahrenssicherung und Urteilsvollstreckung.43 Diese Gegebenheiten prägen die zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft auf sechs Monate und die Ausnahmen davon gemäß § 121 I. Ein wichtiger Grund zur Fortdauer des Vollzugs der Untersuchungshaft liegt dementsprechend nur dann vor, wenn wesentliche Prozeßverzögerungen vom Beschuldigten und nicht vom Gericht zu vertreten sind. 44 Die Gestaltung der Verteidigung fällt dabei unzweifelhaft in die Eigenverantwortung des Beschuldigten als autonomes Prozeßsubjekt. Man denke nur an das Recht zur freien Verteidigerwahl bzw. im Fall des Pflichtverteidigers an das Vorschlagsrecht des Beschuldigten sowie das den Verteidiger treffende Konsensgebot bei der strategischen Gestaltung der Verteidigung. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht den Verteidiger nicht an Weisungen des Beschuldigten binden wollte, würde wohl niemand auf die Idee kommen, dem Verteidiger gegen den Willen des Beschuldigten ein Recht auf Vorenthaltung von Informationen an seinen Nachfolger zuzubilligen. Nach alledem liegt der Entscheidung im Ergebnis der grundsätzlich richtige Gedanke zugrunde, wenn das Kammergericht Berlin ausführt, die Verzögerung des Verfahrens beruhe nicht auf Umständen, denen das Gericht auf geeignete Weise hätte entgegenwirken können. 45 Vor dem Hintergrund dieser bisher geführten Diskussionen über die Mitwirkungspflichten des Verteidigers wird die Tragweite der jetzt richterrechtlich eingeleiteten Inpflichtnahme des Verteidigers deutlich. Im gleichen Maße, wie der Verteidiger anstelle des Gerichts in die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der Hauptverhandlung rückt, wird das Gericht von der Verantwortung für das Strafurteil entlastet. Vergegenwärtigt man sich nochmals die zentrale Bedeutung des Urteils als Dreh- und Angelpunkt der prozessualen Wertungsmaßstäbe, so handelt es sich um Mitwirkungspflichten im prozessualen Sinn. Dieser Zusammenhang erschließt sich erst durch einen Blick auf die Rechtsmittelebene. Denn in der Revisionsinstanz wird dem Beschuldigten die Berufung auf Rechtsverstöße untersagt, die nicht in 42 43 44

4S

Beulke, JR 1982, 45 ff. Näher SK-Paeffgen Vor § 112,5, 9ff. Dazu BVerfG StV 1999, 162f. Eingehend SK- Paeffgen § 121, 14ff. KG JR 1981, 86 (87). Zustimmmend SK-Paeffgen § 121, 15.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

die Verantwortung des Gerichts fallen. 46 In diesem Rügeverlust schlägt sich die zusätzliche Inpflichtnahme des Verteidigers gegenüber dem Gericht nieder. So etwa, wenn der Verteidiger vom Beschuldigten angetragene Beweisanträge aus eigener Entscheidung nicht stellt oder als Pflichtverteidiger wider Willen aufgrund des gestörten Vertrauensverhältnisses mit dem Beschuldigten seine Verteidigerrechte nur in reduziertem Maße nutzt. Diese Prüfung, die an sich dem unparteilichen Gericht zugeordnet ist, bedeutet zugleich ein Stück weit die Aufgabe der parteilichen Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten. Die Beweisantragspflegschaft durch den Verteidiger hat also ebenso wie die Anbindung des Pflichtverteidigers wider Willen an die Interessen einer funktionsfähigen Hauptverhandlung eine Verschiebung des Gesamtgefüges zwischen den Prozeßsubjekten zur Folge. Die folgenden Ausführungen haben folgerichtig die Vereinbarkeit eines tief in die Struktur des reformierten Strafprozesses hineinreichenden Eingriffs mit geltendem Recht zum Gegenstand.

11. Der Verteidiger als Beweisantragspfleger des Beschuldigten Die in BGHSt 38, 111 ff. de lege lata angebotene Lösung der Bekämpfung mißbräuchlichen Antragsverhaltens des Beschuldigten muß als eine der spektakulärsten strafprozessualen Entscheidungen der letzten Jahre bezeichnet werden. Schon der zugrundeliegende Sachverhalt erscheint wie eine Karikatur der Mißbrauchsproblematik. Das exzessive Beweisantragsverhalten des Beschuldigten, wie es schon im Zweiten Teil der Untersuchung wiedergegeben worden ist,47 hatte zu der tatrichterlichen Feststellung geführt, der Angeklagte habe sein Antragsrecht gröblich mißbraucht, um das Verfahren zur Verhinderung eines ihm nicht genehmen Abschlusses durch Urteil zu verzögern, das Gericht zu ermüden und letztlich zu einer bindenden Zusage für eine von ihm als akzeptabel angesehene Strafe zu bewegen. Es bestehe kein Zweifel daran, daß der Beschuldigte auch in Zukunft zur Erreichung seiner Ziele sein Antragsrecht in der dargelegten Form weiter mißbrauchen werde; zahllose weitere Beweisanträge seien angekündigt. 48 Das Tatgericht hatte daraufhin dem Angeklagten sein Beweisantragsrecht wegen fortwährenden Antragsmißbrauchs entzogen und es dem Verteidiger zur Ausübung übertragen. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs, die zur Ablehnung der Verfahrensbeschwerde des Beschuldigten führten, glei46 47

48

Ähnlich Maatz, NStZ 1992, 513. Zweiter Teil 3 a bb [Fn. 165]. BGHSt 38, 111 (112).

A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung

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chen einem Quantensprung im Vergleich zu der bisherigen Rechtsprechung zum Beweisantragsrecht. Noch im Jahre 1986 hatte der Bundesgerichtshof in einem obiter dictum gerade einmal vorsichtig eingeräumt: " ... es mag Fallkonstellationen geben, in denen sich die Stellung eines Beweisantrages als grober Mißbrauch einer verfahrensrechtlichen Befugnis darstellt mit der Folge, daß der Beweisantrag - jenseits der gesetzlich geregelten Ablehnungsgründe - als unzulässig zurückgewiesen werden kann. ,,49

An der tatrichterlichen Pflicht zur Entgegennahme und Bescheidung eines jeden Beweisantrags änderte das allerdings noch nichts. 50 Davon löst man sich jetzt nachdrücklich. Nicht nur, daß der Bundesgerichtshof in einer allerdings vereinzelt gebliebenen Entscheidung die Beanstandung nach § 238 II als Voraussetzung einer späteren Revisionsrüge für den Fall gefordert hat, daß der Vorsitzende einen Beweisantrag nicht entgegennimmt. 51 Mit der zugrundegelegten Entscheidung wird dem Beschuldigten das Beweisantragsrecht in Exzeßfällen ganz genommen. Die Entziehung des Beweisantragsrechts des Beschuldigten ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des Mißbrauchsverbots prozessualer Befugnisse. Die Maßnahme sei als mildestes Mittel der Mißbrauchsabwehr im Strafprozeß auch ohne rechtliche Grundlage zulässig, weil der Angeklagte seine Beweisanträge in Zukunft noch über seinen Verteidiger stellen könne. Die Anträge des Angeklagten würden lediglich im Hinblick auf ihre Sachdienlichkeit einer Vorprüfung durch den Verteidiger unterzogen. 52 Zu dieser Beweisantragspflegschaft des Verteidigers führt der Bundesgerichtshof aus: " ... Der Auftrag der Verteidigung liegt nicht ausschließlich im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege. Der Verteidiger, von dem das Gesetz besondere Sachkunde verlangt (§§ 138, 139, 142 11 StPO, § 392 AO) ist Beistand, nicht der Vertreter des Beschuldigten, an dessen Weisungen er nicht gebunden ist ... Die Strafprozeßordnung geht deshalb folgerichtig davon aus, daß es in gewissen Fällen sachdienlich sein kann, Rechte des Beschuldigten nur über den Verteidiger ausüben zu lassen. So wird beispielsweise lediglich dem Verteidiger, nicht dem Beschuldigten selbst, das Akteneinsichtsrecht gewährt (§ 147); ein Kreuzverhör (§ 239) darf nur vom Verteidiger (und vom Staatsanwalt), nicht vom Angeklagten durchgeführt werden; der Angeklagte darf seinen Mitangeklagten nicht unmittelbar befragen (§ 240 11); 49 BGH NStZ 1986, 371. Das Landgericht hatte moniert, der Beweisantrag sei zu spät gestellt worden und stehe damit in Widerspruch zu dem vorangegangenen Verhalten der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung. Die Verfahrensbeschwerde der Staatsanwaltschaft, deren Beweisantrag ohne inhaltliche Prüfung als rechtsmißbräuchlich zurückgewiesen worden war, hatte Erfolg. Ähnlich BGH NStZ 1990, 350. so Metzger, Ablehnung von Beweisanträgen S. 95 (99) [" ... Was bleibt uns also auch nach dem Urteil des BGH? Die gekonnte Anwendung des § 244 III ... "]. SI BGH NStZ 1992, 346. Näher zum Ganzen unter 2 a cc. S2 Vgl. BGHSt 38, 111 (113 ff.). 12 Grit..r

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Revisionsanträge und ihre Begründung können nur in einer von dem Verteidiger (oder - praktisch weniger bedeutsam - von einem Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) unterzeichneten Schrift abgegeben werden (§ 345 11); schließlich darf ein Rechtsanwalt als Beschuldigter nicht sein eigener Verteidiger sein ... Aus alledem folgt, daß ein Verteidiger den Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht nach Belieben "schalten und walten" lassen darf, sondern daß ihn die Pflicht trifft, mit dafür Sorge zu tragen, daß das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird. Daß er dabei inhaltlich einseitig die Interessen des Angeklagten zu beachten hat, steht dabei mit der Notwendigkeit der Mitwirkung an einer ordnungsgemäß zu fördernden Hauptverhandlung, in der auch der Abschluß des Verfahrens in einer angemessenen Zeit nicht in Frage gestellt werden darf, nicht in Widerspruch. ,,53

1. Beweisantragspjlegschajt als Richterrechtspolitik

Aus rechtspolitischer Sicht handelt es sich ohne Frage um eine Entscheidung, die dem Gesetzgeber erst einmal Luft verschafft. Ohnehin ist im Zweiten Teil der Untersuchung deutlich geworden, daß einschneidende gesetzliche Eingriffe in die Systematik der Ablehnungsgründe nach § 244 III nicht zu erwarten sind. Vor diesem Hintergrund wird den Tatgerichten durch diese Konstruktion endlich das nachdrücklich eingeforderte Abwehrmittel zur Bekämpfung von Antragsmißbrauch in Exzeßfallen an die Hand gegeben. Die Verteidiger werden dadurch beruhigt, daß das wohlverstandene Interesse des Beschuldigten in solchen Exzeßfallen in ihre Hände, und nicht in die des Staates gelegt wird. Im übrigen entspricht die Lösung des Bundesgerichtshofs im Ergebnis der überwiegend vertretenen Ansicht, auch nach geltendem Recht müsse die Entziehung von Antragsrechten in Extremfallen irgendwie möglich sein. 54 Symptomatisch erscheint in diesem Zusammenhang die Stellungnahme von Niemöller, den die Entscheidung im Ergebnis überzeugt, obwohl er auf der anderen Seite einräumt, die Entziehung von Antragsrechten bedürfe einer Eingriffsnorm, die das allgemeine Rechtsmißbrauchsverbot nicht zur Verfügung stelle. 55 Das führt hin zur eigentlichen Problematik der Beweisantragspflegschaft des Verteidigers. Zwar versucht der Bundesgerichtshof gerade durch die Einschaltung des Verteidigers den Eindruck zu erwecken, es handele sich in BGHSt 38, 111 (114 f.). Dazu schon im Zusammenhang mit der Mißbrauchsproblematik der Siebziger Jahre Weber, GA 1975, 289ff.; Rüping/Dornseifer, JZ 1977, 417 (418). Genauso jetzt Herdegen § 244, 68.; Niemöller, StV 1996, 201 (206); Scheffler, JR 1993, 170; Beulke, Strafprozeßrecht S. 64; Maatz, NStZ 1993, 513; Widmaier, NStZ 1993, 519; Hamm, NJW 1993, 289 (296). Genauso wie hier Kempf, StV 1996, 507 (509); Fischer, NStZ 1997, 212 (216), der für das Tatgericht nur die Möglichkeit der Ablehnung jedes mißbräuchlichen Antrags als unzulässig sieht. 55 Niemöller, StV 1996,501 (506). 53

54

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Wirklichkeit gar nicht um eine Rechtsentziehung ohne gesetzliche Grundlage. Der Beschuldigte könne noch über seinen Verteidiger seine Anträge stellen. 56 Das ändert aber nichts daran, daß dem Angeklagten das Beweisantragsrecht jedenfalls entzogen wird, soweit es die vom Verteidiger nicht gestellten Beweisanträge betrifft. Diese partielle Entziehung des Beweisantragsrechts als zentrales Instrument der Verteidigung bedarf einer hinreichend bestimmten Eingriffsnorm. 57 2. Unzulässigkeit der Beweisantragspflegschaft nach geltendem Recht

In diesem Zusammenhang braucht es angesichts der im Zweiten Teil der Untersuchung erlangten Ergebnisse zunächst keine nähere Erläuterung, daß die standesrechtlichen Wertungsmaßstäbe die Beweisantragspflegschaft des Verteidigers nicht tragen. Die Verknüpfung des anwaltlichen Standesrechts mit einer derartigen Inpflichtnahme des Verteidigers erscheint zwar auf den ersten Blick nicht ganz femliegend, stößt man doch in der älteren obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur verschiedentlich auf die Erwägung, bei Beweisanträgen des Verteidigers spreche eine Vermutung gegen die damit verfolgte Verschleppungsabsicht. Dessen standesrechtlichen Bindungen und das Berufsethos des Rechtsanwalts stünden dem Schluß auf den Mißbrauch von Prozeßrechten in der Regel entgegen. 58 Abgesehen davon, daß diese Ansicht inzwischen als aufgegeben betrachtet werden darf,59 ergibt ein derartiger Rückgriff auf das anwaltliehe Standesrecht aber jedenfalls keine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage zur Beschneidung elementarer Verfahrensrechte des Beschuldigten. Es stellt sich damit die Frage, ob die prozessualen Wertungsmaßstäbe weiterführen. Schon die Geeignetheit der Beweisantragspflegschaft des Verteidigers zur Sicherung einer funktionsfähigen Hauptverhandlung, die Niemöller in einem Satz abtut,60 erscheint in diesem Zusammenhang problematisch. Denn die Beweisantragsflut durch den Beschuldigten in Exzeßfällen und der damit verbundene Aufwand wird nur verlagert, aber nicht verhinVgl. BGHSt 38, 111 (115). Dazu Niemöller, StV 1996,501 (506); Scheffler, JR 1993, 170 (172). 58 OLG Düsseldorf NJW 1949, 917; OLG Köln NJW 1953, 1726; KG NJW 1954, 770; BayObLG JR 1954, 68; OLG Köln VRS 24, 217 (218); Eb. Schmidt, LK II § 244 Vorb. 30f.; KMR-Müller (3. Aufl. 1954) § 244 Nr. 16; Kleinknecht, StPO (31. Aufl. 1974) § 244 Rn. 15; LR-Gollwitzer (22. Aufl. 1973) § 244 Nr. 5 b. 59 Vgl. BGH NJW 1964, 2118; BGH JR 1983, 35 (36) mit zust. Anm. K. H. Meyer JR 1983, 36 (37); KI./Meyer-Goßner, StPO § 244 Rn. 69; Hanack, JZ 1972, 114 (116); KK-Herdegen § 244 Rn. 88 f.; LR-Gollwitzer § 244 Rn. 15; anders aber immer noch KMR-Paulus § 244 Rn. 431. 60 Niemöller, StV 1996, 501 (506). 56 57

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

dert. Nimmt der Verteidiger seine Vorprüfungspflicht ernst, und darauf basiert die Konstruktion des Bundesgerichtshofs, so muß mit einer Flut von Unterbrechungs- oder gar Aussetzungsanträgen nach den §§ 228 ff. gerechnet werden, die das Gericht nicht ablehnen kann. Denn dem Verteidiger muß natürlich im Hinblick auf die rechtsstaatliehe Glaubwürdigkeit des Verfahrens die Vorprüfung VOn Beweisanträgen auch tatsächlich ermöglicht werden, ganz zu schweigen von der Berücksichtigung seiner haftungsrechtlichen Risiken. Schon allein wegen des letztgenannten Gesichtspunkts ist in solchen Fällen auch mit Mandatsniederlegungen und mit Widerständen von Rechtsanwälten gegen die Bestellung zum Pflichtverteidiger zu rechnen. 61 Abgesehen von solchen Problemstellungen, deren Ignorierung mehr als Worte über die Zielrichtung der Beweisantragspflegschaft aussagt, erscheint aber auch die konstruktive Begründung des Bundesgerichtshofs unschlüssig. Denn er legt nicht mehr dar als die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers vom Beschuldigten bei der Ausübung eigener Rechte, indem er auf gesetzliche Rechte verweist, die in anderem Zusammenhang nur dem Verteidiger, nicht jedoch auch dem Angeklagten zustehen. Selbst wenn man aber auf dieser Grundlage - entgegen dem im Zweiten Teil der Untersuchung erlangten Ergebnis - von einem weisungsunabhängigen Beweisantragsrecht des Verteidigers ausginge, ließe sich damit aber immer noch nicht die Entziehung von Rechten des Beschuldigten rechtfertigen. 62 Gerade dessen eigenes Beweisantragsrecht gewährleistet ihm wie kein anderes das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf rechtliches Gehör, indem es zum einen dessen Autonomie als Eigenwert eines rechtsstaatlichen Verfahrens und zum anderen das Prinzip der dialektischen Wahrheitsfindung in sich trägt. 63 Folgerichtig hat die Rechtsprechung überhaupt nur vor dem Hintergrund eines eigenen Beweisantragsrechts des Beschuldigten die Weisungsunabhängigkeit des Verteidigers als zusätzliches Instrument der Verteidigung in der Hauptverhandlung anerkannt. 64 Das entspricht der prozessualen Stellung des Verteidigers, der als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten, nicht aber als dessen Prozeßgegner fungiert. Die Beweisantragpflegschaft des Verteidigers verkehrt diese Gegebenheiten nUn konstruktiv in ihr Gegenteil. So müßte das Gericht im leicht abgewandelten Fall als Konsequenz der vom Bundesgerichtshof angebotenen Lösung dem unverteidigten 61 Nach § 49 Il iVm 3 48 II BRAO kann der Verteidiger aus wichtigem Grund, wie beispielsweise wegen übermäßiger Belastung aufgrund der außergewöhnlichen Umstände der Sache, die Aufhebung der Beiordnung beantragen, dazu LR-Lüderssen § 142, 30ff. Zum Ganzen unter c aa. 62 Dazu auch Hamm, NJW 1993,289 (294). 63 Näher BVerfGE 50, 32 (35f.). Zum Ganzen Perron, ZStW 1996, 129ff. m.w.N. Genauso im Zivilprozeßrecht Spendet, JZ 1959,737 (738, 741). 64 Grundlegend RGSt 17,315, aus der neueren Judikatur BGH NStZ 1990,447.

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Beschuldigten einen Verteidiger bestellen lassen, nur um auf diesem Weg die Entziehung seines Beweisantragsrechts legitimieren zu können. In diesem Zusammenhang zeigt sich übrigens auch in voller Schärfe, wohin die Vorstellung einer Prozeßförderungspflicht des Verteidigers in der Form führt, die §§ 138a I Nr. 3; 258 I StGB sähen dessen Ausschließung im Fall der Übernahme von Verschleppungsanträgen des Beschuldigten vor. 65 Die Vorschriften über die Ausschließung des Verteidigers, die in erster Linie dem Schutz des Beschuldigten vor unzureichender Verteidigung dienen, würden dann die Verpflichtung des Verteidigers begründen, an der Umgehung der SubjektsteIlung des Beschuldigten mitzuwirken. Das widerspricht aber der Stellung des Verteidigers als dessen Prozeßsubjektsgehilfe. Deshalb ist die Entscheidung nicht haltbar. Weder löst die Beweisantragspflegschaft des Verteidigers das Problem exzessiven Antragsverhaltens des Beschuldigten, noch sieht die Konzeption des geltenden Rechts eine Instrumentalisierung des' Verteidigers zu Lasten des Beschuldigten vor. 66 Die Lösung für solche Exzeßfälle liegt nicht im prozeßrechtlichen, sondern im prozeßpsychologischen Bereich. 67 Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die Beweisantragspflegschaft des Verteidigers als Paradebeispiel für die Unwägbarkeiten von Richterrechtspolitik und damit zugleich als unfreiwilliges Plädoyer für den von Eb. Schmidt so eindringlich angemahnten Wert der schützenden Formen im Strafprozeßrecht erscheint. 68 Die einheitliche Betrachtung der Beweisantragsrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers hat nämlich ursprünglich einen verteidigerfreundlichen Ausgangspunkt. Sie beruht auf dem Gedanken, bei der Prüfung der Verschleppungsabsicht sei selbst dann noch auf die Beweggründe des Verteidigers abzuheben, wenn dieser im Namen des Beschuldigten einen Beweisantrag stelle. Die Mißbrauchs- bzw. Verschleppungsabsicht des Angeklagten reiche nur dann aus, wenn er ausnahmsweise bestimmenden Einfluß auf seinen Verteidiger ausübe und dieser sein selbständiges Beweisantragsrecht und seine eigenständige Ermessensausübung dem Willen des Angeklagten unterwerfe. 69 Diesen Gedanken führt der Bundesgerichtshof nun in umgekehrter Zielrichtung So aber Scheffler, JR 1993, 170 (173). Ähnlich KK-Herdegen § 244, 68; Hamm, NJW 1993, 289 (294); Kempf, StV 1996, 507 (510); Fischer, NStZ 1997, 212 (216), der für das Tatgericht nur die Möglichkeit der Ablehnung jedes mißbräuchlichen Antrags sieht. Aus Sicht der eingeschränkten Organtheorie eingehend Domach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 161 ff. 67 Näher zu diesem Aspekt aus richterlicher Sicht Metzger, Ablehnung von Beweisanträgen S. 95; Asbrock, StV 1995, 240ff. 68 Zuletzt Eb. Schrnidt, JZ 1968, 681 (683 f.). Dazu auch Schlüchter, Wert der Form S. 205 (217ff.). 69 BGH NJW 1953, 1314; BGH NJW 1964,2118; BGH NJW 1969,281 (282). 65

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weiter: Diente die Vereinheitlichung des Beweisantragsrechts der Verteidigung bis dahin dem Interesse des Angeklagten in Grenzbereichen des noch zulässigen Antragsverhaltens, so begründet der Bundesgerichtshof nun unter veränderten rechtspolitischen Gegebenheiten damit die These, der Verteidiger habe nicht nur den Interessen des Angeklagten zu dienen. 111. Mitwirkungs- und Übernahmepflicht: Der Ptlichtverteidiger als Staats-Anwalt

Nirgendwo schlägt sich der Widerspruch zwischen dem hohen Ideal von Strafverteidigung als Bedingung eines rechsstaatlichen Strafprozesses und ihrem wenig ausgeprägten Ansehen in der gerichtlichen Praxis so deutlich nieder wie bei der Pflichtverteidigung. Kritisierte noch Vargha die fehlende Durchgängigkeit der Pflichtverteidigung im reformierten Strafprozeß, weil der Beschuldigte erst in Gemeinschaft mit seinem Verteidiger zur vollberechtigt anerkannten Prozeßpartei werde,7o so verdeutlicht eine Entscheidung das Reichsgerichts aus dem Jahre 1907 die Geringschätzung der Pflichtverteidigung in der gerichtlichen Praxis . ..... Daraus ergibt sich, daß in Fällen der vorliegenden Art [es ging um die Zurechnung des Verteidige11lerschuldens] grundsätzlich zwischen den Wahlvertei-

digern und bestellten Verteidigern unterschieden werden muß. Denn es ist nicht zu bezweifeln, daß es für den Angeklagten ein reiner Zufall ist, wen der Vorsitzende aus den ihm zur Verfügung stehenden Personen auswählt, und ob die Wahl auf eine im allgemeinen sorgfältig oder auf eine flüchtig arbeitende Persönlichkeit fällt, und in welcher Weise sich diese des ihr ohne ihr Zutun übertragenen Amtes anzunehmen gewillt ist. Eine Einwirkung des Beschuldigten in allen diesen Richtungen ist völlig ausgeschlossen, obwohl sein Schicksal unter Umständen davon abhängen kann .. ,'.7l

Einer derartigen Unterscheidung zwischen Pflicht- und Wahlverteidigung ist zwar spätestens durch die im Ersten Teil der Untersuchung angesprochene Entscheidung BVerfGE 9, 36 ff. und die sich daran anschließende Reform des § 142 I der Boden entzogen worden. Trotzdem wird der Pflichtverteidiger auch heute noch verbreitet als Verteidiger zweiter Klasse charakterisiert. 72 Symptomatisch dafür erscheint neben der immer noch schlechteren Vergütung im Vergleich zum gewählten Verteidiger73 der 70 Vargha, Vertheidigung S. 291ff. Dazu auch Art. 6 III c) EMRK [..... und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist ... "]. 71 ROSt 40, 118 (121). Erst durch ROSt 70, 186 (191) wurde die Divergenz zwischen Wahl- und Pflichtverteidigung bei der Zurechnung des Verteidigerverschuldens beseitigt. 72 Vgl. nur I. Müller, StV 1981, 570 m.w.N.

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respektlose Umgang der Gerichte mit dem Pflichtverteidiger. 74 Münchhalffen spricht sogar von der Vorstellung der Gerichte, Pflichtverteidigung sei Leibeigenschaft. 75 Erst recht vor dem Hintergrund der standesrechtlichen Übemahmepjlicht der Rechtsanwälte nach § 49 I BRAO verwundert es deshalb nicht, daß die Mitwirkung des Pflichtverteidigers nicht nur mit Blick auf den Beschuldigten, sondern auch im Interesse einer funktionsfähigen Hauptverhandlung in der strafgerichtlichen Praxis seit jeher eine besonders ausgeprägte Rolle spielt. Nur in Ausnahmefällen können Rechtsanwälte die Übernahme einer Pflichtverteidigung, vom Bundesverfassungsgericht nicht umsonst als besondere Form der Inpflichtnahme Privater zu öffentlichen Zwecken charakterisiert,76 aus wichtigem Grund ablehnen bzw. ihre Entpflichtung beantragen. Das gilt auch bei Störungen grundsätzlicher Natur im Verteidigungsinnenverhältnis. 77 Diese Mitwirkungspflichten werden zwar in Anlehnung an die Gegebenheiten der Wahlverteidigung dadurch relativiert, daß nach strafgerichtlicher Praxis Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger über das grundlegende Verteidigungskonzept unter Umständen das Vertrauensverhältnis mit entsprechenden Folgen für die Bestellung und Entpflichtung des Pflichtverteidigers beseitigen können. 78 Als Regulativ gegen den Mißbrauch der Pflichtverteidigung durch den Beschuldigten stellt die Rechtsprechung aber andererseits dabei auf den Prototyp des vernünftigen und verständigen Angeklagten ab, mit anderen Worten auf das wohlverstandene Interesse des Beschuldigten. 79 Darüber hinaus wird den Gerichten die Auswahl des Pflichtverteidigers dadurch erleichtert, daß es zur Wahrung der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten auf das Vertrauen des (verständigen) Angeklagten zu seinem Verteidiger ankommen soll. In umgekehrter Richtung sei das zwar wünschenswert, aber nicht erforderlich. 8o Stärker als beim Wahlverteidiger sei das Verhältnis des Pflichtverteidigers zu dem Näher Marberth, StraFo 1997, 225 ff. Näher Schmidt-Leichner, NJW 1975, 417 (421); Welp, ZStW 1978, 101 007f.); Waechtler, StV 1981,466 (469); Münchhalffen, StraFo 1997, 230f. 75 Münchhalffen, StraFo 1997,230 (231). 76 BVerfGE 39, 238 (241); 68, 237 (254.). Zur Kritik vgl. nur LR-Lüderssen Vor § 137, 85. 77 Eindringlich BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 7/Begründung [..... Dieser Rechtszustand ist ganz unbefriedigend. Er berücksichtigt höchst einseitig nur das staatliche Verfahrenssicherungsinteresse. Dieses hat jedoch kein solches Gewicht, daß demgegenüber alle elementaren Berufs- und Persönlichkeitsrechte des Verteidigers zurückzutreten hätten ... "]. Weitere Nachweise bei Hilgendorf, NStZ 1996, 1 (5); Anja Müller, IR 1996, 124 (26). 78 Vgl. nur BGHR StPO § 142 I Auswahl 2 m.w.N. Näher Anja Müller, IR 1996,124 (26) m.w.N. 79 Vgl. nur die zahlreichen Nachweise bei Kl./Meyer-Goßner § 143, 5. Dazu auch Anja Müller, IR 1996, 124 (26) m.w.N. 73 74

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

zugewiesenen Angeklagten von einem Vertrauensverhältnis unabhängig. sl Treffender als jede wissenschaftliche Abhandlung dokumentiert in seiner Unbefangenheit ein Prozeßbericht aus den Fünfziger Jahren den daraus erwachsenden Widerspruch zwischen Pflicht und Verteidigung: " ... Das geschieht in den gleichen Minuten, in denen B. endlich zugeben mußte, selbst Prügel- und Hängestrafen vollzogen zu haben. Und da erbittet sein Verteidiger das Wort. Das, sagt er, habe er selbst noch nicht gewußt. Sein Klient habe ihn hier belogen. Er habe, als Offizialverteidiger, für B. bisher getan, was er konnte. Nun aber bitte er das Schwurgericht, ihn von seinem Amte zu entbinden. Er lege die Verteidigung nieder. Er könne nicht mehr. Im Zuschauerraum, der bisher die rasch anschwellende Schale seines Zornes außer über den Angeklagten auch über den Verteidiger ergoß, beginnt man Beifall zu klatschen. Aber ebenso wie noch eben der Zusammenbruch der Verteidigung setzt nun die demokratische Lektion ein: Das Gericht habe, so verkündet der Vorsitzende, beschlossen, den Offizialverteidiger von seinem Amte nicht zu entbinden. Denn kein anderer Anwalt, wenn sich selbst einer für diese undankbare Aufgabe fande, könne die Aktenkenntnis des Ersten nachholen. Nach guten deutschem Recht jedoch könne man keinen Angeklagten seinem Richter entziehen, aber auch keinem Angeklagten seinen Verteidiger. Jeder habe das Recht, verteidigt zu werden, und der Verteidiger hier die Pflicht, zu verteidigen ... ,,82

1. Verschärfung der Mitwirkungs- und Übernahmepjlicht im staatlichen Interesse durch den Bundesgerichtshof

Betrachtet man allerdings die einschlägige Rechtsprechung, insbesondere die aus jüngerer Zeit, so wurden derartige Spannungen zwischen Pflicht und Verteidigung bisher im breiten Maße richterrechtlich abgefangen. Dem Vorbringen des Pflichtverteidigers maßen die Strafgerichte nämlich eine Indizwirkung bei der Beurteilung der Frage zu, ob das Vertrauensverhältnis von Seiten des Angeklagten wirklich objektiv nachvollziehbar zerstört war. Das hatte zur Folge, daß die Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers in der Praxis durch sein ausgeprägtes Mitspracherecht bei der Entscheidung über seine Beiordnung bzw. Entpflichtung begrenzt war. Zwar verlangten die Gerichte auch vom Pflichtverteidiger den Vortrag konkreter Tatsachen als Belef für das fehlende Vertrauen aus der Sicht eines verständigen Angeklagten. 3 Das erhöhte Vertrauen gegenüber dem Vorbringen des Pflichtver80 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1971, 1851 (1852); OLG Hamm, NJW 1975, 1238; OLG Hamm, MDR 1976,73 (74). 81 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1971, 1851 (1852). 82 Mostar, Mensch und Monstrum S. 106. [Prozeß gegen einen ehemaligen SSObersturmbannführer im KZ Ravensbrück]. 83 Vgl. aus der zahlreichen Judikatur jeweils m.w.N. BGH MDR 1979,108 (H.); BGH NStZ 1988, 420; OLG Bamberg StV 1984, 234; OLG Düsseldorf JZ 1985, 100.

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teidigers ging aber so weit, daß man die Verkürzung seines Vortrags aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht in Kauf nahm. Man gestand ihm zu, die der beantragen Entpflichtung zugrundeliegenden Tatsachen nicht im Einzelnen ausbreiten zu müssen. Einige Beispiele, bei weitem nicht abschließend, verdeutlichen das: Nach einem obiter dictum des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1988 reichte es für die Beseitigung des Vertrauensverhältnisses schon aus, daß der Pflichtverteidiger sich wegen der Ablehnung seines Ratschlags zum Geständnis durch den Angeklagten zur sachgemäßen Weiterführung der Verteidigung außerstande sieht. Bereits dann sei in ausreichender Form eine Meinungsverschiedenheit zwischen Verteidiger und Angeklagtem dargetan, die als Uneinigkeit über das grundlegende Verteidigungskonzept eine Ablösung des Pflichtverteidigers rechtfertige. 84 Das Kammergericht Berlin hat darauf hingewiesen, der von einer Pflichtverteidigerin gestellte Entpflichtungsantrag sei als besonderer Umstand bei der Ermittlung einer ernsthaften Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Angeklagtem und Verteidiger zu würdigen. Die Pflichtverteidigerin hatte in dem Verfahren trotz mehrerer Gespräche mit dem Angeklagten keine Möglichkeit mehr gesehen, über die Verteidigungsstrategie Einigung zu erzielen. Darautbin trug sie vor, nach ihrer Auffassung eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht mehr gewährleisten zu können. 85 Genauso soll eine tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses schon dann gegeben sein, wenn die Pflichtverteidigerin bekundet, sich wegen der politischen Motive des Beschuldigten zur sachgerechten Verteidigung außerstande zu sehen. Das gelte auch, wenn sie nur vorgebe, nicht die richtige Verteidigerin zu sein, um von der ihr unbequemen Verteidigung loszukommen. 86 Ein vielzitierter Beschluß des OLG Hamm aus dem Jahre 1982 macht das bisher dem Pflichtverteidiger faktisch eingeräumte Mitspracherecht besonders deutlich: " ... Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Vertrauen, welches ein Angeklagter zu seinem Verteidiger nach Möglichkeit haben soll, nicht davon abhängt, ob dieser nach seinen anwaltlichen Vorstellungen über die Führung der Verteidigung die Interessen des Angeklagten objektiv am besten zu vertreten hat, und auch weiter vertreten würde. Entscheidend ist vielmehr, daß vom Standpunkt eines vemünftiBGH StV 1988,469 (470); ähnlich BGH NStZ 1992,293. KG StV 1990, 347. 86 Vgl. OLG Hamm NJW 1975, 1238f. Anders allerdings OLG Karlsruhe NJW 1978, 1172, worin die Beschwerde gegen den vom Verteidiger gestellten, und vom Tatgericht abgelehnten Entpflichtungsantrag als unbegründet abgelehnt wird, obwohl die Angekl. (ein Mitglied der RAF) jegliche Kontaktaufnahme zu dem Pflichtverteidiger verweigert hatte. Dieser sei durch Aktenstudium und Teilnahme an der Hauptverhandlung in der Lage, die Verteidigung sachgerecht zu führen. Dieser Beschluß ist aber auf die besondere Konfliktsituation in den 70er Jahren zurückzuführen. 84

8S

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

gen und verständigen Beschuldigten aus das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Pflichtverteidiger ernsthaft gestört ist. Davon ist hier auszugehen, nachdem die Rechtsanwältin O. bestätigt hat, daß es zwischen ihr und dem Beschwerdeführer zu einer ernsthaften Vertrauenskrise gekommen ist. Ihren Ausführungen ist nicht nur zu entnehmen, daß zwischen ihr und dem Beschwerdeführer Meinungsverschiedenheiten über das Verteidigungskonzept entstanden sind, sondern auch, daß diese Meinungsverschiedenheiten die grundlegende Verteidigungskonzeption betreffen und der Beschwerdeführer ihr deswegen das Vertrauen, das er ihr zunächst als Anwältin seines Vertrauens vorschußweise geschenkt hatte, nicht mehr entgegenbringt und aus seiner Sicht nicht mehr entgegenzubringen vermag. Zwar handelt es sich dabei um eine nicht durch nähere Tatsachenangaben belegte Beurteilung aus der Sicht der bisherigen Pflichtverteidigerin, deren Schweigepflicht sich auch auf die Umstände bezieht, auf denen die unterschiedlichen Auffassungen beruhen. Bei der gegebenen Sachlage sieht jedoch der Senat keine Veranlassung, dieser Beurteilung der Pflichtverteidigerin nicht zu folgen ... ,,87 Wasserburg konstatiert vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung zutreffend: " ... Die Entpflichtung kann also aus wichtigem Grund verlangt werden - dieser Grund ist vom Anwalt zu benennen; grundsätzlich darf das Gericht, wenn sich der Verteidiger bei Ausübung der Pflichtverteidigung als verhindert erklärt, dies nicht nachprüfen ...88 Eine bisher wenig beachtete Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1993 weist nunmehr in die entgegengesetzte Richtung. Diese läuft darauf hinaus, dem Vorbringen und den Anträgen des Pflichtverteidigers bei der Entscheidung über seine Bestellung bzw. Entpflichtung keine Bedeutung mehr beizumessen. Bezeichnenderweise unter Bezugnahme auf vereinzelt gebliebene Entscheidungen aus der Zeit der RAF-Prozesse, in denen Gerichte allein zur Verfahrenssicherung den Beschuldigten aufgedrängten Pflichtverteidigern die Entpflichtung verweigerten, wird das Vorbringen des Pflichtverteidigers nunmehr aus der Entscheidungsfindung ausgeklammert. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers sei der Vortrag und der Nachweis konkreter Umstände, aus denen sich eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ergebe. Es komme nicht darauf an, ob der Verteidiger es seinerseits für unzumutbar ansehe, weiterhin zur Verteidigung des Angeklagten verpflichtet zu sein. Ebensowenig habe aber seine Erklärung, zur sachgerechten Verteidigung in der Lage zu sein, die Störung des Vertrauensverhältnisses beseitigen können. 89 Die Ausführungen OLG Hamm StV 1982,510 (511 f.). Wasserburg, Wiederaufnahme S. 171 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1975, 2351. 89 BGHSt 39, 310 (314f.). Die auf die Nichtentpflichtung des Verteidigers gestützte Verfahrensrüge führte nur deshalb zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils, 87 88

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des Bundesgerichtshofs legen sogar den Schluß nahe, entgegen der bisherigen Praxis sei grundsätzlich als verfahrensrechtliche Voraussetzung der Entpflichtung ein eigener Antrag des Beschuldigten zu fordern. 9o Im Gegensatz dazu kam bislang dem Entpflichtungsantrag des Verteidigers eher als dem eigenen Antrag des Beschuldigten Indizwirkung für das Fehlen des nötigen Vertrauens zu dem Pflichtverteidiger ZU. 91 Damit stellt der Bundesgerichtshof die Gerichte zu Lasten des Verteidigers zusätzlich davon frei, auf ein zerstörtes Verteidigungsinnenverhältnis mit der Abberufung des Pflichtverteidigers zu reagieren und dadurch das Funktionieren der Pflichtverteidigung sicherzustellen. 92 Diese Entscheidung trägt keinen Ausnahmecharakter, sondern ist vielmehr Ausdruck einer allgemeinen Tendenz zur Demontage der einseitigen Parteistellung des Pflichtverteidigers durch dessen Inpflichtnahme zur Verfahrenssicherung. 93 So hat das OLG Köln in unmittelbarer zeitlicher Abfolge zu der hier zugrundegelegten Entscheidung ausgeführt, ebenfalls bezugnehmend auf die eben erwähnten RAF-Entscheidungen, selbst eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger rechtfertige nicht in jedem Fall eine Entpflichtung des Verteidigers. Der Beschuldigte dürfe es beispielsweise nicht in der Hand haben, durch Beleidigungen des Pflichtverteidigers den Gang des Verfahrens zu sabotieren.94 Die Brisanz der Entscheidung im Gesamtkontext der Inpflichtnahme des Verteidigers im staatlichen Interesse einer funktionsfahigen Hauptverhandlung wird deutlich, wenn man sie sich im Zusammenspiel mit der Beweisantragspflegschaft des Verteidigers vorstellt: Der Pflichtverteidiger könnte das Beweisantragsrecht des Beschuldigten selbst dann übertragen bekommen, wenn er sich selbst zur Verteidigung nicht mehr in der Lage sieht. Ungeachtet des selbst vorgeweil der Verteidiger vor seinem Entpflichtungsantrag Strafanzeige erstattet hatte, nachdem ihm wiederum der Angeklagte in der Gerichtsöffentlichkeit Parteiverrat unterstellt hatte. Der Verteidiger habe sich dadurch in eine Parteirolle gegen seinen eigenen Mandanten begeben. Dieser erwarte von seinem Verteidiger nicht nur Unvoreingenommenheit, sondern auch Beistand. 90 BGHSt 39, 310 (315). Im Gegensatz dazu vgl. nur BGH, Urteil v. 7.11.1979 (2 StR 398/79) S. 10. 91 Dazu BGH NStZ 1992,293; ähnlich KG StV 1990,347. 92 Vgl. nur BGHR StPO § 143 Rücknahme 3 sowie aus der obergerichtlichen Judikatur OLG Bremen, NJW 1979 665 (666); KG StV 1990, 347; BGH NStZ 1992, 292, jeweils m. w.N. Zu den abweichenden Entscheidungen KG AnwBI 1978, 241 (242); OLG Karlsruhe, AnwBI 1978,241 näher unter cc). 93 Näher Münchhalffen, StV 1994, 235 ff. Symptomatisch in diesem Zusammenhang auch BGH JR 1996, 124, der den Entpflichtungsantrag des Verteidigers aufgrund eines gestörten Vertrauensverhältnisses mit dem Beschuldigten, gestellt aufgrund eines von diesem in der Hauptverhandlung erhobenen Nötigungsvorwurfs gegen den Verteidiger, wegen der fehlenden Substanz des Vorbringens abgelehnt hat. 94 OLG Köln, StV 1994, 234 (235).

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

tragenen fehlenden Vertrauens zum Beschuldigten müßte der Pflichtverteidiger dann dessen Beweisantrag auf seine Sachdienlichkeit prüfen. 95 Diese Zusammenhänge geben Anlaß zu grundsätzlichen Überlegungen über Umfang und Grenzen der Übernahme- bzw. Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers. Von wegweisender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang zwei verfassungsgerichtliche Entscheidungen, die übrigens jeweils im Zusammenhang mit politischen Strafprozessen ergangen sind und damit auch an dieser Stelle die fehlende Akzeptanz von prozessualer und sozialer Gegenrnacht als Leitthema der gesamten Verteidigerdiskussion im reformierten Strafprozeß verdeutlichen. Auf deren Grundlage wird im folgenden auf den Zusammenhang von Pflichtverteidigung und staatlicher Fürsorge sowie auf die verfahrensdienende Funktion der Pflichtverteidigung eingegangen, um daraus abschließende Folgerungen für die Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers zu ziehen. 2. BVerfGE 9, 36ff.: Pflichtverteidigung und staatliche Fürsorge

Die erste Entscheidung BVerfGE 9, 36 ff., bereits mehrfach angesprochen, stammt aus dem Jahre 1958. Sie betrifft die Mitwirkung des Beschuldigten bei der Auswahl und Bestellung des Pflichtverteidigers. Der Entscheidung lag eine strafgerichtliche Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen kommunistischen Organisation zugrunde. Dem Beschuldigten war die Bestellung des von ihm bezeichneten Pflichtverteidigers mit der Begründung verweigert worden, dieser biete als Vertrauensanwalt der Organisation keine Gewähr für eine sachgemäße und nur den Interessen des Beschuldigten dienende Verteidigung. Außerdem war es den Strafgerichten nicht vertretbar erschienen, auf Staatskosten in der Hauptverhandlung die verfassungswidrige Tätigkeit der Organisation zu unterstützen. 96 Das Bundesverfassungsgericht präzisierte auf der Grundlage dieser Entscheidungen den Zusammenhang zwischen prozeßrechtlicher und sozialstaatlicher Bewertung der Pflichtverteidigung. Die Pflichtverteidigung diene in erster Linie dazu, dem Angeklagten einen der Wahlverteidigung vergleichbaren Beistand zu gewährleisten. Deshalb sei es in der Regel geboten, dem Beschuldigten den Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn nicht besondere Gründe dagegensprächen. Andererseits habe der Beschuldigte keinen Anspruch auf Beiordnung eines bestimmten Verteidigers, sondern müsse die vom Vorsitzenden vorgenommene Auswahl und Bestellung des Pflichtverteidigers grundsätzlich hinnehmen. Zur Begründung dafür führt das Bundesverfassungsgericht aus: 9S Ansätze zu dieser doppelten Inpflichtnahme des Verteidigers schon bei OLG Hamburg, NJW 1998,621 (622). 96 BVerfGE 9, 36f.

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..... Bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers handelt es sich um eine Maßnahme staatlicher Fürsorge, bei der zwar den Wünschen des Angeklagten möglichst Rechnung zu tragen ist, dem Staat jedoch die Entscheidung vorbehalten bleibt ... " 97

Sozialstaatliehe Wertungsmaßstäbe beschränken danach also das Maß staatlicher Fürsorge für den Beschuldigten, der sich selbst in Fällen notwendiger Verteidigung aus wirtschaftlichen Gründen keinen Verteidiger leisten kann, auf den sachlich angemessenen Aufwand. 98 Das rechtfertigt die Befugnis des Vorsitzenden zur Auswahl des Pflichtverteidigers aus den Rechtsanwälten des Gerichtsbezirks nach § 142 I 1. Folgerungen für die Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers im staatlichen Interesse an einer funktionsfahigen Hauptverhandlung ließen sich daraus allerdings nur ableiten, wenn dieser sozialstaatliche Wertungsmaßstab nicht durch strafprozessuale Maßstäbe überlagert würde. Genau das ist aber der Fall. Der Gesetzgeber hat die verfassungsgerichtlichen Vorgaben umgesetzt, indem er den § 142 I im Jahre 1987 um die heutigen Sätze 2 und 3 ergänzte. Nach § 142 I 2 soll dem Beschuldigten Gelegenheit zur Bezeichnung eines Rechtsanwalts gegeben werden. Der Vorsitzende bestellt den vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalt nach § 142 I 3, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Erklärter Zweck dieser Konstruktion war die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen dem Rechtsschutz durch Pflicht- und Wahlverteidigung. 99 Der Gesetzgeber wollte an dieser Stelle allerdings zugleich einen Zusammenhang mit § 142 I I hergestellt wissen: der Beschuldigte sollte an den dort genannten Personenkreis gebunden sein. wo Weil aber die prozessualen Wertungsmaßstäbe zwischen Wahl- und Pflichtverteidigung genauso wenig unterscheiden wie zwischen notwendiger und fakultativer Verteidigung/o l steht diese Beschränkung im ersichtlichen Widerspruch zu der Gleichstellung von Wahl- und Pflichtverteidigung. Es verwundert daher nicht, daß nach gefestiger Ansicht dem Wunsch des Beschuldigten nach Mitwirkung eines auswärtigen Pflichtverteidigers seines Vertrauens jedenfalls dann vorrangig Rechnung zu tragen ist, wenn der Beschuldigte ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem auswärtigen Pflichtverteidiger zu belegen vermag, wie etwa durch vorhergegangene Mandatsverhältnisse oder bestehende Kontakte im laufenden Verfahren. I02 BVerfGE 9, 36 (38). BVerfGE 9,36 (38). Näher Welp, ZStW 1978, 101 (105, 113ff.) m. w.N. 99 BT-Drucks. 7/2526 S. 12,24; 10/1313 S. 20. )()O BT-Drucks. 10/1313 S. 21. )()I Vgl. nur Lüderssen, NJW 1986, 2742f. 102 Vgl. nur BGH MDR 1979, 108; BGH (2 StR 398/79) S. 10 f.; OLG Frankfurt StV 1985, 449f.; OLG Düsseldorf StV 1985, 450; OLG Hamm, StV 1987, 478; OLG Schleswig StV 1987, 478f.; Molketin, MDR 1989, 503 (504). Zum Ganzen LR-Lüderssen § 142, 6ff. Die Rechtsprechung ist allerdings in dieser Frage nicht 91

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Die Strafprozeßordnung führt das Grundgesetz also in der Weise aus, daß es im Konfliktfall einseitig die verfassungsrechtlich geschützten Verteidigungsinteressen des Beschuldigten im Sinne einer Gleichstellung von Wahl- und Pflichtverteidigung gegenüber sozialstaatlichen Erwägungen betont. Selbst das von Welp de lege ferenda vorgeschlagene anglo-amerikanische Modell der sozialen Prozeßhilfe (legal aid), das die Bestellung des Verteidigers aus dem Gesichtspunkt des Schutzes vor aufgedrängter Staatsfürsorge weitgehend der Entscheidung des Beschuldigten überläßt,103 erfordert eine Umkehr der Grundkonzeption notwendiger Verteidigung im deutschen Strafprozeß, hat der Gesetzgeber die an einen Antrag des Beschuldigten gebundenen Fälle der notwendigen Verteidigung mit dem StPÄG 1964 doch bewußt aufgegeben. 104 Weil die notwendige Verteidigung maßgeblich auf der Vorstellung beruht, im öffentlichen Interesse und unter Umgehung der eigenen Entscheidung des Beschuldigten dessen unwiderleglich vermuteten Defizite als Prozeßsubjekt auszugleichen, würde dieses Verfahrensinstitut durch die Autonomie des Beschuldigten als Maßstab für die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers konterkariert. lOS Sozialstaatliche Erwägungen können nach alledem nur auf die Reichweite der notwendigen Verteidigung,I06 nicht aber auf die prozessuale Stellung des Pflichtverteidigers Einfluß haben, die wiederum nicht mittelbar durch sozialstaatliehe Fürsorgebeschränkungen in Form niedrigerer Pflichtverteidigergebühren ausgehebelt werden darf. 107 Derartige Wertungen einheitlich, vgl. nur die Nachweise bei E. Müller, NStZ 1992, 122 (124). Das einseitige Abstellen auf die Ortsnähe des Rechtsanwalts als häufigem Fall fehlerhaften Auswahlermessens, näher Anja Müller, JR 1996, 124 f. m. w. N., wird bisweilen sogar prozessual begründet, vgl. nur OLO Stuttgart StV 1981,613; BOH StraFo 1998, 17 (18); genauso Hahn, Notwendige Verteidigung S. 33. Der angebliche Vorteil der Ortsnähe des beigeordneten Rechtsanwalts für den Beschuldigten, die zur Übergehung des von ihm vorgeschlagenen auswärtigen Rechtsanwalts führt, ist in der Zeit moderner Transport- und Kommunikationsmittel allerdings abwegig. Statistische Erhebungen weisen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung, näher Barton, StV 1984, 394 (400). Als eigentlich maßgebliche Erwägung erscheinen daher nur Kostengründe denkbar. Denn dem auswärtigen Pflichtverteidiger darf die Erstattung von Mehrkosten nicht verweigert werden, dazu OLO Hamm, NJW 1968, 854f.; OLO Celle, StV 1981,227. . 103 Näher Welp, ZStW 1978, 101 (129f.). 104 Vgl. nur Schmid, Verwirkung S. 92. Kritisch zur Überführung des legal-aidPrinzips in das deutsche Recht Waechtler, StV 1981,466 (469). 105 Dazu Waechtler, StV 1981, 466 (469). Auch Art. 6 III c) EMRK, wonach " ... jeder Angeklagte das Recht hat ... sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten ... ", räumt dem Beschuldigten kein Recht ein, auch in Fällen notwendiger Verteidigung auf die Mitwirkung eines Verteidigers zu verzichten, näher Haffke, StV 1981, 471 (480) [Fn. 64 m. w. N.]; Hermann, StV 1996, 396 (397). 106 Näher Welp, ZStW 1978, 101 (130f.) [Fn. 118].

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werden in der strafgerichtlichen Praxis nicht ausreichend beachtet, wenn die Auswechslung des Pflichtverteidigers wegen eines gestörten Verteidigungsinnenverhältnis auch von Kostengesichtspunkten abhängig gemacht wird,108 oder wenn die Gerichte darauf abstellen, der Beschuldigte habe die Störung des Vertrauensverhältnisses zum Pflichtverteidiger selbst verschuldet. 109 Denn dahinter steht der Gedanke, mit der Beiordnung des ersten Pflichtverteidigers sei das Maß an sozial staatlicher Fürsorge für den Beschuldigten aufgebraucht. Dieser müsse sich nun selbst einen Verteidiger wählen, wenn er die für ihn optimale und nicht die minimale Verteidigung haben wolle. Eine solche Beschränkung staatlicher Fürsorge kennen die strafprozessualen Wertungsmaßstäbe nicht. Aus den gleichen Erwägungen muß die standesrechtliche Übernahmepflicht nach § 49 I BRAO bzw. der Widerruf der Bestellung aus wichtigem Grund nach den §§ 49 11, 48 11 BRAO unter dem Primat der strafprozessualen Wertungsmaßstäbe stehen und nicht umgekehrt. 110 Nicht umsonst setzt die standesrechtlichen Mitwirkungspflicht nach § 49 I BRAO voraus, daß der Rechtsanwalt nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zum Verteidiger bestellt worden ist. Eigenständige Bedeutung haben die §§ 48 f. BRAO unter dieser Prämisse nur insoweit, als der Beschuldigte nicht durch anwaltlicher Erwägungen rechtsschutzlos gestellt werden darf, die weder in der Person des Beschuldigten noch der Sache selbst begründet sind, sondern in purer Interesselosigkeit aus finanziellen oder sonstigen Gründen. Angesichts der nicht seltenen Fälle, in denen Rechtsanwälte auf Pflichtverteidigungen angewiesen sind, spielen derartige Erwägungen in der Praxis aber schon lange keine Rolle mehr. 111 Im übrigen würde in den denktheoretischen Fällen, in denen Rechtsanwälte Näher Haffke, StV 1981,471 (477f.). Vgl. nur OLG Koblenz MDR 1986,604; KG NStZ 1993,201 f.; OLG Düsseldorf StV 1985, 100, wo es jeweils um eine Abwägung zwischen dem Interesse des Staates an der Vermeidung von Mehrkosten einerseits und dem Interesse des Beschuldigten an der Mitwirkung eines Verteidigers seines Vertrauens geht. In diese Richtung auch BGH StraFo 1998, 17 (18). 109 Vgl. nur BGHSt 39, 310 (314) m.w.N. Ähnlich Hilgendorf, NStZ 1996, 1 107 108

(5).

110 Dazu LR-Lüderssen § 1421 30ff. m. w. N. Nach dem Vertragsprinzips folgt zwar aus der standesrechtlichen Übemahmepflicht der Rechtsanwälte der Kontrahierungszwang des Pflichtverteidigers. Die Übernahmepflicht bzw. Entpflichtung des Verteidigers aus wichtigem Grund wird aber prozessual bestimmt. Im Ansatz richtig, aber zu undifferenziert § 6 IV 2 AE, wonach die Ablehnung aus "mangelndem Interesse" oder "wenn das Zustandekommen eines Vertrauensverhältnisses nicht zu erwarten ist", den Rechtsanwalt als Negativkriterium für die Auswahl des Pflichtverteidigers aus prozessualer Sicht von der Übernahme befreien soll, zugleich aber standesrechtliche Folgen für ihn haben kann, Arbeitskreis Strafprozeßreform, AE §6II2f. 111 Schon Welp, ZStW 1978, 101 (107) [Fn. 32] warnt vor der Pflichtverteidigung als Versorgungseinrichtung für bedürftige Anwälte.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

aus finanziellen Gründen der Bestellung zum Verteidiger entgehen wollen, der Hinweis auf die übermäßige Belastung mit Strafsachen bzw. auf die Spezialisierung in anderen Bereichen ausreichen. 112 3. BVerfGE 39, 238ft.: Pflichtverteidigung und Verfahrenssicherung

Die Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers bestimmt sich somit ausschließlich anhand strafprozessualer Wertungsmaßstäbe, die ausweislich des § 143 vom Regelfall der Wahlverteidigung ausgehen. Die genauso vielzitierte wie vieldeutige Vertrauensstellung,113 die nach allgemeiner Ansicht die Grundlage der Mitwirkung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten darstellt,114 besteht bei der Wahlverteidigung aus nichts anderem als der Verbindung von einseitiger Partei stellung des Verteidigers in ihren verschiedenen Funktionen sowie der Tabuisierung des Verteidigungsinnenverhältnisses gegenüber staatlichem Zugriff, namentlich der beiderseitigen Vertragsfreiheit. Danach richtet sich die prozessuale Stellung des Pflichtverteidigers. Denn im gleichen Maße, wie die Pflichtverteidigung nicht nur der Subjektstellung des Beschuldigten dient, sondern als Instrument der Verfahrenssicherung auch einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf, verliert die Vertrauensstellung des Pflichtverteidigers ihre Grundlage und entfernt sich damit vom Leitbild der strafprozessualen Wertungsmaßstäbe. Das gilt um so mehr, als schon die Beiordnung eines Verteidigers, insbesondere im Hinblick auf die im Vergleich zur RStPO 1877 sukzessive ausgeweiteten Fallgruppen notwendiger Verteidigung, in die prozessuale Autonomie des Beschuldigten erheblich eingreift. 115 Auflösen lassen sich Spannungen zwischen Beistands- und Sicherungsaufgabe ohne weiteres, solange man die Verfahrenssicherung durch Pflichtverteidigung als notwendige Folge der Mitwirkung des Pflichtverteidigers versteht, ohne damit in dessen einseitige Stellung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten einzugreifen. Denn der Pflichtverteidiger gehört zu den Personen, deren Anwesenheit das Gesetz nach den §§ 145 I, 226, 338 Nr. 5 vorschreibt. Dieses Verständnis lag ursprünglich der Rechtsprechung des 112 BT-Drucks. 10/1313 S. 21. Näher Günther, AnwBI 1970, 65ff.; Hahn, Notwendige Verteidigung S. 35f.; Feuerich, BRAO § 49, 8ff. 113 Näher dazu Kniemeyer, Vertrauen und Unabhängigkeit S. 77 ff., dessen eigene Definition des Vertrauens zwischen Verteidiger und Beschuldigtem allerdings dem Begriff auch keine nutzbaren Konturen verleiht: ..... Kennzeichnend für Vertrauen ist, daß sein Einsatz die Gefahr eines Schadens begründet, der - falls die Verwundbarkeit ausgenutzt wird - größer ist als der Nutzen, der aus dem Einsatz gezogen wird.", Kniemeyer, a.a.O. S. 134. 114 Vgl. nur Welp, ZStW 1978, 101 (102); I. Müller, StV 1981, 570 (57lff.); Wasserburg, GA 1982, 304 (307), jeweils m. w. N. 115 Dazu Hermann, StV 1996, 396ff.

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Bundesgerichtshofs zugrunde l16 und entspricht der gerichtlichen Praxis der Gerichte auch heute noch in zentralen Punkten. So gilt der Beschuldigte als nicht regelgerecht in der Hauptverhandlung vertreten, wenn sich die Mitwirkung des Pflichtverteidigers in demonstrativ passiver Anwesenheit in der Hauptverhandlung erschöpft; verlangt wird vielmehr seine tatsächliche Mitwirkung. 117 Andererseits sollen die Gerichte nicht befugt sein, in das Verteidigungsinnenverhältnis durch die Überprüfung oder die Zensur des Pflichtverteidigers einzugreifen. 118 Auch im hier interessierenden Zusammenhang der Übernahme- bzw. Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers deckt sich die parteiliche Aufgabe des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe mit dem Anliegen der Verfahrenssicherung durch Pflichtverteidigung, wenn der Vorsitzende einen Rechtsanwalt nicht als Pflichtverteidiger bestellt, der sich faktisch wegen Krankheit, Überlastung oder fehlender Sachkunde oder ähnlichen Gründen nicht zur Übernahme des Mandats in der Lage sieht. 119 Ein solcher Pflichtverteidiger hätte das Mandat auch als Wahlverteidiger nicht durchführen können. Für all diese Fälle gewinnt auch die Konstruktion des Gesetzgebers Bedeutung, dem Beschuldigten keinen Anspruch auf Bestellung des von ihm nach § 142 I 2 benannten Pflichtverteidigers zu geben, sondern diese Entscheidung über die "wichtigen Gründe" des § 142 I 3 letztlich zur Beurteilung des Vorsitzenden zu stellen. Gleiches gilt dann, wenn dem Beschuldigten die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers verweigert wird, der im Bereich weisungsunabhängigen Verteidigerhandelns Weisungen des Beschuldigten nicht befolgt hat. 120 Allerdings ist die gerichtliche Praxis nicht bei der Verfahrens sicherung als bloße Folge funktionierender Pflichtverteidigung stehengeblieben. Vielmehr hat dieser Gesichtspunkt im Zuge des seit den Sechziger Jahren suk116 BGHSt 3, 395 (398); 13, 337 (343 f.). Genauso die ältere Kommentarliteratur: LR-Dünnebier, 140, I I [,,Die Bestimmungen über die notwendige Verteidigung sichern in allen schwerwiegenden Fällen dem Angeklagten im staatlichen Interesse eines geordneten Ablaufs des Verfahrens rechtskundigen Beistand ... ]; § 141, 1 [... sichert der Staat das Interesse, das er an einem ordnungsgemäßen Verfahren und damit an der Verteidigung hat ... ]. Nach Eb. Schmidt, LK 11 § 145, 11 soll sogar die bisherige Hauptverhandlung wiederholt werden müssen, wenn der notwendige Verteidiger zwischenzeitlich ausfällt. Nur der könne verteidigen, der das Ganze der Hauptverhandlung miterlebt habe. Einschränkend, aber nicht generell dagegen (!!!) noch BGHSt 13,337 (340). 117 Vgl. nur BGH NJW 1993, 340 (341); BGH StV 1993,566. 118 Vgl. nur OLG Bremen AnwBI 1964, 288; OLG Stuttgart, MDR 1979, 780; KG JR 1982,349; OLG Frankfurt/Main StV 1994, 288f. 119 Vgl. nur die Nachweise bei Hilgendorf, NStZ 1996, 1 (3f.). 120 Näher OLG Bremen, AnwBl 1964, 288 [Weigerung des Verteidigers, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen]; OLG Stuttgart, MDR 1979, 780 [Weigerung des Verteidigers, die Revisionsbegründung zu fertigen]. Dazu Molketin, MDR 1989, 503

(506). 13 GrUner

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

zessive auftretenden Phänomens strafprozessualer Großverfahren eine eigenständige Dynamik entwickelt. Den Anfang markiert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1961, als den Tatgerichten das Recht eingeräumt wurde, als Instrument der Verfahrenssicherung auch gegen den Willen des Beschuldigten einen Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger zu bestellen, um den reibungslosen Fortgang der Verhandlung zu sichern. 121 In den RAF-Prozessen, als die von den Beschuldigten gewählten bzw. benannten Verteidiger des Vertrauens zunehmend ausgeschlossen bzw. nicht zugelassen wurden, und die Beschuldigten zugleich die Zusammenarbeit mit den vom Gericht ausgewählten Verteidigern verweigerten, rückte die Verfahrenssicherung als eigenständiges Element der Pflichtverteidigung dann endgültig in den Vordergrund, insbesondere im Zusammenhang mit der Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger gegen den Willen der Beschuldigten, der sog. Zwangsverteidiger. 122 Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine zweite Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975. Dieser lag das Geschehen im Baader-Meinhof-Prozeß zugrunde, als vom OLG Stuttgart die Bestellung von Pflichtverteidigern aufgehoben wurde, von denen sich nicht ausschließen ließ, daß sie von den Bestimmungen über die Entziehung der Verteidigungsbefugnis nach den §§ 138aff. im weiteren Verfahren betroffen sein könnten. Das Bundesverfassungsgericht löst darin die. prozessuale Stellung des Pflichtverteidigers von der des Wahlverteidigers und zwar unter dem Gesichtspunkt des prozessualen Fürsorgezwecks, der für die Pflichtverteidigung kennzeichnend sei. Wörtlich führt das Bundesverfassungsgericht aus: ..... Sinn der Pflichtverteidigerbestellung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr besteht ihr Zweck darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß der Beschuldigte im schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gesichert wird ... Dieser Zweckbestimmung entspricht es, daß die Auswahl des Pflichtverteidigers Sache des Gerichtsvorsitzenden ist (§§ 141, 142 StPO), der nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ohne daß der Anwalt, der die Verteidigung führen will, seine Beiordnung durchsetzen könnte ... Als wichtiger Grund für die Abberufung des bestellten Verteidigers kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ... ,,123 121 122

(231).

BGHSt 15,306 (308f.). Dazu Lüderssen, NJW 1986, 2742 (2743); Münchhalffen, StraFo 1997, 230

123 BVerfGE 39, 238 (242f.; 245). Genauso BVerfGE 68, 237 (254). Aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung dazu OLG Köln, NStZ 1982, 129; OLG Düsseldorf, NStZ 1986, 138. Zum Ganzen Hilgendorf, NStZ 1996, lff. m. w.N.

A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung

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Die dadurch mit verfassungsgerichtlicher Dignität ausgestattete Vorstellung von Pflichtverteidigung als Verfahrenssicherung beschwor in der Folgezeit Prozeßsituationen herauf, die man als Fundgrube strafprozessualer Kuriositäten bezeichnen müßte, wenn sie nicht in so bedrohlicher Weise die Struktur des reformierten Strafprozesses zu Lasten des Beschuldigten verschoben hätten. 124 Die bereits angesprochene Entscheidung des Berliner Kammergerichts, die dem als "Zwangslouis" von Seiten der Beschuldigten der Lächerlichkeit preisgegebenen, ja sogar gezielten tätlichen Angriffen ausgesetzten Pflichtverteidiger "im staatlichen Interesse an einem prozeßordnungsgemäßen Verfahren und dessen stetiger Durchführung" die Entpflichtung verweigerte, spricht für sich. 12S Die Betonung der Verfahrenssicherung durch Pflichtverteidigung erscheint um so erstaunlicher, als der zugrundeliegenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung, die seither in der gerichtlichen Praxis bei Bedarf gebetsmühlenartig zitiert wird,126 sowohl aus strafprozessualer wie aus verfassungsrechtlicher Sicht jede Überzeugungskraft fehlt. Aus strafprozessualer Sicht können weder Fürsorgezwecke noch ein wie auch immer zu verstehendes wohlverstandenes Interesse des Beschuldigten die Zuordnung anderer als eigener Interessen an den Pflichtverteidiger tragen. 127 Aus verfassungsrechtlicher Sicht verstrickt sich das Bundesverfassungsgericht in unüberbrückbare Widersprüche, wenn einerseits dem Beschuldigten aus Gründen der Chancengleichheit vor Gericht der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen sein SOll,128 die Freiheit der Advokatur den Bürger vor staatlicher Machtüberschreitung sichern S011,129 und schwere, für das Verfahren endgültige Eingriffe in die Verteidi124 Eindringlich aus der Sicht eines Zwangsverteidigers Künzel, StV 1981, 464ff. Zum Ganzen Welp, ZStW 1978, 101 (122ff.); Beulke, JR 1982, 45; I. Müller, StV 1981,570 (572f.). 125 KG AnwBI 1978, 241 (242). Näher dazu Müller-Meiningen jr., AnwBl 1978, 218; Schueler, AnwBI 1978, 218 (219). Ähnlich OLG Karlsruhe, AnwBI 1978, 241, wonach die vom Beschuldigten verweigerte Kontaktaufnahme mit dem Pflichtverteidiger im Hinblick auf den Abschluß des Verfahrens kein Entpflichtungsgrund ist. 126 Zuletzt BGH StraFO 1998, 17 (18). Weitere Nachweise bei KK-Laufhütte § 143, 4f. Dazu auch Neumann, NJW 1991, 264 (265) [" ... Inzwischen ist das obiter dictum BGHSt 15, 306 (308 f.), das als solches (noch) keiner Begründung bedurfte, zu einem Rechtssatz erblüht, das ebenfalls keiner Begründung (mehr) bedarf ... "]. 127 Vgl. Neumann, NJW 1991,264 (265). 128 BVerfGE 9, 36 (38). Nach BVerfGE 66, 313 (318ff.) ist es im Hinblick auf das Recht zur Beiziehung eines Verteidigers des Vertrauens sogar unzulässig, dem Beschuldigten den Ersatz der Auslagen für seinen Vertrauensverteidiger im Wege der Verrechnung mit den Auslagen des aufgedrängten Pflichtverteidigers zu versagen, näher Neumann, NJW 1991,264 (266ff.). 129 BVerfGE 76, 171 (192).

13·

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

gerstellung einer klaren, bestimmten und vollständigen Legitimation durch Gesetz bedürfen sollen,130 andererseits aber als wichtiger Grund für die Mitwirkung des Pflichtverteidigers ein eigenständiges staatliches Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung angegeben wird. Vertrauensprinzip und Freiheit der Advokatur stehen in so untrennbarem Zusammenhang mit dem rechtsstaatlichen Gebot, die Verteidigung vor staatlichem Zugriff so weit wie möglich freizustellen, daß ein so schwerwiegender Eingriff in das Verteidigungsinnenverhältnis wie die Realisierung des staatlichen Gegeninteresses an Verfahrenssicherung durch Pflichtverteidigung genau wie der Entzug der Verteidigungsbefugnis einem formellen Gesetzesvorbehalt unterliegen muß. Dieses formelle Gesetz müßte zusätzlich auch den Interessen des Beschuldigten gebührend Rechnung tragen. Die §§ 142 I 3, 143, die aus wichtigem Grund die Übergehung von Entscheidungen des Beschuldigten und seines Verteidigers bei der Nichtbestellung bzw. der Entpflichtung vorsehen, führen in diesem Zusammenhang nicht weiter. Denn daraus läßt sich keine Aussage über Inhalt und Reichweite der Verfahrenssicherung als eigenständiges Element der Pflichtverteidigung sowie über ihr Verhältnis zur Aufgabe des Pflichtverteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten entnehmen. Der vom Bundesverfassungsgericht angeführte § 49 Vw V/G, der die Voraussetzungen des Widerrufs begünstigender Verwaltungsakte regelt, ist erst recht nicht geeignet, die erforderliche Konkretisierung zu leisten. 131 Nicht nur, daß der Vergleich der Pflichtverteidigerbestellung mit einem begünstigenden Verwaltungsakt an dem rechtsstaatlichen Anspruch vorbeigeht, dem öffentlichen Interesse an einer der Wahlverteidigung vergleichbaren Qualität der Pflichtverteidigung gerecht zu werden. 132 Darüber hinaus ergeben sich aus dieser Vorschrift nach eigenem Eingeständnis des Bundesverfassungsgerichts erst im Zusammenspiel mit richterrechtlicher Kasuistik und wissenschaftlichen Lehrmeinungen hinreichend verläßliche Maßstäbe. 133 Schon angesichts der mannigfaltigen Unsicherheiten über die Stellung des Verteidigers im Strafprozeß erscheint es als unzulässig, daraus auf die Verfahrens sicherung als eigenständiges Element der Pflichtverteidigung zu schließen. Als Gesetzesvorbehalt für schwerwiegende Eingriffe in das Verteidigungsinnenverhältnis entspricht § 49 VwVfG damit nicht dem rechtsstaatlichen Standard, wie er etwa im Zusammenhang mit der Ausschließung des Verteidigers durch die §§ 138aff. vom Bundesverfassungsgericht selbst vorgegeben worden ist. 134 Damit verbietet sich erst BVerfGE 34, 293 (302). So aber BVerfGE 39, 238 (244). 132 Dazu Welp, ZStW 1978, 101 (l03f.). 133 BVerfGE 39, 238 (244). Darauf beruft sich neuerdings Malmendier, NJW 1997,227 (231). 134 BVerfG NJW 1975,2341. 130

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A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung

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recht der Rückgriff auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege zur Begründung der Inpflichtnahme des Pflichtverteidigers für andere Interessen als die des Beschuldigten. 135 Die rechtsstaatliehe Pflicht des Staates, Durchführung und Abschluß von Strafprozessen zu sichern,136 taugt nicht als frei verfügbare Dispositionsmasse inquisitorischen Ergebnisdenkens, sondern besteht ihrerseits nur im Rahmen des geltenden Rechts und der selbst postulierten rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze. 137 Das heißt natürlich auch, daß die Entpflichtung von Verteidigern wegen Rechtsmißbrauchs, oder in neuem Gerichtsdeutsch: wegen Konfliktverteidigung, nur unter den Voraussetzungen der §§ 138 aff. zulässig ist. Wenn das OLG Hamburg für solche Fälle neuerdings an die, spätestens seit der Angleichung der Pflichtverteidigung an die Wahlverteidigung durch § 142 I 2 und 3 überholten, Entscheidungen des OLG Koblenz und des OLG Köln anknüpft, den Pflichtverteidiger aus wichtigem Grund im Hinblick auf die Gefahrdung der Durchführung einer ordnungsgemäßen Hauptverhandlung auszuschließen,138 so zeigen sich darin die Spätfolgen der verfassungsgerichtlichen Entgleisung, in Umkehrung selbst aufgestellter Grundsätze die Beiordnung eines Pflichtverteidigers als Wohltat ohne Anspruch des Beschuldigten nach Art des seit den Fünfziger Jahren aus rechtsstaatlichen Gründen aufgegebenen Prinzips der freien Widerrufbarkeit begünstigender Verwaltungsakte 139 postuliert zu haben. 140 Die Überlegung, die Entpflichtung wegen Mißbrauchs sei zwar in den §§ 137 ff. nicht ausdrücklich erwähnt, werde aber in deren Regelungszusammenhang nicht ausdrücklich ausgeschlossen, ersetzt in diesem Zusammenhang genausowenig die fehlende Rechtsgrundlage wie der Ruf nach einem offeneren Rechtsfindungsverständnis, das der praktischen juristischen Arbeit ohnehin zugrundeliege. 141 An diesen Gegebenheiten ändert auch die vom OLG Hamburg richterrechtSo aber Dethlefsen, Abberufung des Pflichtverteidigers S. 52 ff. Vgl. nur BVerfGE 46, 214 (222f.). 137 Vgl. nur BVerfGE 46,214 (222); 51, 324 (343f.) jeweils m. w.N. 138 OIG Hamburg, NJW 1998, 621 ff. Genauso im Kinderschänderprozeß Flachslanden LG Ansbach, StV 1995, 287ff., allerdings aufgehoben durch OLG Nümberg, StV 1995, 289f. Die Vorgängerentscheidungen OLG Koblenz, NJW 1978, 2521 f.; OLG Köln NStZ 1982, 129f. stützten die Nichtanwendbarkeit der §§ 138aff. und damit die Exklusivität der §§ 142 I 3 f. für den Pflichtverteidiger auf dessen unterschiedliche Rechtsstellung zum Wahlverteidiger. Das wird nach der Ergänzung des § 142 I aus dem Jahre 1987 und die dadurch klargestellte Gleichstellung von Wahlund Pflichtverteidigung nahezu einhellig abgelehnt, vgl. nur Kl.lMeyer-Goßner § 138 a, 3 m. w.N.; Barton, StV 1995,290 (29lf.). m. W.N. 139 Dazu Erichsen, Verwaltungshandeln S. 247. 140 BVerfGE 39, 238 (244f.). 141 So aber Kudlich, NStZ 1998, 588, der damit selbst die Anfälligkeit seines im Zweiten Teil der Untersuchung behandelten ZweckwidrigkeitsbegriJfs als Dispositionsmasse inquisitorischen Ergebnisdenkens offenbart. l3S

136

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

lieh geschaffene Voraussetzung der vorherigen Abmahnung durch das Gericht in solchen Fällen nichts. 142 Diese verdeutlicht im Gegenteil die Unterwerfung des Pflichtverteidigers unter eine gesetzlich nicht vorgesehene Definition wohlverstandener Interessen des Beschuldigte durch den Inquirenten. 143 Nach alledem bleibt festzuhalten, daß die Sicherung der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung als eigenständiges Moment der Pflichtverteidigung weder einen Anhalt im geltenden Recht findet noch mit dem rechtsstaatlichen Verteidigungsverständnis vereinbar erscheint, wie es das Bundesverfassungsgericht selbst entwickelt hat. 4. Grenzen von Mitwirkungs- und Übemahmepjlicht nach geltendem Recht

Unterscheidet sich die prozessuale Stellung des Pflichtverteidigers nicht von der des Wahlverteidigers, so lassen sich Umfang und Grenzen seiner Mitwirkungspflicht im Interesse einer funktionsfähigen Hauptverhandlung leicht umreißen. Diese besteht nur soweit, wie er als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten agiert. Im Zusammenspiel mit der Tabuisierung des Verteidigungsinnenverhältnisses macht das die Vertrauensstellung des Verteidigers aus, die Grundlage der Mitwirkung des Verteidigers ist. Jede Aufweichung dieser strafprozessualen Gegebenheiten durch die Fiktion des vernünftigen Angeklagten und dessen wohlverstandener Interessen oder die Ausblendung der fehlenden Übernahmebereitschaft des Rechtsanwalts, solange sie im Sachzusammenhang mit der prozessualen Stellung als Verteidiger steht, läuft dem geltenden Recht und vor allem rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen zuwider. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang das Konsensgebot, das den Verteidiger im Verteidigungsinnenverhältnis trifft, so setzt die Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers weiterhin ein beiderseitig intaktes Verteidigungsinnenverhältnis voraus. Fehlt es nur aus der Sicht eines Beteiligten an der Konsensfähigkeit der jeweils verfolgten Verteidigungsstrategie in einern Maße, das aus seiner Sicht die weitere Zusammenarbeit sinnlos macht, so ist das ein Grund zur Entpflichtung des Pflichtverteidigers. 144 Wird das gestörte Verteidigungsin142 Damit begründet OLG Hamburg NJW 1998, 621 (623) die Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers durch das LG Hamburg. Ähnlich Kudlich, NStZ 1998,588 (589f.). 143 Kritisch auch OLG Nürnberg, StV 1995, 289 (290). Dazu auch Barton, StV 1995, 290 (292). 144 Ähnlich Hamm, NJW 1993, 289 (294); BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 7 ["Der Rechtsanwalt darf die Übernahme einer Pflichtverteidigung auch dann ablehnen, wenn sie gegen den Willen des Beschuldigten oder des Wahlverteidigers oder gegen seinen eigenen Willen zu führen wäre."]. Ähnlich übrigens schon

A. Der Verteidiger als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung

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nenverhältnis dem Gericht offenbar, so hat es von Amts wegen den Pflichtverteidiger auszuwechseln. Das ergibt sich als notwendige Folge aus der gesetzgeberischen Wertung des § 142 I 1, dem Vorsitzenden die Auswahl und Bestellung des Pflichtverteidigers zuzuweisen. Auf Anträge des Pflichtverteidigers oder des Beschuldigten kommt es nicht an, auch wenn diese Vorstellung in der hier zugrundegelegten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anklingt. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich natürlich die Frage, wie dem Mißbrauch des Beschuldigten sowie ggfs. seines Verteidigers begegnet werden kann, durch immer neue Auswechslung des Pflichtverteidigers den Prozeß zu verschleppen. Darlegungsobliegenheiten, wie sie nach der Vorstellung des Bundesgerichtshofs dem Pflichtverteidiger nun in verschärftem Maße auferlegt werden sollen,145 können dabei nur in sehr beschränktem Maße ein gangbarer Weg sein. Es hat sich schon im Zweiten Teil der Untersuchung gezeigt, daß die Schweigepflicht des Verteidigers ein ganz wesentliches Element der Tabuisierung des Verteidigungsinnenverhältnisses ist. Jede Aufweichung mindert folgerichtig die Vertrauensstellung des Pflichtverteidigers und damit die Qualität der Pflichtverteidigung im Vergleich zur Wahlverteidigung. Das gilt um so mehr, als Darlegungsobliegenheiten im hier relevanten Zusammenhang in der Regel das Innerste des Verteidigungsinnenverhältnisses betreffen und damit im besonderen Maße staatlichem Zugriff entzogen sei müssen. 146 Die Gerichte sind vielmehr gehalten, die Erklärungen des Pflichtverteidigers hinzunehmen, solange dieser nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden wird. Erst recht gilt das natürlich für das Vorbringen des Beschuldigten, weil der Schutz des Verteidigungsinnenverhältnisses in seinem Interesse besteht. 147 Diese Erwägungen sprengen nur auf den ersten Blick den Rahmen der bisherigen gerichtlichen Praxis. Denn sieht man vom letztgenannten Gesichtspunkt ab, dem Vorrang der tatsächlich postulierten gegenüber den wohlverstandenen Beschuldigteninteressen, so entspricht die hier vertretene Ansicht der Richtung, die von der Rechtsprechung bis in die jüngere Zeit zwar nicht in der Begründung, wohl aber über die Privilegierung des Verteidigervorbringens im Ergebnis verfolgt worden ist. Vargha, Vertheidigung S. 330f. [... doch dem Vertheidiger muss die Möglichkeit geboten sein, sich auch schon gegen den Schein des Verdachtes zu salviren, dass er seinem Clienten etwas entgelten lasse, dass er sich eines dolosen Aufgeben des Parteistandpunktes, einer Prävarication schuldig mache"]. 145 Vgl. nur BGH JR 1996, 124. 146 Vgl. nur BGHSt 41, 69 (70). Auf einem schmalen Grat bewegt sich daher BRAK, Thesen zur Strafverteidigung These 7 Begr. IVm These 3, wenn der Verteidiger seinen Entpflichtungsantrag in Abwägung mit seiner Schweigepflicht begründen soll. 147 Das verkennt Anja Müller. JR 1996, 124 (126).

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Nun könnte sich zwar gerade ein gestärktes Mitspracherecht des Beschuldigten in Exzeßfallen als kritisch im Hinblick auf das rechtsstaatliche Ziel erweisen, die Durchführung von Strafprozessen in angemessener Zeit zu sichern. Andererseits sollte man die Gefahr der Verfahrensverschleppung durch den Beschuldigten in solchen Fällen nicht überbetonen. Gerade in Exzeßfallen ständigen Verteidigerwechsels durch den Beschuldigten wird es sich nicht selten eher um das prozeßpsychologische Problem fehlenden Vertrauens in die Tauglichkeit des Verteidigers handeln, übrigens potentiell verstärkt durch zunehmende staatliche Vereinnahmung des Pflichtverteidigers, als um das prozeßrechtliche Problem des Mißbrauchs der Pflichtverteidigung zur Verfahrensverzögerung. Immerhin befindet sich der Beschuldigte im Strafprozeß in einer psychischen Ausnahmesituation. 148 Für die dann noch verbleibenden Fälle der Verfahrensdestruktion durch den Beschuldigten hat Lüderssen in ähnlichem Zusammenhang zurecht die Frage aufgeworfen, ob es wirklich angemessen ist, in Jahrhunderten erkämpfte Garantien eines gerechten Verfahrens als Preis für eine Wahrheitsfindung um jeden Preis in einigen wenigen Verfahren zu opfern. 149 Schließlich rührt der Rekurs auf die wohl verstandenen Interessen des Beschuldigten im Zusammenhang mit dem Recht auf den Beistand eines Verteidigers des Vertrauens an den Grundfesten der SubjektsteIlung des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß, ohne die eine funktionstüchtige Strafrechtspflege in keinem Verfahren denkbar erscheint. Dieser Gesichtspunkt verdient um so mehr Beachtung, als die Gefahr des Mißbrauchs der Pflichtverteidigung nicht nur von Seiten des Beschuldigten besteht. Eklatante Beispiele dafür liegen selbst dann auf der Hand, wenn man die RAFProzesse ausblendet. So wird in der gerichtlichen Praxis mitunter dem Beschuldigten, der mit der Wahl eines Verteidigers nach § 143 die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers herbeigeführt hat, die Beiordnung des gewählten Verteidigers mit dem Hinweis auf eine verbotene "Erschleichung des Pflichtverteidigers" verweigert, und damit sowohl in das Recht auf freie Verteidigerwahl wie auf die Beiordnung eines Pflichtverteidiger des Vertrauens als wesentliche Elemente eines rechtsstaatlichen Verfahrens eingegriffen. ISO Der Bundesgerichtshof sieht es weiterhin als unbedenklich an, wenn dem Beschuldigten der von ihm mit Hinweis auf das fehlende Vertrauensverhältnis entlassene Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beigeordnet wird. lsl Das LG Ansbach hat in dem bekannten Kin148 Eindringliches Beispiel dazu LG Koblenz NStZ 1995, 250, dazu Wasserburg, NStZ 1995, 250f. 149 Lüderssen, NJW 1986,2742 (2743). ISO Vgl. nur KG JR1957, 469; KG StV 1981, 457; OLG Koblenz, MDR 1986, 604; OLG Düsseldorf, JMBINW 1988, 34. Kritisch Sarstedt, JR 1957, 470f.; Hahn, Notwendige Verteidigung S. 34; Molketin, MDR 1989,503 (504ff.). lSl BGHSt 39, 310 (314).

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförrnigen Verfahrens

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derschänderprozeß Flachslanden sogar einem wegen angeblicher Konfliktverteidigung nach § 143 entpflichteten Verteidiger die Zulassung als Wahlverteidiger mit Hinweis auf diese Vorschrift verweigert. 152 Letztlich verfestigt sich damit das bei der Behandlung der Beweisantragspflegschaft des Verteidigers gewonnene Ergebnis: Mitwirkungspflichten des Verteidigers betreffen immer nur die einseitige ParteisteIlung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten, nicht aber darüber hinaus die Gewährleistung einer funktionsfähigen Hauptverhandlung. Auch bei der Behandlung der Mitwirkungs- und Übernahmepflichten des Pflichtverteidigers hat sich im übrigen die Gefahr des Übergehens der schützenden Formen des Strafprozeßrechts durch Richterrecht gezeigt. Führte die Hervorhebung des Verteidigers als Teilhaber an der Rechtspflege bisher zu dessen verdeckter Privilegierung im Interesse des Beschuldigten, so soll es nunmehr auf sein Vorbringen gar nicht mehr ankommen. Es bleibt zu hoffen, daß die vom Bundesgerichtshof verfolgte Tendenz zur zusätzlichen Inpflichtnahme des Verteidigers im staatlichen Interesse einer funktionsfähigen Hauptverhandlung, die insbesondere im Zusammenhang mit der Beweisantragspflegschaft des Verteidigers auf andere Fallkonstellationen exzessiven Rechtsgebrauchs oder Rechtsrnißbrauchs des Beschuldigten übertragbar erscheint, nicht im Sinne einer schrittweisen Aushöhlung der ParteisteIlung des Verteidigers im reformierten Strafprozeß fortgeführt wird.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfOrmigen Verfahrens Korrigiert der Bundesgerichtshof auf der einen Seite die ParteisteIlung des Verteidigers durch Mitwirkungspflichten im Interesse einer funktionsfähigen Hauptverhandlung, so greift er auf der anderen Seite auf diese ParteisteIlung zurück, wenn es um die Freistellung der staatlichen Rechtspflegeorgane als Garanten eines justizförmigen Verfahrens geht. Im gleichen Maße, wie es zur Stärkung der SubjektsteIlung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren durch die Sanktionierung von Verfahrensfehlern bei der polizeilichen Vernehmung durch Beweisverwertungsverbote kommt, 153 werden dem Verteidiger durch die Widerspruchslösung Mitwirkungspflichten auferlegt. Das gilt für die verfahrensfehlerhafte Durchführung der verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten als bisherigem Hauptanwendungsfall der Widerspruchslösung gleichermaßen wie für die Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht, 154 für die Durchsetzung der Vertei1S2

LG Ansbach StV 1995, 287ff., aufgehoben durch OLG Nümberg StV 1995,

153

Vgl. nur Roxin, JZ 1992, 923 (924). BGHSt 38, 214 (220ff.); 39, 349 (352f.).

289f. 154

202

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

digerkonsultation durch Unterbrechung der Vernehmung l55 und für die Hilfestellung der Ermittlungsbehörden bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger. 156 Auch diese Form der Inpflichtnahme des Verteidigers spiegelt sich nicht als erzwingbare Pflicht zur tätigen Teilnahme im Strafprozeß wieder, sondern in Form eines Rügeverlusts des verteidigten Beschuldigten im weiteren Verlauf des Verfahrens bei unterlassenem bzw. verspäteten Widerspruch. 157 Der Verteidiger wird dadurch wiederum mit verfahrensrechtlicher Verantwortung belastet, angesichts seiner Weisungs gebundenheit zumindest mit der Beratung des Beschuldigten über die Widerspruchspflicht, die an sich dem unparteilichen Gericht als Inquirent der Hauptverhandlung obliegt. Denn anerkanntermaßen sind Beweisverwertungsverbote im Strafurteil durch das Tatgericht nach § 244 11 von Amts wegen zu beachten. 158 Im Unterschied zu den vorhergehend behandelten Mitwirkungspflichten liegt der Widerspruchslösung in der Sache der Rekurs auf die Partei stellung des Verteidigers zugrunde, nicht aber die Loslösung daraus durch die zusätzliche Aufgabe der Verfahrenssicherung. Der Bundesgerichtshof führt dazu aus: " ... Diese Einschränkung des Verwertungsverbots beschneidet die Rechte des Angeklagten nicht in unangemessener Weise. Sie entspricht der besonderen Verantwortung des Verteidigers und seiner Fähigkeit, Belehrungsmängel aufzudecken und zu erkennen, ob die Berufung auf das Verwertungsverbot einer sinnvollen Verteidigung dient ... ,,159

Aus rechtspolitischer Sicht spiegelt sich in dem Zusammenspiel zwischen Justizförmigkeit und Funktionsfahigkeit der Hauptverhandlung als Elemente richterrechtlicher Inpflichtnahme des Verteidigers eine der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nicht unbedingt zuträgliche Gegenläufigkeit wieder, wie sie schon die Gesetzgebung der letzten Jahre bestimmt hat. 160 So räumt etwa Basdorf ein, die Widerspruchslösung könne den Gang der Hauptverhandlung unerträglich aufhalten, sieht darin aber keine durchgreifenden Schwierigkeiten. 161 Diese Bewertung steht allerdings nicht nur in einem evidenten Spannungsverhältnis zu der angestrebten ImmunisieBGHSt 38, 372 (373f.). BGHSt 42, 15 (22ff.). 157 Vgl. nur Maatz, NStZ 1992,513 (514, 518). IS8 Vgl. nur LR-Gollwitzer § 261, 64 m. w. N. IS9 BGHSt 38, 214 (226). 160 RieB, FG-Friebertshäuser S. 103 (04) spricht vom StrafprozeBrecht " ... als hoch ausdifferenziertem, wenig übersichtlichem, kompliziertem und kaum noch verständlichem Rechtssystem, als Produkt einer kodikfikatorischen und wissenschaftlichen Spätzeit ... " Ähnlich Bemsmann, StV 1997, 116 (19). Selbst der damalige Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig hat im Jahre 1997 den Trend zum Gesetzesaktionismus ohne sorgfältige Analyse kritisiert, zit. nach FAZ v. 23.6.1997, S. 6. ISS

IS6

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfönnigen Verfahrens

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rung der Hauptverhandlung durch zusätzliche Mitwirkungspflichten des Verteidigers, sondern auch zu den mit der Widerspruchslösung verbundenen Anforderungen an den Verteidiger. Denn dieser wird genötigt, im Zweifel besser einen Widerspruch zuviel als zuwenig einzulegen, will er das Recht zur Rüge des Beweisverwertungsverbots nicht vorzeitig verlieren und sich damit zugleich möglichen Schadensersatzansprüchen des Beschuldigten aussetzen. 162 Schließlich soll der Verteidiger seinen Widerspruch nicht nur in der Frist des § 257 einlegen müssen, um dessen Präklusion zu vermeiden. 163 Darüber hinaus betrachtet der Bundesgerichtshof jede Beweiserhebung für sich allein, um Unsicherheiten über ihre Verwertbarkeit zu vermeiden. Im Zweifel müsse der Verteidiger nach jeder Beweiserhebung vorsorglich der Verwertung widersprechen. Er könne den Widerspruch gegebenenfalls später wieder zurücknehmen. l64 Gerade damit wird aber die Hauptverhandlung aus prozeßökonomischer Sicht zusätzlich belastet. Im übrigen erscheint diese Ermunterung zur Einlegung vorsorglicher Widersprüche mit dem Prinzip der Unzulässigkeit bedingter Prozeßhandlungen schwer zu vereinbaren, dessen Übergehung ausnahmsweise nur bei innerprozessualen Bedingungen aus prozeßökonomischen Gründen zu rechtfertigen ist. Das gilt um so mehr, als BGHSt 40, 287 ff., wie im Zweiten Teil der Untersuchung näher besprochen, im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Hilfsbeweisanträgen dieses Prinzip gerade nachdrücklich bestätigt hat. 165 Derartige Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Widerspruchslösung erschöpfen ihre verfahrensrechtliche Bedeutung allerdings nicht, erscheint doch ihre strukturelle Tragweite gerade angesichts der inquisitorischen Strukur des reformierten Strafprozesses gewaltig. Stehen Beweisverwertungsverbote zur Disposition der Verteidigung, so liegt darin ein deutlicher Schritt in Richtung zu einem Parteiprozeß.I66 Zwar bedarf es an dieser 161 Basdorf, StV 1997, 488 (492), der sich in zusätzliche Widersprüche verstrickt, wenn er von der Befürchtung der Einräumung zu weitgehender Widerspruchsrechte spricht. 162 Ähnlich OLG Celle, NJW 1993, 545 (546) [n ... und müßten sich Verteidiger, um sich auch nicht des schwächsten Schimmers einer Verteidigungsmöglichkeit zu begeben, in Zukunft geradezu provoziert sehen, die Durchführung der Beweisaufnahme mit der Behauptung der unsinnigsten Verwertungsverbote zu verzögern ... "] Ähnlich Ventzke, StV 1997, 543 (547). Dahs, StraFo 1998, 253 (256) spricht sogar von n'" neuem ,,Material" für Verfahrensabsprachen. " 163 BGHSt 38, 214 (225f.); 42, 15 (22ff.). Zu der damit zusätzlich verbundenen Problematik der rechtzeitigen Erkennbarkeit des Verfahrensfehlers, insbesondere bei der Belehrung des Beschuldigten, Ventzke, StV 1997,543 (548). 164 BGHSt 39, 349 (352 f.). Im Einzelnen Meyer-Goßnerl Appl, StraFo 1998, 258 (262ff.). 16S Näher im Zweiten Teil der Untersuchung C I 2. 166 MaullEschelbach, StraFO 1996, 66 (70).

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

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Stelle keiner näheren Erläuterung mehr, daß mit der Beratungs/unktion des Verteidigers untrennbar die Pflicht verbunden ist, den Beschuldigten über das Für und Wider der Ausübung des Schweigerechts bei der verantwortlichen Vernehmung durch Polizei und Gericht zu beraten. 167 Die Pflichten des Verteidigers gegenüber dem Beschuldigten bestimmen aber nunmehr die Aufgabenverteilung zwischen Verteidiger und Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren sowie zwischen Verteidiger und Gericht in der Hauptverhandlung. 168 Genauso wie der fristgerechte Widerspruch des Verteidigers bzw. des verteidigten Beschuldigten die Verwertung eines fehlerhaft erlangten Beweismittels im Strafurteil sperrt, müssen es die Tatgerichte verwerten, wenn in der Hauptverhandlung kein Widerspruch dagegen erhoben wird. Anderenfalls läge ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 11 vor. 169 Entsprechend ist die Widerspruchslösung in der Literatur auch aufgenommen worden: Das Abstellen auf die Fähigkeit des Verteidigers zur Aufdeckung des vorherigen Verfahrensfehlers bedeute die Abgabe der gerichtlichen Verantwortung für die Einhaltung von Verfahrensnormen an den Verteidiger. 17o Der Vergleich der Widerspruchslösung mit einer zivi/prozessualen Einrede erscheint vor diesem Hintergrund, erst recht angesichts der formalen Ausgestaltung über Präklusion und isolierter Betrachtung jeder Beweiserhebung, nicht übertrieben, 171 Das OLG Celle hat ihre Anwendung auf Altfälle sogar abgelehnt, weil ihre Anforderungen an Verteidiger in solchen Fällen dem Verlangen von Unmöglichem nahekäme. 172 Angesichts dieser umwälzenden Konzeption stellt sich zunächst die Frage, inwieweit die Widerspruchslösung mit der Systematik der Beweisverwertungsverbote im Strafurteil nach geltendem Recht vereinbar ist (dazu unter 1.). Zusätzlich wird in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sein, daß die Widerspruchslösung an bereits in der bisherigen gerichtlichen Praxis verfolgte Lösungswege anknüpft, die Gerichte zu Lasten des Verteidigers, genauer: des verteidigten Beschuldigten, von der Überwachung von Vorschriften freizustellen, die dem Schutz des Beschuldigten dienen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die im Zweiten Teil der Untersuchung angesprochene Betonung des wahren Urteils gegenüber dem gerechten Verfahren als Folge der inquisitorischen Grundhaltung des reformierten Strafnur BGHSt 38, 372 (373) sowie Dahs, Handbuch S. 262. nur Kiehl, NJW 1993,501 (502); Hamm, NJW 1993,289 (291). 169 BGHSt 31, 395 (397f.); BGH NJW 1995,2047 m. W.N. 110 Fezer, JR 1992, 385 (386f.); ders., JZ 1994, 986 (987); Kiehl, NJW 1994, 1267 (1268); Maatz, NStZ 1992, 513 (518); Beulke, Strafprozeßrecht S. 64; KK-Laufhütte Vor § 137,5. 111 Bohlander, NStZ 1992, 504 (506); Kiehl, NJW 1993, 504 (505); Lesch, JA 161 168

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

1995, 157 (162). 112

OLG Celle NJW 1993, 545 f.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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prozesses. Damit rücken an dieser Stelle die Fälle des sogenannten Rügeverlusts durch zurechenbares Parteiverhalten in das Blickfeld. Schon Jescheck warnte in den Fünfziger Jahren die Rechtsprechung davor, durch die Überdehnung des Rügeverlusts aufgrund fingierter Verzichts- und Verwirkungs tatbestände in der Hauptverhandlung der Verteidigung eine Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Einhaltung der Verfahrensvorschriften aufzuerlegen. 173 Angesichts einer immerhin in Jahrzehnten verfestigten Rechtsprechung, an die der Bundesgerichtshof in seiner hier zugrundegelegten Ausgangsentscheidung zur Widerspruchslösung ausdrücklich angeknüpft hat,174 wird in einem zweiten Schritt zu fragen sein, ob und inwieweit hinter dem Rügeverlust durch die zurechenbare Aufgabe verzichtbarer Verfahrensnormen Rechtssätze stehen, die dem Verteidiger außerhalb der Systematik der Beweisverwertungsverbote Mitwirkungspflichten im Sinne einer Verpflichtung zur tätigen Teilnahme an der Hauptverhandlung auferlegen. Ventzke spricht in diesem Zusammenhang vom Rügeverlust als Folge einer Konsenslösung. 175 (dazu unter 11.).

I. Dogmatik der unselbständigen Beweisverwertungsverbote und Widerspruchslösung

Die Anerkennung der strafprozessualen Beweisverbote geht nicht von ungefähr mit der Entwicklung des reformierten Strafprozesses einher. 176 Vielmehr findet darin der für die Ablösung der gemeinrechtlichen Prozeßordnungen maßgebliche Satz, es dürfe keine Wahrheitsfindung um jeden Preis geben, im besonderen Maße seinen Ausdruck. 177 Denn die Beweisverbote dienen dem Ausgleich des Spannungsfelds zwischen dem inquisitorischen Streben nach einem wahren Urteil einerseits, und der Einhaltung der schützenden Formen des Strafprozeßrechts als Ausdruck eines gerechten Verfahrens sowie der Dialektik im Strafprozeß, im wesentlichen verwirklicht durch die Mitwirkungsrechte der Verteidigung, als wahrheitssicherndes Instrument andererseits. Diese Spannungsfelder bestimmen auch die sog. unselbständigen Beweisverwertungsverbote, 178 also die Bewertung einfachgesetzlicher Verfahrensverstöße ohne die ausdrückliche Anordnung eines 173 Jescheck, JZ 1952, 400 (402f.). Ähnlich Oehler, JZ 1951, 725; Niese, JZ 1951,221 f. Genauso in jüngerer Zeit Schlothauer, StV 1983,320 (321). 174 BGHSt 38, 214 (226) m.w.N. Dazu auch Maatz, NStZ 1992,513 (515ff.). m Ventzke, StV 1997,543 (547f.). 176 VgJ. nur BGHSt 14, 358 (365); Roxin, Strafverfahrensrecht S. 165. Der Begriff geht zurück auf Beling (Die Beweisverbote als Grenze der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, 1903). 177 Vgl. nur Peters, Strafprozeß S. 279. 178 Grundlegend Rogall, ZStW 1979, I (3 ff.).

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Beweisverwertungsverbots, in deren Rahmen sich die Widerspruchslösung bewegt. Der Gesetzgeber ordnet allerdings abgesehen von § 136 a m 2 nicht ausdrücklich ein Verbot der Beweisverwertung im Strafurteil für die Fälle an, in denen bei der Beweiserhebung gegen einfaches Recht verstoßen worden ist. Die Beschäftigung mit der Widerspruchslösung setzt daher vorrangig die Klärung der grundsätzlichen Frage nach den dogmatischen Grundlagen der unselbständigen Beweisverwertungsverbote voraus. 1. Die dogmatischen Grundlagen unselbständiger Beweisverwertungsverbote

Es würde an dieser Stelle den Rahmen der Untersuchung sprengen, den bis heute vehement geführten Meinungsstreit über die unselbständigen Beweisverwertungsverbote bis in alle Einzelheiten entfalten oder gar abschließend klären zu wollen. 179 Immerhin spricht sogar Roxin von einem schwierigen Problemkreis, bei dem die Dogmatik sich noch im Aufbruch befinde; allen mitgeteilten Ergebnisse komme nur ein vorläufiger Charakter ZU. 180 Es geht aber hier lediglich um die Offenlegung der dogmatischen Grundlagen unselbständiger Beweisverwertungsverbote im Hinblick auf deren Vereinbarkeit mit der Widerspruchslösung. Die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte liegen wiederum weniger im Dunkeln, als es aus der Sicht von Roxin als Verfechter der sog. Abwägungslehre, 181 die eher kasuistischen als systematischen Erwägungen folgt, deutlich wird. Verdeutlicht man sich nochmals die Stellung der Beweisverbote im Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit in einem Prozeß, den der Staat gegen den Beschuldigten führt, so ergibt sich als deren vorrangiger Zweck der Schutz des Beschuldigten vor der Überschreitung von Grenzen, die der inquisitorischen Wahrheitsfindung gesetzt werden. Unselbständige Beweisverwertungsverbote dienen also in erster Linie dem Schutz subjektiver Rechte des Beschuldigten. Dieser Schutzzweck unselbständiger Beweisverwertungsverbote ist im Anschluß an die insoweit wegweisende Entscheidung BGHSt 11, 213 ff. nicht nur weitgehend anerkannt,182 sondern gerade durch die Überlegungen von Dencker als Hauptgegner der subjektivrechtlichen Herleitung von Beweisverwertungsverboten bestätigt worden. Dencker sieht zwar als einzig plausible und rechtssystematisch passende Erklärungsmöglichkeit für die Sanktionierung von Verfahrensfehlern durch Beweisverwertungsverbote den sonst drohenden Verlust generalpräventiver Wirksamkeit des Strafverfahrens, räumt aber selbst angesichts der Konkretisierungsbe179 ISO 181 182

Dazu Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote S. lOff. Roxin, Strafverfahrensrecht S. 164. Vgl. nur Roxin, Strafverfahrensrecht S. 166f. Näher Amelung, Informationsbeherrschungsrechte S. 16f., 24ff. m. w.N.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfönnigen Verfahrens

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dürftigkeit dieses Prinzips ein, es ließe sich daraus kein unmittelbarer Schluß ziehen, in welchen Fällen aus einem Verfahrensfehler ein Beweisverwertungsverbot folge. Dazu bedürfe es weiterer normativer Anhaltspunkte. 183 Das leitet auf den zweiten Gesichtspunkt hin, der sich aus der Stellung der Beweisverbote im Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit notwendig ergibt, nämlich die Bindung des Gerichts an die prozessualen Wertungsmaßstäbe als Ausdruck eines gerechten Verfahrens. Es ist an dieser Stelle nochmals daran zu erinnern, daß die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ohne die Beachtung der gesetzlich vorgegebenen Regeln über Umfang und Grenzen der Wahrheitsfindung die rechtsstaatliche Legitimation des reformierten Strafprozesses in frage stellt. Man kann vor diesem Hintergrund zwar über das Wie des Zusammenspiels zwischen subjektivrechtlicher Herleitung der Beweisverbote und Bindung des Gerichts an prozessuale Wertungsmaßstäben streiten. So wird vertreten, jede Verletzung der schützenden Formen des Strafprozeßrechts sei als Verletzung der Justizgewährungspjlicht des Staates gegenüber dem Beschuldigten durch ein Beweisverwertungsverbot im Strafurteil zu sanktionieren. 184 Dagegen verstehen die Vertreter der Schutzzwecklehre die unselbständigen Beweisverwertungsverbote als Instrumente zur Sicherung von Individualrechten des Beschuldigen vor Schadensvertiefung im Strafurteil, 185 oder noch enger als Instrumente, das Strafurteil von Beweismitteln freizuhalten, die nach dem Schutzzweck der verletzten Verfahrensnorm der Verwertung im Strafurteil entzogen sein sollen. 186 Aber jeder dieser Auffassungen liegt die gemeinsame Erkenntnis zugrunde, die Ermittlung unselbständiger Beweisverwertungsverbote im Strafurteil habe vom Schutz des Beschuldigten auszugehen und sich an den prozessualen Wertungsmaßstäben auszurichten, die der Gesetzgeber der Auflösung des Spannungsfelds zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit zugrundelegt. 187

Dencker, Verwertungsverbote S. 59ff., 72f. Vgl. nur Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen S. 146ff.; Eb. Schmidt, LK I S. 57f., 267f. Deren Überlegungen haben neuerdings Gössel, NStZ 1998, 126 (130); Bemsmann, StraFo 1998, 73 (74) wieder aufgenommen. 185 Grdl. Grünwald, JZ 1966, 489 (494ff., 501); ders., Beweisrecht S. 143ff. (154). 186 Grdl. Rudolphi, MDR 1970, 93 (98 ff.). 187 Näher Amelung, Infonnationsbeherrschungsrechte S. 44ff.; Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote S. 17 ff. Der Einwand von Bohnert, NStZ 1982, 5 (0), ein Verstoß gegen Nonnen könne festgestellt, eine Schutzzweckverletzung dagegen nur konstruiert werden, kann nicht überzeugen. Denn das setzt voraus, daß Verfahrensnonnen ohne bestimmbaren Sinn und Zweck existieren. Nonnen sind aber kein Selbstzweck; selbst die Befürworter eines justizfönnigen Justizgewährungsanspruchs verstehen den Zweck der schützenden Fonnen des Strafprozeßrechts als Ausdruck eines gerechten Verfahrens. 183

184

208

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Unter diesen Prämissen unterliegt es keinem Zweifel, daß die in den

§§ 136 / 2, /63 a III niedergelegten schützenden Formen des Strafprozeß-

rechts die Grenzen inquisitorischer Wahrheitsfindung bei der verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren markieren. Weil die verantwortliche Vernehmung den Beschuldigten im Grenzbereich seiner DoppelsteIlung als Prozeßobjekt und Prozeßsubjekt trifft, gilt das in doppelter Hinsicht. Zum einen stellt die Belehrung die Aussagefreiheit des Beschuldigten sicher. Es steht dem Beschuldigten frei, ob er sich durch seine Aussage zur Sache faktisch zum Beweismittel und damit zum Prozeßobjekt in eigener Sache macht. Den Ausführungen des Bundesgerichtshofs ist insoweit nichts hinzuzufügen: ,,Der Grundsatz, daß niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, also ein Schweigerecht hat, gehört zu den anerkannten Prinzipien des Strafprozesses ... Sie schützt das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten und ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens ... Das Gesetz, das in § 136 I 2 und in § 243 IV den Vernehmenden verpflichtet, auf das Recht, nicht auszusagen, hinzuweisen, geht davon aus, daß ein solcher Hinweis zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten (Angeklagten) notwendig ist, weil das Schweigerecht nicht allgemein bekannt ist ... Deshalb sichert der Hinweis auf das Schweigerecht ein faires Verfahren.,,188

Zusätzlich sichert das Recht auf Verteidigerkonsultation vor der verantwortlichen Vernehmung nicht nur die Aussagefreiheit des Beschuldigten, sondern auch seine Mitwirkungsrechte als Prozeßsubjekt, sowie daraus abgeleitet die Mitwirkungsrechte seines Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe. Schließlich soll die verantwortliche Vernehmung dem Beschuldigten nach § /36 II Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. Darauf und damit auf die Verwirklichung des Rechts auf rechtliches Gehör bezieht sich die Beratungsfunktion des Verteidigers unmittelbar. Folgerichtig zieht ebenso wie die unterlassene Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht auch die Verhinderung der Verteidigerkonsultation durch die Ermittlungsbehörden in jeder Variante - von der unterlassenen Belehrung über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers nach § /36 / 2, 2. Hs. bis zur tatsächlichen Umgehung - ein Beweisverwertungsverbot im Strafurteil nach sich. 189 188 BGHSt 38, 214 (221). 189 Näher BGHSt 38. 372 (3730; BGHSt 42, 15 (20ff.); Lesch. JA 1995. 157 (162f.); Beulke. NStZ 1996. 257ff. (262); Roxin. JZ 1997. 343 (344f.); M. Kaufmann, NStZ 1998. 474. Zur Abgrenzung des Objekts- und des Subjektsgesichtspunkts Amelung. FS-Bemmann S. 505 (517 f.). Auf die Voraussetzungen eines wirksamen Einverständnisses des Beschuldigten mit einer Durchführung der verantwortlichen Vernehmung ohne Verteidigerkonsultation und die damit zusammenhängenden Fragen kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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2. Widerspruchslösung und richterliche Aufklärungspflicht

Damit kommt man zur Vereinbarkeit der Widerspruchslösung mit der Dogmatik der unselbständigen Beweisverwertungsverbote. Sind unselbständige Beweisverwertungsverbote Ausdruck des Schutzes des Beschuldigten vor inquisitorischer Wahrheitsfindung im Interesse der dialektischen Wahrheit und eines gerechten Verfahrens, so schlagen sie sich im Prozeß folgerichtig als prozessuale Sanktion für die fehlerhafte Gewinnung des Strafurteils nieder. Das wirkt sich in erster Linie in der Form aus, daß das Gericht mit der Aufhebung des Strafurteils in der Revisionsinstanz nach den §§ 337/, 353 rechnen muß, wenn dieses ohne die Verwertung des fehlerhaft erhobenen Beweises möglicherweise anders ausgefallen wäre. Die drohende Aufhebung des fehlerbehafteten Strafurteils in der Revisionsinstanz entfaltet aber dadurch auch eine gleichgerichtete Vorwirkung auf die Beweisverwertung im Stadium der Urteilsfindung. l90 Die Widerspruchslösung entspräche vor diesem Hintergrund nur dann (aber immer dann) geltendem Recht, wenn die prozessualen Wertungsmaßstäbe entgegen § 244 TI ausnahmsweise dem Verteidiger und nicht dem Gericht die Verantwortung für die Verwertung fehlerhaft erlangter Beweise im Strafurteil auferlegen. 191 a) Richterliche Aufklärungspflicht und Heilung von Verfahrensfehlern Zur Reichweite einer solchen Ausnahme von der Regel ist zunächst festzuhalten, daß die richterliche Aufklärungspflicht nach § 244 11 sich nicht auf die Beachtung von Beweisverboten von Amts wegen beschränkt, sondern darüber hinaus auch die Heilung von Verfahrensmängeln durch die ordnungsgemäße Wiederholung der fehlerhaften Beweiserhebung erfaßt. 192 Wie immer im prozessualen Geschehen handelt es sich dabei nicht um einen durchsetzbaren bzw. erzwingbaren Handlungsimperativ, sondern um die Wahrnehmung von funktioneller Eigenverantwortung zur Schaffung günstiger Prozeßlagen, aus der Sicht des Gerichts also zur Erlangung eines revisionsfesten Urteils. Diese prozessuale Pflicht zur Heilung von Verfahrensmängeln hat nicht nur in § 29 II 2 ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden, sondern spielt gerade im Zusammenhang mit Belehrungsmängeln bei der verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten eine besondere Rolle. So ist die Pflicht zur Heilung von Belehrungsmängeln durch eine erneute, ordnungsgemäß durchgeführte Vernehmung (sog. qualifizierte Belehrung) mit Hinweis auf die Unverwertbarkeit der vorherigen Verneh190 191 192

Näher Grüner, Beweisverwertungsverbote und Revisibilität S. 26ff. Ähnlich Fezer, JZ 1994, 986 (987). BGHSt 22, 129ff.; 33, 99f.; ausführlich Schmid, JZ 1969,757 m.w.N.

14 Grüner

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

mung in der gerichtlichen Praxis anerkannt. 193 Der Bundesgerichtshof hat die Belehrung des Beschuldigten über seine Aussagefreiheit in der Hauptverhandlung nach § 243 IV 1 sogar als deren gesetzliche Ausprägung bezeichnet. 194 Vor diesem Hintergrund läßt sich die Widerspruchs lösung nicht mit allgemeinen Erwägungen zur Verantwortlichkeit des Verteidigers begründen. Derartige Begründungsversuche geraten notwendig zirkulär, weil sie genau das zugrundelegen, was sie beweisen wollen, nämlich die Verantwortlichkeit bzw. Nichtverantwortlichkeit des Verteidigers für die Geltung unselbständiger Beweisverwertungsverbote. Das gilt für Domach, der die Widerspruchslösung mit Blick auf die Streckung des Verfahrens durch die Revisionsinstanz und der damit regelmäßig verbundenen Strafmilderung für den Beschuldigten ablehnt,195 genauso wie für Widmaier, der die Widerspruchslösung in Anlehnung an die eben zitierte Begründung des Bundesgerichtshofs als "Appell an die Professionalität des Verteidigers" begrüßt. 196 Letzterer Gedankengang mag zwar gerade aus Verteidigersicht prozeßtaktisch reizvoll sein. Denn hindert der Widerspruch des Verteidigers die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung nicht,197 liegt aber aus prozeßpsychologischer Sicht die mittelbare Beeinflussung der richterlichen Beweiswürdigung durch verbotene Beweismittel ohnehin nahe, so dient es den Interessen der Verteidigung, für die Verwertung solcher Beweismittel selbst zuständig zu sein. 198 Aus prozeßrechtlicher Sicht reicht dieser Gesichtspunkt als Begründung der Widerspruchslösung aber nicht aus. Schließlich erlangt der Beschuldigte dadurch mehr, als er nach § 244 11 ohne den Verfahrensfehler gehabt hätte. Denn das parteiliche Interesse des Beschuldigten an einem günstigen Verfahrensausgang durch die Entscheidung über Verwertung oder Nichtverwertung des fehlerhaften Beweismittels geht über die inquisitorisch bestimmte Fehlervermeidung bzw. Fehlerkompensation von Amts wegen hinaus. Der Appell an die Verteidigerprofessio193 BGHSt 22, 129 (134ff.); 27, 355 (358f.). Zur qualifizierten Belehrung LG Bad Kreuznach, StV 1994, 293ff. 194 BGHSt 22, 129 (135). 19S Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 177 f. 196 Widmaier, NStZ 1992,519 (521). Ähnlich Roxin, JZ 1997,343 (346), demzufolge es bei der Widerspruchslösung darum geht, dem Verteidiger in seiner Gestaltungssphäre eine verantwortliche Verfahrensstrategie abzufordern. Noch schärfer Hamm, NJW 1993, 289 (296f.) ["Das Recht der Verwertungs verbote ist nicht dazu da, den Beschuldigten vor schlechten Verteidigern zu schützen."] 197 Das ist schon in der Konzeption der Widerspruchslösung durch die Pflicht zur vorsorglichen Einlegung des Widerspruchs, der später wieder zurückgenommen werden kann, angelegt. Dem entspricht die richterliche Praxis, vgl. Dahs, StraFo 1998, 253 (254). 198 Kiehl, NJW 1994, 1267 (1268); Dahs, StraFo 1998,253 (254ff.). Zur Suggestivwirkung durchgeführter Beweisaufnahmen auch Schmid, JZ 1969, 757 (761 f.); Maul/Eschelbach, StraFo 1996, 66 (70).

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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nalität als Pauschalargument erscheint im übrigen gerade unter einseitiger Berücksichtigung von Beschuldigteninteressen nicht unproblematisch. Denn er steht in Widerspruch zu einem allgemein anerkannten Schutzinstrument, das der reformierte Strafprozeß im öffentlichen Interesse dem Beschuldigten bereitstellt. Gemeint ist damit das im Zweiten Teil der Untersuchung behandelte Verbot der Zurechnung des Verteidigerverschuldens. Durch die Gleichstellung des vom Gericht tatsächlich belehrten Beschuldigten mit dem verteidigten Beschuldigten schlagen nun doch Versäumnisse des Verteidigers im vollen Maße auf den Beschuldigten durch, was sich insbesondere in Fällen nachlässiger Pflichtverteidigung zu seinen Lasten auswirken kann. 199 b) Keine rechtlichen Anknüpfungspunkte für die Widerspruchslösung als Ausnahmemodell zur richterlichen Aufklärungspflicht Sucht man nach rechtlichen Anknüpfungspunkten, die die Widerspruchslösung als Ausnahme zu § 244 11 stützen könnten, so könnte man zunächst an die verbotenen Vernehmungsmethoden des § 136 a I denken. Dadurch erlangte Beweise dürfen nach § 136 a III 2 auch mit Zustimmung des Beschuldigten nicht verwertet werden. Daraus lassen sich allerdings weder Schlüsse noch Gegenschlüsse für die Berechtigung einer generellen Widerspruchslösung ziehen. Angesichts des Charakters der Vorschrift als rechtsstaatliche Grundnorm, deren Mißachtung nach Peters sogar von den Revisionsgerichten ohne eine darauf bezogene Verfahrensrüge von Amts wegen zu beachten sein soll,200 handelt es sich um nicht mehr als einen deklaratorischen Ausspruch des Gesetzgebers unter dem unmittelbaren Eindruck der menschenunwürdigen Vernehmungsmethoden in der nationalsozialistischen Diktatur. 201 Allerdings hat es darüber hinaus gerade im Zusammenhang mit dem Rügeverlust durch Untätigkeit der Verteidigung in der Hauptverhandlung Versuche gegeben, eine normative Verknüpfung zwischen unselbständigen Beweisverwertungsverboten und Mitwirkungspflichten des Verteidigers herzustellen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere ein Beitrag von Kindhäuser zur Rügepräklusion durch Schweigen im Strafprozeß. Das 199 Näher Ramm, NJW 1993, 289 (296). Sein Vorschlag, man solle solchen Verteidigern die Zulassung entziehen, führt jedoch aus prozeßrechtlicher Sicht nicht weiter. Maul/Eschelbach, StraFo 1996, 66 (69f.) monieren andererseits, der unverteidigte Beschuldigte werde durch die Gleichstellung mit dem verteidigten Beschuldigten benachteiligt, weil die richterliche Belehrung nicht von gleicher Qualität sein könne. Diese Benachteiligung findet allerdings ihre Rechtfertigung in der autonomen Entscheidung des Beschuldigten, ohne Verteidiger aufzutreten. 200 Peters, Strafprozeß S. 279f. 201 Vgl. nur Bader, JZ 1951,123; LR-Ranack § 136 a, 60f. m.w.N.

14·

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Recht, die Heilung von Verfahrensfehlern zu verlangen, begründe für den Beschuldigten eine revisionsbeschränkende Obliegenheit. Der Beschuldigte habe bei der Organisation seiner eigenen Interessenwahrnehmung Sorgfaltsmängel selbst zu verantworten. 202 Auch dieser Ansatz erscheint aber solange zirkulär, wie es bei der Verantwortung des Gerichts zur Vermeidung und Heilung von Verfahrensfehlern nach den § 244 11 bleibt. Die von Kindhäuser als Beispiele für revisionsbeschränkende Obliegenheiten herangeführten Vorschriften über die Bindung des Beschwerdeführers an Formen und Fristen bei der Einlegung von Rechtsmitteln führen an dieser Stelle nicht weiter.203 Die Interessenlage ist schon deswegen nicht vergleichbar, weil die Amtsaufklärungspflicht mit dem Urteil endet und die Einlegung von Rechtsmitteln eine höchstpersönliche Entscheidung des Beschwerdeführers ist. Aus diesem Grund bestimmt etwa § 357, daß die Aufhebung und Zurückverweisung des angegriffenen Urteils wegen Verfahrens/ehlern sich nicht auf Mitverurteilte erstreckt, die keine Revision eingelegt haben. Anders ist es dagegen bei sachlich-rechtlichen Fehlern, bei denen der Gesetzgeber aus Gleichheitsgründen eine Durchbrechnung der Rechtskraft zugunsten derjenigen Mitverurteilten bestimmt, die keine Revision eingelegt haben.204 Im übrigen ist nach Erlangung des Urteils das öffentliche Interesse an der Schaffung von Rechtssicherheit zu berücksichtigen, das allerdings, wie im Ersten Teil der Untersuchung erörtert, nur unter der Vor~ aussetzung von Wahrheit und Gerechtigkeit bis zur Erlangung des Urteils seine Berechtigung hat. 2os Aus diesem Grund dürfen auch aus den ausdrücklich normierten formellen Präklusionsvorschriften keine generellen Schlüsse auf die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Sinne der Widerspruchslösung gezogen werden. Das betrifft die Vorschriften, die sich wie die §§ 6 a, 16, 25, 222 b auf den Bereich des gesetzlichen Richters beziehen, genauso wie für die Präklusion von spezifischen Verteidigungsrechten wie im Fall des § 142 I 2. 206 Bei sonstigen Verfahrensfehlern kommt wegen des Grundsatzes der Einheit der Hauptverhandlung (§§ 226ff.) eine Überholung durch den Verfahrensfortgang und die damit verbundene Schaffung neuer Prozeßlagen nicht in Frage. Eine generelle Präklusion durch zeitliche Überholung des Verfahrensfehlers oder gar die Schaffung einer Kindhäuser, NStZ 1987,529 (534f.). So aber Kindhäuser, NStZ 1987,529 (534). Ähnlich Bohnert, NStZ 1983,344 (347 ff.) ["Der "Verzicht" als nicht-gesetzesförmiges Zwischenrechtsbehelfsverfah202 203

ren"].

204 Näher BVerfG NJW 1985, 125 (126). Letzteres gilt auch für die fehlerhafte Beurteilung von Verfahrensvoraussetzungen, näher Kl.lMeyer-Goßner § 357, 10 m.w.N. 20S Näher H. Müller, Verzichtbarkeit S. 31 ff. m. w.N. 206 Zur formellen Rügepräklusion Widmaier, NStZ 1992, 519; Basdorf, StV 1997, 488 (489f.).

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfönnigen Verfahrens

213

Rügeverlustklausel in der Hauptverhandlung nach Art der Widerspruchslösung hatte der Gesetzgeber nicht im Sinn.2°7 Im Gegensatz zum partikularen Recht, das zum Teil weit gefaßte und rigoros angewandte Präklusionsvorschriften kannte, verfolgt das geltende Recht mit den Beruhensregelungen der §§ 336ff. vielmehr eine revisionsrechtliche Lösung. 2os So heißt es in den Motiven des Entwurfs zu § 300 (heute § 337): ..... Die Bestimmung, daß das angefochtene Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhen müsse, wenn die Revision Erfolg haben soll, hat übrigens hinsichtlich der Prozeßvorschriften noch die besondere Bedeutung, daß sie verschiedene Einzelbestimmungen entbehrlich macht, welche über die Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde in den bestehenden Gesetzgebungen zu dem Zwecke aufgestellt sind, die Vernichtung von Urteilen in solchen Fällen zu verhüten, in denen die Verletzung einer Prozeßvorschrift zwar stattgefunden, jedoch einen dem Beschwerdeführer nachteiligen Einfluß offenbar nicht gehabt hat. Der Entwurf brauchte, vennöge der von ihm im § 300 aufgestellten Regel, nicht besonders vorzuschreiben, daß der Beschwerdeführer die Revision nicht auf die Beschränkung einer prozessualischen Befugnis gründen könne, wenn er durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gegeben habe, daß er die Beschränkung für eine ihm nachteilige nicht erachte (vgl. z.B. Preußische StPO von 1867, § 390) .....209

Für wie femliegend die Vorstellung parteilicher Mitwirkungspflichten noch in der Kaiserzeit angesehen wurde, macht der Vorstoß des Dresdner Richters Lobe im Anschluß an einige spektakuläre Entscheidungen des Reichsgerichts deutlich, das auf Verfahrensbeschwerde der Verteidiger hin wegen geringfügig erscheinender Verfahrensfehler langwierig erlangte tatrichterliche Urteile aufgehoben hatte. 210 Lobe schlug vor, de lege ferenda die Zulässigkeit von relativen Verfahrensrügen in der Revision in Anlehnung an § 295 ZPO von einer in der Hauptverhandlung erhobenen Beanstandung von Verteidiger oder Staatsanwaltschaft abhängig zu machen. Eine formelle oder faktische Rügepflicht der Verfahrensbeteiligten - insbesondere des von ihm ins Visier genommenen Verteidigers - sah er bei der geltenden Gesetzeslage außerhalb der bestehenden Präklusionsregeln nicht. 211 Näher Schmid, Verwirkung S. 28 ff., 32. Eingehend Schmid, Verwirkung S. 20ff.; 153ff., 245ff. [insb. S. 246: ..Kein tatrichterlicher Verfahrensfehler ist insofern von Haus aus vom Revisionsangriff ausgeschlossen"]. 209 Hahn, Materialien S. 251 (Motive des Entwurfs). 210 Vgl. Lobe, Recht 1902,580; ders., Recht 1903,75. Ausführlich dazu Schmid, Verwirkung S. 34 ff. Besonderes Aufsehen erregte der sog. ..Leipziger Bankenprozeß", ein aufwendiges schwurgerichtliches Verfahren, das wegen der femliegenden Möglichkeit wiederholt werden mußte, daß die Geschworenen durch eine mißverständliche Anweisung des Vorsitzenden an einen vorher gefällten, aber rechtsfehlerhaften Schuldspruch gebunden fühlen könnten. Näher zum Sachverhalt Drucker, Recht 1903, 73 (74). 211 Lobe, Recht 1902,580 (581). Dazu auch Beling, ZStW 1904,477. 207

208

214

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Das wiegt um so schwerer, als nach seinem Verständnis der Strafverteidigung der Verteidiger stets eine Ehrenpflicht zur Herbeiführung eines prozeßordnungsgemäßen Urteils haben sollte und nicht mit der Rechtspflege sein Spiel treiben dürfe. 212 Obwohl ihm kein geringerer als Martin Drucker. später Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, provokativ "im Namen des deutschen Anwaltsstandes" entgegnete, es sei im Gegenteil höchste Pflicht des Verteidigers, ein ihm in der Sache ungerecht erscheinendes Urteil auf diese Weise zu Fall zu bringen,213 zog die gerade tagende Kommission zur Änderung der Strafprozeßordnung die Aufnahme einer Präklusionsvorschrift zur Beschränkung von Rügerechten nicht in Betracht. 214 Genauso scheiterten später gleichgerichtete Vorschläge im Rahmen des Strafprozeßentwurfs 1908, wie insbesondere die auf den Vorschlag von Lobe zurückgehende Gesetzgebungsinitiative des "Vereins sächsischer Richter und Staatsanwälte"? I 5 Bedeutung gewinnen könnte nach alledem die Entlastung des Gerichts als Garant eines justizförmigen Verfahrens durch damit korrespondierende Mitwirkungspflichten des Verteidigers nur unter zwei Voraussetzungen. Einmal wäre das in Verbindung mit einem normativen Stufenverhältnis denkbar, das die Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften aus der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht herausnimmt und zur Disposition des Verteidigers bzw. des verteidigten Beschuldigten stellt. In diesem Zusammenhang widerspricht allerdings der Versuch, eine solche Stufung durch die generelle Unterscheidung zwischen grundlegenden, schützenden, wegweisenden und ordnenden Vorschriften herbeizuführen,216 dem untrennbaren Zusammenhang zwischen den schützenden Formen des reformierten Strafprozesses und dem Ziel eines gerechten Verfahrens. Sie erscheint von daher willkürlich, erst recht angesichts fehlender eindeutiger Anhaltspunkte im Gesetz. So hat die Rechtsprechung auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof postulierten natürlichen Stufung der Verfahrensvorschrijten 217 sogar die Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht nach den §§ 136 I 2, 243 IV 1 lange Zeit als Ordnungsvorschrijten klassifiziert. 218 Derartige Überlegungen werden inzwischen zurecht als methodisch veraltet Lobe, Recht 1903, 75. Drucker, Recht 1903, 73 (74). Daß diese Stellungnahme nicht dem inquisitorisch geprägten Selbstverständnis der Rechtsanwälte in der Kaiserzeit entsprach, zeigt sich in der Erwiderung von Geiershöfer (zu der Zeit Vorstandsmitglied im "Deutschen Anwaltsverein"), JW 1903,395 (396). 214 Dazu Beling, ZStW 1904,477. 2IS Der Wortlaut des Entwurfs ist abgedruckt in der anschließenden Stellungnahme des Sächsischen Anwaltsvereins, JW 1910, 877. Zum Ganzen Schmid, Verwirkung S. 37ff. 216 Näher Wolff, NJW 1953, 1656ff. 217 BGHSt ll, 213ff. Zum Ganzen Bohnert, NStZ 1982, 5ff. m.w.N. 212 213

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförrnigen Verfahrens

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abgelehnt. 219 Das Gesetz als förmliche Normenordnung kennt keine solche innere Hierarchie. 22o Weiterführend erscheint dagegen die in Literatur und Rechtsprechung seit langem verfolgte Abgrenzung zwischen den verzichtbaren und den nicht verzichtbaren Verfahrensrügen. Darauf soll allerdings an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Denn die Diskussion darüber bewegt sich systematisch weg von der Rügepflicht als normative Voraussetzung unselbständiger Beweisverwertungsverbote, wie sie die Widerspruchslösung verfolgt, und hin zu den Fällen des Rügeverlusts als Folge zurechenbaren Partei verhaltens aufgrund Venvirkung oder Verzicht. Gerade § 251 1 Nr. 4, der in der bisherigen Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Verlust von Verfahrensrügen aufgrund schweigender Hinnahme von Verfahrensfehlern nach den §§ 168 c, 224 in der Hauptverhandlung eine herausragende Rolle gespielt hat,221 macht die unterschiedlichen Ansätze deutlich. Denn diese Vorschrift setzt das Einverständnis des Beschuldigten und seines Verteidigers mit der Verlesung voraus, knüpft also an ein zurechenbares Verhalten, nicht aber eine Pflicht zum Widerspruch an. Außerdem berührt das Einverständnis mit der Verlesung des Protokolls die Aufklärungspflicht nach § 244 11 nicht, überläßt also dem Gericht weiterhin die Entscheidung über die Verlesung des Vemehmungsprotokolls 222 und verlangt zusätzlich das Einverständnis der ebenfalls unparteilichen Staatsanwaltschaft. Zum anderen könnten Mitwirkungspflichten des Verteidigers durch prozessuale Obliegenheiten mit der revisionsrechtlichen Lösung der §§ 336 ff. in Zusammenhang stehen. 223 Als prozessualen Wertungsmaßstab könnte man hier den § 238 11 heranziehen, der seinem Wortlaut nach die Beanstandung einer auf die Sachleitung bezogenen Anordnung des Vorsitzenden durch eine andere an der Verhandlung beteiligte Person als unzulässig zum Gegenstand hat. Bei genauerer Betrachtung verbietet sich allerdings der Rückgriff auf diese Vorschrift. Die von Schlüchter sogenannte "normative Zerschlagung des normativen Zusammenhangs" zwischen Verfahrensfehler und Urteil durch die unterlassene Anrufung des Gerichts, wie sie auch in der Rechtsprechung gelegentlich postuliert worden ist,224 deutet das Beanstandungsrecht des § 238 11 auf eine vom Gesetzgeber nicht gewollte 218 BGHSt 22, 170 (173); BGHSt 31, 395 (398f.); BGH GA 1962, 148. Näher Eb. Schmidt, NJW 1968, 1209 (1210) m.w.N. 219 LR-Hanack § 136, 59; Bohnert, NStZ 1982, 5 ff. Ebenso BGHSt 25, 325 (33Of.). 220 Dazu Bohnert, NStZ 1982, 5 (6). 221 Zum Zusammenspiel der §§ 168 c, 224 und § 251 I Nr. 4 LR-Gollwitzer § 224, 34f. BGHSt 38, 214 (226) bezieht sich zur Begründung der Widerspruchslösung ausdrücklich darauf, dazu unter b aa. 222 BGHSt 9, 230 (232 f.); LR-Gollwitzer § 251, 2. 223 So ausdrücklich Bohnert, NStZ 1983 344 (349).

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Weise in eine Beanstandungspjlicht um.2 25 Erstens dient das Beanstandungsrecht der Betonung der Verantwortung des Gerichts als Inquirent der Hauptverhandlung gegenüber dem nach § 238 I mit der Verhandlungsleitung betrauten Vorsitzenden, nicht aber der Einrichtung eines alternativen Rechtsbehelfs zur Revision gegen das verfahrensfehlerhafte Strafurteil. 226 Aus diesem Grund sind auch die beisitzenden Richter und die Schöffen beanstandungsberechtigt. 227 Das Beanstandungsrecht in der Hauptverhandlung kann demnach nur dort revisionsbeschränkende Wirkung haben, wo das Gesetz Anordnungen des Vorsitzenden ausdrücklich der revisionsrechtlichen Überprüfung entzieht, wie in den Fällen der §§ 338 Nr. 8; 242.228 Zweitens handelt es sich jedenfalls bei dem Strafurteil, gegen das sich die Revision richtet, um eine Entscheidung des Gerichts und nicht des Vorsitzenden. Genauso entscheidet das Gericht und nicht der Vorsitzende über Beweisverwertungsverbote im Strafurtei1. 229 Auf diesen Entscheidungen beruht folgerichtig das Strafurteil, ob nun die fehlerhafte Beweiserhebung beanstandet worden ist oder nicht. Vor diesem Hintergrund würde die Sperrwirkung des § 238 11 gegenüber darauf bezogenen Verfahrensrügen zusätzlich die Systematik der Rechtsmittel in einer Prozeßordnung konterkarieren, die den Rechtsschutz gegen alle Gerichtsentscheidungen, die im inneren Zusammenhang mit dem Strafurteil stehen, aus prozeßökonomisehen Gründen nach § 305, 1 der Revision als Rechtsmittel gegen das Urteil zuweist. 23o

224 RGSt 71, 222 (23); BGHSt I, 284 (286); 4, 364 (366); OLG Hamm NJW 1972, 1531; OLG Düsseldorf, StV 1996, 252. Näher Erker, Beanstandungsrecht S. 148ff. 225 SK-Schlüchter § 238, 29 m. w.N. 226 Ähnlich Eb. Schmidt, LK 11 § 238, 1 ff., 29; Erker, Beanstandungsrecht S. 153f. 221 Vgl. nur SK-Schlüchter § 238,13 m.w.N. 228 Das gilt erst recht dann, wenn das Gesetz, wie im Fall des § 244 VI, ausdrücklich einen Gerichtsbeschluß vorsieht. Daher liegt die von BGH NStZ 1992, 346 (entgegen BGH NStZ 1981, 311) angenommene Sperrwirkung des § 238 11 bei unterlassener Beanstandung der Nichtentgegennahme eines Beweisantrags neben der Sache. Das gilt um so mehr, als sich § 238 11 auf Anordnungen, nicht auf Unterlassungen bezieht. Näher Widmaier, NStZ 1992, 519 (522); LR-Gollwitzer § 238, 51. 229 Näher BGHSt 20, 98 (99); Widmaier, NStZ 1992, 519 (522). Zum Ganzen Schrnid, Verwirkung S. 249 ff.; 296, der einen Zusammenhang zwischen Beanstandungsrecht und Rügesperre bzw. Rügeverbot im Ergebnis ebenfalls ausschließt. 230 Vgl. nur Kl.lMeyer-Goßner § 305, 1 m.w.N. Näher Eb. Schmidt, LK 11 § 238, 29; Erker, Beanstandungsrecht S. 153ff.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

217

3. Die Abwägungslehre als inquisitorische Umgehungskonstruktion

Überschaut man die Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung, so scheint der Blick für die eben skizzierten Zusammenhänge allerdings im gleichen Maße verloren gegangen zu sein, wie die unselbständigen Beweisverwertungsverbote in den Siebziger und Achtziger Jahren in Rechtsprechung und Literatur ihrer prozessualen Funktion als Sanktion für urteilsrelevante Verfahrensfehler entzogen worden sind. 231 Die richterliche Praxis hat die Loslösung der unselbständigen Beweisverbote von den schützenden Formen des Strafprozeßrechts als sog. eigene prozessuale. Wertkategorie 232 dazu genutzt, einen Regel-Ausnahme-Satz des Inhalts aufzustellen, die rechtstaatlich gebotene Wahrheitsermittlungspflicht des Staates stehe in der Regel der Anerkennung von unselbständigen Beweisverwertungsverboten entgegen. Die Verletzung einer Verfahrens vorschrift löse allein noch keine Rechtsfolge, also auch kein Beweisverwertungsverbot aus. 233 Vielmehr handele es sich namentlich im Zusammenhang mit der Vernehmung des Beschuldigten um richterrechtlich gewährte Vergünstigungen, deren Kautelen demnach ebenfalls von richterrechtlicher Bestimmung abhänge. 234 Generell abgeleitet wird diese einseitig inquisitorische Betrachtungsweise aus der sog. Abwägungslehre, mit deren Hilfe die Rechtsprechung unter überwiegender Zustimmung aus der Literatur den im Kern zutreffenden subjektivrechtlichen Ansatz der Rechtskreistheorie auf die Stellung eines Abwägungsfaktors unter vielen reduziert hat. 235 Ihre Zielrichtung besteht im wesentlichen darin, im Wege richterlicher Rechtsschöpfung einen Ausgleich zwischen dem Gemeinschaftsinteresse an der Strafverfolgung und dem Individualinteresse des Beschuldigten an der Einhaltung seiner subjektiven Rechtsgüter herbeizuführen. 236 Deutlicher könnte die inquisitorische Verzerrung des Zusammenspiels zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit nicht zutage treten, die beide in Wirklichkeit gleichermaßen dem öffentlichen Interesse dienen. Konstruktiv gestaltet nicht mehr das einfachgesetzliche 231 Wegweisend Rogall, ZStW 1979, I (7). Zusammenfassend Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote S. 9 m.w.N.; ders., JuS 1999, 122 (126). 232 Rogall, ZStW 1979, 1 (7) ["Die Beweisverbote als Rechtssätze eigener Art"]. 233 BGHSt 38, 214 (219) m.w.N. Genauso Rogall, NStZ 1988, 385 (388); ders., JZ 1996, 944 (947 f.) m. w. N. 234 MaullEschelbach, StraFo 1998, 66 (67f.); Basdorf, StV 1997, 488 (491); Meyer-Goßner/Appl, StraFo 1998,253 (261). 235 Näher dazu und zum Meinungsstand Gössel, GA 1991, 483ff. m.w.N.; Beulke, Strafprozeß S. 198ff. m.w.N. 236 Grdl. Rogall, ZStW 1979, I (2). Eingehend zu der Ermittlung unselbständiger Beweisverwertungsverbote auf der Grundlage der Abwägungslehre ders., a. a. O. S. 29ff.; BGHSt 38, 214 (219ff.).

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Regelwerk, sondern inquisitorische Zweckmäßigkeitserwägung die verfassungsrechtlich gebotene Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, wenn die richterrechtlichen Kautelen so weit gehen, daß die Gerichte sich von der Verletzung selbst anerkannter elementarer Rechte des Beschuldigten freisprechen, indem sie den § 257, der dem Recht auf rechtliches Gehör dient, zu Lasten des Beschuldigten zu einer Präklusionvorschrift umdeuten?37 Ob vor diesem Hintergrund die dogmatische Verfestigung der Abwägungslehre, die ihr Rogall nunmehr mit der Bezeichnung als sog. normative Fehlerfolgenlehre konzidiert,238 überhaupt den dahinter stehenden inquisitorischen Interessen entspricht, darf selbst dann bezweifelt werden, wenn man den Widerspruch zwischen normativem Anspruch einerseits und Mißachtung normativer Wertungen andererseits ausblendet. So führt Bundesrichter Nack unter dem Stichwort "Praktische Lösung ohne Theorie" aus: " ... Die Abwägungslehre enthält allerdings kein Regelwerk, aus dem sich die bei bestimmten Voraussetzungen ergebenden Folgen schlüssig ableiten ließen; aber sie funktioniert trotzdem ganz passabel. Wenn ich daher vom Boden der Abwägungslehre aus argumentiere, geht es mir ähnlich wie dem geplagten PC-Benutzer, dem Windows immer wieder Fehlermeldungen über Schutzverletzungen anzeigt, ohne daß der Anwender weiß, warum das passiert und ob dahinter - was ich bezweifele - irgendein sinnvolles Regelwerk steckt ... Der PC-Benutzer hat inzwischen gelernt, einfach weiterzuarbeiten und mit diesen Pannen zu leben ... ,,239

Im Zusammenhang mit dem Recht auf Verteidigerkonsultation vor der verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten lebt der Bundesgerichtshof mit diesen Pannen in der Weise, daß einige Senate unter euphorischer Zustimmung der Verteidigerschaft die Gewährleistung und Durchsetzbarkeit der Verteidigerkonsultation zur Grundlage der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten machen,24o andere Senate aber diese Auffassung grundsätzlich in Frage stellen. So soll nach dem 5. Strafsenat die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten immer dann beeinträchtigt sein, wenn dessen Wunsch, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, wirksam unterlaufen werde. Es sei nicht möglich, bei der Verletzung des Rechts auf den Zugang zum Verteidiger zwischen Fällen verschiedenen Gewichts zu unterscheiden. 241 Der l. Strafsenat geht demgegenüber von der Verwertbarkeit der Aussage des unmittelbar nach der Festnahme zur Dazu auch Fezer, JZ 1994,585 (687). Rogall, JZ 1996,944 (947f.). 239 Nack, StraFo 1998, 366 (367). Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Gössel, GA 1991,483 (511). 240 BGHSt 38, 372 (373f.); 42, 25 (20ff.). Nach E. Müller, StV 1996,358 "geht diese Entscheidung [BGHSt 42, 15] in die Geschichte der Strafrechtspflege als bahnbrechendes Judikat ein". Ähnlich Ventzke, StV 1996, 524 ff. 241 BGHSt 42, 15 (20f.). 237 238

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförrnigen Verfahrens

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Nachtzeit vernommenen Beschuldigten aus, wenn dieser nach dreimaliger erfolgloser Unterbrechung zwecks erfolgloser Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger sich zur weiteren Vernehmung überreden läßt. Ein darin liegender Verfahrensfehler wöge auf der Grundlage der Abwägungslehre nicht so schwer, daß daraus ein Verwertungsverbot folgen würde. 242 Der 2. Strafsenat läßt sogar offen, ob die unterlassene Belehrung über das Recht auf die Zuziehung eines Verteidigers überhaupt ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen kann, wenn der Beschuldigte über sein Schweigerecht belehrt worden ist. 243 Zu diesen Unwägbarkeiten an elementarer Stelle paßt es, wenn Lang im größeren Maßstab neuerdings auf der Grundlage der Abwägungslehre ganz allgemein über den Verlust von Verfahrensrügen anhand der Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege als Wertungsmaßstab entscheiden möchte. 244 Wie schon im Ersten Teil der Untersuchung angesprochen, kann dieser Rückgriff de lege lata nur dann zulässig sein, wenn die Strafprozeßordnung als Ausführungsgesetz zum Grundgesetz keine abschließende Wertung getroffen hat. Im Zusammenhang mit den Beweisverboten ist das aber nur bei den sog. verfassungsrechtlichen Beweisverwertungsverboten der Fall, aus denen die Abwägungslehre schließlich auch entwickelt worden ist. 245 Festzustellen ist als Zwischenergebnis, daß die Widerspruchslösung mit den prozessualen Wertungsmaßstäben des geltenden Gesetzes genausowenig vereinbar ist wie schon die der Abwägungslehre zugrunde liegende Vorstellung an sich, unselbständige Beweisverwertungsverbote anhand richterlicher Rechtsfortbildung zu ermitteln. Die Verantwortung für eine justizförmige Wahrnehmung der staatlichen Wahrheitserforschung liegt beim Inquirenten und nicht bei der Verteidigung. Das gilt um so mehr, als aus verfassungsrechtlicher Sicht die Wahrheitserforschung nicht als alleiniges Ziel im Strafprozeß zu betrachten ist, weil die Strafprozeßordnung eben auch Ausführungs gesetz zum Grundgesetz ist. Auf weitere Einzelheiten der Widerspruchslösung, wie sie sich insbesondere bei der Behandlung von Verfahrensfehlern ergeben können, denen nur einer von mehreren betroffenen Beschuldigten widersprochen hat,246 wird daher in der weiteren Untersuchung nicht weiter eingegangen. 242 243

244

(45).

BGHSt 42, 170ff. Näher Roxin, JZ 1997, 343ff. BGH NStZ 1998, 609f. Dazu M. Kaufmann, NStZ 1998,474. Lang, Verlust von Verfahrensrügen S. 152 ff. Kritisch Scheffler, GA 1996, 44

245 Dazu im Tagebuch/all BGHSt 19, 325 ff. Erstmals übertragen auf die unselbständigen Beweisverwertungsverbote im Medizinalassistenten-Fall. BGHSt 24, 125 (I30f.). 246 Dazu Basdorf, StV 1997, 488 (492); ausführlich Nack, StraFo 1998, 366 (373 f.). Zum Problem der Spaltung der Aussage in verwertbare und unverwertbare Teile Hamm, NJW 1996,2185 (2187).

220

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Dieses Zwischenergebnis hat zur Folge, daß in jedem Fall die Rügepräklusion nach § 257, die den Anwendungsbereich der Widerspruchslösung im Vergleich zum bisherigen Rügeverlust durch Parteiverhalten in der gerichtlichen Praxis ersichtlich ausgeweitet hat,247 gegen geltendes Recht verstößt. Vielmehr bleibt es bei der zuletzt vom OLG Bremen im Zusammenhang mit dem Rügeverlust durch zurechenbares Partei verhalten vertretenen Auffassung, das in erster Instanz nach § 251 I Nr. 4 erklärte Einverständnis mit der Verlesung eines fehlerhaft zustandegekommenen Vernehmungsprotokolls nehme der Verteidigung nicht das Recht, in der Berufungsinstanz oder nach Aufhebung des fehlerbehafteten Urteils und Zurückverweisung über den nachträglichen Verzicht auf einen Verfahrensmangel - konkret ging es um die Benachrichtigung des Verteidigers nach § 168 c V 1 - neu entscheiden zu können. Der Verteidigung müsse wegen der veränderten Sachlage die Entscheidung darüber nochmals eingeräumt werden. 248

11. Rügeverlust durch zurechenbares Partei verhalten und Mitwirkungspflichten des Verteidigers Vermag die Widerspruchslösung den Rügeverlust beim Beschuldigten nicht zu begründen, so ist im folgenden auf die Konsenslösung einzugehen, auf den Rügeverlust durch zurechenbares Partei verhalten. Der dogmatische Ausgangspunkt dafür liegt in der Subjektstellung des Beschuldigten selbst: Das Recht auf rechtliches Gehör ist in einem modemen rechtsstaatlichen Verfahren für die Wachen da, die ihren Aktivstatus und die damit verbundenen Verfahrensrechte ausnutzen. Die Konsequenz der Subjektstellung des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß besteht daher in einem gestei247 Nach OLG Oldenburg StV 1996, 416; BayObLG StV 1997, 66; OLG Celle StV 1997, 68 gilt der einmal unterlassene Widerspruch auch für das weitere Verfahren fort, etwa nach Zurückverweisung oder in der Berufungsinstanz. Entgegen Ventzke, StV 1997, 543 (547) handelt es sich schon deshalb bei allen Parallelen zu den Ergebnissen der Rechtsprechung zum faktischen Rügeverlust bei der Diskussion um die Widerspruchslösung auch unter Ausblendung der verschiedenen strukturellen Dimensionen, die Raum für weitere Verschärfungen lassen, nicht "um viel Getue um nichts". Das gilt um so mehr angesichts der vom Bundesgerichtshof postulierten, isolierten Betrachtungsweise jeder Beweiserhebung. 248 OLG Bremen StV 1991, 59f. Zustimmend MaullEschelbach, StraFo 1996, 66 (70). Der Bundesgerichtshof hat sich vor der Widerspruchslösung mit der Verspätung eines Widerspruchs gegen die Beweisverwertung gar nicht befaßt. Vgl. nur BGHSt 31, 140 (42ff.); BGH StV 1983,51.; BGH NStZ 1989,282, wo sogar der Beschuldigte seine unter Verstoß gegen § 168c I, Verlangte Aussage (der Verteidiger war nicht benachrichtigt worden) vor der Hauptverhandlung abgeändert und dann in der Hauptverhandlung der gesamten Aussage widersprochen hatte. Kritisch dazu allerdings schon Hilger, NStZ 1989,283.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförrnigen Verfahrens

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gerten Maß an Selbstverantwortung. Nehmen der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger die daraus im eigenen Interesse entspringenden Mitwirkungspflichten nicht wahr, so muß sich die Verteidigung mit einer gerichtlichen Aufklärung zufrieden geben, wie sie vom gerichtlichen Standpunkt erforderlich und ausreichend erscheint. 249 Das wirkt sich unmittelbar auf das Verhältnis zwischen tätiger Teilnahme der Verteidigung an der Hauptverhandlung und Rügeverlust in der Revisionsinstanz aus. Man denke nur an den anerkannten Satz, die Überprüfung eines Strafurteils durch die Revision sei nicht dazu bestimmt, Versäumnisse in der vorhergehenden Instanz auszugleichen?50 Wie bereits angesprochen, beschränkte sich der Gesetzgeber des Jahres 1877 im Gegensatz zu den Präklusionslösungen der reformierten Partikularprozeßordnungen in diesem Zusammenhang allerdings auf revisionsrechtliche Erwägungen. Wie sich im folgenden zeigen wird, steht der Rügeverlust durch zurechenbares Partei verhalten trotzdem sowohl faktisch wie rechtlich in engem Zusammenhang mit den Pflichten der Verteidigung zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an einer justizförmigen Hauptverhandlung. Neben spezifisch revisionsrechtlichen Überlegungen geht es hier nämlich in erster Linie um die Problematik des Verzichts der Verteidigung auf die Einhaltung von Verfahrensnormen.

1. Spannungsverhältnis zwischen Recht und richterlicher Definitionsmacht Bei näherer Betrachtung der Entwicklung des Rügeverlusts durch zurechenbares Parteiverhalten in Rechtsprechung und Literatur stellt sich zunächst heraus, daß man die Präklusionslösungen der reformierten Partikularprozeßordnungen zwischenzeitlich im Ergebnis wiederhergestellt hat. Diese hatten in verschiedener Ausprägung bei untätiger Hinnahme von Verfahrensfehlern den Verzicht auf die spätere Verfahrensrüge fingiert, soweit es sich nicht um die Verletzung einer im öffentlichen Interesse erlassenen Vorschrift handelte. 251 Im Grundsatz entspricht es auch heute allgemeiner Ansicht, die untätige Hinnahme eines Verstoßes gegen verzichtbare Verfahrensnormen in der Hauptverhandlung könne dazu führen, die Berufung auf den Verfahrensfehler in der Revisionsinstanz und damit auf auch auf die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbotes zu versagen. 252 Das zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit der Verzichtbarkeit der gerichtlichen Benachrichtigungspflichten bei §§ 168c V. 224 I 1. Hs. als bisherigem Hauptanwendungsfall des Rügeverlusts durch zurechenbares 249

250 251 252

Vgl. nur H. Müller, Verzichbarkeit S. 50ff. m. w. N. Vgl. nur LR-Hanack § 337, 283 m. W.N. Näher Schmid, Verwirkung S. 17ff. Näher LR-Hanack § 337, 267ff. m. w.N.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Parteiverhalten,253 auf den sich der Bundesgerichtshof zur Begründung der Widerspruchs lösung nicht umsonst berufen hat. 254 Nachdem in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung anfanglieh die untätige Hinnahme des Verfahrensfehlers in der Hauptverhandlung durch die Verteidigung in solchen Fällen allein noch keinen Rügeverlust begründete,255 ging man angesichts der Häufigkeit solcher Verfahrensbeschwerden frühzeitig dazu über, die untätige Hinnahme solcher Verfahrensfehler unter dem Gesichtspunkt eines konkludent erklärten Verzichts durch Schweigen zu überprüfen. 256 Allerdings reichte auch dann ein bloßes Hinnehmen des Verfahrensfehlers ohne das "Hinzutreten ganz besonders gearteter Umstände"257 nicht aus, um einen Verzicht auf die Rüge des Verfahrensfehlers anzunehmen. So heißt es noch in dem (von BGHSt 38, 214 (226) zur Begründung der Widerspruchslösung herangezogenen) Urteil RGSt 58, 100f.: " ... Denn die hier fraglichen Verfahrensvorschriften sind dem Verzicht zugänglich . .. Da der Verteidiger die Akten vor der Hauptverhandlung eingesehen hat, da auch den Angeklagten die Tatsache, daß der Zeuge J. gehört worden war, spätestens durch die Erörterung über die Verlesung seiner Aussage in der Hauptverhandlung bekannt geworden und in ihr laut Sitzungsprotokoll die Verlesung im Einverständnis sämtlicher Prozeßbeteiligter beschlossen worden ist, muß angenommen werden, daß letztere durch ihr Verhalten bei der Verhandlung über die Verlesung deutlich zum Ausdruck gebracht haben, es solle auf einen etwaigen Verfahrensverstoß bei der Vernehmung des J. kein weiteres Gewicht gelegt werden .....258 Offenbar im Bestreben, die Herbeiführung von Rügeverlusten flexibler gestalten zu können, als das durch den zumindest an die Fiktion einer wilNäher LR-Hanack § 337, 273f. BGHSt 38, 214 (226). 255 So heißt es noch in RGSt 1, 210 (212), daß ohne das Hinzutreten besonderer Umstände aus der Nichtrüge des Verfahrensfehlers durch den Angeklagten weder auf ein Verzicht auf die Benachrichtigung selbst noch auf eine stillschweigende Zustimmung zu einem im Schweigen des Verteidigers etwa zu sehenden Verzicht geschlossen werden kann. Vgl. weiterhin die Übersicht bei Stenglein, Strafprozeßrecht § 223 Rn. 8. 256 RGSt 1, 256 (257); RGSt 4, 301. 257 RGSt 42, 95 (96); RGSt 33, 302 (303). Besonders deutlich dazu RGSt 53, 264 (265); RGSt 67, 310 (313), wo es jeweils um den - nach Ansicht des RG letztlich nicht vorliegenden - stillschweigenden Verzicht des Angeklagten in der Hauptverhandlung auf vorherige, an sich verzichtbare Ladungsmängel ging; ebenso RGSt 43, 386 (388 f.) zu den Voraussetzungen eines stillschweigenden Verzichts auf die Wahl eines Verteidigers in der Hauptverhandlung. Zu den häufigsten Fällen, dem fingierten Verzicht auf Verfahrensfehler bei kommissarischen Vernehmungen durch schweigende Hinnahme der Protokollverlesung in der Hauptverhandlung RGSt 4, 30; 23, 142 (144). 258 RGSt 58, 100 (101). Zur fehlenden Vergleichbarkeit mit der Widerspruchslösung Fezer, JR 1992, 385 (386). 253 254

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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lentlichen Aufgabe der Rüge geknüpften Verzicht möglich ist, trat seit Beginn der Fünfziger Jahre zunehmend die Rechtsfigur der Rügeverwirkung an die Stelle des Rügeverzichts. Der Bundesgerichtshof führt dazu aus: "... Dieser Verstoß hätte die Angeklagten berechtigt, der Verwertung der betreffenden Vernehmungsniederschriften zu widersprechen. Das haben sie ... nicht getan. Damit ist diese Rüge verwirkt ... Wollte man anders verfahren, so käme der AngekI. in Versuchung, Verfahrensverstöße, die zwar ihm, nicht aber dem Gericht bekannt sind, ~eflissent1ich zu verschweigen, um sich einen Revisionsgrund zu schaffen .....2 9 In der neueren Rechtsprechung wird nur noch formelhaft festgestellt, eine auf die Verletzung der §§ 168 c, 224 gestützte Verfahrensrüge werde verwirkt, wenn ein Widerspruch gegen die Verwertung in der Hauptverhandlung nicht erhoben werde.26o Es ist sogar davon die Rede, erst der Widerspruch gegen die Verwertung des fehlerhaft erhobenen Beweises führe zu einem Verwertungsverbot im Strafurtei1. 261 Diese Entwicklung hat zugleich eine zusätzliche Inpflichtnahme des Verteidigers zur Folge gehabt. Von seiner grundsätzlichen Betrachtung des Rügeverlusts als Folge eines ausdrücklich erklärten oder stillschweigenden Verzichts auf verzichtbare Verfahrensverstöße machte noch die reichsgerichtliehe Rechtsprechung keinen systematischen Unterschied zwischen dem verteidigten und dem unverteidigten Beschuldigten. 262 Dagegen unterscheidet die Rechtsprechung nach 1945 parallel zu der Heruntersetzung der Voraussetzungen des Rügeverlusts zwischen dem verteidigten und dem unverteidigten Beschuldigten. Die Rüge werde dann verwirkt, wenn der durch einen Rechtsanwalt vertretene Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht widerspreche.263 Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf die Fälle der §§ 168 c, 224, sondern zeigt sich auch exemplarisch im Zusammenhang mit der untätigen Hin259 BGH NJW 1952, 1426; ähnlich BGHSt I, 284 (286). Demgegenüber stellt noch BGH NJW 1952, 1345 (1346) auf ein aus den Tatumständen ermitteltes Einverständnis des Verteidigers in die Verlesung der unter Verstoß gegen § 223 kommissarisch durchgeführten Sachverständigenvernehmung ab. 260 Vgl. nur die vom Bundesgerichtshof jetzt zur Begründung der Widerspruchslösung herangezogenen Entscheidungen BGHSt 9, 24 (28); 31, 140, in denen allerdings ein Widerspruch des Verteidigers vorlag. Genauso BGH 26, 332; BGH StV 1983, 319; BGH StV 1983, 51 (52); BGH VRS 27, 109; BGH MDR 1976, 814 (H.); BGH GA 1976, 242 (244); BGH NJW 1984, 65 (66); OLG Köln VRS 60, 441; OLG Schleswig SchlHA 1972, 159; KG StV 1984,68. Dazu auch KK-Wache § 168 c, 22; KK-Tolksdorf § 224, 11; KK-Diemer, § 251, 10, jeweils m. w.N. 261 BGH NStZ 1987, 132 (133). 262 So stellt etwa RG JW 1924, 1608 wegen der einfachen Rechtslage in diesen Fällen den unverteidigten und den verteidigten Beschuldigten gleich. Dazu auch RGSt 23,142 (144). Zum Ganzen Schmid, Verwirkung S. 43ff. m.w.N. 263 Vgl. nur BGH NJW 1952, 1426.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

nahme der in der Hauptverhandlung unterbleibenden Bescheidung eines vorher nach § 219 I gestellten Beweisantrages. Hatte der Bundesgerichtshof zunächst noch in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts 264 allein darin einen Verzicht des Verteidigers nicht sehen wollen,265 wird das inzwischen nur noch für den unverteidigten Beschuldigten angenommen. Beim verteidigten Beschuldigten wird ein durch Schweigen erklärter Verzicht auch dann in Erwägung gezogen, wenn das Tatgericht vorher die Bescheidung des Beweisantrags in der Hauptverhandlung zugesagt hat. 266 Beim unverteidigten Beschuldigten wird dagegen ein Rügeverlust durch Schweigen nur dann in Erwägung gezogen, wenn er vorher vom Gericht darüber aufgeklärt wurde, den Beweisantrag in der Hauptverhandlung noch einmal stellen zu müssen. 267 Daß in diesen Fällen das Versäumnis des Verteidigers im weiteren Verfahren im Regelfall zu Lasten des Angeklagten geht, wird dabei ohne weitere Begründung als selbstverständlich vorausgesetzt. 268 Berücksichtigt man zusätzlich die durch revisionsgerichtlich fingierten Verzicht mit dem Ziel herbeigeführten Fälle faktischen Rügever[usts, der Gerechtigkeit nachzuhelfen,269 so ergibt sich an dieser Stelle eine Gemengelage zwischen rechtlich gewollter Selbstverantwortung der Verteidigung, rechtlich nicht gewollter Definitionsmacht des Inquirenten und revisionsrechtlichen Besonderheiten. Diese bedarf im Hinblick auf Ob und Wie von Mitwirkungspflichten des Verteidigers für eine justizförmige Hauptverhandlung einer klaren Konturierung, wobei es auch an dieser Stelle um nicht mehr als die Herausarbeitung der dogmatischen Grundlagen gehen kann. Immerhin hat schon Schmid das Fehlen einer klaren Systematik der Rüge264 Für den Verteidiger RG JW 1930, 2058; 1931, 1602; JW 1932, 1660. Für den gerichtsbeJehrten Beschuldigten RGSt 75, 165 (168); OLG Harnburg GA 1931, 105. 265 BGHSt I, 286 (287f.). Zwar heißt es im Leitsatz mißverständlich, vorn Verteidiger müsse eine Wiederholung des Antrags allgemein erwartet werden. Die NichtsteIlung des Antrags soll aber nur in Verbindung mit besonderen Umständen als stillschweigender Verzicht gewertet werden. 266 OLG Köln, NJW 1954,46 (47); Bay Ob LG 1964, 25 (26); in diese Richtung aber auch schon KG JR 1950, 567 (568). Diese Entwicklung in der Rspr. steht außer Frage: Vgl. nur Traub, NJW 1957, 1095 (1096f.); Oske, MDR 1971, 797 (799); ANM S. 861f. 267 Vgl. Bay Ob LG 1953,220; Bay Ob LG 1957, 132; OLG Stuttgart JR 1977, 343 mit zust. Anm. Gollwitzer. 268 Vgl. dazu LR-Hanack, § 337 Rn. 276; LR-Gollwitzer, § 224 Rn. 33. Nach OLG Köln VRS 60,441 (442) ist es anerkannt, daß der verteidigte Angeklagte sich die Versäumnisse seines Verteidigers verfahrensrechtlich zurechnen lassen müsse. Anders noch RGSt I, 210 (212), wonach Unterlassungen des Verteidigers im Zusammenhang mit der Rüge der fehlenden Benachrichtigung nach § 223 Rechte des Angeklagten nicht präjudizieren können. 269 Dazu Schmid, Verwirkung S. 47ff.; Maatz, NStZ 1992,513 (514ff.).

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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verlustgründe in Rechtsprechung und Literatur konstatiert, obwohl sich schon das Reichsgericht in vielen hundert Entscheidungen damit befaßt habe. 27o 2. Zur Verzichtbarkeit von Verfahrensnormen

Vergegenwärtigt man sich nochmals die gerichtliche Aufklärungspflicht, die auch die Heilung von Verfahrensfehlern vor dem Strafurteil erfaßt, so muß Ausgangspunkt der Überlegungen notwendig die Frage sein, inwieweit Verfahrensnormen überhaupt parteilicher Disposition durch Verzicht oder Verwirkung zugänglich sein können. 27I Keiner näheren Erläuterung bedarf es zunächst, daß die selbständigen Mitwirkungsrechte der Verteidigung im Kampf ums Recht zur Disposition des Beschuldigten und seines Verteidigers stehen und damit natürlich auch verzichtbar sind. Dieser Umstand wurzelt in der Selbstverantwortung der Prozeßsubjekte. 272 Insofern ist nochmals an die von Lüderssen herausgearbeiteten Zusammenhänge zu erinnern: Die prozessuale Autonomie des Beschuldigten ist eben kein Derivat staatlicher Fürsorge, sondern Ausdruck der Selbständigkeit des Bürgers und der Gesellschaft gegenüber dem Staat. Unter die selbständigen Mitwirkungsrechte fallen diejenigen, die der Verteidigung zustehen, ohne daß ein innerer Zusammenhang mit der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts nach § 244 11 bzw. der Staatsanwaltschaft nach § 160 11 besteht. 273 Wenn die Verteidigung Zeugen nicht befragt (§ 240 11), Erklärungen (§ 257) nicht abgibt, Anträge (vor allem Beweisanträge) nicht stellt, oder Schlußvorträge (§ 258 I, III) nicht wahrnimmt, ist das so zustandegekommene Strafurteil hinzunehmen. Daraus folgen insofern spezifische Mitwirkungspflichten des Verteidigers, als die Selbstverantwortung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt den Grundsatz des Verbots der Zurechnung von Verteidigerverschulden im breiten Maße einschränkt?74 Die Führung der Verteidigung unterliegt aufgrund der Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten eben nicht der Kontrolle des Gerichts. Vielmehr prägt die einseitige ParteisteIlung im Zusammenspiel mit der Tabuisierung des Verteidigungsinnenverhältnisses die proSchmid, Verwirkung S. 47, 64. Für die Staatsanwaltschaft sollte sich diese Frage aufgrund ihrer funktionellen Unparteilichkeit und der daraus resultierenden Kontrollpflicht für eine justizförmige Hauptverhandlung rechtlich nicht stellen, vgl. nur Schmid, Verwirkung S. 373 f. Um so bemerkenswerter erscheint die Vielzahl illoyal erscheinender Verfahrensrügen der Staatsanwaltschaft, mit denen sich das Reichsgericht zu beschäftigen hatte, und " ... die der alten Fabel Lügen straft, daß immer nur der Angeklagte und sein Verteidiger derartige Rügen erhöben ... ", näher Schmid, a.a.O. S. 45f. 272 Vgl. nur Bohnert, NStZ 1983, 344 (346). 273 Vgl. nur Schmid, Verwirkung S. 91; H. Müller, Verzichtbarkeit S. 52. 274 Vgl. nur Widmaier, NStZ 1992,519 (521). 270 271

IS Grilner

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

zessuale Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten. Folgerichtig kann sich dieser bei der Anfechtung des Strafurteils auch nicht auf Versäumnisse oder nachteilige Überaktivität des Verteidigers berufen, die zu der Verurteilung geführt haben. Dazu und zu dem unmittelbaren Zusammenhang mit der prozessualen Autonomie des Beschuldigten steht die Pflicht des Gerichts zur Belehrung des unverteidigten Beschuldigten im übrigen in einem gewissen Spannungsverhältnis, weil sich darin die gerichtliche Fürsorgepflicht mit ihrem Postulat staatlich wohlverstandener Beschuldigteninteressen widerspiegelt.275 Angesichts der allgemeinen Verfestigung des Fürsorgeged~nkens in Rechtsprechung und Literatur,276 der bei der bloßen Belehrung über wie auch immer geartete Widerspruchspflichten des Beschuldigten zur Vermeidung von Rügeverlusten tatsächlich in dessen ureigenem Interesse steht, dürfte gegen diese Konstruktion mit der Folge der Gleichstellung des verteidigten und unverteidigten, belehrten Beschuldigten im hier interessierenden Zusammenhang aber nichts einzuwenden sein. a) Verzichtbarkeit und Amtsaufklärungspflicht Weiterhin entspricht die Überschneidung von gerichtlicher Aufklärungspflicht und parteilicher Verzichtbarkeit in manchen Fällen der Konzeption des geltenden Rechts. Man denke etwa an die sog. Sperrechte, wie die Einverständnis- bzw. Verzichtserklärungen nach § 251 I Nr. 4; § 61, Nr. 5; 217 III; 218, 2; § 265 III. Diese Vorschriften geben Verteidigung und Anklage die Rechtsrnacht, eine gerichtliche Verfahrensweise zu erlauben, die sonst gegen die Prozeßordnung verstieße. 277 Darüber hinaus erlaubt der Gesetzgeber dem Gericht sogar im unmittelbaren Zusammenhang mit § 244 11, nämlich bei dem Verzicht auf präsente Beweismittel nach § 245 I 2, das Maß der gerichtlichen Aufklärung mit zur Disposition von Verteidigung und Anklage zu stellen. Wie sich oben gezeigt hat, sind Rechtsprechung und Literatur bei der Unterscheidung zwischen verzichtbaren selbständigen Mitwirkungsrechten einerseits, unverzichtbarer richterlicher Aufklärungspflicht andererseits sowie den ausdrücklich geregelten Ausnahmefallen davon, in denen die Verfahrensbeteiligten den Richter von der Befolgung sonst zwingender Verfahrensvorschriften befreien können, nicht stehengeblieben. Vielmehr unterscheidet man - ganz in der Tradition des Preußischen Obertribunals _278 275 276 277

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Näher Ploetz, Fürsorgepflicht S. 2OOff. Zum Meinungsstand Ploetz, Fürsorgepflicht S. 31 ff. m. w.N. Näher Schmid, Verwirkung S. 90f.; Bohnert, NStZ 1983,344 (346). Näher Schrnid, Verwirkung S. 24 f.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfärmigen Verfahrens

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allgemein zwischen verzichtbaren und unverzichtbaren Verfahrensnormen. Verzichtbar sollen Verfahrensvorschriften sein, wenn sie der Disposition der Beteiligten unterliegen. 279 Alle anderen Verfahrensvorschriften sollen dagegen unverzichtbar sein. 28o Ob eine Verfahrens vorschrift zwingend oder disponibel ist, soll durch das hinter der jeweiligen Vorschrift stehende Interesse ermittelt werden . ... .. Soweit dabei die Interessen der Beteiligten im allgemeinen und diejenigen des Angeklagten im besonderen unzweideutig im Vordergrund stehen und zugleich diejenigen der Allgemeinheit an der Einhaltung der Prozeßordnung gerade in diesem Punkt gleichermaßen zurücktreten, ist der Verzicht des Betroffenen auf die Befolgung der vorwiegend ihm nützlichen Vorschrift nicht ausgeschlossen, und zwar auch ohne daß die Zulässigkeit des Verzichts ausdrücklich im Gesetz ausgesprochen sein müßte. Grundlegende Verfahrensvorschriften, die erlassen sind, um über den Ablauf der einzelnen Verhandlung und über die persönlichen Belange der daran Beteiligten hinaus den rechtsstaatlichen Anforderungen nach einem justizförmigen Strafverfahrensrecht überhaupt zu genügen, sind selbstverständlich von vornherein von einem Verzicht ausgenommen ... ,,281

In jüngerer Zeit hat H. Müller diese Unterscheidung dahingehend präzisiert, daß solche Verfahrensnormen unverzichtbar sein sollen, die dem Gericht aus Gründen der Wahrheitsermittlung eine bestimmte Verfahrensgestaltung vorschreiben. Wo die richterliche Wahrheitsfindung eindeutig im Vordergrund stehe, sei ein Verzicht ausgeschlossen. 282 Dagegen sei der Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrens vorschriften dann möglich, wenn diese den Beteiligten eine sachdienliche Beteiligung am Verfahren ermöglichen sollen oder sonst aus der Fürsorgepflicht des Gerichts entspringen. 283 Wenn auch der Kreis der verzichtbaren Vorschriften außerhalb der selbständigen Mitwirkungsrechte im Hinblick auf die richterliche Amtsaufklärungspflicht anerkanntermaßen eng gezogen wird,284 spielt die so verstandene 279 Beispielsfalle aus der Rechtsprechung: RGSt 24, 198 [Fehlen von Anklage und Eröffnungsbeschluß]; RGSt 32, 157 (158) [Unterbliebene Belehrung des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen]; RG JW 1903, 217; RGSt 42, 197 (l98f.) [Fehlerhafte Entfernung des Angeklagten aus der Verhandlung mit dessen Einverständnis]; RG JW 1930, 2573 [Unbeachtlichkeit des Verzichts des Angeklagten auf die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts]; RGSt 9, 49 (50) [Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz]; RGSt 30, 439 (440), RG JW 1932, 1751 [Verlesung von Urkunden und Sachverständigengutachten unter fehlerhafter Heranziehung des § 256 mit dem Einverständnis des Verteidigers]; RGSt 41, 272 (274), RGSt 45, 271 (278) [Verzicht auf Aburteilungsverbote in Auslieferungssachen]. Vgl. auch die Zusammenstellung LR-Hanack § 337,271 f. 280 Vgl. dazu die Zusammenstellung bei W. Schmid, Verwirkung S. 64ff. sowie bei LR-Hanack § 337, 273. 281 Schmid, Verwirkung S. 96. Zum Ganzen ders., a.a.O. S. 90ff. 282 H. Müller, Verzichtbarkeit S. 44. Zustimmend LR-Hanack § 337, 270. 283 H. Müller, Verzichtbarkeit S. 63 f. 284 Vgl. nur Bohnert, NStZ 1983,345.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Verzichtbarkeit von Verfahrensnonnen an zentralen Stellen eine Rolle, soweit es die Verletzung von Rechten des Beschuldigten betrifft. So soll, neben dem Hauptanwendungsfall der §§ 168 c, 224, im hier interessierenden Zusammenhang der Verzicht des Beschuldigten auf die Einhaltung von Belehrungsvorschriften nach einhelliger Ansicht möglich sein. Die bekannte Entscheidung des OLG Hamm, wonach die Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a der Disposition der Verteidigung unterliegen soll,285 lasse sich auf alle in der Strafprozeßordnung enthaltenen Belehrungen und belehrenden Hinweise, welche sich als Ausfluß der Fürsorgepflicht des Gerichts auffassen ließen, übertragen. 286 Entsprechend ist die Widerspruchslösung in der Literatur zum Teil mit der Maßgabe gebilligt worden, der Bundesgerichtshof habe lediglich in Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung herausstellen wollen, die Verteidigung müsse sich an eine ausdrückliche oder schlüssig erteilte Zustimmmung zur Nichteinhaltung verzichtbarer Vorschriften binden lassen. 287 Der Verteidigung sei wie in den Fällen der §§ 168 c, 224 in der Hauptverhandlung die freie Entscheidung darüber eingeräumt, ob es im Interesse der Verteidigung sinnvoll sei, von ihrem prozessualen Recht Gebrauch zu machen. 288 Der Verfahrensfehler werde in diesen Fällen durch konkludent erteilte nachträgliche Zustimmung geheilt, wenn die Verteidigung den Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung untätig hinnehme. 289 Hamm vertritt sogar die Ansicht, Beweisverwertungsverbote aus fehlerhafter Beschuldigtenvernehmung entstünden erst in der Hauptverhandlung durch den Willensakt der Verteidigung, selbst über die Nichtverwertung der verfahrensfehlerhaft erlangten Aussage zu entscheiden. Aus der Freiheit des Beschuldigten zur Aussage folge die Freiheit der Verwertbarkeit. 290 All diese Erwägungen gehen aus strukturellen Gründen ins Leere. Denn die allgemeine Unterscheidung zwischen Verzichtbarkeit und Unverzichtbarkeit setzt, insoweit strukturgleich zur Widerspruchslösung, eine entsprechende Stufung der Verfahrensvorschriften voraus. Einer solchen steht aber die richterliche Aufklärungspflicht nach § 244 11 als prägendes Strukturelement der Hauptverhandlung im refonnierten Strafprozeß entgegen. Nicht umsonst wird die Anwendbarkeit des § 295 I ZPO, der in dem von Parteienherrschaft geprägten Zivilgrozeß den Verzicht auf Verfahrens vorschriften im weiten Maße vorsieht, 91 für den Strafprozeß allgemein abgelehnt. 292 OLG Hamm, NJW 1956, 1330. H. Müller, Verzichtbarkeit S. 61. 287 KJ.-Meyer-Goßner, StPO § 136 Rn. 20f.; Hamm, NJW 1993,289 (296); Kramer, Grundbegriffe S. 29. 288 Widmaier, NStZ 1992,519 (521). 289 Roxin, JZ 1992, 923 (924); ders., Strafverfahrensrecht S. 162. 290 Hamm, NJW 1996,2185 (2187). 291 VgJ. nur Thomas/Putzo, ZPO § 295, I. 28S

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B. Der Verteidiger als Garant eines justizförrnigen Verfahrens

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Der Rückgriff auf die Motive des Entwurfs und die darin niedergelegte Anerkennung des Rügeverlusts durch Verzicht auf eine "prozessualische Befugnis" führt in diesem Zusammenhang nicht weiter, weil diese die Verzichtbarkeit von Verfahrensnormen voraussetzen und nicht begründen. 293 Man mag in diesem Zusammenhang zwar gerade die Sperrechte als punktuelle (im übrigen meist nachträglich eingefügte) Entscheidungen des Gesetzgebers für die strafprozessuale Dialektik in der Hauptverhandlung und gegen die inquisitorische Grundhaltung des reformierten Strafprozesses betrachten, weil das Gericht sich durch die Parteien (genauer: durch die Verteidigung als Partei und die Staatsanwaltschaft als unparteilicher Träger von Kontrollpflichten) von der Einhaltung seiner Amtsaufklärungspflicht entbinden lassen kann. Grundlage der Anerkennung einer ungeschriebenen Kategorie verzichtbarer Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung zur Disposition der Verteidigung steht, können diese Vorschriften aber nicht sein. Wenn schon in den gesetzlich geregelten Fällen sich das Gericht nicht auf den Verzicht einlassen muß, man denke an § 251 Nr. 4, steht die gerichtliche Aufklärungspflicht außerhalb der gesetzlichen Regelungen erst recht einer einseitigen Disposition der Verteidigung durch Verzicht auf Belehrungspflichten oder Benachrichtigungspflichten entgegen. Genausowenig wie die Verteidigung im Zusammenhang mit der Widerspruchslösung mehr erlangen kann, als sie vor dem Verfahrensfehler hatte, kann sie über Vorschriften disponieren, deren Einhaltung dem Gericht obliegt. 294 b) Belehrungspflichten und Benachrichtigungspflichten als unverzichtbare Verfahrensnormen Das gilt insbesondere für die gerichtlichen Benachrichtigungs- und Belehrungspflichten, deren Verzichtbarkeit mit Hinweis auf die Verzichtbarkeit des Anwesenheitsrechts bzw. des Rechts auf Aussagefreiheit und Verteidigerbeistand selbst postuliert wird. 29S Es geht dabei nicht um Rabulisterei in Form einer künstlichen Verselbständigung von Vorbereitungsrechten Vgl. nur Dornach, Strafverteidiger als Mitgarant S. 185. Näher Schmid, Verwirkung S. 28 ff. Das gilt auch dann, wenn man die "prozessualische Befugnis" in Anlehnung an die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals als venichtbare Verfahrensvorschrift liest, was angesichts der Herkunft des Entwurfs aus dem Preußischen Justizministerium naheliegt. Denn der Kreis der verziehtbaren Vorschriften, in den von Preußen annektierten Gebieten durch § 390 StPO 1867 für den Verzicht auf Prozeßbefugnisse generalklauselartig niedergelegt, war nach preußischen Verfahrensrecht nicht klar konturiert, näher Schrnid, Verwirkung S. 23f., 28f. 294 Ähnlich Bohnert, NStZ 1983, 344 (346). 295 Vgl. nur Schmid, Verwirkung S. 91 f.; H. Müller, Verzichtbarkeit S. 52 m.w.N. 292 293

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

gegenüber unstreitig verzichtbaren Ausübungsrechten, deren Verwirklichung sie dienen. Vielmehr verkörpern gerade die Benachrichtigungs- und Belehrungspflichten das öffentliche Interesse an Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafprozeß, die weder zur Disposition der unparteilichen noch der parteilichen Prozeßsubjekte im Strafprozeß stehen. Wenn hinter den Anwesenheitsrechten nach den §§ 168c I, 11; 224 I das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör steht. 296 so verpflichtet der Gesetzgeber mit den Benachrichtigungspflichten das Gericht zur Gewährleistung einer bestimmten rechtsstaatlichen und dialektischen Qualität der Beweiserhebung. 297 Erfolgt die Benachrichtigung nicht, und die Vernehmung findet ohne den Verteidiger bzw. ohne den Beschuldigten statt, so muß das folgerichtig ein umfassendes Beweisverwertungsverbot im Strafurteil nach sich ziehen.298 Ob das rechtliche Gehör im Fall der Benachrichtigung auch wahrgenommen worden wäre, was im Kampf ums Recht immer zur Disposition der Parteien steht und in aller Regel nur in der Prozeßlage selbst abschätzbar ist, hat mit dem öffentlichen Interesse an der justizförmigen Durchführung der Beweiserhebung und Bereitstellung der Mitwirkungsrechte nichts zu tun. Die Benachrichtigungspflicht ist daher entgegen der gängigen Ansicht in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich allseitig unverziehtbar. Aus dem gleichen Grund kann man selbst bei einseitiger Betrachtungsweise aus dem Gesichtspunkt der dialektischen Wahrheitsfindung die Mängel der Beweiserhebung nicht durch die Zuschreibung eines nur eingeschränkten Beweiswerts ausgleichen, ganz abgesehen von dem dann entstehenden Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Wenn weiterhin der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten dessen Kenntnis von seinem Schweigerecht bzw. dem Recht auf Verteidigerbeistand nicht vorausgesetzt hat,299 und mit den Belehrungspflichten nach den §§ 136 I 2, 1. Hs.; 163a 111 2; 163a IV 2 wiederum die rechtsstaatliehe und dialektische Qualität der Beweiserhebung sichert, so kann der Beschuldigte auch darauf nicht verzichten und schon gar nicht die Verweigerung der Verteidigerkonsultation durch Verzicht heilen, die im besonderen Maße dem Ausgleich situativ bedingter Schwächen bei der Wahrnehmung seiner Subjektstellung dient. 3°O 296 Vgl. nur KK-Wache § 168 c, I; LR-Gollwitzer § 224,4; Zaczyk. NStZ 1987. 131 (137). 297 Näher zur "direkten Verbindung zwischen dem verfassungsrechtlich konstituierten Recht (Art. 103 I GG) und seinem Umschlagpunkt. der auf den ersten Blick unbedeutend zu sein scheint" Zaczyk, NStZ 1987.535 (537). Dazu auch im Zusammenhang mit dem Aufruf zur Sache nach § 220 I ZPO, BVerfG NJW 1977, 1443. 298 Näher Widmaier, FG-Friebertshäuser S. 185f. m. w.N. 299 BGHSt 38, 214 (224f.). 300 BGHSt 39. 349 (352f.); BGH 42. 15 (20f.).

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Wie der Beschuldigte sich verhalten hätte, wenn bei der Vernehmung justizförmig verfahren wäre, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Hamm, der die Einhaltung gerichtlicher Belehrungspflichten nach Art einer Meistbegünstigungsklausel nachträglich zur Disposition des Beschuldigten stellt, weil dieser schon im Zeitpunkt seiner verantwortlichen Vernehmung die freie Wahl zur Aussage und zur Verteidigerkonsultation hatte,301 übersieht an dieser Stelle, daß die gerichtlichen Belehrungspflichten nach der Vorstellung des Gesetzgebers dem Beschuldigten erst diese freie Wahl ermöglichen. Dieses Versäumnis wiegt um so schwerer, als Hamm selbst einräumt, die entlastende oder belastende Wirkung der fehlerhaft zustande gekommene Aussage sei im Falle der Verwertbarkeit Sache des Gerichts in der Urteilsberatung. 302 Die daraus notwendig folgende Vorstellung, das Gericht könne in bestimmten Fallkonstellationen als Ausfluß seiner Fürsorgepjlicht dem Beschuldigten zum Hinweis darauf verpflichtet sein, wie es das fehlerhaft erlangte Beweismittel würdigen werde, um ihm die sachgerechte Entscheidung über die Verwertbarkeit zu ermöglichen, ohne aber selbst den Verfahrensfehler heilen zu dürfen, sprengt den strukturellen Rahmen des reformierten Strafprozesses nicht weniger als die Widerspruchslösung. Die eben herausgearbeiteten Grundsätze müssen ebenfalls für die Verweigerung selbständiger Mitwirkungsrechte durch das Gericht gelten, wie bei der Verletzung von Verfahrensrecht im Zusammenhang mit der Nichteinräumung von Antrags- und Erklärungsrechten, die nach gängiger Ansicht ebenso wie das Recht selbst als verzichtbar gelten?03 Zwar besteht Einigkeit über die Rücknehmbarkeit von Anträgen, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. Das mag weiterhin für Prozeßerklärungen usw. erst recht gelten. Darum geht es aber nicht, wenn die Stellung von Anträgen oder die Abgabe von Erklärungen der Verteidigung vom Gericht verweigert worden ist. Die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Verteidigung gehört zur gerichtlichen Aufklärungspflicht, deren Versäumung nicht durch parteilichen Verzicht, sondern durch die justizförrnige Wiederholung des Verfahrensvorgangs zu heilen ist. Ansonsten kann sich der "Verzicht" der Verteidigung auf die Heilung des Verfahrensfehlers nur so auswirken, daß der revisionsrechtliche Beruhenszusarnmenhang zwischen Verfahrensfehler und Urteil fehlen kann. Das wäre allerdings nach den allgemeinen Grundsätzen vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen,304 und hat schon 301 Hamm, NJW 1996, 2185 (2187); ähnlich Widmaier, NStZ 1992, 519 (520). Im Zusammenhang mit den §§ 168 c, 224 ders., FG-Friebertshäuser S. 185 [,,zwar bedarf es der Aktualisierung durch ausdrücklichen Widerspruch des Verteidigers gegen die Verwertung"]. 302 Hamm, NJW 1996, 2185 (2187). 303 Vgl. nur Schmid, Verwirkung S. 91 f.; H. Müller, Verzichtbarkeit S. 52, jeweils m. w. N. 304 Vgl. dazu nur KK-Kuckein § 344, 61, 65 m. w.N.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

von daher mit dem zurechenbaren Rügeverlust durch Verzicht nichts mehr zu tun. Damit schließt sich der Bogen zu der vom Gesetzgeber verfolgten revisionsrechtlichen Lösung des Rügeverlusts durch zurechenbares Parteiverhalten. Bohnert weist zurecht darauf hin, daß es einen Verzicht außerhalb der gesetzlichen Beruhensregelung der §§ 336ff. nur in den gesetzlich geregelten Fällen gibt. 305 Vor diesem Hintergrund führt zwar gerade die Verletzung gerichtlicher Belehrungspflichten im Einzelfall nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn der Beschuldigte etwa sein Schweigerecht bei der verantwortlichen Vernehmung oder in der Hauptverhandlung schon kannte. Anderenfalls gerieten die Belehrungspflichten gegenüber dem Beschuldigten in die Nähe bloßer Förmelei. 306 Mit dieser Maßgabe ist sinngemäß auch der oben angesprochenen Entscheidung des OLG Hamm zuzustimmen, wonach der verteidigte Beschuldigte, der bewußt und eindeutig auf die Rechtsmittelbelehrung verzichtet hat, sich nicht im Nachhinein auf seine Unkenntnis von Formen und Fristen berufen kann. 307 Selbst wenn man diese funktionale Betrachtung der Belehrungsvorschriften wegen des prozessualen Eigenwerts der schützenden Formen als Schutzinstrument für den Beschuldigten ablehnt,308 ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Denn wenn der Beschuldigte sein Schweigerecht ohnehin kennt, kann das Strafurteil nicht auf der fehlenden bzw. fehlerhaften Belehrung des Beschuldigten beruhen, sondern auf dessen eigenverantwortlicher Entscheidung zur Aussage. Abgesehen von diesen Fällen bleibt für den Verlust von Veifahrensrügen durch zurechenbares Parteiverhalten kein Raum. Es verbleibt als Mitwirkungspflicht der Verteidigung und insbesondere des Verteidigers, im Fall der Heilung von Verfahrensfehlern durch ordnungsgemäße Nachholung die prozeßtaktisch für günstig gehaltenen Dispositionen zu treffen. Das gilt entsprechend im Fall der Versäumung der Heilung von Verfahrensfehlern durch das Gericht und eines daraus resultierenden fehlerbehafteten Strafurteils.

c) Verzicht und Verwirkung als Tatbestände des Rügeverlusts Gibt es eine allgemeine Kategorie verzichtbarer Verfahrens vorschriften außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle nicht, so erweist sich der Streit um Wesen und Voraussetzungen des Verzichts auf Verfahrensnormen309 Bohnert, NStZ 1983, 344 (345 ff.). Eh. Schmidt, NJW 1968, 1209 (1217); Dencker, MDR 1975, 359 (361); SKRogall Vor § 133, 175. 307 Ähnlich Bohnert, NStZ 1983,344 (347) [Fn. 49]. 308 Näher Eh. Schmidt, LK I S. 44 ff. 30S

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B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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weitgehend als Spiegelfechterei, als Streit ohne Gegenstand. Das gilt im Zusammenhang mit einer Verletzung der Benachrichtigungspflichten in den Fällen der §§ 168 c, 224 um so mehr, als es naheliegend erscheint, entgegen der in Rechtsprechung und Literatur verfestigten Ansicht310 den Anwendungsbereich des § 251 I Nr. 4 auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu beschränken, und nicht auf deren fehlerhafte Durchführung. Das ergibt sich nicht nur aus systematischen Gründen sowie aus dem Vergleich zu § 251 Nr. 1_3,311 sondern auch daraus, daß zusätzlich die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Diese kann bei funktioneller Betrachtungsweise als "objektivste Behörde der Welt" und Wächterin eines justiiförmigen Verfahrens in der Hauptverhandlung nicht mit der Verlesung eines richterlichen Protokolls einverstanden sein, das aufgrund der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör des Beschuldigten rechtsstaatswidrig und wahrheitsgefährdend zustandegekommen iSt. 312 Man kann sich dagegen zwar auf eine lange reichsgerichtliche Tradition berufen,3!3 die sich aber selbst genauso haltlos darstellte, wie sich das in der modemen Kommentarliteratur mit dem Verweis auf den "Ausgleich gewisser Unzulänglichkeiten des Verfahrens durch das Einverständnis der Beteiligten ,,3!4 oder auf den "Wortlaut und Zweck der Vorschrift, das Verfahren zu beschleunigen" widerspiegelt. Ob man eine Vorschrift aus der va vom 29.5.1943, daher stammt der heutige § 251 I Nr. 4, ohne Not so weit auslegen sollte, daß davon zu der damaligen Zeit bekanntlich nicht sehr hochgehaltene rechtsstaatliche Grundsätze wie das öffentliche Interesse an der Gewährleistung des Rechts auf rechtliches Gehör berührt werden, erscheint ohnehin zweifelhaft. Immerhin war bis dahin der RStPO 1877 eine ähnliche Vorschrift trotz der ständigen reichsgerichtlichen Rechtsprechung völlig fremd gewesen?15 Aber auch in den gesetzlich einschlägigen Fällen dürfte es, was die hier interessierenden Mitwirkungspflichten der Verteidigung bzw. des Verteidigers betrifft, schwerlich zulässig sein, mit der Rechtsprechung den zurechenbaren Verlust von Verfahrensrügen durch Schweigen in der Hauptverhandlung über die Zwischenstationen des fingierten Verzichts sowie der Verwirkung von Verfahrensrügen letztlich in eine Widerspruchspflicht umzuwandeln. Denn damit bewegt man sich durch revisionsgerichtliche 309 310

311

aus"].

VgJ. die Nachweise bei LR-Hanack § 337, 270. VgJ. nur KK-Diemer § 251,10 m.w.N.; LR-Gollwitzer § 251,42 m.w.N. Eb. Schmidt, LK II § 251, 14 [..Dieser Fall geht weit über die Nr. 1-3 hin-

VgJ. nur Schmid, Verwirkung S. 363. RGSt 44, 9; 58, 90; 66, 216. 314 LR-Gollwitzer § 251, 43 unter ersichtlicher Bezugnahme auf Kohlhaas, NJW 1954,537. 315 Zum ganzen Eb. Schmidt, LK II § 251, 14. 312 313

234

3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Fiktion im Bereich des faktischen Rügeverlusts, aber nicht mehr auf dem Boden des geltenden Rechts. Schließlich steht auch bei den verzichtbaren Verfahrensnormen weiterhin die gerichtliche Aufklärungspflicht im Vordergrund, die nicht über den Umweg des fingierten Verzichts auf die anderen Handlungsträger abgeschoben werden darf. Gerade in den eigentlich problematischen Fällen, in denen der Verteidiger den Verfahrensfehler sehenden Auges hinnimmt, um sich eine Revisionsrüge zu erhalten, verzichtet er nicht auf die Einhaltung der verletzten Verfahrensnorm. Vielmehr möchte er das Gericht dann eben nicht von seiner Verantwortung für ein justizförmiges Verfahren entbinden. Die reichs gerichtliche Rechtsprechung, wenn auch schon in ihrer Zeit von Justizjuristen als zu zögerlich kritisiert,316 hat mit dem Abstellen auf die besonderen Umstände des Einzelfalles, die letztlich auf die Ermittlung eines Verzichtswillens hinauslaufen, die Grenzen eines so begründeten Rügeverlusts durch zurechenbares Parteiverhalten markiert. 317 Diese Beschränkungen des Rügeverlusts durch Verzicht gesteht der Bundesgerichtshof mit dem Ausweichen auf die Verwirkung als Rügeverlusttatbestand zwar zu, entfernt sich aber dadurch noch mehr von den prozessualen Wertungsmaßstäben. Denn der Rügeverlust durch Verwirkung beruht nicht mehr auf dem Gedanken der willentlichen Aufgabe von Rechtspositionen, sondern darauf, ob man die Verletzung einer Verfahrensnorm schon in der Hauptverhandlung hätte rügen können. An die Stelle der Finalität tritt Kausalität. 318 Überdeutlich werden diese Zusammenhänge in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1971, wonach im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen die Ladungsfrist des § 217 11 für eine Verwirkung der Verfahrensrüge bereits das zurechenbare, nicht notwendig illoyale Verhalten der Beteiligten ausreichen soll. Dazu merkt das Gericht an: "... Verwirkung in diesem weiteren Sinne läßt der Gesetzgeber immer dann eintreten, wenn es bei der Art des Mangels als selbstverständlich angesehen werden kann, daß ihn der Betroffene, sofern er sich beschwert fühlt, von sich aus geltend macht ... ,,319

Eine so weitgehend verstandene Geltung der Verwirkung von Rechtspositionen ist dem geltenden Recht allerdings fremd. Der Rückgriff auf den Verwirkungsgedanken mag Mitwirkungspflichten der Verteidigung dort erklären können, wo selbständige Mitwirkungsrechte versäumt werden, Näher Schmid, Verwirkung S. 37. Eingehend Schlüchter, GS- K.H. Meyer S. 445 (447ff.). Im Ergebnis ähnlich die einschlägige Kommentarliteratur, wonach ein stillschweigendes Einverständnis gemäß § 251 I Nr. 4 nur nach vorherigem Hinweis des Vorsitzenden wirksam erteilt ist, vgl. nur KI./Meyer-Goßner § 251, 12ff. m.w.N. 318 Schlüchter, GS- K.H. Meyer S. 445 (448f.). 319 BGHSt 24, 143 (148). 316 317

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfönnigen Verfahrens

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wobei es im Kampf ums Recht dafür ohnehin keiner weiteren Erklärung bedarf. Die Verwirkung kann weiterhin als eigenständiges Rechtsinstitut im Strafprozeß nach dem StraJurteil in Einzelfällen als Grundlage von Mitwirkungspflichten Bedeutung gewinnen, wenn etwa der Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs nach § 33 a solange hinausgezögert wird, daß die Rechtsgemeinschaft sich darauf verlassen darf, die Geltung der einmal gewonnenen Sachentscheidung, insbesondere eines Strafurteils, werde hingenommen. 320 Vor dem StraJurteil kann dagegen die Verteidigung in einem inquisitorisch strukturierten Prozeß, der schon den Verzicht auf Verfahrensnormen nur in Ausnahmefällen normiert, unmöglich unterhalb der Verzichtsvoraussetzungen gegenüber dem Inquirenten einen Vertrauenstatbestand schaffen, seine Amtsaufklärungspflicht sanktionslos verletzen zu dürfen. 321 Das würde die Zuständigkeiten, gerade im Hinblick auf die gerichtliche Pflicht zur Heilung von Verfahrensfehlern, auf den Kopf stellen. Aufgrund der gesetzlich verankerten Zuständigkeiten kann es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf ankommen, ob die Verteidigung den Verfahrensfehler bewußt mit herbeigeführt, den fehlerhaften Vorgang nur untätig hingenommen oder ihn gar erst gar nicht bemerkt hat. 322 Solche Überlegungen mögen zwar nicht selten gedanklicher Ursprung des faktischen Rügeverlusts durch revisionsrechtliche Gegenmittel sein. Das ändert aber nichts daran, daß das Gericht "das Recht verwirkt", sich in der Revision auf den Bestand des fehlerhaften Strafurteils zu berufen, wenn hinter der parteilichen Untätigkeit in der Hauptverhandlung keine willentliche Aufgabe verzichtbarer Verfahrensrügen steht. Der Satz Sarstedts, die Mitwirkung des Verteidigers sei kein Luxus, der bei richtigem Funktionieren des Gerichts auch entbehrt werden könnte, sondern ein echtes Erfordernis wirklicher Rechtspflege,323 setzt seinerseits Mitwirkungspflichten des Verteidigers voraus, begründet sie aber nicht. Er darf nicht in der Weise umgedreht werden, daß das richtige Funktionieren des Gerichts zum Luxus wird. Es sei in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, daß die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Absprachen nur solange gegeben ist, wie die inquisitorische Rolle des Gerichts in der Hauptverhandlung dadurch nicht ausgehöhlt wird. 324 320

357f.

Vgl. nur Kl./Meyer-Goßner Vor § 296,6 m.w.N.; OLG Koblenz wistra 1987,

Eingehend Schlüchter, GS- K.H. Meyer S. 445 (451 ff.). So aber Jescheck, GA 1953, 88 (89); kritisch dazu Schmid, Verwirkung S. 349ff. Als zusätzliches Problem stellt sich dabei, daß auch bei weiter Auslegung des faktischen Rügeverlusts in aller Regel abenteuerlich erscheint, dem Verteidiger die Kenntnis von Verfahrensfehlern nachzuweisen, die von einem oder mehreren Berufsrichtern, im Zweifel alles Prädikatsjuristen, übersehen worden sind. Dazu und zu ähnlichen Folgeproblemen Widmaier, NStZ 1992,519 (520). 323 Zitiert nach BGHSt 25, 325 (332). 321

322

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Die Uferlosigkeit des Verwirkungsgedankens als bloßes richterrechtliches Machtinstrument zeigt sich im Zusammenhang mit den §§ 168 c, 224 darin, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Verfahrensrüge auch dann verwirkt sei soll, wenn das Gericht die Verlesung einer fehlerhaft gewonnenen kommissarischen Zeugen- oder Sachverständigenaussage auf die § 251 I Nr. 1-3 stützt, und der Verteidiger - aus welchen Gründen auch immer - nicht widerspricht. 325 Ein Rügeverlust ist in solchen Fällen sogar mitunter dann angenommen worden, wenn die Voraussetzungen des § 251 I Nr. 1-3 gar nicht gegeben waren. Mit der widerspruchslosen Hinnahme der Verlesung oder der Befragung des vorher vernehmenden Richters habe die Verteidigung sowohl der Nichtbenachrichtigung wie der vom Tatgericht gar nicht in Betracht gezogenen Verlesung nach § 251 I Nr. 4 stillschweigend zugestimmt und damit beide Verfahrensfehler geheilt. 326 Ein Widerspruch des Verteidigers gegen die Verwertung im Strafurteil wurde selbst dann verlangt, wenn die Verlesung der unter Verstoß gegen § 224 erlangten Zeugenaussage nach § 251 III zu Vorbereitungszwecken und nicht zur Urteilsfindung erfolgt war. 327 Wenn der Bundesgerichtshof nun in Anknüpfung an ein längst überwunden geglaubtes Intermezzo einiger Obergerichte zu Beginn der Fünfziger Jahre sogar anerkannt unverzichtbare Verfahrensrügen der Verwirkung unterwirft,328 so verdeutlicht das auch an dieser Stelle eindringlich den rechtsstaatlichen Wert der Form im Strafprozeß und die Gefahren faktischer Definitionsmacht durch Richterrecht. 3. Revisionsrechtliche Mitwirkungspflichten des Verteidigers und Rügeverlust

Festzuhalten bleibt bis hierhin, daß der Rügeverlust durch zurechenbares Parteiverhalten außerhalb der gesetzlich normierten Verzichtbarkeit von Verfahrensnormen, die dann aber die willentliche und nach außen erkennBVerfG NJW 1987,2662 (2663). m Vgl. BGH NJW 1952, 1426. 326 BGH StV 1983,319 (320) in Anknüpfung an BGHSt 9, 230 (232f.), wo allerdings dieses Vorgehen lediglich nur für den Fall erwogen wird, daß das Gesamtverhalten des Verteidigers im Einzelfall ein Einverständnis nach § 251 I Nr. 4 nahelegt. Anders BayObLG 1953, 220 für den allerdings unverteidigten Angeklagten; BayObLG 1957, 132; OLG Stuttgart JR 1977,343 mit zust. Anm. Gollwitzer; BGH NJW 1952, 1305; BGH NJW 1984,65 (66). 327 BGHSt 9, 24 (25). 328 BGH NStZ 1998, 209 [Entfernt sich der Verteidiger vor der Urteilsverkündung eigenmächtig, so ist die darauf gestützte Rüge nach 338, 5 verwirkt]. Ähnlich schon OLG Bremen, GA 1953, 87 f. Kritisch dazu Jescheck, GA 1953, 88 (89). Eingehend mit weiteren unveröffentlichten Entscheidungen aus dieser Zeit Schmid, Verwirkung S. 57 ff., 379 ff. 324

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförrnigen Verfahrens

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bare Aufgabe der jeweiligen Rechtsposition erfordert, nur auf revisionsrechtlichem Wege stattfinden kann. Hier eröffnet sich allerdings ein weites Feld von Fällen des faktischen Rügeverlusts durch revisionsgerichtliche Fiktion einerseits und revisionsrechtlichen Besonderheiten andererseits, die sich aus den strengen Formvorschriften des Revisionsrechts und der beschränkten Möglichkeit der Revisionsgerichte ergeben, die Geschehnisse der Tatsacheninstanz nachzustellen. 329 Gerade aus diesen revisionsgerichtlichen Besonderheiten folgen im besonderen Maße Mitwirkungspflichten des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten. Wenn Bohnert darauf hinweist, die Verzichtsproblematik könne nur innerhalb des Beruhensbereichs des Urteils seine Stellung haben,33o so verdeutlicht das die Reichweite solcher revisionsrechtlicher Mitwirkungspflichten, die bis in die Tatsacheninstanz zurückwirken. Man denke gerade im Zusammenhang mit dem Verzicht auf Verfahrensrügen an den anerkannten Satz, das Schweigen des Beschuldigten zu einer Verzichtserklärung des Verteidigers in der Hauptverhandlung sei als Zustimmung zu werten und umgekehrt. 331 Dadurch erfährt der Grundsatz des Verbots der Zurechung von Verteidigerverschulden einen weiteren Einbruch. Darf das Tatgericht in Respektierung der Subjektsrolle des Beschuldigten nicht in das Verteidigungsinnenverhältnis eingreifen, so folgt daraus vor dem Revisionsgericht mit seinen begrenzten Prüfungsmöglichkeiten mangels anderer Anhaltspunkte notwendig die Vermutung des Konsenses zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger. Schmid hat in seiner Erlanger Habilitationsschrift aus dem Jahre 1964 über die Verwirkung von Verfahrensrügen andererseits herausgearbeitet, daß schon das Reichsgericht mitunter "illoyal erscheinenden Veifahrensrügen mit dem fingierten Verzicht der Verteidigung auf die Veifahrensrüge als Hausmittel aus dem reichhaltigen Arsenal des Revisionsgerichts den verdienten Garaus machte.,,332 Es würde angesichts der Vielfältigkeit der denkbaren Fallkonstellationen den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, jeden Einzelfall in der Grauzone zwischen faktischer Definitionsmacht des Revisionsgerichts und rechtlichen Besonderheiten des Revisionsrechts abgrenzen zu wollen. 333 Schon die zentrale Formvorschrift des § 344 II 2, die dem Beschwerdeführer an sich nicht mehr als die Angabe der den 329 Vgl. statt aller KI./Meyer-GoBner Vor § 333, I ["Da die Beweisaufnahme nicht wiederholt wird, ist das Revisionsgericht an die Feststellungen des Tatrichters gebunden"]. 330 Bohnert, NStZ 1983, 344 (349). 331 Vgl. nur Schmid, Verwirkung S. 127f.; RieB, NJW 1977,881; H. Müller, Verzichtbarkeit S. 74f. 332 Schmid, Verwirkung S. 45 ff. 333 Überblick bei Maatz, NStZ 1992, 513 ff.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Mangel enthaltenden Tatsachen zur Begründung einer Rechtsnorm über das Verfahren aufgibt, ist zwischenzeitlich durch Richterrecht in einem Maße strapaziert worden, das die Abfassung einer Revisionsbegründung als eine Art "schwarze Kunst" für wenige Spezialisten erscheinen läßt. 334 Insoweit muß an dieser Stelle als allgemeiner Grundsatz der Hinweis genügen, daß die revisionsgerichtlichen ..Hausmittel" nicht die Zuständigkeiten zwischen den Prozeßsubjekten in der Tatsacheninstanz in der Weise verschieben dürfen, daß deIjenige als illoyal zurückgewiesen wird, der die einem anderen Prozeßsubjekt funktionell zugewiesenen Rechte und Pflichten nicht wahrnimmt. Begeht das Gericht einen revisiblen Verfahrens fehler und beruht das Urteil darauf, so gibt es dagegen kein rechtmäßiges Hausmittel des Revisionsgerichts. Anderenfalls würde der Zweck der Revision konterkariert, die Rechtseinheit zu wahren und im Einzelfall eine gerechte Entscheidung herbeizuführen. 335

Nachdem sich die Gewährleistung des Schweigerechts bei der verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten gerade neuerdings als ein Hauptanwendungsfall und Indikator für Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Dienste eines justizförmigen Verfahrens erweist, und der Bundesgerichtshof im Zuge der Widerspruchslösung gerade in diesem Zusammenhang zusätzliche revisionsrechtliche Fallstricke für den Nachweis des Verfahrensfehlers gelegt hat, soll die Untersuchung aber nicht abgeschlossen werden, ohne auf die damit zusammenhängenden Fragestellungen einzugehen. Es kann in diesem Zusammenhang zunächst nicht verwundern, daß Ungereimtheiten betreffend das Schweigerecht des Beschuldigten im reformierten Strafprozeß Tradition haben. Auch das hängt damit zusammen, daß es sich trotz der Aufwertung des Beschuldigten zum Prozeßsubjekt strukturell um ein inquisitorisches Prozeßmodeli handelt. 336 Auf der einen Seite ist es mit der Autonomie des Beschuldigten und mit dem Postulat eines gerechten Verfahren zwar kaum in Einklang zu bringen, wenn seine Aussagefreiheit als essentieller Teil seines Prozeßverhaltens bei Vernehmungen über den Tatvorwurf nicht geschützt wird. Andererseits steht es mit dem Wahrheitsanspruch eines inquisitorischen Verfahrens in einem Spannungsverhältnis, dem Beschuldigten die Möglichkeit einzuräumen, sich selbst als Beweismittel der staatlichen Wahrheitserforschung zu entziehen und dadurch die Aussichten auf ein richtiges Urteil zu schmälern. So bestand zwar im gesamten Gesetzgebungsverfahren Einigkeit über die hohe Bedeutung des Schweigerechts des Beschuldigten als elementares Prinzip eines gerechten Verfahrens. 337 Die Absicherung des Schweigerechts durch die Schaffung von Belehrungspflichten gegenüber dem Beschuldigten war aber nach dem 334 335 336

Dahs, StraFo 1995,41 (45) [..Die Revision - Puzzle oder Glücksspiel?"]. Vgl. nur Kl.lMeyer-Goßner Vor § 333,4. Dazu Roxin, JZ 1993,426 (427).

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ersten Entwurf trotzdem nicht vorgesehen gewesen. Dem Beschuldigten brauchte danach noch nicht einmal eröffnet zu werden, welche strafbare Handlung man ihm vorwerfe. Man befürchtete, neben den mit der Ausübung des Schweigerechts für den Beschuldigten verbundenen Nachteilen bei der Beweiswürdigung, der Beschuldigte werde sich seiner sittlichen Pflicht zur Wahrheit entziehen, wenn die Verhörsperson zur Belehrung über sein Schweigerecht verpflichtet sei. 338 Erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren kam es schließlich doch gegen heftige Widerstände zu der Einführung von Belehrungspflichten gegenüber dem Beschuldigten über Tatvorwurf und Schweigerecht. 339 Auf der anderen Seite hielt es der Gesetzgeber unter einhelliger Zustimmung der nachfolgenden Rechtsprechung und Literatur aber für unbedenklich, aus dem befugten Schweigen des Beschuldigten Rückschlüsse auf dessen Schuld zu ziehen. 34o Gesetzesinitiativen zum Schutz des Schweigerechts wie insbesondere der Goldschmidt-Entwu1j" aus dem Jahre 1920, der unter anderem ein rückwirkendes Schweigerecht des Beschuldigten in der Hauptverhandlung vorsah, konnten sich demgegenüber bis zum StPÄG 1964 nicht durchsetzen. 341 Wenn man sich nochmals dessen Entstehungsgeschichte vor Augen hält, die vor allem den erbitterten Widerstand des Deutschen Richterbundes gegen die von der Anwaltschaft verfolgte Stärkung der Stellung des Beschuldigten widerspiegelt, so verwundert es weiterhin nicht, daß der Verteidiger in der Folgezeit auf revisionsrechtlichem Weg für die praktische Umsetzung von Rechtsänderungen verantwortlich gemacht wurde, die sich aus der Sicht der Richterschaft als gegenüber dem bisherigen Rechtszustand überflüssig, ja sogar nachteilig darstellten. 342 Vor allem aus diesem Zusam337 Hahn, Materialien S. 139 (Motive des Entwurfs); S. 701 ff. (Erste Lesung); S. 1554 (Bericht der Kommission). 338 Hahn, Materialien S. 23, 139. 339 Hahn, Materialien S. 701 ff. Vorgebracht wurde gegen die Einführung von Belehrungspflichten vor allem, daß damit der Beschuldigte zum Leugnen provoziert werde (Abg. Dr. Wolffson), und daß der "das Inquirieren gewohnte Richter" sich auch von der Einführung von Be1ehrungspflichten nicht von seiner gewohnten Vorgehensweise abhalten lasse (Abg. Oehlschläger). Dieser Gedanke führte in der ehrengerichtlichen Praxis vereinzelt dazu, den Verteidiger standesrechtlichen Sanktionen zu unterwerfen, wenn sie den Beschuldigten nicht zur Einhaltung seiner sittlichen Wahrheitspflicht ennahnt hatten, Goldschmidt, ZStW 1920,569 (6oof.). 340 Hahn/Mugdan, Materialien S. 139; S. 701 ff. Genauso noch Löwe, Strafprozeßordnung § 136, 3; Gerland, Strafprozeßrecht S. 138 f. sowie ausführlich OLG Hamburg, GA 1930, 315. Zum ganzen Schrnidt-Leichner, NJW 1966, 189. Die verbreitete Ansicht, das Schweigerecht des Beschuldigten habe seit jeher Geltung im refonnierten Strafprozeß gehabt, Eb. Schmidt, NJW 1968, 1209 (1210), erscheint daher nur als bedingt richtig. 341 Näher Goldschmidt, ZStW 1920,569 (599ff.). 342 Vgl. näher dazu - insbesondere zu den Be1ehrungsvorschriften - Eb. Schmidt, NJW 1968, 1209 (1214f.). Ebenso wie im Gesetzgebungsverfahren zur RStPO 1877

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

menhang stammt übrigens auch die abschätzige Bezeichnung des StPÄG 1964 aus Richterkreisen als "Anwaltsgesetz" bzw. "Verbrecherschutzgesetz". 343 Als Mittel der "Aufweichung der richterlichen Hinweispf/icht,,344 auf revisionsrechtlichem Wege erweist sich zum einen die Vennutung der Kenntnis vom Schweigerecht beim verteidigten Beschuldigten (dazu unter a», zum anderen die Auferlegung der Beweislast, bei der verantwortlichen Vernehmung nicht belehrt worden zu sein (dazu unter b». a) Faktische Übertragung der Belehrungspflichten auf den Verteidiger Im gleichen Maße, wie er den Belehrungsvorschriften zwingenden Charakter zuerkannte, hat der Bundesgerichtshof die Verantwortung des Verteidigers für die Kenntnis des Beschuldigten von seinem Schweigerecht in den Vordergrund gerückt. Die Kenntnis des Beschuldigten von seinem Schweigerecht bei der verantwortlichen Vernehmung bzw. in der Hauptverhandlung wird beim verteidigten Beschuldigten aufgrund des vorherigen Verteidigergesprächs unterstellt. Dadurch werden die staatlichen Belehrungspflichten auf revisionsrechtlichem Weg in Mitwirkungspflichten des Verteidigers umgewandelt. Von programmatischem Charakter ist in diesem Zusammenhang der bekannte Vorlagebeschluß BGHSt 25, 325 aus dem Jahre 1974: " ... Der Satz Sarstedts, "die Mitwirkung des Verteidigers ist kein Luxus, der bei richtigem Funktionieren (des Gerichts) '" auch entbehrt werden könnte, sondern . .. ein echtes Erfordernis wirklicher Rechtspflege" ... hat seine Berechtigung auch und vor allem im Bereich der Aktualisierung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten. Es kann und darf in Respektierung der Verteidigerrolle davon ausgegangen werden, daß das "zu wählende Prozeßverhalten eine der ersten und wichtigsten Fragen ist, welche der Verteidiger mit seinem Mandanten zu erörtern hat" (BGH NJW 1966, 1719), davon also, daß der Angeklagte, dem ein Verteidiger zur Seite stand, über seine Verteidigungsmöglichkeiten im Bilde war und schon vor der Hauptverhandlung seine Wahl getroffen hatte ... Es genügt nicht, daß der Angeklagte die Unterlassung des durch § 243 IV I vorgeschriebenen Hinweis unter Berufung auf das Protokoll rügt. Er muß darlegen, daß sah auch der DRB die Wahrheitsfindung im Strafprozeß durch die Verdeutlichung des Schweigerechts wegen der Neufassung der Belehrungsvorschriften gefährdet. Immerhin war bis dahin der Beschuldigte nicht selten mit den Worten belehrt worden: "Angeklagter, was haben Sie zu sagen?", dazu Seibert, NJW 1965, 1706. 343 Schmidt-Leichner, NJW 1966, 1719 (1720) berichtet gerade hinsichtlich der neugefaßten Belehrungsvorschriften des StPÄG 1964 von Vorsitzenden, die den Angeklagten mit den Worten "Nach dem neuen Gesetz haben Sie auch das Recht zu lügen" belehrten. Zur richterlichen Geringschätzung des Schweigerechts auch Dahs, Handbuch S. 262 f. 344 Vgl. Dahs, Handbuch S. 262.

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er (obwohl ihm ein Verteidiger zur Seite stand ... ) an eine Aussagepflicht glaubte und dadurch veranlaßt wurde, zur Sache auszusagen .....345

Allerdings zeigten sich Revisionsgerichte in der Folgezeit eher zurückhaltend, die Rüge der fehlenden Belehrung über das Schweigerecht des Beschuldigten durch eine erhöhte Darlegungspflicht in der Person des verteidigten Beschuldigten zu beschränken. Zwar hatte der Bundesgerichtshof gleich in der ersten einschlägigen Entscheidung nach Inkrafttreten des StPÄG 1964 die Kenntnis des Beschuldigten von seinem Schweigerecht in der Hauptverhandlung aufgrund des vorher erfolgten Verteidigergesprächs vorausgesetzt. Dieses Abstellen auf die Belehrung des Beschuldigten durch seinen Verteidiger verliert aber dadurch an Schärfe, daß zusätzlich die Kenntnis des Beschuldigten von seinem Schweigerecht mit der vorher in seinem Beisein erfolgten gerichtlichen Belehrung des Mitanbeschuldigten abgesichert wurde. Unbilligkeiten gegenüber dem verteidigten Angeklagten infolge der Freistellung des Gerichts von der Belehrungspflicht waren im Ergebnis also ausgeschlossen. 346 Gerade das im Anschluß an den Vorlagebeschluß des Bundesgerichtshofs folgende Urteil des OLG Stuttgart zeigt demgegenüber in aller Schärfe, daß sich auch der verteidigte Angeklagte vor den Revisionsgerichten auf eine Verletzung der tatrichterlichen Belehrungspflichten berufen können sollte. Der auf die Verletzung des § 243 IV 1 gestützten Verfahrensbeschwerde gab das Gericht mit der Erwägung statt, im Vordergrund stehe die gerichtliche Pflicht zur Belehrung des Angeklagten. Es genüge das erwiesene Vorbringen, der Angeklagte habe vor seiner Belehrung später verwertete Angaben zur Sache gemacht und nach dem gerichtlichen Hinweis zum Anklagevorwurf geschwiegen. Bis dahin habe sich auch ein gewissenhafter Verteidiger auf die zu erwartende Belehrung durch das Gericht verlassen können. 347 Die so zum Ausdruck kommende Zurückhaltung, den Verteidiger anstelle der Tatgerichte für die Belehrung über das Schweigerecht über das Instrument der Darlegungspflicht des Angeklagten in die Pflicht zu nehmen, hat auch die jüngere Rechtsprechung bestimmt. Abgestellt wird auf die tatsächliche Kenntnis des Schweigerechts in der Person des Angeklagten, nicht auf das Kennenmüssen aufgrund der Beratung durch den Verteidiger. 348 BGHSt 25, 325 (332). Vgl. BGH NJW 1966, 1719 (1720). 347 OLG Stuttgart NJW 1975, 703 (704). Sich darauf berufend stellen auch OLG Hamburg VRS 51, 44 und BayObLG VRS 66, 207 bei fehlender Belehrung nach § 243 IV 1 iVm § 71 OWiG nur auf den Fehler des Gerichts, nicht auf die mögliche Kenntnis der Betroffenen von ihrem Schweigerecht ab. Allerdings bleibt unklar, ob es sich dabei um verteidigte Betroffene handelt. 348 Sehr deutlich hierzu BGH NStZ 1983, 210, wo auf die Kenntnis des Schweigerechts des Angeklagten aufgrund der zum vierten Male wiederholten Verhandlung in der gleichen Sache vor dem Schwurgericht abgestellt wird; ähnlich BGH wistra 345

346

16 Grüner

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

Dagegen wendet sich der Bundesgerichtshof nun nachdrücklich. Ein Beschuldigter, der in Anwesenheit seines Verteidigers vernommen worden ist, soll sich in der Regel im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr auf die Verletzung dieser Belehrungspflichten berufen können. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs liegt die Vorstellung zugrunde, daß regelmäßig bereits der Verteidiger den Beschuldigten auf dessen Schweigerecht hinweise. Die Verhörsperson sei zwar trotzdem unverändert zur Belehrung des Beschuldigten verpflichtet. Aufgrund der Mitwirkung des Verteidigers führe aber die fehlende bzw. fehlerhafte Belehrung des Beschuldigten nicht zu einem Beweisverwertungsverbot im Strafurteil: "Wer bei Beginn der Vernehmung auch ohne Belehrung gewußt hat, daß er nicht auszusagen braucht, ist allerdings nicht im gleichen Maße schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigeecht nicht kannte. Er muß zwar nach § 136 I 2, § 163a IV 2 belehrt werden. Jedoch gilt hier das Verwertungsverbot ausnahmsweise nicht ... Der Tatrichter darf nicht ohne nähere Prüfung des Ei.nze1falles davon ausgehen, daß der Angeklagte bei der ersten polizeilichen Vernehmung sein Recht zu schweigen gekannt hat. Der Gesetzgeber hat die Kenntnis dieses Rechtes nicht vorausgesetzt; sonst hätte er nicht die Beamten des Polizeidienstes zu einem Hinweis verpflichtet. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, daß das Schweigerecht bestimmten Personengruppen, etwa Vorbestraften, ohnehin bekannt ist. Allerdings kann die Kenntnis des Rechtes zu schweigen regelmäßig vorausgesetzt werden, wenn der Beschuldigte in Gegenwart seines Verteidijers vor der Polizei aussagt. [Hervorhebung im Originaltext nicht enthalten] .....34

Es liegt auf der Hand, daß die Grundsätze der zugrundegelegten Entscheidung in Zukunft auch auf den bei der Vernehmung nicht anwesenden, aber bereits vom Beschuldigten konsultierten Verteidiger ausgedehnt werden. Das gilt um so mehr, als der Bundesgerichtshof mit seinen Entscheidungen zum Recht auf Verteidigerkonsultation vor der verantwortlichen Vernehmung zugleich die Verantwortung des Verteidigers für die Kenntnis des Beschuldigten von seinem Schweigerecht mittelbar herausgehoben hat. 350 Auf den ersten Blick erscheint es nicht fernliegend, revisionsrechtliche Darlegungspflichten über die Kenntnis des Schweigerechts beim Beschuldigten aufgrund des vorherigen Verteidigergesprächs zu begründen. Der Wert der schützenden Formen des Strafprozeßrechts besteht nicht in Förmelei, gerade auch im Hinblick auf die §§ 336ff. Zusätzlich impliziert die Beratungsfunktion des Verteidigers die Vorstellung, er werde den Beschuldigten in diesem Rahmen über sein Schweigerecht aufklären. Trotzdem ist 1988, 73. Nach BayObLG E 1982, 156 (157) ist der in Vertretung des Angeklagten nach Maßgabe der §§ 73 IV OWiG; 234 StPO erschienene Verteidiger gemäß § 243 IV 1 zu belehren. 349 BGHSt 38, 214 (224f.). 350 BGHSt 38, 372ff.; 42, 15ff.

B. Der Verteidiger als Garant eines justizfönnigen Verfahrens

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die Übertragung von Belehrungspflichten auf den Verteidiger als Folge des faktischen Rügeverlusts ohne rechtliche Deckung unzulässig. Die entscheidende Rolle spielt dabei die Erwägung, daß die Verteidigung anderenfalls gezwungen würde, Verteidigungsintema im laufenden Verfahren preiszugeben, um ihren revisionsrechtlichen Darlegungspflichten zu genügen. Eine so weitgehende Enttabuisierung des Verteidigungsinnenverhältnisses als zentrales Element des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger und damit eines rechtsstaatlichen Verfahrens kann aber auch vor dem Hintergrund des § 344 II 2 nicht zulässig sein. 351 Revisionsrechtliche Darlegungspflichten können nicht den Sinn haben, die Verteidigung zu spalten, zumal für den Verteidiger auch aus haftungsrechtlichen Gründen die Versuchung nahe liegen wird, sich auch dann auf die erteilte Belehrung zu berufen, wenn er sie wirklich versäumt hat. Das gilt um so mehr, als der Gesetzgeber von der staatlichen Belehrungspflicht gegenüber dem Beschuldigten ausgeht, und sich die Kenntnis vom Schweigerecht damit als Beruhensproblem, nicht aber als Gegenstand des § 344 II 2 darstellt. 352 Verbietet sich der Eingriff in das Verteidigungsinnenverhältnis zur Klärung der Frage, ob der Beschuldigte vom Verteidiger belehrt worden ist, so bleibt dem Revisionsgericht die Erkenntnis darüber entzogen, ob der Verteidiger den Beschuldigten über sein Schweigerecht auch wirklich belehrt hat. Damit bewegt man sich aber im Bereich der Zurechnung von Verteidigerverschulden. Bei allen Einbrüchen, die das Verbot der Zurechnung von Verteidigerverschulden bei der Ausübung selbständiger Mitwirkungsrechte und bei äußerlich einheitlichem Auftreten in der Hauptverhandlung erfahrt, muß dieser Grundsatz aber hier Geltung behalten. Schließlich dient er gerade dem Schutz der Subjektstellung des Beschuldigten. Soll das Verbot der Zurechnung des Verteidigerverschuldens überhaupt einen Sinn haben, so darf der verteidigte gegenüber dem unverteidigten Beschuldigten jedenfalls nicht in der Weise benachteiligt werden, daß letztlich niemand die Belehrung über elementare Rechte garantiert. 353 Es bleibt also auch bei revisionsrechtlicher Betrachtung beim Vorrang der staatlichen Belehrungspflicht. Das gilt im Ermittlungsverfahren im besonderen Maße. Der Bundesgerichtshof 351 Im Zusammenhang mit § 243 IV 1 schon Eb. Schmidt, NJW 1968, 1209 (1217); Hanack, JR 1974, 340 (341 f.); Dencker, MDR 1975, 359 (362f.). In allgemeinerem Maßstab BGHSt 41, 69 (70). 352 LR-Hanack § 337, 76, 255. Allerdings wäre bei einer schutzzweckorientierten Betrachtungsweise der Revisibilität der §§ 136 12, l. Hs.; 243 IV 1 im Wege teleologischer Reduktion an eine Belehrungspflicht nur gegenüber dem unwissenden Beschuldigten und damit doch an die Anwendbarkeit des § 344 11 2 (insbesondere an die daraus folgende Beweislast des Beschuldigten) zu denken, näher SK-Rogall Vor § 133, 175. 353 Eingehend Feigen, Rechte des Beschuldigten S. 161 ff. 16"

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

weist selbst darauf hin, der Beschuldigte sei vor allem aus psychologischen Gründen in der Situation der ersten Vernehmung noch schutzwürdiger als der Angeklagte in der Hauptverhandlung. 354 b) Faktischer Rügeverlust durch Beweislast Im Gefolge der Widerspruchslösung verfolgt der Bundesgerichtshof eine weitere revisionsrechtliche Beschränkung der staatlichen Belehrungspflichten, deren Wirkungsbereich mit Mitwirkungspflichten der Verteidigung bzw. des Verteidigers allerdings nichts mehr zu tun hat und deswegen im Rahmen dieser Untersuchung nur in aller Kürze angesprochen wird. Der Bundesgerichtshof überträgt nämlich trotz der bekannten Mängel im Bereich polizeilicher Belehrungstätigkeie55 die in der Rechtsprechung angenommene Beweislast des Revisionsführers beim tatsächlichen Nachweis von revisiblen Verfahrensfehlern356 auf die verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten, die angesichts der bekannten "Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens ,,357 regelmäßig in der Hand polizeilicher Verhörspersonen liegt. Der Beschuldigte hat damit die Versäumung der Belehrung über sein Schweigerecht nachzuweisen. Erst wenn sich aus aufgrund zusätzlicher tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel an der Kenntnis des Schweigerechts ergeben, die im Freibeweisverfahren nach tatrichterlicher Überzeugung nicht zu beseitigen sind, darf das Tatgericht von einer fehlerhaft erlangten Aussage ausgehen. 358 Das gilt gleichermaßen für den unterlassenen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation. 359 Diese Hürde erscheint für den Beschuldigten angesichts der "eher privilegierten Stellung von Polizeibeamten vor Gericht,,360 sowie deren natürlichem Interesse an BGHSt 38, 214 (221 f.). Bohlander, NStZ 1992, 504 (505). Nach Wulf, Strafprozessuale und kriminalpraktische Fragen der Beschuldigtenvernehmung S. 102f. wurde z. B. im Rahmen einer in Hamburg im Jahre 1980 durchgeführten Untersuchung festgestellt, daß nur in 9% der Fälle eine ordnungsgemäße Belehrung erteilt wurde. Näher dazu Lorenz, StV 1996, 172 (173) m.w.N. JS6 VgJ. dazu und zu der Kritik an dieser Rechtsprechung LR-Hanack § 337, 76 m.w.N. JS7 Näher Paeffgen, Verpolizeilichung S. 13 (14). JS8 VgJ. BGHSt 38, 214 (224); dazu Bohlander, NStZ 1992,504 (505). JS9 BGH NStZ 1998,609 (610). J60 Aus einem Antwortschreiben der Hamburger Anwaltskammer vom April 1980 an das Innenministerium betr. die Betreuung von Polizeizeugen, zitiert nach Maeffert, StV 1981, 370 (371). VgJ. dazu auch Maeffert, a.a.O. 372. Genauso Foth, DRiZ 1971, 341; Esders, Vernehmung aus Strafrichtersicht S. 1 (7), wonach die Weigerung des Beschuldigten, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben, durch die Versicherung der polizeilichen Verhörsperson überlagert wird, den Beschuldigten wie protokolliert vernommen zu haben. Die von Wetterich, Polizeibeamter als ZeuJS4

JSS

B. Der Verteidiger als Garant eines justizförmigen Verfahrens

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der Verwertung der vom Beschuldigten erlangten Aussagen im Strafurteil 361 schwer überwindbar. 362 Wie sich in der nachfolgenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshof erwiesen hat, führt die Aussage des Polizeibeamten, korrekt belehrt zu haben, zu Lasten des beweispflichtigen Beschuldigten zumindest eine Situation des "non liquet" selbst dann herbei, wenn der Protokollvermerk über die Belehrung des Beschuldigten nach Nr. 45 I RistBV fehlt. 363 Daran mag zutreffend sein, daß die revisionsrechtliche Unterscheidung zwischen der Beweislast für den Verfahrensfehler und für dessen Urteilskausalität verfahrensrechtliche Vorwirkung entfaltet. 364 Schließlich steht der Vermutung rechtswidrigen Handeins der staatlichen Rechtspflegeorgane deren unparteiliche Stellung entgegen. 365 Allerdings scheint dieses revisionsgerichtliche Hausmittel mit Art. 13 EMRK zu kollidieren, der das Recht auf eine "wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz" garantiert. Denn angesichts des Grundsatzes des Freibeweisverfahrens vor dem Revisionsgeriche 66 bleibt die ordnungsgemäße Belehrung des Beschuldigten durch die Verhörsperson sowie deren Würdigung durch das Tatgericht einer wirksamen Überprüfung gleichermaßen entzogen, wenn das Tatgericht, das die Verhörsperson strengbeweislich vernommen hat, diese Frage andererseits freibeweislich würdigen darf. 367 Dieses bisher kaum ge, S. 90ff. als Beleg für eine angeblich besonders kritische Würdigung von Polizeiaussagen angeführte Entscheidung des OLG Köln, VRS 48, 24 zeigt dagegen nur, daß selbst die Privilegierung einer polizeilichen Zeugenaussage in der Beweiswürdigung des Tatgerichts nach dem Morgenstern'schen Satz, "weil nicht sein kann, was nicht sein darf" vom Revisionsgericht unter allen möglichen Gesichtspunkten zu halten versucht wurde. 361 Vgl. dazu Lorenz, StV 1996, 172 (173); Eisenberg, Beweisrecht Rn. 573f.; Roxin, JZ 1997,343 (344). 362 Dies gilt um so mehr, als der Beschuldigte bei Vernehmungen in unmittelbarer Folge an den ersten Zugriff der Polizei aufgrund der psychischen Ausnahmesituation zu einer späteren Rekonstruktion der Vernehmungssituation oft nicht in der Lage sein wird, dazu Deckers, NJW 1991, 1151 (1155ff.). 363 BGH NStZ 1998,609 (610). Gerade im Zusammenhang mit Nr. 45 I RiStBV zeigen sich die Tücken richterrechtlicher Definitionsmacht. Nach BGHSt 38, 214 (224) soll nämlich an sich der Vermerk die ordnungsgemäße Durchführung der Belehrung indizieren. 364 Näher Bauer, wistra 1993, 99ff.; Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote S. 32 f. Den revisionsrechtlichen Zusammenhang übersehen Bohlander, NJW 1992, 506f., Hauf, MDR 1993, 195f. 365 Entgegen Bauer, wistra 1993, 99 ff ist die im Revisionsrecht anerkannte Unterscheidung zwischen der Beweislast für den Verfahrensfehler und dessen Urteilskausalität, die sich aus den §§ 337, 344 nicht ergibt, durchaus begründungsbedürftig, gerade angesichts der genannten empirischen Befunde aus dem Ermittlungsverfahren. 366 Vgl. nur KK -Kuckein § 351, 11. 367 Näher M. Kaufmann, NStZ 1998, 474f.

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3. Teil: Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers

beachtete Folgeproblem der Widerspruchslösung bedarf allerdings einer genaueren Untersuchung, als sie hier geleistet werden kann.

c.

Zusammenfassung Dritter Teil

- Dem Verteidiger werden durch die neuere Rechtsprechung zunehmend Mitwirkungspflichten als Garanten einer funktionsfähigen Hauptverhandlung und eines justizförmigen Verfahrens auferlegt. Diese spiegeln sich nicht als durchsetzbare Handlungsimperative vor dem Strafurteil, sondern als prozessuale Pflichten negativ auf der Rechtsmittelebene wieder. Die staatlichen Handlungsträger als Inquirenten in den von ihnen dominierten Verfahrens abschnitten, insbesondere das Gericht in der Hauptverhandlung, werden dadurch zu Lasten des Beschuldigten von verfahrensrechtlicher Verantwortung entlastet. Strukturell betrachtet stellen sich die Mitwirkungspflichten des Verteidigers als Annex zur Mißbrauchsproblematik dar. Die Lösung folgt daher den im Zweiten Teil der Untersuchung entwickelten Grundsätzen. - Die Mitwirkungspflichten des Verteidigers als Garant einer funktionsfähigen Hauptverhandlung werden durch die Inpflichtnahme als Beweisantragspfleger des Beschuldigten sowie durch die Verschärfung der bisher schon praktizierten Einbindung des Pflichtverteidigers als Staats-Anwalt markiert. Es hat sich herausgestellt, daß die Beweisantragspjlegschajt mit der Stellung des Verteidigers als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten nicht vereinbar ist, und darüber hinaus bei bestimmungsgemäßer Anwendung auch keine Gewähr für die angestrebte Immunisierung der Hauptverhandlung gegen exzessive Antragstätigkeit des Beschuldigten bietet. Im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigung hat sich gezeigt, daß die Vereinnahmung des Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung, wie sie vom Bundesverfassungsgericht postuliert worden ist, weder mit den selbst zur Verteidigung im Strafprozeß entwickelten rechtsstaatlichen Grundsätzen noch mit prozeßstrukturellen Gegebenheiten im Einklang steht. Entscheidend für die Mitwirkungspflicht des Pflichtverteidigers kann allein das tatsächliche Vertrauen im Verteidigungsinnenverhältnis, nicht aber eine Kombination aus staatlich wohlverstandenem Beschuldigteninteresse und künstlicher Aufspaltung von Verteidiger- und Beschuldigteninteressen sein. - Durch die Verschärfung und Neustrukturierung bereits bisher bekannter Mitwirkungspflichten des Verteidigers für ein justizförmiges Verfahren im Wege der Widerspruchslösung straft der Bundesgerichtshof die Vorstellung Lügen, derartige Mitwirkungspflichten der Verteidigung seien nur als Erfindung praxisferner Theoretiker bzw. theorieferner Praktiker vorstellbar, weil schon nach der Struktur des Strafprozeßrechts als schlechthin abwegig zu

C. Zusammenfassung Dritter Teil

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betrachten. 368 Es hat sich allerdings gezeigt, daß den Verteidiger Mitwirkungspflichten nur in seiner parteilichen Stellung als Prozeßsubjektsgehilfe des Beschuldigten treffen. Die harsche Kritik an der Widerspruchslösung als "Auffanglinie für eine effizienzorientierte Betrachtung",369 "bloßer ergebnisorientierter Machtanspruch ",370 "Lösung ohne jedwede strafverfahrensrechtliche Begründung .. 371 sowie als "nach der Struktur des geltenden Strafprozeßrechts schlechthin abwegig .. 372 hat sich als im vollen Umfang berechtigt erwiesen. Es bleibt damit bei den aus der Unparteilichkeit von Staatsanwaltschaft und Gericht erwachsenden Pflichten zur justizförmigen Gestaltung ihrer inquisitorischen Tätigkeit. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die gerichtliche Aufklärungspflicht in der Hauptverhandlung, die auch die Heilung von Verfahrensfehlem umfaßt. Diese gerichtliche Zuständigkeit darf auch nicht über Umgehungskonstruktionen wie die Verzichtbarkeit von Verfahrensnormen sowie über die revisionsgerichtlichen Fiktion der zurechenbaren Aufgabe von Verfahrensnormen ausgehebelt werden. Insbesondere hat sich gezeigt, daß entgegen gängiger Meinung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle keine verzichtbaren Verfahrensnormen existieren.

368 So aber Scheffler, GA 1996, 44 (45), nach dessen Ansicht die Abfassung einer strafprozessualen Dissertation über die Rechtfertigung des Rügeverlusts durch Schweigen schon thematisch verfehlt ist. 369 Heike Jung, JuS 1996, 1037 (1038). 370 Fezer, StV 1997,57 (58). 371 Ventzke, StV 1997,543 (547). 372 Scheffler. GA 1996,44 (45).

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Wiesmeier, o. Vom.: Diskussionsbeitrag zum 30. Deutschen Anwaltstag 1959 in Stuttgart, Anw.Bl. 1959, S. 213. Wildhagen, o. Vom.: Der Ehrenkodex der deutschen Rechtsanwälte, DJZ 1901, Spalte 367 ff. Woesner, Horst: Fragen ärztlicher Geheimhaltungspflicht, NJW 1957, S. 692ff. Wohlers, Wolfgang: Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft: Ein Beitrag zu den rechtshistorischen und strukturellen Grundlagen des reformierten Strafverfahrens, Berlin 1994. Wolff, o. Vom.: Die Verwirkung der Verfahrensrüge durch den Angeklagten, NJW 1953, 1656ff. Wolter, Jürgen: Strafverfahrensrecht und Strafprozeßreform, GA 1985, S. 49ff. -

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Sachwortverzeichnis Ablehnung des Richters wegen Befangenheit 112f., 127, 150f. Abmahnung des Pflichtverteidigers 197f. Absprachen im Strafprozeß 35 Abwägungslehre 91, 206, 217 ff. Advokatenschalkheit 45 Akkusationsprinzip 18 f. Akteneinsicht des Beschuldigten 16, 60ff., 121 - des Verteidigers 44, 60f., 92 Amtsähnliche Stellung des Verteidigers 47 Amtshaftungsklage und Revision 76 Anwesenheit VerteidigerlBeschuldigter bei Vernehmungen 43 f., 229 f. Appell an die Ehrenhaftigkeit des Verteidigers 210 Arbeitskreis Strafprozeßreform 51 ff. Aufklärungspflicht des Gerichts 28, 209ff. Aufklärungspflicht der Staatsanwaltschaft 18, 28, 93 f., 229 Ausschließung des Verteidigers 48, 98, 181 - Ausschließungsgründe 64f., 129, 132, 160f., 181 - und Entpflichtung des bestellten Verteidigers 172 f. - und Mißbrauchsproblematik 116, 145f. - und OrgansteIlung 98 - und Weisungsgebundenheit 69 f. - und Zeugenstellung 88, 160 Außerprozessuales Verteidigerhande1n 122ff. Autonomie des Beschuldigten 21 ff., 154ff. Autonomieprinzip 152f. Baader-Meinhof-Prozeß 104, 194 18 Grün.,

Beanstandungsrecht als Zwischenrechtsbehelf 215 f. Bedingungsfeindlichkeit im Prozeß 109,203 Befragung von Mitangeklagten 34f. Bekämpfung der demokratischen Grundordnung 135 Belehrung des Beschuldigten, Schweigerecht 24, 170f., 201, 208f., 214, 232, 245 - Hinzuziehung des Verteidigers 202, 208, 218, 230, 242 - des Verteidigers im ehrengerichtlichen Verfahren 158 Beratungsfunktion des Verteidigers 69,70,146,159,163,204,208,242 Beschleunigungsgrundsatz 168 Beweisantragspflegschaft des Verteidigers 14, 169, 176ff., 187, 201, 246 Beweisantragsrecht 16, 26, 89 ff., 112ff., ISO, 158, 176 ff. Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren 43 Beweisregeln und freie Beweiswürdigung des Gerichts 32 Beweisverbote 31, 205 Berufsordnung für Rechtsanwälte 50, 134, 139f. Constitutio Criminalis Carolina (CCC) 17,37 Contempt-of-court Verfahren 48, 128f. Contergan-Prozeß 113 Darlegungsobliegenheiten des Pflichtverteidigers 183 ff.,199 ff. Deutscher Richterbund 86, 90, 239 Dialektik im Strafprozeß 25 ff., 33 f., 229

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Sachwortverzeichnis

Distanzgebot des Verteidigers 160, 162 Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen 117 Doppelstellung des Verteidigers 46 f. Dysfunktionales Verhalten 110 Edititionspflicht des Verteidigers 172 Ehrengerichtsbarkeit 47, 93f., 143 Eigene Ermittlungen des Verteidigers 96, 125 Einflußnahme des Verteidigers auf Zeugen 125 f. EMRK 16,151,245 Entscheidungsfabrik Strafjustiz 31 Erschleichung des Pflichtverteidigers 200 Europäische Berufsregeln, CCCB 148, 154 Existenz und Evidenz des Strafurteils 31 Freispruch des Schuldigen 95, 96. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 66ff., 195ff., 217ff. Fürsorgepflicht des Gerichts 77, 159, 226,231 Fachanwalt für Strafrecht 159 Freiheit der Advokatur 46 ff. Garantenstellung des Verteidigers 144 Gebührenforderung des Verteidigers 134 Gegenmacht soziale, prozessuale 74, 96f., 101 f., 106, 149, 165, 188 Geldwäsche durch Honorarannahme 120 Generalprävention durch Beweisverbote 206f. Gerechtes Verfahren 37f., 67, 91, 217 Gerichtliche Voruntersuchung 19 Gesetzliche Rügepräklusion 211 f. Geständnis, prozeßstruktuelle Bedeutung 20, 35, 37, 109 Geständniswiderruf, s. Lügeverbot Grenzen zulässiger Verteidigung, s. Strafvereitelung, Strafjustizvereitelung Groenewold-Urteil 104 f.

Großprozesse 113, 166ff. Heilung von Verfahrensfehlern 209 ff. Hilfsbeweisanträge 114 Höchstpersönliche Rechte des Beschuldigten 22, 72f., 149f., 212 Hochschullehrer als Verteidiger 54 f. Hoheitlich eingeleitetes Vertragsverfahren 77f. Hosenladenbeschluß 89, 145 Inquisitionsprozeß, gemeinrechtlicher 17,36f. - reformierter 18 f., 37 f. Informationspflicht des Verteidigers und Haftfortdauer 174 f. Infosystem 104 f. Interessenvertreter, Verteidiger als 52, 102 Justizförmigkeit 40, 202 Justizgewährungspflicht 207 Kampf ums Recht 108 ff. Kassiberschmuggel 125 Kaul-Beschlüsse 65, 100 Kommunistenprozesse 97 ff. Konfliktverteidigung 97, 133, 197 Kontaktrecht 37,89 Konsens als Prozeßziel, soziale Wirklichkeit 34 f. Konsensgebot 146f., 175, 198 Konsenslösung 205 Konsens als Prinzip der Hauptverhandlung 33ff. Kontaktsperrengesetz 101 Kreuzverhör 35, 150 Krise des Strafprozesses 14, 168 Ladungsfristen, Ladungsverzicht 22, 68f., 149,234 108 f., 114, Lasten, Möglichkeiten 116ff. Legal aid 190 Legitimation durch Verfahren 29 ff. Limitierte Weisungsgebundenheit 163 Linke Verteidiger 101 f. Lügeverbot 134, 137ff., 165

Sachwortverzeichnis Mandatsverhältnis, Haftung des Verteidigers 77f., 146, 159, 162, 180, 243 Materielle Wahrheit als Prozeßziel 39ff., 93 Materielles Schuldprinzip 42 Medien und Strafprozeß 126 ff. Mindestregeln der Vereinten Nationen für das Strafverfahren 11Of. Mißbrauchs problematik, Begriff 85 - und prozeßrechtliche Wertungsmaßstäbe 107 ff. - und standesrechtliche Wertungsmaßstäbe 133ff. - und strafrechtliche Wertungsmaßstäbe 119ff. Mitwirkungspflichten im prozessualen Sinn 175 f., 202 Motivationszwänge 109 Notwendige Verteidigung 23, 25, 28, 70, 158, 190 Obliegenheiten 215 f. Öffentliche Interessen an der Mitwirkung des Verteidigers 59 ff. Ordnungsvorschriften 24, 214 Organisationsdelikte 131 f. OrgansteIlung des Verteidigers 49ff., Organtheorie, eingeschränkte 58 ff. - extensive 163 f. Pflichten der Prozeßparteien im Zivilprozeß 109 Pflichtverteidigung, prozeßrechtliche Bedeutung 77f., 192ff. - Sozial staatliche Bedeutung 188 f. - und Mitwirkungspflichten des Verteidigers 198 ff. PLO-Verfahren 174f. Politische Prozesse 97ff., 146 Praktische Lösung ohne Theorie 218 Präklusionsvorschriften 212 Präsente Beweismittel 150, 226 Protokollrüge 56 IS*

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108 ff., 116ff., Prozeßhandlungen 122f., 146, 203 Prozeßordnungswidrigkeit 121 f. Prozeßrechtsverhältnis, Prozeß als Rechtslage 109 Prozeßsabotage 48, 90, 116, 145 Prozeßsubjektsgehilfenstellung des Verteidigers 21 ff. Prozeßsubjektstellung des Beschuldigten 18ff. - Abgrenzung zur ObjektsteIlung des Beschuldigten 20 Prozeßtaktik 142 Prozeßziele, Wahrheitsfindung, gerechtes Verfahren 21 ff., 24ff. Psychiatrische Untersuchung des Beschuldigten 152 RAF-Prozesse l00ff., 146, 194f. Rat zum Widerruf des Geständnisses 13, 137, 142 Rat zur Lüge 50, 140f., 142 Realakte 123 Recht des Beschuldigten auf Passivität 22, 75, 154 Rechtliche DoppelsteIlung des Verteidigers 46f. Rechtliches Gehör 22, 60, 62, 111, 180,230 Rechtsanwalt als Leitbild des Verteidigers 54f. Rechtsanwaltsordnung 48 f. Rechtsfrieden 36 f. Rechtskraft des unwahren Sachurteils 36ff. Rechtsmittelbefugnis des Verteidigers 53,71 f. Reform der Hauptverhandlung 33 ff. - der geltenden Prozeßstruktur 14, 167f. Rekonstruktion von Akten 172 Resozialisierung durch Strafprozeß 29,40 Revision, verfahrensrechtliche Vorwirkung 209,224, 23lf. - und Rügepräklusion 213

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Sachwortverzeichnis

Richtlinien für Rechtsanwälte 49, 64, Robenpflicht 134 Rollendistanz des Verteidigers 160 Rügeverlust und Mitwirkungspflichten 233 ff. - Faktischer 237f., 240ff. Sachlichkeitsgebot 134 ff. Scheinanträge 129 f. Schily-Beschluß 48, 131, 134f., 139, 162 Schlußplädoyer 88, 149f. Schmidt-Leichner-Beschluß 27, 88 Schutzzwecklehre 207 Schweigepflicht 49, 87, 117, 148, 154ff., 172ff., 184, 198 Se1bstleseverfahren 168 Sperrechte 226 Spurenakten 87,92 StPÄG 1964 24, 36, 90, 96, 100f., 190, 239f. Strafvereite1ung 120f., 125f., 127f. Strafjustizvereitelung 127 f. Staatsschutzdelikte 97,99, 104 Stufung von Verfahrensvorschriften 214f. Trennscheibenregelung 101 Trennungsgebot zwischen Prozeß- und materiellem Recht 116 f. Treu und Glauben im Prozeß 139, 166,235 Trübung von Beweisquellen 137 Tscheka-Prozeß 97 Überlegene Sach- und Rechtskundigkeit des Verteidigers 19ff., 157 ff. Übernahmepflicht des Rechtsanwalts 77, 183, 191 f. Unfahigkeit des Verteidigers (advocatus inhabilis) 77 Ungebührstrafen gegen den Verteidiger 94ff. Unschuldsvermutung 29, 95 Unselbständige Beweisverbote 205 ff. Unterstützendes Lügen 139 Unwahre Prozeßrüge 55 f., 142

Veranlasserprinzip bei der Kostenentscheidung 171, 173 Verbot der Selbstbestellung als Verteidiger 160 Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 168f. Verein Sächsischer Richter und Staatsanwälte 89 Verfassungsrechtliche Beweisverbote 31,66 Verhandlungsleitung, Sachleitung 33 f., 128 Verschleppungsabsicht 112ff., 129, 141,179ff. Verteidiger als Zeuge 88 Verteidigerdelikte 120 Verteidigung im Ermittlungsverfahren 43f. Vertragsprinzip 73 ff. Vertrauen zwischen Verteidiger und Beschuldigtem 183f., 185 f, 192 Vertretungstheorie 156 f. Verzicht, Verwirkung von Verfahrensrügen 232ff. Verzichtbarkeit, Unverzichtbarkeit von Verfahrensrügen 225 ff. Vietnam-Anträge 103 Vorermittlungsverfahren 87 Vorsatzprivileg des Verteidigers 144 Waffengleichheit 33 Wahrheitspflicht des Beschuldigten 29, 239 Wahrheitspflicht des Verteidigers s. Lügeverbot Wahrheitspflicht im Zivilprozeß 109 Weisungsgebundenheit des Verteidigers 145ff. Werbung des Verteidigers 134 Wert der schützenden Formen 181, 236 Widerspruchslösung 201 ff. Wiederaufnahme des Verfahrens 20, 38ff. Wohlverstandenes Interesse des Beschuldigten 153, 163, 178, 183, 199f.

Sachwortverzeichnis Zeugenschutzgesetz 36 Zurechenbares Partei verhalten 205, 220ff. Zurechnung von Verteidigerverschulden 161, 225, 243

Zwang zum Verfahren 32 f. Zwangsverteidiger 194 f. Zwei-Klassen-Verteidigung 58

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