Über den Schriftalltag im 18. Jahrhundert: Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776 9783412218928, 9783412225339

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Über den Schriftalltag im 18. Jahrhundert: Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776
 9783412218928, 9783412225339

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NORM UND STRUKTUR STUDIEN ZUM SOZIALEN WANDEL IN MITTELALTER UND FRÜHER NEUZEIT IN VERBINDUNG MIT GERD ALTHOFF, HEINZ DUCHHARDT, PETER LANDAU, KLAUS SCHREINER, GERD SCHWERHOFF HERAUSGEGEBEN VON

GERT MELVILLE Band 45

ÜBER DEN SCHRIFTALLTAG IM 18. JAHRHUNDERT Die Visitation des Reichskammergerichts von 1767 bis 1776 von

ALEXANDER DENZLER

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT sowie der Oestreich Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Protokollbände der Visitation aus dem Stadtarchiv Augsburg (Sig.: RKG 46 bis 51) © 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Frank Schneider, Wuppertal Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22533-9

Inhalt

Vorwort  ......................................................................................................................... 

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Einleitung  . . ...................................................................................................................  1. Über Schriftlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart: Eine Annäherung an Thema, Fragestellungen und Forschungskontexte  ....................................................................................  2. Methodische Zugänge, Quellen und Aufbau der Studie  .. .................  3. Untersuchungsgegenstände und Forschungskontexte  .......................  3.1 Die Visitationen (des Reichskammergerichts), das Reichskammergericht und das römisch-deutsche Reich  .......  3.2 Das Ende des römisch-deutschen Reiches, die Sattelzeit und Goethes ‚Die Leiden des jungen Werthers‘  . . .....................  3.3 Zwischen Oralität und Literalität: Das vormoderne ‚Akten- und Druckzeitalter‘  ......................... 

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A. Reformzeiten  ........................................................................................................  A.1. Da wir jetzo in einer geseegneten Reformationszeit leben  ....................  A.1.1 Der Reformhorizont der Zeit  .......................................................  A.1.2 Der Visitationshorizont der Zeit  .................................................  A.1.2.1 Zur Vorgeschichte der Visitation  .................................  A.1.2.2 Das zeitgenössische (Nicht-)Wissen  ...........................  A.1.3 Reformgelegenheit – Reformerwartungen: Wozu und zu welchem Ende visitieren?  .....................................  A.2. Reformstunden – Reformtage – Reformjahre: Der Reformalltag  ....  A.2.1 Die visitationsexternen und visitationsinternen Zeitrhythmen  . . ..............................................  A.2.2 Über Spielabende und Freimauerlogen: Zeiten der geselligen Nichtarbeit  .. ...............................................  A.3. Zeit ist Geld! Die Kosten der Visitation  ...............................................  A.4. Zeitverlust? Weitläufigkeit versus Gründlichkeit  ............................... 

55 57 57 65 66 74

11 19 28 28 35 39

83 97 97 106 117 127

B. Reformräume  . . ......................................................................................................  137 B.1. Reformzentrum Wetzlar  . . ..........................................................................  141 B.1.1 Die Ordnung des städtischen Raumes: Die Policey- und Taxordnung von 1767  .....................................  142

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Inhalt

B.1.2 Die Gesandtschaftsquartiere  .........................................................  B.1.3 Orte der Feier – Orte der Trauer: Die Kirchen  .. ......................  B.1.4 Zentralorte: Der Konferenzsaal und die Diktaturstube  ........  B.2. Von London bis Wien: Reformperipherien?  .......................................  B.3. Medienöffentlichkeit: Die druckbasierte Inszenierung der Visitation  ................................................................................................  B.3.1 200 Druckschriften im Profil  . . ......................................................  B.3.1.1 Die erste publizistische Welle (1765 – 1771)  . . ..............  B.3.1.2 Die zweite publizistische Welle (1775 – 1777)  . . ..........  B.3.2 Wider die irrigen und zum Theile grund falschen Nachrichten: Die Wetzlarischen Anzeigen  . . .............................. 

146 154 166 175

C. Reformakteure  .....................................................................................................  C.1. Sie haben sich todt gearbeitet: Die Visitatoren  .....................................  C.1.1 Die Visitatoren als Funktionsträger ihrer Obrigkeit  .. .............  C.1.2 Eine Generation der 1720er Jahre  ................................................  C.1.3 Lebens- und Karrierewege vor und nach der Visitation  .. .......  C.1.4 Von einem unerfahrenen Trinker, übereifrigen Sorgen­ kindern und dem (Nicht-)Ideal elitärer Funktionsträger  ......  C.2. Leben und Leiden der Sekretäre  ..............................................................  C.2.1 Sekretäre, Kanzlisten, Diener – die ungleichen Gehilfen der Visitatoren  ................................................................  C.2.2 Goué, Jerusalem, Kestner – drei Sekretäre im Profil  ...............  C.2.2.1 Zwischen Arbeitspflicht und Arbeitsvergessenheit: August Siegfried von Goué und die 1740er Generation an Sekretären  . . .............................................  C.2.2.2 Über Sinn und Unsinn des Lebens als (schreibender) Sekretär: Karl Wilhelm Jerusalem  . . .....  C.2.2.3 Lieben, arbeiten, lernen: Johann Christian Kestner  . . ............................................. 

209 216 216 225 230

D. Reformverfahren  .................................................................................................  D.1. Verfahrensauftakt  . . .......................................................................................  D.1.1 Die feierliche Eröffnung (11. Mai 1767)  . . ....................................  D.1.2 Verfahrenshierarchien: Die Unterwerfung der Gerichtsangehörigen (21. Mai 1767)  ...........................................  D.1.3 Verfahrensschutz: Die Verpflichtung von Visitatoren, Sekretären und Kameralen (15. Juli 1767)  ..................................  D.2. Verfahrensrollen  . . ......................................................................................... 

287 292 292

188 192 193 198 202

245 249 249 256

256 262 275

297 300 308

Inhalt

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D.2.1 Rollenaufbau: Die Ansage der Ankunft  . . ...................................  D.2.2 Die Bevollmächtigung der Visitatoren  . . .....................................  D.2.3 Die Instruktionen  ............................................................................  D.2.3.1 Entstehungskontext und Inhalte der Instruktionen  . . ............................................................  D.2.3.2 Die Bedeutung der Instruktionen für den Verfahrensalltag  ..................................................  D.3. Die Aktenproduktion zwischen mündlichen und schriftlichen Verfahrenselementen  ..........................................................  D.3.1 Das Umfrageverfahren  ...................................................................  D.3.1.1 Fallbeispiele  . . ......................................................................  D.3.1.2 Eine Analyse  .. .....................................................................  D.3.2 Die Protokolle, Voten und Berichte  ............................................  D.4. Das Verfahren im Verfahren: Das Examen  ...........................................  D.4.1 Das Generalexamen und die gedruckten Fragestücke  ............  D.4.2 Das Spezialexamen  ..........................................................................  D.5. Verfahrensunterbrechungen  .....................................................................  D.5.1 Klassenwechsel  .. ................................................................................  D.5.2 Nichttagung Mai 1772 – Januar 1773  ..........................................  D.6. Verfahrensende: Die Trennung der Visitation (Mai 1776) – Verlauf, Ursachen und ein vorläufiges Gesamtresümee  ..................... 

308 310 313

E. Reforminhalte  ......................................................................................................  E.1. Die Arbeitsfelder der Visitation  ..............................................................  E.1.1 Zum Gegenstand und der Methode  .. ..........................................  E.1.2 Eine quantitative Auswertung  ......................................................  E.2. Das Streben nach einer schnelleren Justiz  .............................................  E.2.1 Wider die Unordnung der Gerichtsakten  .................................  E.2.2 Wider die Weitläufigkeit – wider die zeitliche Unordnung der Arbeits- und Ferienzeiten  ................................  E.2.3 Der Reichsschluss von 1775  ...........................................................  E.2.3.1 Der mühsame Weg zum Reichsschluss  .......................  E.2.3.2 Die Inhalte des Reichsschlusses und ein resümierender Blick auf die Reformmaxime der Prozessbeschleunigung  . . ...........................................  E.3. Korruption und Reputation: Der Fall des Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar  .. .............................  E.3.1 Leben für das, durch das und neben dem Gericht: Warum lassen sich Richter bestechen?  ....................................... 

395 397 397 401 409 411

314 320 327 327 330 336 341 351 353 364 367 368 372 381

416 424 425

430 437 440

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Inhalt

E.3.2 Das (Un-)Wesen der Sollicitatur  .................................................  446 E.3.3 Der Korruptionsfall: Die Geschehnisse, deren Aufdeckung und die Folgen  . . .............................................  451 Zusammenfassung  .....................................................................................................  465 Abbildungen, Diagramme und Tabellen im Text  ............................................  485 Abkürzungsverzeichnis  ............................................................................................  487 Quellen- und Literaturverzeichnis  . . .....................................................................  I. Quellenverzeichnis  . . ....................................................................................  I.1 Ungedruckte archivalische Quellen .............................................  I.2 Visitationspublikationen  ...............................................................  I.2.1 Der Reformbedarf  ...........................................................................  I.2.2 Das Reforminstrument  .. .................................................................  I.2.3 Der Reformprozess  ..........................................................................  I.3 Sonstige Quellen  ..............................................................................  II. Literaturverzeichnis  ....................................................................................  III. Nachschlagewerke und Hilfsmittel  . . ....................................................... 

489 489 487 493 493 500 505 511 514 558

Anhang  . . ........................................................................................................................  563 Personenverzeichnis  . . ................................................................................................  605

Vorwort

Welch ein Moment – nach all den Jahren in Archiven, am heimischen und universitären Schreibtisch, nach all den Winter- und Sommersemestern, die, gefüllt mit Lehr- und sonstigen hochschulbedingten Tätigkeiten, es mal mehr und mal weniger erlaubten, sich dem Untersuchungsgegenstand dieser Studie zu widmen, nach all den Arbeitsphasen diesseits und jenseits der Semesterferien, die sich, bedingt durch Unerfahrenheit, Zweifel und (zu großer) Neugier, aber auch aufgrund der Quellenmasse und der gewiss nicht singulären Komplexität der Materie keineswegs immer geradlinig – im Sinne des vorliegenden Endprodukts – gestalteten, nach alldem darf ich jenes tun, was keineswegs zum wissenschaftlichen Alltag gehört: Ein Vorwort für eine Monographie schreiben. Dass es zu diesem Moment kommen konnte, habe ich einer Vielzahl an Menschen zu verdanken. Zuvorderst ist Frau Prof. Dr. Sabine Ullmann (Eichstätt) zu nennen. Sie hat mir einen wunderschönen beruflichen Lebensweg eröffnet und nachhaltig den Gang dieser Studie begleitet und befördert. Ebendieser Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Johannes Burkhardt (Augsburg/Spalt), der diese Studie nicht nur als Zweitbetreuer unterstützt hat. Verschiedenste wissenschaftliche Kolloquien ermöglichten es mir gleichfalls, zentrale Zugriffe auf die Reichskammergerichtsvisitation zur Diskussion zu stellen. Zu nennen sind die Kolloquien in Augsburg (Prof. Dr. Lothar Schilling), Gießen (Prof. Dr. Horst Carl/Prof. Dr. Anette Baumann) und Münster (Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger/Prof. Dr. André Krischer), sowie ein Vortrag am Institut für Europäische Kulturgeschichte (Prof. Dr. Wolfgang Weber). In Frankfurt a.M. fand unter Beteiligung von Eichstätter Studierenden ein von Dr. Jessika Nowak organisiertes Sonderkolloquium statt (Prof. Dr. Heribert Müller/Prof. Dr. Ulrich Muhlack/Prof. Dr. Notker Hammerstein). Die tatsächlich noch weitaus umfassendere Erstfassung dieser Studie haben folgende Personen korrekturgelesen und damit gleichfalls geprägt: Dr. ­Stephanie Armer (Augsburg/Nürnberg), Dr. Thomas Dorfner (Aachen), Dr. des. Teresa Massinger (Eichstätt), Dr. des. Monika Müller (Augsburg), Christina Patz M.A. (Eichstätt), Dr. Jörn Retterath (München), Dr. Markus Seemann (Berlin) und Oliver Sowa M.A. (Eichstätt). Den Weg hin zur Promotion sowie insgesamt meinen wissenschaftlichen Werdegang haben ferner meine Eichstätter Arbeitskollegen/Innen, aber auch, meist unwissentlich, die (als Hilfskräfte fungierenden) Eichstätter Studierenden sowie meine liebenswerten Nachbarn begleitet. Selbst Letztere waren bei der Disputation anwesend. Damit haben sie an jene

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Vorwort

abendlichen Sommertage angeknüpft, die wir gemeinsam in der Hofanlage aus dem 16. Jahrhundert erlebt haben. In diesem Sinne möchte ich auch meinen Brüdern und Eltern danken, die gerade mit Blick auf das Kapitel C dieser Studie mehr unmittelbar als mittelbar dazu beigetragen haben, dass ich dieses Vorwort schreiben kann. Schließlich war es die Familie Mack (Markdorf ), die es mir stets ermöglicht hat, die Wissenschaft hinter sich zu lassen – ein unverzichtbarer Ausgleich! Mit der Einreichung dieser Studie trat die passionierte Junghistorikerin Maria Weber in mein Leben. Ich wünsche Ihr vom Herzen, dass sie gleichfalls diesen Moment des Vorwortschreibens für eine Monographie erleben darf. Ein solcher Moment ist umso schöner, wie die Studie Eingang fand in die Reihe ‚Norm und Struktur‘. Hierfür danke ich den Reihenherausgebern sowie der VG Wort und der Oestreich-Stiftung für die Übernahme der Druckkosten. Keineswegs selbstverständlich war auch die Unterstützung der Archivreisen durch die Maximiliana Kocher M.A. Stiftung, die Forschungsstiftung Bayerische Geschichte und die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Frau Elena Mohr hat die Studie von Verlagsseite geduldig betreut. Auch ihr gebührt Dank. Mit Blick auf den Schreibzeitpunkt dieser Worte sei abschließend angemerkt, dass die S­ tudie keine Literatur berücksichtigt, die nach 2014 erschienen ist, gleichwohl sich ­darunter themenrelevante Abhandlungen finden lassen. Schlusspunkte zu setzen ist jedoch im wissenschaftlichen Betrieb unerlässlich – auch dies durfte ich in den Jahren der Promotion lernen. Eichstätt/Augsburg Oktober 2015

Einleitung

1. Über Schriftlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart: Eine Annäherung an Thema, Fragestellungen und Forschungskontexte Am Ende stritt man um Akten. Wenige Tage nach dem vorzeitigen Ende der neunjährigen Visita­tion (1767 – 1776) bemühte sich der Visitator des Kurfürstentums Braunschweig-­Lüneburg, Johann Philipp Conrad Falcke, um die Rückgabe aller Akten, die er sich der Arbeit wegen bei der Kanzlei des Reichskammergerichts (RKG) ausgeliehen hatte. Ganze zwei große Körbe voll Gerichtsprotokolle, Schreiben, Berichte und Gutachten hatten sich die Jahre über angesammelt. Diese Schrift­stücke lagen im Quartier des Visitators zur Rückgabe bereit. Ein Aktenbündel behielt Falcke jedoch vorerst zurück, weil er damit sehr oft gearbeitet hatte, seine Notizen mit dem Aktenstoß vermischt waren und der Inhalt der Akte mit der ­famosen Försterischen Sache einen Prozessfall dokumentierte, der dem Visitator besonders wichtig gewesen war. Falcke näm­lich, der stets auf Gründ­lichkeit bedacht war, hatte in die Bearbeitung der Försterischen Akte sehr viel Zeit investiert, während der österreichische Visitator, der gleichfalls mit d­ iesem Fall betraut war, mit einem Federwisch […] [hatte] hinaus fahren wollen. Akten und Notizen bedurften also der ordnungsgemäßen Pflege, um die von Falcke so geschätzte und von s­ einem Mitreferenten übergangene sorgsame Arbeitsweise zu vollenden. Während der Visitator diese Ordnungstätigkeit vollzog, kam ein Diener der von Kurmainz geleiteten Gerichtskanzlei.1 Er holte die in den Körben bereitgestellten Akten mit dem Hinweis ab, die hierfür erteilten Ausleihscheine nachreichen zu wollen. 1 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Falcke die Akten nicht bei der Kanzlei des RKG, sondern bei der Kanzlei des kurmainzischen Visita­tionsdirektoriums ausgeliehen hatte. Dafür spricht, dass, wie noch anzuführen ist, mit Serger ein kurmainzischer Visita­tionssekretär einen Aktenstoß von Falcke zurückholen wollte. Es kann jedoch auch sein, dass Serger für die Gerichtskanzlei zumindest mittelbar arbeitete, indem er sich um die Rückgabe von Akten bemüht hat, die sich das kurmainzische Visita­tionsdirektorium von der Kanzlei des Gerichts ausgeliehen hatte und die dann an Falcke ledig­lich weiterverliehen wurden. Und selbst eine direkte Tätigkeit Sergers für die Gerichtskanzlei erscheint mög­lich, falls beide Kanzleien sehr eng zusammengearbeitet haben. Klarheit könnte letzten Endes nur eine eingehende Analyse der Funk­tionsweise beider Kanzleien schaffen. Dies kann jedoch die vorliegende Studie, obgleich die Kanzleipraxis ihr Kernanliegen berührt, nicht leisten. Siehe hierzu auch Anm. 227 (die Querverweise beziehen sich hier wie im gesamten Text auf das jeweilige Kapitel).

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Einleitung

Am Folgetag (9. Mai 1776), gegen Mittag, als Falcke seine Notizen aus der Försterischen Akte entfernt hatte, kam der kurmainzische Sekretär Serger, um den verbliebenen Aktenstoß abzuholen. Der Sekretär führte hierbei ein Register mit sich, welches die Akten und Protokolle verzeichnete, die sich die Visitatoren ­zwischen 1767 und 1776 ausgeliehen hatten. Unter Bremen und Kurbraunschweig – für beide Stände visitierte Falcke – befand sich den abgeholten Körben entsprechend ein Rückgabezeichen, die entsprechenden Leihscheine konnte der Sekretär jedoch nicht nachreichen, weil diese nach der Eintragung in das Register sogleich […] cassiret wurden. Falcke ließ sich diese Erklärung gefallen, weil er den Sekretär für einen ehr­lichen Mann hielt. Bei den Akten über die Försterische Sache gestaltete sich die Leihscheinangelegenheit jedoch weitaus schwieriger. Hier hatte Falcke einst, als er die Akte ausgeliehen hatte, einen Schein eigenhändig unterschreiben müssen, wodurch er den Empfang ausdrück­lich beurkundet hatte. Aus ­diesem Grund gab Falcke die Försterische Akte nur unter dem ausdrück­lichen Vorbehalt zurück, den entsprechenden Leihschein nachgereicht zu bekommen. Der Sekretär versprach, den gewünschten Schein in der Gerichtskanzlei zu suchen, und vermerkte die Rückgabe der Akten in dem Register. Falcke wartete auf Serger und den Schein – jedoch vergeb­lich. Als tags darauf zu hören war, dass das kurmainzische Direktorium abgereist sei, benachrichtigte Falcke den Sekretär. Dieser erschien auch sogleich unter der Beteuerung, den Empfangsschein ungeachtet großer Mühen nicht habe auffinden [zu] können. Falcke war über d ­ ieses Nichtauffinden wenig erfreut und verlangte zumindest einen so genannten Mortifica­tions-­Schein. Dieser Tilgungsbeleg wurde jedoch mit dem Hinweis verweigert, dass Serger einen solchen nicht erteilen dürfe, das Direktorium abgereist sei und er nicht gewiß wisse, ob von Falcke ein Empfangsschein ausgestellt wurde. Der Visitator hielt diese Angaben für Ausflüchte und ließ den Sekretär nur in dem Versprechen gehen, zeitnah eine Specifica­tion nebst Rück Empfangs-­Schein zu bekommen, also ein Verzeichnis aller zurückgegebenen Akten einschließ­lich einer Rückempfangsbestätigung. Gesagt, getan, am Nachmittag hielt der Visitator die geforderten Dokumente in der Hand. Die Auseinandersetzung um die Akten respektive Leihscheine war damit aber noch nicht beendet. Falcke näm­lich – so der Auslöser des finalen ‚Streitaktes‘ – war bei der Sichtung der Försterischen Unterlagen, die er am Vortag mühevoll zusammengetragen hatte, auf ein Verzeichnis gestoßen, welches das kurmain­ zische Direktorium als das Duplikat des von ihm unterschriebenen Verzeichnisses ausgestellt hatte. Aus dieser Kopie von den Anfängen des Leihgeschäfts ging zweierlei hervor: Zum einen war das Originalverzeichnis dem kurmainzischen Direktorium unterschrieben ausgehändigt worden, um den Empfang der ausgeliehenen Akten zu bestätigen. Zum anderen war das Verzeichnis, welches Serger

Eine Annäherung an Thema, Fragestellungen und Forschungskontexte

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kurz zuvor zur Spezifika­tion erstellt hatte, fehlerhaft, da dort Akten geführt wurden, die Falcke nicht einmahl wahrgenommen hätte. Serger wurde über diese Unstimmigkeit informiert und war geradezu beschämt. Dessen ungeachtet war er aber neuer­lich nicht bereit, einen Tilgungsschein auszustellen. Stattdessen gab es ledig­lich, gegen Rücknahme des alten und unvollständigen Verzeichnisses, eine neue Übersicht, die Falckes Rückgabe der Acten und Protocollen beurkundet[e]. Der Original-­Empfangs-­Schein blieb aber weiterhin in der, so Falcke, Directorii Moguntini Verwahrung oder Verwahrlosung ohne Mortifica­tions-­Schein, weshalb der Visitator bei seiner Obrigkeit anfragte, ob er sich damit beruhigen oder weiter in Directorium Mog[untinum] eindringen solle.2 Die Obrigkeit Falckes bzw. – präziser – die in Hannover verweilenden Räte 3 gaben ihrem Visitator wenige Tage ­später zur Antwort, dass das weitere Vorgehen nach seiner Rückkehr besprochen werden sollte.4 Mit dieser Anweisung und dem danach einsetzenden Schweigen der Quellen enden die Einblicke in eine 2 HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Falcke an König 21. Mai 1776. 3 Im Laufe der Studie wird eine nähere Umschreibung ‚der‘ Obrigkeit erfolgen. Eine personalisierte Spezifizierung (etwa Name und Biographie der in Hannover verweilenden Räte) kann jedoch nur punktuell geleistet werden. Damit hängt auch die Zitationsweise der Archivalien zusammen. Hierzu lässt sich anmerken: Wo erforder­lich und mög­lich, sollen immer Empfänger und Absender der Schriftstücke genannt werden. Dies gilt insbesondere für die von den Visitatoren verfassten Berichte außer die des Visitators der Reichsstadt Augsburg; hier erfolgt die Nennung der Berichtsnummer (insgesamt 130, verfasst ­zwischen dem 5. Mai 1767 und 6. Dez. 1774 StadtAA RKG 33). In der Regel wird der Visitator nament­lich genannt. ‚Die‘ Obrigkeit hingegen wird entsprechend der Anrede des jeweiligen Berichts als ‚Räte‘ oder auch ‚König‘ bezeichnet. Zwei Beispiele: Der Visitator Grolman schrieb am 10. Mai 1776 einen Bericht an König­lich Grosbritannische zur Churfürst­lich-­Braunschweig-­Lünebur­gischen Regierung höchstverordnete Herren Geheime Räthe; Hoch- und Hochwohlgebohrne Hochgebietende Herren! – der Nachweis würde hier (in der Regel ohne Angabe der – oft auch gar nicht vorhandenen – Folioseite) lauten: HStA-Han. Cal. Br. 11 4192, Grolman an Räte 10. Mai 1776. Zweites Beispiel: Falcke schrieb am 1. Oktober 1771 einen Bericht an Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König und Churfürst etc. Allergnädigster Herr! (der Bericht beginnt mit den Worten: Eurer König­lichen Majestät habe ich […]) – hier würde der Nachweis lauten: HStA-Han. Cal. Br. 11 4120, Falcke an König 1. Oktober 1771. Wann genau die welfischen Visitatoren einen Bericht an den König und wann an die Räte schrieben, ist dem Verfasser nicht bekannt. Es handelt sich um ‚Schreibroutinen‘, die womög­lich von der Wichtigkeit des Berichtsgegenstandes abhingen. Der Nachweis der anderen Archivalien wird bei Bedarf an den entsprechenden Stellen erläutert. Anzumerken ist, dass die Quellenzitate in der Regel wört­lich übernommen wurden. Wenn es die Verständ­lichkeit jedoch erforderte, erfolgte eine quellengerechte Anpassung. 4 HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Räte an Falcke 25. Mai 1776.

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Einleitung

Auseinandersetzung, die in mehrfacher Hinsicht das Kernanliegen dieser Studie berührt. Zunächst und an erster Stelle geht es um die schrift­liche Überlieferung. Zwei Körbe voll Akten hatte sich Falcke bei der Gerichtskanzlei ausgeliehen, um sich in Gerichtsprozesse einzuarbeiten. Darüber hinaus befanden sich in den Akten zahlreiche Notizen, die der Visitator angefertigt hatte, um mit den Prozesspapieren und über diese zu arbeiten. Und schließ­lich gab es diverse Scheine und Verzeichnisse, die erstellt wurden, um einen ordnungsgemäßen Leihverkehr zu ermög­lichen. Ein solches Sammelsurium an Schrift­lichkeit darf nicht – so lautet der entscheidende Ansatzpunkt dieser Studie – als ‚natür­liche‘ Schriftüberlieferung verstanden werden. Die Vielzahl an Scheinen (Empfangsschein, Rückempfangsschein, Tilgungs­ schein) sowie die Aktenverzeichnisse bringen vielmehr zum Ausdruck, dass es sich hier um eine Schriftkultur handelt, die sehr komplex war. Sie war hochgradig reglementiert, weil 1.) das Ausleihen bzw. die „unentgelt­liche Gebrauchsüberlassung mit der Verpflichtung zur Rückgabe der […] entliehenen Sache“5 ein rechtsförmiger Vorgang war, der mit den Scheinen und Verzeichnissen seine organisatorische und recht­liche Erfüllung fand. Daneben gab es 2.) eine Vielzahl an Schriftstücken, die verwaltet bzw. verliehen werden mussten. Und 3.) bestand eine entsprechende Nachfrage nach den Akten. Die von Falcke praktizierte Akteneinsicht war dabei ‚natür­lich‘, wenn man bedenkt, dass es Aufgabe der Visitatoren war, die institu­ tionellen und personellen Mängel des Gerichts zu erkennen und zu beheben. Diese Arbeit bedurfte der Informa­tionen, ­welche die Visitatoren generierten, indem sie die Gerichtsangehörigen münd­lich und schrift­lich befragten, aber eben auch, indem sie die in der Kanzlei oder im Gerichtsarchiv verwahrten Gerichtsakten einsahen. Auf der anderen Seite war diese Akteneinsicht keineswegs selbstverständ­lich, wie die Kritik Falckes an dem österreichischen Mitvisitator – dieser habe von den Gerichtsakten nicht einmahl einige Notitz, geschweige Einsicht genommen 6 – offenlegt. Warum aber hielt Falcke es für notwendig, die Försterische Akte einzusehen und mit ihr so intensiv zu arbeiten? Warum wollte der österreichische Visitator die Akte nicht einsehen? Und falls doch, gab es überhaupt die Mög­lichkeit, dass zwei Referenten gleichzeitig ein Aktenstoß einsahen? Fragen wie diese deuten an, was das Ziel dieser Studie ist. Es geht darum, „das scheinbar Selbstverständ­liche nicht als selbstverständ­lich“ hinzunehmen,7 sondern vielmehr zu fragen, 1.) warum bei der Visita­tion des RKG von 1767 bis 1776

5 Schlinker, Leihe (2008), Sp. 825. 6 HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Falcke an König 21. Mai 1776. 7 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Kulturgeschichte des Politischen (2005), S. 12.

Eine Annäherung an Thema, Fragestellungen und Forschungskontexte

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so vieles um die Schrift­lichkeit kreiste, und 2.) warum sich von dieser Visita­tion eine Papiermasse erhalten hat, die weitaus umfassender ist als all jene Papiere, die die RKG-Visita­tionen seit dem beginnenden 16. Jahrhundert produzierten. Deut­ lich ist näm­lich folgender Überlieferungsbefund: Von der hier zu behandelnden Visita­tion haben sich insgesamt 167 Aktenbündel im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Mainzer Erzkanzlerarchiv), 168 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (nur kurbayerische ohne kurpfälzische Überlieferung), 164 Akten im Niedersäch­ sischen Landesarchiv sowie 63 im Stadtarchiv Augsburg erhalten.8 Ausgehend von den Aktenbetreffen – diese stammten aus der Zeit selbst, (größten)teils aber aus der Zeit danach 9 – ergibt eine grobe inhalt­liche Systematisierung, dass sich in allen Archiven Schriftgut erhalten hat, das dem gemeinsamen delega­tionsübergreifenden Verfahren entsprang (und damit mehrfach überliefert ist, so insbesondere die Protokolle und Protokollbeilagen), sowie Schriftgut, das im Zuge des Geschäftsgangs der einzelnen Visita­tionsdelega­tionen entstanden ist (und damit nur einmal überliefert ist, wie etwa der Bericht, dem die Auseinandersetzung um die Leihscheine zugrunde liegt). Wie jedoch ist es zu verstehen, dass zum Beispiel im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (kurbayerische bzw. herzog­lich bayerische Überlieferung) nur elf Visita­tionsakten aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert verwahrt werden, obgleich in dieser Zeit das RKG weitaus häufiger visitiert wurde als im 18. Jahrhundert?10 Oder aber das Stadtarchiv Augsburg, eines der größten und besterhaltenen kommunalen Archive Deutschlands: Warum haben sich hier nur fünf visita­tionsrelevante Akten aus der Zeit vor 1767 erhalten?11 Da auszuschließen ist, 8 Ein solch quantitativer Befund bietet Orientierung, obgleich der Umfang der einzelnen Akten (er kann sich von Einzelblättern bis hin zu hunderten Folioseiten erstrecken), die unterschied­liche Schriftgröße der Sekretäre (dies erklärt den variierenden Umfang der eigent­lich identischen Protokolle) oder auch das unterschied­liche Schriftbild der Visitatoren unberücksichtigt bleiben. Zu letztem Punkt lässt sich etwa anmerken, dass Falcke seinen Berichten fußnotenartige Anmerkungen anfügte, die sehr klein und dicht geschrieben waren und nicht nur bei dem Visitator der Reichsstadt Augsburg ganze Berichtsseiten gefüllt hätten. 9 Es lässt sich kaum abschätzen, ob ein Großteil oder nur ein Teil der Aktenbetreffe in der Zeit nach der Visita­tion (und allen voran im 19. Jahrhundert) angebracht wurde. 10 BayHStA KS 5692 – 5697, 5708 – 5711 u. 5903. Diese Angaben sind einer Antwortmail entnommen, die Herr Dr. Hörner am 11. Febr. 2010 aufgrund einer noch zu benennenden Anfrage der Forschungsstelle für Höchstgerichtsbarkeit im Alten Europa der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e. V. schrieb. 11 StadtAA RKG 26 – 30. Während der Verschrift­lichung dieser Arbeit führte das Stadt­archiv Augsburg aufgrund eines Umzuges eine umfassende Erfassung bisher unerschlossener Archivbestände durch. Die hierbei neu gebildeten Aktenbündel mit RKG- und Visita­tionsbezug – letzteres nur für nach 1767! – (StadtAA RKG 100 – 106) ­blieben unberücksichtigt.

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Einleitung

dass hier wie auch immer geartete Überlieferungszufälligkeiten vorliegen,12 und überdies ein archivhistorischer Allgemeinbefund lautet, dass im 18. Jahrhundert die in den Archiven verwahrte Aktenmasse zunahm,13 liegt der vorliegenden ­Studie die These zugrunde, dass die Visita­tion von 1767 in eine Zeit fällt, in der die Schrift­lichkeit eine bis heute greifbare Aufwertung erfuhr. Diese Vorannahme beinhaltet zweierlei. Zum einen ist es zwingend erforder­ lich, die alltäg­liche Bedeutung der Schrift­lichkeit für die Visita­tion zu analysieren. Der heuristische und methodische Ausgangspunkt lautet hierbei, dass sämt­liches Schriftgut über die Visita­tion, das bis heute in diversen Archiven lagert, nicht als ‚natür­liche‘ Quellenüberlieferung verstanden werden darf. Quellenkritische Kern­ aufgabe soll es vielmehr sein, den Entstehungs- und Überlieferungskontext der Schriftstücke so genau wie mög­lich und im Idealfall von der Hand des Schreibers bis zur Hand des zeitgenös­sischen (oder auch gegenwärtigen) Archivbediensteten zu rekonstruieren. Ein solch archivhistorischer Ansatz, welcher der genetischen Aktenkunde nahe steht,14 knüpft an neuere Forschungen an, die nach der (lokalen) Praxis politischen Handels,15 den Amts- und Funk­tionsträgern der Vormoderne 16 12 Dagegen spricht allen voran eine von der Forschungsstelle für Höchstgerichtsbarkeit im Alten Europa der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e. V. durchgeführte Umfrage unter knapp 90 in- und ausländischen Archiven mit dem Ergebnis, dass sich in den meisten Archiven ausschließ­lich oder vor allem Akten zu der Visita­tion von 1767 bis 1776 erhalten haben. Ich danke der Leiterin der Forschungsstelle, Frau Prof. Dr. Anette Baumann, für die Mög­lichkeit, die entsprechenden Aktenordner einzusehen. Die Einsichtnahme der Korrespondenz (Anfrage vom 5. Januar 2010 und darauf ergangene Antworten) erfolgte in der Wetzlarer Forschungsstelle am 1. Juni 2011. 13 Siehe etwa Schlaak, Entwicklung von Schrift­lichkeit (2005) und Ders, Overloaded Interac­tion (2010). Dessen ungeachtet bleibt die Zunahme der archivierten Schrift­lichkeit eine subjektive Einschätzung. Es bleibt zu fragen, ob es nicht der Mühe wert wäre, die Umschreibung der Frühen Neuzeit als ein Aktenzeitalter (siehe hierzu die weiteren Ausführungen) quantitativ zu fundieren. Die vorliegende Studie kann dies nur im begrenzten Rahmen leisten. 14 Die Aktenkunde ist eine Historische Hilfswissenschaft, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand. Sie gliedert sich „in einen genetischen Teil, der sich mit der Entstehung und Bearbeitung der Aktenschriftstücke bei den aktenführenden Stellen beschäftigt, und einen systematischen Teil, bei dem es darum geht, die vielfältigen Arten der Aktenschriftstücke nach Merkmalen von Funk­tion, Inhalt und Form zu bestimmen und nach zusammengehörigen Gruppen überschaubar zu gliedern“ [Schmid, Akten (2003), S. 77]. 15 Hohkamp, Herrschaft in der Herrschaft (1998); Holenstein, Gute Policey (2003); Freist, Staatsbildung als kultureller Prozess (2005). 16 Brakensiek/Wunder, Ergebene Diener ihrer Herren? (2005); Brakensiek, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger (1999); Klingebiel, Ein Stand für sich? (2002);

Eine Annäherung an Thema, Fragestellungen und Forschungskontexte

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sowie der Genese, Funk­tion und Archivierung von (staatlichem) Wissen fragen.17 Herrschaft wird dadurch nicht als etwas Gegebenes, sondern als etwas Gemachtes begriffen, das im kommunikativen Handeln sehr unterschied­licher Akteure entsteht. Zurückzuweisen sind damit all jene Herrschaftsvorstellungen, die von einem dichotomischen (‚Herrschende‘ und ‚Beherrschte‘) oder sonstigen simpli­ fizierenden Gefügen ausgehen.18 Auch bei der Visita­tion greift es zu kurz, von ‚den‘ Visitierenden und ‚den‘ Visitierten zu sprechen. Das Visita­tionsgefüge war weitaus komplexer. Dies belegt allein die Tatsache, dass Falcke ein protestantischer und kurfürst­licher (ab 1774) Visitator war, der an der hierarchischen Spitze einer Visita­tionsgruppe stand, die sich konfessionell segmentierte. Zum anderen ermög­licht es der Untersuchungsgegenstand, einen Beitrag zum Verständnis der politischen Kultur 19 zu leisten, aber auch allgemein deut­lich zu machen, ­welche Bedeutung Schrift­lichkeit für den Lebens- und Arbeitsalltag dieser Zeit hatte. Ausgehend von der Frage, in welchem Verfahrensumfeld die heute in den Archiven verwahrten Schriftstücke entstanden sind, geht es hierbei um die Schrift­lichkeit im tintenklecksenden Säkulum. Dieses berühmte Diktum aus Friedrich Schillers ‚Die Räuber‘20 muss dahingehend präzisiert werden, dass die vorliegende Studie in erster Linie nur ­solche Tintenkleckse behandelt, die der vormoderne Staat bzw. seine Akteure produzierten. Es geht also einerseits um den – kulturgeschicht­lich zu begreifenden – Staatswerdungsprozess 21 und die Frage, ­welche Bedeutung die Schrift­lichkeit für diesen und insbesondere für den stetig expandierenden Verwaltungsapparat spielte.22 Andererseits geht es um

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Thiessen, Diplomatie und Patronage (2010); Baumann, Reichspersonal (2003); Löffler, Dörf­liche Amtsträger (2005). Brendecke, Imperium und Empirie (2009); Brendecke/Friedrich M./Friedrich S., Informa­tion (2008); Dülmen/Rauschenbach, Macht des Wissens (2004); Friedrich M., Archive und Verwaltung (2008); Ders., Lange Arm Roms? (2011); Ders., Die Geburt des Archivs (2013); Gottschalk, Wissen über Land und Leute (2004); Haas/Hengerer, Kultur und Kommunika­tion (2008); Head, Knowing Like a State (2003); Teuscher, Erzähltes Recht (2007); Weber, Herrschafts- und Verwaltungswissen (2003). Meumann/Pröve, Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen (2004). Siehe zu ­diesem Begriff Lipp, Politische Kultur (1996). So spricht Karl Moor zu Beginn des ersten Aktes, zweite Szene: Mir ekelt vor d­ iesem tinten­ klecksenden Säkulum, wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen [Schiller, Friedrich, Die Räuber (1781/1979)]. Siehe hierzu, neben der gesamten Studie, das einleitende Plädoyer für eine Kultur­geschichte des Staates von Landwehr, Die Erschaffung Venedigs (2007), S. 9 – 19. Eine ­solche Hinwendung zur Schrift­lichkeit erscheint auch Sharpe, Schrift im England der Frühen Neuzeit (2005), S. 188, sinnvoll und notwendig, um „zu einem neuen“ oder

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das Personal des werdenden Staates, also seine Amtsträger. Ein solcher politik-, wissens-, archiv-, verwaltungs- und sozialgeschicht­licher Zugriff lässt sich einer zugriffsoffenen Kulturgeschichte des Politischen zuordnen,23 die in den letzten Jahren vermehrt unter den Schlagworten „Verfahren, Verwalten und Verhandeln“ stand.24 Diese ‚Trias‘ bildet das Zentrum der vorliegenden Studie. Es geht um das Verfahren der Visita­tion, die (Ver-)Handlungsmaximen der Akteure sowie die zeitgenös­sische Handhabung der Schrift­lichkeit im Zusammenspiel oder auch in Abgrenzung zum münd­lichen (Verwaltungs-)Handeln. Mit der Schrift­lichkeit steht schließ­lich auch eine Gegenständ­lichkeit im Mittelpunkt, die darauf verweist, dass Dinge geradezu „ein ‚social life‘ [besitzen], da sie in Handlungen eingebunden werden, Anlass von Handeln sowie Bestandteil von Praktiken sind, Bedeutungen zugeschrieben bekommen und der Umgang mit ihnen interpretiert und gedeutet wird“.25 Die Schriftstücke und die zur Schriftproduk­tion benötigten materiellen Ressourcen wie Tinte, Sand, Schreibtische oder Druckerpressen sind somit als Teil einer materiellen Kultur zu begreifen, deren Erforschung insgesamt erst am Anfang steht.26

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doch zumindest erweiterten „Verständnis der Geschichte von Gesellschaft und Staat in der Frühen Neuzeit“ zu gelangen, indem man „diese Geschichte als eine Reihe von Aushandlungen und Auseinandersetzungen um die Kontrolle der Bedeutung von Worten und ­­Zeichen“ begreift. Die Neue Kulturgeschichte ist „nicht von bestimmten Gegenständen her zu definieren […], sondern von einer spezifischen Perspektive auf alle mög­lichen Gegenstände“ [Stollberg-­Rilinger, Einleitung, Kulturgeschichte des Politischen (2005), S. 12]. Stollberg-­Rilinger/Krischer, Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (2010). Dieser Sammelband führt den Untertitel „Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne“. Huntebrinker/Ludwig, Militär und materielle Kultur (2009), S. 9. So betrachtet Jancke, Gastfreundschaft (2013) „Gegenstände näher […], die im Zusammenhang mit Gast­lichkeit immer wieder vorkamen – Betten, Tische, Becher und Worte“ [S. 40]. Siehe ferner Häberlein/Jeggle, Materielle Grundlagen (2013) sowie vom 50. Deutschen Historikertag in Göttingen (23.-26. Sept. 2014) die Sek­tion „Die Materialität der Geschichte. Dinge als Signaturen ihrer Epoche“ [www.historikertag.de/ Goettingen2014/events/die-­materialitaet-­der-­geschichte-­dinge-­als-­signaturen-­ihrer- ­ epoche (24. 02. 2015)].

Methodische Zugänge, Quellen und Aufbau der Studie

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2. Methodische Zugänge, Quellen und Aufbau der Studie Mit den Akteuren das Handeln vor Ort ins Zentrum der Studie zu stellen bedeutet, einen praxeolo­gischen Ansatz zu verfolgen, welcher der archivhistorischen Prämisse folgt, das in den Archiven verwahrte Schriftgut aus dem Verfahren selbst sowie mit und durch die zeitgenös­sischen (Schrift-)Akteure zu erklären. Es geht also darum, den „Blick auf die Menschen und deren s­ oziale und politische Praxis“27 zu lenken und dadurch „politische[…] Prozesse in das soziokulturelle Ganze der menschlichen Lebenswelt“ einzubetten.28 Die Visita­tion wird dadurch als kommunikativer Vorgang begriffen, der „alle mög­lichen Formen des Austauschs innerhalb von und ­zwischen Systemen“29 und damit jene Vorgänge umfasst, die nie voraussetzungslos, sondern immer schon eingebettet sind „in einen sozialen Zusammenhang, eine communio“.30 Die Visita­tion unter dem Aspekt der Kommunika­tion zu betrachten, folgt dabei einer neuen Politik- und Verwaltungsgeschichte, die nach den „­komplexen Kommunika­tionsprozessen der verschiedenen beteiligten sozialen Gruppen und Strukturen“ fragt.31 Es werden dabei „die Beziehungen ­zwischen Menschen […] im kommunikativen Handeln der Akteure“ offengelegt 32 und damit ein methodischer Ansatz verfolgt, der zwar nicht der Histo­rischen Anthropologie entspringt, ihr aber doch sehr nahe steht. Die Histo­rische Anthropologie näm­lich möchte mit den Worten Richard van Dülmens „den konkreten Menschen mit seinem Handeln und Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der historischen Analyse“ stellen.33 In d­ iesem Sinne verfolgt auch die vorliegende Studie das Ziel, das kommunikative Handeln der Visita­tionsakteure in Verbindung zu setzen mit all jenen „Lebensbedingungen sozialer und politischer, wirtschaft­licher und materieller Art […], die die individuellen Leben strukturieren“.34

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Blänkner/Jussen, Institu­tionen und Ereignis (1998), S. 12. Haas, Kultur der Verwaltung (2005), S. 24. Behringer, Kommunika­tion (2007), Sp. 995. Stollberg-­Rilinger, Symbo­lische Kommunika­tion (2004), S. 494. Haas/Pfister, Verwaltungsgeschichte (1999), S. 16 f. Siehe zu einer neuen Verwaltungsgeschichte auch Becker, Kulturgeschichte der Verwaltung (2003), Haas/Hengerer, Kultur und Kommunika­tion (2008), Becker, Sprachvollzug (2011) und Haas, Verwaltungsgeschichte nach Cultural und Communicative Turn (2014). 32 Holenstein, Gute Policey (2003), S. 109. 33 Dülmen, Historische Anthropologie (2000), S. 32. 34 Daniel, Kulturgeschichte (2006), S. 304 f.

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Das anthropolo­gische Sein der hier im Zentrum stehenden Menschen war in den Jahren der Visita­tion von eben ­diesem Geschehen geprägt, und sei es nur, dass die Visitatoren und Sekretäre durch die Visita­tion ihren (nicht immer zufrieden stellenden) Lebensunterhalt bestritten oder sie am Ort der Visita­tion, in Wetzlar, teils mit Frau und Kindern lebten, dort arbeiteten und dort auch teils starben. Die Visita­tion als Arbeits- und Lebensmittelpunkt verschiedenster Akteure zu begreifen bedeutet, gerade im Sinne einer neuen Kulturgeschichte, die für die Rückkehr des Subjekts eintritt, nach den „Handlungsspielräumen, Wahrnehmungs- und Deutungsmustern einzelner Individuen“ zu fragen.35 Die neue Kulturgeschichte ermög­licht es zudem, die Visita­tion als ein Verfahren zu begreifen. Mit Verfahren gemeint sind „Handlungssequenzen […], deren äußere Form generell (zumeist schrift­lich) geregelt ist und die der Herstellung verbind­licher Entscheidungen dienen“.36 Im Kern handelt es sich dabei um „Differenzierungsvorgänge[…]. Durch symbo­lisch-­zeremonielle Markierung, durch spezifische Verfahrensrollen, durch förm­lich festgelegte Regeln, die eine Wenn-­ dann-­Programmierung erzeugen, bauen Verfahren Grenzen gegenüber ihrer sozia­ len Umwelt auf und entwickeln eine eigene Macht gegenüber den Beteiligten“.37 Diese Abgrenzung gegenüber der Umwelt war jedoch in der Vormoderne und aus der Perspektive eines modernen Idealtypus 38 defizitär. Denn gerade dadurch, dass Verfahren wie die Visita­tion die „ständisch-­hierarchischen Strukturen symbo­ lisch ab[bildeten]“ und diese zugleich „legitimierte[n]“,39 war die Verfahrensrolle der Akteure strukturell gekoppelt an den ständisch-­sozialen Hintergrund ihrer Kommittenten. Entscheidend für eine Verfahrensgeschichte ist daneben dreierlei. Verfahren handeln „im Kern von den Mechanismen der Kommunika­tion unter Anwesenden“.40 Sie ermög­lichen es also zum einen, eine Kommunika­tionspraxis zu 35 Füssel, Rückkehr des ‚Subjekts‘ (2003), S. 151. Siehe zu den strukturgeschicht­lichen, aber auch marxistischen und linguistischen ‚Totengräbern‘ des Subjekts S. 143 – 145 sowie insgesamt zu der Rückkehr der „‚verloren geglaubten‘, gesellschaft­lich handelnden Subjekte“ Oexle, Geschichte als historische Kulturwissenschaft (1996), S. 14 f. 36 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (2010), S. 9. 37 Ebd., S. 27. 38 Beschrieben von Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983). Dieses Werk bildet die systemtheoretische Grundlage für die Verfahrensgeschichte. 39 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (2010), S. 28. 40 Ebd., S. 15. Grundsätz­lich dazu Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden I (2004), Ders., Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008), Ders., Anwesende

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analysieren, die sich – wie noch auszuführen ist 41 – um 1750 in einer finalen Transforma­tionsphase befand. Vormoderne Verfahren waren zweitens von einer sehr hohen Konsensbedürftigkeit geprägt. Denn wenn es „keine verbind­lichen Regeln der Entscheidungsfindung und keine effizienten Sank­tionsmög­lichkeiten gegenüber denjenigen gab, die sich einer Entscheidung nicht unterwarfen, dann war kollektives Handeln nur auf der Grundlage von Konsens mög­lich“.42 Dieser Zwang zum Konsens ist eine - wie noch anzusprechen sein wird - wichtige und bei der Visitation, die sich im Jahr 1776 vorzeitig getrennt hat, schließlich verloren gegangene Verfahrensgrundlage. Und schließ­lich handeln Verfahren immer auch von der „Herausbildung von Verfahrensmacht“, die um die „Verschrift­lichung der Verfahrensregeln“ kreist,43 aber eben auch um die „schrift­ liche Fixierung einzelner Schritte innerhalb des Verfahrens, wodurch man sich auf Verfahrensetappen festlegte, hinter die man nicht mehr leicht zurückkehren konnte“.44 Die Schrift­lichkeit und insbesondere die Visita­tionsprotokolle lassen sich also als zentrale Bestandteile eines Verfahrens begreifen. Deut­lich herauszuarbeiten ist dabei, dass Schrift­lichkeit und Akteure, ­welche die Schriftstücke produzierten oder mit diesen arbeiteten, dynamische ‚Verfahrensfaktoren‘ waren, die – dies ist entscheidend – sich nicht nur über das Verfahren, sondern auch über die Umwelt beschreiben und begreifen lassen. Verfahren und Umwelt sind so als zwei Seiten einer ‚Verfahrensmedaille‘ zu begreifen. Damit greift es zu kurz, ledig­lich von der Einbettung von Verfahren in eine Umwelt zu sprechen.45 Die Forschungsperspektive ist vielmehr für die, so hat es jüngst André Holenstein formuliert, „Kontexte der Verfahren und die Strukturen der Umwelt“ zu öffnen. Es muss „der Blick von der Fixierung auf die Verfahren im engeren Sinne gelöst werden“.46 Diesem Desiderat möchte sich die Studie am Beispiel der RKG-Visita­tion von 1767 widmen, und zwar auch mittels eines alltagsgeschicht­ lichen Zugriffs. Denn erst die Untersuchung der „Lebenserfahrung und alltäg­ lichen Praxis historischer Individuen und Gruppen“47 ermög­licht es zu erkennen,

und Abwesende (2014) u. Hengerer, Abwesenheit beobachten (2013). 41 Siehe Einleitung 3.3. 42 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Vormoderne politische Verfahren (2001), S. 22. 43 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (2010), S. 28 4 4 Ebd. 45 Ebd., S. 10. 4 6 Holenstein, Kommentar (2010), S. 385. 47 Lipp, Alltagsgeschichte (2011), S. 871.

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„wie die Menschen und Gruppen ihre Wirk­lichkeit sahen und herstellten“48 – eine Wirk­lichkeit, die gerade im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ von der Hand- und Druckschrift­lichkeit geprägt war. Für das Verfahren und seine Umwelt von größter Bedeutung waren und für die vorliegende Studie von größter Wichtigkeit sind die Protokolle. Entsprechend des archivhistorischen Zugriffs wird noch ausführ­lich darzulegen sein, dass mit Visita­tions- und Examensprotokollen – Letztere ‚dokumentieren‘ die Befragungen der Gerichtsangehörigen – zwei Arten von Protokollen überliefert sind. Zu den Quellen, über die alle Visita­tionsdelega­tionen verfügten und die dementsprechend mehrfach überliefert sind, gehören ferner die Beilagen zu den Visita­tionsprotokollen. Sie führen in erster Linie die Beschlüsse der Visita­tion sowie die Berichte, die etwa vom RKG an das Plenum der Visita­tion ergingen. Die delega­tionsübergreifenden Quellen umfassen obendrein all jene Druckschriften, die sich in der Medienöffent­lichkeit mit der Visita­tion auseinandersetzten. Neben rund 200 Einzelpublika­tionen ist auch eine visita­tionseigene Zeitschrift, die so genannten Wetzlarischen Anzeigen, erschienen. Das Quellenkorpus der vorliegenden Studie ergibt sich überdies aus jener Aktenmasse, die im Rahmen des delega­tionsinternen Austausches anfiel. Der entscheidende und deshalb noch genau zu analysierende Ausgangspunkt lautet hierbei, dass die Visitatoren als Abgesandte oder Subdelegierte ihrer zur Visita­tion delegierten Obrigkeit dazu verpflichtet waren, über die Geschehnisse in Wetzlar zu berichten. Berichtsform und Berichtsinhalte konnten dabei sehr stark variieren. Während der Augsburger Stadtgesandte ledig­lich ein bis zwei Berichte pro Monat an den katho­lischen Ratsteil sandte,49 verfasste Falcke mindestens einmal in der Woche ein Schreiben. Diese Berichtsfrequenz war nicht festgelegt, sondern pendelte sich zumeist in den ersten Monaten der Visita­tion ein. Der kurbayerische Gesandte ging sogar noch einen Schritt weiter. Er verfasste nicht nur regelmäßig Berichte, sondern führte auch nach Tagen gegliederte Aufzeichnungen, damit auch die geringsten Vorgänge bemercket und für künfftige zeiten [...] [eine] Richtschnur daraus genommen werden könne.50 Eine ­solche Richtschnur wiederum liegt mit den Anweisungen vor, die von München, Wien oder andernorts aus die Gesandten in Wetzlar erreichten. Diese Instruk­tionen lassen sich mit den Worten einer jüngst erschienenen Studie und im Sinne des hier gewählten akteurszentrierten

48 Lüdtke, Alltagsgeschichte (2002), S. 23. Siehe auch Van Laak, Alltagsgeschichte (2003) und Behringer, Alltag (2005). 49 StadtAA RKG 33. 50 BayHStA KS 5716, Goldhagen an Baumgarten 17. Mai 1767.

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Ansatzes als „vielbegehrte Lebensabschnittspartner“ der Instruk­tionsempfänger,51 also der Visitatoren, oder schlicht als zweite „Hauptquelle[…]“ aller Visita­tionen neben den Protokollen begreifen.52 Der delega­tionsinterne Quellenbestand umfasst schließ­lich jenen Schriftverkehr, den die Obrigkeiten der Visitatoren untereinander führten. Da wohl mehrere Forscherleben notwendig wären, die delega­tionsinterne Überlieferung aller zur Visita­tion delegierten Stände – kurz Visita­tionsstände – zu sichten und auszuwerten, folgt folgende Schwerpunktsetzung: Neben der Visita­ tionsspitze (kaiser­liche Kommission und Kurmainz) stehen einerseits die katho­ lischen Visita­tionsgesandtschaften Kurbayerns und der Reichsstadt Augsburg im Vordergrund. Zu Letzterem anzumerken ist, dass die konfessionsparitätische, mindermächtige Stadt Augsburg zwar sowohl in der ersten Klasse 53 auf katho­ lischer Seite als auch in der zweiten Klasse auf protestantischer Seite vertreten war. Der Quellenbestand zur letztgenannten Tätigkeit hat sich jedoch nicht erhalten. Auch aus d ­ iesem Grund, aber auch aufgrund der noch zu behandelnden Tat­ sache, dass die Visita­tion nicht nur von Anbeginn konfessionell segmentiert war, sondern sich am Ende entlang der Konfessionsgrenzen vorzeitig trennte, war es andererseits unabdingbar, die Quellenüberlieferung eines protestantischen Visita­ tionsstandes einzusehen. Dementsprechend und da überdies in der katho­lischen Überlieferung mehrfach das Handeln Falckes beklagt wurde, erfolgte eine intensive Bearbeitung der bremischen bzw. kurbraunschweig-­lünebur­gischen ‚Gegenüberlieferung‘. Für die protestantische Seite wurden zudem die kurbrandenbur­gischen Aktenbestände eingesehen. Mit den ‚Überlieferungsdichotomien‘ protestantische/katho­lische und delega­ tionsübergreifende/delega­tionsinterne Quellen können einige, aber nicht alle für die Studie bearbeiteten Quellen benannt werden. So wurden auch die Plenums­ protokolle des RKG ausgewertet. Dieses Plenum bestand aus dem Kammerrichter, den beiden Präsidenten und den Assessoren. Sie alle berieten in den Jahren der Visita­tion gemeinschaft­lich über die Belange der Visita­tion. Ansonsten war das RKG-Plenum „zuständig für das Präsenta­tionswesen und diejenigen Gegenstände, die die innere Verfassung des RKG’s, sein Verhältnis zum Kaiser, zum Reich […] und zur Stadt Wetzlar, seine provisorische Gesetzgebung und 51 Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 83. Es handelt sich hier um eine gut 1000-seitige Edi­tion mit einem gut 200-seitigen vorbemerkenden Teil. Siehe überdies Hengerer, Instruk­tion, Praxis, Reform (2008) und jüngst Hipfinger u. a., Ordnung durch Tinte und Feder? (2012). 52 Näther, Kurbayerische Visita­tionen (2011), S. 243. 53 Siehe hierzu die Erklärung unter Einleitung 3.1.

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seine äußere Sicherheit betrafen“.54 Die Beratungen über die Visita­tion wurden eigens in 13 Bänden protokolliert.55 Daneben ist gesondert zu erwähnen ein Aktenverzeichnis, das, wohl nur von Kurmainz angelegt, alle bei der Visita­tion zur Sprache gekommenen Beratungsgegenstände in eine alphabetische Ordnung brachte. Von A wie ‚Ablösung der ersten Visita­tionsklasse‘ über D ‚Druckerei geheime, ­welche wegen überhangter Diktatur beliebt worden‘ bis Z ‚Zeitungen und Journalien und mittelst derselben verbreitete unechte Visita­tionsnachrichten‘ sind hier auf knapp 1000 Folioseiten alle bei der Visita­tion behandelten Gegenstände mit Verweis auf die entsprechenden Sitzungen aufgelistet.56 Gerade diese über Reduk­tion und Selek­tion erreichte Systematisierung erlaubt es, quantifizierende Aussagen darüber zu treffen, was die Visitatoren in den insgesamt 1056 ­Sitzungen behandelt haben. Darüber hinaus haben sich eine Übersicht der Protokollbeilagen,57 zahllose delega­tionsinterne Verzeichnisse über die Akteninhalte 58 sowie mehrere Kostenübersichten und damit eine Verzeichnisart sui generis erhalten.59 Und auch das Verzeichnis der ausgeliehenen Gerichtsakten, welches am Ende der Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine für Falcke erstellt wurde, ist Bestandteil der archiva­lischen Überlieferung.60 Nicht erhalten hat sich hingegen oder im Dickicht der Aktenmasse nicht gefunden werden konnte die von dem kurmainzischen Sekretär Serger geführte Übersicht, w ­ elche die z­ wischen 1767 bis 1776 von den Visitatoren ausgeliehenen Akten verzeichnet. Gleiches gilt für die von Falcke zu Beginn der Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine so sorgsam aussortierten Notizen in und über die Försterische Akte. Trotz intensiver Archivrecherchen konnten diese nicht gefunden werden. ‚Ersatz‘ bieten hier die fragmentarisch überlieferten Privatakten des kurbayerischen Visitators.61 Schließ­lich erfährt der Quellenbestand eine nicht nur quantitative, sondern insbesondere qualitative Erweiterung durch die privaten Aufzeichnungen, die aus der Feder des kurbraunschweig-­lünebur­gischen (und damit Falckes) 54 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 26. 55 BA AR 1/IV 5. Eine ausführ­liche Beschreibung ­dieses Bestandes bietet Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 681 – 683. Siehe hier (S. 683 f.) auch die zwei anderen Protokollreihen des Plenums, die die Titel tragen Materia praesenta­tionis und Materia ordinaria. 56 HHStA Wien MEA RKG 378. 57 StadtAA RKG 34. 58 So etwa BayHStA KS 5718, das ein Verzeichnis der Korrespondenz, Reskripte, Diarien etc. führt, die in den Monaten August, September und Oktober 1767 anfielen. 59 Siehe A.3. 60 HStA-Han. Cal. Br. 11 4305. 61 BayHStA KS 16624.

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Visita­tionssekretärs Johann Christian Kestner stammten. Bei den rund 600 Blättern,62 die der Sekretär insbesondere mit Beginn der Visita­tion bis zum Ende seiner Visita­tionstätigkeit im Jahr 1772 und darüber hinaus beschrieb, handelt es sich um tagebuchähn­liche Aufzeichnungen, die in der Zeit – so lässt sich wohl treffend pauschalieren – als Grundlage dienten für die Korrespondenz, die Kestner mit einem oder mehreren Freunden führte. Der Reiz ­dieses Quellen­bestandes besteht darin, dass sie gerade nicht von den ernsthaften Geschäften – so ­Kestners Formulierung für die Tätigkeit der Visita­tion – handeln, sondern von den hiesigen Lustbarkeiten und Zeitvertreiben 63 sowie anderen Begebenheiten, die zwar auch die Visita­tionsjahre oder zumindest das Leben Kestners bestimmten, aber von allen vorgenannten Quellen, ihrer Gattung wegen, verschwiegen werden. Mit dem Tagebuch 64 Kestners ist es also mög­lich, den handschrift­lichen Blick auf die Visita­tion zu weiten. Ausgehend von ­diesem Quellenbestand sowie den thematischen und methodischen Zugriffen auf die letzte Visita­tion des RKG ergibt sich folgender Aufbau der Studie. Kapitel A folgt dem Schlagwort Reformzeiten. Hier geht es darum, die Visita­tion samt Eigengeschichte in den erweiterten Kontext eines aufgeklärten Reformjahrhunderts zu stellen. Daneben soll der Frage nachgegangen werden, ­welche Bedeutung der Faktor Zeit für die Visita­tion hatte. Dieser Punkt eröffnet einen Themenbogen, der sich von der idealtypischen Rekonstruk­tion eines von Arbeits- und Ferienzeiten durchsetzten Visita­tionsjahres über die Auswertung von Kostenabrechnungen (Zeit ist Geld!) bis zu der begriffsgeschicht­lichen ­Analyse des Wortes ‚Weitläufigkeit‘ erstreckt. Kapitel B beschreibt zunächst die Stadt Wetzlar als einen vielgliedrigen Reformraum, der nicht nur den Beratungssaal der Visitatoren, sondern auch die Diktaturstube, die Gesandtschaftsquartiere, die ­Kirchen und andere Orte umfasste. Darauf aufbauend soll in Anknüpfung an die bisherigen Ausführungen deut­lich gemacht werden, dass die Visita­tion zwar ihr verräum­lichtes Zentrum in Wetzlar fand, andernorts jedoch und nament­lich an den Höfen und in den Städten der mit der Visita­tion beauftragten Obrigkeiten sowie in der Medienöffent­lichkeit gleichfalls vieles um die Visita­tion kreiste. 62 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 u. I. B.2. Ich danke dem Stadtarchiv Hannover und nament­ lich Frau Christine Peters für die Mög­lichkeit, diese Bestände in digitalisierter Form zu bearbeiten. Da nicht alle Blätter foliert sind und aufgrund des Digitalisats nicht ersicht­ lich ist, ob ein Einzelblatt vorne und hinten oder nur einfach beschrieben wurden, kann der angegebene Umfang nur als Richtwert verstanden werden. 63 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1, fol. 2. 6 4 Das Wort Tagebuch ist eine unpräzise, aber dennoch brauchbare Kurzumschreibung, die der Offenheit dieser Gattung – siehe hierzu Schönborn, Tagebuch (2011) – entspricht.

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Kapitel C widmet sich den Akteuren. Von besonderem Interesse sind hierbei die Protagonisten der Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine, also die Visitatoren und Sekretäre. Ausgehend von einem archivhistorischen Zugriff, der danach fragt, warum sich in den Archiven ­welche Schriftstücke unter ­welchen Entstehungszusammenhängen erhalten haben, lassen sich diese beiden Akteursgruppen als die zentralen ‚Schriftakteure‘ der Visita­tion begreifen, da ein Großteil der schrift­lichen Überlieferung ihren Köpfen und Händen entsprang. Die Visita­tionsprotokolle etwa, die über 15.000 Folioseiten umfassen 65 und unzählige Regalmeter in den verschiedensten Archiven füllen, dokumentieren, dank der mühsamen Schreibarbeit der Sekretäre, die im Visita­tionsplenum geführten Beratungen und damit sämt­liche Voten, ­welche die Visitatoren (u. a. nach vorheriger Akteneinsicht) schrift­lich oder münd­lich zu Protokoll gaben. Die Fokussierung auf diese Personengruppen darf natür­lich nicht bedeuten, andere Akteursebenen zu übergehen. Ein archivhistorischer Zugriff erfordert es vielmehr, mög­lichst alle Akteure zu benennen oder doch zumindest mit zu bedenken, die direkt oder indirekt zur Bildung des Schriftbestandes beitrugen. Die Vielzahl an Akteuren 66 erfordert eine forschungspragmatische, aber auch archivhistorisch sinnvolle und gegenstandsgerechte Reduk­tion. Aus ­diesem Grund stehen in erster Linie, neben den Visitatoren und den Sekretären, die Visitierten, also die Gerichtsangehörigen, im Mittelpunkt der Studie. Die ‚lebenswelt­lichen‘ Informa­tionen, die sich durch die Auswertung (wissenschaft­licher) Literatur und biographischer Nachschlagewerke, teils aber auch durch die eingesehenen Archivalien gewinnen ließen, ermög­lichen es, sich diesen Akteuren prosopo­ graphisch zu nähern. Wie der Anhang (unter Punkt 2) ausweist, konnten hierbei insgesamt 56 Visitatoren und 87 Sekretäre sowie 28 den Sekretären untergeordnete Kanzlisten ermittelt werden. Aufbauend auf die lebenswelt­liche Erfassung der Akteure wird in Kapitel D ein verfahrensgeschicht­licher Zugriff auf die Visita­tion erfolgen. Gerahmt von dem solennen Verfahrensauftakt und dem unsolennen Verfahrensende sowie 65 In dem bereits vorgestellten kurmainzischen Verzeichnis der Beratungsgegenstände [HHStA Wien MEA RKG 378] wird unter dem Eintrag ‚Vollmachten der vierten Visita­ tionsklasse‘ vom 8. Mai 1776 – es war die 1056. und letzte Sitzung – auf die 15732. Proto­­ kollseite verwiesen. 66 Es sind u. a. zu nennen: der Kaiser, die Landes- und Stadtherren, die Amtselite, die sich auf territorialer oder reichsstädtischer Ebene mit der Visita­tion beschäftigt hat, die Gesandten auf dem Reichstag, die Autoren der visita­tionsrelevanten (und daher in den Archiven verwahrten) Druckschriften, die zu visitierenden Gerichtsangehörigen, aber auch die unzähligen, zumeist namenlosen ‚Helfer‘ (Drucker, Fuhrmänner der zu transportierenden Schriftstücke, Schreiber, Papierhersteller etc.).

Methodische Zugänge, Quellen und Aufbau der Studie

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dem Blick auf eine mehrmonatige Verfahrensunterbrechung, die um den Visitator Falcke kreiste, wird es in ­diesem Kapitel darum gehen, die Visita­tion als ein Verfahren zu beschreiben, das sich einerseits aus sehr verschiedenen, formellen und informellen Verfahrenselementen zusammensetzte. Andererseits sollen genau jene münd­lichen und schrift­lichen Verfahrenselemente dargestellt werden, w ­ elche die Genese der delega­tionsübergreifenden und delega­tionsinternen Akten bedingten. Hier also erfolgt die eingangs eingeforderte Analyse des Entstehungsumfeldes aller Akten, die heute scheinbar selbstverständ­lich in den Archiven lagern. Kapitel E widmet sich abschließend den Verfahrensinhalten. Im Zentrum wird hierbei das bereits vorgestellte kurmainzische Aktenverzeichnis stehen. Es ermög­licht, auf einer quantitativen Basis verschiedene Arbeitsfelder der Visita­tion zu bestimmen, die nicht zuletzt die Schriftpraxis RKG betrafen. Daneben wird in d­ iesem Kapitel ein Korrup­tionsfall behandelt werden, der zur Entlassung dreier Assessoren führte. Die Studie bedient sich also, so lässt sich resümieren, einer Vielzahl an Methoden, um die Zeiten, Räume, Akteure, das Verfahren und die Inhalte der RKG Visita­tion mög­lichst dicht zu beschreiben.67 Jedes Großkapitel wird eigens etwas breiter eingeführt, als es an dieser Stelle mög­lich ist. So werden in Kapitel A und B die geisteswissenschaft­lichen Grundkategorien Raum und Zeit thematisiert. Kapitel C reflektiert eingangs darüber, inwiefern sich die Akteure der Visita­tion als eine juristische Funk­tionselite begreifen lassen. Kapitel D wiederum präzisiert den verfahrensgeschicht­lichen sowie Kapitel E die methodischen und inhalt­ lichen Zugriffe auf die Reforminhalte der Visita­tion. Der Methodenpluralismus der Studie reicht hierbei von archiv-, alltags-, verwaltungs-, verfahrens-, wissens-, begriffs- und diskursgeschicht­lichen Ansätzen bis zu einem quantitativen und prosopographischen Zugriff. Diese Zugänge sollen es ermög­lichen, aus einer praxeolo­gischen Perspektive – und dies heißt in erster Linie, mit dem alltäg­lichen Handeln der Akteure – der Genese und Funk­tion der massenhaft überlieferten Schrift­lichkeit nachzugehen.

67 Wolff, Anatomie der Dichten Beschreibung (1992).

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Einleitung

3. Untersuchungsgegenstände und Forschungskontexte 3.1 Die Visitationen (des Reichskammergerichts), das Reichskammergericht und das römisch-deutsche Reich Visita­tionen lassen sich allgemein umschreiben als „aufwändige Inspek­tions­ verfahren, die von der mittelalter­lichen römischen Kurie entwickelt worden waren und in der Frühen Neuzeit […] von kirch­lichen und welt­lichen Obrigkeiten gleichermaßen genutzt wurden“.68 Damit angesprochen ist dreierlei. Zum einen verweisen die bereits für das 4. Jahrhundert bezeugten Visita­tionen, ­welche die Bischöfe in ihren Gemeinden durchgeführt haben, auf den begriffsgeschicht­ lichen Befund, dass das Wort ‚Visita­tion‘ spätlateinischen Ursprungs ist und so viel bedeutet wie ‚Besichtigung‘, ‚Besehung‘ oder ‚Besuch‘, aber auch, im übertragenen Sinne, ‚Heimsuchung‘ oder ‚Strafe‘. Das Verb ‚visitare‘ lässt sich demnach mit einem Handlexikon aus dem 18. Jahrhundert als ‚besuchen‘, ‚heimsuchen‘ oder ‚besehen‘ übersetzen.69 Zum anderen sind Visita­tionen seit ihren Ursprüngen in erster Linie eine rein kirch­liche Angelegenheit 70 insofern, als darunter „die Ausübung der der kirch­lichen Autorität zustehenden Aufsichtsfunk­tion über das glaubens-, sitten- und ordnungsgemäße Verhalten der Kirchenangehörigen sowie über den Zustand der kirch­lichen Sachen und Einrichtungen und Bauten verstanden“ wird.71 Die insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren erforschten Kirchenvisita­tionen  72 widmeten (und widmen sich) dabei „einzelnen Gemeinden, 68 Brakensiek, Legitima­tion durch Verfahren? (2010), S. 366. Siehe auch die reichhal­tigen, lexika­lischen bzw. enzyklopädischen Überblicksartikel über das Visita­tionswesens, so bspw. (sortiert nach Erscheinungsjahr): Strauss, Visita­tions (1996); Winter, Visita­tion (1996); Puza, Visita­tion (1997); Becker, Visita­tion (1998); Lang, Visita­tionsakten (2001); Oberste/Hirnsperger/Schmitter, Visita­tion (2001), Peters/Krause, Visita­tion (2003); Hein, Visita­tion (2005); Brakensiek/Simon, Visita­tion (2011). 69 Samuel Oberländer, Lexikon Juridicum Romano-­Teutonicum, Nürnberg 1753. Unveränderter Nachdruck der 4. Aufl. hg. u. eingeleitet von Rainer Polley, Köln u. a. 2000, S. 717. Die begriffsgeschicht­liche Einordnung folgt Frieb, Kirchenvisita­tion und Kommunika­tion (2006), S. 7. 70 Wobei natür­lich nicht die moderne Trennung von K ­ irche und Staat zugrunde gelegt werden darf. Im frühen Mittelalter etwa „entwickelte sich aus der bischöf­lichen Visita­ tion das sogenannte Synodal- oder Sendgericht, das sich sowohl mit geist­lichen Vergehen als auch mit welt­lichen Verfehlungen zu befassen hatte“ [Frieb, Kirchenvisita­tion und Kommunika­tion (2006), S. 4]. 71 Frieb, Kirchenvisita­tion und Kommunika­tion (2006), S. 7. 72 Die ­zwischen 1973 und 1984 im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs ‚Spätmittelalter und Reforma­tion‘ unter der Federführung Ernst Walter Zeedens erbrachten

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Klöstern und kirch­lichen Schulen, aber auch größeren kirch­lichen Verbänden und ganzen Diözesen […]“.73 Und schließ­lich, drittens, wurde in der Frühen Neuzeit immer öfter und insbesondere im welt­lichen Bereich visitiert.74 Dafür steht nicht nur die Visita­tion des RKG , sondern auch die in den letzten Jahren vermehrt erforschten landesherr­lichen Visita­tionen, „die sich auf Amtsträger und Untertanen gleichermaßen erstreckten“.75 Die Visita­tion war ein in der Spätantike/im Frühmittelalter wurzelndes früh­ neuzeit­liches ‚Erfolgsmodell‘, weil es einerseits sehr flexibel einsetzbar war. Wie André Holenstein am Beispiel der Markgrafschaft Baden-­Durlach deut­lich gemacht hat, beschränkten sich die Gegenstände nicht nur auf K ­ irchen, Schulen oder die Bereisung einzelner Landesteile, sondern erstreckten sich auch auf Apotheken, Wirtshäuser, Mühlen, Landstraßen, Gemeindewälder oder Privathäuser.76 Überdies entwickelten sich in Baden seit dem Ende der 1760er Jahre (!) die lokal verankerten Frevelgerichte zu umfassenden Gemeindevisita­tionen, die sich dem „Gedeihen des sitt­lichen und ökonomischen Zustandes der Gemeinden“ widmeten – ein Wandel, den Holenstein dahingehend deutet, dass „das bürokratische Interesse an der administrativen Nutzung dieser Einrichtung“ zunahm,

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Forschungsleistungen dokumentiert insbesondere das dreibändige Repertorium der Kirchenvisita­tionsakten (1982/1984/1987; hg. v. Zeeden u. a.) sowie die Sammelbände ‚Die Visita­tion im Dienst der K ­ irche‘ (1977; hg. v. Zeeden/Molitor) und ‚Kirche und Visita­tion, Beiträge zur Erforschung des frühneuzeit­lichen Visita­tionswesens in Europa‘ (1984; hg. v. Zeeden/Lang). Die Früchte dieser Forschungen gehen auch aus Beiträgen jüngeren Datums hervor, so z. B. Lang, Visita­tionsprotokolle (2002). Frieb, Kirchenvisita­tion und Kommunika­tion (2006), S. 7. Eine strenge Unterscheidung ­zwischen ‚geist­licher‘ und ‚welt­licher‘ Visita­tion ist natür­lich nicht immer mög­lich. So lässt sich bei den „nachreformatorischen Visita­tionen protestantischer Prägung“ in Anlehnung an das Mittelalter (siehe Anm. 70) eine „enge Verknüpfung von geist­lich-­seelsorger­lichen und welt­lich-­polizei­lichen Untersuchungsgegenständen“ beobachten [Schnabel-­Schüle, Landesvisita­tionen und Kirchenvisita­tionen (1997), S. 178]. Siehe zu den Überschneidungen z­ wischen kirch­lichen und welt­lichen Visita­ tionen auch Holenstein, Gute Policey (2003), S. 316 und Näther, Kurbayerische Visita­tionen (2011), S. 240. Brakensiek, Legitima­tion durch Verfahren? (2010), S. 366. Die Visita­tionsforschung der letzten Jahre, der sich auch Näther mit Kurbayerische Visita­tionen (2011) und Produk­tion von Normativität (2014) sowie Brochhagen mit Visita­tion in Grebenstein (2012) und Akzeptanz fürst­licher Herrschaft (2014) widmen, gründet sich im Wesent­ lichen auf Holenstein, Gute Policey (2003). Siehe aber auch Klingebiel, Ein Stand für sich? (2002), S. 99 – 140. Holenstein, Gute Policey (2003), S. 305 – 342. Siehe insbesondere Tabelle 3.4. (S. 307 f.) ‚Übersicht über die in der badischen Gesetzgebung erwähnten regelmäßigen Visita­tionen‘.

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um die „Durchsetzbarkeit der Policeygesetzgebung in den Landgemeinden“ zu kontrollieren.77 Oder aber – ein weiteres Beispiel – die Universitäten. Auch sie wurden visitiert, wie etwa in Jena in den Jahren 1766/67.78 Die nicht zuletzt im Zedler dokumentierte ‚Erfolgsgeschichte‘ der Visita­tionen,79 die schließ­lich die ‚­reichische‘, aber auch die territoriale Gerichtsbarkeit erfasst hat,80 hängt andererseits damit zusammen, dass es den Staat im modernen Sinne einschließ­lich eines klar umgrenzten, herrschaft­lich gleichförmig ‚erfassten‘ Staatsgebietes noch nicht gab.81 Der werdende, frühneuzeit­liche Staat benötigte vielmehr Mittel und Wege, um seine Herrschaftsansprüche, die an sehr unterschied­lichen herrschaftsund daher visita­tionsrelevanten Orten bestanden, durchsetzen zu können. Aus ­diesem Grund – so lässt sich mit Stefan Brakensiek festhalten – kamen im Laufe der Frühen Neuzeit verschiedene „Inspek­tions- und Implementa­tionsverfahren“ zur Anwendung, „die für den frühneuzeit­lichen Staatswerdungsprozess charakteristisch waren, nament­lich Visita­tionen, Supplika­tionen, Berichte und Enquêten“.82 77 Holenstein, Gute Policey (2003), S. 486 u. 492 sowie insgesamt zu ­diesem Wandel mit einem vergleichenden Blick auf andere Territorien S. 478 – 518. 78 Veltjens, Visita­tion Universität Jena (2010). Ausführ­licher Kublik, Universität Jena um 1800 (2009), S. 33 – 62. Ich danke Dr. Ulrich Rasche für die Hinweise. Siehe überdies zu den universitären Visita­tionen Clark, Academic Visita­tions (2001). 79 Das Universallexikon führt in Auswahl [!] etwa folgende Einträge: Cammer-­Gerichts-­ Visita­tionen oder Visita­tions-­Täge (Bd. 5, Sp. 434); Haus-­Visita­tionen derer Pfarrherren (Bd. 12, Sp. 912), ­Kirchen-­Visita­tion (Bd. 15, Sp. 754), Local-­Visita­tion (Bd. 18, Sp. 69); Reichs-­Visita­tions-­Abschied (Bd. 31, Sp. 192), Schul-­Visita­tion (Bd. 35, Sp. 1645), ­Visitandis Jus, Visitare, Visitateur, Visitatio, Visitatio Apothecarum, Visitatio Camerae Imperialis, Visitatio Carceris oder die Visita­tion eines Gefängnisses, Visitatio ­Cauponarum oder die Visita­tion der Schenck- und Wirts-­Häuser, Visitatio Coenobiorum oder die Visita­tion der Klöster, Visitatio Diocesana, Visitatio Ecclesiastica, […] Visita­tion der Scheuern und Korn-­Böden, Visitatio Judicii Cameralis Supremi, Visitatio Judicorum, ­Visitatio Limitum – die Visita­tion der Grentz oder Wahl-­Steine, Visitatio Localis, ­Visitatio ­Medicamentorum, Visitatio Mercium, Visitatio Molendinorum, Visitatio Monasteriorum, Visitatio Mulierum Suspectarum oder die Visita­tion verdächtiger Weibs-­Personen (alle Bd. 48. Sp. 1837 f.). 80 Eine Gerichtsvisita­tion auf landesherr­licher Ebene behandelt am Beispiel des Kurfürstentums Braunschweig-­Lüneburg Stodolkowitz, Oberappella­tionsgericht Celle (2011), S. 105 – 117, wobei die nach dem Vorbild der RKGO von 1555 eingerichtete Visita­tion in der Rechtswirk­lichkeit nie zur Anwendung kam. Siehe darüber hinaus auch die Visita­ tionen bei dem Wismarer Tribunal. Diese thematisiert Reslow, Visita­tion des Tribunals (2003). 81 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002). 82 Brakensiek, Legitima­tion durch Verfahren? (2010), S. 365. Siehe auch Brakensiek, Einleitung: Herrschaft und Verwaltung (2014) sowie insgesamt Ders./Bredow/

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Visita­tionen können damit als Teil eines frühneuzeit­lichen Herrschaftskanons begriffen werden, der auch die Bittschriften der Untertanen sowie jene gutacht­ lichen Berichte umfasste, die etwa die Zentralbehörden oder auch lokale Amtsträger für den Landesherren erstellten, aber auch die Enquête-­Kommissionen beinhaltete, die Stellung bezogen zu „zentralen zeitgenös­sischen Problemen (wie dem Konfessionsstand der Untertanen, der Steuerveranlagung, der Aushebung von Rekruten, dem Ausbau der Infrastruktur, der Wirtschaftsförderung)“.83 All diese genannten Verfahren dienten der „Verdichtung von Inter­ak­tionen ­zwischen zentralen Behörden einerseits und Korpora­tionen, Haushalts­vor­ ständen und Individuen andererseits“.84 Die dabei so charakteris­tische „Dreiecks-­ Kommunika­tion ­zwischen Vertretern der fürst­lichen Zentrale, regionalen bzw. lokalen Amtsträgern und Untertanen“85 gab es auch, wenngleich etwas anders gelagert, bei der Visita­tion des RKG. Neben dem Kaiser und den visita­tionsberechtigten Reichsständen waren es allen voran die mit Vollmachten ausgestatteten Visitatoren und die vor Ort zu überprüfenden Gerichtsangehörigen, die das ‚Visita­tionsgefüge‘ des römisch-­deutschen Reiches prägten. Jeder Eckpunkt bzw. Träger dieser ‚reichischen‘ Dreiecks-­Kommunika­tion ist wiederum als eine sehr dynamische und keineswegs in sich geschlossene Akteursebene zu begreifen. Bezogen auf die ‚reichische‘ Zen­ trale (Kaiser und Reichsstände) lässt sich festhalten, dass es ein Wesensmerkmal der RKG-Visita­tionen, aber auch der anderen Gerichtsvisita­tionen auf landesherr­licher Ebene war,86 dass hier Kaiser und Reichsstände bzw. Landesherr und Landstände um den politischen Einfluss auf die jeweilige Gerichtsinstanz und damit um einen zentralen Bereich vormoderner Staat­lichkeit rangen. Die bisherigen Forschungen zur RKG-Visita­tion lassen dabei erkennen, dass das Interesse eindeutig bei der Visita­tionsspitze lag. Allen voran Karl Otmar von Aretin hat aufbauend auf zwei Promo­tionsschriften aus den Jahren 1929 und 196887 das visita­tionspolitische Agieren auf dem Reichstag und insbesondere am ­Wiener Kaiserhof bearbeitet.88 Das zentrale Forschungsergebnis lautete hierbei,

Näther, Herrschaft und Verwaltung (2014), 83 Brakensiek, Legitima­tion durch Verfahren? (2010), S. 369. 84 Ebd., S. 371. 85 Ebd. 86 Siehe Anm. 80. 87 Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichskammergerichtsvisita­tion (1929) und Rohr, Reichstag (1968). 88 Aretin, Kaiser Joseph II. (1991) (auch erschienen in der Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Bd. 11, Wetzlar 1991); Aretin, Reichsreformpläne (1997); Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 135 – 159.

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dass die Visita­tion an dem reformpolitischen Unwillen insbesondere der protestantischen Reichsstände scheiterte und der reformfreudige Kaiser Joseph II., der die Visita­tion viele Jahre mit großer Begeisterung unterstützt hat, „sich vom Reich abwandte“, so dass in „diesem Sinne […] die mit so viel Idealismus begonnene Reform der obersten Reichsgerichte letzten Endes reichszerstörend“ wirkte.89 Wurde also die Visita­tion machtpolitisch missbraucht? Scheiterte sie tatsäch­lich, so Axel Gotthard, an dem „Unwillen der großen, sich vom Reich freischwimmenden Territorien, sich von den Reichsgerichten in ihre ‚Staatsangelegenheiten‘ hineinpfuschen zu lassen“?90 So wichtig die bisherigen und in den entsprechenden Abschnitten noch eingehend zu berücksichtigenden Forschungen sind, 91 eine rein politikzentrierte Deutung der Geschehnisse greift eindeutig zu kurz. Sie unterstellt zumindest implizit und unter Umgehung oder Marginalisierung der erzielten ‚Teilergebnisse‘ der Visita­tion,92 dass die Visitatoren und damit die Hauptakteure vor Ort machtpolitische ‚Handlanger‘ ihrer Obrigkeit waren. Eine ­solche Sicht widerspricht jedoch nicht nur dem Selbstverständnis der Visitatoren, sondern auch dem Bemühen vieler Akteure (einschließ­lich des Kaisers), die Visita­tion erfolgreich voranzutreiben. Das Kernproblem der Visitation bestand vielmehr in ihrer zeitintensiven Arbeit. Zu fragen ist deshalb ebenso, warum das Verfahren der Visita­tion so langatmig oder eben – in der Sprache der Zeitgenossen – so weitläufig war. Eine ­solche Frage unter Vermeidung der dichotomischen Pauschalkategorie von reform- bzw. machtpolitischem Willen und Unwillen ergebnisoffen zu stellen heißt, sich mit der Funk­tionsweise der Visita­tion auseinanderzusetzen. Gerade aus d­ iesem Grund verfolgt die Studie einen verfahrensgeschicht­ lichen Ansatz. Das Verfahren muss hierbei aus seiner Zeit und aus der Praxis heraus behandelt werden. Damit verbunden ist, dass in dieser Einleitung auch kein Kurzabriss über die Geschichte der RKG-Visita­tion vom beginnenden 16. Jahrhundert bis 1767 zu finden ist. Herauszuarbeiten ist vielmehr, 93 dass sich die Zeitgenossen vor und zu Beginn der Überprüfung vor allem anhand

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Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 158. Gotthard, Alte Reich (2003), S. 143. A.1., B.2. u. D.6. Die Visita­tion blieb zwar Stückwerk. Dessen ungeachtet kann mit Burkhardt, Deutsche Geschichte (2009), S. 123 festgehalten werden, dass die Visita­tion „kein Fehlschlag [war]: Richterkorrup­tion wurde geahndet, Finanzierung und Beitragsmoral verbessert, eine Stellenvermehrung in die Wege geleitet, und die nicht verabschiedeten Regelungen wurden gedruckt und gingen in die Gerichtspraxis ein.“ 93 Siehe hierzu A.1.2.

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von Archivalien die Eigengeschichte der Visita­tion vergegenwärtigten, um ihr Handeln reformgeschicht­lich zu fundieren und zu legitimieren. An dieser Stelle genannt werden soll ledig­lich, dass die hier behandelte Visita­tion die letzte ihrer Art war. Obgleich Ende der 1780er Jahre auf dem Reichstag über die neuer­liche Aufstellung einer Visita­tion verhandelt wurde,94 kam es in der ausgehenden Reichsgeschichte nie wieder zu einer Überprüfung des höchsten ständischen 95 Reichsgerichts. Das Verfahren der allerletzten RKG-Visita­tion von 1767 bis 1776 einschließ­ lich seiner Eigengeschichte in das Zentrum der Studie zu stellen bedeutet, die bislang vernachlässigten oder auch übergangenen Träger des kommunika­tiven Visita­tions-­Dreiecks zu behandeln. Der eine Träger, das RKG, hat dabei in den letzten Jahrzehnten eine intensive Erforschung erfahren. Dafür steht neben der 1985 gegründeten Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e. V.,96 der dazugehörigen Forschungsstelle und dem 1996 initiierten Netzwerk Reichs­ gerichtsbarkeit,97 dessen interdisziplinäre Tagungsergebnisse regelmäßig publiziert werden,98 nicht zuletzt auch die seit 1973 bestehende Reihe ‚Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich‘. Die hier präsentierten Forschungen zu den beiden höchsten Gerichten des Alten Reiches bilden eine wichtige Grundlage für die vorliegende Studie. Hervorzuheben sind die 2003 von Sigrid Jahns vorgelegten Einzelbiographien der im 18. Jahrhundert am RKG tätigen Assessoren und sonstigen Präsentierten sowie der hierüber im Jahr 2011 vorgelegte darstellerische Teil.99 Die Erforschung des RKG und von dessen

94 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 159. 95 Das RKG war natür­lich immer auch kaiser­lich. Es geht jedoch um die Grundausrichtung in Abgrenzung zu dem am Kaiserhof angesiedelten RHR. Dem widerspricht auch nicht, dass die Zeitgenossen das RKG zumeist mit dem Zusatz ‚kaiser­lich‘ oder dergleichen bezeichneten. Siehe zu dem „zwar umständ­lichen, jedoch korrekten, weil der dualis­ tischen Verfassungskonstruk­tion des Gerichts gemäßen Titel ‚kaiser­lich und des Reichs Kammergericht‘“ bzw. zu der „nicht mehr ausrottbaren und zumeist unreflektierten Gewohnheit[sbezeichnung]“ RKG einschließ­lich einer ­kurzen Begriffsgeschichte Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 1 (Anm. 1) u. S. 42 (Anm. 6). 96 Siehe den Internetauftritt (www.reichskammergericht.de) sowie die eigene Schriftenreihe der Gesellschaft. 97 Siehe www.netzwerk-­reichsgerichtsbarkeit.de (24. 02. 2015). 98 Baumann u. a., Prozeßakten als Quelle (2001); Baumann u. a., Reichspersonal (2003); Baumann u. a., Prozesspraxis (2005); Amend u. a., Gerichtslandschaft Altes Reich (2007); Amend u. a., Frankfurt als Gerichtslandschaft (2008) sowie zuletzt Amend-­Traut u. a., Reichsgerichte als mediales Ereignis (2012). 99 Jahns, Richter Darstellung (2011); Jahns, Richter Biographien (2003).

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Personal – hervorzuheben sind auch die Arbeiten von Anette Baumann über die Anwälte 100 – ist dabei Teil einer forschungsgeschicht­lichen Entwicklung, die um die Um-, Neu- und Aufwertung des Alten Reiches kreist.101 Die vorliegende Studie steht in der Tradi­tion dieser Neubewertung, und zwar allein schon deshalb, weil die Visita­tion auf genau jener Herrschaftsordnung fußte, die lange Zeit als Makel des Na­tionalstaates galt. Wie noch deut­lich wird, war die Visita­tion eine Begebenheit des gesamten römisch-­deutschen Reiches. Diese ‚visita­tionsimmanente‘ Tatsache bedingte, dass eine Vielzahl an Reichsständen das oftmals umstrittene Recht besaß, eine Visita­tionsdelega­tion nach Wetzlar zu entsenden. Die Aufstellung einer Delega­tion – sie bestand in der Regel aus einem Subdelegierten, einem Sekretär und einem Kanzlisten – folgte dem 1654 im Jüngsten Reichsabschied (§ 201 – 205) festgelegten Schema (siehe Anhang Punkt 1).102 Diesen Bestimmungen entsprechend traten im Mai 1767 die ersten 24 kurfürst­ lichen, fürst­lichen, prälatischen, gräf­lichen und reichsstädtischen Delega­tionen zusammen. Nach sieben Jahren wurde diese konfessionsparitätisch besetzte erste Gruppe oder ‚Klasse‘, so die zeitgenös­sische Bezeichnung, von einer zweiten, 1775 von einer dritten und im Mai 1776 von einer vierten und letzten Visita­tionsklasse abgelöst. Zu jeder der ursprüng­lich fünf vom Jüngsten Reichsabschied vorgesehenen Klassen gehörten zudem zwei vom Kaiser ernannte Kommissare, denen die Oberaufsicht über das ganze Unternehmen oblag. Da allen voran dem Mainzer Erzkanzler die Vertretung in allen Klassen gebührte und etwa auch Kurbayern nicht nur in der ersten Klasse als Herzogtum, sondern auch in der vierten Klasse als Kurfürstentum vertreten war, lassen sich zusammengenommen rund 70 Reichsstände zählen, die an der letzten außerordent­lichen Visita­tion des RKG mitwirkten. Diese Klassenordnung des Visita­tionsverfahrens war in der Zeit sehr umstritten. Gerade Theo Rohr hat deut­lich gemacht, dass auf dem Reichstag vielfach um die Verfahrensdauer sowie die Zusammensetzung der einzelnen Visita­tionsklassen gerungen wurde.103 Bislang vergessen wurde jedoch, diese Konflikte in Beziehung zu setzen mit dem Verfahren vor Ort. Es fehlt also das kommunikative ‚Herzstück‘ der

100 Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Speyer (2000); Baumann, Anwälte am RKG (2001); Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Wetzlar (2006); Baumann, Prokuratoren. Stand der Forschungen (2003). Siehe ferner Baumann/Jendorff, Adel, Recht und Gerichtsstand (2014). 101 Siehe beispielhaft Burkhardt, Vollendung (2006). 102 Der gesamten Studie zugrunde liegt die Edi­tion von Laufs, Adolf, Bern/Frankfurt a. M. 1975. Hierfür steht im Folgenden die Abkürzung JRA. 103 Rohr, Reichstag (1968), S. 67, 72 f., 128 – 143, 241 – 283. Zur Klassenordnung auch Denzler, Mediales Großereignis (2008), S. 57 – 65.

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Visita­tion bzw. – um im Bild zu bleiben – der zweite Träger des Visita­tionsdreiecks. Und da das Handeln und Tun, aber auch Nichttun des RKG in den Jahren der Visita­tion noch weitgehend unerforscht ist, kann festgehalten werden, dass die Studie das Ziel verfolgt, zwei zentrale Träger der Visita­tion zu ergründen – Träger, die auf das schrift­liche und münd­liche Handeln ihrer Akteure gründen. 3.2 Das Ende des römisch-deutschen Reiches, die Sattelzeit und Goethes ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ Die Frage nach den drei Akteursgruppen (Visitatoren, Sekretäre und Gerichtsangehörige) und mit diesen nach dem Entstehungszusammenhang der Quellen verfolgt das zentrale geisteswissenschaft­liche Erkenntnisziel, „historische Phänomene aus ihrer jeweiligen Besonderheit […] heraus zu begreifen“.104 Dieses Verstehenwollen hat jedoch seine Grenzen. So lässt sich im Hinblick auf die eingangs beschriebene Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine fragen, warum Falcke so bemüht war, den Original-­Empfangs-­Schein von dem Sekretär Serger zu erhalten? Ging es einfach um die ordnungsgemäße Abwicklung eines Leihgeschäfts oder stand vielmehr das Bemühen im Vordergrund, das kurmainzische Direktorium an den verantwortungsvollen Umgang mit dessen ‚Schriftmacht‘ zu erinnern? Welche Bedeutung spielte hierbei die famose, also für Falcke nicht unbedeutende Försterische Sache? War es die persön­liche Unterschrift, die bei der Försterischen Akte erging und die beim übrigen Aktenleihverkehr wohl ausgeblieben war, die das Verlangen nach Ordnung nährte? Oder wurde sogar ein ‚letztes‘ und im Angesicht der Hierarchien (Visitator und Sekretär) bewusst ungleiches ‚Gefecht‘ im ‚Schatten‘ der aufgelösten Visita­tion ausgetragen? Welche Rolle spielten hierbei die körper­lichen Schmerzen, die Falcke zu d­ iesem Zeitpunkt in nicht unerheb­ lichem Maße ertragen musste?105 Fragen wie diese gleichen einer vergeb­lichen und vielfach auch verpönten, da nur begrenzt mög­lichen Suche nach der Motiva­tion und Inten­tion der handelnden Akteure.106 Dessen ungeachtet soll hier offen genannt werden, dass der Verfasser 104 Muhlack, Verstehen (2002), S. 310. Zur Problematik der Begriffszwillinge Erklären/ Verstehen Daniel, Kulturgeschichte (2006), S. 400 – 4 09. 105 Falcke schrieb zu Beginn des angeführten Berichts, dass er unter einer Catharrha­lische[n] Unpäß­lichkeit litt, wozu sich, neben den seit Längerem akuten Gichtischen Zahnschmerzen, ein steifer Hals und jetzo ein […]Magen Krampf gesellet hat [HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Falcke an König 21. Mai 1776]. 106 Obgleich sich ­diesem Thema, wenn auch recht lose, der Historikertag des Jahres 1998 gewidmet hat. Siehe Recker/Eizenhöfer/Kamp, Inten­tionen  – Wirk­lichkeiten.

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der vorliegenden Studie ein ums andere Mal über den Akten brütete und sich die Frage stellte: Warum? Warum handelten die Akteure so, wie sie handelten? Die Schwierigkeit, eine s­ olche Frage zu beantworten, besteht vor allem darin, dass eine Handlung nie voraussetzungslos geschieht. Es sind vielmehr Strukturen, die jeder Handlung und jedem Ereignis vorausgehen und die diese beeinflussen.107 Für das Thema der vorliegenden Studie sind vor allem zwei strukturelle Entwicklungslinien hervorzuheben. Zum einen handelt es sich bei der RKG-Visita­tion von 1767 um das größte Reformprojekt der ausgehenden Reichsgeschichte. Folgt man dem bisherigen, bereits angesprochenen Forschungsbefund, dann blieb die Reform unvollendet, weil das Reich aufgrund des österreichisch-­preußischen Dualismus, der mentalen Entfremdung (mittel-)großer Reichsstände sowie der (zunehmend anachronis­ tischen) hierarchisch-­föderalen Vielgliedrigkeit des Reiches reformunfähig war. War das Alte Reich also unfähig und unwillens, das RKG und damit eine der zentralen Säulen des Reichsverbandes zu reformieren? Und wurde vielleicht sogar – so eine gern bemühte Deutung – mit dem vorzeitigen Ende der allerletzten RKG-Visita­ tion die ‚finale‘, bis 1806 andauernde Auflösungsphase des Reiches eingeläutet?108 In Zurückweisung jeg­licher teleolo­gischer Betrachtungsweisen möchte die Studie sich diesen Fragen widmen, indem sie erörtert, warum die Visita­tion so ‚weitläufig‘ war und warum diese von den Zeitgenossen so häufig beklagte Langatmigkeit dazu führte, dass die Visita­tion trotz neunjähriger Arbeit die mit ihr verbundenen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Ein schrift- und akteurszentrierter Zugriff ermög­licht es hierbei, unter Berücksichtigung des jüngst behandelten „Reich[s] der Schrift­lichkeit“,109 differenzierter zu bestimmen, ­welche Mög­lichkeiten und Grenzen eine ‚schriftproduzierende‘ Reform ‚nach Art des Reiches‘ hatte. Zum anderen ist zu bedenken, dass der Untersuchungsgegenstand in eine Übergangszeit fällt. Damit angesprochen ist die Kosellecksche Vorstellung, dass ­zwischen 1750 und 1850 „alte Worte neue Sinngehalte gewonnen haben, die mit der Annäherung an unsere Gegenwart keiner Übersetzung mehr bedürfen“.110

Berichtsband Historikertag 1998 (1999). 107 Koselleck, Zeitschichten (2000), S. 328. 108 Siehe hierzu die bereits angeführte Forschungsliteratur. Der Frage nach der vermeint­ lichen oder tatsäch­lichen (finalen) Krise des Alten Reiches ging der Autor an anderer Stelle etwas ausführ­licher nach [Denzler, Am Ende stand Napoleon? (2012)]. 109 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 442 – 4 60. Dieses ‚Schrift­lichkeitsbild‘ vom Reich, was auch Whaley, Germany and the Holy Roman Empire (2012), S. 169 – 183 behandelt, korrigiert nicht zuletzt das Verdikt von einem handlungsunfähigen Reich aus Tinte. Siehe hierzu mit Nachweisen Ullmann, Geschichte auf der langen Bank (2006), S. 3 f. 110 Jordan, Sattelzeit (2010), Sp. 610.

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Dieser begriffsgeschicht­liche Wandel war nach Koselleck sowohl Indikator als auch Faktor für die „Veränderung der polit[isch]-sozialen Wirk­lichkeit“.111 Die vorliegende Studie kann an d ­ ieses Konzept einer Sattelzeit anknüpfen, indem auch sie davon ausgeht, dass Sprache Einblicke gewährt in den „Bewußtseinswandel“112 und es vor allem das Gefühl einer Beschleunigung war, welches die Transforma­tionszeit prägte.113 Das Empfinden der Zeitgenossen, „in einer ‚neuen Zeit‘ rasanten Wandels zu leben“,114 ist in den Visita­tionsakten geradezu greifbar, wenn man das infla­tionär gebrauchte Wort ‚Weitläufigkeit‘ als begriffsgeschicht­ liche ‚Antipode‘ zum Beschleunigungsimpuls der sich etablierenden Sattelzeit begreift. Damit schließt sich der hier aufgezeigte Themenbogen insofern, als auch bei dem Konzept der Sattelzeit die ‚begriffsgeschicht­lichen‘ Akteure, also die Zeitgenossen, im Mittelpunkt stehen. Zumindest sind sie es, die durch den Gebrauch ihrer gesprochenen und eben geschriebenen Sprache es ermög­lichen, Begriffsgeschichte und damit „Sozialgeschichte und […] Bewusstseinsgeschichte“115 zugleich zu betreiben. Zur heuristischen Bündelung dieser Aspekte – akteurszentrierter Zugriff auf ein Ereignis, das am Beginn einer Transforma­tionszeit steht – möchte die Studie die Jahre der Visita­tion als ‚Wertherzeit‘ begreifen. Damit wird nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass Johann Wolfgang von Goethe im Sommer 1772 als Praktikant des RKG Zeuge der Visita­tion wurde, er Bekanntschaft machte mit vielen Visita­tionsakteuren und der Selbstmord eines Visita­tionssekretärs ihn (neben der verkannten Liebschaft zu Charlotte Buff ) dazu veranlasst hat, den Briefroman ‚Die Leiden des Jungen Werthers‘ zu schreiben. Der Begriff ‚Wertherzeit‘ steht überdies und in erster Linie dafür, dass im Mittelpunkt der Studie Leben und Leiden, aber auch Freuden der drei Akteursgruppen (Visitatoren, Sekretäre und Gerichtsangehörige) stehen, und zwar auf Grundlage jener Schrift­lichkeit, die der ein oder andere Dramenheld des jungen Goethe ebenso wie Schillers Moor verfluchte, aber auch wertschätzte.116 Goethes Wirken in und um Wetzlar erinnert die historisch fragende Nachwelt daran, dass es nicht

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Ebd., Sp. 611, Koselleck/Dipper, Gespräch über Begriffsgeschichte (1998), S. 188. Koselleck, Zeitschichten (2000), S. 150 – 202. Jordan, Sattelzeit (2010), Sp. 611. Siehe daneben Ders., Transforma­tion des Denkens (2012)] 115 Koselleck/Dipper, Gespräch über Begriffsgeschichte (1998), S. 188. 116 Die Schreibfeind­lichkeit bei Götz, Egmont und Faust und Schreibfreund­lichkeit bei Egmont behandelt Japp, Lesen und Schreiben im Drama des Sturm und Drang (1994). Siehe überdies Stingelin, Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte (2004).

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ausreicht, die Akteure, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, nur als Visitierende oder Visitierte zu begreifen. Sie waren vielmehr auch und in erster Linie fühlende, liebende und leidende Menschen. Und eben dies muss mit Goethe und seinem Briefroman in dieser Studie mitbedacht und mitbehandelt werden. Der Ausdruck ‚Sattelzeit‘ bleibt dabei ebenso ein kritikwürdiger „Kunstbegriff “, den Koselleck verwendet hat, „um Geld zu bekommen“,117 wie der Begriff ‚Wertherzeit‘ ein Kunstbegriff ist, den der Autor der vorliegenden Studie bedient, um den akteurs- und schriftzentrierten Untersuchungsschwerpunkten der neunjährigen Visita­tionszeit einschließ­lich der ‚Vorzeit‘ seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 118 einen weiterführenden Begriffsrahmen zu geben. Es geht also darum, sich von jenen Begriffen abzugrenzen, die gemeinhin den Rahmen eines solchen Untersuchungsgegenstandes (Visita­tion des RKG) und Untersuchungszeitraumes (1763 – 1776) vorgeben, und die auch hier, wenn nötig kritisch kommentierend, bedient werden. Zu nennen sind das Zeitalter der Aufklärung, der Reformabsolutismus, der österreichisch-­preußische Dualismus, die mächtepolitische Ordnung Europas im ­­Zeichen der Diplomatischen Revolu­tion oder die finale Krise des Reiches. Was jedoch diese Schlagwörter bis auf Ersteres nicht nur implizieren, sondern geradezu überbordend in den Vordergrund rücken, ist eine politikzentrierte Deutung der Geschehnisse.119 Doch auch wenn die Visita­tion des RKG und damit eines der beiden höchsten Gerichte des Alten Reiches eine gegenstandsimmanente politische Dimension hatte, so greift es zu kurz, diesen Aspekt zum unumstöß­lichen Mittelpunkt einer Interpreta­tion zu erklären. Ziel ist es vielmehr, sich von solchen verabsolutierenden Deutungskategorien zu lösen und stattdessen zu versuchen, mit dem alltäg­lichen Handeln der Akteure den Gang und Nichtgang der Visita­ tion zu beschreiben und zu begreifen. Dies soll der Begriff ‚Wertherzeit‘ zum Ausdruck bringen.

117 Koselleck/Dipper, Gespräch über Begriffsgeschichte (1998), S. 195. Damit gemeint ist die Mög­lichkeit, (Dritt)mittel einzuwerben. 118 So schreibt Kunisch, Friedrich der Große (2004), S. 443 bezogen auf die politische ‚Großwetterlage‘: „Nichts war nach d­ iesem Krieg mehr so wie vorher.“ Siehe zum Immerwährenden Reichstag neuerdings Rohrschneider, Österreich und der Immerwährende Reichstag (2014). 119 Mit einem solchen Schwerpunkt sind auch jüngst Whaley, Germany and the Holy Roman Empire (2012) u. Maissen, Geschichte der Frühen Neuzeit (2013) erschienen.

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3.3 Zwischen Oralität und Literalität: Das vormoderne ‚Akten- und Druckzeitalter‘ Die Schrift­lichkeit in der ‚Wertherzeit‘ zu thematisieren, erfordert es einerseits, sich mit der Schrift­lichkeit im Allgemeinen zu beschäftigen (Was bedeutet es, etwas schrift­lich zu fixieren?), und andererseits, nach der Bedeutung der Schrift­lichkeit in der hier im Mittelpunkt stehenden Epoche (Vormoderne 120/ Frühe Neuzeit) zu fragen. Zu ersterem Punkt lässt sich festhalten, dass die kommuni­kative ‚Grundleistung‘ des „wichtigste[n] von Menschen geschaffene[n] Zeichen­system[s]“121 darin besteht, gelöst von Stimme und Körper über weitere Entfernungen zu kommunizieren. Zugleich ermög­licht es Schrift, „ein künst­liches Gedächtnis neben dem in Kopf und Herz situierten“ zu schaffen.122 Diese „kommunikativen und mnemotechnischen“ Grundbedürfnisse des Menschen bedingten geradezu die Entstehung und Verbreitung der Schrift, 123 da sich in der Menschheitsgeschichte das Aufschreiben von Sprache immer dann durchsetzen konnte, wenn „in Gesellschaften Verkehrsformen von größerer Komplexität, d. h. komplizierte Formen des Warenaustauschs und die Notwendigkeit der Überbrückung zeit­licher und räum­licher Distanzen“, entstanden waren.124 Erst diese Überwindung von Raum und Zeit schuf die Mög­lichkeit dafür, sich in größerem Maßstab zu organisieren und Wissensbestände unabhängig von der Gedächtnisleistung des Menschen anzuhäufen und zu speichern.125 Aus ­diesem Grund nutzten insbesondere Herrschaftsträger immer wieder die Schrifttechnologie, „um den Informa­tionsfluss zu lenken sowie pol[itische] Machtstrukturen aufzubauen und zu stabilisieren“.126 Die Fixierung von sprach­lichen Äußerungen durch das „Gedächtnismedium“127 Schrift bedeutet dabei nicht nur die Übertragung „von Informa­tionen aus dem phonischen in den grafischen Kode“.128 Vielmehr verändert sich auch „die Qualität

120 Jaser/Lotz-­Heumann/Pohlig, Alteuropa – Vormoderne – Neue Zeit (2012). 121 Coulmas, Schrift (1982), S. 10 122 Stein, Schriftkultur (2006), S. 18. 123 Coulmas, Schrift (1982), S. 32. 124 Ebd., S. 12. 125 Stein, Schriftkultur (2006), S. 19. Siehe auch Bohn, Schrift­lichkeit und Gesellschaft (1999), S. 39 sowie insgesamt Goddy, Logik der Schrift (1990). 126 Haarmann, Schrift (2010), Sp. 868. 127 Assmann, A., Erinnerungsräume (2009), S. 181. 128 Hildbrand, Herrschaft, Schrift und Gedächtnis (1996), S. 64.

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der sprach­lichen Äusserung“,129 indem die Flüchtigkeit der Münd­lichkeit 130 ebenso verloren geht wie der gesamte Wahrnehmungskontext der oralen Kommunika­ tionssitua­tion. Aus ­diesem Grund kann nur die persön­liche „Interak­tion unter Anwesenden […] das Zwitschern der Vögel, die hereinbrechende Dunkelheit, die Bewegungen eines Interak­tionsteilnehmers als Umweltereignis ignorieren, oder sie kann es zum Anlaß für ein Systemereignis werden lassen“.131 Solche akustischen und visuellen Wahrnehmungshorizonte gehen bei der schrift­lichen Kommunika­ tion nur dann nicht verloren, wenn sie selbst Teil des Geschriebenen werden. So sind wir ledig­lich durch den berichtsfreudigen Falcke darüber in Kenntnis, dass der Visitator der Stadt Köln ein Blatdeutscher war und es zumindest einmal mit einem Böhmen ein Missverständnis gab, da erstere des leztern Kauder Welch Mund Art nicht wohl verstehen konnte.132 Gerade s­ olche, für die orale Kommunika­tion teils erheb­lichen und daher für die Zeitgenossen als aufschreibwürdig erachteten Begebenheiten sollen in dieser Studie zur Sprache kommen. Damit soll im Einklang mit neueren Forschungen, die den Zusammenhang von Münd­lichkeit und Schrift­lichkeit betonen,133 deut­lich werden, dass die Visita­tion zwar ein schriftfixiertes Verfahren war. Diese Schriftfixiertheit darf jedoch nur im Zusammenhang mit einem Entstehungsumfeld gesehen werden, das hochgradig von der Münd­lichkeit geprägt war. Ein solches Vorhaben ist umso wichtiger, als mit Rudolf Schlögl festzuhalten ist, dass die Gesellschaft der Vormoderne eine „face-­to-­face-­Gesellschaft“134 war, die sich „wesent­lich über Interak­tion“ konstituierte.135 Diese „auf Anwesenheit und Münd­lichkeit orientierte Kommunika­tionskultur“ erlaubt es,136

129 Ebd. 130 Bohn, Schrift­lichkeit und Gesellschaft (1999), S. 38 u. Goddy, Logik der Schrift (1990), S. 207. 131 Bohn, Schrift­lichkeit und Gesellschaft (1999), S. 75. 132 StadtAA RKG 33, Rela­tion 18 vom 30. März 1768. 133 Zimmermann, Schrift­lichkeit (2010), Sp. 887 – 890. In ­diesem Sinne möchte auch Bohn, Schrift­lichkeit und Gesellschaft (1999), S. 12 die Schrift­lichkeit als „eine sozialitäts­ konstituierende Form“ begreifen, „die wir in der Differenz zur Münd­lichkeit beobachten“ müssen. Siehe ferner mit vielen grundsätz­lichen Beobachtungen Graf, Das leckt die Kuh nicht ab (2000). 134 Schlögl, Körper als Medium (2005), S. 439. 135 Schlögl, Politik beobachten (2008), S. 585. Siehe, neben Hengerer, Abwesenheit beobachten (2013), neuerdings auch die Monographie Schlögl, Anwesende und Abwesende (2014) sowie den Sammelband Sawilla/Schlögl, Medien der Macht und des Entscheidens (2014). 136 Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden I (2004), S. 53; Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008).

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von einer „­Vergesellschaftung unter Anwesenden“137 zu sprechen. Allerdings – und dies stützt die These von der Schriftaufwertung in der ‚Wertherzeit‘ – sind hier entscheidende Veränderungen zu beobachten. Denn während das 16. und 17. Jahrhundert davon geprägt waren, dass man der Schrift „als Kommunika­ tionsmedium grundsätz­lich misstraute“138 und sich politisches und soziales Handeln hauptsäch­lich in „Kommunika­tion unter Anwesenden“ vollzog,139 „gewinnt man den Eindruck, als ­seien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Schwellenwerte erreicht worden, die dazu führten, dass [gesellschaft­liche] Strukturbildung interak­tionsferner in Distanz- und Erfolgsmedien ablief “.140 Dieser Wandel, der sich endgültig in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog 141 und in Verbindung zu sehen ist mit sehr unterschied­lichen Prozessen der „Entlokalisierung und Kontexterweiterung“,142 hängt unmittelbar mit der Schrift­lichkeit zusammen. Druckschrift und Handschrift näm­lich eröffneten der vormodernen Gesellschaft „neue Mög­lichkeiten der Selbstbeschreibung und der Reflexivität“.143 Sie ermög­lichten es zunächst, durch die Nutzung der Schrift als Erinnerungs- und Aufbewahrungsmedium Raum und Zeit zu überwinden, um dann, als sich Druck und Schrift „zu Kommunika­tionsmedien im originären Sinne“ wandelten, eine schriftbasierte Kommunika­tion zu formen, wodurch sich „soziale Strukturbildung differenziert[er] und funk­tional […]

137 So lautet der programmatische Titel respektive Teiltitel von Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden I (2004) und Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008). 138 Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden I (2004), S. 53. 139 Schlögl, Politik beobachten (2008), S. 606. 140 Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008), S. 217. Distanz- oder auch Verbreitungsmedien meint Schrift und Druck, Erfolgsmedien bspw. Geld, Recht oder Macht [ebd., S. 14 f.]. Bei letzterem handelt es sich um „symbo­lisch generalisierte Kommunika­ tionsmedien“, die „auf bestimmte Felder und Spezialprobleme in ausdifferenzierten Gesellschaften spezialisiert sind“ und zur „Annahme eines Kommunika­tionsangebotes“ motivieren [Berghaus, Luhmann (2004), S. 114 – 117]. 141 Eine Zäsur um 1750 besonders deut­lich bei Schlögl, Politik beobachten (2008), S. 606 f. 142 So Behrisch, Wissen in der Frühen Neuzeit (2008), S. 463. Deut­licher als Schlögl spricht er von der langfristigen, „oftmals nur sehr zöger­lich[en] und stockend verlaufende[n] überregionale[n] Verflechtung und institu­tionelle[n] Verdichtung der frühneuzeit­ lichen Gesellschaften. Geistige und kulturelle Eliten, städtische und agrarische Märkte, obrigkeit­liche und grundherr­liche Durchsetzungsansprüche, recht­liche und konfessionelle Normensysteme – sie alle sprengten in zunehmendem Maße den lokalen und regionalen Kontext“ [ebd., S. 463 f.]. 143 Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008), S. 5.

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spezifiziert[er]“ gestalten konnte.144 Am Ende d­ ieses Transforma­tionsprozesses (und damit am Beginn der Sattelzeit!)145 stand die Visita­tion. Die Untersuchung dieser Reform kann damit deut­lich machen, wie genau die „Nutzung von Schrift und Druck auf die […] Form der primären Medien“, also auf die gesprochene Sprache, den Körper, den Raum und allen voran auf die Zeit (Weitläufigkeit bzw. Verlang­samung des Verfahrens!), „zurückwirkte“.146 Bereits jetzt kann festgehalten werden, dass die Aufwertung des Schrift­lichen nicht ohne Folgen blieb für die symbo­lische Kommunika­tion und damit für jene Kommunika­tionsform, w ­ elche die neuere Forschung als das Fundament der politisch-­sozialen Ordnung der Vormoderne begreift.147 Symbole näm­lich, verstanden als „Zeichen verbaler, visueller, gegenständ­licher oder gestischer Art wie etwa sprach­liche Metaphern, Bilder, Artefakte, Gebärden, komplexe Handlungsfolgen wie Rituale und Zeremonien, aber auch symbo­lische Narra­tionen […] usf.“,148 waren ein Produkt der Anwesenheitsgesellschaft, die durch den zunehmenden Schriftgebrauch – so lässt sich in Erweiterung der ‚Schriftaufwertungs-­ These‘ und in Anknüpfung an bisherige Forschungsbefunde sagen – zumindest partiell entwertet wurden.149 Die symbo­lische und schriftbasierte Inszenierung der ‚reichischen‘ Ordnung ist natür­lich nicht dichotomisch zu begreifen. Auch bei der Visita­tion gab es solenne Umzüge, eine hierarchische Sitzordnung, die das 144 Ebd., S. 21 u. 52. 145 Kann es vielleicht sein, dass erst mit der Entstehung einer schriftzentrierten Gesellschaft eine begriffsgeschicht­liche Umbruchszeit (und sei es nur die Analyse einer solchen) mög­lich war? 146 Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008), S. 54. Siehe insgesamt hierzu Schlaak, Entwicklung von Schrift­lichkeit (2005), Ders, Overloaded Interac­tion (2010) u. Sawilla/Schlögl, Medien der Macht und des Entscheidens (2014). 147 Dieser Aspekt ist im Zusammenhang zu sehen mit der Leitfrage des Sammelbandes Stollberg-­Rilinger/Neu/Brauner, Alles nur symbo­lisch? (2013). 148 Stollberg-­Rilinger, Symbo­lische Kommunika­tion (2004), S. 500. 149 Hier nur von einer Entwertung zu sprechen, greift natür­lich zu kurz. Denn die „Schrift war der rituellen Kommunika­tion ‚face to face‘ nicht automatisch überlegen; Schrift und Performanz wurden vielmehr auf unterschied­liche Weise kombiniert, sie ergänzten und beeinflussten einander“ [Stollberg-­Rilinger, Rituale (2013), S. 233]. Dieser Komplexität gilt es, im Laufe der Studie nachzugehen. Siehe hierzu auch Dies., Symbo­lische Kommunika­tion (2004), S.  514 – 517, Dies., Alte Kleider (2008), S. 299 – 318, Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008), S. 41 und Füssel, Geltungsgrenzen (2014). Die Bedeutung der Schrift­lichkeit für das symbo­lische Handeln, dessen primäres Kommunika­tionsmedium der menschliche Körper war [Stollberg-­Rilinger, Rituale (2013), S. 228], beleuchtet im Kontext der Kriminaljustiz Schwerhoff, Straf-­Akte(n) (2006), S.  322 – 327.

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gesamte Reich zur Darstellung brachte, oder etwa einen  alte[n] Ceremonien Streit ­zwischen denen Churfürsten und Fürsten wegen der ersten Visite.150 Der Zeit- und Visita­tionsgeist war jedoch ein anderer. Gerade zu Visita­tionsbeginn waren die Visitatoren bemüht, das unnöthige, den Haubt-­Geschäfft mehr verhinder­lich als diensam Ceremoniel unter Uns völlig aufzuheben.151 Diese Entwertung des Zeremoniells war nicht nur dem zunehmenden Schriftgebrauch, sondern auch dem Kosten-­Nutzen-­Kalkül der Zeit geschuldet.152 Schon die Generalinstruk­tion der kaiser­lichen Kommissare gab die Losung aus, sich alles ohnnöthigen Prachts und kostspieliger Überflüssigkeiten zu enthalten.153 Zudem und darauf aufbauend zählte das Zeremoniell für die Zeitgenossen zu den Dingen, die das gesamte Verfahren verlangsamten. Falcke adelte sogar ex negativo das Zeremoniell, indem er von Ceremonial Weitläuftigkeiten sprach.154 Das zeitgenös­sische ‚Wider das Zeremoniell‘ und ‚Wider die Weitläufigkeit‘ gab es jedoch, frei formuliert, nicht zum Nulltarif, sondern es bedingte vielmehr eine neuer­liche Aufwertung der Schrift­lichkeit. Es darf vermutet werden, dass es gerade diese Schriftaufwertungsschübe waren, die dazu führten, dass sich das bereits angesprochene Reich der Schrift­lichkeit im Rahmen der Visita­tion aktenmäßig vollendete.155 Die Schriftfixiertheit der Visita­tion lässt sich allerdings nur als Ausdruck eines langfristigen Transforma­tionsprozesses der Anwesenheitsgesellschaft begreifen, wenn man sich die Dimensionen der vormodernen Schrift­lichkeit vergegenwärtigt. Zu thematisieren ist also zum einen die Bedeutung der Handschrift für das vormoderne ‚Aktenzeitalter‘ und zum anderen die Formierung und Expansion der ‚Gutenberg-­Galaxis‘.156 Beide Themenfelder weisen dabei eine ungleiche und erstaun­lich unzusammenhängende Forschungsgeschichte auf. Während die Entwicklung des Druckes von Gutenberg über Luther bis zum ‚druckgesättigten‘ 18. Jahrhundert erst jüngst eine enzyklopädische Bestandsaufnahme von über 1 50 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 7. Mai 1767. 151 BayHStA KS 5808, Goldhagen an Kurfürst 10. Mai 1767. 152 Für die Entwertung von Ritualen heißt es weitergehend bei Füssel, Geltungsgrenzen (2014), S. 286: „Ra­tionalisierungen, Pluralisierungen und ökonomische Zwänge haben ohne Zweifel zu zentralen Geltungskrisen von Ritualen beigetragen“. Siehe hierzu auch den gesamten Sammelband Büttner/Schmidt/Töbelmann, Grenzen des Rituals (2014). 153 HHStA Wien RK RKG VA 48, Instruk­tion § 3. 154 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König (PS) 7. März 1772. 155 In Anspielung auf Burkhardt, Vollendung (2006), S. 442 – 4 60. Eine dysfunk­tionalere Deutung der Verkörperung des Reichs „in Tinte und Papier“ bei Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 305 – 309, hier S. 307. 156 McLuhan, Gutenberg-­Galaxis (1962/68).

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150 Seiten unter Berücksichtigung von fast 400 Forschungsarbeiten erfuhr,157 gleicht das Aktenzeitalter einem unterbe­lichteten, geradezu chimärenartigen Forschungsfeld. Erst in den letzten Jahren sind vereinzelt Studien erschienen, die sich explizit mit der Hand- bzw. ‚Aktenschrift­lichkeit‘ (des vormodernen Staates)158 sowie generell mit dem vormodernen Aktenzeitalter auseinandersetzen.159 Unter Berücksichtigung dieser Arbeiten soll der Schriftgebrauch des werdenden Staates zur Sprache kommen,160 ohne allerdings die druckbasierte Schriftenwicklung aus den Augen zu verlieren. Beide Schriftformen näm­lich – Hand- und Druckschrift – bilden die beiden Seiten ein und derselben Medaille. Sie sollen im Folgenden eine syntheseartige Betrachtung erfahren. Zur hand- und aktenschrift­lichen Seite der vormodernen Schriftkultur lässt sich festhalten, dass in der Zeit vom 11. bis zum 15. Jahrhundert, „d. h. von der Aufbruchphase der abendländischen Literalität 161 bis in die Frühzeit des Buchdrucks“, der Gebrauch der Handschrift „erstmals auf alle Gebiete des mensch­ lichen Zusammenlebens“ ausgriff.162 In mehreren „Verschrift­lichungsschübe[n]“163 wurden „tradi­tionelle Bereiche münd­lichen Handelns besetzt“ als auch „neue Gebrauchsräume“ erschlossen.164 Insbesondere die pragmatische, also zweckgerichtete Schrift­lichkeit, die sich „von den päpst­lichen Kanzleien bis zur Klosterverwaltung und von der staat­lichen [bzw. höfischen] bis zur kommunalen Administra­ tion“ erstreckte, aber auch Bereiche wie die Rechtspflege, das „Geschäftswesen (Notare, Kaufleute usw.)“ sowie das ‚Lebensalltäg­liche‘ (Privatkorrespondenzen, „Koch-, Arznei- und Haushaltsbücher usw.)“ erfasste,165 führte im Zusammenspiel

157 Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit (2009). Siehe nun auch Arndt, Herrschaftskontrolle durch Öffent­lichkeit (2013) u. Schneider, Die Erfindung des allgemeinen Wissens (2013). 158 Siehe hierzu die Angaben unter Anm. 17. 159 Messerli/Chartier, Scripta volant, verba manent (2007); Schwerhoff, Alteuropa (2012), S.  40 – 43. 1 60 Anders ausgedrückt geht es um das Verhältnis von Macht und (schriftbasierter) Kommunika­tion. Siehe hierzu Tschopp/Weber, Macht und Kommunika­tion (2012). 161 Literalität meint die „handschrift­liche Fixierung von Inhalten und die Fähigkeit, das Fixierte wieder zu lesen und zu erzählen“ [Zimmermann, Schrift­lichkeit (2010), Sp. 887]. 162 So die einleitende Umschreibung des Sonderforschungsbereichs 231 ‚Träger, Felder, Formen pragmatischer Schrift­lichkeit im Mittelalter‘, der von 1988 bis 1999 an der Westfä­ lischen Wilhelms-­Universität Münster angesiedelt war [www.uni-­muenster.de/Geschichte/ MittelalterSchrift­lichkeit/ (24. 2. 2015)]. 163 Stein, Schriftkultur (2006), S. 164 – 168. 164 Siehe Anm. 162. 165 Stein, Schriftkultur (2006), S. 164.

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mit der literarischen und wissenschaft­lichen Schriftproduk­tion dazu,166 dass sich das Geschriebene „als Medium der Vergewisserung“167 durchsetzte. Spätestens mit der „Schrift­lichkeits-­Explosion um 1400“,168 die allen voran aus der Expansion städtischen Verwaltungshandelns auf Grundlage der sich verbreitenden Papierherstellung resultierte,169 setzte sich die „Kulturtechnik der Schrift­lichkeit“ als eine „umfassende[…] Leitkultur des Mittelalters“ durch.170 In der Frühen Neuzeit fand diese Manuskriptkultur eine Fortsetzung insofern, als auch weiterhin und in immer stärkerem Maße in allen Lebensbereichen mit der Hand geschrieben wurde. Dies heißt natür­lich nicht, die „epochale Medienrevolu­ tion vom skriptographischen zum typographischen Zeitalter“ zu verkennen und damit die bisherigen Forschungsschwerpunkte der vormodernen ‚Schriftkultur‘ zu übergehen.171 Festzuhalten ist vielmehr, dass mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweg­lichen Lettern und der raschen, aber keineswegs linearen Durchsetzung dieser neuen „Spitzentechnologie“172 das ‚Zeitalter‘ des gedruckten Schriftguts begann.173 Ausgehend von der quantitativen Expansion der ‚Gutenberg-­Galaxis‘174 166 Hagen Keller betont sogar, dass hier, „auf dem Gebiet der literarischen Produk­tion und der Wissenschaften“, das Anwachsen der schrift­lichen Überlieferung „noch augenfälliger“ ist [Keller, Entwicklung der europäischen Schriftkultur (1990), S. 180]. 167 Schaefer, Münd­lichkeit und Schrift­lichkeit im Mittelalter (2003), S. 178. Damit angedeutet ist, dass das Aufschreiben „immer weniger ‚Verschriftung‘ und immer mehr ‚Verschrift­lichung‘“ wurde. Verschriftung meint ledig­lich die „graphische Umsetzung vom Oralen ins Literate“, während bei Letzterem der Text „nach ihm eigenen Prinzipien strukturiert wird“ [Stein, Schriftkultur (2006), S. 160 u. 164]. 168 Polenz, Sprachgeschichte (2000), S. 116. 169 Isemann, Stadt im Mittelalter (1988), S. 166 – 170. Papier war „in der Herstellung vierbis zehnmal billiger […] als das (aus Tierhäuten hergestellte) Pergament“ [Polenz, Sprachgeschichte (2000), S. 116]. 170 Meier, Einführung mittelalter­liche Schriftkultur (2002), S. XIX. Siehe insgesamt hierzu, neben Dartmann/Scharff/Weber, Zwischen Pragmatik und Performanz (2011), Jucker, Gesandte, Schreiber, Akten (2004), Messerli/Chartier, Scripta volant, verba manent (2007), Czaja/Sarnowsky, Rolle der Schrift­lichkeit in den Geist­lichen Ritterorden (2009) und Zehetmayer, Urkunde und Adel (2010), Kluge, Die Macht des Gedächtnisses (2014) und Ders., Handschriften des Mittelalters (2014). 171 Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit (2009), S. 7, wobei es weiter heißt: „Entgegen der landläufigen Meinung begann das Zeitalter der Printmedien nicht mit Gutenberg und der Bibel, sondern mit Bilddrucken.“ 172 Burkhardt, Reforma­tionsjahrhundert (2002), S. 25 – 30. 173 Maßgeb­lich nach wie vor Giesecke, Buchdruck (1991). Ferner Eisenstein, Druckerpresse (1983/1997) u. Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch (1998). 174 In der „Wiegendruckzeit (1450 – 1500) wurden ca. 30.000 Titel mit geschätzten 9 Mio. Exemplaren produziert“, im 16. Jahrhundert „160.000 Titel […] mit 140 bis 200 Mio.

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und der Tatsache, dass erst im 19. Jahrhundert „durch technische Innova­tionen im Satz- und Druckbereich“ sowie aufgrund einer „gewachsene[n] Nachfrage“ der „moderne […] Massenbuchmarkt“ entstand,175 lässt sich sogar sagen, dass der Buchdruck eine druckbasierte ‚Klammer‘ der Frühneuzeitepoche schuf. Zu präzisieren ist dabei, dass es im 16. Jahrhundert insbesondere Flugblätter und Flugschriften und seit dem 17. Jahrhundert die stetig expandierende periodische Presse waren, die das frühneuzeit­liche ‚Druckzeitalter‘ auf Grundlage der sich verdichtenden Infrastruktur des Postwesens prägte.176 Das nachfolgende „Jahrhundert der Geselligkeit“177 wiederum, das bestimmt war von neuen Formen der persön­ lichen Begegnung (Kaffeehäuser, Geheimbünde, ‚Patriotische‘/‚Gemeinnützige‘/ ‚Ökonomische‘ Gesellschaften etc.), aber auch von einer nie gekannten ‚Lesewut‘,178 fand seine druckgeschicht­liche Fundierung durch „die quantitative und qualitative Zunahme der Druckerzeugnisse wie der Leserschaft sowie die Verdichtung der Kommunika­tion in immer ausdifferenzierteren und spezialisierteren, aber unter sich vernetzten Medien“.179 Die hierdurch bedingte Entstehung einer neuartigen Öffent­lichkeit einschließ­lich der Veralltäg­lichung bzw. ‚Desakralisierung‘ des gedruckten (Buch-)Wortes in breiteren Gesellschaftskreisen 180 spielte nicht zuletzt auch für die RKG-Visita­tion von 1767 eine wichtige Rolle. Dessen ungeachtet ist die ‚Gutenberg-­Galaxis‘ nur eine Seite der vormodernen ‚Schriftmedaille‘. Darauf verweist allein schon die Tatsache, dass die Epoche der (Frühen) Neuzeit wohl erstmals 1935 und nicht ohne den Widerspruch von Historikern und Archivaren als ‚Aktenzeitalter‘ (in Abgrenzung zu einem mittelalter­lichen ‚Urkundenzeitalter‘) beschrieben wurde.181 Diese Begriff­lichkeit

Exemplaren“, im 17. Jahrhundert 250.000 Titel und im 18. Jahrhundert „sollen es bis zu 350.000 gewesen sein“ [Weyrauch, Buchdruck (2005), Sp. 492]. Anzumerken ist, dass es sich hier um Richtwerte handelt. Die Quantität der frühneuzeit­lichen Buchproduk­tion „kann aufgrund fehlender zuverlässiger bibliographischer Aufzeichnungen nicht exakt belegt werden“ [Schneider, Buchmarkt (2005), Sp. 507]. 175 Schneider, Buchmarkt (2005), Sp. 508. 176 Behringer, Im ­­Zeichen des Merkur (2003). 177 Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 114 – 145. 178 Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels (1991), S. 186. Wobei sich Lesen und persön­liche Geselligkeit nicht widersprachen, wie das Beispiel der Lesegesellschaften lehrt. 179 Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit (2009), S. 43. 180 Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 139. 181 Meisner, Aktenkunde (1935), S. 8 spricht von einem „Urkunden- und Aktenzeitalter“, allerdings mit dem Hinweis, dass dies eine „üb­liche […] Unterscheidung“ sei. Das „bahnbrechende Lehrbuch“ Meisners [Brandt, Urkunden- und Aktenlehre (1956), S. 429]

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ist insofern problematisch, als eine dichotomische Unterscheidung z­ wischen einem mittelalter­lichen Urkunden- und einem frühneuzeit­lichen Aktenzeitalter nur bedingt sinnvoll ist. Schon Ahasver von Brandt, ein Archivar und Historiker, der diese Begriff­lichkeiten durch die Aufnahme in ein Einführungsbuch über die historische Hilfswissenschaften popularisierte,182 hielt berechtigtermaßen fest, dass „weder die Akten im Mittelalter […] noch […] die Urkunden in der Neuzeit“ fehlen.183 Überdies ist die Unterscheidung insofern problematisch, als „der Urkundenbegriff zunächst und vor allem einen rechtsgeschicht­lichen und archivtechnischen Ordnungsbegriff darstellt“.184 Schließ­lich ist deut­lich, dass Schriftstücke immer „in einem vielschichtigen zeichenhaften System- und Sinnzusammenhang“ stehen, „der vielfältig veränderbar ist“.185 Unter Berücksichtigung dieser Bedenken und in Ausweitung auf das Spätmittelalter hat der Begriff Aktenzeitalter seine Berechtigung,186 indem er zum Ausdruck bringt, dass die Vormoderne eben nicht nur vom gedruckten, sondern ebenso vom handgeschriebenen Schriftgut geprägt war. Dieser Befund drängt sich geradezu auf, wenn man die Quellen in den Blick nimmt, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen. Selbst für die Vielzahl an Druckwerken, die sich in der Medienöffent­lichkeit 187 mit der Visita­tion auseinandergesetzt haben, lässt sich zwar sagen, dass hier eine

erfuhr 1950 eine Neubearbeitung und diese wiederum zwei Jahre s­ päter eine durch­ gesehene Neuauflage [Meisner, Urkunden- und Aktenlehre (1952)]. In allen Werken ist von einem Aktenzeitaler in Abgrenzung zu einem Urkundenzeitalter die Rede. Siehe zu dieser ‚Begriffsgeschichte‘ Brandt, Urkunden- und Aktenlehre (1956), S. 429, der sich explizit auf Meisner bezieht. 182 1. Aufl. 1958, 18. Aufl. 2012. 183 Brandt, Einführung Historische Hilfswissenschaften (1998) [15. Aufl.], S. 81. In ­diesem Sinne schreibt er auch in Urkunden- und Aktenlehre (1956), S. 430: Es bestehen „dichtere und kontinuier­lichere Verbindungslinien ­zwischen mittelalter­lichen und neuzeit­lichen Verwaltungs- und Schriftgutformen […], als die schematische Scheidung in Urkundenzeitalter und Aktenzeitalter […] vermuten lassen könnte.“ 184 Hildbrand, Herrschaft, Schrift und Gedächtnis (1996), S. 31. 185 Ebd., S. 45. 186 Siehe u. a. auch Vogtherr, Urkunden und Akten (2002), S. 162, aber auch die hier nicht zu übergehende Differenzierung, dass mittelalter­liche Akten „kaum Spuren längeren Arbeitens mit einmal angelegten Aufzeichnungen“ aufweisen, während „Akten seit der frühen Neuzeit […] rein äußer­lich unter anderem durch Bearbeitungsvermerke ablesbar“ sind [S. 166]. Zum Begriff Akten bleibt anzumerken, dass hiermit eine „im 14./15. Jahrhundert entwickelte Dokumenta­tionsform“ bezeichnet werden kann, deren Papierschriftstücke „zu normierten ‚Faszikeln‘ zusammengeheftet werden konnten“ [Franz, Archive (2002), S. 180]. 187 Siehe zu ­diesem Begriff B.3.

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„autopoietische Geschlossenheit“ vorlag, da die „Produk­tion von Gedrucktem […] sich auf gedruckt vermittelte Beobachtungen“ bezog.188 Diese Geschlossenheit des gedruckten Mediensystems darf jedoch nicht absolut verstanden werden. Ein prominentes Beispiel möge dies verdeut­lichen. Der wohl bedeutendste Staatsrechtler seiner Zeit, Johann Stephan Pütter, verfasste mehrere Druckschriften, w ­ elche die Visita­tion zum Gegenstand hatten und die auch vielfach von anderen Autoren zitiert wurden.189 Entscheidend für die druckbasierte Auseinandersetzung mit der Visita­tion war jedoch, dass der Göttinger Rechtsprofessor für die Abfassung seiner Schriften Visita­tionsakten benutzte und er überdies persön­lich nach Wetzlar reiste, um Eindrücke für seine visita­tionsrelevanten Schriften zu sammeln.190 Die Druckschriftenproduk­tion stützte sich zudem auf einen intensiven Briefaustausch ­zwischen Pütter und seiner landesherr­lichen Obrigkeit.191 Schließ­lich fanden die Schriften Eingang in die (handschrift­lich ausformulierten) Voten der Visitatoren.192 Die Publika­tionen Pütters stehen somit für eine druckbasierte Kommunika­tion, die eingebettet war in ein handschrift­liches, aber auch münd­liches Kommunika­ tionsumfeld. Anders ausgedrückt: Schrift­lichkeit ermög­licht es zwar, unabhängig von Raum und Zeit zu kommunizieren. Dessen ungeachtet hat jedes Schriftstück neben dem Überlieferungskontext auch seine konkreten Entstehungs- und Anwendungskontexte. Und genau diese Kontexte gilt es im Laufe der Studie für beide Schrift­lichkeitsformen (Handschriften und Druckschriften) mitzubedenken. Eine ­solche praxeolo­gische Betrachtung der Schrift­lichkeit bedeutet, sich mit einem Aktenzeitalter zu beschäftigen, das sich in erster Linie auf die Handschrift­ lichkeit des vormodernen Staates gründete. Schrift und Staat bildeten geradezu eine symbiotische Einheit,193 wenn man die Staatswerdung und damit den „folgenreichste[n] Institu­tionalisierungsprozess der Neuzeit“194 als einen Vorgang beschreibt, der „den Ausbau der politisch-­administrativen Systeme, eine Verdichtung, Institu­tionalisierung, Territorialisierung und Kompetenzerweiterung von Herrschaft und Verwaltung“195 und damit letztend­lich einen zunehmenden 188 Schlögl, Politik beobachten (2008), S. 595. 189 Etwa Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769) oder Ders., Sollicitatur (1768). 190 Die entsprechenden Berichte haben sich erhalten in HStA-Han. Cal. Br. 11 4104. Sie bedürften einer umfassenden Analyse, die in dieser Studie ausbleibt. Die komplexe Genese der Schriften Pütters wird an anderer Stelle aufgearbeitet. 191 HStA-Han. Cal. Br. 11 4104, 192 Etwa 968. Session vom 31. Mai 1775 [StadtAA RKG 57]. 193 Schlögl, Medien der Macht und des Entscheidens. Einleitung (2014), S. 23. 194 Burkhardt, Frühe Neuzeit (2003), S. 447. 195 Ders., Staatsbildungskrieg (1994), S. 490.

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Gebrauch von Schrift­lichkeit umfasst. Verwaltung näm­lich, verstanden als Herrschaft im Alltag (Max Weber), ist „das zentrale Medium zur Durchsetzung von Macht“196 bzw. eine „auf das Gemeinwesen bezogene Herrschaftspraxis, die sich des Mediums der Schrift­lichkeit bedient“.197 Oder, anders ausgedrückt: Das Werden des vormodernen Staates bzw. die Verdichtung vormoderner Herrschaft bedurfte einer schriftbasierten Verwaltung. Der damit im Mittelpunkt stehende Wandel „von patriarcha­lisch organisierter H[errschaft] zu anonymisierter, verrecht­lichter und bürokratischer H[errschaft]“,198 den Max Weber nachhaltig als die Etablierung einer bürokratischen Herrschaft beschrieben hat 199 und der zweifelsohne „unser Geschichtsbild in revolu­tionärer Weise verdichtet“ hat,200 lässt sich natür­lich „nicht auf Bestandteile eines zielgerichteten Modernisierungsprozesses reduzieren“.201 Wie bereits erwähnt, ist mit der neueren Forschung vielmehr von einer Herrschaftspraxis auszugehen, die sehr dynamisch war und sich keineswegs immer linear-­funk­tional gestaltete. So hat Arndt Brendecke jüngst deut­licht gemacht, dass ein „großer Teil der administrativen Papiermassen“, die im Zuge der spanischen Kolonialherrschaft des 16. Jahrhunderts anfielen, keineswegs erzeugt wurde, um politisches Handeln ra­tionaler zu gestalten. Es ging vielmehr darum, „den Begründungaufwand für Entscheidungen hoch [zu] halten“, den lokalen Amtsträgern „verfahrenstechnische Grenzen [zu] setzen und ihre Sachadäquanz kontrollierbar [zu] halten. Wenn man so will,“ so Brendecke weiter, „lag eine wichtige Funk­tion der Zentralisierung von Informa­tion also darin, über den Umweg der Berichtspflicht den Spielraum der lokalen Instanzen zu begrenzen“.202 Und genau in einem solchen Zusammenhang ist auch die Schriftproduk­tion der Visita­tion zu sehen. Die Berichtspakete der Visita­tion samt Protokollen waren Kontrollinstrumente, ­welche die Visitatoren auch und vor allem dazu nutzten, Loyalität gegenüber ihrer Obrigkeit, aber auch gegenüber Kaiser und Reich zu signalisieren. 196 Wieland, Verwaltung (2011), Sp. 255. Dort auch der Nachweis der Weberschen Defini­ tion von Verwaltung. 197 Willoweit, Verwaltungsgeschicht­liche Forschung (1998), S. 10 f. 198 Carl, Herrschaft (2007), Sp. 406. 199 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1976), S. 551 – 579. 200 Hochedlinger, Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte (2010), S. 70. Insgesamt heißt es hier: „Für die Neuzeit als ‚Aktenzeitalter‘ sehen wir uns einer durch die nunmehr völlig verschrift­lichte (‚aktenmäßige‘) Arbeit der Behörden regelrecht explodierenden amt­lichen Schrift­lichkeit gegenüber, die unser Geschichtsbild in revolu­tionärer Weise verdichtet; je ‚bürokratischer‘ die Behördenarbeit, desto größer die Überlieferungschancen für den Historiker.“ 201 Carl, Herrschaft (2007), Sp. 406. 202 Brendecke, Imperium und Empirie (2009), S. 343.

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Die Visita­tion des 18. Jahrhunderts lässt sich deshalb mit der spanischen Kolonialherrschaft des 16. Jahrhunderts vergleichen, weil es beide Male um Herrschaft auf Distanz ging. Wie noch deut­lich wird, war es geradezu ein Wesensmerkmal von Visita­tionen, Herrschaft vor Ort zu inszenieren und durchzusetzen. Zu unterscheiden sind jedoch die sehr verschiedenen herrschaft­lichen Rahmenbedingungen sowie die Veränderungen, ­welche die schriftbasierte Verwaltung des werdenden Staates im Laufe der Jahrhunderte durchlief. Während im Spätmittelalter ein „durch Verschrift­lichungsprozesse gekennzeichnete[r] Wandel der Administra­ tionskultur“ begann,203 der sich im 16. Jahrhundert durch die „sprunghaft zunehmende Vielfalt des Aktenschriftguts und der Aktentypen“ fortsetzte,204 und sich nach dem Westfä­lischen Frieden ein „neuer­licher Einschnitt“ beobachten lässt, da eine „neue Qualität und ein weitaus größerer Umfang des administrativen Handelns“ eintrat,205 lässt sich das 18. Jahrhundert sogar als eine eigenständige „Epoche der Umorganisa­tion in der Administra­tion begreifen“.206 In dieser Zeit näm­lich wurde der staat­liche Verwaltungsapparat vielfach umgestaltet. Von sehr weitreichenden Eingriffen in Österreich und Preußen bis zu „punktuelle[n] und unsystematisch[en] […] ad hoc-­Maßnahmen“ in Kurbayern 207 gab es eine Vielzahl an Reformen, die in Reak­tion „auf die Vermehrung der Staatsaufgaben und auf zunehmende Versach­lichung und Verrecht­lichung der Verwaltungstätigkeit“208 darauf zielten, „die Arbeit des Behördenapparates effizienter zu gestalten“.209 Diese reformerischen Maßnahmen des „Verwaltungsstaat[es]“210 sind im Zusammenhang mit dem ‚epochenmachenden‘ Absolutismus bzw. aufgeklärten Absolutismus respektive Reformabsolutismus zu sehen. An dieser Stelle anzuführen ist,211 dass in Kurbayern die Verwaltungsreformen auch darauf hinausliefen, „das Prinzip der Schrift­lichkeit der Verwaltung weiter“ durchzusetzen, mit dem archivhistorischen Ergebnis, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine umfassendere Quellenüberlieferung einsetzte als in 2 03 Teuscher, Erzähltes Recht (2007), S. 35. 204 Bahlcke, Staat in der Frühen Neuzeit (2012), S. 25. 205 Menk, Archiv (2005), Sp. 626. 206 Demel, Reformstaat (2010), S. 9. 207 Schmid, Reformabsolutismus (1991), S. 58. 208 Becker, Ra­tionalisierung der Verwaltung (2000), S. 242. 209 Schmid, Reformabsolutismus (1991), S. 58. 210 Schindling, ‚Verwaltung‘ (1991), S. 63 – 69. 211 Um den einleitenden Rahmen nicht zu überdehnen, setzt sich Abschnitt A.1. eingehender mit dem aufgeklärten Absolutismus respektive Reformabsolutismus auseinander. Er wird in gebotener Ausführ­lichkeit zeigen, dass die RKG-Visita­tion als eine – überspitzt formuliert – reformabsolutistische Reform des Reiches zu begreifen ist.

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den Jahrzehnten und Jahrhunderten davor.212 Oder aber das Archivwesen: Nicht nur in Kurbayern, sondern auch in Österreich kam es zu einem „steigende[n] Bedürfnis nach einer geordneten Archivierung wichtiger Dokumente“.213 Belegt sind überdies die österreichischen Bemühungen, die Registratur als die entscheidende „Zwischensta­tion“ ­zwischen Kanzlei und Archiv „in der aus laufenden reponierte Akten werden“214 neu zu ordnen, um die „rasch zunehmende Flut an Verordnungen und Akten“ zu bewältigen.215 All diese Maßnahmen sind Ausdruck eines reformerischen Effizienzstrebens, das für die Aufwertung der Schrift­lichkeit oder – präziser – für die Aufwertung von handschrift­lichen Schriftstücken steht, die im Verwaltungs- und Regierungshandeln einer sich zunehmend verdichtenden Herrschaft anfielen. Bedeutsam für den thematischen Gesamtrahmen dieser Studie ist zudem, dass sich ein solches Effizienzstreben auch auf Reichsebene bemerkbar machte. Zum einen ist die Reichshofkanzlei und damit eine der insgesamt drei ‚­reichischen‘ Kanzleien (neben der Reichskanzlei beim Reichstag 216 und der Kanzlei des RKG) zu nennen.217 Die 1559 aus der Reichs- und Hofkanzlei hervorgegangene, am Kaiserhof und damit fast immer in Wien ansässige Reichshofkanzlei 218 war im Wesent­lichen für „den Schriftverkehr des Reiches, insbesondere die Ausfertigung von Urkunden und Protokollen“, zuständig.219 Von Interesse ist, dass es im Laufe des 18. Jahrhunderts zu mehreren Neuerungen kam, die allesamt für die Schrift­ aufwertung stehen, beginnend 1739 mit der erstmaligen Aufstellung eines so genannten Expeditors, der die ordnungsgemäße Arbeit der Kanzlei zu überwachen hatte, über die Registraturen, wo in den „letzten 40 Jahren des alten Reiches“ sich eine „intensivere Tätigkeit entfaltet[e]“, bis zu dem so genannten Reichsarchiv, wo man im Jahr 1764 damit begann, die „eingerissene[…] Unordnung“ durch die Aufarbeitung der alten Aktenbestände „zu steuern“.220 Ähn­liches lässt sich für 212 Schmid, Reformabsolutismus (1991), S. 58; Heyl, Protokolle (1958), S. 56. 213 Becker, Ra­tionalisierung der Verwaltung (2000), S. 232 (Anm. 39). 214 Vismann, Akten (2000), S. 176. 215 Becker, Ra­tionalisierung der Verwaltung (2000), S. 232. 216 In Abgrenzung zu der Reichskanzlei, aus der die Reichshofkanzlei hervorging. Siehe zu der Begriff­lichkeit Hoke, Reichskanzlei (1990), Sp. 664. 217 Einen Überblick über alle drei Kanzleien liefert immer noch Seeliger, Reichskanzleien (1889), S.  124 – 185. 218 Von 1578 bis 1612 befand sie sich in Prag und von 1742 bis 1745 in München und Frankfurt a. M. 219 Kern, Reichhofkanzlei (1986), Sp. 626. 220 Gross, Reichshofkanzlei (1933), S. 114 (Expeditor), S. 236 f. (Registraturen) u. S. 301 f. (Archiv). Die Reichshofkanzlei und das Reichsarchiv thematisiert bereits ausführ­lich

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den Reichshofrat (RHR) beobachten. Wie noch zu thematisieren ist, erging bei dem Wiener Reichsgericht, das zugleich kaiser­liche Regierungsbehörde war, am 7. April 1766 ein Reformdekret, das als angemessener „Ersatz für die Visita­tion“ angesehen werden kann.221 Diese selbstverordnete ‚Quasi-­Visita­tion‘ bemängelte u. a. die größte[...] Unordnung in der Verwaltung – die Akten ­seien oft verstümmelt –, weshalb von den Reichshofräten verlangt wurde, auf die Ordnung der Aktenstücke besser zu achten. Die Akten sollten zudem nicht mehr mittels Z ­ ettel, sondern eigenhändig aus der Registratur ausgeliehen werden.222 Im Rückblick auf die eingangs geschilderte Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine und den noch zu behandelnden Bestimmungen der Visita­tion ist deut­lich,223 dass das Ausleihen von Akten in dieser Zeit ein sensibler und daher streitbarer sowie regelungsbedürftiger Vorgang war. Die Komplexität einer autopoietischen Schriftkultur im Sinne Schlögls lässt sich aber auch daran bemessen, ob es und in welcher Form es Erschließungshilfen gab. Für die Reichshofkanzlei zum Beispiel ist zwar bereits aus dem Jahr 1561 ein Index überliefert, der für jeden Monat in alphabetischer Ordnung den Schrift­verkehr verzeichnet. Eine deut­liche Vermehrung der Fundbehelfe setzte jedoch erst im 18. Jahrhundert ein.224 Ein solches Ordnungsverlangen, das auch die Arbeit der Visitatoren und nicht zuletzt die Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine prägte, hatte wohl zwei wesent­liche Ursachen: Zum einen wurden die zu verwaltenden Aktenstücke immer umfangreicher (dies wäre der quantitative Aspekt), und zum anderen ist die hier thesenartig vertretene und mit der Quantität korrespondierende Annahme anzuführen,225 dass die Schrift­lichkeit eine qualitative Aufwertung erfuhr. Für den intensiveren und reflektierteren Umgang mit der Schrift­lichkeit auf Reichsebene steht schließ­lich auch das RKG. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei dem Kameralverfahren die Schrift­lichkeit wichtiger war als beim Reichshofrat 226 und damit jede ‚reichische‘, aber auch territoriale ‚Behörde‘ Moser, Teutsches Staatsrecht 6 (1752), S. 383 – 474. 221 Sellert, Regelungen Visita­tion (1990), S. 128. 222 Sellert, Ordnungen RHR (1990), S. 315 f. 223 Siehe E.2.1. 224 Gross, Reichshofkanzlei (1933), S. 232 u. 236. 225 Man kann davon ausgehen, dass die Aufwertung der Schrift­lichkeit zu einer Vermehrung der zu archivierenden Schriftmasse führte, aber auch umgekehrt, dass die Schrift­lichkeit, die sich im Zuge der intensiveren Verwaltungstätigkeit vermehrte, zu einer (neuer­lichen) Schriftaufwertung führte. 226 Diestelkamp, Schrift­lichkeit im Kameralprozeß (2009), S. 115 macht allerdings darauf aufmerksam, dass es auch beim RKG einige münd­liche Verfahrenselemente gab, „die eine

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ihre eigene ‚Schriftgebrauchsgeschichte‘ hatte, lässt sich festhalten, dass es auch hier schriftrelevante Ordnungsvorhaben gab. Dies werden die Ausführungen zu den Reforminhalten (Kapitel E) verdeut­lichen. Aufgrund der allgemeinen defizitären Forschungslage – gerade die Schriftpraxis der Reichsinstitu­tionen, aber auch der alltäg­liche Schriftgebrauch der territorialen und reichsstädtischen Verwaltungs- und Regierungsapparate ist noch weitgehend unerforscht 227 – handelt es sich hierbei vielfach um eine Spurensuche, die bei den überlieferten Visita­tionsakten ansetzt – Akten, die, dies ist mitzubedenken, die Zeitgenossen vielfach publiziert wissen wollten. So forderte der s­ päter wegen Korrup­tion entlassene Assessor Christian von Nettelbla, zumindest die Akten der letzten RKG-Visita­tionen ans Licht der Öffent­lichkeit zu bringen.228 Mit dieser Bemerkung schließt sich der hier aufgezeigte ‚Schriftkreis‘ insofern, als Handschrift und Druckschrift im vormodernen ‚Druck- und Aktenzeitalter‘ durchaus eine Symbiose eingehen konnten, indem einerseits Akten und – wie zu zeigen ist – auch Visita­tionsakten ediert wurden, und es andererseits auch noch im 18. Jahrhundert handgeschriebene Zeitungen gab.229 Zutreffend ist es auch, dass der Buchdruck als „das Standardisierungsmedium par excellence“ nicht nur dazu beitrug, „dass man sich immer mehr darum bemühte, das Schriftwissen zu aggregieren“, sondern er auch anregte, immer mehr zu verschrift­lichen.230 Ein archiv-, verwaltungs-, verfahrens-, alltags- oder auch wissensgeschicht­licher Blick auf die Schriftpraxis der Visita­tion mahnt jedoch dazu, Handschrift und Druckschrift in keinen unspezifischen ‚Schrifttopf ‘ zu werfen oder gar die handschrift­liche Seite der vormodernen/frühneuzeit­lichen ‚Schriftmedaille‘ zu

gewisse Beweg­lichkeit innerhalb des Systems gewährleistete[n]“. Zum RHR Ortlieb, Prozeßverfahren RHR (2009). 227 Während mit Friedrich S., Drehscheibe Regensburg (2007) eine Grundlagenstudie zur Kommunika­tions- und damit im Kern zur Schriftpraxis des Immerwährenden Reichs­ tages vorliegt, fehlen vergleichbare Studien zu den Reichsgerichten oder auch zu den drei bereits genannten ‚reichischen‘ Kanzleien. Diese Lücken kann auch die vorliegende Studie nicht schließen. Wie etwa genau die Kanzlei des RKG arbeitete, geht aus den bisherigen Forschungen nur ansatzweise hervor. Siehe zur Kanzlei des RKG: Diestelkamp, Reichs­ erzkanzler und RKG (1997); Ders., Von der Arbeit des RKG (1995) [hier insbesondere die vergrößerten Bildausschnitte S. 112, 115, 116, u. 118 – 120]; Scheurmann, Frieden durch Recht (1994), S. 137 f.; Smend, Reichskammergericht (1911), S. 311 – 341 (insbesondere S.  327 – 333); Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 45 – 49. 228 [Nettelbla/Schnitzlein], Reverien (1768), ‚Reformtraum‘ 40. 2 29 Die Aktenedi­tionen thematisiert Friedrich S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 468 – 475. Zu den handgeschriebenen Zeitungen ebd., S. 205. 230 Behrisch, Wissen in der Frühen Neuzeit (2008), S. 460 f.

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marginalisieren. Die Studie wird vielmehr (auch im Hinblick auf den Briefroman ‚Die Leiden des jungen Werthers‘, der für die ‚Brief-­Affinität‘ des 18. Jahrhunderts steht)231 deut­lich machen, dass auch in der ‚Gutenberg-­Galaxis‘ „Manuskripte oder handgeschriebene Briefe und zumal münd­liche Komm[unika­tion] im fließenden Übergang zu handschrift­lichen Texten wichtig“ blieben.232 Ziel ist es schließ­lich, das Mit-, Neben-, In-, aber auch Gegeneinander von handschrift­ lichen, druckschrift­lichen und münd­lichen Kommunika­tionsformen in einer Zeit zu betrachten, die mit Schlögl als ‚finale‘ Transforma­tionsphase der Anwesenheitsgesellschaft oder mit Koselleck als Beginn der Sattelzeit (und hier wiederum als ‚Wertherzeit‘) begriffen werden kann.

2 31 Nickisch, Brief (1991), S. 44 – 59. 232 Zimmermann, Medien (2008), Sp. 230. Zu betrachten ist also ein Ensemble von schrift­ lichen und oralen Medien, wie etwa bei Disch, Hausen im wilden Tal (2012), S. 396 – 452 oder – unter Einschluss von Bildmedien – Schwerhoff, Straf-­Akte(n) (2006) zu lesen ist.

A. Reformzeiten

Zeit ermög­licht es, „Bewegung hinsicht­lich des ‚davor‘ und des ‚danach‘“1 zu messen. Dieses Vorher und Nachher und damit das Werden der Visita­tion zu bestimmen, ist das Ziel des ersten Kapitels. Konkret ist beabsichtigt, den ‚Visita­tionshorizont‘ der Zeit zu beschreiben [A.1.2.]. Gemeint ist damit die Frage, wie es um das Wissen bzw. Nichtwissen der Zeitgenossen über die Reichskammergerichtsvisita­tionen VOR dem Beginn der Visita­tion im Jahr 1767 bestellt war und w ­ elche (vielfach enttäuschten) Erwartungen die Zeit­ genossen mit der Visita­tion verbanden. Betrachtet man näm­lich die Geschichte der Visita­tionen vom visita­tionsreichen 16. Jahrhundert bis zur visita­tionslosen Zeit der 1760er Jahre, dann stellt man sehr schnell fest, dass die Visita­tion eine Reform ohne oder doch zumindest mit einer nur sehr eingeschränkten Reformtradi­tion war. Die Visita­tion war, um mit den Worten des Reichsvizekanzlers Colloredo zu sprechen, ein so viele Jahre still gelegene[s] und dahero in eine allgemeine Vergessenheit verfallene[s] Geschäfft.2 Welche Bedeutung ­dieses Vergessen und Erinnern für die Vorbereitung und Durchführung der Visita­tion hatte, soll einerseits erörtert werden. Andererseits darf der Visita­ tionshorizont der Zeit nicht isoliert betrachtet werden. Gerade die Jahre nach dem Hubertusburger Frieden (1763) lassen sich als eine Phase des sog. Aufgeklärten Absolutismus bzw. des Reformabsolutismus begreifen, in der es vielfach zur Umsetzung reformerischer Maßnahmen kam [A.1.1.]. Beeinflussten diese Reformen den Visita­tionshorizont der Zeit? Gab es nach dem Siebenjährigen Krieg einen ‚reformerischen Geist‘, der die Durchführung und/oder die Wahrnehmung der Visita­tion beeinflusste? Fest steht, dass die Visita­tion, verstanden als Reform sui generis,3 keineswegs in einer reform­ losen Zeit durchgeführt wurde. Im Gegenteil: Das 18. Jahrhundert war reich

1 So die Defini­tion von Aristoteles: Zeit ist „die Messzahl von Bewegung hinsicht­lich des ‚davor‘ und des ‚danach‘“ [zitiert nach Beck/Geus, Katechismus der Geschichtswissenschaft (2005), S. 55 f.]. Siehe grundsätz­lich zu dieser Grundkategorie der Geschichtswissen­ schaft Koselleck, Zeit (2002). 2 Gutachten Colloredos vom 12. November 1766, in: Khevenhüller-­Metsch, Tagebuch (1764 – 67/1917), S. 482 – 502, hier S. 492. 3 Hierauf und auf die Begriff­lichkeit ‚Reform‘ und ‚Visita­tion‘ wird noch ausführ­lich eingegangen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der ‚Visita­tionshorizont‘ der Zeit wird als Teil des ‚Reformhorizontes‘ begriffen.

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an Reformen, die, so die Ausgangsthese, den reformpolitischen, ja vielleicht sogar mentalitätsgeschicht­lichen Hintergrund bildeten, vor dem die Zeit­ genossen das Tun der Visita­tion bewerteten. Zeit wird somit in den folgenden Ausführungen nicht nur als „theoretische Bedingung unserer Welterfassung“ begriffen,4 sondern immer auch als Lebenswirk­ lichkeit der in der Vergangenheit agierenden Menschen. Dies wird vertiefend Abschnitt A.2. verdeut­lichen. Er wird der Frage nachgehen, w ­ elche Bedeutung die tages-, wochen-, monats- und jahresstrukturierende Zeit für das Reform­projekt ‚Visita­tion‘ hatte. Die Rekonstruk­tion einer idealtypischen Woche mit ihren ­epochen- und gegenstandsspezifischen Arbeitszyklen wird dabei, soweit mög­lich, auch all jene Stunden erfassen, die nicht der eigent­lichen Arbeit, sondern dem gesellschaft­lichen Leben, aber auch der Muße und Erholung, kurz Freizeit,5 galten. Hierdurch wird es mög­lich sein, den Blick für die Zwänge der Zeit zu schärfen. Darüber hinaus soll die „Autorität der Zeit“6 ‚in der Zeit‘ dadurch verdeut­licht werden, dass die Visita­tion von Anbeginn eine Kostenfrage [A.3.] war. Insbesondere die detaillierten Kostenabrechnungen, ­welche die Visita­tionsdelega­tionen an ihre Höfe und Städte sandten, werden unterstreichen, dass es die Visita­tion nicht umsonst gab, sondern vielmehr unter den Zeitgenossen ein Kosten-­Nutzen-­ Kalkül bestand, welches dem Diktat der Zeit folgte. In ­diesem Sinne bedarf es auch einer Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Weitläufigkeit‘ [A.4.]. Er lässt sich als Schlüsselbegriff der Visita­tionsakten begreifen, mit dem all jene Vorgänge diskreditiert wurden, die zu langatmig waren und damit dem ‚Reformhorizont‘ der Zeit widersprachen. Zu bedenken ist überdies, dass vermut­lich „jede Geschichte ihr eigenes Zeitmaß in sich birgt“7 und deshalb die Visita­tion mit ihrer scheinbar immerwährenden und als zu weitläufig diskreditierten Verfahrenszeit nicht nur dem Reformhorizont, sondern auch und in erster Linie dem Zeitempfinden der Zeit widersprach. Diesem Zeitmaß der Visita­tionsjahre nachzugehen, ist das erklärte Ziel der folgenden Ausführungen.

4 Brupbacher, Keine Zeit! (2007), S. 12. 5 Eine Grenzziehung ­zwischen Arbeits- und Freizeit ist schwierig, punktuell jedoch ­mög­lich, und zwar auch deshalb, weil die Freizeit im 18. Jahrhundert eine „neue Dimension“ erreichte [Arcangeli, Freizeit (2006), Sp. 1219]. 6 Brendecke/Fuchs/Koller, Autorität der Zeit (2007). Siehe auch grundsätz­lich Landwehr, Alte Zeiten, Neue Zeiten (2012). 7 Koselleck, Zeitschichten (2000), S. 331.

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A.1. Da wir jetzo in einer geseegneten Reformationszeit leben A.1.1 Der Reformhorizont der Zeit Das 18. Jahrhundert war reich an Reformen, ja vielleicht „ein“, wenn nicht sogar „das Jahrhundert der (großen) Reformen“.8 Ob im Agrar-, Bildungs-, ­Kirchen-, Rechts-, Sozial-, Verwaltungs- oder Wirtschaftsbereich,9 überall kam es zu Veränderungen, die sich mit dem im 18. Jahrhundert aus dem Franzö­sischen ins Deutsche übernommenen Begriff Reform umschreiben lassen. Das Substantiv ‚Reform‘ und das ältere, vom lateinischen reformatio (Wiederherstellung, Umbildung) stammende Substantiv ‚Reforma­tion‘ sind zeitgenös­sische, aber auch historiographische Schlüsselbegriffe „zur Bezeichnung der legitimen Umgestaltung bestehender Verhältnisse“.10 Beide Begriffe, Reform und Reforma­ tion, lassen sich inhalt­lich bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht klar unterscheiden. Reforma­tion meint vor allem die Wiederherstellung einer gestörten Ordnung, Reform bzw. das franzö­sische Substantiv réforme zunehmend eine

8 Stollberg-­Rilinger spricht von ‚Ein Jahrhundert der Reformen‘ – so die Überschrift des Kapitels 8 in: Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 194 – 230 –, Vocelka von ‚Das Jahrhundert der großen Reformen‘ [Glanz und Untergang der höfischen Welt (2001), S.  353 – 389]. 9 Diese Aufzählung ist eine grobe Typologisierung der vielfältigen, sehr heterogenen Reformen, die weitgehend dem Lexikon zum Aufgeklärten Absolutismus [hg. von Reinalter (2005)] folgt. Anders akzentuierte ‚Metatypologien‘ bzw. einen Überblick über „einzelne […] Reformmaßnahmen“ (Demel, S. 8) oder „die wichtigsten Reformtendenzen“ (Stollberg-­R ilinger, S. 210) bieten u. a. Demel, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus (1993), S. 8 – 31, Duchhardt, Barock und Aufklärung (2007), S. 136 – 148, und Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 210 – 230. 10 So Schilling [Reform (2009), Sp. 777], der zumindest von einem Schlüsselbegriff der Zeit spricht. Doch auch für die Geschichtsforschung scheint dieser Begriff eine (über)prominente Rolle zu spielen (siehe nicht nur die Angaben in Anm. 8). Die hier angestrebte kritische Verwendung des Begriffs, wie sie für das Spätmittelalter bei Rogge, Reformieren und Regulieren (2008) zu finden ist, erscheint umso notwendiger, als auch in der gegenwärtigen (politischen) Alltagssprache von ‚Reform‘ geradezu infla­tionär die Rede ist. Eine historisch-­g egenwartspolitische Einordnung bietet Bollmann mit seinem Werk ‚Reform. Ein deutscher Mythos‘ (2008). Anders hingegen in Frankreich: Hier wurde der Begriff „weitgehend marginalisiert; ‚réforme‘ bezeichnet dort bis heute vielerlei, nicht zuletzt das religionsgeschicht­liche Ereignis der Reforma­tion, spielt hingegen als polit[ischer] Begriff kaum eine Rolle“ [Schilling, Reform (2009), Sp. 784].

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„Verbesserung im Sinne einer Neuerung“.11 Den sprachgeschicht­lichen Befund, dass der deutsche Begriff Reform, aber auch das Verb reformieren 12 „bis in die Zeit der Franzö­sischen Revolu­tion relativ selten“13 blieben, kann auch die vorliegende Untersuchung bestätigen. In sämt­lichen geschriebenen oder gedruckten Visita­tionsquellen ist nie von Reform, sondern, wenn überhaupt, von Reforma­tion die Rede. So heißt es z. B.: Es ist also erforder­lich, daß von Visitat[ion]s wegen [...] Reforma­tion geschehe,14 oder die in Puncto Reforma­ tionis Judicii Cameralis erlassenen Dekrete. 15 Reforma­tion im zitierten Kontext meint – ganz im Sinne des Wortursprungs – die Wiederherstellung einer wie auch immer gestörten Ordnung. Diese an der Vergangenheit orientierte Reformrichtung galt für das gesamte Tun der Visita­tion. Hier wurde, ungeachtet der allgemeinen „Verzeit­lichung und Vergeschicht­lichung der Welt“ seit 1750,16 nicht reformiert im Sinne einer zukunftsorientierten Neuerung, sondern reformiert im Sinne der Rückkehr zu einem früheren, idealisierten Zustand. Reform im ‚moderneren‘ Sinne (Neuerung) war sogar ein ‚Scheltwort‘, das wie Weitläufigkeit der Diskreditierung missliebiger Änderungen diente. Als etwa die kaiser­liche Kommission davon hörte, dass bei der Visita­tionseröffnung

11 Schilling, Reform (2009), Sp. 781. Anders jedoch Reinalter. Nach ihm wurde ‚‚Reform‘ […] von ‚Reforma­tion‘ deut­lich [Hervorhebung des Verf., A. D.] unterschieden. Reform war die vergangene große Veränderung, während Reform nun für die Gegenwart und Zukunft eingeführt wurde’ [Reinalter, Reformen/Reformabsolutismus (2005), S. 519]. 12 Das Verb ‚reformieren‘ taucht in den ausgewerteten Visita­tionsquellen nicht auf. ‚Der Zedler‘ hingegen führt einen eigenen Eintrag. Dort [Bd. 30 (1741), S. 856 f.] heißt es: Reformiren, Lat. reformare, Fr. reformer, bedeutet eigent­lich ändern, erneuern, ­verbessern, in besseren Stand setzen, zurechte machen, wieder einrichten, ingleiches meistern, hofmeistern, Lat. mutare, emendare; ferner eine andere Religion zwingen […], desgleichen ist es auch ein Kriegs-­Wort, und heisset abdancken […]. Neben der Bedeutungsvielfalt ist der Erneuerungsaspekt hervorzuheben. 13 Schilling, Reform (2009), Sp. 781. Siehe hier auch die weitere, für die vorliegende Untersuchung nicht mehr relevante Begriffsbedeutung unter dem Eindruck der Franzö­ sischen Revolu­tion. Sie führte dazu, dass die bislang „austauschbare[n] Begriffe“ Reform und Revolu­tion [Zimmermann, Reform (1992), Sp. 410] sich voneinander abgrenzten; Reform wurde zu einem Gegenbegriff, der „es erlaubte, Neuerungen ohne revolu­tionäre Umwälzung zu benennen“ [Schilling, Reform (2009), Sp. 782]. Zur erweiterten ‚Begriffstrias‘ Reform, Revolu­tion und Restaura­tion siehe Mohnhaupt, Reform (2008). 14 SD Kurmainz, 953. Session vom 26. April 1775 [StadtAA RKG 57]. 15 StadtAA RKG 33, Rela­tion 130 (undatiert). 16 Burkhardt, Frühe Neuzeit (2003), S. 464.

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neben dem Sekretär des Direktoriums auch andere Sekretäre teilnehmen sollten, sprach sie von einer unerhörte[n] und unerwarthete[n] Neuerung, die einem Actus Tumultuarius g­ leiche.17 Oder aber die Prokuratoren und Advokaten, die im März 1766 die missliebige Erhöhung der Kanzleigebühren als – so der Titel der Druckschrift – von höchsten Gerichts Canzley-­Tax-­Amt eingeführt werden wollende Neuerungen bezeichneten.18 In Abgrenzung zu dieser pejorativen Bedeutung des Wortes Neuerung kann die Visita­tion des RKG ‚wertneutral‘ als ein an der Vergangenheit orientierter Reformprozess oder, ‚reformfrei‘ formuliert, als bewusst gestalteter Veränderungsprozess verstanden werden. Damit zum Ausdruck gebracht ist, dass es sich bei der Visita­tion nicht um einen wie auch immer gearteten Modernisierungsprozess, sondern um eine Veränderung, einen Wandel handelte, welcher der vergangenheitsorientierten Legitimierung bedurfte.19 Veränderungen wie diese begannen immer in einem Ist-­Zustand, der entweder in Richtung Zukunft oder, wie bei der Visita­tion, in Richtung Vergangenheit geändert werden sollte. Am Ende stand aber stets etwas Geändertes, etwas Neues – darüber darf auch das zeitgenös­sische ‚Scheltwort‘ Neuerung nicht hinwegtäuschen.20 Mit der Orientierung der Visita­tion an der Vergangenheit, um nicht zu sagen mit der Fixierung auf sie, scheint auch ein wesent­licher Unterschied zu den eingangs erwähnten Reformen benannt zu sein. All diese Reformen „gaben sich nicht mehr als Rückkehr zum guten alten Herkommen aus und waren manchmal von einem geradezu revolu­tionären Gestaltungsoptimismus geprägt“.21 Der Optimismus zur Neugestaltung der Welt ist dabei ein wichtiges Merkmal des Aufgeklärten Absolutismus. Dieser 1847 von dem Na­tionalökonom

17 HHStA Wien MEA RKG 346 fol. 7, Spangenberg (KK) an Wurmb (SD Kursachsen), 11. Mai 1767. Der ‚Sekretärsstreit‘ wird näher behandelt unter B.1.4. 18 StadtAA RKG 78 fol. 449. 19 Offen hingegen ist, wann eine Veränderung als Reform gelten kann. So lässt sich mit ­Walter Demel fragen, der den Reformbegriff allerdings rein ‚modernistisch‘ und zu politik­ zentriert versteht: „Welche Dichte müssen Modernisierungen erreichen, um eine Politik als R[eform] zu kennzeichnen?“ [Demel, Reformabsolutismus (2009), Sp. 787]. Diese Frage verweist auf die Prozesshaftigkeit von Reformen. Ob dies als ein Wesensmerkmal aller Reformen gelten kann? 20 Das Wort Neuerung war jedoch nicht nur negativ besetzt. Im Zedler, Artikel Neuerung [Bd. 24 (1740), Sp. 127 f.], wird u. a. ­zwischen vernünftigen und unvernünftigen Neuerungen unterschieden. Zu beachten ist ferner der (wohl von einem anderen Autor verfasste) Artikel ‚Neuern, erneuern, verneuern‘ [Bd. 24 (1740), Sp. 113], der sich ganz im Sinne des ‚Visita­tions-­Scheltworts‘ Neuerung liest. 21 Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 209.

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Wilhelm Roscher geprägte und seit über 80 Jahren kontrovers diskutierte Begriff 22 meint im Wesent­lichen zweierlei: Entweder umschreibt er „einen Vorgang des komplexen Machtausbaus, dem die Aufklärung als herrschaftsstabilisierende Ideologie diente“;23 hier also steht die Vermehrung der staat­lichen Macht und damit die Herrschaftspraxis im Vordergrund. Oder er bezeichnet nach der älteren, vielfach zitierten Defini­tion von Fritz Hartung „eine von der Philosophie, insbesondere von der Staatslehre der Aufklärung stark beeinflusste Regierungsweise“,24 womit „die Zielsetzung dieser Macht im Sinne der Aufklärung“25 und damit die Herrschaftsauffassung im Vordergrund steht.26 Beiden Begriffsdeutungen gemein ist, dass Aufklärung und Absolutismus etwa ­zwischen 1740 bis 1790 – auch der Zeitraum ist umstritten 27 – eine (Zwangs-) Symbiose eingingen, deren realpolitisches ‚Output‘ insbesondere, aber nicht ausschließ­lich  28 in den Reformen lag. Und genau hier, bei der Reformpraxis, setzt der von Günter Birtsch geprägte Alternativbegriff Reformabsolutismus an. Ausgehend von den preußischen und österreichischen Reformen des 18. Jahrhunderts betont er, dass all diese Maßnahmen weniger (aufgeklärten) Idealen als der absolutistischen Herrschaftsverdichtung dienten.29 Der Begriff Reformabsolutismus rückt also die reformerische Praxis in den Mittelpunkt, die im Sinne einer Staatsverdichtung gedeutet wird. 22 Borgstedt, Zeitalter der Aufklärung (2004), S. 21. Wie sehr sich die Forschung seitdem weiterentwickelt hat, verdeut­licht Ventzke, Sachsen-­Weimar-­Eisenach 1775  –  1783 (2004). Er relativiert und negiert aus praxeolo­gischer Perspektive die Mög­lichkeiten, das (reform-)politische Handeln dieser Zeit mit der Vorstellung eines aufgeklärten Absolutismus oder Reformabsolutismus zu beschreiben oder gar zu begreifen. Siehe hierzu auch den Forschungsüberblick von Demel, Reformstaat (2010), S. 129 – 140. 23 Meyer, Epoche der Aufklärung (2010), S. 97. 24 Hartung, Der aufgeklärte Absolutismus (1955), S. 20, wobei auch hier die Herrschaftsbzw. ‚Staatspraxis‘ [ebd.] stark gewichtet wird. 25 Reinalter, Vorwort Lexikon (2005), S. 11. 26 Diese Doppelbedeutung bzw. „zwei kontroverse Standpunkte“ hält allen voran Reinalter fest [Reinalter, Vorwort Lexikon (2005), S. 11 f.]. Eine andere Akzentuierung findet sich bei Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel (2005), S. 217 Anm. 1. Hier erscheint die Herrschaftspraxis weniger als Trennlinie innerhalb des Aufgeklärten Absolutismus, als vielmehr ­zwischen Aufgeklärtem Absolutismus und Reformabsolutismus. 27 Borgstedt, Zeitalter der Aufklärung (2004), S. 22 f. Zur Verschärfung der Periodisierungsproblematik durch den Alternativbegriff Reformabsolutismus siehe auch Demel, Reformabsolutismus (2009), Sp. 787. 28 Nach Reinalter sollten die Reformen „im Aufgeklärten Absolutismus weder überschätzt noch unterschätzt werden“[Reinalter, Reformen/Reformabsolutismus (2005), S. 520]. 29 Birtsch, Reformabsolutismus (1996).

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Gegen beide begriff­lichen und inhalt­lichen Konzepte lassen sich Bedenken anführen,30 zumal der konzep­tionelle Überbau ‚Absolutismus‘ zunehmend dekons­ truiert wird.31 ‚Der‘ Reformabsolutismus und ‚der‘ Aufgeklärte (oder auch, kleingeschrieben, aufgeklärte) Absolutismus verweisen jedoch ebenso wie der interna­ tional bevorzugte Begriff Reformdespotismus 32 darauf, dass die Visita­tion des RKG in eine Zeit der verdichteten reformerischen Maßnahmen fiel. Das heißt natür­lich nicht, dass die sehr heterogenen, reformabsolutistischen/aufgeklärten absolutistischen/reformdespotistischen Aktivitäten auf territorialer Ebene und die ‚reichische‘ Visita­tionsreform in einen noch unspezifischeren ‚Reformtopf ‘ geworfen werden dürfen.33 Solche Bedenken können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es so etwas wie ‚reformerische Berührungspunkte‘ gab, die es erlauben, von einem gemeinsamen ‚Reformhorizont‘ zu sprechen. Zum einen war es Primäranliegen vieler reformabsolutistischer Reformen 34 zu ra­tionalisieren.35 Ziel war es einem zeitgenös­sischen Sinnbild folgend, dass „alle 30 So hat der Aufgeklärte Absolustismus den „‚Keim der Überwindung in sich‘ getragen“ [Demel, Reformstaat (2010), S. 64]. Zudem wird mit der „kritischen Distanzierung vom Begriff des ‚aufgeklärten Absolutismus‘ […] wieder deut­licher, dass die Reform­ tätigkeit des Staates zentrale Impulse nicht nur aus der Aufklärung bezog, sondern auch aus dem Kameralismus und dem Politikkonzept der ‚guten Policey‘“ [Holenstein, Gute Policey (2003), S. 67]. Und für den Reformabsolutismus stellt sich die „Grundfrage, ob die Verbindung von Reformtätigkeit und Absolutismus generell zwingend ist“ [Neugebauer-­Wölk, Absolutismus und Aufklärung (1998), S. 576]. 31 Gemeint ist natür­lich die 1992 von Nicholas Henshall ausgelöste und noch keineswegs beendete Debatte um den ‚Mythos Absolutismus’. Pauschal kann hier auf Freist, Absolutismus (2008), insbes. S. 24 – 35, verwiesen werden. 32 Borgstedt, Zeitalter der Aufklärung (2008), S. 21. Georg Schmidt hat den Begriff jüngst [2009] in seiner deutschen Geschichte des 18. Jahrhunderts verwendet[S. 201 – 211]. 33 Die Unvergleichbarkeit der reformerischen Aktivitäten bringt Georg Schmidt zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Flüsse wurden reguliert, Chausseen angelegt, Straßen und Wege befestigt, die Postverbindungen erweitert, die medizinische Versorgung und Vorsorge verbessert, Manufakturen gegründet, Armen-, Waisen- und Zuchthäuser gebaut, Witwenund Feuerversicherungen eingerichtet, die Allmacht der Gewerbekorpora­tionen verringert, Leibeigenschaft, Zwangsdienste und die Macht der Gewerbekorpora­tionen eingeschränkt, Allmenden und Kammergüter privatisiert, Schulen und Universitäten verbessert. Landesherr­liche Verordnungen sorgten für den Anbau neuer Pflanzen. Der Klee und die Kartoffel wurden in Deutschland endgültig heimisch […]“ [Schmidt, G., Wandel durch Vernunft (2009), S. 203 f.]. Kartoffel, Klee und RKG, ein Reformfeld? Sicher­lich nicht! 34 Es kommt fortan nur der Begriff Reformabsolutismus zur Anwendung, da hier die für die Studie besonders relevanten Reformen (begriff­lich) im Mittelpunkt stehen. 35 Den Stellenwert der Ra­tionalisierung unterstreicht Niedhart, Aufgeklärter Absolutismus oder Ra­tionalisierung der Herrschaft (1979).

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Kräfte des Staates […] wie die Räder einer Maschine zum Zweck der allgemeinen Wohlfahrt ineinandergreifen“.36 Ist es Zufall, dass eine ­solche Maschinenmetapher auch im Umfeld der Visita­tion auftauchte? In einer noch zu behandelnden Reformschrift des Prokurators Christian Jacob von Zwierlein (1767) ist von Räder[n] und Triebfedern des RKG sowie von dem inneren Gang der Maschine die Rede, der von dem Druke in untereinander verbundenen Röhren abhänge. Aufgabe der Visita­ tion sei es, so Zwierlein, die leblose Maschine wiederaufzurichten.37 Anknüpfend an diese Ra­tionalisierungsmetapher werden die weiteren Ausführungen [A.1.3.] verdeut­lichen, dass die Visita­tion tatsäch­lich als ein ‚reichisches‘ Reforminstrument zur Ra­tionalisierung der Höchsten Gerichtsbarkeit begriffen werden kann und dass dieser Ra­tionalisierungsanspruch zeit- und reformtypisch war. Zum anderen lässt sich von einem gemeinsamen ‚Reformhorizont‘ sprechen, wenn man die vielen reformerischen Maßnahmen auf territorialer Ebene bedenkt, die, wie auch die RKG-Visita­tion, einer krisenhaften Situa­tion entsprangen. Gerade die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg war eine Zeit der Reformen, „weil der Krieg die Wirtschaft belastet und die staat­lichen Finanzen erschöpft hatte“; es kam zu einer „beschleunigte[n] […] Realisierung von Reformprojekten“.38 Dieser Ausgangspunkt der Reformen auf territorialer Ebene ist einerseits visita­tionsrelevant, weil zu vermuten ist, dass sich hierdurch – durch die zumindest partiell ‚spar­ politisch’ motivierten Reformbestrebungen – der Kostendruck auf die Visita­tion erhöhte.39 Andererseits lässt sich auch die Visita­tion des RKG als eine Reform begreifen, die auf eine durch den Siebenjährigen Krieg verschärfte oder zumindest verstärkt wahrgenommene ( Justiz-)Krise reagiert hat.40 Diese Entwicklung ist dabei krisentypisch. Krisen näm­lich „evozieren Verbesserungsverlangen, die als Reformziele formuliert werden“,41 oder, anders ausgedrückt: Krisenzeiten befördern Reformzeiten, weil sie das Verlangen nach Veränderungen (und damit das 36 Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 209. 37 [Zwierlein], Vermischte Briefe Teil 1(1767), S. 65 f. Zu bedenken ist frei­lich, dass die Maschine seit dem 17. Jahrhundert die „populärste […] Metapher für Universum, Kosmos und Staat“ war, und als idealtypisches Beschreibungsbild dieser Maschinenmethapher vor allem „die im späten 13. Jh. erfundene mechanische Räder-­Uhr [diente], die Nicole Oresme bereits im 14. Jh. für eine Analogie zur Bewegung der himm­lischen Sphäre genutzt hatte“ [Popplow, Maschine (2008), Sp. 80 f.]. 38 Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 209. 39 Damit würde eine Negativ-­Korrela­tion ­zwischen den territorialen Reformen und der Reform des RKG bestehen. 4 0 Siehe hierzu grundlegend zur Semantik der ‚Krise‘ Schlögl, Anwesende und Abwesende (2014), S. 347 – 373. 41 Mohnhaupt, Reform (2008), S. 353 f.

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Verlangen nach Reformen im ‚alten‘ und im ‚modernen‘ Sinne) erhöhen. Damit kommt es zu jener Beschleunigung, die nach Jacob Burckhardt als ein Wesensmerkmal aller Krisen gelten kann. Nach seinem „Idealtypus ‚geschicht­licher Crisen‘“ ist die „‚immer rascher werdende Bewegung‘ der Ereignisse“ ein zentrales Element aller Krisen.42 Krise und Reform erscheinen somit als Konnex, der die Zeit insofern beschleunigt, als sich die Ereignisdichte oder die Wahrnehmung von ‚verdichtetem‘ Handeln erhöht.43 Die Reformen des Reformabsolutismus und die Reform des RKG haben jedoch noch eine weiteren, zentralen Berührungspunkt: Alle Reformen waren politische Reformen, und zwar insofern, als sie von (und für) politische Instanzen 44 legitimiert, initiiert und/oder durchgeführt wurden. Dieses Reformieren ‚von oben‘ darf natür­lich nicht als ein einseitiger Vorgang missverstanden werden. ‚Die da oben‘ waren ebenso gestaltende Akteure einer Reform wie ‚die da unten‘. Statt also einen Herrschafts- bzw. Reformdualismus zu suchen, bei dem es einseitig Reformmacher und Reformempfänger gab,45 ist vielmehr von einer Reformdynamik mit einer Vielzahl von gestaltenden Akteuren auszugehen. Auch im Hinblick auf diese Dynamik ist ferner zu bedenken, dass die Reformen des Reformabsolutismus und die ‚reichische‘ RKG-Reform auch deshalb einem gemeinsamen ‚Reformhorizont‘ entsprangen, weil die Akteure auf beiden Seiten – der ‚reichischen‘ und der territorialen Reformebene – wirkten. Gerade für Kaiser Joseph II. lässt sich sagen, dass er nicht nur, wie noch auszuführen ist, die RKG-Visita­tion beförderte und das Wiener Reichsgericht reformierte, sondern ebenso innerhabsbur­gische Reformen im ­­Zeichen des Reformabsolutismus durchführte.46 Ungeachtet der Zeitachse – die Reformen in den Erblanden erfolgten erst nach den Reformen der Höchsten Gerichtsinstanzen 47 – müssen diese beiden josephinischen ‚Reformsphären’ als Einheit betrachtet werden. Joseph II . war ein historisches Individuum, das, so 42 Ramonat, Krise (2007), Sp. 228. 43 Auch und gerade vor ­diesem Hintergrund soll in den weiteren Ausführungen das ‚Scheltwort‘ ‚Weitläufigkeit‘ und damit das vermeint­liche oder tatsäch­liche langatmige und dadurch krisen- und reformuntypische Handeln der Visita­tion erörtert werden. 4 4 Gemeint sind damit neben Kaiser und Reichstag die Landesherren, aber auch die territorialen Zentralbehörden. 45 Meumann/Pröve, Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen (2004). 4 6 Zum Josephinismus sei pauschal verwiesen auf die forschungsorientierten Überblicke von Borgstedt, Zeitalter der Aufklärung (2004), S. 30 – 34 und Demel, Reformstaat (2010), S.  21 – 23 u.  83 – 92. 47 Die Planungen für die Reformen in den Erblanden liefen jedoch seit den sechziger Jahren [Baumgart, Joseph II. u. Maria Theresia (1990), S. 266]. Erst der Tod seiner ­Mutter im Jahr 1780 hatte dann „den Weg frei gemacht […], seine in den Jahren der Mitregentschaft

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wohl mehr Tatsache als These, die Reformen des Reiches und die Reformen in den Erblanden aus einem ‚(Reform-)Geist‘ heraus betrieb. Und dieser ‚Geist‘ folgte der Maxime: Großes muss man auf eine Schlag vollbringen.48 Mit diesen kaiser­ lichen Worten vom Januar 1766 deutet sich wiederum an, in welchem Bedeutungs­ zusammenhang das ‚Schelt-‘ und Schlüsselwort Weitläufigkeit zu deuten ist. In den Erblanden und auch beim RHR konnte Kaiser Joseph II. die Reformen mit einem Schlag, also schnell und, bezogen auf die innerhabsbur­gischen Reformen, wohl zu schnell durchführen,49 bei der RKG -Visita­tion hingegen war schnelles Handeln aus noch darzulegenden Gründen kaum mög­lich. Kaiser Joseph II . kann damit als ein von der Forschung noch näher zu beleuchtender ‚Kronzeuge‘ eines zeitgenös­sischen ‚Reformhorizontes‘ gelten.50 Zu fragen ist jedoch, ob dieser Horizont sich tatsäch­lich, wie getan, mit den Schlagwörtern ‚Reformabsolutismus‘, ‚politische Reformen‘, ‚Konnex Reform und Krise‘, ‚Beschleunigung‘ und ‚nachhubertusburger Krisen-, Friedens- und Reformära‘ umschreiben lässt. Wenn man näm­lich Reform als einen in die Zukunft oder in die Vergangenheit gedachten Wandlungsprozess begreift, dann scheint es grundsätz­lich notwendig zu sein, alle Wandlungen in den Blick zu nehmen. Die Fixierung auf das Politische ist zumindest kritisch mitzudenken. Denn was genau Assessor Nettelbla und der Mitverfasser der ‚Reverien‘ mit dem überschriftsgebenden [A.1.] Ausspruch Da wir jetzo in einer, Gott gebe, geseegneten Reforma­tionszeit leben 51 meinten, ist nur bedingt mit dem hier erfolgten Zugriff zu erschließen. Als Frage formuliert: Wäre es nicht erforder­lich, wie für die Sattelzeit bereits angedacht, alle „Wandlungsbestrebungen von Ständen, Städten oder Sozietäten, aber auch von reformorientierten Adeligen oder bäuer­lichen Gemeinden“52 in den Blick zu nehmen, die – so ist zu vermuten – gleichfalls das zeitgenös­sische Bild von Veränderungen prägten? Bei einem solchen Zugriff würde der Reformbegriff endgültig an seine Grenzen stoßen. Eine wichtige ‚Klammer‘ zumindest konzipierten Vorstellungen in die praktische Politik einzubringen“ [Duchhardt, Barock und Aufklärung (2007), S. 145]. 48 Zitiert nach Gnant, Josephinismus und das Heilige Römische Reich (2008), S. 41. Siehe hierzu auch Hansen, Verzeit­lichungstendenz des Josephinismus (2012). 49 Es „ging zu rasch, so ein Kritiker rückblickend 1794“ [Schmidt, G., Wandel durch Vernunft, S. 208]. 50 Es ist in dieser Arbeit nicht angedacht, sich eingehend mit Joseph II. zu beschäftigen. Hier wären umfassende Quellen- und Literaturstudien erforder­lich. 51 [Nettelbla/Schnitzlein], Reverien (1768), S. 20. Insgesamt geht es in d ­ iesem Abschnitt (Thema VI) um die Frage, ob eine Partei für den Anwalt büssen soll, wenn dieser Sachen verwahrlosset. 52 Demel, Reformabsolutismus (2009), Sp. 788.

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der politischen Reformen 53 könnte sein, dass all diese Reformen eher mehr als weniger auf die Schrift­lichkeit angewiesen waren. So kreiste nicht nur bei der Visita­tion, sondern auch bei den reformabsolutistischen Reformen vieles um das Papier. Denn was die Monarchen und leitenden Beamten generell auszeichnete, „waren meist lange Regierungs- bzw. Amtszeiten sowie großer Arbeitseinsatz: Die meiste Zeit widmeten sie ihrer Schreibtischarbeit, nicht der Repräsenta­tion, der Jagd oder dem Spiel“.54 Diese profunde Einschätzung ist ein Plädoyer dafür, das Handeln des Monarchen oder des reformierenden Beamten weitestgehend in seiner Gesamtheit zu betrachten. Denn wie ist der Arbeitseinsatz am Schreibtisch zu bewerten, wenn man nicht zugleich, in Abgrenzung dazu, die Zeit des Jagens und Spielens mitdenkt? Für die Visita­tion soll dieser Konnex hergestellt werden. A.1.2 Der Visitationshorizont der Zeit Die RKG-Visita­tion ist als Teil einer umfassenden Reformierungszeit zu begreifen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Visita­tion eine sehr spezifische Reform war, die ihre eigene Geschichte hatte. Wenn im Folgenden diese Eigengeschichte der RKG-Visita­tionen vom beginnenden 16. Jahrhundert bis in die 1760er Jahre behandelt wird, dann ist dies kein Selbstzweck, sondern unerläss­liche Notwendigkeit. Denn die Eigengeschichte macht nicht nur das Werden und das Sein der Visita­tionen für den historisch fragenden Wissenschaftler verständ­licher, sondern sie war überdies ein wesent­licher argumentativer und (damit wohl auch) ideell-­gedank­licher Bezugspunkt der Zeitgenossen. Wie noch deut­lich wird, tauchte ­zwischen 1767 und 1776 die Geschichte der Visita­tion bzw. Geschichten/Begebenheiten/Beschlüsse vergangener Visita­tionen immer wieder als (juristische) Argumente auf. Wann, warum und von wem wurde diese Vergangenheit in welchem Zusammenhang argumentativ (oder nur ‚illustrativ‘?) verwendet? Ist Geschichte ledig­lich – dies gilt es aufzugreifen – als ein Recht bzw. Autorität schaffender Bezugspunkt zu begreifen, der ‚schon immer‘ in (rechtsförmigen) Auseinandersetzungen von juristisch (hoch-)qualifizierten Beamten 53 Wann ist eine Reform politisch, wann unpolitisch? Gib es überhaupt die Kategorie ‚unpoli­tische Reformen‘? Und ab wann sind andere Begriff­lichkeiten wie ‚Wandlungen‘ oder ‚Veränderungen‘ zu verwenden? Es wäre wohl der Mühe wert, diese Fragen analytisch zu beantworten. Oben wurde zumindest in groben Zügen umrissen, was unter dem poli­tischen Element von Reformen zu verstehen ist, näm­lich von (und für) politische Instan­zen legitimierte, initiierte und/oder durchgeführte ‚Wandlungsprozesse‘. 54 Demel, Reformabsolutismus (2009), Sp. 788.

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bedient wurde? Und w ­ elche Bedeutung hat es, dass erstmals in den hier zu behandelnden Visita­tionsjahren Schriften in Druck gingen, w ­ elche die Geschichte der Visita­tion zum Gegenstand hatten?55 Ausgehend von diesen Fragen soll es im Folgenden um das zeitgenös­sische Wissen, aber auch Nichtwissen über die Visita­tionsvergangenheit gehen [A.1.2.2.]. Dieser Visita­tionshorizont, der sich aus den drei Zeitdimensionen (Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft) speiste, entstand keineswegs aus dem Nichts, sondern war das Ergebnis eines (schriftbasierten) Erinnerungsprozesses, der mit den ersten Visita­tionsplanungen begann. Bevor also das (von der Aufklärung inspirierte?) Sich-­Erinnern an die Visita­tionsvergangenheit behandelt werden kann, ist es zunächst erforder­lich [A.1.2.1.], all jene Vorgänge zu thematisieren, die dazu führten, dass im Jahr 1764 Kaiser und Reich die Visita­tion zum wichtigsten ‚­reichischen‘ Reformanliegen erhoben. Die Erörterung der ereignisgeschicht­lichen Entwicklungen bis zur Visita­tionseröffnung wird zugleich deut­lich machen, ­welche Bedeutung das RKG und mit ihm die Visita­tion für das reichs- und reformpolitische Handeln der Zeit hatte. A.1.2.1 Zur Vorgeschichte der Visitation Die unmittelbare Vorgeschichte der letzten RKG-Visita­tion von 1767 begann am 19. März 1764. Auf diesen Tag ist ein Schreiben datiert, welches die Visita­ tion zum wichtigsten Anliegen des römisch-­deutschen Reiches erhob. Die Absender ­dieses Schreibens waren die seit mehreren Wochen in Frankfurt am Main versammelten kurfürst­lichen Gesandten, der Empfänger Kaiser Franz I., der sich anschickte, seinen Sohn, Erzherzog Joseph, zum römisch-­deutschen König wählen zu lassen.56 Das Schreiben ist bedeutsam, weil es einerseits eine umfassende Phase der Visita­tionsvorbereitung einleitete, die im Mai 1767 mit der Eröffnung der Visita­tion endete, und andererseits, weil es jenes (vergangenheitsorientierte) Verlangen nach einer RKG-Visita­tion aufgriff und beflügelte, wie es vor und insbesondere kurz nach dem Hubertusburger Frieden (15. Februar 1763) bestand. Beide Aspekte sind als wichtiger Bestandteil des sich formierenden Visita­tionshorizontes, also des zeitgenös­sischen (Nicht-)Wissens über die RKG-Visita­tionen, zu begreifen.

55 Gemeint ist das geschriebene und dann für einen breiteren Rezipientenkreis gedruckte Wort. Siehe hierzu B.3. 56 Die folgenden Ausführungen stützen sich allen voran auf Rohr, Reichstag, S. 52 – 89.

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Die Diskussion um eine Reform des RKG, die am 19. März 1764 einen vorläufigen Höhepunkt errreichte, war im gesamten 18. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil der Reichsgeschichte. Dies verdeut­lichen folgende Einzelbefunde der Forschung, die sich auch als mittelbare Vorgeschichte der Visita­tion von 1767 anführen lassen: Nur sechs Jahre nach dem Auseinandertreten der letzten RKG-Visita­tion von 1713 forderte der Reichstag 57 und seit 1742 die Kurfürsten mittels der Wahlkapitula­tion eine Visita­tion ein.58 1745 bat Franz I. vergebens den Reichstag zur Aufstellung einer Visita­tionsdeputa­tion.59 Zwei Jahre ­später richtete das RKG selbst die Bitte an den Reichstag überprüft zu werden.60 Unzählige ständische Klagen über den Verfall der Reichsjustiz begleiteten wiederum die 1750er Jahre und korrespondierten mit Befunden von Seiten des RKG, wonach eigenen Mandaten schlicht keine Durchsetzungskraft mehr zukam. Seit 1752 beschäftigte sich der Reichstag nachweis­lich mit dem Problem der Visita­tion 61 und erfuhr bald schon Unterstützung durch den Preußenkönig Friedrich II., der sich in die Reihen der Visita­tionsbefürworter stellte.62 Der Siebenjährige Krieg indes verunmög­lichte nicht nur eine Fortsetzung derartiger Überlegungen auf dem Reichstag, sondern beschleunigte im Gegenzug den Verfall der Reichsjustiz.63 Nicht von ungefähr verlangte die Justizreformliteratur vehement eine Visita­tion.64 Bedenkt man diese Entwicklungstendenzen, so reiht sich das Kollegialschreiben vom 19. März 1764 in eine seit Jahrzehnten bestehende, nach dem Krieg beförderte und hier nicht abschließend zu erörternde Tradi­tion ein.65 Warum jedoch verlangten die unterschied­lichsten (politischen) ‚Instanzen‘ (Kaiser, Kurfürsten, „mittlere und kleinere Reichsstände“,66 Reichstag, RKG, Medienöffent­lichkeit) eine Visita­tion des RKG?

57 Rohr, Reichstag, S. 70. 58 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 140 u. Rohr, Reichstag, S. 70. 59 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 140. Ob diese Initiative nur der Aufforderung der Wahlkapitula­tion folgte, geht aus den Ausführungen nicht hervor. 60 Ebd., S. 140. 61 Rohr, Reichstag, S. 71. 62 Ebd., S. 76. 63 Ebd., S. 71. Auch dies, der Zusammenhang z­ wischen Krieg und (dadurch von den Zeit­ genossen verstärkt wahrgenommenen?) Justizverfall, wäre ein lohnenswertes (epochenübergreifendes?) Thema, das sich wohl in den Konnex ‚Reform und Krise‘ einordnen ließe. 6 4 Siehe A.1.3. und B.3. 65 Eine präzisere Erörterung würde ein wohl recht umfangreiches Quellenstudium voraussetzen, das im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der anders gelagerten (zeit­lichen) Schwerpunktsetzungen nicht geleistet werden kann. Einen Abriss der Visita­tionsgeschichte von 1713 bis 1764/65 bietet auch Winkler, Über die Visita­tionen (1907), S. 26 – 38. 66 Rohr, Reichstag, S. 66.

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An erster Stelle ist festzuhalten, dass das RKG vom Gründungsjahr 1495 bis zur Auflösung 1806 ein Politikum war. Die Tatsache, dass nur mit und durch Kaiser und Reich die Überprüfung der höchsten Gerichtsbarkeit betrieben werden konnte und gerade hier der Visita­tionsgedanke sehr lebendig war, ist zum einen zeitimmanent, weil Recht und Politik in der Vormoderne keine getrennten Bereiche waren, und zum anderen reichsimmanent, weil nur mit und durch die Mitwirkung der verschiedensten politischen Instanzen eine ‚reichische‘ Reform betrieben werden konnte. Für die Visita­tion bedeutete dies zunächst, dass alle Visitatoren Abgesandte einer reichsständischen Obrigkeit waren, die mit der Visita­tion Reichspolitik betrieben. Daneben war die Visita­tion ein historisch wirksames und nach dem Siebenjährigen Krieg aktualisiertes Politikum, weil es an den verfassungspolitischen Grundsäulen des Reiches rührte. Damit gemeint ist der Reichsverband selbst, der sich immer wieder und gerade über die rechtspolitische Klammer des Reichskammergerichts aktualisieren musste. Diese Notwendigkeit war ganz grundsätz­lich gegeben, da die politische Grundordnung des Reiches nur partiell verfassungsrecht­lich fixiert war und gerade anläss­lich der Königswahl erneuert werden musste. Für die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg lässt sich zudem feststellen, dass sich die „deutsche Doppelstaat­lichkeit […] in die Horizontale“, also in Richtung preußisch-­österreichischer Dualismus, zu drehen begann,67 und sich überdies der Reichsverband zunehmend konfessionell polarisierte.68 Gerade in ­diesem Sinne der stets zu erneuernden und nach dem Siebenjährigen Krieg im (Um-)Bruch befind­lichen politischen Grundordnung des Alten Reiches ist die historische ‚Ursprungssitua­tion‘ der Visita­tion – das Kollegialschreiben vom 19. März 1764 – zu verstehen: Die Kurfürsten bzw. deren Gesandte manifestierten ihren und des Reiches Status, indem sie Kaiser Franz I. die Erfüllung eines ‚Verfassungsauftrages‘ auf- bzw. antrugen, der seit dem Jüngsten Reichsabschied (1654) bestand und in der Wahlkapitula­tion Karls VII. (1742) (erstmals?)69 erneuert wurde. Zu den Anfängen der Visita­tion gehört es auch, dass die kurfürst­lichen Gesandten bei dem Wahl- und Krönungstag Erzherzogs Josephs nicht nur die Visita­ tion des RKG , sondern auch eine Überprüfung des RHR einforderten. Dieses kurfürst­liche Ansinnen ließ Kaiser Franz I. jedoch unbeantwortet,70 womit er den verfassungspolitischen Charakter des ‚ständischen‘ RKG und des ‚kaiser­lichen‘

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Burkhardt, Vollendung (2006), S. 442. Zur sog. Rekonfessionalisierung siehe B.2. So zumindest Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 140 und Rohr, Reichstag, S. 70. Rohr, Reichstag, S. 68.

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RHR unterstrich.71 Denn die von den Kurfürsten im Jahr 1764 begehrte und in der RHRO vom 3. Juli 161772 erstmals eingeforderte Visita­tion des Wiener Reichsgerichts war immer auch und wohl zuvorderst ein (symbo­lisches) Macht­ instrument,73 das dazu dienen konnte, die kaiser­liche Jurisdik­tionsgewalt einzuschränken. Und auch die Visita­tion des RKG barg das verfassungspolitische Konfliktpotential, die dualistische Reichsordnung ins Ungleichgewicht zu bringen. Dies verdeut­licht – unter umgekehrten, nicht ständischen, sondern kaiser­lichen Vorzeichen – Kaiser Joseph II. Er folgte seinem am 18. August 1765 verstorbenen Vater und stand stets unter dem Verdacht, die Visita­tion des RKG nur deshalb zu befördern, weil er den kaiser­lichen Einfluss auf das RKG stärken und damit die ständische Jurisdik­tionsgewalt einschränken wolle. Dieser Vorwurf erscheint geradezu visita­tionsimmanent zu sein und wurde insbesondere nach der Visita­ tionstrennung von Johann Stephan Pütter erhoben.74 Für die Geschehnisse nach dem kurfürst­lichen Kollegialschreiben vom 19. März 1764 bis zur Visita­tionseröffnung am 2. Mai 1767 lässt sich näm­lich festhalten, dass Kaiser Franz I. am 3. August 1764 per Hofdekret 75 den Reichstag mit den ‚inoffiziell‘

71 Die plakative Umschreibung der Höchsten Gerichte als ‚ständisch‘ bzw. ‚kaiser­lich‘ verkennt natür­lich die Komplexität der Abhängigkeitsverhältnisse. Das RKG ist vielmehr dualistisch geprägt, was auch die zeitgenös­sische Betitelung ‚kaiser­liches und des Reichs Kammergericht‘ zum Ausdruck bringt [ Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 1 Anm. 1]. Und zum RHR bleibt anzumerken, dass er „in einigen Fällen sogar in einen Gegensatz zur kaiser­lichen Politik geriet“ [Ortlieb, RHR (2009), Sp. 920]. 72 Sellert, Regelungen Visita­tion (1990), S. 117. 73 Ausgehend von der Tatsache, dass es nie eine von den Ständen getragene Visita­tion des RHR gab, wäre genauer zu untersuchen, warum die Kurfürsten die Visita­tion des RHR einforderten. War es vielleicht eine toposartige Forderung, die primär der symbo­lischen Machtinszenierung der Kurfürsten diente? Und wie ist die von Theo Rohr konstatierte [Reichstag, S. 68] Nichtbeantwortung des kaiser­lichen Hofes zu verstehen? Es kann vermutet werden, dass hier ritualisierte (Non)Kommunika­tionsformen des Reiches vorliegen, die der Machtrepräsenta­tion dienten. 74 Der Kaiser habe, so Pütter, die Visita­tion nur unter dem Scheine betrieben, um das Gericht in desto grössere Abhängigkeit einzig und alleine von der kaiser­lichen oberstrichter­lichen Gewalt zu setzte[n] [[Pütter], Wahre Bewandniß (1776), S. 19; siehe hierzu weiterführend Anm. 109]. Dieser langlebige, in der Forschung erstmals 1929 [Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichskammergerichtsvisita­tion (1929)], dann von Theo Rohr (1968) und darauf aufbauend von Karl Otmar von Aretin [u. a. Kaiser Joseph II. (1991)] entkräftete ‚püttersche‘ Vorwurf hat dergestalt seine Berechtigung, dass Kaiser Joseph II. seinem reformabsolutistischen Credo folgend die Visita­tion mög­lichst zügig, und das heißt in erster Linie unter Umgehung des Reichstags, vorantreiben wollte. 75 Rohr, Reichstag, S. 68.

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bereits im April 1764 begonne­nen Visita­tionsberatungen beauftragte,76 am 25. Juli 1764 die von dem kurmainzischen Reichstagsdirektorium entworfenen und an anderer Stelle [A.1.3.] noch zu besprechenden 26 Beratungspunkte über die Visita­tion gedruckt vorlagen,77 sowie unter Vorverlegung der Herbstferien fast vier Monate anberaumt wurden, damit auch die „‚entlegensten‘ Höfe“ in dieser „‚importanten Sache‘“ Instruk­tionen erteilen konnten.78 Bekannt ist ferner, dass die Kurfürsten wohl am 19. März 1764 ein weiteres Schreiben verfassten, in dem sie die Überarbeitung des Klassenschemas, also der Ordnung der zu visitierenden Reichsstände, einforderten,79 und im Juli 1764 Kurpfalz „seinen Wunsch nach Wiederaufnahme von Pfalz-­Lautern in die erste Visita­tionsklasse […] zur Sprache“ brachte.80 Von ­diesem Zeitpunkt an bis ins Jahr 1776 beriet der Reichstag immer wieder über die Neuordnung der Visita­tionsklassen, wobei die reichstäg­lichen Beratungen „vor Ende des Jahres 1764“ vorerst stoppten, da ein heftiger, konfessionell aufgeladener Streit um die im Westfä­lischen Frieden festgesetzte Alterna­tion des Fürstbistums Osnabrück entbrannte.81 Dadurch und auf Grund dessen, dass das Interesse mancher Stände an der Visita­tion scheinbar nachließ,82 verstrich der vom Kaiser (mit dem bereits genannten Hofdekret vom 3. August 1764) „auf den 1. Januar 1765 festgesetzte Termin für die Aufnahme der Visita­tion“,83 woraufhin nicht nur „20 neue [Religions-] Beschwerden beim Corpus Evangelicorum“ eingingen, sondern auch der „Strom der Rekurse“ anschwoll.84 Mit diesen Rekursen, also den „Anrufung[en] des Reichstags durch einen Reichsstand wegen Beschwerden über die Zuständigkeit, das Verfahren oder das Urteil eines der beiden Reichsgerichte“,85 erhöhte sich wiederum der Visita­ tionsbedarf, zumal am 18. August 1765 unerwartet der erst 56-jährige Kaiser verstarb.86

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Ebd., S. 71. u. S. 74. Ebd., S. 72. Ebd., S. 72. Auch hier kennzeichnen die einfachen Anführungsstriche ein Quellenzitat. Ebd., S. 67. Es wird nicht deut­lich, ob ­dieses Kollegialschreiben gleichfalls vom 19. März 1764 stammte. Ebd., S. 72. Ebd., S. 76 – 81 u. Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 136. Aus den Ausführungen Rohrs geht nicht eindeutig hervor, wer, wann und auf ­welche Weise die Visita­tion beförderte oder, wie wohl allen voran „Preußen“ [S. 75] und Kurhannover [S. 88], nicht beförderte. Rohr, Reichstag, S. 80. Ebd., S. 84. Hier und auf S. 85 werden zwei Rekurse exemplarisch vorgestellt, darunter auch der in den Visita­tionsakten immer wieder erwähnte Rekurs in der sog. ­Michelfelder Lehnssache. Sydow, Recursus ad Comitia (2003), S. 104 Anm. 1. Rohr, Reichstag, S. 86.

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Ihm folgte Kaiser Joseph II. Der ‚taten-‘ und ‚reformhungrige‘ Neukaiser ordnete am 5. April 1766 eine Reform beim RHR an, damit, so der Entwurf des Reformdekrets, die kayserl. obrist richter­liche gewalt auf eine das vertrauen vermehrende art bevestiget und zugleich der kayserl. reichshofrath in seinem alten ansehen und lustre erhalten werden.87 Diese Reform beim Wiener Reichsgericht war nicht nur, so Wolfgang Sellert, ein angemessener Ersatz für die von den Kurfürsten immer wieder vergeb­lich eingeforderte Visita­tion,88 sondern überdies eine reformpolitische Maßnahme, die „einen neuen Ton, ein neues [Reform-]Tempo“ verriet, hinter dem letztend­lich kaiser­licher „Pflichteifer, Gerechtigkeitswille und Reformabsicht standen“.89 Ein solch gearteter josephinischer Reformwille einte das Reich, da sich fortan auf dem Reichstag nicht nur die kaiser­liche Kommission, sondern auch die preußische Gesandtschaft (und damit die Potentaten des österreichisch-­preußischen Dualismus) um die Beilegung des konfessionell aufgeladenen Streits um das Osnabrücker Reichstagsvotum bemühten.90 Unmittelbar nach dieser Streitbeilegung wurde die Visita­tion des RKG in Proposi­tion gestellt,91 woraufhin am 4. Juli 1766 Beratungen begannen, die am letzten Sitzungstag vor den Herbstferien in ein Reichsgutachten mündeten (8. August 1766),92 welches dem Kaiser nicht nur die Vornahme einer RKGVisita­tion auf Grundlage der Instruk­tion der letzten Visita­tion sowie die Entsendung von zwei Visitatoren je Visita­tionsstand vorschlug, sondern auch, dass der Reichstag die noch nicht entschiedenen Beratungspunkte zu einem gedey­ lichen Schluß bringen möchte, um sie sodann dem Kaiser vorzulegen.93 Dieser weitgehende Vorstoß des Reichstags missfiel dem Kaiserhof, da man befürchtete, dass „das ganze Visita­tionswerk unter ständische Direktiven“ geraten könnte,94 87 Das Zitat ist dem bei Sellert [Ordnungen RHR (1990), S. 299 – 308, hier S. 300] ­geführten Dekretentwurf vom 29. Januar 1766 entnommen. Das Reformdekret erging in seiner endgültigen Fassung am 5. April 1766. Siehe allgemein zur Reform des RHR u. a. Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 124 – 135. 88 Sellert, Regelungen Visita­tion (1990), S. 128. 89 Rohr, Reichstag, S. 94. 90 Ein Beleg dafür, dass sich mit dem Dualismus Österreich und Preußen beide Potentaten keineswegs „aus der Reichsgeschichte zurückzogen, sondern im Gegenteil, daß sie in Wettbewerb um die Führung des Reiches traten“ [Burkhardt, Vollendung (2006), S. 441]. 91 Rohr, Reichstag, S. 96. 92 Ebd., S.  97 – 103. 93 Das am 12. August 1766 diktierte Reichsgutachten wurde zu Regensburg bey Heinrich Georg Neubauer gedruckt. Es liegt mir in Kopie vor. Eine Zusammenfassung findet sich bei Rohr, Reichstag, S. 104. 94 Ebd.

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zumal im Oktober 1766 auf dem Reichstag und damit im Reich 95 ein Schreiben von Karl Friedrich von Baden 96 kursierte, worin er einige protestantische Höfe aufforderte, „sich gegen die Tendenz zur Wehr zu setzen, die Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte auszudehnen“.97 Mit ­diesem sehr wirkmächtigen 98 Baden-­Durlachischen Rundschreiben unterstrich „die protestantische[…] Opposi­tion“99 bzw. – so Aretin – die „föderalis­tischen, auf Ausweitung der Landeshoheit ausgerichteten Kräfte“100 ihre ‚antikaiser­liche‘ bzw. ‚pro-­föderal-­reichische‘ Solidarität. Kaiser Joseph II. hingegen hielt im November 1766 gegenüber seinem engsten politischen Umfeld (Reichsvizekanzler Colloredo und Staatskanzler Kaunitz) fest, dass er die Visita­ tion des RKG als eine in saeculis vielleicht nicht mehr zu gewartende […] Gelegenheit zu Erhebung des kais. Ansehens und Herstellung des verfallenen Justizwesens erachte.101 Im selben Monat berieten dann auch in Wetzlar die Gerichtsangehörigen über die Unterstützung der Visita­tion.102 Auf Grundlage dieser Entwicklungen, die auch die reichsweite Veröffent­lichung eines Revisions-­Edikts am 10. Oktober 1766 umfasste,103 erging am 20. November 1766 ein Ratifika­ tionsdekret, welches vielfach das Reichsgutachten vom 8. August und damit den Reichstag als vorbereitende ‚Visita­tionsinstanz‘ überging bzw. marginalisierte, indem die meisten Punkte „nicht in der Form ratifiziert wurden, wie das Reich sie an den Kaiser gebracht hatte“.104 Dagegen opponierten nicht nur die protestantischen Stände sowie Pfalz und Bayern, sondern auch der franzö­ sische König als Garant des Westfä­lischen Friedens.105 Das „Ringen um den

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Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007). Er durfte für die erste Klasse einen protestantischen Visitator entsenden. Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 139. Der kaiser­liche Kommissar Spangenberg etwa sprach wenige Tage vor Beginn der Visita­ tion den katho­lischen Augsburger Stadtgesandten auf das Schreiben an [Rela­tion 1 vom 5. Mai 1767, StadtAA RKG 33]. 99 Rohr, Reichstag, S. 107. 100 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 138. 101 Im November 1766 – eine genauere Datumsangabe liegt nicht vor – stellte Joseph II. 21 Fragen über die Mög­lichkeit, das römisch-­deutsche Reich zu reformieren. Diese sog. ‚Deliberanda‘ (und daran anschließend die Gutachten Colloredos und Kaunitz’) sind abgedruckt bei Khevenhüller-­Metsch, Tagebuch (1764 – 67/1917), S.  479 – 482 (zur 10. zitatgebenden Frage, die sich auf die Visita­tion bezieht, siehe S. 481). 102 BA AR 1/IV 5, Protokoll RKG-Plenum vom 5. Nov. 1766. 103 Siehe hierzu A.1.2.2. 104 Rohr, Reichstag, S. 105. 105 Ebd., S. 108.

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Führungsanspruch bei der Visita­tion“106 endete dabei mit einem (partiellen) „Sieg des Kaisers“,107 da 1.) das Kommissionsdekret vom 27. Januar 1767 „noch einmal den Standpunkt des umstrittenen Ratifika­tionsdekrets“ wiederholte,108 2.) eine anonym verfasste Druckschrift die kaiser­liche Visita­tionspolitik öffent­ lichkeitswirksam verteidigte,109 3.) die am 23. März erfolgte neuer­liche Öffnung des kurfürst­lichen und fürst­lichen Reichstagsprotokolls den Vorwurf entkräftete, der Kaiserhof wolle die ständische Stimmfreiheit einschränken,110 und Kaiser Joseph II. es 4.) schließ­lich ungeachtet der nicht unwichtigen Teilzugeständnisse 111 vermeiden konnte, dass auf dem Reichstag weiter über die kurmainzischen Beratungspunkte vom Juli 1764 sowie über eine neue Reichsinstruk­tion diskutiert wurde.112 Um abschließend mit Rohr zu sprechen, dessen minutiöse Studie es erst ermög­licht, eine s­ olche Ereigniskette beginnend mit dem kurfürst­ lichen Kollegialschreiben vom 19. März 1764 bis zur Visita­tionseröffnung am 2. Mai 1767 zu (re-)konstruieren: Kaiser Joseph II. hatte „den Reichstag, von dessen Tendenz auf Leitung der Visita­tion er sich nur Schwierigkeiten für seinen Reformplan versprach, fürs erste von der weiteren Beeinflussung der Visita­tion ausgeschaltet und ihm die Aufgabe gestellt, das durch den Jüngsten Reichsabschied aufgestellte, aber veraltete“ und erstmals bereits unter seinem Vater angegangene „Deputa­tionsschema zu berichtigen“.113

106 So die aussagekräftige Überschrift bei Rohr [Reichstag, Kapitel II, § 2c bzw. S. 109]. 107 So die überspitzte Formulierung von Rohr [Reichstag, S. 113], die für den politikzentrierten Gesamtduktus der Arbeit – das machtpolitische Ringen von Kaiser und Reich – steht. 108 Ebd., S. 109. 109 Die zu Mainz wohl zu Beginn des Jahres 1767 in Druck gegangenen ‚Betrachtungen über das Reichs-­Kammergericht­liche Visita­tionswesen‘ erachteten die Visita­tion als einen vom Reichstag unabgängigen Corpus, der seine Gerichtsbarkeit eigens und unabhängig ausüben könne [S. 8]. Pütter widersprach dem ener­gisch. Siehe hierzu Denzler, Mediales Großereignis (2008), S. 122 – 125. 110 Rohr, Reichstag, S. 111. Am 27. April wurde das Protokoll des Kurfürstenkollegs erneut geöffnet [S. 112]. 111 So musste der Kaiser u. a. die Forderung auf Verhandlug der Visita­tion im Plenum akzeptieren [Rohr, Reichstag, S. 112 f.]. 112 Ebd., S. 113. 113 Ebd.

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A.1.2.2 Das zeitgenössische (Nicht-)Wissen Am Anfang stand bei den Zeitgenossen das Nichtwissen bzw. die Notwendigkeit, die Visita­tion zu männig­lichens [jedermanns; A. D.] Wissen [zu] bringen.114 Diese Worte sind dem bereits angeführten Revisions-­Edikt vom 10. Oktober 1766 entnommen. Es ist einerseits von Interesse, weil damit der kaiser­liche Hof die ‚Reichsöffent­lichkeit‘115 über die Eröffnung der Visita­tion am 2. Mai 1767 informierte, indem dazu aufgerufen wurde, in Revision gegangene Prozesse, die erledigt werden sollten, binnen vier Monaten sowohl bei dem RKG als auch beim Reichserzkanzler anzuzeigen. Andererseits liest sich d ­ ieses Edikt wie ein ‚Memorial-­ Pamphlet‘, das an die verloren gegangene Geschichte der Revisionen erinnert. So wird an die kaiser­lichen Vorfahreren [sic] gedacht, die bereits (allschon) 1653 ein Edikt wegen der damals vorgehabten Revisionen erlassen haben. Dieses Edikt wiede­rum, welches dazu aufforderte, Revisionsprozesse bis zum 31. Mai 1654 geltend zu machen, wurde mit einem weiteren Edikt von 1668 bestätigt. Da aber auch hierauf die Visita­tion und mit ihr die Erledigung der Revisionen bis hieher, also bis zur Gegenwart des vorliegenden Edikts, nicht hat zu Stand gebracht werden können, konnte/musste das Edikt vom 10. Oktober 1766 an eine über 100-jährige ‚Edikt-­Geschichte‘ anknüpfen, um in dessen Fortsezung die fristgerechte Eingabe der Revisionen einzufordern.116 Diese ‚Edikt-­Geschichte‘, die auch das Reichsherkommen, den Jüngsten Reichs­ abschied, die Wahlkapitula­tion Kaiser Josephs II . sowie ein Hofdekret vom 3. August 1764 umfasst, verweist zunächst darauf, dass Geschichte seit jeher der Legitimierung von Herrschaft diente. Vergangenes näm­lich, zumal, wenn es – wie im vorliegenden Fall – in ‚Rechtsdokumenten‘, also in bereits ergangenen Edikten, Dekreten oder sonstigen herrschaftsrecht­lichen Bestimmungen schrift­lich fixiert war, bildete in allen neuzeit­lichen Hochkulturen die „Basis für Besitz-, Rechtsund Machtansprüche“.117 Darüber hinaus verdeut­licht das Edikt vom 10. Oktober 1766, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit immer im Bezug zur historisch fragenden/argumentierenden Gegenwart entsteht, Geschichte also in 1 14 Revisionsedikt vom 10. Okt. 1766 [StadtAA RKG 31]. 115 Am Ende des Edikts heißt es: Wir wollen alles solches vermittelst ­dieses Unsers Kayserl. Edicts also hiemit ins Reich offent­lich verkündigen und zu männig­lichens Wissen bringen […]. Wie genau sich ­diese Verkündigungspraxis gestaltete, ob bspw. das in Großformat gedruckte Edikt an ‚Schwarzen Brettern‘ hing und/oder ob das Edikt auf dem Land/in der Stadt von kaiser­lichen Boten verkündet wurde, entzieht sich der Kenntnis des Autors. 116 Revisionsedikt vom 10. Okt. 1766 [StadtAA RKG 31]. 117 Walther, Geschichte (2006), Sp. 580.

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ihrer Doppelbedeutung als ‚Geschehenes‘ (der Gegenstand) und ‚Bericht über das Geschehene‘ (die Erfassung und Darstellung ­dieses Gegenstandes) „nie in nur einem dieser Elemente aufgeht, sondern sich in ihrem Aufeinanderbezogensein manifestiert“.118 Im vorliegenden Fall war es die bevorstehende Eröffnung der Visita­tion, die dazu führte, dass man die ‚Negativ-­Geschichte‘ der unerfüllten 119 Revisionen ‚erzählte‘. Die Vergegenwärtigung von Revisionsedikten, die vor über 100 (1653) und vor knapp 100 Jahren (1668) ergangen sind, deutet zudem an, dass es sich hier um einen Prozess handelt, den man gemeinhin mit Erinnern umschreibt. Erinnern und Vergessen sind hierbei als „Grundopera­tionen menschlicher Kultur“ zu begreifen, die sich gegenseitig bedingen, denn: „Es gibt kein E[rinnern] ohne V[ergessen] – und umgekehrt“.120 Wie jedoch vollzog sich konkret das Sich-­Erinnern an die vergangenen Revisionsedikte? Und wie war es um die Vergegenwärtigung der vergangenen Visita­tionen bestellt? Festzuhalten ist zunächst, dass die Schrift als ein seit den alten Ägyptern verwendetes „Gedächtnismedium“121 auch im Rahmen der Visita­tion benötigt wurde, um sich, wie bereits zitiert, an das in eine allgemeine Vergessenheit verfallene [...] Geschäfft zu erinnern.122 So war es bei der Visita­tion der über 70-jährige Freiherr von Spangenberg, der als künftiger kaiser­licher Kommissar damit beauftragt wurde, aus den Akten den ächten Unterricht zu holen, um seine und deren übrigen Commissarien Handlungen desto würcksamer bestimmen zu können.123 Und auch der österreichische Visitator Hormayer war auf das verschrift­lichte ‚Visita­ tionsgedächtnis‘ – die Akten der vorangegangenen Visita­tionen – angewiesen. Kaum in Wetzlar angekommen, übersandte er seiner Obrigkeit ein Verzeichnis der Visita­tionsakten von 1706 bis 1713, deren baldige Überschikung er sich unterthänigst erbittet.124 Der Bedarf an alten Visita­tionsakten war gerade zu Visita­tionsbeginn hoch und teils zu hoch. Als in Wetzlar darüber beraten wurde, wie die Visita­tion zu eröffnen sei, und der kurbraunschwei­gische Visitator Falcke eine entsprechende Instruk­tion verlangte, erhielt er ledig­lich die Antwort, dass alhier [in Hannover;

1 18 Herzog, Res gestae (2002), S. 258. 119 Unerfüllt insofern, dass die in Revision gegangenen und mit den Edikten (wieder) geltend gemachten Prozesse unbearbeitet blieben. 120 Tanner, Erinnern/Vergessen (2002), S. 77. 121 Assmann, A., Erinnerungsräume (2009), S. 181. 122 Gutachten Colloredos vom 12. November 1766, in: Khevenhüller-­Metsch, Tagebuch (1764 – 67/1917), S. 482 – 502, hier S. 492. 123 Ebd. 124 HHStA Wien RK RKG VA 248, Hormayer an RVK, 11. Juni 1767. Hormayer traf erst Ende Mai in Wetzlar ein.

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A. D.] nicht nachgesehen werden könne, da er die benötigten Akten der letzten Visita­tion selbst habe.125 Das Sich-­Erinnern an vorangegangene Visita­tionen hing von den Akten ab, die – dies belegen auch andere Befunde – ständig oder zumindest mehrfach z­ wischen den Visita­tionshöfen/-städten und den Wetzlarer Delega­tionen zirkulierten.126 Warum jedoch war es überhaupt notwendig, sich an vergangene Visita­tionen zu erinnern? Wozu und zu welchem Ende benötigte man alte Archiv-­Nachrichten?127 Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst darauf hingewiesen werden, , dass vielerorts mit archiviertem Visita­tionswissen gearbeitet wurde. Neben den Visita­ tionsdelega­tionen und der noch zu thematisierenden Medienöffent­lichkeit 128 war es auch das RKG , das in unmittelbarer Reak­tion auf das Revisions-­Edikt vom 10. Oktober 1766 dem Kanzleiverwalter auftrug, Revisionsakten [...] mit guten Fleiß zusamen[zu]suchen und ein Register zu verfassen.129 Sinn und Zweck d­ ieses Auftrags war es, ohne Aufschub mit den Akten zu arbeiten.130 Die Ordnung der Akten, die qua zeitgenös­sischer Defini­tion den Kern jeder Revision bildeten,131 diente dementsprechend dazu, die anstehende R ­ evisionsmaterie zügig zu bearbeiten oder sich an das zu erinnern, was im ‚Revisionsgedächtnis‘ gespeichert und alßdann benötigt wurde.132 Dieser Aspekt verweist auf die „subjektiven Bewußtseinsakte, die wir Erinnerung nennen, […] [welche] auch der materiellen Vergegenständ­ lichung“ bedürfen.133 Die in den Archiven verwahrten Aktenbestände bildeten somit auch für die Zeitgenossen die entscheidende Grundlage, um sich an vergangene Visita­tionen zu erinnern. Damit angesprochen ist, dass die Zeitgenossen mit und – im Sinne des dargelegten Reformbegriffes – für die Vergangenheit arbeiteten; sie waren also ‚Konsumenten‘ des archivierten Visita­tions-/Gerichtsgedächtnisses, um Wissen über die Visita­tion zu 125 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, fol. 104, Räte an Falcke, 9. Mai 1767. 126 Auch die Münchner Visita­tionsakten zirkulierten z­ wischen dem Hof und der W ­ etzlarer Gesandtschaft. Dies geht u. a. aus einer Auflistung der nach Hof abgeschickten alten Visita­ tions Protocoll: als zu deneselben gehörigen Beilagen vom Oktober 1769 hervor [BayHStA KS 5808 fol. 312]. 127 HStA-Han. Cal. Br. 11 4117, fol. 53. 128 Siehe B.3. 129 BA AR 1/IV 5, Protokoll RKG-Plenum vom 14. Nov. 1766. 130 Ebd. 131 Revision ist eine Durchsuchung der bei dem K. Cammergericht verhandelten Acten durch Kaiser­liche Commissarien und der Reichsstände Abgeordnete [Cameral-­Lexicon (1766), S. 101]. 132 BA AR 1/IV 5, Protokoll RKG-Plenum vom 14. Nov. 1766. 133 Assmann, A., Gedächtnis (1997), S. 33.

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generieren und sich darüber einen Visita­tionshorizont zu schaffen. Darüber hinaus waren die Visitatoren, mehr noch aber die Sekretäre und Kanzlisten, Produzenten von Archiv-­Nachrichten.134 Um die Bedeutung der in der Vergangenheit produzierten und in den 1760er und 1770er Jahren ‚konsumierten‘ Archiv-­Nachrichten zu erfassen, ist es erforder­lich, sich anzuschauen, wann und in welchem Kontext ­welche Archivalien zur Anwendung kamen. Böhmer etwa, der kurbrandenbur­gische Visitator, der im April 1773 die Arbeit seines verstorbenen Vorgängers übernahm, begann seine Wetzlarer Tätigkeit damit, sich auf Grundlage der vorrähtigen [...] Acten zu orientiren.135 Die Akten waren für ihn und andere ein Arbeitsinstrument, das dazu diente, sich an jene Vergangenheit zu erinnern, die es ermög­lichte oder zumindest erleichterte, das gegenwärtige und künftige Tun zu gestalten. Ganz allgemein bildet die Visita­tion von 1706 bis 1713 einen wichtigen Bezugspunkt für die aktuelle Visitation.136 Dies liegt darin begründet, dass die Arbeitsgrundlage von 1706 – die sog. Reichs-­Instruc­tion – auch nach über 60 Jahren Verwendung fand, soweit sie auf den jetzigen Fall schick­lich [anzuwenden] ist.137 Daneben bildete der Visita­tionsabschied von 1713 – er umfasst über 100 Paragraphen 138 – ein wichtiges Arbeitsfundament der gegenwärtigen Visita­tion. So wurde im August 1767 festgelegt, einen Gerichtsangehörigen, der einen anderen Kameralen an der aufrichtigen Aussage im Examen hindere, nach anleitung jüngern visita­tions abschiedt zu bestrafen.139 Dieser Bezug auf einen über 50 Jahre alten Abschied, aber auch die Verwendung weitaus älterer Beschlüsse kann nicht verwundern, da es sich hier um Rechtsdokumente handelt, deren Geltungskraft zeitunabhängig ist. Zu bedenken ist ferner, dass seit dem Westfä­lischen Frieden der ‚Juristenstand‘140 mehr und mehr „die Vorzüge des Beweisverfahrens aus der Geschichte, die Zuhilfenahme archiva­lischer Bestände, die Ableitung aus der älteren Geschichte des Reiches, […] entdeckt, erkannt, genutzt und studiert“ hat.141 Jus 134 Siehe Kapitel C und D. 135 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42, Fasz. 59, Böhmer an König, 3. April 1773. 136 Doch auch die Visita­tionsakten des 16. Jahrhunderts sind als wichtiges Arbeitsfundament zu begreifen. Zumindest die kaiser­liche Kommission verfügte über Visita­tionsakten der Jahre 1580, 1581, 1582, 1583, 1584, 1585, 1595, 1596 (?), 1598/99 und 1600. Dies geht aus dem Verzeichnis der mit nach Wezlar zu nehmenden Acten vom 16. Feb. 1767 hervor [HHStA Wien RK RKG VA 48]. 137 So die Formulierung der bereits genannten kurmainzischen Beratschlagungspunkte von 1764 (Punkt 2). 138 Corpus Juris Publici (1774), S. 1144 – 1193. 139 VS vom 28. Aug. 1767. 140 Siehe Kapitel C. 141 Hammerstein, Jus und Historie (1972), S. 40 f.

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und Historie bildeten somit in den Jahren der Visita­tion eine historisch gewachsene Einheit, die es verstärkt erforderte, sich mit den Archiv-­Nachrichten auseinanderzusetzen. Nochmals zu betonen ist überdies, wie sehr Geschichte „immer auch der Legi­ tima­tion von Lebensordnungen, vor allem von Herrschaftsverhältnissen“, diente.142 Dementsprechend kam es noch vor der Visita­tionseröffnung zu folgendem Vorfall. Als die kurmainzischen Visitatoren ihre Visite bei dem kurbrandenbur­gischen Visitator ablegten, beschwerte sich dieser darüber, dass der Kaiser zwei gleichrangige Kommissare abgeschickt habe, zumal einer von ihnen, Spangenberg, kein Reichs Stand seye. Dies sei gegen die Observanz, so der Kurbrandenburger. Kaum wieder im Gesandtschaftsquartier angekommen, haben die Kurmainzer daraufhin sogleich die alten Visita­tions Acta und Protocolla nachgeschlagen und ersehen, dass in den Jahren 1580, 1581 und 1583 jeweils zwei Personen und darunter auch nicht-­reichsständische ohne Distinc­tion Kayserl. Commissary gewesen seyn.143 Die Kurmainzer konnten also unter Rückgriff auf Akten die kurbrandenbur­gische Behauptung entkräften. Die Vergangenheit war somit ein ‚Herrschaftsinstrument‘, das Handeln legitimieren, aber auch delegitimieren konnte, sofern man, und dies ist entscheidend, über entsprechende Archiv-­Nachrichten verfügte. Die Vergegenwärtigung der Vergangenheit und damit die Formierung des Visita­ tionshorizontes hing aber nicht nur von der „historisierenden Jurisprudenz“,144 der allgemeinen herrschaftslegitimierenden Funk­tion von Geschichte und von einem dem Menschen innewohnenden 145 Orientierungs- und Erinnerungsbedürfnis ab, das von der aktuellen Visita­tionsankündigung ausging. Das durch das vergangenheitsorientierte Reformverständnis wohl forcierte Verlangen nach verschrift­lichter Visita­tions-­Vergangenheit nährte sich auch von der ‚Geschichtskultur‘ der Zeit, also der Frage, wie die Menschen des 18. Jahrhunderts sich mittels Geschichte „einen Reim auf sich selbst und ihre Welt“ machten.146 Ein außergewöhn­liches Zeugnis d ­ ieses Deutens und Interpretierens der Welt ist ein Tabellenwerk, das 1767 erschienen ist und auf rund 4,5 Metern Länge und 1,20 Metern Breite die Geschichte des RKG und mit ihr die Geschichte der Visita­tionen erzählt.147

142 Rüsen, Kann gestern besser werden? (2003), S. 121. 143 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst, 2. Mai 1767. 144 Hammerstein, Universitäten (2005), S. 377. 145 „Weltdeutung und Selbstverständnis des Menschen haben immer spezifisch historische Elemente“ [Rüsen, Historisches Lernen (2008), S. 67]. 146 Ebd., S. 133. 147 Mnemosynon (1767).

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Das Tabellenwerk und andere Druckschriften, die sich mit der Visita­tions­ vergangenheit beschäftigten,148 sind zunächst in dem erweiterten Zusammenhang zu sehen, dass Geschichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar begann, sich als autonome Wissenschaft zu etablieren; dafür steht nicht zuletzt der begriffsgeschicht­liche Befund Kosellecks, wonach die Singularform ‚Geschichte‘ ihren Siegeszug gegenüber der Pluralform ‚Geschichten‘ und dem Lehnwort ‚Historie‘ antrat – „ein Indiz dafür, dass man ‚die G[eschichte]‘ als ein eigenwertiges, in sich geschlossenes System von Wissen aufzufassen begann“.149 Dessen ungeachtet aber blieb die Historie auch in den Jahren der Visita­tion „noch weitgehend Hilfswissenschaft“,150 die vor allem von Juristen betrieben wurde. Dessen ungeachtet war Geschichte im Jahrhundert der Aufklärung „ausgesprochenermaßen ein publi­ zistisches Erfolgsthema“ ,151 wodurch sich gerade „im letzten Jahrhundertdrittel“ eine „steigende[…] Nachfrage nach historischen und politischen Kenntnissen und nach historisch begründeter Kritik“ generierte.152 Im Sinne der Aufklärungshistorie 153 und mit den Worten des Visita­tionssekretärs Kestner galt die Geschichte im Jahr der Visita­tionseröffnung als eine allgemeine Schule des menschlichen Geschlechts.154 Ob auch der Tabellenmacher Gustav Georg König von Königsthal, Visi­tator der Reichsstadt Nürnberg, sein Werk als einen solchen Beitrag für das Menschen­ geschlecht verstand, lässt sich nur schwer­lich sagen. Wenn aber die Aufklärungshistorie „den Zeitgenossen die Zuversicht vermittelt, den Gang der Welt durchschauen, ihr Glück also berechnen und planen zu können“,155 dann scheint auch die tabellarische Aufbereitung der ‚Kameralgeschichte‘ mit einem Zeitstrahl, der von 1495 bis zur noch ungeschriebenen Zukunft des Jahres 1780 reicht, dem Betrachter signalisiert zu haben, aktiver Gestalter dieser Geschichte sein zu können. Jede Tabelle erfordert bzw. erlaubt es näm­lich, „den wilden Fluss der schieren Flut an Informa­tionen über die Geschichte in kleinen Zellen, Spalten und Zeilen zu kanalisieren und zu 148 Siehe B.3. 149 So Walther [Geschichte (2006), Sp. 582], der hier Koselleck folgt. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Historiographiegeschichte sich uneins ist, „ob die moderne ­G[eschichtswissenschaft] im 18. Jh. mit der Aufklärungshistorie begann oder erst im 19. Jh. mit dem Historismus“ [Süssmann, Geschichtswissenschaft (2006), Sp. 620]. 150 Borgstedt, Zeitalter der Aufklärung (2004), S. 85 sowie insgesamt zum Themenkomplex ‚Aufklärung und Geschichte‘ S. 80 – 89. 151 Dann, Historisches Interesse 18. Jahrhundert (1976), S. 413. 152 Vierhaus, Historisches Interesse im 18. Jahrhundert (1986), S. 266 f. 153 Zum Begriff siehe Blanke, Aufklärungshistorie (2002), S. 34. 154 Kestner, Ob sich der Nutzen der neuern Geschichte auch auf Privatpersonen erstrecke? (1767), S. 215. 155 Walther, Geschichte (2006), Sp. 587.

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bändigen“.156 Am Ende entsteht dabei immer eine „intuitiv nachvollziehbare […], ‚natür­liche[…]‘ Ordnung“, die „das Wissen über Geschichte glaubwürdiger machte“.157 Komplexitätsreduk­tion und Evidenzerzeugung bedingen sich also gegenseitig und bedeuten im vorliegenden Fall, dass die Geschichte des RKG als eine von den Visita­tionen getragene (Erfolgs-)Geschichte erzählt wird. Dafür steht nicht nur der unmittelbare Druckanlass, der, weithin sichtbar, die ‚Gesamt­erzählung‘ begründet (Deckblatt) und beendet (allerletzter Eintrag),158 sondern auch die gesamte Spalte ‚Erinnerungswürdige Ereignisse‘ und darauf aufbauend die Folgespalte Fontes Legum ac Juris Cameralis. Diese zwei von mehr als zehn – wiederum in sich gegliederten – Spalten näm­lich führen vom beginnenden 16. Jahrhundert bis in die 1580er Jahre vorwiegend Einträge über die Visita­tionen. Alleine z­ wischen 1560 und 1570 gab es sieben Visita­tionen und ein gutes Duzend Visita­tions-­Abschiede, Visita­tions-­ Memorialia, Visita­tions-­Conclusa (oder auch Artikel) und Visita­tions-­Dekrete.159 Dieser Reichtum an Visita­tionen und Visita­tionsbeschlüssen, die „wichtige Impulse für die Reichsgesetzgebung“ gaben,160 ist das entscheidende narrative Element der Tabellengeschichte. Denn seit dem Konstanzer Reichstag von 1507 war die Überprüfung des RKG eine in den Gerichtsordnungen festgelegte Norm, die im Jahr 1767 im Z ­­ eichen der neuer­lich zusammengetretenen Visita­tion zur tabellarischen ‚Erzählmaxime‘ erhoben wurde. Mit dem ‚Gründungsjahr‘ der Visita­tionen (1507) sollte nicht nur regelmäßig – wie realhistorisch geschehen –, sondern jähr­lich eine Kommission zusammen­ treten, um – so die letztend­liche Bestimmung der RKGO von 1555 – das keiser­lich cammergericht an personen, vom obristen biß zum undertsen, und sonst in allen andern mengeln und gebrechen zu visitiren und zum besten ihres gutbedünckens zu corrigiren und reformiren.161 Das goldene, da visita­tionsreiche Jahrhundert, 162 fand 1 56 Steiner, Wissensfülle und Ordnungszwang (2009), S. 502. 157 Steiner, Historische Tabellenwerke (2008), S. 244 f. 158 Dort heißt es zum 11. Mai 1767: Feyer­liche Eröffnung der K[aiser­lichen] R[eichs] Cammer-­ Gerichts Visita­tion durch die Kayser­lichen Herren Commissarien […] [und] XXIV. deputierte Reichs-­Ständische Subdelega­tionen. 159 Zu dieser Binnendifferenzierung der Visita­tionsbeschlüsse siehe E.2. Die Tabelle verweist ferner auf kaiser­liche Dekrete, Reichsschlüsse, Reichsgutachten, Reichsabschiede, Kammergerichtsordnungen und insbesondere auf Gemeine Bescheide. Zu Letzterem siehe A.1.3. 160 Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 25. 161 Damit übergangen ist die komplexe Entstehungsgeschichte der Visita­tionen. Siehe hierzu Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert, S. 13 – 78. Das Zitat ist entnommen Teil I Tit. 50 § 2. 162 Die Bezeichnung ‚goldenes Zeitalter‘ ist eine zeitgenös­sische Wertung des (ausgehenden) 18. Jahrhunderts! Siehe hierzu Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert, S. 114

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jedoch 1588 mit dem so genannten Magdeburger Sessionsstreit ein jähes Ende. Dieser 1582 begonnene und 1588 eskalierende Streit um das Visita­tionsrecht des Magdeburger Erzbischofs, der mittelbar zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges zählt,163 führte im ­­Z eichen der konfessionspolitischen Polarisierung des Reichsverbandes dazu, dass es fortan keine ordent­­lichen, sondern nur noch außerordent­liche Visita­tionen gab.164 Der nun folgende ‚Verfallsprozess‘ des RKG lässt sich einerseits an den lediglich vier in der Tabelle zwischen 1590 und 1767 verzeichneten (außerordentlichen) Visitationen ablesen.165 Andererseits nimmt generell die Informa­tionsdichte der Tabelle ab, da mit dem Ende des visita­tionsreichen 16. Jahrhunderts es zumindest für den ‚visita­ tionsfixierten‘ Tabellenmacher (!) weniger erinnerungswürdige Momente in der RKG-­Geschichte gab. Einen ereignisreichen und glück­liche[n] Zeit-­Punct für das Cammer-­Gericht konnte die Tabelle erst wieder nach dem Dreißigjährigen Krieg mit dem JRA verzeichnen. Dieser legte nicht nur eine neue Verfahrensordnung für das RKG fest, „dem eigent­lichen Ruhmestitel des Abschieds“,166 sondern auch ein umfassendes und an sich stimmiges, aber vielleicht zu idealistisch erdachtes Reformpaket, um die aus der Übung geratene Visita­tion wiederum in vorigen Gang zu bringen (§ 128). Da es – so der Wissensstand der ‚Väter‘ des JRA! – von Anno 1582 also in siebenzig Jahren keine ordinari-­visita­tiones und revisiones mehr gab (§ 132),167 wurde voller Tatendrang angeordnet, erst die angehäuften Revisionen durch eine außerordent­liche Visita­tion erledigen zu lassen (§ 130), um dann wieder, nachdem nun die alten Revisionssachen expediert und aus dem Weg geräumt sein werden, jähr­lich eine ordent­liche Visita­tion einzuführen (§ 132). Doch soweit sollte es nie kommen. Sowohl zwei im späten 17. Jahrhundert abgehaltene, in der Tabelle (Anm. 626) sowie insgesamt demnächst die in Arbeit befindliche Monographie von Anette Baumann über die Reichskammergerichtsvisitationen des 16. Jahrhunderts. 163 Leeb, Magdeburger Sessionsstreit (2000). 164 Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 113. 165 Die Tabelle weist nur die Visita­tion von 1706 bis 1713 als extraordinari Visita­tion aus. Für die Jahre 1595, 1599 und 1767 ist ledig­lich von Visita­tion die Rede. 166 So Adolf Laufs im Vorwort zum JRA, S. 3. 167 Die in der Tabelle geführten (ordent­lichen) Visita­tionen von 1583 (?), 1584, 1585, 1586, 1587 sowie die (außerordent­lichen/gemischten?) Visita­tionen von 1595 und 1600 w ­ urden vergessen – weil die Schriftüberlieferung generell und insbesondere nach dem Dreißig­ jährigen Krieg so schlecht war? Oder liegt hier gar ein gewolltes Vergessen vor? Zur Visita­tion von 1583 ist anzumerken, dass nicht eindeutig erkennbar ist, ob die Tabelle auch für d­ ieses Jahr eine Visita­tion führt. Es fand aber eine statt [Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 110].

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nicht verzeichnete ‚Sondervisita­tionen‘168 als auch die nach internen Querelen um den Präsidenten Ingelheim zusammengetretene außerordent­liche Visita­tion von 1706 bis 1713 konnten oder wollten den ‚Verfassungsauftrag‘ der Revisionserledigung nicht erfüllen.169 Für die ab 1767 agierenden Visitatoren bedeutete dies, dass sie das Erbe der revi­ sionslosen Vergangenheit antreten mussten. Welche Konflikte hierdurch entstanden sind und wie insgesamt die Revisionsvergangenheit den Verfahrensgang beeinflusst hat, werden die weiteren Ausführungen zeigen.170 Das Revi­sionserbe ist dabei als Teil eines Geschichtserbes zu begreifen, das mit der Visita­tionsankündigung aktualisiert und seitdem immer wieder herangezogen wurde, um sich zu orientieren. Das Wissen um die Vergangenheit unterschied sich hierbei von Akteur zu Akteur. Im Februar 1768 etwa meinte eine nicht näher zu bestimmende Gruppe von Visitatoren, dass bey gegenwärtiger Visita­tion [...] mehr als binen 2 oder 3 Jahre lezterer Visita­tion geschehen seye.171 Auf welcher Grundlage diese Einschätzung fußt, lässt sich nicht sagen. Fest steht aber, dass hier Geschichte als Argument bedient wurde,172 um den mehrheit­lich erhobenen Vorwurf des vermeint­lichen/ tatsäch­lichen Zeitverlusts  173 zu entkräften, und dass diese vergangenheitsorientierte Argumenta­tion immer wieder auftaucht, um das gegenwärtige und künftige Tun zu (de-)legitimieren. Und auch die Tabelle schuf Legitimität in dem Sinne, da durch sie die Visita­tion von 1767 in die Tradi­tion einer visita­tionsreichen, aber auch visita­tionsarmen Vergangenheit gestellt wurde. Das Erbe der Visita­ tionsvergangenheit wog dabei schwer und umso schwerer, je mehr das eigent­liche Ziel, die Visita­tionen in vorigen Gang – so der JRA – zu bringen, mit zunehmender Visita­tionsdauer in immer weitere Ferne rückte. Der Visita­tionshorizont der Zeit nährte sich somit auch von der Erwartung einer neuer­lichen, visita­tionsreichen 168 Da beide Visita­tionen – siehe hierzu neben Aretin, Alte Reich Bd. 1 (1997), S. 144 auch Smend, Reichskammergericht (1911), S. 212 – 214 und Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 264 f. (Anm. 215 f.) – nicht dem Visita­tionsplan des JRA folgten, können sie als Sondervisita­tionen bezeichnet werden. 169 Die Visita­tion von 1707 bis 1713 hat sich nie zur Aufgabe genommen, die Revisionen zu erledigen [Winkler, Über die Visita­tionen (1907), S. 26]. Zu beachten ist allerdings, dass 1706 eine gesonderte Revisionskommission zusammentrat, um die sog. Münsterische Erbmännersache zu entscheiden [Smend, Reichskammergericht (1911), S. 224 sowie insgesamt Oer, Münsterische ‚Erbmännerstreit‘ (1998)]. 170 Siehe insbesondere B.3.1.2. 171 StadtAA RKG 33, Rela­tion 16 vom 19. Feb. 1768. 172 In Anlehnung an Burkhardt, Geschichte als Argument in der habsbur­gisch-­franzö­ sischen Diplomatie (1995). 173 Siehe hierzu A.4.

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Zukunft. Das Zukunftsideal der jähr­lichen Visita­tionen gründet auf eine im Jahr 1495 (Begründung des RKG) und im Jahr 1507 (Begründung der Visita­tionen) begonnenen Geschichte, die besagt, dass Visita­tion und RKG als aufeinander bezogene, komplementäre Einrichtungen zu begreifen sind. So konnte im Jahr 1765 geschlussfolgert werden: Jedem, der die Visita­tion nicht gerne ins Werk richtet, müsse die Wiedereinführung des Faust-­Rechts ­zwischen den Reichs-­Ständen lieber seyn.174 Die Visita­tion war also eine von den Zeitgenossen idealisierte Inspek­tionsund Kontrollnorm, ­welche die Funk­tionsfähigkeit des RKG (ab-)sichern sollte. Diesem vergangenheitsorientierten Visita­tionshorizont galt es zu genügen, und zwar ungeachtet der zahllosen, sehr konkreten Reformnotwendigkeiten. A.1.3 Reformgelegenheit – Reformerwartungen: Wozu und zu welchem Ende visitieren? Das 18. Jahrhundert war reich an Klagen über das RKG. Dies ist einerseits nicht verwunder­lich, wenn man mit den Zeitgenossen vermutet, dass es in der Welt wohl keinen Gerichtshof gab, gegen ­welchen nicht sozusagen beständige Klage geführt wurde.175 Insbesondere die als zu langatmig gescholtene Dauer von Gerichtsprozessen kann als überzeit­licher Reformgrund eines jeden Gerichts verstanden werden,176 dem sich auch die Visita­tion widmen sollte.177 Andererseits waren es vor allem reichs- und gerichtsspezifische Probleme, ­welche die Visita­tion zu beheben hatte.178 Doch w ­ elche Aufgaben gab es genau? Wozu und zu welchem Ende sollte die Visita­tion das RKG überprüfen?

174 Strube, Abhandlung (1765), S. 58. 175 So Reichsvizekanzler Colloredo in seinen Reformvorschlägen für den RHR, die er dem Kaiser am 12. Febr. 1766 unterbreitete. Zitiert nach Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 125. 176 In ­diesem Sinne heißt es programmatisch in einem einschlägigen Sammelband: „Civil procedure and delay were born together. This is, of course, due to the fact that no l­ awsuit can be decided fairly without at least some minimum period of time in between first presenting the case to a court and obtaining a final judgement” [Rhee, Introduc­tion. The law’s delay (2004), S. 1]. 177 Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 115 schreibt, dass es bereits im 16. Jahrhundert Aufgabe der Visita­tion war, die Prozesse zu beschleunigen. 1 78 Zu bedenken ist jedoch, dass es z­ wischen RKG und RHR große Parallelen gab. So wurde zum einen auch im Umfeld von RHR-Prozessen vielfach über deren Weitläufigkeit geklagt [Petry, Konfliktbewältigung als Medienereignis (2011), S. 187 f.]. Zum anderen gab es beim RHR viele Bestimmungen zur Vermeidung von Weitläufigkeiten

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Im Folgenden wird bewusst darauf verzichtet, diese Frage zu vorschnell mit einem normativ verankerten Reformkanon zu beantworten, der womög­lich in sich geschlossenen war. Stattdessen ist von einer Vielzahl an Reformvorstellungen auszugehen, ­welche die unterschied­lichsten Akteure zu unterschied­lichsten Zeitpunkten mit teils sehr unterschied­lichen Ansprüchen artikulierten. Um der Pluralität der zeitgenös­sischen Erwartungen zumindest bis zu den Anfängen der Visita­tionen gerecht zu werden, sollen neben den bereits genannten kurmain­ zischen Beratungspunkten aus dem Jahr 1764179 zwei Abhandlungen zur Sprache kommen, mit denen sich der spätere Assessor Christian Freiherr von Ulmenstein um die Stelle des kurbraunschwei­gischen Visitators beworben hatte.180 Es soll ferner die Instruk­tion der kaiser­lichen Kommission vom 2. März 1767 herangezogen werden,181 aber auch und allen voran die bereits erwähnte Reformschrift des Prokurators Zwierlein aus dem Jahr 1767182 sowie die von Johann Stephan Pütter schon im Jahr 1749 veröffent­lichte Schrift Patriotische Abbildung des heutigen Zustands beyder höchsten Reichsgerichte.183 Die angeführten Texte, die sich teils aufeinander bezogen,184 werden pauschal und ungeachtet der sehr unterschied­lichen Entstehungs- und Nutzungszusammenhänge als ‚Reformtexte‘ verstanden, da diese allesamt zu verbessernde Defizite benennen. Um die Vielfalt und Vielzahl der zu visitierenden Gegenstände in eine Ordnung zu bringen, wird Günter Heinrich von Bergs Darstellung über [Hartmann-­Polomski, Prozessbeschleunigung am Reichshofrat (2001)], die sich auch beim RKG finden lassen. Diese Reformen betrafen insbesondere die Akten- und Zeitordnung. Siehe hierzu für das RKG E.2. 179 Sie sind abgedruckt in Neue Europäische Staatscanzley Teil 12 (1765). 180 Christian Ulmenstein, von 1774 bis 1801 Assessor des evange­lischen Fränkischen Kreises [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 67], verfasste bereits im Sept. 1763 eine kleine Abhandlung über die Visita­tion. Angeregt durch Beratungen auf dem Reichstag entwarf er zwölf Paragraphen aus teils vorlängst annotirte[n] Gedancken [HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, fol. 122 – 128]. Im Juli 1764 wiederum entstanden beyfällige Erinnerungen über die kurmainzischen Beratungspunkte [ebd., fol. 168 – 186]. Mit beiden Abhandlungen wollte sich Ulmenstein für die Stelle eines Visitators empfehlen. 181 HHStA Wien RK RKG VA 48. Die von Kaiser Joseph II. und RVK Colloredo unterschriebene sowie gesiegelte Instruk­tion umfasst 34 Paragraphen. Siehe insgesamt zu den Instruk­tionen D.2.3. 182 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767). 183 Siehe zu dieser Schrift Mader, „Priester der Gerechtigkeit“ (2005), S. 87 – 91. 184 Insbesondere die kurmainzischen Beratungspunkte können als ein wichtiger Bezugspunkt der anderen Texte begriffen werden. Zwierlein etwa führt eine besondere Abhandlung von der Appella­tion in Polizeisachen mit Verweis auf den 12. Punkt der Beratungspunkte an [Vermischte Briefe (1767), S. 145].

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die Geschichte und Funk­tion der RKG-Visita­tionen aus dem Jahr 1794 herangezogen. Die Systematik, mit welcher der einstige Praktikant des RKG 185 das Aufgabenprofil der Visita­tion entwarf, erscheint im Vergleich zu anderen Schriften durchdachter oder doch zumindest am umfassendsten zu sein.186 Seine Schrift soll deshalb als ‚ordnungsstiftender‘ Bezugspunkt dienen. Jeg­liche Systematisierung darf allerdings nicht – wie angedeutet – darüber hinwegtäuschen, dass es für die Visitatoren keinen in sich geschlossenen Reformkanon gab. Entscheidend für das noch darzulegende Gesamtverfahren war vielmehr, dass der Reformauftrag einer jeden Visita­tion (normativ) nur partiell vorgegeben war und die zu reformierenden Defizite erst innerhalb des Verfahrens aufgedeckt werden mussten. Insbesondere das Examen der Gerichtsangehörigen war dabei ein unerläss­liches Instrument, um die gahr beträcht­liche[n] Mängel und Gebrechen [...] auf[zu]decken.187 Dieses Aufdecken entstand frei­lich nicht aus dem Nichts und auch nicht ausschließ­ lich (oder sogar in erster Linie) aus der konkreten Examenssitua­tion. Die Visitatoren hatten vielmehr ein Vorwissen oder auch eine mehr oder weniger konkrete oder unkonkrete Vorahnung von dem, was sie erwartete. Ein wesent­licher Bezugsrahmen der Erwartungshaltungen dürfte in der individuellen (kammer-)gerichts- und/oder justiznahen Lebenswelt liegen. Daneben gab es normative Bestimmungen, ­welche die Visitatoren zu erfüllen hatten und die (dadurch) die Erwartungshaltungen der Akteure oder auch – im Rückgriff auf das bereits Ausgeführte – den zeitgenös­ sischen Visita­tionshorizont prägten. Als rechtsnormative Grundlage der Visita­tion, die überdies immer wieder in den angeführten Reformtexten auftaucht, diente alles, was Gesetzkraft im teutschen Reiche hat,188 darunter insbesondere die RKGO von 1555, der JRA von 1654 und die Wahlkapitula­tion von 1764. Diesen Bestimmungen folgend war es Aufgabe der Visita­tion, das RKG an personen, vom obristen biß zum undertsen, und sonst in allen andern mengeln und gebrechen zu visitiren und zum besten ihres gutbedünckens zu corrigiren und reformiren. Dabei sollten die Personen, die irer lehre, geschick­lichkeyt, red­lichkeit und wesens halben [ für] untaug­lich erfunden und geachtet werden, abgeschafft werden (RKGO Teil I Tit. 50 § 2).

185 Sellmann, Günther Heinrich von Berg (1982), S. 16. 186 Zumindest Malblank, Anleitung Reichsverfassung (1791) ist unsystematischer als Berg und wird deshalb nur punktuell herangezogen. 187 StadtAA RKG 33, Rela­tion 13 vom 15. Dez. 1767. 188 Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 120. Er verweist explizit auf die Kammer­ gerichts-­Ordnung […], Reichs- und Deputa­tions- auch Revisions-­Abschiede, Visita­tions-­ Memorialien, Declara­tionen und Decrete und gemeine Bescheide. All diese Bestimmungen sollten der Visita­tion zumindest bei der Untersuchung der Realgebrechen zur Richtschnur dienen [ebd.].

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Die Formulierung ‚an personen […] und sonst in allen andern mengeln und gebrechen‘ lässt sich dahingehend deuten, dass es Aufgabe der Visita­tion war, die Personalund Realgebrechen zu untersuchen.189 Mit dieser zeitgenös­sischen Unterscheidung werden diejenigen gesetzwidrigen Mißbräuche und Unordnungen verstanden, w ­ elche entweder bei Einzelpersonen (Personalgebrechen) oder aber bei dem gesamten Gericht oder ganzen Classen von Personen (Realgebrechen) vorkommen.190 Zu den Realgebrechen zählten nach Berg die Abweichungen des RKG von den gesetz­lichen Vorschriften, die mangelnde Rechtspflege in einzelnen Fällen sowie die Überprüfung des Vormundschaftswesens, der Depositengelder und des Armenseckels.191 Bei Letztgenanntem handelte es sich um die zur Unterstützung der armen Parteyen bestimmte Casse,192 die jene Strafgebühren enthielt, ­welche die Anwälte des Gerichts bei Verstößen zu zahlen hatten.193 Die Personalgebrechen umfassten demgegenüber alles, was von der gesetz­lich vorgeschriebenen Norm bezüg­lich der Kameralpersonen abwich. Diese Norm beinhaltete Eigenschaften und Pflichten, die nach Berg folgende vier Worte zum Ausdruck bringen: Lehre, Geschick­lichkeit, Red­lichkeit und Wesen.194 Mit Lehre ist die Erfordernis gemeint, einer der drei reichsrecht­lich anerkannten Konfessionen anzugehören.195 Geschick­lichkeit umfasste die Kompetenzen, die eine Kameralperson nach ihrem Berufe und Amt haben sollte,196 und Red­lichkeit meint den Eifer in der Erfüllung der Berufspflichten, so zum Beispiel Unpartey­lichkeit und Fleiß von Seiten der Richter oder Fleiß, Treue und Sorgfalt von Seiten der Advocaten.197 Das Wort Wesen wiederum umschreibt ganz allgemein Stand, Vaterland, Geburt, Lebenswandel, Verwandtschaft und dergleichen.198 Personal- und Realgebrechen bilden also zusammengenommen ein sehr heterogenes und nicht immer klar zu unterscheidendes Aufgabenfeld. Sie lassen sich dementsprechend auch als die inneren Mängel und Gebrechen des Gerichts begreifen, ­welche die Visita­tion zu untersuchen und abzustellen hatte.199 Davon zu unterscheiden sind die äussern Hindernisse einer ungestörten

189 Diese Deutung lässt sich mit Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 119, bestätigen. 190 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 370. 191 Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 114 – 116 u. S. 117. 192 Ebd., S. 118. 193 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 168. 194 Ebd., S. 65 f. 195 Ebd., S. 67 f. 196 Ebd., S. 68. 197 Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 68 f. 198 Ebd., S. 69. 199 Ebd., S. 65.

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zweckmäßigen Wirksamkeit des Gerichts.200 Neben dem Kameralbauwesen 201 und der vielfach eingeforderten Erweiterung des Kameralarchivs wegen besserer Verwahrung der Acten, 202 fällt hierunter vor allem die Sorge für den Unterhalt des Kammergerichts.203 Das Sustenta­tions- und Besoldungswesen – so die alternative Formulierung der kaiser­lichen Instruk­tion (§ 28) – kann mit Ulmenstein sogar als eines der beiden Hauptobjecta der Visita­tion angesehen werden.204 Dabei sei – so die kaiser­liche Instruk­tion (§ 28) – darauf zu achten, dass die Kameralpersonen mit dem nötigen Unterhalt versorgt werden, damit sie nicht zum Nachtheil der ­Justiz Verwaltung ohntreuen begehen. Mit dem Sustenta­tions- und Besoldungswesen hängt ferner der seit 1507 bestehende Auftrag einer jeden Visita­tion zusammen, die Ein- und Ausgaben des Gerichts zu überprüfen.205 Der schließ­lich 1555 in der RKGO fixierte ‚Gründungsauftrag‘ der Visita­tion 206 findet sich etwa in den kurmainzischen Beratungspunkten (Punkt 16), der kaiser­lichen Instruk­tion (§ 27) oder auch – in verschärfter Form – bei Ulmenstein wieder.207 Das Haushaltswesen des RKG einschließ­lich der Besoldungserhöhung umfasst zudem ein Kernanliegen vieler Reformtexte: Die Erhöhung der Anzahl der Assessoren. Wie jüngst von Jahns dargelegt, war es im Jahr 1719 (Reichsgutachten) bzw. 1720 (Reichsschluss)208 aufgrund der defizitären Zahlungsmoral der Reichsstände, aber ebenso aufgrund einer anstehenden Besoldungserhöhung erforder­lich, die im Westfä­lischen Frieden vorgesehene Zahl der Assessoren von 50 auf 25 zu halbieren. Doch selbst diese „längst praktizierte[…] Quotenhalbierung“ konnte in der Folgezeit nicht erfüllt werden.209 Bis zum Reichsschluss von 1775 bzw. bis 200 Ebd., S.  56 – 6 4. 201 Siehe hierzu Hausmann, Geschichte des Kameralbauwesens (1995). 202 So der 15. kurmainzische Beratschlagungspunkt. Siehe zum ‚Schicksal‘ der Kameral­akten mit dem Ende der ‚Speyerer Zeit‘ und allgemein zum Archiv des RKG Hausmann, Stätten des RKG-Archivs (1995). 203 Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 56. 204 HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, Ulmenstein, Vorläufige Gedanken über die Visita­tion, Celle 8. Sept. 1763. Unter dem zweiten Hauptwerk begriff Ulmenstein die verbesserte Einrichtung der RKGO. 205 Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 81. 206 RKGO Teil I Tit. 40 § 2. 207 Ulmenstein schreibt (§ 10), dass die letzten Pfennigmeister durch ihren Banquerot so viel Unordnung und Aufsehens verursachet haben, dass man deßfalls nach dem Grunde zu forschen und andern Einrichtungen zu treffen habe. 208 Die kurmainzischen Beratungspunkte sprechen fälschlicherweise von der in dem Reichs-­ Schluß von 1719 festgestellte[n] Zahl von Cammergerichts-­Beysitzeren (Punkt 18). 209 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 299 und insgesamt zum Reichsschluss von 1719/20 S.  207 – 312.

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zu dessen Umsetzung im Jahr 1782 war es ledig­lich mög­lich, 17 Assessorenstellen zu finanzieren. Aufgabe der Visita­tion war es nun, diese „Kluft ­zwischen der reichsgesetz­lich verordneten Assessorenzahl und der Zahl wirk­lich besoldbarer und amtierender Beisitzer“210 zu schließen oder gar die nach 1648 ‚verfehlte‘ Zahl von 50 Assessoren zu erreichen.211 Die Unterfinanzierung und Unterbesetzung des RKG ist dabei als ein Problemfeld zu begreifen, das Probleme anderer Art verstärkte oder auch neue generierte.212 Zum einen sind 17 Männer, wenn sie noch so grossen Fleiß und [...] Geschick­lichkeit in ihrer Arbeit bezeigen, nicht im Stande, alles zu erledigen.213 Daraus ergibt sich folg­lich die Problematik der immer größer werdenden Zahl an rückständigen Sachen. Dies wiederum beförderte die höchstverderb­liche Sollicitatur.214 Als Folgeproblem der Unterbesetzung ist ferner die wachsende Unzufriedenheit der Assessoren zu nennen, da diese zwar mit ­Klagen von bedrängten Parteien und Sollizitanten täg­lich überlaufen wurden, ihre Kräfte aber ihrem guten Willen ungleich sind.215 Überdies gehe die erforder­liche Aufsicht über die Anwälte und über einzelne Prozesse verloren.216 Doch so sehr sich auch die Richter mühten, es entstand unweiger­lich, so Pütter, eine unerhörte Langwierigkeit der Processe.217 Die Langwierigkeit der Prozesse allein als ein Folgeproblem der Unterbesetzung und damit der Unterfinanzierung des Gerichts zu begreifen, greift allerdings zu kurz. Mit Zwierlein muss vielmehr festgestellt werden, dass es weitaus mehr Fehler in der jezigen Verfassung des Gerichts [gibt], die den schnellen Lauf der Justiz hemmen.218 Der Prokurator unterscheidet hierbei I.) Fehler, die in der 210 Ebd., S. 310. 211 Die im Westfä­lischen Frieden festgelegte Zahl von 50 Assessoren lässt sich mit Jahns auch nach den Reichsschlüssen von 1720 und 1775 „als gültiger, wenn auch in die Ferne gerückter, in Wirk­lichkeit jedoch längst zur Fata Morgana gewordener Fixpunkt“ begreifen [Richter Darstellung (2011), S. 314]. Als sehr lebendiger (und wohl nicht nur illusorischer) Fixpunkt taucht die Zahl 50 auf bei [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 47 u. [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 60. 212 Dies deutet auch Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 264 an, die insbesondere die Folgeprobleme für das Präsenta­tionswesen im Blick hat. 213 [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 47. Der vorhandene oder auch fehlende Arbeitsfleiß ist ein wichtiges Argument für und gegen die Erhöhung der Assessorenzahl. Als Gegenargument wird es etwa 1773 in einem kurbrandenbur­gischen Reichstagsvotum verwendet [ Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 313]. 214 [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 49. Siehe hierzu E.3.2 215 Ebd., S. 57. 216 Ebd., S. 54. 217 Ebd., S. 56 f. 218 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 28.

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gesamten Einrichtung des RKG liegen, II.) Fehler, die in den Prozessvorschriften gründen, sowie III.) Fehler, die aus einer nicht hinläng­lichen Oekonomie bei Anwendung dieser Gesezze entstehen.219 Zur ersten Fehlerkategorie zählt ins­ besondere die Einteilung der Senate, also der eigent­lichen Spruchkörper des RKG.220 Da – so die kurmainzischen Beratungspunkte (Punkt 13) – durch die üb­liche Anordnung eines besonderen Senates in jeder Sache die Geschäfte sehr verzögert werden, schlug Zwierlein ausgehend von einer ‚Anpassung‘ der Assessorenzahl vor, zwei große Senate von je 10, 12 oder 13 Assessoren zu bilden.221 Ein jeder Senat könne montags und dienstags – unterteilt in kleinere Senate – Extra­ judizialangelegenheiten vornehmen, also darüber entscheiden, ob ein Prozess zuzulassen sei, um dann den Rest der Woche 222 den „für eine zugelassene Klage entscheidenden Verfahrensabschnitt“223 ( Judizialangelegenheiten) zu vollziehen. Entscheidend sei, dass alle Sache[n] immer in gleicher Bewegung fortgiengen und keine Zeit verloren würde.224 Zur zweiten und dritten Fehlerkategorie unterbreitet Zwierlein ein ganzes Bündel an Vorschlägen, die dazu dienen sollen, durch Abkürzung des Processes und durch mehrere Oekonomisirung der Zeit die Rechtssprechung zu beschleunigen.225 So betont er die Notwendigkeit, den Extrajudicial-­Prozess abzukürzen und zu verbessern, womit sich die Formel kürzer = schneller = besser aufstellen ließe.226 Aus ­diesem Grund solle man die Extrajudizialien austeilen, wie sie einkommen, oder auch die Referenten dazu auffordern, Extrakte, also Auszüge aus den Akten, zu Hause anzufertigen. Würden diese näm­lich nicht erstellt, müsste alles vorgelesen werden. Welche Zeit kostet nicht d­ ieses!227 Und auch die Verdikung der Extrajudicial-­Akten moniert Zwierlein, womit er auf ein unliebsames Wesensmerkmal des ‚tintenklecksenden Säkulums‘ verwies.228

219 Ebd. 220 Siehe zu den Senaten E.2.3. Zwierlein unterscheidet bei der ersten Fehlerkategorie ­zwischen inneren und äußeren Mängeln. Zu den äußeren Mängeln siehe weiter unten. 221 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 67. 222 Ebd., S. 75. 223 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 106. 224 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 76. 225 Ebd., S. 29. Ledig­lich der ersten Fehlerkategorie wird explizit ein eigener Abschnitt gewidmet (Teil 1, sechstes Stück). 226 Ebd., S.  84 – 144. 227 Ebd., S. 131. 228 Ebd., S. 135. Siehe hierzu auch das unter D.6. anzusprechende Paradoxon der Schriftaufwertung bei gleichzeiter Schriftentwertung.

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Die kostbare Zeit 229 ließe sich mit Zwierlein ferner bei den Audienzen einsparen. Zwar habe man schon dem Kammerrichter, dem Präsidenten und den Assessoren die Lange­weile und Stunden […] zu Sparen gesucht, indem man zugestand, die öffent­lichen Sitzungen wöchent­lich nur dreimal (Montag-, Mittwoch- und Freitagnachmittag) und nur unter Anwesenheit eines Teils der genannten Kameralen abzuhalten.230 Dessen ungeachtet könne man aber noch mehr ökonomisieren, und zwar, indem man auf die Rezesse, also die Vorträge der Prokuratoren,231 verzichte. Diese näm­lich werden so abgelesen, daß kein Mensch sie verstehet. Die Audienzen ­seien so nur alle 14 Tage zur Ablegung der Eide und Verkündigung der Urteile erforder­lich.232 Ökonomisierungspotential barg nach Zwierlein auch die Kanzlei des RKG. Ein großes Problem sei es näm­lich, dass in Complirung der Acten oder Protocollen keine Gleichheit beobachtet, und ein Procurator oft ganze, halbe Jahre um Bescheidtisch­sachen sollicitiren mus, während andere Schriftstücke weitaus schneller zum Urteil befördert werden.233 Jeder Prokurator solle deshalb beim Kammerrichter die Vervollständigung der Protokolle nach einer zweimonatigen Bearbeitungsfrist einfordern dürfen.234 Die säumigen Kanzleipersonen hingegen sollten mit Geldstrafen belegt werden. Ohnehin solle bei der Auswahl des Kanzleipersonals darauf geachtet werden, nur taug­liche Köpfe anzustellen, die auch schreiben könnten. Dadurch könne unnötiges Zaudern, Träumen und Besinnen verhindert werden.235 All diese personellen und ‚realen‘ Gebrechen des RKG trugen nach Zwierlein zur Langsamkeit der Gerichtsarbeit bei, wobei auch er den mangelnden Unterhalt und die damit verbundene Unterbesetzung des Gerichts als einen wichtigen, wenngleich nicht ‚überwichtigen‘ Reformpunkt ansah.236 Dessen ungeachtet darf nicht übersehen werden, dass das RKG als Recht sprechendes Organ mehr oder weniger 2 29 Ebd., S. 232. 230 Ebd., S. 263 f. Siehe zu den Audienzen u. a. Wiggenhorn, Reichskammergerichts­ prozeß (1966), S. 99 – 102 sowie Loewenich, Visualisierung des Reichskammer­gerichts (2012). 231 Cameral-­Lexicon (1766), S. 93 f. 232 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 264. 233 Ebd., S. 293. Complierung der Akten „bedeutet, diese durch Ergänzung der Protokolle entsprechend den gehaltenen Vorträgen sowie durch Numerierung der vorhandenen Schriften vollständig zu machen“ [RKGO Laufs (1976), S. 296 (Glossar)]. 234 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 294. 235 Ebd., S. 292 f. 236 Die Vermehrung der Assessoren spielt im entsprechenden Abschnitt [Teil 3, X. Stück: Von dem Unterhalte des Kammergerichts] keine prominente Rolle. Wie dargelegt, war Zwierlein die Erhöhung der Kameralbesoldung wichtiger. Hierbei ist zu bedenken, dass es im 18. Jahrhundert den von Zwierleins als einer der wenigen Prokuratorenfamilien

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zwangsweise mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, zu langsam zu arbeiten oder auch nicht unabhängig zu urteilen.237 Wenn näm­lich ein Fürst klaget – so lässt sich mit Zwierlein die bereits angesprochene ‚überzeit­liche‘ Klage präzisieren –, soll das Verfahren mit der schleunigsten Hülfsvollstreckung anfangen, wenn er verklaget wird, soll die Gerechtigkeit taub seyn. Geschiehet nicht das erstere, so schreiet man über Verzögerung [...], geschiehet nicht das lezte, denn spricht man vollends von Uebereilung, vernachlässigtem Fürstenrechte, Versäumung der wesent­lichen Theile des Processes, allgemeiner Beschwerde und was weis ich mehr.238 Der Vorwurf der Verzögerung, aber auch der Übereilung sind also als ‚gerichtsimmanente‘ Vorwürfe zu begreifen, die erst einmal unabhängig von den ‚realhistorischen‘ Defiziten erhoben wurden. Zwierleins Anliegen war es deshalb, diese Vorwürfe kritisch zu überprüfen. Die Zurückweisung unbegründeter Vorwürfe und die Aufzeigung ‚wahrer‘ Gebrechen einschließ­lich der Verbesserungsmög­lichkeiten sind hierbei als komplementäre Ziele der Zwierleinschen Reformschrift zu begreifen.239 Ersterer Punkt ist dabei umso wichtiger, als der gute Ruf des RKG unter den Lügenromanen der Sollicitanten leidet – Lügen, die diese schmieden, um sich bei ihren Committenten zu rechtfertigen.240 Und auch die unterlegenen Prozessparteien fluchen nach ­Zwierlein gerne über die Justiz. Erschwerend komme hinzu, dass bei einem Reichsgericht sich dergleichen Verwünschungen aus einer Provinz in die andere wälzen und dadurch potenzieren.241 In ­diesem Sinne war es Aufgabe der Visita­ tion, den Ruf des RKG wiederherzustellen oder doch zumindest zu wahren.242 Beide Aspekte – Wiederherstellung und Bewahrung der Reputa­tion – waren die beiden Seiten einer Reputa­tionsmedaille, ­welche die Arbeit der Visitatoren umso mehr beeinflusste, als in den letzten 20, 30, 40 Jahr in Teutschland viel über die Mängel und Gebrechen des RKG und insbesondere – so der Subdelegierte Kurtriers im Juli 1767 – über Justiz Mäkhlereyen [...] gesprochen, geschriben und gedruckt worden sei.243 Die Visita­tion müsse also diesen böse[n] Ruff 244 untersuchen,

„gelang, eine gesellschaft­liche Stellung im Rang eines Assessors zu erringen“ [Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Wetzlar (2006), S. 72]. 237 Zum Vorwurf der Partei­lichkeit siehe Zwierlein, Vermischte Briefe (1767), S. 11 f. 238 Ebd., S. 13. 239 Ebd., S. 10. 240 Ebd., S. 12. 241 Ebd. 242 Schon Pütter mahnte an, die Reichsgerichte s­ eien nicht in gehörigem Stande und A ­ nsehen [Patriotische Abbildung (1749), Inhaltsverzeichnis zu § 10 – 36]. 243 SD Kurtrier, 17. Session vom 1. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. 244 Ebd.

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indem man – so die kurmainzischen Beratungspunkte (§ 9) auf Grundlage der Reichsinstruk­tion von 1706 (Punkt 9) – verbrechens- und bestraffungs-­würdige Mängel, darunter insbesondere Corrup­tionen, sehr genau überprüfe. Die Ahndung von Gebrechen und insbesondere die Aufdeckung etwaiger Korrup­tionen barg allerdings auch die Gefahr, das Ansehen des RKG zu schädigen. Deshalb gaben gerade zu Visita­tionsbeginn, als der Korrup­tionsskandal um den jüdischen Sollicitanten Nathan Aron Wetzlar noch in weiter Ferne lag,245 manche Visitatoren zu bedenken, das RKG maßvoll zu reformieren, damit die Ehr und das Ansehen des Gerichts nicht leide.246 Andere Visitatoren betonten demgegenüber, die Visita­tion werde durch die Beseitigung der vorgefundenen Gebrechen die Authoritaet bey dem Publico vielmehr steigern.247 Ob Wahrung, Wiederherstellung oder Steigerung der Reputa­tion – das Ansehen des RKG war ein wichtiger Bezugspunkt vieler Akteure. Reputa­tion kann damit nicht nur – wie jüngst vorgeschlagen – als fünfter „Leitfaktor frühneuzeit­licher Mächtepolitik“ neben Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradi­tion begriffen werden,248 sondern auch als eine reformerische Leitkategorie der Visita­tion. Es kann sogar vermutet werden, dass hier ein gemeinsamer Bezugspunkt der reformabsolutistischen und ‚rei­chischen‘ Reformen vorliegt.249 Gerade die Untersuchung der Korruptionsvorwürfe folgten dieser Leitkategorie, wie die weiteren Ausführungen noch verdeutlichen werden, und dies umso mehr, als in den Jahrzehnten vor der Visita­ tion unter dem Kammerrichter Karl Philipp Franz von Hohenlohe-­Bartenstein (1746 – 1763) „eine Korrup­tion eingerissen [ist], die dem Ansehen des Gerichts schweren Schaden zufügte“.250 Aufgabe der Visita­tion war es ferner nach Berg, sich um Justiz-­Geschäfte zu kümmern.251 Gemeint ist damit 1.), dass – wie bereits dargelegt 252 – die Visita­tion in Revision gegangene Prozesse zu bearbeiten hatte. Die Erledigung der Revisionen galt für manche sogar als die erste und vorderiste Aufgabe der Visita­tion 245 Siehe hierzu E.3. 246 SD Österreich, 16. Session vom 26. Juni 1767 [StadtAA RKG 41]. 247 SD Kurtrier, 17. Session vom 1. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. 248 Rohrschneider, Reputa­tion als Leitfaktor (2010), S. 332. 249 Nicht nur Reinalter betont, dass es dem Reformabsolutismus bzw. – er lehnt den Begriff ab – Aufgeklärten Absolutismus „auch um die Steigerung der Macht und das Ansehen des Staates“ ging [Reinalter, Reformen/Reformabsolutismus (2005), S. 520]. 250 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 140. Wobei man vermeiden sollte, diese (keineswegs abschließend erfassten) Vorwürfe ex post zu einem wesent­lichen Visita­tionsgrund zu stilisieren. Siehe hierzu weiter Kapitel E. 251 Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 146 – 178. 252 Siehe A.1.2.

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(Kaiser­liche Instruk­tion § 32). Zeitgenös­sische Schätzungen von 50.000 bis 60.000 Prozessen können hierbei als für die Visita­tion nicht weiter relevante (und wohl stark übertriebene) ‚passive‘ Revisionsmasse gelten,253 da nur ein Bruchteil der Revisionen offiziell entsprechend des Revisionsediktes vom 10. Oktober 1766 bei der Visita­tion anhängig wurde.254 Diese quantitative Einordnung darf allerdings nicht über die Wichtigkeit der Bearbeitung der entsprechenden Revisionsfälle hinwegtäuschen, deren Nicht­bearbeitung aus noch darzulegenden Gründen zum vorzeitigen Ende der Visita­tion beitrugen.255 Die Visita­tion lässt sich 2.) als eine Recht sprechende Instanz begreifen, weil es seit 1530 den Reichsständen und seit 1570 jeder Partei mög­lich war, sich bei der Visita­tion zu beschweren, wenn ihnen das RKG ohngebühr­lich [...] begegnet were.256 Es kann auch von Rekursen gesprochen werden, allerdings nicht im Sinne jener bereits definierten Rekurse, die bei dem Reichstag geltend gemacht wurden.257 Aufgabe der Visita­tion war es vielmehr, sowohl selbst Rekurse zu bearbeiten als auch 3.) zu untersuchen, warum – so die kurmainzischen Beratungspunkte (Punkt 14) – so viele Recurse an die allgemeine Reichs-­Versammlung gebracht werden. Die Rekurse an den Reichstag können also als eigene Rekursart begriffen werden, ­welche die Forschung bereits verschiedent­lich untersucht hat.258 Erstgenannte

253 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 24 verweist darauf, dass erstmals Johann Jakob Moser im Jahr 1740 von 50.000 Revisionen sprach und diese Angabe wohl einer Verwechslung mit allen am RKG anhängigen Sachen geschuldet sei. Siehe grundsätz­lich zu den Revisionen als ein Rechtsmittel gegen Urteile des RKG Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 237 – 240. 254 Dies geht aus dem Verzeichnuß derjenigen Partheyen hervor, ­welche Krafft Kayser­lichen Edicts vom 10ten Octobris 1766 wegen Prosequirung ihrer […] Revisionen sich bey Chur-­ Mayntz […] angemeldet haben. Das Verzeichnis wurde im Rahmen der Visita­tionseröffnung dem RKG überreicht und liegt in Abschrift im BayHStA KS 5716 fol. 24 – 29. Schon der Folioumfang verweist darauf, dass nur wenige Prozessparteien (rund 35) Revisionen geltend machten. Eine genauere Quantifizierung ist nicht mög­lich, da viele Einträge pauschal auf (nicht überlieferte bzw. nicht aufgefundene) Spezial-­Anzeigen oder vormahls interponirte Revisionen verweisen. 255 Siehe insbesondere D.6. 256 So die vom Reichsabschied von 1530 übernommene Formulierung der RKGO Teil I Tit. 50 § 5. Siehe insgesamt hierzu Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 125 f. 257 Siehe bereits S. 70. 258 Mit unterschied­licher Akzentuierung Sellert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae (1973), S. 411 f. und Härter, Rekurs Friedrich Karl von Wied-­Neuwied (1993), daneben Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 91 (Anm. 129) und Sydow, Recursus ad Comitia (2003), S. 120.

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Rekursart hingegen lässt sich auch als noch unerforschte Suppliken 259 verstehen, die vor allem, aber nicht ausschließ­lich, die Rechtsprechung des RKG betrafen.260 Die Visita­tion war schließ­lich 4.) zuständig für sog. Syndikatsklagen, also „Schadenersatzklage[n]“ gegen einen Richter, „der schuldhaft das Recht gebeugt“ hatte.261 Sie spielten jedoch für die Visita­tion von 1767 so gut wie keine Rolle.262 Die Visita­tion hatte ferner zwar nicht das Recht, neue Gesetze zu erlassen oder bestehende auszulegen oder abzuändern.263 Dessen ungeachtet setzte sie sich in vielerlei Hinsicht mit der Gesetzgebung des RKG auseinander. Es oblag ihr 1.), die Gemeinen Bescheide zu untersuchen. Hierbei handelt es sich um interims Gesätze (Kaiser­liche Instruk­tion § 20) bzw., genauer, um „öffent­lich bekannt­ gemachte Beschlüsse des RKG’s-­Plenums […], die sich auf die Prozeß- und sonstige Ordnung am RKG bezogen und mit vorläufiger allgemeiner Verbind­lichkeit vor allem ­solche Fragen entschieden, die vom Reichsgesetzgeber nicht geregelt worden waren“.264 Die Visita­tion sollte 2.) die Dubia Cameralia, also die Zweifel überprüfen, die bei dem Kameralkollegium über allerley streitige Rechtsfragen bestanden.265 Der Visita­tion war es 3.) mög­lich, Verfügungen bezüg­lich der Anwendung schon erlassener Gesetze sowie 4.) Interimsverfügungen über Gegenstände zu erlassen, die noch nicht bestimmt waren; eine endgültige Entscheidung oblag dabei dem Reichstag.266 Die Visita­tion konnte 5.) die Befreiungen von Verpflichtungen ertei-

259 Dieses Desiderat – die Visita­tion als Rekurs- bzw. Supplika­tionsinstanz – kann in dieser Studie nicht behandelt werden. 260 Moser, Von dem Recurs an die Cammergerichts-­Visita­tion (1775), S. 46, unterscheidet vier Arten von Rekursen bzw. Beschwerungs-­Memorialien (S. 4) oder auch Supplic[en] (S. 37): 1.) Einige derselben betrafen nicht einmal das Cammergericht selber eigent­lich und nächstens: 2.) Einige giengen zwar das Cammergericht an, aber keine Parthie­sachen, 3.) Wieder andere berührten zwar das Cammergericht­liche Verfahren in gewißen Proceßsachen, aber nur überhaupt; 4.) Bey noch andern end­lich gienge man ad speciem und suchte in einzelnen Fällen eine Abänderung derer ergangenen Cammergericht­lichen Erkänntniße. Siehe zum Recurs an die Visita­tion auch Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 154 – 158. 261 RKGO Laufs (1976), S. 315 (Glossar). 262 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 240. 263 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 380 f. 2 64 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 4. Siehe hierzu auch Diestelkamp, Schrift­lichkeit im Kameralprozeß (2009), S. 107 – 109. 265 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 382. Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 124 (Anm. 695) erwähnt, dass der Visita­tion von 1767 acht Dubia überreicht wurden, wovon eines bezüg­lich der „Zulassung der Mennoniten zum Schwur“ entschieden wurde. 266 Ebd., S. 382 f.

Da wir jetzo in einer geseegneten Reformationszeit leben

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len, so zum Beispiel bezüg­lich der Verlängerung von Urlauben.267 Ihr stand es 6.) zu, alle Theile der Kammergericht­lichen Verfassung und des Processes vorläufig zu verbessern, wobei hier ebenfalls nur der Reichstag eine endgültige Bestimmung treffen konnte.268 Und schließ­lich 7.) oblag es ihr, das Konzept der RKGO zu überarbeiten respektive von Assessoren überarbeiten zu lassen.269 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Visita­tion ein ganzes Bündel an Aufgaben zu erfüllen hatte. Sie war eine Recht sprechende Instanz, die Revisionen, aber auch Suppliken zu bearbeiten hatte, war für die Gesetzgebung des Gerichts zuständig und sollte sich mit den äußeren Gebrechen, also der Unterbringung des Gerichts und des Archivs, dem Policeywesen und insbesondere mit dem Unterhalt und damit zusammenhängend mit der Unterbesetzung, auseinandersetzen. Aufgabe der Visita­tion war es ferner, ganz allgemein die Real- und Personalgebrechen und damit jene Probleme zu beheben, die vor allem um die Langwierigkeit der Prozesse als auch das gesetzmäßige Verhalten der Kameralen einschließ­lich der Korrup­tionsvorwürfe kreisten. Letzteres Aufgabenfeld, die Behebung der Personal- und Realgebrechen, war – dies ist aus der bisherigen Analyse deutlich geworden – besonders wichtig. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Gesetze keine Prioritätenliste vorgaben, die Zeitgenossen unterschied­ liche Erwartungshaltungen hatten und in der Praxis viele Aufgaben parallel und manche, so insbesondere die Revisionen, gar nicht bearbeitet wurden. Darüber hinaus ergaben sich viele Aufgaben erst mit der Visita­tion. Insbesondere das Examen der Gerichtsangehörigen diente dazu, Defizite aufzudecken. Zu bedenken ist außerdem, dass die Mög­lichkeiten für die Visita­tion, das RKG zu reformieren, beschränkt waren. So war es in manchen Bereichen, wie bei den Dubia ­Cameralia, dem Reichstag vorbehalten, endgültige Entscheidungen zu treffen. Und auch bei der Unterbesetzung des Gerichts ging es ‚ledig­lich‘ darum, ein Gutachten zu erstellen. Daneben gab es strukturelle Probleme, deren Behebung sich fast gänz­lich der delegierten Gewalt der Visita­tion entzog. Dies betraf insbesondere das Grundsatzproblem der Exeku­tionsgewalt. Anzumerken ist hierzu, dass die Forschung seit mehr als 30 Jahren berechtigtermaßen auf die Kurzsichtigkeit verweist, die Effizienz des Gerichts nach den vollstreckten oder

267 Ebd., S. 383. 268 Ebd. 269 Bereits im November 1766 schlug der Kammerrichter vor, sich darauf vorzubereiten [HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, Proposi­tion des Kammerrichters vom 14. Nov. 1766]. Die Visita­tion beauftrage schließ­lich am 4. Nov. 1767 die Assessoren Loskant, Albini, Cramer, Riedesel, Ortmann und Harpprecht mit der Überarbeitung.

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auch erzielten Urteilen zu bestimmen.270 Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass Zeitgenossen wie etwa Zwierlein 271 die defizitäre Exeku­tionsgewalt als ein zu behebendes Defizit wahrnahmen. Vielleicht waren es auch diese kritischen Stimmen, die die Visita­tion dazu veranlasst hat, sich zumindest kurzzeitig mit der Exeku­tionsproblematik auseinanderzusetzen.272 All ­dieses verdeut­licht schließ­lich, dass die Visita­tion zwar kein unbegrenztes, aber dennoch sehr umfassendes Reformprogramm zu bewältigen hatte, welches die Normen, aber ebenso die konkreten Defizite vorgab sowie die Zeit­genossen mit ihren Erwartungshaltungen zumindest beeinflusste. Zu vermuten ist dabei, dass die Erwartungen an die Visita­tion nicht nur geprägt waren von dem bereits geschilderten Reform- und Visita­tionshorizont der Zeit, sondern gleichermaßen von eben diesen Normen sowie den – wie auch immer erlebten – Defiziten, die durch den Siebenjährigen Krieg wohl verstärkt wahrgenommen wurden.273 Bei alldem darf eines jedoch nicht übersehen werden: Die Visita­tion war gerade aufgrund der visita­tionslosen Vergangenheit als auch aufgrund der wiedergewonnenen Friedenszeit 274 eine Reform, die sich zumindest am Anfang selbst genügte.

2 70 Ebd., S. 84, mit einem forschungsgeschicht­lichen Abriss. 271 Er sprach davon, dass der Verfall der Reichsgerichte durch den Abgang der Execu­tion notwendig erfolgen müsse, zumal es damit in neueren Zeiten wie mit der Hölle zugehe [[Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 300. u. 310]. 272 Am 23. Jan. 1769 forderte die Visita­tion das Kameralkollegium auf, einen Bericht zu erstellen, wie sie glauben, daß hinkünftig die judicata […] am kürzesten und bequemsten zu ihrem Vollzug gebracht werden können [StadtAA RKG 45]. Ob dieser Bericht erging, konnte nicht festgestellt werden. 273 Dies darf angenommen werden aufgrund des bereits beschriebenen Konnexes von Reform und Krise sowie einem Verständnis von Krisen, das deren subjektive Gemachtheit betont [Ramonat, Krise (2007), Sp. 229]. Es liegt also nahe, dass der Siebenjährige Krieg die subjektive Wahrnehmung von Krisen oder eben Defiziten (und damit das Verlangen nach Reformen) verstärkte. 274 Dies verdeut­licht die Proposi­tion der kaiser­lichen Kommission vom 11. Mai 1767. Dort ist von der äusser­lichen Ruhe und lieben Frieden sowie dem inner­lichen Ruhestand die Rede. Betont wird ferner die Gottgeheiligte Justiz und Rechtspflege, als eine deren ­ersteren Grundsäulen der Glückseligkeit und von Gott gesegneten Wolfahrt eines Staats [StadtAA RKG 41].

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A.2. Reformstunden – Reformtage – Reformjahre: Der Reformalltag A.2.1 Die visitationsexternen und visitationsinternen Zeitrhythmen Der Lauf der Visita­tion folgte einer visita­tionsexternen und visita­tionsinternen Zeitrhythmisierung. Erstere Zeiteinteilung, die unabhängig von der Visita­tion bestand, aber den zeit­lichen Gang der Visita­tion beeinflusste, war zum einen gegeben mit der christ­lichen Zeitordnung. Sie umfasste (und umfasst) einen von kirch­lichen Festen und Feiertagen strukturierten Jahrsverlauf, die Siebentagewoche und den 24-Stunden-­Tag.275 Zum anderen war die visita­tionsexterne Zeitrhythmisierung geprägt von dem Namenstag Kaiser Josephs II.276 sowie dem Kameraljahr. Das Kameraljahr, das am 1. September begann und am 31. August endete,277 korrelierte mit dem Kirchenjahr insofern, da sich die meisten Ferien des Gerichts an den Festen und Feiertagen der ­Kirche orientierten. Es gab insgesamt sechs mehrtägige sogenannte große Ferien, die sich im Jahr auf etwa fünf Sommer- und acht sonstige Wochen im Jahr beliefen,278 und die auf einen Tag beschränkten, so genannten kleinen Ferien. Hierbei handelt sich um insgesamt 27 Festtage,279 w ­ elche die katho­lischen und zum paritätischen ‚Feiertagsausgleich‘ am Folgetag (dem so genannten Post-­Festum)280 die protestantischen Gerichtsangehörigen begingen. Diese Vielzahl an kirch­lichen Feiertagen lag weit unter dem spätmittelalter­lichen Durchschnitt (über 50) und entsprach der 1754 von Papst Benedikt XIV. festgelegten ‚Feiertagsnorm‘ (28 Tage), die jedoch 1771/72 (Österreich und Preußen) bzw. 1788 (Gesamtkirche) neuer­lich auf 17 reduziert wurde.281 275 Vogtherr, Zeitrechnung (2006), insbes. S. 12 u. 75. 276 Siehe B.1.3 277 Cameral-­Lexicon (1766), S. 23. 278 Diese begannen dem Kameraljahr folgend mit Weihnachten (25. Dezember bis 6. Januar), setzten sich fort mit den Fastnachts- (7. Sonntag bis 6. Sonntag vor Ostern), Oster- (1. Sonntag vor Ostern bis 1. Sonntag nach Ostern), den sog. Kreuzwoch- (5. Sonntag nach Ostern bis 6. Sonntag nach Ostern) und Pfingstferien (Samstag vor Pfingsten bis 1. S­ onntag nach Pfingsten) und endeten mit den sog. Hundstags- oder auch Canicular-­Ferien. Letztere orientierten sich an den heißen Sommertagen (‚Hundstagen‘) und reichten vom 18. Juli bis 25. August, allerdings mit der Einschränkung, dass die Audienzen wie gewohnt dreimal wöchent­lich (Montag, Mittwoch und Freitag von 9 – 11 Uhr) abgehalten werden mussten [ebd., S. 44]. 279 Sie werden aufgelistet im Cameral-­Lexicon (1766), S. 44 f. 280 Cameral-­Lexicon (1766), S. 80 f. 281 Rossum, Feiertage (2006), Sp. 869 u. 871.

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Die Visita­tion folgte ­diesem kameralen Jahres- und Feiertagszyklus. Am 15. Juli 1767 wurde beschlossen, die Sitzungen über die Sommerferien auszusetzen, weil die Gerichtsangehörigen grösten theils [...] weggehen, einige Subdelegati kränck­ lich, die anderen aber gewohnt seynd, sich deren Wasser Curen zu gebrauchen.282 Damit angesprochen ist, dass die Ferienzeit eine allgemeine Erholungszeit war, ­welche die Visitatoren, aber auch die Sekretäre gerne in Kur verbrachten. Auch Stallauer berichtete darüber, dass sich gerade in den Sommerwochen nichts bericht würdiges ergiebt, weil die meisten Visitatoren und Gerichtsangehörigen nach Schwalbach, dem Schlangenbaad, Wißbaden und der[gleichen Erholungsund Kur-] Orthen excurriret [ausgelaufen; A. D.] sind.283 Stallauer schrieb diese Worte am 7. August 1767, also mitten in den großen Sommerferien. Wie dieser Schreib-Zeitpunkt andeutet, war die Ferienzeit nicht für alle und zu jedem Zeitpunkt eine berichts- und arbeitsfreie Zeit. Der kurbrandenbur­gische Visitator Böhmer etwa, der seinem am 8. Februar 1773 verstorbenen Vorgänger folgte, nutzte die Osterferien dazu, sich in die vorrähtigen [...] Acten einzuarbeiten.284 An und mit den Akten über die Ferien arbeiteten auch die Sekretäre. Nach Auskunft Kestners lief die chronisch überlastete Diktatur die meiste Zeit der Ferien durch.285 Und auch das kurmainzische Direktorium blieb die Ferienzeit über in Wetzlar, um einkommende Schreiben und Exhibita [schrift­liche Eingaben; A. D.] annehmen zu können.286 Mit den Arbeiten, ­welche die Visita­tionsakteure in der kameralen Ferienzeit verrichteten, ist zugleich eine ‚Eigenzeit‘ der Visitation angedeutet. Der visita­ tionseigene Zeitrhythmus folgte den Zeiten der Sitzungen, kurz Sessionszeiten, sowie den delega­tionsinternen Verpflichtungen. Letztere waren gegeben mit der Abfassung diverser Schriftstücke, die für die Obrigkeit (Briefe, Berichte, Diarien) oder für die Arbeit im Visita­tionsplenum (Voten und Rela­tionen) bestimmt waren, als auch dem Aktenstudium, wie es etwa Böhmer über Ostern 1773 oder auch Falcke mit der in der Einleitung behandelten Försterischen Akte tat. Überdies gab es ‚münd­lichkeitsorientierte‘ Verpflichtungen, so etwa die Treffen mit anderen Visitatoren oder auch der münd­liche Austausch mit dem eigenen Personal (Sekretär, Kanzlist, Diener). All diese mehr oder weniger zeit­ intensiven Tätigkeiten richteten sich jedoch nach den Sessionszeiten. Sie waren 2 82 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 15. Juli 1767. 283 StadtAA RKG 33, Rela­tion 8 vom 7. Aug. 1767. Siehe hierzu Bleymehl-­Eiler, „Das Paradies der Kurgäste“ (2001). 284 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 59, Bericht Böhmer vom 3. April 1773. 285 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 26 (23. April 1768). 286 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 15. Juli 1767.

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in der ferienfreien Zeit der zeit­liche Fixpunkt einer jeden Visita­tionswoche. Zu Visita­tionsbeginn wurde festgelegt, die Sessionen am Montag, Mittwoch und Freitag von 9 – 12 Uhr abzuhalten. Und wenn ein solcher Tag auf einen Feiertag fiel, dann sollte am nächsten Werktag Session gehalten werden,287 wie etwa am 1. Mai 1772, als die Freitagssession auf den Sonnabend (2. Mai) verlegt wurde.288 Die festgelegten Sessionszeiten waren allerdings nur eine ‚Zeitnorm‘, die ein ums andere Mal nicht eingehalten werden konnte. Einige Sessionen dauerten ohne unterbruch von Morgen frühe um 9 Uhr biß Nachmittags 3 Uhr 289 oder auch von Morgens frühe halb 9 Uhr bis abends halb 5 Uhr,290 und manche sogar bis 7291 oder auch 9 Uhr abends.292 Solche Überstunden kamen schnell zustande. So berichtet Falcke, dass das Direktorium wenige Minuten nach 12 Uhr anfragen ließ, ob man noch, wie in voriger Session, ein Paar Stunden zugeben wollte. Der kränkelnde Falcke äußerte ein halber Patient zu sein, worauf man nur noch […] eine Vierthel Stunde tagte.293 Neben Extra-­Stunden gab es auch Extra-­Sessionen, wie zu Visita­tionsbeginn, als es Unstimmigkeiten wegen der Direktorialrechte gab und beschlossen wurde, in extra Sessionen die zu dem Haubt geschäfften nicht gehörigen Sachen zu trac­ tiren.294 Als Extra-­Sessionen bezeichnet wurden auch all jene Sitzungen, die dem Examen dienten. Die hierfür benötigten extraordinären ‚Examens-­Sessionen‘ gingen dabei teils Hand in Hand mit den ordinären Sessionen.295 Es gab aber auch Wochen, in denen die Visitatoren täg­lichen Vor- und Nachmittag mit Eruirung der Personal Gebrechen beschäftigt waren.296 Überdies kam es im Laufe der neunjährigen Visita­tionszeit auch vor, dass die ordent­lichen Sessionen nicht nur dreimal, sondern auch viermal in der Woche abgehalten wurden, um die Geschäfte nach Mög­lichkeit zu beschleunigen.297 287 2. Session vom 13. Mai 1767 [StadtAA RKG 41]. 288 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 66, Bericht Reuter vom 5. Mai 1772. 289 StadtAA RKG 33, Rela­tion 17 vom 12. März 1768. 290 StadtAA RKG 33, Rela­tion 130 (undatiert). 291 Gesammelte Original-­Briefe,Teil 3 (1778), Brief 88. 2 92 GS tA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, 117. Bericht Emminghaus/Böhmer vom 28. Jan. 1776. 293 HStA-Han. Cal. Br. 11 4120, Falcke an König 17. Sept. 1771. 294 14. Session vom 22. Juni 1767 [StadtAA RKG 41]. 295 Siehe D.4. 296 StadtAA RKG 33, Rela­tion 70 vom 11. Juni 1771. 297 StadtAA RKG 33, Rela­tion 125. vom 15. Juni 1774. Vier Sitzungen pro Woche waren auch im Vorfeld der Visita­tion angedacht, erstmalig wohl in den kurmainzischen Beratungspunkten von 1764 (Punkt 4).

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Die Anzahl der im Verlauf einer Woche abgehaltenen Sessionen sowie die Dauer einer Session konnten also stark variieren. Diese flexible Gestaltung der Sessionszeiten vollzog sich vor dem Hintergrund eines Zeitbewusstseins, das im Laufe der Frühen Neuzeit immer stärker von der Uhr geprägt war. Die mechanische Zeitmessung, die „seit dem 16. Jh. nach und nach Eingang [fand] in den Alltag immer breiterer Bevölkerungsschichten“ und immer präziser wurde,298 verbreitete sich im 18. Jahrhundert sogar derart massenhaft,299 dass geradezu von einem „Zeitalter“ gesprochen werden kann, „in dem sich die Herrschaft der Uhr in Europa endgültig durchsetzte“.300 Ob auch der ein oder andere Visitator über eine tragbare Uhr – diese gab es seit der zweiten Hälfe des 17. Jahrhunderts 301 – verfügte oder aber sich im Visita­tionssaal eine Bodenstand-, Wand- oder sonstige Uhr befand, ist nicht bekannt. Ohnehin würde es zu kurz greifen, die Uhr ledig­lich als ein Instrument der Zeitmessung zu begreifen. Uhren waren (wie teils auch heute noch) „sichtbarer Ausweis der Wohlhabenheit“.302 Dessen ungeachtet und unter der Vermutung einer im städtischen Raum sich befindenden Turmuhr, die die Sessionszeiten ‚taktete‘, kann festgehalten werden, dass in den Visita­tionsjahren die Zeit sehr konkret bemessen wurde. Darauf verweist nicht nur die von dem ‚Patient Falcke‘ erwähnte Viertelstunde, die man länger konferierte. Auch Kestner sprach in seinem Tagebuch davon, dass man um 8 ¼ [...] wieder zu Rottheim war, oder auch darüber, dass er bei einem Sommeraufenthalt in Mainz nicht das Glück hatte, ihn [den Kurfürsten; A. D.] auf eine Minute bekannt zu werden.303 Präzise Zeitangaben finden sich auch auf den Zetteln, ­welche die Sessionen ansagten. ‚Präsentiert den 22. Novbr. 1774 Abends zw.  5 – 6 Uhr‘ wurde etwa auf den Zettel vermerkt, der unter den Visita­ tionsdelega­tionen die zu beratenden Gegenstände für die Mittwochsitzung vom 23. November 1774 – es war die insgesamt 898. Session – bekannt gab.304 Mehr oder weniger genau erfasst wurde die Tageszeit schließ­lich auch im Rahmen der Diktatur. Auf den Visita­tionsprotokollen ist in der Regel vermerkt, ob eine Vervielfältigung vormittags (ante meridiem) oder nachmittags (post meridiem) erfolgte. Es sind sogar Protokolle überliefert, w ­ elche die exakte Uhrzeit festhalten,

2 98 Rossum/Popplow, Uhr (2011), Sp. 887 (Zitat) u. 889 f. (zunehmende Präzision der Zeitangabe). 299 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 186. 300 Maurer, Alltagsleben (2005), S. 35. 301 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 185. 302 Ebd. 3 03 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 43v ( Juli 1768) u. fol. 154v (August 1770). 304 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, fol. 89.

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so im Hauptstaatsarchiv Hannover. Dort lassen sich Vermerke finden wie ‚Diktiert Vormittags von 9 bis ½ auf 12 Uhr‘ (9 – 11:30 Uhr), ‚Diktiert Nachmittags von ½ auf 3 bis ½ auf 6‘ (14:30 – 17:30 Uhr) oder aber ‚Diktiert Nachmittags von 4 bis 7 Uhr‘.305 Solche Zeitangaben sind zwar die Ausnahme. Sie verweisen jedoch auf die der Dikaturzeiten unterlegenen Schwankungen, und zwar zumeist nach oben hin, so dass also am Tag länger oder auch in der Woche öfters diktiert wurde. Wohl nicht nur einmal kam es vor, dass bis Nachts um 8 Uhr dictando continuiret werden muste,306 oder sich das zu diktierende Material dermassen gehäufet hat, dass die Sekretäre so gar am Sonnund Fest-­Tagen Nachmit­tages [...] auf der Dictatur haben erscheinen müssen.307 Dieser delega­tionsübergreifende, da von allen Delega­tionen gleichermaßen zu bewerkstelligende Schreiballtag der Sekretäre fand eine delega­tionsinterne Entsprechung. So hatte Kestner einmal ein Votum Falckes von 4 Uhr Nachmittags bis andern Morgens 3 Uhr abzuschreiben ohne beynah aufzustehen.308 Ein solch elfstündiger Schreibmarathon war vermut­lich notwendig geworden, da Falcke für die Freitagssession – das Abschreiben erfolgte von Donnerstagnachmittag auf Freitag – sein Votum benötigte, um es im Plenum gänz­lich oder zumindest in Teilen zu verlesen. Der delega­tionsinterne Schreiballtag wie insgesamt der Verlauf einer Visita­ tionswoche war ebenso bestimmt durch die Posttage.309 Auf verschiedenen Wegen bestand die Möglichkeit, Post zu versenden. Neben der taxischen Reichs- bzw. ‚Ordiniari-­Post‘310 – sie wurde 1689 mit der Verlegung des RKG von Speyer nach Wetzlar eingerichtet 311 – und der kurpfälzischen Post 312 – sie verkehrte von 1704 bis 1774 über Wetzlar 313 – war es insbesondere die seit 1696 bestehende landesherr­

305 HStA-Han. Cal. Br. 11 4199, Protokolle Session 1 – 3. 306 StadtAA RKG 33, Rela­tion 130 (undatiert). 307 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Falcke an Räte 2. Juni 1767. 308 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 128 (22. Feb. 1770). 309 Zum gesamtthematischen Hintergrund natür­lich Behringer, Im Z ­­ eichen des Merkur (2003), im Überblick Ders., Post (2009). 310 Die heut abend fünff Uhr abgehenden ordinarie Post [HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal/Horix an Kurfürst vom 1. Mai 1767 (Freitag)]; die Visita­tionsprotokolle ­werden heute in einem besonderen Paquet mit der Reichs Post von hier abgehen [GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, Reuter an König 23. Okt. 1770 (Dienstag)]. 311 Siehe hierzu das am 20. Okt. 1689 ergangene kaiser­liche Reskript, abgedruckt in: Schmidt, Wetzlarer Postgeschichte (1990), S. 3. 312 Wurden mir hochgeneigt angewießene 1500 fl. durch den Chur-­Pfälz.Postwagen heut Dato richtig übersandt [StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771 (Sonntag)]. 313 Schmidt, E., Wetzlarer Postgeschichte (1990), S. 26 u. S. 62 – 6 4. Da der Postwagen von Köln über Frankfurt nach Wetzlar fuhr, bezeichnete man die kurpfälzische Post auch als cöllnische Post.

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liche Post Hessen-­Kassels,314 ­welche die Korrespondenzen, Berichte, Akten und dergleichen von und nach Wetzlar brachte.315 In den Visita­tionsakten findet sich daneben die zeitüb­liche Unterscheidung ­zwischen einer reitenden und einer fahrenden Post.316 Und schließ­lich gab es auch die Bemühungen, Post unter Umgehung der Post zu versenden. Zumindest die kurmainzischen Visitatoren regten zu Visita­tionsbeginn an, einige Hußaren an die Poststa­tion zu ­Rockenberg (in der Wetterau) unter dem Vorwand der Streifferey zu ­schicken, damit in der Stille von hieraus durch vertraute Expressen die Bericht an s­ olche Hußaren und durch diese weiter überliefert werden könnten. Der sichere Transport von Schriftstücken war ein wichtiges Thema im ‚Postzeitalter‘, und zwar aus guten Gründen. Einem weiteren Bericht der kurmainzischen Visitatoren ist zu entnehmen, wie einmal der von Frankfurt kommende kurpfälzische Postwagen bei Wetzlar von 6 mit Pistolen und Messer wohl bewährten Purschen überfallen wurde.317 Solche Überfälle kamen im Wetzlarer Umland nicht selten vor.318 Unsicherheiten und damit Unregelmäßigkeiten bei der Postzustellung ergaben sich auch durch Unwetter 319 oder aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse, wie sie etwa z­ wischen Wetzlar und Herborn bestanden.320 Dessen ungeachtet erreichte Wetzlar ganz im Sinne der Grundleistungen der frühneuzeit­lichen Post  321 zumeist pünkt­lich und mehrmals in der Woche, wenn 314 Ebd., S. 25. Dass sich in Wetzlar ein eigenes Büro der Hessen-­Kasseler Post befand, geht aus der ebendort (S. 30 – 36) wiedergegebenen Wetzlarer ‚Postgeschichte‘ hervor, die um 1755 ein ungenannter Chronist verfasste. Die Hessen-­Darmstädter Post etwa ließ ledig­ lich in Wetzlar Briefe einsammeln und durch einen Boten nach Gießen bringen (S. 30). Siehe insgesamt zum „Wirken der Hessen-­Kasseler Post in Wetzlar“ ebd., S. 48 – 56. 315 Postporto für die auf die Hessenpost abgegebene allerunterthänigste Berichte [GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57]. Siehe insgesamt zur Entwicklung der landesherr­lichen Post in Konkurrenz zur Reichspost Behringer, Im ­­Zeichen des Merkur (2003), S. 216 – 279. 316 Siehe etwa HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 24. März 1772 (Dienstag). 317 HHStA Wien MEA RKG 342, Diarium 4. Okt. 1770, § 1027. 318 Schmidt, E., Wetzlarer Postgeschichte (1990), S. 44 u. S. 63 f. 319 So bemängelte der kurbrandenbur­gische Visitator in einem Gemeinschaftsbericht mit dem Visitator für das Herzogtum Magdeburg, dass die Post überhaupt bey dermaliger Witterung sehr unordent­lich eintreffe […]. Auslöser dieser Kritik war ein Reskript vom 9. Januar, das allererst mit gestriger Post am 22. Jan. 1776 eintraf [GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 66, Bericht Emminghaus/Böhmer vom 23. Jan. 1776]. 320 Schmidt, E., Wetzlarer Postgeschichte (1990), S. 46. Allgemein zum Zusammenhang von Post- und Straßenentwicklung Behringer, Im ­­Zeichen des Merkur (2003), S. 512 – 549. 321 Gemeint sind die für das Postwesen und auch für die Entwicklung der Periodika so wichtigen Merkmale Periodizität, Aktualität, Universalität und Publizität [Behringer, Im ­­Zeichen des Merkur (2003), S. 660].

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nicht sogar täg­lich Post.322 Und auch umgekehrt ging ebenso oft Post von hier ab zu den Höfen und Städten der Visita­tionsobrigkeiten. Genauere Einblicke in die posta­lische Vernetzung Wetzlars mit der ‚Welt‘ ermög­licht ein zeitgenös­sisches Verzeichnis aus dem Jahr 1766, welches auflistet, an ­welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit Post von dem Reichspostamt – nur hierzu liegt eine solch detaillierte Übersicht vor – abging und an w ­ elchen Tagen von woher Post ankam.323 Unterschieden werden insgesamt 16 verschiedene Postrouten – von der Nieder­ländischund Cöllnischen bis zur Schwäbisch-­Bayerisch-­Franzö­sisch-­Reichs-­Niederländisch-­ Bergstrasser und Frankfurter Posten –, die mindestens zweimal wöchent­lich, ansonsten aber vier- bis sechsmal in der Woche oder täg­lich Post nach Wetzlar brachten. Und auch die Postabholung erfolgte mindestens zwei- oder auch drei- bis viermal wöchent­lich sowie bei einer Postroute sogar täg­lich.324 Genau festgelegt waren schließ­lich auch die Uhrzeiten. Die Post ging ab zumeist abends um 5 Uhr, teils aber auch schon nachmittags um 3 oder sogar um 11 Uhr mittags, und kam, mit nachmittäg­lichen und abend­lichen Ausnahmen, immer morgens um 8 Uhr an.325 Diese geregelten Postzeiten der Reichspost ermög­lichten im Zusammenspiel mit den bereits genannten landesherr­lichen Postanstalten, ­einen regelmäßigen und zeitlich fixierten Schriftaustausch zwischen den Visita­ tionsakteuren vor Ort und den obrigkeit­lichen Akteuren an den Höfen. Mit Behringer kann auch von einer durch die Post bedingten Verdichtung von Raum und Zeit oder schlicht davon gesprochen werden, dass die Visita­tion wie insgesamt die Frühe Neuzeit im ­­Zeichen des Merkur stand.326 Das „Schrumpfen des Raumes“327 oder die Dauer der Postzustellung hing dabei von der Distanz ­zwischen Wetzlar und dem obrigkeit­lichen Empfängerbzw. Absenderort ab. Während etwa eine Sendung von Wetzlar nach Hannover im Schnitt vier Tage brauchte,328 war Mainz in ein bis zwei Tagen posta­lisch zu 322 Die Bedeutung der Pünkt­lichkeit geht nicht zuletzt aus einer Dienstanweisung für den Wetzlarer Poststall aus dem Jahr 1760 hervor. Dort wird ein eigener Punkt ‚Zeitbeobachtung‘ geführt [Schmidt, E., Wetzlarer Postgeschichte (1990), S. 42]. 323 Das Verzeichnis ist abgedruckt bei Schmidt, E., Wetzlarer Postgeschichte (1990), S. 35. 324 Ebd. 325 Ebd. Vergleichszahlen zu den ankommenden Posten in anderen Städten finden sich bei Behringer, Im ­­Zeichen des Merkur (2003), S. 612. 326 So der programmatische Schlusssatz von Behringer, Im Zeichen ­­ des Merkur (2003), S. 688: „Die Frühe Neuzeit stand im ­­Zeichen des Merkur“. 327 Ebd., S. 665. 328 Dies geht aus den Vermerken ‚Praesentatum‘ (‚vorgelegt‘) hervor. Siehe etwa den auf den 2. Mai datierten und am 6. Mai 1767 präsentierten Bericht Falckes an die Räte [HStAHan. Cal. Br. 11 4098].

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erreichen.329 Sehr eilige Nachrichten konnte man auch mit der schnelleren, aber sehr kostenintensiven 330 Eilpost zustellen. Am 2. Mai etwa, als die kurmain­zischen Visitatoren heut abend fünff Uhr einen Bericht nach Mainz abschickten, ergab ein abend­liches Gespräch, das von 6 bis 9 Uhr andauerte, berichtenswürdige Neuigkeiten. Zur Gewinnung der Zeit griff man deshalb auf die Staffette zurück, die noch in den folgenden Abend-, Nacht- und Morgenstunden eine neuer­liche Nachricht nach Mainz überbrachte, damit Uns ettwa mit morgiger Mittags Post geantwortet werden möge.331 Aber auch ansonsten konnte die Post den Berichtsund Schreiballtag all jener bestimmen, die mindestens einmal in der Woche ein Schriftstück bzw. Schriftpaket (Berichte, Protokolle, Protokollbeilage, Druckschriften etc.) versendeten. Aussprüche wie ‚Wegen Enge der Zeit[...] muß ich mit Einschickung [...] bis zur nächsten Post zuwarten‘,332 ‚Wegen Abgang der Post müssen Wir unterthänigst schließen‘333 oder ‚[...] daß ich nicht einmahl vor nächster Post damit fertig zu werden hoffen kan‘334 zeigen, dass die Post einen festen Platz im Arbeitsgefüge der Visitatoren hatte. Demgegenüber mussten sich auch die Visitationsobrigkeiten dem 'Diktat der Post' fügen, wie die Worte belegen, mit denen ein Reskript für den kurbrandenbur­gischen Visitator schloss. Dort heißt es: Die Zeit erlaubet nicht Euch mit heutiger Post über den Inhalt obgedachten Eurer Berichte ein mehreres als ­dieses zu schreiben.335 Das Abfassen von Berichten, ob eilig oder uneilig, weitläufig bzw. gründ­lich lang oder präzise kurz, war eine durch die Post beeinflusste oder auch – ganz materiell – von der Post beförderte Angelegenheit. Im Kern allerdings handelte es sich immer und zuvorderst um einen delega­tionsinternen Vorgang. Wie sehr die Delega­tion beim Schreiben von Berichten oder anderen Schriftstücken unter sich respektive die Visitatoren bei sich waren, kann erahnt werden, wenn man die Aussage bedenkt, es sei alles zim­lich still gewesen, weilen übrige Subdelegati die Berichte an ihre Höfe abfassen.336 Still war es auch, wenn die Visitatoren an ihren Voten oder auch den Gutachten arbeiteten, die sie über die Gerichtsangehörigen erstellten.

329 Siehe bspw. das am 14. Mai 1767 ergangene und am 16. Mai 1767 präsentierte Diarium [HHStA Wien MEA RKG 341]. 330 Siehe hierzu das Folgekapitel. 331 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal/Horix an Kurfürst 1. Mai 1767. 332 BayHStA KS 5717, Goldhagen an Baumgarten 16. Juli 1767. 333 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal/Horix an Kurfürst 7. Mai 1767. 334 HStA-Han. Cal. Br. 11 4192, Falcke an Räte 12. Aug. 1774. 335 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, Reskript 15. Feb. 1773. 336 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 13. Mai 1767.

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Dabei konnte es durchaus vorkommen, dass bei knappem Zeitbudget sogar die Nächte [...] zu Hülfe genommen werden mussten.337 Diesem nächt­lichen Arbeiten darf frei­lich nicht der Tagesrhythmus der Gegenwart zugrunde gelegt werden. Von Nacht war teilweise schon um 8 Uhr abends die Rede 338 und von Abend bereits um 4 Uhr nachmittags.339 Zu berücksichtigen ist, dass ein 24-Stunden Tag in der Vormoderne (sog. ‚Kleine‘, ‚Halbe‘ oder ‚Deutsche Uhr‘) in der Regel um Mitternacht begann und, da Tag und Nacht unterteilt waren in zweimal zwölf Stunden, nach zwölf Stunden schon die Nacht hereinbrach.340 Darüber hinaus war es im Regelfall der „abend­liche Dienstantritt der Nachtwächter, der das offizielle Ende des Tages und den Beginn der Nacht in einer Stadt“ markierte.341 Die Tage und gerade die des (Früh-)Sommers konnten dementsprechend sehr früh beginnen. Dies geht etwa daraus hervor, als am 15. Mai 1767 (Freitag) bereits um 6 Uhr und damit drei Stunden vor dem Sessionsbeginn der kurmainzische Visitator Ottenthal den Sekretär der kaiser­lichen Kommission empfing, um Änderungen für die anstehende Sitzung abzuklären.342 Und auch bis in den späten Abend hinein konnte gearbeitet werden. Dies haben die bereits genannten abend­lichen Aktivitäten verdeut­licht (Gespräche bis 9 Uhr, Diktatur bis 8 Uhr, Sessionen bis 9 Uhr, Verteilung von Ansagezetteln nach 5 Uhr, teilweise auch erst um 9 Uhr 343). Vermutlich stand schließlich das gesamte Zeit- und Arbeitsgefüge der Visita­tion auch unter dem Einfluss eines im 18. Jahrhundert zu beobachtenden neuartigen Umgangs mit den Abend- und Nachtstunden. Befördert durch die „Einführung ausreichender Beleuchtung (Gaslaternen)“344 nahmen näm­lich die „abend­liche[n] und nächt­liche[n] Aktivitäten“ in den Städten dergestalt zu,345 dass von einer „Eroberung der Nacht“346 gesprochen werden kann. Manche Forscher sehen für die Zeit um 1750 sogar das Ende einer „Dämmerungsepoche“ und den Beginn einer neuen ‚Energieepoche‘, die sich auf Elektrizität und bisher ungenützte Werkstoffe gründet.347 Dieser ‚epochemachender‘ Wandel hatte womög­lich insofern Einfluss

337 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 338 StadtAA RKG 33, Rela­tion 130 (undatiert). 339 HHStA Wien MEA RKG 342, Diarium 20. Dez. 1770. 340 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 173. 341 Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit (2006), S. 118. 342 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 15. Mai 1767. 343 StadtAA RKG 33, Rela­tion 102 vom 2. Feb. 1773. 344 Koller, Nacht (2008), Sp. 1023. 345 Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit (2006), S. 120. 346 Koller, Nacht (2008), Sp. 1023. 347 Darauf verweist Reith, Umweltgeschichte (2011), S. 114.

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auf das Zeitempfinden der (bei der Visita­tion agierenden) Zeitgenossen, als dass zunehmend schnell missliebiges Handeln als zu weitläufig diskreditiert wurde.348 Oder aber – auch diese Deutung ist mög­lich – die Eroberung der Nacht hat es erst ermög­licht oder zumindest befördert, in eine von der Tageszeit unabhängige entgrenzte Gründ­lichkeit zu verfallen, um auch und gerade jenes Arbeits- und Schreibpensum bei künst­lichem Licht (­Lukubrieren 349) zu erfüllen, dessen ‚natür­ liche‘ Grenzen mit der erhöhten Taktung der Post zunehmend verschwanden. A.2.2 Über Spielabende und Freimauerlogen: Zeiten der geselligen Nichtarbeit Mit den wochen- und tagesstrukturierenden Post-, Diktatur-, Sessions- und ‚Eigenarbeitszeiten‘ der Visita­tionsakteure als auch mit den hier nur angedeuteten konferenzartigen Arbeits- und Essensgesprächen – Letzteres verweist auf die tagesstrukturierenden Mahlzeiten – ist ein Kernbereich des visita­tionseigenen Zeitgefüges umschrieben. Auch die Klassenzeiten, also die Frage nach Dauer und Zusammensetzung der Visita­tionsklassen, beeinflussten nachhaltig den Gang der Visita­tion und werden an anderer Stelle noch eine entsprechende Erörterung erfahren.350 An dieser Stelle noch zu thematisieren sind all jene Momente, die als arbeitsfreie Zeiten den Lauf der Visita­tion nicht nur begleiteten, sondern geradezu vervollständigten. Arbeit und Freizeit näm­lich „waren historisch stets aufeinander bezogen und standen auch vor der Industrialisierung in einem untrennbaren dialektischen Zusammenhang“.351 Daran erinnert uns das ‚arbeitsferne‘ Tagebuch Kestners, das vielfach davon berichtet, dass die Visita­tionsakteure auch auf Bälle, Spatzierfarthen und in Comödien gingen,352 picknickten 353 oder auch Spiele machten.

348 Siehe A.4. 349 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 405 – 4 08. 350 Siehe hierzu B.3.1.1. u. D.5. 3 51 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 414. Es ist natür­lich auch und gerade für die Vormoderne nicht einfach, Arbeits- und Freizeit voneinander zu ­trennen (siehe hierzu Anm. 5). Anzumerken ist, dass die „Herrschaft über die eigene Zeit“ [Arcangeli, Freizeit (2006), Sp. 1216] auch bei der Visita­tion nur eine relative war insofern, dass es auch hier einen Zwang zur Ranginszenierung gab. 352 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 140v ( Juli/Aug. 1770). Diese Aussage bezieht sich hier zwar nicht auf die Visita­tionsakteure, kann jedoch problemlos auf diese übertragen werden. 353 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 106 (16. Jan 1770).

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Ein solcher Spielenachmittag oder -abend – man traf sich in der Regel von 5 bis 8 Uhr, um zu spielen, aber auch, um ­Kaffee und Tee zu trinken – fand etwa am 5. Juli 1768 (Dienstag) statt.354 An d ­ iesem Tag luden eine Schwägerin des Assessors Reuss und die Frau von Fahnenberg eine ansehn­liche Spielgesellschaft ein. Es kamen u. a. die Fürstin von Bentheim, Assessor Cramer von Clauspruch mit Gemahlin, die Assessorin von Reuss mit ihrem Sohn, die Visitatoren Falcke, Bebenburg und Mauchard, ein Praktikant des Gerichts und nicht zuletzt Kestner selbst. Kurz nach der Zusammenkunft dieser Gesellschaft begann man an drei Tischen Trifet, ein Kartenspiel,355 zu spielen. Geredet wurde wenig bis gar nicht, und ­Kestner brach nach einer kleinen Stunde und andere wie Falcke sogar schon eher auf. Der Hauptzweck dieser Gesellschaft bestand nach Kestner darin, zu spielen.356 Es ging also in erster Linie darum, die Zeit gemeinschaft­lich zu vertreiben. Zeitüb­lich war es dabei, in einer Gruppe und überdies Karten zu spielen, da diese sich gerade im ‚geselligen‘ Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten.357 Bei dem Kartenspiel deutet sich eine Nähe z­ wischen Visitatoren und Visitierten an, die zumindest für den modernen Betrachter befremd­lich wirkt. Unüb­lich war ferner das gemeinsame, so unbeschwerte Zusammenfinden von adeligen und nichtadeligen Visitatoren, Visitierten und (städtischen) Gesellschaften. Gerade die Strenge der Wetzlarer Etikette (le rig[u]eur de l’etiquette de Wetzlar) verunmög­lichte es Kestner oder jemand anderen aus dem ‚Gesindel‘ (ni pour moi ni pour un autre de la Canaille), sich in solchen Kreisen unbeschwert zu bewegen.358 Diese Schwere war es vielleicht auch, die Falcke und andere dazu veranlasst hat, bereits sehr früh die Spielgesellschaft wieder zu verlassen. Kestner wiederum, der das Kartenspiel ohnehin nicht kannte, nahm eigenen Angaben zufolge nur deshalb an dem Spielvergnügen teil, um die anwesenden und ansonsten recht unnahbaren männ­lichen und insbesondere die weib­lichen Personen genau in Augenschein zu nehmen.359 Nicht nur, aber auch dem geselligen Zeitvertreib einschließ­lich der Mög­lichkeit, Standesgrenzen zumindest zeitweise zu überwinden, dienten ferner Freimaurerlogen, die im Zuge der Visita­tion begründet wurden. Die am 3. Oktober konstituierte

354 Ebd., fol. 50 – 51v (5. Juli 1768). Auf diese Spielgesellschaft geht auch Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 100 – 102 ein. Den folgenden Ausführungen liegen jedoch ausschließ­lich die angegebenen Seiten des Tagebuchs zugrunde. Ledig­lich ergänzend herangezogenes Material wird separat nachgewiesen. 355 Art. Trisett, in: Pierer’s Universal-­Lexikon, Bd. 17 (1863), S. 854. 356 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 50 – 51v (5. Juli 1768). 357 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 439 u. S. 443. 358 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 51v. 359 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 51 u. 51v.

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und am 13. Dezember 1767 eröffnete Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ war zwar nicht die erste Wetzlarer Loge.360 Das Jahr 1767 brachte jedoch dergestalt eine Veränderung, dass mit der Visita­tion „zahlreiche Anhänger der Aufklärung“ nach Wetzlar kamen, die der dortigen „Aufklärungsbewegung wichtige Impulse“ gaben.361 Der aufgeklärt-­bürger­liche Nichtarbeitsalltag umfasste dabei den Besuch von Theater-, Konzert-, Spiel-, Tanz- oder sonstigen Gesellschaften 362 oder auch den Spaziergang, ein im 18. Jahrhundert sehr beliebtes „Sonntagnachmittagsritual“.363 Daneben war es gerade die Mitgliedschaft in einer Freimaurerlorge, die den Lebensalltag des einen oder anderen Visita­tionsakteurs mitbestimmte. Als ‚Gründungsväter‘ der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ traten mit Johann Chrysostomus von Keller, Joachim Heinrich von Schröder, F ­ riedrich Ludwig Wurmb und Ludwig Adolph Christian von Grolmann sogar gleich vier Visitatoren beider Konfessionen in Erscheinung (siehe Anhang Punkt 4.1.). Bei Mitgliedsnummer 8 (Burxdorf) könnte es sich zudem um einen angehenden Visitator der dritten und vierten Visita­tionsklasse handeln. Daneben zählten auch zwei Assessoren (Nr. 5 und 9) und drei am RKG tätige Anwälte (Nr. 4, 10. und 12) zu den Gründungsmitgliedern. Diese Mitgliederstruktur lässt erahnen, dass es sich hier um eine wichtige und in der Folge etwas näher zu betrachtende Vergesellschaftungsform der Visita­tionsjahre handelt. Die mit Visita­tionsbeginn begründete Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ gehörte dem Hochgradsystem der Strikten Observanz an.364 „Um 1772“ kam es zudem zu einer Erweiterung durch die Gründung der altschottischen Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘.365 Beide Logen gehörten zusammen 366 und

360 Bereits für das Jahr 1761, evtl. auch schon seit den 1740er Jahren, bestand eine Loge unter dem Namen ‚Drey Schlüssel zum Winchelmaas‘ [Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ II (2001), Vorwort und 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986), S. 13]. Siehe insgesamt zu ­diesem Thema Binder, Die diskrete Gesellschaft (2004). 361 Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 168. 362 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 100 – 122. Wobei natür­lich nicht jede Gesellschaft als aufgeklärt-­bürger­lich umschrieben werden kann. 363 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 438. Einen Spaziergang unter Beteiligung des gräf­lichen Visitators Grün thematisiert Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 107. 364 Schüttler, Strikten Observanz I (1988) u. Strikten Observanz II (1996). 365 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986), S. 21. 366 Nach Schüttler unterschied das System der Strikten Observanz ­zwischen Johannis- und Schottenlogen. Während die Johannislogen (insgesamt 96) „die drei tradi­tionellen Grade der Freimaurerei bearbeiteten“, trat man in die Schottenloge (insgesamt 34) mit

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bestanden über das Jahr 1776 hinaus fort. Die Mitgliederzahl stieg in den ersten Jahren kontinuier­lich an. Während ­zwischen Dezember 1767 (Eröffnung der Loge) und Februar 1768 (Überlieferungszeitpunkt der Mitgliederliste) 13 Personen der Loge beitraten oder sie mitbegründeten, verzeichnet eine Liste aus dem Jahr 1772 insgesamt 41 Mitglieder.367 Elf davon waren Gründungsmitglieder und mindestens acht sowohl Mitglied der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ als auch der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘.368 Eine Mitgliederliste, die im Trennungsjahr der Visita­tion oder auch ein Jahr früher erstellt worden war, verzeichnet fast gleichbleibend 42 Mitglieder.369 Ein Blick über die Visita­tionszeit hinaus verrät, dass diese von insgesamt 53 Personen getragene Mitgliederkonstante ­zwischen 1772 und 1776 auch als Stagna­tion begriffen werden kann. Im Jahr 1778 näm­lich waren 89 und im Jahr 1783 sogar 111 Personen Mitglied der Wetzlarer Logen.370 Dieser signifikante Anstieg in den Jahren nach der Visita­tion hängt mit dem der Loge erst 1775/76 erteilten Recht zusammen, eigenständig Mitglieder durch die drei Grade Lehrling, Geselle und Meister führen zu dürfen. Daneben wurde im Jahr 1777 die Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ zu einer für die regionale Gesamtorganisa­tion der Freimaurerei bedeutsamen Direktorialloge erhoben.371 Damit endete die Geschichte der Wetzlarer Freimaurerei zwar nicht mit der Visita­tion; am Anfang stand allerdings zweifelsohne die Visita­tion respektive mehrere Visitatoren, die – dies ist der entscheidende Ausgangspunkt – bereits vor der Überprüfung des RKG aktive Freimaurer waren.372 So hängt die Tätigkeit Kellers als Meister vom Stuhl vom Gründungsjahr bis 1776 unmittelbar damit zusammen, dass er bereits Mitglied der am 23. September 1765 begründeten Mainzer Loge ‚Zu den drey Disteln‘ war und diese Loge das Gründungspatent für die Wetzlarer dem 4. Grad ein [Schüttler, Strikten Observanz II (1996), S. 147]. Neben diesen sog. Schottengrad gab es einen 5. „Novizen-, also eigent­lich Vorbereitungsgrad, und als 6. schließ­lich“ den eigent­lichen „Rittergrad, der selbst wiederum in die drei ­Klassen ‚Socius‘, ‚Armiger‘ und den eigent­lichen ‚Eques‘“ unterteilt war. Ab 1770 gab es zudem den nur selten erteilten 7. Grad ‚Eques professus‘ [Schüttler, Strikten Observanz I (1988), S. 165]. 367 Siehe Anhang Punkt 4.2. 368 Beachte jedoch die Erläuterungen zu Tabelle II. Nicht alle Mitglieder der Provinzialloge wurden in dem hier verwendeten Ausgangsmaterial verzeichnet. 369 Siehe Anhang Punkt 4.2 370 Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ II (2001), S. 67 f. 371 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986), S. 30 – 39. 372 Siehe hierzu Anhang Punkt 4.1., Spalte ‚Freimaurertätigkeit vor 1767‘.

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Loge ausstellt hat.373 Überdies war es nicht unüb­lich, entsprechend der „äußeren Berufshierarchie“374 eine Funk­tion innerhalb einer Loge einzunehmen. Dementsprechend leitete mit Keller ein Visitator des kurmainzischen Direktoriums die Loge.375 Neben d ­ iesem hatte auch Schröder (Nr. 2) eine Freimaurervergangenheit. Der spätere Visitator von Mecklenburg-­Schwerin 376 war Mitbegründer und mehrjähriger Meister der Rostocker Loge ‚Zu den drey Sternen‘, bevor er sich in Wetzlar engagiert hat. Gleiches trifft auf den Sohn des – ­später wegen Korrup­tion entlassenen – Assessors Christian von Nettelbla (Nr. 5), den Advokaten Bostel (Nr. 4) sowie auf die Visitatoren Wurmb (Nr. 3) und Grolmann (Nr. 11) zu. Sie alle waren schon vor 1767 Freimaurer. Dies änderte sich jedoch in der Folgezeit, wie ein erneuter Blick auf die Mitgliederlisten zeigt. Es lässt sich kein Visita­tionsakteur nachweisen, der nach dem 9. Februar 1768 der Wetzlarer Loge beitrat und bereits davor Mitglied einer Loge war. Daneben verringerte sich der Anteil derjenigen, die Freimaurer und zugleich Visitatoren, Visita­tionssekretäre, Visita­tionskanzlisten oder Gerichtsangehörige waren. 1767/68 gab es ledig­lich zwei Freimaurer (Nr. 6 und 13), die nicht zumindest mittelbar in die Visita­tion involviert waren.377 Berücksichtigt man überdies, dass Nr. 13 (Matthenius) in den Mitgliederlisten von 1772 und 1776 als Mecklenbur­ gischer Gesandtschafts-­Canzelist geführt wird, dann gab es in den Anfängen der Loge nur ein ‚visita­tionsfernes‘ Mitglied (Nr. 6). Anders hingegen gestaltet sich die Mitgliederstruktur nach dem 9. Februar 1768. Während nur zehn unmittelbare Visita­tionsakteure  378 und mit dem Kammerrichtersohn Friedrich Graf zu Spaur, dem Prokuratorensohn Salentin Friedrich von ­Zwierlein, dem vermut­lichen Assessorenverwandten Ludwig Conrad Preuschen und einem Schreibgehilfen Kellers (Hemmert) vier mittelbare Visita­tionsakteure beitraten, gab es insgesamt 28 und damit doppelt so viele Neumitglieder, die sich nicht direkt oder indirekt 3 73 Ebd., S. 18. 374 Dotzauer, Sozialstruktur der Freimaurerei (1989), S. 135. 375 Die Gründung der Wetzlarer Tochterloge durch die Mainzer Mutterloge erfolgte dabei auch vor dem Hintergrund, dass kurz zuvor die Mainzer „Bauhütte auf Befehl des Kurfürsten von Mainz ihre Arbeiten einstellen [mußte], nachdem ein Bruder […] die Existenz der Loge verraten hatte“ und am 16. Februar 1767 eine Verlegung nach Frankfurt a. M. notwendig wurde [225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986), S. 21]. 376 Für die erste Klasse. In der zweiten Klasse visitierte Schröder für Braunschweig Celle und in der dritten Klasse für Mecklenburg-­Güstrow. 3 77 Siehe insbesondere Nr. 7. Welchen genauen Visita­tionsbezug Cronenberg hatte, ist nicht bekannt. 378 Ditfurth, Ferger, Goué, C. F. Hoffmann, Kerckering, Königsthal, Pauli, Riedesel, Serger, Wächter.

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der Visita­tion zuordnen lassen.379 Die Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ war also – überspitzt formuliert – in den ersten Monaten eine reine ‚Visita­tionsloge‘ und öffnete sich in der Folgezeit zunehmend für Nicht-­Visita­tionsakteure.380 Federführend blieben jedoch die Mitglieder mit (un-)mittelbarem Bezug zur Visita­tion, wie die Ämterverteilung im Jahr 1775/76 belegt. Keller blieb Logenmeister, sein Stellvertreter war der Prokuratorensohn Bostel, der kurmainzische Visita­tionssekretär Serger war erster Vorsteher und zugleich Schatzmeister, der Prokuratorensohn Hert Logensekretär und der Visitatorensohn Königsthal Zeremonienmeister.381 ‚Visita­tionslastig‘ war schließ­lich auch die Provinzalloge ‚Joseph zum Reichsadler‘. Nur zwei der insgesamt elf nachzuweisenden Mitglieder waren Nicht-­Visita­tionsakteure (Dalberg und Geussau). Eine ­solche Dominanz darf allerdings nicht überinterpretiert werden. So befanden sich unter den 42 Personen, die z­ wischen dem 9. Februar 1768 und dem ‚Listenjahr‘ 1775/76 den Wetzlarer Logen beigetreten sind oder ihr auch seit Anbeginn angehörten (insgesamt elf Gründungsmitglieder waren auch 1772/1776 Mitglied), nur vier Visitatoren. Drei Visitatoren, Grolmann, Keller und S­ chröder, waren sogar vom Gründungsjahr an Logenmitglied und nur einer, Wächter, Visitator der dritten Visita­tionsklasse, trat nach 1772 der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ bei. Die zum 9. Februar 1768 verzeichneten Visitatoren Wurmb (Visitator von 1767 bis 1774) und Burxdorf (Visitator seit 1775) tauchen sogar in den Verzeichnissen von 1772 und 1776 gar nicht mehr auf, obgleich sie weiterhin vor Ort waren. Gab es dazu einen konkreten Anlass? War es vielleicht die Nähe zu den Gerichtsangehörigen, w ­ elche die beiden Visitatoren Kursachsens (Wurmb für die 1. Klasse und Burgsdorf für die 4. Klasse) zum Anlass nahmen, nicht mehr Mitglied der Wetzlarer Logen zu sein? Und was war mit all den anderen Visitatoren, die zwar vor Ort, aber nicht Mitglied der Logen waren? Bekannt ist, dass auch Falcke ein Freimaurer war. Warum aber trat er erst nach der Visita­tion 379 Wobei zu den als ‚Nicht-­Visita­tionsakteur‘ klassifizierten Mitgliedern vielfach keine weiterführenden Informa­tionen vorliegen. Es könnte also sein, dass es zumindest ein paar weitere ‚visita­tionsrelevante‘ Mitglieder gab. So muss etwa offen bleiben, ob es sich bei Carl Christian Hof(f )mann um den ehemaligen Visitationssekretär Karl Christian ­Hofmann handeln könnte. Überdies ließen sich auch die RKG-Praktikanten als mittelbare Visita­tionsakteure begreifen. 380 Die Etikettierung als Visita­tions- oder Nicht-­Visita­tionsakteur bedürfte natür­lich einer kaum zu leistenden Präzisierung. Gab es etwa eine Verbindung ­zwischen dem König­lich Großbritannischen Kammerherr Hammerstein und der kurbraunschwei­gischen bzw. bremischen Visita­tionsdelega­tion? Und wie genau sah diese Verbindung aus? 381 Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘’ II (2001), S. 59.

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im Jahr 1778 als ein besuchender Bruder der Wetzlarer Loge in Erscheinung?382 War es, wie es gegenwärtige Freimaurer vermuten, sein Bemühen um Objektivität und Distanz, das dazu führte, dass er der Wetzlarer Loge nicht beitrat?383 Fest steht, dass mit Bostel, Ditfurth, Hert, C. F. Hoffmann und C. J. Zwierlein fünf Visitierte auf mehrere Visitatoren trafen; abhängig vom Zeitpunkt konnten dies vier (1767/68 und 1775/76) oder drei (1772) Visitatoren sein. Deut­lich ist ferner, dass mehrere Söhne von Gerichtsangehörigen Logenmitglieder waren. Insbesondere die bis 1772 nachzuweisende Mitgliedschaft des Assessorensohns Nettelbla barg eine nicht unpikante Tragik, da sein Vater aufgrund der Untersuchungen der Visita­tion als einer von insgesamt drei Assessoren der Korrup­tion wegen entlassen wurde.384 Warum jedoch der eine oder der andere Akteur sich für oder auch gegen das Wetzlarer Freimaurerdasein entschieden hat, lässt sich mit den Quellen, die dieser Studie zugrunde liegen, nicht sagen. Dennoch wird hier eine auch räumliche Nähe zwischen Visitatoren und Visitierten greifbar, welche sich durch die Logentätigkeit bildete385 und die zu Rollenkonflikten führen konnte. Zu beachten ist daneben, dass es weniger die Visitatoren, sondern vielmehr sechs Visita­tionssekretäre,386 ein Visita­tionskanzlist  387 und neun Praktikanten des RKG 388 waren, die nach dem 9. Februar 1768 die Mitgliederstruktur mit (un-)mittelbarem Bezug zur Visita­tion prägten. Dieser Personenkreis wiederum widmete sich nicht nur der Freimaurerei. Mit Spaßernst 389 wurde zudem ein Ritterbund begründet, wie ihn Goethe nachhaltig in seiner Autobiographie ‚Dichtung und Wahrheit‘ beschrieben hat. Bei

382 Falcke war Mitglied der 1765 begründeten Göttinger Loge ‚Augusta zu den drey Flammen‘. Er hatte den vierten Grad inne [Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ II (2001), S. 20 f.]. Wann genau er der Göttinger Loge beitrat, ist nicht bekannt. Es ist jedoch anzunehmen, dass er bereits vor 1776 als Freimaurer aktiv war. 383 Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ II (2001), S. 21. 384 Siehe hierzu E.3. 385 Siehe zur Lage des Logenhauses Anhang Punkt 3.3. 386 Ferger, Goué, Kerckering, Königsthal, Pauli, Serger. 387 Matthenius. 388 Breitenbach, Harsdorf, Kress, Münster, Redwitz, Schweizer, Hochenburg, Spillmann, Wallbrunn. 389 Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831), S. 529 f. schreibt, dass die Ritter­ tafel mit äußer­lichem großen Ernst betrieben [wurde], ohne daß jemand lächer­lich finden durfte, wenn eine gewisse Mühle als Schloß, der Müller als Burgherr behandelt wurde oder dergleichen.

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d­ iesem Bund kamen immer zur Mittagszeit im Gasthaus ‚Zum Kronprinzen‘ der als Praktikant eingeschriebene Goethe, acht weitere RKG-Praktikanten,390 acht Visita­tionssekretäre,391 ein Visitator 392 und mindestens acht weitere Personen 393 zusammen, um sich durch die romantische Fik­tion einer Ritterwelt zu erheitern.394 Darüber hinaus verschlang sich in diesen Orden ein weiterer Orden, genannt der Orden des Übergangs.395 Es gab über 30 Grade, die sich vom ‚Übergang‘, dem ‚Übergang Übergang‘ und dem ‚Übergang Übergang zum Übergang‘ bis zum ‚Tagseufzer der Weisen‘ und ‚Von der Entwurmung‘ erstreckten.396 Und warum ­dieses – so Goethe – fabelhafte Fratzenspiel? Es ging darum, die Langweile [...] zu erheitern und den leeren Raum, ware es auch nur mit Spinnegewebe, auszufüllen.397 War dieser erwünschteste Zeitverderb 398 der mittäg­lichen Rittertafel auch ein Grund dafür, Freimaurer zu werden? Dies zu behaupten, würde den ‚lebensernsten‘ Wesenskern der Freimaurerei verkennen, obgleich es ‚dem‘ Freimaurer des 18. Jahrhunderts immer auch um das gesellige Miteinander ging. In den Jahren der Visitation, so lässt sich allgemein konstatieren, hat sich die Freimaurerei größter Beliebtheit erfreut. Dies verdeut­licht folgender quantitativer Befund: Ausgehend von der ersten deutschen Logengründung in Hamburg im Jahr 1737 entstanden bis 1760 75 Logen im deutschsprachigen Raum (die Schweiz und Österreich ausgenommen). Diese Zahl verdoppelte sich bis 1770. Und für das Folgejahrzehnt (1770 – 1780) kann mit 159 Gründungen sogar von einem regelrechten ‚Gründungsboom‘ gesprochen werden.399 Damit ist natür­lich nich nicht gesagt, was die rund 27.000 Personen dazu veranlasst hat, ­zwischen 1737 und 1789 einer der rund 450 390 Neben den beiden im Anhang (unter Punkt 4.2.) geführten Praktikanten (Breitenbach und Langermann) waren dies Christian Albrecht Freiherr von Kielmannsegg und Karl Anton Wilhelm Freiherr von Schleinitz [Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 162 f.], Jacob Heinrich von Born, Dietrich August König, Georg Heinrich Nieper und Karl ­Wilhelm Wippermann [Gloël, Goethes Rittertafel (1910), S. 8 f.]. 391 Neben den im Anhang (unter Punkt 4.2.) geführten Sekretären (Goué, Kerckering und Königsthal) waren dies Ganz, Gotter, Jenichen, Jerusalem und Wanderer [Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 163 u. Ders., Goethes Rittertafel (1910), S. 8 für Jenichen]. 392 Johann Jacob Höfler, Visitator von Braunschweig-­Wolfenbüttel. 393 Gloël, Goethes Rittertafel (1910), S. 8. Gloël kann insgesamt 26 Ritternamen nachweisen, bemerkt aber zugleich, dass womög­lich „die Zahl der Ritter noch nicht ganz erschöpft ist“ [ebd., S. 7]. 394 Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831), S. 528. 395 Ebd., S. 529 f. 396 Gloël, Goethes Rittertafel (1910), S. 49 – 51. 397 Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831), S. 529. 398 Ebd., S. 530. 399 Dotzauer, Sozialstruktur der Freimaurerei (1989), S. 112.

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Logen beizutreten.400 Ungeachtet der Vielzahl an Freimaurern und ungeachtet der unterschied­lichsten Lehrarten der Freimaurerei – seit Beginn der 1760er Jahren gab es „eine s­ olche Vielfalt von Organisa­tionstypen und Varianten ihrer Welt­ anschauung […], daß sich von ‚der‘ Freimaurerei nur noch […] [bedingt] sprechen läßt“ –401 kann zumindest allgemein gesagt werden, dass die Freimaurerei ihrem Selbstverständnis nach Raum „zur Selbstverwirk­lichung“ bot (und bietet), um an sich selbst zu arbeiten, sich selbst zu erkennen und dem „Streben nach Selbstveredelung“ zu folgen.402 Diese Suche nach dem Selbst in einer „ethischen Gemeinschaft“403 mit anderen entsprach dem aufgeklärten Prinzip „ständeneutraler und ständeverschmelzender Gesellschaftsbildung“.404 Es war ein „Spiel der Gleichheit hinter verschlossenen Türen“,405 welches es im geselligen Jahrhundert 406 ermög­ lichte, „zahlreichere und intensivere menschliche Kontakte“ zu pflegen, „als es in den festgelegten Geselligkeitsformen der societas civilis selbst mög­lich wäre“.407 Den „gesteigerten Erfahrungs- und Erlebnishunger[…]“408 befriedigte dabei vor allem die „jüngere Genera­tion der 28 – 35jährigen“.409 Dies belegen auch die Wetzlarer Logen. Es waren gerade die jüngeren Praktikanten und Visita­tionssekretäre, die sich in der Loge oder aber auch bei der ritter­lichen Tafelrunde begegneten. Dem Durchschnittsmuster einer Freimaurerloge entsprach auch die Mitgliedsstruktur, in der von den insgesamt 28 Nicht-­Visita­tionsakteuren, die nach dem 9. Februar 1768 unter Hinzurechnung der RKG-Praktikanten den Wetzlarer Logen beitraten, sieben Militärangehörige, acht Juristen 410 und 13 wohl zumeist juristisch ausgebildete Personen waren, die sich (wie auch die Visitatoren) der territorialen Hof- und Beamtenelite zuordnen lassen.411 Ebenso Durchschnitt 4 00 Ebd. 4 01 Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis (1989), S. 64. 4 02 Hoede, Raum zur Selbstverwirk­lichung (2002), S. 125. 4 03 Ebd., S. 122. 4 04 Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis (1989), S. 65. 4 05 Roche, Daniel, Die ‚Sociétés de pensée‘ und die aufgeklärten Eliten des 18. Jahrhunderts in Frankreich, in: Gumbrecht, Hans Ulrich u. a. (Hg.), Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich (Ancien Régime, Aufklärung und Revolu­tion 4/1), München/ Wien 1981, S. 107, zitiert nach Simonis, Kunst des Geheimen (2002), S. 18. 4 06 Im Hof, Gesellige Jahrhundert (1982). 4 07 Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis (1989), S. 73. 4 08 Ebd., S. 80. 4 09 Dotzauer, Sozialstruktur der Freimaurerei (1989), S. 131. 410 Einschließ­lich der RKG-Praktikanten Harsdorf, Kress und Wallbrunn, die sich aufgrund fehlender Informa­tion nicht anderweitig einordnen lassen. 411 Dotzauer, Sozialstruktur der Freimaurerei (1989), S. 141.

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war es, dass unter den insgesamt 55 Mitgliedern, die ­zwischen 1767 und 1776 zu zählen sind,412 18 bürger­liche und 35 adlige waren – die Freimaurerei stellte sich „von Beginn an als bürger­lich-­aristokratische Mischgesellschaft dar“ –,413 und sich Angehörige aller Konfessionen zusammenfanden.414 Solche gesellschaftsegalisierenden Befunde dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass – wie für den Logenmeister Keller angeführt – Hierarchien, die außerhalb der Logen bestanden, auch innerhalb der Logen durch die Funk­tionsämter fortwirken konnten. Innermasonische Hierarchien entstanden daneben durch die verschiedenen Grade. Gerade das Hochgradsystem der Strikten Observanz lebte von seinen sechs bzw., ab 1770, von seinen sieben Graden. Diese Einzelgrade bildeten zugleich die Grundlage für die Unterscheidung z­ wischen Johannis- (1. bis 3. Grad) und Schottenlogen (4. bis 6./7. Grad). Schließ­lich gab es noch den sog. Inneren Orden, „der ledig­lich aus den Mitgliedern des 6. und ­später 7. Grades bestand“.415 Überdies ist mit Wolfgang Hardtwig daran zu erinnern, dass die Logen nach außen hin von einem sehr elitären Anspruch lebten. Dabei ging es nicht nur darum, die „Exklusivität der Gebildeten gegenüber Gewerbebürgertum und Unterschichten“ zu bewahren. Vielmehr wurde die „Kluft ­zwischen der Mehrheit der Gesellschaften und der Elite innerhalb der Gesellschaft als selbstverständ­lich“ vorausgesetzt und bestätigt.416 Wie aber sah das elitäre und zugleich egalitäre Freimaurerleben in Wetzlar aus? Grundsätz­lich bestand (und besteht) der Kern der Freimauererei darin,417 sich regelmäßig zu „rituellen Zusammenkünften“ zu versammeln.418 Je nach Zweck können dies „Instruk­tionslogen, Rezep­tions-, Beförderungs-, Erhebungs-, Fest-,

412 Die Verzeichnisse von 1772 und 1776 führen insgesamt 53 Personen. Hinzuzurechnen sind die nach dem 9. Febr. 1768 nicht mehr verzeichneten Gründungsmitglieder Wurmb und Burgsdorf. 413 Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis (1989), S. 66. 414 Dotzauer, Sozialstruktur der Freimaurerei (1989), S. 143 – 146. 415 Schüttler, Strikten Observanz I (1988), S. 165. Siehe auch Anm. 366 und die Anmerkungen im Anhang (unter Punkt 4.2.). Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis (1989), S. 69 f. relativiert die Bedeutung der Hierarchisierung durch die Hochgrade und betont demgegenüber, wie angedeutet, die Hierarchisierung durch die Ämter. 416 Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis (1989), S. 67. 417 Dem hier zugrunde liegenden Material fehlt die historische Perspektivierung der Logenarbeit, obgleich der Gesamtkontext dieser Ausführungen immer ein genuin historischer ist. Es wäre notwendig zu differenzieren oder zumindest zu fundieren, wie sich der Alltag einer Loge gestaltete, die im 18. Jahrhundert dem System der Strikten Observanz angehörte. Dies jedoch kann hier nicht geleistet werden. 418 Hoede/Grün, ‚Tempelarbeit‘ (2002), S. 111.

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Trauer- und Wahllogen“ sein.419 Daneben gab und gibt es „Veranstaltungen wie Vorträge, Konzerte oder Bälle“,420 „Diskussionstreffen [….] und Schwesternfeste“.421 Freimaurer feiern überdies „den Johannistag, den Jahresschluß und ihre eigenen Jahrestage und besondere Fest- und Geburtstage ihrer Mitglieder“.422 Wie sich all dies jedoch ­zwischen 1767 und 1776 in Wetzlar gestaltet hat, lässt sich nicht sagen. Vermutet werden darf jedoch, dass auch bei den (Wetzlarer) Freimaurern die schriftzentrierten ‚Wertherjahre‘ ihre Spuren hinterlassen haben. Darauf jedenfalls deuten Einzelbefunde hin.423 Sicher hingegen ist, dass sich das Leben der Visita­tionsakteure in Wetzlar zwar vor allem, aber nicht nur um die Visita­tion drehte. Jeder hatte auch Stunden und im Hinblick auf die kleinen und großen Ferien auch mehrere Tage und Wochen im Jahr, die dazu genutzt wurden, sich zu erholen, sich mit Karten oder sonstigen Spielen einschließ­lich der Goethschen Rittertafel die Zeit zu vertreiben oder aber mit anderen das arkane Dasein eines Freimaurers zu pflegen. Und auch wenn die Motive für eine Logenaktivität oder -nichtaktivität weitgehend im Dunklen liegen: Deutlich zeigt sich die Wirkmacht des geselligen Jahrhunderts, das die Visitation nicht nur lose ‚rahmte‘, sondern vielmehr Einfluss hatte auf die Ausgestaltung des Lebensalltags in und um Wetzlar vor, während und nach der Visita­tion. Für manchen Visitator oder Sekretär darf sogar vermutet werden, dass das Freimaurerdasein den lebenswelt­lichen Mittelpunkt bildete, um der eintönig-­einsamen und scheinbar nicht enden wollenden (Schreib-)Arbeit bzw. – mit anderen Worten – den visita­tionsbedingten Zwängen des Wetzlarer und damit ungeliebt provinziellen Daseins zumindest zeitweise zu entfliehen.

419 Reinalter, Freimaurer (2000), S. 66. 420 Hoede/Grün, ‚Tempelarbeit‘ (2002), S. 111. 421 Reinalter, Freimaurer (2000), S. 67. 422 Ebd. 423 Ein Blick in das Literatur- und Quellenverzeichnis von Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ II (2001) verrät, dass es ein „Protokollbuch der Provincial- und Directorial Großen Loge in Wetzlar“ für die die Jahre von 1783 bis 1788 gab. Und auch das bei 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986), S. 25 abgebildete Logenpatent vom 29. Sept. 1775 scheint in einem Protokollbuch zu stehen. Zumindest findet sich hier oben rechts der (in den Visita­tionsakten immer wieder zu findende) Vermerk Ad Sess. XVII, also der Verweis auf eine Sitzung.

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A.3. Zeit ist Geld! Die Kosten der Visitation „Aussagen darüber, dass Zeit wertvoll ist und genutzt werden sollte, gehen bis in die Antike zurück. Geläufig ist vor allem auch der sprichwört­liche eng­lische Ausdruck ‚Time is money‘, der wohl durch Benjamin Franklins 1748 erschienene Schrift ‚Advice to Young Tradesmen‘ (‚Ratschläge für junge Kaufleute‘) besondere Verbreitung fand. Dort findet sich die Ermahnung ‚Remember, that time is money‘ (‚Denkt daran, dass Zeit Geld ist‘)“.424

Der Zusammenhang von Zeit und Geld ist zwar keine Erfindung des 18. Jahrhunderts, fand aber in dieser Zeit seine sprichwört­liche (Time is money) und – Paul Münch folgend – frühkapitalistische Vollendung.425 Dass Zeit Geld kostet, war auch den Akteuren der Visita­tion bewusst. Aussprüche wie ‚Die Visita­tion erfordert viele Mühe, Verdruß, Kummer und Kost‘,426 ‚Man bedauere den Verlust der so kostbahren Zeit‘427 oder ‚Indessen gehet die Zeit mehrmahlen fruchtlos und kostspielig dahin‘428 belegen, dass die Visita­tion von Anbeginn (!)429 eine Zeit- und Kostenfrage war und darüber die Akteure – womög­lich toposartig – reflektierten. Toposartig deshalb, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zumindest für die Amtsträger ‚zum guten Ton‘ gehörte, sich für und vor dem Geldgeber über die Kostenausgaben öffent­lich über das Protokoll oder deliga­tionsintern über die Berichte zu beklagen. Dessen ungeachtet verursachte die Visita­tion tatsäch­ lich Kosten in nicht unerheb­lichem Umfang. Die nach der Visita­tion verbreitete Angabe, dass in den neun Jahren Kosten von weit über 1.000.000 fl. entstanden ­seien,430 was – ungeachtet der Unschärfe dieser Vergleichswerte – etwa 30 % der jähr­lichen Einnahmen der Reichsstadt Augsburg (um 1773)431 oder 2,5 %

424 Zeit ist Geld, Zeitlexikon (2005). 425 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 156, anders hingegen Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 400. Siehe insgesamt zum ökonomischen Denken der Frühen Neuzeit Burkhardt, Wirtschaft (1985) sowie neuerdings Ders., Modernität der Altökonomik (2012). 426 HStA-Han. Cal. Br. 11 4304, Falcke an Räte 23. April 1776. 427 SD Kursachsen, 30. Session vom 31. Aug. 1767 [StadtAA RKG 41]. 428 StadtAA RKG 33, Rela­tion 95 vom 8. Nov. 1772. 429 Es ist zu vermuten, empirisch aber schwer­lich zu belegen, dass mit zunehmender Dauer der Visita­tion das ‚Zeit-­Kosten-­Bewusstsein‘ sich veränderte. Dass die Visita­tion von Anbeginn eine Kostenfrage war, geht nicht zuletzt aus den Beratungspunkten hervor, die Kurmainz im Jahr 1764 dem Reichstag vorlegte. Unter Punkt 23 ist von dem besonderen und starken Kosten-­Aufwand der Visita­tionsstände die Rede. 430 Gesammelte Original-­Briefe,Teil 3 (1778), Brief 98. 431 Fassl, Augsburg 1750 – 1850 (1988), S. 176.. Der vage Richtwert von 300.000 fl. Einnahmen um 1773 findet sich auch bei Bátori, Augsburg im 18. Jahrhundert (1969), S. 101.

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der Gesamtausgaben der Habsburgermonarchie im Jahr 1763 entsprochen hätte,432 scheint zuzutreffen, wenn man folgende Beispielrechnung aufstellt: Der kurbayerische Visitator Goldhagen erhielt als Revisionsrat einen jähr­lichen Lohn von 1200 fl.433 Hinzu kam eine monat­liche Zulage von 600 fl., die er zum Unterhalt, der Bezahlung des Quartiers sowie für Holz, Licht, Equipage, Bedienten, Kleydung, Correspondenz und dergleichen erhielt.434 Das macht zusammen allein für den kurbaye­rischen Visitator jähr­lich 8200 fl. Die Delega­tion bestand ferner aus einem Sekretär und einem Kanzlisten, die jähr­liche Unkosten von ca. 1050 fl. (Sekretär für Lohn und Zulage) und 840 fl. (Kanzlist für Lohn und Zulage)435 verursachten. Zusammengenommen waren es also rund 10.000 fl., ­welche die Visita­tion alleine Kurbayern jähr­lich kostete. Wenn man zudem bedenkt, dass die kurmainzische Visita­tionsdelega­tion nicht nur in den ersten anschaffungsreichen Monaten von April bis Dezember 1767 einen außerordent­lichen Kostenaufwand von gut 5400 fl. hatte,436 sondern auch im Folgejahr etwa für Öl und Lichter, Brückengelder, Pferdefutter oder auch für posta­lische Eilsendungen (Estafetten) insgesamt 6525 fl. anfielen,437 oder aber die finanzärmeren Reichsstädte sich ­zwischen 1771 und 1774 vergeb­lich darum bemühten, eine jähr­liche Entschädigungszahlung von 432 Demel, Reformstaat (2010), S. 15. Hier ist von Ausgaben von über 40 Mio. fl. die Rede. 433 BayHStA HR I, 504/52. 434 BayHStA KS 5716, Dekret (Entwurf ) an die Hofkammer wegen dem Unterhalt der herzog­lich bayerischen Visita­tions-­delega­tion vom 8. April 1767. Zum Vergleich: Stallauer erhielt Diäten von 11 fl. pro Tag (ca. 330. fl. in einem Monat) und ab Mai 1771 7 fl. pro Tag [StadtAA RKG 34, Stallauer an Rat 18 Mai 1771]. 4 35 Der jähr­liche Lohn des kurbayerischen Hilfspersonals ist nicht bekannt, kann aber rekonstruiert werden, wenn man die kurmainzische Visita­tions-­Delega­tion zum Vergleich nimmt. Dort verdiente im Jahr 1770 ein Visitator ca. 1600 fl., ein Sekretär 1200 fl. und ein Kanzlist 600 fl. Bei dem Vergleich zu bedenken ist, dass die Zulagen weitaus geringer waren als bei der kurbayerischen Delega­tion. Sie beliefen sich bei den kurmainzischen Subdelegierten seit der Zulagenerhöhung im April 1770 auf monat­lich 125 fl. Zudem liegen keine exakten Angaben über den Sold der kurmainzischen SD vor. Er wurde geschätzt nach den Angaben, die der Kanzlist Erhard in seinem Antrag auf Vermehrung des Gehalts vom 16. Sept. 1770 führt, sowie nach der am 6. April 1770 beschlossenen Zulagenerhöhung für die SD [beide HHStA Wien MEA RKG 381]. Dessen ungeachtet ergibt sich aus den genannten Besoldungszahlen, dass ein kurmainzischer Sekretär 25 % und ein Kanzlist 37,5 % weniger verdiente als ein SD. Auf Grundlage dieser prozentualen Richtwerte ergibt sich, dass der kurbayerische Sekretär (bei einem Jahresgehalt des kurbayerischen SD von 1200 fl.) 900 fl. und der Kanzlist 750 fl. jähr­lich verdiente. Hinzu kamen die Zulagen, die sich nach dem Dekretentwurf an die Hofkammer vom 8. April 1767 [BayHStA KS 5716] auf 150 fl. (Sekretär) und 90 fl. (Kanzlist) beliefen. 436 Siehe Anhang Punkt 5.1. 437 HHStA Wien MEA RKG 381.

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3000 rt. von den anderen Reichsstädten zu bekommen,438 und auch Kurtrier sich eine Entschädigung wegen des Geschäfts ohnaufhör­lichen Verschleifens vorbehielt,439 dann kann es nicht verwundern, dass das Visita­tionsrecht der delegierten Reichsstände all die Jahre über auch als pekuniäre Visita­tionspflicht verstanden wurde. Das ‚Zeit-­Kosten-­Bewusstsein‘ der Visita­tionsjahre war in einem nicht unerheb­ lichen Maße von dem Siebenjährigen Krieg geprägt. Er führte dazu, dass „fast alle Territorien mehr oder minder hoch verschuldet“ waren.440 Und auch wenn hier regional zu differenzieren ist,441 so trifft es doch zu, dass der Krieg ein ganz wesent­ licher ‚Kostenmotor‘ des vormodernen ‚Finanzstaates‘ war.442 Deshalb, aber auch, weil sich generell in dieser Zeit die Politik zunehmend ökonomisierte,443 wurde nach 1763 versucht, den seit der Antike bekannten und mit der Staatsbildung immer schmerzhafter werdenden Nerv aller Dinge (pecunia nervus rerum) zu ‚zähmen‘.444 Die Visitation schloss sich also, zusammenfassend, an eine (Nachkriegs) Zeit an, in der das Geldausgeben nicht unbedingt leichter fiel als in den Jahren zuvor. Im Zusammenspiel mit dem bereits dargelegten Befund, nach dem der aufgeklärte ‚Ra­ tionalisierungsgeist‘ die meisten reformabsolutistischen Reformen erfasst hat, kann sogar vermutet werden, dass nach 1763 das Kosten-­Nutzen-­Kalkül auf einen Zenit zusteuerte. Ebenfalls bedacht werden muss hierbei die Bewertung des Faktors Zeit durch die aktenproduzierende Funktionselite, denn sie begriff diesen, neben der Willenskraft, als das entscheidende Kapital, um den Arbeits- und Lebensalltag produktiv gestalten zu können. Es kann auch von einer verbürger­lichten Zeitökonomie gesprochen werden, die dazu führte, dass „ra­tionale Verfahren zur Zeitkürzung, zur

438 StadtAA RKG 34. Die finanzielle Beteiligung der Mitstände dachte bereits der Erzkanzler vor Beginn der Visita­tion an. Der „Vorschlag, die Visita­tionskommission durch eine gemeinsame Reichskasse zu unterhalten“, konnte sich jedoch auf dem dem Reichstag nicht durchsetzen [Rohr, Reichstag (1968), S. 101]. 439 So Falcke in einem Bericht vom 5. Mai 1772 [HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König]. Hier ist der Gesamtzusammenhang der Visita­tionsunterbrechung zu beachten. 4 40 Demel, Reformstaat (2010), S. 14. 4 41 Die Reichsstadt Augsburg etwa konnte die kriegsbedingten Einbußen durch eine erhöhten Bierausfuhr kompensieren [Bátori, Augsburg im 18. Jahrhundert (1969), S. 100. Siehe zum Wein- und Bierungeld als große städtische Einnahmequelle ebd., S. 98]. 4 42 Zum Krieg als ‚Kostenmotor‘ Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002), S. 308 sowie zur erweiterten Einordnung in die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit Burkhardt, Bellizität Europas (1997), S. 558. Zum Begriff ‚Finanzstaat‘, der geprägt wurde von ­Gerhard Oestreich, Bahlcke, Staat in der Frühen Neuzeit (2012), S. 85 f. 4 43 Weber, Politik (2009), Sp. 100 – 103. 4 44 Demel, Reformstaat (2010), S. 14 f.; Hart, Staatsfinanzen (2011); Stolleis, Pecunia nervus rerum (1983).

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Intensivierung ihrer Nutzung, zur Effektivierung von Arbeitsabläufen“ entwickelt wurden.445 Ob all dies auch zur detaillierten Aufzeichnung der Kostenabrechnungen in den Visitationsakten beitrug oder diese Überlieferungstatsache eher der sich vollendeten Schrift­aufwertung geschuldet ist, oder aber – diese Einschränkung kann hier nicht behoben werden – diesbezüg­lich gar keine oder ledig­lich marginale archivhistorische Veränderungen vorliegen, muss offen bleiben. Fest steht, dass sich in den Archiven viele Kostenabrechnungen erhalten haben, die sorgfältig angefertigt und sorgfältig verwahrt wurden. Diese Rechnungen geben nicht nur darüber Auskunft, wie viel die Visita­tion gekostet hat, sondern auch, was genau die einzelnen Visita­tionsdelega­tionen für die alltäg­liche Visita­tionsarbeit benötigten. Drei für die Studie tabellarisch erfasste und im Anhang aufgenommene Rechnungen werden dies verdeut­lichen. Sie lassen sich wie folgt auswerten: Die erste Rechnung 446 führt 13 Kostenkategorien mit insgesamt 173 Einträgen, die sich auf 25 Folioseiten erstrecken. Jede Seite beginnt mit dem Titel der Kostenkategorie, unterteilt sich daran anschließend in vier Spalten – die Nummer der Rechnungsbeilage, den Betreff (im Anhang mit Beispielen als Spezifizierung geführt), sowie die Kosten in Gulden und in Kreutzer – und endet mit der Summe der auf der Seite aufgeführten Kostenpunkte. Die letzte Folioseite trägt die Überschrift Summa aller Ausgab[en]. Sie listet alle 13 Kostenkategorien mit der entsprechenden Summe auf, weist darunter die Gesamtkosten von 5435 fl. 50 ¾ xr. aus und endet mit der Orts- und Datumsangabe (Wetzlar, 31. Dezember 1767) sowie mit der Unterschrift bzw. dem Verweis auf die Sekretäre.447 Ausgehend von den 13 Kostenkategorien lassen sich mehrere kostenverur­ sachende ‚Bedarfsfelder‘ der kurmainzischen Visita­tionsdelega­tion ausmachen. Zunächst können die ersten fünf Kategorien unter dem Schlagwort ‚Mobilität‘ subsumiert werden. Einträge wie ‚Für 6 Postpferde, womit [...] die Visitatoren nach Mainz abgegangen, hin und her‘ (unter Brückengeld und Reisekosten angeführt), die Reparaturkosten für ein verbrochenes Rad (unter Kategorie Nr. 3) oder das Stallgeld und Strohe für Maultiere, Husarenpferde und sonstige Pferde (Kostenkategorie Nr. 2) verweisen darauf, dass Pferde respektive von Pferden gezogene Kutschen ein zeitüb­liches Fortbewegungsmittel waren.448 Sie ermög­lichten einen zwar nicht ständigen, aber doch häufigen ‚Sach- und Personenaustausch‘ 4 45 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 413. 4 46 Siehe Anhang Punkt 5.1. 4 47 Es ist von Reichskammergerichts- und Subdelega­tions-­Sekretären die Rede. In der Rechnung des Folgejahres vom 28. Dez. 1768 [HHStA Wien MEA RKG 381, Rechnungsbeilagennummer 45] heißt es ledig­lich Regierungs Secretarius. 4 48 Siehe hierzu Poppinga, Pferde (2009).

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z­ wischen dem Reformzentrum Wetzlar und den Stätten der Obrigkeit. Daneben wurden Nutztiere und insbesondere Pferde zur Fortbewegung innerhalb des städtischen Raums benötigt. Dies wird die an anderer Stelle noch darzulegende ‚Eselsgeschichte‘ Stallauers verdeut­lichen.449 Insgesamt musste die kurmainzische Visita­tionsdelega­tion alleine für Pferdefutter, Stallzins, Kutschenreparaturen und Hufenbeschlagung (Nr. 2. und 3.) 961 fl. bezahlen. Dies entspricht knapp 18 % der Gesamtkosten. Rechnet man zudem die 520 fl. hinzu, w ­ elche die drei Stallleute erhielten (Kostenkategorie Nr. 13),450 und bedenkt man überdies die unter Nr. 7 und unter Nr. 12 geführten ‚mobilitätsrelevanten‘ Einträge,451 dann ergibt sich sogar ein prozentualer Gesamtanteil von gut 30 %, der für die pferde- und ­kutschenbasierte Mobilität verwendet wurde. Noch kostenintensiver waren die Quartiere. Für Miete und Brennholz fielen knapp 53 % (2620 fl.) der Gesamtkosten an. Während die Mietpreise im Zusammenhang zu sehen sind mit dem räum­lichen und funk­tionalen Gesamtgefüge aller Gesandtschaftsquartiere,452 verweist der Holzverbrauch darauf, dass der Mensch der Vormoderne (und weit darüber hinaus) vor allem mit Brenn Holz – so die Formulierung der Rechnung – einheizte,453 aber auch kochte.454 Letzteres und das damit verbundene Essen waren nicht nur eine Lebensnotwendigkeit, sondern zugleich standes- und ereignisgemäße Erfordernisse: Man musste – dies wird noch deut­lich – Mitvisitatoren, aber auch Kameralen mit einem Gastessen ‚hofieren‘. In ­diesem Sinne lassen sich auch die 150 fl. verstehen, die für die Erbauung einer Küche in der Unterkunft des Visitators Horix (Haus Spinola) anfielen (Kostenkategorie Nr. 7), oder aber die 6 fl., die ein Schreiner für einen grosen Speißetisch für Hr. Geheimden Rath v. Ottendahl verdiente (Nr. 13). Hervorzuheben sind daneben all jene verhältnismäßig kostengünstigen Ausgaben, die sich der schriftbasierten Kommunika­tion zuordnen lassen. Neben Maultieren, die zu Visita­tionsbeginn Akten nach Wetzlar transportierten (Nr. 1), sind es insbesondere die Kanzlei und das Archiv, ­welche in den Rechnungen auftauchen 4 49 Siehe B.1.2. 450 Der Kanzleidiener (260 fl.) sowie der ‚5tages-­Hofkutscher‘ (2 fl. 30 xr.) als ein Sonderfall gehören hier nicht dazu. 451 Es handelt sich bei Nr. 7 um einen Stall, den ein bedürftiger Mann zur Unterbringung des kurfürstl. Zug[es] eingerichtet und vermietet hat (82 fl. 30 xr.), das Quartier für die drei Stallleute, wo auch ein Wagen Remise accordirt (48 fl.), sowie die Unterbringung eines Hof- und eines Reisewagens bei Philipp David Vorwercks Wittib (12 fl.), und bei Nr. 12 um Licht, Öl und Besen für die Stallung (14 fl. 3 xr.). 452 Siehe B.1.2. 453 Behringer, Heizen (2007). Zur Ressource Holz allgemein Bleidick, Holz (2007). 454 Krug-­Richter, Küche (2008).

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und die es ermög­lichen, detaillierte Einblicke in den Schriftalltag des kurmainzischen Visita­tions-­Direktoriums zu nehmen. Die Mietkosten (Nr. 7) verraten zunächst, dass sich diese Einrichtungen in dem so genannten Marschal­lischen Haus befanden,455 wo anfäng­lich auch der Visitator Ottenthal, ein Computans (Abrechner?), Sekretär Kroppe und Kanzlist Erhard untergebracht waren. Nach dem 4. Oktober 1768 waren die Kanzlei und das Archiv in dem ehemals fürst­lich Bendheimischen Hauß untergebracht, wie aus der Rechnung des Folgejahres hervor geht.456 Dieser Umzug war womög­lich aus Platzgründen erforder­lich. Zumindesst war es noch vor dem Umzug erforder­lich, im Marschal­lischen Haus ein zweites Zimmer zu Reponirung der Acten, also ein Art Lagerraum, einzurichten.457 Die archiv- und kanzleigerechte Ersteinrichtung des Marschal­lischen Hauses vollzog sich wiederum kurz vor sowie in den ersten Wochen der laufenden Visita­tion. So erhielt am 18. April 1767 ein Schreiner 12 fl. für die Einrichtung des Archivs sowie der Schlosser Geld für die Verwahrung desselben und die Feststellung eines Tisches für die Canzley Preße. Ob damit eine Drucker- oder Siegelpresse gemeint war, lässt sich nicht eindeutig klären. Ersteres ist zu vermuten, da bereits schon vor der Einrichtung einer visita­ tionseigenen Druckerei zu Beginn des Jahres 1769458 gedrucktes Schriftgut wie etwa die Fragebögen für das Examen benötigt wurden. Wahrschein­licher ist jedoch, dass es sich um eine Siegelpresse handelt, wie sie auch die Kanzlei des RKG besaß,459 und zwar deshalb, weil das Siegeln neben der Unterschrift das wichtigste Beglaubigungsmittel der Vormoderne war.460 Gesiegelt bei der Visita­tion wurden allen voran die Beschlüsse und die Zettel, die jede Sitzung für jede Visita­tionsdelega­ tion ansagten. Für die Wichtigkeit des Siegelns spricht zudem, die unter Kostenpunkt Nr. 8 aufgeführte Tischschublade zu Verwahrung deren ­Siegel. Überdies ist in einer anderen Rechnung für die kurbrandenbur­gische Visita­tiondsdelega­tion die Anschaffung von zwei extra fein Roth Sigill-­Lac nachgewiesen.461

4 55 Siehe hierzu die Karte im Anhang unter Punkt 3.1. 456 HHStA Wien MEA RKG 381, Rechnungsbeilagennummer 50. Aus Nr. 58 geht überdies hervor, dass die Bretter des Archivs, ein halb duzend Stühle und ein Tisch mit einer Schublade, die sich in dem Marschal­lischen Haus befanden, in dem Bendheimischen Haus wieder verwendet wurden. 457 HHStA Wien MEA RKG 381, Rechnungsbeilagennummer 34. 458 Siehe hierzu B.1.4. 459 Scheurmann, Frieden durch Recht (1994), S. 204. 4 60 Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 127 f. 4 61 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 59. Siehe Anhang Punkt 5.2.

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Die Bedeutung der beglaubigten, aber auch unbeglaubigten handschrift­lichen Schriftstücke 462 lässt sich auch daran ablesen, dass zur kurmainzischen Canzley-­ Nothdurft – so die eigent­liche Überschrift der Kostenkategorie Nr. 8 – auch Tinte und Sand zählten. Es wurden angeschafft Tinten Materialien am 6. Mai und 17. Dezember für beachtenswerte 12 fl. 48 xr., Geschirr zu Ansezung der Tinten (1 fl. 12 xr.), ein Maas Essig zum weiteren Dinten [sic] Ansaz (24 xr.), drei Dinten- und Sandfüße (1 fl. 12 xr.) sowie Tinte (20 xr.) und Sand (8 xr.). Letzteres wurde benötigt, um das „Verrinnen und Verschmieren der noch nicht angetrockneten Tinte zu vermeiden“.463 Dieses Bemühen, mittels Sand die Tinte zu ­schützen, ist dergestalt ein Signum der handschriftenproduzierenden Epoche, dass der Verfasser der vorliegenden Studie – so die gewiss nicht singuläre Erfahrung – die Arbeitsplätze in den Archiven ab und an mit einer nicht unerheb­lichen Menge an Sandbrösel überzog. Neben Schreibstoffen benötigte eine Kanzlei natür­lich auch Schreibgeräte. Sie lassen sich zwar nicht in der kurmainzischen Rechnung, aber dafür in dem zweiten Rechnungsbeispiel auffinden. Bei dieser Rechnung 464 handelt es sich um eine von dem Wetzlarer Buchdrucker Winkler für die kurbrandenbur­gische Kanzlei ausgestellte Kostenübersicht für Schreibmaterialien, die z­ wischen Mai 1771 und März 1772 benötigt wurden. Betrachtet man zudem die dritte Rechnung, die ein Buchbinder 465 für den kurbayerischen Visitator ausgestellt hat,466 und blickt man überdies auf die bereits genannten Schlosser und Schreiner zurück, dann wird deut­lich, w ­ elche Berufsgruppen die Visita­tion materiell versorgt haben. Wenden wir uns der zweiten Rechnung zu (siehe Anhang Punkt 5.2.). Hier sind mehrere Bünde an Schreibfedern aus Holland und Hamburg angeführt. Benutzt wurde daneben Fein Wendelsteiner Schreibpapier. Weit häufiger kam aber das pro Patria Papier aus Holland und Deutschland zur Anwendung. Hierbei handelt es sich um feines Schreibpapier,467 dessen Import aus Holland damit zusammenhängt, dass seit Ende des 17. Jahrhunderts die niederländische Papiermacherei den deutschen 4 62 Es wurden zwar auch Drucke bis ins 18. Jahrhundert gesiegelt, allerdings zumeist nur ‚symbo­lisch‘ mit dem Kürzel L. S. (locus sigilli) [in Anlehnung an Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 127]. 4 63 Ebd., S. 126. 4 64 Siehe Anhang Punkt 5.2. 4 65 Es ist auch ein Buchbinder in der ersten Rechnung unter Kostenpunkt Nr. 8 aufgeführt. Wofür dieser genau die gut 20 fl. erhielt, lässt sich nicht sagen. Aus der dritten Rechnung geht zumindest hervor, dass ein Buchbinder auch Akten band. Eine eindeutige Zuordnung zu dem Buchdruckgewerbe – und damit ein Indiz, dass mit dem Wort Canzley Preße doch Druckerpresse gemeint ist – ist also nicht mög­lich. 4 66 Siehe Anhang Punkt 5.3. 4 67 Art. Papier, in: Pierer’s Universal-­Lexikon, Bd. 12 (1861), S. 616.

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„Markt für Qualitäts-­P[apier] erobert“ hatte.468 Weitaus günstiger war demgegenüber das Papier, das aus Basel stammte. Die kurbrandenbur­gische Kanzlei konnte für 13 gr. (Groschen) vier Buch Basler Papier erstehen, während 6 Buch Holländisches pro Patria Schreibpapier 2 rt. und 2 gr. kosteten. Bei Buch handelt es sich um eine Mengenangabe, die sich folgendermaßen aufschlüsseln lässt: 24 Bögen Schreibpapier = 1 Buch, 20 Buch = 1 Ries – bzw. Rieß, so etwa die zweite Rechnung –, 10 Ries = ein Ballen.469 Da die Größe eines Bogens „in der Zeit der händischen Produk­ tion von Papiermühle zu Papiermühle“ variierte, und zwar von der Kanzleigröße (42 × 33 cm) „bis zu Imperial“ (78 × 57 cm),470 lässt sich nicht genau sagen, wie viele Einzelblätter bzw., nach der entsprechenden Faltung des Bogens, wie viele Folio-, Quart-, Oktav- oder sonstige Papierseiten zur Anwendung kamen. Fest steht nur der an Unmengen grenzende Bedarf an Papier für die Visitationsdelegationen. Belässt man es näm­lich bei der unspezifischen Grundeinheit ‚Bogen‘, dann ergibt sich für die zweite Rechnung (88 Buch deutsches, 16 Buch holländisches, 10 Buch wendelsteinisches, 4 Buch baslerisches Schreibpapier) eine unglaub­liche Zahl von 2832 Bögen, die in elf Monaten (Mai 1771-März 1772) verbraucht wurden. Dies entspricht einem Monatsschnitt von rund 258 Bögen. Für die dritte Rechnung (18 Ries, allerdings ohne Angabe des Verbrauchszeitraums)471 ergibt sich sogar die noch unglaub­lichere Zahl von 8640 Bögen. Diese Papiermassen fielen alleine für die kurbrandenbur­gische und die kurbayerische Delega­tion an. Es ist zu vermuten, dass das kurmainzische Visita­tions-­Direktorium einen weitaus höheren Papierbedarf hatte. Genauere Angaben sind hier leider nicht mög­ lich. Ledig­lich unter Kostenpunkt Nr. 12 werden 20 fl. 34 xr. angeführt, die vom 23. April bis 26. Juni 1767 anfielen für ein Buch Holländisch Post Papier und ein Buch Concept. Ein solches Kaufspaket, das auch (inclusive) Papier beinhaltete, wurde ein weiteres Mal am 31. August benötigt. Hier fielen neben Lichter auch ein Buch Pro Patria Papier an. Der Grund, warum ­dieses Papier unter der Rubrik ‚An Lichter und Wachs-­Flambeaux‘ (Kerzen und Wachsfackeln) angeführt ist, lässt sich wohl damit erklären, dass ein Lieferant, Verkäufer oder dergleichen ein entsprechendes Warensortiment hatte, das sowohl mobile (Fackeln) und immobile Leuchtstoffe (Kerzen)472 als auch Schreibpapier umfasste. 4 68 Pichol, Papier (2009), Sp. 801. 4 69 Ebd., Sp. 803. Die 25 Bögen gelten für Druckpapier. 470 Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 119. 471 Belegt ist jedoch, dass ein halbes Jahr ­später erneut 10 Ries Papier gekauft wurden [BayHStA KS 5898, Rechnung vom 24. Jan. 1771]. 472 Jaritz, Beleuchtung, (2005), Sp. 1183. Die Rechnung führt auch Öl auf, das sehr wahrschein­lich für Öllampen benötigt wurde.

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Woher aber bezog die kurmainzische Visita­tionsdelega­tion ihr Papier? Aufschluss gibt hier die Kostenkategorie Nr. 13. Demnach erhielt am 17. September die Kanzlei Schreibmaterialien durch einen Franckfurter Fuhrmann. Dieser Fuhrmann – es könnte sich um einen Postkutscher handeln – scheint wiederum im Auftrag eines Wetzlarer oder auch Frankfurter Kaufmanns gehandelt zu haben, wie die 8 xr. vermuten lassen, die bezahlt wurden für den Transport der Schreib-­Materialien von dem Kaufhaus zur Canzley. Wie genau die Bestell- und Lieferwege waren, lässt sich jedoch nicht sagen. Unklar bleibt auch, was genau diese Lieferung – es sind ja nur die Transportkosten ausgewiesen – umfasst hat und wer hierfür wie viel bezahlen musste. Mit Blick auf die zweite Rechnung lässt sich zumindest sagen, dass in der Zeit unter dem Schlagwort Schreib-­ Materialien sowohl Schreibfeder und Siegellack als auch Papier subsumiert werden konnten.473 Entsprechende Kosten fielen neben der Handschriftlichkeit auch für die – und dies ist eindeutiger nachzuweisen - Druckschriftlichkeit an, welche einen festen Platz im Schriftalltag der Visitationsgelegation hatte. Dies belegt die dritte Rechnung (siehe Anhang Punkt 5.3.), die insgesamt 23 Bücher führt. Alle Bücher wurden in duplo gekauft. Diese Angabe legt nahe, dass die Druckschriften sowohl für den Eigenbedarf als auch zur Übersendung an die Obrigkeit gekauft wurden. In d­ iesem Sinne führt auch die kurmainzische Rechnung von 1767 unter Kostenkategorie 13 zwei Exemplare der visita­tionseigenen Zeitschrift 474 und die Rechnung von 1768 gleich fünf Exemplare der ‚Vermischten Briefe‘ Zwierleins.475 Die 39 fl. 44 xr., ­welche die in der dritten Rechnung ausgewiesenen Druckschriften allesamt kosteten, sind zudem eine beacht­liche Summe Geld.476 Im Vergleich zu den 18 Ries, die für das Papier, deren Beschneidung und die Einbindung der Visita­tionsakten anfielen (90 fl. 12 xr), ist dies jedoch wenig. Zu denken ist ferner an die anderen zur handschrift­lichen Schriftproduk­tion benötigten Materialien (Feder, Tinte, Sand, Siegellack), Gegenstände (Schreibtische, Aktenablagen, Tinten-/Sandgefäße) und Räum­lichkeiten (Miete und

473 Aus der kurmainzischen Rechnung des Folgejahres geht jedoch hervor, dass ein Frank­ furter Fuhrmann sowohl für eine Lieferung Schreibmaterialien als auch für eine Lieferung Papier bezahlt wurde (Rechnungsbeilagennummer 72 u. 80). 474 Siehe zu den Wetzlarischen Anzeigen B.3.2. 475 HHStA Wien MEA RKG 381, Rechnungsbeilagennummer 69. 476 Wenn man den Vergleich bemühen möchte: Die 39 fl. 44 xr. entsprachen etwa einem Jahresgehalt eines Nachwächters um 1800, der das Bürgerrecht besaß [Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 90 (Anm. 194)], oder dem zumindest nominell festgesetzten Wert von 130 Paar Hühnern [WA 4. Stück vom 19. Aug. 1767, S. 24].

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Umbaumaßnahmen). Darüber hinaus arbeiteten viele Personen mittel- und unmittelbar an, mit und für die Handschrift­lichkeit. Zuvorderst ist hier das Hilfspersonal der Visitatoren zu nennen.477 Aber auch die nach Bedarf engagierten Handwerker, der Fuhrmann und die gleichfalls in der ersten Rechnung zumindest indirekt angeführten Träger von Schreibmaterialien (Nr. 13) leisteten ihren Beitrag zu einem Schriftalltag, der auch in finanzieller Hinsicht nachhaltig von der Handschrift­lichkeit geprägt war. Dies ist natür­lich dahingehend zu relativieren, bedenkt man die weitaus höheren Kosten, welche für die pferde- und kutschenbasierte Mobilität sowie für die Quartiersmiete und das Brennholz anfielen. Der diesbezüg­liche Gesamtkostenanteil belief sich in der ersten Rechnung auf gut 80 %.478 Als ‚schriftferne‘ Ausgaben sind auch die Sorte de Chaise Gelder (Nr. 9) zu rechnen, die sich wohl als Transportgelder für einen zweisitzigen Wagen verstehen lassen. Doch auch die Hand- und Druckschrift­lichkeit gab es keineswegs kostenfrei. Zudem und jenseits der quantifizierenden Befunde ist festzuhalten, dass die Beschreibung von Papier nur deshalb ein basaler Vorgang im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ sein konnte, weil es eine entsprechende komplexe materielle Versorgung gab. Alleine die in der zweiten Rechnung ausgewiesenen sehr unterschied­lichen Papiere verweisen darauf, wie sehr das für die handschrift­liche Schriftproduk­tion benötigte Papier ein Alltagsgegenstand der Visita­tion war. Das unterstreicht der bereits angeführte Eintrag ‚Buch Concept a 6 Xr für Hr. Revisions Rath Horix’ in der ersten Rechnung (Kostenkategorie Nr. 12). Denn hierbei handelt es sich um ein minderwertiges Schreibpapier, das dem schrift­lichen Entwurf (Konzept) einer Sache diente.479 Damit tauchen hier jene Papiere auf, die sicher­lich auch Falcke kannte und die er vermut­lich für seine Arbeitsnotizen benötigt hat, wie sie in der Einleitung mit der Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine bereits angesprochen wurden.

477 Siehe C.2. 478 Wobei zu beachten ist, dass auch die Miet- und Holzkosten mittelbar der Schriftproduk­ tion dienten. Der quantitative Befund stößt hier also an seine Grenzen. 479 Art. Concept, in: Adelung (1793).

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A.4. Zeitverlust? Weitläufigkeit versus Gründlichkeit Schicket euch in der Zeit, denn es ist böse Zeit!480

Das Wort Weitläufigkeit erfreute sich in den Jahren der Visita­tion größter Beliebtheit. Drei Beispiele mögen dies verdeut­lichen: Wenige Tage vor der Eröffnung der Visita­tion fand eine vorbereitende Besprechung unter allen Visitatoren statt. Das kurmainzische Direktorium hatte bei dieser Unterredung zwar den Sekretär zugezogen, die Führung eines Protokolls jedoch vermieden, ansonsten wir in Weithläufigkeiten gerathen und in vielen Tägen nicht fertig geworden seyn würden (Zitat I).481 Wenige Wochen nach Visita­tionsbeginn beklagte sich die kaiser­liche Kommission darüber, dass die Vota, ­welche noch darzu dictiret und nach geschrieben werden, [...] wegen ihrer ungeheuren Weitläuftigkeit die Zeit weg[nahmen], so daß kaum 5 Vota binnen 3 ½ Stunden abgeleget werden konnten (Zitat II).482 Und im März 1772 behielt sich Falcke vor, die bereits suspendierten Assessoren (Reuss, Nettelbla, Papius) neuer­lich zu befragen, um noch ausstehende Beratungen nach Aktenlage zu vermeiden. Denn dies wäre in meinen Augen eine wahre Weitläuftig­ keit, woran ich keinen Antheil nehmen könnte (Zitat III).483 Die Zitatenreihe ließe sich fast beliebig fortführen. Weitläufigkeit war ein geradezu infla­tionär verwendeter Begriff der Zeit. Dies belegen nicht nur die Quellenbestände, die der vorliegenden Studie zugrunde liegen. Auch auf dem Reichstag wurde im Jahr der Visita­tionseröffnung über die „sehr weitläufige[n] Vota“ geklagt.484 Für Kursachsen wiederum begegnet „in den säch­sischen Quellen“ der ‚nachhubertusburger‘ Zeit „häufig die Furcht vor ‚Weitläufftigkeiten‘“.485 Und für Baden-­Durlach ist bekannt, dass es dort das reformabsolutistische Verlangen gab, alles, was in das Justiz-, Forst-, Policey-­Weesen und oeconomicum einschläget, ohne Weitläuffigkeit zu erörtern.486 Ausgehend von diesen Befunden 480 Mit diesen Worten beendete der kursäch­sische Visitator in der 890. Session sein Votum. Sie sind der Bibel entnommen, Brief des Paulus an die Epheser 5,16: und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit. Die Visitatoren waren sich ­dieses Bibelbezuges bewusst. Zumindest Stallauer gab seinerseits zu Protokoll: Subdelegatus schickt sich, nach Paulus lehren, in die Zeit, und stimet, in seiner Mäße, wie Chur Sachsen und Bayreuth! [StadtAA RKG 33, Rela­tion 130 (undatiert)]. 481 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 8. Mai 1767. 482 HHStA Wien RK RKG VA 205, Diarium 9. Juli 1767, § 137. 483 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 10. März 1772. 484 Rohr, Reichstag, S. 111. 485 Kalipke, „Weitläufftigkeiten“ (2008), S. 432, ohne allerdings auf diesen Sachverhalt näher einzugehen. 486 Zit. nach Holenstein, Gute Policey (2003), S. 448.

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und unter ­Berücksichtigung der Tatsache, dass der Begriff Weitläufigkeit zwar keine ‚Erfindung‘ des 18. Jahrhunderts ist,487 er aber in dieser Zeit sehr oft und in sehr unterschied­lichen Kontexten Verwendung fand, lässt sich sagen, dass in den Jahren der letzten RKG-Visita­tion vieles als zu weitläufig galt. Zu fragen ist somit, warum die Beseitigung bzw. Vermeidung von Weitläufigkeit eine geradezu omnipräsente handlungsleitende Maxime oder doch zumindest omnipräsente Beurteilungs­kategorie war. Als eine ­solche Kategorie lässt sich das Wort Weitläufigkeit zweifelsohne begreifen, wenn man Worte und Begriffe 488 „nicht allein [als] Indikatoren von Gedanken und Gegenständen, sondern auch [als] ‚Faktoren oder Promotoren in politisch-­sozialen (Sprach-)handlungen‘“ begreift.489 Wie aber sind diese (Sprach-)Handlungen zu deuten?490 Ist es zutreffend, das Wort ‚Weitläufigkeit‘ als begriffsgeschicht­liche ‚Antipode‘ zum Beschleunigungsimpuls der sich etablierenden Sattelzeit begreifen zu können? Diese in der Einleitung aufgestellte These zu verifizieren ist eine Aufgabe, die nur mittelbar zu lösen ist. „Sprachgebrauch und -bedeutung“ hängen näm­lich immer davon ab, „welche Erfahrungen und Hintergründe der historische Sprecher mitbrachte und in seine Aussage einbezog“.491 Eine s­ olche umfassende Analyse der Lebenswelt eines Sprechers respektive Akteurs ist aber nur bedingt mög­ lich. Begriffsgeschichte also – und nicht nur diese – heißt immer, Kausalitäten aufzustellen, die sich einer Letztbegründung entziehen. Gleiches trifft auf die Vermutung zu, dass die Verbreitung des Wortes Weitläufigkeit im Zusammenhang zu sehen ist mit einem jahrhundertelangen „Verordent­lichungs- und Verfleißigungsprozess“.492 Ungeachtet mehrerer Indizien 493 kann auch hier nur als

487 Der Begriff ‚Weitläufigkeit‘ lässt sich ebenso wie das Adjektiv ‚weitläufig‘ bereits für das 16. Jahrhundert nachweisen [Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (1955), Sp. 1301 – 1306]. 488 Eine Unterscheidung z­ wischen Wörtern und Begriffen soll hier ausleiben, da der Übergang „gleitend“ ist [Koselleck, Einleitung Geschicht­liche Grundbegriffe (1972), S. XXII]. 489 Retterath, „Volk“ im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik (2012), Einleitung. Ich danke Jörn Retterath für die Mög­lichkeit, die begriffsgeschicht­lich orien­ tierte Arbeit einsehen zu dürfen. Auch für die epochenübergreifenden Fachgespräche, die nicht zuletzt in der Begriffsgeschichte bzw. Historischen Semantik ihre Klammer fanden, gebührt Dank. 490 Siehe grundsätz­lich zu ­diesem Zugang Landwehr, Historische Diskursanalyse (2008). 491 Retterath, „Volk“ im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik (2012), ­Einleitung. 492 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 402. 493 Es ist zu verweisen auf die unter A.1.3. bereits dargelegte Forderung von Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), S. 68 f., die Gerichtsangehörigen sollen fleißig sein.

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thesen­artige Annahme formuliert werden, wonach durch diesen Prozess Fleiß zu einer der wichtigsten (bürger­lichen) Tugend erhoben wurde 494 und Nicht-­ Fleiß bzw. unnützes (= weitläufiges) Arbeiten am ‚Begriffspranger‘ stand. Die folgenden Ausführungen Beschränken sich somit darauf, mit den hier zugrunde liegenden Quellen zu analysieren, was der Begriff Weitläufigkeit genau meint. Darauf aufbauend wird es um die Verwendungszusammenhänge gehen.495 Der Begriff Weitläufigkeit, wie er auch im Zedler steht,496 meint in erster Linie unnütze und daher ungeliebte Weitschweifigkeit oder Langatmigkeit. Eine erstrebens- oder begehrenswerte Weitläufigkeit gab es nicht. Ledig­lich das Adjektiv ‚weitläufig‘ umschreibt gelegent­lich einen positiven Sachverhalt. So heißt es zum Beispiel, Johann Jacob Moser sei ein Gelehrter von großer Erfahrung und weitläuftiger Wissenschaft 497 oder aus Zeitmangel könne kein weitläufigeres Diarium verfasst werden.498 Weitläufig in d­ iesem Sinn meint gewünschte Ausführ­lichkeit/ Breite oder auch – der Hof sei ziem­lich weitläufig  499 – räum­liche Ausgedehntheit/ Größe. Ansonsten aber bezeichnet Weitläufigkeit einen ohnnöthige[n], ohnangenehme[n] und zeitverlustigen Vorgang.500 494 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 355 – 413. Siehe hierzu auch Hein, Arbeit, Fleiß und Ordnung (2005). 495 Hier unberücksicht bleibt ein Rundschreiben [HHStA Wien MEA RKG 381], das im September 1770 der Kurfürst von Mainz an die Visita­tionsstände verschickte mit dem Ziel, die Weitläufigkeiten der Visita­tion zu beseitigen. Zirkularschreiben und darauf ergangene Antworten lassen sich als Höhepunkt einer Debatte begreifen, die letztend­ lich vergeb­lich versuchte, das Verfahren der Visita­tion zu beschleunigen. 496 Im 54. Band bei Zedler von 1747 (Sp. 1477) heißt es zu Weitläufftigkeit oder Weitschweiffigkeit, diese werde von einigen Schrifftstellern bisweilen aus Einfalt bisweilen aus Singularität begangen. Es gibt auch den Eintrag ‚Weitläufftig‘, der auf den Artikel ‚Verbosus‘ verweist. Dort (Bd. 47 von 1746, Sp. 203) findet sich die Erklärung, dass verbosus soviel heißt […] als Wortreich oder mit vielen Worten, weitläufftig usw. Insbesondere aber heißt Verbosus nichts anders als ein Schwätzer, der ein unnütztes Gewäsche treibt und seine Gegner oder den Richter vielmehr durch vieles Reden und Geplerre irre zu machen […] sucht. 497 [Nettelbla/Schnitzlein], Reverien (1768), Thema 46. 498 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 13. Juli 1767. 499 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 91. 500 HStA-Han. Cal. Br. 11 4120, Falcke an König 17. Sept. 1774. Siehe insgesamt zur Bedeutungsvielfalt, aber auch zum Bedeutungswandel des Substantivs Weitläufigkeit und des Adjektivs/Adverbs weitläufig das Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (1955), Sp. 1301 – 1306. Entscheidend ist dabei bezogen auf das Adjektiv/Adverb, dass ­dieses „zunächst ohne wertende oder sogar mit billigender stellungnahme, ,ausführ­ lich, genau‘“ meint, und „seit dem 18. Jh. mehr und mehr vorherrschend im sinn überflüssiger oder lästiger breite“ Verwendung fand. Aber schon Luther benutzte das Substantiv

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Die Klage über die Verzögerungen, Weitläufig- und Schwierigkeiten 501 oder über die Weitläuftigkeiten, Verzögerungen und Verschleppungen 502 war allgegenwärtig. Ob in den delega­tionsinternen Akten Augsburger, Berliner, Münchner, Hannoveraner oder Wiener Provenienz, den Protokollen der Visita­tion oder des RKG -Plenums,503 dem Tagebuch Kestners 504 oder auch den Druckschriften,505 überall begegnet einem das Wort Weitläufigkeit im oben genannten, negativen Sinne. Diese Verbreitung lässt sich ‚begriffsimmanent‘ damit erklären, dass die be- und anklagenden Worte es ermög­lichten, jeg­liches unliebsame Handeln oder auch Nichthandeln einer Person – siehe etwa Zitat III – zu diskreditieren. Der Vorwurf, weitläufig zu sein, wog schwer und konnte – auch dies trug zur ‚Begriffs­ attraktivität‘ bei – nur schwer­lich entkräftet werden. Daneben waren es aber auch ‚handfeste‘ Gründe, die zur Klage über die Weitläufigkeit führten. Allen voran die zu Protokoll gegebenen Voten der Visitatoren (Zitat II ), aber auch allgemein das Führen eines Protokolls (Zitat I) galten als zu weitläufig. Schrift­lichkeit und Weitläufigkeit scheinen sich geradezu bedingt zu haben, wenn man ferner bedenkt, dass das Direktorium wegen der Weitläuftigkeit einiger Voten die Voten hat münd­lich verlesen statt diktieren (und damit vom kurmainzischen Sekretär schreiben) lassen.506 Damit angedeutet ist, dass die Voten sehr weitläufig sein konnten und diese Weitläufigkeit Folge-­Weitläufigkeiten nach sich zog. Weitläufige bzw. – wertfrei formuliert – umfassende Voten näm­lich mussten wie alle Voten entweder im Plenum verlesen oder aber, noch zeitintensiver, diktiert werden. Danach war es

Weitläufigkeit im Sinne einer „lästige[n] oder überflüssige[n] breite der darlegung“ [ebd., Sp. 1302 u. 1305]. 501 HHStA Wien RK RKG VA 394, Rela­tion über Kammerrichter Spaur 842. Session (27. Juli 1774), § 136. 502 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42, Fasz. 57, Reuter an König, 4. Febr. 1772. 503 So gab Präsident Bassenheim am 20. Mai 1767 zu Protokoll, dass bei dem anstehenden Verpflichtungsakt das Gelöbnis des Kameralkollegiums zu Beförderung des Geschäffts so wohl alß vermeidung ohnnothwendiger weitläuftigkeit geschehen könne [BA AR 1/ IV 5]. 504 Die Arbeiten des Visitators und RKG-Präsentatus Königsthal hätten weniger unnöthig-­ weitläufig seyn mögen, u. es schien daraus, daß er mehr Wissenschaft u. Gelehrsamkeit als gute Beurtheilungskraft besaß [StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 168 (8. Jan. 1771)]. 505 In den Gesammelte Original-­Briefe, Teil 3 (1778), Brief 83 heißt es etwa, durch das Verlesen solcher weitläuftigen Re- und Correla­tionen wird umgemein viele Zeit dem Consess entzogen. 506 HHStA Wien MEA RKG 342, Diarium 1. Nov. 1770.

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erforder­lich, die Voten bzw. die Protokolle über die Diktatur zu vervielfältigen. Die dortige Diktier- und Schreibarbeit kostete ebenfalls sehr viel Zeit. Darauf verweist die Tatsache, dass man bereits wenige Wochen nach Visita­tionsbeginn beschlossen hatte, mehrere Sessionen auszusetzen, da viele zur Beratung benötigte Dictanda rückständig waren.507 Und auch neun Jahre ­später, kurz vor dem Ende der Visita­tion, findet sich die Klage über ein so weitläufig gerathen[es] Protokoll, welches nicht aus der Dictatur gekomen sei.508 Obgleich also die Diktatur teils bis in den Abend hinein arbeitete und auch die Ferien für diese Arbeit verwendet wurden, waren die Sekretäre chronisch damit überlastet, das für das Verfahren benötigte Schriftgut zu produzieren. Der Umfang der mühsam vervielfältigten Protokolle hängt womög­lich mit der Schriftaufwertung in dieser Zeit zusammen. Doch auch diese Annahme entzieht sich einer Letztbegründung, zumal deut­lich ist, dass nicht jeder, der im 18. Jahrhundert des Schreibens mächtig war, gleich gerne viel Schrift­lichkeit produzierte. Auch innerhalb der Visitation gab nicht jeder Visitator umfassende Voten zu Protokoll und nicht jeder Visitator verstand dies als erstrebenswerte Pflichterfüllung. Letzteres lässt sich jedoch für den schreibfreudigen Falcke feststellen. Mit ihm lässt sich ein Verwendungskontext des Begriffes ‚Weitläufigkeit‘ wie folgt etwas ausführ­licher darlegen: Falckes Voten waren ebenso wie seine Berichte zumeist sehr ausführ­lich. Selbst als er krank war, ging er in zwey nach einander folgende[n] Nächte[n] sämt­liche für ein Votum relevante RKG-Akten durch.509 Dieser vielleicht falsch verstandene Arbeits­eifer führte dazu, dass im März 1772 Falckes Gutachten über die Gebrechen des Kammerrichters auf hunderte Folioseiten anschwoll. Allein der XII. Abschnitt umfasste an die 300 Paragraphen. Und als er diesen Abschnitt vorgetragen hatte, erklärte er diesen nicht etwa für beendet, sondern hielt sich offen, weitere Verhöre durchzuführen.510 Der Gesandte Kurtriers, der gleichfalls ein Gutachten über den Kammerrichter erstellt hatte, sich aber weitaus kürzer fasste,511 war über diese Weitläufigkeit oder eben Gründ­lichkeit gar nicht erfreut. Er äußerte vielmehr sein Misvergnügen und gab zu Protokoll, dass man bei solchen Ausschweifungen in langen Jahren kein Ende sehen werde und man – Zeit ist Geld! – auch 507 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. 508 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42, Fasz. 66, Bericht Böhmer/Emminghaus 28. Jan 1776. 509 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 510 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 10. März 1772. 511 Die Konstella­tion ähnelt dem Ausgangspunkt der einleitenden Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine, wobei es bei ­diesem Fall der österreichische Visitator war, der das Erstgutachten (Rela­tion) und Falcke das Zweitgutachten (Correla­tion) erstellte.

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wegen des kostspieligen Zeitverderbs die Genugthuung und Endschädigung sich ausdrück­lich vorbehalte.512 Die Kehrseite d­ ieses Vorwurfes war, dass das Gutachten des kurtrierschen Gesandten weitaus oberfläch­licher war als jenes von Falcke. Selbst das Mainzer Direktorium musste bei einem abend­lichen Treffen im leicht angetrunkenen Zustand (und jener etwas berauscht gewesen) eingestehen: Trevirensis werde durch Bremensis Correla­tion übergangen, da dieser viele wichtige Punkte anführe, w ­ elche der Visitator Kurtriers gar nicht berührt habe; man habe, so die Schlussfolgerung des Mainzer Visitators, Falcke zu viel Zeit gelassen.513 Falcke erfuhr von diesen Worten. Über die Tatsache, dass er sich intensiv mit dem Kammerrichter auseinandergesetzt hatte und dies auch durchaus bei seinen Amtskollegen Beachtung fand, konnte er sich freuen. Dass man ihm allerdings zu viel Zeit gelassen habe, bestritt er ener­g isch. Diese Behauptung sei irrig, da man mir nicht einmahl so viel Zeit gelassen hat, neu hinzugekommene Akten zu bearbeiten, daher ich oft noch beym Vortrage in Consessu manches corrigiren muß.514 Falcke wurde also nicht müde, selbst in den Sitzungen an seinen Voten zu arbeiten. Er sei näm­lich nicht gewohnt, auf Vermuthungen zu re- oder corre­feriren, wo ich zur Gewißheit gelangen könnte.515 Ihm diese Gewissheit zu nehmen, ihm insbesondere die Vernehmung weiterer Gerichtsangehöriger zu verweigern und stattdessen auf die Beratung nach Aktenlage zu drängen, wäre (Zitat III) in meinen Augen eine wahre Weitläuftigkeit, woran ich keinen Antheil nehmen könnte.516 Um diese ‚wahre‘ Weitläufigkeit zu vermeiden, verlangte Falcke eine Abstimmung über die Vernehmung weiterer Gerichtsangehöriger. Das kurmainzische Direktorium weigerte sich jedoch, darüber beraten zu lassen. Falcke sprach daraufhin von Direktorialwillkür, w ­ elche zum Verderben des ganzen Visita­tions Geschäfts ausschlagen müßte. Protestantische und katho­ lische Gesandte konnte sich dieser Argumenta­tion nicht verschließen. Auch sie sprachen davon, dass mit einem solchen Vorgehen der Reichs Ständischen Stim-­Freyheit das Messer an die Gurgel gesetzt werden würde. Das Direktorium ließ sich jedoch von der Ablehnung der Umfrage nicht abbringen. Daraufhin, so berichtet Falcke weiter, sagte der kurmanzische Gesandte Horix dem neben ihm sitzenden kurtrierischen Referenten etwas ins Ohr, was dieser aber wegen seines schweren Gehörs nicht vernehmen konnte. End­lich schrieb Horix ein Zettel, 5 12 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 513 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 28. März 1772. 514 Ebd. 515 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 18. April 1772. 516 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 10. März 1772.

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welches er Trevirensi zuschob; worauf dieser, nachdem Er es gelesen, ad Protocollum folgendes dictirte: ‚Churtrier als Referens haltet sich sein Votum oder Erklärung hierauf [...] post Ferias bevor‘.517 Damit war der Streit um die Vernehmung weiterer Gerichtsangehöriger ‚auf die lange Bank‘ geschoben.518 Konflikte ließen sich also entschärfen, indem man sich das Protokoll offen hielt. Andererseits produzierte das ungeschriebene Recht, sein Votum zu einem späteren Zeitpunkt nachtragen zu können, auch Weitläufigkeit. Der Augsburger Gesandte etwa fand Mitte November 1768 das Offenbleiben so vieler Protokolle bedenklich. Dadurch därffen wir mit dieser Materie wohl biß auf das neue Jahr beschäfftiget werden.519 Das Verfahren zog sich also durch das Offenhalten des Protokolls in die Länge. Dies war jedoch unvermeidbar, um – so die wohl eigent­liche Funk­tion – weiterführende Instruk­tionen von den Landes- bzw. Stadtherren einholen zu können. Die dargelegte Auseinandersetzung zeigt überdies auf, dass auch Falcke wusste, mit dem Vorwurf der Weitläufigkeit seine Interessen nicht nur zu wahren, sondern zugleich offensiv zu verteidigen. Ansonsten aber war es vor allem Falcke selbst, dem mehrmahls vorgeworfen wurde, an dem so langen Verzug des Visita­tions-­Geschäffts alleine Schuld zu tragen.520 Nur einmal ist überliefert, dass er sich ad Protocollum ganz kurz äußerte.521 Warum jedoch war Falcke ansonsten darum bemüht, in seinen Voten die Gegenstände sehr ausführ­lich oder eben weitläufig zu erörtern? Zu kurz greift es, hier ledig­lich an die politische ‚Großwetterlage‘ zu denken,522 als ob der eng­lische König Georg III. durch das weitläufige Agieren seines Visitators das Visita­tionsverfahren und mit ihm die Reichspolitik der Kaiserhofes torpedieren wollte.523 Diese rein politikgeschicht­ liche Deutung trifft nur bedingt zu. Denn wie aus einem Schreiben hervorgeht, 524 war es gerade der eng­lische König, der die Visita­tion unterstütze, indem er sich der breit angelegten Suche der Visita­tionsobrigkeiten nach den ‚wahren‘

5 17 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 18. April 1772. 518 In Anlehnung an Ullmann, Geschichte auf der langen Bank (2006). 519 StadtAA RKG 33, Rela­tion 30 vom 12. Nov. 1768. 520 StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771. 521 StadtAA RKG 33, Rela­tion 41 vom 21. Juli 1769. 522 Siehe B.2. 523 Aretin, Kaiser Joseph II. (1991), S. 130. In ­diesem Sinne spricht auch Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763 – 1806 (2005), S. 285 von der „destruktive[n] Reichs­ politik Georgs III.“. 524 HHStA Wien MEA RKG 381, Georg III. an Emmerich Joseph, St. James 30. Okt. 1770.

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Gründen für die Weitläufigkeit anschloss. Zudem setzte sich der eng­lische König für seinen zwar umstrittenen, aber arbeitsamen Visitator ein. Falcke wiederum, der wie alle anderen durchaus autonom handeln konnte,525 bedient mit seiner Arbeitsweise eine in der Zeit durchaus geachtete und durch das bürger­liche Fleißideal womög­lich beflügelte Arbeitsmaxime. Der kursäch­sische Visitator etwa warnte zu Visita­tionsbeginn eindring­lich davor, den Gebrechen des RKG nicht auf den Grund zu gehen. Denn wenn man geschwind genug, aber weder gründ­lich noch hinläng­lich und zweckmässig gearbeitet habe, würde man sich der schwärsten Verantwortung blosstellen.526 In ­diesem Sinne sprach auch ­Falcke noch im fünften Visita­tionsjahr davon, dass er sich dagegen verwahre, zu voreilig zu arbeiten.527 Wie sehr Falcke nach Gründ­lichkeit strebte und (Über-)Eile ablehnte, lässt sich erahnen, wenn man bedenkt, dass er sogar die Korrup­tionsvorwürfe, die manchem RKG-Fall anhing, mit der zu eiligen Aburtheilung, also der zu eiligen Entscheidungsfindung, begründete.528 Mit der Begriffsverwendung von 'eilig' bzw. 'voreilig' oder 'überleilt' fanden indes Wörter Benutzung, die ihrerseits dazu dienten, die Nicht-Gründlichkeit zu diskreditieren. Sie lassen sich auch als gründ­lichkeitsorientierte Gegenbegriffe zur Weitläufigkeit begreifen, da nur beund durchdachtes, sorgfältiges und gründ­liches Handeln es ermög­licht, wenig durchdachtes, zu voreiliges oder übereiltes Handeln zu vermeiden. Feststellen lässt sich ferner, wie sehr alle Visitatoren ihr Handeln vor den anderen Visitatoren, vor ihrer Obrigkeit, vor Kaiser und Reich, aber auch vor sich selbst legitimieren mussten. Letzteres kann zumindest vermutet werden, wenn man die gegenüber der Obrigkeit erwähnte nächt­liche ‚Arbeitsschicht‘ Falckes auch dahingehend deutet, dass er in der Stille der Nacht für sich arbeiten wollte. Woher aber diese oder jene Arbeitseinstellung der Visitatoren stammte, lässt sich auf Grundlage der hier im Zentrum stehenden Quellen nur schwer­lich sagen. Festhalten lässt sich jedoch, dass mit Gründ­lichkeit und Schnelligkeit bzw. Vermeidung von Weitläufigkeit zwei Arbeitskonzepte vorliegen, die sich bei einem einzigen Arbeitsgegenstand zwar schwer­lich, bei mehreren jedoch und damit auch bei einer Person durchaus vereinen ließen. Bei Falcke hingegen scheint es allerdings tatsäch­lich so zu sein, als ob sein ganzes Tun nach Gründ­lichkeit oder eben – im Sinne der Kritiker – nach weitläufiger Über-­Gründ­lichkeit strebte. 525 Siehe hierzu u. a. B.2. und C. 526 SD Kurtrier, 17. Session vom 1. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. 527 StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771. 528 StadtAA RKG 33, Rela­tion 82 vom 28. März 1772, Lit. A (Auszug Votum Bremense), § 267c.

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Damit trieb Falcke – ob gewollt oder ungewollt – jene Weitläufigkeit voran, die das gesamte Visita­tionsverfahren diskreditierte. Weitläufigkeit näm­lich, das Schlüsselwort der Visita­tionsakten, aber auch – wie dargelegt – anderer Quellen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, widersprach dem nach Ra­tionalität strebenden Reformcredo der Zeit. Überdies kann Folgendes deutlich gemacht werden: Weitläufigkeit und Gründ­lichkeit sind beides Worte, die einen starken Zeitbezug aufweisen. Während es bei Ersterem zu viel Zeit ist, die für eine Sache beansprucht wurde, ist es bei Zweiterem das richtige Zeit- und Arbeitsmaß, das zur Anwendung kam. Weitläufigkeit und Gründ­lichkeit lassen sich damit als jene ‚Sattelzeitbegriffe‘ begreifen, die den beschleunigten Erfahrungswandel zum Ausdruck brachten, indem sie „die geschicht­liche Zeit“ oder auch einfach nur die Zeit „selber artikulieren“.529 Diese „Verzeit­lichung“ der Begriffswelt 530 ermög­lichte es, einen Sprachtopos zu bilden, der all jene Dinge diskreditierte oder auch verteidigte, die nicht nur dem Reformcredo der Zeit, sondern auch und wohl in erster Linie dem Zeitempfinden der Zeit widersprachen.

529 Koselleck, Einleitung Geschicht­liche Grundbegriffe (1972), S. XVII. 530 Ebd., S. XVI.

B. Reformräume

In Relativierung (radikal-)konstruktivistischer Raumvorstellungen 1 kann der Raum als eine sozial konstruierte Kopfgeburt verstanden werden, 2 die immer auch eine phy­sisch-­materielle Komponente aufweist.3 Beide Raumarten, der natür­lich gegebene und der sozial konstruierte Raum, ermög­lichen es zunächst [B.1.], die Stadt Wetzlar zu betrachten. Sie ist nicht nur in den Blick zu nehmen, weil sich die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren vermehrt mit Räumen auseinandergesetzt hat. 4 Weit wichtiger ist, dass poli­ tisches Handeln in der Vormoderne immer auch und vor allem „auf Sichtbarkeit,

1 Diese Relativierung geschieht in Anlehnung an Dipper/Lutz, „Raum“ in der europä­ ischen Geschichte (2011), S. 39 f. Im Sinne eines „pragmatischen Umgang[s]“ mit Raumkonzepten jeg­licher Art empfehlen sie „die Kosellecksche Skala, die vom natür­lichen über den gemachten zum vorgestellten Raum reicht und damit der Vielfalt der Wirk­lichkeit am nächsten kommt“. Siehe hierzu Koselleck, Zeitschichten (2000), S. 82 – 84. Eine ­solche Aussage ist in Abgrenzung zu jenen Forschern zu verstehen, die in erster Linie „das s­ oziale Gemacht-­sein von Räumen“ betonen [Döring/Thielmann, Spatial Turn (2008), S. 25] und damit den Raum „als rela­tionales und prozessuales Phänomen“ bzw. – in Anlehnung an Martina Löw – „als eine ‚rela­tionale (An)ordnung sozialer Güter und Menschen […]‘ [begreifen]. Er wird durch die Posi­tionierung und Platzierung von Körpern bzw. Gütern bestimmt, konstituiert sich aber recht eigent­lich erst durch Syntheseleistung menschlicher Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse“ [Schwerhoff, Ver-­Ortung überlokaler Kommunika­tionsräume (2005), S. 373]. Räume wären demnach ausschließ­lich sozial oder auch kulturell, technisch, medial konstruiert [Sandl, Geschichtswissenschaft (2009), S. 161 f.]. 2 Materiell existent sind „nur die einzelnen, zum Raum synthetisierten Elemente, also Dinge, Menschen, Orte, das Syntheseprodukt ‚Raum‘ ist eine Kopfgeburt“ [Gotthard, In der Ferne (2007), S. 22]. 3 Siehe zur „vorsichtige[n] Rehabilitierung des geographischen Materialismus“ in der Soziologie (S. 26) bzw. zum wieder erwachten „geschichtswissenschaft­liche[…][n] Interesse am geographischen Materialismus“ (S. 23) Döring/Thielmann, Spatial Turn (2008). Mit dem dort (S. 26) zitierten Soziologen Markus Schroer – die zitierte Studie trägt den Titel: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a. M. 2006 – ist festzuhalten: Die „materielle Seite des Raums darf in einer soziolo­g ischen [und historischen; A. D.] Raumanalyse nicht unberücksichtigt bleiben“. Diese Forderung kann als weiteres Plädoyer für die Koselleksche Raumskala verstanden werden. 4 Zuletzt Rau, Räume (2013), Dies., Geschichte Lyons (2014) u. Pauly /Scheutz, Cities and their spaces (2014).

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körper­liche Präsenz und strenge Ritualisierung angelegt sowie topographisch eng an bestimmte Orte […] gebunden war“.5 Die „Kommunika­tion und Vergesellschaftung unter Anwesenden“6 vollzog sich also über konkrete Orte, die „zu sehen, zu hören […] [und] zu ertasten“ sind.7 Orte lassen sich dabei, ungeachtet der definitorischen Unschärfe, als kleinstmög­liche Räume begreifen, ­welche die „Erdgebundenheit des Handelns“ sichtbar machen.8 Über ­solche erdgebundene „Fixpunkte der leib­lichen Existenz“9 bzw. – so der Titel eines einschlägigen Sammelbandes – „Erfahrungs- und Handlungsräume“10 verfügte die Visita­tion im gleichen Maße. Hierunter fallen neben dem Beratungssaal sowie den Gesandtschaftsquartieren der Visitatoren nicht zuletzt jene Orte, die als Zentralorte einer jeden Stadt (Kirche, Markt, Wirtshäuser) auch den Gang der Visita­tion beeinflussten. Alleine die Stadt Wetzlar mit ihren verschiedensten visita­tionsrelevanten Orten in den Blick zu nehmen und damit ein „mikrolo­g isch orientiertes Raumkonzept“11 zu bedienen, reicht jedoch nicht aus. Das in der Folge abgedruckte Schema deutet vielmehr an, dass es vier strukturell miteinander verwobene Reformsphären gab, die an jeweils eigene Orte gebunden waren und auf sehr unterschied­liche Weise den Gang der Visita­tion beeinflussten. Mit Reformsphären gemeint sind jene erdgebundenen Räume, die sich durch das Handeln von Personen einschließ­lich deren ortsübergreifenden Produk­tion, 5 Schwerhoff, Ver-­Ortung überlokaler Kommunika­tionsräume (2005), S. 368. 6 Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden (2008). 7 Schlögl, Raum als „Universalmedium“ (2004), S. 4. 8 Löw, Vor Ort – im Raum (2005), S. 447. Aufbauend auf diesen Beitrag hält Schwerhoff, Ver-­Ortung überlokaler Kommunika­tionsräume (2005), S. 371 fest: Es gibt „bislang keine allgemein anerkannte Defini­tion des ‚Ortes‘ im Verhältnis zum ‚Raum‘“. Dürr, Kirchenräume (2006), S. 16 verdeut­licht allerdings, dass Löw mit Orten „einen konkret benennbaren, meist geographisch markierten Platz [bezeichnet]. Orte werden durch die Platzierung bestimmter Gegenstände oder von Menschen zu Räumen und damit in bestimmter Weise kennt­lich gemacht. Sie verschwinden aber nicht mit den Dingen oder Menschen, sondern stehen dann unter Umständen für andere Besetzungen zur Verfügung. So diente der Kirchhof in der Frühen Neuzeit zwar in erster Linie als Begräbnisort und als Ausgangspunkt von Prozessionen, er war aber auch der Ort für Gemeindeversammlungen oder Gerichtsverhandlungen“. In ­diesem Sinne heißt es auch bei Rau/Schwerhoff, Öffent­liche Räume (2004), S. 23: „Die Konstitu­tion von Raum bringt systematisch Orte hervor, so wie Orte die Entstehung von Raum erst mög­lich machen. Der Ort ist somit Ziel und Resultat der Platzierung“. 9 Löw, Vor Ort – im Raum (2005), S. 446. 10 Dürr/Schwerhoff, ­Kirchen, Märkte und Tavernen (2005). 11 Schlögl, Raum als „Universalmedium“ (2004), S. 2.

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Distribu­tion und Rezep­tion von Hand- und Druckschriften sowie durch die verräum­lichte Konkretisierung bzw. Inszenierung verfassungs- und rechtspolitischer Strukturen in Wetzlar (Visita­tion/RKG), auf territorialer (Landesherr/ Zentralbehörden) bzw. reichsstädtischer (Magistrat/Behörden) und reichischer Ebene (Kaiser/Reichstag) konstituierten. Die von Wetzlar aus gesehen zweite und dritte Reformsphäre, Territorien und Reich – sie lassen sich mit Schlögl auch als virtuelle Herrschaftsräume begreifen 12 –, fanden ihre Erdgebundenheit insbesondere in Regensburg auf dem Reichstag oder in Wien beim Kaiserhof. Aber auch die anderen Höfe und Städte, die als politische Zentren der jeweiligen territorialen Gewalten fungierten, trugen zur erweiterten Verräum­lichung der Visita­tion bei. London etwa war deshalb ein visita­tionsrelevanter Ort, weil hier (bzw. im könig­lichen Residenzort St. James) der eng­lische König, der zugleich Kurfürst von Braunschweig-­Lüneburg war, als visita­tionsberechtigter Reichsstand residierte. Zu fragen ist also hier [B.2.] und an anderer Stelle, 13 wie sehr diese Fixpunkte der leib­lichen Existenz, die jenseits von Wetzlar bestanden, das Verfahren vor Ort beeinflussten. Von besonderem Interesse ist dabei, dass zwar einerseits die Visita­tion in Wetzlar vielfach einem Primat der Anwesenheitsgesellschaft folgte. Andererseits bestand eine strukturelle Koppelung mit Orten und Räumen, die in erster Linie über Schriftstücke bzw. – konkreter – über das schreibende Handeln der Herrscher, der herrschenden Amtselite und der an der Medienöffent­lichkeit partizipierenden Akteure auf den ‚Mikro­kosmos‘ Visita­tion einwirkten. Beide Ebenen, die – dies gilt es zu hinterfragen – münd­lichzentrierte Wetzlarer Reformgemeinschaft und die um d­ ieses Reformzentrum gelegenen, schriftzentrierten Reformsphären, sollen im Folgenden einführend vorgestellt werden, um darauf aufbauend an anderer Stelle dem Verhältnis von schrift­lichen und münd­lichen Verfahrens­ elementen nachgehen zu können.14 Dass „Handeln häufig – vielleicht sogar stets – Räume unterschied­licher Reichweite produziert“,15 belegt schließ­lich auch die durch die Printmedien konstituierte Medienöffent­lichkeit [B.3.]. Sie lässt sich als Reformraum sui generis begreifen, weil einerseits anläss­lich der Visita­tion eine Vielzahl an Druckschriften erschienen sind, die sich der Geschichte, Funk­tion und Einrichtung der RKG-Visita­tionen, aber auch dem Verlauf der laufenden Visita­tion und der Reform des RKG widmeten. Andererseits wirkte die druckbasierte 12 Ebd., S. 9. 13 Siehe Kapitel D. 14 Ebd. 15 Löw, Vor Ort – im Raum (2005), S. 446.

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Inszenierung der Visita­tion vielfach auf das Reformzentrum Wetzlar ein, etwa durch die Herausgabe einer visita­tionseigenen Zeitschrift [B.3.2.], aber auch auf die territoriale Reformebene durch die Führung publizistischer Kontroversen [B.3.1.]. Die Medienöffent­lichkeit hatte dabei, wie die anderen Reformsphären, ihre konkreten, phy­sisch-­materiell greifbaren Orte des Schreibens, Druckens und Lesens. Über diese Orte und Taten – gemeint ist das Schreiben und Lesen der Druckschriften, aber auch deren (nutzungsorientierte) Verwahrung in Archiven oder in privaten Sammlungen – entstand ein überregionaler Kommunika­tionsraum, der nachhaltig das Bild über die RKG-Visita­tionen geprägt hat. Zusammengenommen sind also all jene materiell angereicherten Raumkonstrukte zu thematisieren, die das Handeln der Visitatoren zwar nicht determinierten, aber doch zumindest räum­lich und damit auch zeit­lich fundierten.16 Vier Reformsphären sui generis

Medienöffentlichkeit Reich

Kaiser

Reichstage

Territorien Visitationshöfe/-städte Wetzlar Plenum des RKG

Einzelne Kameralgruppen/ -personen

Gesamtcorpus der Visitation 24 Subdelegationen/ Ksl. Kommission

16 Damit angesprochen ist der unauflös­liche Zusammenhang von Raum und Zeit. Siehe hierzu Rau, Räume (2013), S. 66.

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B.1. Reformzentrum Wetzlar Über Wien und resp. Wezlar Ein Klumpen häußer u. Palläste, viel Ungeziefer, voller Gäste, Ein Mischmasch aller Na­tionen, die in Ost, West, Norden wohnen, Gestanck und Koth in allen Gaßen, viel Weiber, die den Ehstand haßen. Viel Männer, die mit andren theilen Sehr wenig jungfern, lauter fräulein betrug und list in allen Bunden, getauffte und beschnittne Juden, viel ­Kirchen, allzeit voller Sünder, viel Schencken, und darin viel Schinder, viel Klöster voller Pharisäer, viel Händel u. viel Rechtsverdreher, viel Richter, die das Recht verkauffen, viel feste celebrirt mit Sauffen, viel Stuzer und geborgte Kleider, viel Sauffen, Spielen, Beutelschneider, Laquaien, Pagen, Pferde, Wagen viel Reuthen, Fahren, Gehen, Tragen, Viel dringen, stoßen, zerren, ziehen, das ist das Quodlibet von Wien, man seh auf Wezler keck zurücke so findet man auch ­gleiche tücke!

Bei diesen Zeilen handelt es sich um ein zeitgenös­sisches Gedicht über die beiden höchsten Gerichtsstädte des Reiches. Wohl über 200 Jahre völlig unbemerkt steht es in dem Werk Zur Geschichte von Dinkelsbühl, Dürrwangen und Mönchsroth aus dem Jahr 1783 [Fürst­lich Oettingen-­Wallersteinsche Archiv Harburg. Bibliothek II, 2,80,2]. Der Autor des Geschichtswerkes, Johann ­Christian Keßler, war vermut­lich nicht der Dichter, sondern der Abschreiber, der das Gedicht nach vielen Freiseiten auf der vorletzten Seite seines Werkes ‚verewigte‘. Teresa Massinger, die im Rahmen ihrer Promo­tionsarbeit auf ­dieses Gedicht gestoßen ist,17 gebührt der Dank für d ­ ieses stimmungsvolle, gleichwohl stereotype Panorama!

17 Jemand muß doch die Landes-­Hoheit … haben. Herrschaftskonflikte im Altlandkreis Dinkelsbühl (Zugleich ein Beitrag zum Historischen Atlas von Bayern), Diss. phil. ­Eichstätt 2014.

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B.1.1 Die Ordnung des städtischen Raumes: Die Policey- und Taxordnung von 1767 Die Reichsstadt Wetzlar ist als zentraler Handlungsraum der Visita­tion zu begreifen, weil hier die Visitatoren und die zu visitierenden Kameralen arbeiteten und lebten. Die Bedeutung des gesamten urbanen Raumes für die Visita­tion belegt allen voran die anläss­lich der Visita­tion formulierte bzw. adaptierte 18 Policey- und Taxordnung. In der Tradi­tion der frühneuzeit­lichen Policeygesetzgebung stehend und ganz dem Vorbild der könig­lichen/kaiser­lichen Wahltage entsprechend, wurde wenige Wochen nach der Visita­tionseröffnung eine Ordnung von Reichs-­ Erz-­Marschall-­Amts wegen am 24. Juli 1767 auf dem Rathaus unter Trompetenund Paukenschall publicirt und [...] von der großen Rathsstube herab verlesen.19 Sinn und Zweck dieser Ordnung war es zum einen, den Rang und die damit verbundenen Rechte des Kurfürsten von Sachsen als Reichserzmarschall bzw. seiner Stellvertretung, die kursäch­sische Subdelega­tion, mit der Verkündigung und Verbreitung einer visita­tionseigenen Ordnung sicht- und hörbar im städtischen Mikroraum Wetzlar, aber auch im gesamten Reich zu behaupten;20 es wurde ganz im Sinne der guten Policey die „Zuständigkeit und Handlungsfähigkeit“ demonstriert.21 Zum anderen hatte die Ordnung einen instrumentellen Zweck, indem – so die Einschätzung für den kaiser­lichen Wahltag von 1790 – jeder grosse Zusammenfluß von Fremden es notwendig macht, auf die Erhaltung der öffent­lichen Ordnung und Sicherheit vorzüg­liche Aufmerksamkeit zu richten.22 18 Der Wetzlarer Ordnung lag jene Policeyordnungen zugrunde, die anläss­lich der könig­ lichen/kaiser­lichen Wahltage entstanden. Die nahe liegende Adap­tion – beide Ordnungen ergingen von Reichs-­Erz-­Marschall-­Amts wegen – wird deut­lich, wenn man exem­plarisch das Inhaltsverzeichnis der Ordnung von 1711 (Wahl Karls VI.) heranzieht. Viele der hier geführten Artikelüberschriften – siehe Moser, Teutsches Staatsrecht 2 (1738), S. 370 – finden sich auch in der Wetzlarer Ordnung wieder. Überdies sind die empfehlenden Worte der Kaiser­lichen Kommission überliefert, die Wetzlarer Ordnung nach den Mustern und Verordnungen bey denen drey letzteren Kayser Wahlen in Bereitschaft zu halten [HHStA Wien RK RKG VA 205, Diarium 2. Mai 1767, § 6]. 19 WA 2. Stück vom 29. Juli 1767, S. 16. 20 Auf die reichsweite Rezep­tion verweist nicht zuletzt die Tatsache, dass die Wetzlarer Policey- und Taxordnung Eingang fand in territoriale und reichsstädtische Archive. Den folgenden Ausführungen liegt ein Druckexemplar des Stadtarchivs Augsburg [Signatur: RKG 40] zugrunde. 21 Härter, Polizei (2009), Sp. 177. 22 So Reuss, Teutsche Staatscanzley (1794), S. 267 f. über die Reichsmarschallamt­liche Policey- und Taxordnung, die im Jahr 1790 anläss­lich der Wahl Kaiser Leopolds II. abgefasst wurde.

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Aus diesen Gründen entwarf man auch in Wetzlar insgesamt 19 Artikel, die von allgemeinen Verhaltensregeln (Artikel I und II ) über das Verbot aller Hazardund betrieg­liche[n] Spiele (Artikel XII) bis zu Bestimmungen über die Reinheit und Ordnung in den Häusern und Gassen (Artikel XIX) all dasjenige regelten, wornach [man] sich allhier zu Wetzlar bey Anwesenheit derer Kayser­lichen Commissarien und Reichs-­Deputirten verhalten sollte (Titelblatt). Alle waren nach Artikel I dazu aufgerufen, sich fried­lich und bescheiden zu halten. Artikel II legte fest, dass jeder ruhig seines Weges gehen solle, und zwar im Sommer bis spätestens 11 Uhr und im Winter bis spätestens 10 Uhr. Diese und weitere Bestimmungen sind typisch für damalige Policeyordnungen. Sie hatten das Ziel, „das fried­liche und geordnete Zusammenleben in einer Gemeinschaft“ zu regeln, indem man versuchte, „störenden Verhaltensweisen mit Vorschriften und Verboten mög­lichst“ zuvorzukommen.23 Besonders ordnungsbedürftig waren dabei weniger die Wetzlarer Stadtbewohner als vielmehr alle Fremde, die zu Besuch in Wetzlar verweilten (Artikel I und IX). Besonders geregelt war ferner jener Ort, der als multifunk­tionaler 24 Zentral­ ort einer jeden Stadt begriffen werden kann: Das Wirtshaus bzw. – so die Unterscheidung der Policeyordnung – jedwedes Wirtshaus oder Gasthof (Artikel XV). ‚Das‘ – in dieser Pauschale nie existierende – ‚Gast-‘ oder ‚Wirtshaus‘25 war für ‚die‘ Macher der Policey- und Taxordnung 26 in zweierlei Hinsicht zu ordnen: Zum einen galt es, im öffent­lichen Raum ‚ohne Dach‘ (der gesamte Stadtraum) wie auch im öffent­lichen Raum ‚mit Dach‘ (‚das‘ Gast-/Wirtshaus)27 das fried­liche 23 Iseli, Gute Policey (2009), S. 70. 24 Ebd., S. 81. 25 Zu denken ist an jene sehr dynamischen, sich in der Frühen Neuzeit stetig wandelnden „Typen kommerzieller Gast­lichkeit, deren Spektrum von der großen Herberge für Fernreisende bis zu den manchmal im Nebenerwerb betriebenen Bier- und Weinschenken, von den großen Krügen und Kretschamen auf dem Land bis zu illegalen Winkelherbergen reichen konnte“ [Rau/Schwerhoff, Gasthaus-­Geschichte(n) (2002), S. 181 f.] 26 Auch hier zu differenzieren. Aus dem Vorwort der Ordnung gehen insgesamt vier Akteursgruppen hervor (die auch bei den Wahltagen anzutreffen sind; siehe Reuss, Teutsche Staatscanzley (1794), S. 268): Kaiser­liche Kommission, Kursäch­sische Subdelega­ tion mit Zuziehung des Reichs-­Erb-­Marschal­lischen Officialis, RKG und Magistrat der Reichsstadt. Die Mitwirkung des Reichs-­Erb-­Marschal­lischen Officialis an der Ordnung bedingt der funk­tionale Zusammenhang z­ wischen Erzämter und Erbämter. Letztere waren allgemein zuständig für die „alltäg­liche Ausübung der klass[ischen] Hofämter eines Truchsessen […], Marschalls, Kämmerers u. Mundschenks“ [Erkens, Erzämter (2008), Sp. 1420]. 27 Fortan wird diese Unterscheidung, wie sie bei Iseli, Gute Policey (2009), S. 80 zu finden ist, gebraucht.

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Miteinander zu wahren, indem es sowohl den Gästen als auch den Wirten verboten war, sich in Worten oder Werken [zu] beleidigen. Den Gästen war es zudem untersagt, ohne Bezahlung oder entsprechenden Ausgleich Futter, Heu, Stroh, Holz, Licht oder dergleichen einzufordern oder mitzunehmen (Artikel X). Bei Irrungen oder Streit z­ wischen den Wirten und ihren Gästen sollte der Reichs-­ Erb-­Marschal­lische Officialis unter Zuziehung der Ratsdeputierten als Schlichtungsinstanz fungieren (Artikel XI). Zum anderen wurde, um etwaigem Streit vorzubeugen, festgelegt, wie viel die Mahlzeiten in den Wirtshäusern (Artikel XV) als auch die Unterkünfte (Artikel XVI) kosten durften. Aufschlussreich ist dabei nicht nur, was es an ­Essbarem für die Pauschale von 30 Kreuzern geben sollte – eine Mahlzeit sollte drei Fleischgerichte, Suppe, Gemüse, Käse und Obst umfassen –, sondern auch, zu welcher Tageszeit es Essen gab. Die Ordnung unterscheidet ­zwischen Morgen-­ Suppen und Frühstücken, auch Nacht- und Schlaf-­Trinken. Diese Unterscheidung deckt sich mit dem allgemeinen Forschungsbefund, nach dem „die Anzahl und die Zeiten der täg­lichen Mahlzeiten [zwar] regional und schichtenspezifisch“ variieren konnten, aber insgesamt „dem in den Städten gebräuch­lichen Zeitrhythmus folgten“.28 Für die Visita­tion sind die zahlreichen Wetzlarer Gast- und Wirtshäuser 29 von Interesse, weil sie mehr oder weniger häufig genutzte ‚Alltagsräume‘ der Visita­tionsangehörigen waren. Dazu trug nicht nur bei, dass diese Orte ‚per se‘ multifunk­tional angelegt waren, indem darin gegessen, getrunken, geschlafen, gespielt und ‚geschwätzt‘ wurde.30 An diesen Orten wohnten und spielten vielmehr überliefertermaßen die Visitatoren 31 oder kamen bekanntermaßen der Rechtspraktikant Goethe und einige Visita­tionssekretäre zusammen, um ein geselliges Zusammensein zu pflegen.32 Darüber hinaus fand in einem Gasthaus – dem Goldenen Löwen – zumindest einmal eine offizielle Befragung der Visita­tion statt.33

28 Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit (2006), S. 129. 29 Siehe hierzu, zumindest für das Jahr 1810, die Übersicht bei Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 3 (1810), S. 129 f. 30 Mit Iseli, Gute Policey (2009), S. 81 und der hier zu Grunde liegenden Forschung lässt sich das Wirtshaus als ein sozialer Raum begreifen, der zur Unterhaltung, „aber auch als Kontakt- und Nachrichtenbörse genutzt“ wurde. 31 Siehe A.2. und das Verzeichnis der Gesandtschaftsquartiere Anhang Punkt 3.2. 32 Siehe A.2.2. 33 Im Goldenen Löwen wurde am 24. Dez. 1770 der erkrankte Mainzer Hofgerichtsrat Emden examiniert [BayHStA KS 5795, fol. 294].

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Die Relevanz der Wirtshäuser/Gasthäuser für die Visita­tion ist ferner damit gegeben, dass die Policey- und Taxordnung neben den Kosten für die Unterkünfte (Artikel XVI) bestimmt hat, wie viel die Visitatoren und das dazugehörige Personal für ihre Unterkunft bezahlen sollten (XVII).34 ‚Schichtspezifisch‘ wurde für die Angehörigen der Visita­tion festgelegt, dass deren Zimmer samt Tisch, Stühlen, Bänken, Bettladen, Spiegel und Vorhängen pro Quartal mindestens 8 fl. (fünfte Klasse) und höchstens 45 fl. (erste Klasse) kosten dürfe. Selbst die Betten mit zarten Leilacken (5 fl.), die Mittelbett[en] (4 fl.) und Dienerbetten (3 fl.) fanden ihre preis­liche sowie ‚schichtspezifische‘ Bestimmung. Darüber hinaus fanden Küche, Küchengerät, Geschirr, Keller, Holzschopfen, Speicher, aber auch Pferdestallungen, Scheuren und Kutschenschopfen Eingang in besagten Artikel. Solche Angaben verdeut­lichten, dass die Policey- und Taxordnung als eine wichtige normative Quelle zu begreifen ist, die es erlaubt, ‚genormte‘ Einblicke in das Alltäg­liche der Visitatoren zu nehmen. Um es banal zu formulieren: Auch das Visita­tionspersonal musste wohnen, schlafen und essen. Und damit Letzteres, das Essen bzw. die Lebensmittelversorgung, keinen Unfrieden stiftete, wurde auch hier Vorsorge getroffen, indem der Vorkauf verboten (Artikel XIII) und alle auf dem Markt angebotenen Waren den vorhandenen und noch zu erlassenden Marktund Spezialordnungen unterworfen wurden (Artikel XIV). Der mit der Policey- und Taxordnung gewonnene Blick auf das Alltäg­liche sagt natür­lich noch recht wenig darüber aus, wie sich ‚tatsäch­lich‘ das ‚wirk­liche‘ Alltagsleben in Wetzlar gestaltete. Mit dem Augsburger Visitator Stallauer muss ohnehin vermutet werden, dass die Ordnung nur bedingt umgesetzt wurde.35 Und tatsäch­lich galt die Stadt Wetzlar, zumindest in punkto Preisregulierung, auch nach dem Erlass der Ordnung als zu überteuert. Nicht nur Stallauer beklagte sich darüber, dass selbst die Lufft be- und überzahlet werden muß.36 Die Lebensmittel­ versorgung gestaltete sich gleichfalls weitaus schwieriger, als es die Ordnung vorsah. So beklagte sich der Augsburger Visitator im Juli 1770 darüber, dass aufgrund des Wetters und der dadurch bedingten Teuerung kaum mehr Brot zu bekommen sei. Es sei sogar eine allgemeine Hungers-­Noth zu befürchten, da in einem nahe gelegenen Dorf ein junges Mädchen aus Hunger gestorben ist.37 Die Lage spitzte sich dann auch tatsäch­lich soweit zu, dass im Oktober 1770 eine Expertenkommission 34 Wobei anzumerken ist, dass letztgenannter Artikel sich wohl weniger auf die Gast-/ Wirtshäuser im oben genannten Sinne bezieht, als vielmehr auf alle (mehr oder weniger) unbewirteten Unterkünfte. 35 StadtAA RKG 33, Rela­tion 8 vom 7. Aug. 1767. 36 StadtAA RKG 34, Stallauer an Rat 18. Mai 1771. 37 StadtAA RKG 33, Rela­tion 56 vom 22. Juli. 1770.

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zusammentrat, um das imer höher ansteigen wollende[...] Übel zu bewältigen.38 Selbst im Visita­tionsplenum wurde im Angesicht einer Krise, die im „Jahrhundert des Hungers“39 zur „größten Hungersnot des 18. Jh. s.“ führte,40 über den Getreyd Mangel und von daher entstandene Theuerung 41 beraten. B.1.2 Die Gesandtschaftsquartiere Weitaus schwieriger als erhofft und von der Policey- und Taxordnung nicht erwähnt, gestaltete sich für die Visitatoren die Suche nach geeigneten Gesandtschaftsquatieren. Davon abgesehen, dass die Ordnung im Juli 1767 erging und somit erst, als die Quartierssuche bereits beendet war: Die Unterbringung von rund 170 Visita­ tionsangehörigen 42 zuzüg­lich deren Familienangehörigen und des dienenden Personals in einer Stadt, die ohnehin als zu klein galt, stieß auf nicht unerheb­liche Probleme. Bereits am 28. Februar 1768 sprach der kurbraunschwei­gische Visitator Falcke davon, dass es Zeit sei, sich eines Quartiers zu versichern.43 Wenige Tage ­später hieß es nur noch, dass es eine rechte Noth sey, ein gut Quartier zu bekomen.44 Die Wichtigkeit eines guten Quartiers war gegeben, da diese Räum­lichkeiten weit mehr waren als ledig­lich private Orte des Wohnens und Schlafens. Ausgehend von der Feststellung, dass „Wohnen während der frühen Neuzeit […] stets Ausweis der ständischen Posi­tion und der sozialen Lage“ war,45 sind auch die Unterkünfte der Visitatoren vor allem als Orte der Ranginszenierung zu begreifen. Neben Lage, Hausfassade und Unterkunftsgröße – diese Faktoren lassen sich empirisch schwer­lich fassen, geschweige denn gewichten – war es in erster Linie das Rauminnere, welches dem jeweiligen Rang Ausdruck verlieh. Dies galt insbesondere dann, wenn Gäste ‚im Hause‘ waren und damit die privaten Räum­lichkeiten zu 38 StadtAA RKG 33, Rela­tion 60 vom 13. Okt. 1770. Der Expertenkommission bestand aus der kaiser­lichen Kommission, einem Vertreter des Reichserzmarschalls, zwei Assessoren sowie Mitgliedern des städtischen Rates. 39 Montanari, Kulturgeschichte der Ernährung (1993), S. 155 – 182. 4 0 Reith, Umweltgeschichte (2011), S. 11 (Zitat) u. S. 66 f. Zu den diesbezüg­lichen Geschehnissen auf dem Reichstag und in Regensburg Rohr, Reichstag (1968), S. 189 – 192. 41 So lautet der Eintrag im Index ohne Angabe der Sitzung oder des Datums [HHStA Wien MEA RKG 378]. Stallauer spricht davon, dass die Visita­tion in der 464. Session über die Hungersnot beriet [StadtAA RKG 33, Rela­tion 60 vom 13. Okt. 1770]. 42 Zum Personalbestand siehe Kapitel C. 43 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 28. Feb. 1767. 4 4 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 4. März 1767. 45 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 335.

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‚quasi-­öffent­lichen‘ Orten wurden. Gäste in den Unterkünften zu haben war dabei keine Seltenheit, sondern im Gegenteil ein wesent­licher Bestandteil des Lebensund Arbeitsalltags. Dies belegen die zahlreichen und sehr unterschied­lichen Anlässe, die zu einer Begegnung in den Unterkünften führten. So waren die Quartiere Orte der ‚standesgemäßen‘ Mahlzeiten. Falcke etwa berichtete am 10. März 1772, dass er und weitere Visita­tionsangehörige beider Konfessionen vom kaiser­lichen Kommissar Erthal zum Mittagsmahl eingeladen wurden. Der bremische Visitator musste jedoch ablehnen, weil er, ebenso wie der kursäch­sische Visitator und andere Assessoren, schon vorher dem C. G. Assess. Frh. v. Harpprecht zugesaget hatte.46 Die Unterkünfte der Visitatoren und kaiser­ lichen Kommissare waren also ebenso wie die Quartiere der Kameralen Orte der gemeinsamen Mahlzeiten, die zur Mittags- und – dies wird noch deut­lich werden – Abendzeit sowohl gruppenintern (Visitatoren und Kamerale unter sich) als auch gruppenübergreifend abgehalten wurden. Wie sehr das gemeinsame Speisen in den eigenen vier Wänden Ausdruck des eigenen Ranges war, verdeut­licht Stallauer. Im Angesicht drohender Diätenkürzungen sprach er offen aus, dass ein reichsstädtischer Gesandter von den fürst­lichen Gesandten wenig geachtet und von den Kameralen gahr verachtet werde. Aus ­diesem Grund müsse er fast jede Gelegenheit ergreifen, sich und seinen Rang zu inszenieren, weshalb er jedes Jahr bei sich 6 biß 7 mahlen einige Hhr. Subdelegatos und Camerales bewirte. Überdies musste er hierfür und aufgrund der häufigen Visiten sein Zimmer umgestalten, indem er die aus Holz und Laim aufgeführte Wände mit neuen Spaliers behängen, [so]dann mit Spiegel, Tisch und Sessel aus [...] eigenen Beutel versehen ließ.47 Die Visitatoren mussten in ihren, mehr oder weniger repräsentativ gestalteten, Quartieren Visita­tions- und Gerichtsangehörige zu Gast haben, um sich und folg­lich auch ihren Rang zu inszenieren. Der formal-­öffent­liche Charakter der Unterkünfte ist daneben mit den offiziellen Unterredungen gegeben, die hier stattfanden. Die kurmainzische Delega­ tion wusste zum Beispiel einen Tag vor der Eröffnung der Visita­tion zu berichten, dass die Protestanten anheute eine Conferenz unter sich gehalten haben.48 Kurz vor der Trennung der Visita­tion besprachen sich wiederum die Protestanten in einer nicht näher lokalisierten privat Zusamenkunfft, um eine Erklärung zu formulieren.49 Und auch die katho­lischen Visitatoren trafen sich in den Gesandtschaftsquartieren, um das Vorgehen im Visita­tionsplenum zu koordinieren. Im Vorfeld 4 6 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 10. März 1772. 47 StadtAA RKG 34, Stallauer an Rat 18. Mai 1771. 48 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium vom 10. Mai 1767. 49 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42, Fasz. 66, Bericht vom 28. Jan. 1776.

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einer mehrmonatigen Verfahrensunterbrechung 50 etwa haben sich die Visitatoren von Kurmainz, Kurtrier, Österreich und Bamberg sowie der kaiser­liche Kommissar Erthal beim Kommissar Colloredo an einem Sonntag gegen Mittag getroffen, gemeinsam gespeiset und bis nach fünf Uhr conferiret.51 Essen und teils stundenlange, konferenz­artige Gespräche konnten also Hand in Hand gehen. Dies blieb von den anderen Visitatoren nicht unbemerkt. Nach dem sonntäg­lichen Treffen vermutete Falcke in der Montagssitzung, die gerüchteweise vernommene Zusammenkunft habe zum Ziel gehabt, die von ihm intendierte Vernehmung des Kammerrichters zu verhindern. Ein Indiz hierfür war für Falcke die Erklärung, die der kurtrierische Visitator zu Protokoll gegeben hatte. Diese habe der Visitator nicht mehr in s­ einer Gewalt gehabt, sondern wurde vielmehr in der Sonntags-­Mittags-­ Conferenz bey Grav Colloredo festgelegt.52 Das gemeinsame Speisen und Konferieren in den Quartieren wurde dazu genutzt, das Vorgehen im Visita­tionsplenum zu koordinieren bzw. – so der Vorwurf Falckes – die zu Protokoll gegebenen Voten/Erklärungen gemeinschaft­lich und damit zu Lasten der Stimmfreiheit zu formulieren. Im Sinne der Aktengenese lässt sich somit festhalten, dass all dasjenige, was im Konferenzsaal der Visita­tion zur Sprache kam, einen Vorlauf haben konnte. Gerade in krisenanfälligen oder krisenhaften Phasen (Eröffnung, vorläufige Trennung Mai 1772, Trennungsjahr) fanden Vorgespräche in Form von Privat-­Konferenzen – so die zeitgenös­sische Formulierung 53 – statt. Es ist zu vermuten, dass s­ olche koordinierenden und sondierenden Gespräche auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten sowie bei den quellenmäßig nicht zu fassenden Begegnungen jenseits der Quartiere stattfanden. Die Gesandtschaftsquartiere sind somit als verräum­lichter ‚Vorbau‘ der im Visita­tionssaal geführten und protokollierten Beratungen zu begreifen. Dafür spricht auch, dass an diesen Orten die Visitatoren ihre zu Protokoll gegebenen Voten (zumeist in Eigenregie) formulierten. Da in den Quartieren zudem die an die jeweilige Obrigkeit gerichteten Berichte und Diarien abgefasst wurden, lässt sich sagen, dass ein Großteil des überlieferten Schriftguts in den Unterkünften der Visitatoren seinen Ursprung nahm. Darüber hinaus wurde in den Wohn-, Schlafund Arbeitsquartieren sämt­liches Material gelagert, das für die Abfassung besagter Schriftstücke (Voten, Berichte, Diarien) notwendig war. Neben Abschriften

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Siehe hierzu D.5.2. HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. Ebd. Zu den Hintergründen siehe D.5.2. HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767.

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oder Auszügen diverser Protokolle 54 wären zu nennen: Kopien bereits ergangener Berichte und Diarien, Abschriften von ausgehenden und Originale von eingehenden Korrespondenzen, Reskripten, Arbeitsnotizen aus dem Visita­tionssaal oder anderen Orten und nicht zuletzt die arbeitsrelevanten Druckschriften. Im Sinne des bereits angesprochenen Wissens und Nichtwissens der Zeitgenossen über die Visita­tion lässt sich sogar sagen, dass in den Quartieren (oder auch in den delega­ tionseigenen Kanzleien) das sich ständig erweiternde, ephemere Gedächtnis der Visita­tionsdelega­tionen lagerte. Dementsprechend behutsam ging man auch mit dem Ort um, wie der kurbrandenbur­gische Sekretär Ganz belegt. Als sein Vorgesetzter, der kurbrandenbur­gische Visitator Reuter, wochenlang krank im Bett lag, ließ er aus Sorge um die Gesandschafft­lichen Papiere das Arbeitszimmer versiegeln.55 Die Gesandtschaftsquartiere waren somit wohlbehütete Orte der Schriftproduk­ tion und der Schriftverwahrung. An diesen Orten wurde entweder für das Visita­ tionsplenum oder für die Obrigkeit gearbeitet, private und geschäft­liche Briefe abgefasst oder auch Gedanken über den Gang der Sessionsangelegenheiten notiert, und dies alles auf der sich ständig erweiternden Grundlage bereits vorliegender Schriftstücke. Gleichzeitig dienten die Quartiere dazu, gemeinsam zu speisen oder zu konferieren, über visita­tionsrelevante Angelegenheiten oder auch über ‚Gott und die Welt‘ zu sprechen. Letzterem, dem geselligen Zeitvertreib, dienten gleichermaßen die bereits angesprochenen Spielgesellschaften 56 sowie die ‚Assembléen‘. Bei diesen Gesellschaften handelt es sich um Treffen, die zumeist am Abend zu besonderen Anlässen wie dem Namensfest des Kaisers 57 oder anderen fest­lichen Anlässen stattfanden.58 Als Gastgeber größerer Veranstaltungen traten der Kammerrichter, die Präsidenten sowie die kaiser­lichen Kommissare in Erscheinung. So ist zu Visita­tionsbeginn von der bei den Präsidenten gewöhn­lichen Assemblées die Rede 59 oder aber im Jahr 1772 von der Assemblée, ­welche seit einigen Wochen alle Donnerstage bey dem zweyten Kayser. Comissarien gehalten wird.60 Entscheidend ist, dass bei diesen Treffen sowohl Visitatoren als auch Kameralen zusammentrafen und hier über Visita­tionsbelange, aber auch über Dinge jenseits der alltäg­lichen

54 Hierzu gehören: Visita­tions- und Examensprotokolle, Protokolle des RKG-Plenums, Senatsprotokolle. 55 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42 Fasz. 59, Bericht Ganz vom 9. Feb. 1773. 56 Siehe A.2.2. 57 Darüber wird noch ausführ­lich zu reden sein. Siehe B.1.3. 58 Eine Vergleichsperspektive für den Reichstag bietet Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 166 – 168. 59 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. 60 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 11. April 1772.

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Visita­tionsarbeit geredet wurde. So berichtet Falcke in aufschlussreicher Weise darüber, dass er sich bei einer solchen Zusammenkunft von mehr als fünfzig Personen [!] beyderley Geschlechts zunächst mit Assessor Harpprecht und dem kaiser­ lichen Kommissar Erthal über die Proberela­tion eines Kandidaten für eine Assessorenstelle unterhalten hat. Danach führte er stundenlang mit dem kaiser­lichen Kommissar Fürstenberg eine Unterredung, die u. a. um den Aufenthalt des kaiser­ lichen Kommissars am spanischen Hof und um dessen vorherige Vierzehnjährige Func­tion als kaiser­licher Hofrat kreiste.61 Abendgesellschaften von 50 Personen zu beherbergen, war dabei nur der hierar­ chischen Spitze der Reformgemeinschaft mög­lich. Der kaiser­liche Kommissar Fürstenberg etwa war in einer – s­ päter als Papius-­Palais bezeichneten – Gebäude­ anlage untergebracht, die sich für standesgemäße Abendgesellschaften oder sonstige repräsentative Akte dieser Größenordnung bestens eignete.62 Gleiches gilt für das so genannte Avemannsche Haus in Sichtweite vom Papius-­Palais, wo heute das RKG-Museum untergebracht ist. Hier wohnten von 1765 bis 1772 der RKG-­Präsident Kirchberg und anschließend der kaiser­liche Kommissar Erthal.63 In ­diesem Quartier fand einen Tag vor dem Verpflichtungsakt 64 eine große[...] Gesellschaft statt, zu der sich auch Falcke einfand.65 Oder, um ein letztes Beispiel zu bemühen, Kammerrichter Spaur. Er residierte im Arnsburger Hof 66 und veranstaltete alljähr­lich einen Maskenball, bei dem sich auch – nicht ohne Missfallen einiger Gesandte – die Sekretäre einfanden.67 Allen genannten Hof-/Hausanlagen zeichnen sich dadurch aus, dass sie genügend Platz boten, eine größere (Fest-)Gesellschaft zu empfangen. Aber auch die anderen Unterkünfte mussten, wie am Beispiel Stallauers angedeutet, mehrmals im Jahr den Ansprüchen repräsentativer Begegnungen genügen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass alle Visitatoren viel Raum benötigten, um sich, dem Rang und den Anlässen entsprechend zu inszenieren. Im Angesicht der Größe der Reichsstadt war dies kein unerheb­liches Problem.68 Selbst zu Beginn der Visita­tion, bei 61 Ebd. 62 Volk, Wohnungen der Kameralen (2001), S. 64. Zum Papius-­Palais siehe Anhang Punkt 3.3. 63 Ebd., S. 56. 6 4 15. Juli 1767. 65 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767. 66 Volk, Wohnungen der Kameralen (2001), S. 90. 67 StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 122. 68 Die Enge des städtischen Raumes lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass der „Verkehr in den engen Straßen […] schon im 17. Jahrhundert so dicht“ wurde, „das [sic] viele Bauherren ihre Haustüren und auch die Ecken ihrer Häuser mit Radabweisern versahen, die noch

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der feier­lichen Abholung der kaiser­lichen Kommissare,69 wurde angedacht, nur zweispännige Wägen zu benutzen, da in hiesger Stadt der Platz und Raum zu eng sei.70 Die Begrenztheit des städtischen Raumes macht auch verständ­lich, warum manche Kameralen ihre Wohnungen bzw. Teile der Wohnungen den Visitatoren oder den kaiser­lichen Kommissaren zur Miete überließen. So war der im Haus des RKG-Präsidenten residierende Erthal keineswegs die Ausnahme. Zu Beginn der zweiten Visita­tionsklasse etwa wohnte Visitator Schröder aus dringender Noth bey einer Cameral Person, und zwar bey dem Procuratore Bessererm, bey welchem gleichfalls der erste Chur Säch­sische Subdelegatus von Wurmb bis zu seiner Abreyse logirt gewesen ist.71 Die Raumproblematik unterstreicht schließ­lich der österreichische Visitator Hormayer. Zu Visita­tionsbeginn stellte er unumwunden fest, dass für ihn 10 Zimere mit 4 Cameren unentbehr­lich ­seien, zumal er auch jenen Platz bedürfe, so sich von selbst ausweiset, also Küchen, Speicher, gewölbter Behaltnuss, Stallung für 3 Pferde und Waagen Remisse.72 Diesen nicht unerheb­lichen Raumbedarf versuchten Hormayer und andere mit Hilfe des Reichsvizequartiermeisters zu decken. Er wurde vom Reichserbmarschall am 15. März 1767 neben dem so genannten Reichs-­Fourier berufen, um zur Besichtigung der Quartiere zu schreiten.73 Ziel war es, dem Aufgabenprofil eines jeden Reichs(vize)quartiermeisters entsprechend,74 Unterkünfte für das Visita­ tionspersonal zu sichten und anzubieten. Diese Aufgabe wurde jedoch nicht zur Zufriedenheit aller erfüllt. Insbesondere die allzuhohe Taxirung fand ihre Kritiker, so dass der Augsburger Stadtvisitator Stallauer eindring­lich bemerkte: Ich dancke auch Gott, daß mich auf den H. Reichs-­Quartier Meister nicht verlassen, sondern noch zur rechten zeit um ein quartier selbst umgesehen habe.75 Mit der in Eigenregie besorgten Wohnung – es handelt sich um ein halbes [...] verschlossenes Hauß zu 156 fl. Jahresmiete – war Stallauer recht zufrieden. Die hier abschließend zu dokumentierende Lage des reichsstädtischen Quartiers ist wegen des vorbeifließenden Flusses im Somer angenehm, sonsten aber sehr tief, und von

heute an vielen Gebäuden der Altstadt vorhanden sind“ [Denkmaltopographie – Stadt Wetzlar (2004), S. 73]. 69 Siehe D.1.1. 70 BayHStA KS 5716, Diarium vom 8. Mai 1767, fol. 58. Auch in den WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, S. 5 ist von des engen Bezirks […] hiesiger Stadt die Rede. 71 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte, 26. Nov. 1774. 72 HHStA Wien RK RKG VA 248, Hormayer an RVK 30. April 1767. 73 WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, S. 5. 74 Reichsquartiermeister (2007), Sp. 685. 75 StadtAA RKG 33, Rel. 9 vom 5. Sept. 1767.

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der Haustür an muß man schon berg aufsteigen, weshalb er sich über den Winter ein wenig förchte. In der Winterzeit näm­lich ist zum gehen [...] fast nicht mög­lich, und der gebrauch der Tragsessel gefähr­lich. Nicht ohne Neid bemerkte Stallauer deshalb, dass sein Nachbar von Königsthal, der Visitator der Reichstadt Nürnberg, zwei Wägen samt Pferden unterhielt. Überdies, so Stallauer weiter, habe man ihn auch schon spöttisch gefragt, ob er und der Regensburger Stadtgesandte nicht von einem Hungarischen Tolpatschen Regiment wären, da sie immer zu Fuß laufen. Um diesen Spott zu entgehen oder – anders formuliert – um sich standesgemäß im städtischen Raum fortzubewegen, habe er sich schon mehrmals um Mieth Pferd, aber vergebens umgesehen. Deshalb und aus Sorge um seine Gesundheit kam dem Augsburger Visitator folgender Einfall: Mein nächster Nachbahr ist ein Müller, welcher 4 Eßel unterhällt. Diesen möchte er fragen, ob er ein Tier künftigen Winter entbehren könne samt arcadischen Klepper nebst Sattel und Zeug sowie dessen gethreuen Wärter. Ein solches Vorhaben werde hofent­lich die Stadt Augspurg nicht arm machen! Es wird frey­lich über diese Cavalcade anfangs jedermann lachen und [...] die erste 3 Täge alle Jungen auf der Gasse nachlauffen, auch kein Hosanna anstimen, sodan aber wird man der Sache gewohnt und vielleicht wird ja sogar diese meine Inven­tion nicht zu Mode und von der Nachwelt verdancket werde[n].76 Überliefert mit diesen sehr anschau­lichen Worten ist zweierlei. Zum einen greift es zu kurz, den städtischen Raum als statisch zu begreifen, der aus mehr oder weniger fixen Orten, so allen voran Gebäuden und Plätzen, bestand. Der urbane, von einer Mauer umgebene Bereich der Stadt Wetzlar 77 war im Gegenteil ein sehr dynamischer Raum. Hier befanden sich Menschen und Güter in ständiger Bewegung. Während der Visita­tion betraf dies die unterschied­lichsten Akteure, aber auch verschiedenste Schriftstücke. Allen voran die Ansagezettel, also die Ankündigungen für die Visita­tionssitzungen, und Einladungen für (feier­liche) Zusammentreffen wurden ständig durch die Sekretäre unter den Visitatoren verteilt.78 Kam es darauf aufbauend oder auch unabhängig davon zu einer persön­lichen und geplanten Begegnung, dann bedurfte es eines standesgemäßen, aber eben, wie von Stallauer angesprochen und an anderer Stelle bereits ausgeführt,79 kostenintensiven Fortbewegungsmittels. Dazu zählte neben den Pferdewagen, über die alle bis auf 76 StadtAA RKG 33, Rel. 9 vom 5. Sept. 1767. 77 Anzumerken ist, dass auch das städtische Umland als Erholungsraum für die Visita­ tion wichtig war. Siehe hierzu die Beschreibung in Denkmaltopographie – Stadt Wetzlar (2004), S 43 f. 78 Siehe bspw. BayHStA KS 5716, Diarium vom 7. Mai 1767, fol. 57v. 79 Siehe A.3.

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Stallauer und der Visitator der Reichsstadt Regensburg verfügten, auch der, von Stallauer gleichfalls erwähnte und auch benutzte,80 Tragesessel. Die Wichtigkeit des Tragesessels zur Durchquerung des städtischen Raumes ohne eigene Füße 81 belegt wiederum die Policey- und Taxordnung, die in einem eigenen Artikel den Tarif für Sesselträger festlegte (XVIII). In d ­ iesem Fortbewegungsumfeld wird schließ­lich auch die Schärfe deut­lich, mit der Stallauer seinen ironisch gemeinten ‚Eselvorschlag‘ vortrug. Aus den Ausführungen Stallauers geht zum anderen hervor, wo sich sein Quartier befand: Nahe der Lahn in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Müller und dem Visitator der Reichsstadt Nürnberg. Eine exaktere Verortung dieser und anderer Unterkünfte erscheint sinnvoll, um die Beschreibung des städtischen Raumgefüges zu konkretisieren. Mög­lich wird dies durch ein Verzeichnis, das in der visita­tionseigenen Zeitschrift erschienen ist und alle Visitatoren unter Angabe des jeweiligen Wohnortes anführt.82 Diese Auflistung erlaubt es zunächst, die Unterkünfte des Visita­tionspersonals am 15. Juli 1767 zu bestimmen. Daneben liegt aus dem Jahr 2001 ein Verzeichnis aller Häusern und Wohnungen der Wetzlarer Gerichtsangehörigen vor. Es bietet wiederum die Gelegenheit, eine konkrete topographische Verortung sowie ein Umschreibung der Räum­lichkeiten vorzunehmen.83 Beide Hilfsmittel sowie ergänzend herangezogenes Material wie ein denkmaltopographisches Nachschlagewerk zur Stadt Wetzlar 84 führten zur Erstellung der im Anhang unter 3.2. und 3.3. aufgenommenen Verzeichnisse sowie zur Anfertigung der unter Anhang 3.1. befind­lichen Karte.85

80 Zu Visita­tionsbeginn wurde Stallauer so übel, daß mich durante Sessione nach Hauße tragen lassen [StadtAA RKG 33, Rel. 10 vom 18. Okt. 1767]. 81 Die Nichtbenutzung der eigenen Füße (aufgrund der Unsauberkeit/Unreinheit der Straßen und Gassen) scheint wohl der entscheidende Punkt zu sein. Eine Hierarchisierung der Fortbewegungsmittel findet sich auch in der auf der Präliminarkonferenz getroffenen Vereinbarung, zu denen Sessionen nur mit zwey Pferden fahren. Nach dem freyen Willen der Visitatoren könne man sich aber auch zur Session tragen […] lassen oder auch dahin zu Fuß […] gehen [HStA-Han. Cal. Br. 11 4098 fol. 178, Protokoll der Präliminarkonferenz vom 8. Mai 1767]. 82 WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, S. 6 – 8. 83 Das Verzeichnis wurde u. a. auf Grundlage jenes Häuserverzeichnisses erstellt, das der Rat der Stadt Wetzlar im Frühjahr 1767 in Auftrag gab, um sich einen Überblick über die Wohnkapazitäten zu verschaffen. Das 1774 abgeschlossene Verzeichnis diente letztend­lich als Grundlage zur „Bemessung und Eintreibung der Stadtsteuern“ [Volk, Wohnungen der Kameralen (2001), S. 8]. 84 Denkmaltopographie – Stadt Wetzlar (2004). 85 Ich danke Christina Patz für die Unterstützung bei der Erstellung der Karte.

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B.1.3 Orte der Feier – Orte der Trauer: Die Kirchen Am 18. Juli 1767 waren Visitatoren und Gerichtsangehörige vereint in der Trauer über den Tod der Kaiserin Maria Josepha. Die Akteure der Visita­tion saßen gemeinsam in der Franziskanerkirche (siehe die Abb.), deren Innenraum sich in Schwarz hüllte. Wände und Pfeiler, aber auch Altäre, Betstühle, Sessel und Kniebänke waren mit schwarzem Tuch bedeckt. Es brannten einige hundert Wachskerzen. In der Mitte der K ­ irche stand ein Trauergerüst (Castrum Doloris) bestehend aus einem Sarg als Symbol für die verstorbene Kaiserin, der auf einer von vier Säulen aufgeführten Erhöhung von fünf Stufen ruhte. Ausgehend von dem Hochaltar standen auf der einen Seite ein Betstuhl samt zwei Armsesseln für die kaiser­lichen Kommissare und hinter diesen zwei lange Bänke für die Visitatoren und deren Familien. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Betstuhl mit Armsessel für den Kammerrichter, hinter dem ein zweisitziger Betstuhl für die zwei Präsidenten und dahinter zwei lange Bänke für sämt­liche Assessoren und deren Familien standen. Um diesen ‚Trauerkern‘ herum, also um die Sitzplätze in nächster Nähe zum Trauergerüst, reihten sich die Bänke der Prokuratoren und Advokaten, des Magistrates, der Bediensteten sowie der orts- und visita­tionsfremden Trauergäste.86 Diese Begräbnisfeier 87 bildete den Höhepunkt einer mehrwöchigen Trauerzeit, die in Wetzlar begann, als Anfang Juni die Nachricht über den Tod der Kaiserin Maria Josepha (verst. 28. Mai 1767) aus dem Hause Wittelsbach eintraf.88 Der Todesnachricht folgte über mehrere Wochen sicht- und hörbar in der gesamten Stadt die gemeinsame, aber auch konfessions- und standesspezifische Trauer. So wurde am ersten Sonntag im Dom, der Haupt- und Stadtkirche, auf Anordnung des Magistrates eine Trauer- und Gedächtnisrede gehalten, welcher sämt­liche protestantische Visitatoren beiwohnten. Am Tag zuvor begann bereits das Läuten der Trauerglocke, das für die nächsten zwei Wochen täg­lich von 11:00 bis 12:00 Uhr stattfand.89 Seit dem 21. Juni wiederum trugen sämt­liche Visitatoren für drei Monate Trauerbekleidung.90

86 WA 4. Stück vom 19. Aug. 1767, S. 22 f. 87 Begräbnisfeier­lichkeiten (Exequien), die im 16. Jahrhundert auf den Reichstagen abgehalten wurden, beschreibt weitaus detaillierter, als es hier mög­lich ist: Aulinger, Bild des Reichstages (1980), S. 307 – 322. 88 Maria Josepha war die Tochter Kaiser Karls VII. 89 WA 4. Stück vom 19. Aug. 1767, S. 22. 90 StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 4v.

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Grundriss der Begräbnisfeier in der Franziskanerkirche anläss­lich des Todes von Kaiserin Maria Josepha (18. Juli 1767)91

91 WA 4. Stück vom 19. Aug. 1767, Beilage.

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Mit diesen Trauerritualen, denen die Wetzlarer Reformgemeinschaft anläss­ lich des Todes der Kaiserin folgte, steht ein Ort im Mittelpunkt, der nicht nur „als Dominante[…] des Städtebaus“,92 sondern insgesamt als Zentralort einer jeden länd­lichen und städtischen Gesellschaft in der Vormoderne zu begreifen ist: Die K ­ irche bzw. der „konkret erfahrbare Kirchenraum“, also „das Kirchengebäude selbst, das Innere des Kirchenschiffes [so]wie dessen Ausgestaltung“ und Ausstattung.93 Der hohe Stellenwert der K ­ irchen für die vormoderne Gesellschaft erklärt sich aus deren Funk­tion als religiöser Handlungsraum, welcher der Verkündigung der Worte Gottes und der Spendung der Sakramente diente. Er gehörte folg­lich zu den „genuinen Orten der Schaffung konfessioneller Identität“.94 Die ­Kirche war aber auch immer ein sozialer und politischer Handlungsund Kommunika­tionsraum. Hier versammelten sich „sämt­liche Einwohner eines Ortes mindestens einmal wöchent­lich“, um Predigten unterschied­lichster Couleur – neben religiösen und gesellschaft­lichen Belangen kamen auch „sitt­ liche[…] wie unter Umständen auch konkret politische[…]“ Aspekte zur Sprache – zu hören, oder auch, um von der Kanzel verlesene Dekrete der Obrigkeit zu vernehmen.95 Die Sakralräume 96 waren nicht zuletzt deshalb so bedeutsam für die „politische Kultur der Frühen Neuzeit“, weil Religion und ­Kirche in der „alteuropäischen Gesellschaft […] ein alle Schichten und Stände verbindendes Bezugsystem darstellten“,97 und gerade deshalb der Kirchenraum „der einzige öffent­liche Raum“ der Vormoderne sein konnte, in dem sich Gemeinde, Geist­ lichkeit und Obrigkeit allwöchent­lich und „unabhängig von standes-, schichtoder geschlechterspezifischer Grenzen“ trafen.98 Der sonntäg­liche Gottesdienst, und damit „das gesellschaft­liche Ereignis der Woche“ schlechthin, musste allerdings „die sozialen Abstände und Schranken, die außerhalb der ­Kirche […] bestanden“, auch innerhalb der ­Kirche abbilden.99 Deshalb gab es in der Regel ein dem gesellschaft­lichen Rang entsprechendes Kirchengestühl.100 Der rechte Platz in der ­Kirche war dabei keineswegs

92 93 94 95 96

Fürst, Kirchenbau (2007), Sp. 618. Dürr, Kirchenräume. Eine Einführung (2005), S. 452. Wimböck, Räume der Konfessionen (2007), S. 34. Dürr, Kirchenräume (2006), S. 337 f. Ein Kirchenraum ist immer auch ein von dem „situativen Handlungszusammenhang gelöst[er]“ sakraler Raum [Dürr, Kirchenräume (2006), S. 18]. 97 Ebd., S. 23. ‚Politische Kultur der Frühen Neuzeit‘ – so lautet der Haupttitel der Studie. 98 Ebd., S. 27. 99 Peters, Platz in der ­Kirche (1985), S. 79 f. 100 Ebd.

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u­ numstritten, wie noch zu zeigen ist. Erschwerend kam hinzu, dass es sich bei dem bereits erwähnten (Begräbnisfeier der Kaiserin) und den noch zu behandelnden Anlässen (Namensfeiern des Kaisers) um ein Herrschaftszeremoniell handelt, das sich mit der litur­g ischen Praxis verband.101 Die Visitatoren präsentierten somit nicht nur sinn­lich wahrnehmbar die Herrschafts- und Rangverhältnisse, sondern sie inszenierten sich auch „in ostentativer Frömmigkeit als christl[iche] Amtsträger“.102 Die sakrale Inszenierung der Visita­tion vollzog sich im gesamten städtischen Raum über Prozessionen und innerhalb der Kirchengebäude über – quellenmäßig kaum zu greifende – konfessionsinterne Gottesdienste 103 sowie über besser dokumentierte konfessionsübergreifende Gottesdienste. Letztere werden gerade deshalb vielfach in den Quellen thematisiert, weil sie das Alltäg­liche durchbrachen und als herausgehobene Ereignisse innerhalb eines Jahreszyklus vielfach berichtswürdige Rangkonflikte produzierten. Die oben genannte Begräbnisfeier anläss­ lich des Todes der Kaiserin Maria Josepha muss dabei als ein singuläres und dem Anlass entsprechend auch weitgehend 104 konfliktfreies Ereignis begriffen werden. Daneben gab es jähr­lich einen Gottesdienst zur Feier des Namensfestes Kaiser Josephs II ., der über Jahre hinweg zu Auseinandersetzungen sowohl z­ wischen Kameralen und Visitatoren als auch innerhalb dieser einzelnen Gruppen führte. Die Konflikte dürfen allerdings nicht nur um ihrer selbst willen thematisiert werden. Ziel der folgenden Ausführungen ist es vielmehr zu verdeut­lichen, dass 1.) die Visita­tion sich auch in den Wetzlarer Kirchenräumen und damit in den vormodernen Zentralorten schlechthin verwirk­lichte, 2.) es einen immerwährenden Zwang zur Ranginszenierung gab und 3.) die Reformgemeinschaft sich nicht nur hierarchisch, sondern auch konfessionell segmentierte. Die Feier des kaiser­lichen Namenstages um den 19. März jeden Jahres folgte einem bestimmten Ablauf, der sich idealtypisch folgendermaßen beschreiben lässt:105 Der Tag begann um 10 Uhr mit der feier­lichen Auffahrt der kaiser­lichen

101 Bei den Prozessionen handelt es sich wohl eher um ein sakrales Fest, das sich mit dem Herrschaftszeremoniell verband und nicht umgekehrt. 102 Stollberg-­Rilinger, Herrschaftszeremoniell (2007), Sp. 419. 1 03 Ledig­lich Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 2 (1806), S. 738 berichtet einmal von einem sonntäg­liche[n] Morgen-­Gottesdienst der protestantischen Visitatoren und Kameralen. 104 Es gab zumindest leichte Differenzen bezüg­lich der Trauerbekleidung. Siehe hierzu WA 4. Stück vom 19. Aug. 1767, S. 21 f. u. WA 5. Stück vom 9. Sept. 1767, S. 35. 105 Der Beschreibung wie auch insgesamt den folgenden Ausführungen liegen folgende Berichte Stallauers zugrunde: Rela­tion 36 vom 22. März 1769, Rela­tion 50 vom 21. März

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Kommissare. Von dem Gesandtschaftsquartier des ersten kaiser­lichen Kommissars bis zur nahe gelegenen Franziskanerkirche 106 paradierten die Darmstädtischen Truppen.107 In der K ­ irche angekommen, nahmen die kaiser­lichen Kommissare ihren Platz neben dem Kammerrichter und vor den Bänken der Präsidenten, Assessoren und Visitatoren ein. Diese Ordnung der Bänke war entscheidend für den geordneten Ablauf der gesamten Namensfeier. Nach dem gewöhn­lichen Gottes-­Dienst kam es zur Abfahrt der kaiser­lichen Kommission und zur Auffahrt der Visitatoren in das Quartier der kaiser­lichen Delega­tion, um den Vertretern des Kaisers die Unterthänigste Gratula­tion zu dem allerhöchst Kaj. Nahmens Tag abzustatten. Gegen Mittag gab es im kaiser­lichen Quartier eine Tafel und abends eine größere Gesellschaft, zu der sowohl sämt­liche Visitatoren als auch das Kameralkollegium eingeladen wurden.108 Dieser idealtypische Ablauf der kaiser­lichen Namensfeier erfuhr in der ‚Feier­ realität‘ mehrmals nicht unerheb­liche Einschränkungen. Im Jahr 1769 zum Beispiel durften wegen angeb­lichen Mangel[s] des Raums nur zwei reichsstädtische Vertreter erscheinen.109 So schmerz­lich  110 diese Marginalisierung für die reichsstädtischen Vertreter sein konnte, sie war doch eher Regelfall als Ausnahme und deutet an, dass es insbesondere für die Gesandten der mindermächtigen Reichsstände kein Leichtes war, sich im hierarchischen Gefüge der Visita­tion zu behaupten. Vor ­diesem Hintergrund – dem Zwang zur Inszenierung des ständischen und sozialen Ranges – sind auch all jene Konflikte zu betrachten, die um die Sitzordnung in der ­Kirche entstanden sind.

1770 und Rela­tion 67 vom 26. März 1771. Auf den feier­lich begangenen Namenstag geht auch Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 108 ein. 106 Die Visita­tion nutzte die Franziskanerkirche als konfessionsübergreifenden Kirchenraum wohl der trikonfessionellen Nutzungsgeschichte wegen und weil in den 1720er Jahren umfassende Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten durchgeführt wurden (siehe hierzu die Tabelle ‚Weitere markante Orte‘ unter Anhang Punkt 3.3.). 107 Der Landgraf von Hessen-­Darmstadt unterhielt „zwischen 1705 und 1802 ununterbrochen einen Truppenteil in der Stadt, dessen stärke ­zwischen 40 und 150 Mann schwankte“ [Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 43]. 108 StadtAA RKG 33, Rela­tion 36 vom 22. März 1769. 109 Ebd. 110 Stallauer berichtet weiter, dass wir diese Absönderung so schlechter dingen nicht verschmerzen [StadtAA RKG 33, Rela­tion 36 vom 22. März 1769].

Reformzentrum Wetzlar Der Streit um den rechten Kirchenplatz anläss­lich des kaiser­lichen Namensfestes: Drei Sitzordnungen in den Jahren 1768, 1770 und 1771 im Vergleich

Gehaltene Sitzordnung im Jahr 1768111

Gehaltene Sitzordnung im Jahr 1770112

Geplante Sitzordnung im Jahr 1771113

1 11 Ebd. 112 StadtAA RKG 33, Rela­tion 67 vom 26. März 1771. 113 Ebd.

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Stallauer, dessen Berichte den folgenden Ausführungen ebenso zugrunde liegen wie seine Zeichnungen über die umstrittenen Sitzordnungen, berichtet erstmals im Jahr 1769 darüber, dass anläss­lich des Namensfestes ein hefftige[r] Rangs Dispute entflammte.114 Im Jahr 1768 näm­lich waren die Sitze und Bänke in der Franziskanerkirche folgendermaßen eingeteilt (siehe hierzu und für die Jahre 1770 und 1771 die Zeichnungen): Zur linken Seite saßen der Kammerrichter auf einem Armlehnsessel, danach, auf einem Stuhl ohne Armlehnen, der zweite Präsident Kirchberg – der erste Präsident ware Unbäß­lichkeit halber abwesend – und schließ­lich auf Bänken die Assessoren. Auf der rechten Seite, auf ‚Augenhöhe‘ mit dem Kammerrichter und gleichfalls auf einem Sessel mit Armlehnen, saßen die beiden kaiser­lichen Kommissare, gefolgt von einer Leerstelle, damit der Stuhl des RKG-Präsidenten vor der ersten Bank der Visitatoren stand, und danach auf Bänken die Visitatoren.115 Über die Sitzordnung des Jahres 1768 haben sich die kurfürst­lichen und fürst­ lichen Visitatoren schon damals gestritten. Nun aber, im Jahr 1769, verlangten sie gleich nach der Einladung, dass die Stühle der Präsidenten nicht vor, sondern nach den Bänken der kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren gegen über just gleich zu stehen kämen, weilen Sie denen Hhr.en Praesidenten keinen vor Rang gestatten könnten. Die Präsidenten beharrten jedoch auf ihren Vorrang und verteidigten diesen Anspruch noch am Vorabend des Namensfestes bei einer Gesellschaft, wo es zu einem hefftigen Wortwechßel kam, den auch die anwesenden kaiser­lichen Kommissare nicht schlichten konnten. Trügerischer Frieden kehrte erst ein, als die Präsidenten zu verstehen gaben, von der Solennitaet wegbleiben zu wollen.116 Die kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren trauten der Zusage allerdings nicht und verabredeten, den folgenden Tag zeit­lich in der ­Kirche zu erscheinen. Falls sie nicht die gewünschte Sitzordnung antreffen sollten, würden sie sich stracks aus der ­Kirche entfehrnen.117 Als am folgenden Morgen die Visitatoren verabredungsgemäß in der ­Kirche eintrafen, stellten sie sogleich fest, dass für die Präsidenten gar keine Stühle aufgestellt wurden, die erste Bank aber von einigen Assessoren schon occupiret war, womit die erste Bank der kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren auf rechter Seite ganz gleich zu stehen käme. Die Visitatoren waren aufgebracht, blieben in Mitte der ­Kirche in Circulo quasi stehen und entwarfen folgenden Lösungsvorschlag: Die erste Bank linker Seite solle für die abwesenden Präsidenten adaptiert 1 14 StadtAA RKG 33, Rela­tion 36 vom 22. März 1769. 115 Ebd. 116 Ebd. 117 Ebd.

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werden, die Assessoren aber um eine Bank nach hinten rücken, damit Subdelegati mit denen Hhr.en Assessoren nimermehr egal stehen. Die kaiser­liche Kommission, die über diesen Lösungsvorschlag informiert wurde, gab sogleich zur Antwort, dass eine kurzfristige Änderung zwar nicht mög­lich sei, der Actus aber niemahlen pro Norma allegiret werden solle. Diese Worte sowie der Wunsch, kein […] Aufsehen zu erwecken, blieben jedoch ungehört. Bis auf den österreichischen Visitator nahmen sämt­liche kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren einschließ­lich des gräf­lichen Visitators aus der K ­ irche dergestalten den Reiß aus, dass sie mit ihren Wägen die gerade ankommende kaiser­liche Kommission aufgehalten und behinderet haben. Die reichsstädtischen Vertreter, die erst im Nachhinein von diesen Vorgängen erfuhren, waren bei ihrer Ankunft in der K ­ irche anfangs sehr betretten, als sie aber den österreichischen Vertreter in die erste Bank rechter Hand eintreten sahen, haben sie sich sogleich beygesellet, welchem Beyspiel auch der Prälatische nachgefolget ist. Als hierauf der erste kaiser­liche Kommissar in die ­Kirche eintrat und so viele leere Bäncke erblicket hatte, waren Höchst dieselbe bis auf die Lippen erblasst.118 Nach dem Gottesdienst fanden sich dem idealtypischen Verlauf entsprechend die Visitatoren, die an dem Gottesdienst teilgenommen hatten, aber auch die abwesenden Visitatoren im Quartier des ersten kaiser­lichen Kommissars ein, um persön­lich zu gratulieren. Der Konflikt war also im Jahr 1769 vorerst entschärft, zumal die kaiser­liche Kommission durch ihre Abwesenheit bis zur Mittagstafel Kritik übten. Überdies und wohl nicht zufällig erfuhren die Visitatoren, dass die kaiser­lichen Kommissare d­ ieses vorfalls halber 4 Estaffetten losgeschickt haben.119 Ein Jahr ­später, im Jahr 1770, gab es allerdings eine Neuauflage des Konflikts. Damit nicht, wie im Vorjahr, die kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren dem Gottesdienst fernbleiben würden, hatten die kaiser­liche Kommission und Kurmainz wohl in Absprache mit den jeweiligen Höfen vereinbart, den Stuhl der Präsidenten auf der linken Seite in gerader Linie zu dem Stuhl oder der Bank 120 der kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren rechter Hand zu setzen. Mit dieser Rangordnung waren jedoch sowohl die Präsidenten als auch die Assessoren nicht zufrieden. Erstere wollten, wie der Kammerrichter, einen Vorsprung vor den 1 18 Ebd. 119 Ebd. 120 Es bleibt unklar, ob Präsidenten sowie kurfürst­liche und fürst­liche Vistatoren tatsäch­lich jeweils auf einem Stuhl oder doch eher auf einer Bank saßen. Stallauer spricht ledig­lich von Stuhl, und zwar sowohl in der 50. Rela­tion vom 21. März 1770 als auch in der 67. Rela­tion vom 26. März 1771.

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kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren haben, Letztere wiederum wollten den Präsidenten keinen solchen eminenten Vor Rang gestatten, sondern dieselbe mit in Ihren Bäncken rangiret wissen.121 Aus d­ iesem Grund wurde der Gottesdienst anläss­ lich des kaiser­lichen Namensfestes im Jahr 1770 zwar unter Anwesenheit sämt­licher Visitatoren beider Konfession außer Königsthal abgehalten, der Unpäß­lichkeit halber zurück geblieben ist.122 Die meisten Gerichtsangehörigen fehlten jedoch.123 Der anschließenden Mittagstafel wohnten die bei dem Gottesdienst anwesenden Personen als auch einige darmstädtische Offiziere bei. Und erst danach, bei der Abendgesellschaft, waren weitere Kameralpersonen zugegen.124 Beide theile jedoch, also sowohl die vom Gottesdienst ferngebliebenen Präsidenten als auch die Assessoren, wandten sich in der Folgezeit an den Hof in Wien. Dort erging für das Jahr 1771 die kaiser­liche Resolu­tion, die Bänke entsprechend der obigen Abbildung anzuordnen.125 Die geplante Sitzordnung stieß allerdings auf den Widerstand der kurfürst­lichen und fürst­lichen Subdelegierten, die, wie schon 1769, nimermehr egal mit den Assessoren sitzen wollten. Dadurch geriet die an die Resolu­tion gebundene kaiser­liche Kommission in Verlegenheit. Sie schlug deshalb vor, d­ ieses Fest mit dem ganzen Consess und mit gänz­lichen Ausschluß des Collegii Cameralis, in Choro Solitariè, [zu] celebriren.126 Weil aber auch dieser Vorschlag den Visitatoren nicht gefiel, verfiel die kaiser­liche Kommission ins Schweigen. Erst einen Tag vor dem Fest baten die Visitatoren um eine ­Audienz, um zu gratulieren. Diese gab jedoch wört­lich zur Antwort: Es wird einem jeden angenehmer seyen, sich keine Ungelegenheit zu machen.127 Selbst eine neuer­liche Anfrage der Visitatoren blieb unberücksichtigt. Am Folgetag schließ­ lich, dem Tag des Namensfestes, unterblieben sämt­liche Feier­lichkeiten. Ledig­lich einzelne Visitatoren sind an d­ iesem Tag en Gala in Publico erschienen, während der Kammer­richter mit dem Kameralkollegium wie auch separat der städtische Magistrat ­dieses Fest auf das feyer­lichste celebriret hat.128

121 StadtAA RKG 33, Rela­tion 67 vom 26. März 1771. 122 StadtAA RKG 33, Rela­tion 50 vom 21. März 1770. 123 Außer dem Kammerrichter waren nur die Assessoren Albini, Clauspruch, Trott und Papius anwesend. 124 Stallauer spricht ledig­lich von einer zahlreicheren Abend Gesellschafft (50. Rela­tion vom 21. März 1770). Aus dem Gesamtzusammenhang kann jedoch gefolgert werden, dass damit weitere Gerichtsangehörige gemeint sind. 125 StadtAA RKG 33, Rela­tion 67 vom 26. März 1771. 126 Ebd. 127 Ebd. 128 Ebd.

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Der Streit um den rechten Kirchenplatz fand damit sein vorläufiges, unversöhn­liches Ende.129 Da bereits im Jahr 1769 das Klima erheb­lich gestört war – die meisten Visitatoren haben fast allen Umgang mit den Kameralen abgebrochen und sich ihrer Tafel und Gesellschaften […] enthalten 130 –, darf vermutet werden, dass auch in den Folgejahren und zumindest vorübergehend das Alltagsleben für die Visita­tionsakteure belastet war. Die Konfliktlinien verliefen dabei in erster Linie z­ wischen Visitatoren und Kameralen, genauer gesagt, ­zwischen kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren einerseits und Präsidenten und Assessoren andererseits. Daneben gab es immer Konflikte, die innerhalb der einzelnen Reformgruppen bestanden und die auf das kaiser­liche Namensfest einwirkten. Hierbei zu unterscheiden sind zum einen all jene Auseinandersetzungen, ­welche die kurfürst­lichen und fürst­lichen Visitatoren auf der einen Seite und die nichtfürst­lichen, vor allem reichsstädtischen Visitatoren auf der anderen Seite entzweiten. Zum anderen gab es jene Rangkonflikte, die ­zwischen den Präsidenten und den Assessoren und damit innerhalb des Kameralkollegiums bestanden. Der vormoderne Zwang zur Ranginszenierung geht schließ­lich auch aus den Streitigkeiten hervor, die anläss­lich der Prozessionen entstanden. Die Gemeinsamkeit ­zwischen Prozessionen und den soeben dargelegten, konfessionsübergreifenden Gottesdiensten besteht darin, dass es beide Male um die öffent­liche und damit an ‚öffent­lichkeitsrelevante‘ Orte gebundene Inszenierung des eigenen Ranges, aber auch des Ranges der gesamten Visita­tion und des gesamten Kameralkollegiums ging. Erschwerend kam hinzu, dass die Hierarchien der Reformgemeinschaft immer auch konfessionell durchdrungen waren. Dies wird besonders deut­lich, wenn man sich die Jubiläumsprozession von 1770 und die dadurch entstandenen Konflikte betrachtet. Vorauszuschicken ist dabei zweierlei: Zum einen wurde durch die Abhaltung einer Prozession die Identität der katho­lischen Konfession gegenüber Nichtkatholiken weithin sicht- und hörbar im städtischen Raum inszeniert. Nach Wolfgang Reinhard liegt hier einer jener Unterscheidungsriten vor, die den vormodernen „Konfessionalisierungsprozess vor Ort“ ganz entscheidend prägten.131 Gerade durch die Betonung 129 Stallauer berichtete in den Folgejahren nicht mehr von dem Streit. Ob die ‚Lösung‘ des Jahres 1771 auch in den Folgejahren beibehalten wurde? Das Schweigen der ­Stallauerschen Berichte lässt zumindest vermuten, dass der Streit um den rechten Kirchenplatz nicht mehr die Brisanz der Vorjahre besaß. 130 StadtAA RKG 33, Rela­tion 39 vom 31. Mai 1769. 131 Reinhard, Konfessionalisierung (2006), S. 301.

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der Konfessionsgemeinschaft in Abgrenzung nach außen und innen gab es im Laufe der Frühen Neuzeit immer wieder teils blutige Auseinandersetzungen ­zwischen katho­lischen Prozessionsteilnehmern und nichtkatho­lischen Prozessions­zuschauern. In der Reichsstadt Wetzlar war die konfliktträchtige konfessionelle Situa­tion dergestalt, dass sie von einem lutherischen Rat regiert wurde und die Bevölkerungsmehrheit der lutherischen Konfession angehörte, aber hier auch Angehörige der reformierten und katho­lischen Konfession lebten.132 Die Trikonfessionalität kann sogar als ein wichtiger Grund für den Umzug des RKG an die Lahn im Jahr 1689 angesehen werden. Mit dem RKG stieg dann auch „die Zahl der Katholiken in wenigen Jahrzehnten auf über tausend an“,133 wodurch sich wiederum die Prozessionsproblematik erhöhte. Im Jahr 1702 begannen die Katholiken, das im Jahr 1692 zugesicherte Recht, eine Prozession abhalten zu dürfen, offensiv auszubauen, indem sie „ihre Prozessionen eigenmächtig auf immer weitere Straßen der Stadt ausdehnten“.134 Im Ergebnis führte dies im Verlauf des 18. Jahrhunderts, zuletzt 1770, zu Auseinandersetzungen, „bei denen lutherische Bürger Prozessionen teilweise mit Waffengewalt blockierten und die Katholiken beschimpften“.135 Zum anderen ‚leben‘ Prozessionen davon, dass sie den öffent­lichen Raum durchschreiten und auch teils längere Zeit ‚okkupieren‘, indem im Vorfeld der Prozession an ausgewählten und markanten Orten der Stadt ephemere Altäre aufgestellt werden, an denen der Prozessionszug vorbeizieht.136 Diese Beanspruchung des öffent­lichen Raumes kann jedoch von Nichtteilnehmern allzu leicht als ‚Vereinnahmung‘ verstanden werden. Überlieferte Reak­tionen ‚vor Ort‘ – Drohungen, Schmähungen, Blockaden etc. – lassen sich dementsprechend als Auseinandersetzung um den städtischen Raum begreifen. Solche Konflikte wollte in den Jahren der Visita­tion die für die öffent­liche Ordnung zuständige kursäch­sische Visita­tionsdelega­tion auf jeden Fall vermeiden. Deshalb intervenierte der kursäch­sische Visitator Zech, als im Jahr 1770 der Papst ein Jubeljahr ausrief und der Kurfürst von Trier eine Eröffnungs-­Prozession in Wetzlar ansetzte. Zech warnte davor, dass bei hiesigem wilden gemeinen Volck Unruhe, Lärm und böse Folgen darauf entstehen könnten, und bat die kaiser­liche 132 Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 91. Zur ‚Konfessionsgeschichte‘ Wetzlars auch: Schieber, Normdurchsetzung Wetzlar (2008), S. 24 – 28. 133 Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 92. 134 Ebd., S. 93. 135 Schieber, Normdurchsetzung Wetzlar (2008), S. 28. 136 Das Aufstellen mehrerer Altäre wurde im Jahr 1702 von den lutherischen Bürgern als Neuerung beschimpft und abgelehnt [Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 93].

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Kommission einzugreifen.137 Diese gab jedoch zur Antwort, dass es sich um eine Angelegenheit des hiesigen Domstiftes handle. Als Zech dort vorstellig wurde und zudem der Stadtmagistrat um Beyrath und Schutz nachsuchte, setzte man die öffent­liche Prozession aus.138 Der katho­lische Teil der Visitatoren war darüber allerdings gar nicht erfreut. Das kurmainzische Direktorium brachte die Angelegenheit vor das Plenum der Visita­tion, wo man in insgesamt elf Sitzungen über diese Angelegenheit beriet. 139 Zu Beginn der Beratungen, in der 399. Session, wurde sogar angedacht, die Sitzungen vorerst gänz­lich auszusetzen. Denn ohne freye Relgions Ausübung und Erhaltung öffent­licher Sicherheit [würde] ein Reichs-­Convent in Wetzlar nicht weiter bestehen können.140 Der Schutzherr der Stadt, der Landgraf von Hessen-­ Darmstadt,141 war deshalb umgehend bereit, seine in der Stadt befind­lichen Truppen aufzustocken.142 Als schließ­lich 1400 Mann zur Verfügung standen, konnte mit Verspätung, am 18. März, die zur Eröffnung des Jubiläums angeord­ elche auch von den beiden kaiser­lichen nete Prozession abgehalten werden, w Kommissaren sowie sämt­lichen katho­lischen Visitatoren und Gerichtsangehörigen begleitet wurde.143 Der Konflikt um die Jubiläumsprozession war damit beigelegt, obgleich im Visita­tionsplenum die Diskussionen weitergingen. Der eng­lische König sprach sogar von einer Beinahetrennung der Visita­tion,144 und das RKG nahm die Angelegenheit zum Anlass, die Transloka­tion, also die Verlegung des gesamten Gerichts, zu beantragen.145 Darüber hinaus lassen sich drei Aspekte festhalten: 1.) nahm der katho­lische Teil der Reformgemeinschaft seit dem ersten

137 StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 135v. 138 Ebd., fol. 136. 139 Visita­tions-­Index [HHStA Wien MEA RKG 378], Eintrag ‚Wetzlarischen Stadt und Magistrat unternimmene Beschränckung des offent­lichen Exercitii Religionis Catholici und dabey vorgekommene bedenck­liche Begebenheite betr.‘ 140 So eine spätere Einschätzung, die sich auf die Prozessionsstreitigkeiten im Jubeljahr bezieht [HHStA Wien MEA RKG 342, Diarum 28. Nov. 1770]. 141 Schieber, Normdurchsetzung Wetzlar (2008), S. 47 f. und Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 19 f. 142 Siehe allgemein zu den Truppen Anm. 107. 143 Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 2 (1806), S. 743. 144 HHStA Wien MEA RKG 381, Georg III. an Emmerich Joseph, St. James 30. Okt. 1770. 145 Auf das ‚Transloka­tions-­Gelüste‘ im Jahr 1770 geht ein Ulmenstein, Geschichte ­Wetzlar Teil 2 (1806), S. 744 – 746. Zu den entsprechenden Vorgängen im Visita­tionsplenum siehe 401. Session vom 20 März 1770 und 423. Session vom 25. Mai 1770 [StadtAA RKG 48 u. 49].

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Visita­tionsjahr an den von dem protestantischen Teil genau beobachteten 146 Fronleichnamsprozessionen teil. Die hier entstandenen Rangkonflikte verdeut­ lichen im Zusammenspiel mit den Gottesdiensten, die anläss­lich des kaiser­lichen Namensfestes abgehalten wurden, dass es unabhängig von der Konfession immerfort und gerade bei besonderen Anlässen einen Zwang zur Ranginszenierung gab. Prozessionen und Gottesdienste stehen 2.) dafür, dass die Visita­tion sich in einem gesellschaftspolitischen Umfeld vollzog, in dem sowohl der sonntäg­ liche Kirchengang als auch die religiöse Zelebrierung der Trauer bei dem Tod der Kaiserin Maria Josepha und der Feier des Namenstages von Kaiser Joseph II. selbstverständ­liche Bestandteile des wöchent­lichen oder jähr­lichen Lebensall­ tages waren. Diese gerade für die Vormoderne typische lebenswelt­liche Ausgangslage muss spätestens dann mitbedacht werden, wenn man den Streit um die Jubiläumsprozession verstehen möchte. Denn hier ging es in erster Linie um eine Glaubenspraxis, die vor und nach der Visita­tion in Wetzlar und andernorts zu Konflikten mit Andersgläubigen führte. Die Bedeutung für die Visita­tion ist damit gegeben, dass dieser Konfessionskonflikt auch im Rahmen der Visita­ tion, und durch diese verschärft, auftrat. Die Auseinandersetzung drohte das geordnete Nebeneinander der Konfessionsparteien inner- und außerhalb der Visita­tion zu stören. Damit ist 3.) angesprochen, dass die Visita­tion sich nicht nur an wenigen Orten, sondern im gesamten städtischen Raum verwirk­lichte. Die von Rom angestoßene Jubelfeier­lichkeiten verdeut­licht hierbei, wie labil das verräum­lichte Ordnungsgefüge der Stadt Wetzlar sein konnte. Darauf hat auch die europaweite Hungersnot, die 1770 auf das Reformzentrum einwirkte, verwiesen. Für den geordneten Ablauf der Visita­tion war es unerläss­lich, diese Störungen zu überwinden und damit den städtischen Frieden ganz im Sinne der Policey- und Taxordnung zu wahren. B.1.4 Zentralorte: Der Konferenzsaal und die Diktaturstube Konferenzsaal und Diktaturstube sind als aufeinander bezogene, komplementäre Zentralorte der Visita­tion zu begreifen. Während im Konferenzsaal die Visitatoren über die Personal- und Realgebrechen des RKG 147 berieten, wurden in der Diktaturstube von den Sekretären all jene Schriftstücke vervielfältigt, die im ersteren 146 Dies belegt auch Falcke, der seiner Obrigkeit im ersten Visita­tionsjahr den genauen Verlauf der Fronleichnamsprozession mitteilte [HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an Räte 1. August 1767 (Postskript), fol. 346]. 147 Siehe zur Formulierung ‚Personal- und Realgebrechen‘ A.1.3.

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Ort durch die Protokollierung der Beratungen oder durch die Einbringung von diversen Schriftstücken in das Verfahren, so allen voran Protokollbeilagen, anfielen. Die Komplementarität beider Orte wird besonders deut­lich, wenn man den bereits dargelegten Befund aufgreift, dass die Vervielfältigung von Schriftstücken mittels der Diktatur sehr zeitintensiv war, weshalb der immense Schriftbedarf, den die Visitatoren für die Beratungen im Visita­tionsplenum ­hatten, nicht immer schnell genug gedeckt werden konnte.148 Die ‚weitläufige‘ Arbeit der Visitatoren war also auf die ‚weitläufige‘ Schreib­ arbeit der Sekretäre angewiesen. Quellenmäßig weitaus schwerer zu greifen ist hierbei die Diktaturstube. Ein Protokoll, das ein Treffen der Visitatoren vor der förm­lichen Eröffnung der Visita­tion dokumentiert, gibt zumindest Aufschluss darüber, wo sich dieser Ort befand: Im Rathaus in einer zur Dictatur aptirte[n] Stuben.149 Die Diktatur der Visita­tion war also im Rathaus der Stadt Wetzlar in einer nicht näher zu bestimmenden Stube untergebracht. Bei dem entsprechenden Gebäude handelt es sich um ein ehemaliges Zunfthaus, das der Rat 1693 mit der Abtretung des ursprüng­lichen Rathauses, der so genannten Alten Kammer, an das RKG übergab.150 Um weiterführende Einblicke in das räum­liche Arrangement der Diktatur zu gewinnen, ist es notwendig, einen vergleichenden Blick auf den Regensburger Reichstag zu werfen. Die dortige Diktatur war im Waaghaus untergebracht.151 In ­diesem Gebäude und damit wohl auch in der Wetzlarer Diktaturstube gab es eine dem Rang der Reichsstände entsprechende Sitzordnung der Schreiber. Sie lässt sich auf Grundlage einer zeitgenös­sischen Abbildung folgendermaßen beschreiben:152 Die kurfürst­lichen Kanzlisten 153 saßen raummittig auf Stühlen an einem eigenen Tisch. Links und rechts davon erstreckten sich die Bänke und Tafeln für die Kanzlisten der welt­lichen und geist­lichen Fürsten, der Grafen und der Reichsstädte. Den zu diktierenden Text verlas der Mainzer Lega­tionssekretär. Er wurde auch als Reichs- oder Hofdiktator bezeichnet 154 und saß beim Diktat auf 148 Siehe A.4., aber auch C.2. u. D.3. 149 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Protokoll vom 8. Mai 1767, fol. 178. 150 Schieber, Normdurchsetzung Wetzlar (2008), S. 93. 151 Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 125. 152 Die Beschreibung folgt einer bei Aulinger, Bild des Reichstages (1980), geführten Abbildung (Nr. 32). Es handelt sich um eine – so die Bildunterschrift – „Sessionsordnung beim Diktat durch den Mainzer Kanzler (nach Lünig)“, also nach Johann Christian Lünig, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts (1713 – 22) das Teutsche Reichsarchiv veröffent­lichte. 153 Bei der Visita­tion waren es die Sekretäre, die zur Diktatur gingen. 154 ‚Reichsdiktator‘ nach Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 125, ‚Hofdiktator‘ nach der Abbildung von Lünig.

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einem großen Stuhl.155 Dieser ‚Verkündigungsstuhl‘ sowie ein großer Tisch für das zu diktierende Material thronten in der Raummitte, direkt gegenüber von den kurfürst­lichen Kanzlisten. Die in Regensburg anzutreffende räum­liche Ordnung deutet an, dass das Diktieren weit mehr war als ein rein technokratischer Akt der Schriftproduk­ tion. Die beschriebene Abbildung lässt vielmehr vermuten, dass es sich beim Diktat um einen fast schon solennen, also feier­lichen und förm­lichen Akt handelt, der ebenso wichtig war wie all die anderen Tätigkeiten auf dem Reichstag, die gleichfalls wegen ihrer Bedeutung eine bild­liche Bestimmung fanden.156 Der hohe Stellenwert der Diktatur ist damit gegeben, da es einzig und allein hier mög­lich war, ein Schriftstück Kaiser und Reich offiziell zur Kenntnis zu bringen. Ein nicht diktiertes Schreiben war demgegenüber beim reich noch nit public worden.157 Das bedeutete, so Susanne Friedrich, „daß es nicht offiziell zur Kenntnis genommen werden mußte […]. Die Diktatur bewirkte also nicht nur der Verbreitung des Dokuments, sondern diente zu dessen verbind­licher Kenntnisnahme“.158 Diese verbind­liche Kenntnisnahme war auf eine die Ordnung des Reiches entsprechende Diktatur angewiesen. Bezogen auf die Visita­tion bedeutet dies, dass man einer Diktatur bedurfte, die der Zusammensetzung der visitierenden Stände entsprach. Die Ordnung der visita­tionseigenen Verkündigungsplattform war allerdings nicht per se gegeben, sondern musste zu Visita­tionsbeginn erst hergestellt werden. Aus ­diesem Grund musste jeder Sekretär ein von dem Visitator unterschriebenes Zertifikat vorlegen, damit der Dictator wisse, ob einer ad Dictaturam zu zulaßen seye.159 Der Zugang zur Diktatur war also streng geregelt, um das Arkanum der Visita­tion zu wahren. Dieser Aspekt – die Wahrung des Geheimnisses – war gerade im Zeitalter der expandierenden Medienöffent­lichkeit von größter Wichtigkeit. Davon zeugen nicht nur die weiteren Ausführungen,160 sondern auch die Diskussion um die Einrichtung einer visita­tionseigenen Druckerei.161 Da die Vervielfältigung von Schriftstücken mittels der Diktatur sehr zeit- und kostenintensiv war, begannen die Visitatoren im November 1768 d­ arüber zu 1 55 Aulinger, Bild des Reichstages (1980), Abbildung (Nr. 32). 156 Ebd., S.  412 – 414. 157 Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 128. 158 Ebd. 159 HHStA Wien MEA RKG 341, Darium vom 12. Mai 1767. 160 Siehe D.1.3. 161 Siehe vergleichend zur Rolle des Druckes auf dem Reichstag: Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 128 – 130.

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beraten, eine visita­tionseigene Druckerei zur Beschleunigung der Schriftproduk­ tion einzurichten.162 Das Direktorium rechnete vor, dass die beiden Wetzlarer Stadtdrucker Winckler und Stock 163 wöchent­lich 9 bis 10 Bögen Mittel­schrift ­abdrucken könne[n], welches geschrieben 24 Bögen auswerfen möchte.164 Der kursäch­sische Visitator, der mit seinem Vorschlag die Diskussion anstieß,165 sprach gar von einer doppelte[n] Dictatur, die durch Einrichtung einer Druckerei erreicht werden könne. Zu bedenken gab er allerdings, dass die Setzer und Drucker zu verpflichten s­ eien, die Presse […]verschlossen zu halten. Zudem solle man sich überlegen, beym Druck iedesmahl ein Aufseher zu bestellen oder aber den Drucker einzuschließen und am Ende eines jeden Druckvorgangs zu kontrollieren, damit er keine Bögen für sich mit heraus nehmen könne.166 Die Wahrung des Arkanums spielte also auch bei der Frage nach der Einrichtung einer visita­tionseigenen Druckerei eine sehr wichtige Rolle. Letztendlich war die Anfertigung von Schriftstücken gerade im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ also doch ein recht unsolenner, rein techno­kratischer Akt. Die Druckerei sollte mög­lichst schnell und mög­lichst viel Schrift­lichkeit für Kaiser und Reich produzieren. Dieses funk­tionale Verlangen nach einer schnelleren Schriftproduk­tion, welches sich auf dem Reichstag schon in den 1670er Jahren durchsetzte,167 erklärt auch, warum es ungeachtet der angeführten Bedenken dann doch zügig zur Einrichtung einer Druckerei kam. Seit Anfang 1769 gab es für einen halbjähr­lichen Unkostenbeitrag von 25 fl. pro Visita­tionsstand eine visita­tionseigene Druckerei unter der Regie des kurmainzischen Direktoriums. 168

1 62 242. Session vom 28. Nov. 1768 [StadtAA RKG 44]. 163 In Wetzlar gab es seit 1694 eine Druckerei, „vor dieser Zeit mußte der Rat auswärts ­drucken lassen“ [Schieber, Normdurchsetzung Wetzlar (2008), S. 261]. Die ­Druckerei wurde von dem aus Schlesien stammenden Buchdrucker Georg Ernst Winckler begründet. Sie entwickelte sich „zu einer der bedeutendsten im weiteren Umkreis“ [Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 75]. Der Buchdrucker Stock scheint hingegen nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Zumindest wird er bzw. die Druckerei Stock in der hier zitierten Literatur nur am Rand behandelt. Ledig­lich Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 359 erwähnt einen Buchdrucker Georg Wilhelm Stock, der nach 1800 Stadtverordneter war. 164 242. Session vom 28. Nov. 1768 [StadtAA RKG 44]. 165 Antrag auf eine Geheime Druckerei in der 237. Session vom 14. Nov. 1768 [StadtAA RKG 44]. 166 SD Kursachsen, 242. Session vom 28. Nov. 1768 [StadtAA RKG 44]. 167 Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 128 – 139. 168 VS 269. Session vom 17. Feb. 1769 [StadtAA RKG 45]. Entsprechende Quittungsbelege haben sich im Original erhalten in: GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42, Fasz. 2. (sechs Belege

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Die Mög­lichkeit des geheimen Druckens konnte allerdings nicht verhindern, dass auch fortan viel Handarbeit notwendig war, um den Schriftbedarf der Visita­tion zu decken.169 Die seit 1769 mit Diktatur und Druckerei gleich zweifach abgesicherte Schriftproduk­tion konnte jedoch letztend­lich nur den ausgedehnten Beratungen im Visita­tionssaal folgen. Auch aus ­diesem Grund muss der Konferenzsaal der Visitatoren als verräum­lichter Mittelpunkt der Visita­tion begriffen werden. Er ist quellenmäßig weitaus besser zu greifen als die Diktatur. Am Anfang stand, den Gesandtschaftsquartieren entsprechend, die Suche nach geeigneten Räum­ lichkeiten. Die Gerichtsangehörigen schlugen im März 1767 vor, das ehemals vom Präsidenten Graf von Wied-­Runkel bewohnte Haus am Buttermarkt 170 sowie das Wirtshaus zum Stern der Visita­tion zu widmen. Zudem sollte, da beide Gebäude sehr verfallen s­ eien, besonders aber die Dächer nichts taugen, die Stadt dazu aufgefordert werden, ­solche zu repariren und in tüchtigen Stand zu setzen.171 Der Reichsvizequartiermeister gab demgegenüber zu bedenken, dass mit solch baufälligen Räum­lichkeiten die Herren Visitatores lange auf einen Conferenz-­Saal warten müßen, und verlangte vom städtischen Rat einen alternativen Vorschlag.172 Dieser erklärte, bei der vorherigen Visita­tion habe die Alte Kammer als Versammlungsort gedient, da hier mit einem Saal und fünf Senatsstuben hinläng­lich Platz sei.173 Ausgehend von ­diesem Vorschlag kam es in und außerhalb Wetzlars zu weiteren Beratungen, die darin mündeten, dass das alte Gerichtsgebäude, wie schon bei der ersten Wetzlarer Visita­tion vor über 50 Jahren, als visita­tionseigener Konferenzsaal diente. Allerdings gab es auch hier nicht unerheb­liche Baumängel. Gerade der wenige Jahre zuvor, im Jahr 1756, erfolgte Umzug des RKG von der Alten Kammer in die direkt gegenüber liegende Neue Kammer geschah,174 weil sich das alte, schon im Jahr 1693 mit bau­lichen Mängel bezogene Gerichtsgebäude in einem desolaten Zustand befand.175 Aus diesen Gründen war es unumgäng­lich, die Alte Kammer für die Tätigkeit der Visita­tion zu renovieren. Weil sich die

vom 18. Feb. 1769 bis 4. April 1772). Die dritte Visita­tionsklasse reduzierte den Beitrag auf 12fl. pro Halbjahr (Sess. 986 vom 18. Okt. 1775) [StadtAA RKG 58]. 169 Siehe C.2. 170 Volk, Wohnungen der Kameralen (2001), S. 27. 171 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Prokurator Zwierlein an Räte 21. März 1767. 172 Ebd. 173 Ebd. 174 Siehe insgesamt hierzu die Karte im Anhang unter Punkt 3.1. 175 Siehe hierzu Scheurmann, Ausstattung RKG (1995), S. 81.

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Renovierungsarbeiten aber hinzogen – noch am 3. Mai 1767 mahnte das Direktorium zur Eile 176 – und das kurmainzische Quartier nicht zur Verfügung stand,177 fand am 8. Mai die so genannte Präliminar-­Konferenz im Rathaus statt, dort, wo auch die Diktaturstube dauerhaft untergebracht war. Die Präliminar-­Konferenz war eine Vorbesprechung, die mit dazu diente, die feier­liche Abholung der kaiser­lichen Kommission zu regeln.178 Nach dieser Besprechung begaben sich die Visitatoren in die Alte Kammer, um den künftigen Konferenzsaal in Augenschein zu nehmen. Hier sahen sie zum ersten Mal ihren künftigen, gemeinsamen Arbeitsort, mussten aber sogleich feststellen, dass die unter dem Baldachin hergerichteten beiden Sitze der kaiser­lichen Kommissare entgegen einer Vereinbarung drey Stuffen hoch waren. 179 Die anwesenden Visitatoren protestierten und verlangten den Abbau der dritten Stufe, was die dort noch arbeitende[n] Handwercks Leute auch zügig erledigten.180 Mit dieser Änderung fand der ehemalige Audienzsaal des RKG seine bau­liche Vollendung. Am 11. Mai 1767 konnte in der Alten Kammer die erste von über 1000 Sitzungen stattfinden. Die Sessionen der Visita­tion wurden dabei nach einer geregelten Sitzordnung abgehalten, und zwar deshalb, weil in der Vormoderne der Sitz immer auch das „Recht zur polit[ischen] Mitsprache im wört­lichen Sinne (‚Sitz und Stimme‘)“ bedeutete.181 In „allen polit[ischen] Versammlungen wurde in der Regel eine hierarchische Sitzordnung beachtet, die sich an dem jeweiligen institu­tionellen Oberhaupt als Zentrum [orientierte]; je näher an d­ iesem Zentrum, desto besser war der Platz“.182 Diese Sitzmaximen vormoderner Versammlungen wurden auch bei der Visita­tion beachtet, wie folgendes Schema verdeut­licht:

176 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 3. Mai 1767. 177 Die kurmainzischen Visitatoren weigerten sich, den nach ihnen angekommenen alt Fürst­ lichen die erste Visite abzustatten [BayHStA KS 5716, Diarium vom 7. Mai 1767]. 178 Siehe hierzu D.1. 179 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767. 180 Ebd. 181 Stollberg-­Rilinger, Sessionsordnung (2010), Sp. 1116. 182 Ebd.

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Die Sitzordnung im Konferenzsaal (11. Mai 1767)183

183 HHStA Wien MEA RKG 256.

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Das Schema zeigt die Sitzordnung der Visita­tion am Tag der feier­lichen Eröffnung.184 Wört­lich heißt es in der – hier nicht abgedruckten – Überschrift: Schema Sessionis dem Audientz Zimmer auf dem alten Cammer-­Gerichts Haus zu Anhörung der Kayser­lichen allerhöchsten Proposi­tion. So geschehen Wetzlar den 11. May 1767.185 Unter diesen Worten beginnt die im Bild befind­liche Hierarchie der Sitze mit dem um zwei Stufen erhöhten Thron der kaiser­lichen Kommissare. Den kaiser­lichen Vertretern zu Füßen befand sich der – so die Beschriftung – Tisch deren Herren Subdelegirten mit Rothen Tuch überzogen.186 An ­diesem Tisch saßen die Visitatoren, vom Betrachter aus gesehen links, beginnend mit Kurmainz, die katho­lischen und rechts, beginnend mit Kursachsen, die protestantischen. Den kurfürst­lichen, fürst­lichen und gräf­lichen Gesandten folgten, an der Tischkante und damit ganz am Ende der hierarchischen Ordnung, die reichsstädtischen Vertreter. Von diesen insgesamt 24 Subdelega­tionen waren am Tag der Visita­tionseröffnung auf katho­lischer Seite Österreich, Konstanz, Regensburg, Münster, Prälaten sowie das protestantische Wolfenbüttel abwesend. Tisch und Stühle der Visitatoren sowie der Thron der kaiser­lichen Vertreter bildeten das Zentrum der Sessionsordnung. Daneben, deut­lich abgehoben, aber dennoch prominent vermerkt, stand (!) linker Hand, direkt hinter dem kurmainzischen und kurtrierischen Vertreter, der Mainzer Sekretär. Auch der ganz am Rand befind­liche Tisch der Secretarii Moguntini ohne Stuhl wurde im Schema eingezeichnet.187 Das Schema verdeut­licht einiges, verschweigt aber auch manche nicht unerheb­liche Aspekte. Zum einen wurde auf der Präliminar-­Konferenz festgelegt, dass die kaiser­lichen Kommissare zwar bei feier­lichen Sitzungen wie der Visita­tionseröffnung erhöht um zwei Stufen unter dem Baldachin sitzen dürfen. Bei gewöhn­lichen Sitzungen stand ihnen aber nur das Recht zu, ohne Erhöhung und Thron Himmel zu sitzen.188 Bestimmt wurde ferner, den kaiser­lichen Kommissaren zwei Stühle mit Armlehnen und den Visitatoren Lehen Stühle ohne Armen zu geben.189 Das Schema gibt überdies nicht zu erkennen, dass es wenige Stunden vor der Eröffnungssitzung in einem Nebenzimmer des Konferenzsaales zu einem heftigen Streit um die Anwesenheit der Sekretäre kam. Denn völlig unerwartet für das Direktorium verlangten die protestantischen Visitatoren 184 Eine weitaus unpräzisere Sitzordnung in gedruckter Form führen die WA, Beilage zu Nr. 2 vom 29. Juli 1767. 185 HHStA Wien MEA RKG 256. 186 Ebd. 187 Ebd. 188 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767. 189 Ebd.

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unter starkem Beystand des Bayerischen Subdelegati und mit Einverständnuß des Pfältzischen die Anwesenheit ihrer Sekretäre.190 Die kurmainzischen Visitatoren, die auf die Vorrechte des Reichserzkanzlers pochten, verwarfen die Forderung ener­g isch, zumal die kursäch­sische Subdelega­tion – letztend­lich vergeb­lich – die Anwesenheit des Reichsquartiermeisters einforderte. Der Streit zog sich fast zwei Stunden hin und drohte zu eskalieren, bis man sich darauf einigte, die im Gesandtschaftsquartier verweilenden kaiser­lichen Kommissare zu kontaktieren.191 Dort angekommen trug der kursäch­sische Stimmführer erneut die Anliegen vor, signalisierte allerdings Bereitschaft, den Streit aufzuschieben, wenn der kurmainzische Sekretär fortbliebe. Die kaiser­liche Kommission gab demgegenüber zu bedenken, dass die Anwesenheit des kurmainzischen Sekretärs unerläss­lich sei, woraufhin Kursachsen replizierte, daß, weilen doch an heut nichts zu schreiben seye, wenigstens der Tisch und Stuhl des Secretarii mögten hinnaus gesezt werden.192 Die Mainzer Gesandtschaft erwiderte wiederum, der Removirung des Tisch und Stuhls unmög­lich nachgeben zu können, da dies ein Anzeichen seye, daß Secretarius in Consessu zu schreiben berechtiget.193 Um also das ‚Hoheitszeichen‘ der kurmainzischen Protokollführung zu wahren und die heutige Solennität nicht zu stören, einigte man sich darauf, dass bei der solennen Eröffnung der Visita­tion der kurmainzische Sekretär samt Tisch zwar anwesend sein durfte, der Stuhl aber removiret werde, zumal der Sekretär ohnehin die ganze Zeit über zu stehen hätte.194 Zugleich kam man damit der Forderung einer konfessionsübergreifenden Mehrheit entgegen. Vor d­ iesem Hintergrund ist im Schema kein Sekretärsstuhl eingezeichnet. Damit ist zugleich bestätigt, dass in der Vormoderne das „Verhältnis z­ wischen symbo­lischem Sitz und polit[isch]-sozialem Rang […] ein wechselseitiges war […]. Gerade weil der Rang eine so schwankende und perspektivabhängige Sache war, musste er in Objektivierungen wie der Sitzordnung sichtbar gemacht werden, um kollektiv anerkannt zu werden“.195 Die Störanfälligkeit dieser symbo­lischen Ranginszenierung werden auch die weiteren Ausführungen verdeut­lichen.196 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es in der Stadt ­Wetzlar zwar verschiedenste Orte gab, an denen und mit denen sich die Visita­tion 1 90 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal, Keller, Lieb und Horix an Kurfürst 11. Mai 1767. 191 Ebd. 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Stollberg-­Rilinger, Sessionsordnung (2010), Sp. 1116 f. 196 Siehe Kapitel D.

Von London bis Wien: Reformperipherien?

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verwirk­lichte. Allen Orten, ob Visita­tionssaal, ­Kirchen, Gesandtschaftsquartieren oder auch Gassen und Wegen – es sei an die ‚Eselgeschichte‘ des Augsburger Visitators erinnert –, gemeinsam ist aber, dass es hier immerfort einen Zwang zur Ranginszenierung gab.

B.2. Von London bis Wien: Reformperipherien? Assessor Nettelbla behauptete aber mit vieler Zuversicht, die Visita­tion würde nicht zu Stande kommen, weil in Polen und anderswo so viele wichtigere Staatsgeschäffte im Gange wären, daß die großen Höfe darüber an diesen Gegenstand nicht denken würden.197

Die zitierte Einschätzung des Assessors Nettelbla, die dieser VOR Beginn der Visita­tion abgegeben hat und die Pütter viele Jahre NACH der Visita­tion in seine Selbstbiographie aufgenommen hat, deutet an, dass die Visita­tion immer auch ein ‚Staatsgeschäft‘ war, welches von den politischen Rahmenbedingungen seiner Zeit abhing. Diese Abhängigkeit, die auch das Schema der Reformsphären zum Ausdruck bringt, bedingte 1.) die Tatsache, dass die RKG-Visita­tion eine Reform des Reiches war. Deshalb hatte neben dem Kaiser eine Vielzahl an reichsunmittelbaren Herrschaftsträgern das Recht, einen Visitator respektive kaiser­lichen Kommissar nach Wetzlar zu entsenden. Kaiser und Reich visitierten 2.) ein Gericht, das sich als rechtspolitisches Fundament des frühneuzeit­lichen Reichs- und Friedensverbandes begreifen lässt. Und 3.) war die RKG-Visita­tion eine Reform, die vom Mit- und Gegeneinander der europäischen Staaten ihrer Zeit abhing. Auf diesen letzten Punkt zielte die Einschätzung Nettelblas. Die europäische Dimension der RKG-Visita­tion kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, dass das Reich per se – so Peter Claus Hartmann – „eine Art Mitteleuropa der Regionen mit einer Bevölkerung verschiedener Ethnien und Sprachen“ war.198 Entscheidender als diese sowohl – an heutigen Na­tionalgrenzen gemessene – länder- als auch sprach- und ethnienübergreifende Grundausrichtung des Reiches waren jedoch die von Nettelbla nicht näher bestimmten großen Höfe, w ­ elche die ‚Europäisierung‘ des Reichsverbandes bedingten. Zuvorderst sind hier der Wiener und der Berliner Hof zu nennen. Beide Höfe stehen für jenen Dualismus ­zwischen Österreich und Preußen, der die Geschichte des Reiches im 18. Jahrhundert zwar nicht determinierte, aber

197 Pütter, Selbstbiographie Bd. 2 (1798), S. 474. 198 Hartmann, Reich (2005), S. 13.

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nachhaltig prägte.199 Ausgehend von den machtpolitischen Veränderungen im Reich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, „in deren Verlauf die Hohenzollern zum führenden Reichsstand im norddt. Raum aufstiegen und die durch die Annahme der Königswürde für das außerreichische Preußen auch nach außen hin dokumentiert wurde“,200 entwickelte sich Preußen zu einer protestan­tischen und schließ­lich auch konfessionsübergreifenden „Orientierungsmacht“ in Abgrenzung und in Gegnerschaft zu Österreich.201 Die Konkurrenz beider reichischen Führungsmächte manifestierte sich im Jahr 1740, 202 als Friedrich II. wenige Monate nach seiner Thronbesteigung in das österreichische Schlesien einmarschierte. Dieser erste Schle­sische Krieg (1740 – 4 2), der als „Folge einer fast dreißigjährigen Überrüstung Preußens begriffen werden“ kann, 203 löste ­zwischen der Hofburg und Berlin einen „tiefen Entfremdungsprozeß“ aus,204 der zunächst in den Österreichischen Erbfolgekrieg (1740/41 – 1748), einen zweiten Schle­sischen Krieg (1744 – 45) und schließ­lich, nach einem Jahrzehnt des Friedens und der Diplomatischen Revolu­tion von 1756, in den Sieben­jährigen Krieg bzw. dritten Schle­sischen Krieg (1756 – 63) mündete.205 Der mit den beiden Frieden von Paris (10. Febr. 1763) und Hubertusburg (15. Febr. 1763) beendete schwerste und verlustreichste Krieg seiner Zeit,206 der weltweit ausgefochten wurde,207 führte dazu, dass Preußen das hochentwickelte Schlesien behaupten konnte. Der preußische Großmachtstatus war dadurch aber nach wie vor keineswegs gesichert. Aus d­ iesem Grund schloss Friedrich 1764 nicht nur ein Bündnis mit Russland.208 Überdies gefiel sich der Preußenkönig in der Rolle eines protestantischen Gegenkaisers,209 die es ihm ermög­lichte, den „seit seinem Schlesienunternehmen anhaftenden und von der gegnerischen Publizistik gepflegten Ruf des ‚Reichszerstörers‘ wieder los[zu]werden“.210 In eben ­diesem Sinne stellte neun Monate vor der Visita­tion Minister Graf von 199 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 440 f. 200 Derndarsky, Deutscher Dualismus (2005), Sp. 944. 201 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 363 f. 202 Derndarsky, Deutscher Dualismus (2005), Sp. 945. 203 Burkhardt, Grundkurs Frühe Neuzeit (1985), S. 251. 204 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 363. 205 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 382. 206 Ebd., S. 429. 207 Füssel, Siebenjährige Krieg (2010). 208 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 369. 209 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 108 u. Burkhardt, Vollendung (2006), S. 441. Siehe insgesamt hierzu Press, Friedrich der Grosse als Reichspolitiker (1986). 210 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 364.

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Hertzberg gegenüber Friedrich in Aussicht: Eure König­liche Majestät werden dadurch ein Richter des ganzen Reichs.211 Hertzberg war dabei „durchdrungen von dem friderizianischen Grundsatz, daß Österreich Preußens Hauptgegner sei“.212 Aus d­ iesem Grund begriff er und mit ihm wohl auch Friedrich die Visita­tion als ein Reforminstrument, welches es ermög­liche, die Authoritaet des Kaysers und des Reichs-­Hofraths einzuschränken.213 Ziel war es also, weniger für das Reich als vielmehr gegen das Kaisertum zu visitieren. Damit bestätigt sich, dass eine Reichskammergerichtsvisita­tion immer auch ein machtpolitisches Instru­ment war, welches dazu dienen konnte, die kaiser­liche Jurisdik­tionsgewalt einzuschränken.214 Zugleich aber und unabhängig von der Inten­tion, mit der man in Berlin oder aber – wie an anderer Stelle bereits dargelegt 215 – in Wien die Visita­tion unterstützte, konnte man sich der Visita­tion nicht entziehen. Es wurde also nolens volens immer mit der Visita­tion gearbeitet. Damit bestätigt sich die Feststellung von Johannes Burkhardt, nach welcher der österreichisch-­ preußische Dualismus nicht (nur) bedeutete, „daß Österreich und Preußen sich aus der Reichsgeschichte zurückzogen, sondern im Gegenteil, daß sie in Wettbewerb um die Führung des Reiches traten“.216 Das Ringen im Reich war dabei immer zugleich auch ein Ringen in Europa. Denn spätestens mit dem Ende des österreichischen Erbfolgekrieges (1748) zählte „der österreichisch-­preußische Antagonismus […] zu den festen Größen und den Grundgegebenheiten auch der interna­tionalen Politik“.217 Es lässt sich sogar sagen, dass bis zum neuer­lichen Höhepunkt des Fürstenbundes von 1785 „der Antagonismus der beiden deutschen Großmächte […] die Staatenpolitik der zurückliegenden vier Jahrzehnte zu einem guten Teil strukturiert hatte“.218 Zur ‚Europä­ isierung‘ der Visita­tion trug ferner Kurbraunschweig bei, dessen Kurfürsten seit 1714 zugleich Könige von England bzw. Großbritannien waren.219 Mit Georg III., Friedrich II. und Maria Theresia agierten bei der Visita­tion mittelbar sogar drei

2 11 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 41, Fasz. 1, Hertzberg an König 4. Aug. 1766. 212 Skalweit, Stephan, Ewald Friedrich Graf von Hertzberg, in: NDB 8 (1969), S. 716. 213 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 41, Fasz. 1, Hertzberg an König 4. Aug. 1766. 214 Siehe hierzu bereits A.1.2. 215 Siehe ebd. 216 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 441. 217 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 364. 218 Ebd., S. XIV. 219 Seit dem Act of Union von 1707, der den „Übergang von der Personal- zur Realunion Englands und Schottlands“ markiert, lautet die korrekte Begriff­lichkeit Großbritannien [ebd., S. 96].

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Potentaten jenes fünfpoligen Systems (Pentarchie), zu dem auch Frankreich und Russland zählten und das nachhaltig die interna­tionale Politik seiner Zeit prägte.220 Zu denken ist ferner an Kursachsen. Ebenso wie Kurbayern handelt es sich hierbei um einen jener europäischen Akteure, die Heinz Duchhardt als „die Kleinen und die Passiven“ beschreibt.221 Der Hof in Dresden gehört wahrschein­lich auch zu den Höfen, von denen Nettelbla vor der Visita­tion in unbestimmter Weise sprach. Denn gerade Kursachsen war nicht nur Reichs- und Visita­tionsstand. Der Kurfürst von Sachen war vielmehr seit 1697 zugleich König des polnisch-­ litauischen Doppelreiches.222 Die säch­sisch-­polnische Personalunion fand allerdings 1763 mit dem Tod von Kurfürst Friedrich August II. bzw. König August III. ein Ende, wodurch eine regelrechte polnische Krise entstand. Denn während Frankreich und Österreich die Fortsetzung des wettinischen Königtums wollten, bevorzugte Russland einen einheimischen Thronkandidaten.223 Letzterer konnte sich schließ­lich durchsetzen, nachdem Preußen mit Russland eine Defensivallianz geschlossen hatte und insgesamt die Großmächte unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg eine eher defensive Außenpolitik verfolgten, „um einen etwaigen (nicht finanzierbaren) neuer­lichen Krieg zu vermeiden“.224 Dessen ungeachtet blieb Polen auch nach 1764 ein wichtiges Thema der interna­tionalen Politik, über das Nettelbla im angeführten Zitat andeutungsweise räsonierte, da einerseits der neue polnische König, Stanislaus August Poniatowski, Reformen anstrebte, die auf die Stärkung der Adelsrepublik zielten. Dies jedoch widersprach der Überzeugung Russlands, da das eigene Wohlergehen „von der polnischen Schwäche […] abhing“.225 Aus ­diesem Grund „griff die Zarin seit 1767 unter Vorwänden […] mit rus­sischen Truppen“ in Polen ein und erwirkte in einem Vertrag vom Mai 1768, „daß die Reformvorhaben förm­lich aufgegeben und der Verfassungszustand, der Rußland alle Einfluß- und Eingriffsmög­lichkeiten beließ, wiederhergestellt wurden“.226 Andererseits blieb Polen auch deshalb ein wichtiges Thema der interna­tionalen und damit immer auch der reichischen (Visita­tions-)Politik, da es „unter Aufweichung des österreichisch-­preußischen Dualismus“ 1772 zur ersten der insgesamt 2 20 Ebd., S.  7 – 19. 221 Ebd., S. 95. 222 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 315 f. 223 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 370 f. 224 Ebd., S. 372. 225 Ebd., S. 375. 226 Ebd.

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drei Teilungen Polens kam.227 Gleichwohl dieser Teilungsakt von den Zeitgenossen auch als ein neuartiges Mittel der Krisenbewältigung gutgeheißen wurde, überwog in der „politische[n] Öffent­lichkeit Europas“ die Wahrnehmung, „daß die willkür­liche ‚Zerstückelung‘ […] eines souveränen Staates aufgrund einer bloßen Interessensabsprache ­zwischen den Großmächten einen definitiven Einbruch in die politische Ordnung des alten Europa darstellte“.228 Die „mora­lische Entrüstung“229 ergriff insbesondere das Reich. In Regensburg, Dresden und andernorts sorgte man sich schlichtweg um das eigene territoriale Schicksal.230 In ­diesem Sinne wurde auch in Wetzlar mit Sorge die polnische Teilung wahrgenommen. Der Visitator der Reichsstadt Augsburg prophezeite gar, dass, wenn die Visita­ tion scheitern würde, was im Jahr 1772 aufgrund der mehrmonatigen Trennung nicht unwahrschein­lich war,231 das teutsche Reich eine ähn­liche[...] Partage [Aufteilung; A. D.] wie das Königreich Pohlen erleiden werde. Einen Satz weiter heißt es sogar flehent­lich: Der erbarmende Gott gebe bessere Zeiten und an denen Höfen Christ­lichere Leuthe!232 Die politischen Geschehnisse in Europa wirkten also unmittelbar auf die Geschehnisse in Wetzlar ein. In Anlehnung an das Schema der Reformsphären kann sogar von einer interna­tionalen (Reform-)Sphäre gesprochen werden – eine Sphäre, die sich vor allem, aber nicht ausschließ­lich über die drei europäischen Großmächte (Preußen, Österreich und England), die zugleich Glieder des Reiches waren, konsti­ tuierte; zudem visitierte in der zweiten Klasse für das Herzogtum Holstein der König von Dänemark. Damit soll natür­lich nicht gesagt sein, dass die Visita­tion per se eine europäische Angelegenheit war, nur weil drei Glieder der Pentarchie und die Schwellenmacht Dänemark 233 zugleich Visita­tionsstände waren und überdies das Haus Habsburg über den Kaiser zugleich die kaiser­lichen Kommissare stellte. Denn auch wenn es nahe liegt, dass z­ wischen der Politik auf interna­tionaler, reichischer, territorialer und lokaler Ebene (Wetzlar) ein Zusammenhang bestand, so ist doch deut­lich, dass es sich hier – so allgemein Duchhardt für die Außen- und Staatenpolitik – um ein „sehr komplexes Phänomen [handelt], in das viele Kräfte hineinwirken, auf das zahlreiche Gruppen, Organisa­tionen, Institu­tionen und 2 27 1793 zweite und 1795 dritte Teilung; ebd., S. 376 – 384, Zitat S. 376. 228 Müller, G., Die Teilungen Polens (1984), S. 8. 229 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 377. 230 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 180 f. Grundlegend hierzu Cegielski, Das alte Reich und die Erste Teilung Polens (1988). 231 Siehe D.5.2. 232 StadtAA RKG 33, Rela­tion 97 vom 9. Dez. 1772. 233 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 197 – 201.

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Einzelpersonen Einfluß zu nehmen suchen“.234 Wenn aber bereits die europäische Außen- und Staatenpolitik als das Ergebnis sehr unterschied­licher Faktoren zu begreifen ist, „die nicht nur Staatsverfassung und Bürokratisierung, Militärpotential und diplomatischen Dienst, Wirtschaft und natür­liche Ressourcen, sondern auch Kultur, Konfession, Weltbilder, Stereotypen“ und dergleichen mehr umfasst,235 dann ist deut­lich, dass sich auch die Visita­tionspolitik eines Reichsstandes, zumal, wenn dieser auch im europäischen Kontext agierte, nur multikausal zu erklären ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass 1.) die Visita­tion für jeden Reichsstand eine außen- oder zumindest eine reichs- und keine innenpolitische Angelegenheit war. Dies verdeut­licht Kurbayern, wo für die Visita­tion das so genannte Departement deren churfürst­lichen auswärtigen Geschäfften 236 zuständig war. Es ist zwar 2.) allgemein zu konstatieren, dass die Landesherren die außenpolitischen „Fäden natür­lich immer in der Hand“ behielten.237 Darüber hinaus gilt jedoch 3.) die „Binsenwahrheit […], daß Diplomaten Menschen aus Fleisch und Blut und keine Maschinen waren und durch ihr Auftreten, ihren Lebensstil, ihre Sprache, ihre Kontakte die Politik ihrer eigenen Regierung durchaus auch konterkarieren konnten“.238 Eben d­ ieses waren auch die Visitatoren. Sie waren Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre Handlungsfreiheiten und ihre Handlungszwänge besaßen. Diese Handlungsspielräume gilt es im weiteren Verlauf dieser Studie zu untersuchen,239 und zwar in dem Bewusstsein, diesen traditionellen Gegenstand der politischen Geschichte einer themen- und zugriffsoffenen Analyse unterziehen zu müssen.240 Neben den Landesherren sind 4.) auch und gerade die jeweiligen territorialen Behördenapparate zu berücksichtigen. Eine eingehende Analyse der territorialen Verankerung der Visita­tion ist jedoch nur bedingt mög­lich, da Spezialstudien zur territorialen oder auch reichsstäd­tischen Verwaltungs- und Arbeitspraxis, wie sie etwa für die Geheime Konferenz unter Kaiser Leopold I. (1658 – 1705)241 oder die Münchner Zentralbehörden unter Kurfürst Karl ­Theodor vorliegen,242 weitgehend fehlen.

2 34 Ebd., S. XV. 235 Ebd., S. 3 f. 236 Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 480. 237 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 20. 238 Ebd., S. 35. 239 Siehe Kapitel C und D. 240 Borowsky, Politische Geschichte (1998), S. 485. 241 Sienell, Geheime Konferenz unter Kaiser Leopold I. (2001). 242 Gigl, Zentralbehörden in München 1778 – 1799 (1999). Siehe hier etwa auf S. 200 – 217 die Ausführungen zur Arbeitsweise der Geheimen Konferenz.

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Dennoch erlaubt es Kurbayern, die Betrachtungen über die Reformsphären jenseits von Wetzlar exemplarisch zu vertiefen.243 Mit der Einrichtung des D ­ epartements deren churfürst­lichen auswärtigen Geschäfften wurde in München die „Außenpolitik offiziell aus der kollegialen Zuständigkeit der [Geheimen] Konferenz herausgenommen und [mit Grafen Baumgarten]244 einem Konferenzmitglied zur besonderen Erledigung anvertraut“.245 In der Praxis setzte sich allerdings nach wie vor die Geheime Konferenz, also die oberste Behörde Kurbayerns, mit außenpolitischen Fragen auseinander. Erst ab 1769 trat dann das Departement als eigenständige Behörde in Erscheinung. Darauf verweist nicht nur die Errichtung einer eigenen Kanzlei und die Anstellung von „schließ­lich vier eigene[n] Sekretäre[n] und eine nach und nach wachsende Anzahl von Registratoren sowie Boten“,246 sondern auch die Ende 1768/ Anfang 1769 vollzogene Ansiedlung des Departements in einem Trakt der Münchner Herzog-­Max-­Burg.247 Die Außenpolitik Kurbayerns wuchs damit nur „langsam aus der kollegialen Behandlung in der Geheimen Kanzlei heraus, ohne daß es jedoch zur gänz­lichen Lösung kam“.248 Wie dies jedoch die kurbayerische Visita­tionspolitik beeinflusst hat, lässt sich kaum sagen, da insgesamt die Tätigkeit des Departements „aktenmäßig nicht faßbar“ ist.249 Und auch die Protokolle der Geheimen Konferenz ergeben keine weiterführenden Hinweise.250 Überdies lässt sich wohl nicht nur für Kurbayern sagen, dass die „Außenpolitik vielfach in persön­lichen Unterredungen mit einzelnen Ministern und Gesandten betrieben“ wurde.251 Die Schrift­lichkeit hatte 2 43 Für Kurbayern und die hier zu interessierenden Jahre liegt mit Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992) eine wichtige Grundlagenarbeit vor. Es ist auch auf die Überblicksabhandlungen von Hammermayer, Behördenund Verwaltungsorganisa­tion (1977), Press, Wittelsbachische Territorien (1983) und Schmid, Reformabsolutismus (1991) zu verweisen, die zugleich den jeweiligen Forschungsstand dokumentieren. Siehe ferner Kramer, Verwaltung und politische Kultur im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern (1998). 244 Siehe hierzu Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs Bd. 3 (1992), S.  2 – 5. 245 Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 480. 246 Schmid, Reformabsolutismus (1991), S. 63. 247 Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992), S. 555. 248 Schmid, Reformabsolutismus (1991), S. 63. Siehe insgesamt auch Gigl, ­Zentralbehörden in München 1778 – 1799 (1999), S. 222 – 225. 249 Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 480 (Anm. 25). 250 Es wurden die Bände für die Jahre 1766, 1767 und 1768 ausgewertet [BayHStA ­Kurbayern Geheimer Rat 405 – 4 09]. Ledig­lich für das Jahr 1767 findet sich der Hinweis, dass man sich mit einem Regierungsbericht aus Straubing wegen eines Mandats bezüg­lich der Visita­tion auseinandergesetzt hat [BayHStA Kurbayern Geheimer Rat 407, fol. 56 – 57]. 251 Kramer, Zur Konzep­tion mittelstaat­licher Außenpolitik (1997), S. 706.

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also selbst im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ ihre Grenzen. Aus d­ iesem Grund lässt sich für Kurbayern der behördeninterne Umgang mit der Visita­tion nur sehr eingeschränkt über die Korrespondenz Goldhagens mit dem Kurfürsten respektive den leitenden Beamten sowie über die an Goldhagen erlassenen Instruk­tionen quellen­ orientiert analysieren.252 Eine innerterritoriale Perspektive, die versucht, den Umgang des Landesherren und der Akteure der Zentralbehörden mit der Visita­tion zu rekonstruieren, muss dabei für das Fallbeispiel Kurbayern berücksichtigen, dass Kurfürst Max  III. Joseph (1745 – 1777) zunächst zwei Jahrzehnte eine Außenpolitik verfolgte, die „auf die Wahrung und Erhöhung des Ranges des Hauses Wittelsbach“ zielte. Daneben war „Geld […] ein weiteres Leitmotiv der bayerischen Außenpolitik, Geld – woher es auch immer kam“.253 Nach dem Siebenjährigen Krieg trat jedoch dergestalt ein Wandel ein, der für „Bayern völlig“ oder zumindest in erster Linie „im ­­Zeichen innerer Reformen und intensiver, zielstrebiger Wittelsbacher Hauspolitik“ stand.254 Für die Außenpolitik lassen sich wiederum mit Alois Schmid zwei Handlungsmaximen ausmachen. Zum einen hatte Kurfürst Max. III. Joseph und mit ihm seine leitenden Minister eine „an Preußen ausgerichtete Politik gesucht“.255 Zum anderen wurde ein „Bund deutscher Mittelstaaten […] Leitziel kurbayerischer Reichs- und Außenpolitik nach 1763“.256 In München folgte man also jener Triasidee, wie sie die deutsche Geschichte vom 18. bis zum 19. Jahrhundert begleitete 257 und dementsprechend auch, wie dargelegt, die Geschehnisse auf dem Reichstag im Umfeld der Visita­tion beeinflusste.258 Dabei bedingte es die doppelstaat­liche Ordnung des Reiches, dass die Außenund Reichspolitik 259 eines Reichsstandes in einen unlösbaren Grundsatzkonflikt geraten konnte. Denn „je mehr der Staatsbildungsprozeß voranschritt, desto schärfer stellte sich […] die Frage, wo sein Schwerpunkt liegen sollte, ob beim 252 Siehe zu der Instruk­tion Goldhagens D.2.3. 253 Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 510 u. 512. Siehe insgesamt zu d­ iesem Themenkomplex auch Rall, Kurbayern 1745 – 1801 (1952) sowie im Überblick Hammermayer, Bayern im Reich und ­zwischen den großen Mächten (1977) und Kraus, Geschichte Bayerns (2004), S. 353 – 357. 254 Hammermayer, Bayern im Reich und ­zwischen den großen Mächten (1977), S. 1040. Zur Hinwendung zur inneren Reformpolitik siehe Schmid, Reformabsolutismus (1991). 255 Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 505. 256 Ebd., S. 507. 257 Im Überblick Gotthard, Alte Reich (2003), S. 147. 258 Siehe A.1.2. 259 So die gängige, aber, soweit zu sehen, nicht systematisierte Unterscheidung etwa von Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 507.

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Reich oder bei den Territorien“.260 Aus d­ iesem Grund verunsicherte auch die polnische Teilung von 1772 viele Reichsstände. Es war näm­lich, so Axel Gotthard, ein „krasser Rollenkonflikt: der Kaiser, der Beschützer der Kleinen, der Hüter des Gewachsenen und Gewordenen, reißt in seiner Rolle als österreichischer Landesherr einen Teil aus dem Königreich Polen heraus“.261 Eine derartige Widersprüch­ lichkeit lässt sich gleichermaßen für Kurbayern feststellen. Denn einerseits war das Reich „in der bayerischen Politik ein wichtiger Bestandteil, Reichstreue ein politisches Leitbild, wenngleich ­dieses immer wieder zum eigenen politischen Gestaltungswillen und bisweilen auch zum dynastischen Selbstbewusstsein der Wittelsbacher in Konkurrenz stand“.262 Andererseits sah man in München „in den Reichsinstitu­tionen stets auch eine Beschränkung der Souveränität“.263 Bezogen auf die Visita­tion und verallgemeinernd bedeutet dies, dass die Reform des RKG einerseits von den Visita­tionsständen begehrt wurde, um mit und für das Reich zu reformieren, und sei es, um die Posi­tion des Kaisers zu stärken (Wien) oder zu schwächen (Berlin) oder aber, um sich als dritte Kraft im österreichisch-­ preußischen Machtgefüge zu behaupten. Auf der anderen Seite durfte die Visita­ tion nicht zu Lasten der Eigenstaat­lichkeit gehen.264 In ­diesem Sinne wurde der Verlust des Geldes von den Visita­tionsständen teils heftig beklagt.265 Die RKG-Visita­tion war also gerade aufgrund dieser Widersprüch­lichkeit oder – positiv formuliert – Interessenspluralität, w ­ elche die reichische und terri­ toriale Verankerung der Reichs- und Visita­tionsstände bedingte, eine Reform des vielgliedrigen Reiches. Und ebendieses deutet auch das Schema der Reformsphären an. Es bettet das Reformzentrum Wetzlar in eine territoriale und reichische sowie in die noch zu behandelnde printmediale Sphäre der Medienöffent­lichkeit ein.266 Unbestreitbar ist also, dass die Visita­tion eine Reform des Reiches war, die sich nur mit und über den Wiener Kaiserhof,267 den Reichstag 268 und die 260 Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763 – 1806 (2005), S. 264. 261 Gotthard, Alte Reich (2003), S. 144. 262 Kramer, Bayern (2003), S. 14. 263 Ebd., S. 13. 264 Diesen doppelten Anspruch verdeut­lichen besonders gut die Instruk­tionen. Siehe hierzu D.2.3. 265 Siehe A.3. 266 Siehe die Einführung zu ­diesem Kapitel. 2 67 Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichskammergerichtsvisita­tion (1929); Aretin, Kaiser Joseph II. (1991); Ders., Reichsreformpläne (1997) u. Ders., Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 135 – 159. 268 Rohr, Reichstag (1968). Siehe neuerdings zum reichstäg­lichen „Mikrokosmos sui generis“ [S. 299] Rohrschneider, Österreich und der Immerwährende Reichstag (2014).

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Vielzahl an Visita­tionshöfen und -städten realisieren ließ. Mitzubedenken ist auch, dass das Reich aufgrund seiner Geschichte, aber auch insgesamt aufgrund der frühneuzeit­lichen (Konfessions-)Geschichte konfessionell segmentiert war. Dies ist dergestalt wichtig, dass zwar deut­lich ist, dass die Konfession im 18. Jahrhundert „als konstitutiver Faktor aus dem Staatenleben verschwunden“ war 269 und dementsprechend der Siebenjährige Krieg den Abschied vom Religionskrieg brachte.270 Dessen ungeachtet lässt sich mit Gabriele Haug-­Moritz im Reich für die Zeit seit Beginn der 1750er Jahre und über das Jahr 1763 hinaus eine „Rekonfessionalisierung der Reichspolitik“ feststellen.271 Diese „enge Verquickung von Religion und Politik“272 selbst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt sich folgendermaßen erklären: Ausgehend von der verfassungspolitischen Tatsache, dass „alle die politische Ordnung des Reichs bestimmenden Organe sich in der Hand von Katholiken befanden“,273 suchten und fanden die Protestanten im 16. (Schmalkaldischer Bund), 17. (Protestantische Union) und schließ­lich auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Corpus Evangelicorum) einen bündischen Zusammenschluss, um „ihre strukturelle Benachteiligung in der bestehenden, stets altgläubig dominierten politischen Ordnung“ zu kompensieren.274 Der konfessionelle Dissens hatte also stets eine verfassungspolitische Implika­tion, die „um das Verhältnis von ständischem Freiheitsanspruch und kaiser­licher Gebotsgewalt […] und damit um den Charakter reichischer Staat­ lichkeit in der Frühen Neuzeit“ kreiste.275 Im 18. Jahrhundert trat jedoch eine Veränderung ein, da 1.) zum Corpus Evangelicorum nicht nur einige, sondern prinzipiell alle protestan­tischen Reichsstände gehörten, und 2.) das Corpus ungeachtet der „gleichberechtigten Teilhabe“, wie sie bei den beiden vorangegangenen Einungen vorherrschte, von den drei protestantischen Kurfürsten (Kursachsen, Kurbrandenburg und Kurbraunschweig) im Zusammenspiel mit den mächtigen welt­lichen Reichsfürsten

269 Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie (1997), S. 61. 270 Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg (1985). 271 Haug-­Moritz, Württember­gischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus (1992), S. 138. Siehe hierzu auch Dies., Kaisertum und Parität (1992) sowie Brachwitz, Religionsgravamina (2011), Luh, Unheiliges Römisches Reich (1995) und Stievermann, Politik und Konfession im 18. Jahrhundert (1991). 272 Haug-­Moritz, Württember­gischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus (1992), S. 138. 273 Ebd., S. 139. 274 Haug-­Moritz, Protestantisches Einungswesen und kaiser­liche Macht (2012), S. 190. 275 Ebd.

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dominiert wurde.276 Hinzu kam 3.), dass mit Ausnahme des Hauses W ­ ittelsbach alle mächtigen welt­lichen Fürsten evange­lisch waren oder evange­lische Länder regierten. Dies bedeutete, dass erst im 18. Jahrhundert „der machtpoli­tische Antagonismus ­zwischen Kaiser und präpotenten Reichsständen (nahezu) zur Deckung mit der konfessionellen Struktur des Reiches“ kam.277 Entscheidend war 4.) die im Westfä­lischen Frieden festgelegte und 1727 auf dem Reichstag erstmals angewandte Verfahrensparität.278 Dadurch gewannen ungeachtet der friedensstiftenden Grundleistung, die von der Paritätsregelung mit ihrer „Einbindung der einst militanten Sonderbünde in die Reichsverfassung ausging,279 die verfassungspolitischen Implika­tionen des Konfessionsdissenses als Ordnungsproblem des frühneuzeit­lichen Reiches […] ein steigendes Maß an Virulenz“.280 Dies bedeutet also, dass sich hinter den „im Medium des Konfessionellen thematisierten reichischen Problemstellungen ein im Laufe der frühneuzeit­lichen Geschichte steigendes Maß an verfassungspoli­tischen Dissens verbarg“.281 Die Konfessions- und Verfassungsproblematik verschärfte sich dadurch, dass 5.) ausgehend von der seit 1648 ungelösten Streitfrage, „welche Rechte einem katho­lischen Landesherren in einem im Jahr 1624 evange­lischen Land zukamen und wie die ‚richtige‘ Anwendung der Reichsgesetze in einem s­ olche Fall auszusehen hatte“, in den 1720er und 1750er Jahren Konflikte „rasch in einen grundsätz­lichen Streit über Art und Umfang der oberstrichter­lichen Gewalt des Kaisers“ mündeten.282 Erschwerend seit den 1750er Jahren kam hinzu, dass nun 6.) mit Kurbrandenburg ein Reichsstand von europäischem Format im ­­Zeichen des österreichisch-­preußischen Dualismus an der Spitze des Corpus agierte 283 und 7.) die Protestanten unter Verweis auf den Westfä­lischen Frieden eine „autonome, nicht vom Kaiser abgeleitete Konfliktregulierung“ beanspruchten.284 Im Ergebnis bedeutet dies 8.), dass es „diametrale Lesarten der Verfassungsordnung [gab], die man – verkürzend – als ‚neues‘ protestantisch-­fürst­lich-­föderatives und ‚überkommenes‘ katho­lisch-­kaiser­lich-­hierarchisches Verständnis der 2 76 Ebd., S. 191 f. 277 Ebd., S. 193. 278 Ebd., S. 193 u. S. 196. 279 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 50 und S. 339 (Zitat). 280 Haug-­Moritz, Protestantisches Einungswesen und kaiser­liche Macht (2012), S. 196. 281 Ebd. 282 Ebd., S. 199. 283 Ebd. 284 Ebd., S. 203 (Zitat) u. S. 207 f.

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Verfassungsordnung beschreiben kann“.285 Da sich jedoch diese konkurrierenden und konfessionell überformten Verfassungsdeutungen „als Ausdruck wie Folge grundsätz­lich veränderter Machtverhältnisse im Reich lesen lassen“, geriet, so abschließend Haug-­Moritz, „das Reich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die [Existenz-]Krise“.286 Läutete also die Rekonfessionalisierung das Ende des Alten Reiches ein? Und ­welche Bedeutung hatte ­dieses konfessionalisierte Neben- und Gegeneinander der Reichsstände für die Visita­tion? Keineswegs wurde das Reich durch die Rekonfessionalisierung als politischer Handlungsrahmen und das Recht als Mittel der Konfliktaustragung in Frage gestellt. Es war vielmehr ein „Verfahrensdissens, der die institu­tionelle Ordnung zur Disposi­tion stellte, die den Kaiser und die katho­lische Majorität der (im 18. Jahrhundert mindermächtigen) Reichsstände begünstigte“.287 Genau d­ ieses jedoch verweist auf das Konfliktpotential, welches die Visita­tion barg. Denn dadurch, dass mit dem RKG eine verfassungspolitische Grundsäule des Reiches reformiert werden sollte, die im Zusammenspiel mit dem Wiener Reichsgericht nachhaltig das Herrschaftsgefüge auf territorial-­dynastischer Ebene 288 und auf der Ebene der Reichskreise prägte,289 war hier nicht nur ein, sondern das entscheidende Konfliktfeld gegeben, um seine rekonfessionalisierte Ordnungsvorstellung vom Reich durchzusetzen oder zumindest zu artikulieren.290 Darauf verweist nicht nur das bereits angesprochene Baden-­Durlachische Rundschreiben vom Oktober 1766,291 sondern auch die Auseinandersetzung um die Ordnung der Revisionssenate als auch um die Klassenordnung,292 wobei letzterer Streitpunkt schließ­lich über das umstrittene Delega­tionsrecht der Grafen die vorzeitige Trennung der Visita­tion entlang der Konfessionsgrenzen einläutete.293 Deut­lich ist allerdings zudem, dass die protestantische Ordnungsvorstellung vom Reich auch katho­lische Juristen teilten, so nament­lich Wiguläus von Kreittmayr, 2 85 Ebd., S. 205. 286 Ebd., S. 209. Dass die Krise im existentiellen Sinne verstanden wird, verdeut­licht der explizite Bezug auf Napoleon. Er habe das Reichsende „allenfalls beschleunigt“ [ebd., S. 201]. 287 Haug-­Moritz, Protestantisches Einungswesen und kaiser­liche Macht (2012), S. 208. 288 Westphal, Reichsgerichtsbarkeit in den thürin­gischen Territorialstaaten (2002). 289 Fimpel, Württemberg als Kommissar von Kaiser und Reich im Schwäbischen Kreis (1999). Siehe zu den Kommissionen des RHR auch Ortlieb, Im Auftrag des Kaisers (2001) und Ullmann, Geschichte auf der langen Bank (2006). 290 Siehe hierzu auch Rauscher, Recht und Politik (1998). 291 Siehe A.1.2. 292 Siehe B.3. 293 Siehe D.6.

Von London bis Wien: Reformperipherien?

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der bedeutendste bayerische Rechtsgelehrte seiner Zeit, der auch den Münchner Visita­tionskurs vorgab.294 Es zeigt sich also, dass die „Principia Evangelicorum“ konfessionsübergreifend den „Interessen der mächtigen welt­lichen Reichsfürsten des 18. Jahrhunderts“ entsprechen konnten.295 Mit all den vorstehenden Befunden ist jedoch noch keineswegs gesagt, wie sich das Mit-, Neben- und Gegeneinader in Wetzlar gestaltete. Außer Zweifel ist, dass die aufgezeigten (konfessionalisierten) Konfliktlinien in Europa, im Reich und – wie exemplarisch mit Kurbayern behandelt – in den Territorien den politischen Handlungsrahmen markieren, den die Akteure vor Ort, aber auch an den Höfen und Städten des Reiches besaßen. All dies sagt aber noch wenig darüber aus, wie dieser Handlungsrahmen im alltäg­lichen Handeln ausgefüllt wurde. Es würde also zu kurz greifen, etwa die Rekonfessionalisierung zu einer Meistererzählung des reichspolitischen Mit- und Gegeneinanders zu erheben, die unverifiziert, quasi auf Verdacht, auch das alltagspolitische Handeln im Reformzentrum Wetzlar erklärbar macht. Es ist vielmehr notwendig, ergebnisoffen den (von der Schrift­lichkeit getragenen) Verfahrens- und Arbeitsalltag der Visitatoren zu untersuchen und darauf aufbauend die vorstehenden makrohistorischen Befunde zu verifizieren oder zu falsifizieren. 296 Die Visita­tionsgeschichte im Kleinen kann dabei bereits jetzt dergestalt an den makrogeschicht­lichen Grundbefund anknüpfen, dass es kein Leichtes war, im vielgliedrigen Reich Politik zu machen. Denn im Rückblick auf die Weitläufigkeitsproblematik 297 lässt sich mit dem kurbrandenbur­g ischen Visitator festhalten, dass die Visita­tion immer ein Reichs Geschäfte bleibet und [...] nicht ganz eilfertig gehen kann,298 zumal oder eben gerade weil – dies gilt es zu zeigen 299 – sehr viel Schrift­lichkeit weniger für das Verfahren vor Ort als für Kaiser und Reich produziert werden musste.

294 Zur Person Kreittmayrs siehe Rall, Kurbayern 1745 – 1801 (1952), S.  29 – 67, Ders., Kreittmayr (1979) u. Bauer/Schlosser, Kreittmayr (1991). 295 Haug-­Moritz, Protestantisches Einungswesen und kaiser­liche Macht (2012), S. 200. Siehe auch Dies., Kreittmayr (1991). 296 Im Grunde geht es also um die alte Frage nach dem Verhältnis von Makro- und Mikrogeschichte. Siehe hierzu etwa Lüdtke, Alltagsgeschichte, Mikro-­Historie, historische Anthropologie (1998) und insgesamt zur Mikrogeschichte Ulbricht, Mikrogeschichte (2009). 297 Siehe A.4. 298 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42, Fasz. 57, Reuter an König 28. Jan. 1772. 299 Siehe D.3.

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B.3. Medienöffentlichkeit: Die druckbasierte Inszenierung der Visitation Der Schriftalltag der Visita­tion war nicht nur von der Handschrift­lichkeit, sondern auch von gedrucktem Schriftgut geprägt, und dies mit nachhaltiger Wirkung.300 Ein Blick in das Quellenverzeichnis deutet an, dass im Umfeld der Visita­tion eine Vielzahl an Druckschriften erschienen ist, die mittel- und unmittelbar die Visita­ tion zum Gegenstand haben. Diese druckbasierte Inszenierung der Visita­tion kann nicht verwundern, wenn man das Schillersche Diktum des ‚tintenklecksenden Säkulums‘ gleichermaßen auf das gedruckte wie das handgeschriebene Wort bezieht. Allerdings würde es auch hier zu kurz greifen, von einer natür­lichen Schriftüberlieferung zu sprechen. Dass sich nach knapp 250 Jahren in den Archiven und Bibliotheken rund 200 visita­tionsrelevante Druckschriften erhalten haben, lässt sich in erster Linie damit erklären, dass „sich aus den ereignisbezogenen Publika­tionsschüben wie etwa zur Reforma­tion oder einzelnen Phasen des Dreißig­ jährigen Krieges, vor allem aber aus der Verstetigung des öffent­lichen Diskurses in den Zeitungen seit dem frühen 17. Jahrhundert und in den Zeitschriften […] sowie aus der Erholung des Buch- und Broschürenproduk­tion seit dem Ende des 17. Jahrhunderts“ eine – von Jürgen Habermas nachhaltig beschriebene und seitdem kontrovers diskutierte – „Öffent­lichkeit des Politischen entwickelte“.301 300 Die folgenden Ausführungen und allen voran B.3.1. haben ihren Ursprung in den ersten ‚Gehversuchen‘ des Autors auf dem weitläufigen ‚Visita­tionsparkett‘. Sie wurden im Rahmen einer Magisterarbeit unternommen und sind veröffent­licht [Denzler, Mediales Großereignis (2008)]. Auf gänz­lich neuen Erkenntnissen fußt der Abschnitte B.3.2. In diesen Zusammenhang ist auch auf die anhaltende Konjunktur der Mediengeschichte zu verweisen. Zu nennen sind folgende monographische Abhandlungen: Bauer, Zeitungen vor der Zeitung (2011); Bellingradt, Flugpublizistik und Öffent­lichkeit um 1700 (2011); Petry, Konfliktbewältigung als Medienereignis (2011); Vogel, Untergang der Gesellschaft Jesu (2006); ferner Amend-­Traut u. a., Reichsgerichte als mediales Ereignis (2012); Arndt/Körber, Mediensystem im Alten Reich (2010) und Carl, Reich als Medienereignis (2011). Siehe hierzu auch Weissbrich/Carl, Präsenz und Informa­tion (2008) u. Bösch, Europäische Medienereignisse (2010). 301 Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit (2009), S. 131 f. Siehe zu ­diesem Themenkomplex Arndt, Herrschaftskontrolle durch Öffent­lichkeit (2013); Gestrich, Absolutismus und Öffent­lichkeit (1994); Ders., Habermas’ Konzept der bürger­lichen Öffent­lichkeit (2006); Habermas, Strukturwandel der Öffent­lichkeit (1962/1990); Hoffmann, Carl A., ‚Öffent­lichkeit‘ und ‚Kommunika­tion‘ in den Forschungen (2001); Jäger, ‚‘Öffent­lichkeit‘‘ im 18. Jahrhundert (1997); Körber, Vormoderne Öffent­lichkeiten (2008); Moos, Begriffe „öffent­lich“ und „privat“ (1998); Opgenoorth, Publicum – privatum – arcanum (2002); Richter, „Prädiskursive Öffent­lichkeit“ (2008); Schaich,

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Dieser Prozess einer sich entwickelnden politisch-­räsonierenden und prinzipiell allen zugäng­lichen Öffent­lichkeit erfuhr in den Jahren der Visita­tion eine gewisse Vollendung durch die quantitative Ausdehnung des Druckmarktes – „zwischen 1763 und 1805 dürften etwa zehnmal so viele Bücher neu erscheinen sein wie in den Jahren 1721 – 1763“302 –, aber mehr noch qualitativ durch die zunehmende Politisierung der druckbasierten Distanzmedien.303 Neben diesen qualitativen und quantitativen Rahmenbedingungen war es die Bedeutung der RKG -Visita­tion und damit erneut, wie schon in den Reforma­ tions- und Kriegsjahren des 16. und 17. Jahrhunderts (ereignisbezogene Publika­ tionsschübe), die Wichtigkeit eines – überdies geschicht­lich noch weitgehend unergründeten – Ereignisses, welches dazu führte, dass ‚man‘ sich in den Jahren der Visita­tion publizistisch mit ihr auseinandersetzte. Die öffent­liche Auseinandersetzung mit der Visita­tion nährte sich zudem von einer Medienpolitik, w ­ elche die Herrschaftsträger der Vormoderne in immer stärkerem Maße betrieben, um in der Medienöffent­lichkeit – der Begriff umschreibt eine über Printmedien konstituierte Öffent­lichkeit  304 – für die eigene Welt- bzw. Visita­tionssicht zu werben. Mit Wolfgang Burgdorf kann auch von einem ­zwischen den Regierungen geführten intergouvernementalen Diskurs gesprochen werden.305 Damit gemeint ist, dass die Verfasser der von Burgdorf untersuchten Druckschriften in der Regel Juristen waren, die administrative Aufgaben des Reiches oder einzelner Territorien übernahmen, und die Publika­tionsinhalte direkt oder indirekt die politischen Interessen der Dienstherren propagierten. Es ging also darum, über die öffent­ liche Meinung die Politik anderer Herrschaftsträger zu beeinflussen. Wenn in den folgenden Ausführungen die öffent­liche Auseinandersetzung mit der Visita­tion ebenfalls als ein intergouvernementaler Diskurs verstanden wird, dann geschieht dies mit zweierlei Einschränkungen. Zum einen lässt sich zwar Staat und Öffent­lichkeit im Kurfürstentum Bayern (2001); Schlögl, Politik beobachten (2008); Schneider, Öffent­lichkeit und Diskurs (1992). 302 Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763 – 1806 (2005), S. 147. 3 03 Gerade „im letzten Drittel des [‚tintenklecksenden‘; A. D.] Jahrhunderts“ trat in den Periodika – sie lassen sich als Motor der Entwicklung begreifen – neben den „gelehrt-­ fachwissenschaft­lichen Diskurs und an die Stelle der mora­lischen Belehrung […] zunehmend das kritisch-­politische Räsonnement“ [Stollberg-­Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung (2000), S. 141]. Der Begriff Distanzmedien folgt Schlögl, u. a. Vergesellschaftung unter Anwesenden II (2008), S. 63. Siehe hierzu die Einleitung. 304 Damit abgegrenzt sind jene Öffent­lichkeitsformen, die sich über die Reichs- und Landes­ ebene sowie über das Reformzentrum Wetzlar bildeten. 305 Burgdorf, Reichskonstitu­tion und Na­tion (1998), S. 30 – 38. Auf einzelne, anläss­lich der Visita­tion verfasste Druckschriften geht Burgdorf ein auf S. 236 – 247.

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sagen, dass jeder Publizist einer oder mehreren Obrigkeiten mal mehr und mal weniger unterstand. Die Autoren der Visita­tionspublika­tionen deshalb aber als unmittelbare (Auftragsarbeit) oder mittelbare (selbstgesteuertes Schreiben im Sinne der Obrigkeit) ‚Handlanger‘ einer Obrigkeit zu begreifen, greift jedoch oftmals zu kurz. Gottfried Daniel Hoffmann etwa, der Assessor am Tübinger Hofgericht und seit 1773 Geheimer Rat am württember­gischen Hof war, verfasste seine insgesamt acht lateinischen Visita­tionspublika­tionen wohl mehr des gelehrten Fachaustausches wegen als aufgrund einer wie auch immer gearteten politischen Willensbekundung.306 Zum anderen weist Burgdorf selbst darauf hin, dass es ihm aus arbeitsökonomischen Gründen zwar nicht mög­lich war, es aber „dringend erforder­lich“ wäre, „das Entstehen und die Wirkung der Reformschriften auch im Spiegel der Regierungs- und Verwaltungsakten“ zu verfolgen.307 Mit anderen Worten: Es ist nur bedingt ersicht­lich, in welchem Ausmaß die Druckschriften in unmittelbarer oder mittelbarer Regierungsnähe entstanden sind. Dass jedoch ­solche Koppelungseffekte bestanden und diese auch Einfluss hatten auf die Ausgestaltung der Visita­tionspublika­tionen, ist unbestreitbar. Für Johann Stephan Pütter zumindest ist die Entstehung seiner visitationsrelevanten Druckschriften in unmittelbarer Rücksprache mit der Obrigkeit nachzuweisen.308 Quellenmäßig nur schwer­lich zu fassen ist überdies, w ­ elche Wirkung die Schriften entfalteten.309 Alleine die Frage, wie hoch die Auflagenzahl der einzelnen Druckschriften war, und damit zusammenhängend, wie viele potentielle Leser es gab, lässt sich kaum sagen. Zur Konkretisierung des letzten Teils der klas­sischen kommunika­tionswissenschaft­lichen Lasswell-­Formel („Who says what in which channel to whom with what effect“310) lässt sich jedoch Folgendes voraus­schicken: Wie bereits unter A.3. dargelegt, waren die Druckschriften ein kaufwürdiges Schriftgut. In der Regel kauften die Visita­tionsdelega­tionen die Publika­tionen 306 Hoffmann, De aetate et numero causarum revisionis cameralium (1767); Ders., De odio Revisionis Cameralis (1767); Ders., Miscellaneas (1767); Ders., Commentatio (1769); Ders., De iuramento revisorio camerali (1769); Ders., De jure subdelegandi ad Visita­tionem Camerae (1769); Ders., De revisionibus actorum cameralium (1776); Ders., Utrum ius comitum ad deputa­tiones imperii (1776). Diese und weitere akade­ mische Qualifika­tions- und Übungsschriften erfahren an anderer Stelle [Denzler, Mediales Großereignis (2008), S. 76 – 84] eine systematische Erörterung. 307 Burgdorf, Reichskonstitu­tion und Na­tion (1998), S. 36. 308 Diesbezüg­liche Befunde des Autors werden an anderer Stelle veröffent­licht. 309 Auf diese Grundproblematik geht auch Burgdorf, Reichskonstitu­tion und Na­tion (1998), S. 24 f. ein. 310 Eine illustrative Kurzvorstellung und Verortung in der Medienwirkungsforschung bietet aktuell Jäckel, Medienwirkungen (2011), S. 79 f.

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sowohl für den Eigenbedarf vor Ort als auch für die Übersendung an die Visita­ tionsobrigkeit. Letzteres führte dazu, dass die Druckschriften direkt ‚eingespeist‘ wurden in den jeweiligen Verwaltungsapparat und sich bis heute in den Archiven erhalten haben. Die Visita­tionspublika­tionen wurden aber nicht nur gekauft, sondern auch gelesen. Dies lässt sich daran ermessen, dass der Augsburger Visitator die Druckschriften an den Rat mit Kommentaren übersandte. Am 3. Oktober 1769 etwa legte Stallauer seinem Bericht 2 Impressa von H. Professor Pütter in Göttingen bei. Die eine Druckschrift 311 behandle, so Stallauer, eine in Bewegung stehende Materie und sei tref­lich wohl geschrieben. Die andere Schrift über das kaiser­liche Ratifika­ tionsrecht 312 werde nach Ansicht des Visitators nicht wenig Mucken verursachen.313 Zudem und generell lässt sich festhalten, dass sich viele Druckschriften auf andere Druckschriften beziehen, womit hier jene autopoietische Geschlossenheit der Medienöffent­lichkeit vorliegt, wie sie in der Einleitung mit Rudolf Schlögl bereits konstatiert wurde. Daneben wurden die Visita­tionspublika­tionen rezensiert, was nicht nur das Lesen der Schrift durch den Rezensenten voraussetzte, sondern auch bedingte, dass die Leser der Rezension Einblicke bekamen in die Inhalte der Druckschriften. Insbesondere die 1765 von Friedrich Nicolai begründete und geleitete ‚Allgemeine deutsche Bibliothek‘ führte zahlreiche R ­ ezensionen zu Visita­tionspublika­tionen.314 Diese Rezensionen trugen unzweifelhaft zur „Potenzierung der Publizität der Bücher“ bei.315 Die Wirkung der Druckschriften lässt sich pauschal auch daran ermessen, dass man in Wetzlar letztend­lich vergeb­lich darum bemüht war, die Visita­tion unter den Schutzmantel des Geheimnisses zu stellen. Wie noch an anderer Stelle

3 11 Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769). 312 Pütter, Bestimmung des Kaiser­lichen Ratifica­tions-­Rechts (1769). 313 StadtAA RKG 33, Rela­tion 44 vom 3. Okt. 1769. 314 Folgende Rezensionen ­seien beispielhaft angeführt: Rezension zu Betrachtungen (1767), in: Allgemeine deutsche Bibliothek Bd. 6, 1. Stück (1768), S. 274 – 276; [Burgsdorff], Ob die Stände vor Errichtung des Cammer-­Gerichts Antheil an der Gerichtsbarkeit gehabt (1769), Anhang zu Bd. 13 – 24 (1777), 2. Abt. S. 1092 f.; Hoffmann, J. D., De remediis adversus sententias revisorum cameralium (1767), Bd. 7, 1. Stück (1768), S. 267 – 269; Mnemosynon (1767), Bd. 8, 2. Stück, S. 246 f.; Pro-­Memoria Aufstellung einer Reichs-­Gräf­lich-­Westphä­lisch-­Catho­lischen Subdelega­ tion (1775), Bd. 29 (1776), S. 478 – 480; Pütter, Freymüthige Betrachtungen über die Senate (1772), Bd. 23 (1774), S. 168 – 174; Ders., Patriotische Gedanken (1768), Anhang zu Bd. 1 – 12 (1771), S. 572 f.; Sammelrezension zu [Pütter], Wahre Bewandniß (1776) und [Schrötter], Widerlegende Anmerkungen (1776) Bd. 35 (1778), S. 35 – 67. 315 Schneider, Funk­tion wissenschaft­licher Rezensionszeitschriften (2005), S. 288.

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darzulegen ist,316 gab es bei der Visita­tion mit Visita­tions- und Examensarkanum ein zweifach gestuftes Arkanum. Beide Arkanschranken reichten jedoch nicht aus, die im Verfahren generierten Informa­tions- und Wissensbestände vor dem Licht der Medienöffent­lichkeit zu s­ chützen. Aus d­ iesem Grund gab es mit den Wetzlarischen Anzeigen sogar eine visita­tionseigene Zeitschrift. Sie kann als ein Versuch begriffen werden, in der Medienöffent­lichkeit eine offizielle Sicht der Visita­tionsangelegenheiten zu posi­tionieren. Zusammengenommen geht es also in den folgenden Ausführungen auch darum, jene Arcana Imperii zu behandeln, die unter der aufgeklärten „Flagge der freien, rigorosen Wahrheitsfeststellung und ra­tionalistischen Optimierung der Politik“ eine zunehmende Delegitimierung erfuhren.317 Die Ausführungen behandeln so zunächst [B.3.1.] die ersten beiden Teilfragen der Lasswell-­Formel („Who says what“) für die Masse an Druckschriften, die sich als – auch dies bedarf einer Erörterung – Visita­tionspublika­tionen begreifen lassen. Danach geht es um die Wetzlarischen Anzeigen [B.3.2.]. B.3.1 200 Druckschriften im Profil Als Visita­tionspublika­tionen werden diejenigen Druckschriften bezeichnet, die mittel- oder unmittelbar die Visita­tion zum Gegenstand haben. Zwei Beispiele mögen dies verdeut­lichen: Die Sammlung der neuesten Staatsangelegenheiten erschien nicht wegen der Visita­tion, doch führt sie als publizistischen ‚Aufhänger‘ in dem ersten Band von 1767 (1769 zweiter und letzter Band) einige Reichs-­ Cammer-­Gerichts-­Visita­tions-­Sachen, wie etwa ein kurbayerisches Patent über die Revisionsmaterie vom 26. November 1766.318 Zum zweiten ist eine Schrift des späteren (ab März 1776) Visitators Friedrich Adolph von Burgsdorff anzuführen. Er hielt sich zu Visita­tionsbeginn bei der kursäch­sischen Subdelega­tion auf 319 und setzte sich danach, im Jahr 1769, mit der Frage auseinander, ob die Stände vor Errichtung des Cammer-­Gerichts Antheil an der deutschen Gerichtsbarkeit gehabt haben. Diese Abhandlung, die Burgsdorffs Einschätzung nach nur in Wezlar und 3 16 Siehe Abschnitt D. 317 Weber, Arkanpolitik (2005), Sp. 651. Zum Begriff und Wesen des Geheimnisses (in der Vormoderne) siehe überdies: Engel u. a., Geheimnis (2002); Gestrich, Geheimnis (2006); Hartmann, Arcana Imperii (2002); Hölscher, Öffent­lichkeit und G ­ eheimnis (1979); Stolleis, Arcana imperii (1980). 318 Sammlung der neuesten Staatsangelegenheiten Bd. 1 (1767), S. 5 – 8. 319 Dies geht aus der Rezension hervor in Allgemeine deutsche Bibliothek, Anhang zu Bd. 13 – 24 (1777), 2. Abt. S. 1092.

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Regenspurg oder höchstens in einem umliegenden District von zehn Meilen gelesen wurde,320 kann gleichfalls als eine Visita­tionspublika­tion gelten, und zwar weniger des Inhalts wegen als vielmehr aufgrund des Verfassers, des Entstehungskontexts und des potentiellen Rezipientenumfeldes. Die Klassifizierung einer Druckschrift als visita­tionsrelevant unterliegt also einem gewissen Ermessensspielraum. Ein solcher ergibt sich ebenso bei dem Versuch, die Druckschriften inhalt­lich zu systematisieren. Im Quellenverzeichnis dokumentiert ist eine dreifache Unterteilung des gedruckten Quellencorpus. Die erste, 67 Publika­ tionen starke Gruppe (Reformbedarf ), umfasst allgemeine Konzepte zur Reform des Reichskammergerichts, Reformvorschläge zu Einzelbereichen des Gerichtswesens sowie Schriften, die auf die Reformnotwendigkeit des Reichsjustizwesens eingingen. In der zweiten Gruppe (Reforminstrument) finden sich 68 Schriften, die sich mit der Geschichte, Funk­tion und Einrichtung der Visita­tion beschäftigen. Der dritten Gruppe (Reformprozess) lassen sich 81 Publika­tionen zuordnen. Sie umfassen Berichte und Dokumente zur laufenden Visita­tion. B.3.1.1 Die erste publizistische Welle (1765 – 1771) Eine chronolo­gische Betrachtung (siehe das Diagramm) erlaubt es wiederum, von zwei größeren publizistischen Wellen zu sprechen. Die erste begann im Jahr 1765 mit insgesamt sechs Visita­tionspublika­tionen. Sie erreichte ihren absoluten Höhepunkt im Jahr 1767 (34 Publika­tionen) und endete im Jahr 1771 mit dem Ausgangsniveau von fünf Publika­tionen. Diese publizistische Welle ergab sich zum einen aus den bereits genannten Gründen einer politisierten Medienöffent­ lichkeit, des intergouvernementalen Diskurses und des Ereignisses als solches. Zuvorderst steht jedoch die ‚Visita­tionseuphorie‘,321 die das Reich nach über 50 visita­tionslosen Jahren erfasst hat. Im Zusammenspiel mit der Geschichts­affinität des aufgeklärten Jahrhunderts 322 hieß es für die Publizisten zunächst, sich, das Reich und die Medienöffent­lichkeit an das so viele Jahre still gelegene[…] und dahero in eine allgemeine Vergessenheit verfallene[…] Geschäfft zu erinnern.323 So

320 [Burgsdorff], Ob die Stände vor Errichtung des Cammer-­Gerichts Antheil an der Gerichtsbarkeit gehabt (1769), Vorrede. 321 Siehe A.1. 322 Ebd. 323 Gutachten Colloredos vom 12. Nov. 1766, in: Khevenhüller-­Metsch, Tagebuch (1764 – 67/1917), S. 482 – 502, hier S. 492.

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gab, neben dem Reichstagskanzlisten Oertel,324 David Georg Strube, ein bedeutender Staatsrechtler seiner Zeit,325 eine Vielzahl an Aktenstücken der letzten außerordent­lichen Visita­tion von 1707 bis 1713 heraus, damit diese Geschehnisse nun jetzo von neuem dem Publico bekannt gemacht werden.326 Neben dieser vergangenheitsorientierten Informa­tionskampagne nährte sich die erste publizistische Welle aus publizistischen Kontroversen. Insbesondere die Dauer und Zusammensetzung der Visita­tionsklassen – kurz Klassenfrage – war umstritten und führte dazu, dass darüber nicht nur auf dem Reichstag 327 und im Visita­tionsplenum,328 sondern auch in der Medienöffent­lichkeit diskutiert wurde. Der Wiener Universitätsprofessor Schrötter wünschte sich sogar ausdrück­lich, seine Ausführungen über das umstrittene Deputa­tionsrecht Kurböhmens möge Einfluß gewinnen auf die fürwaltende[n] Reichstagsberathschlagungen.329 Noch intensiver wurde in der Medienöffent­lichkeit um die Verfahrenszeit der ersten Visita­ tionsklasse gerungen. Nachdem die erste Klasse durch ein – gleichfalls in Druck gegangenes – Kommissionsdekret vom 23. April 1768 um sechs Monate verlängert wurde,330 kam es sehr schnell zu einer neuer­lichen Diskussion um die Dauer der ersten Visita­tionsklasse. Pütter, der bereits im März 1768 dafür plädiert hatte, die erste Klasse auf unbestimmte Zeit zu verlängern, veröffent­lichte im Juli 1768 eine weitere Schrift. Darin warnte er vor einem Wechsel der Klassen, der seiner Ansicht nach zum gänz­lichen Verfall ­dieses höchsten Gerichts führen werde,331 da – so bereits im März 1768 – die Visita­tion etwas unzertrenn­lich Ganzes sei.332 324 [Oertel], Actenstücke Visita­tion Bd. 1 (1763); Bd. 1/1 (1766); Bd 1/2 (1767); Bd. 1/3 (1767); Bd. 2/1 (1769); Bd. 2/2 (1774). Oertel brachte ferner folgende visita­tionsrelevante Druckschriften heraus: Reichs-­Tags-­Diarium Bd. 6 (1763); Bd. 7 (1765); Neues Reichs-­Tags-­ Diarium Bd. 1 (1767); Bd. 2 (1769); Bd. 3 (1771); Bd. 4 (1773); Bd. 5 (1775); Bd. 6 (1777); Abhandlung von dem Reichs Cammer-­Gerichte Tl. 1 (1767); Tl. 2 (1767); Tl. 3 (1768); Sammlung der neuesten Merkwürdigkeiten Bd. 1 (1775); Bd. 2 (1776); Bd. 3 (1776). 325 Siehe C.1.1. 326 Strube, Cammeral- und Visita­tions-­Actenstücke Bd. 1/2 (1765). Das Zitat ist dem Titelblatt des ersten Bandes entnommen. 327 Rohr, Reichstag (1968), S. 63 – 75 u. S. 97 – 115. 328 156. Sess. vom 29. April 1768, 157. Sess. vom 2. Mai 1768, 158. Sess. vom 4. Mai 1768, 231. Sess. vom 27. Okt. 1768 [StadtAA RKG 42 u. 44]. 329 [Schrötter], Abhandlung von dem Sitz- und Stimmrechte der Cron Böheim (1769), S. 48. Der Hintergrund war, dass Kurbayern und Kurböhmen um einen Platz in der dritten Visita­ tionsklasse rangten. Siehe hierzu Johann Christian Cramer, Krone Böhmen (1769). 330 Commissions-­Decret 23. April 1768. 331 Pütter, Weitere Ausführung der Frag, ob die erste Classe abgelöset werden müsse (1768). 332 Pütter, Patriotische Gedanken (1768), S. 21 f. Im Vorbericht, der auf den 21. März 1768 datiert ist, äußerte Pütter die Hoffnung, dass diese Blätter noch zu rechter Zeit einigen

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Die Anzahl der im Untersuchungszeitraum erschienenen Visita­tionspublika­tionen 333

Pütters Drohszenario blieb nicht ungehört. Nach profunder Einschätzung nahm der Göttinger Rechtsprofessor mit seinen Schriften „großen Einfluss auf den Verlauf der Dinge“.334 Und auch in Wetzlar wurde sehr aufmerksam verfolgt, was dieser schrieb.335 Weniger beachtet hingegen wurde Schrötter, der zweimal in der Medienöffent­lichkeit auftrat, um für die vom Kaiser begehrte Klassenablösung zu werben.336 Überdies gab E. D. P. zu F. den 24. Februar 1770 die Kurzen Beobachtungen über die Klassenabwechslung heraus. In dieser Visita­tionspublika­tion, ­welche in einer Sammlung, wo sie niemand sucht, erschienen ist, plädierte der Eindruck zu machen vermögend wären. 333 Im Diagramm sind die im Quellenverzeichnis geführten Visita­tionspublika­tionen verzeichnet (gesamt 216), die mindestens eine Jahresangabe führen. Darüber hinaus wurde jede Visita­tionspublika­tion mehrfach verzeichnet, wenn diese mehrbändig oder mehrteilig ist. Ein Beispiel: Mosers Reichs-­Staats-­Handbuch auf die Jahre 1769, 1770, 1771, 1772, 1773, 1774 und 1775 erschien in drei Teilen in den Jahren 1776 (2 Teile) und 1777 (1 Teil). Deshalb wurden hierfür im Diagramm für das Jahr 1776 zwei und für das Jahr 1777 eine Visita­tionspublika­tion eingetragen. Nicht verzeichnet sind hingegen die Wetzlarischen Anzeigen und die Neue Europäische Staatscanzley. 334 Rohr, Reichstag (1968), S. 347 (Anm. 34). 335 Siehe u. a. die im Anhang (unter Punkt 5.3.) geführte kurbayerische Bücherliste. 336 [Schrötter], Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters Patriotische Gedanken (1768) u. Fortgesetzte Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters weitere Ausführung (1768).

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unbekannte Verfasser noch vor Schrötter für die Ablösung der ersten Klassen.337 Von besonderem Interesse ist, dass E. D. P. das – gleichfalls gedruckte und käuf­l ich zu erwerbende – Kommissionsdekret vom 31. Januar 1770,338 in welchem erneut ein Beschluss des Reichstages über die Aufstellung der zweiten Klasse verlangt wurde, zum Anlass nahm, eine bislang kaum beachtete Schrift durch Neudruck wirkungsvoller in die Visita­tionsdebatte einzubringen. „Das Reich der Schrift­ lichkeit inszenierte sich“ somit nicht nur in der Medienöffent­lichkeit durch die Drucklegung wichtiger „Beratungsvorlagen, kaiser­liche[r] Dekrete und [von] Reichstagsbeschlüsse[n]“,339 sondern es initiierte zudem publizistische Debatten über die Reichs- und Visita­tionspolitik, die wiederum selbst zur Verdichtung der ‚reichischen‘ Medienöffent­lichkeit beitrugen. Dieser doppelte Verdichtungsprozess, der im Prinzip mit jedem veröffent­lichten Schriftstück eines Reichsorgans, Reichsgremiums oder ‚rei­chischen‘ Funk­tions- und Würdenträgers eintreten konnte, trat dann auch während der Visita­tion keineswegs nur in dem geschilderten Fall auf. Pütter nahm etwa, wie den Titeln deut­lich zu entnehmen ist, einmal einen Visita­tionsbericht  340 und ein anderes Mal ein Kommissionsdekret 341 zum Anlass, sich öffent­lich zu den geplanten Reformen des Senatswesens am RKG zu äußern. Neben diesen publizistischen Auseinandersetzungen, deren Protagonisten Pütter und Schrötter hießen, gab es auch kleine und große Privatfehden, die in der Medienöffent­lichkeit ausgetragen wurden und die ihrerseits dazu führten, dass die Visita­tion ein printmediales Ereignis wurde. Hervorzuheben ist eine publizistische Fehde z­ wischen Johann Jacob Moser und Assessor Nettelbla. Ausgehend von einem Gutachten, welches der ‚Erzpublizist‘342 des Reiches bereits im Jahr 1741 erstellt hat und Oertel im Jahr 1763 neu herausgab, jedoch ohne Wissen und ohne Angabe des Autors,343 stritten beide um den Sinn und Zweck einer Visita­tion. Während für Moser die Überprüfung des Personals die wichtigste Aufgabe einer Gerichtsvisita­tion war,344 erhob Nettelbla die 337 Kurze Beobachtungen über die Abwechslung der Reichsdeputa­tionsclassen (1770), S. 3 f. 338 Commissions-­Decret 31. Jan./15. Dez. 1770. Dass die Dekrete käuf­lich zu erwerben waren, geht hervor aus WA 27. Stück vom 17. Mai 1769, S. 164. 339 Burkhardt, Vollendung (2006), S. 449. 340 Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769). 341 Pütter, Freymüthige Betrachtungen über die Senate (1772). Im Titel genannt wird das Commissions-­Decret vom 15. Febr. 1772. 342 Stolleis, Moser (2002). 343 [Oertel], Actenstücke Visita­tion Bd. 1 (1763), S. 68 – 72. 344 Moser, Unmaßgeb­liches Bedenken (1741/1767); ferner ders., Bedenken (1767) u. Von der Teutschen Justiz-­Verfassung, Bd. 2 (1774), S. 729.

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a­ usreichende Besoldung der Assessoren zur Haupt-­Ursach der Visita­tion.345 Mit dieser Behauptung des Assessors setzte sich schon bald die Visita­tion auseinander, zumal ohnehin umstritten war, ob die Richter ihre Lebens- und Arbeitszeit mit dem Bücherschreiben verbringen sollten.346 Wohl nicht ohne Genugtuung griff der von Nettelbla geradezu beleidigte Moser – dieser ‚glänze‘ durch Unerfahrenheit in Cammer-­Ger. Handlungen 347 – ein Urteil der Visita­tion auf,348 ­welche die Schriften des Assessors als anstößig, grundgefähr­lich, gemeinschäd­lich und zur Corrup­tionen verleitend brandmarkte.349 Die Vielzahl an Druckschriften gerade in den Anfangsjahren der Visita­tion speiste sich schließ­lich aus der bereits thematisierten Tatsache, dass die Visita­ tion eine Supplika­tionsinstanz war.350 Allein im Jahr 1767 erschienen 13 supplika­ tionsrelevante Druckschriften.351 Im Folgejahr waren es sieben und bis 1771 elf weitere. Zusammengenommen ergeben sich insgesamt 36 Druckschriften mit Supplika­tions- bzw. Rekursbezug, ­welche die Visita­tion ­zwischen 1767 und 1776 erhielt, wobei die tatsäch­liche Zahl weitaus höher liegen dürfte.352 Bei einer Gesamtzahl von 216 visita­tionsrelevanten Druckschriften ist dies ein signifikanter Anteil von knapp 17 %.

345 [Nettelbla], Vermehrter Bericht (1767), § 25; ferner ders., Abgeforderter Bericht (1766). 346 Siehe hierzu näher Denzler, Arkanum und Öffent­lichkeit (2012), S. 92 – 94. 347 [Nettelbla], Abgeforderter Bericht (1766), § 131 u. § 196. 348 Siehe E.3. 349 Moser, Von der Teutschen Justiz-­Verfassung, Bd. 2 (1774), S. 729. Das Zitat stammt aus dem dort in Auszügen abgedruckten Urteil der Visita­tion vom 22. April 1774. 350 Siehe A.1.3. 351 Supplika­tionsrelevant heißt, dass eine Druckschrift entweder die Supplik selbst war, so Abermahlig-­Rechtsgegründete Vorstellung Hoch- und ­Teutschmeister contra Gräfl. Oettingen-­Oettin­g ische Canzley (1767) oder Vorstellung und flehent­liche Bitte Stadt Cronenberg Wider Sr. Churfürst­lichen Gnaden zu Mayntz (1767). Anderer­seits gab es Druckschriften, die einen Supplika­tionsfall begleitend respektive weiterführend und zumeist rechtsförmig erörterten oder ihm auch widersprachen, so etwa Abdruck Acten Hoch- und Teutschmeister Contra Den Land-­Commenthurn der Balley ­Francken (1767) oder Species Facti Hoch- und Teutschmeister contra Gräfl. Oettingen-­Oettin­gische Canzley (1767). 352 Die Sichtung beschränkte sich auf die Auswertung dreier Aktenbündel im Stadtarchiv Augsburg. Der Akt RKG 31 (betitelt mit ‚Die Visita­tion des Reichskammergerichts 1728 – 1775‘) und der Akt RKG 35 (betitelt mit ‚Acta Visita­tionis 1734 – 1774‘) enthalten insbesondere Druckschriften zur letzten RKG-Visita­tion, darunter auch viele Suppliken. Systematisch bearbeitet wurden auch die ersten knapp 400 (StadtAA RKG 61), nicht jedoch sämt­liche über 2000 Beilagenstücke der Visita­tion.

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B.3.1.2 Die zweite publizistische Welle (1775 – 1777) Eine zweite, größere publizistische Welle lässt sich am Ende der Visita­tion ausmachen für die Jahre 1775 (11 Publika­tionen), 1776 (21) und 1777 (12). Die insgesamt 44 Druckschriften und damit 20 % des gesamten Publika­tionsaufkommens setzten sich in erster Linie mit den unerledigten Revisionen auseinander.353 Hintergrund ist, dass noch im März 1776 der Kaiser vergeb­lich den Reichstag aufforderte, hinreichende Mittel zur Erledigung der Revisionen anzuwenden.354 Genau an d­ iesem Punkt setzte die zweite publizistische Welle an. Die Publizisten stritten darum, warum es nicht zur Einteilung der im Jüngsten Reichsabschied vorgesehenen Revisionssenate kam. Die Vielzahl an Publika­tionen, die sich dieser Revisionsfrage widmeten, schufen ein sehr dichtes und komplexes Publika­tionsgefüge, das sich folgendermaßen skizzieren lässt: Damit jeder Unpartheische sehen könne, warum es bei der Visita­tion zu keiner Erledigung der Revisionen kam, versuchte eine Schrift noch vor dem Ende der Visita­tion strittige Punkte auf Grundlage von Gesetzen und Reichs-­Acten zu klären.355 Der wahrschein­liche Verfasser Borié, der österreichischer Reichstagsgesandter war, trat zum einen für das umstrittene kurmainzische Vorrecht ein, den Beratungen aller Revisionsfälle federführend beiwohnen zu dürfen. Zum anderen ging Borié auf die Funk­tion der kaiser­lichen Kommission in den Revisionssenaten und damit auf ein zweites großes Konfliktfeld der Revisionen ein. Denn während die katho­lische Seite einforderte, die Senate, die zur Bearbeitung der Revisionen vorgesehen waren, von stimmberechtigten kaiser­lichen Kommissaren leiten zu lassen, bestritten die Protestanten dies, da sie um die im Westphä­lischen Frieden so heilig festgestellte Religions-­Gleichheit fürchteten.356 Borié trat demgegenüber für das Recht der kaiser­lichen Vertreter ein, den Revisionssenaten beizuwohnen. Zudem solle seiner Ansicht nach jeder kaiser­licher Kommissar in einem Senat eine Stimme und bei Stimmengleichheit, die bei sechs Subdelegierten je Senat durchaus hätte eintreten können, eine entscheidende Stimme führen dürfen. Hält

3 53 Siehe hierzu bereits A.1. und insgesamt auch D.6. 354 Commissions-­Decret 1./2. März 1776. Es ist auch unpaginiert abgedruckt bei [Borié], Revisions-­Gericht (1776). 355 [Borié], Revisions-­Gericht (1776). 356 Schreiben der protestantischen Subdelegierten an das Corpus Evangelicorum vom 23. Febr. 1776, Abschnitt XIII., abgedruckt in: Ebd. Die Protestanten fürchteten, dass die kaiser­ lichen Kommissare auf ein doppeltes Votum, ein Conclusivum und Decisivum, Anspruch machet, wodurch in jedem Senate 4 und 5 Katho­lische Stimmen gegen 3 Evange­lische gebracht werden würden.

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man nun diese aus richtigen Akten dargelegte Wahrheiten einem von den protestantischen Visitatoren an das Corpus Evangelicorum erlassenen Schreiben entgegen, so musste nach dem Dafürhalten Boriés jeder Unpartheyischer erkennen, wie ­solche Forderungen der Reichsverfassung in ihrer Grundlage schäd­lich ­seien.357 Boriés gedruckte Ausführungen zu den umstrittenen Revisionen brandmarkte damit in aller Öffent­lichkeit und wenige Wochen vor der Visita­tionstrennung 358 die Revisionsforderungen der protestantischen Subdelegierten als unpatriotisch-­ reichsgefährdend. Allein aus ­diesem Grund, aber auch aufgrund eines zunehmenden konfrontativen Klimas, das sowohl in der Medienöffent­lichkeit als auch in Wetzlar entstand war, ergriff nicht nur Moser,359 sondern auch Falcke die Feder. Der kurbraunschwei­gische Visitator, der mit dem gedruckten Wort seine Führungsrolle unter den protestantischen Visitatoren unterstrich, schrieb gegen die Verunglimpfungen, die Anschwärzungen und die gehässige[n] Vorwürfe an und bestritt sowohl den kurmainzischen als auch kaiser­lichen Anspruch bei den Revisionssenaten.360 Dies wiederum führte dazu, dass Borié eine Entgegnung zu den Täuschereyen und Advokatengriffen Falckes schrieb.361 Daneben verschaffte sich ein Rezensent Gehör, der lapidar feststellte, dass Borié seine Ausführungen nur in Zweifelsgründen und nicht [in] Entscheidungsgründen kleide und er ausser einigen aus dem Churmainzischen Archive genommenen Protocollen im Ganzen nicht viel Neues bringe.362 Ein solcher Verweis auf das verwendete Schriftmaterial war keine Seltenheit. Im Sinne des printmedialen Schriftalltags kann sogar festgehalten werden, dass handschrift­liches Schriftgut nicht nur ‚realschrift­lich‘ zur Abfassung einer Abhandlung benötigt wurde, sondern auch eine unverzichtbare Legitima­tionsquelle war. In ­diesem Sinne betonte Borié in einer Entgegnung zur Rezension, dass er die Protokolle nicht bloß aus dem kurmainzischen Archiv, sondern aus dem Reichs­ archive genommen[…] habe. Seine Ausführungen ­seien damit aus den reinesten Quellen geschöpfte[...] Wahrheiten.363 3 57 Ebd., S. 28. 358 Die Schrift endet mit der Datums- und Ortsangabe Wien, den 24. März 1776. 359 Moser, Von der kayser­lichen Concurrenz (1776). Die Schrift ist auch aufgenommen in: Ders., Abhandlung verschiedener Rechts-­Materien 17 (1776), Text I. Siehe hierzu Denzler, Mediales Großereignis (2008), S. 106 – 108. 360 [Falcke], Reichs-­Friedens-­Schlußmäßige Revisions-­Gericht (1776), Zitat § 27. 361 [Borié], Ungrund Revisionsgericht (1777), Vorbericht. 362 Rezension zu [Borié], Ungrund Revisionsgericht (1777), in: [Oertel], Sammlung der neuesten Merkwürdigkeiten, Bd. 3 (1777), S. 499 – 502. 363 [Borié], Zugabe Ungrund Revisionsgericht (1777), S. 24. Siehe ferner Falcke, Gründ­ liche Verwahrung (1777).

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Überlagert und geleitet wurde die zweite publizistische Welle von der Frage, wer Schuld für die vorzeitige Auflösung der letzten außerordent­lichen Visita­tion trüge. Die Kontrahenten dieser publizistischen Fehde waren Pütter und der österreichische Staatsrechtler Schrötter. Beide standen sich schon bei der Auseinandersetzung um die Visita­tionsklassen gegenüber.364 Ein genauerer Blick auf diesen printmedialen Schlussakt der Visita­tion lohnt sich. Denn Pütter hat hier auf geradezu abenteuer­liche Weise versucht, Kaiser Joseph II. als Hauptschuldigen für das Scheitern der Visita­tion zu brandmarken. Als abenteuer­lich sind diese Ausführungen deshalb zu bezeichnen, weil Pütter glaubhaft machen wollte, eine Druckschrift hätte die Visita­tionspolitik des Kaisers dergestalt beeinflusst, dass hierdurch, in einer Art Langzeitwirkung, die Visita­tion gescheitert wäre. Hier liegt also eine zeitgenös­sische Medienwirkungsanalyse vor, die Pütter im Dienste seiner Obrigkeit betrieb und die deut­lich macht, wie schwer sich selbst der ‚Übervater‘ der Reichspublizistik tat, jenseits des Rechts und damit jenseits des Fachgebiets eines jeden Reichspublizisten zu argumentieren. Die Schrift Pütters, die noch im Jahr 1776 und bezeichnenderweise anonym publizierte wurde, trägt den Titel Wahre Bewandniß der am 8. Mai 1776 erfolgten Trennung der bisherigen Visita­tion. In dem zu interessierenden ersten der insgesamt drei Abschnitte versuchte Pütter, die ‚wahren‘ Gründe für das Scheitern der Visita­tion zu ergründen. Hierfür setzte er sich sehr intensiv mit einer Druckschrift auseinander, die im Jahr 1767 zu Mainz unter dem Titel Betrachtungen über das Reichs-­Kammergericht­liche Visita­tionswesen erschienen ist. Der unbekannte Verfasser stellte dort die Behauptung auf, die Visita­tion sei ein vom Reichstag vollkommen unabhängiges Corpus, deren Gerichtsbarkeit eigens und unabhängig ausgeübt werden könne.365 Für Pütter stand demgegenüber fest, dass die Visita­ tion ein vom Reichstag abhängiger Subcorpus sei. Aus ­diesem Grund vermutete er einen unheilvollen ‚Pakt‘ ­zwischen dem Kaiser und dem unbekannten Verfasser der ‚Betrachtungen‘. Denn diese Publika­tion habe dafür geworben habe, das Reich von allem weiteren Einflusse auf das Visita­tionsgeschäfft zu entfernen.366 Die von dem Göttinger Staatsrechtler schließ­lich mit dem Kommissionsdekret vom 27. Januar 1767 konstatierte Unabhängigkeit der Visita­tion sei nur in einem solchen System mög­lich, wie es in den Betrachtungen [...] willkühr­lich angenommen wurde.367 364 Pütter, Patriotische Gedanken (1768); Ders., Weitere Ausführung der Frag, ob die erste Classe abgelöset werden müsse (1768); [Schrötter], Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters Patriotische Gedanken (1768); [Ders.], Fortgesetzte Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters weitere Ausführung (1768). 365 Betrachtungen (1767), S. 8 – 12. 366 [Pütter], Wahre Bewandniß (1776), S. 19. 367 Ebd., S. 21.

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Das Gebot bei der Abfassung dieser Worte war – so lässt sich sagen – mehr Dichtung als Wahrheit. Schrötter bemerkte in seiner Widerlegung kurz und bündig: Diese ohne allen Beweise dahin geschriebene Gewebe von Unrichtigkeiten kann man platterdings auf seinem Unwerth beruhen lassen.368 Ein genauerer Blick lohnt sich aber dennoch: Pütter unterstellte dem Kaiser, er habe von Anfang an aus dem ständischen Reforminstrument ein kaiser­liches Machtinstrument machen wollen, um damit das RKG in die Abhängigkeit Wiens zu bringen. Diese Behauptung bedurfte eines Beweises, der mit den ‚Betrachtungen‘ gefunden wurde. Der erdichtete ‚Pakt‘ ­zwischen Verfasser und Kaiser verzerrte und verdrehte nachhaltig den historischen Blick auf die Visita­tionspolitik Kaiser Josephs II.369 Schrötters Entgegnung gipfelte in der Forderung, der RHR möge darüber urteilen, ob nicht die Schrift wegen ihres läster­lichen und sträf­lichen Inhalts öffent­ lich durch den Scharfrichter zu zerreißen sei.370 Diesen Vorschlag, die Schrift für die Jetztlebenden und die Nachwelt symbo­lisch-­sichtbar zu verdammen, behielt Pütter in guter Erinnerung. Zehn Jahre ­später bemerkte er, ohne sich jedoch als Autor zu benennen, dass diese Schrift auf Veranlassung und mit Genehmigung mehrerer Höfe gedruckt worden sei. Und wenn, so Pütter weiter, die Ausführungen tatsäch­lich zensiert worden wären, dann würde es nicht nur mit der Teutschen Preßfreyheit, sondern selbst mit der Freyheit Teutscher Reichsstände übel aussehen.371 Letztere Bemerkung bezieht sich darauf, dass sich das Corpus Evangelicorum mit einem Beschluss vom 4. Dezember 1776 schützend vor die Publizisten gestellt hat.372 Die (neu begründete?) Medienpolitik des Corpus musste bei Pütter allerdings nicht zur Anwendung kommen, da er sich unter den Schutzmantel der Anony­ mität und seines Landesherren stellte. Dieses beharr­liche Schweigen zumindest bis zur Jahrhundertwende 373 kann nicht verwundern. Wer würde sich schon gerne zu einer Schrift bekennen, die ein Scharfrichter öffent­lich zerreißen sollte und die ein anderer, Borié, als übel ausgebrütete Geburt bezeichnete?374 Es ist deut­lich geworden, wie konfrontativ sich das Publika­tionsklima im Laufe der zweiten publizistischen Welle gestaltete. Dies bedingte in erster Linie

368 [Schrötter], Widerlegende Anmerkungen (1776), S. 23. 369 Siehe hierzu insbesondere Aretin, Kaiser Joseph II. (1991) und Reichsreformpläne (1997). 370 [Schrötter], Widerlegende Anmerkungen (1776), S. 23. 371 Pütter, Historische Entwicklung der Staatsverfassung (1786/88), S. 149. 372 Ebd. 373 In seiner im Jahr 1798 veröffent­lichten Selbstbiographie Bd. 2, S. 621 bekannte sich ­Pütter zu der Schrift. 374 [Borié], Revisions-­Gericht (1776), § 19.

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die strittigen Sachfragen (Revisionen und Schuldfrage), aber auch eine expandierende Medienöffent­lichkeit, die es erschwerte, sich Gehör zu verschaffen. Die autopoietische Geschlossenheit des gedruckten Mediensystems trug somit zur Konfliktverschärfung innerhalb und wohl auch außerhalb des Mediensystems bei. Eine Vielzahl an Druckschriften erschien hierbei gerade im Rahmen der Auseinandersetzung um die Revisionen und das vorzeitige Ende der Visita­tion. Sie haben mit- und gegeneinander in rascher, aber dann doch in drei Jahre (1775 – 1777) währender Abfolge (Pauschal-)Vorwürfe erhoben, um ihre Meinung zunehmend konfrontativ in und für die Medienöffent­lichkeit zu artikulieren. B.3.2 Wider die irrigen und zum Theile grund falschen Nachrichten: Die Wetzlarischen Anzeigen Am 15. Juli 1767 erschien die erste von insgesamt 28 Ausgaben (‚Stücke‘) der Wetzlarischen Anzeigen.375 Sie wurden von Reichs-­Erb-­Marschall-­Amts wegen und damit mittelbar von der kursäch­sischen Subdelega­tion herausgegeben. Verkürzt kann man auch von einer visita­tionseigenen Zeitschrift sprechen.376 Die Gründe, warum man schon bald nach Visita­tionsbeginn ein solches publizistisches Unternehmen startete, gehen aus dem Vorwort hervor. Dort heißt es, dass die Aufmerksamkeit ganz Teutschlands auf der Visita­tion liege und es notwendig sei, durch die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift den in auswärtigen Zeitungen [...] vorkommende[n] irrige[n] und zum Theile grund falsche[n] Nachrichten entgegenzutreten. Mit dieser doppelten Legitimierung (Relevanz des Gegenstandes und Posi­tionierung von ‚wahren‘ (Gegen-)Nachrichten in der Medienöffent­lichkeit)377sowie der dadurch geschaffenen Mög­lichkeit der Medienmacher (Reichserbmarschallamt), sich und 375 Ich danke der Leiterin des Historischen Archivs Wetzlar (StadtAW), Frau Dr. Irene Jung, für die Mög­lichkeit, die im dortigen Archiv geschlossen verwahrten Stücke der Wetzla­ rischen Anzeigen in Kopie bearbeiten zu können. Nur vereinzelt wurden Stücke herangezogen, die sich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (u. a. KS 5720) befinden. Letztgenannte Überlieferungslage verweist darauf, dass die Visitatoren auch die Wetzlarischen Anzeigen an ihre Obrigkeit schickten. Eine ausführ­liche und jubiläumsgerechte Vorstellung erfuhren die Wetzlarischen Anzeigen durch Hinze, 200 Jahre Zeitung in Wetzlar (1967). 376 Eine ­solche Bezeichnung ist spätestens dann zulässig, wenn man einen Blick in das Visita­ tionsprotokoll vom 1. Sept. 1767 (31. Session) wirft. Ungeachtet der Einwände sprach sich die Mehrheit für die Fortsetzung der Wetzlarischen Anzeigen aus [StadtAA RKG 41]. 377 Siehe hierzu auch das 7. Stück vom 16. Sept. 1767. Dort findet sich eine Entgegnung zu den unlauten Quellen […], so in die Frankfurther Kayser­liche Reichs-­Ober-­Postamts-­Zeitung vom 21sten Julius ­dieses Jahres Nro. 116 eingeflossen sind.

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die Visita­tion zu inszenieren, begann ein nicht unumstrittenes und überdies nicht einfaches publizistisches Unterfangen, das – auch dies gilt es zu thematisieren – am 27. August 1769 mit Erscheinen des 28. Stücks sein abruptes Ende fand.378 Problematisch war insbesondere, dass es – wie es weiter im Vorbericht heißt – in der Natur der Sache liege, aber auch das in den Reichsgesetzen anbefohlne Geheimniß erfordere, dem Publico nicht alles berichten zu können. Der Leser solle deshalb zwar einerseits genug Stoff zu einem angenehmen und lehrreichen Unterhalte und zu weiterm Nachdencken finden. Andererseits war den Herausgebern bewusst, dass sie nur sehr selektiv über die Visita­tion berichten konnten. Aus ­diesem Grund wurden die Leser auf die Zukunfft vertröstet, die den Vorhang aufziehen werde.379 Mit dieser Beschwörung des Arkanums zu Lasten der Publizität rangen die Wetzlarischen Anzeigen mit sehr stumpfen ‚Waffen‘ um die ‚wahren‘ Visita­tionsnachrichten. Denn die Visita­tion wurde, so ein Kritiker, der Schreibsucht aller Klügler blos gestellt.380 Dies führte etwa dazu, dass die Neue Europäische Staatscanzley seit ihrer zwölften Ausgabe von 1765 zahlreiche und mit Visita­tionsbeginn eine ­solche Masse an visita­tionsrelevanten Dokumenten veröffent­lichte,381 dass es, so Moser in einer Druckschrift, die allgemein für das Publizitätsprinzip warb, dem Leser mög­lich war, politische Betrachtungen anzustellen, zu raisoniren oder auch politische Prophezeyhungen zu stellen.382 Diese Publizität bestand nach Moser, obgleich die Visita­tion wiederholt die schärfste Verordnungen dagegen erlasse hatte.383 Die Wetzlarischen Anzeigen mussten sich also auf der einen Seite einer solch gearteten Medienöffent­lichkeit stellen, die ein ums andere Mal im Widerspruch zu dem Arkanumsanpruch der Visita­tion stand. Auf der anderen Seite waren die Wetzlarischen Anzeigen einer Verschwiegenheit verpflichtet, die es nur begrenzt ermög­lichte, über und für die Visita­tion zu schreiben. 378 Auf den begrenzten Erscheinungszeitraum ( Juli 1767 bis August 1769) verweist schon Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, Bd. 2 (1781/1965), S. 181. 379 WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, Vorbericht. 380 [Schrötter], Fortgesetzte Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters weitere Ausführung (1768), S. 65. 381 1765 wurden dort (Tl. 12, S. 22 – 36) die Berathschlagungspunkte (1764) abgedruckt. Als eine regelrechte ‚Visita­tionscanzley‘ lässt sich die Neue Europäische Staatscanzley ab 1767 begreifen. Zahlreiche Dokumente (u. a. Visita­tions- und Reichstagsprotokolle, Beilagen Visita­tionsprotokolle, Auszüge schrift­liche Examensantworten) zur Visita­tion wurden alleine ­zwischen 1767 und 1770 in folgenden Ausgaben aufgenommen: Tl. 18 (1767), S. 218 – 364; Tl. 19 (1767), S. 2 – 142; Tl. 20 (1768), S. 3 – 113; Tl. 21 (1768), S. 3 – 52; Tl. 23 (1768), S. 3 – 55; Tl. 24 (1768), S. 3 – 4 0; Tl. 25 (1769), S. 3 – 199; Tl. 26 (1769), S. 3 – 336; Tl. 27 (1769); S. 5 – 279; Tl. 28 (1770), S. 6 – 309. 382 Moser, Freyheit, von Teutschen Staats-­Sachen zu schreiben (1772), S. 60. 383 Ebd., S. 24.

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Erscheinungsdatum und Umfang der Wetzlarischen Anzeigen Stück

Datum

Seite

Stück

Datum

Seite*

1

15. Juli 1767

1 – 8

15

9. März 1768

89 – 92

2

29. Juli 1767

9 – 16

16

19. April 1768

93 – 100

3

5. Aug. 1767

17 – 20

17

19. Mai 1768

101 – 108

4

19. Aug.1767

21 – 24

18

13. Juli 1768

109 – 112

5

2. Sept. 1767

25 – 28

19

27. Aug. 1768

113 – 120

6

9. Sept. 1767

29 – 36

20

29. Aug. 1768

121 – 128

7

16. Sept. 1767

37 – 4 4

21

5. Sept. 1768

129 – 136

8

23. Sept. 1767

45 – 48

22

21. Sept. 1768

137 – 140

9

7. Okt. 1767

49 – 56

23

26. Okt. 1768

141 – 146

10

14. Okt. 1767

57 – 6 4

24

2. Nov. 1768

145 – 148

11

11. Nov. 1767

65 – 72

25

22. Febr. 1769

149 – 152

12

2. Dez. 1767

73 – 76

26

8. März 1769

153 – 156

13

7. Dez. 1767

77 – 84

27

17. Mai 1769

157 – 164

14

5. Jan. 1768

85 – 88

28

27. Aug. 1769

165 – 168

* Die Seiten 145 und 146 wurden zweimal vergeben.

Vielleicht war es genau d ­ ieses Spannungsverhältnis von Publizitätserfordernis und Arkanumsanspruch, das dazu führte, dass die Herausgeber der Wetzlarischen Anzeigen ihre selbst gesteckten Ziele nicht erfüllen konnten. Jeden Mittwoch, so die Ankündigung im Vorbericht, sollte ein Bogen erscheinen von gleich guter Beschaffenheit des Drucks und Papiers.384 Darüber hinaus war angedacht, am Ende jeden Monats einen zusätz­lichen Bogen und halbjähr­lich ein besonderes Register herauszugeben. Diese 32 Bogen mit Register konnten zu einem halbjähr­lichen Vorzugspreis von 1 fl. 30 kr. bei einem Sofortkauf und danach für 2 fl. (ein einzelner Bogen kostete 4 kr.) bei den Ämtern der Reichspost oder anderen Poststellen sowie persön­lich bei dem Revisions-­Notarium Heller erworben werden.385 Ein Blick auf den tatsäch­lichen Erscheinungsverlauf und Umfang der Wetzla­rischen Anzeigen (siehe die Tabelle) verrät jedoch, dass diese Ziele deut­lich verfehlt wurden. Bis August 1769 erschienen keineswegs jede Woche

3 84 WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, Vorbericht. 385 Ebd.

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und in manchen Monaten der Jahre 1768 (Februar/Juni/Dezember) und 1769 ( Januar/April/Juni/ Juli) sogar gar keine Stücke. Von einem Zugabebogen oder einem Register fehlt jede Spur.386 Ledig­lich 28 Stück mit insgesamt 168 Seiten erblickten vom 15. Juli 1767 bis 27. August 1769 und damit in über 100 Wochen das Licht der Medienöffent­lichkeit. Danach und ungeachtet der Ankündigung in der letzten Ausgabe, eine Fortsetzung werde künftig folgen,387 fand die Visita­ tionszeitschrift ihr geradezu zwangsläufiges Ende. Die Zwangsläufigkeit des Zeitschriftenendes deutet sich zumindest an, wenn man annimmt, dass die Leser einschließ­lich der Abonnenten zeitnah über den Gang der Visita­tion informiert werden wollten und diesen Aktualitätsanspruch auch die Herausgeber erhoben. Eindeutiger ist, dass die letzte Ausgabe vom August 1769 erst über die Sessionen von Juli 1768 bis Anfang September 1768 (189. bis 202. Session) berichtete. Diese Verzögerungen waren nicht nur das Erbe der Erstausgabe; diese erschien erst nach über 20 Sessionen. Entscheidender war vielmehr, dass über die Visita­tion strikt chronolo­gisch weniger berichtet als vielmehr nüchtern-­sach­lich, fast schon pedantisch 388 informiert wurde. So heißt es etwa im 18. Stück (13. Juli 1768) nach einer Fortsetzung der im 17ten Blatte abgebrochenen Materien, dass in der 101. Session vom 1. Januar 1768 einige Camerales zusammen mit neu aufgenommenen Advokaten vor das Plenum getreten ­seien. Nachdem ihnen der vorgeschriebene Eyd vorgelesen worden, haben sie sämt­lich solchen [...] abgeschworen.389 Das 18. Stück berichtet weiter, dass in der 102. und 103. Session (14. und 15. Jan. 1768) ein Examen stattfand. Überdies sei in der letztgenannten Session beschlossen worden, den vom RKG in einem Rechtsfall erstatteten Bericht ad Acta zu hinterlegen. Und schließ­lich erfuhr der Leser der Wetzlarischen Anzeigen, dass wegen derer bey den Audienzien eingeschlichene Missbräuche ein Dekret an das RKG erging.390 Dieses Dekret von eineinhalb Seiten wurde direkt abgedruckt.391 386 Es gab allerdings unpaginierte Beilagen wie den hier auf S. 155 aufgenommenen Grundriss der Begräbnisfeier in der Franziskanerkirche anläss­lich des Todes von Kaiserin Maria Josepha (18. Juli 1767). 387 WA 28. Stück vom 27. Aug. 1769, S. 168. 388 Im 23. Stück (26. Okt. 1768) findet sich ein Nachtrag, da in dem 13ten Stück dieser Anzeigen [7. Dez. 1767] übersehen worden, was in der 25. und 26. Session ( Juli 1767) behandelt wurde. Dieser Zwang zur Vollständigkeit ist wohl in erster Linie dem Gesamtkonzept der Zeitschrift und dem ohnehin sehr begrenzten Gestaltungsspielraum (Arkanumsanspruch) geschuldet. 389 WA 18. Stück vom 13. Juli 1768, S. 109 f. 390 Ebd., S. 110. 391 Ebd., S.  110 – 112.

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In ­diesem Stile sind alle Stücke geschrieben. Im Vordergrund stand also die zusammenfassende, aber auch teils sehr ausführ­liche Wiedergabe der von der Visita­tion in den ordent­lichen Sessionen behandelten Gegenstände sowie die Kurzumschreibung der Examenssitzungen auf Grundlage der teils direkt zitierten Visita­tionsprotokolle.392 Manche Ausgaben gehen aber auch gar nicht oder nur am Rande auf die laufenden Verhandlungen ein, sondern führen ledig­lich oder – da hierdurch der monotone Wiedergabeduktus durchbrochen wurde – zumindest anderes Material wie ein Namensverzeichnis der aktuellen Visitatoren (1. Stück), ein Namensverzeichnis der Visitatoren von 1707 (5. Stück) oder eine Auflistung der am 17. Juli 1767 bei dem RKG ergangenen Urteile (3. Stück). Zu den Dingen, die nach Ansicht der Publika­tionsmacher der Aufmerksamkeit des Publici nicht unwürdige waren,393 zählte ferner die Auflistung der in Wetzlar ankommenden Fremden (u. a. 6. Stück) und eine Übersicht über die Lebensmittelpreise (4. Stück). Daneben gab es so genannte genealo­gische Nachrichten. So erfuhr und erfährt der Leser am Ende des 17. Stücks, dass die Frau des herzog­lich bayerischen Visitators Goldhagen am 16ten ­dieses einen Sohn gebar, der noch am selben Nachmittag auf den Namen Joseph Sebastian Johannes Nepomucenus getauft wurde, jedoch bereits am 24ten ­dieses verstarb.394 Diese Geburts- und Todesnachricht bestätigt, dass die Stadt Wetzlar für viele Reformakteure nicht nur Arbeits-, sondern auch familiärer Lebensraum war.395 Überdies gewährt die Nachricht Einblicke in die Entstehungsgeschichte des 17. Stücks. Die Nachricht spricht näm­lich zwar vom 16. und 24. diesen Monats, wird aber in einem Stück geführt, das auf den 19. Mai 1768 datiert. Es ist also anzunehmen, dass diese Worte sich auf den Vormonat April beziehen und in d­ iesem auch abgefasst wurden, deren Drucklegung jedoch erst im Folgemonat Mai erfolgte. Schließ­lich führen die Wetzlarischen Anzeigen auch Werbeanzeigen (‚Avertisse­ ment‘), wie etwa im 14. Stück. Dort findet sich die Anzeige, dass bei dem Revi­ sionsnotar Heller, der schon im Vorbericht als Kontaktperson zum Erwerb der Zeitschrift geführt wird, für die Hochgräf­l ich-­Wallersteinischen Extra-­favorablen Jubelen- und Geld-­Lotterie Lose zu bekommen ­seien.396 In einem anderen Stück ist von einem Hofsattler zu Erlangen die Rede, der für einen einsitzigen Staats-­Wagen auf Pariser Facon mit bleumoranten feinen glatten Blüsch warb.397 Für den Schrift- bzw. 3 92 Direktzitate führt etwa das 24. Stück. 393 WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, Vorbericht. 394 WA 17. Stück vom 19. Mai 1768, S. 108. 395 Siehe hierzu auch C.1.3. 396 WA 14. Stück vom 5. Jan. 1768, S. 88. 397 WA 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 84.

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Bücheralltag interessant ist daneben, dass der Buchdrucker Winckler dreimal (9. Stück, 22. Stück und 27. Stück) auf seine Bücherware aufmerksam machte. Darüber hinaus erhielten die Liebhaber dieser Blätter mit dem 16. Stück und womög­lich als Kompensa­tion für das unregelmäßige Erscheinen des Herrn Hofraths Schweitzer vollständige Geschichte einer sehr merkwürdigen Krankheit kostenfrei.398 Überdies findet sich im 22. Stück die Anzeige für eine Bücher-­Lotterie zu Hanau.399 Ob diese oder andere Anzeigen ihre erhoffte Wirkung entfalteten, war wohl schon damals schwer­lich festzustellen. Vermutet werden darf jedoch, dass die Werbung etwas kostete und d ­ ieses Geld zusammen mit dem Verkaufspreis es ermög­lichte, die Wetzlarischen Anzeigen zu finanzieren. Oder aber, dies kann nicht ausgeschlossen werden, das Zeitschriftenunternehmen endete im August 1769, weil ungeachtet der Werbungen die Finanzierung nicht mehr gesichert war. Eine weitere Einschätzung, warum die Wetzlarischen Anzeigen abrupt endeten, liefert Hinze in seiner Abhandlung ‚200 Jahre Wetzlarer Zeitung‘. Er glaubt, in den letzten Ausgaben „eine gewisse Müdigkeit und Gleichgültigkeit in der Zusammenstellung des Zeitungsinhalts zu spüren“.400 Auch dies, die mit der Zeit gewachsene Lustlosigkeit der Zeitungsmacher, kann eine und womög­lich sogar ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Gleichwie, die Tatsache, dass nach dem 28. Stück keine weitere Ausgabe mehr erschienen ist, durfte zumindest in Visita­tionskreisen kaum für größeren Unmut gesorgt haben. Denn zum einen war das in den Wetzlarischen Anzeigen präsentierte Wissen weitaus weniger, als die Akteure vor Ort verfügten; der Nutzen war also für viele begrenzt. Zum anderen gab es ungeachtet des Mehrheitsbeschlusses vom 31. August 1767, der festhielt, dass die Wetzlarischen Anzeigen unverfäng­lich ­seien, nicht unerheb­liche Einwände. So wurde vorgeschlagen, alle visita­tionsrelevanten Angelegenheiten vor ihrer Veröffent­lichung dem Visita­ tionsplenum vorzulegen.401 Solche auch von Kurmainz geäußerten Zensur­ gedanken 402 fanden ihre Bestätigung wohl darin, dass die Wetzlarischen Anzeigen zwar einen ‚Feldzug‘ wider die falschen Nachrichten bestritten, selbst aber mehrmals Falschmeldungen abdruckten. So musste im 9. Stück ein dreifacher Fehler bei den genealo­gischen Nachrichten vom 7. Stück korrigiert werden.403 Und auch 3 98 WA 16. Stück vom 19. April 1768, S. 100. 399 WA 22. Stück vom 21. Sept. 1768, S. 140. 4 00 Hinze, 200 Jahre Zeitung in Wetzlar (1967), S. 71. 4 01 SD Kurtrier, 29. Session vom 28. Aug. 1767 [StadtAA RKG 41]. 4 02 SD Kurmainz, 30. Session vom 31. Aug. 1767 [StadtAA RKG 41]. 4 03 1.) Nicht Maria Theresia Stadian, sondern Stadion gebar ein Sohn, der 2.) nicht Franciscus Seraphicus, sondern Franciscus de Paula hieß und 3.) wurde der Sohn des Kammerrichters

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die Ankündigung, nach der aufgrund des Todes der Kaiserin sämt­liche Subdelegierte eine dreimonatige Trauerbekleidung anlegen werden (5. Stück), bedurfte nach einer Erörterung im Visita­tionsplenum 404 eine Berichtigung (6. Stück), da die Trauerordnung nur für die welt­lichen Kurhöfe und fürst­lichen Höfe galt, die mit dem allerhöchsten Kayser­lichem Hofe in Verwandschaft zu ­stehen die Ehre haben.405 Ungeachtet solcher zu korrigierenden Nachrichten waren sich die meisten Visitatoren zumindest anfäng­lich einig, es sei sinnvoll, unter Wahrung des Arkanums (!) über ihr Tun quasi-­offiziell in der Medienöffent­lichkeit zu berichten. Das medienpolitische Engagement der Visita­tion blieb jedoch begrenzt, und zwar nicht nur, weil der Arkanitätsanspruch die Mög­lichkeiten der publizistischen Inszenierung einschränkte, sondern auch, weil ein solches publizistisches Unternehmen sehr viel Zeit kostete. Wie sehr sich die Bereitschaft, in die Wetzlarischen Anzeigen Zeit zu investieren, in Grenzen hielt, verdeut­licht die Tatsache, dass, obgleich im Visita­tionsplenum über das Zeitschriftenunternehmen nur wenige Male beraten wurde, der kursäch­sische Visitator mit anderen sogleich den Verlust der so kostbahren zeit beklagte.406 Es war wohl genau ­dieses bereits thematisierte Kosten-­Nutzen-­Kalkül, welches die vorzeitige Einstellung der Wetzlarischen Anzeigen bedingte oder zumindest beförderte.

nicht Nahmens Kayserl. Majestät, sondern als selbst eigner hoher Path zur Taufe gehalten. 4 04 29. Session vom 28. Aug. 1767, 30. Session vom 31. Aug. 1767 u. 31. Session vom 1. Sept. 1767 [StadtAA RKG 41]. Dem kurmainzischen Protokollverzeichnis zufolge [HHStA Wien MEA RKG 378] wurde nur in diesen Sessionen über die Wetzlarischen Anzeigen beraten. 4 05 WA 6. Stück vom 9. Sept. 1767, S. 35. 4 06 SD Kursachsen, 30. Session vom 31. Aug. 1767 [StadtAA RKG 41].

C. Reformakteure Ratisbonensis ist ein Geheimniß voller Mann.1

Das einleitende Zitat birgt Ernüchterung. Denn obgleich der Zitatgeber, Stallauer, dem Visitator aus der Reichsstadt Regensburg, Johann Emanuel Wild, sehr nahe stand – beide waren Ratskonsulenten und visitierten für eine Reichsstadt –, bezeichnete er diesen als einen geheimnisvollen Menschen. Damit angedeutet sind die Schwierigkeiten, das Handeln oder Nichthandeln eines Menschen in der Vergangenheit zu ergründen. Im Bewusstsein dieser Grenzen sollen im Folgenden die Akteure der Visita­tion behandelt werden. Ziel ist es, sich den handelnden Akteuren zu nähern, indem man ihr Leben in Wetzlar, aber auch und gerade ihr Leben vor und nach der Visita­tion in den Mittelpunkt stellt. Ein solches Vorhaben ist zwingend erforder­lich, da nur das (schriftbasierte) Handeln der Reformakteure es der forschenden Nachwelt ermög­licht, die Visita­tion in jenem Zeit-/Raumgefüge zu untersuchen, wie es in den beiden vorangegangenen Kapiteln behandelt wurde. Was also waren es für Menschen, die uns Geschichte als einen Akt „mehrfacher Konstruk­tion der Zeitgenossen und der Historiker“ begreifen lassen?2 Um diese Frage zu beantworten, wird ein prosopographischer Ansatz gewählt. Bei dieser Methode geht es darum, anhand persön­licher Daten von Einzelpersonen eine bestimmte Personengruppe zu beschreiben.3 Es soll also, ganz im Sinne des griechischen Wortursprungs von Prosopographie (prósopon ‚Gesicht‘ und gráphein ‚schreiben‘), den Akteursgruppen ein Gesicht gegeben werden, indem man etwa den sozialen Hintergrund oder die Vorkarriere von Einzelakteuren beschreibt. Im Zentrum stehen dabei die 56 Visitatoren und 87 Sekretäre. Sie sind im Anhang (unter Punkt 2) nament­lich angeführt und geben die Grundstruktur d­ ieses Kapitels vor. Daneben sind die den Sekretären nachgeordneten 28 Kanzlisten als auch die Gerichtsangehörigen 4 (Kameralen) zu berücksichtigen. Zu beachten ist hierbei, dass Visitatoren, Sekretäre/Kanzlisten und Kameralen allesamt keine in sich geschlossenen Gruppen waren, die gleichsam statisch nebeneinander bestanden. Es ist vielmehr von einer Dynamik innerhalb und 1 StadtAA RKG 33, Rela­tion 22 (PS) vom 10. Juni 1768. 2 Dinges, „Alltagskulturgeschichte“ (1997), S. 214. 3 Henning, Prosopographie (1996), S. 197 f. Einen prosopographischen Ansatz verfolgt Mader, „Priester der Gerechtigkeit“ (2005). Hier, S. 33 – 35, sind auch weiterführende Literaturhinweise zu finden. 4 Siehe zu diesen ausführ­licher vor allem D.4. und E.3.

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z­ wischen den Gruppen auszugehen.5 Letzteres verdeut­lichen Georg Gottlob Balemann und Andreas Alexander Franz Hammer. Beiden war es mög­lich, vom Sekretär zum Visitator aufzusteigen. Zu bedenken ist überdies, dass B ­ alemann im Jahr 1782 Assessor des RKG wurde 6 und dieser Aufstieg drei weiteren Visitatoren gelang.7 Wilhelm Christoph Donauer wiederum war von 1778 bis 17808 und der 1771 verstorbene Gustav Georg König von Königsthal seit 1763 Anwärter (Präsentatus) auf eine Assessorenstelle.9 Und auch der kurmainzische Visitator Keller hatte sich wenige Wochen nach dem Ende der Visita­tion – wenngleich vergeb­lich – um eine Präsenta­tionsstelle beim RKG beworben,10 während umgekehrt der spätere Assessor Riedesel (1778 – 1806) 1775 als Visitator im Gespräch war.11 Hinzu kommt, dass 1772 der Visitator von Pfalz-­Lautern, Friedrich Mauchard und nach 1776 der langjährige Visitator Lazaurs Carl von Wölkern Reichshofräte beim Wiener Reichsgericht wurden,12 ein weiterer Visitator hierfür im Gespräch war 13 und sich König von Königsthal auf eine ­solche Stelle beworben hatte.14 Bedenkt man all dies, dann deutet sich an, dass es sich ungeachtet aller Unterschiede, die ­zwischen Visitatoren und Assessoren gerade aufgrund der unterschied­lichen Verfahrensrollen (Visitatoren und Visitierte) bestanden,15 weniger um zwei separate Gruppen, als vielmehr um eine einzige Personengruppe handelt. Diese Gruppe lässt sich als juristische Funk­tionselite begreifen, den mit den juristisch qualifizierten Sekretären eine Schreibelite zugeordnet war.

5 Siehe zu dieser Dynamik die unter A.2.2. bereits dargelegten Momente, in denen sich die unterschied­lichsten Akteure zum Essen, Spielen, (Kaffee-)Trinken oder zur freimaure­ rischen Logenarbeit trafen. 6 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 128. 7 Heinrich Ludwig Gebler (Assessor von 1778 – 1782; Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 55), Carl Casper Hertwich (1782 – 1805; ebd., Biogr. 98) und Johann Daniel ­Clemens Hueber v. d. Wiltau (1782 – 1806; ebd., Biogr. 24). 8 Ebd., Biogr. 115. 9 Ebd., Biogr. 113. 10 Ebd., Biogr. 98 für Hertwich, S. 1089. 11 Ebd., Biogr. 109, S. 1218 f. 12 Zu Mauchard StadtAA RKG 33 Rela­tion 93 vom 7. Aug. 1772, zu Wölkern Weid­lich, Biographische Nachrichten Bd. 3 (1783), S. 357. 13 Johann Jakob Höfler, nach Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 125. 14 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1270. 15 Siehe hierzu Kapitel D.

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Damit sind drei Themenkomplexe angesprochen, die den Verstehens- und Deutungsrahmen der folgenden Ausführungen vorgeben. Als Erstes geht es um den Begriff Elite. Darunter lassen sich ­soziale Gruppen verstehen, die sich 1.) „durch Selek­tionsprozesse konstituieren; Kriterien hierfür waren in der Frühen Nz. in erster Linie, Geburt, Bildung […] und Qualifika­tion“. Eliten zeichnen sich 2.) dadurch aus, dass sie „Posi­tionen besetzen, die ihnen im Vergleich zu anderen gesellschaft­lichen Gruppierungen gesteigertes Einfluss- oder Machtpotential verleihen“. Und 3.) ist für Eliten konstitutiv, dass „interne Kommunika­tionsprozesse und Netzwerkbildung […] Homogenität wie Einflussmög­lichkeiten erhöhen“.16 Die Netzwerkbildung wiederum beruht nach Wolfgang Reinhards Verflechtungskonzept auf Verwandtschaft, Landsmannschaft, also der „Herkunft aus demselben Dorf, derselben Stadt, derselben Landschaft“, Freundschaft und Patronage.17 Diese vier Faktoren sind auch für die Visita­tionsakteure zu berücksichtigen. Ausgehend von einem neuen Bewusstsein der Individualität entstand nach 1750 in puncto Freundschaft ein bislang unbekannter Freundschaftskult.18 Die zumeist in den Schul- und Universitätsjahren erworbenen Freundschaften erreichten oftmals einen derart hohen Grad an Emo­tionalität und Sentimentalität, dass sie manchen mehr galten als die Familie oder „die Liebe z­ wischen Mann und Frau“.19 Bezüg­lich der Verwandtschaft ist vorauszuschicken, dass sich in der Spätphase des Reiches auf Reichs- und Territorialebene ein immer dichteres und größeres Netz „vielfach miteinander verwandter und bekannter Juristenfamilien“ entwickelte.20 Genau d ­ ieses verwandtschaft­liche Netzwerk gilt es mit einem prosopographischen Ansatz zu erfassen. Und zur Patronage lässt sich anmerken, dass derartige informelle Beziehungen z­ wischen Patron und Klien­ten sich zwar in praktisch allen „soziopolitischen Einheiten“ finden lassen.21 Am nachhaltigsten prägten sie jedoch die Staatsbildung und damit einen wichtigen Deutungsrahmen der 16 Keller, Eliten (2006), Sp. 219. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Elitenbegriff einschließ­lich der Funk­tionselite findet sich bei Hartmann, Eliten im Übergang vom Ancien Régime zur Moderne (1998), S. 401 – 416. Dem Aufsatz liegt ein Forschungsprojekt zugrunde, welches ­zwischen 1996 und 2000 am Mainzer Institut für Europäische Geschichte angesiedelt war. Siehe hierzu auch Duchhardt, Historische Elitenforschung (2004). Zum Gesamtthema ferner Hofmann/Franz, Deutsche Führungsschichten (1980); Reinhard, Power Elites and State Building (1996) u. Schulz, Sozialer Aufstieg (2002). 17 Reinhard, Freunde und Kreaturen (1979), S. 35 – 41, Zitat S. 36. 18 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 305 f. 19 Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 311. 20 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 581. 21 Thiessen, Klientel (2007), Sp. 784.

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gesamten Studie. Denn die Klientelverbände „waren der Pool, aus dem vertrauenswürdiges Personal für die wachsenden Apparate von Hof und Verwaltung rekrutiert wurde“.22 Patronage-­Klientel-­Beziehungen ­zwischen Fürst/Dienstherr und Amtsträger waren so auch noch im 18. Jahrhundert sehr wichtig, weil die Entwicklung vom Fürsten- zum Staatsdiener noch nicht abgeschlossen war. „Erst Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich eine rein sach­lich-­abstrakte Dienstauffassung gegenüber der vormodernen persön­lichen durch“.23 Die damit angesprochene Entpersonalisierung des Amtsverständnisses hin zu einem modernen Beamtentum wurde einerseits von der zunehmenden Schrift­ lichkeit getragen 24 und hat dementsprechend in den Jahren der Visita­tion einen neuer­lichen Schub erfahren. Andererseits waren es die juristisch ausgebildeten Amtsträger, die zwar kein Monopol auf den vormodernen Staatsdienst hatten,25 aber dennoch in immer stärkerem Maße in den expandierenden Verwaltungs­ apparat eindrangen.26 Dieser Aufstieg der Juristen 27 aufgrund des „stetig steigenden Bedarf[s] nach juristisch geschulten Fachleuten“28 ist der zweite Themenkomplex, der mit der juristischen Funk­tions- und Schreibelite der Visita­tion im Mittelpunkt steht. Ausgehend von der „juristische[n] Revolu­tion des 11./12. Jahrhunderts, also der Überwindung des archaischen Rechts durch die wissenschaft­liche Rechtspflege“ auf Grundlage des rezipierten römisch-­kanonischen Rechts,29 die einen umfassenden Prozess der Verwissenschaft­lichung, Bürokratisierung, Professionalisierung und Verfahrensintensivierung in Gang setzte,30 lässt sich spätestens für 22 Ebd. Insgesamt hierzu mit weitergehenden Hinweisen Droste, Patronage (2003), Emich u. a., Stand und Perspektiven der Patronageforschung (2005) u. Hengerer, Amtsräger als Klienten und Patrone? (2005). 23 Hochedlinger, Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte (2010), S. 79. Zur Gesamtentwicklung auf lokaler Ebene siehe Klingebiel, Ein Stand für sich? (2002), und generell zur Herrschaftsvermittlung in praxeolo­gischer und europäischer Perspektive Brakensiek Herrschaftsvermittlung im alten Europa (2005). 24 Carl, Amt (2005), Sp. 309. 25 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002), S. 189 u. Hammerstein, Universitäten – Territorialstaaten – Gelehrte Räte (1986), S. 689 f. 26 Ebert, Jurist (2007), Sp. 191. Siehe insgesamt hierzu Jahns, Juristenkarrieren in der Frühen Neuzeit (1995); Köbler, Juristenausbildung (1978); Reinhard, Power Elites and State Building (1996); Schindling, ‚Verwaltung‘ (1991) und Schnur, Rolle Juristen (1986). 27 Asch, Beamter (2005), Sp. 1133 – 1135. 28 Brakensiek, Juristen in frühneuzeit­lichen Territorialstaaten (2002), S. 270. 29 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002), S. 285. 30 Diestelkamp, Verwissenschaft­lichung, Bürokratisierung, Professionalisierung, Verfahrensintensivierung (1994). Siehe hierzu auch mit umfassenden Nachweisen Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 61 f.

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das 16. Jahrhundert sagen, dass „kein Fürst, Magistrat, Regent ohne Unterstützung schreib- und rechtskundiger Amtsträger auskam“.31 Mit den so genannten Gelehrten Räten entstand sogar eine akademisch und vornehm­lich juristisch gebildete Amtsträgerschaft,32 die mit dem Gemeinen Recht über das „zur Beratung qualifizierende Herrschaftswissen“ verfügte.33 Recht avancierte somit zu einem „herrschaft­lichen Expertenwissen, dessen Kenntnis zu einem Macht- oder besser: Machtbeteiligungsmonopol ausgebaut“ wurde.34 Aus eben d­ iesem Grund lassen sich die Akteure der Visita­tion als juristische Funk­tionselite begreifen. Sie verfügten, ausgehend von der universitären Ausbildung,35 über das erforder­liche juristische Herrschaftswissen, um im Reich und in den Territorien an den verschiedensten Einrichtungen des sich stetig verdichtenden Staatsapparates für, mit und neben 36 den Herrschaftsträgern zu agieren. Eine spezialisierte Ausbildung strebten dabei seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts auch zunehmend Adelige an, um sich „gegenüber der Konkurrenz bürger­licher Akademiker behaupten zu können“.37 Damit zu fragen ist nach dem Anteil adeliger und bürger­licher Akteure bei der Visita­tion, wobei mit Wolfgang Weber nicht zu „vorschnell und unkonkret nach Zugehörigkeit zu Adel oder Bürgertum“ sortiert werden darf. Denn die Beamten bzw. Amtsträger der Vormoderne müssen immer auch als eine „auf bestimmte und jeweils zu bestimmende Art und Weise zusammengefügte politische Gruppe mit eigenem soziokulturellen Profil“ begriffen werden.38 Es geht also darum, Gemeinsamkeiten zu finden, die – das lässt sich jetzt schon sagen – nachhaltig dergestalt vom Adel geprägt waren, dass sich die Amtsträger bürger­licher Herkunft an adligen Normen orientierten und oftmals in den Adel aufstiegen, um damit ihren Erfolg als funk­tionale ‚Bildungs- und Leistungselite‘ zu besiegeln.39 Demgegenüber darf jedoch nicht übersehen werden, dass der von 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Hammerstein, Universitäten – Territorialstaaten – Gelehrte Räte (1986), S. 719. Schwinges, Gelehrte im Reich (1996). Wieland, Gelehrte Räte (2006), Sp. 381. Weber, Dienst und Partizipa­tion (1999), S. 109. Programmatisch lässt sich sogar sagen: „Am Anfang stand die […] Universität“ [Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002), S. 194]. Gemeint ist damit, dass sich Räte „nicht ledig­lich als Instrument des fürst­lichen Machtwillens, sondern als aktive Gestalter der Politik“ begriffen [Wieland, Gelehrte Räte (2006), Sp. 382]. Sikora, Adel in der Frühen Neuzeit (2009), S. 110. Weber, Dienst und Partizipa­tion (1999), S. 106 u. S. 108 f. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002), S. 195, der an anderer Stelle [S. 188] auch von einer „‚doppelten Aristokratisierung‘“ spricht, die einerseits „die wieder zunehmende

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Adel und Bürger durchlaufene Professionalisierungsprozess nicht nur unerläss­ lich war für den Aufbau einer qualifizierten Beamtenschaft, sondern auch für die ­soziale Mobilität der ständisch geprägten Gesellschaft.40 Das 18. Jahrhundert frei­lich ist auch der Beginn einer neuen, bürger­lichen Gesellschaftsforma­tion, die sich auch und gerade vom Adel abgrenzte.41 Die Kritik mancher Zeitgenossen an dem ‚adeligen Gebaren‘ der Visitatoren hat hier, in der Abkehr von der ‚altbürger­ lichen‘ und adeligen Titelsucht,42 ihren eigent­lichen Ursprung.43 Eine Beamtengruppe sui generis bildeten die Sekretäre. Sie lassen sich deshalb als eine Schreibelite begreifen, da sie zumeist studierte Juristen waren, die an der hierarchischen Spitze einer Vielzahl von überwiegend unstudierten Schreibkräften standen. Damit angesprochen ist der dritte Themenkomplex, näm­lich das schriftproduzierende Personal des frühneuzeit­lichen Beamtenapparates. Der Gesamtansatz dieser Studie legt es nahe, mit der Schrift­lichkeit auch jene Personen zu betrachten, die in mühevoller Schreibarbeit einen Großteil des überlieferten Schriftguts produzierten. Nicht ohne Verwunderung ist dabei festzuhalten, dass es, soweit zu sehen, bislang keine eigene Untersuchung zum schriftproduzierenden Personal der Vormoderne gibt.44 Dieses Desiderat ist erheb­lich, wenn man

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Zahl adeliger Fürstendiener“ und andererseits den „Aufstieg zahlreicher neuer Leute im Fürstendienst in den Adel“ bedingte. Siehe hierzu auch die weiteren Ausführungen. Ehmer, Professionalisierung (2009), Sp. 434. Insgesamt hierzu Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (2002), S. 189 – 196; Bruning, Beamtenausbildung (2005). Budde, Bürger­lichkeit im 19. Jahrhundert (2009), S. 92; Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763 – 1806 (2005), S. 126; Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S.  135 – 144 u. S.  588 – 596; Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit (1992), S. 106. Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 592. Siehe insgesamt hierzu auf Grundlage der vorliegenden Studie Denzler, Adelige und bürger­liche Standes- und Leistungseliten (2014). Gemeint sind einerseits die für den werdenden Staat tätigen niederen Schreiber (Kanz­ listen, Kopisten); siehe zum Forschungsstand Haarmann, Schreiber (2010). Andererseits geht es um jene Sekretäre, die „Träger subalterner Leitungsfunk­tionen“ waren [Babel, Sekretär (2010), Sp. 1062 u. ebenfalls Haarmann, Schreiber (2010)]. Zu beachten sind ferner die weitaus besser erforschten Stadtschreiber, die „an der Spitze der städt. Verwaltungen (Kanzleien)“ standen [Bendlage, Stadtschreiber (2010)]. Eigens zu bemerken ist, dass sich zwar ein Sammelband der „Kultur der Sekretäre“ historisch und literaturwissenschaft­lich nähert [Siegert/Vogl, Kultur der Sekretäre (2003)], und es zahllose Einzelstudien gibt, die die Schriftakteure mitberücksichtigen. Zu nennen sind etwa: Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs Bd. 1 (1992), S.  3 – 27 u. Bd.  2 (1992), S.  392 – 503; Münch, Hofrat unter Kurfürst Max Emanuel von Bayern (1979), S. 36 – 38; Raster, Hofrat unter Kurfürst Ferdinand Maria (1995), S.  161 – 235; Schütz, Gesandtschaft Großbritanniens am Immerwährenden Reichstag (2007), S.  151 – 154; Sienell, Geheime Konferenz unter Kaiser Leopold I. (2001),

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bedenkt, dass damit nicht weniger fehlt als das Verständnis für jene Personen, ohne die das frühneuzeit­liche Aktenzeitalter kein Aktenzeitalter wäre. Die folgenden Ausführungen möchten d­ ieses Desiderat angehen und deut­lich machen, wie erkenntnisreich es sein kann, sich den schrift- und aktenproduzierenden Akteuren der Vormoderne zu widmen. Vorab für sämt­liche hier im Mittelpunkt stehende Akteure zu bemerken ist, dass etwa von Dietmar Heinrich Grün, der die gesamten neun Jahre über für die Grafen visitiert hatte, zwar bekannt ist, dass er Sayn-­Hachenbur­gischer Regierungsrat und Kanzleidirektor war.45 Wie sich jedoch sein Lebensweg vor und nach der Visita­tion gestaltete, wo er studiert hat, wie es um sein familiäres oder gar freundschaft­liches Umfeld bestellt war, lässt sich nicht sagen. Dieses Nichtwissen ist der Tatsache geschuldet, dass für die folgenden Ausführungen bei weitem nicht auf einen solch reichhaltigen Quellen- und Literaturbestand zurückgegriffen werden konnte wie in den übrigen Kapiteln.46 Aus ­diesem Grund wurde für sämt­liche in einer Datenbank erfassten Visitatoren (56), Sekretäre (87) und Kanzlisten (28) ein dreistufiges Wertungssystem erstellt. So liegen von 27 Personen Informa­tionen S. 219 – 285; zu verweisen ist auch auf die zahlreichen Registereinträge bei Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007) zu den Lemmata Lega­tionskanzlist, Lega­tionssekretär und Sekretär sowie auf Moser, Teutsches Staatsrecht 45 (1751), S. 288 – 337. Dies kann jedoch eine eigene Untersuchung, die sich – aufbauend auf den bisherigen Einzelbefunden der Forschung – der Arbeits- und Lebenswelt der aktenproduzierenden Akteure der Vormoderne widmet, nicht ersetzen. 45 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 107. 4 6 Aus arbeitsökonomischen Gründen konnte nur für zwei Akteure (Stallauer und G ­ oldhagen) ein eigenes Quellenstudium betrieben wurde. Ansonsten beschränkten sich die Recherchen auf vorhandene Biographien und anderen Hilfsmitteln in gedruckter und digitalisierter Form (http://books.google.de). Vereinzelt kam es zudem zum gesonderten Studium der Forschungsliteratur. Gesondert zu erwähnen sind die Forschungsarbeiten von Sigrid Jahns. Sie ermög­lichen es, detaillierte Einblicke in das Leben der Assessoren und jener Visitatoren zu nehmen, die ­später Assessoren wurden. Siehe Jahns, Richter Darstellung (2011) und Dies., Richter Biographien (2003). Und auch zu den Anwälten des Gerichts liegen zahlreiche Arbeiten, allen voran von Anette Baumann, vor, die wichtige Ergänzungen liefern. Siehe Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Speyer (2000); Dies., Anwälte am RKG (2001); Dies., Advokaten und Prokuratoren in Wetzlar (2006); Dies., Prokuratoren. Stand der Forschungen (2003). Verwendet wurde ferner Klass, Karrieren der ­Wetzlarer Anwälte (2002), der für den Untersuchungszeitraum von 1693 bis 1806 insgesamt 210 Kurzbiographien führt. Darüber hinaus schöpfen die folgenden Ausführungen aus den Quellen, die auch ansonsten die Grundlage dieser Studie bilden. Eigens anzuführen ist das Tagebuch von Kestner. Es gewährt geradezu exklusive Einblicke in die Arbeits-, Lebens- und Liebeswelt eines Sekretärs.

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im größeren Umfang, von 42 Personen Informa­tionen im mittelgroßen Umfang und von 102 Personen, wie Grün, nur wenige bis gar keine Informa­tionen vor. Diese Informa­tionsgrundlage wird es dennoch ermög­lichen, ein Gruppenprofil zu erstellen. Es wird in Erweiterung eines rein prosopographischen Ansatzes um die Kombina­tion von gruppen- und akteurszentrierter Betrachtungsweise gehen. Damit wird – so bereits Stefan Brakensiek – ein Wechselspiel betrieben „aus statischen Verfahren, die eine große Menge von personenbezogenen Daten erfassen und auswerten, und individualisierenden Herangehensweisen, die sich dem Leben und den Äußerungen von einzelnen Personen zuwenden“.47 Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich der Aufbau des Kapitels. Als Erstes [C.1.] soll der Lebens- und Karriereweg der Visitatoren vor, aber auch nach der Visita­tion betrachtet sowie der Frage nachgegangen werden, wo die Visitatoren studiert haben und mit welchem sozialen und lebenswelt­lichen Hintergrund sie nach Wetzlar kamen. Danach [C.2.] sollen die Sekretäre im Mittelpunkt stehen. Um sie als eine Schreibelite begreifen zu können, ist es zunächst notwendig, sich zu vergegenwärtigen, ­welche Schreib- und sonstigen Aufgaben ein Sekretär in Abgrenzung zu den nachgeordneten Kanzlisten zu erledigen hatte. Darauf aufbauend werden mit Goué, dem Selbstmörder Jerusalem und Kestner drei Sekretäre schwerpunktmäßig betrachtet. Sie ermög­lichen es, die sinnerfüllten und sinnentleerten Lebens- und Arbeitswelten der Schreibelite zu betrachten.48

C.1. Sie haben sich todt gearbeitet: Die Visitatoren C.1.1 Die Visitatoren als Funktionsträger ihrer Obrigkeit Die im Anhang geführten 56 Personen wurden Visitatoren, weil sie einerseits qualifizierte und mit der höchsten Gerichtsbarkeit vertraute Juristen waren und andererseits langjährige Funk­tionsträger ihrer zur Visita­tion delegierten Obrigkeiten, also jener Reichsstände, die das Recht und die Pflicht hatten, einen Subdelegierten zu einer der vier Klassen zu entsenden. Dies verdeut­licht Johann Caspar von Stallauer. Der gebürtige Dinkelsbühler (geb. 1710) studierte 47 Brakensiek, Juristen in frühneuzeit­lichen Territorialstaaten (2002), S. 275. 48 Gänz­lich ausgeklammert wird die hierarchische Spitze der Visita­tion, obgleich hierzu auch der spätere Fürstbischof (1779 – 1795) von Bamberg und Würzburg, Franz Ludwig von Erthal, zählt. Die kaiser­lichen Kommissare bedürfen einer eigenen, intensiven Untersuchung, die die vorliegende Studie aus arbeitsökonomischen Gründen nicht mehr leisten konnte und auch wollte, da vielmehr das Gros der Visita­tionsakteure im Mittelpunkt stehen soll.

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Rechtswissenschaften in Wien und Leipzig. Danach stand er als Sekretär im Dienste zweier Reichshofräte, den Grafen von Questenberg und Starhenberg.49 Wohl während oder nach dieser Tätigkeit erwarb er sich den Doktorgrad beider Rechte.50 1753 ging er nach Augsburg, um eine Stelle als Ratskonsulent anzutreten.51 Als solcher zählte Stallauer zu den vornehmsten Bediensteten der Stadt, die direkt vom Stadtpfleger und dem Geheimen Rat (katho­lischer Teil) bestellt wurden.52 Zudem war er einer von insgesamt sechs juristischen Beratern der Stadt, die – ohne Stimmrecht – allen Sitzungen des Geheimen Rates beiwohnten, Justizund vor allem Kriminalsachen erörterten sowie Rechtsgutachten, wann immer nötig, erstellten.53 Aus Kalendern geht überdies hervor, dass Stallauer seit 1754 für das Examen der in der Stadt tätigen Advokaten und Notare zuständig war.54 Darüber hinaus war er seit 1760 Mitglied dreier weiterer Ratskommis­sionen (Münzwesen, Landquartierwesen, Engerer Ausschuss) sowie Deputierter beim Schwäbischen Reichskreis.55 Stallauer stand also bereits seit 14 Jahren im Dienste der Reichsstadt, bevor er im Jahr 1767 nach Wetzlar entsandt wurde. Als Visitator qualifizierte ihn überdies, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Reichshofratssekretär, aber wohl auch aufgrund seiner Wiener Studienzeit mit der Praxis des Wiener Reichsgerichts eingehend vertraut war. Diese Vertrautheit mit der höchsten Gerichtsbarkeit lässt sich auch bei Andreas von Goldhagen feststellen. In dem Dekret, welches ihn zum Subdelegierten Kurbayerns ernannte, ist sogar von der besten Erfahrenheit die Rede, die

49 Stetten, Selbstbiographie, bearb. von Rajkay/Stetten (1731 – 1792/2009), S.  1785 (Anm. 5). 50 Auf den Doktorgrad verweisen ebd., S. 1785 (Anm. 5) und die Ratskalender [SuStBAug. 4° S 302]. Zudem und eindeutig ist in dem sog. Legitima­tionsbrief vom 11. April 1767, also jenem Dokument, welches Stallauer als Subdelegierten legitimierte, die Rede von des Heil. Röm. Reichs Rittern, beyder Rechten Doctorem, unßern verpflichteten Raths Conculenten und Syndicum auch Reichs-­Creyß- und Münz Deputatum [StadtAA RKG 34]. 51 Stetten, Selbstbiographie, bearb. von Rajkay/Stetten (1731 – 1792/2009), S.  1785 (Anm. 5). Siehe hierzu auch SuStB-Aug. 2° Cod S 189. 52 Bátori, Augsburg im 18. Jahrhundert (1969), S. 62. 53 Ebd., S. 66. 54 SuStB-Aug. 4° S 302 Augsbur­gischer Neu- und Verbesserter Stadt- und Raths-­Calender 1754 – 1775. Die Deputa­tion heißt bis 1764 Deputierte ad Examen Notarium und danach Deputirte ad Examen Advocatorum. Die Reglementierung des Advokatenwesens ist wohl vergleichbar mit der Situa­tion, wie sie Dölemeyer, Frankfurter Juristen (1993), S. XLIV – XLVI für die Reichsstadt Frankfurt beschreibt. 55 SuStB-Aug. 4° S 302 Augsbur­gischer Neu- und Verbesserter Stadt- und Raths-­Calender 1760 – 1775.

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der angehende Visitator mit dem RKG gemacht hatte.56 Dies rührt daher, dass Goldhagen vor 1767 Hauptreferent der so genannten Wetzlarer Deputa­tion war. Als solcher war es seine Aufgabe, sich für das Kurfürstentum mit Angelegenheiten der Reichsgerichte auseinanderzusetzen.57 So geht aus einer Abrechnung hervor, dass sich Goldhagen von Dezember 1761 bis Juli 1762 in Wetzlar wegen des Salzburger Compromiss Weesen aufhielt.58 Im Jahr 1765 wiederum führte ihn die so genannte kurkölnische Testamentssache an die spätere Visita­ tionsstätte.59 Diese Auseinandersetzung um die wittelsbachische Sekundogenitur am Niederrhein, die um das Testament des am 6. Februar 1761 verstorbenen Kurfürsten Clemens August kreiste,60 war der entscheidende Grund dafür, dass die Assessoren Goldhagen, wenngleich vergeb­lich, als Visitator ablehnten.61 Goldhagen war also, als er Visitator wurde, mit dem RKG bereits gut und in den Augen der Assessoren sogar zu gut vertraut. Am Münchner Hof hingegen genoss G ­ oldhagen großes Vertrauen. Darauf verweist nicht nur sein Engagement in der kurkölnischen Testamentssache, sondern auch die Tatsache, dass er seit 1750 als Hofrat 62 und seit 1752 als Revisionsrat 63 in den Diensten Kurbayerns stand. Letztgenannte Stelle erhielt er wegen seiner „Gelehrsamkeit, ohnermiedten Fleises und integrität“.64 Als Revisionsrat war er Mitglied jener Rechts­instanz, die 1625 aufgrund des Appella­tionsprivilegs, also der Beschränkung der Mög­ lichkeit, an die höchsten Reichsgerichte zu appellieren, eingerichtet wurde. Das Revisorium konnte sich dementsprechend als ein „Surrogatum der höchsten Reichsgerichte[…]“ verstehen.65

56 BayHStA KS 16612, Ernennungsdekret vom 8. April 1767. 57 Rall, Kurbayern 1745 – 1801 (1952), S. 128 f. 58 BayHStA Personenselekt Karton 104. 59 Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992), Anhang S. 233 f. 60 Schmid, Max III. Joseph (1987), S. 448. Siehe hierzu Inventar der Akten des Reichskammergerichts 19/3 (1997), Nr. 1015 f. 61 In der 19. Session vom 6. Juli 1767 lag der Visita­tion der Rekusa­tionsantrag des Kameralkollegiums vor. Nach Beratungen in dieser und in den Folgesessionen wurde der Antrag in der 22. Session vom 11. Juli 1767 abgelehnt [StadtAA RKG 41]. 62 Dies geht aus den Daten hervor, die für das noch in Arbeit befind­liche biographische Handbuch der bayerischen Beamten in der Frühen Neuzeit erhoben wurden. Ich danke dem Betreuer, Prof. Dr. Joachim Wild, für die Beantwortung meiner Anfrage vom 22. Febr. 2011. 63 Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992), Anhang S. 233. 64 Ebd., wobei offen bleiben muss, inwiefern es sich hier um eine toposartige Formulierung handelt. 65 Ebd., S. 627. Insgesamt zum Revisorium S. 588 – 636.

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Goldhagen und Stallauer, aber auch Johann Baptist von Horix, der seit 1757/58 fest im kurmainzischen Behörden- und Universitätsapparat verankert war 66 und den Moser als einen der geschicktesten Catho­lischen Rechtsgelehrten bezeich­ nete,67 oder aber Gustav Georg von Königsthal, der seit 1742 für die Reichsstadt Nürnberg tätig war,68 belegen, dass die Visitatoren bereits viele Jahre im Dienste ihrer Visita­tionsobrigkeiten standen, bevor sie als studierte und teils auch graduierte Juristen 69 ihre Stelle als Visitatoren antraten. Viele der Visitatoren kannten zudem die Stadt an der Lahn und das RKG bereits aus eigener Anschauung. Dies trifft nicht nur auf Goldhagen und Königsthal zu, der als Solli­zitant bereits seit vielen Jahren in Wetzlar wohnte,70 sondern auch auf den späteren Assessor Georg Gottlob Balemann. Mit Beginn der Visita­tion war er bereits neun Jahre Advokat, Konsulent und Sollicitant am RKG.71 Daneben hielt er zur Aufbesserung seiner Einkünfte für die Praktikanten des Gerichts Vorlesungen über den RKG-Prozess.72 Nicht ausgeschlossen ist, dass Ludwig Adolph ­Christian von Grolmann, der in allen vier Klassen visitierte und 1764 ein Praktikum beim RKG absolviert hatte,73 eine Vorlesung bei Balemann hörte, der bis 1774 ledig­lich Visita­tionssekretär war. Darüber hinaus absolvierten Friedrich Mauchard (Datum unbek.),74 Hormayr zu Hortenburg (vor 1724),75 Christian Ottenthal (vor 1744),76 Johann Philipp Conrad Falcke (1746/47)77 und Franz Anselm Lieb (1757)78 ein Praktikum und Wilhelm Christoph Donauer sogar 66 Studium in Mainz und Göttingen, 1752 Doktor, 1754 Beisitzer des Mainzer Stadt­gerichts, 1757 Rat des Hofgerichts, 1758 ordent­licher Professor der Rechte, Assessor der Juristen­ fakultät, Revisionsrat [Teichmann, Albert, Johann Baptist von Horix, in: ADB 13 (1881), S. 127 f. u. Moser, Neueste Geschichte der Teutschen Staats-­Rechts-­Lehre (1770), S. 105 f.]. 67 Moser, Neueste Geschichte der Teutschen Staats-­Rechts-­Lehre (1770), S. 106. 68 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1264. 69 Einen Doktorgrad führten zum Zeitpunkt der Visita­tion: Evers, Hammer, Horix, Königs­ thal, Reuter, Rosenau, Stallauer und Wagner, einen Licentiatengrad Lieb, Loskand, Sichler und Hueber v. d. Wiltau. (die diesbezüg­lichen Nachweise sind den weiteren Belegstellen zu entnehmen). 70 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1264. 71 Zur Sollicitatur siehe E.3.2. 72 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 128, S. 1458. 73 Hubbertz, Grolman (1991), S. 129. 74 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 101. 75 Egger, Josef, Josef Ignaz Veit Hormayr, in: ADB 13 (1881), S. 129 – 131. 76 Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 5 (1815), Sp. 1281. 77 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 78 Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 3 (1810), Sp. 1782.

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ein fast fünfjähriges Dauerpraktikum (1752 – 62)79 beim RKG. Diese Vielzahl an Praktikanten kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, dass sich für die Wetzlarer Zeit des RKG (1693 – 1806) über 1700 Praktikanten nachweisen lassen.80 Dennoch ist einerseits erklärungsbedürftig, warum es derart viele Praktikanten gab, und andererseits, ­welche Bedeutung ein Praktikum für die späteren Visitatoren hatte. Die hohe absolute Zahl an RKG-Praktikanten liegt zum einen in der hohen Wertschätzung begründet, die das Reichsstaatsrecht aufgrund seiner Vorbildfunk­ tion für das territoriale Staatsrecht genoss. Ebenso galt das Studium „der Gerichtsordnungen und der Verfahren an den Reichsgerichten […] als paradigmatisch für die territorialen Gerichte“.81 Zum anderen bestand in den Territorien „noch während des ganzen 18. Jahrhunderts“ ein erheb­liches Defizit in der Praktikantenausbildung.82 Dieses Defizit wog umso schwerer, als gerade in d­ iesem Jahrhundert die praktische Ausbildung von Juristen neben dem Studium eine „überragende Bedeutung“ gewann.83 Ein Praktikum beim RKG oder auch beim RHR war aber allein schon deshalb so begehrt, da es „eine besondere Referenz für Aspiranten auf eine reichsständische Ratsstelle“ darstellte.84 Und auch die Karriere an einem der Reichsgerichte konnte durch ein Praktikum befördert werden: Von den 92 Assessoren, die z­ wischen 1740 bis 1806 am RKG tätig waren, hatten 45 ein Praktikum absolviert.85 Zu bedenken ist ferner, dass die praktische Ausbildung an den Reichsinstitu­tionen „bis weit ins 16. Jahrhundert“ zurückreicht.86 Aus d­ iesem Grund gehörten im 18. Jahrhundert neben Wetzlar auch Wien als Sitz des RHR sowie Regensburg als der Sitz des Immerwährenden Reichstages zum festen Bestandteil einer „spezifisch reichsrecht­lichen Peregrinatio academica“.87 79 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 115, S. 1287. 80 Scheurmann, Frieden durch Recht (1994), S. 143. Im Jahr 1771 waren es 33 und 1772 18 [Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 42]. Siehe auch Schmidt-­Scharff, Matrikel der Praktikanten (1934), der sämt­liche 1732 Namen auf Grundlage eines zeitgenös­sischen Buches verzeichnet. Eine systematische Auswertung dieser Liste wurde nicht vorgenommen. 81 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 23. 82 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 531. 83 Köbler, Juristenausbildung (1978), Sp. 485. Ausdruck und Motor dieser Praxisorientierung war die Püttersche Schule, wie sie Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 37 und Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 529 erwähnen. 84 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 531. 85 Ebd., S. 533. 86 Ebd. 87 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 27.

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Und schließ­lich durfte die allgemeine Reiseaffinität des ‚tintenklecksenden Säkulums‘ die Bereitschaft zur praktikumsbedingten geographischen Mobilität bestärkt haben.88 Es darf vermutet werden, dass noch weitere Visitatoren, von denen kaum etwas bekannt ist und die sich womög­lich – zur Einsparung der Gebühren – nicht in die Praktikantenmatrikel eingetragen hatten,89 vor 1767 in Wetzlar waren, um gegen Entgelt eine Vorlesung bei einem Anwalt zu hören oder aber – dies eine weitere Form des Praktikums – die Schreibstube eines Prokurators oder gar eines Assessors zu besuchen. Ein solcher „Schreibstubenbesuch“ bedurfte zwar „Empfehlungen und Beziehungen auf Seiten des Praktikanten sowie Zeit und gute[n] Wille[n] auf seiten der Kameralpersonen“.90 Die Mög­lichkeit jedoch, „den Kameralprozeß im Arbeitszimmer eines Assessors anhand von Originalakten kennenzulernen, verlieh dem RKG  […] bis zu seiner Auflösung eine Monopolstellung in der praktischen Juristenausbildung“.91 Neben ­diesem exklusiven Erwerb an Wissen und Erfahrungen brachte ein Praktikum am RKG und überhaupt die reichsrecht­liche Peregrinatio academica (Wetzlar, Wien, Regensburg), wie sie auch die späteren Visitatoren absolvierten, ein Weiteres mit sich. Denn durch das Sehen und Gesehenwerden, das gemeinsame Essen, Musizieren, Wohnen und Trinken – gerüchteweise wählten die Assessoren ihre Arbeitskollegen zuweilen nach ihren Trinkgewohnheiten aus 92 –, sowie die ‚intimen‘ Momente des Privatunterrichts, die (mit Empfehlungsschreiben wohl vorbereiteten)93 Privataudienzen und Privatgespräche wurde nicht weniger erreicht, als sich zu vernetzen.94 Es ging darum, sich in die elitären Zirkel einzuführen und diese elitären Netzwerke zu festigen. Die reichsrecht­liche Bildungsreise mit ihrem Aufenthalt in Wetzlar war somit der „Höhepunkt und Abschluss eines Elitestudiums“,95 der ganz im Sinne der eingangs angeführten Defini­tion dazu diente, eine Elite aufzubauen.

88 Griep/Jäger, Reisen im 18. Jahrhundert (1986). 89 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 38. Aus ­diesem Grund wurde auch auf eine systematische Auswertung der Liste, wie sie Schmidt-­Scharff, Matrikel der Praktikanten (1934) führt, verzichtet. 90 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 526. 91 Ebd., S. 526 f. 92 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 35. 93 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), betont mehrfach, wie wichtig die Empfehlungsschreiben vor allem in Wien und Regensburg waren [S. 22 (Anm. 3), 44, 46, 49 u. 57]. 94 Ebd., S. 55 f. 95 Ebd., S. 56.

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Das Praktikantenleben bzw., allgemeiner formuliert, das junge Juristenleben in Wetzlar (Donauer begann sein Praktikum mit 17 Jahren, Falcke mit 22 Jahren, Lieb mit 25 Jahren) brachte dabei gesellschaft­liche Zwänge,96 aber auch (sexuelle 97) Freiheiten mit sich, und dies mit nachhaltiger Wirkung. Denn dadurch, dass sich „in Wetzlar und anders als in Regensburg und Wien für die ranghöchsten Mitglieder dieser Reichsinstitu­tion kein entsprechendes soziales Umfeld fand“, waren Praktikanten mit dem entsprechenden sozialen Hintergrund gern gesehene Gäste bei Assessoren mit heiratsfähigen Töchtern.98 So verheiratete der Assessor Speckmann zwei seiner Töchter mit RKG-Praktikanten, darunter, im Jahr 1741, den späteren Assessor Papius.99 Und auch bei anderen war das Einheiraten in Assessorenfamilien der „Schlüssel für […] das Zustandekommen einer Präsenta­tion“.100 Solche Mobilitätskanäle konnten natür­lich dazu führen, dass nicht immer die Qualifiziertesten auf eine Assessorenstelle präsentiert wurden.101 Eine „typische Kameralehe“102 konnte aber auch dazu dienen, einen bereits erfolgten Aufstieg zu festigen. Dies war etwa bei Hueber von der ­Wiltau der Fall. Er heiratete nur fünf Monate nach seiner Aufschwörung im Jahr 1782 „die 27 Jahre jüngere Maria Anna v. Schmitz, eine Tochter von Huebers Bei­ sitzerkollegen Friedrich Joseph v. Schmitz, der nur fünf Jahre älter war als sein Schwiegersohn Hueber“.103

96 Die Praktikanten durchliefen in Wetzlar einen Akkultura­tionsprozess, bei dem es auch darum ging, sich einen bestimmten Habitus anzueignen [ebd. S. 55]. Dazu gehörte, die Trennlinie ­zwischen Assessoren und Prokuratoren zu erkennen und einzuhalten. Denn im 18. Jahrhundert grenzten sich beide Kameralgruppen „sowohl in gesellschaft­licher als auch in beruf­licher Hinsicht immer mehr voneinander“ ab [Baumann, Prokuratoren. Stand der Forschungen (2003), S. 194]. 97 Die Bildungsreise nach Wetzlar, Wien und Regensburg galt als „eine Phase der ­gesteigerten sexuellen Aktivität“ [Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 56]. 98 Ebd., S. 35. 99 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 541. 100 Ebd., S. 576. 101 Dies trifft auf Leopold Erhard Graf Galler zu, der in den Visita­tionsjahren auf ein Assessorat präsentiert war. Er entstammte einem alten steirischen Adelsgeschlecht und war aus ­diesem Grund mit der Tochter des Assessors Tönnemann (1740 – 1759) verheiratet. In fast vierjährigem Privatunterricht versuchte Tönnemann seinen Schwiegersohn „vom Soldaten zum Juristen und zukünftigen RKG-Assessor“ umzulernen, was jedoch letztend­ lich misslang [ Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 541; zu Galler selbst siehe Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 72]. 102 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 55, S. 537. 103 Ebd., Biogr. 24, S. 250.

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Verwandtschaft­liche Beziehungen z­ wischen Visitatoren und Gerichtsangehörigen gab es so nach, aber ebenso schon vor 1776. Der österreichische Visitator ­Hormayr zu Hortenburg heiratete noch während der Visita­tion Apollonia Ernestine Josepha Papius, eine Tochter des zu ­diesem Zeitpunkt wegen Korrup­tion bereits abgesetzten Assessors.104 Diese Ehe stieß auf großen Widerstand und galt bestenfalls als Unbesonnenheit […], die sein Alter noch unverzeih­licher machet (Hormayr war Jahrgang 1705, seine Frau Jahrgang 1746).105 Vor Hormayr, im Jahr 1773, heiratete bereits dessen Sekretär, Joseph Aloys Tasch, eine andere Tochter von Papius.106 Und der kurmainzische Sekretär Eckard vermählte sich 1771 mit der Tochter des Protonotars Bonn.107 In eben ­diesem Jahr heiratete auch Visitator Balemann die Tochter eines Prokurators, der entfernt mit Assessor Harpprecht verwandt war. Aus ­diesem Grund wurde Harpprecht ein Jahr ­später, 1772, Taufpate von Balemanns erster Tochter.108 Der pfalz-­lauterische Visitator Mauchard war schließ­lich mit der Tochter des Lesers Kirschbaum verheiratet, die er während seines Praktikums am RKG kennen gelernt hatte.109 Diese Ehebündnisse deuten an, wie verwandtschaft­lich nah sich teils Visitatoren, Sekretäre und Gerichtsangehörige gewesen sind. Am Anfang stand dabei oftmals das Praktikum. Aber auch die Sollicitanten-, Advokaten- oder sonstigen Zeiten in Wetzlar nutzten die späteren Visita­tionsangehörigen, um sich entsprechend den anderen Typen (Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage) zu vernetzen. Eine ­solche Vernetzung wird ersicht­lich, wenn man zum Vergleich Pütter betrachtet. Der spätere Staatsrechtler hatte im Rahmen seiner Peregrinatio academica, wann immer mög­lich, persön­liche Kontakte geknüpft.110 Pütter wurde dabei von Falcke begleitet. Dies bedeute also, dass auch der spätere Visitator in Regensburg zahlreiche Reichstagsgesandte 111 oder aber auf einem Kreistag in Ulm zahlreiche Kreisgesandte traf wie den württember­gischen Gesandten Zech.112 Interessant ist zudem, dass Pütter und Falcke mit zwei Weggefährten unterwegs waren, darunter

104 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 577. 105 GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42 Fasz. 66, Jacobis Riedesel an König, Wien 30. Dez. 1775. Hierbei scheint es sich wohl nicht um einen Verwandten jener Riedesel zu handeln, die Assessoren am RKG waren [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 39 u. 109]. 106 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58, S. 577. 107 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 227. 108 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 128, S. 1454 (II.c, Anm. 1) u. S. 1456. 109 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 101. 110 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003). 111 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 144. 112 Ebd., S. 142. Er war wahrschein­lich nicht verwandt mit dem kursäch­sischen Visitator Zech.

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Julius Melchior Strube. Hierbei handelt es sich um den Sohn von David Georg Strube, der 20 Jahre im Dienste des Hochstifts Hildesheim stand, 1740 nach Hannover ging und dort bis zum Kanzleidirektor (seit 1758) aufstieg.113 Da, wie noch zu zeigen ist, auch Falcke in der hildesheimschen Region verwurzelt und er überdies mit der Stadt Hannover – er ging hier zur Schule – bestens vertraut war, kann in ­diesem Fall sogar von einer landsmannschaft­lichen Vernetzung gesprochen werden. Darüber hinaus studierten Falcke und Strube jun. zusammen in Göttingen.114 Schließ­lich schreibt Pütter über Fal­cke, dass dieser sein vertrautester Freund war.115 Die Freundschaft ­zwischen beiden begann im Februar 1746, als Falcke auf dem Weg nach Wetzlar durch Marburg reiste und Pütter traf. Dank dieser vertrau­lichste[n] Freundschaft wissen wir,116 dass Pütter und Falcke ihr Praktikum beim RKG gemeinsam bestritten und während dieser Zeit täg­ lich mittags und abends gemeinsam mit anderen Praktikanten und Sollicitanten speisten.117 Bei diesen Essensrunden handelt es sich also um genau jene geselligen Runden, an denen 25 Jahre ­später auch Goethe und die Visita­tionssekretäre teilnahmen.118 Überliefert ist zudem, dass Falcke während des mehrmonatigen Praktikums bei dem Prokurator Johann Wilhelm Ludolf wohnte und dessen Sohn, Georg Wilhelm Ludolf, Pütter als einen treuen Freund bezeichnete.119 Während Ludolf sen. nur bis 1766 als Prokurator tätig war,120 aber bis mindestens 1775 lebte,121 übte Ludolf jun., nachdem er bereits seit 1748 Advokat war, den Beruf seines Vaters von 1763 bis 1779 aus.122 Damit ist fallbeispielartig nachgewiesen, dass der Praktikant Falcke eingehend Kontakt mit Gerichtsangehörigen hatte, die rund 20 Jahre ­später der Visitator Falcke zu examinieren hatte. Bedenkt man ferner, dass 1.) Pütter im Rahmen seines Praktikums auch einen intensiven Umgang mit den Assessoren Harpprecht, Summermann, Bürgel sen., Riedesel und Nettelbla – Letzterer wurde gleichfalls von der Visita­tion wegen Korrup­tion entlassen – pflegte, 2.) Pütter zu den Beförderern seines Aufenthalts auch die Prokuratoren Z ­ wierlein, Ruland, Bostell, den Kanzleiverwalter Rüding, die Notare, die Leser und den

1 13 Frensdorff, Ferdinand, David Georg Strube, in: ADB 36 (1893), S. 635 – 639. 114 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 139. 115 Ebd., S. 133. 116 Ebd., S. 134. 117 Ebd., S. 133. 118 Siehe A.2.2. 119 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 134. 120 Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Wetzlar (2006), S. 190. 121 Klass, Karrieren der Wetzlarer Anwälte (2002), S. 300. 122 Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Wetzlar (2006), S. 190.

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Pfennigmeister zählte 123 sowie 3.) eine Vielzahl dieser Personen auch noch in den Visita­tionsjahren d ­ ieses Amt bekleideten, und nimmt man an, dass 4.) Falcke sein Praktikum ähn­lich gestaltete wie sein Freund Pütter, dann deutet sich an, wie sehr der spätere kurbraunschwei­gische Visitator, aber wohl auch die anderen Visitatoren, die ein Praktikum beim RKG abgelegt hatten, mit der kameralen Gerichtswelt vertraut waren, bevor sie nach Wetzlar kamen. Dieses Vertrautsein betraf sowohl die Stadt und die Leute als auch die Gerichtsakten, die eine entscheidende Rolle für das Praktikum spielten 124 und dementsprechend in Pütters ‚Selbstbiographie‘ gebührend erwähnt werden.125 Die Einblicke in die kamerale Gerichtswelt gestalteten sich natür­lich bei jedem der genannten Praktikanten (Grolmann, Mauchard, Hormayr zu Hortenburg, Ottenthal, Falcke, Lieb und Donauer) etwas anders. Der Sollicitant Balemann und der Präsentatus Königsthal waren überdies allein schon aufgrund der vielen Jahre, die sie bereits vor 1767 in Wetzlar gewohnt und gelebt hatten, auf andere Art und Weise und wohl viel weitereichender vernetzt. Gesondert zu erwähnen ist schließ­lich Friedrich Adolph von Burgsdorff, dessen Vater von 1740 bis 1742 Assessor am RKG war,126 sowie Heinrich Adam Joseph Loskand, dessen Bruder von 1764 bis 1791 Assessor war.127 Diese verwandtschaft­liche Nähe der Loskandbrüder sowie die Tatsache, dass beide in demselben Haus wohnten,128 wurde von den Visitatoren kritisiert. Zumindest wurde Loskands Vollmacht als Visitator für die zweite Klasse nicht gänz­lich ohne Bedenken angenommen.129 C.1.2 Eine Generation der 1720er Jahre Heinrich Adam Joseph Loskand wurde im Jahr 1774 vom Fürstbischof von Speyer zum Visitator ernannt, da er ein studierter und graduierter Jurist war, der seit vielen Jahren im speyerischen Regierungs- und Justizapparat arbeitete.130 Diese doppelte

123 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 130 u. S. 133. 124 Burgdorf, Peregrinatio academica (2003), S. 38 u. Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 526. 125 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 134. 126 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 25. 127 Ebd., Biogr. 4. 128 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 8. Nov. 1774. 129 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774. 130 Er war zunächst Sekretär und seit 1743 Hofrat [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 4, S. 28]. Als solcher wurde er auch Visitator.

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Qualifika­tion wog die verwandtschaft­liche Nähe zu einem Assessor mehrfach auf. Daneben sind die normativen Anforderungen zu bedenken, ­welche die Visitatoren zu erfüllen hatten und die weitaus wichtiger als andere (un-)geschriebene Normen waren. So forderten die kurmainzischen Beratungspunkte von 1764 ein, nur des Cameral-­Prozesses und Styli hinläng­lich kundig[e] Personen zu berufen.131 Diese Anforderungen wurden bereits im 16. Jahrhundert formuliert. Nach dem Reichsabschied von 1559 sollten die visitierenden Stände qualificirte, der Cameral Sachen erfahren, ansehn­liche, red­liche geübte Räthe und Syndici entsenden.132 Ähn­liche Formulierungen finden sich auch im JRA (§ 130) und in der Reichsinstruk­tion von 1706 (§ 5) wieder. Gesetz­licher Anspruch war es ferner, dass ein Visitator ein würk­licher des deputirten Standes gelobter oder wenigstens zu ­diesem Actu verpflichteter Rath sowie bei dem RKG in Jahres-­Frist nicht mit Pflichten verwandt war.133 Damit ist zweierlei angesprochen. Zum einen war es ledig­lich verboten, Visitatoren zu benennen, die ein Jahr vor der Visita­tion dem RKG verpflichtet waren. Verwandtschaft­liche, freundschaft­liche oder etwa geschäft­liche Verbindungen ­zwischen Visitatoren und Kameralen waren damit nicht untersagt. Zum anderen reichte es aus, wenn ein Visitator kurz vor der Visita­tion auf die Visita­tionsobrigkeit verpflichtet wurde. Es war also keineswegs zwingend erforder­lich, dass ein Visitator bereits viele Jahre im Dienste der Visita­tionsobrigkeit stand. Dies betraf Balemann, Wölkern und all die anderen Visitatoren, die für verschiedene Reichsstände visitierten.134 So wurde Joachim Heinrich Schröder, der in der ersten Klasse für Mecklenburg-­Schwerin überprüfte, von dem Herzog zu Mecklenburg von den gegen uns aufhabenden bisherigen Pflichten entbunden,135 um wenige Tage s­ päter dem eng­lischen König und Kurfürsten von Braunschweig-­Lüneburg Treue und Verschwiegenheit zu geloben.136 1 31 Kurmainzischen Beratungspunkte von 1764 (Punkt 25). 132 HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, Gutachten des Assessors Johann Wilhelm Riedesel über die kurmainzischen Beratungspunkte Okt. 1766 (Anmerkungen zu Beratungspunkt 25). 133 [Balemann], Von den gesetz­lichen persön­lichen Eigenschaften eines reichsständischen Visitators (1774), S. 9. Mit dieser Schrift verteidigte Balemann seinen umstrittenen Karriere­sprung vom Visita­tionssekretär zum Visitator. 134 Dies waren folgende Visitatoren (hier nicht aufzunehmen sind die Visitatoren, die zwar für mehrere Reichsstände, aber nur für eine Obrigkeit visitierten wie etwa Falcke): Auf katho­lischer Seite Haimb, Hertwich, Huppmann, Kersting, Lehrbach, Lenz, Loskand und auf evange­lischer Seite Bolz, Grolmann, Grün, Schröder, Wölkern. 135 HStA-Han. Cal. Br. 11 4192, fol. 78, Entlassungsurkunde für Joachim Heinrich Schröder 15. Okt. 1774 (beglaubigte Abschrift). 136 HStA-Han. Cal. Br. 11 4192, fol. 76, Verpflichtungsurkunde für Joachim Heinrich S­ chröder 25. Okt. 1774 (Original).

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Sie haben sich todt gearbeitet: Die Visitatoren 6 4 2 0 1705

1710

1713–14 1717–21 1724–25 1727–30 1732–33 1735–39 1740–41

Die Geburtsjahre der Visitatoren (Gesamt: 31)137 6 4 2 0 26 Jahre

29

57

62

Die Altersstruktur der Visitatoren (Gesamt: 31)138

Die Freistellung von Schröder durch den Herzog von Mecklenburg erfolgte mit der Begründung, dass es förder­lich sei, wenn Männer visitieren, die bei der Visita­tion bereits gemässe Kenntniß und Erfahrung rühm­lich erworben haben.139 Wie wichtig diese Erfahrenheit war, verdeut­licht die Tatsache, dass schon vor der Visita­tion eingefordert wurde, keine Jünglinge, sondern erfahrene Juristen zu entsenden, die lange in einem Collegio gesessen und dabey die Reichs-­Camer-­Gericht­liche Verfaßung ganz inne

137 Hormayr 1705, Stallauer 1710, Jan 1713, Höfler 1714, Ottenthal 1714, Königsthal 1717, Mayer 1718, Loskand 1718, Zech 1719, Frech 1721, Wurmb 1723, Evers 1723, Gebler 1724, Reuter 1724, Falcke 1724, Schröder 1725, Kürsinger 1727, Wölkern 1727, Haes 1728, Scheffern 1729, Horix 1730, Lieb 1732, Wächter 1733, Balemann 1735, Donauer 1735, Hertwich 1736. Hueber von der Wiltau 1737, Gemmingen auf Guttenberg 1738, Böhmer 1739, Burgsdorff 1740, Grolmann 1741. 138 Alter zum 1. 1. 1768 (18 Visitatoren), zum 1. 1. 1771 ( Jan mit 57 Jahren), zum 1. 1. 1772 (Hueber v. d. Wiltau mit 34 Jahren), zum 1.4. 1773 (Böhmer mit 33 Jahren), zum 1. 1. 1774 (7 Visitatoren), zum 1.1. 1775 (3 Visitatoren). 139 HStA-Han. Cal. Br. 11 4192, fol. 78, Entlassungsurkunde für Joachim Heinrich Schröder 15. Okt. 1774 (beglaubigte Abschrift).

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haben.140 Das Erfahrungswissen über das zu visitierende Gericht, aber auch über die Gremienarbeit war somit neben dem Studium die entscheidende fach­liche Qualifika­ tion, die ein Visitator in das Verfahren einzubringen hatte. In ­diesem Sinne ist ex negativo auch Höfler anzuführen. Der Visitator von Braunschweig-­Wolfenbüttel fiel bei den Sitzungen durch Unentschlossenheit und eine „‚linke und schielende‘ Haltung“ auf, er galt als ein „wahrer Neuling“.141 Die Erfahrung, die Höfler fehlte, lässt sich dabei als ein „permanenter Verarbeitungsprozess von Erlebtem“ verstehen, in dem „Wahrnehmung, Deutung und Handeln ineinander greifen“.142 Dieser Verarbeitungsprozess hing gerade vom Lebensalter ab. Darauf verweisen sowohl die Forderung, keine Jünglinge zu verwenden, als auch die vorstehenden zwei Diagramme: Den beiden Diagrammen liegen Daten zu 31 Visitatoren zugrunde. Sie können als Richtwert für jene 25 Visitatoren begriffen werden, von denen das Geburtsjahr nicht bekannt ist. Das Durchschnittsalter der Visitatoren lag bei 45 Jahren. Es kann auch von einer Genera­tion der 1720er Jahre gesprochen werden, die Ende der 1730er/Anfang der 1740er Jahre studiert hatte und danach gut 20 Jahre Berufserfahrung sammelte, bevor sie einen Teil der Visitatoren stellte. Dies bringt beispielhaft die Karriere Falckes zum Ausdruck. Der bremische und dann kurbraunschwei­gische Visitator wurde am 12. Mai 1724 in Elze, einer im Fürstbistum Hildesheim gelegenen Stadt, geboren,143 wo sein Vater, Anton Heinrich Johann Falcke (1683 – 1745), Bürgermeister, Stadtsekretär und Advokat war.144 Nach Privatunterricht und dem Besuch des Lyceums in Hannover 145 sowie der tatkräftigen Unterstützung seines Vaters in dessen Funk­tion als Bürgermeister 146 – er war wohl der einzige Sohn des Hauses 147 – studierte Falcke Jurisprudenz von 1744 bis 1746148 in Göttingen bei Gebauer, Böhmer, Schmauß und anderen.149 Der 140 HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, Beifällige Erinnerungen Christian Ulmensteins über die kurmainzischen Beratungspunkte, Juli 1764 (Anmerkungen zu Beratungspunkt 25). 141 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S.123. 142 Haug-­Moritz, Rezension zu Münch, „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeit­ geschichte (2002). 143 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 144 Dertinger, Genealogie Dertinger (2012) u. Huck, Amt Lauenstein 1744 (1973), S. 399. Nach Huck war er Stadtsekretär seit 1708 und Bürgermeister seit 1735. Seine Eltern hießen Johann Falcke und Kath. Schnarmacher. 145 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 146 Huck, Amt Lauenstein 1744 (1973), S. 401 – 4 03. 147 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 172 erwähnt ledig­lich mehrere Schwestern. 148 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 1 49 Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 134. Zu dieser Göttinger Schule siehe Stolleis, Geschichte des öffent­lichen Rechts (1988), S. 309 – 312.

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reichsrecht­lichen Peregrinatio academica in Gemeinschaft mit dem gleichaltrigen Pütter (geb. 23. 6. 1725) und dem ebenso gleichaltrigen als auch landsmannschaft­ lich verbundenen Studienfreund Strube jun. (geb. 19. 3. 1725) folgte ein Aufenthalt in Berlin. Dort machte er Bekanntschaft mit Samuel von Cocceji (1679 – 1755),150 einem großen preußischen Justizreformer, der seinerseits mit gut 30 Jahren das RKG von 1711 bis 1713 für Kurbrandenburg visitiert hatte.151 1748 wurde F ­ alcke hessen-­darmstädtischer Hofrat und Referent des Oberappella­tionsgerichts, 1753 Hof- und Justizrat in Celle. Zehn Jahre s­ päter ging er nach Hannover. Dort wurde er Hof- und Kanzleirat sowie Advocatus Patriae. Damit gehörte Falcke in zweifacher Hinsicht – und seit 1753 in einfacher Hinsicht – zur juristischen Funk­tionselite Kurbraunschweigs. Denn zum einen war er als Advocatus Patriae „recht­lich[er] Vertreter der Landesregierung“.152 Er war also dafür zuständig, die Rechte seiner Obrigkeit in Prozessen zu wahren und nach Bedarf Rechtsgutachten zu erstellen.153 Zum anderen war er einer von insgesamt neun Räten, die für die Justizkanzlei arbeiteten.154 Hierbei handelt es sich (ebenso wie bei der Justizkanzlei in Celle) um eine landesherr­liche Gerichtsinstanz auf mittlerer Ebene, die über den Untergerichten, allen voran den Stadtgerichten, und unter dem Cellener Oberappella­tionsgericht Recht sprach.155 Falcke war dabei einer der wenigen bürger­lichen Räte. Noch im Jahr 1750 gab es in Hannover nur adelige (sechs altadelige und drei neuadelige) Räte. Erst unter dem bürger­lichen Direktor, David Georg Strube, lassen sich im Jahr 1771 mit Falcke – er behielt während der Visita­tion ­dieses und auch das Amt des Advocatus Patriae 156 – drei bürger­liche, zwei adelige und vier neuadelige Räte zählen.157 Der Justizkanzlei blieb Falcke zeitlebens verbunden. Nach der Visita­tion, im Jahr 1784, wurde er zum Geheimen Justizrat und 1786 zum Kanzleidirektor ernannt. Als solcher verstarb er 1805 in Hannover. 1 50 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 151 Kleinheyer, Cocceji (1989), S. 61. 152 Mlynek, Falcke I (2009) bzw. wortgleich Ders., Falcke (2002). 153 Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Bd. 2 (1898), S. 226. 154 Ebd., Bd. 1 (1898), S. 468 f. 155 Ebd., S. 288 – 309. Siehe zum Oberappella­tionsgericht Stodolkowitz, Ober­appella­ tionsgericht Celle (2011). 156 Ein Schüler Pütters ersetzte allerdings Falcke als Advocatus Patriae bis zu seiner Rückkehr aus Wetzlar. Als Falcke Kanzleidirektor wurde, bestellte man abermals einen Co-­Advocatus Patriae [Sellmann, Günther Heinrich von Berg (1982), S. 42; etwas anders hingegen die Darstellung bei Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungs­geschichte Bd. 2 (1898), S. 227]. 157 Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Bd. 1 (1898), S. 469.

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C.1.3 Lebens- und Karrierewege vor und nach der Visitation Wie ist dieser Karriereweg zu deuten? Warum gelang es Falcke, sich im kurbraun­ schwei­gischen Justizapparat dergestalt zu etablieren, dass er zum Visitator berufen wurde? Und wie ist sein Werdegang nach 1776 zu verstehen? Bedeutete die Visita­tion für ihn einen Karrieresprung, der sich auch bei anderen Visitatoren beobachten lässt? Zunächst zur Vorkarriere Falckes: Der kurbraunschwei­gische Visitator studierte an der landeseigenen Universität Göttingen. Dies ist nicht verwunder­lich, wenn man bedenkt, dass die 1733/37 unter dem Einfluss der Aufklärung gegründete Universität „die erfolgreichste, typischste, modernste, gewissermaßen […] die [kursiv im Original; A. D.] epochenmachende Universität ­dieses Jahrhunderts war 158 und dieser Ruhm zu einem wesent­lichen Teil auch der Juristischen Fakultät zukommt“.159 Dementsprechend studierte nicht nur Falcke in Göttingen. Dies geht aus folgendem Diagramm hervor: 8 6 4 2 0

Göttingen

Leipzig

Altdorf

Halle

Jena

Gießen

Mainz

Tübingen

Siehe*

Die Studienorte der Visitatoren (Gesamt: 22 Visitatoren/16 Universitäten)160

1 58 Hammerstein, Jus und Historie (1972), S. 309. 159 Stolleis, Geschichte des öffent­lichen Rechts (1988), S. 309 f. 160 Göttingen: Balemann, Falcke, Gebler, Grolmann, Hertwich, Horix, Scheffern, ­Wölkern; Leipzig: Burgsdorff, Höfler, Stallauer, Wild, Zech; Altdorf: Höfler, Königsthal, ­Wölkern; Halle: Burgsdorff, Emminghaus, Reuter; Jena: Donauer, Emminghaus, Königsthal; ­Gießen: Grolmann, Wagner; Mainz: Lieb, Horix; Tübingen: Scheffern, Wächter; ­Bamberg: ­Ottenthal; Erfurt: Hertwich; Erlangen: Scheffern; Heidelberg: Wiltau; Innsbruck: Hormayr; Rostock: Reuter; Trier: Ottenthal; Wien: Stallauer. Nachweise: Balemann [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 128, S. 1457], Burgsdorf [ebd., Biogr. 25, S. 266], Donauer [ebd., Biogr. 115, S. 1287], Emminghaus [Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 246], Falcke [Pütter, Selbstbiographie Bd. 1 (1798), S. 134], Gebler [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 55, S. 538], Grolmann [Hubbertz, Grolman (1991), S. 128 f.], Hertwich [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 98, S. 1087], Horix [Teichmann, ADB 13 (1881), S. 127], ­Hormayr [Grass, Nikolaus, NDB 9 (1972), S. 625], Höfler [Schrader, Höfler. Das

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Es ist ledig­lich von einem Drittel der Visitatoren bekannt, wo sie studiert haben. 36 % (8) von diesen waren in Göttingen. Während Balemann, Falcke und Gebler nur die kurbraunschwei­g ische Landesuniversität besucht haben und sie damit exakt der Hälfte (11) der Visitatoren entsprechen, die nur an einer Universität waren, gingen Grolmann, Hertwich, Horix und Wölkern auf eine weitere und Scheffern auf zwei weitere Universitäten. Der gebürtige Mainzer Horix (Universität Mainz) und der gebürtige Nürnberger Wölkern (Universität Altdorf ) waren neben Göttingen auch an der Universität ihrer jeweiligen Heimatstadt. Gleiches taten König von Königsthal und Höfler. Auch sie studierten an ihrer Heimatuniversität Altdorf, bevor sie nach Jena (Königsthal) und Leipzig (Höfler) gingen. Demgegenüber studierten neben dem in Sachsen geborenen Burgsdorff und Zech auch Stallauer in Leipzig (neben Wien) und Wild sogar nur hier. Dies lässt sich damit erklären, dass sich in Leipzig „dank des relativen Freiraums innerhalb der wohlhabenden Handelsstadt eine Göttingen verwandte, jedoch eigenständige aufgeklärte Universitäts- und Wissenschaftskultur entwickeln konnte“.161 Daneben studierten immerhin drei Visitatoren in Halle, dem Vorbild einer „zeitgemäß höfische[n] und enttheologiesierte[n] Universität“,162 die „bis in die dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts zur modernsten Universität Deutschlands“ wurde.163 Reuter (Halle und Rostock) und Emminghaus (Halle und Jena) stehen dabei für den Durchschnittstypus eines bürger­lichen Juristen, der z­ wischen 1740 bis 1806 in der preußischen Justizverwaltung tätig war: Von den 408 Räten bürger­licher Herkunft studierten 236 (58 %) in Halle.164

Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 119], Königsthal [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1264], Lieb [Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 3 (1810), Sp. 1782], Ottenthal [Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 5 (1815), Sp. 1281], Reuter [Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 2 (2009), S. 800], ­Scheffern [Stetten, Selbstbiographie, bearb. von Rajkay/Stetten (1731 – 1792/2009), S.  102 (Anm. 4)], Stallauer [ebd., S. 186 (Anm. 5)], Wächter [Haug, Das Gelehrte Wirtemberg (1790), S. 194 f.], Wagner [Weid­lich, Biographische Nachrichten Bd. 2 (1781), S. 426], Wild [Gampert, Begräbniß-­Rede Wild (1800), S. 18], Wiltau [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 24, S. 251], ­Wölkern [Weid­lich, Biographische Nachrichten Bd. 3 (1783), S. 357], Zech [Weitz, Das gelehrte Sachsen (1780), S. 284]. 161 Hammerstein, Universitäten (2005), S. 382 f. 162 Ebd., S. 372. 163 Stolleis, Geschichte des öffent­lichen Rechts (1988), S. 298. 164 Straubel, Adelige und bürger­liche Beamte in der friderizianischen Justiz- und Finanzverwaltung (2010), S. 38.

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Mit den insgesamt 16 Universitäten, ­welche die 22 Visitatoren besucht haben, sind viele, aber keineswegs alle Universitäten vertreten, die es in dieser Zeit gab. Im 18. Jahrhundert lassen sich im Reich 22 protestantische und 18 katho­lische Universitäten zählen.165 Die Streuung von 16 Universitäten ist also verhältnismäßig gering. Folgt man den Befunden Jahns für die Assessoren, wurde die Wahl des Studienortes von vier Faktoren bestimmt. Es wurde 1.) vor allem an deutschen Universitäten studiert, die 2.) der eigenen Konfession entsprachen. Entscheidend war 3.) das Studium an der landeseigenen Universität sowie 4.) das Ansehen der Universität.166 Dementsprechend waren es 32 von 128 Assessoren und Präsentierten 167 sowie 8 von 22 Visitatoren, die an der Göttinger Juristenfakultät und nach der (für die meisten Visitatoren nicht mehr relevanten) Berufung Pütters im Jahr 1746 vor allem bei ­diesem studierten. Neben der Ausbildung war es allerdings auch die ­soziale Herkunft, die nach wie vor einen entscheidenden Einfluss auf eine Karriere hatte.168 Damit gemeint ist die „geburtsständische Zugehörigkeit und [das] Berufsprofil einer Familie“.169 Wenn sich unter den am RKG tätigen bzw. präsentierten Richtern der Sohn eines Maurers und einer Hebamme,170 der Enkel eines Wagenmeisters 171 oder der Sohn eines Bierbrauers 172 finden lassen, dann waren dies Ausnahmen. Weit häufiger hatten die Assessoren und Präsentanten ein „genera­tionendickes Polster von juristisch qualifizierten Vorfahren“.173 Dies trifft auch auf die Visitatoren zu. Zumindest finden sich hier viele, deren Väter in Berufsfeldern tätig waren, die ein juristisches Studium voraussetzten. Fal­ckes Vater war Bürgermeister und Advokat, der Vater von Emminghaus als Bürgermeister von Hagen sogar promovierter Jurist,174 Hertwichs Vater kurtrierischer Hofrat und ­Kanzleidirektor,175 Wilds

1 65 Hammerstein, Universitäten (2005), S. 370. 166 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 481 – 511. 167 Ebd., S. 505. 168 So Holtz, Bildung und Herrschaft (2002), S. 386 für ihre Untersuchung. 169 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 550. 170 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 78 für den bayerischen Kreispräsentatus (1747 – 1754) Johann Adam Freiherr von Schroff. 171 Ebd., Biogr. 19 für den kurböhmischen Assessor (1758 – 1766) Franz Georg Freiherr von Leykam. 172 Ebd., Biogr. 1 für den kurmainzischen Assessor (1729 – 1753) Johann Franz Aegidius Freiherr von Borié. 173 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 555. 174 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 246. 175 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 98, S. 1083.

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Vater Stadtkämmerer und Steueramtsdirektor,176 Wölkerns Vater Ratskonsulent in Nürnberg,177 Schefferns Vater Geheimer Rat in Dinkelsbühl,178 ­Grolmanns Vater Konsistorialrat,179 Hueber von der Wiltaus Vater kurpfäl­zischer Kammerrat 180 und der Vater von Lieb kurmainzischer Hofrat, der bereits bei der ersten Visita­tion des 18. Jahrhunderts für Kurmainz visitiert hatte.181 Zwei oder mehr Genera­tionen an Juristen lassen sich für Burgsdorff,182 ­Balemann,183 ­Donauer,184 Gebler 185 und Loskand nachweisen.186 Und auch von dem kurbrandenbur­g ischen Visitator Böhmer ist bekannt, dass sein Vater, Johann Samuel Friedrich Böhmer (1704 – 1772), Professor der Rechte in Halle und dann Frankfurt/Oder sowie sein Großvater, Justus Henning Böhmer (1647 – 1749), gleichfalls in Halle Ordinarius der Juristenfakultät war. Darüber hinaus wirkte ein Onkel des Visitators, Carl August von Böhmer (1707 – 1748), eine Zeitlang als Assessor des Schöppenstuhls in Halle und Syndikus der Universität Göttingen, bevor er bis zum Vizepräsidenten der Oberamtsregierung in Glogau aufstieg.187 Böhmers Familie lässt sich somit als eine Juristenfamilie umschreiben. Bei ­Balemann hingegen ist zu präzisieren, dass etwa sein Großvater väter­licherseits Pastor und die Großmutter mütter­licherseits eine Pastorentochter war. ­Balemann entstammte somit nicht nur einer Juristenfamilie,188 sondern auch einer Theologenfamilie.189 Ähn­liches trifft auf Gebler zu. Er entstammte „väter­licher- und mütter­ licherseits aus bürger­lichen, im thürin­gisch-­sächs. Raum ansässigen Familien. Pfarrer, Hofbedienstete und Beamte der Unter- und Zentralbehörden kleiner Territorien

176 Gampert, Begräbniß-­Rede Wild (1800), S. 18. 177 Kneschke, Wappen der deutschen freiherr­lichen und adeligen Familien (1856), S. 464. 178 Stetten, Selbstbiographie, bearb. von Rajkay/Stetten (1731 – 1792/2009), S.  102 (Anm. 4). 179 Hubbertz, Grolman (1991), S. 128. 180 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 24, S. 250; auf S. 248 hingegen Kommerzienrat. 181 Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 3 (1810), Sp. 1782. 182 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 25, S. 261 f. 183 Ebd., Biogr. 128, S. 1455. 184 Ebd., Biogr. 115, S. 1284 f. 185 Ebd., Biogr. 55, S. 534. 186 Ebd., Biogr. 4, S. 28 f. 187 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 99. 188 Seit dem 17. Jahrhundert gab es bei dem Lübecker Zweig der schleswig-­holsteinischen Familie „mehrere Genera­tionen lang promovierte reichsstädtische Juristen, Ratsherren und Bürgermeister“ [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 128, S. 1455]. 189 Ebd., Biogr. 128, S. 1454 f.

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Reformakteure

bestimmen das Sozialprofil von Geblers Vorfahren“.190 Damit angesprochen ist auch die Erziehung der Visitatoren. Wenn sich etwa für den aus einer „der bedeutendsten Juristenfamilien Alt-­Württembergs“ stammenden RKG-Assessor Harpprecht (geb. 1702; Assessor 1745 – 1784) sagen lässt,191 dass er „selbstverständ­lich […] in eine genera­tionenlange Gelehrtentradi­tion“ hineinwuchs und diese Sozialisa­tion seine Karriere erheb­lich erleichterte,192 dann trifft dies auch auf die Visitatoren zu. Sie entstammten zum Großteil einem bürger­lich-­gelehrten Umfeld, das in entscheidender Weise die Kindheits- und Jugendjahre der Visitatoren prägte, und zwar, weil das Familienleben immer eine „Institu­tion der ‚primären Sozialisa­tion‘“ war und ist.193 Damit soll natür­lich nicht gesagt sein, dass die aus Eltern und Kindern bestehende Kernfamilie einschließ­lich oder auch ohne deren Einbettung in ein verwandtschaft­ liches Umfeld die entscheidende Vergemeinschaftungsform der Frühen Neuzeit war. Bekannt ist vielmehr, dass das so genannte ‚ganze Haus‘, also der von Vater, ­Mutter, Kindern und Gesinde gebildete wirtschaft­liche, ­soziale und herrschaftsrecht­liche Hausverband, mit den Zeitgenossen (Hausväterliteratur)194 und der älteren Forschung (Otto Brunner) als s­ oziale Grundeinheit der Gesellschaft begriffen werden kann, gleichwohl allein schon aufgrund der „Vielfalt der Binnenbeziehungen in den unterschied­lichen Häusern“ nur von einem Zerrbild der sozialen Realität gesprochen werden kann.195 Dennoch ist die Vorstellung vom ‚ganzen Haus‘ wichtig. Denn das familiäre Umfeld der Visitatoren entsprach einem Entwicklungsprozess, an dessen Ende die „Herauslösung einer ‚Kernfamilie‘ (Ehegatten und Kinder) aus dem Lebenszusammenhang des ‚ganzen Hauses‘“196 und damit die Entstehung der bürger­lichen Familie stand. Dies führte einerseits dazu, dass Kinder „stärker in den biolo­gischen Lebenszusammenhang mit ihren leib­lichen Eltern einbezogen“ wurden;197 Familie war also „nicht länger Wirtschafts- und Versorgungsgemeinschaft, sondern vor allem Lebens-, Erlebnis- und Erziehungsgemeinschaft, die sich als kooperative Ehegattenfamilie durch Privatheit und emo­tionale Intensivierung auszeichnete“.198 Andererseits erforderte es die „auf

190 Ebd., Biogr. 55, S. 537. 191 Ebd., Biogr. 89, S. 992. 192 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 555. 193 Herrmann, Familie, Kindheit, Jugend (2005), S. 69. 194 Siehe hierzu etwa Burkhardt, Wirtschaft (1985), S. 550 – 559 u. Münch, Lebens­ formen in der frühen Neuzeit (1992), S. 192 – 196. 195 Groebner, Außer Haus (1995), S. 72. 196 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 575. 197 Ebd. 198 Herrmann, Familie, Kindheit, Jugend (2005), S. 90.

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Leistung und Konkurrenz beruhende[…] Welt der Ämter und Funk­tionen“, die Söhne als „das neue kulturelle Humankapital zur Behauptung des sozialen Status der Familie“ heranzuziehen.199 Es ging also darum, sich mit und durch die Nachkommen in der bürger­lichen Gesellschaft zu behaupten. Ausgehend von diesen Befunden wäre es interessant, die Erziehung der späteren Visitatoren genauer zu betrachten. Dazu schweigt sich jedoch das hier zur Verfügung stehende Material aus. Gleiches trifft auf die schu­lische Ausbildung und damit auf einen weiteren wichtigen „Agenten der Akkultura­tion (Elternhaus, Schule, Universität)“ zu.200 So lässt sich ledig­lich für König von ­Königsthal 201 und Wild 202 gesichert nachweisen, dass sie auf das Gymnasium der jeweiligen Reichsstadt (Nürnberg/Regensburg) gingen.203 Dies lässt sich dahingehend deuten, dass die seit der Reforma­tion „aus fürst­licher und vor allem auch städtischer Initiative gegründeten Gymnasien Ausbildungsstätten der bürger­lichen Eliten“ waren.204 Inwiefern jedoch all die anderen Visitatoren eine Schule – Falcke ging auf ein Lyceum 205 – besuchten und/oder Privatunterricht erhielten,206 lässt sich größtenteils nicht sagen. Zu beachten in puncto Erziehung wäre auch, ob es sich um adelige oder bürger­liche Kinder handelte. Hier näm­lich bestanden große Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten, was die „Bildungsbemühungen und -erfahrungen […] in formalisierter und organisierter Form (häus­licher und Gymnasial-­ Unterricht)“ betraf.207 In ­diesem Zusammenhang ist auch die grundsätz­liche Frage nach dem Anteil von altadeligen, neuadeligen und bürger­lichen Visitatoren zu stellen. Sie lässt sich mit folgendem Diagramm beantworten:

199 Ebd., S. 89. 200 Maurer, Kulturgeschichte (2008), S. 253. 201 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1264. 202 Gampert, Begräbniß-­Rede Wild (1800), S. 18. 203 Von Wächter ist nur allgemein bekannt, dass er auf ein Gymnasium ging [Haug, Das Gelehrte Wirtemberg (1790), S. 194 f.]. 204 Roeck, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit (1991), S. 31. 205 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 206 So lässt sich für die Frankfurter Juristen des ausgehenden 18. Jahrhunderts sagen: „Wohlhabende Bürger und Patrizier schickten ihre Söhne teils auf auswärtige Gymnasien, teils ließen sich sie von Privatlehrern unterrichten“ [Dölemeyer, Frankfurter Juristen (1993), S. LI]. 207 Herrmann, Familie, Kindheit, Jugend (2005), S. 79. Siehe dementsprechend die Befunde bei Straubel, Adelige und bürger­liche Beamte in der friderizianischen Justiz- und Finanzverwaltung (2010), S. 31 – 33.

236

Reformakteure Altadelig: 4

Bürgerlich: 13

Neuadelig (Nobilitierung vor/während d. V.): 12

Der Anteil altadeliger, neuadeliger und bürger­licher Visitatoren (Gesamt: 29)

Zunächst ist festzuhalten, dass auch hier von der Hälfte der Visitatoren keine genaueren Angaben vorliegen. Dies betrifft jedoch nur den Anteil neuadeliger und bürger­licher Visitatoren, wenn man jene sieben Visitatoren ausschließt, von denen zwar bekannt ist, dass sie einen Adelstitel führten, aber nicht genau, ob aufgrund neuadeliger oder – was jedoch unwahrschein­licher ist – altadeliger Herkunft.208 Letzteres war zweifelsfrei bei Burgsdorff,209 Gemmingen auf Guttenberg,210 Grolmann 211 und Lehrbach der Fall.212 Davon abgesehen fällt auf, dass die altadeligen Visitatoren mit einem Anteil von 14 % in einer deut­lichen Minderzahl waren. 86 % der Visitatoren waren neuadeligen und bürger­lichen Ursprungs. Wenn man die sieben Visitatoren hinzurechnet, die wahrschein­lich ebenfalls neuadelig und nicht altadelig waren, dann ergibt sich sogar ein Anteil von 53 % Neuadeliger, 36 % Bürger­licher und 11 % Altadeliger. 208 Dies betrifft Grün, Haimb, Horix, Keller, Ottenthal und Scheffern. Hier dazuzurechnen ist auch Frech, von dem ledig­lich bekannt ist, dass er, aber nicht wann er nobilitiert wurde. Die Nachweise sind den Belegstellen zu entnehmen, die im weiteren Verlauf des Kapitels zu den jeweiligen Visitatoren angeführt werden. 209 „Die v. Burgsdorff waren eines der ältesten und angesehensten märk. Adelsgeschlechter“ [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 25, S. 264]. 210 „Gemmingen, ein uraltes, berühmtes u. weit verbreitetes Geschlecht“, deren Nebenlinie zu Guttenberg im 15. Jahrhundert begründet wurde [Pierer’s Universal-­Lexikon Bd. 7 (1859), S. 135 f.]. 211 Er „entstammte einem bis ins 15. Jahrhundert zurückzuverfolgendem Geschlecht“ [Hubbertz, Grolman (1991), S. 128]. 212 Ein „altes hes­sisches Geschlecht, welches durch den Besitz seines gleichnamigen Stammgutes zu der unmittelbaren Reichsritterschaft des fränkischen Cantons Rhön-­Werra gehörte“ [Pierer’s Universal-­Lexikon Bd. 10 (1860), S. 232].

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Zu berücksichtigen ist auch, dass nachweis­lich drei bürger­liche Visitatoren nach der Visita­tion nobilitiert wurden.213 Damit beschritten sie jenen Weg, den viele Visitatoren bereits vor 1776 gingen und der 1771 Reuter verwehrt wurde. Der kurbrandenbur­gische Visitator bat in ­diesem Jahr „mit Hinweis auf die Delegierten d. anderen Reichsstände vergeb­lich um seine Nobilitierung“.214 Von den zwölf Neuadligen sind vier in Familien hineingeboren, die seit einer oder zwei Genera­tionen nobilitiert waren.215 Drei Visitatoren, Königsthal (1758/59),216 Stallauer (1761)217 und Goldhagen (1766),218 wurden wenige Jahre vor und fünf während der Visita­tion nobilitiert.219 Letzteres konnte dabei durchaus Konflikte generieren, so zumindest 213 Hertwich wurde 1782 [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 98, S. 1083] und Balemann 1804 [ebd., Biogr. 128, S. 1454] in den Reichsadelsstand sowie Kürsinger nach 1773 in den Reichsfreiherrenstand erhoben [Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 3 (1810), Sp. 945]. 214 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 2 (2009), S. 800. 215 Georg Joseph Karg von Bebenburgs Großvater entstammte einer Bamberger B ­ ürgerfamilie. Sein Vater, Hieronymus Carl v. Bebenburg (1651 – 1723), wurde 1709 in den Reichsadelsstand erhoben [Braubach, Max, Johann Friedrich Freiherr Karg von Bebenburg, in: NDB 11 (1977), S. 153 f.]. Siehe hierzu auch die Frage nach der Herkunft von Johann Friedrich Karg v. Bebenburg (1648 – 1719), dem Großvater des Visitators und berühmten Kanzler Kurkölns, zu der Blacha, Johann Friedrich Karg von Bebenburg (1983), S. 12 – 17 im Sinne der Neunobilitierung Stellung bezieht. Die Hormayr zu Hortenburgs „gehören zu den jüngeren tiro­lischen Adelsgeschlechtern“, das erst 1665 vom damaligen Landesfürsten einen Wappenbrief erhielt und „am 22. März 1682 von Kaiser Leopold I. in den reichsständischen Adelsstand erhoben“ wurde [Egger, Josef Ignaz Veit Hormayr, in: ADB 13 (1881), S. 129 – 131]. Wölkerns Vater, Lazarus Carl d. Jüngere (1695 – 1761), wurde 1728 in den Adelsstand erhoben [Kneschke, Wappen der deutschen freiherr­lichen und adeligen Familien (1856), S. 464]. Und bei August Ferdinand von Zech handelt es sich wahrschein­lich um den Enkel von Bernhard Zech (1649 – 1720). Er „entstammte einer ursprüng­lich in der Oberpfalz ansässigen bürger­lichen Familie“ und wurde 1716 von Kaiser Karl VI. in den Adelsstand erhoben. Sein Sohn wiederum und Vater des Visitators, Bernhard von Zech (er führte den Namen seines Vaters; geb. 1681), wurde 1729 in den Reichsfreiherren- und 1745 in den Reichsgrafenstand erhoben [Haake, Paul, Bernhard Zech, in: ADB 44 (1898), S. 734 – 737]. 216 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1261. 217 Seydel, Führer auf den Gräbern der in Augsburg Verstorbenen (1839), S. 75. Er wurde von Kaiser Franz I. in den Reichsritterstand erhoben. 218 Siehe Anm. 62. 219 Höfler 1768 [WA 20 Stück vom 29. Aug. 1768, S. 128], Gebler 1769 [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 55, S. 535], Böhmer [Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 99] und Hueber 1770 [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 24, S. 248] sowie Emminghaus 1774 [Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 247].

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bei Höfler. Er wurde im März 1768 in den Reichsadelsstand erhoben, wie man auch in der visita­tionseigenen Zeitschrift nachlesen konnte.220 Höfler war jedoch ein protestantischer Visitator, der ohnehin für seine prokatho­lische Ausrichtung kritisiert wurde.221 Aus ­diesem Grund sorgte die von Höfler aus eigener Bewegung veranlasste Nobilitierung durch den Kaiser nicht nur bei Pütter für Irrita­tionen.222 Zu bedenken ist allerdings, dass diese und die anderen Nobilitierungen einen typischen Vorgang darstellen, der unmittelbar mit der Ausbildung einer Funk­ tionselite zusammenhing. Denn adelige „Wertvorstellungen und Lebensmuster prägten auch lange Zeit das Erscheinungsbild von anderen politischen E[liten]“.223 In ­diesem Sinne standen die elitäre Trägerschaft der entstehenden bürger­lichen Gesellschaft und damit auch Reuter sowie die zwölf anderen bürger­lichen Visitatoren 224 vor zwei Mög­lichkeiten: Entweder verfiel man der Titelsucht und legte „auch im bürger­lichen Bereich großen Wert auf Rangabstufung“, oder man konnte sich „Titulaturen überhaupt verbitten“.225 Wenn nun Michael Maurer feststellt, dass man sich seit „der Mitte des 18. Jahrhunderts […] eher der zweiten Mög­lichkeit“ zuwandte und man „von exklusiven Rangzuweisungen […] nichts mehr wissen“ wollte,226 dann beschreibt dies genau jene Bruchstelle, in der sich die Visita­tion befand. Denn einerseits gab es den Drang, mit dem Adel und wie dieser in der Gesellschaft zu agieren. Darauf verweist nicht nur die Nobilitierung der Visitatoren vor, während und nach der Visita­tion, sondern auch die Tatsache, dass sich die nichtadligen Visitatoren wie Falcke oder Reuter, aber auch die nichtadeligen Assessoren, Sollicitanten und Praktikanten mit einem Scheintitel anredeten.227 Entsprechend ­dieses Verlangens, sich als eine Leistungs- und eben nicht als eine Standeselite in Anlehnung an den Altadel zu inszenieren, heißt es auch bei Sabine Holtz: „Die ­soziale Abgrenzung der bürger­lichen Fürstendiener ist Anzeichen der Ausbildung eines Elitebewußtseins, in dem sich tradi­tionelle (Herkunft und Patro­ nage) und moderne Kriterien (Wissen und Leistung) verbinden“.228 Andererseits

2 20 WA 20 Stück vom 29. Aug. 1768, S. 128. 221 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 125. 222 HStA-Han. Cal. Br. 11 4104, fol. 321, Pütter an Räte 6. Juni 1768. 223 Keller, Eliten (2006), Sp. 220. 224 Balemann, Bolz, Donauer, Falcke, Hertwich, Jan, Kürsinger, Lieb, Loskand, Mauchard, Wagner und Wild. 225 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 592. 226 Ebd. 227 Zu den Assessoren Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 588, zu den Visitatoren, Sollicitanten und Praktikanten Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 98. 228 Holtz, Bildung und Herrschaft (2002), S. 388.

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war es ja gerade ein Kennzeichen des entstehenden Bürgertums, sich von den ‚alten‘ adeligen Standeseliten mit ihrem geburtsständischen Prinzip abzugrenzen. Aus genau ­diesem Grund machte sich die Rittertafel Goethes über die „Rang- und Titelsucht“ lustig 229 oder aber beklagte sich Kestner darüber, dass sich der pfalz-­ lauterische Visitator Mauchard nur hier ad­lich, so wie alle Subdelegirte, ausgebe.230 Anzusprechen ist schließ­lich, dass sich viele Visitatoren nach den Erziehungs-, Ausbildungs- und Sozialisa­tionsjahren und einer zumeist mehrjährigen Berufserfahrung in einem ehe- und familientypischen Alter befanden. Dementsprechend konnte Reuter in Wetzlar 1769 Vater eines Sohnes werden,231 hatte Grün zwei Töchter,232 schrieb im Jahr 1768 der 17-jährige Sohn Falckes ein Gedicht über eine Überschwemmung in Wetzlar 233 oder aber verlor das Ehepaar Reis im August 1769 ihren neun Monate alten Sohn 234 und das Ehepaar Bolz im September 1768 ihre 12-jährige Tochter.235 Einen schmerzhaften Verlust musste auch Falcke hinnehmen. Am 9. Januar 1768 verstarb seine Frau Johanna Marie Magdalena Dietz zu Darmstadt, die Tochter eines dortigen Oberhofpredigers, Superintendenten und Konsistorialrates.236 Noch im August 1767 hatten sie gemeinsam eine Brunnenkur in Selters gemacht, um die seit fast anderthalb Jahren […] auszehrende[…] Kranckheit von Falckes Frau auszukurieren.237 Mit Blick auf die Alterstruktur der Visitatoren (siehe die Diagramme) ist allerdings auch festzuhalten, dass hier mehrere Genera­tionen aufeinander trafen. Nicht jeder Visitator ging also als Ehemann nach Wetzlar, wurde dort Vater oder pflegte mit Frau und Kindern ein Ehe- und Familienleben. Und auch im Hinblick auf die verschiedensten Ämter, w ­ elche die Visitatoren für die unterschied­lichsten Reichsstände innehatten, aber auch aufgrund der sozialen Zusammensetzung (altadelig, neuadelig, bürger­lich), darf nicht zu pauschal von einer juristischen Funk­tionselite gesprochen werden. Es ist vielmehr die Vielfalt in der Einheit zu beachten, und dies umso mehr, wie anzunehmen ist, dass unter den Visitatoren

229 Von Rang- und Titelsucht spricht Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 98, wobei er hier nicht den unter A.2.2. bereits angesprochenem Spaßernst der Rittertafel meint, sondern genau jene Adelsattitüde, die von den Praktikanten und Sekretären persifliert wurde. 230 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 50v. 231 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 2 (2009), S. 800. 232 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 107. 233 Ebd., S. 68. 234 WA 7. Stück vom 16. Sept. 1767, S. 44. 235 WA 21. Stück vom 5. Sept. 1768, S. 136. 236 Strieder, Hes­sische Gelehrten- und Schriftsteller-­Geschichte (1784), S. 167. 237 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767.

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ein immenser Konkurrenzdruck bestand. Diese Annahme lässt sich schwer­lich verifizieren, da die Hauptquellen dieser Studie, die Protokolle und Berichte, Teil einer Inszenierungslogik waren, die den zweifachen Ausgangspunkt ihrer Ernennung (Wahrung der ständischen Vorrechte und kompetente Reformierung des RKG) zu erfüllen hatten. Unbestreitbar ist jedoch, dass bei der Visitation hochqualifizierte Juristen aufeinander trafen, die unter ständiger Beobachtung ihrer Obrigkeit, aber auch der Reichs- und Medienöffent­lichkeit standen, um nicht irgendein, sondern eines der beiden höchsten Gerichte des Reiches zu reformieren. Erschwerend kam hinzu, dass die Visitatoren ihren mühsam errungenen Platz in der juristischen Funk­tionselite behaupten mussten, da er eben nicht oder nur partiell (gelehrte und/oder adelige Sozialisa­tion) von Geburt an vorgegeben war. Entscheidend ist auch, dass für viele die Visita­tion ja keineswegs ein wie auch immer gearteter beruf­l icher Endpunkt war. Die Visita­tion war vielmehr Ausdruck einer bislang erfolgreichen sowie Motor einer weiteren Karriere. Dies verdeut­licht die Nachkarriere Falckes. Der langjährige Visitator wurde 1784 geheimer Justizrat und 1787 Direktor der Justizkanzlei. Zudem ernannte ihn 1787 die Universität Göttingen zum Doktor der Rechte,238 bevor er 1805 als Leiter der Justizkanzlei verstarb.239 Falcke hinterließ dabei einen Sohn, der, geb. 1751 in Darmstadt, zu ­diesem Zeitpunkt (1805) bereits 20 Jahre lang Bürger­ meister der Altstadt Hannover war. Bedenkt man daneben, dass Ernst Friedrich Hector Falcke seit 1773 für die Justizkanzlei arbeitete, er 1776 zum geheimen Konsistorial- und Justizrat und 1806 zum geheimen Justizrat ernannt wurde, dann wird deut­lich, dass der Sohn an die Karriere seines Vaters anknüpfen konnte.240 Überdies waren die Falckes spätestens mit der Verheiratung Ernst Friedrich Hector Falckes mit der Tochter von Julius Melchior Strube 241 Teil des so genannten Staatspatriziats, einer noch vorzustellenden Führungsschicht im Kurfürstentum Braunschweig-­Lüneburg. Wie sehr die Visita­tion die weitere Karriere beförderte, belegen auch die bereits genannten späteren Assessoren Balemann, Gebler, Hertwich und Hueber von der Wiltau sowie die beiden Reichshofräte Mauchard und Wölkern. Damit wurden sechs Visitatoren höchste Richter des Reiches. Der Zusammenhang von Visitatorenstelle und späterer Stelle als Richter des Reiches ist so eindeutig für Hertwich dokumentiert. Bei der Prüfung für die Aufnahme als Assessor hob man hervor, dass er „als Subdelegierter bei der RKG -Visita­tion ‚cum summa laude‘ 2 38 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 18. 239 Mlynek, Falcke I (2002). 240 Rotermund, Gelehrte Hannover (1823), S. 14 u. Mlynek, Falcke II (2002). 241 Mlynek, Falcke II (2002).

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tätig gewesen sei“.242 An Nachkarrieren lässt sich ferner feststellen, dass Böhmer bevollmächtigter Minister beim Fränkischen Reichskreis,243 Burgsdorff kursäch­ sischer Kanzler,244 Donauer kursäch­sischer Hof- und Justizrat,245 Emminghaus preußischer Geheimer Regierungsrat,246 Goldhagen Kanzler des Münchner Revisionsrates,247 ­Grolmann Regierungsdirektor zu Gießen – er war jedoch vor allem eine bedeutender Gegenaufklärer –,248 Horix Rektor der Universität Mainz,249 Hormayr zu Hortenburg oberösterreichischer Geheimer Rat und Regierungskanzler in Innsbruck,250 Kürsinger Geheimer Kanzleidirektor und Lehnprobst in Salzburg,251 Loskand Geheimer Rat in Speyer,252 Röder kursäch­sischer Kanzler,253 Schröder Direktor der Justizkanzlei in Rostock,254 Wurmb Konferenzminister und wirk­licher Geheimer Rat in Dresden sowie Wild Mitglied des Inneren Rates der Reichsstadt Regensburg und Direktor des Vormundschaftsamtes wurde.255 Zudem ist von Haimb,256 Keller,257 und Scheffern 258 bekannt, dass sie Gesandte auf dem Reichstag wurden, während Lehrbach bis zum kaiser­lichen Konkommissar aufstieg.259 Nicht allen gelang jedoch nach und durch die Visita­tion ein Karrieresprung. Aus noch zu vertiefenden Gründen traf dies auf Höfler zu, der

242 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 98, S. 1091. 243 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 100. 244 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 25, S. 264. 245 Ebd., Biogr. 115, S. 1287. 246 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 247. 247 Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992), Anhang S. 234. 248 Haaser, Grolman (1995) u. Ders., Grolman (1997). 249 Teichmann, Johann Baptist von Horix, in: ADB 13 (1881), S. 127 f. 250 Egger, Josef Ignaz Veit Hormayr, in: ADB 13 (1881), S. 129 – 131. 251 Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 3 (1810), Sp. 945. 252 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 4, S. 28. 253 HHStA Wien MEA RKG 378, fol. 334. 254 Diese Informa­tion ist dem Katalog der Historischen Personalschriften in der Landesbibliothek Mecklenburg-­Vorpommern entnommen, wie er online einzusehen ist unter www.db.lbmv.de [Eintrag im Register ‚Personen und Körperschaften‘, zuletzt abgefragt am 8. Sept. 2014]. 255 Gampert, Begräbniß-­Rede Wild (1800). 256 B­lisch, Reichspolitik Friedrich Karl Joseph von Erthal (1997), S. 161 f., der einen ­Konflikt im Reichsfürstenrat beschreibt, in den auch Haimb verwickelt war. 257 Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge „Joseph zu den drey Helmen“ und der Provinzialloge „Joseph zum Reichsadler“ I (1986), S. 17. 258 Stetten, Selbstbiographie, bearb. von Rajkay/Stetten (1731 – 1792/2009), S.  102 (Anm. 3). 259 Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 3 (1810), S. 186.

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in Wetzlar nicht nur durch seine Unerfahrenheit auffiel. Nach der Visita­tion wurde ihm eine Beförderung verwehrt, obgleich er eine interessante Begründung für deren Notwendigkeit vorbrachte. Seiner Ansicht nach war eine Beförderung unvermeidbar, da ansonsten der Vorwurf entstehen könnte, dass das RKG „von Männern beurteilt worden [wäre], deren spätere Stellungen gering s­ eien. Genau aus d­ iesem Grund hätten manche Visita­tionshöfe ihre Subdelegaten schon auf hohe und höchste Posten befördert. Das wünschte auch er für sich“.260 Folgt man dieser Argumenta­tion, dann lässt sich nicht ausschließen, dass der eine oder andere Visitator weniger wegen der Leistung, sondern aufgrund der Außenwirkung befördert wurde. Es wäre durchaus interessant, dies näher zu betrachten. Denn eine derartige Symbolsprache der politischen Honorierung müsste entsprechend kommuniziert worden sein, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb des jeweiligen Behördenapparates. Wenn jedoch Leistung nicht zwangsläufig der entscheidende Grund für eine Beförderung war, dann heißt das im Umkehrschluss, dass auch die Ernennung zum Visitator anderen Maximen folgen konnte. Warum also wurden die Visitatoren zu Visitatoren? Gaben die Qualifika­tionen den Ausschlag? Dies kann eindeutig verneint werden, wenn man an den späteren Assessor Riedesel (1778 – 1806) denkt. Im Jahr 1775 wurde erwogen, ihn als württember­g ischen Visitator zu berufen, obgleich er eine schlechte Proberela­tion beim Examen für seine Präsenta­tion als RKG -Assessor abgelegt hatte. Entscheidend war vielmehr seine „propreußische Gesinnung“, so die zeitgenös­sische Einschätzung, der Jahns folgt.261 Die politische Gesinnung war also ein und in ­diesem Fall wohl das entscheidende Kriterium für das Vorhaben, ihn als Visitator zu ernennen (obwohl dies dann doch nicht geschah, was womög­lich mit Bedenken bezüg­lich der Qualifika­ tion zusammenhing). Riedesel war allerdings die Ausnahme. In der Regel brauchten die Visitatoren beides, Qualifika­tion und eine Gesinnung entsprechend der jeweiligen Obrigkeit. Entscheidend für die Berufung als Visitator war außerdem, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute kennen gelernt zu haben. Dies trifft gerade auf Falcke zu. Schon als er 1763 nach Hannover ging und Advocatus patriae wurde, kam ihm zugute, dass ­dieses Amt bis 1758 David Georg Strube, der Vater seines Jugendfreundes, innehatte und Strube seitdem Direktor der Justizkanzlei war, für die Falcke fortan arbeitete.262 Zu bemerken ist auch, dass Strube, der „ein volles Jahrhundert zu den häufigst

260 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 152. 261 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 109, S. 1218 f. 262 Frensdorff, David Georg Strube, in: ADB 36 (1893), S. 635 – 639.

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zitierten juristischen Schriftstellern“ gehörte,263 über seine Ehefrau, Anna Dorothea Charlotte Hoffmeister (1707 – 1766),264 zum so genannten Staatspatri­ziat gehörte. Damit gemeint ist die neu- und nichtadelige Beamtenschaft der kurbraunschwei­ gischen Zentralbehörden, die untereinander verwandtschaft­lich stark vernetzt war und die „oberste Schicht im Staat nächst der Aristokratie“ bildete.265 Strube gehörte zur „Kernsippe“ Storre-­Tappen-­Hoffmeister. Von 1737 bis 1760 stellte sie „7 von den 22 neuen Geh. Sekretären […], im Oberappella­tionsgericht 2 der 7 neuen gelehrten Räte […], in der Justizkanzlei“ den Direktor und Vizekanzler sowie zwei von zehn Räten, „in der Kammer 1 der 9 neuen Sekretäre, im Konsistorium 1 der beiden neuen Sekretäre, sowie 3 der 5 neuen Leibärzte“.266 Zu bedenken ist ferner, dass die Entscheidung, Falcke zum Visitator zu berufen, in London gefällt wurde. Ein Nachteil war es dabei sicher­lich nicht, dass Falckes Jugendfreund, Julius Melchior Strube, nicht nur kurbraunschwei­gischer Archivar, sondern seit 1762 auch Wirk­licher Geheimer Sekretär war.267 Als solcher war er Mitglied der Deutschen Kanzlei, also der Londoner „Verbindungsstelle ­zwischen dem König/Kurfürsten und der Regierung in Hannover“.268 Strube jun. war zudem ein enger Vertrauter von Gerlach Adolf Freiherr von ­Münchhausen,269 der „die Politik Hannovers […] über vier Jahrzehnte hinweg maßgeb­lich“ mitbestimmt hat.270 Vielleicht waren es gerade diese Verbindungslinien, die den Ausschlag dafür gaben, Falcke und nicht einen Gegenkandidaten zum Visitator zu ernennen. Dass es einen solchen gegeben hatte, geht aus dem Schreiben hervor, welches am 23. Dezember 1766 aus London in Hannover einging. Dort heißt es, dass von den beyden Subjectis, die zur Auswahl standen, Falcke ausgewählt wurde, weil ­diesem einerseits wegen s­ einer vorzüg­lichen Kenntniße des Cammer-­Gerichts-­Processus und der Verfaßung des Gerichts ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde. Andererseits sei Falcke eher auf eine Zeitlang zu entbehren, als Unser Ober-­Appella­tions-­R ath von Beulwitz.271 263 Lampe, Staatspatriziat Bd. 1 (1963), S. 321, der seinerseits aus einer Abhandlung von 1907 zitiert. 264 Ebd., Bd. 2 (1963), Biogr. 264, S. 46. 265 Ebd., Bd. 1 (1963), S. 241. 266 Ebd., S. 255. 267 Ebd., Bd. 2 (1963), Biogr. 265, S. 46. 268 Aschoff, Welfen (2010), S. 212. 269 Frensdorff, David Georg Strube, in: ADB 36 (1893), S. 635 – 639; Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Bd. 2 (1898), S. 227. 270 Brosius, Dieter, Gerlach Freiherren von Münchhausen, in: NDB 18 (1997), S. 523 f. 271 HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, fol. 375, König an Räte, St. James 12. Dez. 1766/präsentiert 23. Dez. 1766.

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Ludwig Friedrich von Beulwitz (1727 – 1796) war also gleichfalls für die bremische Visitatorenstelle vorgesehen. Als Rat des Oberappella­tionsgerichts (seit 1761) gehörte Beulwitz zu jenem Kreis an Richtern, die teils vom Landesherrn (drei Stellen) und teils von den Landständen (neun Stellen) präsentiert sowie – dem RKG vergleichbar – von dem Plenum des Gerichts examiniert wurden, um für die oberste Gerichtsinstanz im Kurfürstentum Braunschweig-­Lüneburg Recht zu sprechen.272 Beulwitz, der Onkel eines späteren RKG-Assessors (1791) war,273 wurde jedoch nicht zum Visitator ernannt, obgleich er drei Jahre s­ päter, 1769, als Gesandter nach Regensburg ging. Eine derartige Gesandtschaftstätigkeit kam unter den Oberappella­tionsräten öfters vor.274 Dennoch bleibt zu fragen, warum Falcke und nicht Beulwitz Visitator wurde. Deut­lich ist, dass Beulwitz, der ­später „zu den bedeutendsten Komitialgesandten“ seiner Zeit zählte, 275 ein hochqualifizierter Gegenkandidat war. Als Rat der obersten Gerichtsinstanz hatte er sogar ein höherwertiges Amt inne als Facke, der ledig­lich bei einer mittleren Gerichts­instanz wirkte. Es kann sein, dass Beulwitz aufgrund dieser Posi­tion weniger entbehr­lich war als Falcke oder aber er den ‚Karrieremotor‘ Visita­tion weniger bedurfte als dieser. Vielleicht sollte aber auch stärker gewichtet werden, was dem Schreiben vom 23. Dezember 1766 folgend den Ausschlag dafür gab, Falcke als den Visitator auszuwählen: Dessen Kenntnisse über den Prozess und die Verfassung des RKG. Festzuhalten ist überdies, dass Falcke sich nicht nur gegen Beulwitz, sondern zudem gegen einen weiteren Mitbewerber durchsetzen konnte. Hierbei handelt es sich um Christian Freiherr von Ulmenstein, den späteren (1774 – 1801) Assessor des RKG. Zum Zeitpunkt seiner Initiativbewerbung (erstmals 1764, erneuert 1766)276 war er Hof- und Kanzleirat der Justizkanzlei in Celle.277 Da er ­dieses Amt von 1762 bis 1774 innehatte und auch Falcke bis 1764 Hof- und Kanzleirat in Celle war, bevor er nach Hannover ging, bedeutet dies, dass sich 1764/66 ein ehemaliger direkter und zum Zeitpunkt der Bewerbungen ein indirekter Arbeitskollege (Rat in Celle und Rat in Hannover) um die Visitatorenstelle beworben hatte. Christian von Ulmenstein war dabei ebenso gut vernetzt wie Falcke. Sein Bruder, Anton 272 Stodolkowitz, Oberappella­tionsgericht Celle (2011), S. 43 – 61. 273 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 35. 274 Stodolkowitz, Oberappella­tionsgericht Celle (2011), S. 96. 275 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 35, S. 347. 276 Es wurden zwei Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1766, vom 10. Juli und 31. Juli, ­gesichtet [HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, fol. 234 u. 236 – 237v.]. Im Letzteren wird auf eine zwei Jahre zurückliegende Bewerbung verwiesen. 277 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 67, S. 684.

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von Ulmenstein, wirkte seit 1752 als Richter des Oberappella­tionsgerichts.278 Der Vater der Ulmensteinbrüder war wiederum bis zu seinem Tode 1751 – Christian (geb. 1738) war zu d­ iesem Zeitpunkt 13 Jahre alt – Assessor des RKG.279 Aus diesen Gründen konnte er in seiner Bewerbung von sehr wohl bekannte[n] Arbeiten sprechen, die er mit Gottes Hülfe erledigen wolle, falls er als Visitator ernannt werden sollte.280 Mit der Bemerkung, keine Arbeit zu scheuen, sie mag auch so sauer und beschwer­lich seyn wie sie will, unterstrich er zudem seine Einsatzbereitschaft.281 Und da ­Christian von Ulmenstein gehört hatte, dass mög­licherweise jeder Visita­tionsstand zwei Subdelegierte ernenne sollte, fragte er unumwunden: Mögte nicht bey solchen Umständen eine Stelle für mich übrig seyn?282 C.1.4 Von einem unerfahrenen Trinker, übereifrigen Sorgenkindern und dem (Nicht-)Ideal elitärer Funktionsträger Die Initiativbewerbung von Ulmenstein blieb jedoch folgenlos. Das Kurfürstentum Braunschweig-­Lüneburg hatte nämlich für das Herzogtum Bremen 283 nur eine Visitatorenstelle zu besetzen, die Falcke erhielt. Es muss also offen bleiben, was geschehen wäre, wenn nicht Falcke, sondern Beulwitz oder Ulmenstein entsandt worden wären. Die Tatsache, dass sich zwei weitere Personen um die bremische Visitatorenstellen beworben hatten respektive für diese im Gespräch waren, macht jedoch deut­lich, dass vieles bei der Visita­tion und so auch die Frage, wer das RKG visitieren durfte, ergebnisoffen war. Falcke konnte sich aller Wahrschein­lichkeit nach gerade deshalb durchsetzen, weil er als Advocatus Patriae und ehemaliger Praktikant das RKG sehr gut kannte, er bis nach London vernetzt war und ihn seine Obrigkeit für entsendungswürdig, aber auch für entbehr­lich hielt. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht jeder Visita­tionsstand gleich drei potentielle Kandidaten zur Auswahl hatte. In Wien hatte man sogar große Schwierigkeiten, einen Visitator für das Erzherzogtum Österreich zu finden, da zum einen nach zeitgenös­sischer Einschätzung in hiesigen österreichischen Landen 278 Ebd., S. 684 f. 279 Ebd., Biogr. 120. 280 HStA-Han. Cal. Br. 11 4097, fol. 236 – 237v. 281 Ebd. 282 Ebd. 283 Zum Erwerb der Herzogtümer Bremen und Verden in den Jahren 1715 (Abkauf von Dänemark) und 1719 (Vertrag­liche Abtretung von Schweden) siehe Meier, ­Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Bd. 1, S. 94 – 100.

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[...] [die] Reichs Kammerpraxis allhier von weit geringerem Nutzen und Gebrauch als im übrigen Römischen Reiche gewesen sei.284 Zum anderen gäbe es zwar Männer, w ­ elche die Kameralpraxis genugsam verstehen. Diese aber könne man wegen ihrer in hiesigen Landen bereits erlangten wichtigen Ämter nicht von Ort und Stelle lassen.285 Auch in Wien gab es also kompetentes Personal, welches man nicht entbehren konnte oder wollte. Ungeachtet dieser Widrigkeiten war es aber dennoch mög­lich, mit Joseph Ignaz Hormayr zu Hortenburg einen sehr geeigneten Visitator zu entsenden. Der aus tiro­lischem Adelsgeschlecht abstammende Hormayr zu Hortenburg kannte das RKG aus einer Praktikumszeit, stand seit 1724 in den Diensten der Habsburger, war seit 1759 oberösterreichischer Kanzler und überdies enger Vertrauter der Kaiserin Maria Theresia.286 Anders hingegen gestaltete sich die Situa­tion in Wolfenbüttel. Dort hatte wenige Wochen vor Visita­tionsbeginn der eigent­liche Kandidat abgesagt.287 Aus ­diesem Grund wurde Höfler entsandt, der zwar einerseits studierter und promovierter Jurist sowie 16 Jahre lang Anwalt in Nürnberg und seit 1758 Professor an der Universität Helmstedt war. Andererseits war er, was die Gremienarbeit anging, völlig unerfahren. Er galt, wie bereits erwähnt, als ein Neuling.288 Pütter, der Höfler persön­lich kennengelernt hatte, hielt diesen sogar für eine in seinem ganzen Betragen ziem­lich bizarre[…] Person, die unter anderem dem Trunke sehr ergeben[…] sei.289 Wenn also die Visitatoren pauschal als eine juristische Funk­ tionselite bezeichnet werden, dann trifft dies zwar dergestalt zu, dass alle studierte und viele graduierte Juristen waren. Dies bedeutete aber nicht, dass jeder Visitator über jene praktische Erfahrung verfügte, die für die Plenumsarbeit der Visita­tion notwendig war. Und selbst wenn Qualifika­tion und Erfahrung für die Tätigkeit als Visitator sprachen, dann war dies keine Garantie dafür, dass sich, wie Höfler, ein Visitator produktiv in das Verfahren einbrachte. Es ist also notwendig, wann immer mög­lich zu konkretisieren und zu diffe­renzieren, um pauschalierende Aussagen kritisch zu hinterfragen.

284 Zitiert nach Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 431 (Anm. 181). Hier zitiert wird ein Schreiben, das am 10. März 1767 ein Hofrats der österreichischen Staatskanzlei auf Befehl des Staatskanzler Kaunitz abgefasst hatte. 285 Ebd. 286 Egger, Josef Ignaz Veit Hormayr, in: ADB 13 (1881) S. 129 – 131 u. Wagner, Josef Freiherren von Hormayr, in: NDB 9 (1972), S. 625 – 626. 2 87 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 122 (Anm. 16). 288 Ebd., S. 119 u. S. 123. 289 HStA-Han. Cal. Br. 11 4104, fol. 321, Pütter an Räte 6. Juni 1768.

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Dementsprechend bedarf es auch einer Differenzierung bezüg­lich der Hauptüberschrift dieser Ausführungen. Der Ausspruch ‚Sie haben sich todt gearbeitet‘ lehnt sich an jene Worte an, die der mecklenbur­g ische Visitator Schröder bei einem Ausflug mit Kestner und einem weiteren Sekretär gesprochen haben soll: Er hat sich todt gearbeitet, soll er, Schröder, gesagt haben.290 Wenn dieser Ausspruch nun pauschal auf alle Visitatoren übertragen wird, als ob jeder Visitator sich bis zur todesähn­lichen Erschöpfung abgearbeitet hätte, dann ist dies nicht zutreffend. Denn von Höfler bzw. einer literarischen Figur, die diesen zum Vorbild hat, ist der Ausspruch überliefert: Ich bin halt kein Narr, mich totzuarbeiten.291 Mit diesen Worten ist der überschriftgebende Ausspruch geradezu verkehrt. Und dennoch hat er seine Berechtigung, wenn man folgende Aspekte berücksichtigt: 1.) liegt mit den von Kestner überlieferten Worten Schröders die Selbsteinschätzung eines Visitators vor, die er in einer vertrauten Runde bei einem gemüt­lichen einstündigen Frühstück geäußert hatte.292 Die Worte ‚Er hat sich todt gearbeitet‘ fielen 2.) in geselligen Momenten der Nichtarbeit. Damit ist neuer­lich zum Ausdruck gebracht, wie wichtig es ist, ­solche Stunden und Tage soweit wie mög­lich mit in den Blick zu nehmen.293 3.) spricht Schröder den Leistungsdruck an, unter dem die Visitatoren standen. Dies bedingte das Verfahren, die Verfahrensrolle, die visita­tionsarme Vergangenheit, der Reformbedarf, der Reformenthusiasmus der Hubertusburger Nachkriegsjahre sowie nicht zuletzt die Erwartungshaltungen, die bei einer Vielzahl an Instanzen bestanden. Zu denken ist nicht nur an die territoriale oder reichsstädtische Obrigkeit, Kaiser und Reich, die (Rechts-)Gelehrten, die Medienöffent­lichkeit, die Gerichtsangehörigen oder die Prozessparteien, die etwa in Revision gegangen sind oder supplizierten. Auch die Verwandten, Freunde, Patrone und Landsmänner, also jenes Netzwerk, welches im Vorfeld der Visita­tion dazu beigetragen hatte, dass man überhaupt zum Visitator 2 90 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 22. 291 Diese Worte hat der ehemalige Sekretär Goué seinem verhassten Vorgesetzten in den Mund gelegt, und zwar in seinem Stück Masuren oder der junge Werther (1775), S. 30 (Szene Nonnenkloster bei Warschau). Der Gesandte (Höfler) sprach: Meine Geschäfte! Ha! Ha! Hier will ich künftig meine Geschäfte treiben. Ich bin halt kein Narr, mich tod zu arbeiten. Siehe hierzu neben Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 223 auch Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 131 f., der schreibt (Anm. 58): „Das könnte Höfler wirk­lich gesagt haben. Auch die mehrfach sich wiederholende Aufforderung zum Trinken scheint Höflerschen Ursprungs zu sein“. 292 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1, fol. 21v. 293 Siehe A.2.2.

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berufen wurde und welches auch nach der Visita­tion benötigt wurde, hatte seine impliziten oder expliziten Erwartungen. Gleiches traf womög­lich auf die Ehefrauen und die heranwachsenden Kinder zu. Und schließ­lich sind es die Erwartungen, w ­ elche die Visitatoren an sich selbst stellten und denen sie folgen konnten oder mussten, und sei es, um wie auch immer geartete Arbeitsund Handlungsmaximen zu erfüllen. Der Ausspruch ‚Er hat sich todt gearbeitet‘ verdeut­licht 4.), auf was es bei der Visita­tion ankam: Die Arbeit der Visitatoren. Dies unterstreicht Falcke, der in einem Schreiben an seinen König von Diensteifer, Pflichtübung und unzureichender Mitarbeit mancher Visitatoren 294 oder in einem weiteren Schreiben davon sprach, dass Grün ein grundgeschickte[r], scharfsichtige[r], fleißige[r], rechtschaffene[r], tapfere[r] Mitvisitator gewesen sei.295 Oder aber Wild: In der anläss­lich seines Todes im Jahr 1800 gehaltenen Begräbnisrede hob der Redner hervor, dass er sich als Visitator der Reichsstadt Regensburg durch Rechtschaffenheit, Sitt­lichkeit und Kenntnisse so beliebt machte, daß man noch daselbst [in Wetzlar; A. D.] mit Achtung von ihm spricht.296 Solche Arbeits­tugenden bildeten einen Wertmaßstab, mit dem auch das Handeln Falckes ­beurteilt und von vielen verurteilt wurde. Denn „als zu eifriger und gewissenhafter Visitator“ war der kurbraunschwei­g ische Visitator „den Kameralen und auch vielen bequemen Visita­tionsmitgliedern ein Dorn im Auge“.297 Damit deutet sich 5.) wiederum an, dass ein übereifriges Totarbeiten nicht jedermanns Sache war. Dafür steht nachdrück­lich Höfler, der sich von Anfang an zweifelsohne nicht totarbeiten wollte. Höfler und Schröder erinnern somit 6.) auch daran, dass die Visitatoren eine sehr heterogene Gruppe waren. Die Umschreibung als juristische Funk­tionselite darf darüber nicht hinwegtäuschen. Denn auch wenn alle Visitatoren juristisch (hoch-)qualifiziert waren und sie alle eine zumeist langjährige Tätigkeit in einer territorialen oder reichsstädtischen Behörde vorweisen konnten, so ist damit ledig­lich der kleinste gemeinsame Nenner benannt, der schlimmstenfalls jene Unterschiede nivelliert, die zweifelsohne bestanden.

2 94 HStA-Han. Cal. Br. 11 4117, Falcke an König 13. Nov. 1770. 295 HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Falcke an Räte 20. Mai 1776. 296 Gampert, Begräbniß-­Rede Wild (1800), S. 19. 297 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 93, der hier eine Einschätzung von Kestner indirekt wiedergibt.

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C.2. Leben und Leiden der Sekretäre C.2.1 Sekretäre, Kanzlisten, Diener – die ungleichen Gehilfen der Visitatoren Er wünsche, bey der bevorstehenden Cammer-­Gerichtsvisita­tion, wenn es auch nur als Canzellist seyn sollte, gebraucht zu werden.298

Der zitierte Wunsch des nicht näher bekannten Juristen namens Grübel, für die bremische bzw. kurbraunschwei­gische Subdelega­tion arbeiten zu wollen, verdeut­ licht zweierlei. Zum einen handelt es sich auch hier, wie schon bei Ulmenstein, der sich um die bremische Visitatorenstelle beworben hatte, um eine Initiativbewerbung. Grübel war dabei eine von insgesamt sechs Personen, die sich in Hannover als Subalterne empfahlen.299 Als s­ olche waren sie ein dem Visitator zu- und untergeordnetes Personal, über dessen Auswahl die Obrigkeit zu entscheiden hatte oder aber, wie bei Falcke, der Visitator selbst entscheiden konnte. Zum anderen deutet die Aussage Grübels an, dass die Subalternen ebenso wie die Visitatoren keine homogene Gruppe waren. Er wollte Sekretär oder aber, wenn es […] seyn sollte,300 Kanzlist werden. Damit angesprochen ist ein grundlegender Unterschied z­ wischen Sekretären und Kanzlisten. Er soll in der Folge auch vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen unzureichenden Forschungslage behandelt werden, um sich der Schreibelite der Visita­tionssekretäre zu nähern. Darauf aufbauend werden es drei ausgewählte Sekretäre ermög­lichen, weitergehende Einblicke in den Lebens- und Leidensalltag der schreibenden Sekretärselite zu nehmen. Grundsätz­lich lässt sich mit Johann Jacob Moser sagen, dass ein Sekretär für die Anfertigung der Protokolle und Ordnung der Akten und ein Kanzlist für die einfachen (Ab-)Schreibarbeiten zuständig war.301 Diese Aufgabenaufteilung lässt sich mit der kurbayerischen Subdelega­tion dahingehend präzisieren, dass VOR der Visita­tion damit gerechnet wurde, dass ein Kanzlist mit doppelter Abschreibung 2 98 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Gottlieb Christian von Mosheim an Premierminister, ­Stuttgart 24. Jan. 1767. 299 Wobei nur Grübel sich über eine dritte Person beworben hatte. Hierbei handelt es sich um den fürst­lich württember­gischen Geheimen Rat und Konsistorialrat Gottlieb Christian von Mosheim, einen Sohn des 1755 verstorbenen Kanzlers und Kirchen­historikers der Universität Göttingen, Johann Lorenz von Mosheim. Gottlieb von Mosheim stand auch eine zeitlang in den Diensten Kurbraunschweigs [Lampe, Staats­patriziat Bd. 2 (1963), S. 537; zu Johann Lorenz von Mosheim Wiessner, Gernot, in: NDB 18 (1997), S. 210 f.]. 300 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Gottlieb Christian von Mosheim an Premierminister, Stuttgart 24. Jan. 1767. 301 Moser, Teutsches Staatsrecht 45 (1751), S. 289.

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deren Protocollen für den Hof und die Delega­tion vor Ort als auch mit den fast alltäg­lich abzusckickenden Berichten, Correspondenzen und anderen Dingen den ganzen tag genug zu thun habe. Ein Sekretär hingegen müsse allen voran die Proto­kolle zusammen tragen.302 Dieses Zusammentragen der Protokolle meint konkret die Arbeit in der Diktatur. Dies verdeut­licht Falcke. Er wurde VOR Beginn der Visita­tion von seiner Obrigkeit gefragt, ob er einen Kanzlisten oder einen Sekretär benötige. ­Hierauf gab er zur Antwort, ein Kanzlist sei für die Diktaturarbeit ungeeignet, da man das mit so vielen rechtsgelehrten Ausdrücken angefüllte Visita­tionsprotocoll zu Papier bringen müsse. Dies könne jedoch kein Kanzlist, da ein solcher in der Rechts­gelehrsamkeit ein Fremdling ist.303 Ein Sekretär war also nach Falcke studiert und ein Kanzlist unstudiert. Dass dies tatsäch­lich so war, verdeut­licht gleichfalls Grübel. In seiner Bewerbung hob er bzw. sein Fürsprecher hervor, dass seine ehemaligen Göttin­ gischen Lehrer [...] auf Verlangen gute Zeugnisse ertheilen würden.304 Und auch ein Mitbewerber spricht von einem dreijährigen Aufenthalt zu Göttingen, wo er bey dem Herrn Hofrath Pütter den Reichs Proceß und übrige in die Reichs Gerichts Praxis [ein]schlagende Collegia gehöret habe.305 Die Sekretäre waren also ebenso wie die Visitatoren studierte Juristen. Aus d­ iesem Grund und weil sie (bedingt durch das Studium) an der hierarchischen Spitze der Schreibkräfte standen, können sie als eine Schreibelite begriffen werden. Neben der Schreibarbeit übernahmen die Subalterne, zu denen auch die Diener – im August 1767 waren es 148306 – zählten, höhere (Ordnung der Akten durch die Sekretäre) und niedere Organisa­tionsaufgaben (Aufgaben der Diener), die für das Funk­tionieren einer Visita­tionsdelega­tion unerläss­lich waren. Das zuarbeitende Personal war zudem ein fester Bestandteil des standesgemäßen Austausches. So ließen manche Visitatoren ihre Ankunft dem Cammerrichter per Secretarium, den Präsidenten durch die Cancellisten und den Assessoribus durch Bediente [...] vermelden.307 Und auch ansonsten waren die Subalternen immer auch Überbringer

302 BayHStA KS 16612, Desideranda für den Churfürstl. Subdelegatum zur Cammer Gerichts Visita­tion, Punkt 2 (undatiert). 303 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Falcke an Räte 2. April 1767. 304 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Gottlieb Christian von Mosheim an Premierminister, Stuttgart 24. Jan. 1767. 305 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Bewerbung Kanzlist Ohsen, Hannover 4. März 1767. 306 So viele Diener nahmen nach Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 83 an der Beerdi­ gung eines Kollegen, einem Diener des kaiser­lichen Kommissars Spangenberg, teil, der am 28. August 1767 verstorben war. 307 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767. Siehe insgesamt hierzu D.2.1.

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und Empfänger von münd­lichen und schrift­lichen Nachrichten, und zwar sowohl z­ wischen  308 als auch innerhalb einer Delega­tion.309 So eindeutig diese Befunde für die Zeit VOR oder zu Beginn der Visita­tion sind, am Ende kam vieles anders. Zum einen machte Falcke von dem zugesprochenen Recht, sich einen Subalternen aussuchen zu dürfen, keinen Gebrauch,310 obgleich dies allgemein bis ins frühe 19. Jahrhundert üb­lich war.311 Zum anderen bat Falcke kaum drei Wochen nach Visita­tionsbeginn seine Obrigkeit um einen Kanzlisten, damit die Schreibarbeit der Visita­tion mit mehreren Eifer und Geschwindigkeit betrieben werde.312 Am 10. Juni 1767 erhielt der bremische Visitator die Antwort, dass er den Geheimen Kanzlisten Heinrich Albrecht Rath erhalten werde.313 Damit angesprochen ist 1.), dass die Sekretäre und Kanzlisten wichtige Motoren der Schnelligkeit oder Langsamkeit der Visita­tion waren. Die weiteren Ausführungen werden 2.) verdeut­lichen, dass auch die Sekretäre und nicht nur die Kanzlisten niedere Abschreibarbeiten erledigen mussten. Dadurch jedoch g­lichen sich die beiden Subalternengruppen in funk­tionaler Hinsicht an. Dies wiederum verweist darauf, dass 3.) zwar prinzipiell und auch in finanzieller Hinsicht 314 eine Ungleichheit z­ wischen Sekretären und Kanzlisten bestand. Die Aufgabenbereiche waren jedoch nicht strikt voneinander getrennt. Dies war allein schon deshalb nicht mög­lich, da nicht jede Delega­tion zumindest zu Visita­tionsbeginn (!) sowohl über einen Sekretär als auch über einen Kanzlisten oder eine andere Schreibkraft verfügte. Deut­lich ist 4.), dass der Subalternenapparat der einzelnen Delega­tion stark variieren konnte. Darauf verweist die nachträg­liche Bewilligung eines bremischen Kanzlisten, aber auch die im Anhang (unter Punkt 2) geführten Verzeichnisse der Sekretäre und Kanzlisten. Die Verzeichnisse erfassen allerdings nicht alle Subalternen, die Schreibarbeiten für die Visitatoren erledigt haben. Wohl auszuschließen ist, dass die Diener, falls sie – dies muss offen bleiben – des Schreibens fähig waren, wie auch immer geartete Schreibarbeiten übernehmen durften oder eben konnten. Ansonsten aber 308 Dies verdeut­lich auch Stallauer, der berichtet: Den 18ten 8bris ließe sich der Kaiserl. Commisions-­Secretarius Neumüller bei mir ansagen [StadtAA RKG 33 Rela­tion 11 vom 7. Nov. 1767]. 309 So musste der kurmainzische Kanzleidiener die Diarien, der der Kanzlist abzuschreiben hatte, vor der posta­lischen Versendung den Visitatoren zur Unterschrift überbringen [StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 120]. 310 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Falcke an Räte 2. April 1767. 311 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 601. 312 So die Räte gegenüber dem König, der die Einstellung eines zusätz­lichen Kanzlisten bestätigen musste [HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Räte an König 12. Juni 1767]. 313 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Räte an Falcke 10. Juni 1767. 314 Siehe A.3.

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kam es auch durchaus vor, dass phasenweise weitere Schreiber angestellt wurden. Dies zumindest war bei dem Kommissar Erthal im Jahr 1775 der Fall. Anläss­lich des Klassenwechsels beschäftige er 9 Scribenten […], ­welche Acta Visita­tionis […] in Ordnung bringen.315 Und für die Subdelega­tion von Mecklenburg-­Schwerin ist bekannt, dass diese im Jahr 1771 nicht nur einen Sekretär (Carl Rudolph Friedrich Jäger) und einen Kanzlisten ( Johann Reinhard Mathenius), sondern auch einen eigenen Kopisten (Philipp Jacob Stölzel) beschäftigte.316 Dieser Kopist, die Schreiber Erthals als auch jene Schreibkräfte, die – wie noch zu zeigen ist – Stallauer und damit wohl auch andere Visitatoren in Eigenregie engagierten, tauchen nicht in jenen zeitgenös­sischen Verzeichnissen auf, die es (5.) ermög­lichen, folgende Übersicht zu erstellen: 60 40 20 0 1767

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1774

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Die Anzahl der Sekretäre und Kanzlisten (Gesamt: 115)317

Das Diagramm zeigt auf Grundlage zeitgenös­sischer Verzeichnisse, wann wie viele Sekretäre und Kanzlisten bei der Visita­tion arbeiteten. Die insgesamt 115 Personen werden auch im Anhang geführt. Im Durchschnitt waren 50 Sekretäre und Kanzlisten pro Jahr tätig. Die Zahlen bleiben von 1767 (48) bis 1772 (47) nahezu konstant. 1773 (36) gibt es einen kleinen Einbruch. Er ergibt sich dadurch, dass für ­dieses Jahr kein Verzeichnis für die Auswertung vorlag.318 Der Anstieg für das Jahr 1774 (60) und 1775 (66) lässt sich hingegen mit dem Klassenwechsel erklären. Für das Jahr 1776 (46) ist wiederum anzumerken, dass hier nur die Subalternen der 3 15 HStA-Han. Cal. Br. 11 4300, Falcke und Schröder an König 2. Sept. 1775. 316 Neues Genealo­gisches Reichs- und Staats-­Hand-­Buch (1771), S. 361. 317 Basierend auf den Verzeichnissen, wie sie im Anhang angeführt werden. 318 Die 36 Personen, die für das Jahr 1773 geführt werden, ergaben sich über Umwege, indem etwa für die Sekretäre Serger und Stockmann oder aber für den Kanzlisten F ­ utterhäcker angenommen wurde, dass diese nicht nur nachweis­lich von 1767 bis 1772 und von 1774 bis 1776, sondern auch in dem nicht belegten Jahr 1773 ihre entsprechenden Funk­ tionen wahrnahmen.

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dritten Klasse eingetragen sind in der Annahme, dass diese nicht nur im Oktober, November und Dezember 1775, sondern auch bis zum Klassenwechsel im April/ Mai 1776 Subalterne waren. Für die vierte Klasse hingegen lag kein Verzeichnis vor. Das Diagramm verdeut­licht manches und verschweigt vieles. So werden die Fluktua­tionen innerhalb eines Jahres gar nicht erfasst. Es kam dabei nicht nur zur Einstellung weiterer Schreibkräfte. Für die Subdelega­tion der Reichsstadt Augsburg lässt sich 6.) in bemerkenswerter Weise feststellen, dass zwar Stallauer im Mai 1771 betonte, ohne einen zweyten Schreiber ohnmög­lich bestehen zu können.319 Die Stadträte gaben jedoch zur Antwort, ein zweiter Schreiber könne völlig [...] erspart werden, da man gerne auf die Einschickung der Visita­tions Acten verzichte.320 Dieser Verzicht auf eine zweite Schreibkraft und damit verbunden auf das Schriftmaterial konterkariert geradezu die Schriftaufwertungsthese dieser Studie – aber nur scheinbar. Denn die Räte betonten, dass die Akten, mit denen Stallauer vor Ort arbeitete, seiner Zeit [...] zu allhiesigen Archiv in completem Stand geliffert werden würden; die Akten gelangten also über Umwege in das reichsstädtische Archiv.321 Daneben verlangten die Räte von Stallauer, fortan die Berichte etwas umständ­licher mitelst Extrahirung solcher Acten [...] zu verfassen. Überdies ­seien von der Verzichtserklärung die wichtigen Pieces, davon hiesiger Magistrat nothwendig Notiz haben müste, ausgenomen.322 Ungeachtet dieser Einschränkungen: Der Augsburger Verzicht auf einen zweiten Sekretär und damit verbunden auf die unmittelbare und uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Aktenmaterial der Visita­tion ist bemerkenswert. Zur Erklärung lässt sich jedoch die bereits behandelte Kostenfrage anführen.323 Denn der Ausgangspunkt des Verzichtes war, dass Stallauer die Diätenbezüge gekürzt werden sollten, woraufhin dieser deut­lich machte, ­welche Unkosten ihm in Wetzlar, wo die Lufft be- und überzahlet werden muß, entstünden.324 So gab er auch zu bedenken, dass man bei der Kostenaufstellung in Augsburg, die der Berechnung der Diäten zugrunde lag, nur an einen Schreiber gedacht habe, obgleich er schon seit über zwei Jahren einen zweiten Sekretär bzw. Schreiber – so der bezeichnende Synonymgebrauch Stallauers – habe.325 Die Räte griffen diese Bemerkungen auf und erklärten, auf einen zweiten Schreiber verzichten zu können. 3 19 StadtAA RKG 34, Stallauer an Räte 18. Mai 1771. 320 StadtAA RKG 34, Räte an Stallauer 18. Juni 1771. 321 Ebd. 322 Ebd. 323 Siehe A.3. 324 StadtAA RKG 34, Stallauer an Räte 18. Mai 1771. 325 Ebd.

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Damit angesprochen ist die Einstellungsgeschichte der zweiten Schreibkraft, die hier gleichfalls interessiert. Denn auch Stallauer begann zunächst nur mit einem Sekretär (Maximilian Josef Wagenreck/Wagnereck). Im Januar 1769 erklärte er jedoch aufgrund der starken Belastung der Diktatur, dass man balt auf eine doppelte Dictatur, balt aber auch auf Anlegung einer geheimen Druckerey den Antrag gemacht hat.326 Zudem verwies er auf die erste Visita­tionsklasse, welche noch immer fortdauere, obgleich es zwei Termine (2. Mai und 2. September 1768) zur Klassenablösung gab. Aus diesen Gründen sah sich Stallauer getrungen – so schrieb er im Januar 1769 –, zum 1. September 1768 einen weiteren Sekretär anzustellen, und zwar den dahier bey seinen Eltern wohnenden jungen Menschen mit Nahmen F ­ riedrich Hofmann/Hohmann.327 Diesen habe er in Eyd und Pflichten genommen und sofort auf die Diktatur geschickt, während Wagnereck seitdem die Dictata bey mir im Hauße [zu] mundiren habe,328 also ins Reine zu bringen hat (im Gegensatz zum Konzipieren).329 Beide Sekretäre waren daneben dafür zuständig, den Schriftbedarf der Obrigkeit zu befriedigen.330 Der Grund, warum Stallauer dies schrieb, ist nicht nur dahingehend zu deuten, er wolle seine Obrigkeit mit knapp viermonatiger Verspätung über die Einstellung des zweiten Sekretärs informieren; hier wird eher deut­lich, wie viel Freiheiten ein Visitator bei der Bestellung seiner Subalternen hatte. Entscheidend war vielmehr, dass nicht nur Stallauer, sondern auch andere Visitatoren weitere Schreibkräfte anstellten und aufgrund dieser – im Diagramm nicht zu erkennenden! – Neueinstellungen auf einmahl ein großes geschrey wegen der Wahrung des Visita­tionsarkanums entstand. Die Visita­tion hatte deshalb im Januar 1769 beschlossen,331 die neu angenommenen Sekretäre von den Visita­ tionsobrigkeiten verpflichten zu lassen. Aus ­diesem Grund bat Stallauer den Hochlöbl. Geheimen Rath Cathol. Theils, ihn zu bevollmächtigen, an seiner statt den bereits vor mehreren Monaten eingestellten zweiten Sekretär entsprechend einer beiliegenden Formel zu verpflichten.332 Diese Vorgänge verdeut­lichen 7.), wie sehr die Subalternen nicht nur ein fester Bestandteil der Subdelega­tionen, sondern überhaupt des gesamten Verfahrens 326 StadtAA RKG 33, Rela­tion 33 (PS) vom 22. Jan. 1769. 327 Ebd. Hohmann ist der anders lautende Sekretärsname etwa im Verzeichniss Commission und Visitatoren (1770). 328 StadtAA RKG 33, Rela­tion 33 (PS) vom 22. Jan. 1769. 329 Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 77 u. S. 81 f. 330 StadtAA RKG 33, Rela­tion 33 (PS) vom 22. Jan. 1769. 331 VS 257. Session vom 18. Jan. 1769 [StadtAA RKG 45]. 332 StadtAA RKG 33, Rela­tion 33 (PS) vom 22. Jan. 1769.

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waren. Aus ­diesem Grund ist es notwendig, sich eingehender mit dem Leben und Wirken der Subalternen auseinanderzusetzen. Der Fokus soll dabei auf den Sekretären und hier wiederum auf drei ‚Beispielsekretären‘ liegen, obgleich, wann immer mög­lich, weitere Sekretäre und Kanzlisten die Ausführungen ergänzen und erweitern sollen. Die mit den Sekretären Goué, Jerusalem und Kestner gewählte Schwerpunktsetzung hat inhalt­liche und methodische Gründe, die an entsprechender Stelle thematisiert werden. Davon unabhängig kann bereits jetzt festgehalten werden, dass 8.) wohl kein Sekretär VOR Beginn der Visita­tion so genau wusste, was auf ihn zukam. Dies kann generell, aber auch vor dem Hintergrund des geschilderten Visita­ tionshorizontes, also der visita­tionsarmen Vergangenheit und dem damit verbundenen Nichtwissen über die Visita­tion,333 nicht überraschen. Aber dennoch ist es bemerkenswert, dass Kestner – er wurde schließ­lich Falckes Sekretär und blieb es bis 1773 – noch 13 Jahre nach dem Ende seiner Tätigkeit als Sekretär vom Raub an seiner Person sprach.334 Warum und wie Kestner und die anderen Sekretäre unter der Visita­tion litten und inwieweit dies mit dem Selbstmord von Jerusalem zusammenhing, soll im Folgenden deut­lich werden. Die Gründe und Abgründe sowie die Chancen und Grenzen für das Leben und Leiden der Visita­tionssekretäre sind dabei in einem entscheidenden Punkt bereits erfasst, näm­lich der Arbeitsbelastung. Dies bringt gleichfalls Kestner zum Ausdruck, der rückblickend davon schrieb, dass er selbst beim Essen hätte arbeiten müssen, indem er das Essen auf der einen […] und die Akten unmittelbar auf der andern Seite liegen hatte.335 Und auch die von Stallauer beschriebene und in dem Diagramm nicht zu erkennende Tatsache, dass innerhalb von ein, zwei Jahren die Schreibkräfte erheb­lich aufgestockt werden mussten, steht für die Arbeitslast, die über die Visita­tion scheinbar hereinbrach. Es kann auch wertend von einer Fehlplanung oder wertfrei von einer Unplanbarkeit gesprochen werden – eine Unplanbarkeit, w ­ elche die Aufwertung der Schrift­lichkeit bedingte? War es vielleicht die Dynamik einer aufgewerteten Schrift­lichkeit, die sich bei der Visita­tion unvorhersehbar Bahn brach und die dann zuvorderst, sozusagen an vorderster Front, die Schreiber auffangen mussten?

333 Siehe A.1.2. 334 Zitiert nach Kurtagebuch Kestner, hg. v. Schröcker (1765/2009), S. 57. 335 Ebd., S. 56.

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C.2.2 Goué, Jerusalem, Kestner – drei Sekretäre im Profil C.2.2.1 Zwischen Arbeitspflicht und Arbeitsvergessenheit: August Siegfried von Goué und die 1740er Generation an Sekretären Im Trinken waren sie vereint – so könnte man plakativ die Subdelega­tion von Braunschweig-­Wolfenbüttel umschreiben. Zum einen war da der bereits vorgestellte Visitator Höfler. Er genoss unter den Zeitgenossen den unrühm­lichen Ruf eines in Beratungsangelegenheiten unerfahrenen Trinkers. Zum anderen waren auch der Sekretär, August Siegfried von Goué, und der Kanzlist, Johann ­Christian Fels, dem Trinken nicht abgeneigt. Beide Subalterne (und nur indirekt der Visitator) waren „Zechgenosse[n]“,336 die im Trinken jene Unterschiede nivellierten, die einerseits die hierarchische Ordnung einer jeden Delega­tion (Visitator – Sekretär – Kanzlist – Diener) bedingte. Andererseits war Goué als Sohn eines erfolgreichen Majors, der 1747 in den Reichsadelsstand erhoben wurde, neuadeliger Herkunft.337 Dessen ungeachtet tranken der adelige Sekretär und der bürger­liche Kanzlist 338 gemeinsam, so auch am 3. August 1768. An ­diesem Tag wurde zu Ehren des Geburtstages ihres Landesherren, dem Fürsten von Braunschweig-­Wolfenbüttel, ein Trinkgelage abgehalten. Dieses endete jedoch – und deshalb ist der Vorfall überliefert – in einer Katastrophe. Der Kanzlist näm­lich war derart betrunken, dass er nicht mehr nach Hause konnte, sondern am Ort des Trinkgelages, dem Gasthof zum Kronprinzen,339 übernachten musste. Man legte ihn deshalb auf ein Sofa und bat den Kellner, auf ihn zu achten. In einem unbewachten Augenblick fiel der Kanzlist jedoch derart unglück­lich vom Sofa, dass er sich das Genick brach.340 Goué, der zu d­ iesem Zeitpunkt nicht mehr im Gasthof war, traf nur bedingt eine Schuld. Dennoch nannte ihn Höfler, der am Tag des Trinkgelages verreist war, einen Mörder.341 Für weiteren Unmut sorgte, was unmittelbar nach dem 336 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 128 (Anm. 42). 337 Zastrau, Alfred, August Siegfrid von Goué, in: NDB 6 (1964), S. 690 – 692. Siehe ferner Bodemann, Eduard, August Friedrich von Goué, in: ADB 9 (1879), S. 521 f. und Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 160 – 162. 338 Von dem Kanzlisten ist nichts weiter bekannt als der Name. Es darf jedoch angenommen werden, dass er nicht adeliger Herkunft war. 339 Siehe hierzu die im Anhang (unter Punkt 3.1. und 3.3) verzeichnete Nr. 23. 3 40 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 128 (Anm. 42). 341 Ebd.

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tra­gischen Unfall geschah. Als näm­lich der Reichsquartiermeister von dem Tod des Kanzlisten erfahren hatte, eilte er zu dessen Unterkunft und versiegelte diese. Goué jedoch beanspruchte seinerseits die – so lässt sich die Versiegelung deuten – Hoheit über die Unterkunft. Deshalb begab er sich seinerseits zu der Unterkunft, nahm das Siegel des Quartiersmeisters ab, brachte das seinige an und beorderte zum Quartier einen Unter Officier und 4 Mann von der dahier befind­lichen Hessen Darmstättischen Guarnison.342 Am folgenden Morgen ließ Goué den Leichnam des Kanzlisten begraben, die Möbel aus dem Zimmer fortbringen und die Bewacher abziehen. Damit waren der Kanzlist und seine Unterkunft Geschichte. Der Reichsquartiermeister war allerdings über ­dieses Verhalten derart aufgebracht, dass er die Vorgänge in Wetzlar, aber auch in Regensburg und Dresden zur hefftigen Sprache brachte.343 Durch das Trinkgelage und dessen weitreichende Folgen war die Subdelega­tion von Braunschweig-­Wolfenbüttel also in zweifelhafter Weise in vielerlei Munde – eine Begebenheit, die dem Landesherren, aber auch Höfler kaum gefallen konnte. Dieser Vorfall offenbart, wie dynamisch-­komplex sich das Mit-, Neben- und Gegeneinander innerhalb einer Subdelega­tion gestalten konnte, und zwar auch und gerade jenseits der eigent­lichen Arbeit. Für die Subdelega­tion von Braunschweig-­ Wolfenbüttel kann dabei von einem Dauerkonflikt gesprochen werden, der das Gegenüber von Visitator (Höfler) und Sekretär (Goué) bestimmte – ein Konflikt, der nicht unwesent­lich von der Person des Visitators, aber auch von der Person des Sekretärs abhing. Der 1743 zu Hildesheim geborene Goué war nach Aussage Goethes, der den Sekretär kannte, eine derbe, breite hannövrische Figur, still in sich gekehrt, nicht arm an Talenten mancher Art,344 aber – so ein neueres Urteil – „widerspruchsvoll in seinem Wesen“.345 Im 19. Jahrhundert bezeichnete man ihn sogar als „schrullenhaften Sonderling“. So ging in den Jahren der Visita­tion das Gerücht um, Goué sei illegitimer Herkunft, „und der seltsame Mensch liebte es, diesen mystischen Schleier über […] seiner Person liegen zu lassen“.346 Heinrich Gloël wiederum beschreibt ihn als einen Menschen, der das „Absonder­liche, Geheimnisvolle und Abenteuer­liche“ wertschätzte.347 In ­diesem Sinne ist auch zu lesen, dass Goué nicht nur durch „Eigenliebe, Eitelkeit“ und eine 342 StadtAA RKG 33, Rela­tion 25 vom 9. Aug. 1768. 343 Ebd. 344 Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831), 12. Buch, S. 529. 345 Zastrau, August Siegfried von Goué, in: NDB 6 (1964), S. 690. 346 Herbst, Goethe in Wetzlar (1881), S. 49. 347 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 161 f. Zum Ritterbund, zu dem auch Goethe gehörte, siehe A.2.2.

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Verschwendungssucht auffiel, die sich vornehm­lich im überschwäng­lichen Trinken und Spielen äußerte, sondern auch durch „possenhafte Späße, skurrilen Spott, bisweilen durch fast frivo­len Hohn“.348 So verfasste er im Juli 1771 ein satirisches Gedicht über die kurz zuvor suspendierten Assessoren.349 Und auch ansonsten trat er als „nicht unbegabte[r] Dichter“ in Erscheinung.350 Neben Goué dichtete auch Friedrich Wilhelm Gotter. Der Sekretär von Sachsen-­Gotha war ein „Reimer und Improvisator, Meister poetischer Tischreden“, der „in dramatischer Poesie“, aber auch im Theater seine Erfüllung fand.351 Allein ­solche Tätigkeiten bringen zum Ausdruck, dass es sich bei Gotter (geb. 1746) und Goué (1743), aber auch bei Kestner (1741), Jerusalem (1747) und weiteren Sekretären 352 um eine 1740er Genera­tion handelt, die sich nicht nur in puncto Arbeit, sondern gerade auch altersbedingt von der 1720er Genera­tion der Visitatoren unterschied. Das Alter scheint auch ein wichtiger Grund dafür zu sein, dass sich nach der Visita­tion das Leben der Sekretäre nicht immer so zielgerichtet gestaltete wie das der Visitatoren. Ein Sekretär, Georg Friedrich Pauli (1745 – 1812), verließ sogar Wetzlar, um Berufsschauspieler zu werden, bevor er „in große Not“ geriet, zum Katholizismus konvertierte 353 und nach Lüneburg ging, wo er – wohl nach einer Rekonvertierung – Magistrat und schließ­lich Bürgermeister wurde.354 Gotter wiederum beendete im Herbst 1768 seine Tätigkeit als Sekretär, um „Hofmeister von zwei jungen Baronen zu werden“.355 Im Herbst 1770 kehrte er jedoch wieder nach Wetzlar zurück, um bis September 1772 erneut Sekretär zu sein. Danach war er bis zu seinem Tode 1797 Sekretär in der Geheimen Kanzlei zu Gotha,356 wo er sich dem Hoftheater widmete.357 Von Goué wiederum ist bekannt, dass er nach seiner Tätigkeit in Wetzlar ein „unstetes Leben“ führte. „Er blieb dem Trunk ergeben“, betätigte sich als Freimaurer und erwarb sich „durch Verwendung seiner 348 Zastrau, August Siegfried von Goué, in: NDB 6 (1964), S. 691. 349 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 67 f. 350 Ebd., S. 151. 351 Herbst, Goethe in Wetzlar (1881), S. 53. Siehe zu Gotter auch Bunte, Gotter und die ‚Knopfmacherliteratur‘ (2012). 352 Christian Wilhelm Böhmer (1745) [Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 99], Johann Friedrich Ferdinand Ganz 1741 [ebd., S. 293] und Eberhard Jodocus König von Königsthal 1745 [ Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1262]. 353 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 120. 354 Grundwald, Bürger der Stadt Lüneburg (2011), S. 21. 355 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 112. 356 Ebd., S. 82 f. (Anm.) und Lorenzen, Käte, Friedrich Wilhelm Gotter, in: NDB 6 (1964), S. 658 f. 357 Franck, Jakob, Friedrich Wilhelm Gotter, in: ADB 9 (1879), S. 450 f.

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juristischen Kenntnisse“ den Unterhalt.358 1779 fand er eine Anstellung als Hofrichter und Hofkavalier bei Graf Ludwig Wilhelm von Bentheim.359 Als Anführer der gräf­lichen Grenadierwache kam er schließ­lich nach Burgsteinfurt, wo „sein Leben ein anderes geworden“ war. Er entsagte dem Trinken, gründete eine Loge und „widmete sich seiner Schriftstellerei“.360 Goués Zeit in Wetzlar nahm jedoch kein gutes Ende. Am 25. Juli 1771 und damit rund drei Jahre nach dem unglück­lichen Tod des Kanzlisten wurde er entlassen. Der Tod des Kanzlisten gab dabei nur bedingt den verspäteten Ausschlag für seine Entlassung. Und auch die Tatsache, dass der Sekretär von Braunschweig-­ Wolfenbüttel einmal zum Ärger Höflers vor mehreren hundert Besuchern Theater spielte, war nicht ausschlaggebend.361 Entscheidend war vielmehr, dass Goué den Besuch der Diktatur und damit die Primäraufgabe eines jeden Sekretärs über mehrere Monate vernachlässigt hatte. Der Sekretär führte zwar zur Entschuldigung an, dass er sich eine Fußverletzung zugezogen hatte, was er auch mit einem ärzt­lichen Attest bestätigen ließ. Doch für Höfler stand fest, dass er sich die edle Zeit mit Saufen, Spielen und Schuldenmachen unverantwort­lich verderbet hat.362 Ob nun tatsäch­lich, wie Goué anführte, andere Schreibkräfte das diktierte Schriftgut für ihn besorgt hatten, oder aber Höfler, wie er seinerseits geltend machte, sich das Schriftmaterial von anderen Visitatoren erbitten musste, lässt sich nicht klären.363 Deut­lich ist jedoch, dass das Schriftmaterial nur unvollständig vorlag und auch ansonsten, folgt man der Kritik Höflers, die Akten sehr unordent­lich geführt wurden. Dieser Ursachen-­Wirkungszusammenhang (trink- und spielfreudiger Sekretär, der dadurch seine Pflichten vernachlässigte) führte zur Entlassung des Sekretärs durch Höfler, die er am braunschweigischen Hof erwirkte. Höfler entließ also seinen Sekretär nicht selbst. Dies hing damit zusammen, dass Goué Hofgerichtsassessor des Fürstentums Braunschweig-­Wolfenbüttel war.364 Damit entsprach er den meisten Sekretären, die, anders als etwa der von Stallauer vor Ort eingestellte zweite Sekretär, in den Hof-, Verwaltungs- oder Gerichtsapparat der jeweiligen Obrigkeiten eingebunden waren. So waren im

3 58 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 132 f. 359 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 161. 3 60 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 133; Zastrau, August Siegfried von Goué, in: NDB 6 (1964), S. 691 u. Bodemann, August Friedrich von Goué, in: ADB 9 (1879), S. 521 f. 361 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 128. 362 Ebd., S. 129. Schrader zitiert hier aus einem Bericht Höflers vom 4. Juni 1771. 363 Ebd., S. 130. 364 Zastrau, August Siegfried von Goué, in: NDB 6 (1964), S. 690.

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Jahr 1770 folgende territoriale oder reichsstädtische Funk­tionsträger als Hilfspersonal der Visita­tion tätig (Auflistung – soweit die Angaben vorliegen – nach der hierarchischen und konfessionsparitätischen Ordnung der Visita­tion): Der kurmainzische Regierungs- und Revisionsrat Serger, der kurmainzische Hofgerichtsrat von Eckard, der kurmainzische Geheime und Regierungskanzlist Erhard, der könig­lich-­preußische Hof- und Kammergerichtsreferendar von Böhmer, der kaiser­lich-­könig­liche oberösterreichische Gubernial-­Konzipist von Tasch, der herzog­lich sachsen-­gothaische Geheime Registrator Welcker, der hochfürst­liche brandenburg-­ansbachische und brandenburg-­kulmbachische Regierungssekretär Wanderer, die hochfürst­lich münsterischen Räte und Referendare Langen und Kerckering, der kurbayerische Hofratskanzlist und Geheime Kanzlist Drouin,365 der hochfürst­lich hessen-­darmstädtische wirk­liche Geheime Regierungsreferendar Jan, der kurpfälzische Geheime Sekretär Herd, Reichsritter von Blain und der reichsstädtisch-­nürnber­gische Syndikus König von Königsthal.366 All die genannten Subalternen waren ein fester Bestandteil des territorialen oder reichsstädtischen Behördenapparats. Vielleicht war dies auch der entscheidende Grund dafür, dass der eingangs erwähnte Grübel, der sich als Sekretär für die kurbraunschwei­gische Subdelega­tion beworben hatte, trotz Fürsprecher nicht genommen wurde. Denn Grübel war Sekretär eines könig­lich dänischen Ministers, der diese Stelle erst vor kurzem verlassen hatte, um in sein Vaterland zurück­zukehren.367 Darüber hinaus deutet sich im Hinblick auf das Sozialprofil an, dass es zwar auch (neu-)adeliges Hilfspersonal gab. Für sämt­liche Sekretäre und Kanzlisten zum Jahr 1770 waren jedoch von den insgesamt 47 Personen ledig­lich 7 (15 %) adelig.368 Goué also war einer der wenigen (Neu-)Adeligen. Anders fällt hingegen der Befund bezüg­lich des Bildungsprofils aus. Goué studierte seit 1760 Rechtswissenschaften in Halle.369 Ein Studium ist ferner gesichert nachzuweisen für Balemann (Göttingen 1755 – 58),370 Böhmer (Frankfurt/Oder bis 1765),371 Kest 365 Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992), Anhang S. 292. Hier heißt es auch, dass die aus Frankreich stammende Familie erst 1788 geadelt wurde. In dem Verzeichnis von 1770 heißt es hingegen ‚von Drouin‘. Dies bleibt bei der folgenden Auswertung unberücksichtigt. 3 66 Alle Angaben (bis auf Drouin) nach Verzeichniss Commission und Visitatoren (1770). 3 67 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Gottlieb Christian von Mosheim an Premierminister, ­Stuttgart 24. Jan. 1767. 368 Nach Verzeichniss Commission und Visitatoren (1770). 369 Zastrau, August Siegfried von Goué, in: NDB 6 (1964), S. 690. 370 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 128, S. 1457. 371 Straubel, Biographisches Handbuch Bd. 1 (2009), S. 99.

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ner (Göttingen 1762 – 1765)372 und König von Königsthal (Dr. iur.).373 Und auch ­Gotter hatte von 1763 bis 1766 in Göttingen studiert;374 seitdem war er mit Kestner, der sein Studienkollege war, befreundet.375 Bedenkt man zudem die dargelegten Überlegungen, die es im Vorfeld der Visita­tion bezüg­lich der studierten Sekretäre und unstudierten Kanzlisten gab, als auch die in Hannover eingegangenen Bewerbungen der potentiellen Subalternen und die angeführten Funk­tionsämter für das Jahr 1770, dann ist anzunehmen, dass die meisten, aber sicher­lich nicht alle 376 Sekretäre als studierte Juristen nach Wetzlar kamen. Das Studium kann also ebenso wie die Einbindung in den jeweiligen Behördenapparat als ein wichtiges Einstellungskriterium für die Sekretäre begriffen werden. Sekretäre und Visitatoren weisen damit eine große Gemeinsamkeit auf. Beides, Studium und Einbindung in den Behördenapparat, sagt jedoch noch gar nichts aus über die Charakter- und Arbeitseigenschaften der Akteure. Dies ist jedoch ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Denn das Scheitern von Goué als Sekretär ist nur zu verstehen, wenn man, soweit mög­lich, die gesamte Person in den Blick nimmt. Bei Goué zählte dazu auch, dass er sehr gerne trank und spielte, und zwar in einem solchen Ausmaß, so dass er seine visita­tionsbedingten Arbeits­ aufgaben nur unzureichend erfüllen konnte. Dennoch ist über ihn ebenso bekannt, dass er (in Phasen des Nichttrinkens und Nichtspielens?) fleißig und regelmäßig arbeitete.377 Goué vereinte also Fleiß und Pflichterfüllung sowie Unfleiß und Pflichtvergessenheit in einer Person.

372 Kurtagebuch Kestner, hg. v. Schröcker (1765/2009), S. 48 f. 373 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 113, S. 1262. 374 Lorenzen, Friedrich Wilhelm Gotter, in: NDB 6 (1964), S. 658 f. 375 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 140. 376 Neben Kestner, der sein Studium zumindest nicht abschloss (siehe hierzu C.2.2.3), trifft dies aller Wahrschein­lichkeit nach auf Drouin zu. Bevor er kurbayerischer Hofratskanzlist (1762) und schließ­lich Visita­tionssekretär wurde, erledigte er mehrere Jahre an verschiedenen Orten niedere Schreibarbeiten. Auf die Stelle als Hofratskanzlist bewarb er sich mit Empfehlungen. Eine davon stellte ein Landgerichtsschreiber von Straubing und Leonsperg aus (vom 24. Jan. 1758). Dort ist ledig­lich davon die Rede, dass „Drouin ein Jahr lang die Gerichtspraxis studiert [im Sinne von gelernt; A.D] und die Fähigkeit erlangt habe, Schreibfunk­tion [sic] auszuüben“. Ein anderes Schreiben (vom 23. Jan. 1759) bescheinigte ihm ledig­lich, dass er „ein halbes Jahr beim Gerichts- und Kastengegenschreiber Merckhl ‚in Condi­tion‘ gestanden“ habe [Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs (1992), Anhang S. 292]. 377 So die Einschätzung von Höfler vom 24. Okt. 1767 nach Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 127.

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Damit angesprochen sind zwei weitere zentrale Gesichtspunkte. Zum einen bedingt der hier im Mittelpunkt stehende Untersuchungsgegenstand – der Mensch als handelnder Akteur in der Geschichte – eine Komplexität, die sich nicht zuletzt in Widersprüch­lichkeit äußern kann. Zum anderen wird hier eindring­lich an die Zeitachse erinnert. Zu betonen ist näm­lich, dass Goué über vier Jahre (Mai 1767 bis Juli 1771) Sekretär war. Dies ist nicht viel, wenn man etwa an das Jahrhundert der Aufklärung oder aber das gesamte Leben von Goué (1743 – 1789) denkt. Andererseits fanden in diesen vier Jahren hunderte von Sessionen statt und beschrieben die Schreibkräfte der Visita­tion tausende, wenn nicht sogar zehntausende Seiten Papier. Zudem konnten sich in dieser Zeit lebensimmanente und lebensprägende Dinge für einen Menschen ereignen, wie etwa der Tod eines geliebten Menschen oder die Begegnung mit einem Menschen, der fortan den Lebensweg begleiten und bestimmen sollte. Letzteres meint vor allem das Liebesglück, wie es Kestner fand. Und auch Goué suchte und fand im Oktober 1770 eine Frau, allerdings nur, um zu Geld zu kommen.378 Unter lebensprägenden Begegnungen kann aber auch die freundschaft­ liche, verwandtschaft­liche oder landsmannschaft­liche Netzwerkbildung begriffen werden, die in einem k­ urzen Lebens- oder Visita­tionsmoment ihren Anfang nahm und die gleichfalls den Lebensweg des einen oder anderen Sekretärs bestimmen konnte. All dies verweist auf die ‚zeitnatür­liche‘ Tatsache, dass Zeit relativ war und ist – daran muss auch im Hinblick auf die Leiden des Jerusalem erinnert werden. C.2.2.2 Über Sinn und Unsinn des Lebens als (schreibender) Sekretär: Karl Wilhelm Jerusalem Sein hiesiger Aufenthalt war ihm verhasst 379

Über allem steht der Tod. Etwa zwölf Stunden, nachdem sich Karl Wilhelm Jerusalem eine Kugel durch den Kopf gejaget hatte, verstarb der Sekretär.380 Es war ein langer und grausamer Todeskampf. Im Lehnstuhl vor dem Schreibtisch sitzend, erschoss er sich gegen 1 Uhr 381 in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1772. 378 Ebd., S. 127. 379 So Kestner über Jerusalem, der sich am 30. Okt. 1771 das Leben nahm [StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1, fol. 21]. Siehe insgesamt zu ­diesem Thema auf Grundlage der vorliegenden Studie Denzler, Sie haben sich totgearbeitet (2014). 380 StadtAA RKG 33, Rela­tion 95 vom 8. Nov. 1772. 381 Zu den Zeitangaben: Nach Stallauer fiel der Schuss ­zwischen Mitternacht und 1 Uhr. Kestner spricht von gegen 1 Uhr (Schuss) und von gegen 12 Uhr als den Zeitpunkt, an

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Von dem Stuhl fiel er auf dem Boden, wälzte sich im Blut, schleppte sich um den Stuhl herum zu einem Fenster, wo er entkräftet auf dem Rücken liegen blieb. Dort fand ihn gegen 6 Uhr sein Diener, der auch sogleich die Ärzte herbeiholte, doch jede Rettung kam zu spät. Der Puls hatte noch geschlagen, doch die Glieder waren wie gelähmt, weil das Gehirn lädirt, auch herausgetreten gewesen. Gegen 9 Uhr erreichte Kestner die Nachricht von dieser Tragödie, die sich in Windeseile verbreitet hatte. Kestner eilte zu dem befreundeten Sekretär und fand ihn, liegend in dem Bett, mit dem Tode ringend. Die Stirn war bedeckt, sein Gesicht schon wie eines Todten, er rührte kein Glied mehr, nur die Lunge war noch in Bewegung und röchelte fürchter­lich, bald schwach, bald stärcker, man erwartete sein Ende. Dieses Ende trat gegen 12 Uhr ein. Noch am selben Abend wurde er auf dem Kirchhof begraben, in der Stille mit 12 Laternen und einigen Begleitern; Barbiergesellen haben ihn getragen; das Kreutz ward voraus getragen; kein Geist­licher hat ihn begleitet.382 Was sich an ­diesem 30. Oktober 1772 ereignet hat, war eine menschliche Tragödie – eine Tragödie, w ­ elche die Menschheit wohl vergessen hätte, wenn sie nicht Goethe mit seinem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) verewigt hätte. Wenn hier nun mit Jerusalem (Werther) sowie im Folgekapitel mit Kestner (Albert 383) und – zumindest am Rande – mit dessen Frau Charlotte Buff (Lotte) gleich drei Schlüsselfiguren des Briefromans im Mittelpunkt stehen, dann verfolgt dies nicht den Selbstzweck, ein literarisches Meisterwerk zu thematisieren (obgleich es unumgäng­lich ist, mit der Visita­tion von 1767 auch Goethe und den Werther zu thematisieren). Entscheidend ist vielmehr zweierlei. Zum einen lässt sich festhalten, dass Dank dem literaturschaffenden Ex-­R KG-Praktikanten Goethe über die genannten beiden Sekretäre weitaus mehr bekannt ist als über all die anderen 115 Subalternen. Dies verdeut­licht die Tatsache, dass erst jüngst eine umfassende Biographie über die Jugendjahre Kestners erschienen ist; diese Studie hat damit das Schattendasein Kestners gegenüber Jerusalem zumindest für die Zeit bis 1767 beendet.384 Es ist also allein schon aufgrund der Materialfülle dem Jerusalem starb. 382 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1. In dieser Mappe finden sich fol. 17 – 27 [Mappenende, wobei die Folioseiten unsortiert sind] die Notizen und Ausführungen Kestners vom 27. Okt. bis zum 2. Nov. 1772. Darunter fällt insbesondere der Bericht, den Kestner am 2. Nov. 1772 Goethe übersandt hat (es handelt sich um den ­zweiten Entwurf; siehe hierzu die weiteren Ausführungen). Aus d­ iesem Berichtsentwurf (es finden sich viele Durchstreichungen, Anmerkungen und Zusätze) wurde soeben zitiert. In edierter Form ist er u. a. zu finden bei Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 89 – 94. 383 Goethe verneinte jedoch gegenüber Kestner, er sei Albert [Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 140]. 384 Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011).

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erforder­lich, sich eingehender mit Jerusalem und Kestner auseinanderzusetzen. Darüber hinaus und zum anderen ermöglichen die Wertherprotagonisten weitaus tiefere Einblicke in den Lebens- und Arbeitsalltag der Subalternen als all die anderen Sekretäre. Sie vollenden sogar ein Stück weit die akteurszentrierte Perspektive dieser Studie. Denn gerade das Lebensschicksal Jerusalems unterstreicht, dass die Visita­tion nur mit und durch ihre Akteure betrachtet werden kann. Die Frage, die hierbei im Mittelpunkt steht, lautet: Warum? Warum hat sich Jerusalem selbst getötet? Auch wenn es, so Gloël treffend, schwer ist, „über die Vorgänge in Jerusalems Seele sicher zu urteilen“,385 und sich auch deshalb jede monokausale Erklärung verbietet, so lassen sich doch manche Gründe anführen. Zuvorderst ist (mehr oder weniger) gelöst von der Visita­tion ein Liebesschmerz anzuführen. Jerusalem hatte sich in die Ehefrau des pfalz-­lauterischen Sekretärs Herd verliebt, die nach Kestner die schönste Frau in allen Rangstufen hier in Wetzlar war.386 Diese Liebe blieb jedoch unerfüllt und gab nach Gloël die „letzte Veranlassung“ zum Selbstmord.387 Der Selbstmord Jerusalems verdeut­licht damit auf tra­gische Weise, dass die Visita­ tionsakteure immer auch fühlende Menschen waren, deren Dasein z­ wischen 1767 und 1776 zwar auch, aber eben keineswegs ausschließ­lich von der Visita­tion geprägt wurde. Der Liebesschmerz allein trieb Jerusalem jedoch nicht in den Tod. Anzuführen ist auch, dass der Sekretär „von dem Freundschaftsenthu­siasmus der Zeit […] angesteckt [war]; aber er fand seine empfindsamen Bedürfnisse nirgends befriedigt“388 und suchte wohl auch deshalb die Einsamkeit auf kilometerlangen Spaziergängen.389 Jerusalem war zudem ein Philosoph, dessen „philosophischer Skeptizismus“390 sich darin äußerte, dass er die Grenzen des menschlichen Verstandes beklagte und „den Schmerz über die Unzuläng­lichkeit seiner Erkenntniß mit sich“ herumtrug.391 Von Zeitgenossen wie Lessing wurde er dabei als ein nachdenkender, aber kalter Philosoph oder aber, wie von Visitator Stallauer, als ein deistischer Freigeist gesehen, der behaupte, dass ein Mensch, wenn Er auf dieser Welt seine Zufriedenheit nicht finde, sich selbst entleiben könne.392

3 85 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 235. 386 Zitiert nach ebd., S. 227. Philipp Jakob Herd (1735 – 1809) vermählte sich 1768 „mit der schönen und hochgebildeten Elisabet Egell, einer Tochter des Hofbildhauers Paul Egell zu Mannheim“ [ebd., S. 226]. 387 Ebd., S. 235. 388 Minor, Jacob, Karl Wilhelm Jerusalem, in: ADB 13 (1881), S. 784. 389 Herbst, Goethe in Wetzlar (1881), S. 61. 390 Elschenbroich, Adalbert, Karl Wilhelm Jerusalem, in: NDB 10 (1974), S. 417. 391 Minor, Karl Wilhelm Jerusalem, in: ADB 13 (1881), S. 785 392 StadtAA RKG 33, Rela­tion 95 vom 8. Nov. 1772.

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Festzustellen ist auch, dass Jerusalem sich schon in seiner Studienzeit – er studierte die Rechte von 1765 bis 1767 in Leipzig und Göttingen – in einer „melancho­ lischen, selbstquälerischen Stimmung“ befand.393 Und auch die Bevormundung durch den Vater, der ein berühmter lutherischer Theologe war,394 trieb ihn womög­ lich „immer drückender in Menschenverachtung und Lebensüberdruß hinein“.395 All dies jedoch reicht nur bedingt aus, den Selbstmord des 25-jährigen Visita­ tionssekretärs zu erklären. Entscheidend ist vielmehr auch und gerade, dass ihm – das Einstiegszitat verweist darauf – sein Aufenthalt in Wetzlar verhasst war. Dies geht auch eindring­lich aus einem Brief hervor, den Jerusalem seinem Freund Eschenburg am 18. Juli 1772 geschrieben hat. Dort steht zu Beginn vor dem Datum statt Wetzlar Seccopolis, die Stätte der Pein.396 Denn – so die Begründung für die Namensumwidmung – wie ich hier lebe, das können Sie leicht denken. Drey Stunden des Morgens und 3 Stunden Nachmittages arbeite ich täg­lich für die Nachwelt der Ratzen [Ratten; A. D.] im Herzogl. Braunschwei­gischen Archive – denn die allein werden es brauchen. Ein empfindsames schönes Geschäft, vorzüg­lich im Sommer! 397 Diese Klage über die Schreibarbeit in der Diktatur zieht sich wie ein roter Faden durch die Privatbriefe Jerusalems, die in edierter Form vorliegen. Schon am 23. September 1771 und damit wenige Tage, nachdem er seinen Vorgänger Goué als Sekretär abgelöst hatte, schrieb er seinem Vater von der unerträg­lichste[n] Arbeit. Alles, was sich schreiben läßt, größtentheils Dinge, bey denen gar nichts zu denken ist, das ist wohl die mühseligste Arbeit von der Welt – doch darüber hilft kein Murren.398 Und am 10. März 1772 heißt es: Es ist wahr, ich thue hier Schreibers-­ Dienste und stehe unter einem Narren der mich chicanirt und mir auf alle Weise zu schaden sucht.399 Mit dem Narren ist kein Geringerer gemeint als sein Vorgesetzter Höfler. Wie es um das Verhältnis z­ wischen beiden bestellt war, verdeut­licht die Tatsache, dass Höfler „die Weihe der letzten Stunden des Sterbenden [ Jerusalem; A. D.] durch

3 93 Minor, Karl Wilhelm Jerusalem, in: ADB 13 (1881), S. 784. 394 Zu Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709 – 1789) siehe Meyen, Fritz, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, in: NDB 10 (1974), S. 415 f. 395 Elschenbroich, Karl Wilhelm Jerusalem, in: NDB 10 (1974), S. 417. 396 So die Übersetzung von Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 19. 397 Jerusalem an Johann Joachim Eschenburg, Wetzlar/Seccopolis 18. Juli 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 80 f. 398 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 23. Sept. 1771, nach: Ebd., S. 59 f. 399 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 10. März 1772, nach: Ebd., S. 71 – 73, hier S. 72.

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taktlose Worte – eine Klage über die Feigheit des Selbstmörders – gestört“ hat.400 Höfler war – darauf verweist dieses unversöhnliche Ende – neben der eintönigen Schreibarbeit der entscheidende Grund, warum Jerusalem Wetzlar als die Stätte der Pein begriff. So bezeichnete der Sekretär einmal seinen Vorgesetzten als einen verächt­lichen Menschen, der ihm, Jerusalem, auf so tückische[...] Weise zu schaden gesucht hat.401 Für Höfler wiederum galt Jerusalem als ein unerträg­liche[r] S­ ecretaire,402 dessen hochmüthiges und insolentes Betragen ohnmög­lich zu erdulden sei.403 Der Konflikt z­ wischen Jerusalem und Höfler begann bereits mit der Instruk­ tion für den Sekretär. Dort näm­lich wurde Jerusalem, wohl in Reak­tion auf das Verhalten seines Vorgängers Goué,404 angewiesen, überflüssige Gesellschaften oder sonstige Gelegenheiten zu vermeiden, die den Zweck seiner Bestimmung hindern, die nöthige Arbeitsamkeit unterbrechen oder wol gar Verdrieß­lichkeiten und schäd­ liche Folgen nach sich ziehen können.405 Diese mit seinem Stande und Caractére unvereinbare Bestimmung ging dem Sekretär zu weit, weshalb diese Passage nicht ohne Missfallen des Landesherren, Herzog Karl I., und mit Unterstützung seines Vaters gestrichen wurde.406 Ausgehend von d­ iesem „falschen Start“,407 der sich in Wetzlar dergestalt fortsetzte, dass Jerusalem das angebotene Quartier im Hause Höflers abgelehnt hatte,408 war das Verhältnis von Höfler und Jerusalem von beständigen „Reibereien und Kompetenzstreitigkeiten“ geprägt.409 Dahinter steckte ein Grundsatzkonflikt. Denn während Höfler gerade aufgrund der Erfahrungen mit Goué einen Schreiber begehrte, der sich unterzuordnen bereit war, verlangte Jerusalem „nach persön­licher Geltung und selbstständiger Arbeit und ordnete sich nicht gern unter“.410 Dies ist insofern nicht verwunderlich, wenn man an das angesehene Elternhaus denkt, aus 4 00 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952). S. 151. 4 01 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 10. Dez. 1771, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 60 f. 4 02 Höfler an Herzog Karl, 9. Nov. 1771, nach: Ebd., S. 63. 4 03 Höfler an Herzog Karl, 9. Nov. 1771 (PS), nach: Ebd., S. 63 f., hier S. 63. 4 04 Dagegen vermutet Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 20 wohl in Anknüpfung an Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 133 f., dass Goué die „gleiche formelle Instruk­tion“ erhalten habe. 4 05 Instruk­tion vom 19. Aug. 1771, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 58. 4 06 Promemoria zur Instruk­tion mit Randbemerkung des Herzogs, Braunschweig 26. Aug. 1771, nach: Ebd., S. 59. 4 07 Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 20. 4 08 Kaulitz-­Niedeck, Goethe und Jerusalem (1908), S. 47 u. S. 59. 4 09 Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 20. 410 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 134.

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dem Jerusalem entstammte. Sein Vater fungierte als Berater, Bildungsreformer und Hofprediger des Landesherren. Zudem erzog Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem die Söhne von Herzog Karl I.411 Aufgrund dieser Nähe des Vaters zum Hof war es Karl Wilhelm Jerusalem gewohnt, in vornehmen Kreisen zu verkehren, „die den wissensdurstigen Jüngling schätzten und wohl auch verwöhnten“.412 Umso schwerer wog das wohl von Höfler in Umlauf gebrachte Gerücht, Jerusalem sei in den vornehmen Wetzlarer Gesellschaftskreisen unerwünscht gewesen. Nament­lich der Präsident des RKG, Graf von Bassenheim, soll den Sekretär in kompromittierender Art und Weise von seiner Gesellschaft verstoßen haben. „Man erzählte, der Graf habe ihm den Rücken gekehrt, als jener ihn anreden wollte“.413 Daneben ist die Vor- und potentielle Nachkarriere Jerusalems zu bedenken. Bevor näm­lich der studierte Jurist nach Wetzlar ging, war er über ein Jahr Assessor an der Justizkanzlei in Wolfenbüttel.414 Die dort gezeigten Leistungen sowie die Gunst des Landesherren verhalfen ihm zu der Sekretärsstelle.415 Überdies hatte Jerusalem die Aussicht, nach der Visita­tion eine Hofratsstelle anzutreten.416 Es hatten also, neben den Visitatoren, auch die Subalternen die Mög­lichkeit, mit und durch die Visita­tion Karriere zu machen. Für die Sekretäre bedeutete dies jedoch zunächst, die Mühsalen der visita­tionsbedingten Schreibarbeiten zu ertragen, an die sich Kestner noch Jahre ­später leidvoll erinnerte und über die sich auch Jerusalem eindring­lich beklagte. Beides zusammengenommen (Elternhaus sowie Vor- und potentielle Nachkarriere) erlaubt es, besser zu verstehen, warum sich Jerusalem mit dem Dasein als Visita­tionssekretär schwer tat, und zwar generell, aber auch und insbesondere unter Höfler, der vielleicht zu viel […] sub-­ordina­tion verlangte.417 Schließlich wird nochmals deut­lich, wie unvorhersehbar die Arbeit als Sekretär sein konnte. 4 11 Meyen, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, in: NDB 10 (1974), S. 415 f. 412 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 133. 413 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 223, der weiter schreibt: „Glaub­licher ist, daß er ihn bat, sich mit Rücksicht auf die Eigenart der Anwesenden zurückzuziehen“. Für Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 20 hingegen war dies „bestenfalls Klatsch, höchstwahrschein­lich aber pure Lüge“. Damit folgt er Schrader, der ausführ­lich das wirkmächtige Gerücht widerlegt, Jerusalem sei von Bassenheim verstoßen worden [Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 135 – 137; explizit zu den Ausführungen Gloëls Anm. 74]. 414 Elschenbroich, Karl Wilhelm Jerusalem, in: NDB 10 (1974), S. 416 – 418. 415 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 133. 416 Ebd. 417 Hofrath Ditfurth an den Direktor der Justizkanzlei von Praun, o. O. 30. Nov. 1771, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 68 f., hier S. 68.

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Bezeichnend ist, dass Jerusalem schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Wetzlar darum bemüht war, die beiden Kopisten der Subdelega­tion für seine eigenen Schreibarbeiten zu verwenden. Dies geschah nach Rücksprache mit dem Direktor der Justizkanzlei. Der uninformierte Höfler war darüber allerdings wenig erfreut und versuchte diesen Vorgang mit einem ganzen Bündel an Gegenmaßnahmen zu unterbinden. Zunächst machte er den Kopisten deut­lich, sie würden nur für abgeschriebene Schriftstücke bezahlt werden, die er selbst ausgehändigt habe. Daneben wies er die Kopisten an, Arbeitsaufträge, die Jerusalem bereits erteilt hatte, unerledigt zu lassen. Zudem versorgte gewöhn­lich die delega­tionseigene Kanzlei Jerusalem mit Papier. Als er jedoch Papier für die Kopisten haben wollte, wurde ihm dies verweigert. Noch einschneidender war, dass die Kanzlei, die auch die Protokolle und Protokollbeilagen verwahrte, die Aushändigung einer Beilage verweigerte, obgleich Jerusalem diese nicht zur Abschrift, sondern für die Diktatur – die Beilage war noch nicht gänz­lich diktiert – benötigte. Über all dies war Jerusalem äußerst befremdet, zumal diese Maßnahmen auf Anordnung Höflers von Personen ausgingen, die mir – so Jerusalem in dem entsprechenden Schreiben an Höfler – in diesen Geschäften untergeordnet sind. Unverhohlen drohte er, wegen diesen gänz­lich unverdiente[n] Kränkungen die Obrigkeit einzuschalten.418 Anfang November 1771 war dies auch der Fall. Es war jedoch nicht Jerusalem, der sich über Höfler, sondern Höfler, der sich über Jerusalem bei Herzog Karl beschwerte. Es scheinet, so die Beschwerde Höflers, daß dieser unerträg­liche Secretaire bey seinem Hochmuth, auch mit Unwahrheiten und Verleumdungen zu Werck gehen will.419 So habe Jerusalem zu Beginn der Visita­tion die Subdelega­tionen um eine Visite gebeten, ­welche ihn zum Theil abwiesen, zum Theil aber anhörten, und mir sodann in Consesso das Compliment machten, daß sie nun meinen w ­ izigen Secretaire kennen würden. Daneben kritisierte Höfler, dass Jerusalem den Umgang mit seines gleichen […] zu schlecht fände, und er deshalb die Aufnahme in vornehme Kreise gesucht habe. Von dem Präsidenten Bassenheim sei er jedoch, so das bereits angesprochene Gerücht, in wenigen Minuten abgewiesen worden.420 Der eigent­liche Grund, warum sich Höfler bei seinem Landesherren beschwerte, war jedoch ein anderer. Jerusalem näm­lich weigerte sich, die Diktatur zu besuchen.421 Diese Weigerung rührte daher, dass Jerusalem eigent­lich auch für die Verwaltung des Schriftguts zuständig war. So hatte er in der Regel einen Teil der 418 Jerusalem an Höfler, 6. Okt. 1771, nach: Ebd., S. 61 f. 419 Höfler an Herzog Karl, 9. Nov. 1771, nach: Ebd., S. 63. 420 Höfler an Herzog Karl, 9. Nov. 1771 (PS), nach: Ebd., S. 63 f. 421 Dies teilte Jerusalem Höfler schrift­lich am 7. Nov. 1771 mit. Der Brief ist gleichfalls abgedruckt bei ebd., S. 62 f.

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Visita­tionsprotokolle und Protokollbeilagen bei sich zu Hause, um ein Verzeichnis zu erstellen.422 Höfler schränkte diese Tätigkeit jedoch ein, indem er die Akten in die Kanzlei zurückbringen und dort in einem Schrank deponieren ließ, der eigens nach der Entlassung Goués angefertigt wurde. Als Jerusalem eines Nachmittags nach geendigter […] Dictatur auf die Kanzlei ging, um wie gewohnt in den Akten etwas nachzusehen, fand er den Schrank verschlossen vor. Höfler, der sich den Schlüssel von den Kanzlisten hat übergeben lassen, war nicht bereit, diesen auszuhändigen. Daraufhin erklärte Jerusalem in äußerster Bestürzung, dass er fortan die Diktatur nicht mehr besuchen werde.423 Gleichwohl Jerusalem für sich in Anspruch nahm, in der Hitze gehandelt zu haben,424 war es ein radikaler Schritt, den Besuch der Diktatur zu verweigern. Nicht ohne Grund versuchte er, sein Handeln in einem umfassenden Schreiben an den Leiter der Justizkanzlei des Fürstentums Braunschweig-­Wolfenbüttel zu rechtfertigen.425 Die Obrigkeit von Höfler und Jerusalem konnte jedoch über diese Vorgänge wenig erfreut sein, zumal darunter erneut, wie schon bei Goué, die ordent­liche Schriftproduk­tion litt. Herzog Karl I. verurteilte dementsprechend in aller Schärfe die Einstellung des Besuchs der Diktatur. Ansonsten aber forderte der Landesherr, den Streit in Ruhe beizulegen.426 Jerusalem entschuldigte sich auch bei Höfler und begann wieder, die Diktatur zu besuchen. Die Ruhe war jedoch trügerisch. Anfang Februar 1772 erhob Höfler neuer­lich schwere Vorwürfe. Die Protokolle ­seien voller Schreibfehler, die Diktatur werde nur unregelmäßig besucht und die Arbeit generell dadurch behindert, dass der Sekretär „an der Jagd, an Schlittenfahrten, an Maskeraden und anderen ‚zeitverderb­lichen‘ Dingen“ teilnehme.427 Jerusalem wiederum versuchte sich zu verteidigen, widersprach allen Vorwürfen 428 und kündigte gegenüber seinem Vater an, dass nun eine Grenze überschritten sei. Denn bis dahin waren es bloße privat Kränkungen des H[öfler] über die ich mich zu beschwehren hatte. Aber durch diesen neuen Vorfall wird an mir der Character eines ehr­lichen Mannes öffent­lich gekränkt.429 422 Jerusalem an den Direktor der Justizkanzlei von Praun, Wetzlar 9. Nov. 1771, nach: Ebd., S. 64 – 66, hier S. 65. 423 Ebd. 424 Ebd. 425 Ebd., S. 66. 426 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 139. 427 Ebd., S. 142. Schrader, bezieht sich hier u. a. auf einen Bericht Höflers an den Herzog vom 8. Febr. 1772. 428 Jerusalem an Herzog Karl, Wetzlar 8. April 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S.  74 – 76. 429 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 31. März 1772, nach: Ebd., S. 73 f., hier S. 73.

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Ungeachtet dieser Entgegnung Jerusalems, bezüg­lich der Schreibarbeit konnte am braunschwei­gischen Hof tatsäch­lich festgestellt werden, dass die zur Überprüfung eingesandten Bögen „den Beweis ‚von sehr flüchtiger Unachtsamkeit und nicht zu entschuldigender Nachlässigkeit‘ enthielten“.430 Anders hingegen urteilte Franz Dietrich von Ditfurth. Der spätere RKG -Assessor (seit 1773)431 hatte in seiner Funk­tion als Hofrat der Justizkanzlei in Wolfenbüttel neuer­lich, wie schon bei der ersten großen Auseinandersetzung im November 1771,432 ein Gutachten erstellt mit dem Ergebnis, einer zwar nicht vollkommenen Protokollführung Jerusalems. Die Fehler, größtenteils Abkürzungen und undeut­lich geschriebene Buchstaben, hätten allerdings nach Einschätzung des Gutachters auch einem erfahrenen Sekretär passieren können.433 Wahrschein­lich hat Höfler von d­ iesem milden Urteil erfahren. Denn knapp einen Monat s­ päter, am 11. April 1772, beklagt er sich erneut und ausschließ­lich darüber, dass die Abschrift einer Beilage elend gerathen sei und erst von vielen grammatica­lischen Fehlern gereinigt werden mußte.434 Es muss dahingestellt bleiben, inwieweit tatsäch­lich die Protokolle und Beilagen fehlerhaft waren. Fest steht ledig­lich, dass sie nicht fehlerfrei waren, was auch im Angesicht der zu vervielfältigenden Schriftmasse und der stunden-, tage-, wochen- und monatelangen Schreibarbeit Jerusalems nicht verwundern kann. Darauf hat Ditfurth mit seinem Urteil bereits verwiesen. Deut­lich ist zudem – und dies muss an anderer Stelle mitbedacht werden 435 –, dass die Protokolle und Protokollbeilagen, wie sie an die Visita­tionshöfe und -städte übersandt wurden, einen mehrfachen Überarbeitungsprozess durchliefen. Denn zumindest für die Subdelega­tion von Braunschweig-­Wolfenbüttel steht fest, dass Höfler schon im Oktober/November 1771 damit anfing, die Protokolle Jerusalems, „die ihm nicht ‚deut­lich und akkurat‘ genug erschienen“, von einem Kopisten korrigieren zu lassen.436 Dies war natür­lich ein Affront, da dies die Hierarchie der 430 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 143, der hier ein Schreiben des Ministeriums an Höfler vom 20. Febr. 1772 zitiert. 431 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 123. 432 Hofrath Ditfurth an den Direktor der Justizkanzlei von Praun, o. O. 30. Nov. 1771, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 68 f. 433 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 144. ­Diesen Ausführungen liegt das Gutachten Ditfurths vom 11. März 1772 zugrunde. 434 Höfler an Herzog Karl, Wetzlar 11. April 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 76. 435 Siehe Abschnitt D.3. 436 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 138. Aus den Ausführungen geht nicht genau hervor, seit wann Höfler eine Überprüfung anordnete. Es kann auch ledig­lich vermutet werden, dass dies auch noch im Folgejahr geschah.

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Subalternen, die Jerusalem sehr wichtig war, konterkarierte. Und hierin liegt auch der eigent­liche Grund, warum der Konflikt ­zwischen Jerusalem und Höfler zwar nicht ausschließ­lich, aber doch vor allem um die Schriftvervielfältigung kreiste. Denn 1.) war Jerusalem, dem die einfache Schreibarbeit verhasst war, gerade an ­diesem Punkt besonders angreifbar. Den Konflikt bedingte 2.) die Tatsache, dass die Schriftvervielfältigung in der Diktatur die Hauptaufgabe der Sekretäre war. Dementsprechend weitreichend war der Schritt Jerusalems im November 1771, den Besuch der Diktatur zu verweigern. Zu einer derartigen Eskala­tion kam es im März/April 1772 nicht mehr, da 3.) Jerusalem erkannte, eine Grenzlinie überschritten zu haben – eine Grenzlinie, die keineswegs natür­lich war. Denn vieles deutet darauf hin, dass vor der Visita­tion kaum jemandem bewusst war, dass die Sekretäre in der Beschriftung unzähliger Ballen Papier ihre beruf­liche Bestimmung fanden. Damit bleibt 4.) auch im Hinblick auf die Aussage Kestners zu fragen, warum die Schreibarbeit der Visita­tion so ungeahnt leidvoll war. Die Schriftaufwertungsthese dieser Studie scheint hier eine Bestätigung zu finden, zumal 5.) zu bedenken ist, dass die Sekretäre ‚nur‘ für den wichtigsten Teil der Schriftproduk­tion, näm­ lich die Verschrift­lichung der in der Diktatur verlesenen Schriftstücke, zuständig waren. Daneben schrieben immer auch die Kanzlisten und Kopisten. Deut­lich ist hierbei, dass ein Großteil des Schriftmaterials doppelt verschrift­licht wurde. Für die Reichsstadt Augsburg ist sogar bekannt, dass die Protokolle und Protokollbeilagen vor der Einsparung der zweiten Schreibkraft nicht nur für den Eigenbedarf der Subdelega­tion und zur Übersendung an die städtische Obrigkeit angefertigt wurden, sondern ein weiteres Mal vor Ort in Augsburg für den evange­lischen Ratsteil abgeschrieben wurden. Es liegt hier also eine dreifache, wenn nicht sogar vierfache Verschrift­lichung vor.437 Eine doppelte Verschrift­lichung ist auch für die Berichte bekannt, so etwa bei der kurbrandenbur­gischen Subdelega­tion.438 Und auch bei der Subdelega­tion von Braunschweig-­Wolfenbüttel war es erforder­lich, die Berichte zweimal anzufertigen.

437 StadtAA RKG 34, Reskript an Stallauer (Entwurf ), Okt. 1770. Wört­lich heißt es: Es werden die Cammergerichts visita­tions acta einmal für den katho­lischen und noch einmal für den evange­lischen Rathstheil abgeschrieben. Diese Formulierung legt nahe, dass die von Wetzlar übersandten Akten zwei weitere Male abgeschrieben wurden, womit eine vierfache Vervielfältigung vorläge. 438 Der Secretarius ist mehrentheils mit Abwartung der öffent­lichen Dictatur, und was dem anhängig ist, desgleichen mit Abschreibung der an Eurer. König­lichen Majestät zu erstattenden Berichte beschäftiget [GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42 Fasz. 55, Reuter an König, 11. Sept. 1770].

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Jerusalem jedoch wurde 6.) die Abschrift der Berichte verwehrt; auch dies übernahmen die untergeordneten Schreibkräfte (Kanzlist oder Kopist). Und selbst die Einsicht in die Berichte verweigerte Höfler, obgleich Jerusalem hoffte, daraus den vorzüg­lichsten Nutzen meines hiesigen Aufenthalts ziehen zu können, wie es, so seine klagenden Worte, bei den übrigen Gesantschafts-­Secretairs üb­lich war.439 Jerusalem wollte also 7.) ebenso wie die anderen Sekretäre Nutzen aus dem Wetzlarer Aufenthalt ziehen. Dies war jedoch mit der monotonen Diktaturarbeit nicht zu erreichen. Ausgehend von der leidvollen Schreiberfahrung Kestners und Jerusalems lässt sich vielmehr sagen, dass die Schreibarbeit in der Diktatur bestenfalls als eine zu erfüllende Pflichtaufgabe angesehen wurde. Lebens- und Arbeitssinn spendete demgegenüber die Mög­lichkeit, die Arbeitspraxis einer reichsständischen Kommission kennenzulernen, und zwar jenseits der Diktatur- und sonstigen Schreibarbeit.440 Viele Sekretäre nutzten ihren Aufenthalt in Wetzlar dazu, sich mit dem Kameralprozess vertraut zu machen, indem sie eine Art Praktikum absolvierten, wie mit Kestner noch zu zeigen sein wird. Jerusalem jedoch musste ungewollt auf all dies verzichten, obgleich im November 1771 Höfler dazu angehalten wurde, den Sekretär „um des Herzogs und des Vaterlands willen […] mit dem kammergericht­lichen Prozeß und dem Reichsrecht näher beschäftigen“ zu lassen.441 Und auch im März 1772 wurde Höfler vergeb­lich dazu ermahnt, Jerusalem wie einen Assessor der fürst­lichen Justizkanzlei zu behandeln, der die Wetzlarer Angelegenheiten dazu n ­ utzen solle, sich für den Fürstendienst 442 weiter zu qualifizieren. Jerusalem wiederum wurde gleichfalls im März 1772 dazu aufgefordert, seine Aufgaben mit größerem Fleiß zu erledigen und „‚alle gebühr­liche Achtung und Folgsamkeit zu bezeigen‘“.443 Der Sekretär reagierte darauf mit dem bereits angeführten Antwortschreiben, in dem er sämt­liche von Höfler erhobenen Vorwürfe zurückwies.444 Ansonsten aber blieb scheinbar alles beim Alten. Höfler beschwerte

439 Jerusalem an Herzog Karl, Wetzlar 8. April 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 74 – 76, hier S. 75. 4 40 In d ­ iesem Sinne beklagte sich Jerusalem noch im Juni 1772 darüber, dass Höfler ihm alles entzöge, indem er weder Acten noch Berichte zu sehen bekommen könnte [ Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 27. Juni 1772, nach: Ebd., S. 78 f., hier S. 79]. 4 41 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 139. 4 42 Ebd., S. 144. 4 43 Ebd. 4 44 Jerusalem an Herzog Karl, Wetzlar 8. April 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S.  74 – 76.

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sich über Jerusalem, begehrte dessen Ablösung 445 und nutzte auch fortan scheinbar jede Gelegenheit, ihn zu erniedrigen. Die elendste[n] Schicane[n]446 gingen schließ­lich so weit, dass der Sekretär sich darum bemühte, Wetzlar zu verlassen. Einer Rückkehr nach Braunschweig bzw. Wolfenbüttel stand er dabei verhalten gegenüber, da er glaubte, durch die Wetzlarer Vorkommnisse seinen guten Ruf verloren zu haben.447 Umso bemühter war sein Vater, andernorts eine – dies war entscheidend – bezahlte Stelle für seinen Sohn zu finden. Denn wie er selbst in einem Bewerbungsschreiben für seinen Sohn eingestehen musste, hatte er bereits einmal, vor der Anstellung seines Sohnes in der Wolfenbütteler Kanzlei, eine angebotene, aber unbezahlte Stelle ablehnen müssen, da er ihn zu unterhalten nicht vermögend war.448 Wie schwierig es sein konnte, eine ausreichend besoldete Anstellung für einen aufstrebenden Jungjuristen wie Jerusalem zu bekommen, verdeut­licht die Tatsache, dass sein Vater in eben ­diesem Schreiben von der Menge von so v­ ielen jungen Männern spricht, die noch ohne Gehalt arbeiten.449 Mit Ernüchterung stellte auch Jerusalem jun. selbst fest, dass eine anvisierte Anstellung in Kursachsen wohl deshalb fehlschlug, da hier der Geldmangel […] ganz unbeschreib­lich seyn solle. Deshalb bat er in eben d­ iesem Schreiben seinen Vater darum, sich in Berlin nach einer Anstellung umzuhören. Denn Sie haben ja auch da, wenn ich nicht irre, Freunde im ministerio.450 Das freundschaft­liche und sonstige Netzwerk von Jerusalem sen. reichte jedoch nicht aus, um Jerusalem jun. von dem leidigen Dasein in Wetzlar zu erlösen. Noch am 31. August 1772 bat Jerusalem sen. einen Gesandten am Wiener Hof um eine besoldete Stelle. Er sprach sogar offen von den Vorgängen in Wetzlar, tadelte Höfler als den niederträchtigsten und boshaftesten Mann und lobte seinen Sohn als einen Menschen, der anhaltend arbeitsam, aufgeweckt, [...] discret, zuverlässig und tugendhaft sei.451 All dies brachte jedoch keinen Erfolg. Jerusalem bekam keine Stelle angeboten und musste in Wetzlar 4 45 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 144. 4 46 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 12. April/Mai1772, nach: Kaulitz-­Niedeck, Goethe und Jerusalem (1908), S. 74 – 76, hier S. 76. 4 47 Ebd., S. 75. 448 Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem an Johann Ludwig von Wallmoden-­Gimborn, Braunschweig 31. Aug. 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 82 – 86, hier S. 82. 4 49 Ebd. 450 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 27. Juni 1772, nach: Ebd., S. 78 f., hier S. 78. 451 Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem an Johann Ludwig von Wallmoden-­Gimborn, Braunschweig 31. Aug. 1772, nach: Ebd., S. 82 – 86.

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bleiben – eine Stadt, die er am 18. Juli 1772 und damit nach mehreren gescheiterten Bewerbungsversuchen als Stätte der Pein bezeichnete. Statt jedoch Höfler und der sinnentleerten Schreibarbeit, die – dies sei nur angemerkt – von der seit Mai 1772 andauernden Verfahrensunterbrechung unberührt blieb,452 entfliehen zu können, musste er sich auch fortan nolens volens mit der leidvollen Gesamtsitua­ tion arrangieren. Es wäre natür­lich zu einfach, ausgehend von dieser Situa­tion einen linearen Weg hin zum Selbstmord am 30. Oktober 1772 zu ziehen, zumal von den letzten Lebenswochen Jerusalems wenig bekannt ist.453 Unbestreitbar ist jedoch, dass Jerusalem der Aufenthalt in Wetzlar verhasst war und dies im Zusammenspiel mit der unerwiderten Liebe zu Frau Herd den entscheidenden lebenswelt­lichen Hintergrund bildete, mit dem sich der Sekretär selbst tötete. Das leidvolle Dasein in Wetzlar wiederum nährte sich aus ganz verschiedenen Quellen. Mit Gloël lässt sich der „dort herrschende steife Ton anführen, die Unmög­lichkeit, sich juristisch weiter zu bilden, da ihm die Akten verschlossen waren, die geistes­ tötende Arbeit, die ungerechte, unwürdige Behandlung durch den Gesandten, die ihm sicher scheinende Ungnade seines Fürsten, die Gefährdung seiner ganzen Laufbahn, das vergeb­liche Suchen nach einer anderen Stelle, der Mangel eines Freundes, dem er sich ganz anvertrauen konnte“.454 All dies lässt erahnen, wie schwer es für Jerusalem war, seinen Lebens- und Arbeitsalltag in der Stätte der Pein oder eben der Stätte der Visita­tion zu bestreiten. Sein Selbstmord war somit zwar singulär-­radikal; kein anderer Sekretär hat sich in den Jahren der Visita­tion selbst getötet. Die Selbsttötung geschah jedoch in einem Lebens- und Arbeitsumfeld, das sich Jerusalem mit anderen Sekretären teilte, zumindest was die Schreibarbeit betraf. Und auch die Suche nach freundschaft­licher und liebender Nähe zu anderen Menschen war gewiss kein spezifisches Begehren von Jerusalem. In d­ iesem Sinne lässt sich sagen, dass das Schicksal Jerusalems zugleich das Schicksal vieler anderer Sekretäre war. Kestner, der in Wetzlar seine Lebensliebe fand, wird dies verdeut­lichen.

452 Siehe hierzu D.5.2. Noch am 29. Okt. 1772 lässt Sekretär Herd Jerusalem mitteilen, dass sie keine weiteren Nachrichten bezüg­lich des Vorfalls mit seiner Frau austauschen ­müssen, denn sie sähen sich ja alle Tage auf der Dictatur [StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1, fol. 25v, Bericht Kestner vom 2. Nov. 1772]. 453 Schrader, Höfler. Das Urbild des Gesandten in Goethes Werther (1952), S. 150. 454 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 227.

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C.2.2.3 Lieben, arbeiten, lernen: Johann Christian Kestner Dies Verlangen, mein Lottgen zu sehen [...], beflügelte meine Hand.455

Kestner ging nach Wetzlar, um zu lernen. Schon in seiner Bewerbung heißt es, dass er die bremische Sekretärsstelle antreten wolle, um sich von dem Cameral-­ Proceß in der Nähe zu unterrichten. Aus ­diesem Grund bat er darum, auf meine Person gnädige reflexion zu nehmen.456 Dies taten die Räte dergestalt, dass sie ihrem König, nachdem – wie dargelegt – Falcke von seinem Recht, die Subalternen zu ernennen, keinen Gebrauch gemacht hatte, vorschlugen, Kestner als Sekretär zu bestimmen, und zwar nur deswillen, weil sich solcher der Advocatur widmen und diese Gelegenheit anwenden will, um den Reichs Proceß zu erlernen.457 Der König war mit ­diesem Vorschlag einverstanden,458 worauf am 30. April 1767 Kestner mitgeteilt wurde, er werde zum Sekretär ernannt und könne die Gelegenheit ­nutzen, den Reichsprozess zu erlernen, allerdings mit der einschränkenden Bemerkung, dass er keinen Anspruch auf eine feste Sekretariatsstelle habe.459 Mit dieser Mitteilung begann für den 25-jährigen Kestner ein neues Leben. Es war der Start in ein Berufsleben, an dem der junge Jurist lange Zeit gezweifelt hatte, obgleich oder auch gerade weil der Berufsweg von Geburt an vorgegeben war. Kestner entstammte einer Familie, die seit drei Genera­tionen zur juristischen Funk­tionselite ihrer Zeit zählte. Ursprüng­lich aus der Oberlausitz kommend, ging Johann Hermann Kestner (1700 – 1772), der Vater Johann Christian Kestners und Sohn eines gräf­lich-­lippischen Vogtes, vermut­lich um 1728 nach Hannover, um dort eine Stelle als Geheimer Kanzlist anzutreten. Als solcher gehörte er zur bürger­lichen Beamtenelite und seine Familie zum kurbraunschwei­gischen Staats­ patriziat, was womög­lich Johann Christians Bewerbung für die Sekretariatsstelle zugutekam.460 Johann Christian konnte also an die Familientradi­tion anknüpfen und diese auch fortsetzen, indem er nach seiner Tätigkeit als Visita­tionssekretär zunächst, im Juni 1773,461 eine feste Anstellung im Calenberger Archiv und 1775

4 55 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1, fol. 5v, Notizen zum 19. Aug. 1772. 456 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Bewerbung Kestner, Hannover 5. März 1767. 457 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Räte an König 7. April 1767. 458 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, König an Räte 17. April 1767. 459 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, Räte an Kestner 30. April 1767. 4 60 Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 31 f. 4 61 Die feste Archivstelle erhielt er bereits im März 1773, was auch die Voraussetzung für die Heirat mit Charlotte Buff war [Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 26

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eine Stelle als Archivsekretär antrat, bevor er 1785 zum Archivrat und 1795 zum Hof- und Kanzleirat und Vizearchivar ernannt wurde.462 Zudem entsprangen der „denkbar glück­lichsten Ehe“ mit Charlotte Buff (seit April 1773) zwölf Kinder, die allesamt bis auf eine mit zwölf Jahren verstorbene Tochter „zu tüchtigen Menschen“ heranwuchsen.463 Fünf Söhne konnten dabei als Funk­tionsträger des Kurfürstentums den genera­tionenlangen Aufstieg der Familie fortsetzen.464 Kestners Herkunft sowie seine Nachkarriere lassen also vermuten, dass es sich hier um ein für die Visita­tionsakteure typisches Sozialisierungs-, Ausbildungsund Karriereprofil handelt. Dank den Arbeiten von Alfred Schröcker 465 lässt sich jedoch festhalten, dass Kestner großen Zweifel hatte, „gemäß der Familientradi­tion Jura [zu] studieren und eine Stelle in der hannoverschen Verwaltung an[zu]streben“.466 Er war vielmehr der Dichtung und der Geschichte zugeneigt. Angetrieben von einer Entdeckungs- und Reiselust träumte er gar, Hofmeister und Erzieher zu sein – ein Beruf, der weitaus mehr Bewegungs- und geistige Entfaltungsmög­ lichkeiten geboten hätte als der Fürstendienst.467 Umso schwerer fiel es Kestner, als er im Oktober 1762 anfing, die Jurisprudenz zu studieren, die für ihn ledig­ lich eine Brotwissenschaft war, wie er selber sagte.468 Die „soziale[…] Notwendigkeit“469 erzwang es jedoch, sich mit der, so ebenfalls Kestner, Trockenheit der Rechts­gelehrsamkeit auseinanderzusetzen.470 Das Bemühen, sich mit dem juristischen Brotstudium zu arrangieren, konnte über den Zweifel nicht hinwegtäuschen. Im Januar 1765 schrieb er: O du verwirrtes, dunkles, trockenes Geschmiere der Juristerei, warum bis du doch so boshaft, dass man dir die ganzen [...] edlen Stunden widmen muss, um dich zu verstehen und dich ins Gedächtnis zu fassen! 471 Kestner geriet in eine Lebens- und Sinnkrise, die sich verstärkte, als am 8. Februar 1765 sein geliebter älterer Bruder Otto verstarb. u. Anm. 122]. Aus Wetzlar reiste Kestner aber erst im Juni 1773 ab [Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 145]. 4 62 Thielen, Kestner (2009). 4 63 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 145 u. S. 147 f. 4 64 Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 32. 4 65 Neben der Biographie ist auch auf das edierte und kommentierte Kurtagebuch aus dem Jahr 1765 zu verweisen [Kurtagebuch Kestner, hg. v. Schröcker (1765/2009)]. 2007 erschien zudem eine hier nicht weiter berücksichtige Sammlung an Gedichten. 4 66 Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 94. 4 67 Ebd., S. 109 f. 4 68 Notiz vom 3. April 1765, zitiert nach ebd., S. 113. 4 69 Ebd., S. 442. 470 Notiz vom 27. Febr. 1766, zitiert nach ebd., S. 427. 471 Notiz vom 31. Jan. 1765, zitiert nach ebd., S. 429.

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Als im April diesen Jahres noch eine schwere Mittelohrentzündung hinzukam, unterbrach er ein Studium, das er nie wieder aufnehmen und beenden sollte.472 Nach fünf Semestern wandte sich Kestner also von der Jurisprudenz ab, um sich schließ­lich doch noch für sie zu entscheiden. Denn noch im selben Jahr, nach einer intensiven Phase der Eigenbesinnung, zu der auch eine mehrwöchige Trink- und Badekur zählte,473 begann Kestner unter Anleitung eines Mentors, der ihm auch zur Bewerbung auf die Sekretariatsstelle geraten hatte,474 ein privates Rechtsstudium, und zwar in Hannover in der vertrauten Umgebung des Elternhauses.475 Damit einher ging im Sinne der Familientradi­tion die Entscheidung für einen juristisch orientierten Beruf, allerdings nicht aus Berufung, „sondern in dem Bestreben, einen mög­lichst guten Lebensunterhalt zu finden“.476 Sehr vielsagend sind die antiken Lebensweisheiten, die sich Kestner im Mai 1766 und damit genau ein Jahr vor Beginn der Visita­tion notierte. Sie lauten in Übersetzung nach Schröcker: Halte durch und sei hart! Dieser Schmerz wird dir einst nützen sowie Durch Schweres, nicht durch Leichtes magst du sanfter fortkommen.477 Diese Aussprüche können als Arbeits- und Lernmaximen begriffen werden, denen Kestner gerade in den Jahren der Visita­tion folgte. Denn das in der Bewerbung genannte und von der geldgebenden Obrigkeit genehmigte Vorhaben, den Reichsprozess vor Ort zu studieren, nahm der Visita­tionssekretär Kestner sehr ernst. Zusammen mit anderen ‚Wissbegierigen‘ besuchte er eifrig Prokurator Peter Franz Noel,478 der ein Collegium über den Reichs Cammer Gerichrs Proceß abhielt.479 Daneben suchte und fand der Visita­tionssekretär die Nähe zu den Assessoren. So traf er sich mit dem kurbrandenbur­gischen Assessor Johann Ulrich von Cramer (1765 – 1772)480 auf dessen Studier Zimmer, um über Deduk­tionen und einen Aktenextrakt zu reden, der beynah 3 Finger dick starck war.481 Dieser Besuch in der Schreibstube eines Assessors war ein klas­sischer, aber dennoch sehr privilegierter Bestandteil eines Praktikums am RKG. Einen noch engeren

472 Ebd., S. 427. 473 Kurtagebuch Kestner, hg. v. Schröcker (1765/2009). 474 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 5. 475 Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 121. 476 Ebd., S. 122. 477 Notiz vom 13. Mai 1766, zitiert nach ebd., S. 601 (Anm. 290). 478 Klass, Karrieren der Wetzlarer Anwälte (2002), S. 310. 479 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 5, Rückblickende Schilderung des Wetzlarer Aufenthaltes. 480 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 65. 481 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1 fol. 115, 4. Febr. 1770.

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Kontakt pflegte Kestner zu Assessor Bürgel jun. Der kurbraunschwei­gische Assessor (1765 – 1780; geb. 1731) war über seine 1757 geheiratete Frau Henriette Friederike Sophie von Gemmingen-­Guttenberg-­Bonfeld bestens vernetzt mit der regierenden Aristokratie von Kurbraunschweig. Daneben war Bürgel jun. – sein Vater war gleichfalls Assessor von 1738 bis 1781482– Mitglied des Familienverbandes Frantz/ Fleckenbügel (genannt Bürgel)/Gemmingen, „aus dem innerhalb von drei Genera­ tionen besonders viele RKG -Assessoren hervorgingen“.483 In eben diese Kreise hatte Kestner einen exklusiven Zugang. Die Familie Bürgel jun. erwies ihm sogar ein besonderes Vertrauen. Warum und wie ich [Kestner; A. D.] dazugekommen, das weiß ich selbst nicht.484 Das Vertrauensverhältnis bringt besonders gut zum Ausdruck, dass Kestner im Sommer 1770 nach Rodheim in die Grafschaft Hanau eingeladen wurde. Dort verbrachte der Assessor mit seiner Frau und einzigen Tochter alljähr­lich die Sommerferien, um das Berufsleben hinter sich zu lassen.485 Dieser rund einwöchige Sommeraufenthalt bei der Familie Bürgel jun. verdeut­ licht, dass beide, Visita­tionssekretär und Assessor, ihre Urlaubs- und Freizeit miteinander teilten. Aber auch ansonsten waren sie auch und gerade in der Arbeit vereint. In Wetzlar sprachen sie über laufende Senatsberatungen,486 die Transloka­ tion,487 den Bescheidtisch 488 oder weitläuftig über die Visita­tion.489 Überdies und ungeachtet der Tatsache, dass Kestner Kritik an den sollicitierenden Visitatoren übte,490 war der Sekretär einmal selbst darum bemüht, einen Fall, der eine gewisse Frau Beringsen aus Hannover betraf, zu beschleunigen.491 Neben Bürgel jun. verkehrte Kestner häufiger bei Prokurator Ludolf sen., wo einst Falcke während seiner Praktikantenzeit gewohnt hatte.492 Nun ging hier dessen Visita­tionssekretär ein und aus, redete mit Ludolf über Parteischriften,493 über Johann Jacob Moser 494 oder eine von Kestner verfasste kleine Abhandlung über den

4 82 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 99. 483 Ebd., Biogr. 43, S. 430. Zu dessen Vernetzung in Kurbraunschweig S. 432 f. 484 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1 fol. 141. 485 Ebd. fol.  140 – 159. 486 Ebd. fol. 109, 28. Jan. 1770 u. fol. 131, 25. Febr. 1770. 487 Ebd. fol. 37, April/Mai 1768. 488 Ebd. fol. 214v, 15. Aug. 1771. 489 Ebd. fol. 109, 28. Jan. 1770. 490 Siehe zur Sollicitatur E.3.2. 491 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1 fol. 160, 20. Aug. 1770. 492 Siehe S. 224. 493 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1 fol. 124, 8. Febr. 1770. 494 Ebd. fol. 126, 18. Febr. 1770.

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Kameralprozess.495 Es kam auch mal vor, dass Kestner beynah 2 Stunden bei Ludolf war.496 Der Prokurator organisierte zudem einmal eine Führung durch die Leserei, die Kanzlei sowie die Senatsstuben.497 Damit aber nicht genug. Wie sehr Kestners Aufenthalt in Wetzlar um das (räum­liche) Erleben und Erlernen des RKG kreiste, unterstreicht die Tatsache, dass er eine so genannte Gelehrtensozietät gründete. Diese Gesellschaft guter Freunde, der – so zumindest der Organisa­tionsplan – vier weitere Visita­tionssekretäre angehörten,498 war gleichsam ein Justiz-­Collegium, in dem über Rechtssachen votiert und concludiert werden sollte. Ziel war es, nicht recht gelehrt zu erscheinen, sondern sich zu üben.499 Die Übung fand auf Anraten Falckes statt, der einmal in einem abend­lichen Gespräch Kestner mitteilte, dass er damit gute Erfahrungen gemacht hätte, als er seinerseits ein Praktikum beim RKG absolvierte.500 Die Tatsache, dass sich der ehemalige RKG-Praktikant Falcke und der nunmehrige RKG-Praktikant Kestner über derartige Dinge bei einem abend­lichen Treffen unterhielten, ist bemerkenswert. Zum einen zeigt sich, wie unterschied­lich sich die Binnenstruktur einer Subdelega­tion gestalten konnte, wenn man demgegenüber bedenkt, dass Jerusalem von Januar bis Mai 1772 höchstens viermal bei Höfler war.501 Zum anderen ist deut­lich, dass Falcke Kestner bei seinem Vorhaben, den Kameralprozess zu erlernen, unterstützte. Zwar trafen sich beide auch regelmäßig, um wie gewöhn­lich über Visita­tionsangelegenheiten zu sprechen.502 Dessen ungeachtet war Falcke darum bemüht, seinen Sekretär dabei zu helfen, ein in Reichsgerichts Sachen [...] erfahrener und geübter Mann zu werden.503 Bei all diesen ‚Lernmeistern‘ (Falcke, Bürgel jun., Cramer, Noel, Ludolf sen.), der Gründung einer Lern- und Arbeitsgruppe (Gelehrtensozietät) sowie der Tatsache, dass Kestner überdies franzö­sischen und eng­lischen Sprachunterricht nahm,504 drängt sich natür­lich die Frage auf, wie all dies mög­lich war. Wie war es mög­lich, ein Quasipraktikum beim RKG zu absolvieren 495 Ebd. fol. 108, 25. Jan. 1770. 496 Ebd. fol. 78v, März 1769. 497 Ebd. fol. 178, 180 u. 181, 31. Mai 1772. 498 Jan, Kerckering, Langen und Sonntag. Da nur der Organisa­tionsplan vorliegt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, wer der Sozietät angehörte und was man wirk­licht tat. Die sehr konkreten Pläne sowie der Lehranspruch der Visita­tionssekretäre erlauben es jedoch zu vermuten, dass das Projekt verwirk­licht wurde. 499 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 4 fol. 16 f., undatiert. 500 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1 fol. 48., [ Juni 1768]. 501 Jerusalem an Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wetzlar 5. Mai 1772, nach: Paulin, Wilhelm Jerusalem (1999), S. 77 f., hier S. 78. 502 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1 fol. 8, 20. Aug. 1772. 503 Ebd., Mappe 5, Rückblickende Schilderung des Wetzlarer Aufenthaltes. 504 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 142.

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und zugleich die visita­tionsbedingten Schreib- und Aktenarbeiten, die nach den bisherigen Befunden scheinbar unbegrenzt mühevoll waren, zu erledigen? Durch die strukturellen Verschränkungen konnten sich das Quasipraktikum und die Visita­tionsarbeit auch ergänzen und, wie die Causa Kestner zeigt, kreiste der Lebens-, Arbeits- und Schreiballtag mancher oder auch einiger Sekretäre keineswegs nur um die Visitation.505 Folgt man der Selbsteinschätzung Kestners, dann war dies nur mög­lich durch Ehrgeiz und Fleiß. Denn die meisten von uns hatten, so Kestner, bald so viel Beschäftigungen in unserm Amt, daß wir leicht in die Versuchung kommen konnten, es dabey [der bisherigen Erlernung des Kameralprozesses; A. D.] bewenden zu lassen. Dies war auch bei einigen der Fall, die, obgleich sie teils sehr gute und vorzüg­liche Köpfe waren, im Vergnügen ihre Erholung suchten. Daneben gab es nach Kestner auch Sekretäre, die bloß ihren [...] Unterhalt suchten und sich damit zufrieden gaben, die Feder zu führen.506 Mit diesen Worten hat Kestner insgesamt drei Sekretärsgruppen umschrieben. 1.) gab es diejenigen, die nur ihrem Vergnügen nachzugehen507 suchten. Dann 2.) ­solche, die nur des Geldes wegen die Schreib- und sonstigen sekretärsbedingten Arbeiten erledigten. Dies traf auch auf Kestner insofern zu, dass er sich, ungeachtet der bestehenden Zweifel, grundsätz­lich für ein Brotstudium und für einen Brotberuf entschieden hatte. Allerdings ist hier zu unterscheiden z­ wischen Kestners Tätigkeit als Visita­tionssekretär und jener Tätigkeit, die er nach der Visita­tion anstrebte. Denn es lässt sich 3.) mit Kestner eine dritte Sekretärsgruppe ausmachen, der es nicht ausreichte, ‚ledig­lich‘ Visita­tionssekretär zu sein. Sie wollten vielmehr, allen Mühsalen zum Trotz, ihren Aufenthalt in Wetzlar auch dazu ­nutzen, sich durch die praktische Erlernung des Reichsprozesses weiterzubilden. Es ging also darum, jenen Weg zu bestreiten, den viele territoriale oder reichsstädtische Funk­ tionsträger und damit auch einige Visitatoren bereits gegangen waren, indem sie nach dem Studium der Jurisprudenz ein Praktikum am RKG absolvierten, um ihr Qualifika­tionsprofil zu schärfen und ihre Karriere zu befördern. Visitatoren wie Falcke waren dabei der lebendige und alltäg­lich vor Augen geführte Beweis, dass die praktische Kenntnis des Kameralprozesses zum beruf­l ichen Erfolg führen konnte. Bei Kestner ist allerdings gesondert in Rechnung zu stellen, dass er das Jurastudium nicht abgeschlossen hatte. Das Quasipraktikum ermög­lichte es ihm, das 505 Eine präzisere Angabe ist angesichts der Vielzahl an weitgehend unbekannten Sekretären nicht mög­lich. 506 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 5, Rückblickende Schilderung des Wetzlarer Aufenthaltes. 507 Ebd.

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Ausbildungsdefizit zumindest ein Stück weit zu kompensieren. Zudem befand sich Kestner und mit ihm die meisten Sekretäre in einer beruf­lichen Orientierungsphase, die zwangsläufig von Unsicherheiten geprägt war. Denn mit Beginn der Visita­tion durfte jedem oder eben dem einen mehr (Sekretärsgruppe 3) und dem anderen weniger (Sekretärsgruppe 1 und 2) klar gewesen sein, dass die Stelle als Visita­tionssekretär nur eine Stelle auf Zeit war. Wie ungewiss die beruf­liche Zukunft war, verdeut­licht gleichfalls Kestner, dem, wie erwähnt, bei seiner Einstellung mitgeteilt wurde, er habe weder jetzo noch künftig ein Recht zu einem Secretariate.508 Anders jedoch bei Jerusalem. Er kam mit der Zusage oder zumindest mit der Aussicht auf eine Hofratsstelle nach Wetzlar. Dies war weitaus mehr als bei Kestner. Beide, Jerusalem und Kestner, hatten also eine jeweils andere beruf­l iche Perspektive. Damit relativiert sich der dargelegte Befund, die meisten Sekretäre wären in den Hof-, Verwaltungs- oder Gerichtsapparat der jeweiligen Obrigkeiten eingebunden gewesen. Die ungewisse berufliche Zukunft beeinflusste vielmehr das Handeln mancher Sekretäre und wohl auch mancher Visitatoren nachhaltig, wie im Folgenden dargelegt werden kann. Zu denken ist zunächst an Jerusalem, welcher der Stätte der Pein nicht entkam, weil es ihm und auf tra­gische Weise auch seinem Vater nicht gelang, eine alternative Anstellung zu finden. Die Problematik gewann dadurch an Schärfe, da eine schlechte Berufsaussicht bestand, obgleich die Visita­tion in erster Linie Lebens- und Berufsperspektiven eröffnete. Ein finanzielles Auskommen war jedoch unerläss­lich, um (standesgemäß) leben zu können. Dies traf auch auf Kestner zu. Denn seine Entscheidung für einen perspektivreichen, aber eben ungeliebten juristisch geprägten Ausbildungs- und Berufsweg gründete in erster Linie darauf, nach Existenzsicherung zu suchen – eine Sicherung, die, dies ist ein wichtiger Punkt, in der sich formierenden bürger­lichen Gesellschaft vor allem über Leistung zu erarbeiten war. Darüber hinaus hing von dem Ein- und Auskommen in der Regel auch das Ehe- und Familienleben ab. So konnte Kestner Charlotte Buff „erst mit der festen Anstellung 1773“ heiraten.509 Nimmt man die Orientierungsphase der Jungjuristen mit all ihren Unsicherheiten, aber auch lebenswelt­lichen Entfaltungsmög­lichkeiten diesseits und ­jenseits der Jurisprudenz ernst (es sei an den schauspielernden Sekretär Pauli erinnert), dann lässt sich vielleicht auch besser verstehen, warum es nach Kestner eine Sekretärsgruppe gab, die sich vor allem vergnügte. Denn in Wetzlar hatten viele Sekretäre wohl letztmalig die Mög­lichkeit, gelöst von den Chancen und

508 HStA-Han. Cal. Br. 11 4195, König an Räte 17. April 1767. 509 Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 26.

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Zwängen des kommenden Berufslebens ein unbeschwert-­vergnügtes, gleichsam schwereloses Leben zu führen, und zwar auch und gerade in puncto Liebesleben und Alkoholkonsum. Der Lebens- und Arbeitsanspruch der Sekretärsgruppe 3510 bedingte hingegen, dass sich die Tage sehr dicht gestalteten. Wenn hier nun beispielhaft für Kestner ein Augusttag des Jahres 1772 beschrieben wird, dann ist zu beachten, dass zu ­diesem Zeitpunkt Charlotte Buff bereits ein fester Bestandteil seines Lebens war. Der Ausgangspunkt war, dass das Haus der ­Familie Buff 511 im gesellschaft­lichen Leben Wetzlars eine besondere Rolle gespielt hat. Denn das dort „herrschende Glück und Behagen“, das vor allem von der „Seele des Hauses“, Magdalena Ernestine Buff, der ­Mutter Charlottes (1731 – 1770), und schließ­lich von Lotte selbst ausging,512 zog viele Menschen an.513 „Friede, Gast­lichkeit, angenehme Unterhaltung, ‚Unschuld, Heiterkeit, Ordnung und Mäßigkeit ohne über den Stand sich erhebende Pracht‘“514 und damit die Mög­ lichkeit, sinnvolle Momente der bürger­lichen Geselligkeit zu finden, führten konkret dazu, dass hier gleichermaßen Visitatoren, Assessoren, Prokuratoren und Visita­tionssekretäre ein- und ausgingen. Sekretär Gotter nannte Frau Buff sogar „‚Mama‘ und fühlte sich fast als Sohn des Hauses“.515 Und Kestner? Er gewann „die zweite Tochter des Hauses“, die 15-jährige Charlotte, die eines von insgesamt 16 Kindern war, „schon 1767 lieb“ und bat im Januar des Folgejahres die Eltern und im April 1768 schließ­lich Lotte selbst, „zu dem ewigen Besitze ihres unschätzbaren Herzens zu gelangen“.516 Der 19. August 1772 war also für Kestner ein ganz normaler Tag voll Liebe, Arbeit und Momenten des weiterqualifizierenden Lernens. Er begann damit, dass Kestner nach Gießen wollte, um Lotte abzuholen, die sich dort aufhielt. Da jedoch kein Wagen zur Verfügung stand, verschob er d­ ieses Vorhaben nolens volens auf den nächsten Tag. Um 9 Uhr in der Früh bekam ich 20 zu schreiben, was wohl 20

510 Die Kategorisierung und Pauschalisierung von Kestner kann in dem Bewusstsein der vorstehenden Anmerkungen weiter verwendet werden. Bei den Sekretärsgruppen handelt es sich also um simplifizierende Idealtypen. 511 Es handelt sich um den Deutschordenshof; Heinrich Adam Buff, der Vater Lottes (1711 – 1795), war Amtmann des Deutschen Ordens. 512 Nach dem Tod ihrer M ­ utter – sie verstarb bei der Geburt ihres 16. Kindes – trat die zu ­diesem Zeitpunkt „siebzehnjährige Charlotte wie selbstverständ­lich an ihrer Stelle in die Leitung des elter­lichen Haushalts“ [Schmidt, H., Charlotte Buff (2003), S. 12]. 513 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 126 u. S. 135. 514 Ebd. , S. 132 f. 515 Ebd., S. 134. 516 Ebd., S. 136.

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Seiten Papier waren, die Kestner noch am selben Tag zu expedieren hatte.517 Es ging also darum, im Auftrag Falckes Schriftstücke – aller Wahrschein­lichkeit nach waren es Entwürfe zu einem Bericht – zu einem vollen Konzept auszuarbeiten oder aber bereits vorliegende und genehmigte Konzepte ins Reine zu bringen.518 Mit dieser Arbeit fing Kestner eilig an. Im Staccatostil heißt es weiter: Ging zu Tisch, nach den Gesandten [Falcke; A. D.], nach den Teutschen Hause, nach der Dictatur, der Sprachmeister war bey mir, ich schrieb wieder, Abends kam Besuch,519 dann wieder zum Deutschordenshaus, vermut­lich um etwas zu essen,520 danach wieder schreiben, abends gegen 10 Uhr kam Dr. Goethe von Giessen zu mir. Sie unterhielten sich, danach setzte sich Kestner wieder an den Schreibtisch, bis es schließ­lich heißt: Um 12 Uhr war ich mit der Schreiberey fertig; dies Verlangen mein Lottgen zu sehn und den folgenden Tag, vorzüg­lich frey zu seyn, beflügelte meine Hand und die Bereitschaft, am Folgetag, nach nur vier Stunden Schlaf, aufzustehen und gegen 5 Uhr zu Lotte zu reiten.521 Dieser 19. August 1772 kann als ein durchschnitt­licher Arbeitstag Kestners begriffen werden. Allerdings handelt es sich um keinen Posttag, ­welche, wie dargelegt, den Verlauf einer Visita­tionswoche nachhaltig prägten.522 Dies bringt gleichfalls Kestner zum Ausdruck. Einer seiner Notizzettel beginnt mit dem Wort Posttag. Danach heißt es: Ich ritt um ½ 6 Uhr spatzieren, um mich zum Posttag vorzubereiten. Der Ausritt dauerte bis 7 Uhr. Wieder zu Hause, schrieb er einen Brief an seine M ­ utter, bevor er nach 9 Uhr […] vom Gesandten zu thun bekam. Einen Franzosen, der ihn besuchen wollte, schickte ich wieder weg.523 Es ist deut­lich: Kestner war ein liebender Mensch, der ein immenses Arbeits­ pensum zu erfüllen hatte. Viele Aufgaben waren ihm, wie er in einem Brief seinem Studienfreund Hennings anvertraute, sehr unangenehm und verdrieß­lich. Deshalb 5 17 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1 fol. 5v, Notizen zum 19. u. 20. Aug. 1772. 518 Expedieren kann beides, die Ausarbeitung eines Konzepts als auch (nach der Genehmigung eines Konzepts) die Anfertigung einer Reinschrift, bedeuten [Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 77 u. S. 81]. 5 19 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1 fol. 5v, Notizen zum 19. u. 20. Aug. 1772. 520 Bei „manchen gastgebenden Familien fanden die unverheirateten Juristen […] einen preisgünstigen Mittagstisch […]. Auch die Frau Amtmännin Buff besserte ihr Haushaltsgeld auf diese Weise auf “ [Schmidt, H., Charlotte Buff (2003), S. 18]. 5 21 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1 fol. 5v, Notizen zum 19. u. 20. Aug. 1772. 522 Siehe hierzu A.2.1. 523 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 1 fol. 1 (undatiert).

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fühlte er sich oftmals als eine Maschine, ­welche sich bewegt, wenn es andere wollen, und so auch stille steht.524 Dieses maschinenartige Arbeiten brachte einen mehrfachen Verzicht mit sich. Zum einen war es nicht mehr mög­lich, die Tages- und Jahreszeiten (Frühling/kühler Morgen/erquickende Dämmerung) zu erleben. Dieser Verzicht war immens, wenn man bedenkt, dass das Erleben der Natur zu den Grundwerten des Bürgertums zählte. Man wollte in der freien Natur „leben, lesen und denken“, sich in Abgrenzung zur Arbeitswelt erholen, sich aber auch eine herrschaftsfreie „Gegenwelt zur ständisch verfaßten Gesellschaft unter der Dominanz des Adels, der Etikette, der Form“ aufbauen.525 Die Sekretärsarbeit schuf demgegenüber eine ungewollte Distanz zur natür­lichen Umgebung, obgleich man bemüht war, dieser Entfremdung gegenzusteuern. Zumindest kann das vorgenannte Ausreiten zu Beginn des Posttages als auch das erwähnte Spazieren­ gehen Jerusalems in d­ iesem Sinne gedeutet werden. Zum anderen fehlte die Zeit, Freundschaften zu pflegen, was gleichfalls, im Angesicht des bürger­lichen Freundschaftskultes, ein großer Verzicht war. Kestner widerlegt natür­lich im Moment der Klage diesen Verzicht, indem er seinem Freund Hennings schrieb. Doch das Verlangen, Freundschaften zu pflegen, war mit ein paar Zeilen nicht zu befriedigen; dies musste auch Jerusalem leidvoll erfahren. Kestner fehlte schließ­lich auch die Zeit für geistreichere Tätigkeiten. Zwar war es mit dem Quasipraktikum mög­lich, sich und seine Seele zu heben sowie sein Ausbildungsprofil zu schärfen; dementsprechend lässt sich auch das Lernen unter Anleitung mehrerer Lehrmeister sowie im Rahmen einer selbstorganisierten Lern- und Arbeitsgruppe (Gelehrtensozietät) als intellektueller Gegenpol zur sinnentleerten Sekretariatsarbeit begreifen. Doch es war eben nicht immer und oftmals auch gar nicht mög­lich, diese und andere Begehr­lichkeiten wie auch die Liebe zu Lotte zu befriedigen – Begehr­lichkeiten, die das Leben eines jungen Menschen bedingte, der sich allen Zweifeln zum Trotz zwar für die Jurisprudenz und die Weiterbildung durch die Erlernung des Reichsprozesses entschieden hatte. Dessen ungeachtet hatte Kestner mit der Anstellung als Visita­tionssekretär nur eine Stelle auf Zeit gefunden. Damit stand er vor einer ungewissen beruf­lichen Zukunft, von der auch das sinnerfüllte Zusammenleben mit der Lebensliebe Lotte abhing. Das Sekretärsleben erschwerte zudem, dass man, so am Ende des zitierten Briefes, aus Pflicht misstrauisch und zurückhaltend sein muss.526 Zunächst einmal ist damit 524 Kestner an Johann Georg Jacobi, 7. Nov. 1774, zitiert nach Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 601 (Anm. 297). 525 Maurer, Biographie des Bürgers (1996), S. 278 – 289, Zitate S. 278 u. S. 288 f. 526 Kestner an Johann Georg Jacobi, 7. Nov. 1774, zitiert nach Schröcker, Kestner. Der Eigendenker (2011), S. 602 (Fortsetzung Anm. 297).

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angesprochen, dass die Sekretäre zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Dies bedingte einerseits die Tatsache, dass sie durch den Besuch der Diktatur einen exklusiven Zugriff auf die Visita­tionsprotokolle hatten. Andererseits hatten die Sekretäre mal mehr (Kestner), mal weniger ( Jerusalem) exklusive Einblicke in die (Schreib-)Arbeit der Visitatoren. Die Pflicht, misstrauisch und zurückhaltend zu sein, verweist aber noch auf ein weiteres. Denn allgemein verstand Kestner die visita­tionsbedingte Arbeit als eine Pflichtaufgabe, die er zu erfüllen hatte, um seinen wirk­lichen Unterhalt zu verdienen.527 Die Bezahlung war also der entscheidende Grund, warum er die Sekretärsaufgaben pflichtschuldigst erledigte, obgleich diese Arbeit häufig und beschwer­lich war.528 Damit angesprochen ist das bereits behandelte transpersonale Amtsverständnis, das den Weg hin zum modernen Beamtentum entscheidend prägte. Denn eine ordent­liche Besoldung war neben der Versach­lichung und Verrecht­lichung des Dienstverhältnisses ein wichtiges Ziel, das nicht nur aus „übergeordnete[n], staatsräsonal-­sach­liche[n], sondern, wahrschein­lich sogar primär, [aus] beamtenspezifisch s­ oziale[n] Gründe[n] “ angestrebt wurde.529 Genau dies, eine gerechte Entlohnung, die das standesgemäße Leben mit, aber auch neben der Arbeit ermög­lichte, vermisste jedoch Kestner. Er beklagte, dass der Unterhalt nicht die Waage hält mit der unaufhör­lichen Arbeit, ja er schrieb sogar von Sclaverey.530 Diese Kritik hat Kestner nach seiner Tätigkeit als Visita­tionssekretär geäußert, als er in einem verbesserten Dienst- und Besoldungsverhältnis stand, sich wohl einer sinnreicheren Arbeit widmen durfte und auch mit einer gewissen Distanz urteilen konnte. Darüber hinaus räsonierte Kestner über das sklavenähn­liche Dasein als Sekretär auf einem Blatt Papier, dass er aller Wahrschein­lichkeit nach erst nach 1776 beschrieben hatte, um eine Abhandlung über seinen Wetzlarer Aufenthalt zu schreiben. Wohl deshalb hat sich auch ein weiteres Blatt erhalten, auf dem Kestner auf das Aufgabenprofil der Visita­tionssekretäre einging. Dort führte der ehemalige Visita­tionssekretär zunächst zwei Aufgabenbereiche an, die grundsätz­lich bestanden. Dies waren neben der Komplettierung der Akten die Verantwortung dafür, denen allerhöchsten Höfen ­solche [Akten; A. D.] zukommen zu lassen. Aus diesen beiden Hauptaufgaben ergab sich wiederum folgendes Officium Secretarii: 1.) Besuch der Diktatur, 2.) Expedierung des Berichts nach ­Hannover, 3.) Was der Hr. Gesandte [...] für Beschäftigung gibt, 4.) Anschaffung der Schreibmateriale, 5.) Vermehrung der mundierten Visit[a­tions] Stücke bis dahin,

527 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 3 fol. 23 (undatiert). 528 Ebd. 529 Weber, Dienst und Partizipa­tion (1999), S. 111. 530 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 3 fol. 23 (undatiert).

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daß sie eingeschic[ket]werden, 6.) Bemerckung und Anzeigung desjenig[en], was in Publico nütz­liches zu vern[ehmen].531 Punkt 4 und 6 sind Aufgabenbereiche, die nur auf d­ iesem Blatt zu finden sind. Damit bestätigt sich, dass es keinen abgeschlossenen Aufgabenkanon gab, den die Sekretäre zu erfüllen hatten. Die Aufgaben konnten vielmehr von Delega­tion zu Delega­tion, aber auch innerhalb einer Delega­tion etwa in Abhängigkeit von dem Visitator, dem Sekretär oder dem Verfahrensverlauf variieren. Entscheidend für die alltäg­liche Arbeit war auch, ob es neben dem Sekretär eine weitere Schreibkraft gab und mit welcher Arbeits-, aber auch Lebenseinstellung die Subalternen mit-, für-, neben- oder womög­lich auch gegeneinander agierten. Zu denken ist an Höfler, Goué und Jerusalem sowie an die von Kestner beschriebenen drei Sekretärsgruppen, die sich in puncto Arbeitspragmatismus oder Arbeitsminimalismus, ungehemmter Lebensvergnügtheit und (über-)fleißigem Arbeits- und Weiterbildungsanspruch unterschieden. Aber auch die Kanzlisten und anderen schreibenden Mitakteure der Sekretäre hatten entscheidenden Einfluss auf das Arbeitsleben eines Sekretärs, und zwar nicht nur im Sinne der Arbeitserleichterung. Kestner beklagte vielmehr, dass sie einen Kanzlisten gehabt hätten, der nicht gerade zur Absicht hatte, sich todt zu schreiben.532 Ein solches Schreiben mit vollem Arbeits- und Lebenseinsatz war jedoch entscheidend für das Funk­tionieren der Visita­tion. Denn nur so war es mög­lich, jene Massen an Schriftstücken zu beschreiben, die sich bis heute in den verschiedensten Archiven erhalten haben. Die überlieferten Schrift­ stücke stehen somit für eine Schriftproduk­tion, die das Leben der handelnden Akteure und vor allem der vielschreibenden Subalternen entscheidend mitgeprägt hat. Die Massen an Papieren, die in einem nie enden wollenden Schreibkanon beschrieben wurden, waren für viele eine sehr leidvolle Pflichtaufgabe, die bestenfalls keinen Sinn stiftete (Kestner) oder aber schlimmstenfalls den Lebensmut mitzerstörte ( Jerusalem).

531 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 3 fol. 4 (undatiert). Ein Rand dieser Seite ist abgerissen, was die entsprechenden Ergänzungen im Zitat erklärt. 532 StadtA-Han. NL Kestner I. B.2 Tagebuch Teil 2, Mappe 5, Rückblickende Schilderung des Wetzlarer Aufenthaltes.

D. Reformverfahren Gut ist es, daß der v. Goldhagen diesen Saz nur münd­lich angebracht hatte: Dan wo es das Nem­liche ad Protocollum hätte erklären wollen oder noch ferners anbringen würde, so konnte man solches ohne offent­lichen Wiederspruch nicht hingehen laßen [...].1

Münd­lichkeit und Schrift­lichkeit – dies deutet das Eingangszitat an – sind zwei aufeinander bezogene ungleiche Pole der Visita­tion. Während eine münd­liche Äußerung, die nicht schrift­lich fixiert wird, in ihrem Wortlaut unmittelbar und unwiderruf­lich verloren geht, ist das schrift­lich fixierte Wort zwar nicht für die Ewigkeit, aber zumindest so lange gesichert, wie es Tinte, Papier, (papierverwahrende) Menschen und Umwelt zulassen. Das im Zitat angesprochene Protokoll kann dabei als die verbind­lichste Form der Verschrift­lichung begriffen werden, da es, anders als etwa der flüchtig geschriebene Notizzettel oder der zitierte Bericht eines Visitators, die offizielle Sicht der Visita­tion für Kaiser und Reich sowie für die Nachwelt dokumentiert. Diese protokollimmanente Verbind­lichkeit ist der entscheidende Grund dafür, dass die Visitatoren um den Wortlaut der Proto­kolle rangen. Denn mit dem protokollierten Wort wurde eine Verfahrensgeschichte geschrieben, in der sich die Visitatoren verstrickten.2 Verfahren bauen somit eine Eigengeschichte auf, wodurch sie „Kontexte überaus heiklen Handelns“ sind.3 Allerdings, und dies gilt es in Anknüpfung an das Einstiegszitat deut­lich zu machen, war es von entscheidender Bedeutung, ob etwas nur münd­lich oder schrift­lich im Verfahren geäußert wurde. Es geht also, anders ausgedrückt, um die „Herausbildung von Verfahrensmacht, bei der die Festlegung durch Schrift­lichkeit eine wesent­liche Rolle“ spielte.4 Im Rückblick auf die bisherigen Ausführungen lässt sich festhalten, dass die Protokolle nicht nur in Wetzlar, sondern auch an den Visita­tionshöfen und -städten, auf dem Reichstag, vom Kaiser sowie von den Rezipienten der Visita­tionspublika­ tionen gelesen wurde. In Wetzlar waren es wiederum Konferenzsaal, Diktaturstube und Gesandtschaftsquartiere, die sich als sehr konkrete Orte begreifen lassen, an denen an und mit den Protokollen gearbeitet wurde. Diese Arbeit geschah zu unterschied­lichen Zeiten. Protokolliert wurde im Visita­tionssaal durchschnitt­ lich drei- bis viermal in der Woche jeweils von 9 bis 12 Uhr sowie am Nachmittag. Zeitgleich und darüber hinaus an fast jedem Wochentag bis auf Sonntag sowie 1 HStAWien RK RKG VA 239, Bericht Hormayer vom 10. Dez. 1770. 2 Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983), S. 87. 3 Krischer, Problem des Entscheidens (2010), S. 39. 4 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (2010), S. 28.

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auch teils in den Ferien saßen die Sekretäre in der Diktaturstube, um die – von den kurmainzischen Sekretären in der Direktoriumskanzlei ins Reine gebrachten – Protokolle zu vervielfältigen. In den Gesandtschaftsquartieren wurde im Vergleich dazu prinzipiell zu jeder Tages- und Nachtzeit mit und über die Protokolle alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Visitatoren gearbeitet. Wie lässt sich diese Protokollarbeit verfahrensgeschicht­lich begreifen? Fest steht, dass Verfahren sehr „konkrete Handlungssysteme sind, die einen einmaligen Platz in Raum und Zeit ein[nehmen]“,5 und diese Einheit von Raum und Zeit bei der Visita­tion mit dem Visita­tionssaal und den Sessionszeiten gegeben war. Was jedoch ist mit all den Stunden, Tagen und Monaten, in denen die Visitatoren nicht im Plenum saßen? Waren sie Teil des Verfahrens? Ausgehend von einem engen Verfahrensbegriff muss dies verneint werden. Als Verfahren lässt sich nur dasjenige begreifen, was im Visita­tionssaal im Rahmen der Sessionszeiten geschah. Selbst ein Wortwechsel unmittelbar vor oder nach Sessionsbeginn oder aber das Reden über protokollrelevante Inhalte ­zwischen Vormittags- und Nachmittagssession war nicht Bestandteil des Verfahrens. Reicht es jedoch aus, hier pauschal von einer Umwelt zu sprechen, die auf informeller Ebene das Verfahren beeinflusste? Oder aber davon, dass die Autonomie eines Verfahrens nie absolut war,6 sondern immer „Hinterbühnen“ bestanden, „wo die Beteiligten informell und ohne offizielle Rollenpflichten die Entscheidungsfindung beschleunigen können“?7 Wie in der Einleitung dargelegt, ist es erforder­lich, das Verfahren in seinem Umfeld zu betrachten. Zur heuristischen Präzisierung wird im Folgenden von einer verfahrensrelevanten Umwelt gesprochen. Gemeint ist damit, dass vieles, was jenseits des Verfahrens lag oder geschah, mittel- oder unmittelbaren Einfluss auf das Verfahren hatte. Zwei Beispiele mögen dies verdeut­lichen: Viele Voten, ­welche die Visitatoren im Plenum zu Protokoll gaben, wurden vor dem Verfahren in den Gesandtschaftsquartieren geschrieben. Die Gesandtschaftsquartiere sind deshalb, aber auch aus vielen anderen Gründen,8 ebenso verfahrensrelevant wie jene Momente, in denen die Visitatoren in den Quartieren ihre Voten gerade unter der Verwendung von bereits diktierten Visita­tionsprotokollen zu Papier 5 Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983), S. 42. 6 Zur Autonomie des vormodernen Verfahren Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Vormoderne politische Verfahren (2001), S. 15 – 19 und Sikora, Sinn des Verfahrens (2001), S. 44 – 4 6, jeweils aufbauend bzw. in Abgrenzung zu Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983), S. 69 – 74. 7 Krischer, Problem des Entscheidens (2010), S. 40. 8 Siehe hierzu B.1.2.

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brachten. Oder aber die bereits thematisierte Hungernot des Jahres 1770, über die sogar im Visita­tionsplenum beraten wurde.9 Hier kann von einer verfahrensrelevanten Krise gesprochen werden, da die Hungersnot auf die Geschehnisse in Wetzlar einwirkte. Im Grunde kann also alles, was mittel- oder unmittelbaren Einfluss auf das Verfahren hatte, als eine ‚Verfahrensumwelt‘ begriffen werden. Zu präzisieren ist, dass es in erster Linie die vier Reformsphären 10 und die dortigen Akteure und Geschehnisse waren, ­welche die Zeiten, Räume und ­Themen der verfahrensrelevanten Umwelt vorgaben. Die folgende Analyse hat ferner zu berücksichtigen, dass Verfahren und verfahrensrelevante Umwelt nicht statisch nebeneinander, sondern in einem Wechselverhältnis zueinander bestanden. Ausgehend von dem praxeolo­g ischen Gesamtansatz dieser Studie lässt sich eine strukturelle Koppelung beschreiben, die durch zwei dynamische Faktoren getragen wurde. Zum einen sind die Akteure und hier vor allem die in Wetzlar agierenden Visitatoren, Sekretäre und Kameralen zu nennen. Sie alle bestimmten den Raum und die Zeit, in denen sich Verfahren und verfahrensrelevante Umwelt verdichteten. Zum anderen war es die Schrift­lichkeit und hier wiederum in erster Linie die Protokolle, die das Verfahren mit dem Verfahrensumfeld verbanden. Die Protokolle führen näm­lich 1.) im Kern jene Voten, w ­ elche die Visitatoren zumeist wohlüberlegt im Umfeld des Verfahrens entweder alleine in dem Gesandtschaftsquartier, in Zusammenarbeit mit anderen Visitatoren und/oder in Rücksprache mit der Obrigkeit entwarfen. Es kreisten 2.) die münd­lichen Beratungen im Visita­ tionssaal oftmals um den Wortlaut der Protokolle, da sie, wie angesprochen, eine verbind­liche Verfahrensgeschichte festschrieben. Hier liegt ein – auch bei anderen Verfahren zu beobachtendes 11 – Wechselspiel von münd­lichen und schrift­lichen Verfahrenselementen vor, deren Fixpunkt die Protokolle bildeten. Die protokollierte Verfahrensgeschichte wurde 3.) in der Diktaturstube von den Sekretären in mühsamer und zeitintensiver Schreibarbeit vervielfältigt; ihr Dasein als Visita­tionssekretäre wurde von dieser Tätigkeit regelrecht bestimmt. Der Gang und Nichtgang des Verfahrens sowie des verfahrensnahen Umfelds war zudem 4.) von der separat protokollierten Befragung der Gerichtsangehörigen geprägt. Aufgrund der eigenen Protokollierung des Examens kann hier [D.4.] von einem Verfahren im Verfahren gesprochen werden. Und schließ­lich 5.) hatten die Visita­tions- und Examensprotokolle einen erheb­lichen Einfluss

9 Siehe B.1.1. 10 Siehe zu den Reformsphären die Einführung zu Kapitel B. 11 Ullmann, Schied­lichkeit und gute Nachbarschaft (2010), S. 148 – 152.

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auf die Ausgestaltung der Berichte sowie der Instruk­tionen und damit auf einen Großteil des visita­tionsrelevanten Schriftguts. Der archivgeschicht­liche Anspruch dieser Studie, die Genese der überlieferten Akten zu rekonstruieren, kann somit dergestalt erfüllt werden, dass sowohl die ­münd­lichen und schrift­lichen Verfahrenselemente als auch die verfahrensnahen münd­lichen und schrift­lichen Vorgänge analysiert werden, die auf die Ausgestaltung der (protokollierten) Verfahrensgeschichte einwirkten. Zu untersuchen ist damit allen voran das Umfrageverfahren [D.3.1.], also jene für die Vormoderne sehr t­ ypische Form der Beratung und Beschlussfassung, die das Protokollieren und Votieren [D.3.2.] der Visita­tion entscheidend geprägt hat. Zunächst jedoch, vor dieser Binnenperspektive der Aktenproduk­tion ­zwischen Münd­lichkeit und Schrift­ lichkeit, ist es erforder­lich zu betrachten, wie die Visita­tion begann. Ein Verfahren muss näm­lich immer „aus der Umwelt in Raum und Zeit herausgehoben sein, um überhaupt als solches gelten und wahrgenommen werden zu können“.12 Es bedurfte also eines symbo­lischen Verfahrensauftaktes, der bei der Visita­tion entsprechend der Komplexität des Verfahrens aus drei Teilakten bestand: Die feier­liche Eröffnung vor den Augen der Stadtöffent­lichkeit [D.1.1.], die Unterwerfung der Gerichtsangehörigen [D.1.2.] sowie die gegenseitige Verpflichtung von Visitatoren und Kameralen auf die externe Verschwiegenheit und interne Offenheit [D.1.3.]. Bei diesen drei Eröffnungsakten ist insbesondere jene „zeremonielle Durchformung“ zu thematisieren, die für das Versammlungswesen,13 aber auch insgesamt für die Verfahren sowie die politische Kommunika­tion der Vormoderne charakteristisch war.14 Alle Verfahren haben zudem, da sie „von vornherein in ihrer Dauer begrenzt“ sind,15 neben einem Anfang auch ein Ende. Das für viele unerwartete und unförm­ liche Verfahrensende im Mai 1776 [D.6.] bedarf hierbei einer grundsätz­lichen Erklärung, die auch auf dem Reichstag sowie an den Visita­tionshöfen und -­städten zu suchen ist. So wurde letztend­lich hier die Entscheidung getroffen, ob und wann die Visita­tionsklassen sich abwechselten und damit das Verfahren einen quasi-­vierfachen Beginn respektive Neustart erlebte [D.5.1.]. Weit wichtiger, auch für die Bemühungen der Visita­tionsstände um einen Klassenwechsel,16 waren jedoch die Geschehnisse vor Ort. Ausgehend von der bereits dargelegten

12 Stollberg-­Rilinger, Einleitung. Vormoderne politische Verfahren (2001), S. 15. 13 Neu/Sikora/Weller, Einleitung Zelebrieren und Verhandeln (2009), S. 9. 14 Goppold, Politische Kommunika­tion in den Städten der Vormoderne (2007) u. Würgler, Zwischen Verfahren und Ritual (2004). 15 Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983), S. 41. 16 Siehe dazu schon B.3.1.1.

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Weitläufigkeitsproblematik 17 soll deshalb neben dem Verfahrensalltag [D.3.] eine mehrmonatige Verfahrensunterbrechung [D.5.2.] betrachtet werden, deren unmittelbarer Auslöser darin bestand, dass Falcke ein im Plenum verlesenes Schriftstück nicht zu Protokoll geben wollte. Zu bedenken ist weiterhin, dass jedem Akteur zu Visita­tionsbeginn eine Verfahrensrolle zugewiesen wurde. Denn erst durch die „Rollentrennung ­zwischen dem Verfahren und seiner Umwelt“18 entstand die für jedes Verfahren so entscheidende Grenzlinie ­zwischen Verfahren und Umwelt. In d­ iesem Sinne lassen sich auch sämt­ liche Eröffnungsakte [D.1.] als zeremonielle Akte der Rolleninszenierung begreifen, die der Grenzmarkierung dienten. Darüber hinaus und zuvorderst waren es die Visita­tionsstände selbst, ­welche die Verfahrensrollen ihrer Visitatoren zumindest vorgaben, indem sie zum einen Vollmachten ausstellten, die ausführ­lich in- und außerhalb des Visita­tionsplenums begutachtet wurden [D.2.2.]. Zum anderen erhielten die Visitatoren vor Verfahrensbeginn eine Hauptinstruk­tion sowie das gesamte Verfahren über weitere Instruk­tionen, die festlegten, wie sich die Subdelegierten zu verhalten hatten. Zu betrachten ist damit eine erst jüngst von der Forschung in den Blick genommene Instruk­tionspraxis [D.2.3.],19 die verdeut­licht, dass es sich bei Visita­tionen immer um eine Form der delegierten Herrschaftsausübung handelte. Ausgehend von dem L ­ uhmannschen Idealtypus 20 kann hier auch von einer defizitären Verfahrensautonomie gesprochen werden – ein Defizit, welches deut­lich macht, wie notwendig es gerade bei vormodernen Verfahren ist, die verfahrensrelevante Umwelt in die Analyse mit einzubeziehen. Der konsequente Einbezug der Umwelt ist schon deshalb unerläss­lich, weil die RKG-Visita­tion aufgrund der geringen Verfahrensautonomie in einem nicht unerheb­lichen ‚Zeitdilemma‘ steckte. Die Autonomie eines Verfahrens hing näm­lich auch von der Mög­lichkeit ab, eine verfahrenseigene Zeitordnung aufbauen zu können. Luhmann spricht davon, dass einem Verfahren immer „Zeit gelassen werden“ müsse.21 Diese Zeit hatte jedoch die Visita­tion nicht, weil der Reformgeist der Zeit, der auch Teil der verfahrensrelevanten Umwelt war, nach schnellen und effizienten Reformen strebte. Die als weitläufig diskreditierte Visita­tion hatte es also allein schon des Reformtypus wegen schwer, dem Zeit- und Reformhorizont des aufgeklärten Säkulums zu entsprechen.22 17 Siehe A.4. 18 Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983), S. 478. 19 Hipfinger u. a., Ordnung durch Tinte und Feder? (2012) u. Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011). 20 Luhmann, Legitima­tion durch Verfahren (1969/1983), S. 69 – 74. 21 Ebd. S. 70. 22 Siehe A.1.

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D.1. Verfahrensauftakt D.1.1 Die feierliche Eröffnung (11. Mai 1767) Am 11. Mai 1767 fand eine feier­liche Eröffnung statt, die einer komplexen Inszenierungslogik folgte und sich dementsprechend recht umfassend gestaltete: Um 10 Uhr versammelten sich sämt­liche Visitatoren auf der Alten Kammer. Nach einer ­kurzen Besprechung kam es zur Abholung der kaiser­lichen Kommissare. Hierzu baute sich vor der Alten Kammer ein Zug auf, der in folgender Ordnung zur Wohnung des kaiser­lichen Kommissars Fürstenberg zog (der Weg ist in der im Anhang unter Punkt 3.1. befind­lichen Karte eingezeichnet): An der Spitze des Zuges ritt der so genannte Reichs-­Fourier. Ihm folgten zwei seiner Diener, der Reichsvizequartiermeister in einem zweispännigen Wagen und vier kursäch­ sische Diener. Daran schlossen sich an der Visitator Kursachsens in einem sechsspännigen Wagen, die kurmainzischen Diener sowie ganz am Schluss und gleichfalls in einem sechsspännigen Wagen die Visitatoren des Erzkanzlers. In dieser Reihenfolge gelangte der Zug über die Krämer- und Rosengasse zur Wohnung Fürstenbergs. Beim Aussteigen wurden der kursäch­sische und die insgesamt vier kurmainzischen Visitatoren als so genannte ‚Zusammenführer‘ (Conducentes) von einem Kavalier empfangen und, die Treppe hinauf, in das zweite Vorzimmer begleitet. Dort kamen die kaiser­lichen Kommissare heraus und nahmen nach gewechselten Complimenten die Hrn. Conducentes mit in das Audienz-­Zimmer. Während dies geschah, führte der Reichsfourier die Wagen durch die Barfüßergasse in die Silhöferstraße und von dort wieder in die Rosengasse bis an das Palais, wo sich schließ­lich die Conducentes und die beiden kaiser­lichen Kommissare samt Anhang in den Zug einreihten.23 Dieser vergrößerte Zug trat in folgender Reihenfolge den Rückweg an: Der Reichsfourier stellte sich erst an die Spitze, bis der Zug gänz­lich in Bewegung war. Bis dahin gingen zwei Diener voran. Ihnen folgte der Reichsvizequartiermeister, die kursäch­sische Dienerschaft, der kursäch­sische Visitator, die kurmainzischen Diener, die kurmainzischen Visitatoren, der fürst­liche Hoffourier, ein Läufer, fünf Diener des zweiten kaiser­lichen Kommissars, vier fürst­liche Läufer, acht fürst­liche Diener und zwei fürst­liche Büchsenspanner, der Hausoffizier des zweiten kaiser­ lichen Kommissars und ein fürst­licher Hausoffizier. Daran schloss sich der Staats-­ Wagen an, worin die beiden kaiser­lichen Kommissare saßen. Neben dem Wagen zu beiden Seiten gingen vier fürst­liche Heyducken und zwei Pagen. Hinter dem 23 WA 2. Stück vom 29. Juli 1767, S. 9 – 15.

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Wagen, am Zugende, folgten zu Pferde ein fürst­licher Stallmeister, drei Cavalliers und zwei Reitknechte, ein fürst­licher sechsspänniger leerer Wagen und der ebenfalls leere Wagen des zweiten kaiser­lichen Kommissars. In dieser Reihenfolge zogen alle fest­lich gekleidet zum Markt bis an den Brunnen, dann in einem Bogen herunter vor die Tür der Alten Kammer. Während dieser Auffahrt und ebenso bei der Abfahrt erwiesen eine darmstädtische Garnison sowie die Bürgerschaft die gewöhn­lichen Honneurs. Daneben wurde vom kleinen Kirchhof aus das grobe [sic] Geschütz gelöst und in allen K ­ irchen die Glocken geläutet. Gerahmt von dieser sicht- und hörbaren Ehrerbietung stiegen die beiden kaiser­lichen Kommissare aus ihrem Wagen aus und gingen bei der Alten Kammer die fünf steinernen Stufen hinauf unter Vorangehung der Herren Conducenten. Dort angelangt, standen die Herren Subdelegatis Non-­Conducentibus zum Empfang bereit. Nach d­ iesem wurden die kaiser­lichen Kommissar in den Konferenzsaal geführt, und zwar in der Form, dass die Conducentes vor, Non Conducentes aber nachtraten. Der Reichsvizequartiermeister wiederum ging vor den Conducentibus her, bis 3 Schritte ins Sessions-­Zimmer und begab sich, als alle eingetreten waren, hinaus, verschloss die Tür und hielt sich bis zum Ende der Session in einem Nebenzimmer auf.24 In dem Sessionszimmer nahmen die weiteren Geschehnisse ihren wohlgeplanten finalen Lauf. Die kaiser­lichen Kommissare und Visitatoren nahmen entsprechend der bereits angeführten Abbildung ihre Plätze ein.25 Danach wurde von der kaiser­lichen Kommission sitzend eine Eröffnungsrede gehalten, die auf die Ursachen und Aufgaben der Visita­tion einging. Nach dieser k­ urzen Ansprache wurde von Kurmainz die kaiser­liche Vollmacht verlesen und die Unterschrift des Kaisers vorgezeigt. Sodann kam es zur Danksagung nomine Omnium. Nach ­diesen Worten erhoben sich zuerst die Kommissare und danach die Visitatoren von ihren Sesseln. Unter Vorangehung der Conducentes verließen die kaiser­lichen Kommissare den Saal und das Gebäude, gefolgt von den Non-­Conducentes, die aber nur bis an die steinernen Stufen nachgingen. Sodann folgte die Rückbegleitung der kaiser­lichen Kommissare in eben der Ordnung, wie sie gekommen, in das Fürstl. Quartier, wo man alda zur Tafel blieb.26 Mit ­diesem Zeremoniell war die Visita­tion als ein von Kaiser und Reich getragenes Verfahren eröffnet. Die Schilderung folgt dabei einer zeitgenös­sischen Beschreibung, die in den Wetzlarischen Anzeigen und damit in der Medienöffent­ lichkeit ein konfliktfreies Bild von der Visita­tionseröffnung vermittelte. Die

24 Ebd. 25 Siehe B.1.4. 26 WA 2. Stück vom 29. Juli 1767, S. 11 f.

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solenne Inszenierung des Reiches lebte also einerseits von einer vor der Stadt- und Medienöffent­lichkeit sowie über die Visita­tionsprotokolle vor Kaiser und Reich glaubhaft gemachten Harmonie. Andererseits bedingte es die „kommunikative[…] Logik“ des Reiches, dass bei jeder Gelegenheit die zahllosen widersprüch­lichen „Geltungsansprüche […] schrift­lich und symbo­lisch-­rituell aufrechterhalten wurden“.27 Aus ­diesem Grund können die Berichte der Visitatoren Aufschluss darüber geben, dass es auch bei der Visita­tion mehrere Konflikte um und mit der Eröffnung gab. Diese reichsimmanente Disharmonie war allerdings nicht für jedermann ersicht­lich. Es kann sogar vermutet werden, dass das Geran­gel, welches tatsäch­lich bei der Hinauf- und Rückbegleitung der kaiser­lichen Kommissare von der großen Ratsstube zum Konferenzsaal und damit innerhalb der Alten Kammer entstanden ist, nur die Visitatoren und wahrschein­lich auch nur ein Teil von diesen das Gerangel wahrgenommen hat. Der Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung war, dass sich die Visitatoren, die noch keineswegs alle in Wetzlar eingetroffen waren, wie folgt aufgestellt hatten: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kurtrier und Kurbrandenburg Bremen allein, also ohne ‚Gehgefährten‘ Bamberg und Sachsen-­Gotha Brandenburg-­Kulmbach allein Mecklenburg-­Schwerin allein Hessen-­Darmstadt allein Baden-­Durlach allein, dem aber nachher der Pfältzische wegen Pfalz Lautern sich beygedrungen 8. Gräf­liche allein 9. Stadt Köln und Nürnberg 10. Stadt Augsburg und Regensburg.28 Diese Übersicht, die Falcke seiner Obrigkeit vorgelegt hatte, deutet an, dass die Steh- und Gehordnung zur Hinauf- und Rückbegleitung der kaiser­lichen Kommissare keineswegs unumstritten war. Neben dem siebten Platz, um den die Visitatoren von Baden-­Durlach und Pfalz-­Lautern rangen, war auch Falckes Platz begehrt. Der bamber­gische Visitator versuchte, den fehlenden Österreicher und damit den kurbraunschwei­gischen respektive bremischen ‚Gehgefährten‘ zu ersetzen. Falcke wusste jedoch diesen Anspruch zu verhindern, indem der Visitator von Sachsen-­Gotha der genommene[n] Abrede nach [...] sich beständig an den

27 Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 274 u. S. 305. 28 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 30. Mai 1767.

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Bamber­gischen anschloss, so dass dessen Versuch, Falcke zur rechten Seite zu kommen, scheiterte.29 Der bremische Visitator verstand es also, seinen Geh- und damit Rangplatz gegenüber konkurrierenden Ansprüchen zu behaupten. Weitaus folgenreicher war demgegenüber im Vorfeld der Eröffnung die Auseinandersetzung um die Frage, wer die kaiser­lichen Kommissare abholen und zurückbringen dürfe. Kurmainz und Kursachsen waren unumstrittene kurfürst­liche Vertreter. Die fürst­lichen Visitatoren hingegen konnten sich auf keine gemeinsame Vertretung einigen. Dies verdeut­licht der leere fürst­liche Wagen, der bei der Auf- und Rückfahrt mitfuhr und damit, anders als die vorgenannte Auseinandersetzung, für jedermann sichtbar die Disharmonie unter den fürst­lichen Gesandten zum Ausdruck brachte. Zu dieser Unstimmigkeit kam es, weil abermals der Bamberger forderte, für den fehlenden Österreicher und vor dem Bremischen zu fahren. Falcke wollte allerdings nicht weichen. Da überdies sowohl der bayerische als auch der pfälzische Visitator dem Bremischen nicht nachfahren wollten, war es nicht mög­lich [...], einen Catho­lischen Fürst­lichen Conducentes zu bekommen.30 Das Direktorium unterbreitete daraufhin den Vorschlag, auf den Österreicher zu warten, was jedoch aus Zeitgründen verworfen wurde. Damit aber nicht genug. Gewöhn­lich nahmen auch die Grafen, Prälaten und Reichsstädte an der Abholung teil. Da die Prälaten aber in Wetzlar noch nicht vertreten waren, schlug das Direktorium vor, neben dem gräf­lichen nur einen katho­lischen Gesandten der Reichsstädte als Conducent zu ernennen. Dies jedoch lehnten sowohl die Kurfürsten und Fürsten als auch die beiden Visitatoren der protestantischen Reichsstädte ab. Die konkurrierenden Rangansprüche bildeten eine derart komplizierte Gemengelage, dass sogar in Vorschlag kam, auf die Abholung der kaiser­lichen Kommissare gänz­lich zu verzichten. Dieser radikale Vorschlag ebnete den Weg zu einer nicht weniger einschneidenden, aber dennoch von allen akzeptierten Lösung: Die kaiser­ lichen Kommissare und Visitatoren kamen darin überein, die Abholung durch das Direktorium und den kursäch­sischen Visitator nahmes aller übernehmen zu lassen, und zwar jeder anstatt mit dem ursprüng­lich für die ‚Vollbesetzung‘ (Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Grafen, Reichsstädte) angedachten zweispännigen Wagen mit einem – ungeachtet der Enge des Raumes 31 – sechsspännigen Wagen.32 Dieser freiwillige und unfreiwillige Selbstausschluss der meisten Visitatoren von der Abholung der kaiser­lichen Kommissare war wohl deshalb mehrheits­fähig, weil es sich hier um einen nicht präjudizier­lichen, also für künftige Verfahren 29 Ebd. 30 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 8. Mai 1767. 31 Siehe hierzu B.1.2. 32 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 8. Mai 1767.

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gültigen, Teilausschluss handelte 33 – einen Teilausschluss, den Falcke mit tatkräftiger Unterstützung des Holsteiners durch die Behauptung des Ranges vor und auf dem Weg sowie in dem Visita­tionssaal kompensieren konnte. Diese mal mehr und mal weniger virulenten, aber stets vorhandenen und immer nur punktuell zu lösenden, da die Gesamtordnung des Reiches betreffenden Rangkonflikte bedingten frei­lich eine doppelte Verfahrensproblematik. Zum einen war es, wie bereits an anderer Stelle gezeigt,34 den Visitatoren unmög­lich, sich dem Zwang zur Ranginszenierung zu entziehen. Immerwährende Aufgabe war es vielmehr, den politisch-­sozialen Status der eigenen Obrigkeit zu behaupten. Zum anderen war die Visita­tion neben dem Reichstag zwar „der [Hervorhebung im Original; A. D.] Schauplatz der politisch-­sozialen Statusordnung des Reiches“.35 Anders als bei dem Reichstag jedoch, dessen historisch gewachsene Verstetigung eine gewisse Grundstabilität bedingte, gab es in Wetzlar, zumal hier mehr als beim Reichstag klar umrissene Verfahrensziele bestanden,36 die Mög­lichkeit, das Verfahren scheitern zu lassen. Dies zeigte sich gleichfalls schon bei der Eröffnung, als ein bereits angesprochener Streit 37 um die Anwesenheit der protokollführenden Sekretäre entstand. Das von den kurbayerischen und kurpfälzischen Visitatoren unterstützte Begehren der Protestanten, die Protokollhoheit des Direktoriums symbo­lisch zu durchbrechen, wussten die kurmainzischen Visitatoren wohl auch deshalb zu verhindern, da sie ohnmög­lich nachgeben wollten, sollte auch gleich das gantze Visita­ tionsgeschäfft abgebrochen werden müßen.38 Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier um keine leere Drohgebärde handelte, die der kurmainzischen Obrigkeit zur Beschwichtigung mitgeteilt wurde, sondern es tatsäch­lich um das Scheitern oder die Fortsetzung des Verfahrens ging. Zu beachten ist dabei erneut, dass die Wetzlarischen Anzeigen den Streit um die Anwesenheit der Sekretäre verschwiegen haben. Ebenso unerwähnt blieben die vielen disharmonischen Beobachtungen, die Falcke während der Eröffnung im Visita­tionssaal gemacht hat. So war es eigent­lich für die kaiser­lichen Kommissare vorgesehen, beim Verlesen der Proposi­tion immer dann ihren Huth abzunehmen, wenn Kurfürsten, Fürsten und Stände genannt werden. Spangenberg hat dies aber 33 34 35 36

HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 30. Mai 1767. Siehe B.1. Stollberg-Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 202. Gemeint sind für den Reichstag die sog. negotia remissa. Hierzu und insgesamt zur Verstetigung des Reichstags einschließ­lich der Arbeitsfelder, die die Permanenz beförderten, Burkhardt, Vollendung (2006), S. 77 – 98. 37 Siehe B.1.4. 38 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 10. Mai 1767.

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mehrmals vergessen, was von den andern genau beobachtet und von Falcke in seinem Bericht festgehalten wurde. Schrift­lich fixiert wurde auch, wie Fürstenberg die Proposi­tion mit wohl vernehm­licher Stimme verlas, was allerdings insofern trügerisch war, als der nichtverlesende Spangenberg der eigent­liche Verfasser war. Dessen Gedanckens- und Schreib-­Art sei dafür, so Falcke, viel zu bekannt. Nicht weniger interessant für die schriftbasierten Momente der Visita­tionseröffnung ist, dass die kurmainzische Dankesrede stehend, aus dem Gedächtnis – jedoch den Aufsatz neben sich liegen habend – gehalten wurde. Und schließ­lich war es auch die Schrift­lichkeit bzw. – genauer – das in den Archiven verwahrte und in einem Bericht verarbeitete Visita­tionsgedächtnis, das Falcke dazu veranlasste, bei der steinernen Treppe zusammen mit den beiden Kurfürsten hervorzutreten, ohne daß der Bamber­gische in Abwesenheit des Oesterreichischen dazu concurriret hat. Dies näm­lich habe Falcke am Vortag von dem mecklenbur­gischen Visitator erfahren, indem dieser ihm eine Rela­tion zur Einsicht vorlegte, die von der Aufholungs Handlung bey lezter Visita­tion handelte.39 D.1.2 Verfahrenshierarchien: Die Unterwerfung der Gerichtsangehörigen (21. Mai 1767) Zehn Tage nach der feier­lichen Eröffnung der Visita­tion gab es einen Verfahrensauftakt ganz eigener Art. Er diente weniger dazu, das Verfahren vor, für und mit Kaiser und Reich sowie unter den Augen der Stadtöffent­lichkeit, sondern vielmehr intern für Kameralen und Visitatoren zu eröffnen. Diese zeitgenös­sisch als Notifica­tions- und Submissions-­Handlung – Letzteres meint Unterwerfung – bezeichnete Eröffnung 40 hatte zum Ziel, das hierarchische Gefüge einer jeden Visita­tion, welches aus dem Gegenüber von Visitatoren und Visitierten bestand, zu begründen. Die ‚zweite‘ Eröffnung begann mit der Auffahrt der kaiser­lichen Kommissare mit zwei Pferden, dem Empfang der kaiser­lichen Vertreter durch sämt­liche Visitatoren und dem gemeinsamen, konfliktfreien Gang zum Visita­tionssaal. Dort nahm nach einigen Discursen jeder seinen Platz ein,41 so wie am Tag der ‚ersten‘ Eröffnung, nur mit dem Unterscheid, dass der kurmainzische Sekretär nun wieder seinen Stuhl hatte.42 Sodann, nachdem der Protonotar des RKG an der Tür 39 4 0 41 42

HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 30. Mai 1767. HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. Ebd. Die folgenden Ausführungen folgen ­diesem Bericht. Zum Streit um den kurmainzischen Sekretärsstuhl siehe B.1.4.

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geklopft hatte, um dem kurmainzischen Sekretär die Anwesenheit des Kameralkollegiums in der Neuen Kammer mitzuteilen, und der Sekretär zur Antwort gab, die kaiser­lichen Kommissare und Visitatoren ­seien zum Empfang bereit, begaben sich der Kammerrichter, mit ein wenig Abstand die beiden Präsidenten und danach die Assessoren paarweise in die Alte Kammer. Dort versammelte sich das gesamte Kameralkollegium, bis auf die erkrankten Assessoren Papius, Harpprecht und Nettelbla, in der großen Ratsstube neben dem Audienzsaal. Von dieser Stube aus betrat jeder einzeln den Saal und stellte sich vor seinen bereitgestellten Stuhl bzw. Sessel, um eine Ehrerbietung zu zeigen, welches auch von Seiten des Consessus, ohne iedoch vom Sessel aufzustehen, erwidert worden. Die Posi­tion und Gestalt eines jeden Sitzes war genau festgelegt. Der Kammerrichter saß auf einen Armlehnsessel, der auf der linken Seite des Baldachins stand, allerdings nicht auf dem Tuch, welches die beiden Stufen bedeckte. Die Präsidenten saßen auf mit grünem Tuch überzogene[n] und die Assessoren auf mit Rohr geflochtene[n] Lehnstühlen, die in einer oben und unten gekrümmten Linie auf der Seite der Protestanten aufgestellt waren. Besonders zu bemerken ist, dass selbst Assessor B ­ ürgel sen., der wegen Alters und Podagra [Gicht; A. D.] kaum noch in Erscheinung trat, anwesend war und mit dem Stabe in der Hand nach dem Throne zuging, um eine kurze Rede zu halten. Darin entschuldigte er sich dafür, dass es ihm nicht mög­lich war, den kaiser­lichen Kommissaren und Visitatoren einen Besuch abzustatten. Nun aber habe er zur Bezeugung seiner Ehrfurcht in dieser Versammlung zu erscheinen nicht ermangeln wollen, ohnerachtet er deshalb für seine Gesundheit widrige Folgen befürchten müsse.43 Nach dieser ­kurzen Rede verlas der erste kurmainzische Visitator sitzend eine Rede. Daraufhin hielt Assessor Loskant eine Antwortrede, in der er unter der Versicherung, das Kameralkollegium werde seine Aufgaben genauestens befolgen, Dank für das grosse Werck der Visita­tion und Revision aussprach. Sodann bat Loskant um zwei Verzeichnisse, das Namensverzeichnis der Visitatoren und das Verzeichnis der geltend gemachten Revisionsfälle. Beide Verzeichnisse wurden von Loskant erbeten und, dies war entscheidend, bestätigt, und zwar ungeachtet des noch ausstehenden Rekusa­tionsgesuchs wider Goldhagen.44 Mit dieser Bestätigung, die Ottenthal als eine Submission annahm, waren end­lich, so ­Falcke, die entscheidenden Worte für den Unterwerfungsakt gesprochen. Sodann wurden die beiden Verzeichnisse zusammen mit einem Memorial dem Kammerrichter überreicht. Allerdings kam es hier zu einem nicht unerheb­lichen Fehltritt.

43 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. 4 4 Ebd. Siehe zur Rekusa­tion C.1.1.

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Ottenthal näm­lich ließ die Schriftstücke nicht abholen, sondern überreichte sie dem Kammerrichter, indem er zu ­diesem ging. Daneben stand der Kammerrichter nicht auf, sondern blieb sitzen. Diese Unvorsichtigkeit hatte der nächstsitzende[...] Amts-­Gehülfe Ottenthals sogleich bemerkt, aber trotz Zurückziehen am Rock nicht verhindern können. Mit dem danach erfolgten Abtritt sämt­licher Kamerale und der Rückbegleitung der kaiser­lichen Kommissare aus dem Saal bis an die oberste Treppe war dieser actus beschlossen.45 Der Unterwerfungsakt war jedoch durch den – im wahrsten Sinne des ­Wortes – Fehltritt Ottenthals, mehr aber noch durch das Nichtaufstehen des Kammerrichters empfind­lich gestört worden. Deshalb wurde darüber in den folgenden drei Sessionen beraten.46 Das Direktorium vermutete, der Kammerrichter habe nur aus Versehen gehandelt. Andere wiederum wie Kurtrier regten an, den Richter zu vernehmen, ob es mit Fleiß geschehen sei.47 Eine s­ olche Vermutung liegt nahe, wenn man bedenkt, dass der Kammerrichter mit dem Sitzenbleiben beanspruchte, „als kaiser­licher Repräsentant über der vom Reich eingesetzten Visita­ tion zu stehen“.48 Aus ­diesem Grund forderte selbst der österreichische Visitator, den Richter zu bestraf[en], widrigenfalls aber einen Bericht für Kaiser und Reich zu erstatten.49 Falcke wiederum hielt die ganze Angelegenheit gleichfalls für ein Versehen und schloss sich dem schließ­lich mehrheitsfähigen Vorschlag an. Er sah vor, im Proto­koll den Irrthum anzumerken und künftighin, wenn in Consessu dem Cammer Richter etwas zu behändigen sei, diese Schriftstücke bey dem sodann aufstehenden Direcotrio in Empfang nehmen zu lassen.50 Mit ­diesem Beschluss endete ein Unterwerfungsakt, der in doppelter Hinsicht um die Schrift­lichkeit kreiste. Zum einen ist deut­lich, dass im Visita­tionssaal, der immer auch der symbo­lischen rang- und visita­tionseigenen Machtinszenierung diente,51 nicht nur geredet und in vielerlei Hinsicht, wie mit der Führung der Protokolle, der 45 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. 4 6 6. Session vom 25. Mai, 7. Session vom 27. Mai und 8. Session vom 29. Mai 1767 [StadtAA RKG 41]. 47 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. 48 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kapitel II.2.2.3., S. 223. 49 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 9. Juni 1767. 50 Ebd. 51 Gemeint ist damit, dass es einerseits eine Hierarchisierung entsprechend des politisch-­ sozialen Ranges gab, die Visitatoren also ebenso wie die Gesandten auf dem Reichstag „das symbo­lische Kapital ihrer Herren [entliehen] und davon die Zinsen für ihre eigene ­soziale Selbstdarstellung“ bezogen [Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 257]. Andererseits musste auch das Machtgefälle ­zwischen Visitatoren und Visitierten zur Darstellung gebracht werden. Dies lässt sich kurz als ‚visita­tionseigene Machtinszenierung‘ oder

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Anfertigung von Notizen oder dem Feilen an Voten, geschrieben wurde. D ­ arüber hinaus wurden auch Schriftstücke ausgetauscht, und zwar, wie noch zu zeigen ist, sowohl informell in Form von Notizzetteln als auch – wie bei dem Unterwerfungsakt – formell. Dieser formelle Austausch von Schriftstücken, wie er auch beim E ­ xamen vorkam, folgte entsprechend des Ranges und der visita­tionsbedingten Verfahrensrolle (Visitator und Visitierte) von Schriftempfänger und Schriftüberreicher. So war es – dem vorgesehenen Ablauf entsprechend – der Kammerrichter und mit ihm das RKG, der kein beliebiges Schriftstück, sondern die Verzeichnisse der Visitatoren und Revisionen zu empfangen und – unter Vorbehalt der Rekusa­tion – zu akzeptieren hatte. Zum anderen war zwar der Unterwerfungsakt durch den ‚fehltretenden‘ Ottenthal und den nichtaufstehenden Kammerrichter erheb­lich gestört. Diese Störung konnte aber behoben werden durch den protokollarischen Vermerk des Irrtums sowie der Einschärfung des korrekten Verhaltens. Das Protokoll vermochte es also, eine symbo­ lische Handlung, die hochgradig störanfällig war, da es immer um den Austausch „exakt bemessener symbo­lischer Botschaften“ ging,52 zu beheben, und zwar vor allem deshalb, weil die an Zeit und Raum gebundene symbo­lische Inszenierung nur über die Schrift­lichkeit eine enträum­lichte und entzeit­lichte Darstellung fand. Es kann hier auch von einer schriftbasierten Entgrenzung einer Präsenzkultur gesprochen werden, die der symbo­lischen Inszenierung verpflichtet war. D.1.3 Verfahrensschutz: Die Verpflichtung von Visitatoren, Sekretären und Kameralen (15. Juli 1767) Die Eröffnung der Visita­tion bedurfte nach der feier­lichen ‚Teileröffnung‘ vom 11. Mai sowie der Unterwerfung des RKG vom 21. Mai noch eines weiteren und letzten Eröffnungsaktes. Er diente dazu, ­zwischen Visitatoren und Kameralen das einigende Band der äußeren Verschwiegenheit und inneren Offenheit zu knüpfen. Mit dieser solennen Beschwörung des Arkanums wurde die letzte Grenzlinie zur sozialen Umwelt, aber auch innerhalb der Reformgemeinschaft gezogen. Die gegenseitige Verpflichtung von Visitatoren und Kameralen auf das Arkanum der Visita­tion erfolgte am 15. Juli 1767 mittelbar über zwei Schritte. Der erste begann um 8 Uhr. Wie zwei Tage zuvor in der 23. Session besprochen,53 zusammengenommen als symbo­lische Hierarchisierung des Rang- und Visita­tionsgefüges (Visitatoren und Visitierte) umschreiben. 52 Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 160. 53 23. Session vom 13. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. Die folgenden Ausführungen folgen ­diesem Protokoll, einem Bericht Falckes sowie den umfassenden Schilderungen in der

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trafen die Visitatoren in Gala theils mit 2 Pferden aufgefahren, theils in Sänften getragen auf der Alten Kammer ein.54 Als alle beisammen waren, fuhren beide Kommissare unter Vorangehung von Dienern und Hauß-­Officianten in einem sechsspännigen Galla-­Wagen, welchem einer dergleichen leerer folgete, vor.55 Auf die Abholung verzichtete diesmal die kaiser­liche Kommission Sine Consequentia, da bei den Visitatoren die dazu erforder­liche Ausrüstung fehlte 56 und man das Werck nicht aufhalten wollte – ein Verzicht, wofür sich das Visita­tionsplenum bei den vorbereitenden Beratungen bedankte, da hierdurch [...] Weitläuffigkeiten vermieden wurden.57 Nach der unsolennen, aber keineswegs prunklosen 58 Vorfahrt der kaiser­lichen Kommissare standen am Tor der Alten Kammer und ohne einige Consequenz die Visitatoren von Kurmainz, Kurbrandenburg, Österreich, Bremen, den Prälaten und Grafen, der Stadt Köln und Stadt Nürnberg zum Empfang bereit. Nach ­diesem wurden die Kommissare die ersten fünf steinernen Stufen hinaufbegleitet bis zur großen Ratsstube, wo alle übrigen Visitatoren, wie unterm 11ten Maji geschehen, zum Empfang bereit standen.59 Sodann begaben sich alle in den Visita­tionssaal, um wie gewohnt auf Stühlen mit (kaiser­liche Kommissare) und ohne Armlehnen (Visitatoren) Platz zu nehmen. Nachdem alle ihren Platz eingenommen hatten, schritt man entsprechend den Vorgaben der Reichsgesetze 60 zur feier­lichen Angelobung. Zuerst gelobten die kaiser­lichen Kommissare und dann die Visitatoren münd­lich ad Protocollum, dass sie alles, was in bevorstehender Visita­tion der Personen wegen erkundiget, tractiret und verrichtet werden würde, bey sich in Geheim behalten und Niemand anders, als Ihren [...] Committenten oder wem es von Deroselben wegen zu wissen gebühret offenbahren.61 Diese feier­liche Beschwörung der Verschwiegenheit ad Protocollum erfolgte nach dem Vorbild der letzten Visita­tion. Damals näm­lich, am 6ten Juny 1708, WA 12. Stück vom 2. Dez. 1767, S. 73 – 76. 54 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767. 55 WA 12. Stück vom 2. Dez. 1767, S. 73. 56 Es ist nur unspezifisch davon die Rede, dass die Visitatoren mit der dazu erforder­lichen Equippage nicht versehen waren. 57 23. Session vom 13. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. 58 Unsolenn bedeutet keineswegs, dass ein solcher Akt „etwa bescheiden und prunklos gewesen wäre, sondern nur, dass er keinen Recht stiftenden, performativen Charakter hatte, d. h. dass er nicht als Präjudiz für die Zukunft gelten sollte“ [Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 156]. 59 WA 12. Stück vom 2. Dez. 1767, S. 74. 60 Es werden angeführt: Der Reichsabschied von 1566 (§ 56) und 1570 (§ 103), die RKGO von 1555 Part. I Tit. 50 sowie das Konzept der RKGO Part. I. Tit 64 §§ 12 und 14. 61 WA 12. Stück vom 2. Dez. 1767, S. 74 f.

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verzichteten die Visitatoren auf das Handgelöbnis und damit auf einen körper­ lichen Eid, den nur die Visita­tionssekretäre und Kameralen zu leisten hatten.62 Überdies verlas jeder Visitator eine eigene Gelobungs-­Formel, die zwar den zitierten Inhalt hatte, aber keineswegs dem gleichen Wortlaut folgte. Der kursäch­ sische Visitator nutzte sogar noch die Zeit kurz vor der Ankunft der kaiser­lichen Kommissare, um an dem Wortlaut zu feilen. Als Vorlage diente ihm hierbei bezeichnenderweise die Gelobungsformel Falckes. Der bremische Visitator wiede­rum erstellte seine Formel am Vorabend der Verpflichtung auf Grundlage der Gelobungsformel des kaiser­lichen Kommissars, die er sich mit Bleistift notiert hatte.63 Mit d­ iesem schriftbasierten Vorlauf kam es am 15. Juli zur protokollarischen Angelobung bzw. zum Versprechen der kaiser­lichen Kommissare und Visitatoren, etwas – so die Zedlersche Defini­tion – bey gutem Glauben und wahren Worten zu halten.64 Damit jedoch war der erste Teil des Verpflichtungsakts noch nicht beendet. Es war vielmehr notwendig, auch die Sekretäre und damit jenes Visita­tionspersonal zu verpflichten, dass für die Vervielfältigung der Protokolle zuständig war. Das Hilfspersonal der Visitatoren trat also noch vor den Kameralen vor das Plenum, um durch ein öffent­liches Handgelöbnis [...] das Silentium zu bestätigen.65 Bei ­diesem Handgelöbnis, das sämt­liche Sekretäre außer dem wegen Unpäß­lichkeit entschuldigten Chur-­Trierischen ablegten,66 handelt es sich um eine an statt des Eides mit der Hand gegebene[n] Versicherung, die zumindest seit der Mitte des 18. Jahrhunderts und seit dieser Zeit wohl immer häufiger geleistet wurden, um die förm­liche Abnahme eines Eides und die damit verbundenen unliebsamen Weitläuftigkeit[en] zu vermeiden.67 Dergestalt wurden zuerst die vier kurmainzischen Sekretäre Serger, Eckard, Linden und Krepper verpflichtet, und zwar in der Form, dass sie sich zunächst alle hinter den ­Stühlen ihrer Visitatoren aufstellten und Serger, welcher das Protocoll deßelben Tages führte, im Namen aller die Gelobungsformel stehend […] ablas. Danach traten die drei nichtprotokollführenden Sekretäre ab und die anderen Sekretäre auf. Sie stellten sich gleichfalls hinter den Stuhl ihres Visitators auf, leisteten das Handgelöbnis und traten wieder ab.68 62 63 6 4 65 66 67 68

23. Session vom 13. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767. Zedler, Art. Angeloben, Bd. 2 (1747), S. 259. WA 12. Stück vom 2. Dez. 1767, S. 76. Ebd., S. 75. Müller, Gebrauch und Mißbrauch der Eide und Handgelöbnisse (1747), S. 44. HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767.

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Damit endete der erste und begann gegen 10 Uhr 69 der zweite Teil des Verpflichtungsaktes. An dessen Anfang stand zunächst die Verlesung des kameralen Rekusa­tions-, also Ablehnungsschreibens wider Goldhagen,70 welches der Protonotar Messer vor Beginn des Verpflichtungsaktes dem Direktorium überbracht hatte. Danach wurden der Kammerrichter, die beiden Präsidenten und die Assessoren, die in der Neuen Kammer warteten, von dem kurmainzischen Sekretär herbeigerufen. Proceßions-­Weise begaben sie sich in die Alte Kammer und nahmen im Visita­tionssaal auf den bereitgestellten Stühlen Platz.71 Damit war ein Gutteil der Visita­tionsgemeinschaft, bis auf Nettelbla, der wegen Alters und Leibes-­Schwachheit schon seit zwey Jahren nicht mehr aus dem Hause ging, in einem Raum vereint. Selbst der todt kranck gelegene Assessor Harpprecht war zu allgemeiner rührenden Verwunderung zu ­diesem Verfahrensauftakt erschienen.72 Nach dem Auftritt des Kameralkollegiums hielt Ottenthal zunächst eine Rede, in der er hervorhob, dass sie berufen worden ­seien, um die Verlesung der Eidesformel zu hören und das gewöhn­liche Hand-­Gelöbniß hierüber der kaiser­lichen Kommission zu leisten.73 Sodann trat Assessor Loskant hervor und hielt gleichfalls eine Rede, die er mit den anderen Mitgliedern des Kollegiums kaum eine Stunde zuvor auf der Neuen Kammer besprochen hatte.74 In dieser Rede bedankte er sich für die kurmainzische Ansprache und kündigte die Bereitschaft an, die Verpflichtungsformel anzuhören und das Handgelöbnis zu leisten. Danach verlas der kurmainzische Visitator Keller folgende Eidesformel (‚Formulam Juramenti‘): Dieselben sollen geloben und zu Gott und seinem Heil. Evangelium schwören, daß sie in der fürgenommenen Visita­tion, darum sie gefraget werden oder von sich selbst des Cammer-­Gerichts-­ Mängel und Gebrechen halber an Personen und sonst für nothwendig und gut ermessen, die Wahrheit ihres Wissens und Glaubens antworten, sagen und sich davon ihrer Selbst-­Nutzen und Nachtheil, noch keinerley andere Sache verhindern lassen, daß sie auch alles, worauf die gefragt werden und sie gesaget haben, in aller Geheim halten wollen. Alles getreu­lich und ohngefähr­lich.75

Mit dieser Eidesformel ist die Feststellung zu differenzieren, der Verpflichtungsakt habe dazu gedient, eine externe Verschwiegenheit und interne Offenheit zu schaffen. Das Arkanum schuf ebenso innerhalb des Verfahrens Grenzlinien, indem 69 BA AR 1/IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 15. Juli 1767, fol. 321v. 70 Zur Ablehnung Goldhagens als Visitator siehe C.1.1. 71 Da die Quellen sich ausschweigen: Die Aufstellung folgte wohl der bei dem Unterwerfungsakt beschriebenen Ordnung. 72 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767. 73 WA 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 77 f. 74 BA AR 1/IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 15. Juli 1767, fol. 321v. 75 WA 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 78.

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aussagende Kameralen und Visitatoren auch gegenüber den anderen Gerichtsangehörigen zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Bedenkt man daneben, wie noch unter D.4. näher auszuführen ist, dass die Aussagen separat protokolliert wurden und diese Protokolle keine Vervielfältigung über die visita­tionseigene Diktatur erfuhren, kann sogar von einem eigenen Examensarkanum gesprochen werden. Dieses Arkanum stellte die Befragung der Gerichtsangehörigen unter einen besonderen Schutz und zog, anders als das ‚ordinäre‘ Visita­tionsarkanum, sogar eine Grenzlinie gegenüber den Visita­tionsobrigkeiten. Der Verlesung der zitierten Eidesformel folgten die Kameralen stehend, während die Visitatoren wie bei dem gesamten Vorgang sitzen blieben.76 Nach der Verlesung legten nacheinander der Kammerrichter, die beiden Präsidenten und die Assessoren den beiden kaiser­lichen Kommissaren das Handgelöbnis ab. Sodann folgte deren Abtritt und der Rückweg in die Neue Kammer.77 Damit war die h ­ ierarchische Spitze des Gerichts verpflichtet. Anders jedoch als bei dem Unterwerfungsakt hielten es die Visitatoren diesmal für notwendig, auch die ‚übrigen‘ Gerichts­ angehörigen – es waren mehrere Dutzend – zu verpflichten. Deshalb wurden im Visita­tionssaal die Stühle von einem herbeigerufenen Diener der kurmainzischen Kanzlei weggeräumt.78 Sodann, gegen 10:30 Uhr,79 begann der Kanzleidiener und nicht ein kurmainzischer Sekretär mit der Herbeirufung des Kanzleiverwalters, des Fiskalprokurators einschließ­lich dessen Anwärter sowie des Fiskaladvokaten mit Anwärter,80 wobei die beiden Letzteren abwesend waren. Ottenthal hielt eine kurze und im Vergleich zu der vor dem Kameralkollegium gehaltenen sogar deut­ lich kürzere Rede, die ledig­lich die Pflichten de dicenda veritate betonte.81 Danach verlas wiederum Keller die Eidesformel, die unter Betonung der examensexternen Verschwiegenheit und unter Androhung des Meineides die examensinterne Offenheit 76 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767. Diese und viele andere Begebenheiten erwähnt nicht nur Falcke in seinem Bericht. Sie stehen auch in den Wetzla­ rischen Anzeigen, hier 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 78 f. Die Parallelen sind derart auffällig, dass höchstwahrschein­lich der Bericht Falckes den Wetzlarischen Anzeigen zugrunde lag, wenn er nicht sogar selbst den Artikel geschrieben hat. 77 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767. 78 Ebd. 79 Am Vortag wurde 9.30 Uhr festgelegt [BA AR 1/IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 14. Juli 1767, fol. 314]. Da das Kameralkollegium aber erst um 10 Uhr und nicht erst, wie vorgesehen, um 9 Uhr auftrat (siehe Anm. 69), ist eine entsprechende Zeitverschiebung anzunehmen. 80 WA 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 79. Zu den Fiskalen des RKG siehe Smend, Reichskammergericht (1911), S. 359 – 363. 81 WA 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 79.

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einforderte. Diesen Eid leisteten die Herbeigerufenen mit aufgereckten Fingern dem ersten und damit nicht den beiden kaiser­lichen Kommissaren, indem sie folgende Worte corporaliter nachgesprochen haben: Was mir ist vorgehalten worden, und ich wohl verstanden habe, dem will ich also nachkommen, so wahr mir Gott helffe und sein heiliges Evangelium.82 In eben diesen Schritten vollzog sich die Verpflichtung sämt­licher Kameralen. Nach dem Auftritt, der Ansprache und Verlesung der – im Wortlaut jeweils leicht variierenden – Eidesformel folgte die körper­liche Ablegung des Eides, der Abtritt und danach der Auftritt der nächsten Kameralen. Die Gerichtsangehörigen wurden dabei in insgesamt sechs Gruppen unterteilt.83 Diese Gruppen betraten jeweils geschlossen den Visita­tionssaal, um den Eid abzulegen. Die kamerale Hierarchie wurde auch dergestalt zum Ausdruck gebracht, indem der Vortrag zwar jeweils von dem Direktorium gehalten wurde, die Verlesung der Eidesformel jedoch ab der vierten Gruppe per Sekretär erfolgte.84 Überdies wurde die Hierarchisierung auch gerichtsintern gepflegt, indem die Herbeiholung jeder Gruppe zwar durch den kurmainzischen Sekretär bzw. Diener erfolgte. Die Bekanntgabe dieser Herbeiholung nahmen jedoch jeweils unterschied­liche Gerichtsangehörige vor.85 Ferner wurde im Vorfeld des Verpflichtungsaktes bestimmt, dass die zwei ältesten Prokuratoren dem Kammerrichter eine Specifica­tion deren Abwesenden einschließ­lich einer Begründung überreichen sollten. Selbiges sollte für die sechste Gruppe der Botenmeister und für die übrigen Kanzleibediensteten der Kanzleiverwalter tun.86 82 Ebd., S. 80. 83 Neben den bereits genannten Kameralkollegium (Gruppe 1) sowie dem Kanzleiverwalter, den Fiskalen und Fiskalsanwärtern (Gruppe 2) waren dies sämt­liche Advokaten, Prokuratoren sowie die ­zwischen denenselben den Rang habende Protonotarien (Gruppe 3), alle Notare, Leser und der Pfennigmeister (Gruppe 4), der bzw. die Taxeinnehmer, Completor, Botenmeister, Ingrossisten und Copisten (Gruppe 5) und schließ­lich der Kanzleidiener, die Pedellen und Boten (Gruppe 6) [HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767]. 84 Ebd. 85 Bei der zweiten Gruppe erfolgte die Eröffnung für die Fiskalangehörigen durch einen Pedellen, bei der dritten Gruppe für den Protonotar durch den Kanzleiverwalter und für die Anwälte, die in ihren gewöhn­lichen Mänteln und schwartzen Kleidern zu erscheinen hatten, durch zwei Supernumerari Pedellen. Bei der vierten und fünften Gruppe war es wiederum der Kanzleiverwalter, der die Eröffnung leistete, und bei der letzten Gruppe der Botenmeister, wobei bei dieser Gruppe im Gerichtsprotokoll zusätz­lich vermerkt wurde, dass alle in gebührenden Kleidern und letztere [die Boten; A. D.] in Mändel und Schilderen zu erscheinen hätten [BA AR 1/IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 14. Juli 1767, fol. 314 u. 314v]. Siehe ausführ­lich zu Uniform und Schildern sowie dem Repräsenta­tionszwang der Kameralboten Mader, „Soldateske“ des Reichskammergerichts (2003). 86 BA AR 1/IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 14. Juli 1767, fol. 314 u. 314v.

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Es kann somit festgehalten werden, dass die Verpflichtung der Gerichtsangehörigen den instrumentellen Zweck verfolgte, jeden unter Androhung des Meineides zu einer examensinternen Offenheit und einer examensexternen Verschwiegenheit zu verpflichten. Diese für das Examen unabdingbare Verfahrensgrundlage liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass Loskant in seiner Dankesrede davon sprach, die Verpflichtungsformel pro Examine zu leisten,87 und die Visita­tionsprotokolle von Praeparatorien ad Examen Camerale sprechen.88 Dementsprechend begann einen Tag nach der Verpflichtung das Examen des Kammerrichters. Unabdingbar für das Examen war ferner der erste Teil des Verpflichtungsaktes, der aus der Angelobung der kaiser­lichen Kommissare und der Visitatoren sowie aus dem Handgelöbnis der Sekretäre bestand und dazu diente, sämt­liche Delega­tionen auf das allgemeine Visita­tions- und spezielle Examensarkanum zu verpflichten. Diese instrumentelle Dimension konnte sich jedoch nicht selbst genügen, sondern bedurfte einer symbo­lischen Legitimierung. Eine ­solche Legitimierung wurde durch die Inszenierung des politisch-­sozialen Rangunterschiedes erreicht, der ­zwischen und unter den Visitatoren und Gerichtsangehörigen bestanden hat. Daneben war es erforder­lich, die Verfahrenshierarchien ­zwischen Visitatoren und zu visitierenden bzw. zu examinierenden Kameralen zur Darstellung zu bringen. Zusammengenommen handelt es sich also um eine gedoppelte Inszenierung des Rang- und Visita­tionsgefüges (Visitatoren und Visitierte).89 Die symbo­lische Darstellung und instrumentelle Herstellung 90 ­dieses zeitund visita­tionsimmanenten Gefälles erfolgte dabei zwar auch durch eine gestufte Verpflichtung (Angelobung und Eid). In erster Linie aber war es die unterschied­ liche Ordnung von Raum 91 und Zeit,92 ­welche die ­symbo­lische Gesamtordnung 87 88 89 90

WA 13. Stück vom 7. Dez. 1767, S. 78. 23. Session vom 13. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. Siehe hierzu auch Anm. 51. Grundlegend zu dieser Unterscheidung Stollberg-­Rilinger, Herstellung und Darstellung politischer Einheit (2005). 91 Auffahrt der Visitatoren mit Pferden und Sänften, Auffahrt kaiser­liche Kommissiare mit sechsspännigen Wagen, deren gestufter Empfang durch die Visitatoren, hierarchischer Einzug in den Saal, dort entsprechende Sitzordnung, Herbeiholung der Sekretäre, deren Verpflichtung stehend hinter den Stühlen der Visitatoren, gruppenweise Herbeiholung der Kameralen, die sich ‚gegenüber‘ in der Neuen Kammer versammelt hatten, bei Betreten der Kameralen Sitzenbleiben der Visitatoren, nach Kameralkollegium Beiseiteräumen der Stühle. 92 Visitatoren warten auf kaiser­liche Kommissiare, Sekretäre warten auf Visitatoren und kaiser­liche Kommissiare, Kameralkollegium wird wartender Weise gegen 10 Uhr und die letzte Kameralgruppe gegen 12.30 Uhr verpflichtet. Zur letzten Zeitangabe: BA AR 1/ IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 14. Juli 1767, fol. 314v spricht davon, dass die Gruppe

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der Visita­tion zur Darstellung brachte. Denn gerade die Bewegung in Zeit und Raum geschah nicht zufällig, sondern folgte einem festgelegten Ablauf, für den wiederum verschiedene Akteure zuständig waren. Ein kurmainzischer Sekretär holte mit einem Wagen die kaiser­lichen Kommissare ab und das Kameralkollegium herbei, ein Kanzleidiener sorgte für die Abräumung der Stühle sowie für die Herbeiholung der übrigen Kameralen, und die Eröffnung der Abholung übernahmen unterschied­liche ‚gruppengerechte‘ Gerichtsangehörige. Im Visita­ tionsplenum wiederum verlasen die kaiser­liche Kommission und die Visitatoren ihre Gelobungsformel selbst, während alle anderen einen Eid ablegten auf eine Formel, die bei den Kameralen von dem zweiten kurmainzischen Visitator und ab der vierten Gruppe von dem kurmainzischen Sekretär verlesen wurde. Und all dies geschah, beginnend von der Eigenverpflichtung der Visitatoren bis zur Verpflichtung der letzten Kameralgruppe, in einer zeit­lichen Ordnung, die für die meisten mit Minuten oder gar Stunden des Wartens verbunden war. Alle drei Eröffnungsakte (Auftakt am 11. Mai, Unterwerfung am 21. Mai, Verpflichtung am 15. Juli) haben daneben deut­lich gemacht, dass die symbo­lische Inszenierung der Visita­tion eine unabdingbare, aber sehr störanfällige Verfahrensgrundlage war. Nach dem Eröffnungsakt vom 11. Mai 1767 (Streit um Anwesenheit der Sekretäre sowie um die Abholung der kaiser­lichen Kommissare, Gerangel auf dem Weg zum Visita­tionssaal) und der Unterwerfung (fehlerhafte Überreichung der Schriftstücke) kam es auch bei der Verpflichtung zu einem Zwischenfall, der nicht zufällig die räum­liche Ordnung betraf. Die Abholung der kaiser­lichen Kommissare nahm näm­lich der kurmainzische Sekretär mit einem Wagen vor. Dies jedoch wurde dergestalt gedeutet, als ob Moguntini ihren Stolz und ihre Prärogativ-­Sucht so weit getrieben hätte, daß auch ihr Secretarius aufgefahren wäre. Der kursäch­sische Visitator fragte sogar in der 25. Session förm­lich an, wie dies zu verstehen sei, zumal die eigenen Sekretäre zu Fuße auf den Visita­tions Convent hin- und zurück gegangen ­seien.93 Daneben lässt sich Folgendes festhalten: Bei jedem symbo­lisch-­rituellen Geschehen spielte die Schrift­lichkeit eine nicht unerheb­liche (Redemanuskripte, Gelobungsund Eidesformeln) und sowohl im Bezug auf die ‚Unterwerfungsschriftstücke‘ als auch im Hinblick auf die Protokollführung sogar unersetzbare Rolle. Denn erst die protokollarische Fixierung der Geschehnisse unter Berücksichtigung oder Umgehung der Konflikte ermög­lichte es, die Grenzen der Präsenzkultur zu überwinden. Ebenso unabdingbar aufgrund der Störanfälligkeit war es, vorab schrift­lich den

6 um halb zwölf abgeholt werden solle. Unter Berücksichtigung der einstündigen Verspätung (siehe Anm. 79) ergibt dies 12.30 Uhr. 93 HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767.

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‚Fahrplan‘ eines jeden Eröffnungszeremoniells festzulegen. Die Macht der Protokolle bzw. – anders formuliert – die schriftzentrierte Verfahrensmacht zeigte sich schließ­lich auch bei dem protokollarischen ‚Nachspiel‘. Nur hier, in den Protokollen, war es mög­lich, den ein oder anderen ‚Fehltritt‘ zu beheben bzw. zu entkräften. Diese verdeut­licht die protokollarische Einschärfung des ‚Aufstehgebots‘ für den Kammerrichter oder aber Falcke, der seine Gelobungsformel aufgrund fehlender Instruk­tionen nur unter dem Vorbehalt ablegte, diese nachträg­lich protokollarisch ändern zu können.94 Im Hinblick auf die noch zu leistende intensive Auseinandersetzung mit den Visita­tions- und Examensprotokollen lässt sich also neuer­lich sagen, dass die Schrift­lichkeit zwar Probleme verschärfen oder auch erst generieren konnte. Auf der anderen Seite ermög­lichten es die Protokolle, Verfahrensprobleme zu entschärfen oder auch zu lösen. Beide Seiten der ‚Protokollmedaille‘ müssen für die weiteren Ausführungen mitbedacht werden.

D.2. Verfahrensrollen Die dreifache Eröffnung der Visita­tion diente auch dazu, Rollen für das Verfahren aufzubauen. In eben ­diesem Sinne kam es wenige Tage nach der feier­lichen ‚Teil­ eröffnung‘ vom 11. Mai 1767 zur Überprüfung der Vollmachten, die jeder Visitator vorzulegen hatte, um sich als Subdelegierter zu legitimieren [D.2.2.]. Daneben waren es die Anweisungen, ­welche die Visitatoren vor der Visita­tion (Hauptinstruk­tion) und während der Visita­tion (Instruk­tion) von ihrer Obrigkeit erhielten, die vielfach sehr konkrete ‚Rollenanweisungen‘ beinhaltet haben. Auch diese Instruk­tionstypen sollen hier behandelt werden [D.2.3.]. Anzusprechen ist zudem der für jede Rolle nicht unwichtige Moment, in dem die zugewiesene und eingeübte Rolle erstmals ‚aufgeführt‘ wurde. Dieser ‚Rollenauftakt‘ soll als Erstes erörtert werden [D.2.1.]. D.2.1 Rollenaufbau: Die Ansage der Ankunft Die Subdelegierten begannen unmittelbar nach der Ankunft in Wetzlar und damit noch vor den drei Eröffnungsakten ihre Verfahrensrollen aufzubauen. Idealiter teilte zunächst jeder angehende Visitator seine Ankunft den anderen künftigen Mit­ visitatoren sowie den Mitgliedern des Kameralkollegiums als auch – dies variierte von Delega­tion zu Delega­tion – weiteren Gerichtsangehörigen mit. Nach dieser 94 Ebd.

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Ankunftsansage kam es zu einem jeweiligen Besuch durch den Visitator, der mit einem Gegenbesuch beantwortet wurde. Diese persön­lichen Vorstellungen und insbesondere die Bekanntgabe der Ankunft waren wichtige Momente im Vorfeld des Verfahrens, da bis dahin die Subdelegierten und kaiser­lichen Kommissare nur incognito in Wetzlar waren. So war Spangenberg vor seiner Ankunft, die am 10. Mai von Butzbach aus unter der Begleitung von 50 darmstädttische[n] Hussaren erfolgte,95 ledig­lich incognito in Wetzlar, um sein Quartier in Augenschein zu nehmen.96 Erst danach ließ er sich als kaiser­licher Kommissar ankündigen, wobei er sogleich bekannt gab, wegen kürtze der Zeit keinen Besuch entgegennehmen zu wollen.97 Die Ankunftsansage der kaiser­lichen Kommissare und Visitatoren übernahmen, wie schon bei den Eröffnungsakten, verschiedene Gehilfen entsprechend des jeweiligen Ranges der zu benachrichtigten Person. So berichtet Falcke, dass manche Visitatoren ihre Ankunft dem Cammerrichter per Secretarium, denen Präsidenten durch die Cancellisten und den Assessoribus durch Bediente vermelden ließen.98 Falcke selbst wiederum musste sich bis zur Ankunft seines Sekretärs, der seine Ankunft verkünden sollte, Incognito halten, obgleich dies einige Visitatoren und Gerichtsangehörige nicht abhalten konnte, ihm schon davor einen informellen Besuch abzustatten.99 Die Inszenierungstrias von Ansage, Besuch und Gegenbesuch war sehr zeit­ intensiv. Dies verdeut­licht Stallauer, der am 29. April 1767 in Wetzlar ankam und am 15. Mai mitteilte, dass er bis dahin sowohl mit der Visite der Visitatoren, des Kammerrichters, der Präsidenten sowie der Assessoren als auch damit beschäftigt war, die nem­liche Honneurs von allen und jeden, so auch den kurfürst­lichen Subdelegierten, zu erhalten.100 Gerade dieser Zeitaufwand und damit die von Falcke in einem anderen Zusammenhang beklagten Ceremonial Weitläuftigkeiten,101 aber auch die (zeitintensiven) Rangkonflikte, die hierbei durchaus entstehen konnten,102 führten bereits am 8. Mai dazu, dass die Visitatoren untereinander alle Visite und Revisite als geschehen hielten.103 95 StadtAA RKG 33, Rela­tion 2 vom 15. Mai 1767. 96 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 2. Mai 1767. 97 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 8. Mai 1767. 98 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767. 99 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 5. Mai 1767. 100 StadtAA RKG 33, Rela­tion 2 vom 15. Mai 1767. 101 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König (PS) 7. März 1772. 102 So verweigerten die kurmainzischen Visitatoren den nach ihnen angekommenen alt Fürst­ lichen die erste Visite [BayHStA KS 5716, Diarium vom 7. Mai 1767]. Siehe hierzu bereits B.1.4. 1 03 HHS tA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 8. Mai 1767. Warum Stallauer dennoch noch am 15. Mai von bis dahin andauernden Besuchen und

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D.2.2 Die Bevollmächtigung der Visitatoren Seine Vollmacht war auf Pergament in forma patente geschrieben und mit einer angehängten großen hölzernen Capsel versehen, worin sich das in rothem Wachs sehr sauber abgedruckte große Preußische Insiegel befund.104

Vollmachten waren keine alltäg­lichen, sondern – das Zitat deutet es an – außergewöhn­ liche und dementsprechend besonders sorgsam ausgestellte (‚patentsweise‘105 beschriebenes Pergament) und beglaubigte (Siegel, Siegelkapsel, Unterschrift)106 Schriftstücke. Sie dienten dazu, jemanden (den Bevollmächtigen) in die Lage zu versetzen, einen anderen (Vollmachtgeber) gegenüber Dritten (in d­ iesem Fall den kaiser­lichen Kommissaren und den anderen Visitatoren) „zu vertreten, also Willenserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen, die den Vertretenen unmittelbar berechtigen und verpflichten“.107 Mit Blick auf das Verfahren kann auch davon gesprochen werden, dass die Visitatoren ihre Verfahrensrolle legitimierten. Wie wichtig die Vollmachten für das Verfahren waren, verdeut­lichen, neben den gesiegelten und unterschriebenen Originalen,108 die zahlreichen Kopien, die sich bis heute in den Archiven der einstigen Visita­tionsstände erhalten haben.109 Zudem fand zu Visita­tionsbeginn eine umfassende Überprüfung der Vollmachten statt, die sich wie folgt gestaltete: Zunächst ließ jeder Visitator unmittelbar nach der offiziellen Ankunft in Wetzlar und zumeist im Zusammenspiel mit der Ankunftsansage seine Vollmacht dem Direktorium überbringen. Dort fand eine formale und inhalt­liche Erstüberprüfung statt, die bei manchen durchaus Anlass zur Beanstandung bot. Der Subdelegierte von Konstanz etwa, aber auch andere Visitatoren waren nur für die Visita­ tion, nicht aber für die Revision bevollmächtigt. Hier musste ein entsprechender Nachtrag vorgelegt werden.110 Sodann, ab der zweiten Sitzung (15. Mai 1767) und Gegenbesuchen sprach, lässt sich nicht klären. Vielleicht waren es auch ‚nur‘ die Gerichtsangehörigen, die ihn zu dieser Einschätzung verleiten ließen. 104 So beschrieb Falcke die Vollmacht des Visitators von Hinterpommern [HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774]. 105 In forma patente meint die Beschreibung eines ganzen ungefaltenen Papierbogens bzw. Pergaments [Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 120 u. S. 122]. 106 Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 127 – 131 u. S. 159 – 162. 107 Ogris, Vollmacht (1998), Sp. 1024 f. 108 Diese wurden nicht eigens gesichtet. HHStA Wien MEA RKG 384 enthält jedoch den Aktenbetreff nach Vollmachten. 109 So in München [BayHStA KS 5789 u. 5814] und Hannover [HStA-Han. Cal. Br. 11 4219, 4317 u. 4318]. 110 Auf diesen Missstand wiesen Ottenthal und Horix erstmals am 4. Mai hin [HHStA Wien MEA RKG 341] mit dem Ergebnis, dass der Visitator von Konstanz erst seine Vollmacht für

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damit wenige Tage nach der feier­lichen Eröffnung (1. Session vom 11. Mai),111 fand im Plenum die Begutachtung aller Vollmachten statt, jedoch mit zwei Ausnahmen. Zum einen wurde die kurmainzische Vollmacht nach altem Herkommen bereits durch die kaiser­liche Kommission vor der ersten Session überprüft.112 Zum anderen wurde die kaiser­liche Vollmacht während der feier­lichen Eröffnung vorgelesen und vorgezeigt.113 Gleiches geschah mit den Vollmachten der Visitatoren. Hierzu wurde, unter Anwesenheit des Bevollmächtigten, zunächst die Herrschertitulatur vorgelesen, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Die Auswertung der vorige[n] Visita­tions-­Protocolla hatte näm­lich ergeben, dass bei der Gelegenheit viele Protesta­ tionen und Re-­Protesta­tionen entstanden sind. Deshalb las man nur die Eingangs Worte vor, wobei protokollarisch festgehalten wurde, dass die nicht abgelesene[n] Titulaturen […] niemalen zu eines oder des andern Nachtheil gereichen sollten.114 Bei der Nennung der Kurztitulatur der Kurfürsten standen alle Visitatoren und kaiser­liche Kommissare auf, während bei den fürst­lichen Titulaturen sich alle Visitatoren, nicht aber die kaiser­lichen Kommissare gäntz­lich aufrecht erhoben haben. Bei den städtischen Vollmachten hingegen blieben alle sitzen.115 Nach der Titulatur wurde der Text der Vollmachten verlesen. Er umfasste zwei bis drei Seiten und vereinte entweder Visita­tions- und Revisionsvollmacht oder war, wie bei dem österreichischen Gesandten, aufgeteilt auf zwei verschiedene Vollmachten.116 Die Verlesung durch das Direktorium geschah dabei auffällig langsam. Dies war kein Zufall. Das Direktorium und die kaiser­lichen Kommissare wollten vielmehr vermeiden, durch ein schnelleres Verlesen in eine Inactivität zu verfallen, die nach deren Ansicht entstanden wäre, da viele katho­lische Visitatoren noch nicht anwesend waren.117 Dieser Zeitgewinn trat dann auch tatsäch­lich durch die langsame Ablesung deren Vollmachten ein.118 die Visita­tion (Überprüfung im Plenum in der 2. Session vom 15. Mai 1767) und dann seine Vollmacht für die Revisionen (Überprüfung in der 10. Session vom 12. Juni 1767) vorlegte. 111 Die anfäng­liche Zählung der Sessionen variiert. So bezeichnen die kurmainzischen Visitatoren die Session vom 15. Mai 1767 als die erste ordent­liche Session [HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 15. Mai 1767], während der Visita­tionsindex [HHStA Wien MEA RKG 378] von einer zweiten Session spricht. Hier wird im Zweifelsfall stets der Zählung des Indices gefolgt. 112 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767. 113 Siehe D.1.1. 114 Protokoll der Präliminarkonferenz vom 8. Mai 1767 [HStA-Han. Cal. Br. 11 4098]. 115 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 15. Mai 1767. 116 BayHStA KS 5789. Beide Vollmachten wurden einem Vermerk folgend am 16. Mai 1767 in der Direktoriumskanzlei präsentiert und am 18. Mai 1767 im Plenum examiniert. 117 Auf katho­lischer Seite fehlten noch Österreich, Regensburg, Münster und die Prälaten. 118 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 14. Mai 1767.

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Neben dieser gewollten Weitläufigkeit war der gesamte Vorgang der Bevollmächtigung sehr zeitintensiv. Nach der Verlesung der Vollmachten musste zunächst der Bevollmächtigte abtreten und erst danach kam es zur eigent­lichen Überprüfung. Sie bestand daraus, dass die Vollmachten unter den Visitatoren herumgereicht wurden, um Unterschrift und Siegel genauestens zu überprüfen.119 Besonderer Aufmerksamkeit wurde hierbei der so genannten Substitu­tionsformel geschenkt. Bei dieser Formel handelt es sich um die eigent­liche Ermächtigung, in Vertretung der jeweiligen Obrigkeit handeln zu dürfen. So heißt es beispielhaft für den Visitator des Fürstbistums Eichstätt (3. Klasse): Was nun Unser Subdelgierter s­ olcher Gestalten verrichten und handlen wird, all solches wollen Wir als Unser eigene Handlungen ansehen und genehmen.120 Zudem wurden die Gewalt- und Legitima­ tionsbriefe, so die Eigenbezeichnung einer Vollmacht,121 nicht einfach kommentarlos herumgereicht. Es gab vielmehr hier und da kleinere Beanstandungen wie die, dass Königsthal seine Präsenta­tion als Richter des RKG nicht beachten dürfe oder dass bei der Vollmacht des kursäch­sischen Visitators der noch minderjährige Kurfürst Friedrich August III. unterschrieben habe.122 Geachtet wurde schließ­ lich auch darauf, dass Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer mit würk­lichen Eyds Pflichten verbunden sind.123 Aus ­diesem Grund ist bei dem Eichstätter Visitator, der in der ersten Klasse bereits für das Fürstbistum Regensburg und in der zweiten Klasse für das Fürstbistum Salzburg visitiert hat, explizit von Unseren würk­lich verpflichteten geheimen Rath Johann Ernst Edlen von Haimb die Rede.124 Die Vollmachten, die entweder mit dem Tod des Visitators, der vorzeitigen Nieder­legung des Amtes oder mit dem Ende der Visita­tionsklasse erloschen, waren also ein sorgsam formuliertes, ausgestelltes, beglaubigtes, begutachtetes und nicht zuletzt auch sorgsam verwahrtes Schriftstück. Letzteres geht vor allem daraus hervor, dass alle Vollmachten ad Acta Imperii dem Erz-­Canzlaramt anvertraut[…] wurden.125 Diese ‚reichische‘ Aktenverwahrung steht für die Archivwürdigkeit und dies wiederum für die Bedeutung der Schriftstücke. Die Verfahrensrelevanz der Vollmachten unterstreicht abschließend, dass darüber nicht nur in der ersten Klasse, sondern auch in den Folgeklassen sehr intensiv geredet wurde. Alleine die zweite Klasse setzte sich in insgesamt sieben Sitzungen mit den Vollmachten 1 19 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774. 120 BayHStA KS 5814, Vollmacht Fürstbistum Eichstätt vom 19. Juni 1775. 121 BayHStA KS 5789, Vollmacht Reichsstadt Augsburg vom 11. April 1767. 122 Protokoll der 2. Session vom 13. Mai 1767 [StadtAA RKG 41]. 123 HHStA Wien RK RKG VA 48, Instruk­tion § 5. 124 BayHStA KS 5814, Vollmacht Fürstbistum Eichstätt vom 19. Juni 1775. 125 WA 2. Stück vom 29. Juli 1767, S. 13.

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auseinander.126 So stritten allen voran die Grafen weniger um die Inhalte der Vollmachten als vielmehr um die Frage, welcher Graf zuerst aufgerufen werden dürfe.127 Auseinandersetzungen wie diese verweisen darauf, dass im Laufe der Jahre immer öfter Rang- und sonstige Konflikte 128 ausgetragen wurden. Die Legitimierung der Visitatoren war dabei ein geeigneter Zeitpunkt, um Widerspruch öffent­lich zu bekunden. Dies wird an anderer Stelle die 1056. Sitzung vom 8. Mai 1776 verdeut­lichen.129 D.2.3 Die Instruktionen Instruk­tionen sind Handlungs- und „Dienstanweisungen […] für Funk­tionsträger“. Sie legen „Kompetenz- und Funk­tionsbereiche fest, beschreiben Tätigkeiten und die Durchführung derselben“.130 Seit dem 13. Jahrhundert belegt, kamen sie „überall dort zum Einsatz […], wo Verwaltung stattfand und insbesondere auch delegiert wurde“.131 Instruk­tionen waren also Schriftstücke, die es ganz im Sinne der raum- und zeitüberwindenden ‚Grundleistung‘ der Schrift­lichkeit ermög­lichten, „auf weite Entfernungen Handlungen kontrolliert zu delegieren“.132 Ausgehend von dieser definitorisch-­funk­tionalen Umschreibung, aber auch aufgrund der Dreiecksordnung einer jeden Visita­tion (Visita­tionsstände, Visitatoren und Visitierte) kann es nicht verwundern, dass auch den Visitatoren Instruk­tionen erteilt wurden und diese Schriftstücke sich bis heute in den Archiven erhalten haben. Zu unterscheiden sind dabei Instruk­tionen, die vor der Visita­tion erteilt wurden, und ­solche, ­welche die Visitatoren während der Visita­tion erhielten. Erstere können auch als Hauptinstruk­tionen und Letztere als Reskripte bezeichnet werden.133 Im Folgenden wird es in einem ersten Schritt darum gehen, exemplarisch zwei Hauptinstruk­tionen 126 898. Session vom 23. Nov. 1774 bis 904. Session vom 2. Dez. 1774 [StadtAA RKG 56]. 127 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774. 128 Siehe zu den ‚sonstigen‘ Konflikten u. a. D.5.2. und D.6. 129 Siehe D.6. 130 Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 9 u. S. 71. Siehe hierzu auch, neben Hengerer, Instruk­tion, Praxis, Reform (2008), Hipfinger u.a, Instruk­tionen als Leerstelle (2012). 131 Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 69. 132 Ebd., S. 74. 133 In den Quellen finden sich beide Bezeichnungen, Instruk­tionen und Reskripte. Wo erforder­lich, werden Reskripte und Hauptinstruk­tionen begriff­lich voneinander geschieden. Ansonsten aber werden – ungeachtet noch zu benennender Unschärfen – auch die Reskripte als Instruk­tionen bezeichnet.

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vorzustellen, zu vergleichen und im Hinblick auf die Verfahrensrolle der Visitatoren zu analysieren. Darauf aufbauend soll erörtert werden, ­welche Bedeutung Hauptinstruk­tionen und Reskripte für die Verfahrenspraxis hatten. Zum Vergleich herangezogen werden die kurmainzische und k­ urbayerische Hauptinstruk­tion; wo es mög­lich und notwendig erscheint, werden weitere Instruk­tionen in den Blick genommen. D.2.3.1 Entstehungskontext und Inhalte der Instruktionen Die Hauptinstruk­tion von Kurmainz datiert auf den 18. April 1767 und erreichte die kurmainzischen Visitatoren, die sich bereits in Wetzlar aufgehalten haben, am 3. Mai.134 Die kurbayerische Hauptinstruk­tion wurde gleichfalls am 18. April 1767 erstellt. Sie war mit sieben Seiten 135 weitaus kürzer als die kurmainzische Hauptinstruk­tion (16 Seiten). Beide Hauptinstruk­tionen zusammen waren jedoch nur halb so lang wie die der kaiser­lichen Kommissare (43 Seiten).136 Jede Instruk­ tion gliedert sich dem üb­lichen Aufbau entsprechend 137 in einen als Protokoll bezeichneten Anfang, den eigent­lichen Inhalt (Kontext) und einen Schlussteil (Eschatokoll). Das Protokoll umfasst neben dem Herrschertitel des Norm­gebers die Namen der zu instruierenden Personen sowie deren Funk­tionsnennung. Das Eschatokoll wiederum besteht bei Kurmainz aus Datum und Siegel und bei Kurbayern aus Datum, Unterschrift des Kurfürsten, Siegel sowie, darunter, den Unterschriften der Gegenzeichner.138 Beide Instruk­tionen haben sich im Original erhalten.139 Dies ist einerseits verwunder­lich, da die Instruk­tionen – so der Befund für den Wiener Hof – begehrte Schriftstücke waren, die „zum größten Teil mit ihren Besitzern, also mit den instruierten Funk­tionsträgern, den Hof verlassen haben“.140 Dies mag

134 HHStA Wien MEA RKG 256. 135 BayHStA KS 16612, Instruk­tion für Goldhagen vom 18. April 1767. 136 HHStA Wien RK RKG VA 48. Siehe zu der Instruk­tion der kaiser­lichen Kommissare bereits A.1.3. 137 Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 80 f. 138 Die Gegenzeichner waren Joseph Franz Graf von Baumgarten, der das Departement für auswärtige Geschäfte leitete, und Peter von Osterwald, der beim Departement Geheime Referendar war [Burgmair, Regierungsstellen des Kurfürsten Max III. Josephs Bd. 3 (1992), S. 2 – 5 u. 216 f.]. 139 BayHStA KS 16612 und HHStA Wien MEA RKG 256. 140 Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 83 u. S. 85.

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erklären, warum die Instruk­tion Falckes nicht überliefert ist.141 Andererseits kam es auch vor, dass eine Instruk­tion zumindest in Abschrift am Hof verwahrt wurde, um sie „als Basis für die Kontrolle der Dienstverrichtung“ zu verwenden.142 Zu vermuten ist also, dass entweder für beide, Normgeber und Normempfänger, eine gesiegelte Instruk­tion ausgestellt wurde, oder aber die beiden Instruk­tionen und ebenso jene für die kaiser­liche Kommission haben sich deshalb im gesiegelten Original erhalten, weil der oder die Normempfänger ihre Instruk­tion nach der Visita­tion wieder zurückgeben mussten. Dafür spricht, dass es zumindest am Wiener Hof üb­lich war, Dienstanweisungen nach dem Dienstabtritt oder Tod eines Bediensteten zu verwahren.143 Ob es darüber hinaus üb­lich war, die Delegierten an ihren Instruk­tionen selbst mitwirken zu lassen, kann hingegen nicht beurteilt werden. Dies war bei ­Goldhagen und Falcke der Fall. Im Münchner Hauptstaatsarchiv ist sogar ein mit dem Original nahezu identischer Entwurf erhalten, an dessen Rand steht: Die zu der Instruc­tion ad Visita­tionem des Reichs-­Cammergerichts von des von Goldhagen Hand entworfen.144 Und bei Falcke ist ungeachtet der nichtüberlieferten Instruk­ tion bekannt, dass dieser am 24. Dezember 1766 angewiesen wurde, eine Instruk­ tion auf Grundlage von 22 Aktenbündeln der letzten Visita­tion zu entwerfen.145 Damit jedoch ist das für diese Schriftstücke so charakteristische hierarchische Gefälle von Normgeber und Normempfänger zumindest in der Entstehungsphase nivelliert. Instruk­tionen waren also weniger obrigkeit­liche als vielmehr von Normgeber und Normempfänger ko-­konstruierte Dienstanweisungen. Warum aber geschah dies? Gab damit nicht ‚die‘ Obrigkeit ein wichtiges Mittel der Kontrolle ihrer Abgesandten aus der Hand? Zunächst muss festgehalten werden, dass die angehenden Visitatoren hochqualifizierte und an vielen Höfen und Städten die wohl geeignetsten Funk­ tionsträger waren, um das RKG zu visitieren. Allein aufgrund dieser E ­ xpertise konnte es sinnvoll sein, die Normempfänger sich selber instruieren zu lassen. Daneben wurden die Instruk­tionen nicht in völliger Eigenregie geschrieben. Für Falcke ist vielmehr deut­lich, dass ihm für die Erstellung des Instruk­tionsentwurfes 141 Oder aber die Instruk­tion konnte trotz intensiver Suche im Dickicht der Akten nicht aufgefunden werden. Dies kann erneut nicht ausgeschlossen werden. 142 Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 83. 143 Ebd., S. 85. 144 Ledig­lich Protokoll, Eschatokoll und der erste der insgesamt elf Punkte, der Arbeitsort (Wetzlar) und Arbeitsbeginn (2. Mai) umfasst, wurden in Erweiterung zu Goldhagens Entwurf angefügt. Der Entwurf ist zu finden unter BayHStA KS 5716. 145 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 29. Jan. 1767.

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umfassendes Aktenmaterial zur Verfügung gestellt wurde. Der Normgeber legte also die schriftbasierten Bezugspunkte des Entwurfes fest. Hieraus sowie aus der Überarbeitung 146 und Ausfertigung der Instruk­tionen durch die Obrigkeiten bestand der nicht unerheb­liche obrigkeit­liche ‚Ko-­Konstruk­tions-­Part‘. Wie wichtig die Akten für die Erstellung der Instruk­tionen waren, konkretisiert die kurmainzische Anweisung. Dort ist indirekt von der Kenntnis des Geschäffts die Rede, die den Visitatoren aus den ältern und jüngern Acten bekannt sei. Daneben lag der Instruk­tion ein actenmäßige[r] Auszug über die Rechte des Direktoriums bei.147 Die Schrift­lichkeit war somit Motor (Akten als Informa­tionsgrundlage), Bezugspunkt (Verweis auf Akten in Instruk­tionen) und materieller Träger der Instruk­tion (Schriftstück, auf dem die Instruk­tion steht). Daneben bedingten die Instruk­tionen weitere Schrift­lichkeit, indem sowohl der kurbayerische als auch die kurmainzischen Visitatoren angewiesen wurden, bei der laufenden Visita­tion über wichtige Punkte ein Gutachten zu erstellen (Punkt 11 der kurbayerischen Instruk­tion)148 bzw. darüber zu berichten (kurmainzische Instruk­tion).149 Darüber hinaus und zuvorderst vertraute die kurmainzische Instruk­tion zwar auf die bekannte Einsicht, Geschick­lichkeit, Treue und Willen der Visitatoren. Um jedoch eine größere Gewissheit über das Handeln der Visitatoren zu erlangen, fügte man in der kurmainzischen Instruk­tion den wesent­lichen Innbegriff dero C ­ hurfürstl.n Gesinnungen an, nach w ­ elchen sich selbige in dem Verlauff des Geschäfftes 150 zu betragen haben. Mit diesen Worten ist die Kernfunk­tion der kurmainzischen und generell einer jeden Instruk­tion umschrieben. Es ging darum, festzulegen, ­welchen Handlungsmaximen die Visitatoren zu folgen hatten – Maximen, die der Gesinnung der Obrigkeit entsprechen mussten. In Mainz bestand eine ­solche Maxime daraus, das Ceremonielweeßen zu beschränken und alles äußer­lichen Prachts zu vermeiden.151 Sodann forderte die Instruk­tion ein, das gegenseitige (reciprogne) Einverständnis mit der kaiser­lichen 146 Dies geht für die kurbayerische Instruk­tion aus dem Entwurf hervor [BayHStA KS 5716]. Dort wurden zwar nicht substantielle, aber doch sichtbare (Durchstreichungen, korrigierende Vermerke am Rand) Änderungen vorgenommen. 147 HHStA Wien MEA RKG 256, Instruk­tion vom 18. April 1767. 148 BayHStA KS 16612, Instruk­tion vom 18. April 1767. Für die kurbayerische Instruk­tion werden die jeweiligen Unterpunkte nachgewiesen. 149 HHStA Wien MEA RKG 256, Instruk­tion vom 18. April 1767. Von den kaiser­lichen Kommissaren wurde sogar verlangt (§ 6), alles, was dictiret wird samt denen Conferrenz-­ Protocollis und ihren Beylagen, zu Händen zu bringen [HHStA Wien RK RKG VA 48]. 150 HHStA Wien MEA RKG 256, Instruk­tion vom 18. April 1767. 151 Ebd.

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Kommission zu suchen und ohne Rücksicht auf die Gerichtspersonen mit aller Schärffe zu visitieren.152 Besonders eingeschärft wurde jedoch den kurmainzischen Visitatoren, auf die volle Ausübung und Emporhaltung der Churfürst­lichen Ertz­ kantzellarischen Befugniße[...] zu achten.153 Hierzu zählte die unumschränkte Ausübung der Direktorialrechte, die Vermeidung der von den Protestanten immer wieder geforderten Parität der Gerichtskanzlei 154 sowie die Visita­tion der Kanzlei. Zur Erreichung des letzten kurmainzischen Vorrechts wurden Ottenthal und Horix einige Wochen vor der Visita­tionseröffnung nach Wetzlar entsandt.155 Ihre Aufgabe war es, die Gerichtskanzlei zu überprüfen und sich um die Räum­ lichkeiten für die Sessionen und die Diktatur zu kümmern.156 Die beiden wegen der Kanzleivisita­tion bereits vorgereisten Visitatoren bekamen die Hauptinstruk­tion nachträg­lich zugesandt.157 Ottenthal und Horix waren also die ersten Tage instruk­tionslos, was wiederum bedeutet, dass sie zuvor münd­ lich und/oder schrift­lich instruiert worden sein mussten. Die Hauptinstruk­ tionen stellten damit nur eine von vielen Mög­lichkeiten dar, die Visitatoren auf die Visita­tionsmaximen der Normgeber ‚einzustimmen‘. In München verfolgten die Normgeber dabei ähn­liche Handlungsmaximen wie in Mainz. Neben der bereits genannten Berichtspflicht (Punkt 11) erhielt auch Goldhagen verbind­ liche Auskunft darüber, mit wem er zu kooperieren habe.158 Dies war der kurpfälzische Visitator (Punkt 6) sowie ganz allgemein die welt­lichen, auch protestantischen Subdelegatis, mit denen Goldhagen sich zu concertiren habe, in so fern es die Religion nicht betrift.159 Zuvorderst jedoch forderten die kurbayerischen ebenso wie die kurmainzischen Normgeber ein, die ständischen Vorrechte zu wahren (Punkt 2).160 In ­diesem Zusammenhang wurde eigens die sog. Kaiserswerther Sache hervorgehoben. Dieser vor dem RKG anhängige Prozess ­zwischen Kurköln und Kurpfalz 161 dürfe nicht privativé unter der Hand, sondern nur im Plenum besprochen werden (Punkt 8). Angesprochen wurde ferner das Recht der

1 52 Ebd. 153 Ebd. 154 Smend, Reichskammergericht (1911), S. 316. 155 HHStA Wien MEA RKG 256, Instruk­tion vom 18. April 1767. Die Visita­tion der Gerichtskanzlei bedurfte einer eigenen Untersuchung. 156 Ebd. 157 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 3. Mai 1767. 158 BayHStA KS 16612, Instruk­tion vom 18. April 1767. 159 Ebd. 160 Ebd. 161 Siehe hierzu E.3.3.

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Stände, einen Assessor für das RKG vorzuschlagen. Die Gewohnheit, Kandidaten nur des Standes wegen abzulehnen, sei ein Mißbrauch, der behoben werden müsse (Punkt 9).162 Zu achten sei (mit Kurmainz) auch darauf, die Parität der Gerichtskanzlei, aber auch die paritätische Bestellung des Kammerrichters, w ­ elche die Protestanten vermutetermaßen durchsetzen wollten, zu verhindern (Punkt 10).163 Daneben und nicht zuletzt festgelegt wurde in München, dass die Visita­ tion nur im Plenum (Punkt 4) und ansonsten in Revisionssenaten tagen solle, wo Kurmainz jedoch nicht das Direktorium oder ein entscheidendes Stimmrecht haben dürfe (Punkt 5).164 Diese kurbayerischen sowie die kurmainzischen Instruk­tionspunkte verdeut­ lichen dreierlei: Es war 1.) Hauptaufgabe beider Delega­tionen, die reichsstän­ dischen Rechte ihrer Obrigkeiten zu wahren. In ­diesem Sinne betonte der Mitverfasser Goldhagen auch am Schluss nochmals, dass er die Jura und Vorrechte der Stände, besonders aber die Unsrigen aufrecht erhalten werde (Punkt 11).165 Damit hängt 2.) zusammen, dass die Reforminhalte, also die unter A.1.3. dargelegten Reformnotwendigkeiten, nur eine untergeordnete Rolle spielten. Zwar ging die kurmainzische Instruk­tion auf das Examen der Kameralen ein und die kurbayerische Instruk­tion listet zumindest allgemein die Untersuchung der Mängel und Gebrechen [...], Verbesserung der Gerichtsform, Abänderung der Cammergerichtsordnung und Erledigung der Revisionen auf (Punkt 4).166 Darüber hinaus jedoch und anders als bei der kaiser­lichen Instruk­tion 167 wurde kein reforminhalt­licher Arbeitsplan aufgestellt. Stattdessen wurden zwar vereinzelt Reformpunkte angesprochen. Diese jedoch, so allen voran die Erledigung der Revisionen und die Parität der (von Kurmainz separat zu visitierenden) Gerichtskanzlei, wurden weniger als sachbedingte Erfordernisse betrachtet, sondern vielmehr als 1 62 BayHStA KS 16612, Instruk­tion vom 18. April 1767. 163 Ebd. 164 Ebd. 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Die Instruk­tion der kaiser­lichen Kommission [HHStA Wien RK RKG VA 48] thematisiert folgende Reforminhalte: Examen der Kameralen (§ 12), Einhaltung des letzten Visita­tionsabschieds (§ 14), Parität der Kanzlei (§ 17), Visita­tion der Kanzlei (§ 18), Beschwerden gegen das RKG (§ 19), Untersuchung der Gemeinen Bescheide (§ 20), Suspensiveffekt bei Mandaten und Prozessen (§ 21), Dubia Cameralia (§ 22), Verbesserung der RKGO (§ 23), Jurisdik­tionskonkurrenz mit dem RHR (§ 24), Gerichtskompetenzen der K ­ irche (§ 25), Pfandungskonstitu­tion (§ 26), Untersuchung der Rechnungen (§ 27), Sustenta­tions- und Besoldungswesen (§ 28), Kameralarchiv (§ 29), Transloka­tion des RKG (§ 30) und Bearbeitung der Revisionen (§ 32).

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visita­tionsbedingte Reformfelder, die gemäß der Handlungsmaxime ‚Wahrung der Vorrechte‘ standesrecht­lich zu gestalten (Revisionssenate) bzw. zu vermeiden (Parität der Kanzlei) waren. Die Instruk­tionen führen somit noch einmal vor Augen, dass es bei der Visita­tion immer auch und zuvorderst um die Bestätigung der Reichsordnung ging und diese sowohl gegenstands- (RKG) als auch verfahrensimmanente Maxime eine in den Instruk­tionen schrift­lich fixierte Handlungsanweisung war. Einschränkend anzumerken ist allerdings, dass dem gesamten Verfahren auch die so genannte Reichsinstruk­tion aus dem Jahr 1706 zugrunde lag, die sehr inhaltsreich war.168 Bei dieser Instruk­tion handelt es sich um eine Anweisung, die Kaiser und Reich für sämt­liche Delega­tionen aufgestellt haben, damit die Visita­tion damals (1706) wie heute (1767) dasjenige tue, was der Verbesserung der Justiz dien- und erprieß­lich seyn kann.169 Die dort festgelegten 26 Punkte lassen sich somit als ‚reichischer‘ Instruk­tionsplan begreifen, der stärker als die delega­ tionsinternen Instruk­tionen den reforminhalt­lichen Weg der Visita­tion vorgab.170 Instrumenteller Zweck der Instruk­tionen, die auf territorialer Ebene ausgestellt wurden, war es schließ­lich und vor allem (3.), den Visitatoren verbind­lich mitzuteilen, wie diese sich ‚in der Ferne‘ zu verhalten hätten, einschließ­lich der Benennung der Koopera­tionspartner oder auch des in Mainz festgelegten partiellen Kontaktverbots mit den Kameralen.171 Verbind­lichkeit scheint ein, wenn nicht sogar der entscheidende Nutzen zu sein, den beide Seiten (Normgeber und Normempfänger) aus der Instruk­tion ziehen konnten. Allerdings, auch dies ist deut­lich, die Visita­tion war wie jedes Verfahren ergebnis- und damit entscheidungsoffen. Die Aufstellung verbind­licher handlungsleitender Maximen im Vorfeld der Visita­tion hatte ihre Grenzen, die der Gegenstand (ergebnis- und entscheidungsoffenes Verfahren), aber auch die zeit­liche Dimension (Verfahren lag in der Zukunft) bedingte. Aus d ­ iesem Grund benutzte man in Mainz und Hannover für die Erstellung der Instruk­tionen Akten der vorangegangenen Visita­tion. Sie bildeten das Visita­tionsgedächtnis, das dazu benutzt wurde, Anweisungen für die Zukunft zu erstellen. Und wenn d­ ieses fehlte, wie es einmal bei Goldhagen der

1 68 Rohr, Reichstag (1968), S. 109. 169 Reichsinstruk­tion vom 15. Aug. 1706, Vorrede. Die Instruk­tion ist abgedruckt im Corpus Iuris Publici (17746), S.  200 – 206. 170 Die Instruk­tion legte u. a. fest, das Justiz-­Wesen in seine rechte Consistenz und Lauf zu bringen (Punkt 9), die Einrichtung zeitgemäßer Fragestücke (Punkt 8), die Revidierung des Konzepts der RKGO (Punkt 19), die Überprüfung der Pfenningmeisterei (Punkt 20) und die Bearbeitung der Dubia Cameralia (Punkt 23). 171 HHStA Wien MEA RKG 256, Instruk­tion vom 18. April 1767.

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Fall war,172 oder auch ansonsten keine visita­tionsrelevanten Informa­tionen vorlagen, dann musste die Instruk­tionserstellung entweder aufgeschoben oder am Ende in der Instruk­tion Mutmaßungen aufgestellt werden, wie in München bei Punkt 5 (wie verlauten will), Punkt 7 (wie es ebenfalls das Ansehen gewinnen will, also den Anschein haben will) und Punkt 10 (wie zu vermuthen seyn will).173 Aber auch ansonsten lag es in der benannten Natur der Sache, dass eine Instruk­tion recht allgemein gehalten war und speziellere Anweisungen nur über die Reskripte und diese wiederum auf Grundlage der eingesandten (und in den Instruk­tionen eingeforderten) Berichte aufgestellt werden konnten. Instruk­tionen können also als der schriftbasierte Verfahrensauftakt einer jeden Delega­tion begriffen werden, weil sie zum einen die Leitlinien der Visita­tionspolitik schrift­lich fixierten. Zum anderen begründeten sie den weiteren delega­tionsinternen Schriftaustausch, indem sie die Berichte der Visitatoren und damit verbunden die Reskripte der Obrigkeit einforderten. D.2.3.2 Die Bedeutung der Instruktionen für den Verfahrensalltag Wenn ihm, Bavaro, sein Herr die Instruc­tion gebe, er solle dem Graven von Zech Ohrfeigen geben: so könne er nicht umhin.174

Obwohl die im Zitat angesprochene Instruk­tion zur Erteilung der Ohrfeige als auch die Ohrfeige selbst ausblieb, ist damit dennoch gleich dreierlei angedeutet: Zum einen (1.) gab es im Laufe der neunjährigen Visita­tion immer wieder Phasen, in denen das Arbeitsklima hochgradig gereizt war. Hier angesprochen ist eine mehrmonatige Verfahrensunterbrechung,175 bei der jeder Visitator vermehrt darum bemüht war, sein Handeln oder auch Nichthandeln vor seiner Obrigkeit, aber auch vor den anderen Visitatoren zu legitimieren. In dem vorliegenden Fall war es der kurbayerische Visitator (Bavaro), der bei einem Mittagessen von rund 20 Personen die ausbleibende Unterstützung bei einer vorangegangenen Sitzung damit rechtfertigte, dass er keine entsprechende Anweisung gehabt habe. Um deut­lich zu machen, dass ihn diese nicht erteilte Instruk­tion ebenso binde wie eine erteilte Instruk­tion, bediente sich Bavaro der ‚Ohrfeigenmetapher‘: Er 172 In der Instruk­tionsvorlage zu Punkt 5 heißt es: Hierzu erbitte mir Copiam protocolli vom Churfürsten Tag [BayHStA KS 5716]. 173 BayHStA KS 16612, Instruk­tion vom 18. April 1767. 174 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an Räte 16. Mai 1772. 175 Siehe D.5.2.

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könne nicht anders, sogar wenn er angewiesen werden würde, den kursäch­sischen Visitator Zech zu ohrfeigen. Damit lässt sich 2.) sagen, dass die Visitatoren in ihrem Handeln nicht frei waren, sondern über ihnen eine autoritäts- und geldgebende Obrigkeit stand, der sie verpflichtet waren. Ob das Abhängigkeitsverhältnis allerdings so stark war, wie es der zitierte Ohrfeigenausspruch vermuten lässt, kann bezweifelt werden. Zumindest entgegnete im vorliegenden Fall der Visitator Baden-­Durlachs für den ‚verbalgeohrfeigten‘ Zech, der seine Gesichtsfarbe verändert[e] und bestürzt ins Schweigen fiel: Wenn ihm befohlen werde, den kurbayerischen Visitator zu schelten, so würde er respectuösest Gegen-­Vorstelllung thun, mit unterthänigster Bitte, allenfalls diese Comission [Auftrag; A. D.] seinem Kutscher zu übertragen.176 Die Instruk­tionen waren 3.) ein fester Bestandteil des Verfahrens und der verfahrensrelevanten Umwelt, über w ­ elche die Visitatoren informell wie im vorliegenden Fall bei einer Mittagstafel, aber auch formell im Visita­tionsplenum sprachen. Um ­dieses Reden mit und über vorhandene, nichtvorhandene oder fiktive Instruk­tionen in und außerhalb des Verfahrens soll es im Folgenden gehen. Zuvorderst lässt sich festhalten, dass die Instruk­tionen ein von den Visitatoren begehrtes, da benötigtes Schriftstück waren. Dies verdeut­lichen zahlreiche Berichte, in denen sich Aussprüche finden wie ‚So muss ich [...] hohen Verhaltungsbefehl unterthänig erbitten‘,177 ‚Über ­welchen Punct [...] eine gemessene Instruc­tion gehorsamst erbetten haben will‘178 oder ‚Nun hätte ich frey­lich sehn­lichst gewünscht, daß mir angeregt gnädigste Instruc­tion etwas früher zugegangen wäre‘.179 Insbesondere bei der Abgabe von Voten, die von größerer Bedeutung waren und/oder es nicht eindeutig war, ob ein solches Votum der Gesinnung der weisungsbefugten Stellen entsprach, hielten die Visitatoren Rücksprache mit der Obrigkeit. Sie forderten, so die gern gewählte Formulierung Falckes, einen Verhaltungsbefehl ein.180 In d­ iesem Sinne waren die Visitatoren erfreut, wenn ihr geplantes Handeln auf Zustimmung stieß oder aber ihr Handeln nachträg­lich genehmigt wurde. Oder aber, dies gleichsam die Steigerung, das Handeln der Visitatoren war nahezu identisch mit dem Begehren der Obrigkeit, obgleich der Visitator davon noch nichts verbind­lich wusste, ihm also keine schrift­liche Anweisung vorlag. So sprach ­Falcke einmal von einer gött­lichen Fügung, als er ein Votum abgelegt hatte, welches den

176 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an Räte 16. Mai 1772 177 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an Räte 5. Mai 1767. 178 StadtAA RKG 33, Rela­tion 45 vom 10. Nov. 1769. 179 BayHStA KS 5808, Goldhagen vom 2. Dez. 1770. 180 So bspw. HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767.

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posta­lisch noch nicht zugestellten Haupt Maaß Regeln dergestalt entsprach, dass man meinen könnte, das Reskript wäre bereits Tages zuvor zugekommen.181 Problematisch war es allerdings dennoch, wenn eine für die Stimmabgabe benötigte Instruk­tion noch nicht vorlag. Für ­solche Fälle gab es die – von Falcke in der vorgenannten Situa­tion nicht genutzte – Mög­lichkeit, etwas cum Reserva­ tione einzuhollender Instruc­tion zu Protokoll zu geben.182 Es war also mög­lich, sich vorbehalt­lich einer noch einzuholenden Instruk­tion zu Protokoll zu äußern. Daneben kam es vor, dass das kurmainzische Direktorium eine Instruk­tion einforderte. So drängte das Direktorium bei den Beratungen über die Einrichtung einer Geheimen Druckerei erfolgreich darauf, jede Subdelega­tion müsse eine nähere Instruc­tion von ihren Höchst und Hohen Committanten einholen.183 Instruk­tionen bzw. nichtvorhandene Instruk­tionen ermög­lichten es also, eine Entscheidung oder einen Gesprächsgegenstand aufzuschieben. Aus eben d­ iesem Grund kam es auch vor, dass das Nichtvorhandensein einer Instruk­tion als Argument gebraucht wurde, um sich nicht zu Protokoll äußern zu müssen. Dies war der Fall, als es um die Erhöhung des Kammerzielers ging und viele versuchten, sich hinter dem Berg [zu] halten und Defectum Instruc­tionis vor[zu]schüzen, also das Fehlen einer Instruk­tion vorzutäuschen.184 Es gab aber auch die Mög­lichkeit, beim tatsäch­lichen Fehlen einer Instruk­tion den Zeitpunkt einer Stimmabgabe dergestalt hinauszuzögern, dass man versuchte, andere Gegenstände zur Beratung zu bringen. So teilte Goldhagen einmal seinem Hof mit, dass falls er noch vor der Zusendung einer Instruk­tion ein Votum abgeben müsse, er den Antrag stellen werde, einen noch ausstehenden Bericht über die Pfennigmeistereirechnung vorzutragen.185 Mit den Instruk­tionen und über die Instruk­tionen wurde aber nicht nur im Rahmen des Verfahrens, sondern auch in der verfahrensrelevanten Umwelt gesprochen. Gerade dadurch, dass die Anweisungen von höchster Stelle kamen, waren sie ein wichtiger informeller Gesprächsgegenstand. So begab sich der Visitator des Fürstbistums Konstanz, nachdem er per Sekretär seine Ankunft in Wetzlar mitteilen und dem Direktorium seine Vollmacht überbringen ließ, persön­lich zu den kurmainzischen Visitatoren, um vertrau­lich zu eröffnen, dass seine Instruc­ tion dahien gestellet sei, sich denen Chur Mayntz. an[zu]schließen, woraufhin dem ­Konstanzer Visitator ebenso vertrau­liche Nachricht gegeben wurde.186 Mit und über 181 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 23. Juni 1767. 182 StadtAA RKG 33, Rela­tion 119 vom 9. März 1774. 183 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 6. Nov. 1768 (§ 355). 184 StadtAA RKG 33, Rela­tion 59 vom 8. Okt. 1770. 185 BayHStA KS 5808, Goldhagen vom 23. Dez. 1770. 186 HHStA Wien MEA RKG 341, Diarium 14. Mai 1767.

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die Instruk­tionen wurde also vertrau­lich in ausgewählten Kreisen gesprochen. Falls jedoch nicht darüber gesprochen wurde, verleitete dies andere Visitatoren dazu, Nachforschungen über mög­liche Instruk­tionen anzustellen. So sprach Falcke kurz vor der Abwechslung der dritten Klasse davon, dass der kaiser­liche Kommissar Colloredo und der Visitator Lüttichs versucht hätten, unsere Gesinnungen oder Instruc­tionen zu erforschen.187 Gesinnung und Instruk­tion erscheinen hier geradezu als eine symbiotische Einheit, deren Ergründung das informelle Ziel aller Delega­ tionen war. Entscheidend ist, dass derartige Einblicke in das Wissen und Gewissen einer Delega­tion immer im Vertrauen gewährt oder eben im Misstrauen nicht gewährt wurden. Dies präzisiert der kaiser­liche Kommissar Spangenberg. Wenige Tage vor der Visita­tionseröffnung gab er den kurmainzischen Visitatoren in Vertrauen ein Kayser­liches Rescript zum Lesen, welches sie anschließend sub Promissione Secreti mitnehmen durften. Wir haben […] jedoch, so heißt es in dem Bericht an die kurmainzische Obrigkeit weiter, von dem Rescripto geschwinde Abschrift nehmen lassen, welches wir abschrift­lich gehorsambst beyschliesen.188 Das exklusive Wissen um die gesinnungsrelevanten Instruk­tionsinhalte war also nicht nur für die Visitatoren vor Ort, sondern auch für die Visita­tionsobrigkeiten von Interesse. Wozu jedoch ­dieses Wissen? Warum begehrten überhaupt die verschiedensten Akteure Einblicke in die Instruk­tionen anderer Delega­tionen? Bei den Instruk­tionen handelt es sich zweifelsohne um ein delega­tionsinternes Arkanum, das per se inte­ ressant war. Es greift allerdings zu kurz anzunehmen, d­ ieses Arkanwissen böte damals und biete damit auch heute noch ‚wahre‘ Einblicke in die Gründe oder Nichtgründe für das Handeln oder Nichthandeln eines Visitators. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass jeder Visitator ungeachtet der Instruk­tionen einen Handlungsspielraum besaß, der in Abhängigkeit von ‚der‘ Obrigkeit, aber auch in Abhängigkeit von ‚der‘ Persön­lichkeit und/oder dem Arbeits-, Berichts-, Dienst- und Gesinnungsverständnis des Visitators sehr unterschied­lich ausfallen konnte. Nicht oder nur in Grenzen mög­lich war es allerdings, dass instruk­tionsbedingter Input und Handeln vor Ort deckungsgleich waren. Genau aus ­diesem Grund sprach Falcke, wie geschildert, auch von einer gött­lichen Fügung, als ein abgelegtes Votum den inhalt­lichen Vorgaben eines Reskriptes entsprach, das noch gar nicht vorlag. Es waren also die Visitatoren und kaiser­lichen Kommissare selbst, die sich unter Berücksichtigung der Instruk­ tionen schrift­lich oder münd­lich im formellen oder informellen Rahmen spontan, nach intensiver Tätigkeit in der stillen Schreibstube und/oder nach den korrigierenden Anmerkungen im Visita­tionsplenum zu Protokoll äußerten. Insbesondere

187 HStA-Han. Cal. Br. 11 4304, Falcke an Räte 23. April 1776. 188 HHStA Wien MEA RKG 341, Ottenthal und Horix an Kurfürst 4. Mai 1767.

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die Gesandtschaftsquartiere können dabei als jene Orte begriffen werden, an denen sich entschied, ob und inwieweit die Visitatoren ihre Instruk­tionen nach dem Buchstaben oder nach der Red­lichkeit ihres Herzens beurtheilen, wie es treffend in einer Visita­tionspublika­tion heißt.189 Denn hier, in den Quartieren, wurde mit anderen Visitatoren vertrauensvoll über die Inhalte der Instruk­tion gesprochen. Daneben lasen die Visitatoren in den Quartieren die obrigkeit­lichen Anweisungen für sich etwa einmal in der Woche oder auch weitaus seltener,190 machten sich Gedanken (und womög­lich Notizen) über den Inhalt, fertigten Voten unter Berücksichtigung der Instruk­tionen an und verwahrten schließ­lich dort diese Schriftstücke (vielleicht zusammen mit dem gesiegelten Original der Hauptinstruk­tion). Darüber hinaus war das Reden mit und über die Instruk­tionen ein fester Bestandteil des Austauschs der Visitatoren, das sehr leicht zur formelhaften Phrase werden konnte. Es war schlicht und ergreifend ein gewöhn­licher Ton, sich informell in der Verfahrensumwelt über die Instruk­tionsinhalte zu unterhalten.191 Im Verfahren selbst wiederum konnte das bereits angeführte Defectum Instruc­tionis  192 ein wichtiges formelles Argument der Zeitgenossen sein, um das Verfahren zu verlangsamen bzw. – präziser ausgedrückt – für die Verfahrensgeschichte relevante Entscheidungen hinauszuzögern. Insbesondere die Nichtabgabe eines Votums erfuhr mit dem tatsäch­lichen oder eben auch vermeint­lichen Fehlen einer Instruk­tion eine Rechtfertigung, die allerdings sehr schnell als ein vorgeschobenes Argument gedeutet werden konnte. Zu bedenken ist schließ­lich, dass es ‚den‘ Einblick in das Visita­tionsbegehren einer anderen Delega­tion nicht geben konnte, da Visitator und Visita­tionsobrigkeit keine unzertrenn­liche ‚Gesinnungseinheit‘ bildeten. Die Zeitgenossen waren vielmehr auch deshalb an den Instruk­tionen anderer Delega­ tionen interessiert, um zu erkennen, ob ein Visitator für sich oder in Rücksprache mit der Obrigkeit handelte. So hieß es in Mainz, dass eine unliebsame Äußerung des mecklenbur­gischen Visitators sicher­lich aus keiner Instruk­tion desselben Hoffs her[rühren], sondern vielmehr das persön­liche Gebrechen eines Subdelegati sei.193

189 Gesammelte Original-­Briefe, Teil 1 (1777), Brief 6. 190 Falcke erhielt etwa einmal in der Woche einen Verhaltungsbefehl, Dies hat eine stichproben­ artige Auswertung für die Monate März, April und Mai 1772 ergeben [HStA-Han. Cal. Br. 11 4123 u. 4124]. Ganz anders hingegen Stallauer. Entsprechend der Anzahl seiner Berichte und unter der Annahme, dass Berichts- und Reskriptturnus korrelierten, erhielt er weitaus seltener Instruk­tionen. Die wenigen Instruk­tionen, die sich hier im Entwurf erhalten haben, werden in einem separaten Akt geführt [StadtAA RKG 34]. 191 Gesammelte Original-­Briefe, Teil 1 (1777), Brief 7. 192 Siehe Anm. 184. 193 HHStA Wien MEA RKG 342, Reskript zum Diarium 22. Dez. 1770 (§ 1199).

Verfahrensrollen

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Der hier angedeutete Handlungsspielraum darf natür­lich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ­zwischen Visitator und Visita­tionsobrigkeit ein hierarchisches Gefälle bestand, das mit den Schriftstücken der Überordnung 194 seinen schrift­ basierten Ausdruck fand. Wie sehr dies auch und gerade den Visitatoren bewusst war, verdeut­licht ein Vorfall, der sich wenige Tage vor der mehrmonatigen Verfahrensunterbrechung ereignet hat. Als näm­lich Falcke im Plenum über die so genannte Valloner Sache referierte,195 machte er nicht nur den Antrag, einen am kaiser­lichen Hof wirkenden Syndikus zu vernehmen, sondern er ersuchte sogar die kaiser­liche Kommission, eine entsprechende Instruk­tion einzuholen. Ein solches wohl dem Direktorium vorbehaltenes Ersuchen eines Visitators, zumal im Plenum und gegenüber der kaiser­liche Kommission, war sehr außergewöhn­lich, wenn nicht sogar ein Tabubruch. Darauf deuten die Reak­tionen hin. Während Consessus ins Staunen verfiel und selbst der brandenbur­gische Visitator schwieg, war die kaiser­liche Kommission sehr aufgebracht und gab mit dürren Worten zu erkennen, wie Sie von Niemanden weder Aufträge noch Ersuchen anzunehmen gedencke. Falcke erkannte, dass er zu weit gegangen war. Er versuchte, durch allerhand Wendungen und Depreca­tionen [Abbitten; A. D.] seinen Antrag abzumildern, fand aber kein Gehör, und damit ging die Session zu Ende, [...] und Morgen werden wir wiederum zu Rathe gehen.196 Instruk­tionen waren in erster Linie eine delega­tionsinterne Angelegenheit, über die zwar einerseits delega­tionsübergreifend gesprochen wurde. Andererseits konnte und durfte das hierarchische Gefälle (Obrigkeit und Visitator) zumindest formell nicht übergangen werden. Dies jedoch wäre indirekt geschehen, wenn sich Falcke durchgesetzt hätte und mit ­diesem das Visita­tionsplenum den Kaiser um eine Instruk­tion für die kaiser­lichen Kommissare gebeten hätte. Anders hingegen verhielt es sich zu Visita­tionsbeginn, als manche Visitatoren sich selbst instruierten und damit das hierarchische Gefälle zumindest partiell nivellierten. Dies war allerdings ausschließ­lich ein delega­tionsinterner Vorgang, der überdies zweierlei verdeut­licht: Zum einen war das hierarchische Gefälle, das von Delega­tion zu

194 Instruk­tionen lassen sich auch als „Schriftstücke der Überordnung“ begreifen. Gemeint ist damit, dass sich ein Landes- bzw. Stadtherr oder sonstiger Ranghöherer „an einen untergeordneten Funk­tionsträger oder eine untergeordnete Funk­tionseinheit“ wandte [Wührer/Scheutz, Hofordnungen und Instruk­tionsbücher (2011), S. 75]. Zur Typologisierung der Schriftstücke auf Grundlage des hierarchischen Verhältnisses ­zwischen Absender und Empfänger sowie des Schreibzweckes siehe auch Hochedlinger, Aktenkunde (2009), S. 171 – 221. 195 Siehe hierzu E.3.3. 196 StadtAA RKG 33, Rela­tion 83 vom 26. April 1772.

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Delega­tion sehr unterschied­lich ausfallen konnte, per se sehr schwach, und zwar vor allem deshalb, weil – wie Abschnitt C gezeigt hat – die Visitatoren elitäre Amtsträger ihrer Obrigkeit waren, denen der Normgeber vertrauen konnte. Zum anderen greift es auch aufgrund dieser Vertrauensbasis zu kurz, die Instruk­tionen ledig­lich als ein delega­tionsinternes Instrument der Kontrolle zu begreifen (auch wenn dies zweifelsohne eine wichtige Rolle spielte). Die zahlreichen Bitten der Visitatoren um Verhaltungsbefehle verweisen vielmehr darauf, dass es sich vor allem um Orientierungshilfen handelte, w ­ elche die Visitatoren begehrten und benötigten, um sich mit der Obrigkeit abzustimmen. Es ging also darum, durch die Autorität der obrigkeit­lichen Bestätigung oder Bewilligung einer Handlung das eigene Tun vor den anderen Visitatoren, dem Visita­tionsplenum und damit vor Kaiser und Reich, aber auch vor und für sich selber zu legitimieren. Instruk­tionen waren aber immer auch ein fester Bestandteil des delega­tions­ internen Informa­tionsaustausches. Die Visitatoren sandten ihre Berichte ein­ schließ­lich der Protokolle und Beilagen an die Visita­tionshöfe und -städte und erhielten darauf eine Instruk­tion bzw. – so lässt sich neutraler in Übersetzung des Alternativbegriffs Reskript formulieren – ein Antwortschreiben. Ob diese Antwort aber auch tatsäch­lich eine Anweisung beinhaltete, konnte, musste aber nicht der Fall sein. Oft genug hieß es in Berlin und andernorts, dass wir auf euren obgedachten Bericht vor jetzo nichts zu verfügen haben.197 Und schließ­lich wurde mit und über die Instruk­tionen im Visita­tionsplenum, aber auch andernorts geredet, um sich, sein Handeln oder Nichthandeln und damit seine Verfahrensrolle zu autorisieren. Überspitzt ließe sich sagen, dass erst hierdurch, durch das (topoiartige) Reden mit und über die Instruk­tionen auch jenseits der eigenen Delega­tion, die Schriftstücke der Überordnung ihre Erfüllung fanden. All diese Aspekte erklären abschließend auch, warum die Instruk­tionen, die ein fester und – auch dies nicht unwichtig – vielfach genormter Bestandteil des Aktenzeitalters waren,198 sich bis heute erhalten haben. Die Überlieferungssitua­tion in den Archiven ist sozusagen der erste und letzte materielle Beweis für die verfahrensimmanente Bedeutung der Instruk­tionen, die, bezogen auf die Hauptinstruk­tionen, das Verfahren mitbegründeten und, bezogen auf die Instruk­tionen bzw. Reskripte, das Verfahren bis zuletzt begleiteten und damit sowohl Verfahren als auch die verfahrensrelevante Umwelt nachhaltig geprägt haben.

197 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, Reskript vom 28. Febr. 1772. 198 Auf einen ‚Leitfaden’ für das Erstellen von Berichten und Instruk­tionen aus dem Jahr 1697 geht ein Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 151 – 157.

Die Aktenproduktion zwischen mündlichen und schriftlichen Verfahrenselementen

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D.3. Die Aktenproduktion zwischen mündlichen und schriftlichen Verfahrenselementen D.3.1 Das Umfrageverfahren Die Umfrage ist ein Verfahren, das für die Vormoderne und damit auch für die Visita­tion typisch war. Den Forschungsergebnissen der letzten Jahre folgend, zeichnete sich das „Beratungs- und Entscheidungsverfahren“199 dadurch aus, dass die Ordnung des Beratens und der Stimmabgabe dem Rang der Votanten folgte. Diese „Überwältigung der Beratungsform durch die Rangordnung“200 geschah auf zweierlei Weise. Zum einen war der Zeitpunkt der Stimmabgabe festgelegt durch die hierarchische Sitzordnung, es wurde also die „räum­liche Anordnung [der Sitze; A. D.] in eine zeit­liche Abfolge transformiert“.201 Zum anderen wurden die Voten entsprechend „den sozialen Statusverhältnissen der Beteiligten“ gewichtet.202 Diese Gewichtung geschah dergestalt, dass bei der Formulierung eines Beschlusses die Stimmen nicht gezählt wurden. Es war also den bisherigen Forschungsbefunden folgend ausgeschlossen, dass für einen Antrag XY 13 Visitatoren (Gruppe A) dafür und elf dagegen (Gruppe B) waren und deshalb das Direktorium – ihm oblag ­dieses Vorrecht – einen Beschluss im Sinne der Gruppe A formulierte. Eine ­solche quantitative Mehrheitsbildung wie im modernen Parlament durfte es formell nicht geben, da dies die Ungleichheit der Votanden bzw. der präsentierten Stände negiert hätte.203 Stattdessen war es erforder­lich, jedes Votum qualitativ 199 Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 273. 200 Sikora, Reichstag in systemtheoretischer Perspektive (2004), S. 170. 201 Neu, Sitzen, sprechen und votieren (2009), S. 131. 202 Krischer, Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 191. 203 Zu berücksichtigen ist frei­lich die Vielfalt der Entscheidungsfindung einschließ­lich der Tatsache, dass „die Übergänge von amorphen Akklama­tionshandlungen über grobe Schätzungen bis zur exakten Stimmenauszählung“ fließend sind [Heun, Entstehungsvoraussetzungen (2013), S. 23]. Siehe insgesamt hierzu Schlögl, Urban Elec­tions and Decision-­Making (2009), Dartmann/Wassilowsky /Weller, Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren (2010), Flaig, Die Mehrheitsentscheidung (2013) und Flaig, Genesis und Dynamiken (2013). Hervorzuheben ist auch die Studie von Markus Rüttermann, der in seiner Untersuchung die Modi der Entscheidungsfindung in ­japanischen mittelalter­lichen Klöstern beschreibt, ­welche von „vote-­counting techniques“ bis zu „voting lists“ reichten [RÜTTERMANN, Zur Mehrheitsfindung im mittelalter­ lichen Japan (2013), S. 62; siehe auch S.60 – 61 mit zwei Abbildungen von Stimmenzählungen]. Siehe zudem zum landständischen Beratungsverfahren Neu, Erschaffung der landständischen Verfassung (2013), S. 256 – 263 sowie zu (Personal-)Entscheidungen in der Stadt Goppold, Politische Kommunika­tion in den Städten der Vormoderne (2007).

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für die Abfassung eines Beschlusses zu werten. Zudem, also neben dem „soziopolitischen Rang“204 der Votanten, der die Stimmabgabe und Beschlussbildung bestimmte, war es wichtig, dass es keine offenkundigen Gewinner oder Verlierer gab. Das Umfrageverfahren suchte vielmehr die Fik­tion eines Konsenses, der „als der eigent­liche Normalfall, als Ausweis der Weisheit des Beschlusses und Gewähr der gegenseitigen Verbind­lichkeit galt“.205 Es ging also auch darum, jeden Stand in seiner Rolle „als Reichsstand unter Reichsständen“206 bzw. als „nicht majorisierbare Akteure“ darzustellen, „mit denen ein Konsens gefunden werden musste, um sie auf die gemeinsamen Beschlüsse“207 und damit auf das „überindividuelle Reichsganze“ bzw. Visita­tionsganze zu verpflichten.208 Ungleichheit der Votanten und konsensorientierte Beschlussfassung gab es jedoch, frei formuliert, nicht zum Nulltarif. Nicht mög­lich war es insbesondere, Debatte und Abstimmung voneinander zu trennen. „Denn bei dem Umfrageverfahren wurden ja keine einfachen Entscheidungsfragen zur Abstimmung gestellt, sondern reihum nach Rangfolge komplexe Meinungsäußerungen gesammelt“.209 Dies bedingte wiederum, dass ein Votum „immer gleichzeitig Sachverhaltsdarstellung und Entscheidung enthalten mußte und die Voten sich nicht in ein einfaches Ja-­Nein-­Schema pressen“ ließen.210 Dadurch jedoch war es kaum zu vermeiden, dass die Voten ausführ­lich oder eben weitläufig waren. Erschwerend für Falcke und anderen Inhabern von hohen Rangposi­tionen kam hinzu, dass ihnen die „Last des Herausgehens“ oblag.211 Sie mussten als Erstes ihre Meinung zu Protokoll geben oder aber, so eine andere Handlungsop­tion, ihre Voten zurückhalten, da „zu Beginn einer Beratung nicht abzusehen [war], ob man sich bei einem umstrittenen Thema würde durchsetzen können oder nicht“.212 Letzteres war deshalb mög­lich, 204 Sikora, Reichstag in systemtheoretischer Perspektive (2004), S. 171. 205 Ebd., S. 168. 206 Kalipke, Verfahren – Macht – Entscheidung (2010), S. 510. 207 Krischer, Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 191. 208 Kalipke, Verfahren – Macht – Entscheidung (2010), S. 510. 209 Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 219. 210 Neu, Sitzen, sprechen und votieren (2009), S. 130. 211 Krischer, Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 190, der hier eine Studie aus dem Jahr 1973 zitiert. 212 Ebd., S. 189. Stimmfreiheit (Meinung im Votum zurückhalten) und Stimmzwang (mit Meinung vorangehen müssen) sind als zwei Seiten einer Stimmmedaille zu begreifen. Grenzen und Mög­lichkeiten einer an den Rang gebundenen Stimmabgabe sind damit aber noch keineswegs erschöpft. Differenzieren lässt sich ferner: „Frühe Stimmen k­ onnten präjudizieren und die Zustimmung der weniger mächtigen Stände auf sich ziehen“ (dies wäre also die Freiheit, mit der Meinung vorangehen zu dürfen), „argumentierten aber

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weil prinzipiell jede Umfrage so lange wiederholt wurde, „bis sich eine allgemeine Tendenz zu einem mehrheit­lich geteilten Konsens abzeichnete“.213 Die strukturelle Koppelung des Umfrageverfahrens an den Rang der Votanten ist deshalb als ein Wesensmerkmal der vormodernen Beschlussfassung zu begreifen, da umgekehrt die Gleichheit der Stimmen ein starker Indikator dafür war und ist, „dass ein politisches Entscheidungssystem sich von der Umwelt zu differenzieren, mithin Autonomie zu behaupten vermag“.214 Und genau dies war bei der Umfrage nicht der Fall. Es war vielmehr verfahrensimmanente Grundlage, dass die Verfahrensrolle der Visitatoren an den ständisch-­sozialen Hintergrund der Kommittenten gekoppelt war. Es kann somit von einer eingeschränkten Verfahrensautonomie oder auch davon gesprochen werden, dass das Umfrageverfahren nicht nur dazu diente, Entscheidungen zu produzieren. Ebenso wichtig wie jener instrumentelle Zweck war die Vergegenwärtigung und Verkörperung der Reichsordnung. Erst diese symbo­lisch-­expressive Dimension erlaubt es, eine zeit- und gegenstandsgerechte Analyse vorzunehmen.215 Die folgenden Ausführungen möchten sich dieser komplexen Logik der vormodernen Beratung und Entscheidung widmen. Als Erstes wird es darum gehen, ausführ­lich aus praxeolo­gischer Perspektive den wöchent­lichen Verfahrensgang im Plenum der Visita­tion zu schildern [D.3.1.1.]. Darauf aufbauend erfolgt eine Analyse der Fallbeispiele, wobei die Frage im Mittelpunkt stehen wird, ­welche Bedeutung das „Herzstück der Entscheidungsherstellung“216 für die gesamte Aktenproduk­tion der Visita­tion, einschließ­lich der Berichte, hatte [D.3.1.2.]. Sämt­liche Ausführungen werden zudem deut­lich machen, dass die Umfragepraxis der Visita­tion nur bedingt Prinzipien folgte, wie sie mit der bisherigen Forschung skizziert wurden. auch vor ungewissen Mehrheitsverhältnisse“ (was wiederum für die Freiheit spricht, sich mit der Meinung zurückzuhalten) [Sikora, Reichstag in systemtheoretischer Perspektive (2004), S. 170]. Darüber hinaus konnte Stimmen, die ­später abgegeben wurden, „den Ausschlag geben, aber nur, wenn das Meinungsbild unentschieden geblieben war“. Es lässt sich also festhalten, dass die „Posi­tion innerhalb der Umfrage […] praktische[…] Vor- und Nachteile“ mit sich brachte, die „keine eindeutige Gewichtung zu[lassen]“ [ebd.]. 213 Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 219. 214 Sikora, Reichstag in systemtheoretischer Perspektive (2004), S. 170. 215 Grundlegend zur Unterscheidung von technisch-­instrumenteller und symbo­lisch-­ expressiver Dimension in historischer Perspektive Stollberg-­Rilinger, Herstellung und Darstellung politischer Einheit (2005). Siehe in ­diesem Sinne etwa auch Dies., Rituals of Decision-­making? (2014). 216 Kalipke, Verfahren – Macht – Entscheidung (2010), S. 510. Fast wortgleich Neu, ­Sitzen, sprechen und votieren (2009), S. 129.

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D.3.1.1 Fallbeispiele Zu Beginn des Jahres 1772 berieten die Visitatoren über den Unterhalt des RKG sowie, damit verbunden, um die Erhöhung der Assessorenzahl. Es ging um einen Zwischenbericht, der dem Reichstag, oder aber – und dies war der strittige Punkt – nur dem Kaiser vorgelegt werden sollte. Während die eine Seite den Bericht an das gesamte Reich richten wollte, lehnte die andere Seite dies mit der Begründung ab, dass der Kaiser die Ausführungen ohnehin an den Reichstag weiterreichen werde. In insgesamt drei Sessionen versuchten die Visitatoren sich zu einigen bzw. – dem bisherigen Umfrageverständnis folgend – einen fik­tionalen Konsens zu finden. In der ersten Session entstand jedoch Paria, also eine Stimmengleichheit. Und als diese Stimmengleichheit auch in der zweiten Session nicht behoben werden konnte, fiel in der dritten Sek­tion durch den Übergang einer einzigen Stimme das Conclusum per Majora dahin aus, dem Kaiser einen Bericht zu erstatten.217 Wie lässt sich diese Mehrheitsentscheidung deuten? Widersprach sie nicht dem ‚Ungleichheitspostulat‘ des vormodernen Umfrageverfahrens? Festzuhalten ist zunächst, dass bei der Visita­tion sämt­liche Stimmen, also unabhängig davon, ob sie ein kurfürst­licher, fürst­licher, gräf­l icher oder reichsstädtischer Gesandter abgab, durchaus gezählt und eben nicht gewichtet wurden. Diese Stimmenauszählung geschah sehr häufig. An anderer Stelle sprach Stallauer, dessen Ausführungen hier zugrunde liegen, davon, dass zur Formulierung eines Beschlusses die Stimmen in Computum [Berechnung; A. D.] gebracht worden sind.218 In einem weiteren Bericht ist von 16 Stimmen gegen 8 die Rede, die zu einem Conclusum per majora führten.219 Daneben ist in den Protokollen zwar oft nur von einem Conclusum die Rede. ­Häufig findet sich aber ein quantifizierender Zusatz wie Conclusum per Majora oder Conclusum per unanimia, also einmütig bzw. einstimmig beschlossen.220 Mehrheits­ beschlüsse waren somit ein fester Bestandteil des Visita­tionsverfahrens.221 Dies mag zwar im Angesicht der bisherigen Forschungsbefunde verwundern, lässt sich 217 StadtAA RKG 33, Rela­tion 80 vom 26. Jan. 1772. 218 Ebd., Rela­tion 40 vom 5. Juli 1769. 219 Ebd., Rela­tion 127 vom 24. Sept. 1774. 220 31. Session vom 1. Sept. 1767 [StadtAA RKG 41]. Krischer, Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 190 schreibt zwar: Es herrschte „immer ein enormer Konsensdruck oder zumindest die Fik­tion einer gemeinsamen Wahrheitssuche, die am Ende als einstimmig (unanimiter) gefunden dargestellt wurde“. Bei der Visita­tion scheint jedoch ein einstimmiger Beschluss tatsäch­lich auch ein solcher gewesen zu sein. 221 Zu den Mehrheitsbeschlüssen auf dem Reichstag siehe Schlaich, Mehrheitsabstimmung im Reichstag (1983), wobei es auch hier (S. 317) zur Umfrage heißt: „Im Reichstag werden die Stimmen nicht eigent­lich ausgezählt“.

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aber damit erklären, dass es schlicht und ergreifend unmög­lich war, jede Umfrage mit einer wie auch immer gearteten Gewichtung der Stimmen zu entscheiden. Ohnehin bleibt zu fragen, ob und wenn ja, wie eine s­ olche Gewichtung aussah. Es kann zumindest für die Visita­tion bezweifelt werden, dass die Mehrheitsmeinung „in hohem Maße von der Interpreta­tion des jeweiligen Versammlungsleiters abhängig [war], der die Umfrageergebnisse resümierte“.222 Denn auch wenn es mehrere Prinzipien gab, aufgrund derer das Ergebnis der Umfrage erzielt werden konnte – „ob im Verfahren selbst, aufgrund informeller Gespräche, geheimer Absprachen, aufgrund der verborgenen Auszählung der Voten durch den Direktor oder unter dem Eindruck der unterschied­lichen Machtverhältnisse“223 –, so scheint es doch in vielen Fällen Vorletzteres, das Auszählen der Voten gewesen zu sein, welches die Formulierung eines Beschlusses bedingte. Dafür spricht ex negativo, dass nur in Ausnahmefällen gegen die Nichtgewichtung der Stimmen protestiert wurde. So berieten im Juni 1769 die Visitatoren über die erforder­lichen Eigenschaften des Kammerrichters, bis end­lichen in Sessione 312ma durch 12 gegen 11 Stimen kümer­lich das Conclusum dahin ausgefallen ist,224 nach Abschluss der Untersuchungen einen Bericht für Kaiser und Reich zu erstellen. Gegen diesen Beschluss protestierte eine Minderheit einschließ­lich Bremen, da das Direktorium ungeachtet neuer höchst wichtige[r] Gründe keine neue Umfrage veranlasst habe.225 Eingewendet wurde auch, dass die behandelte Frage ein Recht der Electorum, Principum et Comitum Saecularium Imperii betreffe, über das die Reichs-­Städte und Geist­liche Fürsten nicht bestimmen dürften. Dieser Einwand verweist auf die prinzipielle Ungleichheit der Votanten, die jedoch nur anlassbezogen als ein beschlussrelevantes Faktum eingefordert wurde.226 Nicht weniger aufschlussreich ist, dass die reichsstädtischen Visitatoren ihrerseits von einer Reich-­Städtische Stim-­Freyheit sprachen, die man nicht verkürzen dürfe, und man deshalb mit Kurmainz und anderen die Stimmenhierarchisierung ablehne. Damit jedoch nicht genug. In den Folgesessionen entbrannte ausgehend von der skizzierten Frage nach der Stimmengewichtung ein derart heftiger Streit, daß ich [Stallauer; A. D.] jeden Augenblick besorgte, nun würden die Tinten Gefässe ein ander vor die Köpffe fliegen.227 Es lohnt sich, diesen Streit etwas genauer zu betrachten. Zum einen kann er deut­lich machen, wie sich der Beratungsalltag der 2 22 Stollberg-­Rilinger, Alte Kleider (2008), S. 219. 223 Krischer, Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 191. 224 StadtAA RKG 33, Rela­tion 40 vom 5. Juli 1769. 225 Ebd. 226 Ebd. 227 Ebd.

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Visita­tion auch und gerade jenseits des starren Umfrageverfahrens gestaltete. Zum anderen mündete der Streit in der 326. Session in eine Grundsatzkritik Falckes an der Umfrage- und Beschlusspraxis des Direktoriums, die es erlaubt, das von der Forschung zuweilen sehr idealtypisch gezeichnete Bild vom Umfrageverfahren in praxeolo­gischer Hinsicht zu differenzieren. Der Ausgangspunkt ist folgender: Die Frage, ob der Reichstag über die Qualifika­ tion des Kammerrichters entscheiden solle, war nach Ansicht Stallauers unstrittig.228 Strittig war ledig­lich die Frage, wann und wie solches zu geschehen habe. Während Minora dem Reichstag sofort unter Beilegung der entsprechenden Examensprotokolle berichten wollte, verlangte Majora einen Aufschub, da die Personalmängel des Kammerrichters mit der Qualifica­tione Status in keiner Connexion stehe und der Richter überdies über diese Angelegenheit noch kein einziges Mal befragt worden sei. Nachdem – dies ist entscheidend – das Direktorium den ganzen Consess, in Formalibus, befragt hatte, ob noch was zu erinnern sei, wurde in der 312. Session ein Beschluss im Sinne der Mehrheit gefasst. In der 322. Session fing Falcke jedoch in einem umfassenden Votum an zu bezweifeln, ob das Direktorium danach gefragt habe, ob noch jemand etwas äußern wolle. Er gebrauchte sogar das – allerdings nicht zu Protokoll gekommene – Wort Lügner und war nach Verlesung des Votums sogar so dreiste, das Plenum aufzufordern, sich gleichfalls zu Protokoll zu äußern.229 Damit allerdings war der Bogen um ein Vielfaches überspannt. Als Erstes warfen die kaiser­lichen Kommissare und das Direktorium Falcke die derbste Wahrheiten in den Bart. Sodann folgten die Vertreter von Darmstadt und Nürnberg. Beide packten ihre Sessions-­Notata aus, worin die kurmainzischen Worte buchstäb­lichen zu lesen waren. Schließ­lich stand der kurbayerische Visitator von seinem Stuhl auf, näherte sich Falcke und sagte ihm ins Gesicht, dass er alß ein ehr­licher Mann bestätigen müsse, dass das Direktorium die Frage, ob noch etwas zu erinnern sei, gestellt habe. Und wenn er, so Goldhagen gegenüber Fal­cke, sein verlesenes Votum nicht zurücknehmen werde, müsse er eine Erklärung abgeben, ­welche Bremen gewiss­lich zu keiner Ehre gereichen sollte. Der von allen Seiten bedrängte Falcke steckte daraufhin nicht ohne Beschämung sein Votum in den Sack, äusserte sich ad Protocollum ganz kurz und dan war [vorerst!] Friede in dem Land.230

228 Die folgenden Ausführungen folgen Stallauers Bericht vom 21. Juli 1769 [StadtAA RKG 33, Rela­tion 41]. 229 Ebd. 230 Ebd.

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Damit war die Auseinandersetzung vorerst auf die lange Bank geschoben. Dies sollte sich allerdings in den Folgesessionen dergestalt ändern, dass vieles eben nicht nur münd­lich ausgetauscht, sondern sogleich protokolliert wurde. Damit jedoch erlangte der Konflikt eine neue Qualität, da nun alles unwiderruf­lich in die Verfahrensgeschichte einging.231 Deut­lich ist aber auch, dass nicht nur die protokollierte Verfahrensgeschichte Verfahrensmacht generierte. Wie gesehen, waren es ebenso die Erinnerungen der Visitatoren sowie die von den Visitatoren während den Sitzungen geführten Notizen, die den Konflikt strukturierten. Die Kritik, die Falcke in der 322. Sitzung über sich ergehen lassen musste, lässt sich geradezu als eine Klimax begreifen, die von der rein münd­lich geäußerten (kaiser­ liche Kommissare und Kurmainz) über die mit Notizen gestützte (Darmstadt und Stadt Nürnberg) bis zu der mit dem Protokoll angedrohten Kritik (Kurbayern) reichte. Und schließ­lich ist erneut deut­lich, dass das Umfrageverfahren mit seiner starren, an den Rang gebundenen Abstimmungs- und Beratungsordnung nur zum Teil den Sessionsalltag der Visitatoren bestimmte. Dies verdeut­licht die Fortsetzung der Auseinandersetzung. Sie begann damit, dass Falcke in der 323. Session das Direktorium neuer­lich ad Protocollum kritisierte.232 Daraufhin sah sich in der 326. Session Kurmainz und daraufhin wieder Falcke veranlasst, die Vorbehalte dem Protocoll eintragen zu laßen.233 Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Protokoll der 326. Session über 30 Folioseiten umfasst, während etwa das Protokoll der Vorsession nur 2 Folioseiten füllt.234 Bei der Auseinandersetzung standen sich, neben Kurmainz und Bremen, die Vertreter der Grafen, der Stadt Nürnberg und weiterer Reichsstände gegenüber. Um diese Komplexität der Konfliktlage, auch im Hinblick auf das vorzeitige Verfahrensende, zu erhellen, ist es notwendig, den Inhalt des Protokolls in seinen Grundzügen wiederzugeben. Daneben werden die Schilderungen präziser veranschau­lichen, wie sich bei der Visita­tion der protokollierte Beratungsalltag mit und ohne das Umfrageverfahren gestaltet hat. Das Protokoll der 326. Session vom 14. Juli 1769235 beginnt zunächst mit einer Erklärung der kaiser­lichen Kommission, in der dazu aufgerufen wurde, sich in 231 Obgleich anzumerken ist, dass es die Mög­lichkeit gab, ein zu Protokoll diktiertes Votum zurückzunehmen. Dies wiederum verweist darauf, dass erst ein über die Diktatur vervielfältigtes Protokoll jene für die Verfahrensgeschichte zu bedeutsame unumstöß­liche Verbind­lichkeit schuf. 232 StadtAA RKG 33, Rela­tion 41 vom 21. Juli 1769. 233 326. Session vom 14. Juli 1769 [StadtAA RKG 46]. 234 325. Session vom 13. Juli 1769 [StadtAA RKG 46]. 235 Sämt­liche folgenden Ausführungen sind ­diesem Protokoll entnommen.

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der Geschäffts-­Sprach zu mäßigen. Sodann eröffnete Kurmainz das Proto­koll für die Vertreter der Grafen und der Stadt Nürnberg. Beide hatten bei voran­ gegangenen Umfragen von ihrem Recht Gebrauch gemacht, ein Votum zu einem späteren Zeitpunkt nachzutragen.236 Im Rahmen d ­ ieses Nachtrags kritisierte zuerst der Vertreter der wetterauischen Grafen, dass die schwäbischen Grafen vor Beginn der Visita­tion ihr Stimmrecht an Pfalz-­Lautern ohne die Einwilligung der anderen Grafen abgetreten hätten. Dagegen erhoben Pfalz-­ Lautern und das Direktorium ihre Stimme. Beide sprachen von unnütze[n] als nichtige[n] Einstreuungen, denen man keine weitere Aufmerksamkeit schenken wolle.237 Sodann trug der Visitator der Stadt Nürnberg sein Votum nach. Auf elf Folioseiten bezog er Stellung zu der insbesondere von Falcke aufgestellten Behauptung, die Stimmen der reichsstädtischen Visitatoren s­ eien minderwertig. Auf diesen weitläuffigen Nachtrag reagierte unmittelbar Falcke Suo Loco et Ordine, wie es im Protokoll heißt. Er entgegnete, es sei prinzipiell frag­lich, einen Visitator, der zugleich Anwärter auf ein Assessorat des RKG sei, zu den Gebrechen des Kammerrichters äußern zu lassen. Bedenk­lich sei es zudem, dass der reichsstädtische Visitator sich nicht gescheut habe, in der 311. Session ein Votum abzulegen, welches die Reichsinstruk­tion von 1706 in vielen Punkten verstümmelt habe. Nach d­ iesem Votum gab der Nürnberger Visitator eine kurze Replik ab, die Falcke wiederum mit einer Duplik beantwortete.238 Danach – es handelt sich bereits um die 21. Folioseite – ergriff erneut das Direktorium das Wort. Unter Bezugnahme auf die Erklärung Falckes von der 323. Session sah sich das Direktorium veranlasst, einerseits zu verteidigen, dass in der 312. Sitzung mit einem Stimmenverhältnis von 12 zu 11 beschlossen wurde, dem Reichstag erst nach dem Abschluss des Examens einen Bericht über die erforder­lichen Eigenschaften des Richters zu erstatten.239 Andererseits wies das Direktorium den von Falcke erhobenen Vorwurf zurück, es sei in der 310. Sitzung kein Beschluss gefasst worden, obgleich dieser mög­lich gewesen sei. Denn in dieser Sitzung habe es nach Ansicht des Direktoriums ganz neue Äußerungen und abgeänderte Voten gegeben, die sich auf verschiedene vorherige in Protocollis liegende Vota bezogen hätten. Dadurch jedoch sei es, so Kurmainz weiter, mit nichten mög­lich gewesen, bereits in der 310. Sitzung geschwind sich und allen übrigen vortr. Subdelega­tionen den Mund binden zu lassen.240 Schließ­lich gab das 2 36 Siehe zur Offenhaltung des Protokolls die weiteren Ausführungen. 237 326. Session vom 14. Juli 1769 [StadtAA RKG 46]. 238 Ebd. 239 Ebd. 240 Ebd.

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Direktorium bekannt, man wolle künftig alles, was der bremische Visitator gegen andere und insbesondere gegen das Direktorium äußere, als privat Gedancken des selben ansehen. Stattdessen wolle man fortan die Zeit und Arbeit dem aufhabenden Geschäfft allein widmen.241 Mit diesen Worten endete das Votum des Direktoriums. Danach folgt im Protokoll ein sechsseitiges Votum Falckes. Es scheint so, als ob hier einerseits ein Schriftstück verlesen wurde, das im Vorfeld ausformuliert wurde. Dafür sprechen der allgemeine Detailreichtum sowie die insgesamt 15 Punkte, mit denen Falcke die Beschlusspraxis des Direktoriums grundsätz­lich kritisierte. Andererseits kann davon ausgegangen werden, dass Falcke zumindest in Teilen spontan auf die Vorwürfe des Direktoriums reagiert hat. Dafür spricht der Beginn des Votums, wo in scharfem Ton von Irrtümern die Rede ist, die aus Schreib-­Fehler, aus Verwechselung, in Eile oder sonst aus bloser menschlicher Schwachheit herrühren, sowie von Protokollen, die darüber ein höchst bedauer­ liches Denckmal ablegen.242 Falcke bestritt daraufhin erneut, dass Kurmainz in der 312. Session danach gefragt habe, ob noch etwas zu erinnern sei. Er verwies auf die nächstsitzenden Visitatoren Kursachsens, Kurbrandenburgs und Sachsen-­Gothas. Diese ‚Sitzkollegen‘ Falckes könnten bestätigen, dass in der 312. Session geschwind und mit mehr als sonst erhabener Stime […] das Conclusum per Majora verlesen wurde. Die Frage, ob nicht etwas zu erinnern sei, habe jedoch keiner gehört, wie auch, so Falcke, aus einem manual Protokoll, also einem Handprotokoll, hervorgeht, welches einer der genannten Visitatoren geführt habe.243 Der Mehrheitsbeschluss der 312. Session dürfe aber allein schon deshalb nicht anerkannt werden, weil es die wahre Majora verkenne. Überdies fand es Falcke bedenk­lich, dass eine in der 294. Session begonnene Umfrage in der 298. Session nicht fortgesetzt wurde und dies nirgends protokollarisch vermerkt sei. Obendrein habe man jene Visitatoren, die in der 299. Session ihre Vota nachtragen wollten, übergangen. Dies sei eine Verunstaltung des Reichs Protocolls. Und schließ­lich sei nicht nur ein Votum des Prälaten falsch ausgelegt worden, sondern man habe auch zweimal einen Vergleich bezüg­lich der Qualifika­tion des Kammerrichters mehrheit­lich abgelehnt. Deshalb, so Falcke, liefe der Beschluss der 312. Session einer 3maligen Majoribus ganz zuwieder, zumal dieser Dinge enthalte, die weder beraten noch in den Voten erwähnt wurden.244 2 41 Ebd. 242 Ebd. 243 Ebd. 244 Ebd.

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Aus dieser hier nur punktuell angeführten Vielzahl an Vorwürfen wider die Umfragepraxis des Direktoriums gab Falcke insgesamt 15 Punkte zu bedenken. Sie reichten von der Willkür der Beschlussfassung (Punkt 1), der unterlassenen Fortsetzung oder Beendigung einer Umfrage (Punkt 4) und der Nichtberücksichtigung einer Stimmenmehrheit (Punkt 6) über die Nichtformulierung eines Beschlusses unter dem Vorwand offen gehaltener Protokolle (Punkt 10) bis hin zum stillschweigenden Diktieren eines Beschlusses wider 11 Stimen, w ­ elche längst vorhin 2mal Majora gemacht haben (Punkt 11). Falcke kritisierte daneben die Miss­achtung der wahren Majora (Punkt 12), das Verlangen, ungestört herrschen zu können (Punkt 13) und die angeb­liche Beeinträchtigung [...] des Directorial Amts, was jedoch nach Ansicht Falckes vielmehr Directorial Anomalien s­ eien, die er ungeachtet der Einstreuungen und Verdrehungen aufgedeckt habe (Punkt 15). Wenn all diese Punkte dem Direktorium freistehen sollten, dann sei es, so abschließend Falcke, um die Stimmfreiheit geschehen.245 D.3.1.2 Eine Analyse Dieser Fundamentalkritik Falckes an der Umfragepraxis begegnete das Direktorium mit der k­ urzen Bemerkung, dass man […] die Protokolle sprechen lasse und sich ansonsten auf das vorherige Votum beziehe. Daraufhin gab Bremen die Worte ‚Wie vorhin‘ und Kurmainz ‚Similiter‘, also ebenso, zu Protokoll.246 Damit endete eine in mehrfacher Hinsicht sehr aufschlussreiche Auseinandersetzung. Zuvorderst kann tatsäch­lich von einer Auseinandersetzung oder auch Kontroverse gesprochen werden. Während das Direktorium den Beschluss der 312. Session verteidigte und bekannt gab, sich fortan nicht mehr zu den Vorwürfen äußern zu wollen, kritisierte Falcke nicht nur die Beschlussbildung der 312. Sitzung, sondern generell die Beschluss- und Umfragepraxis des Direktors. Dieser Schlagabtausch war weniger spontan als vielmehr wohl bedacht. Es wurden Schriftstücke verlesen, die – so darf vermutet werden – situa­tionsbedingt angepasst wurden. Zu fragen bleibt jedoch, wie diese Ausführungen zu Protokoll kamen. Wurden die Schriftstücke verlesen und danach den kurmainzischen Protokollanten überreicht? Und wenn ja, erfolgte diese Übergabe sofort, oder war es mög­lich, die Voten zu einem späteren Zeitpunkt zu überreichen und damit zu überarbeiten? Oder aber wurden die Voten so langsam verlesen, dass diese unmittelbar zu Protokoll kamen? Die

245 Ebd. 246 Ebd.

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Fragen verdeut­lichen, dass es notwendig ist, im Folgeabschnitt D.3.2. die Protokollpraxis näher zu betrachten. Schon jetzt kann festgehalten werden, dass die Protokolle nur sehr begrenzte Einblicke in den Beratungsalltag der Visita­tion gewähren. Dies hat insbesondere die 322. Session gezeigt, in der Falcke ein mit der grösten Hefftigkeit verlesenes Votum zurücknahm und damit der protokollierten Verfahrensgeschichte entzog.247 Dass in ­diesem Votum überdies das Direktorium als Lügner beschimpft wurde und der kurbayerische Visitator die ganze Angelegenheit zum Anlass nahm, nach dem Verlesen des Votums aufzustehen und Falcke direkt, von Angesicht zu Angesicht, zu kritisieren, verweist darauf, dass die Beratungen im Visita­tionssaal zuweilen sehr lebhaft waren. Diese Lebhaftigkeit gerät jedoch aus dem Blick, wenn man die Beratungen im Plenum nur oder in erster Linie als ein Umfrageverfahren begreift. Zweifelsohne diente eine Umfrage dazu, Beschlüsse zu fassen. Dies geschah auch in der hier vorgestellten 326. Session. Nach der Auseinandersetzung ­zwischen dem Direktorium und Falcke proponierte Kurmainz insgesamt drei Angelegenheiten, die zur Umfrage kamen und die zu zwei einstimmigen Beschlüssen und einem Mehrheitsbeschluss führten. Was jedoch der eine oder andere Visitator äußerte, ist nicht bekannt, da es im Protokoll ledig­lich heißt ‚Umfrag‘ und danach ‚Conclusum‘ bzw. ‚Conclusum per Majora‘.248 Die Protokolle verschweigen also auch hier manches. Dabei wurde einmal über eine Ja-/ Nein-­Frage abgestimmt (Soll der RKG-Präsident an die Abgabe seiner Examensantworten erinnert werden?) und zweimal kamen Angelegenheiten zur Sprache, die einer näheren Erörterung bedurften.249 In allen drei Fällen verfolgte die Umfrage also den instrumentellen Zweck, einen Beschluss in einer Sachfrage herbeizuführen. Im Mittelpunkt standen dabei die Voten, die tatsäch­lich nicht mehr waren als Meinungsäußerungen. Von einer Ranginszenierung ist hier allerdings nur sehr wenig zu spüren. Es lässt sich also festhalten, dass die „Überwältigung der Beratungsform durch die Rangordnung“250 sich oft nur darauf beschränkte, dass der Zeitpunkt der Stimmabgabe der hierarchischen Sitz­ ordnung folgte. Und selbst diese symbo­lische Inszenierung durch Raum und Zeit wurde „für die instrumentelle Entscheidungsfindung nutzbar gemacht: Die Hierarchie der Mitglieder untereinander leitete den Verhandlungsgang [,] und 247 StadtAA RKG 33, Rela­tion 41 vom 21. Juli 1769. 248 326. Session vom 14. Juli 1769 [StadtAA RKG 46]. 249 Eine davon ging über einen Zeitungsartikel, in dem der Kammerrichter auf äußerst diffa­ mierende Art angegriffen wurde [ebd.]. 250 Sikora, Reichstag in systemtheoretischer Perspektive (2004), S. 170.

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die Tatsache, daß der Inhalt der Voten immer mit dem Rang der Votierenden verknüpft wahrgenommen wurde, ermög­lichte mehr Orientierung und damit eine tendenziell sicherere Entscheidungsfindung“.251 Letzterer Punkt, die Wahrnehmung des Ranges, verweist darauf, dass tatsäch­ lich Votum und Rang des Votanten respektive der delegierten Reichsstände eine symbiotische Einheit bildeten. So ist es immer Falcke, der sich für das Herzogtum Bremen äußerte. Aus ­diesem Grund steht in den Visita­tionsprotokollen vor den Voten immer der Name des Reichsstandes, also in d­ iesem Fall ‚Bremen‘.252 Mit der Aussage des Direktoriums, fortan manche Aussagen Falckes nur als Privatgedanken zu erachten, ist aber zugleich angedeutet, dass die Einheit von Votant und Reichsstand auch gelöst werden konnte. Es war also, anders ausgedrückt, mög­lich, die Verfahrensrolle der Visitatoren punktuell zu übergehen. Damit ist neuer­lich der Handlungsspielraum der Visitatoren angesprochen, um einen Konflikt zu ent- oder auch zu verschärfen. Berücksichtigt man in d ­ iesem Zusammenhang die angeführte Klage über die Heftigkeit, mit der Falcke handelte, aber auch die zu Protokoll gekommenen Voten der 326. Session, dann zeigt sich, dass der bremische Visitator oftmals sehr konfrontativ agierte. In ­diesem Sinne ist auch die nicht zu Protokoll gekommene Aussage Falckes zu verstehen, die kurmainzischen Visitatoren ­seien Lügner, oder aber die 15 Punkte, mit denen Falcke die Umfrage- und Beschlusspraxis des Direktoriums kritisierte. Minderwichtig ist hierbei, ob diese Kritikpunkte zutreffen oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass damit zum Ausdruck kommt, ­welchen erheb­lichen Einfluss das Direktorium auf das Umfrageverfahren hatte. Es gab die zu beratende Materie vor, sorgte, bei einer Unterbrechung, für die Fortsetzung und Beendigung der Abstimmung und formulierte die Beschlüsse. Was allerdings für die Visita­tion nicht bzw. nur bedingt zutrifft, ist die Gewichtung der Voten, vorgenommen durch das Direktorium. Dies war zwar notwendig, wenn ein Votum sich nicht eindeutig zuordnen ließ und eine Auslegung – so die neutralere Formulierung als Gewichtung – notwendig war. Die Kritik Falckes, ein Votum des prälatischen Gesandten sei falsch ausgelegt worden, macht allerdings auch deut­lich, dass das Direktorium bei dieser Tätigkeit kontrolliert wurde, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen musste jeder Beschluss das Meinungsbild der Visitatoren widerspiegeln. Die Voten konnten also nicht nach Belieben interpretiert bzw. – so eine zeitgenös­sische Formulierung – kalkuliert werden.253 Zum anderen lag jedem 2 51 Neu, Sitzen, sprechen und votieren (2009), S. 142. 252 Dies war auch auf dem Reichstag der Fall [Moser, Teutsches Staatsrecht 48 (1752), S. 73]. 253 StadtAA RKG 33 Rela­tion 78 vom 23. Nov. 1771.

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Beschluss eine Stimmenzählung zugrunde, die keineswegs nur im Verborgenen das Direktorium, aber auch die Visitatoren vornahmen.254 Zumindest bei unklaren Mehrheitsverhältnissen war es vielmehr so, dass die Stimmen­verhältnisse öffent­lich angezeigt werden mussten. Dies geboten schon die Protokolleinträge Conclusum per Majora oder per unanimia.255 Aber auch die Meinungsbildung im laufenden Umfrageverfahren erforderte es, die Stimmen zu zählen. So berichtet Falcke davon, dass in einer Sitzung darüber umgefragt wurde, ob Briefe des Solli­citanten Nathan Aaron Wetzlar im Plenum verlesen werden sollten.256 Nach der Abgabe aller Voten zeigte das Direktorium sogleich an, daß 6 Vota auf das Cassiren, also Nichtverlesen der Briefe gingen, für das Aufschieben der Verlesung 6 Vota mit Constanz und für das Verlesen 8 Vota mit Churbrandenburg und Bremen.257 Diese Stimmenmehrheit nahmen fünf Visitatoren zum Anlass, bei einer erneuten Umfrage statt für die Kassa­tion für die Aufschiebung zu stimmen. Dies wiederum hätte eigent­lich eine Mehrheit für die Aufschiebung bedeutet. Das Direktorium jedoch getraute sich [...] nicht, darüber eine Proposi­tion ad Protocollum zu geben, noch ein Conclusm ad Protocollum zu dictiren, sondern es wurde bloß als eine münd­liche Abrede behandelt und beliebt, diese Seiten vorerst zu übergehen.258 Das Beispiel verdeut­licht sehr gut die Mög­lichkeiten und Grenzen, die das Direktorium hatte, um einen Beschluss im Plenum herbeizuführen, aber auch zu vermeiden. Damit ist auch festzuhalten, dass das Umfrageverfahren keineswegs ein linearer Entscheidungsprozess war, wie die bisherigen Forschungs­befunde nahelegen. Zwar bestand jede Umfrage aus einer Proposi­tion, dem Aufruf zum Votum, was die eigent­liche Umfrage war, und der Beschlussfassung. Es ist auch richtig, dass ein Umfrageverfahren aus mehreren Umfragerunden bestehen konnte. Daneben konnte sich jedoch eine Umfrage über mehrere Sitzungen oder sogar über mehrere Wochen hinziehen, und zwar nicht nur, weil das Verfahren an sich aufgrund der protokollarischen Ablegung von Voten so zeitintensiv war. Zur Nichtbeendigung einer protokollierten Umfrage – die schrift­liche Fixierung spielte eine entscheidende Rolle! – trug auch bei, dass jeder Votant die Mög­lichkeit hatte, sein Votum zu einem späteren Zeitpunkt abzugeben. Dieses Offenhalten des Protokolls erlaubte es zwar einerseits, unliebsamen oder auch 254 Auf das verborgene Auszählen der Stimmen verweist Krischer, Inszenierung und ­Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 191. 255 31. Session vom 1. Sept. 1767 [StadtAA RKG 41]. 256 HStA-Han. Cal. Br. 11 4120, Falcke an König 14. Sept. 1771. 257 Ebd. 258 Ebd.

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konfliktreichen Situa­tionen aus dem Weg zu gehen; es machte das Umfrageverfahren flexibel. Andererseits trug diese Flexibilität zur Länge des Verfahrens bei. So fand der Augsburger Gesandte es Mitte November 1768 bedenk­lich, dass sich so viele das Protokoll offen behielten: Dadurch därffen wir mit dieser Materie wohl biß auf das neue Jahr beschäfftiget werden.259 Das Offenhalten war allerdings unvermeidbar, um – so die wohl eigent­liche Funk­tion – weiterführende Instruk­tionen von den ­Landes- bzw. Stadtherren einholen zu können. Demgegenüber konnte jedoch auch, wie bereits gezeigt, das Fehlen einer Instruk­ tion ein vorgeschobenes Argument sein, um ein Votum nicht abgeben zu müssen. Genau dies warf Falcke dem Direktorium vor. Er behauptete (Punkt 10), das Direktorium führe die Offenhaltung von Protokollen nur an, um die Abfassung unliebsamer Beschlüsse aufzuschieben. Dieser Vorwurf deutet an, dass das Direktorium die Mög­lichkeit hatte, die Ablegung eines offen gehaltenen Votums einzufordern. Doch auch generell kritisierte Falcke (Punkt 9), das Direktorium vermeide die Aufnahme und Dictirung von Beschlüssen immerfort.260 Damit angesprochen sind grundsätz­lich zwei Mög­lichkeiten, um Beschlüsse zu formulieren. Entweder wurden Beschlüsse unmittelbar nach der Umfrage formuliert, was zumeist bei einfachen Fragen, eindeutigen Voten und/oder klaren Mehrheitsverhältnissen der Fall war. Oder aber eine Beschlussbildung wurde aufgeschoben, weil es – neben der Offenhaltung von Voten – die Komplexität der Materie bzw. der zu Protokoll gegebenen Voten, uneindeutige Voten und/oder unklare Mehrheitsverhältnisse erforderten. Ersteres, die Komplexität der Voten, war zum Beispiel in der 15. Session der Fall, als über die Verpflichtung der Sekretäre dreimal umgefragt wurde und ledig­lich ein Teilbeschluss formuliert werden konnte mit dem Hinweis, dass das Direktorium das Protokoll zunächst einsehen müsse aufgrund der discrepant ausgefallenen votis.261 Schließ­lich verweist die Tatsache, dass Falcke die Umfrage- und ­Beschlusspraxis außerhalb einer regulären Umfrage kritisierte und es zu einem Schlagabtausch mit dem Direktorium kam, darauf, dass es auch jenseits der Umfrage mög­lich war, sich zu Protokoll zu äußern. Zu kurz gedacht wäre es demnach, die Beratungen im Plenum ausschließ­lich oder doch vor allem als etwas zu begreifen, was sich entsprechend der hierarchischen Sitzordnung der Votanten aufbaute. ­Darauf verweisen gleichermaßen die Beratungen, die nicht zu Protokoll kamen und dennoch ein fester Bestandteil des Verfahrensalltags waren. So wurde entweder

259 StadtAA RKG 33 Rela­tion 30 vom 12. Nov. 1768. 260 326. Session vom 14. Juli 1769 [StadtAA RKG 46]. 261 15. Session vom 25. Juni 1767 [StadtAA RKG 41].

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stehend in loser Reihenfolge (stando in Circulo)262 oder bloß Forma Discursus,263 also ­discursweise 264 ohne die Führung eines Protokolls, beraten. Dementsprechend heißt es auch einmal bei Falcke: Zur Proposi­tion und Umfrage oder zu bloß discursiver Berathschlagung konnte es gestern nicht kommen.265 D.3.2 Die Protokolle, Voten und Berichte Bey allen diesen Puncten habe ich [...] Ergänzungen, Beyträge und Berichtigungen des Directorial Vortrags ex Actis et protocollis Cameralibus ac Visita­tionis beygebracht […] [und] in dem Reichs Protocollo Visita­tionis S.r Kayser. Mjt., Höchst und hohen Reichs-­Ständen und gesamtem Reiche – die Nachwelt mit eingeschlossen – dargestellet […].266

Das Protokoll war und ist eine „grundlegende kulturelle Praxis zur Schaffung von Verbind­lichkeit“,267 die auch das Verfahren der Visita­tion nachhaltig geprägt hat. Wie mit dem Zitat angedeutet, wurde mit dem protokollierten Wort eine Verfahrensgeschichte geschrieben, die nicht nur für die Akteure vor Ort, sondern ebenso für Kaiser und Reich sowie für die Nachwelt bestimmt war. Das auch für Letztere, die Nachwelt, protokolliert wurde, ist geradezu protokollimmanent. Zu protokollieren bedeutet näm­lich immer zugleich Akten zu produzieren, die für das Morgen und Übermorgen aufbewahrt werden. Dies verdeut­licht der lateinische Ausdruck für protokollieren (‚acta facere‘). Und auch im Griechischen „bezieht sich das Verb ‚hypomnematízesthai ‘, das die beiden Bedeutungen von ‚erinnern‘ und ‚zu den Akten nehmen‘ umfasst, […] auf die Tätigkeit des Protokollierens“. Es wird also protokolliert und Protokolle „ihrerseits in Akten zusammengefasst“, um sich an das Protokollierte zu erinnern.268 Wie sehr das Anfertigen von Protokollen ein aktenproduzierender Vorgang ist, der Verbind­lichkeit und Dauerhaftigkeit schafft, bringt auch das wohl im Mittelalter entstandene Sprichwort quod non est in actis non est in mundo zum Ausdruck.269

262 So HStA-Han. Cal. Br. 11 4099, Falcke an König 1. Aug. 1767 u. StadtAA RKG 33, Rela­tion 2 vom 15. Mai 1767. Zu dieser Beratungsform auf dem Reichstag Stollberg-­Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren (1997), S. 112. 263 StadtAA RKG 33 Rela­tion 21. Juli 1771. 264 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 18. April 1772. 265 Ebd., Falcke an König 7. April 1772. 266 HStA-Han. Cal. Br. 11 4304, Falcke an König 27. April 1776. 267 Niehaus/Schmidt-­Hannisa, Protokoll. Ein Aufriß (2005), S. 16. 268 Vismann, Akten (2000), S. 86 f. 269 Ebd., S. 89.

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Akten waren und sind somit für die Nachwelt, aber auch für die Welt der Gegenwart bestimmt. Dies geht gleichfalls aus dem Eingangszitat hervor. Falcke näm­lich gab etwas zu Protokoll, was er sich ex Actis et protocollis Cameralibus ac Visita­tionis, also aus Akten und Protokollen der Visita­tion und des RKG, für das laufende Verfahren erarbeitet hatte. Und auch das Direktorium griff, wie bereits gezeigt, zur Formulierung von Beschlüssen auf die Protokolle zurück.270 Proto­kolle bildeten also, so Susanne Friedrich für die Reichstagsprotokolle, „eine Gedächtnisstütze über bereits verhandelte Materien“.271 Diese schriftimmanente Gedächtnisleistung ist wichtig, erfasst jedoch nur zum Teil das Wesen der Protokolle. Weitaus wichtiger ist, dass Protokolle „mit den Mitteln des Aufschreibens eine Handlung“ festhalten, wodurch sie beanspruchen, „wahr zu sein“.272 Erst dieser Anspruch, Wahrheiten zu produzieren respektive Handlungen dergestalt zu dokumentieren, dass sie alle Verfahrensbeteiligten einschließ­lich dem Direktorium – das Zitat hat es angedeutet – bindet, ermög­licht es, eine unumstöß­liche Verfahrensgeschichte zu produzieren. Das Protokollieren lässt sich also als ein „Transforma­tionsprozeß“ begreifen, „der Referenzen etabliert, auf die künftige institu­tionelle Prozeduren sich verbind­lich beziehen können“.273 Wann jedoch war eine Äußerung im Visita­tionsplenum ein Bestandteil der protokollierten Verfahrensgeschichte, auf die man sich beziehen konnte? Bereits deut­lich wurde, dass ein Großteil der Verhandlungen nicht protokolliert wurde. Wann aber kam etwas zu Protokoll? Reichte es aus, dass das Direktorium das Proto­koll öffnete, die Visitatoren votierten und ein kurmainzischer Sekretär diese Voten aufschrieb? Oder war es erst die Protokollvervielfältigung mittels der Diktatur, die eine protokollimmanente Verbind­lichkeit schuf ? Und wie sah es mit Ausbesserungen, Nachträgen oder gar Streichungen aus? Gab es die Mög­lichkeit, eine schon protokollierte Wahrheit zu ändern? Vorauszuschicken ist, dass es sich bei den Visita­tionsprotokollen um Ergebnis- und Verlaufsprotokolle handelt. Es wurden also, dem Umfragebeispiel folgend, entweder nur die proponierte Materie und der Beschluss oder aber auch die Voten protokolliert. Wie jedoch war es mög­lich, all ­dieses und insbesondere die teils sehr langen und sprach­lich komplexen Voten zu protokollieren? Diese Fragen sollen im Folgenden, soweit mög­lich, beantwortet werden. Ziel ist es, aus einer praxeolo­gischen Perspektive 2 70 Siehe D.3.1. 271 Friedrich, S., Drehscheibe Regensburg (2007), S. 146. Protokolle aus der Frühen Neuzeit behandeln ferner Brunert, Reichsständische Protokolle (2010), Cohn, Protocols (2008) und Sabean, Peasant Voices (2001). 272 Vismann, Akten (2000), S. 86. 273 Niehaus/Schmidt-­Hannisa, Protokoll. Ein Aufriß (2005), S. 9.

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darzulegen, wie die heute in den Archiven verwahrten Protokolle entstanden sind, ­welche Distribu­tionswege sie genommen haben und w ­ elche Bedeutung die protokollierten ‚Visita­tionswahrheiten‘ für das Verfahren hatten. Die Verbind­lichkeit der Protokolle bringt allein schon deren immergleicher Aufbau zum Ausdruck. Jedes Protokoll beginnt mit der Orts- und Datumsangabe, so zum Beispiel Wetzlar, den 26tn April 1775. Darunter stehen die an- und abwesenden kaiser­lichen Kommissare und Visitatoren.274 Der Protokollkopf dokumentiert ferner die Session (Sess. 953) sowie das Datum der Diktatur (Dictat. den 3tn Maii 1775 antemerid.). Unter diesen Angaben befindet sich der eigent­liche Protokolltext. An dessen Anfang steht zumeist der von Kurmainz proponierte, also in Vorschlag gebrachte Beratungsgegenstand, der entweder, wie im vorliegenden Fall, an eine bereits laufende Beratung anschloss oder den Auftakt für eine neue Beratung bildete. Nach der zu beratenden Materie folgen die Voten und dann der Beschluss. Dieser idealtypische Aufbau konnte entsprechend der dargelegten Beratungspraxis variieren. In der 953. Session – sie soll im Folgenden beispielhaft behandelt werden – diskutierten die anwesenden Visitatoren über die Frage, ob Assessoren Bücher schreiben dürfen oder nicht.275 Dieser Gegenstand wurde in der 951. Session vom 7. April 1775 proponiert. Da jedoch in dieser Sitzung beliebt wurde, die Beratungen bis nach den Osterferien auszusetzen, begann die Umfrage erst in der 952. Session und wurde in der 953. Session mit dem Votum des Visitators von Sachsen-­ Altenburg fortgesetzt.276 Danach votierten die übrigen Visitatoren, und zwar entsprechend der hierarchischen und konfessionsparitätischen Rangfolge wie folgt:277 Würzburg, Brandenburg-­Ansbach, Speyer, Braunschweig-­Zelle, Augsburg, Hessen-­Kassel, Pfalz-­Neuburg, Holstein, Prälaten, fränkische Grafen sowie die Reichsstädte Aachen, Augsburg, Rottweil und Ulm. Ganz am Schluss schlug das Direktorium vor, sämt­liche über diesen Gegenstand zum Protocoll gekomene Abstimmungen Kaiser und Reich vorzulegen.278 Ein Conclusum blieb sowohl in dieser als auch in den Folgesessionen aus, da zum einen die abwesenden Visitatoren ihre Voten nachtragen durften, was beide, Pommern und der Vertreter der westfä­lischen Grafen, in der 969. Session taten. Zum anderen behielten sich viele 274 Bei dem Beispiel: Praesentibus Commissione Caesare et D[omi]nis Subdelegatis. Absentibus Dnis Subdelegatis Pomerano et Comitum Westphaliae [StadtAA RKG 57]. 275 Ausführ­licher hierzu Denzler, Arkanum und Öffent­lichkeit (2012), S. 92 – 94. 276 953. Session vom 26. April 1775 [StadtAA RKG 57]. 277 Siehe hierzu im Anhang (Punkt 1) die Ordnung der zweiten Visita­tionsklasse. 278 953. Session vom 26. April 1775 [StadtAA RKG 57].

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das Protokoll offen. Falcke beanspruchte demgegenüber die gesamte 968. Session, um auf über 50 Seiten (14 Bögen) sein Votum zu Protokoll zu bringen. Die Diktatur benötigte fünf Tage, um das Protokoll der 968. Session und damit Falckes Votum zu vervielfältigen.279 Ob dies schnell war oder nicht, lässt sich schwer sagen. Bekannt ist ledig­lich, dass es in dieser Zeit in Wien einen Schreiber gab, der angeb­lich in einer Stunde acht Bögen beschreiben konnte.280 Die Diktatur der Visita­tion war allerdings auch eine ganz besondere Schreibstube. Im Rückgriff auf die bisherigen Ausführungen 281 lässt sich näm­lich festhalten, dass erst durch die Vervielfältigung der Protokolle und Beilagen in Gemeinschaft mit anderen Sekretären (und eben nicht alleine, wie es wohl bei dem Wiener Schreiber der Fall war), die Schriftstücke verbind­lich mitgeteilt waren. Diese Annahme findet ihre Bestätigung in der Äußerung, dass ein Votum noch nicht dictirt, sondern nur verlesen worden sei.282 Daneben sind sämtliche, sehr ordentlich geschriebenen Protokolle und Beilagen, ebenso wie die Berichte aufzuführen, da sie, anders als etwa die Eigennotizen Goldhagens oder das Tagebuch Kestners, nicht für den Eigenbedarf, sondern immer für einen erweiterten Personenkreis bestimmt waren. Die diktierten Schriftstücke waren somit Produkt einer ‚Schönschreibwerkstatt‘, zumindest in der Form, dass sie – wie an anderer Stelle bereits festgehalten 283 – nach der Diktatur nochmals mundiert, also ins Reine gebracht wurden. Deut­lich ist aber auch, dass die Sekretäre nur die Visita­tions- und nicht die Examensprotokolle vervielfältigten. Letztere mussten die Visitatoren selbst schreiben.284 Und auch ansonsten gab es Inhalte, die nicht für die Feder der Sekretäre bestimmt waren. In d­ iesem Fall ließ das Direktorium die entsprechenden Stellen unterstreichen, die dann nicht in der Diktaturstube, sondern im Plenum diktiert wurden.285 Damit ist jedoch noch nicht gesagt, wie das ‚Rohmaterial‘ für die Diktatur entstanden ist. Denn die zur Diktatur gebrachten Schriftstücke waren ja bereits für die Diktatur aufbereitet. Im Hinblick auf die Beispielsession 953 muss somit gefragt werden, wie etwa das rund zehnseitige Votum des Visitators des Fürstbistums Augsburg zur Diktatur kam, oder aber auch das Votum von Hessen-­Kassel. Es lautet: Falls es nicht gefällig seyn solte, den in Umfrag stehenden Gegenstand mit Kur Cölln bloß auf sich beruhen zu lassen, so vereiniget man sich vorläufig mit dem 2 79 Jeweils vor- und nachmittags am 2., 3., 7., 8. und 9. Juni. 280 [Nettelbla/Schnitzlein], Reverien (1768), Thema 4. 281 Siehe insgesamt B.1.4. sowie zu den Diktierzeiten A.2.1. und den Sekretären C.2. 282 326. Session vom 14. Juli 1769 [StadtAA RKG 46]. 283 Siehe C.2.1. 284 Siehe D.4. 285 76. Session vom 23. Nov. 1767 [StadtAA RKG 41].

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K’braunschweig.en Antrag.286 Anzunehmen ist, dass diese Worte 1.) der Visitator am 26. April 1775 im Plenum sprach, 2.) ein kurmainzischer Sekretär den exakten Wortlaut protokollierte, 3.) am 3. Mai 1775 in der Diktaturstube die Worte erneut und besonders langsam vorgelesen wurden, damit 4.) die Sekretäre alles säuber­ lich mitschreiben konnten. Wie genau sich jedoch diese und insbesondere der zweite Schritt gestaltete, lässt sich kaum sagen. Aufgrund der fehlenden Entwürfe kann ledig­lich vermutet werden, der kurmainzische Sekretär setzte hierbei eine Schnellschrift ein. Zumindest gab es ­solche seit der Antike und im 18. Jahrhundert in immer zahlreicheren, auch deutschsprachigen Varianten.287 Oder aber die kurmainzischen Sekretäre beherrschten die „komplexe Kulturtechnik“288 des Protokollierens dergestalt, dass sie alles sehr schnell und in punktueller Abkürzung gängiger Wörter ‚quasiwört­lich‘ aufschreiben konnten. Am wahrschein­lichsten ist jedoch – darauf deuten auch weitere Befunde hin –, dass das Diktieren so langsam erfolgte, dass prinzipiell jeder, der im Plenum anwesend war, die Mög­ lichkeit hatte, mitzuschreiben. Ungeachtet der Diktaturgeschwindigkeit und der Verschrift­lichungstechnik, sind vermutlich im Plenum keine diktaturgerechten Schriftstücke entstanden, sondern diese wurden vielmehr nach den Sitzungen und vor der Diktatur und damit z­ wischen Arbeitsschritt zwei und drei von den kurmainzischen Sekretären mundiert.289 Dies geschah wohl in der kurmainz­ ischen Kanzlei. Daneben gab es nicht nur die Mög­lichkeit, etwas von Mund aus in die Feder zu dictiren.290 Es war vielmehr auch mög­lich, ein Votum im Plenum nur zu verlesen und nicht zu diktieren. Dieses Votum kam dergestalt ins Protokoll, dass es nach dem Verlesen unmittelbar oder mittelbar dem protokollführenden Sekretär oder dem Direktorium überreicht wurde, worauf es dann in der Diktaturstube entweder in aufbereiteter Form oder direkt, vom abgegebenen Schriftstück, diktiert wurde.291 Und schließ­lich gab es die Mög­lichkeit, ein Votum direkt, also ohne das Diktat oder die Verlesung im Plenum, schrift­lich zum Protokoll

286 953. Session vom 26. April 1775 [StadtAA RKG 53]. 287 Mentz, Geschichte der Stenographie (1920), S. 14 – 62. Anzumerken ist, dass wenige Jahrzehnte nach der Visita­tion, im Jahr 1813, die Stenographie beim eng­lischen Parlament eingeführt wurde [ebd., S. 42]. 288 Niehaus/Schmidt-­Hannisa, Protokoll. Ein Aufriß (2005), S. 17. 289 Damit wurden die späteren Protokolle zweimal mundiert. Einmal von den kurmain­ zischen Sekretären für und vor der Diktatur und einmal von den übrigen Visitatoren nach der Diktatur. 290 StadtAA RKG 33, Rela­tion 73 vom 21. Juli 1771. 291 Siehe zur Überreichung eines im Visitationssaal verlesenen Schriftstückes Anm. 517.

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abzugeben.292 Letzteres geschah allerdingsehr selten.293 Es ist vielmehr der Feststellung des kurmainzischen Direktoriums zu folgen, dass die Visitatoren oftmals darauf bestanden haben, die Voten nicht ab[zu]lesen, sondern zum Protokoll [zu] diktieren.294 Denn selbst das Verlesen bedeutete einen zweifachen Verzicht. Zum einen war es nur durch das Diktat mög­lich, mitschreibgerecht langsam seine Stimme zu erheben und damit Ort und Zeit für sich und seine Stimme uneingeschränkt zu ‚vereinnahmen‘. Zum anderen erfolgte nur mit dem Diktat die unmittelbare und für jedermann sicht- und hörbare Aufnahme in das Protokoll.295 Man hatte also nur in diesen Momenten des Diktierens die alleinige, quasiabsolute 296 Verfügungsgewalt über die protokollierte Verfahrensgeschichte. Wie sehr das Diktieren mehr als das Verlesen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Plenums erforderte, geht indirekt aus Aussagen hervor, ­welche die Ruhe oder Unruhe im Visita­tionssaal betonen. So war Falcke darüber erfreut, dass die kaiser­liche Kommission die Verlesung eines seiner Gutachten mit stiller Aufmercksamkeit verfolgt habe, ohne der sonst üb­lichen Aeuserung einigen Misfallens, ja ohne einander oder Directoriali ins Ohr zu raunen oder cum Moguntino Secundo Zettel-­Würfel zu wechseln.297 Beim Diktat hingegen mussten die nicht diktierenden kaiser­lichen Kommissare und 23 Subdelega­tionen stets stille Zuhörer machen.298 Dieses Zuhören war gerade deshalb erforder­lich, da nicht nur der Sekretär, sondern auch die Visitatoren eifrig mitschrieben, wie aus dem bereits angeführten Handprotokoll oder den Sessions-­Notata hervorgeht.299 In einem anderen Zusammenhang heißt es fernerhin, dass der Sollicitant Nathan Aaron Wetzlar bei einem Verhör anfing, zu diktieren, worüber einige lachten, die andere zörnten, einige zu schreiben anfingen, end­lichen aber alle ein gleiches thaten, und anmit gegen 14 Tage lang continuirten.300 2 92 So Malblank, Anleitung Reichsverfassung (1791), S. 320. 293 So in der 877. Session vom 30. Sept. 1774 durch den Regensburger Subdelegierten [StadtAA RKG 55]. 294 HHStA Wien MEA RKG 342, Diarium 1. Nov. 1770. 295 Das Hören umfasst dabei nicht nur die Stimme des Diktierenden, sondern auch die Schreibfedern, die der Sekretär für das Protokoll und die Visitatoren für ihre ­Mitschriften benutzten. Siehe hierzu bereits A.3. 296 Quasi deshalb, weil der kurmainzische Sekretär die protokollrelevante Feder führte. 297 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 7. April 1772. 298 HHStA Wien MEA RKG 342, Diarium 28. Nov. 1770 (§ 1131, Punkt 7). 299 StadtAA RKG 33, Rela­tion 41vom 21. Juli 1769. Siehe insgesamt D.3.1.1. 300 StadtAA RKG 33, Rela­tion 73 vom 21. Juli 1771. Es handelt sich hier also nicht um das reguläre Diktat der Examensprotokolle, die die Visitatoren ja gleichfalls im Plenum anfertigten.

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Das Diktieren im Plenum und in der Diktaturstube hatte natür­lich einen entscheidenden Nachteil: Es benötigte sehr viel Zeit. Wie bereits ausgeführt, kam es nicht nur einmal vor, dass kaum 5 Vota binnen 3 ½ Stunden abgeleget werden konnten.301 Aus eben ­diesem Grund drängte nicht nur die kaiser­liche Kommission zu Visita­tionsbeginn darauf, zumindest im Plenum das allzu lange Votiren und dictiren ad Protocollum zu unterlassen, da die zur Visita­tion bestimte Zeit nur verdorben werde.302 Gegen diese Ra­tionalisierungsmaßnahme sprach jedoch einerseits die symbo­lische Funk­tion des Diktierens, die sich mit der quasi­ absoluten Verfügungsgewalt über das Protokoll umschreiben lässt. Anderer­seits erfüllte das Diktieren im Plenum einen mehrfachen instrumentellen Zweck. So beklagte sich der kurbrandenbur­g ische Visitator im Jahr 1772 über die immer weniger werdenden Diktate im Plenum, da dies seine Arbeit aufgrund eines fehlenden Copisten ungemein erschweren würde.303 Falcke wiederum diktierte einmal die ersten zwölf Zeilen eines Votums zur Probe für den kurmainzischen Sekretär, damit dieser wisse, wie er es in der Diktatur mit Einrückung der g­ rossen Parentheß [Einschübe; A. D.] und derer Paragraphorum diktieren solle.304 Das Diktieren diente also zum einen den Zuhörern dazu, Mitschriften für den Eigenbedarf anzufertigen. Zum anderen war es dem Diktierenden mög­lich, einzuschärfen, wie etwas in der Diktaturstube zu vervielfältigen sei.305 Zudem heißt es bei Falcke weiter, dass er nach dem mustergültigen Diktat der ersten zwölf Zeilen begann, sein Votum so langsam und deut­lich als mög­lich zu verlesen, damit darauf sogleich die Berathschlagung angefangen werden könnte.306 Das Verlesen und damit auch das Diktieren ermög­lichte es also, über die soeben gehörten Inhalte sogleich zu sprechen. Die diktaturgerechte oder ‚normale‘ Verlesung eines Votums darf jedoch nicht nur als ein Instrument begriffen werden, um die Inhalte eines Votums den im Plenum anwesenden Akteuren mitzuteilen, damit diese sich (unter Anfertigung von Notizen) inhalt­lich mit dem Gesagten oder Geschriebenen auseinandersetzen konnten. Mit den protokollierten Voten schrieben die Visitatoren vielmehr immer auch mittelbar eine verbind­liche Verfahrensgeschichte fest. Obendrein waren Protokolle und die darin enthaltenen Voten stets – so André Krischer für den Reichstag – „Symbole 3 01 HHStA Wien RK RKG VA 205, Diarium 9. Juli 1767, § 137. Siehe A.4. 302 StadtAA RKG 33, Rela­tion 11 vom 7. Nov. 1767. 303 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, Bericht Reuter vom 4. Febr. 1772. 304 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 10. März 1772. 305 Wobei offen bleiben muss, ob ein abgegebenes Schriftstück es nicht erleichterte, dass wunschgemäß diktiert wurde. 306 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 10. März 1772.

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des Verfahrens im Vollzug“.307 Das Votieren kann damit ebenso wie das Schreiben der Protokolle als „ritualisierte Handlungen“ begriffen werden, die „selbstreferentielle Funk­tionen“ erfüllten: „Sie reproduzierten und stabilisierten das politische Verfahren, verliehen ihm Legitimität durch erfolgreiche Performanz“.308 Verkörpert bzw. sicht-, hör- und haptisch greifbar inszeniert wurde dabei zwar auch das Verfahren als solches. In erster Linie waren es aber die Visitatoren, die sich, ihre Rolle und die Stimmfreiheit ihrer Obrigkeit inszenierten. In eben d­ iesem Sinne sprach Falcke am Ende seiner Kritik an der Umfrage- und Beschlusspraxis davon, dass es beinahe um die Stimmfreiheit geschehen sei. Dieser Vorwurf von der 326. Ses­ sion,309 den auch andere Visitatoren immer wieder vorbrachten, wog schwer. Das Bemühen, sich von Niemandem seine Stimmfreyheit beschräncken zu lassen,310 war bei alldem auf die protokollierten Voten nicht nur angewiesen. Sie waren vielmehr Ausdruck der Stimmfreiheit, da es nur hierdurch mög­lich war, jenseits des an Zeit und Raum gebundenen Verfahrens und der Wetzlarer Verfahrensumwelt, wo die Visitatoren auch immer in persona die ständische Stimmfreiheit verkörperten, das Visita­tionsrecht des jeweiligen Standes deut­lich zu machen. Die Protokolle markieren damit die Reichweite des Verfahrens und der verfahrensrelevanten Umwelt. Denn die protokollierte Verfahrensgeschichte war nicht nur Produkt und Bezugspunkt des Verfahrens und prägte – über die Diktatur und die Votenarbeit der Visitatoren – die verfahrensrelevante Umwelt in Wetzlar. Entscheidend ist darüber hinaus, dass die Protokolle immer auch für die Visita­ tionshöfe und -städte bestimmt waren. Dort dienten sie als Informa­tionsgrundlage, um Instruk­tionen anzufertigen, aber auch als Instrument, um die Visitatoren zu kontrollieren. An den Höfen und Städten fanden die Protokolle schließ­lich insofern ihre ‚Daseinsbestimmung‘, als sie in den territorialen und reichsstädtischen Archiven für die Nachwelt verwahrt wurden. Daneben waren die Protokolle immer für Kaiser und Reich bestimmt. Das Einstiegszitat des Kapitels ist dabei durchaus wört­lich zu verstehen. Denn zum einen waren die Visita­tionshöfe und -städte Glieder des Reiches, die zusammen mit den kaiser­lichen Kommissaren für und als Reich visitierten. Zum anderen wurden sowohl der Kaiserhof als auch die Reichstagsgesandten mit Protokollen versorgt.311 Bekannt ist sogar, dass Kaiser 307 Krischer, Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen (2009), S. 196. 308 Ebd. 309 Siehe D.3.1., aber auch die unter A.4. zu findende Warnung von Falcke, der Reichs Ständischen Stim-­Freyheit das Messer an die Gurgel zu setzen. 310 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 18. April 1772. 311 Dies tat zum Beispiel der kurbrandenbur­gische Visitator Reuter bis März 1772. Die Korres­ pondenz mit dem Reichstagsgesandten Schwarzenau einschließ­lich der Übersendung von

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Joseph II. die Protokolle nach der Versicherung dero Commissarien […] selbst lesen.312 Zu guter Letzt war es die Medienöffent­lichkeit, die allen Geheimnisansprüchen zum Trotz das Reich mit visita­tionsrelevanten Nachrichten einschließ­lich der Protokolle versorgte.313 Wie wichtig die Protokolle für das Verfahren und die verfahrensrelevante Umwelt waren, unterstreichen die Berichte der Visitatoren. Bei Stallauer etwa beginnt die 15. Rela­tion mit den Worten: Noch in der 104ten Session hat Directorium Sub Bif. 506 den Unfug bey denen Audienzien proponiert, welcher dan auch per Conclusum Sub eodem Bif. noch mehr und umständ­licher, aber per Expedi­ tionem Sub Bif. 522 abgestellet worden.314 Die Folioangaben (Bifolio) verweisen auf die foliierten Protokollbögen. Diese bildeten somit nicht nur einen losen Bezugspunkt für die Berichte, sondern strukturieren diese geradezu, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen kommentierten die Visitatoren die Protokolle, indem Stallauer im vorliegenden Fall von weitschichtige[n] und zum Theil hefftige[n] Voten sprach.315 Zum anderen ergänzten und erweiterten die Berichte ebenso wie die – falls vorhanden – Diarien die Protokolle. Dies geschah erstens dadurch, dass hier viele Dinge festgehalten wurden, die nicht Teil der protokollierten Verfahrensgeschichte waren. So sind die meisten Konflikte, die um den dreifachen Eröffnungsauftakt entstanden sind, aber auch ansonsten viele der hier in der Studie erwähnten Begebenheiten wie Quartierssuche, Prozessionsstreitigkeiten oder Mittags- und Abendgesellschaften nur deshalb bekannt, weil sie in den Berichten Erwähnung fanden. Im Rückblick darauf, wie umstritten die Protokollierung sein konnte und wie wenig eigent­lich ungeachtet der mehr als 15.000 Seiten zu Protokoll kam, lässt sich sogar sagen, dass mit den Berichten eine eigene Visita­tionswirk­lichkeit geschaffen wurde, die erheb­lichen Einfluss auf die Wahrnehmung der protokollierten Verfahrensgeschichte hatte. Zweitens ergänzten und erweiterten die Berichte die Protokolle dadurch, dass sie nicht nur die protokollierten und nichtprotokollierten Vorgänge im Blick hatten, die Einfluss nahmen auf das Verfahren und die verfahrensrelevante Umwelt in der

Visita­tionsprotokollen stellte er jedoch aus Zeitgründen und Ermangelung eines Copisten ein, zumal Schwarzenau bereits vom Magistrat in Regensburg mit Visita­tionsprotokollen versorgt werde [GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, Bericht R ­ euter vom 31. März 1772]. 312 Ebd., Bericht Reuter vom 5. Mai 1772. 313 So führt die Neue Europäische Staatscanzley im 29. Teil aus dem Jahr 1771 Proto­kolle in Auszügen von den Sessionen 199, 233, 270, 237, 333 und (von S. 40 – 191!) den Sessionen 334 bis 340. Siehe insgesamt zu ­diesem Themenkomplex B.3. 314 StadtAA RKG 33, Rela­tion 16 vom 19. Feb. 1768. 315 Ebd.

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Vergangenheit und in der Gegenwart. Überdies ging es um die Verfahrenszukunft. So sprach Stallauer einmal davon, dass es übermorgen [...] ­zwischen Hr. Dr. Hofmann und dem Juden Nathan Aaron Wetzlar zu einer Confronta­tion im Rahmen eines Examens kommen werde.316 Oder aber in seinem 76. Bericht vom 6. Oktober 1771 warnte der Augsburger Stadtvisitator vor der fruchtloß[en] Zerschlagung der Visita­tion, besonders wan D. Bremensis von seinem Hof nicht abgeruffen oder aber aus imerwehrenden Zorn und Gram sein Leben nicht selbsten verkürzt.317 Sehen wir davon ab, dass diese düstere und für Falcke wenig schmeichelhaften Aussage dessen herausgehobene Stellung für das Verfahren unterstreicht: Das negative Zukunftsszenario findet sich in einem Bericht und damit in einem Schriftstück wieder, welches neben den Protokollen und Protokollbeilagen sowie in Abgrenzung etwa zu den Notizzetteln größte Bedeutung für das Verfahren und die verfahrensrelevante Umwelt hatte. Die in den Berichten und in den offiziellen Schriftstücken erfassten Inhalte bauten sogar aufeinander auf, indem die protokollierten Inhalte entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Berichte hatten. Darüber hinaus beeinflussten die Berichte die Rezep­tion der Protokolle an den Höfen und Städten, entweder indirekt über die selektive Thematisierung oder Nichtthematisierung von protokollierten Inhalten oder aber direkt über punktuelle Querverweise. Diese Querverweise konnten positiv sein, indem sie Leseempfehlungen abgaben, oder negativ, indem sie Empfehlung zum Nicht­ lesen aussprachen. So heißt es einmal bei Stallauer, übrige[n] Protocolla Extracta biß ad Bif. 552 ­seien von keiner Erheb­lichkeit.318 Das Aufeinanderbezogensein von Berichten und Protokollen lässt sich schließ­lich auch daran ersehen, dass es beide Male darum ging, Momente des Verfahrens festzuhalten, die ein fester, ja geradezu unumstöß­licher Bestandteil des Visita­tionsgedächtnisses waren. Denn beide Male ging es darum, Akten zu machen, die in den Archiven der Höfe und Städte verwahrt wurden. Darauf verweist ein Brief des kurmainzischen Visitators Keller. Dort heißt es, er könner den brisanten Inhalt– es ging um die Unzufriedenheit eines Assessors über den Verpflichtungsakt – deshalb nicht in das ü­ b­liche Diarium aufnehmen, um nicht genöthiget zu seyn, davon einen Partem Actorum zu machen.319

316 StadtAA RKG 33, Rela­tion 17 vom 12. März 1768. 3 17 StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771. 318 StadtAA RKG 33, Rela­tion 17 vom 12. März 1768. 319 HHStA Wien MEA RKG 341, Keller vom 22. Sept. 1767, fol. 71.

Das Verfahren im Verfahren: Das Examen

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D.4. Das Verfahren im Verfahren: Das Examen Instrumenteller und juristisch ausformulierter Auftrag der Visita­tion war es, das RKG an personen, vom obristen biß zum undertsen, und sonst in allen andern mengeln und gebrechen zu visitiren und zum besten ihres gutbedünckens zu corri­ giren und reformiren.320 Zur Erfüllung dieser Aufgabe war es seit den Anfängen der RKG-Visita­tion üb­lich,321 das Gerichtspersonal zu examinieren, also zu überprüfen, indem die Gerichtsangehörigen von den Visitatoren befragt wurden. Das Examen (lat. Untersuchung/Überprüfung) musste zweierlei erfüllen. Zum einen ging es darum, die Gerichtsangehörigen als Zeugen zu befragen. Sie sollten unter dem Schutzmantel des Examensarkanums offen über die Personal- und Realgebrechen 322 des RKG sprechen. Zum anderen war das Examen ein Verhör, bei dem die Gerichtsangehörigen Beschuldigte oder Angeklagte waren. Beides (Examen als Befragung eines Zeugen und Examen als Verhör eines Angeklagten/Beschuldigten)323 schuf ein nicht unerheb­liches Spannungsverhältnis, das sich zwar insofern lösen ließ, als zu Verfahrensbeginn jeder nur Zeuge und niemand Angeklagter war. Es war also, so der Visitator von Konstanz, jeder solange unschuldig, bis die ersten Antworten besondere Vergehungen […] aufdecken.324 Dessen ungeachtet war das Examen darauf angewiesen, nicht nur mit, sondern gerade gegen die Gerichtsangehörigen zu examinieren. Wie gingen die Kameralen mit dieser ambivalenten Verfahrensrolle als Zeugen und potentielle Beklagte um? Welche Auswirkung hatte es, dass die Zeugenrolle es, entsprechend des geleisteten Eides,325 erforderte, gegen andere Gerichtsangehörige auszusagen? Gab es Bemühungen seitens der Visitatoren, diesen Verfahrensdruck zu regulieren? Und wie war es mög­lich, einerseits mit Mässigung und Rücksicht zu examinieren, damit die Ehre und Ansehung des RKG erhalten bleibe,326 aber andererseits den Examinandi keinen Um- noch Ausweg zu lassen, damit nichts Unliebsames verschwiegen werde?327

320 RKGO Teil I Tit. 50 § 2. 321 Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 14 vermutet, dass es bereits im Jahr 1508 „eine Vorform des ­später üb­lichen sogenannten Personalexamens“ gab. 322 Zu dieser zeitgenös­sischen Unterscheidung siehe A.1.3. 323 Diese Unterscheidung in Anlehnung an Schulze, Ego-­Dokumente. Vorüberlegungen (1996), S. 27. 324 18. Session vom 3. Juli 1767, SD Konstanz [StadtAA RKG 41]. 325 Siehe D.1.3. 326 17. Session vom 1. Juli 1767, SD Kurtrier [StadtAA RKG 41]. 327 18. Session vom 3. Juli 1767, SD Konstanz [StadtAA RKG 41].

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Fragen wie diese deuten an, dass es im Folgenden um die Examenspraxis geht. Es soll dargelegt werden, wie sich der Alltag eines Verfahrens gestaltete, das sich in Abgrenzung zum bislang beschriebenen Verfahren als ein Verfahren sui generis begreifen lässt. Dafür steht nicht nur die noch zu verdeut­lichende Tatsache, dass bei der Befragung separate Protokolle geführt wurden. Entscheidend ist zunächst, dass sich das gesamte ‚normale‘ Verfahrensgefüge dergestalt änderte, dass beim Examen im Plenum die Visitatoren nicht mehr unter sich waren, sondern eine zu examinierende Person im Mittelpunkt stand. Das Examensverfahren prägte darüber hinaus das gesamte Verfahren, weil es sehr viel Zeit kostete, das Gericht tatsäch­lich vom obristen biß zum undertsen – in den Jahren der Visita­tion waren es über 90 Personen – zu untersuchen. Ungeachtet dieser Zeit blieb das Examen aber, ebenso wie die gesamte Visita­tion, unvollendet. Bis ins Jahr 1776 wurden zwar sämt­liche Mitglieder des Kameralkollegiums mehrfach begutachtet. Das Kanzleipersonal jedoch sowie die meisten Anwälte erfuhren nicht annähernd eine ähn­lich intensive Überprüfung. Dies war weniger gewollt als vielmehr unvermeidbar, da einerseits gerade die Untersuchung des Korrup­tionsskandals um den Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar, der zur Entlassung dreier Assessoren führte, sehr viel Zeit beanspruchte.328 Andererseits erreichte das Examensverfahren einen derart hohen Komplexitätsgrad, dass selbst neun Jahre nicht ausreichen konnten, das Examen zu beenden.329 Die im Anhang (unter Punkt 6) befind­lichen Übersichten verweisen mit dem so genannten Examen Generale, den gedruckten Fragestücken und dem so genannten Examen Speciale auf ein insgesamt dreistufiges Examen. Allen Examensphasen gemeinsam war, dass sie aus sehr unterschied­lichen münd­lichen und schrift­lichen Verfahrenselementen bestanden, die aufeinander aufbauten. Während näm­lich das Examen Generale sowie die gedruckten Fragestücke sich im Kern als Befragung begreifen lassen, die dazu diente, mit den Gerichtsangehörigen die zu behebenden Gebrechen zu erkennen, ging es bei dem Examen Speciale darum, das generierte Wissen mittels unterschied­licher Gutachten zu verarbeiten und darauf aufbauend die Gerichtsangehörigen aufgrund der bislang erkannten Defizite weiterführend zu verhören. Dieses Spezialexamen muss als eigenständige Examensphase begriffen werden, die im Anschluss an die erste Examensphase und parallel zur zweiten Examensphase verlief, bevor sie ab Dezember 1768 das Examensgeschehen ausschließ­ lich prägte. Alle Phasen sollen im Folgenden entsprechend des Ablaufes analysiert werden, und zwar, wo mög­lich, aus der Perspektive der Akteure.

328 Siehe hierzu E.3. 329 Noch in der 1055. Session vom 30. April 1776 wurde über die Personal-­Defekten des Prokurators Haas gesprochen [StadtAA RKG 59].

Das Verfahren im Verfahren: Das Examen

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D.4.1 Das Generalexamen und die gedruckten Fragestücke Es ist davon auszugehen, dass durch die Visita­tion im Allgemeinen und das Examen im Speziellen bei allen Akteuren allein schon deshalb ein nicht unerheb­licher Druck entstand, weil es sich hier um außeralltäg­liche Vorgänge handelte, bei denen es kaum mög­lich war, auf Erfahrungs- und Orientierungswissen zurückzugreifen. Wie sehr das Examen gerade die Gerichtsangehörigen belastete, lässt sich erahnen, wenn man Assessor Loskant Gehör schenkt. Wenige Woche nach Beginn des Examens warnte er im RKG-Plenum eindring­lich davor, durch die Befragung werde ein Feuer zum Mißtrauen und Trennung der in collegio nöthigen Einigkeit angezündet.330 Diese Warnung sprach Loskant aus, weil er es bedenk­lich fand, dass die Antwortgeber ohne Vorbringung eines Beweises oder der Offen­ legung ihrer Wissensquellen Anschuldigungen erheben dürfen. Es könne jedoch, so Loskant, einem ehr­lichen Mann nicht gleichgültig seyn, seinen guten Leymuth [...] dem Stachel unbekanter läster Zungen auszusetzen.331 Daneben gab Loskant in aufschlussreicher Weise zu bedenken, dass die Examensprotokolle in wenigstens 30 vielleicht 130 archiven registriret werden. Denn auch wenn die Examensinhalte nicht zur Diktatur gegeben wurden, führten dennoch, so Loskant weiter, die Visitatoren ihre manualia [Mitschriften; A. D.]. Obendrein würden die Hauptprotocolla – gemeint sind die Examensprotokolle – im Visita­tionsplenum nach ihrer Erstellung verlesen werden.332 Diese sorgenvollen Worte Loskants thematisieren die für die Studie zentrale Frage, wie das heute in den Archiven verwahrte Schriftgut entstanden ist. Für die von Loskant als Haupt-­protocolla bezeichneten Examensprotokolle lässt sich festhalten, dass diese nicht durch die Sekretäre in der visita­tionseigenen Diktatur vervielfältigt wurden. Es waren vielmehr die Visitatoren selbst, die im Plenum saßen und das besonders schutzwürdige Examensschriftgut zu Papier brachten. Dieser Vervielfältigungsmodus ging von den Visitatoren aus, die ungeachtet des Verpflichtungsaktes fürchteten, es könne durch die Bekanntgabe von Examens­interna unter den Gerichtsangehörigen Widerwillen, Abneigung und Haß entstehen.333 Deshalb beschloss man am 28. August 1767 und damit wenige Tage vor den sorgenvollen Worten Loskants,334 alles, was über die Personalgebrechen zur Anzeige gelange, weder ad Dictaturam zu bringen noch die von den Visitatoren bei dem Examen 330 BA AR 1/IV. 5, Protokoll RKG-Plenum vom 31. August 1767, fol. 345 f. 331 Ebd. 332 Ebd. 333 Ebd. 334 Die angeführten Worte sprach Loskant in Reak­tion auf diesen Visita­tionsbeschluss.

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angefertigten Mitschriften ohne special befehl an [die] Höfe oder Comittenten zu s­ chicken.335 Das Examen unterlag somit einem besonderen Verschrift­lichungsschutz. Konkret bedeutete dies, dass die regulären Protokolle, die an die Visita­tionsstände versandt wurden, oftmals mit den Worten schließen: Übrigens oder in der übrigen Zeit heutiger Session wurde Kamerale XY vernommen, wie das besonders hierüber geführte Protokoll ausweißet.336 Sobald also das Examen begann, wurde von den kurmainzischen Sekretären ein gesondertes Protokoll geführt. Somit liegen von der letzten RKG-Visita­tion zwei Protokollarten vor. Beide – Visita­tions- und Examensprotokolle – stehen für ein gestuftes Visita­tionsgeheimnis.337 Davon unberührt war der Dokumentationszwang der Visitatoren, die in ihren Berichten auf das Examen eingingen, während die Examensprotokolle – anders jedoch die Re- und Correla­tiones  338 – in der Regel nicht oder nur auf Anfrage überschickt wurden.339 Dies bedeutet wiederum, dass es sich bei den heute in den Archiven verwahrten Protokollen, die das Examen zum Gegenstand haben, um Originalabschriften handelt, w ­ elche die Visitatoren eigenhändig für die Arbeit vor Ort angefertigt haben und die erst nach der Visita­tion der territorialen oder reichsstädtischen Kanzlei bzw. dem Archiv übergegeben wurden. Dieser Überlieferungsweg trifft auch auf die Schriftstücke zu, die im Rahmen des Generalexamens anfielen. Der erste Teil des Examensverfahrens begann einen Tag nach dem Verpflichtungsakt, am 16. Juli 1767 (25. Session), mit der Befragung des Kammerrichters und endete am 23. Februar 1768 (120. Session) mit der Befragung 335 29. Session vom 28. Aug. 1767 [StadtAA RKG 41]. 336 So zum Beispiel das Protokoll zur 345. Session vom 13. Okt. 1769 [StadtAA RKG 46]. 337 Die identisch überlieferten Visita­tionsprotokolle werden wie gehabt zuvorderst mit der Session nachgewiesen und danach – nachgestellt in eckigen Klammern – pauschal mit der entsprechenden Archivsignatur des Stadtarchivs Augsburg. Die Examensprotokolle ­werden wie folgt belegt: Generalexamen oder Spezialexamen, Session XY vom XY [Archivsignatur mit oder ohne Folioangabe]. Da zwar nicht die Examen selbst, aber examensrelevante Inhalte auch in den normalen Visita­tionsprotokollen festgehalten wurden, kann es vorkommen, dass zwar im Text vom Examen die Rede ist, aber nur der normale Sessionsnachweis zu finden ist. Überdies ist einschränkend anzumerken, dass manche Befunde auf dem Visita­tionsindex beruhen, der nicht ­zwischen Visita­tions- und Examensprotokollen unterscheidet. In d­ iesem Fall findet sich ledig­lich ein normaler Sessionsnachweis. 338 Diese Gutachten, die im Rahmen des Spezialexamen I-III erstellt wurden (siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen), finden sich in den Beilagen der Visita­tionsprotokolle wieder. So trägt etwa die Rela­tion über Papius die Beilagennummer 1210. 339 Für die kurbraunschwei­gische Delega­tion galt, dass die Aussagen der Cameral-­Personen per Secretarium extrahiret und nur dann eingesendet werden sollen, wann darauf Instruc­ tion erforder[lich] ist. Dies geht aus einem Aktenverzeichnis hervor [HStA-Han. Cal. Br. 11 4246].

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zweier Completoren. In ­diesem Zeitraum wurden in insgesamt 64 Sessionen 92 Gerichtsangehörige über die so genannten Gemeinen Fragestücke gefragt. Hierbei handelt es sich um einen Fragenkatalog, den das Direktorium nach dem Vorbild der letzten Visita­tion aufgestellt hatte 340 und über den die Visitatoren ­zwischen der 9. und 22. Session berieten. Nach diesen vorbereitenden Gesprächen – sie wurden in den Visita­tionsprotokollen dokumentiert – einigte man sich auf folgende 31 Fragen: Gemeine Fragestücke 341 1. Ob jemand und wer von Entdeckung der Wahrheit bey ­diesem Examine durch Warnungen, ­Drohungen, Versprechungen oder irgend eine andere Weis abgehalten worden? 2. Ob jemand unter denen Camer-­Gerichts Personen – vom obersten bis zum untersten 342 – sich finde, welcher 1tens die gehörige Fähigkeit zu seiner Dienst-­Verrichtung, und 2tens die gesetz­mäßige Eigenschaft nicht besitze und wer? 3. Ob jemand unter solchen sein Amt nicht mit gehörigem Fleiß verrichte und wer? 4. Ob jemand und wer wegen Geschenk oder anderen Corrup­tionen, oder daß Er hierbey Hülff geleistet, sich verdächtig gemacht habe, und woher dieser Verdacht entstehe? 5. Ob nicht ein oder andere Cameral Person, und w ­ elche, durch Geld-­Lehen oder Borgen, sich ­hierinnen verdächtig gemacht habe? 6. Ob jemand ins besondere und wer mit Juden verdächtigen Umgang gehabt, oder selbigen in ­fremden Sachen zu Sollicitiren den Zutritt gelassen habe? 7. Ob jemand und wer sich aus Furcht oder Drohungen von genauer Erfüllung seiner Pflicht abhalten lassen? 8. Ob jemand die ordnungsmäßige Verschwiegenheit nicht gehalten. oder daß ­solche gebrochen würde, sich bestrebet habe und wer? 9. Ob jede Cameral Person in dem äusseren Wandel sich ohntadelhaft betragen? 10. Ob die Cameral Personen in äusser­lichen Wandel kein ärger­liches Leben führen? 11. Ob nicht ein- oder andere Cameral Person denen verbottenen Hazard-­Spiel zugethan seyn und w ­ elche? 12. Ob jemand verdächtige Personen in seinem Hauß aufhalte oder ausserhalb mit desgleichen einen verdächtigen Umgang pflege? 13. Ob jeder derenselben gegen den Ihnen Vorgesezten oder respective Subordinierten mit gebührender Achtung und Bescheidenheit sich jederzeit aufgeführet habe? 14. Ob jemand eine ohngebühr­liche Mißverständnis unter denen Cameral-­Personen veranlasset und wer? 15. Ob jeder allein seinem Amt, ohne sich ordnungswidrig sonsten zu beschäftigen, abgewartet habe?

340 Die Fragestücke ­seien, so der Bamber­gische Visita­tion in der 16. Session vom 26. Juni 1767, mehren theils jene, w ­ elche schon bey der Visita­tion vom Jahr 1713 nüz­lich gebraucht worden, ganz ähn­lich und gleich förmig [StadtAA RKG 41]. 341 HHStA Wien MEA RKG 337. 342 Hierzu heißt es am Seitenrand: Diese Virgulata werden bey Vernehmung des Hr. ­Cammer Richters ausgelassen.

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16. Ob jemand und wer sein Amt nicht selbst verrichtet, sondern sich von einem andern helffen lassen? 17. Ob jemand von Cameral Personen, ausser seinem Amt, in sonstiger Dienst-­Pflicht stehe? 18. Ob jemand und wer ausser seinen Cammergericht­lichen Amtsgenuß einige Pension oder Gnaden Gehalt ziehe? 19. Ob mehrere Personen bey dem Camer-­Gericht in Ayd und Pflichten genohmen als die Ordnung zulasset? 20. Ob Personen, die nicht zu- oder unter das Camer-­Gericht gehören, unter die Jurisdic­tion ­desselbigen gezogen und an denen Cameral Freyheiten Theil genohmen? 21. Ob Cameral Personen ihre Freyheit darinn gewiss brauchet, daß sie unter ihrem Nahmen zur Schmählerung der Zölle und Waaren, Wein pp. für Personas non Camerales kommen lassen? 22. Ob auch währender Visita­tion gemeine Bescheid und was für w ­ elche gemacht und publiciret worden? 23. Ob jemand durch Urlaub geben oder nehmen oder sonstige Abweßenheit wider die Ordnung gehandelt habe und wer? 24. Ob jemand von denen Cameral Personen mit Handel oder Gewerb gegen die Ordnung sich ­betragen habe und wer? 25. Ob nicht desgleichen Handel und Gewerb mit denen litigirenden Partheyen oder denen Sollicitanten getrieben worden, daß es mithin Corrup­tionen halber verdächtig geweßen? 26. Ob nicht desgleichen Handel, so deren Corrup­tionen und Geschenken halber verdächtig, nach bereits ausgesprochenen Urtheilen geschehen, somit dadurch dem § 46 des jüngeren Visita­tions Abschiedes de 1713 zuwider gehandlet worden? 27. Ob die Pupillen des Kayserl. Cammer-­Gerichts und derselben Vermögen mit guten Vormündern versehen, Inventarium gemacht, jähr­lich Rechnungen abgehört, ihr Geld zum besten verwahret und sonsten wohl administriret worden? 28. Ob von denen Vormündern, die mit zuläng­lichen Vermögen nicht angesessen sind, reales, oder fideijussoriae cau­tiones abgeforderet werden? 29. Ob zu denen Bevogtungen vermög­licher Pupillorum vel curandorum hier und da sich nicht etwa zugedrungen, hingegen die mehrest-­lästige Vormundschafft, wie auch jene deren wenig Vermög­ lichsten recusiret, oder davon directe vel indirecte abgewichen werde? 30. Ob denen Tutoribus vel Curatoribus gestattet werde, eine bey Legung der jähr­lichen Rechnung sich zeigende nahmhafte Baarschaft oder Recess als einen unverzinns­liches oder nicht frucht-­tragendes Cassa Vorstand zu traitiren, und in der nächsten Rechnung nur schlechthin als einen solchen vorzutragen, mithin ob derley Verwaltern angehalten werden, die erübrigende Baarschaft zur Erträg­ lichkeit und Nutzen ihrer Principlaschaft anzuwenden? 31. Welche Honororia, Belohnungen oder Besoldung derley Vormunder bestimmet, ­welche Maaß Reglen zu Schöpfung eines Arbitrii hierinn falls genomen, und ob die Belohnung ante Suscep­tionem administra­tionis bedungen oder durante Tutela aut Curatela vel finita illa abgemessen worden?

Die 31 Fragen lassen sich wie folgt inhalt­lich systematisieren:343 Nach der Auftaktfrage, ob jemand und wer von Entdeckung der Wahrheit bey ­diesem Examine abgehalten werden, gab es zwei Fragen (Nr. 2 und 3), die sich ebenso wie die

343 Es gibt einige Fragen, die sich auch anderweitig zuordnen ließen. Die folgende Systematisierung darf also nicht absolut gesehen werden.

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Fragen 8, 13, 14 und 23 dem Themenkomplex ‚Amtsführung‘ zuordnen lassen. Die Visitatoren wollten wissen, ob jemand nicht mit gehörigen Fleiß (Nr. 2), ohne die gesetz­lich vorgeschriebenen Eigenschaften oder ohne die gehörige Fähigkeit (Nr. 3) seinen Dienst verrichtet habe. Daneben erkundigten sich die Visitatoren nach der Achtung der Vorgesetzten (Nr. 13). Mit Frage 4 begann ein Themenkomplex, der sich der (finanziellen) Unabhängigkeit der Gerichtsangehörigen widmete. Dies betraf Geldgeschäfte (Nr. 5), den Umgang mit Juden (Nr. 6), mög­liche Dienstverpflichtungen oder Einkünfte jenseits des RKG (Nr. 17 und 18), die unabhängige Ausübung des Kameralamtes (Nr. 16)344 sowie das unrechtmäßige Ausführen eines Gewerbes oder des Handels (Nr. 24 bis 26). Ferner nahmen die Visitatoren die Kameralfreiheiten (Nr. 19 – 21), die Gemeinen Bescheide (Nr. 22) und mit gleich fünf Fragen (Nr. 27 – 31) das Vormundschaftswesen in den Blick. Aber auch für die Lebensführung der Gerichtsangehörigen zeigten die Visitatoren größtes Interesse. Gefragt wurde nach dem Glücksspiel (Nr. 11), dem untadelhaften Betragen (Nr. 9) sowie danach, ob die Cameral Personen in äusser­lichen Wandel kein ärger­ liches Leben führen (Nr. 10).345 Diese 31 Fragen mussten folgende Personen münd­lich im Plenum beantworten (die Reihung folgt dem Zeitpunkt der Befragung, die dem jeweiligen Rang entsprach): Der Kammerrichter, die beiden Präsidenten, 18 Assessoren, 31 Proku­ ratoren, 20 Advokaten, der Kanzleiverwalter, der Generalfiskal, ein Medikus, der Protonotar, sechs Notare, der Fiskalnotar, sechs Leser, ein Ingrossist und zwei Completoren. Neben diesen 92 Personen wurden die Kameralen, so man noch nicht persönl. examiniert, dazu aufgefordert, innerhalb von acht Tagen schrift­lich Stellung zu nehmen.346 Die Dauer der münd­lichen Befragung variierte sehr stark. Es gab Sessionen, in denen gleich mehrere Kamerale befragt werden konnten, so etwa in der 78. Session die Prokuratoren Seipp, Zwierlein, Werner und Duill. Die meisten Fragen wurden dabei mit nescit, also dem Nichtwissen oder dergleichen – im Protokoll heißt es nur similiter (ähn­lich) oder pariter (ebenso) –, beantwortet.347 344 Diese und auch die dazugehörige Frage Nr. 15 entsprächen auch dem Themenkomplex ‚Amtsführung‘. 345 HHStA Wien MEA RKG 337, Gemeine Fragestücke. 346 120. Session vom 23. Febr. 1768 [StadtAA RKG 42]. Schrift­lich befragt wurden der Pfennig­meister, der Taxeinnehmer, zwei weitere Ingrossisten sambt [den] übrigen Kantz­ leypersonali einschließ­lich deren Pedellen und Kammerbotten [HHStA Wien MEA RKG 378, Visita­tionsindex Eintrag Examen Generale]. Zudem wurden nachträg­lich münd­ lich befragt die Advokaten Culemann (Session 147) und Gondela (Session 199 u. 200). Damit endete endgültig das Generalexamen. 347 Generalexamen 78. Session vom 26. Nov. 1767 [StadtAA RKG 79]. Es wurden auch einzelne Fragen ausgelassen.

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Hierbei handelt es sich um standardisierte Antworten und Protokolltechniken, die sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts durchgesetzt hatten.348 Es gab aber auch 17 Kamerale, die in zwei Sitzungen, und fünf Kamerale, die in drei bis vier Sitzungen befragt wurden.349 Dies hing 1.) davon ab, wann das Examen begann und wie lange examiniert wurde; diese Zeiten variierten vor allem, wenn vor dem Examen anderweitige Dinge besprochen wurden. Es bestimmten 2.) vor allem die Examinanden mit ihren Antworten, wie lange die Befragung dauerte. Es war aber 3.) auch den Visitatoren mög­lich, mit Zusatzfragen das Examen zu intensivieren, was wiederum mehr Zeit beanspruchte. Das Stellen von Zusatzfragen hing 4.) davon ab, was welcher Examinand zur Antwort gab. So gab Zillerberg, zu ­diesem Zeitpunkt Assessor des Bayerischen Reichskreises, auf die Frage Nr. 16, ob jemand sein Amt nicht selber verrichte, zur Antwort, Assessor Harpprecht habe eine Rela­tion von seinem Vettern [...] verfertigen laßen, was jedoch aus keiner bößen Absicht geschehen sei, sondern nur deshalb, um dem Vetter den Modum Referendi zu zeigen.350 Daraufhin wurde die Zusatzfrage gestellt, ob denn das Präsidium oder der Senat hirgegen nichts erineret habe, ­worauf Z ­ illerberg antwortete: Das Präsidium seye, so viel er sich erinere, bey dieser Causa nicht zu gegen gewesen und der Senat habe nichts erineret.351 Eine längere Antwort gab Zillerberg – er soll hier und im Folgenden als ‚Beispielassessor‘ für das gesamte dreistufige Examensverfahren dienen – auf die Frage, ob denn während seiner Amtszeit bezüg­lich der Korrup­tion gahr nichts vorgekommen seye. Hierauf heißt es im Protokoll: Es werde einer hohen Visita­tion von selbsten am mehrsten bewußt seyn, daß man [mit solchen Fragen] zwar großen lermen bey dem Kaiser­lichen Camer-­Gericht gemacht habe, es werde sich aber mit der Hilf Gottes leicht zeigen, daß man sich dißfalls eine große Verantwortung über den Hals gezogen habe.352 Auf das Gerücht, die Richter ­seien korrupt, solle man jedenfalls, so ­Zillerberg, keine Acht geben, da sie gemeinig­lich von bößen und gehäßigen Gemütheren ihren Ursprung nehme[n].353 Ansonsten gab der Assessor zumeist nur negative Kurzantworten: Er wisse nichts oder (so Nr. 2 und 3) könne sich an nichts erinnern. Solche Antworten waren der Regelfall. 348 Fuchs/Schulze, Zeugenverhöre als historische Quellen (2002), S. 19 – 21. 349 Mehr als zwei Sitzungen wurden befragt: Präsident Kirchberg (drei Sessionen), die Proku­ ratoren Gondela (drei Sessionen), Gress (vier Sessionen) und Ludolff (drei Sessionen) sowie der Notar Kunckel (drei Sessionen). 350 Generalexamen Assessor Zillerberg vom 5. Okt. 1767 [StadtAA RKG 79, fol. 51v bis 54v]. 351 Ebd. 352 Ebd. 353 Ebd.

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Nach Beendigung des mehrmonatigen Generalexamens schritt die Visita­tion zur Überarbeitung der gedruckten Fragestücke. Hierbei handelt es sich um Frage­ bögen, die das Direktorium nach dem Vorbild der vorangegangenen Visita­tion 354 bereits am 1. Juni 1767 vorgelegt hatte und die bey sonstigen Visita­tionen eine deren Hauptsäch­lichsten Beschäfftigung gewesen sind.355 Die insgesamt 14 Frage­ bögen umfassen rund 300 Fragen, die zu Erspahrung der Zeit gedruckt und jedem Kameralen zugestellt wurden mit der Anweisung, entsprechend ihres am 15. Juli abgelegten Eides schrifftl: kurz und ohne weitläufige Umschweif zu antworten. Die Antworten sollten innerhalb von 14 Tagen dem Direktor verschlossen zugestellt werden.356 Die u. a. von Protonotar Messerer am 1. April 1768 unter den Assessoren 357 und von Advokat Frech den 2ten April 1768 Abends ­zwischen Neun und zehen Uhr 358 unter den Advokaten verteilten Fragestücke waren gegliedert nach den jeweiligen Kameralpersonen bzw. Kameralgruppen (siehe Anhang Punkt 6.2). Fragestück Litera B – Litera A betraf das Generalexamen – umfasste 68 Fragen, die sich ausschließ­lich dem Kammerrichter widmeten. Litera C mit acht Fragen betraf den Präsidenten, Litera D mit 92 Fragen (!) die Präsidenten und Assessoren, Litera E mit 15 Fragen den Kanzleiverwalter und Litera F mit 14 Fragen den Fiskal einschließ­lich seiner Advokaten. Diese Buchstabenreihung setzte sich fort über G, H, I, K, L, M, N, O bis P mit elf Fragen über die Boten. Obgleich im Vorfeld befürchtet wurde, nicht nur diese Buchstaben, sondern ganze Alphabeten verwenden zu müssen,359 reichte gut die Hälfte eines Alphabets aus, um 14 Fragebögen mit 299 Einzelfragen und zahllosen Unterfragen aufzustellen. Dieses Fragesammelsurium beantworteten 92 Gerichtsangehörige, was summa summarum bedeutete, dass bei dem Direktorium ca. 25.000 Antworten eingingen, die allesamt ab der 163. Session vom 11. Mai 1767 im Plenum verlesen wurden. Die Masse der Antworten und Fragen ermög­licht hier ledig­lich eine kurso­ rische Analyse. Vorauszuschicken ist zum einen, dass nicht jeder Kamerale alle 14 Fragebögen zu beantworten hatte. Zum anderen reichte nicht jeder Gerichtsangehörige eine Antwort ein. Generalfiskal Birkenstock etwa schrieb, dass er

354 Diese insgesamt 82 Fragen sind abgedruckt in WA 10. Stück vom 14. Okt. 1767 und 11. Stück vom 11. Nov. 1767, S. 59 – 72. 355 119. Session vom 22. Febr. 1768 [StadtAA RKG 42]. Hier verwendet werden die gedruckten Fragestücke, die im StadtAA RKG 35 überliefert sind. 356 120. Session vom 23. Febr. 1768 [StadtAA RKG 42]. 357 Siehe u. a. das Begleitschreiben von Assessor Bürgel jun. vom 6. April 1768 [HHStA Wien MEA RKG 369]. 358 HHStA Wien MEA RKG 369, Begleitschreiben Advokat Brand vom 15. April 1768. 359 18. Session vom 3. Juli 1767, SD Konstanz [StadtAA RKG 41].

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Reformverfahren

nichts zu antworten wisse, da er alles bereits bei dem Generalexamen gesagt habe, sein Gedächtnis seit einigen Jahren sehr geschwächt sei und er überdies von anderer thun und lassen, so in mein Amt nicht eingeschlagen, nichts bemerken könne.360 In der Regel war jedoch jeder Gerichtsangehörige dazu verpflichtet, die Fragen zu beantworten. Über den Kammerrichter wollte man zum Beispiel wissen, ob dieser immer pünkt­lich im Rat erschienen sei (Lit. B, Nr. 3), er ein Register führe (Lit. B, Nr. 26) oder aber, ob er die §§ 61 und 62 des jüngsten Visita­tionsabschiedes eingehalten habe (Lit. B, Nr. 35).361 Diese im Fragebogen nicht näher ausgeführten Bestimmungen der letzten Visita­tion von 1713 sahen u. a. vor, bei der Einteilung von Senaten Interessenskonflikte der Senatsmitglieder zu vermeiden (§ 61). Ein solcher Bezug auf reichsgesetz­liche Bestimmungen, auf denen die Rechtsprechung des RKG fußte, findet sich auch in anderen Fragestücken. So interessierte sich Lit. D nicht nur für die Einhaltung diverser Paragraphen des JRA von 1654 (Nr. 19, 26 und 28) oder des Visita­tionsabschiedes von 1713 (Nr. 20 und 81), sondern auch, ob dem Visita­tions-­Decret vom 22ten Decembr. 1767 ein Genügen geleistet worden (Nr. 27).362 Um was es sich bei d­ iesem Visita­tionsbeschluss handelt, der erst wenige Monate zuvor erlassen wurde, erfuhr der Antwortgeber gleichfalls. Zu Beginn der Frage Nr. 27 heißt es, die Assessoren müssen die schrift­liche[n] Vota in Pleno und Senaten also gleich zum Protocoll abgeben.363 Diese und all die anderen Beschlüsse,364 w ­ elche die Visita­tionen im Laufe ihrer Geschichte erlassen hatten, waren verbind­lich für Reich und RKG 365 und gaben immer wieder „wichtige Impulse für die Reichsgesetzgebung“.366 Sie waren also einerseits instrumenteller Zielpunkt des Verfahrens. Andererseits waren Beschlüsse, wie sie etwa dem Generalexamen oder der Verteilung der gedruckten Frage­stücke vorausgingen, die einzige Mög­lichkeit, offiziell mit dem Plenum des RKG oder einzelnen Gerichtsangehörigen zu kommunizieren. Es ging also darum, den Austausch ­zwischen Verfahren und verfahrensrelevanter Umwelt zu organisieren. Aus ­diesem Grund wurden die Beschlüsse, anders als etwa die Protokolle oder gar die Berichte, gesiegelt.367

360 HHStA Wien MEA RKG 369, Antwortschreiben Birkenstock, Frankfurt 12. April 1768. 361 StadtAA RKG 35. 362 Ebd. 363 Ebd. 364 Zu den verschiedenen Arten von Visita­tionsbeschlüssen siehe A.1.2.2. und E.2. 365 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 4. 366 Mencke, Visita­tionen im 16. Jahrhundert (1984), S. 25. 367 Gesiegelte Originale haben sich in den Plenumsprotokollen des RKG erhalten, so zum Beispiel BA AR 1 IV. 5.

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Das durch die Visita­tionsbeschlüsse organisierte und strukturierte Examen hatte zum Ziel, die zu behebenden Defizite zu erkennen oder Informa­tionen zu generieren, die es ermög­lichten, Beschlüsse zur Reformierung des RKG zu erlassen. Deshalb endeten die meisten Fragestücke 368 mit der Frage, ob der Respondent noch andere Verfehlungen des Präsidenten und der Assessoren (Lit. D, Nr. 91), des Kanzleipersonals (Lit. E, Nr. 15) oder etwa der Anwälte wisse (Lit. H, Nr. 37). Fragen wie diese zielten darauf, einen mög­lichst umfassenden Überblick über die zu reformierenden Defizite zu gewinnen und all dasjenige in Erfahrung zu bringen, was nicht Lit. B Nr. 37,369 Lit. E Nr. 1,370 Lit. G Nr. 4,371 Lit. H Nr. 6,372 Lit. K Nr. 1,373 Lit. N,374 Lit. O Nr. 4,375 Lit. P Nr. 1376 oder all die anderen knapp 300 Fragen erfassten. Einen beispielhaften Einblick in die Antworten ermög­licht erneut Zillerberg. Ohne Begleitschreiben 377 gab er am 21. Mai 1768 auf Fragestück Lit. B (nur darauf soll eingegangen werden) häufig zur Antwort, dass er entweder nichts wisse (so Nr. 40, 60 und 61) oder er sich etwa sicher sei, dass der Richter auf die Einhaltung der Bestimmungen achte (Nr. 29). Auffällig bei Zillerberg und vielen anderen Antwortgebern ist ferner der Bezug auf das Generalexamen.378 So heißt es bei dem baye­ rischen Assessor auf die erste Frage, ob der Richter die Reichsgesetze beobachtet habe und er den anderen ein Vorbild sei, dass er sich auf die im Generalexamen gemachte praeliminar Erinnerung nochmahlen beziehe.379 Danach heißt es weiter, er vertraue 368 Alle nach StadtAA RKG 35. 369 Ob Präsidenten und Beysitzere im Rath sich mit Schmähe- und anderen hitzigen Worten und Reden gegen einander eingelassen? 370 Ob die Canzley mit geschickten Personen vermög der Ordnung besetzt sey? 371 Ob die drey Bücher, darinnen die Urtheil geschrieben werden sollen, vermög der Ordnung gehalten worden? 372 Ob die Procuratores in denen gericht­lich-­münd­lichen Vorträgen […] sich der Kürtze beflissen? 373 Ob die Ingrossisten und Copisten eine gute lesbare Handschrifft haben und orthographisch schreiben? 374 Ob der dem Canzley Verwalter gehorsam gewesen und seinen Dienst fleisig verrichtet? 375 Ob Sie über ihren gewöhn­lichen Lohn von denen Partheyen etwas genommen? 376 Ob die Botten glaubhafft, fromm, red­lich und zum Botten-­Amt taug­lich seyn, auch schreiben und lesen können? 377 Es heißt nur: Gehorsamste Beantwortung deren mir ends unterschriebenen durch Proto-­ Notarium Messer sub 1. April a. c. behändigten Fragstücke. Zu den Begleitschrieben siehe die Folgefußnote. 378 HStAWien MEA RKG 369, Gedruckte Fragestücke, Antwort Zillerberg vom 21. Mai 1768. Bei ­diesem Akt handelt sich um die Originalantworten, die, anders als bei den gleichfalls verwendeten Abschriften [BayHStA KS 5790 u. 5791], auch die Antwortbzw. Begleitschreiben führen. 379 HStAWien MEA RKG 369, Gedruckte Fragestücke, Antwort Zillerberg vom 21. Mai 1768.

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Reformverfahren

dem Richter vollkommen, zumal dieser stets die Reichsgesetze beachte, wovon die Protocolla Pleni ad ao: 1763 bis anhero das mehrere zeigen können.380 Ein solcher Verweis auf die Protokolle des RKG findet sich bei vielen Antwortgebern wieder.381 Im Unterscheid dazu zeichnen sich die auf die gedruckten Fragen gegebenen Antworten auch dadurch aus, dass sie selbst und teils sehr ausführ­lich auf die zu verbessernden Defizite eingingen. So merkte Assessor Albini auf die Frage Nr. 2 an (Ob der Richter über sämt­liche Kameralpersonen gehörige Aufsicht habe?), dass die Aufsicht dann und wann hätte schärffer seyn können, so zum Beispiel, als Assessor Nettelbla durch langwierige nicht Frequentirung des Senat[s] in Erscheinung trat.382 Nicht weniger aufschlussreich waren die Antworten, die auf die Frage Nr. 43 eingingen, ob der Richter die Prokuratoren und Sollicitanten willig zur Privat-­Audienz vorgelassen habe. Es heißt, dass ­dieses auch mehrmahlen geschehen sei (Summermann), und darüber verschiedent­lich geklaget worden, ob es aber Grund habe, weiß Respondent nicht (Trott).383 Antworten wie diese deuten an, dass die zweite Examensphase es den Visitatoren ermög­lichte, sich einen umfassenden und auch sehr konkreten Überblick über die Personal- und Realgebrechen des RKG zu verschaffen. Gerade von d ­ iesem Wissen, welches in Ergänzung oder in Erweiterung zu den Akten und Protokollen des Gerichts generiert wurde, ‚lebte‘ die Visita­tion. Zweifelsohne war nicht jede Antwort von Bedeutung. Aber selbst die Angabe, nichts zu wissen oder aber zu bezweifeln ob ein Defizit zutreffe, konnte zielführend sein, da hierdurch ein funk­tionierender oder zumindest graduell nichtdefizitärer Bereich markiert wurde. Ein solches Nichtwissen bzw. ein solch bezweifelnder Ausschluss von Defiziten, dies muss hier einschränkend angemerkt sein, konnte ebenso vorgeschoben sein, um sich selbst, seine Arbeitskollegen oder schlicht und ergreifend seine Zeit zu schonen. So sprach Prokurator Ruland von der wegen meiner andern Geschäfte etwas in der Eyle entworffene Beantwortung.384 Dessen ungeachtet muss, auch im Hinblick auf die (Nicht-)Funk­tionalität des Examens, festgehalten werden, dass nicht nur die erste und zweite Examensphase, sondern ebenso das Konglomerat an 300 gedruckten Fragen zu Überschneidungen führte. Überdies ließ sich der Erkenntnisgewinn nicht beliebig potenzieren. So waren die bereits angeführten 3 80 Ebd. 381 So gab Assessor Riedesel auf die Frage Nr. 40, ob der Richter darauf achte, dass die Rechte des Kaisers und der Stände jederzeit vor Augen behalten, zur Antwort: Beziehet man sich auf die Protocolla Pleni in der Kaiserswerther Sache [BayHStA KS 5790; siehe zu ­diesem Fall E.3.3.]. 382 BayHStA KS 5790, Gedruckte Fragestücke, Antwort Albini vom 2. Mai 1768. 383 Ebd. 384 HStAWien MEA RKG 369, Gedruckte Fragestücke, Antwort Ruland vom 15. April 1768.

Das Verfahren im Verfahren: Das Examen

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Fragen Lit. B Nr. 2 und Nr. 29 fast identisch, weshalb auch Albini in seiner Antwort auf Frage Nr. 29 auf die bereits geschriebene Antwort Nr. 2 verwies.385 Solche Querverweise bringen eine weitergehende Reflexion oder zumindest recht intensive Auseinandersetzung mit den Fragestücken zum Ausdruck, die auch zweifelsohne notwendig war. Denn in Eile – dies zeigen die Antworten Rulands – war es nur bedingt mög­lich, die gedruckten Fragestücke zu beantworten. Es muss sogar im Gegenteil davon ausgegangen werden, dass die Vielzahl an Fragen eine eingehende Auseinandersetzung mit sich und seiner Welt erforderte und dies womög­ lich – neben der zielgerichteten Aufdeckung von Einzeldefiziten – eine weitere Funk­tion aller Fragen war. In eben d­ iesem Sinne sprach Generalfiskal Birkenstock davon, seine Erinnerung sei geschwächt. Die gedruckten Fragestücke lebten von der Erinnerung der Gerichtsangehörigen. Und wem das Sicherinnern oder aber das Lesen und Schreiben, so bei dem greisen Hofmann,386 nicht mög­lich war, der konnte nur bedingt an dem – so ließe sich pointiert formulieren – kollek­tiven Erinnerungsprozess partizipieren, der von dem Examensverfahren ausging. Das persön­liche Sicherinnern aller Kameralen kann hierbei im Rückblick auf die Ausführungen über den Visita­tionshorizont 387 als Fortsetzung eines Erinnerungsprozesses verstanden werden, der anfäng­lich auf der Sichtung, Veröffent­lichung und/oder Auswertung alter Visita­tionsakten und danach auf die Auskünfte der Gerichtsangehörigen gründete. Es kann auch von einem komplementären Erinnerungsprozess gesprochen werden, der auf den persön­ lichen Examensangaben der Kameralen sowie den Akten der Visita­tion, aber auch auf den Akten des Gerichts beruhte. Vielleicht war es gerade diese Intensität der Examenserinnerung und weniger die Zeit- oder ‚Gewissensnot‘, die manchen Antwortgeber dazu veranlasst hat, mit einem k­ urzen ‚Ich weiß nicht‘ zu antworten oder aber gleich die Frage oder auch ganze Fragebögen zu übergehen.388 Letzteres tat zum Beispiel Notar Hoscher mit der Begründung, dass ihm nicht[s] bekannt [sei], noch bekannt seyn kann.389 3 85 BayHStA KS 5790, Gedruckte Fragestücke, Antwort Albini vom 2. Mai 1768. 386 Der 1688 geborene RKG-Anwalt Georg Melchior Hofmann teilte der Visita­tion mit, dass er aufgrund seines hohen 80 jährigen Alter[s] nicht mehr lesen und schreiben könne, weshalb er darum bat, auf die Beantwortung der Fragestücke verzichten zu dürfen oder diese zumindest zusammen mit seinem Sohn beantworten zu können [HHStA Wien MEA RKG 369, Antwortschreiben Dr. Hoffmann, Wetzlar 11. Mai 1768]. 387 Siehe A.1.2. 388 In ­diesem Sinne sprechen auch Fuchs/Schulze, Zeugenverhöre als historische Quellen (2002), S. 25 bezogen auf das münd­liche Examen von der Mög­lichkeit einer „­momentanen Weigerung, die Mühen auf sich zu nehmen, sich exakt zu erinnern“. 389 BayHStA KS 5790, Gedruckte Fragestücke, Antwort Hoscher vom 24. April 1768.

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Reformverfahren

D.4.2 Das Spezialexamen Das tatsäch­liche oder vermeint­liche Nichtwissen schützte in den ersten beiden Examensphasen auch davor, gewohnte Hierarchien und damit ein Wesensmerkmal der vormodernen (Kameral-)Gesellschaft zu durchbrechen. Denn wie die im Anhang (unter Punkt 6.2.) befind­liche Übersicht verdeut­licht, nahmen gerade die gedruckten Fragestücke auf die bestehenden Hierarchien keine Rücksicht. Die Anwälte gaben Auskunft über den Kammerrichter, die Leser über den Kanzleiverwalter und selbst den Boten war es mög­lich, Fragestück Lit. E bis Lit. P zu beantworten. Diese Egalisierung der kameralen Hierarchien war zwar für das gesamte Examen unvermeidbar, aber nicht unumstritten. So gab der österreichische Visitator im Hinblick auf das Generalexamen zu bedenken, dass von derley geringeren Leuthen [...] über die Fähigkeit des Richters, der Präsidenten und Assessoren lieber keine Stellungnahme abgefordert werden sollte.390 Gerade ­solche Bedenken legen die Vermutung nahe, dass sämt­liche Examensantworten nicht nur in puncto Aussage- und Wahrheitsgehalt, sondern auch in puncto Stellung des Antwortgebers gewichtet wurden. Eine ­solche Stimmengewichtung der Zeugenaussage aufgrund des gesellschaft­lichen Ranges und anderer Merkmale war üb­lich.391 Doch auch ansonsten war es schon aufgrund der Masse an Aussagen notwendig, die Relevanz einer Aussage zu erfassen und zu analysieren. Diese zielgerichtete Auswertung der bisherigen Antworten und darauf aufbauend die Vornahme weiterer Verhöre bildete die dritte und letzte Examensphase. Mit den Zeitgenossen kann hier in Abgrenzung zu den vorangegangenen Examen von einem Spezialexamen gesprochen werden. Da insbesondere diese Examensphase den weiteren Gang der Studie begleiten wird,392 reicht es an dieser Stelle aus, den Ablauf in seinen Grundzügen zu skizzieren. Zunächst verdeut­licht die im Anhang (unter Punkt 6.1.) befind­liche schematische Darstellung, dass die Auswertung der Examensbefunde sowie die Befragung von weiteren Kameralen und Nichtkameralen (Spezialexamen I) bereits mit dem Ende der ersten Examensphase begann und sich parallel zu der zweiten Examensphase fortsetzte. Mit dem Ende dieser Phase, ab dem 7. Dezember 1768, legten die Visitatoren von Kursachsen und Kurtrier ihre Präliminarrela­tionen ab. Hierbei handelt es sich um Erstgutachten, ­welche die Erkenntnisse be- und verwerteten, die im Rahmen des Generalexamens sowie des Spezialexamens I

3 90 17. Session vom 1. Juli 1767 [StadtAA RKG 41]. 391 Fuchs/Schulze, Zeugenverhöre als historische Quellen (2002), S. 17. 392 Siehe E.3.

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Das Verfahren im Verfahren: Das Examen

gewonnen wurden. Ausgehend von diesen Untersuchungsergebnissen, ­welche die Visitatoren für sämt­liche Mitglieder des Kameralkollegiums erstellten,393 wurde der weitere Examensverlauf organisiert. So wurden bei der nun folgenden Bestellung der Re- und Correferenten etwa die Visitatoren Kurtriers und Kursachsens damit betraut, sich einzig und allein mit dem bereits schwer belasteten Papius auseinanderzusetzen, während sich Falcke und der Visitator von Pfalz-­Lautern mit den weitgehend unbescholtenen Präsidenten sowie den Assessoren Loskant, Trott, Clauspruch und Albini auseinandersetzen sollten. Dies geht aus folgender Tabelle hervor: Die Re- und Correferenten 394 Referent

Correferent

Für

Bremen

Pfalz-­Lautern

Präsidenten Bassenheim und Kirchberg, Assessoren Loskant, Trott, Clauspruch und Albini

Österreich

Darmstadt

Assessor Reuss

Konstanz

Wolfenbüttel

Assessoren Leipziger, Riedesel, Cramer, Bürgel jun.

Münster

Baden-­Durlach

Assessoren L’Eau und Ortmann

Kurtrier

Kursachsen

Assessor Papius

Bayern

Mecklenburg

Assessoren Zillerberg, Harpprecht, Bürgel sen.

Prälaten

Grafen

Assessoren Nettelbla und Summermann

Die Referenten und Correferenten wurden also zum einen entsprechend des bisherigen Defizitbefundes eingeteilt, wie er sich aus den ersten ­beiden Examens­ phasen ergab. Zum anderen wurde unter Ausklammerung der reichsstädtischen Visitatoren eine Einteilung entsprechend der konfessionellen Parität 393 Die Präliminarrela­tionen wurden wie folgt abgelegt (teils auch in den Folgesessionen): 7. Dez. 1768 Kammerrichter (Session 246), 9. Febr. 1769 Präsident Bassenheim u. ­Kirchberg (Session 265), 10. Febr. 1769 Albini, Clauspruch, Cramer, Loskant u. Trott (266. Session), 13. Febr. 1769 Reuss (Session 267), 20. Febr. 1769 Leipziger (­Session 270), 22. Febr. 1769 Bürgel jun., L’Eau u. Riedesel (Session 271), 25. Febr. 1769 ­Ortmann (Session 272), 27. Febr. 1769 Papius (Session 273), 6. März 1769 ­Harpprecht u. ­Zillerberg (Session 276), 8. März 1769 Bürgel sen., Nettelbla u. Summermann (­Session 277) [StadtAA RKG 44 u. 45]. 394 Reihung und Aufteilung nach dem Direktorialvorschlag in der 293. Session vom 26. April 1769 und dem Beschluss in der 294. Session vom 28. April 1769 [StadtAA RKG 46]. Der Referent (Kurbrandenburg) und Correferent (Fürst Regensburg) für den Kammerrichter wurden bereits in der 190. Session vom 5. Juli 1768 benannt [StadtAA RKG 43].

366

Reformverfahren

sowie (mit Ausnahmen) entsprechend des Rangs vorgenommen. Aufgabe der Re- und Correferenten war es, aufbauend auf der Präliminarrela­tion weiterführende Gutachten über die jeweiligen Kameralen zu erstellen. Die Gutachter griffen dabei sowohl auf die Erstgutachten als auch auf Erkenntnisse der Spezial­examen I und II, Gerichtsakten sowie auf die Antworten Lit. A bis Lit. P zurück. Da – dies ist immer mitzubedenken – das Tun der Visitatoren in dieser Zeit zwar vor allem, aber keineswegs ausschließ­lich um das Examen kreiste, und jedes Gutachten sehr arbeits- und damit zeitintensiv war, konnte die Ablegung der Re- und Correla­tionen erst ab der 420. Session vom 18. Mai 1770 erfolgen (siehe hierzu die Tabelle am Ende ­dieses Abschnitts).395 Mit den Re- und Correla­tionen einher gingen Beratungen im Plenum, Beschlüsse sowie die Durchführung weiterer Examen (Spezialexamen III). So beschloss man eine Sitzung nach der Re- und Correla­tion über Assessor Papius, den Rat zu Lüttich darum zu bitten, einen Kanoniker unter Eid zu verhören. 396 In derselben Sitzung wurden die Assessoren Clauspruch und Nettelbla angewiesen, schrift­lich Stellung zu beziehen zu einem Prozess, in den auch Papius involviert war. In der 477. Session vom 14. November 1770 wiederum berieten die Visitatoren aufgrund eines Rela­tionsbefundes über weitere Examensfragen, die etwa dem Kameralnotar Haas gestellt werden sollten. Aus eben ­diesem Grund, der weiter­ gehenden Befragung im Rahmen eines Spezialexamens, die auch dazu führen konnte, dass die Visitatoren neuer­lich Re- und Correla­tion erstellten, musste Zillerberg zwei weitere Male vor das Plenum treten.397 Diese Befragung geschah, obgleich die Präliminarrela­tion festgehalten hatte, dass Zillerberg ein red­licher Mann, fleissiger Arbeiter und rechtschaffener von Connexionen und Interesse befreyter Justitiarius sey.398 Die Re- und Correferenten bestätigten schließ­lich, dass der bayerische Assessor vorbild­lich sei 399 – eine Erkenntnis, die auf sehr umfassenden, aber eben auch – kritische Stimmen erhoben sich auch hier 400 – sehr weitläufigen Untersuchungen gründete.

395 Die Tabelle macht auch deut­lich, dass die Begutachtung des Kammerrichters einem ­anderen Zeitrhythmus folgte. 396 475. Session vom 9. Nov. 1770 [StadtAA RKG 50]. 397 Examen 330. Session vom 4. Sept. u. 358. Session vom 15. Nov. 1769 [StadtAA RKG 80, fol. 508, 508v u. 569]. Es ging jeweils um die Rela­tion des Kammerrichters. 398 HHStA Wien RK RKG VA 394, Präliminarrela­tion Zillerberg (Bogen 6). Es heißt ­ferner, dass ­dieses Defizit mit einem Dekret bereits behoben worden sei. 399 495. Session vom 4. Jan. 1771 [StadtAA RKG 50]. 4 00 StadtAA RKG 33, Rela­tion 59 vom 29. Sept. 1770.

367

Verfahrensunterbrechungen Die Ablegung der Rela­tionen und Correla­tionen Beginn (Datum)

Beginn (Session)

Über

6. April 1769

284

Kammerrichter

18. Mai 1770

420

Präsident Bassenheim

25. Mai 1770

423

Präsident Kirchberg

28. Mai 1770

424

Clauspruch Loskant Trott

8. Jan. 1770

427

Albini

27. Juni 1770

435

Reuss

12. Sept. 1770

451

Cramer

24. Sept. 1770

455

17. Okt. 1770

466

31. Okt. 1770

472

Ortmann

7. Nov. 1770

474

Papius

4. Jan. 1771

495

Leipziger Bürgel jun. Riedesel L’Eau

Harpprecht Zillerberg

9. Jan. 1771

497

Bürgel sen.

8. April 1771

526

Nettelbla

26. April 1771

534

Summermann

D.5. Verfahrensunterbrechungen Die Visita­tion tagte keineswegs neun Jahre am Stück. Darauf verweisen die bereits thematisierten Ferienzeiten,401 aber auch die Tatsache, dass es verschiedene Gruppen (zeitgenös­sisch ‚Klassen‘) an Reichsständen gab, die das Recht hatten, sich an dem Verfahren zu beteiligen.402 Dieses keineswegs umstrittene ‚Verfahrensrecht‘403

4 01 Siehe A.2. 4 02 Siehe hierzu bereits die Einleitung ­dieses Kapitels. 4 03 Siehe B.3.1.1.

368

Reformverfahren

legitimierte zwar das Verfahren, bedingte jedoch durch den dreimaligen Klassenwechsel eine insgesamt dreimalige Unterbrechung. Welchen Einfluss der Wechsel der zweiten, dritten und vierten Klasse auf den Lauf des Verfahrens hatte, ist einerseits zu erörtern. Andererseits führte ein Eklat um Falcke dazu, dass das Visita­ tionsplenum für mehrere Monate nicht zusammentrat. Was waren die Gründe für diese Unterbrechung? Und warum nahmen die Visitatoren dann doch wieder ihre Arbeit auf ? Beide Unterbrechungsarten, reichsrecht­lich erforder­licher Klassenwechsel und streitbedingter Stillstand, sollen im Folgenden betrachtet werden. D.5.1 Klassenwechsel Die Erleichterung war groß, zumindest bei Stallauer. Nach 897 Sessionen wurde der ersten Klasse der Keraus gemacht. 7 ½ Jahr[e] [...] zancksüchtigen Betragen[s] waren beendet. Der reichsstädtische Visitator dankte hierfür dem großen Gott und notierte auf der Rückseite seines letzten Berichts, dem Adress- und Betrefffeld: An einen hochlöb­lichen Geheimen Rath Gehorsame Final Rela­tion Mein Johann Caspar von Stallauer Ex Subdelegati augustani.404

Stallauer war nicht der einzige, der am 31. Oktober 1774, dem letzten Sessionstag der ersten Klasse, sich das Prädikat ‚Ex-­Subdelegierter‘ zusprechen konnte. Noch zehn weitere Visitatoren 405 hatten am d­ iesem Tag die Mög­lichkeit, das begehrte Prädikat zu erwerben und wie Stallauer einen finalen Bericht zu schreiben. Begehrt war ­dieses Prädikat deshalb, weil, wie gezeigt, das Ende der Visita­tionstätigkeit zumeist der Anfang oder die Fortsetzung eines Karriereweges war, der durch die Wetzlarer Zeit befördert wurde.406 Empfanden jedoch alle Ex-­Visitatoren ähn­lich viel Erleichterung, wenn nicht sogar Freude über das Ende ihrer Visita­tionstätigkeit wie Stallauer?407 Fest steht, dass der Augsburger Visitator, der die Visita­tion stets sehr kritisch begleitete, zumindest erleichtert war, nun ein Leben ohne diese führen 4 04 StadtAA RKG 33, Rela­tion 130 (undatiert), präsentiert am 6. Dez. 1774. 4 05 Auf katho­lischer Seite Bebenburg, Lieb, Mayer, Ottenthal, Reis, Tenspold und Tils, und auf protestantischer Seite Höfler, Wild und Zech. 4 06 Siehe Kapitel C. 4 07 Nach der Auswertung sämt­licher 130 Berichte, die Stallauer verfasst hat, kann zweifelsohne davon gesprochen werden, dass der Visitator über die Beendigung der ersten Klasse erleichtert, wenn nicht sogar erfreut war.

Verfahrensunterbrechungen

369

zu dürfen. Wie jedoch stand es um die vielen Visitatoren, die in Wetzlar blieben? Falcke visitierte unermüd­lich weiter, allerdings mit zwei nicht unwesent­lichen Veränderungen. Zum einen war er nun, in der zweiten Visita­tionsklasse, nicht mehr Visitator von Bremen, sondern von Kurbraunschweig. Diese Rangerhöhung stärkte seine Führungsrolle. Zum anderen bedingte der Klassenwechsel, dass mit Braunschweig-­Celle  408 ein welfisches Fürstentum visitieren durfte, welches 1705 an Kurbraunschweig fiel.409 Es waren also zwei Visitatoren, die in der zweiten Klasse für das Kurfürstentum visitierten. In d­ iesem Sinne waren Falcke und der Visitator von Braunschweig-­Zelle, Joachim Heinrich Schröder, im Visita­tionssaal zumeist einer Meinung. Daneben schrieben Falcke und Schröder an ihre Obrigkeit, den eng­lischen König und den Räten zu Hannover, nicht je einen, sondern ledig­lich einen gemeinsamen Bericht. Diese gemeinsame Berichterstattung der ‚Welfenvisitatoren‘ lässt sich ebenso wie die Tatsache, dass beide nur eine Instruk­tion erhielten, als eine durch den Klassenwechsel bedingte Ra­tionalisierungsmaßnahme begreifen, die es auf Seiten der Visita­tionsobrigkeit erleichterte, sich einen Überblick über die Tätigkeit der beiden Visitatoren zu verschaffen, während die beiden ‚Welfenvisitatoren‘ ihre Ausführungen in einem einzigen Bericht bündeln konnten. Letzteres geschah dergestalt, dass zuerst Falcke gewohnt ausführ­lich aufschrieb, was sich seit dem letzten Bericht ereignet hatte, und erst danach oder zwischendurch Schröder Ergänzungen vornahm.410 Jeder Klassenwechsel bedingte aber auch einen Verfahrensneustart insofern sich jeder Visitator neu legitimieren musste, und zwar unabhängig davon, ob er bereits in einer vorangegangenen Klasse visitiert hatte oder nicht; es wurden demnach neue Verfahrensrollen vergeben. Hierbei entstanden nicht unerheb­liche Konflikte. Denn jeder Neustart erforderte es, sich und seine Obrigkeit im Gefüge der Visita­tion neu zu posi­tionieren. Dadurch verschärfte sich der ungelöste Rangstreit unter den Grafen, aber auch ansonsten ergaben sich theils wegen der Legitima­tionen theils in Ansehung

4 08 Bzw. Braunschweig-­Lüneburg mit der Residenzstadt Celle. 4 09 Aschoff, Welfen (2010), S. 130. 410 So heißt es in dem Bericht vom 26. Nov. 1774 von Falcke, dass am 23 hujus Morgens um 9 Uhr die zweite Klasse erfolgreich eröffnet worden sei. Danach und nach der ausführ­ lichen Schilderung von Rangstreitigkeiten, die nach Auskunft Falckes nicht nur z­ wischen den Grafen, sondern auch z­ wischen Speyer und Pfalz-­Neuburg entstanden waren, griff Schröder zur Feder bzw. – das Schriftbild bleibt gleich – äußerte er sich in dem Bericht. Er schrieb, dass ich, der von Schröder, […] aus dringender Noth bey einer Cameral Person wohne und er bei der Verlesung seiner eigenen Vollmacht abgetreten sei, während ich, Electorialis, also Falcke, sitzen blieb [HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774].

370

Reformverfahren

einiger Praecedenz-­Streitigkeiten […] viele Irrungen.411 Im Ergebnis bedeutete dies, dass jeder Klassenwechsel altbekannte Verfahrenskonflikte beförderte. Im Hinblick auf das vorzeitige Verfahrensende lässt sich zudem sagen, dass sich mit dem dreimaligen Klassenwechsel die Konflikte zwar nicht dreifach potenzierten, aber zumindest verdichteten. Denn einerseits ergaben sich stets neue Rang- und Machtkonstella­tionen, während andererseits die Zeit zur Konfliktentschärfung sowie insgesamt die Zeit zur Veralltäg­lichung des Verfahrens immer kürzer wurde. Überdies beschleunigte sich mit jedem Klassenwechsel das Verfahren dergestalt, dass etwa im Mai 1774 mit der Ankündigung des ersten Klassenwechsels einige Visitatoren darauf drängten, in der verbleibenden Zeit noch eine Rela­tion über die Gebrechen des Kammerrichters abzulegen.412 Jeder Klassenwechsel schärfte also das Bewusstsein für die End­lichkeit des Verfahrens. Zu Beginn der zweiten Klassen wurde sogar von Zeit Schrancken gesprochen,413 da die Verfahrensdauer im Vorhinein und diesmal auch tatsäch­lich auf ein halbes Jahr beschränkt war. Diese End­lichkeit des Verfahrens konnte dazu führen, dass zielorientiert-­schneller visitiert wurde. Daneben rückte mit der End­ lichkeit die bisherige Länge respektive Weitläufigkeit und damit die Ferne des Verfahrensendes bzw., wie es Stallauer im August 1773 zum Ausdruck gebracht hat, die Zeit­liche[…] Ewigkeit der Visita­tion stärker in den Blick.414 Dies verdeut­licht die letzte Sitzung der ersten Klasse. Als näm­lich darüber beraten wurde, einen Zwischenbericht an Kaiser und Reich zu erlassen, verzichteten die Visitatoren darauf, sämt­liche Beschlüsse aufzulisten, ­welche die erste Klasse in Puncto Reforma­tionis Judicii Cameralis erlassen hat. Stattdessen wurde per unanima beliebt, bloß die Entschuldigung zum Ausdruck zu bringen, daß wegen Enge der Zeit und dem weiten Umfang des Geschäfft der Bericht in der anverlangten Maße nicht erstattet werden könne.415 Damit jedoch, mit der Betonung der Zeitnot, dem Verweis auf die Vielzahl der noch unerledigten Aufgaben sowie der Nichtbilanz der ohnehin oftmals noch unabgeschlossenen Gegenstände,416 stand unweiger­lich 411 Gesammelte Original-­Briefe, Teil 3 (1778), Brief 82. Dies gilt auch für die a­ nderen Klassenwechsel, die hier nicht eigens behandelt werden können. Siehe zu den Problemen, die bei der Ablösung der zweiten Klasse entstanden, Rohr, Reichstag (1968), u. a. S. 259 f., und zu der Einberufung der vierten Visita­tionsklasse D.6. 412 StadtAA RKG 33, Rela­tion 124 vom 25. Mai 1774. 413 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774. 414 StadtAA RKG 33, Rela­tion 109 vom 11. Aug. 1773. 415 Ebd., Rela­tion 130 (undatiert), präsentiert am 6. Dez. 1774. 416 Die Unabgeschlossenheit vieler Gegenstände verdeut­licht Schröder. Im Rückblick auf die Sessionen 495 bis 498 sprach er davon, dass er noch über elf Gegenstände bezüg­lich der Personaldefekte der Assessoren Harpprecht und Brügel sen. zu correferiren habe [HStAHan. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 12. Nov. 1774].

Verfahrensunterbrechungen

371

die bisherige Schwerfälligkeit oder eben Weitläufigkeit des Verfahrens im Mittel­ punkt. Bedenkt man überdies das beschriebene reformerische Effizienzstreben der Zeit, dann wird deut­lich, dass jeder Klassenwechsel, zumal er das Bewusstsein für die Kosten schärfte,417 das Verfahren zusätz­lich delegitimierte. Die Weitläufigkeit des Verfahrens, die nicht zuletzt aufgrund der addierenden Zählung der Sessionen allgegenwärtig war – am Ende waren es 1056 –, drückte sich auch dadurch aus, dass, obgleich die Masse an Papieren ständig zunahm, die Schriftvervielfältigung dem Verfahren immer und scheinbar je länger je mehr hinterherhinkte.418 Dieser Rückstand wurde anläss­lich der Klassenwechsel deut­licher als zuvor dokumentiert. So listete Falcke in seinem Schlussbericht für die erste Klasse insgesamt 19 noch undiktierte Protokolle auf.419 Die vielen Classen-­Abwechslungen  – so die Formulierung Falckes und des ‚Co-­Berichterstatters‘ Grolmanns zu Beginn der dritten Klasse 420 – bedingten auch, dass die meisten Subdelega­tionen Acta manca, also unvollständige Akten hatten.421 Bedenkt man obendrein, dass mit jedem Klassenwechsel nicht nur Visitatoren gingen oder übernommen wurden,422 sondern es auch mit den Worten Fal­ckes viele ganz neue[...] Ankömling[e] gab, die sich erst einmal in die Akten einarbeiten und in die Komplexität des Verfahrens einfinden mussten,423 dann ist deut­lich, dass der Wechsel der Klassen den Gang der Visita­tion erschwerte. Darüber können auch die positiven Impulse nicht hinwegtäuschen, die von dem Klassenwechsel ausgingen. Sie betrafen das beschleunigte Arbeiten zum Ende einer Klasse, die Mitwirkung von ‚frischen‘ und von einer negativen Verfahrensgeschichte unbelasteten Kräfte, die Ablösung von unliebsamen Visitatoren 424 sowie die verstärkte Reflexion über den Arbeitsstand des Verfahrens.

417 Nachdem viele Visita­tionsstände der Kosten wegen auf einen Klassenwechsel drängten, sprach der Kaiser in einem Reskript vom 12. März 1774 von dem mit großen Kosten verbundenen […] reichsväter­lichen Langmut [Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 2 (1806), S. 772]. 418 Wobei offen bleiben muss, ob nicht auch der Klassenwechsel es ermög­lichte, den Rückstand in der Schriftproduk­tion abzuarbeiten. 419 HStA-Han. Cal. Br. 11 4140, Falcke an Räte 1. Nov. 1774. 420 Auch mit Grolmann, dem Visitator von Braunschweig-­Calenberg (3. Klasse), schrieb Falcke Gemeinschaftsberichte. 421 HStA-Han. Cal. Br. 11 4301, Falcke und Grolmann an König 3. Okt. 1775. 422 Grolmann war etwa schon in den ersten beiden Klassen Visitator, bevor er in der d­ ritten Klassen für Braunschweig-­Calenberg visitierte. Siehe hierzu wie insgesamt zu dem Personalbestand der Visita­tion die Verzeichnisse im Anhang (Punkt 2). 423 HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 26. Nov. 1774. 424 Falcke sprach vor Beginn der zweiten Klasse davon, dass wir uns von dem jetzigen ­Saxonico, nach seinem bisherigen Betragen, eine beßere assistenci versprechen, als wir von dem Graven

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Reformverfahren

Zu fragen bleibt allerdings, ob die Suche nach den Vor- und Nachteilen eines Klassenwechsels nicht anachronistisch ist. Denn obgleich die Zeitgenossen diesbezüg­lich nach Effizienz strebten,425 finden sich in den Akten nur wenige explizite Aussagen über das Für und Wider des Klassenwechsels geschweige denn dessen völlige Ablehnung. Ein solcher Wechsel bedurfte im Kern auch keiner zusätz­lichen Legitimierung und konnte umgekehrt auch nur schwer­lich delegitimiert werden. Sinn und Zweck des mehrfachen Klassenwechsels war es vielmehr, nach Art des Reiches, und dies hieß in erster Linie unter Beteiligung mög­lichst vieler Reichsstände, zu visitieren. Aus ­diesem Grund gab es nach der Visita­tionstrennung im Jahr 1776 Pläne, die ordent­lichen Visita­tionen mit bis zu 25 Klassen wiederaufleben zu lassen.426 D.5.2 Nichttagung Mai 1772 – Januar 1773 Auf einmahl aber rüstete Er sich seine schwarze Galle in voller Mase auszuschütten.427

Daran wäre die Visita­tion fast gescheitert. In der 666. Session vom 2. Mai 1772 entlud sich alles, was sich in den vergangenen fünf Jahren an Frust, Enttäuschung und auch Wut angesammelt hatte. Die Sitzung – sie soll im Folgenden etwas ausführ­licher betrachtet werden – begann damit, dass das Direktorium Falcke ersuchte, mit der Verlesung der Correla­tion in der Valloner Sache, für die bereits 22 Sitzungen (!) in Anspruch genommen wurden, fortzufahren.428 Falcke jedoch wollte zunächst die Gelegenheit ergreifen, ein paar grundsätz­liche Dinge mitzuteilen. Denn, so die Begründung Falckes, da die Visita­tion eigent­lich am 2. Mai 1767 beginnen sollte, sei heute das 6te Jahr […] erreicht.429 Es war also für den bremischen Visitator und damit nolens volens für das gesamte Visita­tionsplenum Zeit, auf die vergangenen fünf Jahre zurückzublicken, sich zu vergegenwärtigen, Zech zu erwarten gehabt haben würden [HStA-Han. Cal. Br. 11 4296, Falcke und Schröder an Räte 22. Nov. 1774]. 425 In einer Entlassungsurkunde heißt es, dass es zuträg­lich sei, wenn Männer, die bereits der Wichtigkeit und der Lage der Sache gemässen Kenntniß und Erfahrung rühm­lich ­erworben haben, zur Fortsetzung der Visita­tions-­Arbeit weiter gebraucht werden [HStA-Han. Cal. Br. 11 4192, fol. 78, Entlassungsurkunde Schröder vom 15. Okt. 1774]. 426 Berg, Darstellung der Visita­tion (1794), Anhang, S. 38 – 45. 427 StadtAA RKG 33, Rela­tion 84 vom 7. Mai 1772. 428 Siehe zur Valloner Sache E.3.3. 429 666. Session vom 2. Mai 1772. Dieses Votum liegt dem Bericht Stallauers bei. Es wird daraus zitiert [StadtAA RKG 33, Rela­tion 84 vom 7. Mai 1772, Lit. A].

Verfahrensunterbrechungen

373

dass es nach fast fruchtloser 4 jähriger [...] Beeyferung in dem zurückgelegten 5ten Jahr dank menschmög­lichen Künsten mög­lich war, die so hart näckig verschwigene [...] Justiz-­Mäcklerey [...] ans Licht zu bringen.430 Gleichwohl dies Anlass zur Freude gäbe, müsse, so Falcke, jeder patriotischer Justiz-­Eyferer […] erzittern, da versucht wurde, die Visita­tion zu behindern. Man dürfe jedoch auf das Ende der Hintertreibung und darauf hoffen, dass in ­diesem sechsten Jahr die kostbahre zeit […] erspahret werde.431 Zudem solle man sich auf dem bisherigen so mühsam errungenen Erfolg nicht ausruhen. Denn wie seine, Falckes, Correla­tion bald mit mehreren deut­lich machen werde, habe der Sollizitant Nathan Aaron Wetzlar 432 über 500.000 fl. zum Lohn erhalten. Dies und die Erschwehrung ihrer Entdeckung solle fortan aufgedeckt werden.433 Nach dieser beissend[en] Bestandsaufnahme 434 anläss­lich des ‚Visita­tions­ jubiläums‘ notierte der Protokollant der 666. Session, dass Falcke nun gedenke, in seiner Correla­tion fortzufahren.435 Dazu jedoch sollte es nicht in dieser Session und auch nicht in den nächsten neun Monaten kommen. Denn auf einmal begann Falcke, seine schwarze Galle [...] auszuschütten. Er zog einen Bogen Papier hervor, verlas diesen mit donnernder Stime und [...] schimpfte und schmächte unter Profana­tion [Entweihung; A. D.] des Gött.en Nahmens [...] auf die Majora, die er der grössten Justiz Verzögerung beschuldigte.436 Es schien, als müsse alles aus Mund und Feder heraus, was nur imer Wuth und Rache Ihme auf die Zunge zu legen vermögend war. Nach dieser Schimpftirade warf Falcke den gifftigen Boge[n] unter seine übrige Pappire und wollte [...] in seiner Correla­tion fortfahren.437 Das Direktorium jedoch wollte zuerst das soeben verlesene Schriftstück zu Protokoll nehmen, was Falcke ablehnte mit der Begründung, dass ­dieses Fragment ein Teil seiner Correla­tion sei, die er erst nach deren gänz­lichen Ablegung abgeben könne. Als der bremische Visitator erneut fortfahren wollte, wurde er von der Mehrheit der Visitatoren, die sich beleidigt sahen, zur Herausgabe des Schriftstücks gedrängt. Falcke aber blieb bei seiner Weigerung, erklärte fast rasend, dass er Niemanden als seinen König und Gott von seinen Handlungen Rechenschafft ablegen müsse, und wies ebenso 430 Ebd. 431 Ebd. 432 Siehe hierzu E.3. 433 StadtAA RKG 33, Rela­tion 84 vom 7. Mai 1772, Lit. A. 434 StadtAA RKG 33, Rela­tion 84 vom 7. Mai 1772. 435 666. Session vom 2. Mai 1772 [StadtAA RKG 52]. 436 StadtAA RKG 33, Rela­tion 84 vom 7. Mai 1772. 437 Ebd.

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Reformverfahren

ungestüm den Vorschlag von sich, das Schriftstück wenigstens ad Statum inspiciendi vorzulegen.438 Daraufhin packte der kaiser­liche Kommissar Erthal, der sein Gesicht scheus­lich gegen Falcke verstellte, seine Papiere zusammen, stand mit dem Kommissar Colloredo auf, die beide, gefolgt von den katho­lischen Visitatoren und dem protestantischen Vertreter der Reichsstadt Regensburg, den Saal verließen. Die anderen protestantischen Visitatoren blieben fast noch eine Stunde, bevor auch sie gingen.439 Zwei Tage ­später, am 4. Mai 1772, traf man sich nochmals im Plenum, um stando, also stehend und nicht sitzend, eine Lösung zu finden – jedoch vergeb­ lich. Nachdem das Direktorium weiterhin darauf bestanden hatte, dasjenige, was verlesen und zum Visita­tionsprotokoll angezeigt wurde, zu den Reichs-­ Acten zu geben,440 und Falcke dies erneut ablehnte – er könne nichts verstimeltes heraus­geben  441 –, erklärte die kaiser­liche Kommission mit mehreren Subdelega­ tionen, es sei ihnen nicht mög­lich, mit dem bremischen Visitator weiterzu­ arbeiten.442 Hierauf traten die kaiser­lichen Kommissare, die katho­lischen sowie alle reichsstädtischen Visitatoren samt dem kurmainzischen Sekretär ab. Die protestantischen Visitatoren vermuteten zunächst, diese hätten sich zur weiteren Unterredung in ein Nebenzimmer begeben. Da dem jedoch nicht so war, beschlossen die alleingelassenen Protestanten den ganzen Vorgang zu protokollieren, wobei der kursäch­sische Visitator das Protokoll diktierte.443 Und da auch die katho­lische Seite ein eigenes Protokoll in Umlauf brachte, liegen bis heute zwei Proto­kollversionen über die Vorgänge des 4. Mais 1772 vor. Beide Protokolle differieren nicht unerheb­lich in Aufbau und Inhalt,444 womit sie deut­lich machen, wie umfassend und vielgestaltig nicht nur das Schweigen, 4 38 Ebd. 439 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 4 40 Protokoll der Sitzung von 4. Mai 1772, Version A (Katholiken), nach: StadtAA RKG 33, Rela­tion 85 vom 15. Mai 1772, Lit. B. 4 41 Protokoll der Sitzung von 4. Mai 1772, Version B (Protestanten), nach: Ebd., Rela­tion 87 vom 19. Juni 1772, Lit. A. 4 42 Protokoll der Sitzung von 4. Mai 1772, Version A (Katholiken), nach: Ebd., Rela­tion 85 vom 15. Mai 1772, Lit. B. 4 43 Protokoll der Sitzung von 4. Mai 1772, Version B (Protestanten), nach: Ebd., Rela­tion 87 vom 19. Juni 1772, Lit. A. 4 44 Während Protokollversion A (Katholiken) [ebd., Rela­tion 85 vom 15. Mai 1772, Lit. B] sich darauf beschränkt, die Aussagen des Direktoriums, der kaiser­lichen Kommission und Falckes wiederzugeben, führt die Protokollversion B der Protestanten [ebd., Rela­tion 87 vom 19. Juni 1772, Lit. A.] auch Aussagen von Kurbrandenburg, Kursachsen, Konstanz, Bayern und Pfalz-­Lautern. Zudem differieren selbst ­gleiche Aussagen.

Verfahrensunterbrechungen

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sondern auch das Reden der Protokolle sein konnte. Zudem verweisen beide Protokolle darauf, was in den folgenden Monaten das Mit- und Gegeneinander der Visitatoren bestimmen sollte, näm­lich seine Sicht für den Gang und Nichtgang der Visita­tion in und außerhalb Wetzlars darzulegen. Zwei Fragen sollen die folgenden Ausführungen anleiten: Um was ging es in d­ iesem Streit und wie konnte dieser Streit gelöst werden? Festzuhalten ist zunächst, dass mit der 666. Session eine sessions- und damit verfahrenslose Zeit begann, die bis zum 1. Februar 1773 – erst an ­diesem Tag kam es zur ordent­lich protokollierten 667. Session – währte. Die Gründe für diese Unterbrechung waren ebenso zahlreich wie die Bemühungen, diese zu beheben. Ob in Wetzlar, auf dem Reichstag,445 in der Medienöffent­lichkeit 446 oder auf territorialer Ebene,447 überall setzte man sich schrift­lich oder münd­ lich, persön­lich oder über Mittelsmänner,448 unter oder ­zwischen den Konfliktparteien 449 mit den Geschehnissen auseinander. Im Mittelpunkt stand dabei Falcke. Für viele war er ein Stritt- und Schmächsichtiger Mann, der viele Einhängung in dem Geschäfft allschon verursachet und darmit solches eine längere Zeit aufgehalten habe.450 Nun, nach den Geschehnissen Anfang Mai, wurde vielfach seine Abberufung eingefordert.451 Eine s­ olche Forderung war jedoch

4 45 Rohr, Reichstag (1968), S. 215 – 220. 446 So berichtet Stallauer von den in so vielen öffent­lichen Zeitungen ausgesprengte ärgste Calumnien [StadtAA RKG 33, Rela­tion 93 vom 7. Okt. 1772]. Zu beachten ist überdies, dass sich auch Falcke im Zuge der Trennungsmonate publizistisch betätigte mit den beiden Schriften ‚Prüfung der Ohnmaßgeb­lichen Vorschläge‘ (1773) und ‚Zur Prüfung der ohnmaßgeb­lichen Vorschläge‘ (1773). Es handelt sich jeweils um Entgegnungen zu [Borié], Ohnmaasgeb­liche Vorschläge (1772) u. [Ders.], Nachtrag zur Prüfung der ohnmaasgeb­lichen Vorschläge (1773). Siehe hierzu auch Rohr, Reichstag (1968), S.  227 – 240. 4 47 Die Räte zu Hannover erwähnen am 18. Mai 1772 und damit wenige Tage, nachdem Falcke über die Trennung berichtet hat – dies war erst am 12. Mai 1772 der Fall –, ein Schreiben, das an das kurköllnische, kurbayerische und kurpfälzische Ministerium ging [HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, fol. 172]. Zur Politik des Kaiserhofes in den Monaten der Trennung siehe Hettfleisch, Politische Geschichte der ­Reichskammergerichtsvisita­tion (1929), S.  57 – 66. 4 48 Es habe sich dahiesiger Chur Brandenburg.e Hr. Subdelegatus schon in dem verflossenen Monath Novembris zum Mediateur aufgeworfen [StadtAA RKG 33, Rela­tion 99 vom 30. Dez. 1772]. 4 49 Dabei diente insbesondere das kursäch­sische Quartier als Beratungsort. 450 StadtAA RKG 33, Rela­tion 93 vom 7. Okt. 1772, angehängter Gemeinschaftsbericht der Reichstagsgesandten vom Juni 1772 (Punkt 4). 451 Ebd.

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problematisch. Denn der bremische Visitator war Subdelegierter eines zur Visita­tion delegierten Reichsstandes, dessen Landesherr überdies außerhalb des Reiches eine Königswürde führte. Eine Abberufung konnte also nur der eng­lische König anordnen. Dies aber wäre dem Ansehen [...] Sr. Königl. Großbritannischen Majestät höchsempfind­lich gewesen. Zudem wäre es, wie der kurbrandenbur­g ische Visitator weiter konstatierte, wider den Schutz Reichs Ständischer Freyheit, wenn ein Visitator nur mit Furcht vor einer Abberufung seine Pflicht erfüllen könne.452 Der streitbare Falcke blieb, weil er zum einen vor Ort von vielen Visitatoren unterstützt wurde. Wohl nicht nur für den kurbrandenbur­g ischen Visitator war der bremische Visitator ein unpartheyischer, ehr­licher und unerschrockener Visitator, [...] dem höchstens nichts als ein etwas zu weit getriebener Justitz Eifer vorzuwerfen sei.453 Zum anderen waren es gerade die Räte in Hannover sowie der eng­lische König, die an Falcke festhielten. Ihnen ging es dabei keineswegs um einen Bruch der Visita­tion,454 sondern vielmehr um deren Fortsetzung mit Falcke.455 Das Bleiben des eigenen Visitators war für die kurbraunschwei­gische Visita­tionsobrigkeit allein schon deshalb selbstverständ­lich, da sie die Geschehnisse im Umfeld der ‚Jubiläumssession‘ anders bewerteten als die katho­lische Seite.456 Ihre Sicht der Dinge basierte auf den Schilderungen Falckes, die sich in mehreren Punkten von der katho­lischen Darstellung unterschied. So beharrte Falcke darauf, das verlesene Schriftstück als Teil seiner noch unvollendeten Correla­tion zu betrachten. Zudem habe nicht er, sondern umgekehrt der kaiser­liche Kommissar Erthal sowie das Direktorium ihn, Falcke, und damit auch die ihm anvertraute Bremische [...] Stim Freyheit [...] beleidiget und beeinträchtiget.457 Der Vorwurf lautete dabei, dass ihm vor der 666. Session eine Vernehmung des Kammerrichters verwehrt wurde, obgleich er diese in Erweiterung eines Verhörs vom 4. März 1768 durchführen wollte, um sich zu einer laufenden Umfrage – es ging um eine Erklärung des kurtrierischen Referenten – zu Protokoll zu äußern.458 Das Direktorium und die kaiser­liche Kommission haben dagegen allerdings Maiora machen können, da in der entsprechenden Sitzung – es war 452 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 57, Bericht Reuter vom 5. Mai 1772. 453 Ebd. 454 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 564 Anm. 64. 455 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Räte an Falcke 17. Mai 1772. 456 Dass auch die protestantischen Visitatoren der Stadt Nürnberg und Regensburg auf der katho­lischen Mehrheitsseite standen, soll nicht immer eigens angeführt werden. 457 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 458 Ebd.

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die 664. – der mecklenbur­g ische Visitator aufgrund eines Gichtleidens gefehlt hatte sowie die Visitatoren von Kursachsen und Hessen-­Darmstadt zu Besuch auf der Frankfurter Messe waren. Aufgrund dieser fehlenden protestantischen Visitatoren sei es nach Ansicht Falckes in der 664. Sitzung mög­lich gewesen, das Verhör des Richters abzulehnen sowie ein vorläufiges Conclusum zu formulieren, obgleich Falcke sich das Protokoll offenbehalten hatte. Dies jedoch sei Directorial Willkühr und eine präjudicir­liche Neuerung.459 Des Weiteren bemerkte Falcke, er sei in eben dieser 664. Sitzung dazu gezwungen worden, seine Correla­tion fortzusetzen, obgleich er nach der Weigerung, den Richter nochmals vernehmen zu dürfen, mit grosser Beschwer­lichkeit und Weitläuftigkeit die Plenumsprotokolle des Gerichts einsehen musste.460 Unter der Beteuerung, mit zuhülfnehmung meines Lucubrirens [nächt­lichen Arbeitens; A. D.] so geschwind als mög­lich mit der Correla­tion fortzufahren, bat er darum, mit anderen Gegenständen wie etwa der Behandlung von Bittgesuchen weiterzumachen.461 Das Direktorium beharrte jedoch auf der Fortsetzung der Correla­tion mit tatkräftiger Unterstützung des kaiser­lichen Kommissars ­Erthals, der anfing, Mine zu machen […], aufzustehen. Und als Falcke erneut die Fortsetzung der Correla­tion verweigerte, verließen alle katho­lischen Akteure einschließ­lich des protestantischen Vertreters der Stadt Regensburg – auch der Nürnberger war noch nicht aus der Franckfurter Mese zurück gekommen – den Visita­tionssaal.462 Diese Geschehnisse der 664. Session gehören ebenso zur unmittelbaren Vorgeschichte der 666. Session wie die der 665. Session. In dieser Sitzung setzte der durch das zweynächt­liche Lucubriren sehr entkräftet[e] Falcke seine Correla­tion bis zum vorbereiteten § 619 fort.463 Danach, gegen 11 Uhr, als der bremische Visitator zu verstehen gab, er könne erst in der nächsten Session fortfahren, gab das Direktorium diesmal einen anderen Gegenstand in Umfrage. Der kurtrierische Visitator nutzte diese Gelegenheit, um sich, wie an anderer Stelle bereits angeführt,464 über die Weitläufigkeit Falckes zu beschweren, worauf dieser ledig­ lich auf den selbstredenden Inhalt des Protocolli verwies.465 Es darf angenommen werden, dass diese zurückhaltende Entgegnung Falckes auf den schweren Vorwurf 459 Ebd. 4 60 Ebd. 4 61 Ebd. 4 62 Ebd. 4 63 Ebd. 4 64 Siehe A.4. 4 65 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772.

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des kurtrierischen Visitators ein wichtiger Grund war, warum der bremische Visitator in der 666. Session zu einer scharfen Grundsatzkritik ausholte. Denn Falcke, der über diese Angelegenheit wohl nochmals nachdachte, fühlte sich in seiner Ehre verletzt, als ob [b]losser Eigensinn die Triebfeder meines Pflicht-­Eifers sey.466 Auf die Geschehnisse der 666. Session wirkte ferner ein, dass dem protestantischen Stimmführer in den vorangegangenen Sessionen die neuer­liche Vernehmung des Kammerrichters und damit ein Tun verweigert wurde, welches er selbst für richtig und wichtig hielt. Der Konflikt wurde obendrein dadurch befördert, dass sich tatsäch­lich um den 2. Mai 1772 die Visita­tion jährte 467 und dieser Jahrestag dazu anregte, sich eingehender mit dem bislang Geleisteten oder eben Unerreichten auseinanderzusetzen. Die Jubiläumsbilanz des ­bremischen Visitators fiel dabei auch deshalb sehr verhalten aus, weil er davon überzeugt war, dass die katho­lische Seite seine Arbeit, die aus seiner Sicht selbstlos, ehrenvoll und mühevoll-­gründ­lich war, nicht nur missachtet, sondern geradezu hintertrieben habe. Aus dem hier zugrunde liegenden Bericht vom 5. Mai 1772 – er umfasst über 30 Folioseiten – lässt sich sogar schließen, Falcke vermutete eine Verschwörung der katho­lischen Seite, um die von ihm anvisierte Absetzung des Richters zu verhindern. Genau an ­diesem Punkt setzte auch die an anderer Stelle bereits thematisierte Kritik an, 468 die Falcke gegenüber dem kurtrierischen Visitator erhoben hatte. Sein ‚Gutachterkollege‘ in der Valloner Sache habe näm­lich, so der Vorwurf, die Haupt Person des Gerichts […] geschonet, indem er die von Falcke ex Actis Visita­tionis umständ­lich erarbeiteten Befunde verschwiegen habe.469 Statt jedoch die Gründe für diese grobe [...] Rela­tions Verstümelung anzuführen, erhob der kurtrierische Visitator ledig­lich den, nach Ansicht ­Falckes, unbegründeten Vorwurf, der bremische Visitator behindere das Geschäft, obgleich doch vielmehr der Visitator Kurtriers einen kostspieligen Zeitverderb zu verantworten habe.470 Die Auseinandersetzung im Umfeld der 666. Session kreiste also im Kern um die altbekannte Streitfrage nach Sinn und Unsinn des weitläufigen oder eben

4 66 Ebd. 4 67 So erwähnt Falcke, dass unmittelbar vor der Eröffnung der 666. Session verschiedene katho­lische Visitatoren über den eingetretenen Jahres-­Wechsel der Visita­tion Spaß ­machten und einander widersprechen, ob ­solche auf den Tag der Bestimm- und Erscheinung am 2ten May 1767 oder auf die Erste ordent­liche Session am 11 May 1767 zu rechnen sey [HStAHan. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772]. 4 68 Siehe A.4. 4 69 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 470 Ebd.

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gründ­lichen Tuns des bremischen Visitators. Während die katho­lische Seite nicht bereit war, Falcke die weitere Vernehmung des Kammerrichters zu gewähren und ihn damit in seiner weitläufigen Correla­tionsarbeit zu unterstützen, verstand Falcke ­dieses Vorgehen als Missachtung seiner Arbeit, die es durch ihre Gründ­ lichkeit erst ermög­licht habe, einen womög­lich noch weitreichenderen Korrup­ tionsfall aufzuarbeiten. Der bremische Visitator bekam allerdings mit zunehmender Dauer des Verfahrens die Grenzen seines gründ­lich-­weitläufigen Handelns aufgezeigt. Allen voran der kaiser­liche Kommissar Erthal und das Direktorium waren nicht mehr bereit, das weitläufige Treiben des bremischen Visitators zu tolerieren. Durch die Weigerung, den Kammerrichter zu verhören, trieben sie Falcke wiederum in eine Enge, die wohl nicht unerheb­lich seine Bereitschaft beförderte, anläss­lich des Jubiläums grundsätz­lich über das Tun und Nichttun der Visita­tion nachzudenken und dies auch im Plenum zur Sprache zu bringen. Ausgehend von dieser Vorgeschichte und der damit verbundenen (Sinn-) Suche nach der Effizienz und Ineffizienz des Verfahrens ist es den Ausführungen Stallauers folgend nachvollziehbar, dass sich Falcke in bislang unbekannte Rage redete. Es scheint so, als sei für Falcke, aber auch für Erthal, das Direktorium, den kurtrierischen Visitator Reis und andere der Geduldsfaden gerissen. Verschärft wurde der Konflikt schließ­lich dadurch, dass der Mai 1772 dazu einlud, über die bisherige fünfjährige zumeist sehr mühsame Arbeit nicht nur nachzudenken, sondern stärker als bislang auch etwas zu bewegen. Die Nichtabgabe des verlesenen Schriftstücks war hierbei für Falcke eine willkommene und in Zeiten der Schriftaufwertung sehr wirkmächtige Gelegenheit, um konfrontativ gegen die katho­lische Seite zu agieren. Wie war es mög­lich, diesen Konflikt zu lösen? Ausgehend von der – dies ist entscheidend – grundsätz­lichen Bereitschaft der Visita­tionsobrigkeiten, die Visita­tion fortzusetzen, war sehr schnell klar, dass nur mit Falcke die Visita­ tion wiederaufgenommen werden konnte. In ­diesem Sinne sprach auch Kaiser Joseph II. im August 1772 davon, dass es ihm nicht um Falcke, sondern um die Sache, also die Fortsetzung der Visita­tion, ginge.471 Die Lösung brachte schließ­ lich, was Falcke bereits in der 666. Session angeboten hatte: Die zu Protokoll gekommenen Aussagen, die etwas beleidigendes oder nur allzuhartes enthalten, durchzustreichen oder zu mildern.472 Was genau aus den Protokollen der 665. und 666. Session – um genau diese beiden Sitzungen und insbesondere die 471 Schreiben von Joseph II. an Colloredo, abgedruckt in: Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichskammergerichtsvisita­tion (1929), S. 1 – 6. Siehe hierzu und zur weiteren Haltung des Kaiserhofes Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 145. 472 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772.

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Voten Falckes und des kurtrierischen Gesandten ging es – zu streichen war, darüber war man sich lange uneins. Neben dem Wiener Kaiserhof war es in Wetzlar vor allem der kurbrandenbur­g ische Visitator Reuter, der bis zu einer schweren und schließ­lich töd­lichen Erkrankung (8. Febr. 1773) so genannte Vereinigungsvorschläge mit der kaiser­lichen Kommission und dem Direktorium austauschte.473 Unter dem Druck eines kaiser­lichen Ultimatums, sich innerhalb von drei Monaten zu einigen,474 war es schließ­lich mög­lich, sich auf ein ‚bereinigtes‘ Protokoll zu verständigen und am 1. Februar 1773 die Sitzungen wieder aufzunehmen.475 Reichte es jedoch aus, die bey der gehobenen bedauer­lichen Spaltung vorgekomene Ereignissen in Vergessenheit zu stellen?476 Es lässt sich schwer abschätzen, ­welche mittel- oder gar langfristigen Auswirkungen die rund neunmonatige Trennungszeit hatte. Fest steht, dass ungeachtet des protokollarischen Vergessens, also der Ausstreichung unliebsamer Stellen aus den Protokollen, die Geschehnisse um den Mai 1772 ein fester Bestandteil der Verfahrensgeschichte blieben und das Verfahren weiter ging wie eh und je. In den Sessionen 667, 668 und 669 beschäftigte sich das Plenum sowohl mit einer so weitschichtig als ohnnützen Defensions Schrifft des suspendierten Assessors Reuss als auch mit der Correla­tion in der Valloner Sache, die Falcke unbeirrt weitläufig-­g ründ­ lich fortsetzte.477

473 Einen solchen Vereinigungsvorschlag legte Stallauer seiner 99. Rela­tion vom 30. Dez. 1772 bei [StadtAA RKG 33, Lit. A.]. Seit Januar 1773 war es dann vor allem der kursäch­sische Visitator, der für die protestantische Seite verhandelte. Diese geht nicht zuletzt aus dem unter Anm. 2177 angeführten Schriftstück hervor. 474 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 145. 475 Siehe hierzu insbesondere das Verzeichnis derer Stellen und Worte, w ­ elche in dem am 2. May 1772 verlesenen Correla­tions-­Stück vom Directorio theils in der Conferenz mit Chursachßen am 28. Jenner 1773 mit Bleyeniß, theils in der Conferenz bey K ­ aiserl. Commission mit Churmainz,Chursachßen, Br. Culmbach und Bayern am 30. Jenner 1773 mit Röthel bemerk­lich gemacht worden [GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 59]. 476 Das Vergessen taucht in den Trennungsmonaten immer wieder als ein Zielpunkt auf, um die Sessionen wiederaufzunehmen, wie hier HStA-Han. Cal. Br. 11 4128, Falcke an Räte 28. Nov. 1772. 477 StadtAA RKG 33, Rela­tion 103 vom 13. Febr. 1773.

Verfahrensende: Die Trennung der Visitation

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D.6. Verfahrensende: Die Trennung der Visitation (Mai 1776) – Verlauf, Ursachen und ein vorläufiges Gesamtresümee Am 8. Mai 1776 nahm alles sein Ende. Unter Anwesenheit sechs protestan­ tischer 478 und 13 katho­lischer Visitatoren 479 begann die 1056. und letzte Sitzung mit der Verlesung der kaiser­lichen Proposi­tion anläss­lich der Eröffnung der vierten Visita­tionsklasse durch den kaiser­lichen Kommissar Colloredo. Darin betonte er, dass nun, nach neun Jahren, die Zeit gekommen sei, die Revisionen vorzunehmen und die hierzu erforder­lichen vier Senate einzuteilen. Nach dieser kaiser­lichen Eröffnungsrede wurde, dem üb­lichen Ablauf entsprechend, die Vollmacht des ersten Visitators – es war der kurbayerische Visitator Goldhagen 480 – verlesen und nach dessen Abtritt darüber umgefragt, ob etwas einzuwenden sei.481 Während der kursäch­sische Visitator schwieg, verlas der kurbrandenbur­g ische Visitator Böhmer eine Erklärung, die das Ende der Visita­tion besiegeln sollte und Folgendes zum Inhalt hatte: Unter Bezugnahme auf zwei Beschlüsse des Corpus Evangelicorum vom 26. Juli 1775 und 12. März 1776 protestierte ­Böhmer gegen die Anwesenheit der Grafen. Dies sei gegen eine im vergangenen Jahr getroffene Vereinbarung und daher nichtig und unverbind­lich. Daneben wandte sich Böhmer gegen die Anwesenheit des Visitators von Vorpommern. Dieser protestantische Visitator habe sich näm­lich in der zweiten Klasse, als er für die Reichsstadt Ulm visitierte, gegen die Protestanten gestellt, als es darum ging, den katho­lischen Einbruch in den mehr als 100jährigen [...] Besitzstand der westfä­lischen Grafen zu verhindern. Um diese doppelte Gefährdung (Grafen und Visitator Vorpommern) der Religions-­Gleichheit abzuwenden, und da ohnehin wenig Fruchtbar­ liches zur Verbesserung der Reichs-­Justiz-­Pflege zu erwarten ­stehet, werde er die Visita­tion verlassen  482 – was Böhmer dergestalt tat, dass er das verlesene Schriftstück auf den Tisch warf und, ohne jemanden anzusehen, zur Tür hinaus eilte. Unmittelbar daran schlossen sich die Visitatoren von Lübeck und Hersfeld mit 478 Die anderen sechs protestantischen Visitatoren waren entweder noch nicht anwesend oder hatten sich, wie Falcke, noch nicht legitimiert. Hierzu hätten sie ihre Vollmachten dem Direktorium vorlegen müssen. Falcke warf dem Direktorium vor, die Eröffnung der vierten Klasse so geschwind als mög­lich durchgeführt zu haben, ehe noch das Latus Evangelicorum starck besetzet war [HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Falcke an Räte 20. Mai 1776]. 479 Für das Direktorium waren Keller und Horix anwesend. 480 Und zwar deshalb, weil er nach dem kurmainzischen Direktorium, dessen Vollmacht die kaiser­liche Kommission überprüft hatte, den höchsten Rang auf katho­lischer Seite innehatte. 481 1056. Session vom 8. Mai 1776 [StadtAA RKG 60]. 482 Ebd.

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schreyender Stimme an und gingen gleichfalls voll Unwillen davon. Daraufhin und unter Anwesenheit des zurückberufenen kurbayerischen Visitators gab der kursäch­sische Visitator zu verstehen, er müsse aufgrund ermangelnder Reichsgesetzmässiger Paritaet gleichfalls gehen. Es blieben zurück die protestantischen Visitatoren von Vorpommern und der Stadt Worms, die katho­lischen Visitatoren sowie die beiden kaiser­lichen Kommissare.483 Nach einer längeren Beratung, die teils zu Protokoll kam, gab die kaiser­liche Kommission eine Erklärung ab, die festhielt, dass die Visita­tion von verschiedenen protestantischen Visitatoren unter Vorangehung des kurbrandenbur­g ischen Visitators öffent­lich abgebrochen worden sei.484 Deshalb müsse nun nothwendig das Protokoll und Confess geschlossen werden.485 Mit diesen Worten endet das Protokoll der 1056. Session. Kaum 24 Stunden ­später reiste die kaiser­liche Kommission ab. Als am Folgetag auch das Direktorium sowie der österreichische Visitator Wetzlar verließen,486 bestand kaum Zweifel mehr: Die Visita­tion war ohne förm­lichen Abschied vorzeitig und unwiderruf­lich beendet. Was war geschehen? Wie kam es zu dieser Trennung? Die Ursachen für das vorzeitige Ende der Visita­tion sind vielfältig. Zunächst ist anzuführen, dass es zwei Streitfragen waren, die auch in der letzten Sitzung zur Sprache kamen und die vordergründig das Ende bedingten. Zum einen sind es die Revisionen. Wie bereits verschiedent­lich ausgeführt,487 war es Kernaufgabe der Visita­tion, in Revision gegangene Prozesse zu bearbeiten. Diese Aufgabe, deren Erfüllung insbesondere der Kaiser immer wieder und so auch in der 1056. Session mittels der Proposi­tion einforderte, blieb unerledigt, da es bis zuletzt umstritten war, wie die hierzu erforder­lichen Revisionssenate einzuteilen s­ eien. Zum anderen war das Deputa­tionsrecht der Grafen höchst streitig. Dies lässt sich folgendermaßen erklären: Die Grafen waren in vier Kollegien organisiert, dem schwäbischen, fränkischen, westfä­lischen und wetterauischen.488 Da der Jüngste Reichsabschied nur pauschal pro Klasse je einen katho­lischen und einen evange­lischen Grafen 483 Bericht der Kaiser­lichen Kommissare, Wien 30. Mai 1776 (Unterschrift Colloredo) u. 16. Mai 1776 (Unterschrift Spangenberg). Dieser Bericht ist abgedruckt in: Neue Europäische Staatscanzley, Tl. 44 (1777), S. 368 – 373, hier S. 370. 484 1056. Session vom 8. Mai 1776 [StadtAA RKG 60]. 485 Bericht der Kaiser­lichen Kommissare, Wien 30. Mai 1776 (Unterschrift Colloredo) u. 16. Mai 1776 (Unterschrift Spangenberg) [siehe Anm. 483]. 486 Ebd. 487 Die Auseinandersetzung um die Revisionen wird in folgenden Abschnitten behandelt: A.1.2., A.1.3. u. B.3. 488 Siehe grundsätz­lich hierzu Arndt, Niederrheinisch-­westfä­lische Reichsgrafenkollegium (1991) u. Böhme, Fränkische Reichsgrafenkollegium (1989).

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deputierte, musste für jede Klasse geklärt werden, welches Grafenkollegium für ­welche Konfessionsseite einen Vertreter entsenden durfte. Problematisch war dabei einerseits, dass unklar war, wer über die Besetzung der Grafenplätze zu entscheiden hatte.489 Andererseits war der Streit um das Deputa­tionsrecht der Grafen – kurz Grafenstreit – dadurch geprägt, dass die konfessionelle Ausrichtung der einzelnen Kollegien nicht eindeutig war. So war es ursprüng­lich vorgesehen, in der dritten Klasse einen katho­lischen Grafen für das mehrheit­lich protestantische fränkische Grafenkollegium visitieren zu lassen. In der zweiten Klasse wiederum wurde der katho­lische Grafenplatz von den westfä­lischen Grafen besetzt unter dem Anspruch, ein gemischtkonfessionelles Grafenkollegium zu vertreten.490 Beide Male protestierten die jeweiligen Direktorien der Grafenkollegien beim Corpus Evangelicorum. Die Interessensvertretung der Protestanten auf dem Reichstag nahm sich daraufhin dieser Sachen an und erklärte am 26. Juli 1775, die Kollegien der westfä­lischen und fränkischen Grafen ­seien rein evange­lisch und alle Handlungen des katho­lisch-­westfä­lischen Vertreters in der noch laufenden zweiten Visita­tionsklasse nichtig. Mit ­diesem Beschluss wurde der Streit um das Deputa­tionsrecht der Grafen zu einer am Reichstag sehr kontrovers diskutierten „Religions- und Verfassungsfrage“.491 Obgleich es mög­lich war, noch eine provisorische Lösung für die dritte Klasse zu finden, verschärfte sich die Auseinandersetzung dergestalt, dass der „konfessionelle Hader alter Zeiten“ aufbrach und jede Konfessionsseite maximale Forderungen stellte, die eine endgültige Lösung unmög­ lich machte.492 Am 8. Januar 1776 gab der Kaiser bekannt, dass das Provisorium der dritten Klasse 493 auch für die vierte Klasse gelten solle. Anfang Februar erfolgte dementsprechend die Einberufung der Visita­tionsstände. Das Corpus Evangelicorum beharrte jedoch darauf, dass jedem Religions-­Theil das Recht zustehe, seine Deputirte nach eigenen Gutfinden und Wohlgefallen bestimmen 489 So wurden die schwäbischen Grafen dafür kritisiert, als sie ohne Rücksprache mit den anderen Grafenkollegien ihren Platz in der ersten Visita­tionsklasse an Kurpfalz für Pfalz-­ Lautern abtraten. Als die schwäbischen Grafen dann auch ihren Platz in der zweiten Klasse an Kurbayern abtreten wollten, gelangte der Streit sogar bis an den RHR [Rohr, Reichstag (1968), 266 – 270]. 490 Pro-­Memoria Aufstellung einer Reichs-­Gräf­lich-­Westphä­lisch-­Catho­lischen Subdelega­ tion (1775). Insgesamt hierzu und zu den weiteren Ausführungen Rohr, Reichstag (1968), 270 – 283. 491 Rohr, Reichstag (1968), S. 274. 492 Ebd., S. 278. 493 Schwäbische Grafen auf der katho­lischen Seite und wetterauische Grafen auf der protestantischen Seite.

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zu dürfen.494 Aus d­ iesem Grund wurde am 12. März der selbst unter den Protestanten umstrittene Beschluss gefasst, an der vierten und fünften Klasse nur teilzunehmen, wenn dazu die protestantisch-­fränkischen und protestantisch-­ westfä­lischen Grafen berufen würden.495 Ausgehend von dieser Beschlusslage sowie der bereits dargelegten Rekonfessionalisierung des Reichsverbandes, die von den verfassungspolitischen Implika­ tionen des Konfessionsdissenses ausging,496 kam die Trennung am 8. Mai 1776 nicht überraschend. Wie ebenfalls bereits gezeigt, versuchten nun die Konfliktparteien verstärkt in der Medienöffent­lichkeit ihren Standpunkt in der Revisions- und Klassenfrage zu verteidigen und der jeweils anderen Seite die Schuld an der Trennung zuzusprechen.497 Was jedoch waren die weitergehenden Gründe für d­ ieses Ende? Zerbrach die Visita­tion tatsäch­lich an dem Deputa­tionsrecht der Grafen, der ungeklärten Einteilung der Revisionssenate und damit an der konfessionspolitischen Durchdringung des Reichverbandes? Oder war es einfach, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts heißt, „das schroffe, vielleicht geradezu auf den Bruch angelegte Verhalten der Minister [Kaiser] Josephs auf der einen und die Gleichgültigkeit Preußens auf der anderen Seite“,498 die das Ende bedingte? Dieses Urteil legte Rudolf Smend im Jahr 1911 in seiner nach wie vor einschlägigen Monographie über das RKG vor. Entscheidend für Smend war, dass der Kaiser versucht habe, „den bestehenden Zustand im Reich ohne genaue Beobachtung des Reichsrechts und ohne vorherige Verständigung mit Preußen reformierend umzugestalten“.499 Gegenüber dieser Deutung, die auf Akten preußischer Provenienz fußt, wurde in den 1920er und darauf aufbauend in den 1990er Jahren unter Verwendung von Akten österreichischer Provenienz die Reichspolitik Kaiser Josephs II. verteidigt und das Verhalten von Preußen und Hannover respektive England gebrandmarkt.500 So sei es in erster Linie „­England/ 4 94 Inhäsiv-­Beschluss vom 13. März 1776, abgedruckt in: Neue Europäische Staatscanzley, Tl. 44 (1777), S. 368 – 373 u. S. 431 f. 495 Ebd. 496 Siehe B.2. 497 Siehe B.3.1.2. 498 Smend, Reichskammergericht (1911), S. 238. 499 Ebd. Hierzu heißt es bei Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 567, Anm. 84: „Diese Behauptung ist unhaltbar, hat aber bis heute die Darstellung der Reichskammergerichtsvisita­ tion beeinflußt“. 500 Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichskammergerichtsvisita­tion (1929), S. 118. So schreibt auch Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 560 f., Anm. 43: Smends „wohlausgewogene Darstellung […] stützt sich neben der überreichen zeitgenös­sischen Literatur auf preußische Akten. Meine Darstellung geht von den Wiener Aktenbeständen aus, die

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Hannover“ gewesen, das „über das Corpus evangelicorum die Visita­tion zum Scheitern brachte“. Das „Scheiternlassen der Reichspolitik Josephs II.“ war dabei ein „Hebel, mit dem man in England Österreich von Frankreich [gemeint ist das Bündnis von 1756; A. D.] zu trennen hoffte“.501 Diese politikzentrierte Deutung gipfelt schließ­lich in der Behauptung, die „zwei Vertreter (?) von Kurhannover“ in der ersten Klasse – es habe einen „für Kurbraunschweig und einen für Bremen“ gegeben – hätten den Auftrag gehabt, „das Visita­tionswerk zu sabotieren und zu verzögern“.502 Gleichwohl, wie dargelegt,503 nicht zu bezweifeln ist, dass die ‚großpolitische Wetterlage‘ in Europa und im Reich die Geschehnisse in Wetzlar beeinflusst hat, so scheinen doch Zweifel angebracht zu sein gegenüber der Annahme, die Visita­tion sei aufgrund dieser Konflikte zerbrochen. Unbestreitbar ist, dass sich gerade in den letzten beiden Visita­tionsjahren in Wetzlar, aber auch auf dem Reichstag 504 und andernorts die politischen und konfessionellen Fronten verhärteten. Der Streit um das Deputa­tionsrecht der Grafen konnte so zu einer konfessionellen Polarisierung führen, die, dies ist mitentscheidend, die Autonomie des Verfahrens weiter einschränkte. Denn nun war es auf protestantischer Seite vor allem das Corpus Evangelicorum, das vorgab, wie sich die protestantischen Visitatoren in der Grafenfrage zu verhalten hatten. Aus ­diesem Grund verwies der kurbrandenbur­gische Visitator in seiner Erklärung vom 8. Mai 1776 auf zwei Beschlüsse des Corpus Evangelicorum. Neben der strittigen Grafenfrage wurde der Streit um die Einteilung der Senate auf dem Reichstag und an den Höfen des Reiches insofern bestimmt, als es auch hier darum ging, seinen Rang im Gefüge der Visita­tion und damit im Gefüge des Reiches zu behaupten. Festzuhalten ist also, dass es der gesamten Inszenierungslogik des Reiches entsprach, dass 1.) die Grafen- und Revisionsfrage die gesamte Ordnung des Reiches betraf, 2.) gerade deshalb diese Streitfragen auf territorialer und reichischer Ebene ausgetragen wurden und 3.) stets das Potential bargen, das gesamte Verfahren zu Fall zu bringen. Zu fragen ist also, warum es am Ende nicht mehr mög­lich war, so wie sonst eine Teillösung ohne Präjudiz zu finden. Fehlte der Wille? Und wenn ja, warum? das ungewöhn­lich starke Engagement Josephs II. in dieser Frage und seine ­Bemühungen bestätigen, konfessionell neutral die Interessen des Reiches zu vertreten. Bestätigt wird diese Sicht durch die vorzüg­liche Disserta­tion von B. Hettfleisch“. Siehe ferner von Aretin die Aufsätze Kaiser Joseph II. (1991) u. Reichsreformpläne (1997). 501 Aretin, Kaiser Joseph II. (1991), S. 130. 502 Ebd., S. 134. 503 Siehe B.2. 504 Rohr, Reichstag (1968).

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Entgegen der bisherigen Forschungen lässt sich sagen, dass die Revisions- und Grafenfrage aufgrund ihrer reichs- und zeitimmanenten Konflikthaftigkeit zwar auch Motor der Auflösung war. Folgenreicher war jedoch, dass der konfliktträchtige Umgang mit diesen strittigen Fragen eine Reformmüdigkeit beförderte, die mittelbar die Visita­tion zu Fall brachte. Schon Theo Rohr hielt für die Reichstagsgeschehnisse des Jahres 1775 fest: „Auf beiden Seiten [Protestanten und Katholiken; A. D.] spielte man – der Streiterei überdrüssig – längst mit dem Gedanken, notfalls die Visita­tion zu beenden. Doch suchte jede Regierung – Wien so gut wie Berlin und Hannover – den für den Gegner ungünstigsten Zeitpunkt, um ihm alle Schuld in die Schuhe schieben zu können“.505 Warum aber war jede Seite der Visita­tion überdrüssig und suchte nur noch einen Grund, das Verfahren vorzeitig zu beenden?506 Hier ledig­lich die Geschehnisse auf dem Reichstag oder an den Visita­tionshöfen und -städten in den Blick zu nehmen, greift zu kurz. Entscheidend ist vielmehr – und dies ist der maßgeb­liche Erklärungsansatz dieser Studie –, dass das Verfahren sich selbst diskreditiert, indem es dem nach Ra­tionalität strebenden Reformcredo der Zeit widersprach. Diese Selbstdiskreditierung, die sich nur vor dem Hintergrund des dargelegten Reform- und Visita­tionshorizontes der Zeit verstehen lässt,507 bringt die Weitläufigkeit, also das diskreditierende Schlüsselwort der Visita­tionsakten, zum Ausdruck. Zurückzuweisen ist damit zum einen die Vermutung, Falcke habe den Auftrag gehabt, „das Visita­tionswerk zu sabotieren und zu verzögern“.508Diese quellenfreie Deutung würde heißen, die Hauptakteure vor Ort als machtpolitische ‚Handlanger‘ ihrer Obrigkeit zu begreifen. Wie jedoch bereits angeführt,509 widerspricht eine s­ olche Sicht sowohl dem Selbstverständnis der Visitatoren als auch dem Bemühen vieler Akteure, die Visita­tion erfolgreich voranzutreiben. Zum anderen ist hier wie generell bei der Suche nach den mög­lichen Gründen für das Visita­tionsende zu unterscheiden ­zwischen der Wahrnehmung der Zeitgenossen und den deutenden Befunden der (forschenden) Nachwelt. Zu Ersterem, der zeitgenös­sischen Wahrnehmung, ist mit Verweis auf die Visita­tionsunterbrechung im Mai 1772 und die dargelegte Diskussion um die 505 Ebd., S. 262. 506 So heißt es auch bei Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichs­kammer­gerichts­ visita­tion (1929), S. 120, dass „Hannover eher den Grafenstreit als Trennungsursache benützen wollte, während Preußen den Bruch wegen der Revisionen herbeizuführen gedachte. Und in Wien harrte man schon längst des Augenblicks der Trennung“. 507 Siehe A.1. 508 Aretin, Kaiser Joseph II. (1991), S. 134. 509 Siehe die Einleitung.

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Weitläufigkeit festzuhalten,510 dass tatsäch­lich viele Zeitgenossen Falcke für die Weitläufigkeit der Visita­tion verantwort­lich machten. Vielleicht hat der ein oder andere Zeitgenosse sogar geglaubt, hier sei – aus ­welchen Gründen auch immer – willent­lich und in Rücksprache mit der Obrigkeit weitläufig agiert worden. Wie verschiedent­lich angesprochen, kam es indes tatsäch­lich zur bewussten Verlangsamung des Verfahrens.511 Deut­lich ist aber auch, dass Falcke ein übergründ­licher, ja geradezu pedantischer Reformer war, der davon überzeugt war, nur auf diese Art visitieren zu können. Diese auf Gründ­lichkeit bedachte Arbeitsweise hat, auch aus der Warte des urteilenden Historikers, jene Weitläufigkeit befördert, die das gesamte Verfahren unterminierte. Demgegenüber ist aber gleichwohl festzustellen, dass selbst Falcke kurz vor dem Ende der Visita­tion sehr eindring­lich die vielen Mühen, Verdruß, Kummer und Kosten beklagte.512 Dies war kein Selbstvorwurf, sondern vielmehr der implizite Vorwurf an die Mitvisitatoren, nicht gründ­lich agiert zu haben. Von Mühen und Verdruss sprach man auch in Hannover. Das Ende der Visita­tion hielten die Räte sogar für ein Glück, da nichts zum besten des teutschen Justiz-­Wesens […] aufzurichten sei. Überdies habe man, so der protestantische Vorwurf, das Verfahren nur dazu benutzt, die Gerechtsame der Stände, insonderheit aber der Evange­lischen anzufechten und zu untergraben.513 Ganz anders hingegen in Mainz. Dort beschuldigte der Erzkanzler kaum ein Jahr nach dem Ende der Visita­tion die Protestanten, mit der Visita­tion ledig­lich das Ziel verfolgt zu haben, die kaiser­liche Gerichtsgewalt anzugreifen, ja sogar die Reichsjustiz zerschlagen zu wollen.514 Diese konkurrierende Deutung der Geschehnisse, wie sie auch in der Medien­ öffent­lichkeit stattfand, bringt zum Ausdruck, wie tief die Gräben waren, w ­ elche das vorzeitige Visita­tionsende aufgerissen hat, und wie sehr alle Seiten darum bemüht waren, das eigene Handeln zu legitimieren und das Handeln der anderen zu diskreditieren. Argumentativ warf man der Gegenseite vor, gegen die Ordnung des Reiches gehandelt zu haben, während das eigene Tun als stets reichskonform galt. Solche Argumenta­tionsmuster sind kein Spezifikum dieser Jahre, sondern waren ein fester Bestandteil der ‚reichischen Konfliktsprache‘.515 Es lässt sich auch 5 10 Sie zu letzterem A.4. 511 Siehe u. a. D.2.3.2. 512 HStA-Han. Cal. Br. 11 4304, Falcke an Räte 23. April 1776. 513 HStA-Han. Cal. Br. 11 4305, Räte an Falcke 18. Mai 1776. 514 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 156 f. 515 Gemeint ist damit, dass es in der Reichsgeschichte immer wieder Konflikte gab, bei denen die Zeitgenossen vor der Um- oder Unordnung des Reiches warnten. Es soll hier ledig­lich

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von einer ‚Sprache der Enttäuschten‘ sprechen, so zumindest für Kaiser Joseph II., der über viele Jahre die Visita­tion mit viel Enthusiasmus befördert hatte und sich am Ende enttäuscht vom Reich abwandte.516 Dessen ungeachtet ist hervorzuheben, dass es die eine ‚wahre‘ Deutung der Geschehnisse um die Visita­tionstrennung nicht geben kann und darf. Selbst die Bemerkung, der kurbrandenbur­gische Visitator habe am 8. Mai 1776 nach der Verlesung seiner Erklärung das Schriftstück unanständig auf den Tisch geworfen und in Eile den Saal verlassen, lässt sich mit der Eigenangabe Böhmers bezweifeln.517 Konflikte wie diese – so auch im Mai 1772 – zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass es die forschende Nachwelt natür­lich mit sehr unterschied­lichen Wahrnehmungsebenen zu tun hat und es überall eine Vielzahl an Akteuren gab, ­welche die Geschehnisse verschieden wahrgenommen und/oder sich auch verschieden an die Geschehnisse erinnert haben. Hier ein Deutungsangebot zu übernehmen, würde nur bedeuten, eine retrospektive Letztbegründung geben zu wollen. Entscheidend ist vielmehr, dass es unter den Zeitgenossen einen Deutungskampf um die Visita­tion gab, der zwar auch um die Revisions- und Grafenfrage und dahinter stehend um den reformerischen (Un-)Willen der politischen Führungskräfte sowie die konfessionspolitische Ausformung des Reiches kreiste. Darüber hinaus war es jedoch die Effizienz oder Ineffizienz des Verfahrens, ­welche die Wahrnehmung der Zeitgenossen beeinflusst hat. Diese Wahrnehmungsebene wurde bestimmt durch ein Kostennutzenkalkül, welches danach fragte, wie viel Zeit und Geld mit welchem Ergebnis in das Verfahren investiert wurde. Wie sehr gerade die Dauer der Visita­tion die Wahrnehmung der Zeitgenossen bestimmte, verdeut­licht nochmals Stallauer. Bereits im Jahr 1770 befürchtetet er, die Visita­tion werde sich wie der Reichs-­Tag in einen ewigen Visita­tions-­Tag […] metamorphosiren […]: Dafür der Drey einige Gott das Teutsche Reich mild väter­lich bewahren wolle.518 pauschal auf die Pläne Karls V. verwiesen werden, das Reich nach dem Schmalkaldischen Krieg umzugestalten, oder aber das Restitu­tionsedikt aus dem Jahr 1629. 516 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 158. Siehe hierzu auch Ders., Kaiser Joseph II. (1991) u. Ders., Reichsreformpläne (1997). 517 Böhmer schreibt, er hatte eigent­lich, wie sonst gewöhn­lich, vor, die Erklärung bis auf die Mitte des Tisches und damit dem Direktorium, das ihm direkt gegenüber saß, zuzuschieben. Zur Überraschung aller nahm jedoch der kurmainzische Visitator Keller – und damit nicht die kaiser­liche Kommission – das Schriftstück nicht nur aus meinen Händen, sondern stand dazu auf, weil ich wegen Breite des Tisches nicht gantz zu ihm hienüber reichen konnte. Zudem sei es ihm nicht mög­lich, zu bejahen noch zu verneinen, ob er beym Weggehen geeilet oder einen gewöhn­lichen Gang beybehalten habe [GStA-PK I. HA Rep. 18, Nr. 42 Fasz. 67, Böhmer an König, Siegendorf 27. Sept. 1776, fol. 6v u. 8]. 518 StadtAA RKG 33, Rela­tion 48 vom 10. Febr. 1770.

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Warum jedoch war das Verfahren derart langatmig, dass sogar eine Verstetigung wie bei dem Immerwährenden Reichstag befürchtet wurde? Aus der Warte des Historikers lassen sich insgesamt zehn Gründe anführen, ­welche die Langatmigkeit und damit die Selbstdiskreditierung der Visita­tion bedingten. Sie lassen sich auch als ein vorläufiges Gesamtresümee dieser Studie begreifen. 1.) Die Komplexität des Reformgegenstandes: Kernaufgabe der Visita­tion war es, die Personal- und Realgebrechen des RKG zu untersuchen. Dieser Auftrag erforderte eine sehr zeitintensive Auseinandersetzung mit dem Personal und den Akten des RKG, und dies umso mehr, da es seit über 50 Jahren keine Visita­tion mehr gegeben hatte. Damit hängt 2.) zusammen, dass das Verfahren an sich sehr zeitintensiv war. Jede Visita­tion war darauf angewiesen, Informa­ tionen zu generieren, zu verarbeiten und darauf aufbauend Beschlüsse zu fassen. Letzteres, die Abfassung von Beschlüssen, kann als instrumenteller Zielpunkt des Verfahrens begriffen werden, der 1776 mit der ausgebliebenen Abfassung eines Visita­tionsabschiedes keine Vollendung fand. Daneben war es Aufgabe der Visita­tion, die Ordnung des Reiches sowie das hierarchische Gefüge von Visitierenden und Visitierten zur Darstellung zu bringen. Zudem mussten die Visitatoren nicht nur ihre Obrigkeit als visitierenden Reichsstand, sondern immer auch sich selbst als qualifizierte Reformer des Reiches inszenieren. Dieser mehrfache Inszenierungszwang (siehe auch die Punkte 4 und 5), der das Verfahren mal mehr (dreifache Visita­tionseröffnung) und mal weniger stark beeinflusste (münd­licher Austausch im Plenum bei geschlossenem Protokoll), war verfahrensimmanent und trug zur Weitläufigkeit des Verfahrens bei. Gegen die Kürze der Visita­tion sprach 3.) die reichsimmanente Komplexität der politischen Rahmenordnung einschließ­lich des Zwanges, die Reichsordnung mit all ihren teils konkurrierenden Rangansprüchen, die überdies die konfessionspolitische Ausgestaltung des Reiches betrafen, zur Darstellung zu bringen. Die Inszenierungslogik des Reiches bedingte es hierbei, dass es stets um die gesamte Ordnung ging und es nur unpräjudizier­liche Teillösungen gab, die – wie bei der Grafenfrage – nicht immer gefunden werden konnten. 4.) Die (politische) Relevanz des Reformgegenstandes: Die Bedeutung der Visita­tion resultierte nicht nur daraus, dass das RKG per se eine, wenn nicht sogar die entscheidende Säule für den Reichsverband war, die reformiert werden musste. Zu präzisieren ist vielmehr mit Blick auf die Geschichte der RKG-Visita­tionen, dass die Visita­ tion ein (von den Zeitgenossen idealisiertes) Inspek­tions- und Kontrollinstrument war, welches die Funk­tionsfähigkeit des ständischen Reichsgerichts sichern sollte. Die Visita­tion galt als ein reformerischer Normalfall, der nach dem visita­ tionsreichen 16. Jahrhundert verloren ging und nun, in den vom Hubertusburger Frieden beseelten Jahren, wiederhergestellt werden sollte. 5.) Die Weitläufigkeit

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der Visita­tion nährte sich auch aus der sicher­lich stark zu gewichtenden ‚Stellvertreterkultur‘ bzw. Herrschaft auf Distanz. Die Visitatoren waren Abgesandte ihrer Obrigkeit. Diese Verfahrensrolle bedingte auf Seiten der Visitatoren, sich vor Kaiser und Reich zu inszenieren und ihre Tätigkeit zu dokumentieren sowie auf Seiten der Visita­tionshöfe und -städte, ihre Visitatoren zu instruieren und zu kontrollieren. Zudem war es Aufgabe aller Visitatoren, die ständischen Vorrechte ihrer Obrigkeit zu wahren. Nicht weniger wichtig ist 6.) die Schrift-, Wissens- und Informa­tionskultur: Auch die (zumeist handschrift­liche) Vervielfältigung der Akten nahm sehr viel Zeit in Anspruch und ‚hinkte‘ dem eigent­lichen Verfahren hinterher. Die Vervielfältigung der Akten ergab sich aus dem Dokumenta­tions- und Inszenierungszwang der Visitatoren, dem Zwang der Visita­tionshöfe/-städte, ihre Visitatoren zu instruieren und zu kontrollieren, sowie dem Zwang der Visitatoren, sich über die (zu Protokoll gekommene) Eigen- oder Fremdtätigkeit zu informieren. Viel Zeit beanspruchte auch das Studium der Gerichtsakten, das neben der münd­ lichen Befragung sowie dem Studium neu angelegter Visita­tions- und Examensakten entscheidend für die Arbeit der Visitatoren war. Ziel dieser Arbeit war es zum einen, Voten zu formulieren, die im Rahmen von Umfragen zumeist verlesend oder diktierend zu Protokoll kamen. Zum anderen hatten die Visitatoren eine Vielzahl an Rela­tionen und Correla­tionen zu erarbeiten, mit denen bereits generiertes Wissen verarbeitet und neues Wissen geschaffen wurde. Rela­tionen und Correla­tionen leiteten daneben den weiteren Verfahrensgang an, indem sie Beratungen, Beschlüsse oder weitergehende Untersuchungen anregten. Zu denken ist 7.) an die wohl pauschal in Rechnung zu stellende ‚barockisierte‘ Sprach- und Schreibnorm. Deren Vereinfachung stand etwa in Österreich auf der reform­ absolutistischen Reformagenda, um die Verwaltung zu ra­tionalisieren.519 8.) Die Öffent­lichkeit des Verfahrens: Zumindest die Visita­tionsprotokolle waren, im Gegensatz zu den Examensprotokollen, vor allem für Kaiser und Reich und damit für eine reichspolitische Öffent­lichkeit bestimmt. Auch deshalb mussten sich die Visitatoren als kompetente Akteure ihrer Obrigkeit ‚in Szene ­setzen‘. Darüber hinaus war die Visita­tion in der Zeit das reichspolitische Ereignis schlechthin. Dies bedingte nicht zuletzt in der Medienöffent­lichkeit eine Aufmerksamkeit, die zwar einerseits das Verfahren befördern konnte, indem über Sinn und Zweck und vor allem über die Geschichte der Visita­tionen geschrieben und – wie etwa bei Nettelbla und Moser – gestritten wurde, wodurch konkurrierende

519 Becker, Ra­tionalisierung der Verwaltung (2000), S. 238. Siehe ferner Margreiter, Schreibart in Geschäften (2014).

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Deutungen markiert und im Idealfall gelöst wurden. Andererseits beförderte die Medienöffent­lichkeit Konflikte und trug auch ansonsten zur Schwere des Verfahrens bei, da gerade durch die Rückbesinnung auf das visita­tionsreiche 16. Jahrhundert Erwartungshaltungen befördert wurden, deren Erfüllung kaum mög­lich war. Obendrein musste sich die Visita­tion nicht nur durch die Herausgabe einer visita­tionseigenen Zeitschrift in der Medienöffent­lichkeit posi­tionieren. Vielmehr war es hier und auch ansonsten erforder­lich, sich mit der medialen Inszenierung der Visita­tion auseinanderzusetzen, um im Extremfall unliebsame Darstellungen zu zensieren.520 Dies alles kostete jedoch Zeit. Anzuführen ist ferner 9.) die nur schwer­lich zu ergründende ‚Arbeitskultur‘ der Visitatoren. Während Falcke bis zuletzt seiner Arbeitsweise treu blieb,521 wurde er von den Mitvisitatoren aufgrund seines alltäg­lichen, sehr ambi­tionierten Tuns geachtet, aber ebenso, und weitaus mehr, verachtet. Selbst sein Tod wurde von manchen herbeigesehnt.522 Falcke war sich zumindest in Ansätzen seiner umstrittenen Arbeitsweise bewusst und blieb wohl auch deshalb seiner Linie treu.523 Andere Visitatoren, wie Stallauer, fallen hingegen dadurch auf, dass sie sich stets weitaus kürzer fassten, und zwar unabhängig davon, ob sie ein Votum im Plenum abgaben oder einen Bericht an ihre Obrigkeit schrieben. Diese Unterschiede lassen sich einerseits damit erklären, dass jeder Visitator seine Verfahrensrolle individuell ausgestalten konnte oder auch musste. Denn während Falcke allein schon aufgrund des Standes, den er repräsentierte, als eine Führungsperson aufzutreten hatte, blieb Stallauer ein reichsstädtischer Vertreter, der zusammen mit den anderen reichsstädtischen Visitatoren den hierarchischen Schlusspunkt der Visita­tion bildete. Andererseits würde es zu kurz greifen, die Verfahrensrolle nur als das Produkt von Zwängen zu begreifen, die das Verfahren im Allgemeinen sowie die RKG-Visita­tion im Speziellen bedingten. Jeder Visitator brachte vielmehr in das Verfahren sich und seine Lebens- und Arbeitserfahrung ein. Die untersuchten Vorkarrieren haben dabei deut­lich gemacht, dass die Visita­tion von einer juristisch ausgebildeten Elite getragen wurde, die in sehr unterschied­ lichen Kontexten agiert hatte und wohl gerade deshalb über sehr verschiedene Erfahrungswerte verfügte, w ­ elche die Arbeitsmaximen wohl nachhaltig geprägt 520 Siehe etwa einen diesbezüg­lichen VS von der 326. Session [StadtAA RKG 46]. 5 21 Siehe hierzu die in der Einleitung beschriebene Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine. 522 StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771. 523 Es ist schwer zu sagen, wie Falcke die Kritik an seiner Person wahrnahm und wie er damit umging. Denn sämt­liche hier verwendeten Quellen gewähren nur punktuelle Einblicke in die Auseinandersetzung Falckes mit sich und seinem Handeln.

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haben. Aber auch die soziokulturelle Prägung einschließ­lich des familiären Umfeldes dürfte einen nicht unerheb­lichen Einfluss auf das reformerische Tun der Visitatoren gehabt haben. Zu guter Letzt kann mit Prokurator Zwierlein vermutet werden, dass Scharfsinn und Kürze [...] Geschenke der Natur sind.524 Dies bedeutet umgekehrt, dass auch die Weitläufigkeit respektive die ausführ­ liche Gründ­lichkeit zumindest ein Stückweit als eine naturgegebene und von Falcke verinner­lichte Arbeitsmaxime zu begreifen ist. Schließ­lich ist 10.) die mit der Schrift-, Wissens- und Infor­ma­tions­kultur bereits hier angedeutete Ausgangsthese dieser Studie anzuführen, wonach allgemein im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ die Schrift­lichkeit aufgewertet wurde, und zwar insofern, als es nun eine wesent­liche Aufgabe der Visitatoren und ihrer Schreiber war, Akten für Kaiser und Reich sowie für die jeweilige landes- oder stadtherr­liche Obrigkeit, aber auch für ‚die‘ Nachwelt sowie – zu guter Letzt – für den Eigenbedarf zu produzieren. Die Schriftaufwertung bedingte nicht nur ein Mehr an Schrift­lichkeit, sondern auch eine systematischere Erfassung und sorgfältigere Verwahrung der Schriftmasse. Daneben erfuhren all jene Verfahrenselemente eine Aufwertung, die um die Schrift­ lichkeit kreisten. Dies betraf insbesondere die Voten, die im Rahmen einer Umfrage zu Protokoll kamen, aber auch die Gutachten, die im Rahmen des Examens abgegeben wurden. Die Schriftstücke, die in den Protokollen (Voten) und in den Proto­kollbeilagen (Gutachten) Eingang fanden, waren dabei stets mehr als eine inhalt­liche Meinungsäußerung zu einem Sachverhalt. Sie stellten vielmehr immer auch die Rechte der zur Visita­tion deputierten Reichsstände dar. Nicht zu übersehen ist hierbei das Paradoxon, dass die Schriftaufwertung zugleich mit einer Schriftentwertung einherging. Denn das handschrift­liche Schriftgut war ebenso wie das gedruckte Schriftgut eine Massenware, deren Verfügbarkeit gerade aufgrund der Allgegenwart der Schrift­lichkeit im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ scheinbar selbstverständ­lich war. Dadurch jedoch verloren kostbare Werke wie der so genannte Kameralkoran – in erster Linie eine Sammlung von Visitia­tionsbeschlüssen aus dem 16. Jahrhundert – ihren Wert.525 Entscheidend in einem solchen Schriftumfeld war vielmehr, dass es sich hier um ein Schriftgut handelt, das sorgsam produziert, distribuiert, systematisiert und verwahrt wurde. Es kam daneben auf den Schriftinhalt an: Die Protokolle und Protokollbeilagen waren der Schriftoutput eines herausragenden

524 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 233 f. Siehe hierzu bereits A.1.3. 525 [Nettelbla], Nachlese von Alten und Neuen Sachen (1763), S. 19, und insgesamt zur Geschichte und Inhalt des Kameralkorans S. 1 – 24.

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rei­chischen Verfahrens. Schließlich war es ausschlaggebend, wer wo und in welchem Kontext ein massenhaft produziertes Schriftstück verwendet hat. Während etwa die Visita­tionsprotokolle für den Sekretär Jerusalem nur für die Nachwelt der ­R atzen bestimmt waren,526 begriff Falcke die Protokolle als ein wichtiges Arbeits­instrument, das überdies dazu diente, sich als kompetenter Visitator eines Kurfürstentums vor seinen Mitvisitatoren, seiner Obrigkeit, dem Reich sowie der Nachwelt zu inszenieren. Diese zehn Faktoren bedingten eine Komplexität, die das gesamte Verfahren verlangsamte. Dadurch jedoch konnte die Visita­tion einerseits dem zeitgenös­ sischen Anspruch nach schnellen Reformen, die der Ra­tionalisierung der Rechtsprechung des RKG dienten, kaum folgen. Andererseits – und dies wog weitaus schwerer – widersprach die Visita­tion dem Reformanspruch der Zeit, indem sie jene Weitläufigkeit produzierte, die andernorts beseitigt wurde. Aus diesen Gründen verlor die Reform des RKG fortlaufend an Legitimität bis zu dem Punkt, an dem niemand mehr die scheinbar immerwährende Visita­tion wollte. Dieser Vorgang lässt sich als ein multikausaler Delegitimierungsprozess begreifen, der – dies gilt es zu betonen – sich auch aus jenen Konflikten speiste, die das Mit- und Gegeneinander im Reich und in Europa der Zeit mitbestimmten. Es war jedoch keineswegs so, dass die Herrscher in Wien, London, München oder andernorts aufgrund welcher machtpolitischen Interessen auch immer die Visita­tion, quasi von außen, zu Fall gebracht hätten. Unter Berücksichtigung der benannten Weitläufigkeitsfaktoren 3 (Komplexität der politischen Rahmenordnung), 4 (Relevanz des Reformgegenstandes) und 5 (Herrschaft auf Distanz) besaß die Visita­tion vielmehr eine relative Verfahrensautonomie, die es den Akteuren vor Ort prinzipiell ermög­lichte, das RKG sachorientiert zu reformieren. Zu bedenken ist natür­lich, dass es bei der Visita­tion nie ausschließ­lich um die Sache, also die Reform des RKG, ging. Die überlieferten Akten belegen vielmehr, dass die Visitatoren immer auch die Rechte des jeweiligen Standes zu wahren hatten, und dies umso mehr, wie die Visita­tion eine politische Ordnung zur Darstellung brachte, dessen Gefüge nie eindeutig war. Dadurch jedoch, durch die Inszenierung der reichischen Ordnung, musste die Visita­tion eine Vielzahl an Rangkonflikten verarbeiten. Genau aus ­diesem Grund war es mög­lich, dass der Streit um das Deputa­tionsrecht der Grafen sowie die umstrittenen kurmainzischen Vorrechte bei den Revisionen das Ende der Visita­tion beförderten und

526 Jerusalem an Johann Joachim Eschenburg, 18. Juli 1772, nach: Paulin, Wilhelm J­ erusalem (1999), S. 80 f.

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besiegelten. Zu kurz greift es allerdings, ausgehend von d­ iesem Ende den Gang und Nichtgang der Visita­tion zu begreifen. Es war vielmehr die mehrjährige, sich aus vielen Faktoren speisende Langwierigkeit, die das Verfahren diskreditierte und schließ­lich zu Fall brachte. Damit jedoch wird gleichermaßen deut­ lich, dass es in der Zeit kaum mög­lich war, eine Reform nach Art des Reiches durchzuführen, da diese eine gewisse Grundkomplexität erforderte. Zudem fand zwar die Visita­tion in der Darstellung der Reichsordnung vor Ort und in den Protokollen ihre (schriftbasierte) Erfüllung; zur Legitimität des Verfahrens trug überdies bei, dass sich das Reich nach dem Siebenjährigen Krieg seiner friedens­ wahrenden Wurzeln besann und vor d ­ iesem Hintergrund die Visita­tion als ein Friedensprojekt zu begreifen ist, das sich selbst genügte. Der Anspruch der Zeitgenossen war jedoch ein anderer. Zeit und Geld, die beiden maßgeb­lichen Bewertungskategorien für das reformerische Handeln der Jahre, wurden so zwar vor allem dazu aufgewendet, das RKG tatsäch­lich zu reformieren. Selbst die Reformimpulse, die, wie im Folgekapitel noch zu zeigen ist, von der Visita­tion ausgingen, waren aber zu wenig oder eben, im Hinblick auf die Weitläufigkeit einschließ­lich der konfliktträchtigen Inszenierung der Reichsordnung, zu viel, um die RKG-Visita­tion erfolgreich zu beenden oder gar den Weg zu ebnen für die Wiedereinführung der ordent­lichen Visita­tion.

E. Reforminhalte

Konkrete Defizite, eine Vielzahl an recht­lich normierten Aufgaben sowie die visita­tionslose Vergangenheit führten dazu, dass die Visita­tion ein umfassendes, ja geradezu erdrückendes Reformprogramm zu bearbeiten hatte.1 Was jedoch bewirkte die Visita­tion? Welche Reformen konnte die Visita­tion umsetzen? Zur Beantwortung dieser Fragen steht als erstes [E.1.] eine quantitative Erhebung im Vordergrund. Ausgehend von dem kurmainzischen Verzeichnis, welches alle bei der Visita­tion zur Beratung gekommenen Gegenstände auflistet, werden jene Arbeitsfelder bestimmt werden, denen sich die Visita­tion in den 1056 Sitzungen gewidmet hat. Hierdurch wird es mög­lich sein, einen Überblick über die inhalt­liche Arbeit der Visita­tion zu gewinnen. Daneben können zwei Schwerpunkte gesetzt werden, die es erlauben, die Reforminhalte vertiefend zu analysieren. Der erste Schwerpunkt [E.2.] ist mit den Beschlüssen der Visita­tion gegeben, die dazu dienten, die Rechtsprechung des RKG zu beschleunigen. Dazu zählten die Neuordnung der Senate sowie die Vergrößerung des Kameralkollegiums, beides Reformmaßnahmen, die der Forschung weithin bekannt sind und die mit dem Reichsschluss von 1775 behandelt werden [E.2.3.]. Daneben gab es mehrere Beschlüsse, die auf die Ordnung der Akten [E.2.1.] sowie die Ordnung der Arbeits- und Ferienzeiten [E.2.2] zielten. Dieses Streben nach Schnelle durch Ordnung verweist auf zwei grundsätz­liche Aspekte dieser Studie. Zum einen ist deut­lich, dass die Visita­tion, obgleich sie aufgrund ihrer Langatmigkeit in weiten Teilen dem Reformgeist der Zeit widersprach, mit der inhalt­lichen Arbeit dem Reformverlangen entsprechen konnte. Zum anderen war zwar die Ordnung der Gerichtsakten nicht erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein wichtiges Reformanliegen. Bestimmungen, die etwa die Foliierung der Akten oder das ordnungsgemäße Ausleihen mit einem Leihschein betrafen, unterstreichen jedoch, dass gerade in dieser Zeit die Ordnung der expandierenden Schriftmasse ein wichtiges Anliegen war. Der zweite Schwerpunkt [E.3.] ist mit dem Korrup­tionsfall gegeben, der um den jüdischen Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar kreiste und der zur Absetzung dreier Assessoren führte. Der Fall, der jüngst in einer Ausstellung aufgearbeitet

1 Siehe hierzu bereits A.1.3.

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wurde,2 soll hier eingehend aus der Binnenperspektive der Visita­tion sowie auf Grundlage neuerer Forschungen zur Geschichte der Korrup­tion behandelt werden. Eine eingehende Analyse ist deshalb erforder­lich, da die Visita­tion – die quantitative Analyse wird dies verdeut­lichen– sehr viel Zeit in die Bearbeitung ­dieses Falls investiert hat. Daneben war die Absetzung der korrupten Assessoren Papius, Reuss und Nettelbla Ende 1773/Anfang 1774 ein – wenn nicht sogar das – wichtigste Ergebnis der Visita­tion. Ein solches Urteil ist zulässig, wenn man bedenkt, dass erst durch diese Entlassungen die Korrup­tionsvorwürfe, die im Vorfeld und während der Visita­tion in ‚der‘ Öffent­lichkeit kursierten und dem Ansehen des RKG schwer geschadet hatten, zwar bestätigt, aber zum Gutteil auch behoben wurden.3 Bedenkt man ferner, dass durch die Untersuchung und Ahndung der Korrup­tion einerseits die Integrität der Gerichtsangehörigen wieder „über jeg­ lichen Verdacht erhaben“ schien 4 und andererseits die Reputa­tion eine zentrale reformerische Leitkategorie der Visita­tion, wenn nicht sogar aller Reformen der Zeit war,5 dann lässt sich sogar generell sagen, dass die Visita­tion das RKG erfolgreich reformiert hatte. Ein solches Urteil widerspricht natür­lich der dargelegten Tatsache der vorzeitigen Trennung der Visitation. Dennoch greift es zu kurz, die Visita­tion als gescheitert zu betrachten, obgleich diese gängige Forschungsmeinung 6 auch vielfach der Wahrnehmung der Zeit entsprach.7 Methodisch bleibt allerdings zu fragen, nach ­welchen Kriterien Erfolg oder Misserfolg einer Reform zu bemessen sind. Ist es die Wahrnehmung der Zeitgenossen? Und wenn ja, wie ist es zu beurteilen, dass die 2 Die Ausstellung ‚Die Affäre Papius – Korrup­tion am Reichskammergericht‘ fand im Reichskammergerichtsmuseum Wetzlar vom 2. Juni bis 30. Sept. 2012 statt. Siehe hierzu den Ausstellungskatalog Affäre Papius (2012). 3 Die Korrup­tion beschränkte sich nicht nur auf die bereits genannten drei Assessoren. Stallauer deutete im Juni 1771 an, dass außer Papius, Reuss und Nettelbla noch 2 ­solche Justizschänder auf dem Sprung [stehen], ob aber dieselbe ebenmässig aus dem Sattel gehoben werden därfften, stehet annoch zu erwarthen [StadtAA RKG 33, 70. Rela­tion vom 11. Juni 1771]. Es ist unklar, wer damit gemeint war. 4 Baumann, Korrup­tion am Reichskammergericht (2012), S. 14. 5 Siehe hierzu A.1. 6 Smend, Reichskammergericht (1911), S. 238 u. Hettfleisch, Politische Geschichte der Reichskammergerichtsvisita­tion (1929), S. 121 sprechen vom Misslingen. Rohr, Reichstag (1968), S. 284, Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 154 u. zuletzt auch Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 295, 318 u. 608 vom Scheitern, obgleich Letztere auch [S. 58] von sektoralen Reformleistungen der beiden Visita­tion des 18. Jahrhunderts spricht. 7 So heißt es beispielhaft bei Runde, Cammergerichtsvisita­tionen (1780), S. 868: Deutschland aber sahe sich in Ansehung aller grossen Erwartungen von dieser ausserordent­lichen Cammergerichtsvisita­tion getäuscht. Siehe auch B.3.1.2.

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Forschung die Zeit nach der Visita­tion und nach der Umsetzung des Reichsschlusses von 1775 gerne als eine Blütephase umschreibt?8 Oder sind es die normativ verankerten Reformziele, die den Kriterienkatalog einer Wertung vorgeben? Die folgenden Ausführungen möchten einer solchen retrospektiven Suche nach Erfolg und Misserfolg des Verfahrens nicht folgen, zumal deut­lich wurde, dass jedes Verfahren nicht nur eine instrumentelle, sondern auch symbo­lische Funk­tion erfüllte; darüber kann selbst die partielle Entwertung der symbo­lischen Funk­tionsebene nicht hinwegtäuschen. Ziel der folgenden Ausführungen ist es stattdessen, die inhalt­ liche Arbeit der Visita­tion gelöst von einem wie auch immer gearteten Maßstab zu betrachten und deut­lich zu machen, dass die Visita­tion nicht nur im Hinblick auf ihre Verfahrensweise, sondern ebenso aufgrund ihrer Reformtätigkeit dem Reformund Schriftverständnis ihrer Zeit entsprechen konnte.

E.1. Die Arbeitsfelder der Visitation E.1.1 Zum Gegenstand und der Methode Kann es Zufall sein, dass während oder – wahrschein­licher – kurz nach der Visita­ tion in Mainz ein Verzeichnis angelegt wurde, dass auf knapp 1000 Folio­seiten 9 alle Beratungsgegenstände, die protokolliert wurden, in eine alphabetische Ordnung brachte? Oder ist diese mühselige Verzeichnisarbeit ein weiterer Beleg für die Aufwertung der Schriftlichkeit im 18. Jahrhundert? Da eine Geschichte der Aktenverzeichnung im Allgemeinen sowie eine Geschichte der kurmainzischen Aktenverzeichnung im Speziellen fehlt, können diese Fragen nicht beantwortet werden. Dessen ungeachtet lässt sich sagen, dass das Aktenverzeichnis, ebenso wie das Tabellenwerk über die Geschichte der Visita­tion und des RKG aus dem 8 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 324 spricht zumindest in „präsenta­tionsrecht­ licher Hinsicht“ davon, dass „die beiden letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts für das Kameral­kollegium eine weitgehend konflikt- und sorgenfreie Zeit“ waren. Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763 – 1806 (2005), S. 286 schreibt: „Kurz vor dem Ende des Reiches funk­tionierte die Reichsjustiz jedenfalls vielleicht besser als je zuvor“. 9 Es wurden Vorder- und Rückseite jeweils einzeln gezählt. Das Verzeichnis – siehe hierzu bereits die Einleitung – wurde nachträg­lich foliiert und umfasst 613 Folioseiten (Vorderund Rückseite), allerdings über 200 Einzelseiten, die nicht beschrieben sind. Sie flossen in die Zählung nicht mit ein. Aus d­ iesem Grund lassen sich insgesamt 988 beschriebene (und nicht 1226 beschriebene und unbeschriebene) Einzelseiten zählen. Anzumerken ist schließ­lich, dass auch Seiten, die nur teilweise beschrieben wurden, als ganze Seiten in die Auswertung mit einflossen.

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Jahr 1767,10 es den Zeitgenossen ermög­lichte, „den wilden Fluss der schieren Flut an Informa­tionen […] zu bändigen“.11 Komplexitätsreduk­tion und Evidenzerzeugung waren umso notwendiger, je komplexer sich die zu verzeichnenden Gegenstände gestalteten. Dies traf gerade auf jene rund 15.000 Seiten zu, w ­ elche die Visita­tionsprotokolle umfassen.12 Einzig und allein deren Verzeichnung erlaubte es, die Papiermasse in ihrer Gesamtheit zu erfassen und damit die protokollierte Verfahrensgeschichte für die Zeitgenossen und insbesondere für die Nachwelt zu erschließen. Der Aufbau des Verzeichnisses bzw. des Indexes,13 welcher heute im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv liegt,14 geht beispielhaft aus der Abbildung hervor. Auf jeder Seite des Verzeichnisses steht zu Beginn in der Mitte eine Litera. Bei dem Beispiel ist es ein V, welches für den Eintrag Vollmachten zu Visita­tions- und Revisions-­Geschäfften und deren Verlesung steht. Es handelt sich also um den Betreff des verzeichneten Gegenstandes, der zu Beginn eines jeden Bereiches direkt unter der Litera steht. Links von der Litera wird (von dem linken Seitenrand aus gesehen) immer auf den Sessionstag, die Sessionsnummer und den Protokollband, und rechts von der Litera auf den Band der Protokollbeilagen, die Nummer der Protokollbeilagen – es waren insgesamt über 200015 – und ganz rechts auf die Protokollseiten verwiesen. Bei der vorliegenden Beispielseite wird z­ wischen Litera und dem Beilagenband noch eine weitere Spalte geführt. Sie verweist auf separate Aktenbände, die extra für die Vollmachten angelegt wurden und dementsprechend nur an dieser Stelle verzeichnet sind. Die größte der insgesamt sieben bzw. – bei den Vollmachten – acht Spalten ist der Kurzbeschreibung des Eintrags vorbehalten. Bei dem Beispiel – es handelt sich um die 1056. Session vom 8. Mai 1776 bzw. um den 17. Protokollband und die 15.732. Protokollseite – wird unter der Zwischenüberschrift Classis IV auf die Verlesung der kurfürst­lich bayerischen Vollmacht, deren Nichtannahme sowie auf jene Protestanten verwiesen, die (außer Vorpommern und der Stadt Worms) unter Vorangehung des kurbrandenbur­ gischen Visitators den Saal verließen.

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Siehe A.1.2. Steiner, Wissensfülle und Ordnungszwang (2009), S. 502. Siehe zu dieser Zahl den folgenden Auszug aus dem kurmainzischen Verzeichnis. Der Aktenbetreff lautet: Index über sämt­liche Materien der Kammergerichtsvisita­tions­ deputa­tion A–Z. Aus ­diesem Grund ist in dieser Studie auch vom kurmainzischen Visita­ tionsindex die Rede. 14 HHStA Wien MEA RKG 378. 15 Das im Stadtarchiv Augsburg überlieferte Verzeichnis der Protokollbeilagen [RKG 34] reicht bis zur 978. Session und zählt 2196 Beilagen.

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Auszug aus dem kurmainzischen Verzeichnis der protokollierten Beratungen 16

16 Ebd., fol. 580v.

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In dieser oder ähn­licher Form sind sämt­liche protokollierten Vorgänge im Plenum verzeichnet. Das Verzeichnis umfasst 988 einzelne Folioseiten mit insgesamt 159 Beratungsgegenständen. Jeder dieser 159 Punkte erfasst sämt­liche zu Protokoll gekommenen Proposi­tionen, Voten, Beschlüsse und sonstige Vorgänge der neunjährigen Visita­tion, die diesen Gegenstand betrafen. So umfasst der Gegenstand Vollmachten zu Visita­tions- und Revisions-­Geschäfften und deren Verlesung insgesamt 31 Seiten. Er beginnt mit dem Hinweis, dass in der 1. Session vom 11. Mai 1767 die Vollmacht der kaiser­lichen Kommission zur Sprache kam, und endet mit dem angeführten Eintrag der 1056. Session. Ziel des folgenden quantitativen Zugriffs ist es, den Seitenumfang eines jeden Beratungsgegenstandes zu zählen, um so nicht nur festzustellen, wie sich die 159 Beratungsgegenstände auf die 988 Seiten verteilen. Die entscheidende Grundannahme dieser quantitativen Erhebung lautet vielmehr, dass der Seitenumfang des Verzeichnisses Aufschluss darüber gibt, wie umfassend über diesen oder jenen Beratungsgegenstand im Plenum beraten wurde. Es wird damit von einer Korrelation des Seitenumfanges der Verzeichnisse und des Zeitumfanges der Sessionsberatungen ausgegangen. Die Formel ‚Je öfter und/oder umfassender im Plenum über einen Gegenstand beraten wurde, desto mehr Einträge finden sich im Verzeichnis‘ hat natür­lich ihre Schwächen. So gewährt das Verzeichnis in mehrfacher Hinsicht nur einen selektiven Einblick in die Geschehnisse des Visita­tionsplenums.17 Daneben ist die Annahme einer Korrela­tion ­zwischen Seiten- und Zeitumfang methodisch nicht einwandfrei, auch wenn ein solcher Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen ist. Als Beispiel können jene 31 Seiten angeführt werden, die sich auf die Vollmachten beziehen, wohingegen nur zwei Seiten auf unliebsame Zeitungsartikel eingehen. Aber auch die 17 Seiten, die das Verfahrensgeheimnis (Secretum Visita­tionis) betrafen, deuten 17 Folgendes ist einschränkend festzuhalten: 1.) Die bisherigen Ausführungen haben deut­lich gemacht, dass nur ein Teil der Geschehnisse im Visita­tionsplenum protokolliert wurde [siehe hierzu insbesondere D.3.]. Die materielle Ausgangsbasis des Verzeichnisses ist also unvollständig, zumal 2.) nur die Visita­tions- und nicht die Examensprotokolle verzeichnet sind. Dass sich dennoch, wie noch deut­lich wird, hunderte Seiten dem ­Examen zuordnen lassen, hängt damit zusammen, dass in den Visita­tionsprotokollen und dementsprechend auch im Verzeichnis vermerkt ist, wann wer verhört wurde. Zudem ist ledig­lich das Examen selbst Gegenstand der Examensprotokolle. Die Beratungen über das Examen hingegen sowie die Rela­tion und Correla­tion sind Gegenstand der Visita­tionsprotokolle und des Verzeichnisses. 3.) Das kurmainzische Aktenverzeichnis ist nicht stände- und konfessionsneutral. So heißt es zu den Personaldefekten des Kammerrichters, 893. Session vom 25. Oktober (13. Protokollband, S. 10927): Directorial Umfrage und darauf ex parte protestantium […] nur zur Verunglimpfung des Herrn Kammer Richters abzielende Protokollar Erklärung.

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an, wie intensiv sich tatsäch­lich die Visita­tion mit dem einen oder anderen Gegenstand auseinandergesetzt hat.18 Darüber hinaus ermög­licht es ausschließ­lich dieser quantitative Zugriff, die Protokollmasse systematisch zu erschließen und damit jene Selektivität zu vermeiden, die bislang das Vorgehen dieser Studie prägte. Und schließ­lich steht mit dem quantitativen Zugriff der Faktor Zeit und damit ein wichtiger zeitgenös­sischer Wertmaßstab für das reformerische Handeln im Mittelpunkt. Zusammengenommen lässt sich also sagen, dass nur das kurmainzische Verzeichnis es ermög­licht, für die gesamten 1056 Sessionen bzw. mehr als 15.000 Protokollseiten zu bestimmen, über was und wie umfassend die Visitatoren im Plenum über einzelne Gegenstände beraten haben. E.1.2 Eine quantitative Auswertung Das Verzeichnis führt auf seinen knapp 1000 Folioseiten 159 Beratungsgegenstände. Durch deren inhalt­liche Systematisierung ergeben sich insgesamt sieben Bereiche bzw. Arbeitsfelder, denen sich die Visita­tion widmete. Dies bringt folgendes Diagramm zum Ausdruck: Organisation der V. (17%)

Organisation der RKG (7%)

Gerichtsverfahren (9%) Kameralgesetze (2%) V. als Rechtsinstanz (3%) Personalwesen (54%)

Finanzwesen (3%)

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18 Diese und alle folgenden Angaben beruhen auf HHStA Wien MEA RKG 378. 19 Nach dem kurmainzischen Verzeichnis der Beratungsgegenstände [HHStA Wien MEA RKG 378].

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Die Prozentzahl verweist auf den Seitenumfang, den jedes Arbeitsfeld in Rela­tion zum Gesamtumfang des Verzeichnisses einnimmt. Das Diagramm bestätigt, dass die Visita­tion sich in ganz erheb­lichem Maße mit sich selbst beschäftigt hat. Den 17 % des Bereiches Organisa­tion der Visita­tion entsprechen 167 Seiten. Sie bilden damit den zweitgrößten Bereich des gesamten Verzeichnisses. Die Seiten verteilen sich auf 33 Beratungsgegenstände, die von der Ablösung der ersten Klasse über die Visita­tionsferien (Feriae Visita­tionis magnae) bis hin zu den Wetzlarischen Anzeigen reichen. Aber auch die Beratungen über die Rechte des Direktoriums (13 Seiten), die visita­tionseigene Druckerei (4 Seiten) und die bereits angeführten Vollmachten (33 Seiten) fallen hierunter. Zur Eigenorganisa­tion der Visita­tion ist schließ­lich die Ordnung des Examensverfahrens zu zählen. Wie komplex sich die Organisa­ tion d­ ieses Verfahrensteils gestaltete, bestätigen insgesamt fünf Gegenstände und 33 Seiten.20 Aber auch die Organisa­tion des RKG mit gerade einmal 66 Seiten verdeut­ licht im Vergleich, wie zeitintensiv die Organisa­tion des Examens war. Unter die Gerichtsorganisa­tion fallen insgesamt zwölf Beratungsgegenstände wie etwa das Bauwesen des RKG (17 Seiten), die Verlegung des RKG (2 Seiten) und die Vermehrung der Assessoren (7 Seiten). Letzterer Eintrag deutet auch an, dass sich die Beratungsgegenstände verschiedenen Aufgabenfeldern zuordnen ließen. So betraf die Vermehrung der Beisitzer, wie sie schließ­lich im Jahr 1782 realisiert wurde, das Gerichtsverfahren, die Finanzierung des Gerichts und das Personalwesen. Dass hier dennoch eine Zuordnung zur Gerichtsorganisa­tion erfolgte, hängt damit zusammen, da unter d­ iesem Arbeitsfeld in erster Linie die grundlegende Ordnung des Gerichts verstanden wird, die nicht nur – wie etwa das Votieren in den Senaten – das Gerichtsverfahren und damit die Rechtsprechung im eigent­lichen Sinne betraf. Der Gerichtsorganisa­tion zuzuordnen sind ferner die 28 Seiten bzw. fünf Beratungsgegenstände über

20 Dies sind: Examen Cameralium Generale und die dabey vorkommende Gegenstände und Berathungen betreff. (9 Seiten); Examen Generale und die dahin einschlagende Gegenstände (9 Seiten); Examen Speciale. Über die erfundene personal und real Mängel bey dem K. R. K. Gericht (4 Seiten); Fragestück gemeine (7 Seiten); Verpflichtung oder Juramentsleitung deren Herren Kameralen wegen den general- sowohl als auch spezial Examinibus (4 Seiten). Zum Eintrag Examen Speciale ist anzumerken, dass nach vier Seiten ein separates Verzeichnis der examinierten Personen beginnt (45 Seiten). Diese wurden dem Bereich Personalwesen zugeordnet.

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die Urlaubs- und Ferienzeit des Gerichts 21 sowie die sieben Seiten über die Ordnung der Gerichtsakten.22 Beim Bereich Gerichtsverfahren lassen sich gleichfalls mehrere Einträge finden, w ­ elche die Zeit- und Aktenordnung des Gerichts und damit die Ra­tionalisierung der Rechtsprechung betrafen. Zu nennen sind die justizverzöger­liche[n] Zitierungen (Allega­tionen) in den Schriften (2 Seiten), der unpünkt­liche Beginn oder das voreilige Ende der Audienzen (5 Seiten), die Verzeichnung (Designa­ tion) der bei dem Gericht anhängigen Prozesse (10 Seiten), der Modus des Referierens und Votierens (1 Seite) oder der unter dem Lemma Winter Stunden (2 Seiten) geführte Beschluss, die Senate auch im Winter drei und nicht zwei Stunden abhalten zu lassen.23 Insgesamt sechs Seiten betrafen ferner die Rela­tion und Correla­tion. Hier findet sich zum Beispiel ein Hinweis zu einer Proposi­tion des kurmainzischen Direktoriums wegen mehrerer Beschleunigung derer zur Ablag fertig liegenden Rela­tiones (50. Session vom 7. Okt. 1767) sowie mehrere Einträge, die sich mit der unerlaubten Mitnachhausenehmung deren abgelegten Rela­tionen und schriftl.n Votorum auseinandersetzten. Aber auch die 17 Seiten, die um die Neuordnung der Senate kreisen, stehen für das reformerische Verlangen nach Ordnung und Schnelle beim RKG. Die insgesamt 27 Beratungsgegenstände bzw. 94 Seiten, die sich dem Gerichtsverfahren zuordnen lassen, umfassen ferner ein- bis zweiseitige Einträge über das Vormundschaftswesen, die Konkurssachen, die Handhabung der Mandats- und Appella­tionsprozesse  24 oder die übermäßigen Gesuche um Fristverlängerung.25 Mit fünf Seiten ist zudem die Wiedereinführung des so genannten Bescheid­ tisches dokumentiert, also jenes Ortes, der dazu diente, „Streitsachen, die keine 21 Feriae Camerales Caniculares (1 Seite); Neglecten bey dem K. R. s. K. Gericht und dahin gehörige Gegenstande betreffend (8 Seiten); Urlaubs Gesuche durante Visita­tione (8 Seiten), Urlauben durantibus Feriis en general. betr in Consequentiam Jener in Sessione 194 de 11ma Julii 1768 (7 Seiten); Urlaub nehmen oder so genannte Veniae Praesidiales bey dem Kayß. Rs., Kam. Gericht (4 Seiten). 22 Acta Cameralia und die mit diesen in Verbindung stehende Gegenstände betreff. 23 Visita­tionsschluss vom 27. Okt. 1767 (Session 77) [Anmerkung zum Nachweis: Sämt­ liche Angaben in ­diesem Kapitel zu den Visita­tionsschlüssen und Sessionen sind dem kurmainzischen Verzeichnis entnommen]. Seit wann genau und auf welcher Grundlage die Senate im Winter für nur zwei Stunden zusammentraten, ist nicht ersicht­lich. Da sich in dem Beschluss kein Verweis auf andere Bestimmungen findet, kann angenommen werden, dass es sich hier um eine Erstbestimmung handelt. 24 Siehe zu den verschiedenen Prozessgattungen beim RKG Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 82 – 97. 25 Siehe hierzu ebd., S. 151 – 158.

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gründ­liche Einsicht der Prozeßakten erforderten“, zu entscheiden.26 Behandelt wurden darüber hinaus von der Visita­tion die Realmängel bei der Erkennung und Verschickung auswärtiger Kommissionen (4 Seiten) sowie die Realmängel bei den Extrajudizialverfahren (6 Seiten).27 Zum Gerichtsverfahren gehören schließ­lich auch die acht Seiten, die den Vergleich eines Rechtsstreits betreffen.28 Demgegenüber lassen sich gerade einmal 2 % der Einträge den Kameralgesetzen zuordnen.29 Hierunter fallen die Gemeinen Bescheide (1 Seite), die Landesverordnungen, die in Folge eines Gemeinen Bescheides von 27. Aug. 1764 von den Prokuratoren in der Leserei abgegeben werden sollten (2 Seiten), die Dubia Cameralia (3 Seiten) sowie das Konzept der RKGO (8 Seiten). Unwesent­lich mehr Seiten (29) verweisen darauf, dass die Visita­tion ebenso eine Rechtsinstanz war. Die 13 Seiten, die davon die Revisionen betreffen, machen deut­lich, dass die Visita­tion selbst zwar keine Revisionen bearbeitete. Dennoch wurde etwa beschlossen (323. Session vom 10. Juli 1769), dass Prokurator Brand in einem Prozess 30 Revision einlegen dürfe, oder aber (866. Session vom 9. Sept. 1774), dass den Kameralpersonen in ihren eigenen Sachen das Remedium Revisionis nicht zu erschwehren sei. Die meisten Einträge betrafen jedoch die Revisions Präparatorien (908. Session vom 12. Dez. 1774), wie etwa in der 994. Session (8. Nov. 1775), als das Direktorium erneut darauf drängte, die Voten bezüg­lich der gesätz­liche[n] Behandlung deren Revisionen abzugeben. Auf die Recht sprechende Funk­tion der Visita­tion verweisen auch drei Beratungsgegenstände, die Rechtsfälle betrafen, in denen der Generalfiskal, also der Anwalt des Kaisers,31 involviert war. Sie deuten an, dass die Visita­tion auch eine Supplika­tionsinstanz war.32 Genauer dokumentiert sind demgegenüber die zahlreichen Sessionen, in denen sich die Visita­tion mit dem Finanzwesen des RKG auseinandersetzte. Die 83 Seiten bzw. 8 % des Gesamtumfangs können darauf zurückgeführt werden, dass sich die 26 Ebd., S. 104. Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 1 (1791), S. 362 schreibt: Der Bescheidtisch ist schon durch die älteren Gesetze gegründet, nachdem er aber in der Folge eingegangen, durch die letztere Visita­tion und die darauf erfolgten Reichsschlüsse wieder hergestellt worden. Er erwähnt auch (S. 363), dass nunmehr zum Bescheidtisch eine besondere Stube eingerichtet wurde. 27 Zu der Unterscheidung von Judicial- und Extrajudicialsachen siehe bereits A.1.3. 28 Vergleich stifften bey dem K. Rs. K. Gericht und die dahin gehörige Gegenstände betreff. 29 Die 2 % bei 14 Seiten sind aufgerundet. 30 Zweibrücken contra Baden-­Baden. 31 So die Kurzdefini­tion in Cameral-­Lexicon (1766), S.  45. Ausführ­licher Smend, Reichskammergericht (1911), S. 359 – 363 u. Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 50 f. 32 Siehe hierzu bereits A.1.3.

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Visita­tion zwar auch mit dem Armensäckel (2 Seiten), den Depositengeldern (3 Seiten)33 und den Rechnungen des Fiskals 34 (3 Seiten) beschäftigte. Weitaus mehr Einträge finden sich allerdings zur Pfennigmeisterei,35 also jener Einrichtung, die für die Verwaltung der von den Reichsständen zu entrichtenden Abgaben zur Finanzierung des Gerichts (Kammerzieler) zuständig war. Mit 67 Seiten ist dieser Beratungsgegenstand sogar der umfassendste des gesamten Verzeichnisses nach dem Kammerrichter (73 Seiten) und vor dem Spezialexamen (49 Seiten). Rechnet man die acht Seiten hinzu, die im Index unter dem Lemma Unterhalt des K. Rs. K. Gerichts und die dahin gehörige Gegenstände geführt werden, dann füllt dieser Beratungsgegenstand sogar die allermeisten Seiten. Dieser Umfang lässt sich damit erklären, dass für die Erhöhung der Assessorenzahl eine Erhöhung des Kammerzielers notwendig war. Die diesbezüg­lichen Beratungen der Visitatoren mündeten hierbei in den Beschluss, dem Reichstag zu berichten.36 Daneben hatte die Visita­tion die Rechnungen der Pfennigmeisterei zu überprüfen. Dies bedeutete, dass in der 164. Session vom 13. Mai 1768 insgesamt 54 Rechnungsbände vorlagen, ­welche die Rechnungen vom Ende der letzten Visita­tion (1713) bis zum Jahr 1766 beinhalteten. Um diese Bände und überdies die laufenden Abrechnungen seit Beginn der Visita­tion zu überprüfen,37 wurden vier Visitatoren dazu bestimmt, Gutachten zu erstellen, die dann im Plenum verlesen wurden.38 Mit den Assessoren Harpprecht und Reuss (bis zu seiner Suspendierung) gab es daneben zwei so genannte Kassendeputierte. Sie waren Teil einer beim RKG jähr­lich einzurichtenden Deputa­tion, deren Aufgabe darin bestand, provisorisch die Abrechnung der Pfennigmeisterei zu überprüfen.39 Die endgültige Überprüfung der Abrechnungen blieb jedoch der Visita­tion vorbehalten. Aus dem Index geht hervor, dass dies von der 672. Session (12. Febr. 1773) bis zur 700. Session (10. Mai 1773) der Fall war. So wurde dem Pfennigmeister, ausgehend von den Gutachten der Visitatoren, die Abrechnung der so

33 Deposita Judicialia (2 Seiten) und Passauer Hochstiffts Anleyh aus den kammergericht­ lichen Depositis von 9500 fl. (1 Seite). 34 Siehe hierzu Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 555 – 557. 35 Es findet sich auch die Schreibweise Pfenningmeisterei. 36 830. Session vom 18. Mai 1774. 37 VS vom 9. Juni 1769 (Session 310). 38 Konstanz, Baden-­Durlach, Stadt Nürnberg und Stadt Augsburg. Bei der dritten Klasse wurden vier neue Visitatoren benannt. Dies betraf das Hochstift Straßburg, Baden-­ Hochberg, die Stadt Überlingen und die Stadt Lübeck. 39 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 547 f.

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genannten Regensburger Korrespondenz,40 die Mitnahme von fremden Waren für die Frankfurter Messe 41 oder aber das Entleihen von Geld aus der Pfennigmeistereikasse verboten.42 Die Visita­tion wies ferner das Kameralkollegium an, seine Aufsichtspflicht besser wahrzunehmen,43 um etwa den Verlust von Rechnungsbeilagen zu vermeiden.44 Gerade der Ordnung wegen wurde indes beschlossen, die Akten der Pfennigmeisterei im Original oder zumindest in Abschrift in der Registratur des Fiskals zu verwahren.45 Überdies erhielt der Pfennigmeister in der 675. Session die Anweisung, ein Verzeichnis über die erforder­lichen Gerätschaften zu erstellen.46 Daneben erging die Anordnung, alle Sonderausgaben, die mit Quittungen oder anderen Scheinen belegt werden, nicht bloß durch Beylagen, sondern in der Rechnung selbsten zu bemerken,47 sowie generell ein Quittungsbuch zu führen.48 Und selbst in der 1055. Session ergingen noch fünf thematisch ähn­ liche Beschlüsse, wovon einer festlegte, das Papier, welches für die Quittungen erforder­lich war, nicht separat, sondern mit dem Budget für die Schreibmateria­ lien zu verrechnen sei.49 Das Finanzwesen des RKG beschäftigte die Visita­tion also viele Sitzungen. Die meisten Seiten des kurmainzischen Verzeichnisses lassen sich allerdings dem Personalwesen zuordnen. Während alle anderen Bereiche bis auf die Organisa­tion der Visita­tion zumeist die Realgebrechen des Gerichts betrafen, ging es hier vor allem um die Gebrechen der einzelnen Gerichtsangehörigen. Dies dokumentieren 535 Seiten, die sich auf 70 Beratungsgegenstände verteilen. Zu unterscheiden 40 675. Session vom 19. Febr. 1773. Vermut­lich handelt es sich hier um einen Informa­ tionsaustausch mit Akteuren am Regensburger Reichstag. 41 Der Kammerzieler war zu Frankfurter Frühjahrs- und Herbstmesse zu zahlen und musste entweder dort – Frankfurt war die sog. Hauptlegstadt – oder in Wetzlar gezahlt werden [Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 520 f.]. Wohl deshalb ging der Pfennigmeister anläss­lich der Messe nach Frankfurt. Siehe hierzu auch den Versuch der Visita­tion, die Sonderausgaben der Pfennigmeisterei einschließ­lich der Schreibmaterialien einzuschränken (VS Session 676 vom 9. Mai 1770). 42 699. Session vom 7. Mai 1773. 43 679. Session vom 8. März 1773. 4 4 673. Session vom 15. Febr. 1773. 45 672. Session vom 12. Febr. 1773. 46 VS vom 19. Febr. 1773 (Session 675), zitiert nach: Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion, Bd. 17: Pfennigmeisterei (1792), S. 72. Es ist anzumerken, dass die Zeit- und Sessionsangaben in dieser Visita­tionspublika­tion nicht immer übereinstimmen mit den Angaben im Index. Im Zweifelsfall wurde dem Index gefolgt. 47 VS vom 17. März 1773 (Session 683), zitiert nach: Ebd., S. 76. 48 VS vom 26. März 1773 (Session 687), zitiert nach: Ebd., S. 85 f. 49 VS vom 30. April 1776 (Session 1055).

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sind dabei Beratungsgegenstände, die einzelne Personen betrafen, und ­solche, die personenübergreifend angelegt waren. Zur letzteren Gruppe zählen etwa die Einträge über das Bücherschreiben (3 Seiten), die allzu große[...] Familiarität ­zwischen Assessoren und Anwälten (4 Seiten),50 die Personal­gebrechen der Anwälte (34 Seiten) oder ganz allgemein die Personalgebrechen (22 Seiten). Letztgenannter Beratungsgegenstand ist im Index bezeichnet mit den Worten Defectus Personarum Cameralium tam reales quam personales in Genere. Hier zu finden sind Einträge, ­welche die Beratungen der Visitatoren über den krankheitsbedingten Ausfall der Assessoren betrafen,51 oder aber der Hinweis auf ein kaiser­liches Reskript, das erging, weil ein Präsident in Abwesenheit des Kammerrichters den Titel eines Kammer Richter Amts Verweesers führte und überdies im Senat auf dem für den Richter vorbehaltenen Sitz mit Armlehnen saß.52 Zu nennen sind ferner die 45 Seiten, die in alphabetischer Reihenfolge anführen, wer wann einem Spezialexamen unterzogen wurde.53 Dies betraf die Gerichtsangehörigen, aber auch – so der erste Eintrag – einen Schreiber namens Adam die Sache ­Teutschmeister contra Oettingen und Assessoren von Papius betrf. (Spezialexamen Sess. 204 vom 6. Sept. 1768). Die meisten Beratungsgegenstände des Personalwesens waren jedoch einzelnen Personen zugeordnet. So finden sich 21 Lemmata, die mit den Worten Defectus Personarum Cameralium beginnen und dann in alphabetischer Ordnung unterscheiden (in specie) ­zwischen Assessor Albini (15 Seiten), Präsident Bassenheim (19 Seiten), Assessor Bürgel sen. (3 Seiten), Assessor Bürgel jun. (4 Seiten), Assessor Cramer von Clauspruch (4 Seiten), Assessor Johann Ulrich von C ­ ramer (8 Seiten), Assessor Harpprecht (11 Seiten), Präsident Kirchberg (5 Seiten), Assessor L’Eau (26 Seiten), Assessor Leipziger (5 Seiten), Assessor Loskant (2 Seiten), Assesssor Nettelbla (14 Seiten), Assessor Ortmann (2 Seiten), Assessor Papius (33 Seiten), Assessor Reuss (18 Seiten), Assessor Riedesel (4 Seiten), Kammerrichter Spaur (69 Seiten), Assessor Summermann (2 Seiten), Assessor Trott (2 Seiten) sowie Assessor Zillerberg (2 Seiten). Daneben gibt es 29 Seiten allein über Nathan Aaron Wetzlar und fünf Seiten zu weiteren Personen, die in den Korrup­tionsskandal um diesen jüdischen Sollicitanten verwickelt 50 Eintrag zur 231. Session vom 27. Okt. 1768. 51 825. Session vom 6. Mai 1774 und deren Folgesessionen. 52 498. Session vom 11. Jan. 1771. Nur wenn die Stelle des Kammerrichters unbesetzt war, durfte sich der ältere Präsident des Prädikats Kammerrichtersamtsverweser bedienen und auf dem Armsessel sitzen, der im Plenum und in den Senaten dem Kammerrichter vorbehalten war [Bostell, Grundsätze der kammergericht­lichen Praxis (1784), S. 35]. 53 Dieses Verzeichnis beginnt unter dem Eintrag Examen Speciale nach drei Seiten. Es nennt sich Series Examinum Specialium secundum Ordinem Alphabeticum.

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waren.54 Bedenkt man ferner die 31 Seiten, die sich dem Justitzschänderische[n] Korrup­tions ­Verbrechen zuordnen lassen, die den Fall Valloner Kartause contra ­Handelsmann Belli zu Frankfurt betrafen, und rechnet überdies die bereits angeführten Einträge über jene drei Assessoren hinzu (Papius, Reuss, Nettelbla), die wegen ­diesem Korrup­tionsfall suspendiert wurden, dann lassen sich insgesamt 130 Seiten zählen, die den so genannten Wetzlar-­Fall (also den Korrup­tionsskandal um den Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar) betrafen. Das sind 13 % aller Einträge im Verzeichnis und damit fast doppelt so viele wie der gesamte Bereich Organisa­tion des RKG oder aber genauso viele wie die Bereiche Finanzwesen, Kameralgesetze und Visita­tion als Rechtsinstanz zusammengenommen. Dieser quantitative Befund ist eindeutig. Er bestätigt, wie intensiv sich die Visitatoren allgemein mit dem Gerichtspersonal und im Speziellen mit dem Fall Wetzlar auseinandergesetzt haben. Zu bedenken ist frei­lich, dass sich manche Einträge mehrfach finden lassen, so gerade bei dem Fall Valloner Kartause contra Handelsmann Belli. Viele der dort geführten Einträge tauchen bei dem Sollicitanten Wetzlar oder aber den Assessoren Nettelbla, Papius und Reuss auf. Solche Überschneidungen können das quantitative Ergebnis verzerren, obgleich sie nur marginal sind und überdies etwas Grundlegendes verdeut­lichen: Das Verzeichnis strukturiert die Protokollmasse nicht nur durch die 159 Beratungsgegenstände, sondern ebenso durch s­ olche Mehrfachnennungen, die sich als Querbezüge begreifen lassen. Daneben lässt sich festhalten, dass das Verzeichnis sowohl quantitativ als auch qualitativ eine klare Sprache spricht. Dass näm­lich die Personaldefekte über Assessor Zillerberg nur zwei Seiten, die über Assessor Papius aber 33 Seiten füllen, bestätigt, dass Ersterer sich nahezu nichts zu schulden kommen lassen hatte und es bei Letzterem aus noch zu erörternden Gründen weitaus mehr Gesprächsbedarf gab. Zu resümieren ist ferner, dass sich die Visitatoren keineswegs „über alles mög­liche“ unterhalten haben, „nur nicht über das, was sie tun sollten“.55 Die Visita­tion hatte vielmehr eine Vielzahl an Aufgaben zu erfüllen, denen sie mit unterschied­licher Intensität nachging. Während die Auseinandersetzung mit den Kameralgesetzen oder den Suppliken auch deshalb nur minderwichtig war, da hier die Aufgaben in erster Linie an das RKG delegiert wurden, spielte die Organisa­tion des Gerichts, das Gerichtsverfahren sowie das Finanzwesen eine wichtige, wenn auch im Vergleich zum Personalwesen nur untergeordnete Rolle. Und selbst die Tatsache, dass die Visitatoren oftmals über die Eigenorganisa­tion 54 Cadalier Schutz Jude zu Franckfurt sonsten genannt Daniel Marx (1 Seite); Hoffmann Syndicus der Kayserl. freyen Reichs Stadt Franckfurth (2 Seiten); Pfeiffer Kauf und H ­ andels Mann zu Franckfurt (1 Seite); Sprenger Advocat zu Franckfurt (1 Seite). 55 Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997), S. 135.

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berieten und dies auch protokolliert wurde, kann nicht verwundern, wenn man an die Komplexität des Verfahrens, aber auch generell daran denkt, wie wichtig die (symbo­lische) Ordnung des Verfahrens für dessen Legitimität war.

E.2. Das Streben nach einer schnelleren Justiz Das kurmainzische Verzeichnis verweist nicht nur allgemein auf die Gegenstände, über die im Plenum beraten wurde und die zu Protokoll kamen, sondern ebenso auf die Beschlüsse, w ­ elche die Visitatoren in den neun Jahren gefasst hatten. In den folgenden Ausführungen sollen diese Beschlüsse auf Grundlage einer gedruckten Sammlung aus dem Jahr 1792 ausgewertet werden,56 um zu erörtern, inwiefern versucht wurde, die Arbeit des Gerichts zu beschleunigen. Dies geschieht in dem bereits angesprochenen Bewusstsein, dass das Streben nach einer schnelleren Justiz eine Forderung war, die als zeitlos zu begreifen ist.57 Aus ­diesem Grund lässt sich nur schwer­lich sagen, ob und inwiefern die Visita­tion von 1767 besonders eifrig um eine Beschleunigung der Gerichtsarbeit bemüht war. Dieser Eindruck drängt sich jedoch auf, wenn man bedenkt, dass ­zwischen 1767 und 1776 rund 50 Beschlüsse ergingen, deren Sinn und Zweck darin bestand, die Arbeit des RKG zu beschleunigen. Alle Beschlüsse finden sich im kurmainzischen Index unter den Arbeitsfeldern ‚Organisa­tion des RKG‘ und ‚Gerichtsverfahren‘ wieder. Die Spannbreite ist dementsprechend weit. Von dem Verbot sachfremder Beschäftigungen wie des Lesens von Zeitungen während der Senatssitzungen über die Einschärfung der Pünkt­lichkeit bis zur verbesserten Aktenordnung – es gab eine Vielzahl sehr unterschied­licher Beschlüsse, mit denen die Visitatoren versuchten, die kamerale Rechtsprechung effizienter, und dies hieß vor allem zügiger zu gestalten. In einem ersten Teil [E.2.1.] sollen jene Beschlüsse betrachtet werden, die darauf zielten, die Gerichtsakten im Sinne der Schriftaufwertung, aber auch im Sinne einer schnelleren, da zielgerichteteren Gerichtsarbeit besser zu ordnen. In einem zweiten Teil [E.2.2.] wird es um jene Maßnahmen gehen, die dazu dienten, die Justiz förder­liche[...] Kürze zu bestärken bzw. unnnöthige Weitläufigkeit[en] zu 56 [Borié], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion, Bd. 18: Schlüsse 1767 – 1776 (1792). Es handelt sich um eine fast unveränderte Neuauflage von [Balemann], Visita­ tions-­Schlüsse Bd. 1/2 (1779/80). Anzumerken ist, dass in ­diesem Abschnitt den Sessionsund Zeitangaben von Borié gefolgt wird, obgleich diese nicht immer übereinstimmen mit dem kurmainzischen Index. Auf einen korrigierenden Eingriff wurde jedoch verzichtet. 57 Siehe hierzu bereits A.1.3.

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vermeiden.58 Die folgenden Ausführungen werden tiefe Einblicke in das Funk­ tionieren oder auch Nichtfunk­tionieren des RKG gewähren. Mehrfach wird es dabei um Rela­tionen gehen. Hierbei handelt es sich um einen in der Regel aus drei Teilen bestehenden Vortrag,59 den die Assessoren aus den Prozessakten erarbeiteten und den sie in den Senaten hielten, um sich mit einem Rechtsfall auseinanderzusetzen. Nach dieser Rela­tion folgten in den Senaten die Korrela­tion, danach die Abstimmung und dann die Beschlussbildung durch den Senatsvorsitzenden.60 Vorab zu klären ist ferner, was unter einem Visita­tionsbeschluss zu verstehen ist. Ein Visita­tions(be)schluss bezeichnet alles, was formell im Plenum der Visita­tion, und das heißt im Rahmen eines Umfrageverfahrens, beschlossen wurde. Zu unterscheiden sind Visita­tions-­Conclusa und Visita­tions-­Dekrete. Während Erstere das ganze Gericht betrafen, richteten sich Letztere an einzelne Personen oder Personengruppen. Entsprechend dieser Unterscheidung gab es unterschied­liche Sammlungen an Beschlüssen, die nach dem förm­lichen Ende einer Visita­tion (und damit nicht im Jahr 1776) erstellt wurden: die Visita­tionsabschiede, ­welche die Visita­tions-­Conclusa sammeln, und die Visita­tionsmemoriale, ­welche die Visita­ tions-­Dekrete vereinen.61 Abschied und Memorial spielen hier für den vergleichenden Blick auf das Jahr 1713, aber auch auf das visita­tionsreiche 16. Jahrhundert eine Rolle. D ­ arüber hinaus wird in dieser Studie nur von Visita­tionsschlüssen gesprochen und auf die Binnendifferenzierung ­zwischen Conclusa und Dekreten verzichtet, da schon die Zeitgenossen dieser Unterscheidung nicht immer folgten. Anzumerken ist zudem, dass sämt­liche Visita­tionsschlüsse oder auch – so eine 58 VS vom 5. Dez. 1768 (Session 245), § 7. 59 Der erste Teil, genannt species facti, „begann mit der Parteienbezeichnung und nannte dann gewöhn­lich die Prozessgattung und den Streitgegenstand. Danach führte der Referent sogleich die wichtigsten, zur Entscheidung stehenden Punkte an“. Ziel d­ ieses Teils war es, die anderen Mitglieder des Senats in die Lage zu versetzen, „sich mög­lichst schnell einen vorläufigen Überblick über den Sach- und Streitgegenstand zu verschaffen“. Der zweite Teil, der extractus actorum, ging auf die einzelnen Umstände und speziellen Gründe des Prozesses ein. Er sollte den Votanten, also den anderen Mitgliedern des Senates, die nach der Rela­tion und Correla­tion über den Fall abstimmten, die wichtigsten Inhalte „der Prozeßschriften in zeit­licher Folge vermitteln und die verschiedenen Parteiauffassungen mit ihren Begründungen in gedrängter Form wiedergeben“. Unnötiges und Wiederholungen sollten stets weggelassen werden. Der dritte Teil, das votum referentis, bildete den Schluss einer Rela­tion „und endete mit dem Entscheidungsvorschlag des Referenten. Es wiederholte kurz den Sachverhalt, berührte dann die Formalien der Streitsachen und behandelte anschließend im Gutachterstil sehr weitläufig die streitigen Punkte“ [Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 128 – 130]. 60 Ebd., S. 149. 61 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 2 (1791), S. 397 f.

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Formulierung aus dem Jahr 1784 – Visita­tionsgesetze von Kaiser und Reich abgeändert werden konnten, bis dahin aber vom RKG zu befolgen waren.62 Zu guter Letzt ist vorauszuschicken, dass es sich bei den Beschlüssen um normative Vorgaben handelt, die zwar verbind­lich waren, und dies umso mehr, als manche mit dem Reichsschluss von 1775 eine Bestätigung fanden. Dennoch bleiben es Normen, die nur selektive Einblicke in die zu reformierende Gerichtspraxis gewähren. Und da es bekannt­lich nach 1776 keine Visita­tion mehr gab, ­welche die Umsetzung der Beschlüsse überprüfen konnte, und nur allgemein bekannt ist, dass das RKG in den 1780er und 1790er Jahren gut funk­tioniert hat, muss für die meisten Beschlüsse offen bleiben, ­welche Wirkung sie entfalteten. Die Beschleunigung des Prozesses blieb jedoch auch nach der Visita­tion ein wichtiges Reformanliegen.63 E.2.1 Wider die Unordnung der Gerichtsakten Gäben sie nur besser Achtung auf ihre Akten. Die guten Akten! Unter einem wahren Zaubercommando stehen sie! Ein Hokus Pokus, und sie ­verschwinden, ein anderes, und sie erscheinen wieder, ein drittes, und sie sind ganz vernichtet.64

Die zitierte Klage des Prokurators Zwierlein über die zauberhafte Welt der Gerichtsakten zeigt mit Nachdruck, dass die ordent­liche Führung und Verwahrung von Akten ein wichtiges Thema im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ war. Dies wusste auch Goethe. Mit seinen klagenden Worten über die Unordnung der Gerichtsakten hat der ehemalige Gerichtspraktikant nachhaltig ein, wenn nicht sogar das Negativbild des RKG geschaffen. Wört­lich heißt es in ‚Dichtung und Wahrheit‘: Ein ungeheurer Wust von Akten lag aufgeschwollen und wuchs jähr­lich, da die siebzehn Assessoren nicht einmal im Stande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend Prozesse hatten sich aufgehäuft, jähr­lich konnten sechszig abgetan werden, und das Doppelte kam hinzu.65 Die Forschung der letzten rund 30 Jahre hat d­ ieses wirkmächtige Bild von der Ineffizienz des RKG gerade auf Grundlage quantitativer

62 Bostell, Grundsätze der kammergericht­lichen Praxis (1784), S. 83. 63 So erließ im Jahr 1785 das Kameralkollegium einen Gemeinen Bescheid, der von den Parteien verlangte, bei schrift­lichen Eingaben sich der mög­lichsten Kürze zu bedienen und auf die nicht angemessene Weitläuftigkeit zu verzichten [Gemeiner Bescheid vom 18. März 1785, abgedruckt in: Brandis, Geschichte der Senate (1785), Anhang S. 20 – 23]. 6 4 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 292. 65 Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831), S. 527 (12. Buch).

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Untersuchungen relativiert.66 Damit ist natür­lich weder geklärt, wie genau d­ ieses goethesche Negativbild entstanden ist, noch, wann und in welchem Kontext es ­welche Wirkung entfaltete. Selbst die Frage, wie die bei Goethe nicht zu findenden Mäuse das Negativbild der kameralen Rechtsprechung beeinflussten (die Gerichtsakten hingen angeb­lich an Fäden, und nur, wenn die Mäuse die Fäden durchnagten, wurden sie bearbeitet),67 ist noch offen. Soweit zu sehen, ist sogar generell noch unerforscht, w ­ elche positiven oder negativen Bilder in der Geschichte das Tun oder Nichttun eines Gerichtes kommentierten und wie diese Bilder die Reputa­tion eines Gerichts beeinflussten. Übergeht man all diese Ungeklärtheiten sowie die Tatsache, dass der spätere Archivar Kestner das Archiv des RKG als Muster guter Ordnung und Einrichtung bezeichnete,68 dann lässt sich sagen, dass der sorgsame oder sorglose Umgang mit den Gerichtsakten ein wichtiger (stereotyper) Gradmesser für das Funk­tionieren oder eben Nichtfunk­tionieren eines Gerichtes war. Dafür spricht auch, dass die Visita­tion von 1767 besonders um die ordnungs­gemäße Verwahrung der Gerichtsakten bemüht war. Dies verdeut­licht der Beschluss über die Ablieferung und Verwahrung der Rela­tionen und Voten. Am 22. Dezember 1767 ordnete die Visita­tion an, künftig alle Rela­tionen und Voten nach ihrer Verlesung in den Senaten unverzüg­lich zu Protokoll zu geben und in der Leserei aufzuheben. Diese Bestimmung findet sich schon in älteren Reichsgesetzen wieder,69 wurde aber nur unzureichend umgesetzt. Im Beschluss von 1767 heißt es vielmehr, die Rela­tionen und Voten ­seien gegen den ausdrück­lichen Inhalt und Verordnung deren Gesezen nicht ordnungsgemäß abgegeben, sondern in den Privathäusern oftmals […] lange Zeit aufbehalten worden.70 Um diese schon 1713 beklagte Unordnung 71 zu beheben, verlangte die Visitation auch, dass die Assessoren noch vor Ende des Jahres alle bereits abgelegten Rela­tionen und Voten abgeben sollten. Da dies jedoch nur zöger­lich geschah, erging am 4. Februar 1768 die erste und am 9. September 1768 die zweite Erinnerung. Bei letzterem Beschluss hieß es sogar, die Assessoren hätten sich schrift­lich und standhaft 66 Siehe allen voran Ranieri, Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezep­tion (1985) u. Baumann, Gesellschaft der Frühen Neuzeit (2001). 67 So oder so ähn­lich lauten die Anekdoten, die ‚man‘ sich über das RKG erzählte und erzählt (siehe zu letzterem Reichshofrat und Reichskammergericht. Gespräch Auer/ Diestelkamp/Sellert (2004), Abschnitt 11 u. Loewenich, Kammerrichter (2011), Einleitung, S. 4). Ausführ­lich dargelegt ist die Anekdote bei Baumann, Darstellungen des Reichskammergerichts in Wort und Bild (2010), S. 54. 68 StadtA-Han. NL Kestner I. B.1 Tagebuch Teil 1 fol. 180, 31. Mai 1772. 69 Der VS vom 22. Dez. 1767 verweist explizit auf den JVA § 87, dieser wiederum auf den JRA § 150 sowie auf einen Visita­tions-­Abschied de Anno 1600. 70 VS vom 22. Dez. 1767 (Session 92). 71 JVA § 87.

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zu verantworten, wenn sie zu Hause Aktenmaterial, welches abzugeben war, noch verwahrt haben.72 Im März 1769 erließ die Visita­tion sogar einen eigenen Beschluss für die Aktenextrakte.73 Auch sie sollten sogleich nach der Verlesung der Rela­tionen abgegeben, säumige Assessoren innerhalb von drei Wochen genannt und über diese Vergehen eine Liste geführt werden. Für die Erstellung dieser Listen und überhaupt für die Umsetzung der angeführten Beschlüsse war der Kammerrichter verantwort­lich.74 Der besseren Ordnung der Kameralakten diente zugleich ein Beschluss, der vorschrieb, wie die Voten abzugeben ­seien. Die sehr unordent­lich[e] Praxis bestand näm­lich darin, dass die Voten häufig auf kleine Stücken Papier und Sollicitir­zettel geschrieben wurden. Die Visita­tion ordnete dagegen an, künftig einen Bogen Papier zu gebrauchen und diesen Bogen eigenhändig zu unterschreiben, damit Unordnung vermieden bleibe.75 Zur Ordnung der Schrift­lichkeit wurde zudem erlassen, die Distribu­tionsregister genauer als zeithero von den Präsidenten einsehen zu lassen.76 Diese Register erfassten, wann der Kammerrichter welchem Assessor ­welchen Prozess mit welchem Ergebnis zugeteilt hatte. Aufgabe der Präsidenten war es, anhand eines der beiden Register – neben dem Kammerrichter führte der Leser eines – die Ordnung der referierten Sachen zu überprüfen.77 Ebenso unzufrieden waren die Visitatoren mit der Führung der Senatsprotokolle. Die Visita­tion stellte näm­lich fest, dass sowohl die münd­lichen Beratungen auf Grundlage schon vorliegender Akten als auch die Anwesenheitsliste nicht ordent­lich geführt wurden. Deshalb beschloss die Visita­tion, 1.) bei münd­lichen Beratungen die verwendeten Aktenstücke im Protokoll der laufenden Sitzung zu verzeichnen, 2.) bei jeder Beratung die Anwesenheit der Senatsmitglieder sowie gegebenenfalls deren Zu- oder Abtritt zu bemerken und 3.) jeder Notar, der die Beratungen protokolliert, am Protokollende seinen Namen mit den Worten Me Notario Camerae N. N. anmerken soll.78 Diesen Beschluss zur bessere[n] Ordnung in denen Senats-­Protocollen erhielt der Kanzleiverwalter, der es den Notaren mitteilen sollte, als auch das Kameralkollegium, damit der Kammerrichter, die Präsidenten und die Assessoren über die Umsetzung fleissige Aufsicht [...] haben mögen.79 72 VS vom 9. Sept. 1768 (Session 205). 73 VS vom 21. März 1769 (Session 282). 74 Ebd. 75 VS vom 3. Juli 1770 (Session 437). 76 VS vom 31. Aug. 1770 (Session 446). 77 JVA §§ 63 u. 64. Zur Referierordnung siehe Wiggenhorn, ­Reichskammergerichtsprozeß (1966), S.  133 – 135. 78 VS vom 1. Febr. 1775 an den Kanzleiverwalter (Session 926). 79 VS vom 1. Febr. 1775 an das Kameralkollegium (Session 926).

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Doch auch die Protokolle des Plenums kritisierte die Visita­tion, da die dort geführten Voten nicht deut­lich und bestimmt genug gefasst wurden. Aus d­ iesem Grund forderte die Visita­tion das Kameralkollegium auf, künftig jedes Votum bestimmter und deut­licher zu protokollieren.80 Dieser Beschluss aus dem Jahr 1770 wurde fünf Jahre s­ päter dergestalt wiederholt, dass allgemein eingefordert wurde, die Führung der Plenumsprotokolle entsprechend den Vorgaben des JVA von 1713 besser zu beachten.81 Verwiesen wurde dabei auf § 27, der unter Bezugnahme auf einen Visita­tionsabschied aus dem Jahr 1577 vorsah, die Protokolle des Plenums ausführ­lich zu führen und spätestens am nächsten Tag in Gegenwart derer, die der Sitzung beigewohnt hatten, zu verlesen, um anschließend darunter die Worte Lectum & Approbatum zu vermerken. Zudem schrieb der JVA vor, die Plenumsprotokolle ordent­lich und nicht in den Häusern der Präsidenten, Beisitzer, Protonotare oder anderswo zu verwahren.82 Diese Bestimmungen wurden allerdings nur unzureichend umgesetzt. So war die Visita­tion insbesondere mit der Führung der Plenumsprotokolle dergestalt unzufrieden, dass in der 925. Session eigens beschlossen wurde, bei münd­lichen Beratungen statt dem Pauschalvermerk habito discursu die Meinungen sowie den Beschluss unter Angabe der Gründe anzugeben.83 Daneben wurde bezüg­ lich der Audienzprotokolle beschlossen,84 ein gesondertes Verzeichnis zu führen, aus dem hervorgehen sollte, wer einer Audienz vor- und beigesessen war, zu welcher Stunde die Audienz begonnen und geendet hat und w ­ elche Anwälte 85 nicht erschienen waren. Wie wichtig den Visitatoren die ordent­liche Führung der Protokolle, aber auch generell der ordent­liche Umgang mit den Akten war, verdeut­lichen abschließend zwei Beschlüsse, die in der hier zugrunde liegenden Beschlusssammlung mit den Worten Abforderung der Acten. Einsicht der Senats-­Protocolle 86 und Heftung und Foliirung der Akten überschrieben sind.87 Beide Beschlüsse ergingen in der 119. Session vom 22. Februar 1768 und gehören zusammen. Der letztgenannte 80 VS vom 28. Mai 1770 (Session 424). 81 VS vom 2. Jan. 1775 (Session 914). 82 JVA § 27. Bestimmungen zur Führung und Verwahrung der Plenumsprotokolle finden sich auch in dem VM von 1713 für den Kanzleiverwalter und die übrigen ­Kanzleipersonen (§§ 6 u. 8). 83 VS vom 30. Jan. 1775 (Session 925). 84 Siehe hierzu Smend, Reichskammergericht (1911), S. 326 – 329. 85 VS vom 31. Aug. 1770 (Session 446). 86 [Borié], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion, Bd. 18: Schlüsse 1767 – 1776 (1792), S. 57. 87 Ebd., S. 103.

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Beschluss bemängelte, dass zu schäd­licher Justiz-­Verzögerung und zum Nachteil der Parteien des Öfteren Aktenstücke verloren gegangen s­ eien. Als Grund führten die Visitatoren an, die Visita­tion von 1713 habe zwar beschlossen, die Akten zu heften und zu foliieren, also durchzunummerieren.88 Dies aber sei bis anhero gänz­lich ausser Achten gelassen worden. Deshalb wurde angeordnet, sämt­liche bereits ausgeteilten, aber von den Referenten unbearbeiteten Akten ohnverzüg­ lich zu heften und zu foliieren. Daneben durften fortan keine ungehefteten oder unfoliierten Akten ausgegeben werden.89 In einem eigenen, umfassenden Beschluss vom 22. Februar 1768 wurde ferner festgelegt, auf der ersten Seite eines jeden Schriftstückes, das dem Gericht übergeben werde, kurz und deut­lich einen Titel zu vermerken. Dies gelte auch für die schrift­liche Eingabe der Prozessparteien zu Beginn eines neuen Prozesses. Hier sei der Streitgegenstand kürz­lich zu bemerken, damit dieser im Archiv in fronte Protocolli übertragen werden könne. Ziel d­ ieses Beschlusses war es zum einen, den Akten einerley rubra zu geben, damit jeder sich leichter und schneller orientieren konnte.90 Zum anderen ermög­lichte es die einheit­liche Aufschrift zusammen mit der Heftung und Foliierung der Akten, eine bessere Aktenordnung zu wahren, als es bislang mög­lich war.91 Der Beschluss vom 22. Februar 1768 schrieb daneben vor, dass kein Assessor Akten mit nach Hause nehmen dürfe, außer, wenn diese Akten aufgrund einer Rela­tion zugeteilt wurden oder sie ein Votant nach einer abgelegten Rela­tion zur Erstellung eines Votums brauchte. Die Akten mussten dabei verschlossen von einem eigenen Diener hin und her [ge]tragen werden. Zur Vorbeugung des Unterschleifen[s] wurde zudem angeordnet, vom Diener einen eigenhändig unterschriebenen Schein der Leserey übergeben zu lassen.92 88 VM von 1713 für den Kanzleiverwalter und die übrigen Kanzleipersonen, § 22. 89 VS vom 22. Febr. 1768 (Session 119), Heftung und Folierung der Akten. 90 Ebd. 91 Das ‚alte‘ Ordnungssystem bestand aus dem sog. Quadrangulieren. Das bedeutete, dass die übergebenen Schriftstücke mit einer fortlaufenden Nummer versehen und dann – daher der Name – in einem Viereck eingeschlossen wurden [Cameral-­Lexicon (1766), S. 89]. Die Nummern wurden in den Prozessprotokollen vermerkt und die quadrangulierten Schriftstücke in die Akten gelegt [Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 121]. Den Zusammenhang ­zwischen Quadrangulieren, Heften und Folieren verdeut­licht das Cameral-­Lexicon (1766). Dort [S. 89] heißt es, dass das Quadrangulieren um so nöthiger ist, je weniger das sonst bequeme Heften und Foliiren der Acten üb­lich geworden. 92 VS vom 22. Febr. 1768 (Session 119), Abforderung der Akten u. Einsicht in die Senats­ protokolle.

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Es scheint so, als habe diese Anordnung jene Auseinandersetzung bezüg­lich der Leihscheine begründet, ­welche in der Einleitung dieser Studie dargelegt wurde. Zumindest ist deut­lich, dass in dieser Zeit der Leihverkehr für die kameralen Gerichtsakten eine neue schriftbasierte (Leihschein-)Fundierung erfuhr. Denn bis dahin war es ledig­lich üb­lich – so zumindest die Anordnung der Visita­tion von 1713 –, in einem Buch einzutragen, wann was wem zugestellt wurde.93 Nun aber, im Jahr 1768, wurde das Ausleihen von Gerichtsakten durch die Einführung des Leihscheins verbind­licher. Gerade dies musste wohl leidvoll Visitator Falcke erfahren. Die Einführung des Leihscheins ist dabei als Teil einer Vielzahl an Reformbeschlüssen zu begreifen, ­welche die Visita­tion erlassen hatte, um den Umgang und die Verwahrung des kameralen Schriftguts zu verbessern. Natür­lich würde es zu kurz greifen, alle diese Beschlüsse nur im Sinne einer Prozessbeschleunigung zu deuten. So diente die Vorgabe vom 22. Februar 1768, die Senats- und Plenumsprotokolle sowie die Akten, die jenseits des Referierens und des Votierens benötigt wurden, nur in der Ratsstube oder in der Kanzlei in Gegenwart eines Notars einzusehen, genauso dazu, das Gerichtsgeheimnis zu wahren. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße für die Anordnung, zu Hause die kammergericht­lichen […] Arbeiten jederzeit wohl [zu] verwahren oder aber, die Akten vor den Hausgenossen nicht offen liegenzulassen.94 Dessen ungeachtet ging es immer auch und bei vielen Beschlüssen in erster Linie darum, das Schriftwesen dergestalt zu ordnen, damit nicht mehr – so die klagenden Worte aus dem Jahr 1713 aufgrund der zahlreichen Aktenverluste – die Justiz öffters verzögert werde.95 E.2.2 Wider die Weitläufigkeit – wider die zeitliche Unordnung der Arbeits- und Ferienzeiten Es ist auffällig, wie sehr die Visitatoren darum bemüht waren – wie angeführt –, bei den Audienzen und bei den Senaten die An- und Abwesenheit der jeweiligen Mitglieder erfassen zu lassen. Für die Senate erging deshalb sogar ein eigener Beschluss an den Kammerrichter und ein weiterer Beschluss an die Präsidenten 93 VM von 1713 für den Kanzleiverwalter und die übrigen Kanzleipersonen, § 9. Siehe hierzu auch RKGO v. 1555, Teil I Tit. 30 § 7. 94 VS vom 22. Febr. 1768 (Session 119), Abforderung der Akten u. Einsicht in die Senats­ protokolle. Letztgenannter Beschluss findet sich schon in der RKGO von 1555, Teil I Tit. 13 § 17. 95 VM von 1713 für den Kanzleiverwalter und die übrigen Kanzleipersonen, § 22.

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und Assessoren. Sie alle sollten ihr verspätetes Erscheinen oder Nichterscheinen aufgrund einer Krankheit oder sonstiger Gründe mindestens eine Stunde vor Sitzungsbeginn anzeigen.96 Knapp vier Jahre s­ päter präzisierte die Visita­ tion aufgrund der nach wie vor zu beobachtenden eigenwillige[…] Entziehung vom Rathsgang, dass die Entschuldigung schrift­lich erfolgen müsse und keine Entschuldigung anzunehmen sei, die nicht ehehaftig und beweiß­lich dargethan worden. Und falls die vorgebrachten Gründe sich als nicht ausreichend erweisen sollten, müsse demjenigen, der die gesamte Sitzung über gefehlt habe, die Hälfte der Tagesbesoldung abgezogen werden. Falls überdies ein Senatsmitglied mehrmals ohne ehehafte Ursachen gefehlt oder sich an die vorgegebenen Zeiten nicht gehalten habe, solle der Kammerrichter diese Person ermahnen, und zwar das erste Mal in Gegenwart von zwei oder drei Assessoren, das zweite Mal im Beysein aller Assessoren. Sollten aber auch diese Schritte wider den Unfleiß nichts helfen, dann wurde der Kammerrichter dazu aufgefordert, in Rücksprache mit den anderen Beisitzern dem präsentierenden Kreis oder Reichsstand Anzeige zu erstatten, damit dieser das Gericht mit einem anderen taug­lichen Beysitzer versehe und ersetze.97 Wie wichtig den Visitatoren die ordnungsgemäße An- und Abwesenheit der Kameralen war, zeigt auch ein Beschluss, der die Urlaubszeiten auf Grundlage der RKGO von 1555,98 einem Visita­tionsmemorial aus dem Jahr 1586 und den JVA § 42 regelte.99 In insgesamt 13 Paragraphen wurde festgelegt, wann und unter ­welchen Umständen die Präsidenten und die Assessoren ihren sechswöchigen Urlaub nehmen durften.100 Verboten war es zum einen, Urlaub zu nehmen bei einer noch offenen Rela­tion oder Beratung. Zum anderen durften nicht vier Assessoren gleichzeitig Urlaub nehmen, außer in den Sommerferien. Hier jedoch, in den so genannten Canicular-­Ferien, sollten immer ausreichend Assessoren bei Gericht 96 VS vom 5. Sept. 1770 (Session 448) für den Kammerrichter und VS vom 5. Sept. 1770 (Session 448) für die Präsidenten und Assessoren. 97 In der Edi­tion ist dieser Punkt am Seitenrand mit den Worten überschrieben: Cassa­tion der Incorrigibilien [[Borié], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion, Bd. 18: Schlüsse 1767 – 1776 (1792), S. 77]. 98 RKGO von 1555, Teil I Tit. VII. 99 In dem VS vom 2. Sept. 1768 (Session 203) wird zudem pauschal verwiesen auf die sonstigen Vorschriften. Eine detaillierte Auflistung der relevanten Bestimmungen einschließ­lich des hier zugrunde liegenden Beschlusses führt Bostell, Grundsätze der kammergericht­ lichen Praxis (1784), S. 58 – 60 auf. Siehe insgesamt zu ­diesem Themenkomplex Sellert, Urlaub, Ferien und Arbeitsbelastung (2008). 100 Der Urlaubsanspruch des Kammerrichters – er betrug 14 Wochen [Bostell, Grundsätze der kammergericht­lichen Praxis (1784), S. 58] – war von dem VS nicht betroffen.

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sein, damit auf alle Nothfälle ein ganzer Senat bestellet werden könne.101 Festgelegt wurde ferner, dass die so genannte Venia Pleni, also eine Reise, die mehr als drei Tage andauert,102 nur vom Plenum genehmigt werden durfte. Diese Beschlüsse wie auch generell die Entscheidungen bezüg­lich der Urlaubsgesuche sollten im Plenums­protokoll eingetragen werden. Besonders zu vermerken waren dabei die Fälle, in denen es zur Ungebühr zu einem Urlaub kam, damit dies bey der jetzigen oder künftigen Visita­tion angezeigt und überprüft werden könne. Dazu gehörte auch der so genannte Präsidentenurlaub. Dieser den Präsidenten vorbehaltene Urlaub durfte zweimal im Jahr genommen werden und höchstens drei Tage dauern. Die ein bis drei Tage waren jedoch von der allgemeinen sechswöchigen Urlaubszeit abzuziehen, und zwar unabhängig davon, ob diese in diebus juridicis oder feriatis genommen wurden. Davon ausgenommen waren jedoch die Weihnachts-, Fastnachts-, Oster-, Kreuzwoch-, Pfingst- oder damit alle Ferien außer den Canicular-­Ferien. Zu keiner Zeit war es jedoch erlaubt, dass das ganze Directorium zugleich von dem Gericht abwesend seye.103 Wie sehr der Gang oder auch Nichtgang der Gerichtsarbeit von der Anwesenheit oder zumindest der geordneten Abwesenheit der Gerichtsangehörigen abhing, bringen daneben die Bestimmungen über die alltäg­liche Zeitordnung zum Ausdruck. Sowohl für die Audienzen als auch für die Sitzungen des ­Plenums und der Senate monierten die Visitatoren, dass diese einmal zu früh und einmal zu spät angefangen oder manche Sitzungen vorzeitig abgebrochen wurden. Aus d ­ iesem Grund sollte die Audienz mit dem Glockenschlag 2 Uhr anfangen und solange andauern, bis alle Rezesse abgehalten oder wenigstens zwey Stunden vergangen sind. Daneben ordneten die Visitatoren bezüg­lich der Audienzen an, dass kein ohnnöthiger oder weitläuftiger Receß zuzulassen sei.104 Bezüg­lich der Rezesse lässt sich darüber hinaus dreierlei festhalten: 1.) Bereits im Jahr 1659 wurde beschlossen, ein münd­lich vorgetragener Rezess dürfe nur drei Zeilen 105 und ein schrift­lich überreichter Rezess nur 16 Zeilen lang sein.106 Ein Jahr ­später findet sich für die schrift­lichen Rezesse eine erhöhte Vorgabe von 38 Zeilen.107 Dessen ungeachtet musste 2.) nicht nur die Visita­tion im Jahr 1768, sondern auch das Kameralkollegium im Jahr 1785 mittels eines Gemeinen 1 01 VS vom 2. Sept. 1768 (Session 203). 102 Cameral-­Lexicon (1766), S. 118. 103 VS vom 2. Sept. 1768 (Session 203). 104 VS vom 18. Jan. 1768 (Session 104). 105 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 117. 106 Cameral-­Lexicon (1766), S. 94. 107 Ebd.

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Bescheides gegen das zu weitläufige Rezessieren vorgehen. Doch selbst nach 1785 lassen sich 3.) noch viele „unnötige, überflüssige, unbedeutende und lange Rezesse“ feststellen.108 Pünkt­lichkeit und der effizientere Gebrauch der vorgesehenen Zeit waren Reformmaximen, w ­ elche die Visita­tion auch bei den Senaten und dem Plenum durchsetzen wollte. Ende Oktober 1767, bei der herannahenden Winterszeit, sahen es die Visitatoren für ersprieß­lich und nöthig an, die Senatssitzungen nicht zwei, sondern drei Stunden abzuhalten.109 Die Vorsitzenden der Sitzungen sollten zudem stets gut vorbereitet sein, damit die kostbare Zeit nütz­lich angewendet werde. Daneben gestanden zwar die Visitatoren bezüg­lich der Senatssitzungen nach einer dreistündigen Sitzung den so tapfern Männern [...] einige Ruhe zu. Dessen ungeachtet dürfe bei einer im Abschluss befind­ lichen Sache nicht alsofort bey dem Glockenschlag aufgestanden und ­auseinander gegangen werden.110 Etwas anders gelagert war die Bestimmung bezüg­lich des Plenums. Da diese nicht die ‚eigent­liche‘ Gerichtsarbeit der Senate betraf, wurde wohl erstmals im Jahr 1577 angeordnet, die Plenarsitzungen dürfen die gewöhn­lichen Senatssitzungen nicht stören.111 Diese Forderung wiederholten der JVA § 17 sowie die Visita­tion im Jahr 1767, indem im Rückgriff auf bereits ergangene Ordnungen und Gesetze, so allen voran die ältere[n] und jüngere[n] Visita­tions-­Abschiede, daran erinnert wurde, die Plena nicht ohne Noth abzuhalten. Daneben sollten die Beratungen in guter Ordnung ruhig gepflogen und die zu beratende Materie einen Tag vorher angesagt werden. Ferner ordneten die Visitatoren neuer­lich an, die Plenumssitzungen entweder vor oder nach diesen oder gar nur in den post festis oder in den ­ lenumssitzungen, kleinen Ferien abzuhalten.112 Und schließ­lich galt auch für die P dass diese zwar pünkt­lich beginnen, aber mit dem Glocken­schlag nicht enden sollten, wenn dies die zu beratende Materie erfordere.113 Wie sehr die Visita­tion um die sinnvolle Zeitnutzung beim RKG bemüht war, bestätigt eindring­lich ein Beschluss, der in der hier zugrunde liegenden Sammlung mit den Worten Zerstreuung und Nebengeschäfte während der 108 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 117. 109 VS vom 27. Okt. 1767 (Session 62). Diese Bestimmung wurde mit einem weiteren VS vom 17. Nov. 1769 (Session 359) bestätigt. 110 VS vom 27. Okt. 1767 (Session 62). 111 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 28 verweist auf ein VM aus dem Jahr 1577. 112 Zu den Ferienzeiten des Gerichts siehe A.2.1. 113 VS vom 27. Okt. 1767 (Session 62).

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Delibera­tion überschrieben ist.114 Ausgangspunkt war, dass, wohl beim Examen, verschiedent­lich angezeigt wurde, dass in den Senaten bei der Verlesung der Akten­ extrakte auf- und abgegangen oder sonstige Supplica­tiones und Bescheidtischsachen vorgenommen wurden. Es sollen sogar manche Assessor sich mit Zeitung und Bücherlesen beschäftiget haben. Diese Nebenbeschäftigungen und Unordnungen sollten die Senatsmitglieder auf Anordnung der Visita­tion abstellen, um nicht die fleissige[...] Zuhörung und Erwägung derer vorkommenden Gerichtshändeln zu behindern.115 Mit ­diesem Beschluss angesprochen ist, dass beim RKG ebenso wie bei der Visita­tion viel Zeit darauf verwendet wurde, Schriftstücke zu verlesen. Schon im Jahr 1577 klagte die Visita­tion über das langwürige[...] referiren und dictiren der Voten, wodurch für einige Sachen gantze Wochen, zu Zeiten auch 2, 3 oder 4 Monath gebraucht wurden.116 Aus d­ iesem Grund ordnete diese Visita­tion an, das Diktieren der Voten 117 und 1654 das Diktieren der Rela­tionen zu unterlassen.118 Das Verlesen jedoch blieb. Und da dies immer dergestalt langsam geschehen sollte, damit die Zuhörer mög­lichst viel adnotieren können,119 und überdies für die Rela­tionen um 1800 bekannt ist, dass diese „oftmals einen Umfang von 60 – 80 handschrift­lich eng beschriebenen Seiten“ hatten,120 kann es nicht verwundern, dass das Verlesen von Schriftstücken häufig mehrere Sitzungen beanspruchte.121 Die Visita­tion von 1767 reagierte auf diesen unliebsamen Zeitverlust, indem sie anordnete, bei den Aktenextrakten und damit dem umfassendsten Teil einer Rela­tion  122 alles zu vermeiden, was zu Erläuterung und Ausführung der gemeinen Rechte vorgebracht werden könne.123 Daneben wurde für den ersten (species facti) und dritten Teil (votum referentis) einer Rela­tion angeordnet, auf keinen Fall nach der historisch oder juristischen Gelehrsamkeit zu trachten. Noch mehr

114 [Borié], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion, Bd. 18: Schlüsse 1767 – 1776 (1792), S. 67. 115 VS vom 11 Jan. 1771 (Session 498) an das RKG. Schon das Konzept der RKGO von 1613 verbot das Aufstehen und Umhergehen. Siehe hierzu Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 144. 116 VM von 1577 § 8, abgedruckt in: Abschiede der Visita­tionen (1686), S.  120 – 126. 117 VM von 1577 § 12 (siehe Anm. 116). 118 JRA § 143. 119 JRA § 143. 120 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 132 f. 121 Ebd., S. 138 f. 122 Ebd., S. 132. 123 VS vom 5. Dez. 1768 (Session 245), § 8.

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jedoch solle man die ohnnöthigen Allega­tionen der Rechte oder Rechtsgelehrten vermeiden. Gerade dies näm­lich würde die Zeit verderben.124 Diese verhältnismäßig drastischen Worte verweisen darauf, dass der ‚Feldzug‘ gegen die Gerichtsweitläufigkeit in dieser Zeit eine neue Dimension erreicht hat. So war man generell in dieser Zeit um eine exaktere Rechtssprache bemüht. Als Losung galt: Gesetze „müssten kurz und deut­lich und in verständ­licher Sprache abgefasst werden; dazu kamen als weitere Bedingungen etwa Deut­lichkeit bzw. Sprachrichtigkeit, Einheit des Stils und Vermeidung alles Überflüssigen“.125 Den Visitatoren war die Beseitigung der Weitläufigkeiten beim RKG sogar derart wichtig, dass sie einmal persön­lich einen Senat und das Plenum besucht hatten, um Einblicke in die (in-)effiziente Gerichtsarbeit zu bekommen 126 – eine sehr außergewöhn­liche Maßnahme, um reformrelevantes Wissen zu generieren.127 Die Beseitigung der Weitläufigkeit beim RKG gerade im Referieren und Votieren war demgegenüber ein Reformanliegen, welches über Jahrhunderte vom Visita­ tionsmemorial von 1577128 über den JRA und den JVA 129 bis in die hier zu behandelnde Zeit und darüber hinaus 130 Bestand hatte. Gegen das schnellere Referieren und Votieren sprach, dass das langsame Verlesen der Rela­tionen und der Voten, falls diese ausführ­licher waren,131 in einer Gesellschaft, die nach wie vor auf Anwesenheit und Münd­lichkeit orientiert war, nicht einfach durch ein Schriftstück ersetzt werden konnte. Denn auch

124 Ebd. 125 Pállinger, Gesetz (2006), Sp. 730. 126 VS vom 4. Dez. 1767 (Session 83). 127 Woher die Visitatoren ihr Wissen bezogen, ist einerseits im Kapitel D dargelegt. Andererseits geht dies auch aus den Visita­tionsbeschlüssen hervor. So heißt es etwa, dass man in denen Protocollis pleni verschiedent­lich [VS vom 28. Mai 1770 (Session 424)] oder in den Cameral-­Protocollen mehrfältig befremd­lich [etwas] ersehen habe [VS vom 9. Juni 1770 (Session 440)]. An anderer Stelle heißt es in Bezugnahme auf das Examen, dass verschiedent­lich angezeigt worden, daß etc. [VS vom 11. Jan 1771 (Session 498)]. Oft jedoch heißt es ledig­lich, die Visita­tion habe vernehmen müssen [VS vom 10. Nov. 1770 (Session 479)], mißbeliebig wahrgenommen [VS vom 16. Mai 1774 (Session 829)] oder erfahren müssen [VS vom 18. Jan 1768 (Session 104)]. 128 Wobei zu überprüfen wäre, wann im 16. Jahrhundert erstmals die Beseitigung der Weitläufigkeit auf der Reformagenda einer Visita­tion stand. Das VM von 1577 war zumindest Bestandteil des Visita­tionsgedächtnisses im ‚tintenklecksenden Säkulum‘. Es taucht auf im VS vom 5. Dez. 1768 (Session 245), § 10. 129 JVA §§ 71 u. 72. 130 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 141. 131 Zum Umfang der Voten ebd., S. 145 f.

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wenn es, wie bei der Visita­tion,132 theoretisch die Mög­lichkeit gab, im Vorfeld etwa ein Aktenextrakt zu vervielfältigen oder d ­ ieses zur Einsichtnahme zu hinterlegen, um darauf aufbauend über den Inhalt zu sprechen, so war es doch erst die Münd­lichkeit und damit die Stimme des Referenten oder Votanten, die den verschrift­lichten Inhalt autorisierte. Entscheidend war zudem, dass das Verlesen in dem dafür vorgesehenen Raum (also hier in einem Senatszimmer) erfolgte und nur hier das Protokoll geführt wurde.133 In ­diesem Sinne beschloss die Visita­tion schon im Jahr 1572, Voten, die nicht in den Senaten abgegeben wurden, stracks zu verbieten.134 Dieses Verbot hängt womög­lich auch damit zusammen, dass es der konkrete Raum zwar nicht ausschließ­lich, aber doch vor allem ermög­lichte, das Arkanum zu wahren. Durch das Verlesen war es zudem möglich, sogleich über die Inhalte zu sprechen im Wissen darüber, dass jeder zumindest prinzipiell über die gleichen Informa­tionen verfügte. Letztendlich überprüften beim Verlesen der Aktenextrakte zwei nichtreferierende Votanten sowohl die Aktenstücke als auch das Prozessprotokoll. Damit sollte verhindert werden, dass „ein falscher Aktenextrakt die Grundlage für die Abstimmung bildete“.135 Das Verlesen von Schriftstücken war also ein entscheidender Bestandteil für die Beratungen vormoderner, und das heißt von den Distanzmedien Schrift und Druck noch nicht selbstverständ­lich erfasster Gesellschaften. Aus d­ iesem Grund wurde die zeitintensive Verlesepraxis selbst oder vielleicht auch gerade von der letzten RKG-Visita­tion nicht hinterfragt. Denn das Verlesen von Schriftstücken schuf Orientierung im Dickicht der schweigenden Schriftmassen. Die Reformbemühungen der Visita­tion zielten vielmehr darauf, statt dem Verlesen an sich die zu verlesenden Schriftstücke zu beschränken. Es wurde sogar erwogen, den Aktenextrakt abzuschaffen.136 Eingeschränkt werden sollten auch, wie bereits zitiert, die ohnnöthigen Allega­tionen der Rechte oder Rechtsgelehrten. Daneben waren die Correla­tionen rechtzeitig abzufassen.137 Da gerade diese Gutachten nicht ordnungsgemäß abgelegt wurden, ordnete die Visita­tion außerdem an, das Factum und das Votum – der Aktenextrakt fehlte gewöhn­lich bei der 132 Es wird hier an die Ausführungen zur Visita­tion angeknüpft. Siehe vor allem D.3. 133 Zu den Senatsprotokollen Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 7 – 9 u. S. 146. 134 VM von 1572 § 6, zitiert nach Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 142. 135 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 137. 136 Ebd., S. 130. 137 VS vom 22. Jan. 1776 (Session 1021).

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Correla­tion  138 – schrift­lich mit eigener Hand geschrieben oder wenigstens unterschrieben aufzusetzen.139 Darüber hinaus war die Correla­tion nach ihrer Verlesung zum Protokoll abzugeben. Diese auf Gründ­lichkeit und Nachprüfbarkeit bedachte Anordnung kostete unweiger­lich Zeit. Gerade deshalb findet sich im gleichen Beschluss die Anordnung, eine Correla­tion, die mit der Rela­tion übereinstimme, zur Schonung der Zeit ledig­lich zum Protokoll zu geben und nicht zu verlesen.140 Gleiches galt für die Voten. Wenn diese mit dem Vorschlag der Referenten oder Correferenten übereinstimmen, genüge es, sich ohne Vortrag mit einem Placet ad Protocollum zu äußern.141 Die Maxime, unnöthige Weitläufigkeit zu vermeiden und sich einer Justiz förder­lichen Kürze [zu] befleissigen,142 galt neben den Assessoren auch für die Advokaten und Prokuratoren. Aus ­diesem Grund sollten deren schrift­liche Eingaben viele Weitläuftigkeiten und unnöthige Disputa­tionen vermeiden. Ziel war es, wie schon der JRA § 34 verfügt hatte, das Factum kurz und nervose [kräftig; A. D.], jedoch deut­lich, distincte und klar vorzutragen.143 Zudem sollten sich die Gebühren für die erstellten Schriften nicht nach der Bogenzahl richten, sondern nach der Geschick­lichkeit, die Sache kurz und nervose vorzutragen.144 Ob und wie genau diese Anordnung umgesetzt wurde, ist nicht bekannt. Sie ist jedoch in Abgrenzung zur Gebührenordnung zu sehen, w ­ elche die Visita­tion von 1713 erließ. Dort näm­lich war festgelegt, dass ein Anwalt pro Bogen, der deut- und leß­lich beschrieben sein musste, 8 kr. verlangen dürfe.145 Im Jahr 1768 erging ferner die Anordnung, alles, was einer Sache nicht dien­lich sei, bey Straf 2 Mark Silbers zu übergehen.146 Dies galt ebenso für Beilagen oder überzäh­ligen Schriften, wodurch nicht selten die Akten zur Ungebühr sich häufen. Um diese Unordnung der Akten sowie deren Weitläufigkeit zu vermeiden, wurde gleichfalls 138 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 132. 139 VS vom 21. Jan. 1771 (Session 502). 140 Ebd. Dies schrieb schon der JRA § 148 vor. 141 VS vom 5. Dez. 1768 (Session 245), § 9. Zu den Voten in den Senaten siehe Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 145 f. 142 VS vom 5. Dez. 1768 (Session 245), § 7. 143 Ebd., § 1. Die Paragraphen 1 – 5 des Visita­tionsschlusses vom 5. Dez. 1768 (Session 245) sollten eigens mit einem Gemeinen Bescheid veröffent­licht werden. Dies geschah am 11. Jan. 1769. 144 Ebd., § 2. 145 VM von 1713 für die Advokaten und Prokuratoren, § 17 Taxa Laborum Punkt 14. Siehe insgesamt zu den Einkünften der Prokuratoren Baumann, Advokaten und ­Prokuratoren in Wetzlar (2006), S. 81 – 88. 146 VS vom 5. Dez. 1768 (Session 245), § 3.

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eine Geldstrafe verhängt.147 Ebenso ­seien weitläuftige Recess[e] mit einer Strafgebühr zu ahnden. Noch schwerer wog die Drohung, die Rezesse ohne weitere Rücksicht aus dem Protocoll ausstreichen zu lassen.148 Wie wichtig gerade den Visitatoren der 1760er und 1770er Jahre die Beseitigung oder Vermeidung von Weitläufigkeiten war, verdeut­licht abschließend ein Beschluss bezüg­lich der Proberela­tionen. Hierbei handelt es sich um einen seit 1570 vorgeschriebenen Vortrag, den angehende Assessoren im Rahmen einer fach­ lichen Eignungsprüfung ablegen mussten.149 Neu 150 war dabei die Bestimmung, keine ohnnüze ordnungswidrige in ohnerheb­liche Dinge sich ausbreitende Weitläufigkeit zu gebrauchen.151 Diese Anordnung wider die mangelhafte Kürze 152 führt vor Augen, wie nah unerwünschte Weitläufigkeit und erwünschte Gründ­lichkeit, die hier ex negativo als mangelhafte Kürze in Erscheinung tritt, beisammen lagen. Damit zeigt sich erneut, dass Weitläufigkeit nie absolut war, sondern immer erst mit und durch das wertende Urteil der Betrachter entstand. Mit dem Beschluss bezüg­lich der Proberela­tionen bestätigt sich schließ­lich, dass die Schrift in den Jahren der letzten RKG-Visita­tion eine Aufwertung erfuhr. Denn erstmals in der keineswegs ­kurzen Geschichte des Gerichtes wurde angeordnet, das Spezialexamen der angehenden Assessoren zu protocolliren und das abgehaltene Protocoll wohl aufzubehalten.153 E.2.3 Der Reichsschluss von 1775 Die soeben behandelten Einzelbeschlüsse versuchten auf unterschied­lichste Weise, die Gerichtsarbeit zu beschleunigen. Anders hingegen der Reichsschluss von 1775. Aufbauend auf Einzelbeschlüsse und Gutachten der Visita­tion sowie 147 Ebd., § 4. 148 Ebd., § 5. 149 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 337. 150 Dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn man den hier zugrundeliegenden Beschluss liest. Bestätigt wird dies durch den JVA. Die relevanten Stellen (§§ 22 u. 25) enthalten keinen Hinweis auf die Kürze oder Länge der Proberela­tionen. 151 VS vom 27. Sept. 1768 (Session 214), § 6. 152 Ebd. 153 Ebd., § 8. Zudem (§ 9) wurde angeordnet, dass gleich nach dem Ende des Examens binnen dreier Tage jeder Assessor, der bei dem Examen anwesend war, ein schrift­liches Votum ablegen musste, welches zu dem Protocoll verschlossen abgegeben werden sollte. Dass das Spezialexamen erst seit 1768 protokolliert werden musste, bestätigt Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 337 (Anm. 358).

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unter tatkräftiger Mitwirkung des RKG entwarf er ein regelrechtes Programm zur Reform des RKG. Gegen Ende des Jahrhunderts galt der Reichsschluss vom 23. Oktober/15. Dezember 1775 sogar als eine der bedeutendsten Folgen der 1776 getrennten Visita­tion.154 Er soll im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Zunächst soll deut­lich werden, in welchem Maße das am 15. Dezember vom Kaiser ratifizierte Gutachten des Reichstages, das dieser am 23. Oktober vorgelegt hatte, als Ergebnis der Visita­tion begriffen werden kann. Aus ­diesem Grund ist es erforder­lich, in einem ersten Schritt [E.2.3.1.] jenen mühsamen Weg zu skizzieren, der 1775 in dem Reichsschluss mündete. Die zu beschreibende Komplexität des Beratungsganges dokumentiert die im Anhang (unter Punkt 7) zu findende Arbeitskette. Sie resultierte in erster Linie daraus, dass es bei dem Reformvorhaben um eine grundlegende Neuausrichtung der kameralen Rechtsprechung ging, die einer intensiven und breit angelegten Erörterung bedurfte. Inhalt­lich ging es bei diesen Beratungen, die zum Reichsschluss führten, um die Senate. Sie werden schwerpunktmäßig als zweites behandelt [E.2.3.2.]. Für das Verständnis grundlegende inhalt­liche Aspekte werden jedoch bereits unter [E.2.3.1.] erörtert. E.2.3.1 Der mühsame Weg zum Reichsschluss Seit den Anfängen des RKG war es üb­lich, Streitfälle nicht im vollen Rat, sondern in Senaten zu behandeln. Neben zwei außerordent­lichen Senaten, die mit fiska­lischen Streitsachen und dem Vormundschaftswesen betraut waren, gab es zwei Arten von ordent­lichen Senaten, die Extajudicial- und Judicialsenate.155 Die Extrajudicialsenate, von denen es bei einer Assessorenzahl von 17 insgesamt vier gab, sollten mit je vier Mitgliedern besetzt sein und über die Zulässigkeit einer Klage entscheiden.156 Die Judicialsenate waren mit einem Prozess von der Reproduk­tion, also der Anzeige, dass ein Prozess am RKG anerkannt und verkündet sei,157 „bis zur Endentscheidung über die Klage“ betraut.158 Für diesen umfassenderen Teil des Gerichtsverfahrens waren sechs und in wichtigen Fällen sieben oder mehr Beisitzer vorgesehen. Die Gerichtspraxis wich jedoch dahin 154 Corpus Iuris Publici (17947), S. 1525. Im Folgenden wird der dortige [S. 1525 – 1539] Abdruck des Reichsschlusses verwendet. Er ist u. a. auch zu finden bei Pütter, Neuester Reichsschluß (1776) oder Schlüsse des Pleni (o. J.). 155 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 29. 156 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 1 (1791), S. 323. 157 Cameral-­Lexicon (1766), S. 99. 158 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 99.

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ab, dass die Judicialsenate höchstens aus sechs und manchmal auch nur aus fünf Mitgliedern bestanden hatten.159 Gleiches galt für die Extajudicialsenate. Sie waren manchmal nur mit drei oder gar mit zwei Mitgliedern besetzt, was die Visita­tion scharf rügte.160 Die beiden Judicialsenate ergaben sich dadurch, dass die Mitglieder der vier Extrajudicialsenate miteinander kombiniert wurden. Diese Kombina­tion führte der Kammerrichter durch, was jedoch gleichfalls kritisiert wurde, da hier willkühr­lich agiert werden konnte.161 So war es eigent­lich vorgesehen, die Senate höchstens jedes halbe Jahr zu wechseln. 162 In der Praxis ging man aber dazu über, zu jeder einzelnen Sache jedesmal von neuem besondere Senate aufzustellen.163 Diese „relative Freiheit“ bei der Zusammenstellung der Senate, aber auch, wie noch zu zeigen ist, bei der Auswahl der Referenten, „ermög­lichte das Einwirken verfahrensfremder Motive und gefährdete so die Autonomie des Reichskammergerichtsverfahrens“.164 Für Reformbedarf sorgten ebenso die so genannten Rekurrenzen. Hierbei handelt es sich um Sachen, die „während eines Prozeßabschnittes mehrmals zur Entscheidung“ anstanden und zur Vermeidung von „Verwirrung und abweichenden Entscheidungen“ von demselben Senat entschieden werden sollten.165 Die Schwierigkeit bei ständig wechselnden Senaten bestand darin, alle Mitglieder eines Senats wieder zusammenzuführen. Dies konnte leicht notwendig sein, wenn eine Rela­tion noch nicht beendet war und ein Mitglied des Senates verreist oder krank war. In ebendiesem Sinne sind auch die bereits dargelegten Bemühungen der Visita­tion zu begreifen, die Urlaubszeiten zu ordnen. Denn durch das willkühr­liche Ausbleiben oder Verreisen war ein Senat unvollständig und konnte eine Rekurrenzsache nicht bearbeitet werden.166 Zudem kam es bei Judicial­sachen häufig vor, dass zwar eine Rela­tion, nicht aber die Sache entschieden war, weshalb ein neuer­liches Zusammentreten notwendig wurde. Denn entweder erging nur ein Zwischenbescheid oder aber es war nach einem bereits ergangenen Spruch notwendig, über neu aufgekommene Fragen zu referieren. Es konnte aber auch passieren, dass nach Endurtheilen bald Declara­tion oder Restitu­tion gesucht, bald über Liquidi­tion und über andere zur Execu­tion gehörige Dinge von 1 59 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 1 (1791), S. 324. 160 VS vom 9. Juli 1770 (Session 440). 161 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 1 (1791), S. 324 f. 162 RKGO von 1555, Teil I Tit. 10 § 11. 163 Pütter, Freymüthige Betrachtungen über die Senate (1772), S. 18. 164 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. II.5.2., S. 101. 165 Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 105. 166 Pütter, Freymüthige Betrachtungen über die Senate (1772), S. 22.

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neuem Streit entstanden.167 Im Ergebnis bedeutete dies, dass viele Sachen zwar rekurrent waren, aber nicht erörtert wurden, da die entsprechenden Senate nicht zusammentreten konnten.168 Schließ­lich gab es bei den Senaten Probleme mit der Referierordnung. Vorgesehen war, dass jeder Assessor reihum referierte, und zwar auf Grundlage der Akten, die der Kammerrichter so zu verteilen hatte, „dass alle Assessoren etwa gleich mit Arbeit belastet waren und nicht etwa einer mehrere besonders komplizierte Prozesse bearbeiten musste“.169 Dieser Ermessensspielraum des Richters verkam jedoch in der Gerichtspraxis – so die klagenden Worte Pütters – zur blossen Willkühr, indem der Richter nach seinem Gutfinden bestimmte, welcher Assessor in welcher Sache zu referieren hatte.170 Das RKG bedurfte also einer Reform, die 1.) die Einführung ständiger Senate, 2.) die Abschaffung der Rekurrenzordnung und 3.) die Herstellung der gesetzmäßigen Referierordnung umfasste. Diese drei Punkte, w ­ elche miteinander in einer unzertrenn­lichen Verbindung stehen,171 konnten jedoch nicht mit einem Federstrich durchgesetzt werden. Es war vielmehr notwendig, sich intensiv sowohl über die Problemlage als auch über mög­liche Lösungswege auseinanderzusetzen. Erschwerend kam hinzu, dass die Reform eine erheb­liche Beschneidung der Befugnisse des Kammerrichters bedeutete. Denn die Ernennung der Referenten war neben der Einteilung der Senate sein größte[s] Vorrecht.172 Aus ­diesem Grund begann zwar die Visita­tion in der 140. Session vom 26. März 1768 mit den Beratungen über besagte drei Punkte und formulierte in der 145. Session einen Beschluss, der in insgesamt 16 Paragraphen versuchte, die Unordnungen und Verhinderungen des Referirens durch die Einschärfung der bestehenden Verordnungen zu beseitigen.173 Die kaiser­liche Kommission wollte jedoch die dadurch bedingte Einschränkung der Vorrechte des Kammerrichters nicht hinnehmen und verweigerte die Ratifizierung des Mehrheitsbeschlusses. Gleiches traf auf den Beschluss der 185. Session zu. Er war das Ergebnis von Beratungen über die Rekurrenzen, ­welche die Justitz merk­lich verzögert[en], und sah entsprechend den bestehenden gesetz­lichen Vorgaben vor, die Senate höchstens alle 167 Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769), S. 29. Auch bei den Extrajudicialsachen traten häufig Rekurrenzen ein. Siehe hierzu ebd. 168 Malblank, Anleitung Reichsverfassung Bd. 1 (1791), S. 326. 169 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. II.5.2., S. 101. 170 Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769), S. 51. 171 Brandis, Geschichte der Senate (1785), S. 88. 172 Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769), S. 50. 173 VS vom 11. April 1768 (Session 145), § 6.

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halbe Jahre zu wechseln.174 Beschlossen wurde außerdem in der 185. Session, die Reichsgesetze keineswegs dahin auszudehnen, eine Rekurrenzsache nur deshalb nicht vorzunehmen, weil ein Senatsmitglied etwa aufgrund einer Krankheit fehle. Hier müsse der Kammerrichter vielmehr einen neuen Beisitzer benennen. Wider die Gesetze sei es auch, einen bestehenden Senat zur Bearbeitung rekurrierender Sachen zu zerreißen. Um dies zu vermeiden, müsse nach dem Willen der Visitatoren eine s­ olche Sache an jenen Senat verwiesen werden, in dem der bisherige Referent sitze. Hier solle dann die Sache unter Hinzuziehung des Correferenten oder aber, wenn der Referent fehle, nur von dem Correferenten und dessen Senat bearbeitet werden.175 Aber auch diesen Mehrheitsbeschluss der 185. Session wollte die kaiser­liche Kommission nicht ratifizieren, da er nach deren Lesart so tue, also ob hier ein Mißbrauch geschehen sei. Als Argument wurde zudem und in erster Linie vorgebracht, dass es sich um eine willkühr­liche Interpreta­tionem Legum handle, die das Innerste[…] der Gerichts-­Verfassung betreffe.176 Die Gegenseite argumentierte hingegen mit tatkräftiger Unterstützung Pütters, dass es sich hier um die zulässige Herstellung bereits vorhandener Gesetze handle.177 Um diesen Konflikt zu lösen, wurde schon in der 148. Session beschlossen,178 einen Bericht an den Kaiser zu richten. Nach intensiven Beratungen, die auch um die eingehenden Antworten des laufenden Examensverfahrens und ein Gutachten des Kammerrichters kreisten,179 sowie nach dem nichtratifizierten Beschluss bezüg­lich der Rekurrenz, erging am 16. Juli 1768 ein Bericht an den Kaiser, der am 9./20. August 1768180 mittels eines Hof-­Decrets dem Reichstag vorlag. Mit ­diesem Hof-­Decret war der Reichstag, der schon im Jahr 1766 über die Angelegenheit beraten hatte,181 die entscheidende Instanz, um das Senatswesen am RKG zu reformieren. Ziel war es, die angeführten drei Problemkreise im 174 VS vom 23. Juni 1768 (Session 184). 175 Ebd. 176 Erklärung KK vom 27. Juni 1768 (Session 185). 1 77 Pütter, Bestimmung des Kaiser­lichen Ratifica­tions-­Rechts (1769). Siehe hierzu auch [Schrötter], Beobachtungen zu Pütters Ratifica­tions-­Recht (1770) u. Ratifica­tions-­Recht bey Schlüssen der Visita­tion (1778). 178 148. Session vom 15. April 1768. 179 Dieses Gutachten lag am 26. Mai 1767 vor. Es wurden auch weitere Gerichtsangehörige gehört. 180 Das erste Datum bezieht sich auf den Erlass und das zweite Datum auf das Diktat des Erlasses. 181 Und zwar aufbauend auf den kurmainzischen Berathschlagungspunkten (1764), Punkt 12 (Referierordnung) u. 13 (beständige Senate). Die Beratungen auf dem Reichstag erwähnt Brandis, Geschichte der Senate (1785), S. 99 f.

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Umfeld der Senate zu lösen.182 Es würde allerdings zu kurz greifen, nur den Reichstag als Motor der Senatsreformen zu begreifen. Die im Anhang (unter Punkt 7) befind­liche ‚Arbeitskette‘ zeigt vielmehr, dass sich nach wie vor die Visita­tion, aber ebenso das Kameralkollegium intensiv mit der Ordnung des Senatswesens auseinandergesetzt hat. Dies rührt daher, dass der Kaiser die Wetzlarer Reformakteure bewusst einband, indem er sowohl vom RKG als auch von der Visita­tion einen gutacht­lichen Bericht einforderte, um die Beratungen auf dem Reichstag zu erleichtern.183 Damit verdichtete sich jene Dreiecksbeziehung, die für alle Visita­tionen so charakteristisch war.184 Bedenkt man zudem, dass die Zeitgenossen gerade die vielen gelehrten Privatschriften als wichtigen Motor des Reichsschlusses begriffen,185 und berücksichtigt man überdies die territoriale Verankerung aller Ebenen, dann tauchen hier jene vier Reformsphären auf, die bereits ausführ­lich besprochen wurden. Die Arbeitskette kann die gesamte Komplexität der Entwicklungen hin zum Reichsschluss nicht erfassen. Sie kann jedoch in reduzierter Form deut­lich machen, dass nach dem Hof-­Decret vom 9./20. August 1768 punktuell und verstärkt nach dem Commissions-­Decret vom 24./27. Februar 1768 und allen voran nach dem Commissions-­Decret vom 31. Januar/5. Februar 1770 auf dem Reichstag über die Senatsreformen beraten wurde.186 Beide Commissions-­Decrete dienten dazu, dem Reichstag ein Gutachten des Kameralkollegiums bzw. einen Bericht der Visita­tion mitzuteilen, die der Kaiser erhalten hatte. Der Bericht, der am 13. Dezember 1769 von der Visita­tion beschlossen, zwei Tage s­ päter vom Direktorium aufgesetzt und am 31. Januar/5. Februar 1770 dem Reichstag einschließ­lich 200 eng bedruckter Protokollseiten mittels eines Commissions-­Decretes mitgeteilt wurde, kann als vorläufiger Schlusspunkt der Visita­tionsberatungen über die Senate begriffen werden. Dem Bericht gingen dabei Beratungen von insgesamt 22 Sessionen (seit dem 11. September 1769) voraus. Die Visitatoren schlugen überdies gleichermaßen vor, die Anzahl der Assessoren entsprechend dem Reichsschluss von 1719 auf 25 zu erhöhen. Dieser Vorschlag wurde vom Reichstag aufgegriffen und führte dazu, dass am 3. August 1770 ein Reichsgutachten vorlag, das sich für die Erhöhung der Assessorenzahl aussprach. Die Stände baten den Kaiser daneben darum, von der Visita­tion und dem RKG einen genaueren Bericht einzufordern, „wie die Zahl der Assessoren am schnellsten 182 Hof-­Decret, 9./20. Aug. 1768. 183 Ebd. 184 Siehe hierzu die Einleitung. 185 Brandis, Geschichte der Senate (1785), S. 94. 186 Rohr, Reichstag (1968), S. 144 – 147, S. 209 – 214 sowie hier die Angaben unter Anm. 189.

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erhöht und wie ihre Besoldung sichergestellt werden könne“.187 Diese Bitte wurde der Visita­tion am 31. August 1771 (Sess. 446) mitgeteilt und führte hier wiederum zu – bei der Arbeitskette gleichfalls nicht mehr angeführten – intensiven Beratungen, bis am 13. Januar 1772 (Sess. 629) ein entsprechender Bericht vorgelegt werden konnte. In der Folge begannen dann auf dem Reichstag jene Beratungen, die den Reichsschluss von 1775 dergestalt vorbereiteten, dass nicht nur über die Senatseinteilung, die Rekurrenz und die Referier­ordnung, sondern auch über die Vermehrung der Beisitzer und den Unterhalt des Gerichts beraten wurde.188 Alle fünf Punkte (Senatseinteilung, Rekurrenz, Referierordnung, Vermehrung der Beisitzer und Unterhalt) finden sich im Reichsschluss wieder, der – dafür steht die Arbeitskette – als ein Gemeinschaftswerk von Reichstag, Visita­tion und RKG 189 zu begreifen ist. E.2.3.2 Die Inhalte des Reichsschlusses und ein resümierender Blick auf die Reformmaxime der Prozessbeschleunigung Der Reichsschluss von 1775 lässt sich als der Reformhöhepunkt der Visita­tion begreifen, der durch die Zusammenarbeit von Kaiser und Reich, RKG und Visita­tion entstanden war. Seine 34 Paragraphen sollen im Folgenden vorgestellt werden. Die ersten Paragraphen des Reichsschlusses betrafen die Ordnung der Referenten. Für die bereits verteilten oder noch zu verteilenden Sachen legte der Reichsschluss fest (§ 4), bei der Ablegung einer Rela­tion den vorgesehenen Turnus zu beachten (§ 1) und hiervon nur in dringenden Fällen abzuweichen (§ 2). Um die Ordnung der Aktenverteilung und damit die Referierordnung zu wahren (§ 4), wurden die Prokuratoren angewiesen (§ 5), ein Verzeichnis aller Sachen anzulegen, die sie bedienten. Aus ­diesem Verzeichnis sollte hervorgehen, in welchem Jahr und Monat sowie an welchem Tag eine Sache beim RKG angebracht und wann und in welchem Punkt eine Entscheidung getroffen worden ist.

187 Ebd., S. 210. 188 Ebd., S. 227 – 234 u. S. 238 (Mai 1772 bis März 1774) sowie S. 241 – 266 ( Juli 1773 bis Okt. 1775), wobei ab Juli 1773 „doppelgleisig […]“ [ebd., S. 241] sowohl über die Reform­ inhalte als auch über die Ablösung der ersten Klasse diskutiert wurde. 189 Das Kameralkollegium fundierte sowohl die Beratungen auf dem Reichstag als auch im Visita­tionsplenum. Dies geschah dergestalt, dass für die Visitatoren eigene Gutachten erstellt wurden, aber auch diverse Voten der kameralen Plenumsprotokolle vorgelegt werden musste. Mit ­diesem Informa­tionspaket begannen bei der Visita­tion in der 333. Session vom 11. Sept. 1769 die diesbezüg­lichen Beratungen.

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Zudem sollten die Sachen mit wenigen Worten beschrieben werden. Besonders zu bemerken sei dabei die Gattung der privilegierten […] oder ordinairen Sachen, und zwar deshalb, weil zugleich der Leser über die privilegierten Sachen 190 ein besonderes Register anzulegen habe. Entsprechend dieser in einem Register eingetragenen Informa­tionen sollte die Verteilung der noch unverteilten Akten vorgenommen werden, allerdings erst, nachdem der Referent die Angaben des Prokurators überprüft habe.191 Falls hierüber Zweifel bestünden oder aber Sachen, die momentan ruhten, wieder betrieben würden, dann war der Senat angehalten, mit dem Senatsvorsitzenden die Klassifika­tion vorzunehmen. Eine ­solche Klassifika­tion wurde auch angeordnet für den Fall, dass ein laufender Prozess eine andere Qualität annehmen sollte (§ 5). Sodann sah der umfassendste aller Paragraphen vor (§ 6), die Verteilung der Akten jeden Samstag nach den Ratsstunden in Gegenwart der Beisitzer vom Kammerrichter oder bei dessen Abwesenheit vom jeweiligen Direktor vornehmen zu lassen. Der Leser sollte dabei nicht nur die Akten aushändigen, sondern ein kurzes Protokoll führen, damit eine künftige Visita­tion daraus ersehen könne, in wie ferne diese gesetz­liche Vorschrift befolget worden sey. Aus d ­ iesem Protokoll sollte ebenso hervorgehen, warum ­welche Sache gesondert verteilt wurde. Dies war vorgesehen für Sachen, die u. a. Connexitatem causae haben, die also zusammenhingen,192 Rekurrentsachen oder Fälle, w ­ elche die Kameralen oder deren Angehörige betrafen. Gleiches traf auf die so genannten gefreiten, also besonders förderungswürdigen Sachen, zu.193 Auch sie sollten gesondert verteilt werden, wenn ein Ungleichgewicht z­ wischen den Senaten herrschte. Ansonsten aber waren die zu verteilenden Sachen in drei Stapel zu unterteilen, und zwar dergestalt, dass eine Gleichheit geschehe und in einem Stapel so viel wichtige, schwere und weitläuftige Sachen kommen als in den andern. Danach sollte ein 190 Privilegierte Streitsachen „waren u. a. causae alimentorum, pupillorum, fractae pacis publicae, captivorum, execu­tionum und ,andere da periculum in mora, oder merck­lich und viel daran gelegen, als auch beschwerter und betrübter Leut‘. Dazu gehörten auch die Armensachen und die Rechtsstreitigkeiten, an denen Kameralpersonen beteiligt waren. Ferner zählten zu den privilegierten Streitigkeiten die fiska­lischen Sachen, die Streitigkeiten über Formalitäten einer Appella­tion, causae spolii und ‚alle Sachen Mandatorum poenalium‘“ [Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 133]. 191 Was nicht einfach war, weil es bis in die letzten Jahre des RKG erheb­liche ­Schwierigkeiten gab, die Listen von den Prokuratoren einzufordern. Siehe hierzu Fuchs, Sollicitatur (2002), S.  83 – 85. 192 Siehe hierzu Cameral-­Lexicon (1766), S. 30. 193 Ebd., S. 49.

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vom Leser zu ziehendes Los 194 darüber entscheiden, welcher Senat w ­ elchen Stapel erhielt. Neben diesen Regelungen bezüg­lich der Aktenverteilung ­zwischen den Senaten schrieb § 4 vor, wie die Akten innerhalb der Senate zu verteilen ­seien. Dies näm­lich sollte gleichfalls am Samstag nach den Ratsstunden geschehen. Dabei war neben der Gelegenheit der Sache und der Geschick­lichkeit der Beysitzer auch darauf zu achten, die Parteien nicht verkürzt, vernachtheiliget oder beschwer­licher Weise aufzuhalten und die ältesten oder sonst gefreyten Sachen [...] vor andern referieren zu lassen. Ebenso umfassend geregelt wurden die so genannten Rekusa­tionen, also die Mög­lichkeit der Parteien, einen Beisitzer als Referenten oder Votanten abzulehnen.195 Dies durfte nur schrift­lich geschehen (§ 8). Daneben (§ 9) wurde unterschieden z­ wischen Rekusa­tionen, die die Amts-­Handlung des Recusati insgeheim oder nur eine einzelne Sache betrafen. Während bei ersterem Fall ausführ­liche Gründe vorzulegen waren, die der Kammerrichter nach Vorschrift der K. G.O und J. R. A. zu überprüfen hatte, wurde bei letzterem Fall entweder darauf vertraut, dass dem rekusierten Beisitzer der Fall nicht zugewiesen werde; in d­ iesem Fall sollte der Kammerrichter die Rekusa­tion in geheim behalten. Oder aber, wenn die entsprechende Akte bereits verteilt war und die rekusierende Partei ihre Ablehnung bestärkte, dann sollte der rekusierte Beisitzer vernommen werden und d­ arüber nach Gestalt und Wichtigkeit der Ursachen der Kammerrichter entweder zusammen mit den Präsidenten und einigen alterfahrenen Beisitzern oder aber im gesamten Plenum entscheiden. Bezüg­lich der alten und neuen Rekurrentsachen wurde angeordnet (§ 10), diese in dem Senat vorzutragen, in dem der Referent sitze, und zwar selbst dann, wenn ein oder mehrere Senatsmitglieder den bisherigen Beratungen nicht beiwohnten. Eine pragmatische Lösung fand der Reichsschluss auch bezüg­lich der Correferenten (§ 11). Bei der Abänderung der Senate sollte einfach ein neuer Correferent aus dem Senat des Referenten ernannt werden. Ähn­liches galt für die ehemals in Stimmengleichheit geratenen Sachen oder aber für abgebrochene Rela­tionen. Diese wären neuer­lich in dem Senat vorzubringen, in dem der Referent sitze (§ 12). Und wenn künftig (§ 13) Paria in einem Senat bestand und diese auch noch nach der zweiten oder dritten Umfrage nicht behoben werden konnte, dann war entsprechend den Regelungen des § 14 ein anderer Senat hinzuzuziehen. Wenn dies aber immer noch keine Stimmenmehrheit bringen sollte, dann musste die Sache

194 Siehe hierzu neuerdings Stollberg-­Rilinger, Entscheidung durch das Los (2014). 195 Pütter, Freymüthige Betrachtungen über die Senate (1772), S. 22 f.

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an das Plenum gelangen. Dabei wurde die Vorgabe der RKGO,196 dass 3 gegen 5 Vota paria ausmachen, aufgehoben (§ 15). Zu den wichtigsten Bestimmungen des Reichsschlusses zählte § 16. Er legte fest, die Einteilung der Senate aufgrund einzelner Sachen abzustellen. Stattdessen wurde angeordnet, entsprechend der Anzahl der Beisitzer (aktuell 17 und nach der angedachten Erhöhung 25) zwei oder drei beständige Senate zu acht oder neun Beisitzern einzurichten. Neu war auch, dass keiner der Senate ohne sehr wichtige Ursachen geändert werden durfte. Der Senatsvorsitz sollte stattdessen jähr­lich ­zwischen dem Kammerrichter und den beiden Präsidenten wechseln, wobei Ersterer auch das Recht hatte, die Senate, denen er nicht vorstand, zu besuchen, ohne allerdings eine Entscheidung zu beeinflussen. Falls (§ 17) der Kammerrichter oder die Präsidenten verhindert ­seien, ihren Senat zu leiten, solle diese Aufgabe wie bisher der vorderste Beysitzer unter Beibehaltung seines Votums und, falls dieser Re- oder Correferent sei, der darauf folgende Beisitzer übernehmen. Wie wichtig die Neueinteilung der Senate war, unterstreicht die Bestimmung (§ 18), diese noch in Anwesenheit der Visita­tion vorzunehmen. Der Kammerrichter hatte dabei schrift­lich der Visita­tion die Pläne zur Senatseinteilung vorzulegen. Falls jedoch zu dieser Zeit keine Visita­tion mehr existirte, dann sollte über den Entwurf ein Spezialgremium bestehend aus dem Kammerrichter, den beiden Präsidenten und acht zu wählenden Assessoren unter Wahrung der Konfessionsgleichheit entscheiden. Falls nun aber doch (§ 19) aus sehr wichtigen Gründen, die jedes Mitglied des Kammeralkollegiums vorbringen durfte, eine Änderung der beständigen Senate notwendig war, dann musste hierüber gleichfalls das Spezialgremium beraten. Es sollte der Frage nachgehen, ob alle oder nur ein Senat zu ändern war, und wie die zu ändernden Senate neu zu bestellen waren. Für beide Fragen war eine zu protokollierende Abstimmung nach einer festen Reihenfolge – zuerst die Beisitzer, dann der Präsident und abschließend der Richter – vorgesehen. Die Stimmenmehrheit sollte entscheiden. Geregelt wurde zudem, dass der Kammerrichter zwingend anwesend sein musste. Die Präsidenten hingegen durften von den Beisitzern gleicher Konfession ersetzt werden. Mit den ständigen Senaten fielen die Judicial- und Extrajudicialsenate weg. Stattdessen (§ 20) sollten diese Sachen von jedem Senat bearbeitet werden. Angeordnet wurde, die Judicialsachen im Beisein von sechs Beisitzern abzuurteilen und die Extrajudicialsachen niemalen von wenigern, aber auch nicht von mehreren als 6 Beysitzern behandeln zu lassen. Wenn die Streitfälle jedoch ausschließ­lich privatos mediatos betrafen, dann reichten vier Beisitzer aus. Die ‚überschüssigen‘ Beisitzer 196 Part I Titel 13 § 10.

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wiederum, die zur Vollständigkeit eines Senates nicht benötigt wurden, sollten die Bescheidtischsachen erledigen (§ 21).197 Der optimalen Ausnutzung der personellen Ressourcen dienten auch § 22 und § 23. Sie betrafen die außerordent­lichen Sessionen, die angeordnet werden sollten, wenn die gefreiten und Extrajudicialsachen in den ordent­lichen Senatssitzungen nicht erledigt werden konnten. Daneben wurden die Urlaubszeiten nochmals unter Verweis auf den Grundsatzbeschluss der Visita­tion vom 2. Sept. 1768 (Sess. 203) eingeschärft (§ 24 und § 25).198 Um die Assessoren nicht an ihren Amtsgeschäften [zu] hindern, wurde außerdem die Abfassung und Verlegung von Büchern verboten, besonders dann, wenn sie einen am RKG anhängigen Fall betrafen (§ 27). Kritisiert wurde schließ­lich der Repräsenta­ tionsgeiste, welcher der unpartheyischen gleich durchgehenden Justiz in mehrfältiger Art schäd­lich sey (§ 26). Gemeint war damit das grundsätz­liche Problem, dass, so Sigrid Jahns, die Assessoren sich mehr als „Diener und Präsentatus eines bestimmten Reichsfürsten bzw. des Kaisers“ und weniger als Diener „an einem von Kaiser und Ständen gemeinschaft­lich getragenen obersten Gericht“ verstanden.199 Von herausragender Bedeutung war schließ­lich die Bestimmung, bis nächstkünftigen Ostern 1776 die Anzahl der Assessoren auf 25 zu erhöhen (§ 30). Um diese Erhöhung, aber auch die Einstellung eines zweiten Kameralarztes (§ 31) zu finanzieren, regelten die letzten drei Paragraphen die Erhöhung der Unterhaltszahlungen (§ 32, § 33 und § 34). Gesondert zu erwähnen sind schließ­lich die §§ 3, 28 und 29. Letzterer Paragraph ordnete an, nach dem Ende der laufenden Visita­ tion in einem dreijährigen Turnus eine Visita­tion durchzuführen. Damit wurde nicht weniger versucht, als an das visita­tionsreiche 16. Jahrhundert anzuknüpfen und damit das Visita­tionsideal der Zeit zu erfüllen. § 3 sah vor, dass das RKG über die Klassifizierung der gefreiten Sachen Vorschläge zu erstellen hatte, die dann die Visita­tion für den Kaiser begutachten sollte. Und auch § 28 beinhaltete einen weiterführenden Auftrag für die Visita­tion. Er stellte in Aussicht, dass der Reichstag über die Umsetzung weiterer Reformen beraten werde. Um aber diese

197 Zum Bescheidtisch siehe E.1.2. Dass die überschüssigen Assessoren von den Senaten abtraten, „falls die Mindestzahl der Senatsmitglieder erreicht war“, belegt Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 31. 198 Im Reichsschluss ist von der 202. Session die Rede. In dieser Sitzung wurde jedoch kein Beschluss bezüg­lich des Urlaubs gefasst. Ein solcher erging erst in der 203. Session. Ob die 203. Sitzung jedoch bereits am 2. Sept. 1768 stattfand, so wie es Borié bzw. Balemann angeben, kann mit dem kurmainzischen Index bezweifelt werden. Dort fand die 202. Session am 2. Sept. und die 203. Session am 5. Sept. statt. Siehe zu dieser Problematik Anm. 56. 199 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 192.

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Beratungen zu befördern, wurde die Visita­tion erneut angewiesen, insgesamt zwölf Punkte zu begutachten. Dies betraf u. a. die Pfennigmeistereirechnungen, die Postfeste, die Gebührenordnung sowie die Mandatsprozesse.200 Zu begutachten hatte die Visita­tion ferner den Missbrauch der Rekurse, die Zusammenlegung der Rekurse und der Revisionen, den Missbrauch der Sollicitatur sowie die Schärfung der Strafe der Corrup­tion. All diese Punkte sowie insgesamt die beiden letztgenannten Paragraphen verdeut­lichen, dass der Reichsschluss von 1775 zwar als ein Höhepunkt und in vielen Bereichen sogar als der Schlusspunkt vieler Reformvorhaben zu begreifen ist. Das Ende der Reform war jedoch noch lange nicht erreicht. Mit der Anordnung, die ordent­lichen Visita­tionen wiedereinzuführen, sollte die Visita­tion und mit ihr die Reform des RKG sogar zur Dauernorm werden. Ebendieses aber, eine normative Anordnung, die geduldig auf dem Papier stand, blieb die jähr­liche Visita­ tion. Und auch ansonsten ist festzuhalten, dass die wichtigsten Bestimmungen des Reichsschlusses nicht oder erst nach vielen Jahren umgesetzt wurden. Dies betraf zum einen die Erhöhung der Assessorenzahl. Erst im Jahr 1782 erfolgte die Einberufung von acht neuen Assessoren.201 Zum anderen wurde die Reform der Senate und damit das „Herzstück der neuen Geschäftsordnung“ nicht im Sinne des Reichsschlusses von 1775 umgesetzt.202 Nachdem schon die Visita­tion wenige Monate vor ihrer Trennung die Unterscheidung z­ wischen Judicial- und Extrajuducialsenaten bestätigte und damit die Umsetzung des § 20 aufgeschoben hatte,203 hat dies im Jahr 1788 ein Reichsschluss bekräftigt. Der Reichsschluss von 1788 korrigierte somit den Reichsschluss von 1775. Man kann auch davon sprechen, dass der eine Reichsschluss den anderen Reichsschluss vollendete, da hier ausgehend von der kameralen Verfahrenspraxis sowie unter Verwendung von Gutachten des Gerichts 204 zentrale Beschlüsse angepasst wurden. So findet sich im Jahr 1788 der Beschluss, § 20 von 1775 dahin zu interpretieren, die Judicialsachen in drei ständigen Senaten zu acht bzw. neun Mitgliedern vorzunehmen

200 Mandatsprozesse sind Prozesse, die „gewöhn­lich ein offenkundig rechtswidriges V ­ erhalten des Beklagten [betrafen], das das RKG vorbehalt­lich einer etwa begehrten Nachprüfung in einem späteren Verfahren zunächst durch ein Mandat abzustellen suchte“ [Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 82]. 201 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 296. 202 Ebd., S. 604 (Anm. 7). 203 VS vom 15. Jan. 1776 (Session 1018). 2 04 Im Reichsschluss von 1788, Abschnitt I ist von eigenen gutacht­lichen Berichten des Gerichts die Rede. Hier verwendet wird der Abdruck in Corpus Iuris Publici (17947), S.  1554 – 1560.

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und jeweils von sämt­lichen Mitgliedern entscheiden zu lassen. Ledig­lich bei gesetz­ lichem oder nothwendigem Außenbleiben eines Mitgliedes war es erlaubt, mit sieben oder sechs, aber niemals mit wenigern zusammenzutreten. Bezüg­lich der Extra­ judicialsenate nahm man ebenfalls eine wichtige Ergänzung oder Abänderung des Reichsschlusses von 1775 vor. Da näm­lich die Erfahrung gelehrt habe (!), dass die überschüssigen Beisitzer an dem – eigens bestätigten 205 – Bescheidtisch keine hinläng­liche Beschäftigung finden, wurde angeordnet, durch das erwähnte Spezial­ gremium (Kammerrichter, Präsidenten und acht Assessoren beider Konfessionen) vier beständige Extrajudicialsenate zu sechs bzw. sieben Mitgliedern einrichten zu lassen. Jeder Extrajudicialsenat musste sich aus je zwei bzw. drei Mitgliedern eines jeden Judicialsenates zusammensetzen.206 Der Reichsschluss von 1788 genehmigte schließ­lich die eigent­lich gegen den wahren Sinn des jüngsten Reichsschlusses gerichtete Praxis, Extajudicialsachen, die ausschließ­lich mediate Parteien betrafen, in sechs kleinen Senaten zu vier bzw. fünf Mitgliedern zu behandeln.207 Es ist deut­lich, dass im Jahr 1788 ausgehend von den Erfahrungswerten, die nach dem Reichsschluss von 1775 gemacht wurden, die Reformbeschlüsse ergänzt oder abgeändert wurden. Es kann auch von einer Reformpraxis gesprochen werden, die im Wechselspiel von normativer Anordnung und praktischer Umsetzung entstand. Gleiches galt für die Erhöhung der Assessorenzahl, deren Umsetzung ebenso Zeit bedurfte wie die schon lange ausstehende und schließ­lich 1781 realisierte Berichtigung des Präsenta­tionsschemas.208 All dies kann natür­lich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin viel Reformbedarf gab. Dies verdeut­licht gleichfalls der Reichsschluss von 1788, der vom RKG jene Gutachten einforderte, die nach dem Reichsschluss von 1775 § 28 die Visita­tion vorlegen sollte.209 Ähn­liches lässt sich für die Senate feststellen. Selbst nach der Reform der Reform hielt ein Assessor „die Reform des Spruchkörpers für unzureichend und sagte voraus, daß ‚neue Beschwer­ lichkeiten und Zweifel‘ entstehen werden“.210 ­Unzureichend war daneben der im Reichsschluss von 1775 zu findende Hinweis, eine Rekusa­tion sei aufgrund der

205 Reichsschluss von 1788, Abschnitt IV. 206 Ebd., Abschnitt II. 207 Ebd., Abschnitt III. 208 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 313 – 324. 209 Zumindest mit dem Missbrauch des Sollicitierwesens setzte sich das RKG-Plenum auch intensiv auseinander. Im Juli 1791 wurde dem Kaiser ein Bericht vorgelegt, der 240 Proto­ kollseiten umfasste. Diese 240 Seiten stellen die „umfangreichste Quelle zum Sollicitierwesen“ dar [Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 6]. 210 Sellert, Verfahrensbeschleunigung (2007), S. 148. Ditfurths Kritik wird ausgeführt auf S.  148 – 151.

Korruption und Reputation: Der Fall des Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar

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Sipp- oder Schwägerschaft eines Senatsmitglieds mit einer der Parteien rechtens.211 Hier, aber auch in einem Visita­tionsschluss 212 sowie generell bis zum Ende des Alten Reichs wurde es versäumt, „die erlaubten bzw. verbotenen Verwandtschaftsgrade reichsgesetz­lich zu definieren“.213 Schließ­lich kann es nicht verwundern, dass noch im Jahr 1788 ein kürzerer modus referendi eingefordert wurde.214 Die Beschleunigung der Gerichtsarbeit blieb ein immerwährendes Reformanliegen.215

E.3. Korruption und Reputation: Der Fall des Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar Sodann wurde beliebt, daß in denen so genannten Cameral-­Calender von dem künftigem 1774ten Jahr – da selbige bereits gedruckt und zum theil eingebunden –die Wappen derer von Reuss, von Papius und von Nettelbla herrausgenommen und dererselben Nahmen unter denen Herren Assessoren befind­lich mit einem Blädlein weiß Papier überpapt, so fort darauf ‚vacat‘ geschrieben werden solle.216

Das Zitat verdeut­licht zweierlei: Zum einen zeigt sich erneut, wie Schrift­lichkeit unliebsame Dauerhaftigkeit schaffen konnte. In ­diesem Fall war es der jähr­lich erscheinende Kameralkalender,217 der aufgrund unerwünschter Wappen und Namen einer rigorosen Nachbearbeitung bedurfte, weil er bereits gedruckt und gebunden war und ein Neudruck wohl auch aus Kostengründen nicht praktikabel erschien. Zum anderen handelt es sich hier um eine Damnatio memoriae, die einen vorläufigen Schlusspunkt unter einen Korrup­tionsfall setzte, der weitreichende Folgen für das RKG, aber auch für die Visita­tion hatte. Denn für das RKG stand Ende des Jahres 1773 endgültig fest, dass für die korrupten Assessoren Reuss, Papius und Nettelbla drei neue geprüfte und taug­lich befundene Praesentatos einberufen werden mussten.218 Diese Neubesetzung bedurfte allerdings einer Vorlaufzeit, zu der auch die Überarbeitung des Kameralkalenders gehörte.

2 11 Reichsschluss von 1775, § 9. 212 VS vom 27. Sept. 1768 (Session 214), § 11. Hierzu näher Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 667 f. u. insbes. Anm. 125. 213 Hierzu näher Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 669. 214 Reichsschluss von 1788, nach Abschnitt VI. 215 Siehe hierzu bereits Anm. 63. 216 BA AR 1/IV 11, Protokoll RKG Plenum vom 10. Dez. 1773. 217 Der Kameralkalender wird kurz vorgestellt unter A.1.2. 218 VS vom 4. Dez. 1773. Auch abgedruckt bei Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 229 f. Siehe zu diesem und sämtlichen anderen VS in diesem Abschnitt StadtAA RKG 80 u. 81.

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Mit der Herausnahme der Wappen und der Überklebung der Assessorennamen wurde zugleich das Ergebnis einer Untersuchung dokumentiert, w ­ elche die Visita­ tion über viele Jahre beschäftigt hatte und auch fortan beschäftigte. Letzteres, die Fortsetzung der Untersuchungen über das Jahr 1773 hinaus, war damit gegeben, dass Reuss zwar bereits am 4. Dezember 1773, Papius und Nettelbla aber erst im Folgejahr abgesetzt wurden.219 Unabgeschlossen waren auch die Untersuchungen über Nathan Aaron Wetzlar. Der jüdische Sollicitant, der über viele Jahre die Assessoren und den im Jahr 1763 verstorbenen Kammerrichter Karl Philipp Franz Graf von Hohenlohe-­Bartenstein bestochen hatte, wurde erst am 10. Juni 1774 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Bedenkt man ferner, dass, wie erwähnt, der Reichsschluss von 1775 der Visita­tion auftrug, ein Gutachten über den Missbrauch der Sollicitatur zu verfassen, welches jedoch nie erstellt wurde, erfuhr der Korrup­tionsfall de facto nie eine abschließende Aufarbeitung. Ebenso uneindeutig ist, wann die Visita­tion begann, den Korrup­tionsfall zu untersuchen. War es das Generalexamen, welches mehrere Fragen umfasste, die sich direkt dem Problemkreis Korrup­tion zuordnen lassen?220 Oder waren es die Präliminarrela­tionen, die für Reuss am 13. Februar 1769 (Sess. 267), für Papius am 27. Februar 1769 (Sess. 273) und für Nettelbla am 8. März 1769 (Sess. 277) ergingen und die jeweils weiterführende Untersuchungen bedingten – Untersuchungen, die am 5. Juni 1771 in die Suspendierung der drei Assessoren und Ende 1773/Frühjahr 1774 in deren Absetzung mündeten? Welche Rolle spielten dabei die Korrup­ tionsgerüchte, die im Vorfeld und während der Visita­tion kursierten?221 Markieren sie vielleicht den informellen Beginn der Untersuchungen? Fest steht, dass das Generalexamen den noch ununtersuchten Korrup­tionsfall scheinbar vorwegnahm. Gefragt wurde (Frage Nr. 6), ob jemand und wer mit Juden verdächtigen Umgang gehabt. Ein Blick in die Generalinterrogatorien der Visita­tion von 1707 verrät jedoch, dass bereits in ­diesem Jahr nach sollicitierenden Juden gefragt wurde.222 Und auch für unrechtmäßige Gab[en] und Geschenk[e], die den Korrup­tionsskandal um den Sollicitanten Nathan prägten, interessierte man sich bereits in diesen Jahren.223 Die „Annahme von Geschenken, Geld und Diensten von Parteien“ untersagte sogar bereits die „erste Reichskammergerichtsordnung von 1495“.224 219 Papius am 4. März 1774 und Nettelbla am 22. April 1774. 220 Frage Nr. 4, 6 und 26 (siehe S. 355 f.). 221 Siehe hierzu bereits die Einleitung ­dieses Kapitels. 222 Generalinterrogatorien von 1707, Frage Nr. 76. Abgedruckt in WA 11. Stück vom 11. Nov. 1767, S. 72. Diese Kontinuitätsliste deutet Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 127 nur an. 223 Generalinterrogatorien von 1707, Fragen Nr. 56 u. 57. 224 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.4., S. 244.

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Es würde also zu kurz greifen, anzunehmen, die Visita­tion wäre nur zusammengetreten, um einen gerüchteweise bereits bekannten Korrup­tionsfall zu untersuchen. Aufgabe der Visita­tion war es vielmehr, hier und auch ansonsten zu überprüfen, ob bestehende Normen verletzt wurden. Ebendies, die Norm, ist auch der entscheidende Ansatzpunkt, um korruptes Verhalten in der Geschichte zu untersuchen. Denn Korrup­tion „ist nur rela­tional zu den jeweils herrschenden gesellschaft­lichen Werten zu verstehen“.225 Zu eindimensional ist es demnach, Korrup­tion entsprechend einer gängigen machtorientierten Defini­tion als „Mißbrauch eines öffent­lichen Amtes zum privaten Nutzen“ zu definieren,226 oder aber entsprechend einer amtsorientierten Defini­tion als „Missbrauch von anvertrauter Macht zum persön­lichen Nutzen“.227 Diese Defini­tionen können gerade eine Untersuchung zu einem Korrup­tionsfall in der Vormoderne nicht anleiten, da ihnen die moderne Trennung von öffent­licher und privater Sphäre zugrunde liegt.228 Dessen ungeachtet ist deut­lich, dass Korrup­tion „stets ein klares eindeutiges Werturteil [war], auf dessen Klarheit dann im modernen Denken rekurriert werden konnte“.229 Ausgehend vom Wortursprung (lat. corrumpere, verderben) geht es also immer um „Unmoral, Verfall und Zersetzung“,230 also um jene Dinge, die eine Reformkommission wie die RKG-Visita­tion zu beheben hatte. Was jedoch begriff die Visita­tion als Verfall? Anders gefragt: Gegen ­welche Normen verstießen die Assessoren Papius, Reuss und Nettelbla, so dass sie abgesetzt werden mussten? Diese Fragen sollen im ersten Teil der folgenden Ausführungen beantworten werden [E.3.1.]. Es geht darum, jene normativen Bestimmungen zu betrachten, die beim RKG die Grenzlinie ­zwischen korrektem und korruptem Verhalten zogen und auf deren Grundlage die Visita­tion den Korrup­tionsfall um den Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar untersuchte. Darauf aufbauend ist zu fragen, was einen Richter dazu veranlasste, nicht nur für und neben dem Gericht im Einklang mit den gesetz­lichen Bestimmungen zu leben, sondern auch, wider diese zu handeln. Zu beleuchten ist also jenes Umfeld, in dessen Rahmen sich die Korrup­tion vollziehen konnte. Aus ­diesem Grund soll auch das Sollicitierwesen

225 Engels, Korrup­tion (2008), Sp. 76. 226 Engels/Fahrmeir/Nützenadel, Einleitung Geld – Geschenke – Politik (2009), S. 11. 227 Engels, Korrup­tion (2008), Sp. 75. 228 Siehe insgesamt zu d­ iesem Themenkomplex auch Groebner, Angebote, die man nicht ablehnen kann (1998). 229 Engels, Politische Korrup­tion (2010), S. 41. 230 Engels/Fahrmeir/Nützenadel, Einleitung Geld – Geschenke – Politik (2009), S. 12.

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betrachtet werden [E.3.2.]. Es war ein fester Bestandteil des Gerichtsalltags und gab Akteure, Gelegenheiten und Zielsetzungen der Korrup­tion vor. Die ersten beiden Abschnitte dienen demnach dazu, die strukturellen Rahmenbedingungen zu betrachten, die korruptes Verhalten ermög­lichten oder gar beförderten. Darauf aufbauend wird es in einem dritten Teil [E.3.3.] darum gehen, den Korrup­ tionsfall um den Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar zu behandeln. Neben den Geschehnissen, die den Tatbestand der zu verurteilenden Korrup­tion erfüllten, sowie deren Untersuchung durch die Visita­tion wird es hier in Anknüpfung an die Damnatio memoriae des Kameralkalenders um die Folgen für die betroffenen Akteure gehen. E.3.1 Leben für das, durch das und neben dem Gericht: Warum lassen sich Richter bestechen? Die am 4. März 1774 verhängte Strafe gegen Papius – als Protagonist des Korrup­ tionsskandals soll er im Zentrum der gesamten Analyse stehen – erging deshalb, weil er sein Gewissen und Ehre dergestalten vergessen habe, dass er sich deren schänd­ lichsten Verbrechen der Collusion [geheime Absprache; A. D.] und Corrup­tion [...] schuldig gemacht hat.231 Diesem Beschluss lag die seit der Antike bekannte Vorstellung zugrunde, ein Richter müsse unabhängig sein.232 In der RKGO von 1555 findet sich deshalb, wie schon in der ersten Gerichtsordnung von 1495, ein Eid, der vorschrieb, dass der Kammerrichter und die Beisitzer von den Parteien oder jemand anderem aufgrund eines momentanen oder künftigen Prozesses keyn gab, schenck oder eynichen nutz […] nehmen oder nemen lassen durften.233 Dieses Verbot der Geschenkannahme war eindeutig und auch weitreichend, da seit dem Mittelalter „Gaben an den Richter nicht in jedem Falle für verwerf­lich gehalten“ wurden.234 Ebenso eindeutig war das Verbot, mit Parteien oder deren Vertretern über Prozessinterna zu sprechen 235 sowie mit diesen in argwönige gemeinschaft und familiaritet zu stehen.236 2 31 VS vom 4. März 1774. Auch abgedruckt bei Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 231 f. 232 Sellert, Richterbestechung (1994); Ders., Richter­liche Unabhängigkeit (1995). 233 RKGO von 1555, Teil I Tit. 57. Die Bestimmungen in der Ordnung von 1495, aber auch dem Konzept von 1613 weist nach Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 154 (Anm. 139). 234 Sellert, Richterbestechung (1994), S. 333. 235 So schon der Amtseid RKGO von 1555, Teil I Tit. 57. Weitere Bestimmungen zur Verschwiegenheitspflicht sind zu finden bei Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 154 (Anm. 138). 236 RKGO von 1555, Teil I Tit. 13 § 14. Siehe zu weitere Bestimmungen zum „Verbot allzugroßer Familiarität“ wiederum Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 154 (Anm. 138).

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Klare Bestimmungen führt auch der JVA von 1713 an. Hier gab es sogar einen eigenen „rigorosen Korrup­tionsparagraphen“.237 Er wurde wohl deshalb aufgenommen, weil es in den 1680er Jahren einen Korrup­tionsfall gab, der zur Absetzung eines Assessors führte. Dieser Assessor namens Schütz war neben Papius, Reuss und Nettelbla der einzige, der beim RKG in den über 150 Jahren vom Westfä­ lischen Frieden bis 1806 der Korrup­tion wegen abgesetzt wurde.238 Der Paragraph De corrup­tionibus  – so die Überschrift im JVA – schrieb zur Vermeidung alles bösen Scheins und Verdachts vor, entsprechend des geleisteten Eides kein Geschenk oder Nutzen […] weder directe noch indirecte anzunehmen, und zwar sowohl vor als auch nach einem Urteil. Neben den Richtern wurden ebenso die Parteien, deren Anwälte und die Sollicitanten dazu ermahnt, nie die Justitz zu erkaufen, da dies dem Gericht einen böse[n]Ruff verschaffe und hierdurch die Autorität einen gantz unleident­lichen Abbruch erleide.239 Falls aber dennoch ein Richter sein Gewissen und Ehr [...] vergessen würde (diese Formulierung findet sich in den Urteilen von 1773/74 wieder), dann solle dieser nicht nur den dreifachen Wert eines erhaltenen oder den zweifachen Wert eines verlangten Geschenks bezahlen, sondern auch das Amt und seine Ehre verlieren. Ähn­liche Strafen waren für die Anwälte und die Parteien vorgesehen. Und selbst wenn ein Geschenk weder gegeben noch genommen oder verlangt, sondern ledig­lich angeboten wurde, dann solle dies dem Kammerrichter angezeigt werden. Ansonsten jedoch müsse der einfache Wert des angebotenen Geschenks bezahlt und eine zeit­lich begrenzte Suspendierung ausgesprochen, wenn nicht sogar die Betroffenen mit Verlust der Ehren abgeschafft werden.240 Dieser Antikorrup­tionsparagraph von 1713 ist eindeutig hinsicht­lich des Verbots und der Strafe, die drohte, wenn man die Verbotslinien überschritt. Deut­lich ist zudem, wer die potentiellen ‚Korrup­tionsakteure‘ waren. Zu nennen sind auf der einen Seite die Richter und auf der anderen Seite die Parteien, Prokuratoren, Advokaten und Sollicitanten. Die Annahme des Antikorrup­tionsparagraphen lautet, die eine Seite (Partei, Anwalt, Sollicitant) könne die andere Seite (Kammerrichter, Urteiler) dergestalt bestechen, dass ein Geschenk in welcher Form auch immer überreicht und angenommen, ledig­lich angeboten oder auch umgekehrt, ein Geschenk von den Richtern verlangt wurde. Damit erfasst wurde eine Form der Bestechung, die sich als Ad-­hoc-­Bestechung begreifen lässt. Sie „vollzieht sich in der Regel routiniert und basiert meist auf Geld oder mobilen Geschenken“. 2 37 Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 154. 238 Ebd., S. 152. 239 Das VM von 1713 für die Advokaten und Prokuratoren, § 12 geht hierauf näher ein. 240 JVA § 46.

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Daneben gibt es aber auch „verflechtungsförmige Korrup­tion“. Damit gemeint sind „komplexe Begünstigungs­systeme […], die meist nur langsam wachsen, mit dem Aufbau von Vertrauen verbunden sind, bei denen neben Geld vor allem auch soziales Kapital eine große Rolle spielt“.241 Bei dieser Korrup­tionsform geht es also nicht darum, ad hoc eine Leistung mit einer Gegenleistung zu beantworten. Entscheidend ist vielmehr die Mög­lichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt „andere – aus ­welchen Gründen auch immer – motivieren zu können, ihren Einfluss und ihre Mög­lichkeiten für einen selbst einzusetzen“.242 Solche verflechtungsförmigen Korrup­tionen in Abgrenzung zu den Ad-­hoc-­ Korrup­tionen – sie sind als die zwei Pole einer ‚Korrup­tionsskala‘ zu begreifen 243 – wurden jüngst für das Oberhaupt des RKG , den Kammerrichter, untersucht. Ausgehend von der Tatsache, dass es für einen Amtsträger der Vormoderne kaum mög­lich war, „seine sozialen Rollen als Inhaber des Amtes von denen als Verwandter, Freund, Patron oder Klient zu trennen“,244 konnte gezeigt werden, dass die Kammerrichter nicht nur den Ordnungen des Gerichts, sondern immer auch den Erwartungen des sozialen Umfelds verpflichtet waren. Dadurch jedoch, dass die Richter „die spezifischen Ressourcen ihres Amtes in den Gabentausch“ einbringen mussten,245 konnte sehr schnell ein Widerspruch z­ wischen den geschriebenen Normen des Gerichts und den ungeschriebenen Normen des gesellschaft­lichen Umfelds entstehen.246 Diese Normenkonkurrenz, die auch für die Assessoren galt, war und ist einerseits ein wichtiger Motor der Korrup­tion und wurde in der Vormoderne weit eher akzeptiert als in der Moderne.247 Andererseits konnte Maria von Loewenich zeigen, dass gerade die Gerichtsparteien um die Konkurrenz der Normen wussten, so dass es ihnen ein Leichtes war, „den Vorwurf der Korrup­ tion zu einer Waffe gegen unliebsame Entscheidungen“ des RKG zu machen.248

2 41 Engels, Politische Korrup­tion in der Moderne (2006), S. 321. 242 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2., S. 189. 243 Engels, Politische Korrup­tion in der Moderne (2006), S. 321. 244 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.4., S. 243. 245 Ebd. 246 Wobei zu bedenken ist, dass die Unabhängigkeit des Richters nicht nur eine geschriebene Norm war und auch umgekehrt die sozialen Beziehungen ihre schrift­lichen Ausdrucksformen (etwa Eheverträge) kannten. 247 Engels, Politische Korrup­tion in der Moderne (2006), S. 322 u. S. 326. Siehe ferner Grüne/Tölle, Corrup­tion in the Ancien Régime (2013) und die weiteren Beiträge in ­diesem Zeitschriftenband. 248 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.6., S. 263.

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Die Korrup­tion am RKG resultierte aber auch aus der Besoldung, die nicht nur zu gering war,249 sondern überdies „nur äußerst unregelmäßig und unvollständig gezahlt werden konnte“.250 Nicht ohne Grund wurde die kaiser­liche Kommission wenige Monate vor Beginn der Visita­tion angewiesen, darauf zu achten, das Gerichtspersonal mit dem nötigen Unterhalt zu versorgen, damit es nicht zum Nachtheil der Justiz Verwaltung ohntreue[…] begehe.251 Zu denken ist auch daran, dass Nettelbla in der Medienöffent­lichkeit mit Moser für eine verbesserte Besoldung rang.252 Die von dem Assessor aufgestellten Grundsätze, die einer öffent­lichen Schutzrede für Bestechung g­lichen,253 wurden schließ­lich von der Visita­tion als anstößig, grundgefähr­lich, gemeinschäd­lich und zur Corrup­ tion[...] verleitend erklärt.254 Warum jedoch erachteten viele die Besoldung als zu gering? Die Beantwortung dieser Frage erlaubt es, besser zu verstehen, warum sich Richter des RKG bestechen ließen. Zwierlein schrieb hierzu in aufschlussreicher Weise, die Besoldung müsse der Theure des Orts und dem der Stelle selbst anklebenden Aufwandte gemäs sein.255 Dem hier angesprochenen Inszenierungszwang konnten sich die Gerichtsangehörigen nur schwer­lich entziehen. Gerade der Kammerrichter musste als Repräsentant des Kaisers eine „aufwendige und repräsentative Hofhaltung unterhalten, die mit rund 40.000 fl. ungefähr doppelt so hoch war“ wie die zugesprochenen, aber nur unzureichend bezahlten Bezüge.256 Dem stand gegenüber, dass das Kammerrichteramt „in hohem Maße zum Erwerb von symbo­lischem Kapital und als Ressource innerhalb von sozialen Beziehungen“ diente.257 Geld war jedoch ein 249 Siehe hierzu die Angaben bei Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 124 (Anm. 65). 250 Smend, Reichskammergericht (1911), S. 399 für das 16. und 17. Jahrhundert. Für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ist bekannt, dass die neuen Mitglieder „nach ihrem Amtsantritt zunächst anderthalb Jahre auf ihr Gehalt warten [mussten], damit den amts­älteren Kollegen neben ihrem laufenden Gehalt nach und nach auch ihre rückständige Besoldung ausgezahlt werden konnte. Mehrere in dieser Zeit einberufene Präsentierte verzichteten daher nach der Voka­tion auf ihr Assessorat“ [ Jahns, Richter Darstellung (2011), S. 309 (Anm. 312); s. a. S. 145 (Anm. 120) und insgesamt zur Bedeutung des Geldes für die Erlangung einer Assessorenstelle S. 561 – 566]. 251 HHStA Wien RK RKG VA 48, Instruk­tion der kaiser­lichen Kommission vom 2. März 1767, § 28. 252 Siehe B.3.1.1. 253 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1207. Siehe auch Jörn, Zwei Assessoren aus Norddeutschland (2000), S. 177. 254 VS vom 22. April 1774. Auch abgedruckt bei Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 232 f. 255 [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767), S. 318. 256 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.4., S. 265. 257 Ebd.

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nicht zu verzichtendes ökonomisches Kapital. Aus ­diesem Grund musste etwa Kammerrichter Spaur im Jahr 1765 von dem Sollicitanten und Kreditgeber ­Nathan Aaron Wetzlar einen Kredit von 10.000 fl. aufnehmen.258 Neben dem Kammerrichter versuchte Nettelbla, standesmäßig leben zu könne[n].259 Für ihn bedeutete dies u. a., rund 15.000 Bände und damit die größte Privatbibliothek Wetzlars zu besitzen.260 Angesichts dieser Büchermasse können Nettelblas „Lamentos über seine knappen pekuniären Verhältnisse“ relativiert werden.261 Zu bedenken ist jedoch, dass der Assessor (seit 1743) die Bücher für seine Arbeit nutzbar machte und „nicht davor scheute, auch in Perioden finan­ zieller Probleme großzügig in entsprechende Ankäufe zu investieren“,262 und dies, obgleich er zumindest für manche Visitatoren ein unverschämte[r] Geizhals war.263 Über seine ärmlichen Verhältnisse klagte Nettelbla in den 1740er Jahren zudem immer wieder. Denn obgleich er sich bei seiner Familie hoch verschuldet hatte, gelang es ihm zumindest anfäng­lich nicht, „die Erwartungen seiner Kollegen zu erfüllen“.264 Diese betrafen die standesgemäße Kleidung, ein repräsentatives Haus, „in das man die Kollegen einladen konnte, neue Möbel, eine Kutsche und Diener“.265 Ein wenig anders gelagert war die Angelegenheit bei Papius. Mit seiner Frau und seinen elf Kindern lebte er „weit über seine Verhältnisse“.266 Da sein luxuriöser Lebensstil – er besaß „fünf, teils sehr prunkvolle Immobilien, in Wetzlar“ und gebrauchte im Überfluss luxuriöse Stoffe „wie Brokat, Atlasseide, Damast, Samt und Plüsch“267 – mit dem Gehalt eines Assessors nicht zu finanzieren war, verschuldete er sich mehr und mehr. Doch selbst ­dieses Geld reichte nicht aus. Aus ­diesem Grund verlangte er „von sollizitierenden Prozeßparteien Bestechungsgelder, die er in Anspielung auf die kostbare Innenausstattung seiner Häuser ‚Tapezier­nägel‘ nannte“.268 Wenn nun Nettelbla in einem Aufsatz als ein völlig gewissenloser Mensch 258 Ebd., Kap. III.2.1., S. 196. 259 [Nettelbla], Vermehrter Bericht (1767), S. 113. 260 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1210. 261 Ebd., S. 1209. 262 Jörn, Zwei Assessoren aus Norddeutschland (2000), S. 171. 263 StadtAA RKG 33, Rela­tion 116 vom 29. Dez. 1773. 264 Jörn, Zwei Assessoren aus Norddeutschland (2000), S. 165. 265 Ebd. und S. 166 auch Anm. 64. Manchen Aussagen Jörns widerspricht Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1200 f. (Anm. 4). 266 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58, S. 585. 267 Affäre Papius (2012), S. 75. Siehe auch in d­ iesem Katalog Engelbach, Fliesen und Porzellan (2012). 268 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58, S. 585 f.

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bezeichnet wird,269 dann traf dies wohl auch und wohl in noch stärkerem Maße auf Papius zu. Von Reuss wiederum lässt sich sagen, dass er Luxusartikel liebte. Ob Gewürze, ­Kaffee oder Schokolade, alles ließ er für viel Geld importieren, und zwar von – dies ist entscheidend – Nathan Aaron Wetzlar, der nicht nur Sollicitant, sondern zugleich Kreditgeber und Händler war. Neben Papius und Nettelbla zählte vor allem Reuss zu seinen Kunden, wovon eine jüngst vorgenommene Auswertung der Rechnungsbücher von Nathan Aaron Wetzlar Zeugnis gibt. Es kann sogar angenommen werden, dass Reuss „einen großen Teil der Bestechungsgelder für diese Güter verwendete“.270 Wenn nun der Grundsatz gilt, dass die „nicht gerade besonders hohe Besoldung […] eine Keimzelle für Bestechungen“ war,271 dann entspricht dies den klagenden und mahnenden Worten der Zeitgenossen. Festzuhalten ist aber auch, dass die meisten Assessoren mit ihrem Geld auskamen oder sich zumindest nicht bestechen ließen, obgleich Schätzungen davon ausgehen, dass in dieser Zeit die Hälfte der Kameralen erheb­lich verschuldet war.272 Außerdem bezog nicht jeder Assessor Luxuswaren oder war Besitzer mehrerer Immobilien in und um Wetzlar. Zu fragen bleibt also, warum sich der Kammerrichter Hohenlohe-­Bartenstein und die Assessoren Papius Reuss, Nettelbla und der 1752 verstorbene Vogelius – für ihn rückte Reuss in das ‚Bestechungssyndikat‘ nach 273 – bestechen ließen. War es tatsäch­lich Gewissenslosigkeit? Fehlte also den Genannten jenes Gewissen, welches die Ordnungen einforderten? Oder war es nur die Gelegenheit, schnell die Besoldung aufzubessern, die einfach ergriffen wurde? Warum jedoch wollten und brauchten sie mehr Geld? War es der zeitimmanente Zwang, sich und seine Rolle zu inszenieren, also das Streben nach einem repräsentativen Leben voll Luxus, um ein (über-)standesgemäßes Leben führen zu können? Eine abschließende Antwort kann nicht gegeben werden. All die genannten Faktoren (Gelegenheiten, ­soziale und pekuniäre Zwänge, ‚Gewissenlosigkeit‘) konnten aber zweifelsohne korruptes Verhalten begünstigen. So ist bekannt, dass Papius immense Schulden hatte. Wie desolat seine Lage kurz vor der Suspendierung war, belegen „Schuldscheine und verzweifelte Briefe an den Hoffaktor [Wetzlar] mit der

269 Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 255. 270 Affäre Papius (2012), S. 79. 271 Sellert, Richter­liche Unabhängigkeit (1995), S. 42. Generell zum Zusammenhang von Bestech­lichkeit und Käuf­lichkeit auf Grund von Finanzierungsproblemen am Beispiel des Kaiserhofes Ehrenpreis, Bestechung an den höchsten Reichsgerichten (2010). 272 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 187. 273 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.5., S. 256.

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Bitte um mehr Geld aus den Jahren 1769/70“.274 In der Annahme, dass Papius d­ iese Lage am Ende seines verhältnismäßig k­ urzen Assessorenlebens – er war 18 Jahre, Reuss 21 Jahre und Nettelbla 31 Jahre Assessor 275 – nicht begehrte, ist davon auszugehen, dass sich die Akteure in die Korrup­tionsaffäre verstrickten (so lässt sich in Anlehnung an die Verstrickung in eine Verfahrensgeschichte formulieren). Man kann auch von einer Eigendynamik sprechen, die von denen ausging, die sich bestechen ließen, aber auch und vielleicht in noch stärkerem Maße von denen, die bestachen. E.3.2 Das (Un-)Wesen der Sollicitatur Es dürfte deutlich sein, wie wichtig der sinnvolle, nicht-­weitläufige Gebrauch von Zeit gerade für die Rechtsprechung war. Das unterstreicht die Sollicitatur. Das Wort leitet sich vom lateinischen sollicito/sollicitare ab und heißt so viel wie „auf eine Person oder Sache einwirken“.276 Dementsprechend bezeichnet man mit Sollicitatur die durch eine Prozesspartei oder ihren Vertreter „außerhalb des förm­lichen Verfahrens – außergericht­lich – an den Kammerrichter oder andere Gerichtsmitglieder gerichtete Bitte um Beschleunigung und Erledigung eines Prozesses. Diese auf Beförderung eines anhängigen Verfahrens gerichtete Sollicitatur“277 war keine randständige Erscheinung beim RKG. Im Gegenteil: Es wurde täg­lich und fast bei jeder Gelegenheit schrift­lich und münd­lich sollicitiert. Im Jahr 1715 kam es vor, dass jeden Morgen vor dem Gerichtsgebäude eine Vielzahl an Leuten standen, um den Assessoren einen so genannten Sollicitierzettel zu übergeben.278 Bei diesen Zetteln handelt es sich um kleinformatige, handschrift­liche oder gedruckte Bittschrift[en] um Förderung einer Rechtssache.279 Aber auch münd­lich brachten die Sollicitanten ihre Bitten vor. In den 1760er Jahren soll sogar fast jeder Assessor täg­lich gesonderte Audienzen für Sollicitanten abgehalten haben.280 Diese Sonderaudienzen, die auch der Kammerrichter abhielt,281 lassen sich als Versuch begreifen, das Sollicitierwesen in geordnete Bahnen zu lenken. Denn in der

2 74 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58, S. 586. 275 Ebd., Biogr. 23 (Reuss), Biogr. 58 (Papius) u. Biogr. 108 (Nettelbla). 276 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 13. 277 Ebd., S. 18. 278 Ebd., S. 65. 279 Cameral-­Lexicon (1766), S. 110 f. 280 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 66. 281 Verordnung des Kammerrichters vom 26. März 1764 den Unterschleif und Mißbrauch der Sollicitatur, auch Bestimmung der Zeit zur Audienz betreffend, abgedruckt in Neue

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zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war es noch üb­lich, dass täg­lich in den Häusern, auf den Gassen oder – wie 1715 – vor den Gerichtsgebäuden Sollicitierzettel überreicht wurden. Selbst Festivitäten wurden gerne genutzt, um die Gedanken der Beysitzer bey einem Glas Wein zu erforschen.282 Die Parteien bzw. deren Sollicitanten ließen also „kaum eine Gelegenheit im dienst­lichen, gesellschaft­lichen und privaten Bereich der Kameralen […] [aus], um ihre Bittgesuche zu übergeben“.283 Dabei waren die Sollicitanten nicht nur ungebetene Gäste. Vom Kamerrichter Spaur ist bekannt, dass er für Sollicitanten adeliger Herkunft prunkvolle Schlittenfahrten abhielt.284 Über den jüdischen Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar wusste ein Visita­tionssekretär sogar zu berichten, dass dieser nachts im Hause Reuss empfangen wurde.285 Die Sollicitatur ist ein fester Bestandteil des Gerichtsalltags, weil sich mit Pütter sagen lässt: Wer nicht sollicitirt, erhält nichts.286 Der Sache nach gab es die Sollicitatur wohl bereits seit den Anfängen des Gerichts.287 Eine Vorschrift ist jedoch erst für das Jahr 1562 bekannt. In d­ iesem Jahr legte die Visita­tion fest, nur Akten zur Bearbeitung zu verteilen, wenn die klagenden Parteien mittels der Sollicitatur ihr fortbestehendes Interesse bekundet hatten.288 Denn, so der JRA, wenn d­ ieses Interesse nicht mehr bestehe, dann gehe die Zeit […] umsonst verloren[…].289 Die Sollicitatur hatte also ungeachtet der bestehenden Referierordnung 290 einen entscheidenden Einfluss darauf, welcher Fall bearbeitet wurde. Dadurch jedoch entschied nicht der Streitgegenstand und das Alter des Verfahrens, sondern „nur noch die Intensität der Sollicitatur-­Bemühungen“ über die zu referierende Sache.291 Die Sollicitatur bewegte sich somit im „Grenzbereich der Gesetzmäßigkeit“,292 und dies umso mehr, wie die Sollicitanten Informa­tionen begehrten, die eigent­lich Europäische Staatscanzley, Tl. 26 (1768), S. 72 – 76. 282 So Assessor Riedesel gegenüber der Visita­tion. Zit. nach Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 67. 283 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 62. 284 Ebd., S. 67. 285 Examen des Lega­tionssekretärs Siebenbeutel vom 27. Aug. 1770 (Session 444), Frage Nr. 20 [BayHStA KS 5795]. 286 [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 41. 287 Ebd., S.  35 – 38. 288 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 35. u. 76. 289 JRA § 152. Zur zeitgenös­sischen Deutung dieser Bestimmung Fuchs, Sollicitatur (2002), S.  77 – 79. 290 Siehe bereits E.2.3. 291 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 77. 292 Hausmann, Kameralfreiheiten (1989), S. 53.

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geheim waren. Ob die Frage nach den Referenten, den Senatsmitgliedern, dem Stand der Bearbeitung oder gar den Voten – all dies sind lauter Gerichtsgeheimnisse, die aber der Sollicitant zu wissen wünscht.293 Das Pro­blem bestand darin, dass es nie gelang, eine eindeutige Trennlinie z­ wischen legaler Sollicitatur und deren Missbrauch zu ziehen. War es etwa erlaubt, in einer Sache wiederholt zu sollicitieren? Oder begann der Missbrauch erst mit den (nächt­lichen) Hausbesuchen der Sollicitanten? Und was sollte geschehen, wenn nach dem Aktenschluss ein neuer Sachverhalt vorgebracht wurde, was eigent­lich verboten war? Es gab einen Graubereich, der so lange bestand, wie die Sollicitatur kein Bestandteil des ordent­lichen Geschäftsgangs war.294 Und auch wenn es ­solche Pläne gab,295 so erachteten viele die Gesuche um Erledigung der Prozesse ledig­lich als ein notwendiges Übel,296 ja sogar als ein gericht­liches Ungeheuer.297 Zweifelsohne war es ein sehr unbefriedigender Zustand – und hier treffen die klagenden Worte Goethes zu –, dass die Prozesse nur selektiv bearbeitet werden konnten. Pütters Rechnung in seiner einschlägigen Schrift ist dabei so einfach wie einleuchtend: Wenn jedes Jahr durchschnitt­lich 150 Endurteile ergingen, aber mindestens 227 neue Prozesse 298 hinzukämen, dann könnten ­zwischen 70 und 80 nicht bearbeitet werden.299 Die Justiz sei also eine Lotterie […] [mit] vielen Nieten. Aus ­diesem Grund könne man, so Pütter, es keiner Partei verdenken, wenn sie sich der Solli­citatur bediene, um die ‚Gewinnchancen‘ zu erhöhen.300 Die Sollicitatur war also unersetz­lich, solange nicht alle eingehenden Prozesse bearbeitet werden konnten. Dies hieß jedoch nicht, dass jeder zu jedem Zeitpunkt mit jedem zur Verfügung stehenden Mittel sollicitieren durfte. Es gab vielmehr Verhaltensweisen, die nicht mehr im Graubereich lagen, sondern eindeutig illegitim waren. Dies waren Korrup­tionen, ein „‚verdächtiger‘ Umgang mit Parteien und Solli­citanten“, Sollicitieren unter Einschüchterung oder Bedrohung des Gerichtspersonals, „Verletzungen der Gerichts-, insbesondere Referentengeheimnisse, Pensionsund Gehälterzahlungen an RKG-Assessoren durch Dritte, Handel und Gewerbe

293 [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 42. Siehe auch Ders., Sollicitatur (1768), S. 19. 2 94 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 63 f. 295 Ebd. 2 96 SD Kurmainz, Sondervermerk 190. Session vom 5. Juli 1768 [StadtAA RKG 43]; [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 40 u. Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 85. 297 [Pütter], Patriotische Abbildung (1749), S. 41. 298 Der Rechnung liegen die Kameralkalender der letzten 14 Jahre zugrunde [Pütter, Solli­ citatur (1768), S. 2]. 299 Ebd., S. 3. 300 Ebd., S. 5 f.

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z­ wischen Parteien oder Sollicitanten und Gerichtspersonal, wie auch überhaupt den Kameralfreiheiten widersprechende wirtschaft­liche Betätigung von Parteien und Sollicitanten am Gerichtsort“.301 Diesen Verbotskatalog stellte die Visita­tion bereits im Juli 1767 auf.302 Manche Punkte wurden im Folgejahr mit einem Beschluss bestätigt.303 Dabei wurde gerade versucht, die wirtschaft­liche Betätigung der sollicitierenden Parteien mit dem Gerichtspersonal zu unterbinden, da dies erheb­lich zur Schwere des Korrup­tionsskandals um den Sollicitanten, Händler und Kreditgeber Wetzlar beitrug. Verboten war außerdem das Sollicitieren in fremden Sachen. Denn nur wer eine Vollmacht der Prozesspartei besaß, durfte in ­diesem Prozess sollicitieren.304 Untersagt war es schließ­lich auch, mit dem S­ ollicitiren gleichsam ein Gewerbe zu treiben.305 Dieser gewerb­liche Sollicitierhandel kam bereits zur Mitte des 17. Jahrhunderts vor. Gemeint ist damit, dass die Sollicitanten nicht in Einzelfällen sollicitierten, sondern sich „zu ­diesem Zwecke auf Dauer zur Betreibung einer Vielzahl von Prozessen am Gerichtsort aufhielten“.306 Die Durchsetzung dieser Verbote, denen größtenteils bereits bestehende Verordnungen zugrunde lagen, war jedoch nicht einfach. Auch die Vorgaben, ­welche Verfahrensabschnitte für die Sollicitatur zugäng­lich waren, wurden oftmals nicht eingehalten.307 Gleiches galt für die vorgeschriebene, aber nicht durchgesetzte Immatrikula­tion und die damit verbundene Überprüfung der Sollicitanten.308 Das Vollzugsdefizit von Normen – und dies trifft ebenso auf den Reichsschluss von 1775 oder aber auf die Visita­tionsbeschlüsse zur Akten- und Schriftordnung zu – ist frei­lich kein unbekanntes Thema in der Vormoderne. Zu kurz greift es natür­lich, hier von einem Scheitern zu sprechen, da die wiederholte Verkündigung gerade in einer „weitgehend oral-­symbo­lischen Kommunika­tionskultur eine wichtige Voraussetzung für Geltungsanspruch und Geltungsdauer“ einer Policey- oder eben ‚Kameralnorm‘ war.309 Zu fragen bleibt damit, wie Normgeber und Normadressaten in der Gerichtspraxis um, mit oder auch gegen die Norm handelten.310 Festzuhalten ist, dass aus den benannten Gründen die Sollicitatur ein

3 01 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 180. 302 Fuchs führt als Beleg die Gemeinen Fragestücke an, die er auf den 13. Juli 1767 datiert. 303 VS vom 12. Juli 1768 (Session 195) [StadtAA RKG 43]. 304 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 115 f. 305 VS vom 12. Juli 1768 (Session 195) [StadtAA RKG 43]. 306 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 136. 307 Ebd., S.  39 – 52. 308 Ebd., S.  117 – 120. 309 Härter, Policey und Strafjustiz in Kurmainz (2005), S. 238. 310 Landwehr, „Normdurchsetzung“ (2000).

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unliebsames Massenphänomen war, auf das sich – darauf weisen die festgelegten Sprechzeiten hin – der Gerichtsalltag eingestellt hatte. Daneben war es erneut die Visita­tion, die eine Vielzahl an Normen erließ, womit die Gültigkeit der Normen, aber ebenso die Visita­tion als Reforminstanz bestätigt wurde. Die Normen ermög­lichten es der Visita­tion zugleich, sich zielgerichtet mit der zu reformierenden Praxis auseinanderzusetzen. Damit zusammenhängend ist erneut danach zu fragen, mit welchem Wissen oder Nichtwissen, aber auch, mit w ­ elchen Erfahrungen oder gar Vorurteilen die Visitatoren sich dem Sollicitaturwesen widmeten.311 Zumindest der kurbrandenbur­gische Visitator begriff die Sollicitatur als eine rechtshängige[...] Sache, die ihren Gebrauch und Mißbrauch hatte.312 Bekannt unter den Zeitgenossen war wohl auch, dass sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wetzlar durchschnitt­lich 250 Sollicitanten befanden.313 Anzumerken ist hierbei, dass zwar grundsätz­lich jeder von den Prozessparteien zum Sollicitanten bestellt werden konnte. Es waren jedoch gerade die Advokaten und mehr noch die Prokuratoren, die sollicitierten.314 Daneben kamen die Prozess­ parteien persön­lich nach Wetzlar, um das eigene Verfahren mittels der Sollicitatur zu befördern.315 Sollicitanten im engeren Sinne, die also nur in dieser Funk­tion auftraten, gab es demgegenüber weit weniger. So wurden die „hauptberuf­lichen Sollicitanten“ im Jahr 1736 auf insgesamt 60 geschätzt.316 Diese Gruppe wiederum war sehr heterogen. Es gab Juden, Frauen und Geist­liche, aber auch, und zwar ungeachtet einer Vielzahl an Verboten, Gerichtsangehörige, die sollicitierten.317 Und selbst Visitatoren sollicitierten. So berichtet Pütter in einem Schreiben an seine Obrigkeit, wie verschiedene Subdelegierte sich selbst unter der Hand mit Solli­citaturen abgaben. Nach Pütters Beobachtung gab es sogar manche Visitatoren, die beim Examen den einen oder anderen Assessor nur zurückhaltend befragten, weil diese vielleicht in ein oder anderer Sache, worinn jener sollicitire, noch gute Dienste thun könne[n].318 Damit bestätigt sich erneut, wie vielgestaltig 3 11 Siehe hierzu bereits die Kapitel A.1. zum Reform- und Visita­tionshorizont der Zeit. 312 SD Kurbrandenburg, 191. Session vom 7. Juli 1768. Zitiert nach Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 177. 313 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 124. 314 Ebd., S. 89 u. S. 101 sowie die auf S. 124 genannte Schätzung eines Assessors aus dem Jahr 1792, nach der Anwälte jähr­lich 900 Sollicitierbesuche abstatten. 315 Ebd., S.  90 – 93. 316 Ebd., S. 124. 317 Ebd., S. 125 – 140. Auch der VS vom 12. Juli 1768 (Session 195), § 4 verbot den Assessoren und dem Kanzleiperson unter schärfster Ahndung das Sollicitieren [StadtAA RKG 43]. 318 HStA-Han. Cal. Br. 11 4104, fol. 406v, Pütter an Räte 16. Juni 1768. Dieses Schreiben zitiert auch Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 140.

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und teils widersprüch­lich die Verfahrensrollen der Visitatoren sein konnten. Da nicht genau bekannt ist, welcher Visitator für ­welchen Prozess sollicitierte, kann nur vermutet werden, dass dies für die Obrigkeit und/oder Freunde, Familienangehörige, Bekannte, also das nähere s­ oziale Umfeld, geschah. Damit läge hier jene Normenkonkurrenz vor, die bereits für den Kammerrichter und die Assessoren beschrieben wurde und die in nicht unerheb­lichem Maße den nun zu behandelnden Korrup­tionsskandal beeinflusste. E.3.3 Der Korruptionsfall: Die Geschehnisse, deren Aufdeckung und die Folgen Nathan Aaron Wetzlar war kein Sollicitant wie jeder andere. 1725 zu Frankfurt geboren, gelang es dem Nachkommen einer alten jüdischen Kaufmannsfamilie, sich im Textil- und Bankgewerbe zu etablieren. Letzteres Gewerbe war es vermut­lich auch, welches ihn nach Wetzlar zum Sollicitieren führte. Denn oftmals gewährte er Kredite nur nach der Abtretung von Ansprüchen, die am RKG anhängige Prozesse betrafen. Wetzlar 319 hielt sich also einerseits in der Stadt Wetzlar auf, um zwar nicht nur, aber wohl vor allem für sich und seine Schuldner, die zumeist adelig waren, zu sollicitieren; nach eigenen Angaben hatte er mit 21 Jahren seinen ersten Sollicitierfall.320 Andererseits vergab der jüdische Sollicitant Kredite an Gerichtsangehörige. Es wird geschätzt, dass er die Hälfte der Kameralen oder zumindest die Hälfte des Kameralkollegiums mit Geld versorgte.321 Diese doppelte und mit der bereits genannten Versorgung der Kameralen mit Luxuswaren dreifache Einbindung in die kamerale Gerichtswelt sind die entscheidenden und in ihrer Kombina­tion wohl einzigartigen Gründe, warum Wetzlar ein gern gesehener Gast in der Gerichtsstadt war.

319 Obgleich anderes vermutete werden kann, schreibt Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 253 (Anm. 9), dass die Namensgleichheit von Familie und Stadt des RKG „purely coinci­dental“sei. Dem widerspräche die Angabe von Battenberg, Hoffaktoren (2012), S. 37. Dort heißt es unter Verweis auf Alexander Dietz, von dem auch Schwarz eine ­Studie anführt, allerdings eine andere als Battenberg, dass „Nathan, Sohn des Aaron Löb, um 1725 in Wetzlar geboren“ sei. 320 Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 253. 321 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 201 spricht ledig­lich von kameralen Schuldnern. Es muss offen bleiben, ob damit sämt­liche Gerichtsangehörigen oder – was wahrschein­licher ist – das Kameralkollegium, also Kammerrichter, Präsidenten und Assessoren, gemeint sind.

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So wird berichtet, dass er bei verschiedenen Assessoren öfteren u. langen Zutritt gehabt habe. Wenn dies geschah, dann wurde niemand vorgelassen, wer er auch gewesen.322 Wetzlar verstand es also, die Sympathien und die Gunst der Kameralen zu erwerben.323 Dies hing mit seinem Auftreten zusammen. Denn damahls, so Kestner über den zu ­diesem Zeitpunkt bereits inhaftierten Sollicitanten, trug er, ein schöner Mann, Seide, fuhr stets mit einem sechsspännigen Wagen in die Gerichtsstadt und ließ sich ansonsten in einer Sänfte herumtragen.324 Besonders viel Gunst erwarb sich Wetzlar bei Karl Philipp von Hohenlohe-­Bartenstein, der von 1746 bis zu seinem Tode im Jahr 1763 Kammerrichter war.325 Dieser Richter ernannte 1757 „seinen Schützling“ zum Kameralagenten (bis 1762).326 Als solcher war Nathan Aaron Wetzlar dafür zuständig, sich an den Höfen des Reiches um die Bezahlung der Kammerzieler zu kümmern.327 Dabei konnte er jene Kontakte ausbauen, die bereits im Jahr 1750 dazu führten, dass er Hoffaktor des pfälzischen Kurfürsten wurde.328 Dies bedeutete, dass Wetzlar zur jüdischen Wirtschafts­ elite der Zeit gehörte, die eingebunden war „in ein innerjüdisches, europaweites System von Geldverleih- und Geschäftsbeziehungen und verwandtschaft­lichen Netzwerken“.329 Wann und warum der Sollicitant Wetzlar begann, sich Urteile beim RKG zu erkaufen, ist nicht genau bekannt. Es waren wohl weniger Geldsorgen als vielmehr das Verlangen nach immer größerem Reichtum,330 vielleicht aber auch schlicht und ergreifend der Reiz des Einflusses, der vermut­lich Anfang der 1750er Jahre dazu führte, dass Wetzlar mit dem Kammerrichter Hohenlohe und einigen Assessoren „geradezu ein System der Prozessbeeinflussung“ aufbaute.331 Dieses System funk­tionierte dergestalt, dass der Kammerrichter den Assessoren N ­ ettelbla, Vogelius (bis 1752), Reuss (ab 1752) und Papius (ab 1756) Prozesse zuwies, die diese als Votanten, aber insbesondere als Referenten und 322 StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 174v. 3 23 Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 253. 324 StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 174v. 325 Zu ihm, seinem Vater, der gleichfalls Kammerrichter war, und dem Haus Hohenlohe siehe Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.1.5., S. 144 – 153 sowie ferner Dies., Kammerrichter Karl Philipp von Hohenlohe-­Bartenstein (2012) und Dies., Zwischen Gericht und ständischer Ökonomie (2014). 326 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 201. 327 StadtA-Han. NL Kestner I-B-1 Tagebuch Teil 1, fol. 174v. 328 Battenberg, Hoffaktoren (2012), S. 38. 329 Ebd., S. 41. 330 Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 253 u. S. 256. 331 Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.5, S. 256.

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Correferenten wunschgemäß bearbeiteten und entschieden. Vieles spricht auch für die Käuflichkeit des kaiser­lichen Assessors Tönnemann (1740 – 1759), und zwar über seine Frau.332 Folgt man den Eigenangaben Wetzlars, dann wandte er sich bereits im Jahr 1746 oder 1747 und damit in einem der ersten Fälle seines noch jungen Sollicitantenlebens an Frau Tönnemann. Es ging um einen Fall, in dem ihr Mann, Assessor Tönnemann, Referent war.333 Hierfür bot Wetzlar 100 Dukaten an, die auch angenommen wurden, allerdings erst nach der Versicherung des Beichtvaters von Frau Tönnemann, es sei zur Beförderung einer Sache erlaubt, Praesenten anzunehmen.334 Der Kreis der korrupten Gerichtsangehörigen ging aber noch weiter. Aus einem von der Visita­tion angelegten Verzeichnis, das insgesamt 21 Prozesse führt, für die Wetzlar Geld oder Sachgegenstände verteilte, geht hervor, dass auch Assessor ­Schellwitz (1752 – 1759)335 kleinere ‚Aufmerksamkeiten‘ (eine Uhr und Kleinigkeiten an Geld) erhielt.336 Daneben hätte der 1772 verstorbene Johann Ulrich Cramer 337 nach Aussage eines Visitators das g­ leiche Schicksal wie Papius, Reuss und N ­ ettelbla erwartet, wenn er nicht durch seinen frühzeitigen Todt ­diesem [dem Schicksal; A. D.] noch glück­lich entronnen wäre.338 Ferner stand auch Bürgel sen. (1738 – 1781)339 im ‚Korrup­tionsfokus‘ der Visita­tion 340 und es empfing, neben Frau Tönnemann, auch Frau Nettelbla kleinere Geldbeträg. 341 Bedenkt man schließlich die vielen anderen Mittäter,342 aber auch 332 So auch ebd., Kap. III.2.3.5, S. 256 f. 333 Zu Assessor Tönnemann siehe Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 50. 334 Examen Nathan Aaron Wetzlar 3. Juli 1771 [StadtAA RKG 33, Beilage Rela­tion 73]. 335 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 111. 336 StadtAA RKG 33, Beilage Rela­tion 125. Das Verzeichnis, das nach einem Beschluss der Visita­tion von der 839. Session erstellt wurde, ist auch abgedruckt bei Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 227 f. Hier fehlt allerdings die eigent­liche Endsumme, die Nathan zur Strafe an den Fiskal des RKG zahlen musste (dies war der eigent­liche Grund für die Listenerstellung). Die Summe von 116.072 fl. 30 kr. musste näm­lich doppelt gezahlt werden. Summa summarum – so der Wortlaut der Liste – fielen also 232.145 fl. an. 337 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 65. 338 StadtAA RKG 33, Rela­tion 116 vom 29. Dez. 1773. 339 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 99. 340 StadtAA RKG 33, Rela­tion 116 vom 29. Dez. 1773. 341 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1207. 342 So kam es etwa vor, dass ein Notar namens Kunkel von dem Handelsmann Pfeiffer zu Francfort 50 Ducaten bekommen, und s­ olche dem damahligen Notario Grehs – es ­handelt um den späteren Prokurator Gress [Baumann, Advokaten und Prokuratoren in Wetzlar (2006), S. 188] – gab, welcher sie dem Referenten [Papius; A. D.] zugestellet hatte [HHStA Wien RK RKG VA 394, Präliminarrela­tion SD Wurmb über Assessor Papius, 3. März 1769].

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Mitwisser,343 dann deutet sich an, dass die Korrup­tion kein randständiges Thema in der Kameralgesellschaft war. Einer der berüchtigtsten Korrup­tionsfälle betraf die so genannte Valloner Sache. An ­diesem in Savoyen beim Genfer See gelegenen Ort befand sich ein Kloster des Kartäuserordens. Dessen Prior und Konvent stritten um das ansehn­ liche Erbe 344 eines Frankfurter Handelsmanns namens Belli, der vormals Leibeigener der Kartause war. Das Schöffengericht zu Frankfurt entschied 1759 in erster Instanz für die Erben Belli.345 Gegen d­ ieses Urteil appellierte das Kloster an das RKG. Um den Appella­tionsprozess zu befördern, beauftragten sie Wetzlar mit der Sollicitatur. Hier geschah es per Miraculum, dass binnen eineinhalb Jahren für die Kartäuser ein obsieg­liches Urteil erging. Die unterlegene Seite sprach öffent­lich und laut über Ungerechtigkeit, ja sogar von Corrup­tionen, und drohte mit einem Rekurs.346 Diese Drohkulisse wirkte. 1761 kam es zu einem Vergleich. Die Kartäuser, die mit ihren Anwälten, dem Sollicitanten und der Stadt Wetzlar nichts mehr zu tun haben wollten, erhielten 30.700 fl.347 und kehrten zurück nach Savoyen.348 Was blieb, war der Lermen,349 also die nicht zu überhörenden Korrup­ tionsgerüchte. Sie führten im Zusammenspiel mit den Erkenntnissen des General­ examens dazu,350 dass das Justitzschänderische Korrup­tions Verbrechen in der Sache Valloner Kartause contra Belli der am intensivsten untersuchte Fall der Visita­tion 343 Proc. Ruhland habe ihm [Advokat Lenaert; A. D.] ao 1772 gesagt, der Hr. Ass. v. Papius brauche Geld [HHStA Wien RK RKG VA 394, Präliminarrela­tion SD Wurmb über Assessor Papius, 3. März 1769]. 344 Es ging um „65.335 Rtlr., ein ‚gegen die Karmerliterkirche auf den Main stoßend[es] Haus‘, einen Garten mit Gartenhaus vor dem Schaumaintor und 4 ½ Morgen Weinberge im Rheingau“ [Inventar der Akten des Reichskammergerichts 27 (2000), Prozess Nr. 1507, S. 1020]. 345 Fälschlich hingegen ist die Darstellung von Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 256, der Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 202 und zuletzt Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.5, S. 257 folgen. Dem Kloster wurden in erster Instanz keineswegs 100.000 fl. zugesprochen. Und im Appella­tionsprozess sollicitierte Nathan nicht für Belli, sondern für das Kloster. 346 StadtAA RKG 33, Rela­tion 17 vom 12. März 1768. 347 Inventar der Akten des Reichskammergerichts 27 (2000), Prozess Nr. 1507, S. 1020. 348 StadtAA RKG 33, Rela­tion 17 vom 12. März 1768. 349 Examen Nathan Aaron Wetzlar 3. Juli 1771 [StadtAA RKG 33, Beilage Rela­tion 73]. 350 Besonders wichtig waren die Aussagen von Prokurator Haas, dem Anwalt der unterlegenen Seite, auf die sich die Präliminarrela­tion stützt [HHStA Wien RK RKG VA 394]. Siehe aber auch die unter D.4.1. bereits angeführten Examensantworten.

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wurde.351 Dies belegen die Gutachten der Referenten (Kurtrier und Bremen) mit ihren über 600 Bögen,352 aber auch die Tatsache, dass alleine ­zwischen Ende Januar und Ende April 1772 in insgesamt 31 Sitzungen über diesen Fall beraten wurde.353 Doch auch in den Jahren davor und danach hat man für diesen Fall die Zeit nicht geschonet.354 Es kam sogar vor, dass die Visitatoren mehrere Wochen am Stück täg­ lich von Morgens 9 biß Nachmittag um 2, 3 und 4 Uhr in Puncto Corrup­tionis dergestalt beschäftigt waren, daß keine andere Materie vorgenommen werden konnte.355 Daneben blieb unmittelbar nach dem Fall Valloner Kartause contra Belli das Korrup­tionsgeld. Wetzlar bekam von dem Anwalt der Kartäuser, Hoffmann, 10.000 fl. Diese reguläre Entlohnung für die Sollicitaturtätigkeit gab er jedoch – so zumindest seine spätere Aussage – wieder zurück, da Hoffmann das Geld ausgelegt, aber von den bereits entflohenen Kartäusern nicht zurückerhalten hatte. Dessen ungeachtet musste Wetzlar seine ‚Sollicitiergehilfen‘ entlohnen.356 So erhielt Papius für seine Dienste als Referent in der Sache Valloner Kartause contra Belli 1.000 fl., obgleich dieser sich nicht gerade geschickt verhalten hatte. Denn seine Rela­tion legte Papius bereits drei Tage nach der Zustellung der Akten ab. Diese Zeit konnte unmög­lich ausreichen, um die Akten zu lesen, wie Pütter hierüber urteilte.357 Verdächtig war zudem, dass Papius seine Akte bereits eine Woche nach Aktenschluss und Kompletur erhielt.358 Zusammengenommen hat demnach weniger das Urteil als vielmehr die Tatsache für viel Lärm gesorgt, dass es zu eylfertig zugegangen war.359 Man hatte also nicht zu viel, sondern zu wenig Zeit beansprucht – Zeit, die unmög­lich ausreichen 351 HHStA Wien MEA RKG 378, Kurmainzischer Visita­tionsindex. Der gesamte Titel des Beratungsgegenstandes lautet: Walloner Karthauß contra Handelsmann Bellu zu Franckfurt und die in dieser fameusen Sache am kaiserl. Reichs Kammer Gericht vorgegangene Justitzschänderische Korrup­tions Verbrechen. 352 So die Schätzung Stallauers. Er spricht von 140 Bögen für Kurtrier und 500 Bögen für Bremen [StadtAA RKG 33, Rela­tion 80 vom 26. Jan. 1772]. 353 Von diesen 31 Sitzungen beanspruchte Falcke 22 Sitzungen für die Verlesung seiner Correla­tion. Diese Sitzungen wurden unter D.5.2. angeführt. 354 StadtAA RKG 33, Rela­tion 78 vom 23. Nov. 1771. 355 Ebd., Rela­tion 69 vom 25. Mai 1771. 356 Examen Nathan Aaron Wetzlar 3. Juli 1771 [ebd., Beilage Rela­tion 73]. 357 Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 203. 358 Ebd., S. 202. Der Vermerk Completum besagt, „daß sämt­liche zum jeweiligen Prozeß gehörigen Akten an die Leserei zurückgegeben und alle Rezesse eingetragen worden waren“ [Wiggenhorn, Reichskammergerichtsprozeß (1966), S. 121]. 359 HHStA Wien RK RKG VA 394, Präliminarrela­tion SD Wurmb über Assessor Papius, 3. März 1769. Die Rela­tion bezieht sich hier auf eine Aussage von Prokurator Haas, dem Anwalt der unterlegenen Seite.

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konnte, um mit erforder­licher Gründ­lichkeit die Akten zu bearbeiten. Bedenkt man daneben, dass gerade Falcke den Korrup­tionsfall gründ­lich lang oder eben übergründ­lich, also weitläufig, bearbeitete, dann bündelt sich hier jenes widersprüch­liche Zeit- und Arbeitsverständnis, welches die Jahre der Visita­tion so nachhaltig geprägt hat. Es gab aber stets Grenzen der Schnelle (Fall Belli) und Übergründ­lichkeit (Fall Falcke), die beide (Falcke und Assessoren) aufgrund lang eingeübter Praktiken übergingen, wie die Ausführungen deutlich gezeigt haben. Denn während Falcke seine fast schon pedantische Gründ­lichkeit über Jahre hinweg und schon weit vor der Visita­tion ‚gepflegt und gehegt‘ hatte, waren es bei den Assessoren Korrup­tionsroutinen, die sich im Schatten eines finanzkräftigen Sollicitanten und eines korrup­tionswilligen Kammerrichters ausbilden konnten. Diese Routinen ermög­lichten es, die erforder­liche Minimalressource einer jeden Rechtsprechung – ausreichend Zeit – zu verkennen. Ob und inwiefern sich Papius und die anderen dieser Problematik bewusst waren, ist nicht bekannt. Entscheidender war wohl ohnehin, dass die ‚Entlohnung‘ gestimmt hat. So sollte für den Fall Valloner Kartause contra Belli neben Papius auch Correferent Nettelbla 1.000 fl. erhalten. Nach der ersten Akteneinsicht war ihm dies jedoch zu wenig, weshalb er – auch dies bezeichnend – nach erfolgreicher Nachverhandlung 2.500 fl. erhielt. Der Kammerrichter musste sich demgegenüber mit 1.000 fl. begnügen. Dieses Geld überreichte Wetzlar persön­lich auf dem Kloster Arnsburg. Bevor jedoch der stets auffallend auftretende Sollicitant das Kloster samt Geld aufsuchte, bedeckte er sein Gesicht mit einer Mütze.360 Solche Treffen im Geheimen außerhalb der Stadt Wetzlar kamen häufiger vor. Aber auch innerhalb Wetzlars kam es zu konspirativen Begegnungen; darauf deutet der bereits angeführte nächt­liche Besuch des jüdischen Sollicitanten im Hause Reuss hin. Ansonsten aber dürfte ebenso deut­lich sein, dass Wetzlar sehr offen bei den Kameralen ein- und ausging. In ­diesem Sinne war auch Wetzlars Haus Zum Goldenen Brunnen im Frankfurter Ghetto 361 – er war Schutzjude der Reichsstadt – ein (offener) Ort der Begegnung. Es heißt sogar, hier sei der meiste Handel und Wandel betrieben worden.362 Wie leicht an ­diesem Ort Sollicitier-, Korrup­tions- und Geldleihgeschäfte Hand in Hand gehen konnten, verdeut­licht Papius. Im Umfeld des Falls Valloner Kartause contra Belli bat dieser Wetzlar um Geld, was jener in seinem Haus auch tat. Bey dieser Gelegenheit, so die aufschlussreichen Worte Wetzlars bei dessen Verhör, zog der Assessor einen Zettel aus dem

360 Examen Nathan Aaron Wetzlar 3. Juli 1771 [StadtAA RKG 33, Beilage Rela­tion 73]. 361 Battenberg, Hoffaktoren (2012), S. 37 u. Schwarz, Bribery of Judges (1973), S. 253. 362 HStA-Han. Cal. Br. 11 4107, Falcke an Räte 29. Nov. 1768.

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Sack. Auf ­diesem Zettel stand ein Fall, den Papius als Referent bearbeiten sollte. Er betraf die so genannte Kaiserswerther Sache und damit eine jahrhundertealte Auseinandersetzung ­zwischen Kurköln und Kurpfalz um den Rheinzoll.363 Dieser Fall 364 war für den kurpfälzischen Hoffaktor wie geschaffen und Papius wähnte sich wohl schon in einem Geldregen. Doch Wetzlar war wenig erfreut und sagte: Gnädiger Herr! Halten Sie diese Sache stille und behalten [sie] diese Acten in Ihrer Verwahrung, so lange, bis ich diese von [...] [selber] verlangen werde.365 Diese Reak­tion lässt sich damit erklären, dass hier der ordent­liche Korrup­ tionsweg verletzt wurde. Denn normalerweise legte Wetzlar fest, in welchem Fall er sollicitierte und wen er wie bestach. Hier jedoch drängte Papius sich und seinen zu referierenden Fall geradezu auf. Es ging aber auch darum deut­lich zu machen, daß die Kaißerswerder Sollicitatur in die Stille und Geheim besorgt werden sollte.366 Dieses Begehren verweist darauf, dass Wetzlar als Hoffaktor zwar gute, aber eben auch zu gute und eben für jedermann bekannte Kontakte zum kurpfälzischen Hof hatte. Im Rückgriff auf die zwei Pole der Korrup­tion wurde – so kann man sagen – die Ad-­hoc-­Korrup­tion verstärkt zu einer verflechtungsförmigen Korrup­tion. Deut­lich ist damit ebenso, dass die ‚Korrup­tionsakteure‘ dann doch, anders als beim Fall Belli, in puncto Überschnelle ihre Grenzen kannten, in deren Rahmen es mög­lich war, offen oder verdeckt die Korrup­tionsgeschäfte zu arrangieren. Die Sollicitatur ermög­lichte es dabei, die Korrup­tion in den Mantel der Legitimität zu hüllen. Denn das Begehren um Prozessbeschleunigung schuf jene Nähe, die unerläss­lich war, um korrupte Strukturen aufzubauen. Daneben gab es keine klare Rollentrennung. Wetzlar war nicht nur Sollicitant, sondern auch Bank- und Geschäftsmann, der den Assessoren Geld geliehen hatte und sie mit (Luxus-)Waren versorgte. Darüber hinaus nutzte Wetzlar die Abgabenfreiheiten der Kameralen,367 um im Haus eines Assessors, vermut­lich Nettelbla, ein Warenlager zu betreiben. Als Händler vor Ort agierte die Frau des Assessors, die feinsten Stoff und seidene[s] Zeuch in denen Gesellschaften feil gebotten hatte.368 Damit angedeutet ist, dass auch die Gerichtsangehörigen über keine klaren Rollen verfügten, da ihnen 363 Examen Nathan Aaron Wetzlar 5. Juli 1771 [StadtAA RKG 33, Beilage Rela­tion 73]. 364 Siehe hierzu näher Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.5, S. 258 f. 365 Examen Nathan Aaron Wetzlar 5. Juli 1771 [StadtAA RKG 33, Beilage Rela­tion 73]. 366 Ebd. 367 Hausmann, Kameralfreiheiten (1989), S. 167 – 178. 368 Diese zumindest vermutete die Visita­tion. Die hierüber befragte Prokurator Zwierlein jun. konnte die Verdachtsmomente jedoch nicht bestätigen [Spezialexamen Prokurator Zwierlein jun. 11. Mai 1771, StadtAA RKG 80, fol. 879].

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eigent­lich „jeg­liche außergericht­liche, auf Erwerb gerichtete Tätigkeit“ verboten war.369 Dadurch wiederum war es Papius ein Leichtes, viele Bestechungen unter einem theils würk­lichen, theils angeb­lichen Weinhandel zu verstecken.370 So kam es vor, dass er einer Partei – es ging um einen Fall des Deutschen Ordens – ein schlecht Stück Wein, so kaum 100 Rthl. werth, für 400 fl. hat abkaufen lassen. Selbst eine alte Kutsche musste nolens volens gekauft werden. Am Ende des Falls, den Papius zugunsten des Deutschen Ordens beeinflusst hatte, drängte der Assessor sogar auf einen simulierten Wein-­Kauf über 3.000 fl. Hier jedoch war der Bogen erneut überspannt. Der Orden war des Geld gebens müde und verweigerte die Zahlung.371 Es muss offen bleiben, wie sehr s­ olche Korrup­tionsfälle ein wie auch immer geartetes Vertrauen in die höchstrichter­liche Rechtsprechung erschüttert haben. Deut­lich ist dennoch, dass nicht nur der Nebenerwerb, sondern auch das Nehmen und Geben von Geld und Sachgegenständen eine Praktik war, die zwar normativ verboten war, aber gesellschaft­lich zumindest in gewissen Grenzen akzeptiert wurde. Diese Akzeptanz frei­lich bedürfte einer näheren, synchronen und diachronen Analyse, die im Rahmen dieser Studien nicht geleistet werden kann. Denn die bereits angesprochene Normenkonkurrenz verdeut­licht, dass es noch nicht jene Eindeutigkeit gab, die es erlaubt, von einem ausschließ­lich systemkonformen oder systemwidersprechenden Verhalten zu schreiben. Dazu zählt auch der Befund, dass sich Papius nicht nur bei dem Sollicitanten Wetzlar, sondern ebenso bei den Prozessparteien Geld ausgeliehen hatte. Dies geschah etwa beim Prozess Bamberg contra Brandenburg-­Ansbach bezüg­lich der Rechte der Stadt Fürth. Nachdem Papius von der brandenbur­gischen Seite etwa 5.000 fl. geliehen bekommen hatte und überdies ein schrift­liches Versprechen zu Stifts-­Stellen in Westphalen für seine zwey Töchter in Händen hielt, sah sich für die Gegenseite der bamber­gische Hofrat Mehler genötigt, sich erkennt­lich zu zeigen. Nach und nach lieh er Papius Geld aus seinem Beutel, ohne dazu von seinem Hofe Befehl zu haben, welches der Assessor u. a. zur Bestreitung seines Bauwesens verwendete. Am Ende waren es rund 2.400 fl. und dann noch die Zinsen, die Mehler trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zurückerhalten hatte.372 Derartige Leihgeschäfte konnten also nahtlos in Korrup­tionszahlungen übergehen. Der legitime Schein des Geldausleihens oder der Schein eines legitimen, aber ungleichen Geschäfts (überteuerter Wein/Kutsche) bestimmte dabei 369 Hausmann, Kameralfreiheiten (1989), S. 184 f. 370 HHStA Wien RK RKG VA 394, Präliminarrela­tion SD Wurmb über Assessor Papius, 3. März 1769. 371 Ebd. 372 Ebd.

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jenes Umfeld, in dessen Rahmen sich die Korrup­tion vollziehen konnte, und zwar auch jenseits der Sollicitatur. Es kann auch von einem falschen Korrup­ tionsrollenspiel gesprochen werden, in dem Assessor Papius als Kreditsuchender und die Parteien bzw. ihre Vertreter als Kreditgeber auftraten. Am Ende jedoch stand der Assessor, der mit oder ohne vorheriges Wissen der Parteien, wider gegenteilige Beteuerungen (Ich werde ihnen ihr Geld wieder geben) und unter dem Schein des Nichtwissens (Er wisse von keinem Gelde) das Geld behielt und auf Grundlage dieser Geldzahlungen seine richter­lichen Entscheidungen fällte (Er habe ausdrück­lich einfliessen lassen, daß die Hebung der parium von seinem Voto abhänge).373 Um ein solches falsches Korrup­tionsspiel, dem man sich nur schwer entziehen konnte, wussten viele. So war ein Advokat namens Lenaert verunsichert, als Papius sagte, er brauche Geld. Der Assessor hatte näm­lich nicht gesagt, ob solches ein Darlehen oder Geschenk seyn solle. Da Papius jedoch in einem Senat saß, der für den Advokaten von Bedeutung war, habe er Gewißens halber einen Geist­lichen um Rath gefragt. Die Antwort, die er erhielt, war dabei ebenso deut­ lich wie bezeichnend: Er solle das Geld nur gleich geben, weil bey d­ iesem [Papius; A. D.] ohne Geld nichts zu erlangen sei. Solche Aussagen verdeut­lichen, warum Papius keinen günstigen Ruf, ja sogar einen üble[n] Ruf hatte 374 und die Visita­tion sich derart intensiv mit ihm auseinandersetzte – das kurmainzische Verzeichnis führt allein 33 Seiten über seine Personaldefekte. Demgegenüber füllen die Personaldefekte von Reuss 18 Seiten und jene von N ­ ettelbla 14 Seiten. Letzterer habe dabei Reuss an bößen Willen und Arglist 375 und Assessor Papius an Boßheit und Pflichtvergessenen Raub-­Begierde übertroffen.376 Was alle drei, Papius, Reuss und Nettelbla, eint, war der tiefe Fall nach den unbeschwerten Jahrzehnten der Korrup­tion. Die Empörung war derart groß, so dass sogar die Forderung aufkam, sie mit einem Schild um den Hals durch die Stadt zu treiben, auf dem „Justizverkäufer“ stehen sollte.377 Diese Schande blieb ihnen erspart, nicht jedoch der Verlust der Assessorenstellen sowie aller damit verbundenen Titel, Ränge, Gehälter, Freiheiten und Immunitäten.378 Daneben mussten die korrupten Assessoren die Stadt Wetzlar für immer verlassen – Reuss 3 73 Ebd. 374 Ebd. 375 Erklärung KK vom 22. April 1774 (819. Session) [StadtAA RKG 53]. 376 StadtAA RKG 33, Rela­tion 122 vom 30. April 1774. 377 Sellert, Richterbestechung (1994), S. 337. 378 So die Aufzählung im Schlussurteil von Nettelbla vom 22. April 1774. Bei Reuss (4. Dez. 1773) ist vom Verlust des Titels, des Ranges, Gehalts, der Freiheiten und anderer

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innerhalb von sechs Wochen, Nettelbla innerhalb von vier Wochen und Papius innerhalb von zwei Wochen –, wobei es unter schärfster Ahndung verboten war, zurückzukehren, unter welchem Vorwand auch immer.379 Für den 77-jährigen Nettelbla bedeutete ­dieses Urteil das unwiderruf­liche Ende seiner 31-jährigen Assessorenzeit,380 und zwar ungeachtet einer Verteidigungsschrift, die er noch wenige Wochen vor Urteilsverkündigung vorgelegt hatte.381 Seine Frau, die Handlangerin ihres bösen Mannes,382 musste außerdem innerhalb von drei Tagen 100 Dukaten zurückzahlen, die sie von einem Sollicitanten angenommen hatte. Nettelba wiederum musste zusätz­lich hinnehmen, dass seine Visita­tionspublika­tionen für verwerf­lich erkläret wurden.383 Die Strafe, Wetzlar zu verlassen, setze die Visita­ tion jedoch, nachdem er vergeb­lich versucht hatte, in der näheren Umgebung eine Bleibe für die zu erwartende kurze Lebens Zeit zu finden, aus.384 So verstarb Nettelbla im August 1775 und damit nicht einmal eineinhalb Jahre nach seiner schmachvollen Absetzung in Wetzlar.385 Der gleichfalls greise Reuss ( Jahrgang 1705), der noch bis zu seiner Absetzung ein Drittel seiner Assessorenbesoldung erhalten hatte, um die gröste Noth zu überstehen,386 ließ sich nach dem Urteil und einer Privatkollekte, die er zur Ausreise benötigte – die Visitatoren und Kameralen gaben für ihn und seiner Familie 800 fl.387 –, auf seinem Gut in Steinheim a. M. nieder, wo er 1785 verstarb.388 Papius ( Jahrgang 1717) hingegen, dem nachgewiesen werden konnte, in neun Fällen rund 40.000 Gulden erhalten zu haben,389 verlor nicht nur sein Amt, sondern auch seine Ehre.390 Seine Frau, Josepha von Papius, und die Kinder konnten jedoch in „ihrem Stand, Ehren und Rechten“ verbleiben 391 und mussten „zumindest in Nutzbarkeiten die Rede. Bei Papius (4. März 1774) hingegen heißt es, dass er des Beysitzer-­ Amts gänz­lich entsetzet und seiner Ehre verlustiget sei. 379 Schlussurteil Nettelbla vom 22. April 1774. 380 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1207. 381 Die gedruckte Schrift umfasst 77 Paragraphen und wurde in der 814. Session vom 8. April 1774 vorgelegt. 382 StadtAA RKG 33, Rela­tion 122 vom 30. April 1774. 383 Schlussurteil von Nettelbla vom 22. April 1774. 384 StadtAA RKG 33, Rela­tion 125 vom 15. Juni 1774. 385 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1208. 386 BA AR 1/IV 10, Schreiben Reuss vom 2. Dez. 1771, fol. 689. 387 StadtAA RKG 33, Rela­tion 117 vom 29. Jan 1774. 388 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 23, S. 245. 389 Ebd., Biogr. 58, S. 586. 390 Schlussurteil Papius vom 4. März 1774. 391 Ebd.

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g­ esellschaft­licher Hinsicht nicht allzusehr büßen“.392 Ansonsten aber begann für Papius und seine Familie eine Zeit der Entbehrungen. Schon nach dem Beschluss der Visita­tion, die Assessorenstelle neu zu besetzen, spielten sich dramatische Szenen ab, die verdeut­lichen, dass hier eine existentielle Lebenskrise vorlag. Während näm­lich Papius beim Empfang des Beschlusses über eine Neubesetzung der Assessorenstelle beinahe in Ohnmacht geriet, hatten sich Frau und Kinder […] die Hauben vom Kopf und fast die Haare ausgerissen. Bei ­diesem emo­tionalen Spectacul fiel selbst der Kanzlist der Gerichtskanzlei, der den Beschluss zugestellt hatte, in eine Anwandlung von einer Ohnmacht.393 Die Schwere des Falls war vor allem damit gegeben, dass mit der Suspendierung von Papius die hoch verschuldete Familie in große finanzielle Not geriet. Schon wenige Monate nach der Suspendierung bat Josepha Papius die Visita­ tion darum, die Stadt samt Mann und Kindern verlassen zu dürfen, um dem äussersten Mangel zu entgehen. Diese Bitte wurde allerdings verwehrt. Erst mit dem Endurteil war es der Familie Papius mög­lich, Unsere Unglück­liche[n] Tage, Unseren Schmerz, unsere Thränen [...] denen Augen der Welt zu verbergen.394 Dabei war man auf ein Gnadengehalt von jähr­lich 500 fl. angewiesen, welches – nachdem das RKG ein entsprechendes Gesuch abgelehnt hatte 395 – der kaiser­liche Hof gewährt hatte.396 Papius, den Goethe in seinem Götz von Ber­lichingen mit der eisernen Hand literarisch verewigte (2. Fassung, Ende des 2. Akts),397 verstarb 1792 in Fritzlar.398 Der Justiz-­Mäckler  399 Nathan Aaron Wetzlar wiederum wurde am 10. Juni 1774 (Sess. 839) verurteilt. Zu ­diesem Zeitpunkt lagen bereits drei Jahre Haft hinter ihm. Man hatte ihn auf den Thurm gebracht, und jedes Mal zum Verhör mit der Wache ad Consessum geführet.400 Nun, nach unzähligen Verhören, der Aufdeckung zahlreicher Justiz-­Mackeley[en] und Corrup­tionen sowie den aus ­diesem schänd­lichen Gewerb und getriebenen Justiz-­Handel sich ergebenden unlauteren Geldgewinns,

3 92 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58, S. 586. 393 StadtAA RKG 33, Rela­tion 115 vom 8. Dez. 1773. 394 HHStA Wien RK RKG VA 309, Gesuch Josepha Papius (undatiert). Das Gesuch ist dem Diarium vom 22. Jan. 1772 beigelegt. 395 BA AR 1/IV 12, Gesuch Josepha Papius (undatiert), fol. 84. Die Ablehnung (fol. 82v) ist auf den 15. März 1774 datiert. 396 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58, S. 586. 397 Dettelbacher, Goethes „Assessor Sapupi“ (1972). Sapupi ist das Anagramm von Papius. 398 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 58. 399 HStA-Han. Cal. Br. 11 4124, Falcke an König 5. Mai 1772. 4 00 StadtAA RKG 33, Rela­tion 69 vom 25. Mai 1771.

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sprach die Visita­tion eine Strafe von 232.134 fl. aus. Der Sollicitant musste darüber hinaus drei weitere Jahre nach Frankfurt ins Gefängnis und auf die Tora schwören, nie wieder den Sitz des RKG aufzusuchen, mit Gerichtsangehörigen in Kontakt zu treten oder gar zu sollicitieren.401 Zur Vermögenserfassung – es waren rund 100.000 fl.402 – wurde der Rat der Stadt Frankfurt angewiesen, dem Generalfiskal alle relevanten Schriften und Urkunden vorzulegen. Und auch Reuss wurde aufgefordert, die über 20.000 fl., die noch ungedeckt in den Handelsbüchern des Sollicitanten standen, zu zahlen. Der gesamte Visita­tionsbeschluss sollte schließ­lich, wie schon die Beschlüsse über die drei abgesetzten Assesssoren, dem Plenumsprotokoll beigelegt werden. Nach der Verbüßung der Gefängnisstrafe verstarb Wetzlar 1784 zu Frankfurt.403 Es ist bezeichnend, dass die Aufdeckung des „wohl berühmteste[n] Bestechungsskandal[es] am RKG“404 für die Visita­tion eine zweischneidige Angelegenheit war. Einerseits konnte zumindest mittelfristig das Vertrauen in die Rechtsprechung wiederhergestellt werden. Dadurch lässt sich ungeachtet der noch ausstehenden Untersuchung der Wirkungsgeschichte des Korrup­tionsskandals sagen, dass die Visita­tion für die Reinhaltung allen Credit[s] und Glauben[s] und damit für das höchste Gut eines jeden Gerichts sorgte.405 Im Zusammenspiel mit der Vermehrung der Beisitzer fand hier – dies kann festgehalten werden – die letzte Visita­tion des RKG ihre Erfüllung. Dem steht jedoch andererseits gegenüber, dass der zu zahlende Preis hoch, sehr hoch war. Denn die systematische Aufarbeitung der Korrup­tionsgerüchte einschließ­lich der Befragung auswärtiger Personen (etwa in Augsburg,406 Lüttich,407 Hildesheim 408) sowie der Erstellung,409 Sichtung und Auswertung zahlloser Schriftstücke 410 kostete sehr viel Zeit und Geld. Damit jedoch wurde jene Weitläufigkeit befördert, die das Verfahren nachhaltig diskreditiert hat.

4 01 Schlussurteil Nathan Aaron Wetzlar vom 10. Juni 1774. Auch abgedruckt bei Fuchs, Sollicitatur (2002), S. 234 f. 4 02 StadtAA RKG 33, Rela­tion 125 vom 15. Juni 1774, Beilage C. 4 03 Battenberg, Hoffaktoren (2012), S. 38. 4 04 Hausmann, Kameralfreiheiten (1989), 52 (Anm. 73). 4 05 Erklärung KK vom 22. April 1774 (819. Session) [StadtAA RKG 53]. 4 06 VS vom 1. Sept. 1769 (Session 329) [StadtAA RKG 46]. 4 07 VS vom 9. Nov. 1770 (Session 475) [StadtAA RKG 50]. 4 08 VS vom 20. März 1772 (Session 524) [StadtAA RKG 51]. 4 09 Präliminarrela­tionen, Rela­tionen, Correla­tionen und Fragebögen für das Spezialexamen. 410 Audienz-, Senats- und Plenumsprotokolle, Gerichtsakten, Korrespondenzen, Rechnungsbücher.

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Zur Länge der Untersuchungen trug zudem bei, dass Falcke seinen Arbeitsmaximen treu blieb und er, aber auch andere, manchen Korrup­tionsfall weiter untersuchen wollten. Dabei spielte neben dem Streben nach Gründ­lichkeit (Nettelbla sei in Puncto Corrup­tionis noch nicht genugsam überführet 411) auch das Verlangen der Protestanten eine wichtige Rolle, sämt­liche Korrup­tionskanäle, die vermeint­lich oder tatsäch­lich bis zum Kaiserhof reichten, aufzudecken. Und auch die exzessive, aber vergeb­liche Suche nach einer Verstrickung des Kammerrichters Spaur in den Korrup­tionsskandal  412 war wohl zum Gutteil reichspolitisch motiviert, da sich hier die (mit dem Reichsschluss von 1775 schließ­lich zum Teil realisierte) Mög­lichkeit bot, den katho­lischen Einfluss auf das RKG zu schmälern.413 Darüber hinaus waren es die Korrup­tionsakteure selbst, die nicht unerheb­ lich zur Langwierigkeit der Untersuchungen beitrugen. Nicht ohne Ironie warf Falcke Nettelbla vor, durch Ausschweifungen […] gleichsam Sand in die Augen zu streuen.414 Nathan Aaron Wetzlar wiederum – er soll am Ende dieser Ausführungen stehen – fiel durch sein ausschweifende[s] [...] Geschwäz auf.415 Viel Zeit kostete auch die Übersetzung der hebräischen Briefe. Dabei war es der Jude Nathan selbst, der – nach Ablegung eines Eides – die Briefe im Visita­tionsplenum zu übersetzen und von Wort zu Wort ad Protocollum zu dictiren hatte.416 Die Visita­ tion dankte hierfür mit der zeitweiligen Umwandlung der Turmstrafe in einen Hausarrest, obgleich das Diktat über vier Wochen dauerte.417 Vermutet werden darf, dass Wetzlar das Diktat willent­lich in die Länge zog, da er generell durch „Weitläufigkeit […] den Visita­tionskongreß ermüden zu wollen schien“.418 Eine ­solche ‚Ermüdungsstrategie‘ lag vielleicht auch vor, als er einmal die Visita­tion darum bat, das Laubhüttenfest mit seinem Vater zelebrieren und gemeinsam die 4 11 StadtAA RKG 33, Rela­tion 122 vom 30. April 1774. 412 So bilanziert Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. III.2.3.5., S. 259, dass nach dem Tod des Kammerrichters Hohenlohe im Jahr 1763 die Assessoren und Wetzlar zwar weiter agierten, allerdings „unter der misstrauischen Beobachtung des neuen Kammerrichters Franz Joseph von Spaur“. Weiter heißt es in Anm. 1380: „Spaur hatte sich schon 1765 mit seinen Verdacht gegen die entsprechenden Assessoren an den Kaiser gewandt. Der Kaiser fürchtete jedoch offenbar einen Skandal und schlug vor, Spaur solle diskret und sehr vorsichtig vorgehen“. 413 Zur diesbezüg­lichen Haltung des kaiser­lichen Hofes siehe Loewenich, Kammerrichter (2011), Kap. II.5.3., S.  101 – 103. 414 HStA-Han. Cal. Br. 11 4123, Falcke an König 29. Febr. 1772. 415 StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771. 416 StadtAA RKG 33, Rela­tion 70 vom 11. Juni 1771. 417 Ebd. 418 Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 2 (1806), S. 751.

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Synagoge besuchen zu dürfen.419 Die Visita­tion lehnte dies ab, woraufhin Wetzlar die Behinderung seiner Religionsausübung sowie generell beklagte, dass die Soldaten, die ihn bewachten, mit der Kreide Kreuze an die Thür malten. Wetzlar redete sich derart in Rage, bis er vor den Visitatoren gar in schimpfliche Reden wieder die Christ­liche Religion ausbrach.420 Die Visita­tion blieb davon unberührt, obgleich Wetzlar mit den Bestechungen schwere Schuld auf sich geladen hatte. Ein Stück weit machte sich der sollicitierende Handels- und Bankmann sogar lustig über die Visitatoren, das Gericht und überhaupt über Kaiser und Reich. Einmal näm­lich beschrieb er über eine sessionslose Ferienzeit 60 Bögen Papier. Jeder Bogen endete mit den Worten: Decretum in Concilio auf der Wacht Stube bey dem Silber Thor unterthänigster ungedultiger Nathan Aaron Wetzlar. Inhalt­lich streute er zudem hier und da beißende Kommentare ein: Dies s­ eien Hockus Pockus Sachen, alter Huren, alter weiber Sachen. Der Kurfürsten von der Pfalz sei ein Gacht, was im Jüdischen wie Goscht ausgesprochen wird und einen vagirenden Bettel Juden meint. Und aus den Cameralacten solle man ein Feuerwerck und aus der Leserey ein Comoedien Hauß machen 421 – eine Forderung, die in den schriftzentrierten Jahren der Visita­tion nicht deut­licher sein konnte und den Spott der Mäuseanekdote und des ­goetheschen Diktums quasi vollendete.

419 In den 1750er wurde auf Verlangen des RKG eine Synagoge für die „etwa hundertköpfige Judengemeinde“ gebaut [Hahn, Wetzlar 1689 – 1870 (1991), S. 104]. 420 StadtAA RKG 33, Rela­tion 76 vom 6. Okt. 1771. 421 Ebd.

Zusammenfassung

Am Anfang und am Ende dieser Studie stehen die Akten. Bis heute haben sich in den Archiven massenweise Schriftstücke erhalten, die von der RKG-Visita­tion der Jahre 1767 bis 1776 zeugen. Diese Überlieferungssitua­tion nicht als natür­liche, sondern als erklärungsbedürftige Tatsache zu begreifen, hat einen erkenntnisreichen Untersuchungsweg eröffnet. Denn die Frage, warum sich von der Visita­tion so viel Hand-, aber auch Druckschrift­lichkeit erhalten hat, warf die noch grundlegenderen Fragen auf, wann und wo, wer, wie, was visitiert hat. Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Untersuchung. Sie widmete sich den Reformzeiten (Kapitel A), den Reformräumen (Kapitel B), den Reformakteuren (Kapitel C), dem Reformverfahren (Kapitel D) und den Reforminhalten (Kapitel E). Zur Untersuchung dieser Themenbereiche wurde methodisch ein praxeolo­ gischer Ansatz verfolgt, der sich der Archiv-, Alltags-, Verwaltungs-, Verfahrens-, Wissens-, Sozial-, Begriffs- und Diskursgeschichte und insgesamt der zugriffsoffenen Kulturgeschichte des Politischen zuordnen lässt. Eine ­solche Methodenvielfalt ermög­lichte es, nicht abermals der Frage nach Erfolg und Misserfolg der letzten RKG-Visita­tion nachgehen zu müssen. Gegen eine solches Vorgehen spricht sowohl die Uneindeutigkeit mög­licher Kriterien für die Bewertung (nicht-)erfolgreichen Handelns als auch die Tatsache, dass eine solcher Zugriff keine weiterführenden Erkenntnismög­lichkeiten bietet. Größeres Erkenntnispotential birgt hingegen die Frage, warum sich von der Visita­tion weitaus mehr Akten erhalten haben als von den vorangegangenen Visita­tionen. Denn hierdurch war es mög­lich, neben grundlegenden Wandlungen der Anwesenheitsgesellschaft die Sattelzeit sowie eine Vormoderne in den Blick zu nehmen, die sich zwar als ‚Akten- und Druckzeitalter‘ begreifen lässt. Eine systema­ tische Untersuchung der Entstehung und Bedeutung sowohl der Hand- als auch der Druckschrift­lichkeit fehlte jedoch bislang. Die vorliegende Studie möchte einen Beitrag dazu leisten, ­dieses Desiderat anzugehen, und zwar mit folgenden Befunden, die sich kapitelweise wie folgt zusammenfassen lassen: A) Reformzeiten Die Frage, wann die Visita­tion stattfand, ermög­lichte es, sich mit dem Reformabsolutismus sowie mit der Eigengeschichte der RKG -Visita­tionen vom visita­ tionsreichen 16. Jahrhundert über das visita­tionsarme 17. Jahrhundert bis zum (seit 1713) visita­tionslosen 18. Jahrhundert auseinanderzusetzen. Beide Bereiche prägten nachhaltig das zeitgenös­sische (Nicht-)Wissen über die Visita­tion und

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die Erwartungshaltungen, mit denen das RKG reformiert wurde. Die Visita­tion von 1767 ist dabei sowohl aufgrund der visita­tionslosen Vergangenheit als auch aufgrund des zu visitierenden Gerichts, welches den rechts- und friedenswahrenden Charakter des römisch-­deutschen Reiches gerade in einer Zeit des erst kürz­ lich (1763) wiedergewonnenen Friedens betonte, als eine Reform zu begreifen, die sich ungeachtet aller Reformnotwendigkeiten zumindest anfäng­lich selbst genügte. Der Siebenjährige Krieg beschleunigte wiederum einerseits auf Reichs­ ebene, aber auch auf territorialer, ‚reformabsolutistischer‘ Ebene die Umsetzung bereits bestehender Reformvorhaben, ­welche in gleichem Maße dem von der Aufklärung beförderten Streben nach Ra­tionalität und dem – durch Krieg und Krise verstärkten – Verlangen nach Veränderung entsprachen. Andererseits nahm durch den Siebenjährigen Krieg die chronische Überschuldung des vormodernen Staates zu. Dadurch hat sich für die Visita­tion jener Zeit- und Kostendruck erhöht, der bereits dadurch bestand, dass das werdende Bürgertum und mit ­diesem gerade die aktenproduzierende Funk­tionselite den Faktor Zeit als ein entscheidendes Mittel zur Gestaltung eines aufgeklärt-­bürger­lichen, vernünftigen (Arbeits-)Lebens begriff. Die Visita­tion konnte jedoch ­diesem (kosten-)ra­tionalisierenden Zeitgeist allein schon wegen der Komplexität der politischen Rahmenordnung als auch wegen der Reformerwartungen, die diesseits und jenseits konkreter Defizite und normativ verankerter Reformvorhaben bestanden, nicht folgen. Dies unterstreicht in besonderem Maße der Begriff ‚Weitläufigkeit‘. Er ist deshalb in den Visita­tionsakten, aber nicht nur dort allgegenwärtig, weil er jene Dinge diskreditierte, die dem Reformcredo der Zeit und mehr noch dem nichtweitläufigen Zeitverständnis der Zeit widersprachen. Weitläufigkeit ist also ebenso wie das Gegenkonzept der übereilten Nicht-­Gründ­lichkeit eine unbestimmt-­subjektive, nicht quantifizierbare Wertungskategorie, die in den ‚Wertherjahren‘ und damit in einer Zeit des beschleunigten Wandels zu einem grundlegenden und schwer zu entkräftenden Topos der Ineffizienz erhoben wurde. Die Eigenlegitimierung der Visita­tion war allein schon deshalb schwierig, weil sie tatsäch­lich nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld und von beidem je länger desto mehr benötigte. So konnte gezeigt werden, dass nicht nur das Personal, die pferde- und kutschenbasierte Mobilität, die Quartiersmiete und das Brennholz, sondern auch die Druckschrift­lichkeit und mehr noch die Handschrift­lichkeit viel Geld kostete. Durch die Kosten, die mit den zur handschrift­lichen Schriftproduk­ tion benötigten Materialien (Papier, Feder, Tinte, Sand, Siegellack), der Weiterverarbeitung des in unterschied­lichster Qualität ries- bzw. kiloweise eingekauften Papiers (Beschneidung und Bindung), den schrift­lichkeitsrelevanten Gegenständen (Schreibtische, Aktenablagen, Tinten-/Sandgefäße), Räum­lichkeiten (Miete, Kanzlei und Umbaumaßnahmen) und Personen (Hilfspersonal, Handwerker,

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Fuhrmänner, Träger) anfielen, lässt sich sogar sagen, dass der Schriftalltag der Visita­tion nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht nachhaltig von der Handschrift­ lichkeit geprägt war. Zeit beeinflusste aber nicht nur des Geldes wegen, sondern allein schon aufgrund der Taktung des menschlichen (Alltags-)Lebens die Visita­tion. Der Reform­ alltag der Visitation hing, dies macht Kapitel A deutlich, einerseits von dem Jahres- und Feiertagszyklus des RKG ab. Andererseits waren die Tage und Wochen der Visita­tion geprägt von den Sessionszeiten, den (nächt­lichen) Arbeitszeiten der Akteure, den konferenzartigen Arbeits- und Essensgesprächen, aber auch von – erneut auf die Handschrift­lichkeit verweisenden – Post- und Diktaturzeiten. Die Rhythmisierung der Zeit durch visita­tionsexterne und visita­tionsinterne Faktoren war daneben gegeben mit jenen Stunden, Tagen und Wochen, die dazu dienten, sich – in Abgrenzung zu den Arbeitszeiten – zu erholen, sich mit Karten oder anderen Spielen die Zeit zu vertreiben oder auch in Gesellschaft das arkane Dasein eines Freimaurers zu pflegen. B) Reformräume Die Visita­tion verwirk­lichte sich aber nicht nur in und durch die Zeit, sondern ebenso im Raum. Die Frage, wo sich die Visita­tion vollzogen hat, ließ zunächst erkennen, dass es mit dem Reformzentrum Wetzlar, der territorialen und r­ eichischen Reformsphäre sowie der Medienöffent­lichkeit insgesamt vier Reformsphären gab, die sich durch das (printmediale) Handeln von Personen sowie durch die verräum­lichte Konkretisierung bzw. Inszenierung verfassungsund rechtspolitischer Strukturen in Wetzlar (Visita­tion/RKG), auf territorialer (Landesherr/Zentralbehörden) bzw. reichsstädtischer (Magistrat/Behörden) und reichischer Ebene (Kaiser/Reichstag) konstituierten. Jede Reformsphäre kannte dementsprechend ihre eigenen Orte des (schriftbasierten) Handelns sowie ihre eigenen Akteure, die nicht nur innerhalb, sondern mehr noch ­zwischen den Sphären agierten, indem sie Hand- und Druckschriften produzierten, distribuierten und rezipierten. Gerade durch diesen schriftbasierten, aber immer auch münd­lichen Austausch der Akteure ergab sich eine dynamische Koppelung der einzelnen Reformsphären, die sich potenzierte, wenn sich die Akteure nicht nur indirekt schrift­lich, sondern überdies persön­lich z­ wischen den Sphären bewegten. Das zeitgenös­sische Reden über die Visita­tion im Reformzentrum Wetzlar vollzog sich zunächst innerhalb eines städtischen Raumes, der durch die Policeyund Taxordnung eine Reglementierung erfuhr. Diese Verordnung erfasste die Gast- und Wirtshäuser, die zugleich Alltagsräume der Visita­tionsangehörigen waren, sowie die Gesandtschaftsquartiere. Letztere waren gerade deshalb regelungsbedürftig, da es sich um bedeutsame, aber überbegehrte Orte des Arbeitens,

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Wohnens, Schlafens sowie der Ranginszenierung handelte. Die Gespräche wiede­ rum, die in den Unterkünften etwa beim gemeinsamen Speisen oder Konferieren geführt wurden, dienten oftmals dazu, das Vorgehen im Plenum zu koordinieren. Deshalb und weil die Visitatoren in den Quartieren ihre zu Protokoll gegebenen Voten zumeist in Eigenregie formulierten, lassen sich diese Orte als verräum­lichter ‚Vorbau‘ der im Visita­tionssaal geführten und protokollierten Beratungen begreifen. Da überdies in den Quartieren die an die Visita­tionsobrigkeiten gerichteten Berichte und Diarien entstanden sind, kann sogar gesagt werden, dass hier ein Großteil des überlieferten Schriftguts seinen Ursprung nahm. Zudem lagerte in den Unterkünften, gerade wenn es keine delega­tionseigene Kanzlei gab, wenn es aber eine s­ olche gab, dann immer auch dort, eine Vielzahl an Schriftstücken. Der aufbewahrte Schriftkanon umfasste diverse Protokolle (Visita­tions- und Examensprotokolle, Protokolle des RKG-Plenums, Senatsprotokolle), Gerichts- und Visita­tionsakten, Abschriften bereits ergangener Berichte und Diarien, Abschriften von ausgehenden und Originale von eingehenden Korrespondenzen, Instruk­ tionen, Arbeitsnotizen, w ­ elche im Visita­tionssaal oder andernorts entstanden sind, sowie arbeitsrelevante Druckschriften. All dies bildete ein sich ständig erweiterndes, ephemeres Gedächtnis einer jeden Visita­tionsdelega­tion, das sich in den Archiven allerdings nur selektiv erhalten hat. Anders hingegen die Protokolle. Sie wurden zwar auch in der Direktoriumskanzlei für die Diktatur aufbereitet und danach in den übrigen Kanzleien oder in den Quartieren ins Reine gebracht. Am Anfang stand jedoch immer die Protokollführung im Konferenzsaal sowie, nach der Aufbereitung durch das Direktorium, das Diktat in der visita­tionseigenen Diktaturstube. Beide Orte, Konferenzsaal und Diktatur, lassen sich aufgrund der Genese der Visita­tionsprotokolle als komplementäre Zentralorte der Visita­tion begreifen, die eine Ergänzung erfuhren durch die seit 1769 bestehende visita­tionseigene Druckerei, die zur Beschleunigung der Schriftproduk­tion eingerichtet worden war. Konferenzsaal und Diktatur waren aber nicht nur instrumentelle Orte des Beratens und Entscheidens, sondern immer zugleich symbo­lische Orte der politischen Machtinszenierung. Dies bringt die hierarchische Sitzordnung zum Ausdruck, die es nachweis­lich im Beratungssaal sowie aller Wahrschein­lichkeit nach auch in der Diktaturstube gab und die dazu diente, den politisch-­sozialen Rang der Subdelega­tionen und damit immer zugleich den Rang der delegierten Visita­tionsobrigkeiten sichtbar zu machen. Die symbo­lische Ranginszenierung war dabei sehr störanfällig, weil durch diese Inszenierung politische Macht nicht nur dargestellt, sondern immer zugleich hergestellt wurde. Gleiches lässt sich für den protokollführenden kurmainzischen Sekretär feststellen. Dessen Sitz und Stuhl im Konferenzsaal war

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nicht nur instrumentelle Notwendigkeit, sondern immer zugleich symbo­lischer Ausdruck der, keineswegs absoluten und überdies umstrittenen, kurmainzischen Hoheit über die ‚Protokollschrift­lichkeit‘ der Visita­tion. Wie störanfällig eine Ranginszenierung war, verdeut­lichte das jähr­liche Namensfest des Kaisers. Die Feier­lichkeiten fanden in der Franziskanerkirche und damit in einem zentralen religiösen, sozialen und politischen Handlungsund Kommunika­tionsraum der Vormoderne ihren stets umstrittenen Höhepunkt. Den Streit um den rechten Kirchenplatz trugen kurfürst­liche und fürst­ liche Visitatoren einerseits sowie Präsidenten und Assessoren andererseits, aber immer auch die Präsidenten und Assessoren untereinander aus. Damit waren Visitatoren und Gerichtsangehörige im Zwang zur Ranginszenierung vereint, wie er sich ebenso bei der Visita­tionseröffnung und der Fronleichnamsprozession des Jahres 1768, nicht aber beim Trauergottesdienst anläss­lich des Todes der Kaiserin Maria Josepha gezeigt hat. Die Prozessionen, wie sie unter Beteiligung der katho­lischen Reform­akteure stattfanden, verdeut­lichten wiederum, wie sich die Reformgemeinschaft stets konfessionell segmentierte. Zudem bestätigte sich, dass der gesamte städ­tische Raum als ein visita­tionsrelevanter Handlungsraum zu begreifen ist, der von einer ‚natür­lichen’ Dynamik geprägt war. Dies bedingte die ständige Bewegung von Menschen zu Fuß, mit Pferden (welche Stallauer schmerzhaft vermisste), Kutschen oder Tragesesseln sowie die ständige Bewegung von Gütern einschließ­lich der visita­tionsrelevanten Schriftstücke, wie etwa der Zettel zur Ansage der Sessionen. Die von den Akteuren und der Schrift­lichkeit getragene Dynamik verweist zugleich auch darauf, dass sich die Visita­tion nicht nur in Wetzlar verwirk­lichte. Mit dem Reich und den Territorien bestanden vielmehr zwei weitere Reformsphären, die allein schon deshalb mehr darstellten als Reformperipherien, da die Visita­tion eine Reform des Reiches war, die es erforder­lich machte, vor Ort die politische Ordnung des gesamten Reichsverbandes zu inszenieren. Der Zwang zur Ranginszenierung wog dabei umso schwerer, als mit dem RKG eine verfassungspolitische Grundsäule des Reiches zu reformieren war, die es überdies ermög­lichte, wenn nicht sogar erforderte, eine rekonfessionalisierte Ordnungsvorstellung vom Reich zumindest zu artikulieren. Aber auch umgekehrt beförderte die Visita­tion jene Rekonfessionalisierung, wie sie sich für das Reich des 18. Jahrhunderts ausgehend von den verfassungspolitischen Implika­tionen des Konfessionsdissenses beobachten lässt. Darüber hinaus visitierten mit Preußen, Österreich und England drei Großmächte Europas als Glieder des Reiches. Die Konflikte, die auf dieser europäisch-­reichischen Ebene nicht zuletzt mit dem nur kurzzeitig überwundenen österreichisch-­preußischen Dualismus bestanden, wirkten mittelbar ebenso auf die Visita­tion ein wie die polnische Teilung von 1772 oder die Hungerkrise des Jahres 1770.

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Die territoriale, reichische und schließ­lich auch europäische Verankerung der Visita­tion sagt jedoch noch wenig darüber aus, wie sich das alltagspolitische Handeln im Reformzentrum Wetzlar gestaltete. Denn Europa, das Reich und die Territorien sind dann doch insofern ledig­lich als Reformperipherien zu begreifen, da die Akteure vor Ort Menschen aus Fleisch und Blut waren, die zwar ihre Handlungszwänge, aber mehr noch ihre Handlungsfreiheiten besaßen. Diese Freiheiten lassen sich auch deshalb als eine, wenngleich partiell eingeschränkte, Verfahrensautonomie begreifen, da zwar über die doppelstaat­liche Grundstruktur des Reichs eine unlösbare Widersprüch­lichkeit von territorialen und reichischen Interessen bestehen konnte. Gegen das Reich, zumal in einer Zeit des wiedergewonnenen Friedens, war es jedoch nicht mög­lich zu visitieren. Aus d­ iesem Grund mussten von den Visita­tionsobrigkeiten nolens volens auch die allseits beklagten Kosten übernommen werden. Das obrigkeit­liche Handeln im Reich und in den Territorien darf überdies allein schon deshalb zu keiner Meistererzählung des Mitund Gegeneinanders in Wetzlar erhoben werden, da ungeachtet aller bisherigen Forschungen umfassende und quellennahe Arbeiten fehlen, die den Umgang des Landesherren und der Zentralbehörden mit der Visita­tion aus einer praxeolo­ gischen Binnenperspektive behandeln. Nicht außer Acht geraten darf zudem, dass die Visita­tion ungeachtet der Schrift­ lichkeit immer auch und sogar zuvorderst einer Kommunika­tionskultur folgte, die der Anwesenheit und Münd­lichkeit verpflichtet war. Eben dies bringt gerade der in Wetzlar zu beobachtende Zwang zur Ranginszenierung zum Ausdruck. Für die Frage nach den Handlungsfreiheiten und Handlungszwängen der Visitatoren entscheidend ist dabei zum einen, dass die Inszenierung des Ranges nicht nur, aber doch primär von der Rückkoppelung der Subdelegierten an die delegierten Reichsstände abhing. Zum anderen gab es in Abgrenzung, aber ebenso in Ergänzung und in Erweiterung zu jener symbo­lischen Inszenierung, die einem Primat der Anwesenheitsgesellschaft folgte, einen Zwang zur Schriftproduk­tion. Die Schriftstücke waren bei alldem zum Großteil nicht für das Verfahren vor Ort, sondern für die territoriale Reformsphäre bestimmt. Aus diesen Gründen lässt sich sagen, dass eher mit der Inszenierung des Ranges und der Schriftproduk­tion und weniger mit einer wie auch immer gearteten ‚großen Politik‘ jene strukturellen Handlungszwänge beschrieben sind, die über das Reich und die Territorien auf das Reformzentrum Wetzlar einwirkten. Das Handeln im Reformzentrum Wetzlar wurde ferner beeinflusst durch die Sphäre der Medienöffent­lichkeit. Die Ankündigung der Visita­tion von 1764 regte einen ereignisbezogenen Publika­tionsschub an, der sich im Folgejahr zu einer bis 1771 andauernden publizistischen Welle verdichtete. Diese erste Welle führte auch dazu, dass es mit den ‚Wetzlarischen Anzeigen‘ eine visita­tionseigene Zeitschrift

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gab, die versuchte, sach­lich-­nüchtern ‚wahre‘ Nachrichten über die Visita­tion in den Weiten der expandierenden Medienöffent­lichkeit zu verbreiten. Deut­lich ist auch, dass die Druckschriften, wie sie in Wetzlar zirkulierten, ein Schriftgut waren, welches die Visitatoren für sich und ihre Visita­tionsobrigkeiten kauften. Dadurch hat es sich nicht nur in den Bibliotheken, sondern auch in den Archiven erhalten. Die publizistische Beschäftigung mit der Notwendigkeit, dem Instrument und dem Prozess einer bzw. der Visita­tion von 1767 war einerseits eine Kampagne zur Befriedigung eines Informa­tionsbedürfnisses, wie es allgemein und im Speziel­len aufgrund des zeitgenös­sischen Nichtwissens über die Geschichte der RKG-Visita­ tionen bestand. Andererseits wurde die erste sowie in erhöhtem Maße die zweite publizistische Welle der Jahre 1775 bis 1777 von Kontroversen befördert, die als ein ­zwischen den Reichs- und Visita­tionsobrigkeiten geführter intergouvernementaler Diskurs begriffen werden können. All d­ ieses medienpolitische Artikulieren bedingte einen Produk­tions-, Distribu­tions- und Rezep­tionsvorgang, der sich stets an konkreten Orten vollzogen hat. Diese Orte wiederum wiesen immer einen mittel- oder unmittelbaren Bezug zu den drei anderen Reformsphären, also dem Reich, den Territorien und dem Reformzentrum Wetzlar, auf. C) Reformakteure Kapitel C ging der Frage nach, wer das RKG visitiert hat. In Erweiterung eines rein prosopographischen Ansatzes stand zunächst der lebenswelt­liche Hintergrund jener Menschen im Mittelpunkt, die mit durchschnitt­lich 45 Jahren das RKG visitiert haben. Verallgemeinernd für die 56 Visitatoren konnte festgestellt werden, dass es sich um studierte und teils graduierte Juristen handelte, die bereits vor der Visita­tion mit der höchsten Gerichtsbarkeit oftmals aufgrund eines zeitüb­lichen Praktikums vertraut waren, welches beim RKG nach dem Studium der Jurisprudenz abgelegt wurde. Ein solches Praktikum ermög­lichte es den späteren Visitatoren, sich mit der Stadt, den (Gerichts-)Leuten sowie mit dem Arbeiten an und mit den Gerichtsakten vertraut zu machen. Daneben waren die Subdelegierten langjährige, im territorialen Beamtenapparat fest verwurzelte Funk­tionsträger ihrer Obrigkeiten. Damit besaßen sie das Vertrauen, das für die Tätigkeit als Visitator ebenso erforder­lich war wie das praktische Erfahrungswissen über die Arbeitsweisen eines vielköpfigen Gremiums. Die Visitatoren können also pauschal als eine juristische Funk­tionselite begriffen werden, die – dies wurde gleichfalls deut­lich – zum Großteil einem bürger­ lich-­gelehrten Umfeld entstammte. Damit handelt es sich um jene bürger­liche Leistungselite, die sich in Abgrenzung zur adeligen Standeselite, aber mehr noch in Anlehnung an sie definierte. Aus ­diesem Grund gab es nachweis­lich zwölf Visitatoren, die sich vor oder während der Visita­tion nobilitieren ließen oder in

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Familien aufwuchsen, die seit einer oder zwei Genera­tionen nobilitiert waren. Auch das gesellschaft­liche Leben in Wetzlar ließ erkennen, dass die bürger­lich-­ neuadeligen Visitatoren die Nähe ihrer altadeligen Amtskollegen, aber ebenso die Nähe des Kameralkollegiums (Kammerrichter, Präsidenten und Assessoren) suchten. Dadurch und mehr noch durch die vergleichbaren Karrierewege stellte sich heraus, dass es sich bei Visitatoren und Assessoren ungeachtet ihrer unterschied­lichen Verfahrensrollen (Visitatoren und Visitierte) um eine gemeinsame, elitäre Gruppe handelte. Die Entstehung und die Dynamik einer solchen Gruppe zu beschreiben, stieß frei­lich in dieser Studie allein schon deshalb an Grenzen, da mit Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage die klas­sischen, aber nur schwer zu erfassenden Faktoren einer jeden vormodernen Vernetzung zu berücksichtigen waren. Umso ertragreicher war es, die Vor- und Nachkarrieren der Visitatoren zu betrachten. Auf Grund seiner fachlichen Qualifikation einschließlich eines Studiums an der landeseigenen Universität Göttingen und einer mehr als zehnjährigen Tätigkeit für das Kurfürstentum, war Falcke als Visitator, in Hinblick auf seine Ausbildung und bereits geleistete Arbeit, bestens geeignet. Den Ausschlag dafür, dass sich der bremische Visitator gegenüber zwei weiteren Kandidaten durchsetzen konnte, gab jedoch wohl eher die bis nach London reichende freundschaft­liche Vernetzung. Die Konkurrenz um die Visitatorenstelle verweist überdies auf einen Konkurrenzdruck, welcher unter den elitären Funktionsträgern herrschte und der mit der Visita­tion mehr befördert als beendet wurde. Denn die Leistungselite musste gerade bei der Visita­tion, die ja nur einen vorläufigen und keineswegs unumkehrbaren Karrierehöhepunkt darstellte, ihren Elitestatus behaupten. Wenn also die Visitatoren als eine Elite umschrieben werden, dann darf dies nicht über die Gefahren und Herausforderungen hinwegtäuschen, die bewältigt werden mussten, um diesen Status zu bewahren. In ­diesem Sinne reicht es auch nicht aus, die Visitatoren ledig­lich pauschal als eine gemeinsame Elite zu begreifen, die über das unabdingbare juristische Herrschaftswissen verfügte, um für das Reich und die jeweilige Obrigkeit, aber immer auch für sich selbst und ggf. für die eigene Familie zu visitieren. Denn selbst wenn Qualifika­tion und Erfahrung VOR der Visita­tion für die Tätigkeit als Visitator sprachen, dann war dies keine Garantie dafür, dass sich jemand erfolgreich in das Verfahren einbrachte, zumal dann doch das Erfahrungswissen bei einer vergangenheitsarmen Reform sui generis sehr schnell an seine Grenzen stoßen musste. In ­diesem Sinne ist auch zu differenzieren, dass bei der Visita­tion vor allem, aber keineswegs ausschließ­lich eine 1720er-­Genera­tion an Visitatoren agierte. Ebenso zunächst nur pauschal als Schreibelite umschrieben werden können jene 87 Sekretäre, die nachweis­lich z­ wischen 1767 und 1776 bei der Visita­tion tätig

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waren. Die zumeist studierten Juristen standen an der hierarchischen Spitze einer Vielzahl von überwiegend unstudierten Schreibkräften. Zu den schriftproduzierenden Kräften einer Delega­tion gehörten daneben oftmals, aber nicht immer ein Kanzlist, von denen 28 nament­lich nachgewiesen werden konnten, sowie die vielen namenlosen Kopisten. Sie alle und ebenso die Diener waren ein dem Visitator zuund untergeordnetes Personal, deren Aufgabe bezüg­lich der Schriftproduk­tion darin bestand, die Protokolle zu erstellen, die Berichte ins Reine zu bringen und allgemein die Akten zu ordnen sowie – auf Seiten der Kanzlisten und Kopisten – einfache (Ab-)Schreibarbeiten zu erledigen. Darüber hinaus waren die Subalternen immer auch Überbringer und Empfänger von münd­lichen und schrift­lichen Nachrichten sowohl ­zwischen als auch innerhalb einer Delega­tion. In Rechnung zu stellen bei durchschnitt­lich 50 Sekretären und Kanzlisten pro Jahr ist jedoch, dass hier vom exzentrischen Goué über den introvertiert-­ selbstzweifelnden Jerusalem bis zum liebend-­arbeitsehrgeizigen Kestner sehr unterschied­liche Menschen agierten. Dementsprechend unter­schied­lich dyna­ misch-­komplex konnte sich das Mit-, Neben- und Gegeneinander innerhalb einer Subdelega­tion gestalten. Dies verdeut­lichte gerade der dichtende, trinkende und spielende Goué. Sein Unfleiß und seine Pflichtvergessenheit führten ungeachtet jener Arbeiten, die er gewissenhaft erledigte, dazu, dass sein Vorgesetzter seine Entlassung erwirkte, zumal dieser selbst aufgrund eigener Unzuläng­lichkeiten wohl mehr als die anderen Visitatoren auf die stützende Hand eines Sekretärs angewiesen war. Goués Nachfolger wiederum, Jerusalem, nahm sich zwar keineswegs nur deshalb das Leben, weil ihm die Stadt Wetzlar und das ganze Sekretärsdasein verhasst waren. Die sinnentleerte und dennoch scheinbar nie enden wollende Schreibarbeit für die – so die Wahrnehmung des Zweifelnden – Ratten der Archive war jedoch im Zusammenspiel mit den Erniedrigungen Höflers und neben einer unerfüllten Liebe entscheidend für die Selbsttötung. Dieses tra­ gische, von Goethe literarisch verewigte Lebensschicksal bringt zum Ausdruck, dass die Visita­tionsakteure immer auch und in erster Linie fühlende Menschen waren, deren Leben soweit mög­lich ganzheit­lich betrachtet werden muss. Die Erfordernis einer akteurszentrierten Perspektive unterstreicht, neben dem eingeführte Begriff der ‚Wertherzeit‘, die sich beschleunigende Sattelzeit. Denn diese Beschleunigung bekamen die Sekretäre dergestalt zu spüren, dass VOR der Visita­tion wohl keiner wusste, wie sehr man mit der Beschriftung unzähliger Ballen Papier die beruf­liche Bestimmung finden würde. Aufgrund der schriftzentrierten Arbeitslast, die über die Visita­tion scheinbar hereinbrach, waren die Delega­tionen auch genötigt, in den ersten beiden Visita­tionsjahren erheb­lich mehr Schreibkräfte einzustellen.

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Die Schreibarbeit der Subalternen hatte jedoch ihre Grenzen. Dies verdeut­lichte Kestner, der seinen Aufenthalt in Wetzlar dazu nutzte, ein Quasipraktikum beim RKG zu absolvieren. Neben dem Erlernen des Kameralprozesses unter Anleitung mehrerer Lehrer einschließ­lich seines Vorgesetzten Falcke organisierte Kestner eine Lern- und Arbeitsgruppe, die sich gleichfalls als intellektueller Gegenpol zur sinnentleerten Sekretariatsarbeit begreifen lässt. Unerläss­lich für die Untersuchung war es dabei, abermals die Vorkarriere in den Blick zu nehmen. Kestner steht näm­lich für jene 1740er-­Genera­tion an Sekretären, deren Berufsleben nach den Jahren des Studiums noch weitgehend am Anfang stand. Für den bremischen Sekretär ist überdies entscheidend, dass er das Studium der Jurisprudenz, welches für ihn nicht mehr war als eine ungeliebte Notwendigkeit, abgebrochen hatte. So konnte er erst nach der Überwindung des erdrückenden Zweifels an einem Brotberuf die Sekretärsstelle anstreben. Der Aufenthalt in Wetzlar ermög­lichte es dem Aufstrebenden aber, sich durch die Erlernung des Kameralprozesses beruf­liche Entfaltungschancen zu schaffen. Quasipraktikum und Sekretärsarbeiten ließen sich allerdings nur mit viel Ehrgeiz und Fleiß bewerkstelligen. Ungeplant, aber – im Angesicht der Lebenslage – nicht völlig unerwartet durfte der bremische Sekretär dann auch ein liebender Mensch sein, der seine Zeit mit Charlotte Buff teilte und damit jenes unbeschwert-­vergnügte Leben suchte, wie es viele andere Sekretäre, nicht jedoch Jerusalem, fanden. Wenn sich also neben den Visitatoren auch für die Sekretäre festhalten lässt, dass sich deren Lebens- und Arbeitsalltag sehr unterschied­lich gestaltete, dann deutet sich hier jene Komplexität an, die zur notwendigen Differenzierung der zwar unerläss­lichen, aber dennoch meist simplifizierenden Allgemeinbefunde beiträgt. Umso aussagekräftiger ist, dass sich bei allen Unterschieden eine Konstante für ‚die‘ Schreibelite feststellen ließ: Die Klage über die Mühsalen der Schreibarbeit. Kestner spricht sogar noch 13 Jahre nach der Visita­ tion vom Raub an seiner Person. Indem er sich daneben schon während seiner Zeit in Wetzlar als eine Arbeitsmaschine begriff und sogar das Wort Sklaverei benutzte, beklagte er mit deut­lichen Worten nur jenes leidvolle Dasein als aktenproduzierender Subalterner, wie es auch Jerusalem und Goué teilten und kritisch kommentierten. D) Reformverfahren Diese eingehende Auseinandersetzung mit den Visitatoren und Sekretären war umso wichtiger, als daran anschließend die Frage im Mittelpunkt stand, wie das RKG visitiert wurde. Es hat sich gezeigt, dass auch die Visita­tion die für jeg­liches Verfahren unerläss­lichen Grenzen gegenüber ihrer sozialen Umwelt aufbaute. Dies geschah durch einen dreifachen symbo­lisch-­zeremoniellen Eröffnungsakt:

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Er begann am 11. Mai 1767 mit der Eröffnung des Verfahrens vor, für und mit Kaiser und Reich sowie unter den Augen der Stadtöffent­lichkeit, setzte sich am 21. Mai 1767 mit der vor allem nach innen gerichteten Unterwerfung der Gerichtsangehörigen fort und endete am 15. Juli 1767 mit der Verpflichtung der Visitatoren, Sekretäre und Kameralen auf die verfahrensexterne Verschwiegenheit und verfahrensinterne Offenheit. Hinzu kam der Aufbau eines von den Kameralen bezweifelten und deshalb von den Visitatoren gesondert bestätigten Examensarkanums. Es stellte die Befragung der Gerichtsangehörigen unter einen derart besonderen Schutz, dass selbst die Visita­tionsobrigkeiten zumindest formell nur eingeschränkt Einblicke in das Examen erhielten. Jedes Verfahren erforderte es darüber hinaus, durch spezifische Verfahrensrollen Grenzen gegenüber seiner sozialen Umwelt aufzubauen. Dies begann bereits vor der Teileröffnung am 11. Mai 1767, als zum einen die kaiser­lichen Kommissare und die angehenden Visitatoren ihre Ankunft in Wetzlar ansagten und zum anderen die kaiser­liche Kommission die Vollmacht des Direktoriums und das Direktorium die Vollmachten der übrigen Visitatoren überprüften. Alle Vollmachten außer denen des Direktoriums und der kaiser­lichen Kommissare wurden erneut im Visita­tionssaal in der zweiten und dritten Session (15. Mai und 18. Mai 1767) für die erste Klasse und zu Beginn der Folgeklassen auch hier verlesen und vorgezeigt. Die Bedeutung der Vollmachten wird schließlich dadurch unterstrichen, dass es sich um sorgsam ausgestellte und beglaubigte Schriftstücke handelte, deren Abschriften bis heute massenhaft in den Archiven verwahrt werden. Hier also ist die Überlieferungslage erneut erster und letzter Beweis für die Verfahrens­relevanz eines Schriftstückes. Ebenfalls der Rollenfestlegung dienten die Hauptinstruk­tionen. Sie bestimmten vor dem Beginn der Visita­tion delega­tionsintern und unter Eigenbeteiligung der Visitatoren, w ­ elche visita­tionspolitischen und reforminhalt­lichen Aspekte ein Visitator bei der Ausübung seiner Verfahrensrolle zu berücksichtigen hatte. Ähn­ liche Funk­tionen übernahmen nach dem Beginn der Visita­tion die Instruk­tionen bzw. Reskripte. Sie lassen sich als Handlungsanweisungen verstehen, die nicht nur einseitig der Kontrolle der Visitatoren dienten, sondern überdies Verbind­lichkeit ­zwischen den Reskriptausstellern und den Reskriptempfängern schufen. Aus ­diesem Grund verlangten die Visitatoren in ihren Berichten immer wieder selbst die Erteilung einer Instruk­tion. Sie waren Orientierungshilfen, die Handlungssicherheit schufen, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb der Delega­ tionen. Denn mit und über die Instruk­tionen wurde nicht nur delega­tionsintern, sondern ebenso ­zwischen den Delega­tionen und im Visita­tionsplenum geredet, um sich, sein (Nicht-)Handeln und damit seine Verfahrensrolle zu autorisieren. Die (Haupt-)Instruk­tionen verweisen zudem darauf, dass die Verfahrensrolle der

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Visitatoren an den ständisch-­sozialen Hintergrund der Kommittenten gekoppelt war. Die Verfahrensautonomie war dadurch aber nur in Grenzen eingeschränkt, da jeder Visitator in Abhängigkeit von ‚der‘ Obrigkeit, aber auch in Abhängigkeit von seiner Persön­lichkeit und/oder seinem Arbeits-, Berichts-, Dienst- oder Gesinnungsverständnis einen Handlungsspielraum besaß. Schließ­lich waren es immer die Visitatoren bzw. kaiser­lichen Kommissare selbst, die unter expliziter oder impliziter Berücksichtigung der Instruk­tionen schrift­lich oder münd­lich im formellen oder informellen Rahmen, spontan oder nach intensiver (Schreib-) Tätigkeit im eigenen Quartier, im Visita­tionsplenum oder andernorts handelten. Unter Berücksichtigung der Komplexität der politischen Rahmenordnung, der Relevanz des Reformgegenstandes sowie der visita­tionsimmanenten Herrschaft auf Distanz kann sogar von einer relativen Verfahrensautonomie gesprochen werden, die es den Wetzlarer Akteuren prinzipiell ermög­lichte, das RKG sachorien­ tiert zu reformieren. Das Handeln der Visitatoren im Plenum vollzog sich dabei oftmals, aber keineswegs ausschließ­lich im Rahmen des Umfrageverfahrens. Die eingehende Betrachtung ­dieses Beratungs- und Entscheidungsverfahrens hat gezeigt, dass zwar entsprechend den bisherigen Forschungen die Ordnung des Beratens und der Stimmabgabe dem Rang der Votanten folgte. Was allerdings für die Visita­tion nicht oder nur bedingt zutrifft, ist die qualitative Gewichtung der Voten durch das Direktorium. Dies geschah zwar durchaus bei Voten, die sich nicht eindeutig zuordnen ließen, dann aber nur unter genauer Beobachtung der Visitatoren. Ansonsten aber lässt sich entgegen der bisherigen Forschungen festhalten, dass jedem Beschluss mit unklaren Mehrheitsverhältnissen eine Stimmenzählung zugrunde lag, die das Direktorium öffent­lich anzeigte. Das Umfrageverfahren mit seiner Proposi­tion, der Ablegung der Voten und der Beschlussfassung darf dessen ungeachtet nicht als ein strikt linearer Beratungs- und Entscheidungsprozess missverstanden werden. Alleine schon die Mög­lichkeit, sich das Protokoll offen zu behalten, aber auch die Notwendigkeit, andere Beratungsgegenstände vor dem Abschluss einer laufenden Beratung in Umfrage zu geben, trug ebenso zur Nichtlinearität einer Umfrage bei wie die Erfordernis des Direktoriums, bei komplexen Sachfragen erst zu einem späteren Zeitpunkt und ggf. nach weiteren informellen Gesprächen einen Beschluss zu formulieren. Die Nichtlinearität ist schließ­lich damit gegeben, dass die Umfragepraxis immer eingebettet war in münd­liche Austauschprozesse, die sich zwar auch im Plenum teils lautstark vollzogen haben, aber eben nicht protokolliert wurden. Gerade vor ­diesem Hintergrund scheint das bisherige Verständnis von Umfragen mehr dem von den Protokollen gezeichneten Ideal als der Komplexität und Nichtlinearität der Praxis zu entsprechen.

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Den Protokollen zu folgen ist jedoch allein schon deshalb problematisch, weil sie, zumal in dieser Zeit, als ein zentraler und höchst umstrittener Bestandteil des Verfahrens zu begreifen sind, mit dem Verfahrensmacht generiert wurde. Dies bedingte die aktenproduzierende Grundfunk­tion der Protokolle – zu protokollieren hieß immer zugleich Akten zu generieren – und damit verbunden die Tatsache, dass durch die Protokolle eine Verfahrensgeschichte schrift­lich fixiert wurde, die beanspruchte, wahr zu sein. Aus ­diesem Grund war es auch kaum mög­lich, die Protokolle umzuschreiben. Wenn dies jedoch gelang, dann war das Umschreiben der Verfahrensgeschichte, wie im Rahmen der Verfahrensunterbrechung von Mai 1772 bis Januar 1773, ein höchst umstrittenes und mühsames, aber sehr wirkungsvolles Unterfangen. Die Protokolle waren ein Produkt und Bezugspunkt des Verfahrens, die zugleich, über die Diktatur und die Votenarbeit der Visitatoren, die verfahrensrelevante Umwelt in Wetzlar prägten. Die Protokolle waren aber auch stets für die Visita­ tionshöfe und -städte, Kaiser und Reich sowie allgemein für die Nachwelt bestimmt. Daneben zirkulierten, ungeachtet der Arkanitätsansprüche, Protokollabschriften in der Medienöffent­lichkeit. Bei alldem stellte die protokollierte Verfahrensgeschichte, die ja vor allem aus den abgegebenen Voten bestand, die Rechte der zur Visita­tion deputierten Reichsstände dar. Hierdurch war es sogar mög­lich, jenseits des an Zeit und Raum gebundenen Verfahrens und der Wetzlarer Verfahrensumwelt, wo auch immer die Visitatoren in persona die ständische Stimmfreiheit verkörperten, das Visita­tionsrecht des jeweiligen Standes zu inszenieren. Aus d­ iesem Grund konnten mit den Protokollen auch eine Störung bei einer symbo­lischen Handlung, wie sie etwa bei der Unterwerfung der Gerichtsangehörigen auftrat, behoben werden. Damit hat sich gezeigt, dass nur über die Schrift­lichkeit die symbo­lische Inszenierung eine enträum­lichte und entzeit­lichte Darstellung fand. Es handelt sich also um die schriftbasierte Entgrenzung einer Präsenzkultur, die der symbo­lischen Inszenierung verpflichtet war. Die Protokolle prägten aber auch deshalb nachhaltig das Verfahren und die verfahrensrelevante Umwelt, weil deren Vervielfältigung über die visita­tionseigene Diktatur nicht nur das Arbeitsleben der Sekretäre, sondern in gleichem Maße den Gang oder Nichtgang des Verfahrens, die Arbeit der Visitatoren und selbst das Tun oder Nichttun der Visita­tionsobrigkeiten bestimmte oder zumindest beeinflusste. Die Protokollvervielfältigung sorgte also für eine schriftbasierte Grundtaktung der Visita­tion und dadurch für eine Arbeits- und Zeitordnung ganz eigener Art, ­welche die arbeits- und zeitstrukturierende Ordnung, wie sie von den Ferienzeiten, den Klassenwechseln und selbst der Endzeit, also dem vorzeitigen Ende der Visita­tion, ausging, durchbrach. Daneben beeinflussten die Protokolle nachhaltig die gesamte Aktenproduk­tion der Visita­tion, indem sie Bezugspunkt für die

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Massen an Protokollbeilagen, mehr aber noch Bezugspunkt für die Berichte der Visitatoren und die Instruk­tionen der Kommittenten waren. Doch auch umgekehrt prägten die Berichte die Wahrnehmung der protokollierten Verfahrensgeschichte. Mit Blick auf das vielfache Schweigen der Protokolle lässt sich sogar sagen, dass mit den Berichten eine eigene Visita­tionswirk­lichkeit geschaffen wurde, ­welche die protokollierte Verfahrensgeschichte ergänzte und erweiterte. In d­ iesem Sinne können Protokolle wie Berichte und damit ein Großteil des überlieferten Schriftguts als ein aufeinander bezogenes, komplementäres Schriftgut begriffen werden, das in der Zeit in einem Entstehungs- und bis heute (die Berichte sind ebenso wie die Protokolle archiviert) in einem Überlieferungszusammenhang steht. Nicht zuletzt aufgrund dieser Überlieferungssitua­tion muss das separat protokollierte Examen als ein Verfahren ganz eigener Art begriffen werden. Dafür spricht auch, dass die Examensprotokolle durch das gesonderte Examensarkanum unter Umgehung der Diktaturstube von den Visitatoren selbst vervielfältigt wurden. Eine s­ olche Protokollvervielfältigung unterstreicht, dass es sich bei dem Examen ungeachtet des reformerischen Strebens nach Schnelligkeit um ein sehr komplexes, mehrstufiges und dadurch sehr zeitintensives Verfahren handelte. Alleine die schrift­lichen Antworten, die auf Grundlage der gedruckten Fragestücke eingingen, beliefen sich auf rund 25.000 Stück. Hinzu kamen zu Visita­tionsbeginn ein münd­liches General- und danach bis zum Ende der Visita­tion ein Spezialexamen. Ziel des Examens war es, die zu behebenden Defizite zu erkennen bzw. Informa­tionen zu generieren, die es ermög­lichten, Beschlüsse zur Reformierung des RKG zu erlassen, und zwar in Ergänzung oder auch in Abgrenzung zu den Gerichtsakten. Das Examen baute schließ­lich gegenüber den Gerichtsangehörigen, die als Zeugen oder als Beschuldigte vor das Plenum treten mussten, eine Verfahrensmacht auf, w ­ elche die Visita­tion als untersuchende Instanz des RKG bestätigte. Die Verfahrensmacht wurde durch die Examensprotokolle konkretisiert und symbolisiert, indem sie eine eigene und von den Examinanden in der Regel uneinsehbare Examensgeschichte verbind­lich festlegten. Examens- und Visita­tionsprotokolle prägten somit nachhaltig das Verfahren, aber eben auch vielfach jene von Münd­lichkeit und Schrift­lichkeit getragenen Vorgänge jenseits des Verfahrens. Zur heuristischen Präzisierung wurde hierbei von einer verfahrensrelevanten Umwelt gesprochen. Darauf aufbauend kann zugespitzt auch von einer ‚Verfahrenswelt‘ gesprochen werden. Damit gemeint ist jene ‚Welt‘, die bestehend aus dem Verfahren und der verfahrensrelevanten Umwelt den Gang und Nichtgang der Visita­tion mittel- oder unmittelbar beeinflusste. Die vier Reformsphären, aber auch der Reform- und Visita­tionshorizont der Zeit bringen zum Ausdruck, was als ‚Verfahrenswelt‘ der letzten RKG-Visita­tion zu begreifen ist. Der heuristische Mehrwert dieser begriff­lichen Neuschöpfung liegt zum einen in

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der Bündelung einer Vielzahl von sehr unterschied­lichen Aspekten, die unabhängig von Raum und Zeit auf das Verfahren einwirkten. In ­diesem Sinne lässt sich sogar der Verfasser dieser Studie sowie deren Leser in Rela­tion zur ‚Verfahrenswelt‘ setzen, da sie es sind, der sich nach rund 250 Jahren mit der ‚Verfahrenswelt‘ der letzten RKG-Visita­tion auseinandersetzen. Zum anderen verdeut­licht der Begriff ‚Verfahrenswelt‘, dass Verfahren und verfahrensrelevante Umwelt nicht statisch nebeneinander, sondern in einem Wechselverhältnis zueinander bestanden. Für die Studie wurde hierbei, ausgehend von ihrem praxeolo­gischen Gesamtansatz, eine strukturelle Koppelung beschrieben, die auf die Akteure und die Schrift­ lichkeit und damit auf zwei dynamische Faktoren gründete, die den forschenden und schriftproduzierenden oder schriftrezipierenden Historiker einschließt. Den Forscher gleichsam als Akteur der ‚Verfahrenswelt‘ mitzubedenken ist allein schon deshalb notwendig, da es eine schmale, aber nicht unbedeutende Forschungsgeschichte zur RKG-Visita­tion gibt, nach der die Visita­tion an den poli­ tischen und konfessionellen Konfliktlinien zerbrach, die einerseits das hierarchisch-­ föderale Reichssystem einschließ­lich seiner konfessionspolitischen Implika­tionen und andererseits der österreichisch-­preußische Dualismus bedingten. Wenngleich damit wichtige Motoren für das vorzeitige Visita­tionsende benannt sind, greift diese politikzentrierte Deutung dennoch zu kurz. Der maßgeb­liche Erklärungsansatz dieser Studie lautet vielmehr, dass sich das Verfahren selbst diskreditierte, indem es dem nach Ra­tionalität strebenden Reformcredo der Zeit widersprach. Diese Selbstdiskreditierung, wie sie insbesondere die Weitläufigkeit, also das diskreditierende Schlüsselwort der Visita­tionsakten, zum Ausdruck bringt, führte mittelbar dazu, dass sich die Visita­tion trotz neunjähriger Arbeit vorzeitig auflöste. Zu erkennen ist dabei ein Delegitimierungsprozess, der sich multikausal erklären lässt mit 1.) der Komplexität des Reformgegenstandes, 2.) dem zeitintensiven Verfahren an sich, 3.) der Komplexität der politischen Rahmenordnung, 4.) der (politischen) Relevanz des Reformgegenstandes, 5.) der Herrschaft auf Distanz, 6.) der Schrift-, Wissensund Informa­tionskultur, 7.) der ‚barockisierten‘ Sprach- und Schreibnorm, 8.) der Öffent­lichkeit des Verfahrens, 9.) der ‚Arbeitskultur‘ der Visitatoren sowie 10.) der Schriftaufwertung. All diese Faktoren beförderten jene Weitläufigkeiten, die das Verfahren je länger desto mehr diskreditierten und schließ­lich zu Fall brachten. Damit angedeutet ist zugleich, dass es in den ‚Wertherjahren‘ nur schwer­lich mög­lich war, für das Reich und mit dem Reich zu visitieren, da dies eine gewisse zeit- und kostenintensive Grundkomplexität bedingte, die unvereinbar war mit den maßgeb­lichen Bewertungskategorien für das reformerische Handeln dieser Zeit. Da die Visita­tion zudem keine eigene Zeitordnung in Abgrenzung zum reformerischen Effizienzstreben der ‚Wertherjahre‘ aufbauen konnte, wird gerade hier die Relativität der Verfahrensautonomie deut­lich.

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E) Reforminhalte Die Visita­tion war dennoch durchaus in der Lage, zu reformieren. Dies konnte Kapitel E zeigen. Es ging der Frage nach, mit w ­ elchen Inhalten sich die Visita­tion in ihren 1056 Sitzungen beschäftigt hat. Deut­lich wurde zunächst auf Grundlage einer quantitativen Auswertung der 15.732 Protokollseiten, dass die Visita­ tion eine Vielzahl an Aufgaben zu erfüllen hatte, denen sie mit unterschied­licher Intensität nachging. Dies reichte von der Eigenorganisa­tion, der Organisa­tion des Gerichts, dem Gerichtsverfahren, den Kameralgesetzen über die Auseinandersetzung mit den Revisionen und Suppliken bis zum Finanz- und – mit über 50 % der Einträge – dem Personalwesen. Darauf aufbauend wurden jene 50 Visita­tionsbeschlüsse analysiert, mit denen versucht wurde, durch eine verbesserte Führung, Verwahrung und Benutzung der Akten sowie durch einen effizienteren Gebrauch der Arbeits- und Ferienzeiten die Rechtsprechung des RKG zu beschleunigen. Gezeigt werden konnte damit, dass, obgleich die Visita­tion mit ihrer Weitläufigkeit in weiten Teilen dem Reformanspruch der Zeit widersprach, sie dennoch mit ihrer inhalt­lichen Arbeit dem Reformverlangen entsprechen konnte. Darüber hinaus haben die Beschlüsse, ­welche die Ordnung der Gerichtsakten betrafen, die Schriftaufwertungsthese dieser Studie bestätigt. Denn ungeachtet der Tatsache, dass die Visita­tion an eine noch weithin unerforschte Ordnungstradi­tion anknüpfte, bringen ­solche Beschlüsse und allen voran die erstmalige Einführung eines Leihscheins einen intensivierten Umgangs mit der Aktenschrift­lichkeit zum Ausdruck. Dafür steht ex negativo auch Goethe mit seinen klagenden Worten über die Aktenverwahrung. Das goethesche Negativurteil führt zugleich vor Augen, dass die (Un-)Ordnung der Akten eine wichtige zeitgenös­sische Wahrnehmungs- und Wertungskategorie war. Gesondert betrachtet wurde der Reichsschluss von 1775. Er regelte vor allem im Sinne der geradezu zeitlosen Reformmaxime der Prozessbeschleunigung viele Bereiche neu, so die Einteilung der Senate, die Ordnung des Referierens einschließ­ lich der Aktenverteilung, die Vornahme der Rekurrentsachen sowie die Höhe der Assessorenzahl und die Unterhaltszahlungen des Gerichts. Zudem verdichtete der Reichsschluss als ein Gemeinschaftswerk von Reichstag, RKG und Visita­ tion die visita­tionstypische Dreiecksbeziehung von Herrschaftsträgern, delegierten Visitatoren und Visitierten. Damit lässt sich der Reichsschluss von 1775 als ein Höhepunkt und in vielen Bereichen als durchaus erfolgreicher Schlusspunkt vieler Reformvorhaben der Visita­tion begreifen. Hinzu kam der Reichsschluss von 1788. Durch die Korrekturen, die hier ausgehend von der Gerichtspraxis und unter Verwendung von Gutachten des Gerichts vorgenommen wurden, kann hier von einer Reform der Reform gesprochen werden.

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Allein deshalb greift es auch zu kurz, die Visita­tion ungeachtet ihrer vorzeitigen Auflösung und der ungelösten und teils unlösbaren, da die Grundprinzipien der Reichsordnung betreffenden Reformnotwendigkeiten, pauschal als eine gescheiterte Reform zu bezeichnen. Dies unterstrich der Korrup­tionsskandal, der um den Sollicitanten Nathan Aaron Wetzlar kreiste und in dem vor allem, aber keineswegs ausschließ­lich die letztend­lich entlassenen Assessoren Papius, Reuss und Nettelbla verwickelt waren. Die Visita­tion beriet alleine ­zwischen Ende Januar und Ende April 1772 in insgesamt 31 Sitzungen über die korrupten Vorgänge in der Sache Valloner Karthause contra Belli – einem Prozess, der für die Visitatoren vor allem deshalb untersuchungswürdig war, weil hier zu schnell geurteilt worden war. Damit zeigt sich hier erneut das für RKG und Visita­tion gleichermaßen unlösbare Spannungsverhältnis von übergründ­licher Weitläufigkeit und nichtgründ­licher Schnelligkeit. Die Auseinandersetzung mit den Korrup­tionsgeschehnissen, deren Untersuchung durch die Visita­tion und die Folgen für die Korrup­tionsakteure ermög­ lichten es obendrein, das Sollicitierwesen, die Lebenswelt der bestech­lichen Richter sowie jene Normen zu betrachten, die beim RKG die Grenzlinie z­ wischen korrektem und korruptem Verhalten zogen und auf deren Grundlage die Visita­tion agierte. Dabei ergab sich jene für die Analyse korrupten Verhaltens sehr charakteristische (Normen-)Konkurrenz von geschriebenen (Rechts-)Normen einerseits und ungeschriebenen sozialen Normen andererseits. Die Gerichtsangehörigen und Wetzlar, der zugleich Sollicitant, Kreditgeber und Händler ­begehrter Luxuswaren war, konnten sich so in eine Korrup­tionsaffäre verstricken, die dem Ansehen des Gerichts schweren Schaden zugefügt hat. Hier aber gelang der Visita­tion die – gleichwohl in Zukunft noch genauer zu untersuchende – Wiederherstellung der Reputa­tion. Die Aufdeckung der korrupten Strukturen, nicht aber deren Beseitigung, da gerade die beschleunigte Erledigung der Gerichtsprozesse ein legitimes, aber bestechungsanfälliges Begehren der Parteien blieb, stürzte alle Korrup­tionsakteure in eine Lebenskrise. Mit dem Korrup­tionsskandal stand zugleich immer auch eine Verfahrenskrise im Zentrum der Betrachtung. Denn dadurch, dass die Untersuchung der komplexen und überdies politisch brisanten Korrup­tionsvorgänge der Visita­tion viel Zeit und Geld kostete, beförderte sie jene Weitläufigkeit, die das gesamte Verfahren nachhaltig in Misskredit brachte. All diese Befunde sind Teile eines Verfahrens, von dem sich bis heute sehr viele Akten erhalten haben. Alleine aufgrund der überlieferten Aktenmasse lässt sich sagen, dass das vielgliedrige Reich mit der letzten RKG -Visita­tion seine schriftbasierte Erfüllung fand. Die Aktenüberlieferung steht zudem und in erster

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Linie für eine zeitgenös­sische Schriftpraxis, die eine breite Kontextualisierung erfordert hinsicht­lich des Raumes, der Zeit sowie der Akteure, die an und mit dem überlieferten Schriftgut gearbeitet haben. Die Verortung, Verzeit­lichung und Repersonalisierung der Akten offenbart so eine kommunikative Dynamik, die nicht nur die Hand- und Druckschrift­lichkeit, sondern ebenso die Münd­ lichkeit umfasst. Die quellenkritische Suche nach der münd­lichen Dimension der Aktengenese ist dabei umso notwendiger, als die Visita­tion ein auf Anwesenheit und Münd­lichkeit orientiertes Verfahren war – einschließ­lich einer symbo­lischen Inszenierungslogik, die sich im 18. Jahrhundert in einem Delegitimierungsprozess befand. Die partielle Entwertung der symbo­lischen Inszenierung – der Zwang zur Ranginszenierung blieb! – hatte wiederum Folgen für die Schrift­lichkeit. Denn die Schrift­lichkeit, die ohnehin die Entlokalisierung der sich transformierenden Anwesenheitsgesellschaft begleitete und beförderte, erfuhr eine neuer­liche Aufwertung. Es handelt sich also um einen wechselseitigen Prozess der Entwertung des Symbo­lischen und der Aufwertung des Handschrift­lichen, der sich im Rahmen einer allgemeinen Schriftexpansion und Neuordnung der Anwesenheits­ gesellschaft vollzog und dazu führte, dass mit der Schrift­lichkeit in Abgrenzung, aber auch im Zusammenspiel mit dem Symbo­lischen eine Inszenierungslogik sui generis entstand. Diese schriftbasierte Inszenierung potenzierte sich dergestalt, dass sie im Gegensatz zur Symbolsprache unabhängig von Raum und Zeit Verbind­ lichkeit schaffen konnte, aber eben auch – durch die Vervielfältigung der Visita­ tionsprotokolle und Beilagen für die Visita­tionshöfe und -städte – schaffen musste. Die Schriftaufwertung, die zu einem erhöhten Schriftaufkommen, aber auch zu seiner verbesserten Verwahrung führte, hatte allerdings allein schon aufgrund der Mög­lichkeiten der Schriftproduk­tion ihre Grenzen. Hinzu kam, dass die schriftbasierte Inszenierung der Handschrift­lichkeit bedurfte. Die Druckschrift­ lichkeit war demgegenüber eine entindividualisierte Form der Schrift­lichkeit, die nur dazu diente, Wissensbestände gelöst von der Körper­lichkeit des Menschen zu fixieren. Diesen instrumentellen Zweck erfüllte die Handschrift­lichkeit zwar in gleichem Maße, ein mit Hand beschriebenes Schriftstück war jedoch immer mehr, da es sowohl über die fixierten Inhalte als auch durch den eigent­lichen Vorgang der handschrift­lichen Fixierung (so dem Diktat im Plenum und in der Diktaturstube) die Teilhabe an der Reform symbo­lisch inszenierte. Letzteres aber ging bei der Druckschrift­lichkeit verloren. Daneben ermög­lichte es nur das handgeschriebene Schriftgut, Akten zu produzieren. Die Schaffung von Akten gelöst von der Handschrift­lichkeit war nämlich in einer noch zutiefst von dieser Schrift­ lichkeitsform geprägten Gesellschaft weniger aus produk­tionsmechanischen, als vielmehr aus mentalitätsgeschicht­lichen Gründen nicht mög­lich.

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All dies darf allerdings nicht über das Paradoxon einer Schriftentwertung bei gleichzeitiger Schriftaufwertung hinwegtäuschen: Das mit der Hand beschriebene Schriftgut war ebenso wie das gedruckte Schriftgut eine Massenware, deren Verfügbarkeit gerade aufgrund der Allgegenwart der Schrift­lichkeit im ‚tintenklecksenden Säkulum‘ scheinbar selbstverständ­lich war. Dadurch fand eine Entwertung statt, die es – so der nach wie vor bemerkenswerte Befund – der Augsburger Stadtobrigkeit ermög­lichte, aus Kostengründen auf die Abschrift der Visita­tionsprotokolle zu verzichten. Doch unabhängig von diesen relativierenden Tendenzen der Schriftaufwertung, die nicht zuletzt für die charakteris­tische Widersprüch­lichkeit einer jeden Umbruchzeit stehen: Für die Visitatoren, Sekretäre und sonstigen schriftproduzierenden Akteure ging all dies einher mit einem Lebens- und Arbeitsalltag, der vor allem von der Hand- und weniger von der Druckschrift­lichkeit durchdrungen war. Ist damit die Frage geklärt, warum sich von der letzten RKG-Visita­tion so viel Akten erhalten haben? Abschließend sicher­lich nicht, denn es muss weiteren Studien überlassen werden, gelöst von der schriftzentrierten, aber auch schriftlosen Kommunika­tions- und Inszenierungslogik einer RKG-Visita­tion den Ausgangsbefund einer sich vermehrenden Aktenüberlieferung zu deuten. Entscheidender ist ohnehin, dass sich mit der kritischen Hinterfragung des erhaltenen Schriftguts eine Perspektive eröffnet, die im Kern nicht mehr und nicht weniger ist als ein quellenzentrierter Zugriff auf die Vergangenheit. Ein solcher Zugang erfordert es, sowohl nach der Entstehung, Anwendung und Überlieferung der Hand- und Druckschrift­lichkeit als auch nach den Akteuren einschließ­lich des Historikers zu fragen, die auf unterschied­lichste Weise mit, an, für und über Schriftstücke arbeiteten. Am Ende stritt man um Akten.

Abbildungen, Diagramme und Tabellen im Text

Abbildungen Vier Reformsphären sui generis  ........................................................................  Grundriss der Begräbnisfeier in der Franziskanerkirche anlässlich des Todes von Kaiserin Maria Josepha (18. Juli 1767)  . . .......................  Der Streit um den rechten Kirchenplatz anlässlich des kaiserlichen Namensfestes: Drei Sitzordnungen in den Jahren 1768, 1770 und 1771 im Vergleich  ..................................  Die Sitzordnung im Konferenzsaal (11. Mai 1767  .. .......................................  Auszug aus dem kurmainzischen Verzeichnis der protokollierten Beratungen  ...............................................................  Diagramme Die Anzahl der im Untersuchungszeitraum erschienenen V ­ isitationspublikationen  ...........................................................................  Die Geburtsjahre der Visitatoren  .....................................................................  Die Alterstruktur der Visitatoren  .. ...................................................................  Die Studienorte der Visitatoren  .......................................................................  Der Anteil altadeliger, neuadeliger und bürgerlicher Visitatoren  ............  Die Anzahl der Sekretäre und Kanzlisten  ......................................................  Die Arbeitsfelder der Visitation  ....................................................................... 

140 155

159 172 399

195 227 227 230 236 252 401

Tabellen Erscheinungsdatum und Umfang der Wetzlarischen Anzeigen  ...............  204 Die Re-und Correferenten  .................................................................................  365 Die Ablegung der Relationen und Correlationen  . . ......................................  367

Abkürzungsverzeichnis Abt. ADB Anm. Art. BDLG bzw. EDG ENZ fol. Geh. GWU HRG I HRG II HZ JEV JRA JVA kais. KK ND NDB NF Kf.

Abteilung Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., Leipzig 1875 – 1912 Anmerkung Artikel Blätter für Deutsche Landesgeschichte beziehungsweise Enzyklopädie Deutscher ­Geschichte Enzyklopädie der Neuzeit folio Geheimer Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Handwörterbuch zur ­deutschen ­Rechtsgeschichte, 1. Aufl. (1971 – 1998) Handwörterbuch zur deutschen ­Rechtsgeschichte, 2. Aufl. (seit 2004 [erste Lieferung] bzw. 2008 [erster Bd.]) Historische Zeitschrift Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte Jüngster Reichsabschied von 1654 Jüngster Visita­tionsabschied von 1713 kaiser­lich Kaiser­licher Kommissar Nachdruck Neue Deutsche Biographie, Bd. 1 – 24, Berlin 1953 – 2010 Neue Folge Kurfürst

OGG

Oldenbourg Grundriss der Geschichte QFHG Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich r recto RHR Reichshofrat RKG Reichskammergericht RKGO Reichskammergerichtsordnung von 1555 RK RKG VA Reichskanzlei RKG ­Visita­tionsakten RT Reichstag RVK Reichsvizekanzler SD Subdelegierte Sess. Session Sp. Spalte v verso VM Visita­tionsmemorial VS Visita­tionsschluss WA Wetzlarische Anzeige ZBLG Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte ZfG Zeitschrift für Geschichte ZHF Zeitschrift für Historische Forschung ZNR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte ZRG GA Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Germanistische ­Abteilung)

Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Quellenverzeichnis I.1 Ungedruckte archivalische Quellen* 1 Vorbemerkung: Ausgehend von der in der Einleitung dargelegten Feststellung, dass sich von der letzten Visita­tion des RKG weitaus mehr Quellen erhalten haben als von allen vorangegangenen Visita­tionen, begreift die Studie den erfassten Überlieferungsbestand als einen eigenen Quellenbefund. Aus ­diesem Grund sind im Folgenden zwei Gruppen von Akten dokumentiert. Zum einen und zuvorderst sind es jene Akten, die erfasst und in den Archiven eingesehen wurden; diese sind im Verzeichnis fett markiert. Zum anderen sind auch jene Akten dokumentiert, die als themenrelevant erfasst, aber nicht eingesehen wurden; diese sind nicht hervorgehoben. Themenrelevant heißt, dass diese Akten die letzte RKG-Visita­tion von 1767 bis 1776 zum Gegenstand haben. Als Erfassungsgrundlage dienten die jeweiligen (online verfügbaren) Repertorien. Damit ist hier jene Aktenmasse nachgewiesen, deren Erfassung am Beginn der Forschungsarbeit stand und (dementsprechend) am Beginn und Ende der vorliegenden Studie steht. Dass etwa für das Hauptstaatsarchiv Hannover mehr Akten angeführt sind als die in der Einleitung genannten 164, rührt daher, dass auch visita­tionsrelevante Akten von vor 1767 bzw. von vor 1750 (dieses Jahr diente als Stichjahr) erfasst und eingesehen oder nur erfasst wurden, so teils für das Hauptstaatsarchiv München und das Stadtarchiv Augsburg.

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) HR I

504/52

Kasten schwarz (KS) 5692, 5693, 5694, 5695, 5696, 5697, 5708, 5709, 5710, 5711, 5716, 5717, 5718, 5719, 5720, 5721, 5722, 5723, 5724, 5725, 5726, 5727, 5728, 5730, 5732, 5733, 5734, 5735, 5736, 5737, 5738, 5739, 5740, 5741, 5742, 5743, 5744, 5745, 5746, 5747, 5748, 5749, 5750, 5751, 5751, 5751, 5752, 5753, 5754, 5755, 5756, 5758, 5759, 5763, 5770, 5771, 5772, 5773, 5774, 5775, 5776, 5778, 5779, 5780, 5781, 5782, 5784, 5785, 5786, 5787, 5788, 5789, 5790, 5791/I, 5792/II, 5790, 5792, 5793, 5794, 5795, 5796, 5797, 5798, 5799, 5800, 5801, 5802, 5803, 5804, 5805, 5806, 5807, 5808, 5809,

* Ungedruckt meint: In Abgrenzung zu den gedruckten, publizierten und gleichfalls in den Archiven verwahrten Schriftstücken. Siehe hierzu Abschnitt B.3.

490

Quellen- und Literaturverzeichnis

5810, 5811, 5812, 5814, 5815, 5816, 5817, 5818, 5819, 5820, 5821, 5824, 5825, 5826, 5827, 5828, 5829, 5830, 5831, 5832, 5833, 5834, 5835, 5836, 5837, 5838, 5839, 5840, 5841, 5842, 5843, 5844, 5845, 5846, 5847, 5848, 5849, 5850, 5851, 5852, 5853, 5854, 5855, 5856, 5857, 5858, 5859, 5860, 5861, 5862, 5863, 5864, 5865, 5866, 5867, 5868, 5869, 5876, 5877, 5891, 5892, 5893, 5894, 5897, 5898, 5903, 5906, 5928, 5932, 9202, 12957, 16612, 16613, 16614, 16619, 16620, 16621, 16622, 16623, 16622, 16624 Kurbayern Geheimer Rat

405, 406, 407, 408, 409

Personalselekt

Karton 104 (Andres v. Goldhagen)

Bundesarchiv (BA) AR 1/IV

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA-PK) I. HA Rep. 9, Allg. Verwaltung J 7

65

I. HA Rep. 18, Nr. 42

1, 2, 8, 9, 51, 55, 57, 59, 66, 67

Hauptstaatsarchiv Hannover (HStA-Han.) Cal. Br. 11 3656, 3668, 3699, 3924, 3946, 3959, 3972, 4014, 4097, 4098, 4099, 4100, 4101, 4102, 4103, 4104, 4105, 4106, 4107, 4108, 4109, 4110, 4111, 4112, 4113, 4114, 4115, 4116, 4117, 4118, 4119, 4120, 4121, 4122, 4123, 4124, 4125, 4126, 4127, 4128, 4129, 4130, 4131, 4132, 4133, 4134, 4135, 4136, 4137, 4138, 4139, 4140, 4117, 4123, 4182, 4192, 4194, 4195, 4196, 4199, 4200, 4201, 4202, 4203, 4204, 4205, 4206, 4207, 4208, 4209, 4210, 4211, 4212, 4213, 4214, 4215, 4216, 4217, 4218, 4219, 4220, 4221, 4222, 4223, 4224, 4225, 4226, 4227, 4228, 4229, 4230, 4231, 4232, 4233, 4234, 4235, 4236, 4237, 4238, 4239, 4240, 4241, 4242, 4243, 4244, 4245, 4246, 4247, 4248, 4249, 4250, 4251, 4252, 4253, 4254, 4255, 4256, 4260, 4261, 4262, 4263, 4264, 4265, 4267, 4268, 4269, 4270, 4271, 4272, 4273, 4274, 4276, 4277, 4278, 4279, 4280, 4281, 4282, 4283, 4285, 4286, 4287, 4290, 4292, 4293, 4294, 4295, 4296,

491

I. Quellenverzeichnis

4297, 4298, 4299, 4300, 4301, 4302, 4303, 4304, 4305, 4306, 4307, 4308, 4309, 4310, 4314, 4316, 4317, 4318, 4319, 4321, 4322, 4323, 4324

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA Wien) MEA RKG 19180, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293,

294, 2, 194, 227, 228, 229, 236b, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373, 374, 375, 376, 377, 378, 379a, 379b, 381, 382, 383, 384, 385a, 385b, 386a, 386b, 387, 388, 389, 390, 391a, 391b, 392, 393, 396, 397, 398a, 406 MEA RTA

591, 600, 602, 601a, 604

RK RKG VA  47, 48, 50, 164, 205, 223, 224, 239, 248, 249, 309, 364, 363, 366, 394

Staats- und Stadtbibliothek Augsburg (SuStB-Aug.) 2° Cod S 189 Gesammelte Nachrichten von den Lebens-­Umständen, Arbeiten, Geschäften und Verrichtungen sämt­licher Raths-­Consulenten in Augsburg von Ende des XV. Jahrhunderts biß auf izige Zeiten. 4° S 302 Augsbur­gischer Neu- und Verbesserter Stadt- und Raths-­Calender 1754 – 1775

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA) Protokolle d. Geh. Rates

53

Protokolle d. Kath. Geh. Rates

1730 – 1777

Protokolle d. Kl. Rates 1769 – 1771; 1770 – 1773 [„Ratsprotokolle“]

492

Quellen- und Literaturverzeichnis

RKG  14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33,

34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81

Stadtarchiv Hannover (StadtA-Han.) NL Kestner

I. B.1 u. I. B.2

Stadtarchiv Wetzlar (StadtAW) Wetzlarischen Anzeigen Stück 1-28 (1767-1769)

I. Quellenverzeichnis

493

I.2 Visitationspublikationen I.2.1 Der Reformbedarf Abdruck Deren, an dem Höchstpreysl. Kayserl. Reichs-­Hof-­Rath- Sub Rubro: Teutsch-­Orden, sive des HHerrn Hoch- und Teutschmeister Königl. Hoheit, Contra Den entwichenen ehemaligen Land-­Commenthurn der Balley Francken, Fridrich Carl Freyherrn von Eyb Mandati S. C., ­poenalis, Puncto sic dicti Illicti Recursus ad Curiam Romanum – Verhandelter Acten, Als […] Religions­gravamina […] Dem Hohem und vornehmen Publico zur gefälligen Einsicht und Prüfung mitgetheilt, o. O. 1767. [= Abdruck Acten Hoch- und Teutschmeister Contra Den Land-­Commenthurn der Balley Francken (1767)] Abermahlig-­Rechtsgegründete Vorstellung […] in Sachen Des Herrn Hoch- und Teutsch­meister Königl. Hoheit contra Die Gräfl. Oettingen-­Oettin­gische Canzley und Consorten, Wetzlar Novembris 1767. [= Abermahlig-­Rechtsgegründete Vorstellung Hoch- und Teutschmeister contra Gräfl. Oettingen-­Oettin­gische Canzley (1767)] Acten-­mässiger Unterricht von Dem Rechts-­Streit über die Reichs- und Creyß-­ Abgaben, Insonderheit aber die Cammer-­Zieler Von der Grafschafft Nieder-­Isenburg-­ Grentzau, Welcher An beyden höchsten Reichs-­Gerichten z­ wischen EinemHochlöb­lichen Chur-­Rheinischen Crayß-­Directorio, Dem Hohen Ertz-­Stifft Trier, Und dem Hern Reichs-­ Cammer-­Gerichts-­Fiscali Eines, Dann Ihro Hochgräf­liche Gnaden zu Wied-­Neuwied, Andern Theils, Seit vielen Jahren anhängig ist. Nebst Beylagen von Num. 1 biß 27. inclus, Neuwies 1771. [= Acten-­mässiger Unterricht Grafschafft Nieder-­Isenburg–Grentzau (1771)] Addi­tional-­Vorstellung und Bitte […] in Sachen Des nunmehrigen Fürst­lich-­ Fuldaischen Geheimen Raths von Gudenus contra Den regierenden Herrn Grafen zu Wied-­Runkel, o. O. [1770]. [= Addi­tional-­Vorstellung und Bitte Gudenus contra Grafen zu Wied-­Runkel (1770)] Anzeige und Vorstellung in Sachsen Des Kayser­lichen Procuratoris Fiscalis, Klägern Eines gegen Chur-­Pfaltz und Hessen-­Hanau wie auch Burgermeistere und Rath der Stadt Gelnhausen Beklagte, Anderen – sodann Chur-­Mayntz, als Intervenienten, Drittentheils die Exem­tion ersagter Stadt Gelnhausen betreffen […], o. O. 1769. [= Anzeige und Vorstellung Gelnhausen (1769)] Unterthänigst gehorsamste Beantwortung der in Sachen von Brenner, jetzo dessen Erben, wider des Herrn Landgrafen Constantin zu Hessen-­Rheinfels von gegentheiligen Herrn Anwald exhibirten Supplicae pro Promotorialibus etc. Decisi Mandati nun Implora­tionis pro Restit. In integr. Madati de non via facti etc. von Brenner zu Gerolstein, o. O. 1768. [= Beantwortung Brenner wider Landgrafen Hessen-­Rheinfels (1768)] Gründ­licher Bericht und Beweiss, daß die Koyffische Exem­tion einem pacto solenni et publico widerstrebe […] in Sachen Schöffen und sämmt­licher Gemeinde zu Schlenacken

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Quellen- und Literaturverzeichnis

wider Dietrich, nachhero Verner von Koyffen, modo dessen Erben. Dec. Appella­tionis, nunc implorat. pro. restit. in integrum. Mit beygefügten Promemoria und Acten-­Auszug, Wetzlar 1767. [= Bericht und Beweiss Koyffische Exem­tion (1767)] Unterthänigster kurzer, jedoch acten-­mäßiger und recht­licher Beweiss, das das in Sachen von ­Brenner ctra Hessen-­Rheinfels. Mandati de non via facti etc. S. l. Dermalen von Klagendem von Brenner nachgesucht werdende Mandatum de manutenendo in seiner Wirk­ lichkeit gesezet werden müsse, o. O. 1768. [= Beweiss Brenner wider Landgrafen Hessen-­ Rheinfels (1768)] Bitte pro decernendis promotorialibus In Sachen sämt­licher von Schaacken contra Herrn Franz den jüngern, Herzogen von Sachsen-­Lauenburg, modo Seine König­liche Majestät von Großbrittannien, als dermaligen Besitzer des Herzogthums Lauenburg, cum adpertinentiis, o. O. 1767. [= Bitte ­Schaacken contra Herzog von Sachsen-­Lauenburg (1767)] Bitte, Pro Clementissime decernendis Promotiorialibus ad Cameram Imperialem. In Sachen Franz M ­ oyses von Brenner, jetzo dessen Erben, wider des Herrn Landgrafen Constantin zu Hessen-­Rheinfels Hochfürst­liche Durchlaucht, o. O. 1768. [= Bitte Brenner wider Landgrafen Hessen-­Rheinfels (1768)] Bitte pro Gratiosissime decernendis ulterioribus promotorialibus. In Sachen Sämt­licher von Schaacken, contra Herrn Franz, den jüngern, Herzogen von Sachsen-­Lauenburg, modo Seine König­liche Majestät von Groß-­Brittannien, als dermaligen Besitzer des Herzogthums Lauenburg, cum appertinentiis, o. O. 1768. [= Bitte Schaacken contra Herzog von Sachsen-­Lauenburg (1768)] [Borié, Egyd v.], Ohnmaasgeb­liche Vorschläge die Visita­tion, und die Beförderung des Justitz-­Wesens am Kaiser­lichen- und Reichs-­Cammer-­Gericht, dann dessen Sustenta­tions-­ Werk betreffend, Regensburg 1772. [= [Borié], Ohnmaasgeb­liche Vorschläge (1772)] [Ders.], Nachtrag zur Prüfung der ohnmaasgeb­lichen Vorschläge, Regensburg 1773. [= [Borié], Nachtrag zur Prüfung der ohnmaasgeb­lichen Vorschläge (1773)] [Burgsdorff, Friedrich Adolph], Ueber die Frage: Ob die Stände vor Errichtung des Cammer-­Gerichts Antheil an der deutschen Gerichtsbarkeit gehabt, [Wetzlar] 1769. [= [Burgsdorff], Ob die Stände vor Errichtung des Cammer-­Gerichts Antheil an der Gerichtsbarkeit gehabt (1769)] Dalberg, Karl Theodor, Versuch einer Widerlegung des siebenden Stückes im dritten Theile der vermischten Briefe über die Verbesserung des Justizwesens am Kammergerichte in welchem einige Kurmaynzische Erzkanzlariats-­Befugniße in Ansehung der Kammergerichtskanzley angegriffen ­worden, Mainz/Frankfurt a. M. 1768. [= Dalberg, Versuch einer Widerlegung (1768)] Denuncia­tion und Anzeige in Denuncia­tions-­Sachen des Hochgebohrnen Grafen und Herrn Herrn Simon August Regierenden Grafen und Edlen Herrn zur Lippe Contra den entwichenen Kammergerichtsadvocaten, Drem Colemann mit beykommender documentirter Facti Specie sub Lit. A. und deren Ad- und Subadjunctis Num I. II. III.

I. Quellenverzeichnis

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IV. 1. V. 2. 3. VI. VII. usque 19. VIII. 1 – usque – 27. IX. A. B. X. A. B. XI. & XII., Detmold 1767. [= Denuncia­tion und Anzeige Lippe Contra Colemann (1767)] Kurz-­gefaßte documentirte Facti Species In Sachen Des Kayser­lichen Fiscalis Generalis Contra Chur-­Pfalz und Hanau. Decisae Cita­tion. Die Exem­tion der Reichs-­Stadt Gelnhausen betreffend, o. O. [1767]. [= Facti Species Gelnhausen (1767)] Factum In Sachen Juden Simon Höchster modo des intervenirenden Herrn Doctoris Ruland, contra Nassau-­Dillenbuerg; Praetensi Mandati & c. Nunc Revisionis, o. O. [1767]. [= Factum Jude Simon Höchster (1767)] [Falcke, Johann Philipp Conrad], Prüfung der Ohnmaßgeb­lichen Vorschläge die Visita­tion, und die Beförderung des Justitz-­Wesens am Kayser­lichen- und Reichs-­Cammer-­ Gericht, dann dessen Sustenta­tions-­Werk betreffend, Gießen 1773. [= [Falcke], Prüfung der Ohnmaßgeb­lichen Vorschläge (1773)] [Ders.], Zur Prüfung der ohnmaßgeb­lichen Vorschläge, Gießen 1773. [= [Falcke], Zur Prüfung der ohnmaßgeb­lichen Vorschläge (1773)] Haas, Damian Ferdinand, Patriotische Gedanken von des Herrn Cammer-­Richters Voto Decisivo, wie weit solches in der Cammer-­Gerichts-­Ordnung und dem Herkommen gegründet seye?, Wetzlar 1767. [= Haas, Cammer-­Richters Voto Decisivo (1767)] Haas, Damian Ferdinand, Ohnpartheyische Gedancken über die Frage: Ob der Turnus, oder die persön­liche Ordnung im Referiren bey dem Reichs-­Cammergericht thun­lich rathsam und nöthig seye, Wetzlar 1768. [= Haas, Ohnpartheyische Gedancken (1768)] Harpprecht, Johann Heinrich v., Abdruck von dem, an eine höchstansehn­liche Kaiser­ liche Commission und hochverordnete Reichs-­Visita­tions-­Deputa­tion erstattetem gehorsamsten Bericht, das Unterhaltswerk des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammergerichts betreffend, Frankfurt a. M./Leipzig 1768. [= Harpprecht, Abdruck (1768)] Hoffmann, Gottfried Daniel, De aetate et numero causarum revisionis cameralium, Tübingen 1767. [= Hoffmann, De aetate et numero causarum revisionis cameralium (1767)] Kurze Vorstellung Des bisherigen Kammergericht­lichen Modi procedendi in der ­zwischen dem hohen ritter­lichen Teutschen Orden und der Hochgräf­lich Oetting-­Oettin­ gischen Linie o­ bgeschebten Mandats-­modo Revisions-­Sache, aus dem Protocollo judiciali augenschein­lich erwiesen […], o. O. Dec. 1767. [= Kurze Vorstellung Teutsche Orden und Oetting-­Oettin­gische Linie (1767)] Memorial In Sachen Freyherrn von Gemmingen zu Treschklingen contra des regierenden Herrn Landgrafen zu Hessen-­Darmstadt Hochfürstl. Durchlt. und die Freyherren von Gemmingen zu Fränckisch-­Crumbach, o. O. 1768. [= Memorial Treschklingen contra Hessen-­Darmstadt und Freyherren von Gemmingen (1768)] Memoriale und Bitte Des von Weyl. Sr. Hochfürstl. Durchl. zu Solms nachgelassenen Hof- und Regierungs-­Raths Johann Kilian Förster zu Braunfelß Um gnädigste und gerechte Herstellung seiner in einen von allem Vorwurf gesicherten Stand wider das Cammergericht­ liche Reichs-­kundige Verfahren vom 31ten Octobr. 1761. Benebst unterthänigst beygelegter

496

Quellen- und Literaturverzeichnis

Geschichts-­Erzehlung, Braunfels 1767. [= Memoriale und Bitte Förster zu Braunfelß (1767)] Memorial und Bitte Sr. Des Herrn Herzogs zu Mecklenburg-­Schwerin Herzog­lichen Durchlaucht constituirten Anwaldts In Sachen Derer recurrirenden Gewercker zu Rostock Ctra die Hundertmänner daselbst und Consorten, o. O. 1768. [= Memoriale und Bitte Gewercker zu Rostock Ctra die Hundertmänner (1768)] Memorial und Bitte in Sachen sämt­licher Unterthanen der Stadt u. Landschaft zu Hohenzollern Hechingen contra Ihro Durchl. daselbst, o. O. 1769. [= Memoriale und Bitte Hechingen contra Ihro Durchl. daselbst (1769)] Memorial und Bitte, Mein Des König­lich-­Groß-­Brittannischen Churfürst­lich-­ Braunschweig-­Lünebur­gischen Landdrosten Christoph Achaz von Hacke. In Sachen Frau Gräfin modo Herrn Grafen von Metternich contra von Hacke, o. O. [1770]. [= Memoriale und Bitte Landdrosten von Hacke (1770)] Memoriale und Bitten […] in Sachen General-­Inspectoris von Olnhausen […] contra Ihro regierende Hochfürst­liche Durchlaucht u. zu Löwenstein-­Wertheim und Dero […] nachgesetzte Regierung, o. O. 1770. [= Memoriale und Bitte Olnhausen contra Hochfürst­liche Durchlaucht (1770)] Moser, Johann Jacob, Von der Verbindung der Evange­lischen Reichsgerichts-­Beysizern an die Schlüsse des Corporis Evangelicorum, Frankfurt a. M./Leipzig 1775. [= Moser, Von der Verbindung der Evange­lischen Reichsgerichts-­Beysizern (1775)] Ders., Anhang zu der Moserischen nochmals bevestigten Verbindung derer evange­lischen Reichs-­Gerichts-­Beysizere an die Schlüsse des Corporis Evangelicorum, Stuttgart 1777. [= Moser, Anhang (1777)] Ders., Nochmals bevestigte Verbindung derer evange­lischen Reichs-­Gerichts-­Beysizere an die Schlüsse des Corporis Evangelicorum, oder: Anmerckungen über eine zum Vorschein gekommene Replik, Frankfurt a. M./Leipzig 1777. [= Moser, Nochmals bevestigte Verbindung (1777)] [Nettelbla, Christian/Schnitzlein, Carl Wilhelm], Fortgesetzte Reverien von Verbesserung des Justizwesens bey Gelegenheit d. Kaiser­lichen u. Reichs-­Cammergericht­ lichen Visita­tion, Frankfurt a. M. u. a. 1769. [= [Nettelbla/Schnitzlein], Fortgesetzte Reverien (1769)] [Dies.], Reverien von Verbesserung des Justizwesens bey Gelegenheit der Kaiser­lichen und Reichs-­Cammergericht­lichen Visita­tion zum Druck befördert, mit et­lichen bisher ungedruckten ­Actenstücken, Frankfurt a. M./Leipzig 1768. [= [Nettelbla/Schnitzlein], Reverien (1768)] Nütz­liche Abhandlungen und Beyträge zur Erweiter- und Erläuterung des Reichsgericht­ lichen Justizwesens und Processus, 3 Bde., Wetzlar 1769. [= Nütz­liche Abhandlungen (1769)]

I. Quellenverzeichnis

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Ohnzielsätz­licher Vortrag, eine gelehrte Privat-­Societät zur Erläuterung Verbesserung und Erleichterung des Kayser­lichen Reichs-­Cammer-­Gerichts Justiz-­Wesens und Prozessus, bey höchstgedachtem Gericht einzurichten, Hofnungsburg/Wetzlar 1755. [= Ohnzielsätz­licher Vortrag (1755)] Pro Memoria, Die Rieder-­Isenburg Grenzauischen Reichs-­Crayß- und Cammer-­Zielers Rückstände betreffend, o. O. 1772. [= Pro Memoria Rieder-­Isenburg (1772)] [Pütter, Johann Stephan, abgek.: I. S. P. P. G.], Patriotische Abbildung des heutigen Zustandes beyder höchsten Reichsgerichte, worin der Verfall des Reichs-­Justizwesens samt dem daraus bevorstehenden Unheile des ganzen Reichs und die Mittel, die demselben noch vorzubeugen, der Wahrheit gemäß und aus Liebe zum Vaterlande erörtert werden, o.O 1749 (2. Aufl. 1756). [= [Pütter], Patriotische Abbildung (1749)] Ders., Unpartheyische Gedanken über die in dem Cammergerichts-­Visita­tions-­Berichte vom 16. Jul. 1768 enthaltenen Materien, I) die Eintheilung der Senate, II), die so genannte Recurrenz und III) den turnum betreffen, Göttingen 1769. [= Pütter, Gedanken über Visita­tions-­Berichte 16. Juli 1768 (1769)] Ders., Von der Sollicitatur am kayser­lichen und Reichs-­Cammergerichte, Göttingen 1768. [= Pütter, Sollicitatur (1768)] [Ders.], Recht­liches Bedenken in Sachen der Bürgerschaft zu Rostock […] Entgegen Bürgermeister und Rath, wie auch die sogen. Hundertmänner daselbst […] Den dermalen ­zwischen beyden höchsten Reichsgerichten in Frage stehenden conflictum iurisdic­tionis betreffend, o. O. 1769. [= [Pütter], Recht­liches Bedenken Bürgerschaft zu Rostock contra Hundertmänner (1769)] Ders., Freymüthige Betrachtungen über die Senate am kayser­lichen und Reichs-­Cammergerichte und was nach Anleitung des kayser­lichen Commissions-­Decretes vom 15. Febr. 1772 für eine dauerhafte Einrichtung damit zu treffen seyn möchte, Göttingen 1772. [= Pütter, Freymüthige Betrachtungen über die Senate (1772)] Rudloff, Wilhelm August, Versuch von den Senaten am Kayser­lichen und Reichs-­ Cammergericht, Bützow 1769. [= Rudloff, Versuch von den Senaten (1769)] Ders., Unparteiischer Bericht von dem Turnus, oder der versöhn­lichen Reihe im Referiren am Kaiser­lichen und Reichs-­Cammergericht, Bützow 1771. [= Rudloff, Unparteiischer Bericht von dem Turnus (1771)] In Sachen Freyherrn von Gemmingen zu Treschklingen contra des regierenden Herrn Landgrafen zu Hessen-­Darmstadt Hochfürstl. Durchlt. und die Freyherren von Gemmingen zu Fränckisch-­Crumbach, o. O. o. J. [= Sachen Treschklingen contra Hessen-­Darmstadt und Freyherren von Gemmingen (o. J.)] In Sachen Philipp Maximilian Freyherrn von Hammerstein wider Herrn Clement August Kurfürsten zu Cölln und Consorten jetzo Herrn Maximilian Friedrich Kurfürsten zu Cölln als Erben gedachten Herrn Clement August. Mandati de abducendo milite & c.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

sine de restituendo omne damnum C. C., o. O. [1770]. [= Sachen Philipp Maximilian Freyherrn von Hammerstein (1770)] Actenmässige Species Facti, In Sachen Gumbel, Juden zu Hanau, und Juden Meyer, modo dessen angeb­liche Erben Contra Weyland Phil. Marquard Schutzbahr, genannt Milchling & Consorten. In specie Johann Caspar von Bicken nachgelassene Erben, modo Fürstl. Oranien-­Nassauische Rent-­Cammer in Dillenburg. Mit Anlagen N. 1, 2, 3 & 4, o. O. o. J. [= Species Facti Juden zu Hanau Contra Marquard Schutzbahr, genannt Milchling (o. J.)] Species Facti im Betreff der, von den sogenannten Hundertmännern zu Rostock, wie auch den Brauern und Kaufleuten daselbst, an den höchspreiß­lichen Kayserl. Reichs-­Hof-­Rat ergriffenen Appella­tion von einer Landesherr­lichen Resolu­tion vom 7ten März 1766. Die künftige Verfassung und Einrichtung eines die ganze Bürgerschaft repräsentirenden Collegii von Hundert Bürgern betreffend, o. O. 1767. [= Species Facti Hundertmänner zu Rostock (1767)] Species Facti In Sachen Weyl. Hernn Clemens August, modo Herrn Carl Alexander Hochund Teutsch-­Meisters Königl. Hoheit, Contra Die Gräf­l ich Oetting-­Oettin­gische Canzley & Consorten; Praetensi Mandati S. C. Nunc Revisionis. Das Jus indicendi luctum publicum betreffend, o. O. [1767]. [= Species Facti Hoch- und Teutschmeister contra Gräfl. Oettingen-­Oettin­gische Canzley (1767)] [Stainhauser v. Treuberg, Johann Philipp], Replik auf Herrn Johann Jacob Mosers Abhandlung von der Verbindung der evange­lische Reichsgerichtsbeysitzer an die Schlüsse des Corporis Evangelicorum, Frankfurt a. M./Leipzig 1776. Strube, David Georg, Recht­liche Bedenken, Bd. 2 u. 3., o. O. 1763/68. [= Strube, Recht­ liche ­Bedenken Bd. 2/3 (1763/68)] Themis Executrix oder Gemeinnüzige Abhandlung in ­kurzen Säzen von der Rechtskraft der Urtheile der höchsten Reichsgerichte und deren Reichssatzungsmäßigen stracken Vollziehung, o. O. 1766. [= Themis Executrix (1766)] Geschichte der Verlegung des Cammergerichts und der Ursachen, die s­ olche veranlassen können, nebst einem wohlerwogenen Gutachten des Catho­lischen Theils des Kayser­lichen Cammergerichts Advocaten und Procuratoren zu unterthänigster Folgeleistung des Höchstverehr­lichen Conclusi Pleni vom 25. September 1770, o. O. o. J. [= Verlegung des Cammergerichts (1770)] Vertheidigte Medietät und Landsässigkit der Abtey Maximin bey Trier und ihrer im Erzstift gelegenen Güter, besondes der davon zu Lehen gehende Mediatherrschaften Taben und ­Freudenberg, in Ansehung deren Sie so wenig einer Reichsstandschaft fähig als auf letztere einen Reichsanschlag und Kammerzieler zu übernehmen befugt mithin das den 8. May 1772 am Kaiser­lichen Kammergericht derentwegen ertheilte Conclusum Pleni von der höchsten Behörde wieder auzuheben und die Abtey mit ihrem neuer­lichen Recep­tionsgesuche zu Sitz und Stimme bey dem Ober­rheinischen Kreise abzuweisen

I. Quellenverzeichnis

499

ist. Mit Beylagen von Num. I. bis 29, o. O. 1774. [= Vertheidigte Medietät und Landsässigkit der Abtey Maximin bey Trier (1774)] [Vorstellung] Christian Ludwig Graf zu Wied-­Runkel, o. O. [1770]. [= [Vorstellung] Christian Ludwig Graf zu Wied-­Runkel (1770)] Vorstellung nebst recht­licher Bitte ab Seiten Herren Burgermeister und Raths der Reichsstadt Nördlingen contra das Hochfürst­lich und Hochgräf­l iche Hauß Oettingen. Decisor. Mandator S. C. den verunglückten Knaben und Fornica­tions-­Fall, ingleichen die Waydwerks-­Gerechtigkeit u. insbesondere aber einen in eben diesen rechtskräftig entschiedenen und auf der Execu­tion beruhenden Sachen von dem hohen Hauß Oettigen veranlassten Conflictum summorum Imperii Tribunalium, und die darunter äuserst nothleidende Autorität eines Höchstpreiß­lich-­Kayser­lichen und Reichs-­Cammergerichts betreffend. Mit Beylagen sub N. 1 – 13 incl., o. O. 1770. [= Vorstellung nebst recht­licher Bitte Reichsstadt Nördlingen contra Hauß Oettingen (1770)] Vorstellung sämt­licher des Kaiser­lichen Reichs Cammergerichts Advocaten und Procuratoren. Den vom Kaiser­lichen Reichs Cammergericht am 26ten Sept. 1768 wegen Nehmung der Copeyen aus der Cammergerichts Canzley und wegen der Decrete eröffneten Gemeinen Bescheid betreffend, Wetzlar 1768. [= Vorstellung Advocaten und Procuratoren (1768)] Vorstellung und Anweisung […] in Sachen des Herrn Fürsten und Abten zu Corvey contra H ­ öchstermeldte Seine Churfürst­liche Gnaden zu Cölln, o. O. 1769. [= Vorstellung und Anweisung Corvey contra Churfürst­liche Gnaden zu Cölln (1769)] Vorstellung und Bitte […] in Sachen Des Herrn Hoch- und Teutschmeister Königl. Hoheit c­ ontra Die Gräfl. Oettingen-­Oettin­g ische Canzley und Consorten, o. O. 1767. [= Vorstellung und Bitte Hoch- und Teutschmeister contra Gräfl. Oettingen-­ Oettin­g ische Canzley (1767)] Vorstellung und Bitte Anwaldts Des König­lich-­Dänischen Geheimen Raths […] Herrn ­Friedrichs von Eyben, in Sachen Desselben Contra Seine Unterthanen und Einwohner zu Dessau. Appelat. puncto variorum Gravaminum [unterthänigster Johannes Rudolph, Not. Caesar. Publ. & juratus], o. O. 1768. [= Vorstellung und Bitte Eyben Contra Seine Unterthanen und Einwohner zu Dessau (1768)] Vorstellung und Bitte Anwalds Seiner Churfürst­lichen Durchlaucht zu Trier, die von der Abtey St. Maximin prätendirende Immedietät und Reichsstandschaft wegen des zum Erzstift Trier gehörigen Burggrafthums Freudenberg, und die darauf seit kurzem übernommene Kammerzieler betreffend, o. O. 1773. [= Vorstellung und Bitte wegen des zum Erzstift Trier gehörigen Burggrafthums Freudenberg (1773)] Gehorsamste Vorstellung und Bitte, in Sachen Des Kayser­lichen Procuratoris Fiscalis, Klägern, eines gegen Chur-­Pfaltz und Hessen-­Hanau, Wie auch Burgermeister und Rath der Stadt Gelnhausen, Beklagte, andern- Sodann Chur-­Mayntz, als Intervenienten, dritten Theils, Die Exem­tion ersagter Stadt Gelnhausen betreffend. Uebergeben von

500

Quellen- und Literaturverzeichnis

der Fürst­lichen Regierung zu Hanaus. Nebst Anlagen sub Lit. Tttt bis Zzzz inclusive, o. O. 1770. [= Vorstellung und Bitte Gelnhausen (1770)] An Eine Höchstansehn­liche zur Kayserl. Reichs Cammer-­Gerichts-­Visita­tion Höchstverordnete Reichs-­Deputa­tion Allerunterthänigste Vorstellung und flehent­liche Bitte Derer Stadt Cronenber­gischen Abgeordneten In Sachen Gerichts und Raths auch gemeiner Bürgerschafft zu Cronenberg Wider Sr. Churfürst­lichen Gnaden zu Mayntz und Dero nachgesetzte Regierung, o. O. 1767. [= Vorstellung und flehent­liche Bitte Stadt Cronenberg Wider Sr. Churfürst­lichen ­Gnaden zu Mayntz (1767)] [Zwierlein, Christian Jacob v.], Vermischte Briefe und Abhandlungen über die Verbesserung des Justizwesens am Kammergerichte, 3 Teile, Berlin 1767. [= [Zwierlein], Vermischte Briefe (1767)] [Ders.], Vermehrte Beyträge zur Verbesserung des Justizwesens am Kammergericht, 2 Teile, Frankfurt a. M. u. a. 1768/69. [= [Zwierlein], Vermehrte Beyträge Tl.1/2 (1768/69)]

I.2.2 Das Reforminstrument Ausführung der Kur-­Maynzischen Rechte bey Kammergericht­lichen Visita­tionen und Revisionen, o. O. 1767. [= Ausführung der Kur-­Maynzischen Rechte (1767)] [Balemann, Georg Gottlieb], Etwas Vorläufiges von den gesetz­lichen persön­lichen Eigenschaften eines reichsständischen Visitators des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts, o. O. 1774. [= [Balemann], Von den gesetz­lichen persön­lichen Eigenschaften eines reichsständischen Visitators (1774)] Betrachtungen über das Reichs-­Kammergericht­liche Visita­tionswesen, gelegent­lich dessen, was auf dem Reichstage diesfalls seit einigen Jahren vorgegangen ist. Aus den Reichsgesetzen und der deutschen Reichsverfassung geschöpfet, Mainz 1767. [= Betrachtungen (1767)] Biedermann, Traugott Andrea, De Visita­tione et Revisione Camerali, tanquem causa regiminis vi potestatis inspectoriae instituenda, Leipzig 1772. [= Biedermann, De Visita­ tione et Revisione Camerali (1772)] [Borié, Egyd v.], Das Revisions-­Gericht über die Urtheln des kaiser­lichen Reichs-­ Kammergerichts bey dessen jetziger Visita­tion aus Gesetzen und Reichs-­Acten erläutert, o. O. 1776. [= [Borié], Revisions-­Gericht (1776)] [Ders.], Ungrund des sogenannten Reichsfriedensschlußmäßigen Revisionsgerichts über die Urtheile des kaiser­lichen und Reichskammergerichts, o. O. 1777. [= [Borié], Ungrund Revisionsgericht (1777)] [Ders.], Zugabe zu dem Ungrunde des sogenannten Reichsfriedensschlußmäßigen Revisionsgerichts über die Urtheile des Kaiserl. und Reichskammergerichts. Oder: Kurze Anmerkung über ein unlängst zum Vorschein gekommene Recension des ebengedachten Ungrundes, o. O. 1777. [= [Borié], Zugabe Ungrund Revisionsgericht (1777)]

I. Quellenverzeichnis

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Cramer, Johann Christian, Ausführung der Frage: ob die Krone Böhmen als erster welt­licher Churfürst des Reichs in der folgenden dritten Klasse bey der ausserordent­lichen kais. und des Reichs Kammer-­Gerichts-­Visita­tions- und Revisions-­Deputa­tion in Rang und Ordnung von Chur-­Baiern einzuruken habe?, Frankfurt a. M. 1769. [= Cramer, Krone Böhmen (1769)] Disquisitio juridica Quaes­tionis: Ob bey Visita­tions-­Konventen das Directorium der Kaiserl. Commißion, oder aber Kurmainz zukomme?, o.O o. J. [= Disquisitio juridica Quaes­tionis (o. J.)] [Falcke, Johann Philipp Conrad], Das Reichs-­Friedens-­Schlußmäßige Revisions-­Gericht über die Urtheile des Kayserl. und Reichs-­Cammer-­Gerichts, o. O. 1776. [= [Falcke], Reichs-­Friedens-­Schlußmäßige Revisions-­Gericht (1776)] Ders., Gründ­liche Verwahrung und Befestigung des Reichs-­Friedensschlußmäßigen Revisions-­ Gerichts über die Urtheile des Kayser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts, gegen die dawider in dem so betitelten Ungrunde angebrachte Einwürfe und Verunglimpfungen, Hannover 1777. [= Falcke, Gründ­liche Verwahrung (1777)] Ist ein in Reichs-­Städtischen Pflichten stehender Rath zu Führung eines fürst­lichen Voti genugsam qualifizirt?, o. O. 1776. [= Führung eines fürst­lichen Voti (1776)] Gatzert, Christan Hartmann Samuel, Kurze Abhandlung von der Dauer der ehemaligen ordent­lichen Visita­tionen des Kaiserl. und Reichs-­Cammergerichts, Giesen 1772. [= Gatzert, Kurze Abhandlung von der Dauer (1772)] Harpprecht, Johann Heinrich Frh. v., Geschichte des Kaiser­lichen und Reichs-­ Cammergerichts unter der glorwürdigsten Regierung Kaiser Carl des Fünften als eine Fortsetzung des Cammergericht­lichen Staat-­Archivs (Teil 5), Frankfurt a. M. 1767. [= Harpprecht, Geschichte des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammergerichts Tl 5. (1767)] [Ders.], Geschichte des Kaiser­lichen und Reichs Cammergerichts unter der glorwürdigsten Regirung Kaiser Carl des Fünften von den Jahren 1545 bis 1558 als eine Fortsetzung des Cammergericht­lichen Staat-­Archivs oder Sammlung von gedruckten und mehrentheils ungedruckten Actis Publicis, besonders von den […] Reichs-­Cammergerichts-­Visita­tionen, Sechster Theil, Frankfurt a. M. 1767. [= [Harpprecht], Geschichte des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammergerichts Tl 6. (1767)] [Hertwig, Carl Caspar v.], Betrachtung über die mißlungene Vertheidigung der Maßnehmungen protestantischer Stände in Betreff der Reichsgräf­lichen Deputa­tions-­Befugniß, o. O. 1776 . [= [Hertwig], Betrachtung (1776)] Hoffmann, Gottfried Daniel, De odio Revisionis Cameralis sublato ad Capitulat. noviss. Art. XVII. § 2. pr., Tübingen 1767. [= Hoffmann, De odio Revisionis Cameralis (1767)] [Ders.], Miscellaneas hasce iuris publici de revisione camerali theses, Tübingen 1767. [= Hoffmann, Miscellaneas (1767)]

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Quellen- und Literaturverzeichnis

[Ders.], Commentatio iuris publici Germanici de eo, quod visitatio iudicii cameralis in singularibus coram hoc pendentibus caussis potest, et solet, Frankfurt a. M. u. a. 1769. [= Hoffmann, Commentatio (1769)] [Ders.], De iuramento revisorio camerali, Tübingen 1769. [= Hoffmann, De iuramento revisorio camerali (1769)] [Ders.], De jure Principum ecclesiasticorum, Praelatorum et Capitulorum subdelegandi ad Visita­tionem Camerae, Tübingen 1769. [= Hoffmann, De jure subdelegandi ad Visita­ tionem Camerae (1769)] [Ders.], De revisionibus actorum cameralium non tam a diversis Senatibus, quam potius in uno eodemque collegio tractandis, Tübingen 1776. [= Hoffmann, De revisionibus actorum cameralium (1776)] [Ders.], Utrum ius comitum ad deputa­tiones imperii et visita­tiones camerales extraordinarias personale sit an collegiale, Tübingen 1776. [= Hoffmann, Utrum ius comitum ad deputa­tiones imperii (1776)] Hoffmann, Johann Daniel, De remediis adversus sententias revisorum cameralium, Tübingen 1767. [= Hoffmann, J. D., De remediis adversus sententias revisorum cameralium (1767)] Kurze Beobachtungen über die Abwechslung der zur Visita­tion des Kais. und Reichscammer­gerichts verordneten Reichsdeputa­tionsclassen, hrsg. von E. D. P. bey Gelegenheit des Kaiserl. Allergnädigsten Commissionsdecrets vom 31. Jänner 1770. Den in Materia Turni et Recurrentiae unterm 15 December 1769 erstatteten Visita­tionsbericht betreffend, o. O. 1770. [= Kurze Beobachtungen über die Abwechslung der Reichsdeputa­ tionsclassen (1770)] Kramer, Christoph, Kurz gefaßte Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, Bd. 2, Wien 1773. [= Kramer, Kurz gefaßte Abhandlungen (1773)] Lang, Johann, Ob der effectus suspensivus den revisionibus cameralibus nach dem wahren Geiste des jüngsten R. A. § 124 zu verstatten sey?, Öttingen 1769. [= Lang, Ob der effectus suspensivus (1769)] Mannsbach, Ehrhardt Friedrich von und zu, Was ist Rechtens, wenn nicht alle zur Visita­tion des Cammergerichts deputirten Stände erscheinen? Kann ein Subdelegirter zur Cammergerichts-­Visita­tion mehr als ein Votum führen?, o. O. 1776. [= Mannsbach, Was ist Rechtens (1776)] Mnemosynon Colosseum Josepho II. Virtute et Exemplis Imperante in honorem Camerae Imperialis Judicii Wezslariae usque nunc florentis ex Fastis antiquae lec­tionis in Tabulas Chronologicas redactum renovatum a Gustavo Georgio Koenig de Koenigsthal, Wetzlar 1767. [= Mnemosynon (1767)] Moser, Johann Jacob, Unmaßgeb­liches Bedenken über einige Hauptpuncte, so bey Einrichtung des Visita­tions-­Wesens bei dem Kaiserl. Reichs Cammergerichte zu beobachten seyn, Regensburg 1767 (erstellt 1741). [= Moser, Unmaßgeb­liches Bedenken (1741/1767)]

I. Quellenverzeichnis

503

[Ders.], Bedenken von der Cammer-­Gerichts-­Visita­tion mit Anmerkungen und Gegenanmerkungen, o. O. 1767. [= Moser, Bedenken (1767)] [Ders.], Abhandlung verschiedener Rechts-­Materien, Bd. 7 u. 17, Frankfurt a. M. u. a. 1775 (Bd. 7), Ulm u. a. 1776 (Bd. 17). [= Moser., Abhandlung verschiedener Rechts-­Materien 7/17 (1775/1776)] [Ders.], Von dem Recurs an die Cammergerichts-­Visita­tion absonder­lich in Parthiesachen. Nebst einem Anhang: 1. Ob die Visita­tion von dem Cammergericht Acten und Protokollen abforderen, auch 2. eine Inhibi­tion an Daßelbige ergehen laßen könne?, Ulm/Frankfurt a. M./Leipzig 1775. [= Moser, Von dem Recurs an die Cammergerichts-­Visita­tion (1775)] [Ders.], Von der kayser­lichen Concurrenz bey denen Cammergerichts-­Urtheilen und deren Revisionen, o. O. 1776. [= Moser, Von der kayser­lichen Concurrenz (1776)] [Nehring, Johann Christian], Kritisches Wörterbuch über juristische Sachen, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1770. [= [Nehring], Kritisches Wörterbuch] [Nettelbla, Christian v.], Abgefordeter Bericht vom Ursprung, Umständen und Verrichtungen derer Kayser­lichen Reichs-­Cammergericht­lichen Visita­tionen besonders von Anordnungen, Vorschlägen, Proposi­tionen und Vortheilen der bevorstehenden, aus Actis publicis und glaubhaften Scriptoribus entlehnet, Leipzig/Freiburg 1766. [= [Nettelbla], Abgeforderter Bericht (1766)] [Ders.], Vermehrter und verbesserter abgeforderter Bericht vom Ursprung, Beschaffenheit, Umständen und Verrichtungen der Kaiser­lichen Reichs-­Cammer-­Gericht­lichen Visita­tionen besonders von Anordnungen, Vorschlägen, Proposi­tionen und Vortheilen der bevorstehenden, aus Actis publicis und glaubhaften Scriptoribus entlehnet, nebst einer eilfertigen und vorläufigen Zugabe für den Herrn Stats-­Rath Johann Jacob Moser und einem Anhange von Visita­tions-­Rela­tionen und anderen Urkunden verfasset und dem Abdruck überlassen, Freiburg 1767. [= [Nettelbla], Vermehrter Bericht (1767)] Nettelbla, Daniel v., Erörterungen einiger einzelner Lehren des Teutschen Staatsrechts, Halle 1773. [= Nettelbla, Erörterungen (1773)] Pro-­Memoria die anmaß­liche Aufstellung einer Reichs-­Gräf­l ich-­Westphä­lisch-­Catho­lischen Subdelega­tion bey der zweyten Classe der Kayser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts-­ Visita­tion betreffend, Neuwied 1775. [= Pro-­Memoria Aufstellung einer Reichs-­Gräf­ lich-­Westphä­lisch-­Catho­lischen Subdelega­tion (1775)] Pütter, Johann Stephan, Patriotische Gedanken über einige das Kayser­liche und Reichs-­ Cammergericht und dessen Visita­tion betreffenden Fragen, insonderheit I.) Ob und wie weit die alten Reichsgesetze hierinn hinläng­lich und schlechterdings zu befolgen seyen? II.) Ob die erste Classe der zur Visita­tion bestimmten ausserordent­lichen Reichs-­Deputa­tion nach Verlauf eines Jahres nothwendig abgelöset werden müsse?, Göttingen 1768. [= Pütter, Patriotische Gedanken (1768)] [Ders.], Weitere Ausführung der Frag, ob die erste Classe der zur Cammergerichts-­Visita­tion bestimmten ausserordent­lichen Reichs-­Deputa­tion nothwendig auf eine gewisse zum voraus

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Quellen- und Literaturverzeichnis

festgesetzte Zeit abgelöset werden müsse, und ob solches dermalen auf den 2. Nov. 1768 thun­lich und rathsam sey?, Göttingen 1768. [= Pütter, Weitere Ausführung der Frag, ob die erste Classe abgelöset werden müsse (1768)] [Ders.], Versuch einer richtigen Bestimmung des Kaiser­lichen Ratifica­tions-­Rechts, Göttingen 1769. [= Pütter, Bestimmung des Kaiser­lichen Ratifica­tions-­Rechts (1769)] Das kayser­liche Ratifica­tions-­Recht bey Schlüssen der Reichscammergerichts Visita­ tionsdepu­ta­tion in Anmerkungen wider Herrn Geheimen Justizrath Pütters, Frankfurt a. M. 1778. [= Ratifica­tions-­Recht bey Schlüssen der Visita­tion (1778)] Riefel, Josua Joseph, Kritische Betrachtungen über verschiedene Staatsfragen, 6 Bde., Frankfurt a. M. u. a. 1770 (Bd. 1. u. 2.), 1771 (Bd. 3. u. 4.), 1774 (Bd. 5), 1772 (Bd. 6). [= Riefel, Kritische Betrachtungen (1770/1774)] Rotberg, Wilhelm Christian, De iusta revisionis sententiarum cameralium restric­tione, Gießen 1766. [= Rotberg, De iusta revisionis (1766)] Rudolff, Wilhelm August, De revisionis effectu suspensivo, in causis ecclesiasticis et Religionis, ad illustrandam sanc­tionem R. J. N. § 124, Bützow 1772. [= Rudolff, De revisionis effectu suspensivo (1772)] Schellwitz, Justus Christian Ludwig, Ulteriores observa­tiones de remidio revisionis, Wittenberg 1765. [= Schellwitz, Ulteriores observa­tiones (1765)] Schmidt, Benedikt, Dissertatio de Visita­tione Camerae Imperialis et in ea Actorum Revisione, Ingolstadt 1768. [= Schmidt, Dissertatio de Visita­tione Camerae Imperialis (1768)] [Schrötter, Franz Ferdinand], Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters Patriotische Gedanken in Absicht auf einige, das Kayser­liche und Reichs-­Cammer-­Gericht und dessen Visita­tion betreffende Fragen, insonderheit I.) Ob und wie weit die alten Reichsgesetze hierinn hinläng­lich und schlechterdings zu befolgen seyen? II.) Ob die erste Classe der zur Visita­tion bestimmten ausserordent­lichen Reichs-­Deputa­tion nach Verlauf eines Jahres nothwendig abgelöset werden müsse?, Frankfurt a. M./Leipzig 1768. [= [Schrötter], Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters Patriotische Gedanken (1768)] [Ders.], Fortgesetzte Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters weitere Ausführung der Frage: Ob die erste Classe der zur Cammergerichts-­Visita­tion bestimmten außerordent­ lichen Reichs-­Deputa­tion nothwendig auf eine gewisse zum voraus festgesetzte Zeit abgelöset werden müße? und ob solches dermahlen auf den 2. Nov. 1768 thun­lich und rathsam sey?, Frankfurt a. M. u. a. 1768. [= [Schrötter], Fortgesetzte Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters weitere Ausführung (1768)] [Ders.], Abhandlung von dem Sitz- und Stimmrechte der Cron Böheim bey den Reichsberathschlagungen und dem dieser Krone hierinnen gebührenden Range, besonders auf Reichsdeputa­tionen, Wien 1769. [= [Schrötter], Abhandlung von dem Sitz- und Stimmrechte der Cron Böheim (1769)] [Ders.], Beobachtungen über Johann Stephan Pütters Versuch einer richtigen Bestimmung des Kayser­lichen Ratifica­tions-­Rechts bey Schlüssen Reichsständischer Versammlungen

I. Quellenverzeichnis

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insonderheit der Visita­tion des Cammergerichts, Frankfurt a. M. u. a. 1770. [= [Schrötter], Beobachtungen zu Pütters Ratifica­tions-­Recht (1770)] Sorge, Friedrich Adoph, Von dem Visita­tions- und Revisionswesen am Reichskammergerichte, in: Ders., Kleinigkeiten, S. 59 – 76, Nördlingen 1771. [= Sorge, Von dem Visita­ tions- und Revisionswesen (1770)] Strube, David Georg, Abhandlung von den Visita­tionen des Kayser­lichen und Reichs-­ Cammergerichts, o. O. 1765. [= Strube, Abhandlung (1765)] [Ders.], Nebenstunden, Bd. 4, 2. Aufl. Hannover 1765. [= Strube, Nebenstunden (1765)] [Ders.], Sammlung merkwürdiger Cammeral- und Visita­tions-­Actenstücke, 2 Bde., Wetzlar 1765. [= Strube, Cammeral- und Visita­tions-­Actenstücke Bd. 1/2 (1765)] Vollständige Vollmacht und Reichs-­Instruc­tion, mit allen ihren dazu gehörigen Theilen, wie ­solche, in Gefolg des Reichs-­Schlusses vom dem 16ten Aprilis 1707. als eine Reichs-­Fertigung, zur Direc­tion und Nachricht einem jeden derer, zur Cammer-­Gerichts-­ Visita­tion deputirten Reichs-­Ständen an dem 9ten Maji 1707 von Reichs wegen ist zugestellt worden, Wetzlar 1768. [= Vollständige Vollmacht und Reichs-­Instruc­tion (1768)] Weinland, Ehrhard Friedrich, Antwort auf die Frage: Was ist der Hauptgrund, daß ein Reichsstand, der wegen mehrerer Stimmen der vorletzten, letzten und neuesten Kammergerichtsvisita­tion beygewohnt, auch mehrere Subdelegirte abgeordnet? Frankfurt a. M. 1777. [= Weinland, Antwort auf die Frage (1777)] Wied, Johann Friedrich Alexander Graf zu, Schreiben zu einem Pro Memoria, die anmaß­liche Aufstellung einer Reichsgräf­l ich-­Westphä­lisch-­Catho­lischen Subdelega­tion bey der zweyten Classe, Neuwied 1775. [= Wied, Schreiben zu einem Pro Memoria (1775)] Winckler, Karl Gottfried, De diverso genere remidii Syndicatus Camera Imperii, illiusque in ipsas Sententias effectu, Leipzig 1768. [= Winckler, De diverso genere (1768)] Ziegesar, August Friedrich Karl, Dissertatio de visita­tione judicii cameralis imperialis, Jena 1765. [= Ziegesar, Dissertatio de visita­tione (1765)]

I.2.3 Der Reformprozess [Balemann, Georg Gottlieb], Beiträge zur Revision und Verbesserung der fünf ersten Titeln des Concepts der kaiser­lichen Kammergerichtsordnung, Lemgo 1778. [= [Balemann], Beiträge zur Revision (1778)] [Ders.], Visita­tions-­Schlüsse die Verbesserung des Kaiser­lichen Reichs-­Kammergericht­lichen Justitzwesens betreffend, 2 Bde., Lemgo 1779 u. 1780. [= [Balemann], Visita­tions-­Schlüsse Bd. 1/2 (1779/80)] Berathschlagungspunkte in der Visita­tions-­Sache des Kaiser­lichen und Reichskammergerichts, Regensburg 1764. [= Berathschlagungspunkte (1764)]

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Berg, Günter Heinrich v., Darstellung der Visita­tion des Kaiser­lichen und Reichs-­ Kammergerichts nach Gesetzen und Herkommen, Göttingen 1794. [= Berg, Darstellung der Visita­tion (1794)] Bericht der am 8. May 1776 erfolgten Trennung der zur Visita­tion des Kaiser­lichen und Reichskammergerichts und Vornahme der Revisionen angeordneten Reichs-­Deputa­ tion, Regensburg 1776. [= Bericht der am 8. May 1776 erfolgten Trennung (1776)] [Borié, Egyd v.], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion bey dem Kaiser­lichen und Reichs-­Kammergericht, Bd. 16: Das dasige Pfenningmeistrey-­Rechnungswesen und die hierwegen von der lezteren extra Ordinari-­Visita­tion abgefassete Schlüsse betrefend, o. O. 1792. [= [Borié], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­Visita­tion, Bd. 16: Pfennigmeisterei (1792)] [Borié, Egyd v.], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­V isita­tion bey dem Kaiser­lichen und Reichs-­Kammergericht, Bd. 18: Die Schlüsse der im Jahr 1767 ihren Anfang genommenen und im Jahr 1776 getrennten extra Ordinari Visita­tion des Kaiserl. und Reichs Kammergerichts, nach dem von dem Herrn Kammergerichts-­Beysitzer von Balemann zum Vorschein gekommenen Abdruck, mit hierortiger Auslassung jener anderweit in diesen Beyträgen besonders gedruckten, ­welche das Pfenningmeisterey- ingleichen das Kammergerichts-­Bau und Vormundschaftswesen betreffen, o. O. 1792. [= [Borié], Beyträge zur Beförderung der Ordinari-­V isita­tion, Bd. 18: Schlüsse 1767 – 1776 (1792)] Brandis, Johann Friedrich, Geschichte der inneren Verfassung des K. R. Kammergerichts hauptsäch­lich in Hinsicht der Anordnung der Senate als ein historischer Kommentar über Art. 20. 21. des Reichsschlusses von 1775, Wetzlar 1785. [= Brandis, Geschichte der Senate (1785)] Kaiser­lich-­a llergnädigstes Commissions-­D ecret An eine Hochlöb­lich-­a llgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 17. Nov. 1766. Die Visita­tion des Kayser­ lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts betreffend. Dictatum Ratisbonae die 20. Novembris 1766. [= Commissions-­D ecret 17./20. Nov. 1766] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­D ecret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 26. Januarii 1767. Die Visita­tion des Kayser­ lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts betreffend. Dictatum Ratisbonae die 27. Januarii 1767. [= Commissions-­D ecret 26./27. Jan. 1767] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­D ecret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 23. Aprilis 1768. Die Visita­tion des Kayser­ lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts betreffend. Dictatum Ratisbonae die 23. Aprilis 1768. [= Commissions-­D ecret 23. April 1768] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­ Versammlung zu Regensburg, de dato 24 Febr. 1769. Den an Ihro Römisch-­Kaiserl. Majestät von dem Kaiserl. und Reichs Cammergericht, in Materia Turni & Recurrentiae, unterm

I. Quellenverzeichnis

507

13ten Januarii 1769 erstatteten Bericht betreffend. Dictatum Ratisbonae die 27. Februar 1769. [= Commissions-­Decret 24./27. Feb. 1769] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­ Versammlung zu Regensburg, de dato 31. Jan. 1770. Den an Ihro Römisch-­Kaiserl. Majestät in Materia Turni & Recurrentiae, unterm 15ten Dec. 1769 erstatteten Visita­tionsbericht betreffend. Dictatum Ratisbonae die 5. Februar 1770. [= Commissions-­Decret 31. Jan./5. Feb. 1770] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­ Versammlung zu Regensburg, de dato 19. Novembr. 1770. Den Vollzug der wegen Vermehrung und Unterhaltung des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts vorhandenen Reichs-­ Schlüsse betreffend. Dictatum Ratisbonae die 20. Novembris 1770. [= Commissions-­Decret 19./20. Nov. 1770] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­ Versammlung zu Regensburg, de dato 15. Februarii 1772. Die wegen Vermehrung und Unterhaltung des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts von dem Visita­tions-­Consesse und ermeldetem Cammer-­Gerichte erstattete Berichte betreffend. Dictatum Ratisbonae die 21. Februarii 1772. [= Commissions-­Decret 15./21. Feb. 1772] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­R atifica­tions-­Decret An eine Hochlöb­ lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 15. Decembr. 1775. Auf das Reichsgutachten vom 23ten Octobr. e. A., einige an das Reich gelangte Kaiserl. Hof- und Commissions-­Decrete und die nach deren Anleitung in Ansehung des Kammergericht­lichen Justizwesens und Unterhalts ­dieses Reichsgerichts gut gefundene Vorsehungen betreffend. Dictatum Ratisbonae die 16. Decembr. 1775. [= Commission s-­R atifica­tions-­Decret 15./16. Dez. 1775] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­ Versammlung zu Regensburg, de dato 1. Martii 1776. Die Beförderung der Visita­tion des Kayser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts und baldige Vornahme der Revisionen betreffend. Dictatum Ratisbonae die 2. Martii 1776. [= Commissions-­Decret 1./2. März 1776] Kaiser­lich-­allergnädigstes Commissions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­ Versammlung zu Regensburg, de dato 15. Martii 1777. Wodurch die an Kaiserl. Majest. Allerunterthänigst erstattete, die Erfüllung des Reichsschlusses vom 15ten December 1775 betreffende kammergericht­lichen Berichte der Reichsversammlung zur Erwägung gegeben werden. Dictatum Ratisbonae die 15. Martii 1777. [= Commissions-­Decret 15. März 1777] Concept der Reichs-­Kammergerichtsordnung, auf Befehl der jüngsten Visita­tion entworfen, hg. v. Johann Heinrich Christian v. Selchow, 3 Bde., Göttingen 1782. [= Concept der Reichs-­Kammer­gerichtsordnung (1782)] Johann Jakob Schmaußens Corpus Iuris Publici S. R. Imperii academicum, Leipzig 6. Aufl. 1774 u. 7. Aufl. 1794. [= Corpus Iuris Publici (17746/17947)]

508

Quellen- und Literaturverzeichnis

Cramer, Johann Ulrich, Observa­tiones juris universi, Bd. 6, Ulm 1772. [= Cramer, Observa­tiones juris (1772)] Gesammelte Original-­Briefe in w ­ elchen die mehresten Handlungen der am 2ten May 1767 ausgerückten Extraordinari-­Kammergerichts-­Visita­tions- und Revisions-­Deputa­ tion beleuchtet werden, 3 Theile, o. O. 1777 (Teil 1. u. 2.)/1778 (Teil 3). [= Gesammelte Original-­Briefe, Teil 1 (1777); Teil 2 (1777); Teil 3 (1778)] Häckel, Johann Philipp, Posi­tiones de Visita­tione Camerae Imperialis, Leipzig 1776. [= Häckel, Posi­tiones de Visita­tione (1776)] Kaiser­lich-­allergnädigstes Hof-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 9. August 1768. Den de dato Wetzlar 16. Julii a. c. erstatteten Visita­ tions-­Bericht betreffend. Dictatum Ratisbonae die 20. August 1768. [= Hof-­Decret, 9./20. Aug. 1768] Kaiser­lich-­allergnädigstes Hof-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 17. October 1768. Die Visita­tion des Kayser­lichen und Reichs-­ Cammer-­Gerichts betreffend. Dictatum Ratisbonae die 7. Novembris 1768. [= Hof-­Decret, 17. Okt./7. Nov. 1768] Kaiser­lich-­allergnädigstes Hof-­R atifica­tions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 20. Maji 1774. Auf das Reichs-­Gutachten vom 6ten besagten Monats und Jahrs. Die auf den 1ten November a. c. bestimmte Ablösung der in der Visita­tion des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts begriffenen 1sten Deputa­tions-­ Klasse betreffend. Dictatum Ratisbonae die 28. Maji 1774. [= Hof-­R atifica­tions-­Decret, 20./28. Mai 1774] Kaiser­lich-­allergnädigstes Hof-­R atifica­tions-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 4. August 1774. Auf das Reichsgutachten vom 3ten Junius e. a. Die Berichtigung des Deputa­tions-­Schematis zur ausserordent­lichen Visita­tion des Kayser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts und daselbstiger Vornehmung der Revisionen betreffend. Dictatum Ratisbonae die 11. Augusti 1774. [= Hof-­R atifica­tions-­Decret, 4./11. Aug. 1774] Kaiser­lich-­allergnädigstes Hof-­Decret An eine Hochlöb­lich-­allgemeine Reichs-­Versammlung zu Regensburg, de dato 13. Julii 1776. Die den 8ten May a. c. erfolgte Trennung der zur Visita­ tion des Kayser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts und Vornahme der Revisionen angeordnete Reichs-­Deputa­tion betreffend. Dictatum Ratisbonae die 31. Julii 1776. [= Hof-­Decret, 13./31. Juli 1776] Lang, Friedrich Wendelin, Erläuterung der Frage: Ob die Kammergerichts-­Visita­ tionsabschiede den Kaiser­lichen Reichshofrath wie das Kammer-­Gericht verbinden, Franfurt a. M. 1775. [= Lang, Kammergerichts-­Visita­tionsabschiede (1775)] Mannsbach, Friedrich v., Vollständige Abhandlung von der Visita­tion des Kayser­lichen Reichs-­Kammergerichts aus den Reichsgesetzen und Staatshandlungen erläutert, Jena 1777. [= Mannsbach, Abhandlung von der Visita­tion (1777)]

I. Quellenverzeichnis

509

Moser, Johann Jacob, Neuestes Reichs-­Staats-­Handbuch oder hinläng­liche Nachricht von denen seit dem Hubertsburger Frieden öffent­lich bekannt gewordenen Staats-­Handlungen, ­welche den Kayser­lichen Hof, das Teutsche Reich, dessen Stände, wie auch die Reichs-­ Ritterschaft und andere Unmittelbare betreffen, Frankfurt a. M./Leipzig 1769 (Teil 2). [= Moser, Neuestes Reichs-­Staats-­Handbuch (1769)] Ders., Von der Reichsverfassungsmäßigen Freyheit, von Teutschen Staats-­Sachen zu schreiben, ­Göttingen 1772. [= Moser, Freyheit, von Teutschen Staats-­Sachen zu schreiben (1772)] Ders., Von denen Teutschen Reichs-­Tags-­Geschäfften. Nach denen Reichsgesezen und dem Reichs-­Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-­Rechts-­Lehrern und eigener Erfahrung. Mit beygefügter Nachricht von allen dahin einschlagenden öffent­lichen und wichtigen neuesten Staats-­Geschäfften, so dann denen besten oder auch neuesten und in ihrer Art einigen Schrifften davon, Frankfurt a. M./Leipzig 1774. [= Moser, Von denen Teutschen Reichs-­Tags-­Geschäfften (1774)] Ders., Von der Teutschen Religions-­Verfassung. Nach denen Reichsgesezen […], Frankfurt a. M./Leipzig 1774. [= Moser, Von der Teutschen Religions-­Verfassung (1774)] Ders., Von der Teutschen Justiz-­Verfassung. Nach denen Reichsgesezen […], 2 Bde. (Neues Teutsches Staatsrecht Bd. 8), Frankfurt a. M./Leipzig 1774. [= Moser, Von der Teutschen Justiz-­Verfassung, Bd. 1/2 (1774)] Ders., Reichs-­Staats-­Handbuch auf die Jahre 1769, 1770, 1771, 1772, 1773, 1774 und 1775, 3 Teile, Frankfurt a. M. 1776 (Teil 1 u.2.) u. Frankfurt a.M/Leipzig 1777 (Teil 3). [= Moser, Reichs-­Staats-­Handbuch Tl. 1 – 3 (1776/1777)] Anton Fabers Neue Europäische Staatscanzley, hg. v. Johann Friedrich Tröltsch, Tle.  12 – 46, Ulm u. a.  1765 – 1778. [= Neue Europäische Staatscanzley, Tl. XY ( Jahr)] Neueste Verhandlungen des Reichs-­Cammer-­Gericht und die Visita­tion betreffend, Frankfurt a. M. 1776. [= Neueste Verhandlungen des Reichs-­Cammer-­Gericht (1776)] Oertel, Christian Gottfried, Reichs-­Tags-­Diarium, Bd. 6 u. 7, Regensburg 1763 u. 1765. [= Oertel, Reichs-­Tags-­Diarium Bd. 6 (1763); Bd. 7 (1765)] [Ders.], Sammlung der nöthigsten, zum Theil noch ungedruckten Actenstücke, die Visita­ tion des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts betreffend, 2. Bde. mit Forstsetzungen, o. O. 1763 (Bd. 1), 1766 (Bd. 1/1), 1767 (Bd. 1/2 u. 1/3), 1769 (Bd.2/1), 1774 (Bd. 2/2). [= [Oertel], Actenstücke Visita­tion Bd. 1 (1763); Bd. 1/1 (1766); Bd 1/2 (1767); Bd. 1/3 (1767); Bd. 2/1 (1769); Bd. 2/2 (1774)] Ders., Neues Reichs-­Tags-­Diarium, Bd. 1 – 6, Regensburg 1767 (Bd. 1.), 1769 (Bd. 2.), 1771 (Bd. 3.), 1773 (Bd. 4), 1775 (Bd. 5), 1777 (Bd. 6.). [= Oertel, Neues Reichs-­Tags-­Diarium Bd. 1 (1767); Bd. 2 (1769); Bd. 3 (1771); Bd. 4 (1773); Bd. 5 (1775); Bd. 6 (1777)] [Ders.], Kurze, auf die Reichs-­Gesetze sich gründende Abhandlung von dem Kaiserl. und des Reichs Cammer-­Gerichte und dessen letztfürgewesener, auch jetzt bevorstehender Visita­ tion, 3 Teile, Regensburg 1767 (Tl. 1 u. 2) u. 1768 (Tl. 3). [= [Oertel], Abhandlung von dem Reichs Cammer-­Gerichte Tl. 1 (1767); Tl. 2 (1767); Tl. 3 (1768)]

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Quellen- und Literaturverzeichnis

[Ders.], Sammlung der neuesten Merkwürdigkeiten, w ­ elche in das teutsche sowohl allgemeine als besondere Staatsrecht eingeschlagen, 3 Bde., Regensburg 1775 (Bd. 1), 1776 (Bd. 2), 1777 (Bd. 3). [= Oertel, Sammlung der neuesten Merkwürdigkeiten Bd. 1 (1775); Bd. 2 (1776); Bd. 3 (1777)] Ompteda, Diedrich Heinrich Ludwig, Geschichte der vormaligen ordent­lichen Reichs­ cammergerichts-­Visita­tionen. Regensburg 1792. [= Ompteda, Geschichte der Visita­ tionen (1792)] Pütter, Johann Stephan, Historische Entwicklung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs, Teil 3: Von 1740 bis 1786, 2. Aufl. Göttingen 1788 (1. Aufl 1786). [= Pütter, Historische Entwicklung der Staatsverfassung (1786/88)] Ders., Neuester Reichsschluß über einige Verbesserungen des Kaiser­lichen und Reichs-­ Cammergerichts mit einer Vorrede zu näherer Erläutuerng des cammergericht­lichen Präsenta­tionswesens, Göttingen 1776. [= Pütter, Neuester Reichsschluß (1776)] [Ders.], Wahre Bewandniß der am 8. Mai 1776 erfolgten Trennung der bisherigen Visita­tion, Göttingen 1776. [= [Pütter], Wahre Bewandniß (1776)] Reichs-­Fürsten-­R aths-­Protocoll in der Visita­tions-­Sache des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts, de dato 4. Juli 1766, Regensburg 1766; Zweyte Fortsetzung 28. Juli 1766, Regensburg 1766; Dritte Fortsetzung 8. August 1766; Vierte Fortsetzung 23. März 1767, Regensburg 1767. [= Reichs-­Fürsten-­R aths-­Protocoll I-IV (1766/67)] An Ihro Römisch-­Kayserl. Majestät allerunterthänigstes vorläufiges Reichs-­Gutachten, de dato Regensburg den 8. August 1766. Die Visita­tion des Kaiser­lichen und Reichs-­Cammer-­ Gerichts betreffend. Dictatum Ratisbonae die 12. August 1766. [= Reichs-­Gutachten 8./12. August 1766] An Ihro Römisch-­Kayserl. Majestät allerunterthänigstes Reichs-­Gutachten, de dato Regensburg den 3. Aug. 1770. Den Vollzug der wegen Vermehrung und Unterhaltung des Kayser­lichen und Reichs-­Cammer-­Gerichts vorhandenen Reichs-­Schlüsse betreffend. Dictatum Ratisbonae die 4. Aug. 1770. [= Reichs-­Gutachten 3./4. August 1770] An Ihro Römisch-­Kayserl. Majestät allerunterthänigstes Reichs-­Gutachten, de dato Regensburg den 6ten May 1774. Die auf den 1ten November a. C. bestimmte Ablösung der in der Visita­tion des Kaiser­lichen und Reichs-­Kammergerichts begriffenen 1sten Deputa­ tions-­Klasse betreffend. Dictatum Ratisbonae die 9. Maii 1774. [= Reichs-­Gutachten 6./9. Mai 1774] An Ihro Römisch-­Kayserl. Majestät allerunterthänigstes Reichs-­Gutachten, de dato Regensburg den 3ten Junii 1774. Die Berichtigung des Deputa­tions-­Schematis zur ausserordent­lichen Visita­tion des Kaiser­lichen und Reichs-­Kammergerichts und daselbstiger Vornehmung der Revisionen betrefend. Dictatum Ratisbonae die 6. Junii 1774. [= Reichs-­Gutachten 3./6. Juni 1774]

I. Quellenverzeichnis

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An Ihro Römisch-­Kayserl. Majestät allerunterthänigstes Reichs-­Gutachten, de dato Regensburg den 23ten Octobr. 1775. Einige an das Reich gelangte Kaiserl. Hof- und Commißions-­Decrete und die nach deren Anleitung in Ansehung des Kammergericht­ lichen Justizwesens und Unterhalts d ­ ieses Reichsgerichts gut gefundene Vorsehungen betreffend. Dictatum Ratisbonae die 26. Octobr. 1775. [= Reichs-­Gutachten 23./26. Okt.1775] Runde, Justus Friedrich, Cammergerichtsvisita­tionen, in: Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-­Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1780, S. 864 – 869. [= Runde, Cammergerichtsvisita­tionen (1780)] Sammlung der neuesten Staatsangelegenheiten, vornem­lich des deutschen Reichs, 2 Bde., Ulm/Frankfurt a. M. 1767/69. [= Sammlung der neuesten Staatsangelegenheiten Bd. 1 (1767); Bd. 2 (1769)] [Schrötter, Franz Ferdinand], Widerlegende Anmerkungen der Schrift unter dem Titel: Wahre Bewandtniß der am 8. May 1776 erfolgten Trennung der bisherigen Visita­ tion, o. O. 1776. [= [Schrötter], Widerlegende Anmerkungen (1776)] Serger, Franz Erwin, Vollständiges Diarium von denen merckwürdigsten Vorfällen die sich bei dem letzt gehaltenen hohen Churfürsten Tag und darauf Höchs-­beglückt erfolgten Wahl- und Crönung des Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten und Allergnädigstenj Fürsten und Herrn, Herrn Jeosephi des Andern […] in der freyen Reichs- und Wahl-­Stadt Franckfurt am Mayn ergeben […], Abschnitt 1, Mainz 1767. [= Serger, Diarium Wahl und Crönung Josephs II (1767)] Schlüsse des Pleni. Auf den zu Befolgung des jüngeren in Justiz-­Sachen zu Ende des Jahrs 1775 ergangenen Reichs-­Schluß beschehenen Vortrag nach der Ordnung des Allerhöchsten Kaiser­lichen Ratificatorii des Reichs-­Gutachtens von Artikul zu Artikul, o. O. o. J. [= Schlüsse des Pleni (o. J.)] Tafinger, Friedrich Wilhelm, Institu­tiones Jurisprudentiae Cameralis, 2 Bde., Tübingen 1775/76². [= Tafinger, Institu­tiones (1775/76)] Vermischte Beyträge zur neuesten deutschen Reichs- u. Staats-­Praxi, 4 Bde., Wetzlar 1776. [= Vermischte Beyträge (1776)] Verzeichniss der Römisch-­Kayser­lichen Majestät Höchstansehn­licher Commission, auch deren dermahlen Deputirten Churfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Römischen Reichs Hoch­verordneter Subdelega­tionen zur Visita­tion des Kayser­lichen Reichs-­Cammer-­ Gerichts, Wetzlar 1770. [= Verzeichniss Commission und Visitatoren (1770)]

I.3 Sonstige Quellen Abschiede der Visita­tionen an dem Hochlöbl. Kayserl. Cammer-­Gericht. Mit angehängten Memorialien, Declara­tionen, Decreten und andern […] sehr nütz­lich und erpries­lich,

512

Quellen- und Literaturverzeichnis

mit sonderbarem Fleiß zusammen getragen, ordent­lich eingerichtet, einem nöthigen Indici versehen, und zum ­Ersten mahl zu diensamer Beförderung des heylsamen Justitien-­Wesens in öffent­lichem Druck heraus gegeben, Frankfurt a. M./Speyer 1686. [= Abschiede der Visita­tionen (1686)] Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 1 – 44 mit Anhängen, hg. von Nicolai, Friedrich, Berlin/Stettin 1765 – 1780. Online unter: http://www.ub.uni-­bielefeld.de/ diglib/aufkl/adb/index.htm (23. 02. 2015). Retrospektive Digitalisierung wissenschaft­ licher Rezensionsorgane und Literaturzeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum. [= Allgemeine deutsche Bibliothek] Briefe an den Geh. Rat Joh. Caspar v. Lippert in den Jahren 1758 – 1800. Ein Beitrag zur Geistes- und Kulturgeschichte Bayerns in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts (Oberbayerisches Archiv 96), bearb. v. Richard Messerer, München 1972. [= Briefe an Geh. Rat Lippert 1758 – 1800 (1972)] Kurzgefaßtes Cameral-­Lexicon der in der Kaiser­lichen und Reichs-­Cammergerichtsordnung und dasiger Praxi recipirten Terminorum Juridico-­Technicorum erklärt und beschrieben, Frankfurt a. M./Leipzig 1766. [= Cameral-­Lexicon (1766)] Johann Jakob Schmaußens Corpus Juris Publici S. R. Imperii academicum, 6. Aufl. Leipzig 1774. [= Corpus Juris Publici (1774)] Gampert, M. Philipp Friedrich, Rede am Begräbnißtage des Herrn Johann Emanuel Wild, Mitglieds des inneren geheimen Raths und Vormundamts-­Directors in Regensburg, Regensburg 1800. [= Gampert, Begräbniß-­Rede Wild (1800)] Goethe, Johann Wolfgang v., Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Augsburg 2003 (Original 1808 – 1831). [= Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831)] [Goué, August Siegfried v.], Masuren oder der junge Werther. Ein Trauerspiel aus dem Illyrischen, Frankfurt a. M./Leipzig 1775. [= [Goué], Masuren oder der junge Werther (1775)] Der Jüngste Reichsabschied von 1654 (Quellen zur neueren Geschichte 32), bearb. v. Laufs, Adolf, Bern/Frankfurt a. M. 1975. [= JRA] Kestner, Johann Christian, Untersuchung der Frage: Ob sich der Nutzen der neuern Geschichte auch auf Privatpersonen erstrecke?, in: Allgemeine historische Bibliothek, hg. v. Gatterer, Johann Christoph, Bd. 4, Halle 1767, S. 214 – 226. [= Kestner, Ob sich der Nutzen der neuern Geschichte auch auf Privatpersonen erstrecke? (1767)] Khevenhüller-­Metsch, Rudolf Graf/Schlitter, Hans (Hg.), Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Khevenhüller-­Metsch, kaiser­lichen Obersthofmeisters 1742 – 1776, Bd. 6 (1764 – 1767), Wien 1917. [= Khevenhüller-­Metsch, Tagebuch (1764 – 67/1917)] Die wahre Brunnenfreiheit. Das Kurtagebuch des Johann Christian Kestner vom 9. bis 30. Juli 1765 in Bad Rehburg (Quellen zur Geschichte der Stadt Hannover 2), hg. und kommentiert von Schröcker, Alfred, 2. korrigierte Aufl. Großburgwedel 2009. [= Kurtagebuch Kestner, hg. v. Schröcker (1765/2009)]

I. Quellenverzeichnis

513

Müller, Johann Daniel M., Vernünftige Gedanken vom Gebrauch und Mißbrauch der Eide und Handgelöbnisse den Freunden der Tugend und Gottseligkeit, Helmstädt 1747. [= Müller, Gebrauch und Mißbrauch der Eide und Handgelöbnisse (1747)] Moser, Friedrich Carl v., Von dem deutschen Na­tionalgeist, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1766 (ND Selb 1976). [= F. C. Moser, Na­tionalgeist (1766/1976)] Moser, Johann Jacob, Teutsches Staatsrecht, 2. Aufl. Frankfurt a. M./Leipzig Teil 2 (1738), Teil 6 (1752), Teil 45 (1751), Teil 48 (1752) (ND Osnabrück 1968/69). [= Moser, Teutsches Staatsrecht 2 (1738); 6 (1752); 45 (1751); 48 (1752)] Ders., Neueste Geschichte der Teutschen Staats-­Rechts-­Lehre und deren Lehrer, Frankfurt a. M. 1770. [= Moser, Neueste Geschichte der Teutschen Staats-­Rechts-­Lehre (1770)] [Nettelbla, Christian], Greinir or theim Gaumlu Saugum, Laugum og Ithrotter. Oder Nachlese von Alten und Neuen, Fremden und Eigenen, Einheimischen und Ausländischen Abhandlungen, Anmerckungen, ungedruckten und seltenen gedruckten Sachen, Urkunden und Actis publicis […], 1. St., Stockholm 1763. [= [Nettelbla], Nachlese von Alten und Neuen Sachen (1763)] Neues Genealo­gisches Reichs- und Staats-­Hand-­Buch, Frankfurt a. M. 1768/ Tl. 1, 1769/1, 1770/1, 1771/1, 1772/1, 1774/1, 1775/1, 1776/1 [= Neues Genealo­gisches Reichs- und Staats-­Hand-­Buch ( Jahr)] Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirtschaft, begründet v. Krünitz, Johann Georg, 242 Bde., Berlin 1773 – 1858 [Online unter: http://www.kruenitz1.uni-­trier.de (23. 02. 2015)]. Pütter, Johann Stephan, Selbstbiographie. Zur dankbaren Jubelfeier seiner 50jährigen Professorsstelle zu Göttingen, 2 Bde., Göttingen 1798. [= Pütter, Selbstbiographie Bd. 1/2 (1798)] Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (QFHG 3), hg. v. Laufs, Adolf, Köln/ Wien 1976. [= RKGO Laufs (1976)] Reuss, Johann August, Teutsche Staatscanzley, 32. Teil, Ulm 1794. [= Reuss, Teutsche Staatscanzley (1794)] Schiller, Friedrich, Die Räuber. Ein Schauspiel mit Materialien ausgewählt und eingeleitet von Steinbach, Dieter (Edi­tionen für den Literaturunterricht), Stuttgart 1979 [Original 1781]. [= Schiller, Friedrich, Die Räuber (1781/1979)] Sellert, Wolfgang (Hg.), Die Ordnungen des Reichshofrates 1550 – 1766, 2. Halbbd. bis 1766, Köln/Wien 1990. [= Sellert, Ordnungen RHR (1990)] Stetten, Paul v. d. J., Selbstbiographie. Die Lebensbeschreibung des Patriziers und Stadtpflegers der Reichsstadt Augsburg (1731 – 1808). Bd. 1: Die Aufzeichnungen zu den Jahren 1731 bis 1792 (Veröffent­lichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft, Reihe 6: Reiseberichte und Selbstzeugnisse aus Bayerisch-­Schwaben 5.1), bearb. v. Rajkay, Barbara/ Stetten, Ruth v., hg. v. Gier, Helmut, Augsburg 2009. [= Stetten, Selbstbiographie, bearb. von Rajkay/Stetten (1731 – 1792/2009)]

514

Quellen- und Literaturverzeichnis

Zedler, Johann Heinrich (Hg.), Grosses vollständiges Universal-­Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, 64 Bde. und 4 Supplementbde., Leipzig/Halle 1732 – 1754 [Online unter: http://www.zedler-­lexikon.de (23. 02. 2015)].

II. Literaturverzeichnis 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1761 – 1986), hg. v. der Loge „Wilhelm zu den drei Helmen“ in der Großloge A. F. u. A. M. v. D., Wetzlar-­Hermannstein o. J. [1986]. [= 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986)] Die Affäre Papius. Korrup­tion am Reichskammergericht (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Reichskammergerichtsmuseum Wetzlar 2. Juni bis 30. Sept. 2012), hg. v. Baumann, Anette/Eichler, Anja, Petersberg 2012. [= Affäre Papius (2012)] Amend, Anja/Baumann, Anette/Wendehorst, Stephan/Westphal, Siegrid (Hg.), Gerichtslandschaft Altes Reich. Höchste Gerichtsbarkeit und territoriale Rechtsprechung (QFHG 52), Köln u. a. 2007. [= Amend u. a., Gerichtslandschaft Altes Reich (2007)] Dies./Baumann, Anette/Wendehorst, Stephan/Wunder­lich, Steffen (Hg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im römisch-­deutschen Reich (bibliothek altes Reich 3), München 2008. [= Amend u. a., Frankfurt als Gerichtslandschaft (2008)] Amend-­Traut/Baumann, Anette/Wendehorst, Stephan/Wunder­lich, Steffen (Hg.), Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis (bibliothek altes Reich 11), München 2012. [= Amend-­Traut u. a., Reichsgerichte als mediales Ereignis (2012)] Arcangeli, Alessandro, Art. Freizeit, in: ENZ 3 (2006), Sp. 1215 – 1221. [= Arcangeli, Freizeit (2006)] Aretin, Karl Otmar v., Kaiser Joseph II. und die Reichskammergerichtsvisita­tion 1766 – 1776, in: ZNR 13 (1991), S. 129 – 144. [= Aretin, Kaiser Joseph II. (1991)] Ders., Das Alte Reich 1648 – 1806, Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 – 1684), 2. durchges. Aufl. Stuttgart 1997. [= Aretin, Alte Reich Bd. 1 (1997)]; Bd. 3: Das Reich und der österreichisch-­preußische Dualismus (1745 – 1806), Stuttgart 1997. [= Aretin, Alte Reich Bd. 3 (1997)] Ders., Reichshofrat und Reichskammergericht in den Reichsreformplänen Kaiser Josephs II., in: Diestelkamp, Bernhard u. a. (Hg.), Friedenssicherung und Rechtsgewährung, Bonn u. a. 1997, S. 51 – 81. [= Aretin, Reichsreformpläne (1997)] Arndt, Johannes, Das niederrheinisch-­westfä­lische Reichsgrafenkollegium und seine Mitglieder (1653 – 1806) (Veröffent­lichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte 133/Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte

II. Literaturverzeichnis

515

des Alten Reiches 9), Mainz 1991. [= Arndt, Niederrheinisch-­westfä­lische Reichsgrafenkollegium (1991)] Ders./Körber, Esther-­Beate (Hg.), Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit 1600 – 1750 (Veröffent­lichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte Beiheft 75), Göttingen 2010. [= Arndt/Körber, Mediensystem im Alten Reich (2010)] Ders., Herrschaftskontrolle durch Öffent­lichkeit: die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648 – 1750 (Veröffent­lichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 224), Göttingen 2013. [= Arndt, Herrschaftskontrolle durch Öffent­lichkeit (2013)] Asch, Ronald G., Art. Beamter, in: ENZ 1 (2005), Sp. 1132 – 1138. [= Asch, Beamter (2005)] Aschoff, Hans-­Georg, Die Welfen. Von der Reforma­tion bis 1918, Stuttgart 2010. [= Aschoff, Welfen (2010)] Assmann, Aleida, Gedächtnis, Erinnerung, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, hg. v. Bergmann, Klaus u. a., 5. überarb. Aufl. Seelze-­Velber 1997, S. 33 – 37. [= Assmann, A., Gedächtnis (1997)] Dies., Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 4. durchges. Aufl. München 2009 (1. Aufl. 1999). [= Assmann, A., Erinnerungsräume (2009)] Assmann, Jan, Gedächtnis, in: Jordan, Grundbegriffe (2002), S. 97 – 101. [= Assmann, J., ­Gedächtnis (2002)] Aulinger, Rosmarie, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 18), Göttingen 1980. [= Aulinger, Bild des Reichstages (1980)] Babel, Rainer, Art. Sekretär, in: ENZ 11 (2010), Sp. 1060 – 1065. [= Babel, Sekretär (2010)] Bahlcke, Joachim, Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit (EDG 91), München 2012. [= Bahlcke, Staat in der Frühen Neuzeit (2012)] Bátori, Ingrid, Die Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert. Verfassung, Finanzen und Reformversuche (Veröffent­lichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte 22), Göttingen 1969. [= Bátori, Augsburg im 18. Jahrhundert (1969)] Battenberg, J. Friedrich, Hoffaktoren. Zur historischen Verortung des Kameralagenten Nathan Aaron Wetzlar, in: Affäre Papius (2012), S.  37 – 45. [= Battenberg, Hoffaktoren (2012)] Bauer, Oswald, Zeitungen vor der Zeitung. Die Fuggerzeitungen (1568 – 1605) und das frühmoderne Nachrichtensystem (Colloquia Augustana 28), Berlin 2011. [= Bauer, Zeitungen vor der Zeitung (2011)] Bauer, Richard/Schlosser, Hans (Hg.), Wiguläus Xaver Aloys Freiherr von Kreittmayr (1705 – 1790). Ein Leben für Recht, Staat und Politik (Festschrift zum 200. Todestag), München 1991. [= Bauer/Schlosser, Kreittmayr (1991)]

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III. Nachschlagewerke und Hilfsmittel Allgemeine Deutsche Biographie, hg. v. d. historischen Commission b. d. König­lichen Akademie d. Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875 – 1912. [Online unter: http://www. deutsche-­biographie.de (24. 2. 2015)] (Die Einzelartikel werden im Text nachgewiesen.) Allgemeines Gelehrten-­Lexicon. Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian G ­ ottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten-­Lexico, worin die Schriftsteller aller Stände nach ihren vornehmsten Lebensumständen und Schriften beschrieben werden, bearbeitet u. a. v. Adelung, Johann Christoph, Bd. 3, Leipzig 1784; Bd 5, Bremen 1815. [= Allgemeines Gelehrten-­Lexicon Bd. 3/5 (1810/1815)]

III. Nachschlagewerke und Hilfsmittel

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Anhang 1. Die Visitationsstände  ........................................................................................  2. Das Personal .........................................................................................................  2.1. Die kaiserlichen Kommissare  .. ......................................................  2.2. Die katholischen Visitatoren  ........................................................  2.3. Die protestantischen Visitatoren  .................................................  2.4. Die Sekretäre  .....................................................................................  2.4. Die Kanzlisten  ..................................................................................  3. Reformzentrum Wetzlar  ..................................................................................  3.1. Topographische Karte  ....................................................................  3.2. Die Gesandtschaftsquartiere am 15. Juli 1767  .. ..........................  3.3. Weitere markante Orte  . . .................................................................  4. Die Mitglieder der Freimaurerlogen  .............................................................  4.1. Die Gründungsmitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ (9. Febr. 1768)  . . ...........................  4.2. Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ in den Jahren 1772 und 1776  ......................................................................  5. Die Kosten der Visitation  ................................................................................  5.1. Extraordinari-Aufwand der kurmainzischen Delegation (16. April 1767 bis Ende Dez. 1767)  ............................................  5.2. Specification der zur Königl. Preussischen fürtrefflichen Gesandtschafts-Canzley gelieferten Schreib-Materialien (Mai 1771 bis März 1772)  ...............................................................  5.3. Bücher- und Papierkosten der kurbayerischen Subdelegation (15. Juni 1770)  . . ......................................................  6. Das Examen der Gerichtsangehörigen  .........................................................  6.1. Verfahrensverlauf  .............................................................................  6.2. Gedruckte Fragestücke Lit. B-Lit. P  ...........................................  7. ‚Arbeitskette‘: Der mühsame Weg zum Reichsschluss vom 23. Okt./15. Dez. 1775  .............................................................................. 

565 567 567 568 570 572 576 578 578 579 585 587 587

590 595 595

598 599 601 601 603 604

565

Die Visitationsstände

1.

Die Visitationsstände

Erste Klasse (8. Mai 1767 bis 31. Okt. 1774) Katholiken 1.

Kurmainz

2. 3.

Protestanten 1.

Kursachsen

Kurtrier

2.

Kurbrandenburg

Österreich

3.

Bremen

4.

Bamberg

4.

Sachsen-Gotha

5.

Konstanz

5.

Brandenburg-Kulmbach

6.

Regensburg

6.

Braunschweig-Wolfenbüttel

7.

Münster

7.

Mecklenburg-Schwerin

8.

Bayern

8.

Hessen-Darmstadt

9.

Schwäbische Prälaten

9.

Baden Durlach

10.

Pfalz-Lautern

10.

Wetterauische Grafen

11.

Stadt Köln

11.

Stadt Regensburg

12.

Stadt Augsburg

12.

Stadt Nürnberg

Zweite Klasse (23. Nov. 1774 bis 30. Juni 1775) Katholiken

Protestanten

1.

Kurmainz

1.

Kursachsen

2.

Kurköln

2.

Kurbraunschweig

3.

Salzburg

3.

Sachsen-Coburg

4.

Burgund

4.

Sachsen-Altenburg

5.

Würzburg

5.

Brandenburg-Ansbach

6.

Speyer

6.

Braunschweig-Celle

7.

Augsburg

7.

Hinterpommern

8.

Pfalz Neuburg

8.

Hessen-Kassel

9.

Schwäbische Prälaten

9.

Holstein

10.

Westfälische Grafen

10.

Fränkische Grafen

11.

Stadt Aachen

11.

Stadt Augsburg

12.

Stadt Rottweil

12.

Stadt Ulm

566

Anhang Dritte Klasse (2. Okt. 1775 bis 30. April 1776) Katholiken

Protestanten

1.

Kurmainz

1.

Kurbrandenburg

2.

Kurböhmen

2.

Kurbraunschweig

3.

Eichstätt

3.

Magdeburg

4.

Straßburg

4.

Sachsen-Weimar

5.

Hildesheim

5.

Braunschweig-Calenberg

6.

Freising

6.

Baden-Hochberg

7.

Lüttich

7.

Württemberg

8.

Pfalz-Simmern

8.

Mecklenburg-Güstrow

9.

Schwäbische Prälaten

9.

Henneberg

10.

Schwäbische Grafen

10.

Wetterauische Grafen

11.

Stadt Überlingen

11.

Stadt Lübeck

12.

Stadt Schwäbisch-Gmünd

12.

Stadt Speyer

1.

Kursachsen

Vierte Klasse (8. Mai 1776) Katholiken 1.

Kurmainz

Protestanten

2.

Kurbayern

2.

Kurbrandenburg

3.

Österreich

3.

Sachsen-Eisenach

4.

Worms

4.

Vorpommern

5.

Paderborn

5.

Lübeck

6.

Brixen

6.

Sachsen-Lauenburg

7.

Pfalz-Zweibrücken

7.

Anhalt

8.

Pfalz-Veldenz-Lauterecken

8.

Ratzeburg

9.

Schwäbische Prälaten

9.

Hersfeld

10.

Schwäbische Grafen

10.

Wetterauische Grafen

11.

Stadt Wangen

11.

Stadt Worms

12.

Stadt Offenburg

12.

Stadt Rothenburg o. d. T.

567

Das Personal

2. Das Personal 1 2.1. Die kaiserlichen Kommissare Name 1

Erthal, von und zu

2 Fürstenberg, zu

3

4

Colloredo-­ Mansfeld, von

Spangenberg, Freiherr von

Vorname

Kommissar

Klasse

von – bis*

1

1768 (Sept.)–1774

Franz Ludwig Philipp Carl

II

2

1774 – 1775

3

1775 – 1776

Carl Egon

I

1

1767 – 1772 (März)

1

1772 (März)–1774

2

1774 – 1775

3

1775 – 1776

Franz ­Gundacker

Georg

I

II

4

1776

1

1767 – 1768 (Sept.)

4

1776

*  S ofern der Monat des ‚Dienstantritts‘ oder ‚Dienstabtritts‘ bekannt ist, wird dieser in Klammern genannt. Todesfälle sind mit † gekennzeichnet.

1 Die Listen basieren in erster Linie auf folgenden zeitgenössischen Verzeichnissen: Neues Genealogisches Reichs- und Staats-Hand-Buch (1768), S. 343 – 3 46; (1769), S.  349 – 352; (1770), S.  355 – 358; (1771), S.  359 – 362; (1772), S.  365 – 368; (1774), S.  371 – 374; (1775), S.  371 – 374; (1776), S.  370 – 373; WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, S. 6 – 8; WA 9. Stück vom 7. Okt. 1767, S. 49 – 52; Verzeichniss Commission und Visitatoren (1770). Ergänzend herangezogen wurde Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 3 (1810), Anhang S. 185 – 199. Vereinzelt wurden auch Angaben aus den archivalischen Quellen aufgenommen. Dies betrifft in erster Linie die Zeitangaben. Der Band Neues Genealogisches Reichs- und Staats-Hand-Buch (1773) stand nicht zur Verfügung.

568

Anhang

2.2. Die katholischen Visitatoren Name

Vorname

Stand

Klasse von – bis

1

Bebenburg, Freiherr Karg von

Georg Joseph

Bamberg

1

1767 – 1774

2

Beiswinger

Joseph Aloys

Stadt Schwäbisch Gmünd

3

1775 – 1776

3

Denys

Jacob Joseph

Stadt Aachen

2

1774 – 1775

4

Frech

Johann Heinrich

Augsburg (Fürstbistum) 2

1774 – 1775

5

Goldhagen, von

Andreas

Bayern

1

1767 – 1774

Kurbayern

4

1776

6

Haes

Friedrich Joseph

Kurköln

2

1774 – 1775

7

Haimb (von)

Johann Ernst

Regensburg

1

1767 – 1774

Salzburg

2

1774 – 1775

Eichstätt

3

1775 – 1776

Brixen

4

1776

8

Hammer

Andreas Alexander Franz

[Würzburg – Sekretär]

2

[1774 – 1775]

Freising

3

1775 – 1776

9

Hertwich, von

Carl Casper

Grafen (Westfalen)

2

1774 – 1775

Grafen (Schwaben)

3

1775 – 1776

10

11

12

13

Horix, von

Johann

Hormayr zu Hortenburg, von

Joseph Ignaz Johann Valentin

Hueber von der Wiltau

Daniel Clemens

Huppmann, von Franz Bartholo­ mä(us) (Ludwig)

Grafen (Schwaben)

4

1776

Kurmainz

1

1767 – 1774

Kurmainz

2

1774 – 1775

Kurmainz

3

1775 – 1776

Kurmainz

4

1776

Österreich

1

1767 – 1774

Burgund

2

1774 – 1775

Kurböhmen

3.1.

1775 – 1776 (März)

Pfalz-Lautern

1.2.

1773 (Feb.)–1774

Pfalz-Neuburg

2

1774 – 1775

Pfalz-Simmern

3

1775 – 1776

Pfalz-Veldenz-Lauterecken

4

1776

Stadt Rottweil

2

1774 – 1775

Stadt Schwäbisch Gmünd

3

1775 – 1776

Pfalz-Zweibrücken

4

1776

569

Das Personal

14

Name

Vorname

Stand

Klasse von – bis

Keller, von

Johann Chrysostomus

Kurmainz

1

1767 – 1774

Kurmainz

2

1774 – 1775

Kurmainz

3

1775 – 1776

Kurmainz

4

1776

Hildesheim

3

1775 – 1776

15

Kersting

Franz Leopold

Paderborn

4

1776

16

Kürsinger, von

Franz Anton

Konstanz

1.1.

1767 – 1773 (Nov)

17

Lehrbach, ­ reiherr von F und zu

Conrad Ludwig

Konstanz

1.2.

1773 (Nov) – 1774

Würzburg

2

1774 – 1775

Kurböhmen

3.2.

1776 (März) – 1776

Österreich

4

1776

18

Lenz, von

Franz Konrad

Stadt Überlingen

3

1775 – 1776

Stadt Wangen

4

1776

19

Lieb

Anselm Franz

Kurmainz

1

1767 – 1774

Heinrich Adam Joseph

Speyer

2

1774 – 1775

Straßburg

3

1775 – 1776

20 Loskand

Worms

4

1776

21 Magis

Carl Ludwig

Lüttich

3

1775 – 1776

22 Mayer

Johann Christian

Prälaten

1

1767 – 1774

23 Mauchard

Friedrich

Pfalz-Lautern

1.1.

1767 – 1773 (Feb)

24 Ottenthal, von

Christian

Kurmainz

1

1767 – 1769

25 Reis

Franz Joseph

Kurtrier

1

1767 – 1774

26 Rosenau, Dr. Mayer von

Johann Christian

Prälaten (Schwaben)

2

1774 – 1775

Prälaten (Schwaben)

3

1775 – 1776

Prälaten (Schwaben)

4

1776

Stadt Offenburg

4

1776

27 Sichler, Lt.

Wilhelm Jacob Bruno

28 Stallauer, von

Johann Kaspar

Stadt Augsburg

1

1767 – 1774

29 Tenspold

Gerhard Anton

Münster

1

1767 – 1774

30 Tils

Johann Adam

Stadt Köln

1

1767 – 1774

570

Anhang

2.3. Die protestantischen Visitatoren

1

2

3

4

Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

Balemann, von

Georg Gottlob

[Sachsen-Gotha – Sekretär]

1

[1767 – 1774]

Sachsen-Coburg

2

1774 – 1775

Anhalt

4

1776

Baden-Durlach

1

1767 – 1774

Holstein

2

1774 – 1775

Baden-Hochberg

3

1775 – 1776

Bolz

Böhmer, von

Burgsdorff (von)

Simon

Georg Friedrich

Friedrich Adolph

Lübeck

4

1776

Kurbrandenburg

1.2.

1773 (April)-1774

Hinterpommern

2

1774 – 1775

Kurbrandenburg

3

1775 – 1776

Kurbrandenburg

4

1776

Henneberg

3.2.

1776 (März) – 1776

Kursachsen

4

1776

5

Donauer

Wilhelm Christoph

Stadt Speyer

3

1775 – 1776

6

Emminghausen, von

Heinrich Theodor

Magdeburg

3

1775 – 1776

7

Evers, Dr.

Christian David

Stadt Lübeck

3

1775 – 1776

8

Falcke

Johann Philipp Conrad

Bremen

1

1767 – 1774

Kurbraunschweig

2

1774 – 1775

Kurbraunschweig

3

1775 – 1776

[Sachsen-Lauenburg]

4

[1776] *

Hessen-Darmstadt

1.1.

1767 – 1771 (Jan)

9

Gebler

Heinrich Ludwig Carl

10

Grolmann (von)

Ludwig Adolph Christian

11

Grün (von)

Dietmar Heinrich

Hessen-Darmstadt

1.3.

1772 – 1774

Hessen-Kassel

2

1774 – 1775

Braunschweig-­ Calenberg

3

1775 – 1776

Hersfeld

4

1776

Grafen (Wetterau)

1

1767 – 1774

Grafen (Franken)

2

1774 – 1775

Grafen (Wetterau)

3

1775 – 1776

571

Das Personal Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

Guttenberg, Freiherr von Gemmingen auf

Philipp

Sachsen-Gotha

1

1767 – 1774

Sachsen-Altenburg

2

1774 – 1775

Sachsen-Weimar

3

1775 – 1776

13

Höfler

Johann Jacob

Braunschweig-­ Wolfenbüttel

1

1767 – 1774

14

Jan

Johann Christian Gottlieb

Hessen-Darmstadt

1.2.

1771 (Jan) –1772

15

Königsthal, König von

Gustav Georg

Stadt Nürnberg

1.1.

1767- 1771 (Jan) †

16

Mayer

Johann Gottlob

Brandenburg-­ Kulmbach

1

1767 – 1774

Brandenburg-Ansbach 2

1774 – 1775

17

Reuter

Johann Hartwig

Kurbrandenburg

1.1.

1767 – 1773 (Feb) †

18

Röder, von

Johann August Heinrich

Kursachsen

2

1774 – 1775

Henneberg

3.1.

1775 – 1776 (März)

Stadt Augsburg

2

1774 – 1775

Mecklenburg-Schwerin 1

1767 – 1774

Braunschweig-Celle

2

1774 – 1775

12

19

Scheffern, von

Heinrich Philipp

20

Schröder, von

Joachim Heinrich

Mecklenburg-Güstrow 3

1775 – 1776

Friedrich Christoph

Württemberg

3

1775 – 1776

Wagner, Dr.

Georg Wilhelm

Worms

4

1776

Wild

Johann Emanuel

Stadt Regensburg

1

1767 – 1774

Wölkern, von

Lazarus Carl

Stadt Nürnberg

1.2.

1771 – 1774

Stadt Ulm

2

1774 – 1775

Vorpommern

4

1776

21

Wächter

22 23 24

25

Wurmb

Ludwig Friedrich

Kursachsen

1

1767- März 1769

26

Zech, Graf

August Ferdinand

Kursachsen

1

März 1769 – 1774

*  Noch nicht legitimiert.

572

Anhang

2.4. Die Sekretäre Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

1

Bachem

2

Bähler

Franz Severin

Stadt Köln

1

1767 – 1771

Christoph Albrecht

Württemberg

3

1775 – 1776

3

Balemann

Georg Gottlob

Sachsen-Gotha

1

1767 – 1774

[Sachsen-Coburg – ­Visitator]

2

[1774 – 1775]

[Anhalt – Visitator]

4

[1776]

Johann Jacob

Prälaten (Schwaben)

1

1770

4

Blain, von

5

Bleibimhaus

Georg Adam

Prälaten (Schwaben)

1 – 3

1772 – 1776

6

Böhmer, von

Christian Wilhelm

Kurbrandenburg

1

1767 – 1770

7

Brand

Johann Adolph

Stadt Rottweil

2

1774 – 1775

8

Collenbach

Johann Andreas

Kurböhmen

3

1775 – 1776

9

Deines

Georg Jacob

Stadt Speyer

3

1775 – 1776

10

Depra v. Plain

Johann Jacob

Prälaten (Schwaben)

1

1767 – 1771

11

Dormann

Ernst Ludwig

Grafen (Wetterau)

1

1767 – 1770

12

Drouin

Joseph Ludwig

Bayern

1

1767 – 1774

13

Dudeum

Clemens Fidel.

Stadt Gmünd

3

1775 – 1776

14

Eckard, von

Edmund Franz

Kurmainz

1 – 3

1767 – 1776

15

Erhard

Johann

[Kurmainz – Kanzlist] 1

[1767 – 1772]

Kurmainz

1 – 3

1774 – 1776

16

Fleck

Johann Nicolaus

Kurtrier

1

1767 – 1774

17

Flöcker

Phil. Anton

Hildesheim

3

1775 – 1776

18

Forkenbeck

Maximilian

Münster

2

1774 – 1775

19

Ganz

Johann Friedrich Ferdinand

Kurbrandenburg

1

1771 – 1774

Hinterpommern

2

1774 – 1775

Kurbrandenburg

3

1775 – 1776

20

Gerold

Bernhard Franz Joseph

Kurköln

2

1774 – 1775

21

Gimmi

Ignaz

Stadt Überlingen

3

1775 – 1776

22

Gotter

Johann Friedrich Wilhelm

Sachsen-Gotha

1

1767 – 1768 u.  1770 – 1772

23

Goué

August Siegfried

Braunschweig-­ Wolfenbüttel

1

1767 – 1771

573

Das Personal Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

24

Hammer

Andreas Alexander Franz

Würzburg

2

1774 – 1775

[Freising – Visitator]

3

[1775 – 1776]

25

Hartig

Johann Heinrich

Hessen-Darmstadt

1

1770 – 1774

Hessen-Kassel

2

1774 – 1775

26

Hartig

Christoph Heinrich

Braunschweig-­ Calenberg

3

1775 – 1776

27

Hertwich

Johann Gottfried Aemil

Grafen (Westfalen)

2

1774 – 1775

28

Herd

Philipp Jakob

Pfalz-Lautern

1

1767 – 1772

29

Hille, von

F.

Braunschweig-­ Wolfenbüttel

1

1774

30

Hofmann

Karl Christian

Hessen- Darmstadt

1

1767 – 1769

31

Hofmann

Wilhelm

Sachsen-Coburg

2

1774 – 1775

32

Hohmann/ Hofmann

Johann Friederich

Stadt Augsburg

1

1768 – 1774

Salzburg

2

1774 – 1775

Eichstätt

3

1775 – 1776

Mecklenburg-Schwerin 1

1767 – 1774

Braunschweig-Celle

2

1774 – 1775

33

Jäger

Carl Rudolph ­Friedrich

Mecklenburg-Güstrow 3

1775 – 1776

34

Ja(h)n

Ludwig Friederich Ernst

Hessen-Darmstadt

1

1769 – 1772

35

Jenichen

Johann Karl ­Friedrich

Sachsen-Gotha

1

1774

Sachsen-Altenburg

2

1774 – 1775

Sachsen-Weimar

3

1775 – 1776

36

Jerusalem

Karl Wilhelm

Braunschweig-­ Wolfenbüttel

1

1771 – 1772

37

Jung

Johann Siegmund

Bayern

1

1770 – 1774

38

Keck

Johann Georg

Brandenburg-­ Kulmbach

1

1767 – 1769

39

Kerckering

Friederich

Münster

1

1767 – 1774

40

Kestner

Johann Christian

Bremen

1

1767 – 1773

41

Kir(s)chschlager Leopold

Kaiserliche Kommission

1

1772 – 1774

42

Kir(s)chschlager Johann Friedrich

Kaiserliche Kommission

2

1774 – 1775

3

1775 – 1776

Hessen-Darmstadt

1

1767 – 1768

43

Klippstein

Johann August

574

Anhang Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

44

Klöpper

Johann Peter

Hildesheim

3

1775 – 1776

45

Kollenbach, Freiherr von

Johann

Burgund

2

1774 – 1775

45

Königsthal, König von

Eberhard Jodocus

Stadt Nürnberg

1

1769 – 1771

46

Krempelhuber

Sebastian Ludwig

Bayern

1

1767 – 1769

47

Kroppen

Simon Joseph

Kurmainz

1

1767 – 1768

48

Langen

Ludolph Joseph

Münster

1

1767 – 1772

49

Liebler

Friedrich Anton

Würzburg

2

1774 – 1775

50

Liebler

Matthias Ignaz

Freising

3

1775 – 1776

51

Linden

Damian

Kurmainz

1

1767 – 1772

52

Loskand

Michael Franz

Speyer

2

1774 – 1775

Straßburg

3

1775 – 1776

53

Marschall

Heinrich Christian/ Christoph

Grafen (Wetterau)

1

1771 – 1774

Grafen (Westfalen)

2

1774 – 1775

Grafen (Wetterau)

3

1775 – 1776

54

Miller

Gottl. Dietrich

Stadt Ulm

2

1774 – 1775

55

Minderlein

Johann Emanuel

Stadt Regensburg

1

1767 – 1774

56

Moelck, Edler von

Anton

Salzburg

2

1774 – 1775

57

Mülberger

Phil. Henr.

Stadt Speyer

3

1775 – 1776

58

Neumüller

Johann Georg

Kaiserliche Kommission

1

1767 – 1774

59

Pauli

Georg Friedrich

Mecklenburg-Schwerin

1

1767 – 1769

60

Pfeuffer

Benignus

Bamberg

1

1767 – 1774

61

Pitschel

Johann Friedrich Adolph

Henneberg

3

1775 – 1776

62

Preuschen

Ludwig Conrad

Baden-Durlach

1

1767 – 1769

63

Purgold

Joh. Friedrich

Hessen-Darmstadt

1

1774

Hessen-Kassel

2

1774 – 1775

Braunschweig-­ Calenberg

3

1775 – 1776

64

Reinhard

Johann Georg

Stadt Nürnberg

1

1769 – 1774

65

Richartz

Georg David

Stadt Lübeck

3

1775 – 1776

66

Rorschach

Franz Christoph

Konstanz

1

1767 – 1772

575

Das Personal

67

Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

Sattler

Johann Friedrich

Bremen

1

1773 – 1774

Kurbraunschweig

2

1774 – 1775

Kurbraunschweig

3

1775 – 1776

68

Seeger

Johann August

Stadt Nürnberg

1

1767 – 1768

69

Seidel, Edler von

Vincenz

Kaiserliche Kommission

3

1775 – 1776

70

Seidenberger

Andreas

Regensburg

1

1767 – 1768

71

Seidler

N.

Kaiserliche Kommission

2

1774 – 1775

72

Serger

Franz Erwein

Kurmainz

1

1767 – 1776

73

Siebenbeutel

Bartholomäus

Regensburg

1

1767 – 1774

Augsburg (Fürst­ bistum)

2

1774 – 1775

Baden-Durlach

1

1767 – 1769

74

Sonntag

Friedrich Balthasar

75

Stamm

Ferdinand

76

Stockmann

Carl August

Pfalz-Neuburg

2

1774 – 1775

Pfalz-Simmern

3

1775 – 1776

Kursachsen

1

1767 – 1774

Kursachsen

2

1774 – 1775

Henneberg

3

1775 – 1776

77

Stupan, ­Freiherr von

Felix

Kaiserliche Kommission

1

1767 – 1770

78

Tasch, von

Joseph Aloys(i)

Österreich

1

1767 – 1772

79

Tier , de

Bartholom. Matthias Lüttich

3

1775 – 1776

80

Verdier

Johann Gottf.

2

1774 – 1775

Brandenburg-Ansbach 3

1775 – 1776

Brandenburg-­ Kulmbach

81

Volckart

Joh. Albrecht

Stadt Augsburg

2

1774 – 1775

82

Wagenreck/ Wagnereck

Maximilian Joseph

Stadt Augsburg

1

1767 – 1772

83

Waldorf

Joh. Jos.

84

85

Walther

Wanderer

Friederich Bernhard Julius

Johann Christian

Stadt Köln

1

1772 – 1774

Stadt Aachen

2

1774 – 1775

Baden-Durlach

1

1770 – 1774

Holstein

2

1774 – 1775

Baden-Hochberg

3

1775 – 1776

Brandenburg-­ Kulmbach

1

1770 – 1772

576

Anhang Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

86

Welcker

Philipp Friederich

Sachsen-Gotha

1

1769 – 1770

87

Weng

Johann Heinrich

Grafen (Wetterau)

1

1767 – 1774

Grafen (Westfalen)

2

1774 – 1775

Grafen (Wetterau)

3

1775 – 1776

Klasse

von – bis

2.5. Die Kanzlisten Name

Vorname

Stand

1

Erhard

Anselm Franz

Kurmainz

1 – 3

1774 – 1776

2

Erhard

Johann

Kurmainz

1

1767 – 1772

[Kurmainz – Sekretär] 1 – 3

[1774 – 1776]

3

Fels

Johann Christian

Braunschweig-­ Wolfenbüttel

1

1767 – 1768

4

Fleck

Georg Adam

Speyer

2

1774 – 1775

5

Futterhäcker

Johann Friedrich

Kursachsen

1 – 2

1767 – 1775

Henneberg

3

1775 – 1776

Pfalz-Lautern

1

1769 – 1774

Pfalz-Neuburg

2

1774 – 1775

6

Guggomos

Franz

Pfalz-Simmern

3

1775 – 1776

7

Hackspiel

Joseph

Österreich

1

1767 – 1770

8

Heidinger

Georg Friederich

Baden-Durlach

1

1770 – 1774

Holstein

2

1774 – 1775

Baden-Hochberg

3

1775 – 1776

Sachsen-Altenburg

2

1774 – 1775

Sachsen-Weimar

3

1775 – 1776

9

Heller

Johann

10

Herdt

Conrad

Eichstätt

3

1775 – 1776

11

Hermanni

Johann Andreas

Österreich

1

1767 – 1774

Burgund

2

1774 – 1775

Kurböhmen

3

1775 – 1776

1

1767 – 1768

12

Heydlack/ Heydlas

Johann Joseph

Kaiserliche Kommission

13

Jacobi

August

Lüttich

3

1775 – 1776

14

Krafft

Franz Heinrich

Bremen

1

1774

Kurbraunschweig

2 – 3

1774 – 1776

577

Das Personal Name

Vorname

Stand

Klasse

von – bis

15

Lohbauer

Philipp

Württemberg

3

1775 – 1776

16

Mathenius

Johann Reinhard

Mecklenburg-­ Schwerin

1

1767 – 1774

Braunschweig-Celle

2

1774 – 1775

Mecklenburg-Güstrow 3

1775 – 1776

1

1767 – 1774

17

Minderlein

Christian Friedrich

Brandenburg-­ Kulmbach

Brandenburg-Ansbach 2

1774 – 1775

18

Mosler

Johann Friedrich

Kaiserliche Kommission

1 – 3

1769 – 1776

19

Müller

Jacob

Kurköln

2

1774 – 1775

20

Preuße

Johann Balthasar

Braunschweig-­ Wolfenbüttel

1

1769 – 1774

21

Rath

Heinrich Albrecht

Bremen

1

1767 – 1772

22

Reusing

Johann Baptist

Münster

1

1767 – 1772

23

Röhrig

Jacob

Regensburg

1

1767 – 1774

Augsburg (Fürst­ bistum)

2

1774 – 1775

24

Rosler

Johann Friedrich

Kaiserliche Kommission

1

1771

25

Rottenburg, von

Friedrich

Kurböhmen

3

1775 – 1776

26

Schultheis

Johann Michael

Sachsen-Altenburg

2

1774 – 1775

Sachsen-Weimar

3

1775 – 1776

27

Severin

Johann

Freising

3

1775 – 1776

28

Wolff

Wilhelm/Johann

Konstanz

1

1770 – 1774

578

Anhang

3. Reformzentrum Wetzlar 3.1. Topographische Karte

Diese Karte wurde auf Grundlage jener Karte erstellt, die Volk, Wohnungen der Kameralen (2001) im Anhang (Karte 2) führt. Sie zeigt 1.) die von Volk verzeichneten Wohnungen der Kameralen (schwarze Kreise und Dreiecke), 2.) die Ge­ sandt­schaftsquartiere der Visitatoren vom 15. Juli 1767, 3.) weitere markante Orte wie den Konferenzsaal der Visitation (Nr. 18) oder die Unterkunft Goethes (Nr. 22) sowie 4.) den Eröffnungsweg zur feierlichen Abholung der kaiser­lichen Kommission vom 11. Mai 1767. Die Orte von Punkt 1.) und 2.) sind hellgrau, der Eröffnungsweg ist durch die Weg­ nachzeichnung anhand der Linie markiert. Die einzelnen Nummern sind den Anhängen 3.2. und 3.3. zu entnehmen.

Kaiserlicher Kommissar

Kaiserlicher Kommissar

1

– 6

Wohnhaft 2 5

Georg Freiherr von Spangenberg

Beschreibung 4 1740 erbaute und 1756 von Assessor Papius erworbene und erweiterte, vierflügelige Anlage mit Stallung und Kutschen-Remisen und einem Garten bis an die Stadtmauer. Papius vermietete das Anwesen an vermögende Kreise. Baukünstlerisch erwähnenswert ist die aufwendige Innenausstattung. Im Treppenhaus und den gartenseitigen Räumen aufwendige Stuckdecken. Zur Straßenseite hin großer Salon. Nach aufwendigen Renovierungsarbeiten und mehrjähriger Schließung Wiedereröffnung im Jahr 2012, Nutzung als Museum [Denkmaltopographie, S. 265; Volk, S. 64; Wetzlar, S. 90].

Straße 3 Kornblumgasse 1 [Denkmaltopographie, S. 265; Volk, S. 64]

– 7 –



Seit 1772 kaiserlicher Kommissar Franz Gundacker von Colloredo-Mansfeld [Volk, S. 64].

Carl Egon Fürst Palais Papius  zu Fürstenberg

Visitationsstand Name

Nr.1

3.2. Die Gesandtschaftsquartiere am 15. Juli 1767

Reformzentrum Wetzlar

579

4

Anselm Franz Lieb

3

Joseph Franz Reis

Johann Horix

Chrysostomus von Keller

2

Kurtrier

Kurmainz



Christian von Ottenthal

Visitationsstand Name

Nr.1

Straße 3

Im Römischen Kaiser

Bei Herrn Spinola –

Bei dem Buchhändler Winkler

1767 von Johann Christian Horn erbautes Gasthaus. Der spätbarocke Bau mit Doppelfenstern war vierstöckig und hatte zum Kornmarkt hin einen verzierten Giebel, während die Rückseite eine Hofeinfahrt aufwies, die genug Platz für Kutschen bot. Das Erdgeschoß des Hauses hatte ein großes Gastzimmer und weitere kleine Räume. Im ersten Stock befand sich ein großer Saal, in dem neben den üblichen Bällen auch Theateraufführungen stattfanden. Das oberste Stockwerk war Fremdenzimmern vorbehalten. Im Jahr 1767 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt [Denkmaltopographie, S. 269; Wetzlar, S. 78].

Erbaut 1720 von dem Kaufmann Gabriel Spinola [Volk, S. 124] Anfänglich von Lieb und Horix bewohnt, von Lieb aber den 21. July d. J. [1767] bei Ankunft der Familien des […] Hr. Revisions Raths [Horix] verlasen worden. 9

Weißadlergasse 13 [Volk, S. 124] –

Kornmarkt 5 [Denkmaltopo­ graphie, S. 269]

Siehe Übersicht ‚Weitere markante Orte’.

Das Marschallische Hauß, allwo anfänglich Hr. Geheimde Rath von Ottendahl, Computans [?], Hr. Secretarius Kroppe und der Geheime Canzlist Hr. Erhard samt der Canzley und Archiv in Quartier waren. 24. Sept. musste Computans auf Befehl Ottenthals plaz machen u. am 18 Nov. 1767 zog Kanzlist Erhard nach kurfürstlicher Genehmigung aus, um seine Familie unterbringen zu können, bei dem Kaufmann Walter. 8

Beschreibung 4

Schillerplatz 5 [Wetzlar, S. 94]

Bei dem Barbier – Marschalk

Wohnhaft 2

580 Anhang

Österreich

Bamberg

Konstanz

Regensburg

Münster

Bayern

Pfalz-Lautern

5

6





7



8

Friedrich Mauchard

Andreas von Goldhagen

Gerhard Anton Tenspold

Johann Ernst Haimb

Franz Anton von Krüsinger

Georg Joseph Freiherr Karg von Bebenburg

Joseph Ignaz Valentin Edler von Hormayr zu Hortenburg

Visitationsstand Name

Nr.1

Im Kirschbaumischen Hause nebst der neuen Cammer

In dem Pitzischen Hause

Bei Hofrat Loskant

Im Bollaischen Hause

– –

Fischmarkt 4/7 [Volk, S. 39]







Arnsburger Gasse 2 [Volk, S. 17]



Haus mit einem Höfchen [Volk, S. 105].

Sandgasse? [Volk, S. 105]

In des Herrn Licentiat Groß Behausung

Seit dem Hochmittelalter bestehende Hofanlage des Klosters Arnsburg. Von der Stadt den Jesuiten als Wohnung und zur Errichtung einer Schule überlassen. Trotz Auflösung des Ordens 1773 Weiterführung der Schule bis 1806 [Denkmaltopographie, S. 27 u. 307 f.; Volk, S. 90].

Obertorstraße 18/20 [Volk, S. 90]

Bei der Gesellschaft Jesu

Kurz nach 1660 errichtetes, dreigeschossiges, sehr geräumiges Fachwerkhaus, das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ‚zu öffentlichen Winterlustbarkeiten‘, Maskenbällen und Konzerten diente [Denkmaltopographie, S. 195; Volk, S. 36].

Eselsberg 7 (?) [Denkmaltopographie, S. 195; Volk, S. 36] 10

Bei Protonotar von Sachs

Beschreibung 4

Straße 3

Wohnhaft 2

Reformzentrum Wetzlar

581

Prälaten

Stadt Köln

Stadt Augsburg

Kursachsen

Kurbrandenburg

9



10

11

12

Johann Hartwig Reuter

Friedrich Ludwig Wurmb

Johann Kaspar Edler von Stallauer

Johann Adam Tilsder

Johann Christian Mayer

Visitationsstand Name

Nr.1

Im Schwarzen Adler

Bei Hofrat Besserer

Beschreibung 4



Kornmarkt 11

Obertorstraße 21 [Volk, S. 91]

[Gasthaus]

Das heutige Doppelwohnhaus besteht aus zwei unabhängig voneinander errichteten Fachwerkhäusern. Der ältere, zweigeschossige Teil mit großen Zwerchhaus und im 18. Jh. verschlossener Hofdurchfahrt wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. errichtet. Der jüngere, dreigeschossige Gebäudeteil wurde um 1700 angefügt. Über das Erdgeschoss erheben sich hier zwei Wohngeschosse [Denkmaltopographie, S. 309].

1693 errichtetes, langgestrecktes Gartenhaus. Es diente kleineren gesellschaftlichen Veranstaltungen und war zum Teil an Personen aus dem Umkreis des RKG vermietet [Denkmaltopographie, S. 240].



Lottestraße 8 – 10; sog. Gebäudekomplex des Deutschen Ordens (seit 1287 Niederlassung in Wetzlar) mit Hof, Kapelle, einem Verwaltungshaus Lotte Haus [Volk, und verschiedenen Nutzgebäuden, umgeben von einer Mauer. S. 84] Seit den 1730er Jahren wurden die Küche- und Vorratsräume im Erdgeschoss und die Wohnräume des ersten und zweiten Stocks an Mitglieder des RKG vermietet. Einer der Mieter war der Prokurator Johann Ferdinand Wilhelm von Brand [Denkmaltopographie, S. 292; Wetzlar, S. 60].

Straße 3

Im Niederischen Hauser Gasse Hause 29 [Denkmal­ topographie, S. 240; Volk, S. 51]

Bei Herrn Scabino Hippe

Wohnt im Teutschen Hause bei Herrn Geheimen Rat Brand

Wohnhaft 2

582 Anhang

Bremen



Johann Jakob Braunschweig-Wolfen- Höfler büttel

Mecklenburg-Schwerin

Hessen-Darmstadt

Baden-Durlach

Wetterauische Grafen

15







Dietmar ­Heinrich Grün

Simon Volz

Heinrich Ludwig Carl Gebler

Joachim Heinrich von Schröder

Im Pausischen Hause

Lahnstraße? [Volk, S. 80]

Buttermarkt (heute Domplatz)? [Volk, S. 28]



Haus mit Stallung und Hof [Volk, S. 28]

Schuhgasse 19 [Volk, – S. 112]? Obertorstraße [Volk, S. 93]?

Im Consulent Büsserischen Hause Im Mecklischen Hause

Lottestraße 14 [Volk, Haus mit Garten, erbaut 1723 [Volk, S. 86]. S. 86]



Im Bissingischen Hause

In der Gleimi– schen Apotheke





Bei dem Leder- – händler Walther

Brandenburg-Kulmbach



Johann Gottlob Mayer

Haus um 1740 vom Prokurator Gotthard Johann Hert (1732 – 1765) erbaut, von dessen Sohn beträchtlich erweitert [Volk, S. 46].

Hausergasse 16? [Volk, S. 46]

Bei der verwitweten Frau Justiz-Rätin Herdtin

Sachsen-Gotha

14

Freiherr von Gemmingen auf Guttenberg

Haus mit Hinterhaus, Kutschen-Remise, Stallung und Gärtchen [Volk, S. 117].

Zweites Stadt Pfarrhause, wo bey der jüngsten Reichs-Cammer-Gerichts Visitation die Sachsen Gothaische Gesandtschaft ihr Quartier gehabt. 12

Beschreibung 4

Nach 1774: Silhöferstraße 24 [Volk, S. 117]



Straße 3

[Hofrat Besserer]

Bei Pfarrer Machenhauer

Wohnhaft 2

13

Johann Philipp Conrad Falcke

Visitationsstand Name

Nr.1

Reformzentrum Wetzlar

583

5 6 7 8

4

3

1 2

Johann ­Emanuel Wild

2

9 Ebd. 10 Volk und Denkmaltopographie führen als Hauseigentümer Prokurator Franz Karl Anton von Sachs. Es ist nicht auszuschließen, dass Protonotar Georg Matthias Rudolph Sachs woanders wohnte. 11 Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 3 (1810), S. 52. 12 HStA-Han. Cal. Br. 11 4098, Falcke an König 30. Mai 1767. 13 Königsthal besaß zudem in Wetzlar (Langgasse 68) ein nach 1760 erbautes Sommerhaus [Volk, Wohnungen der Kameralen (2001), S. 83].

Siehe Tabelle ‚Weitere markante Orte’

Schillerplatz 5 [Wetzlar, S. 94]

Bei dem Buchhändler Winkler

Dreigeschossiges Haus aus der Mitte des 17. Jhs. mit Kutschen-Remise, Stallung, Hof und Scheuer (Nr. 14) [Denkmaltopographie, S. 279; Volk, S. 79] In der Mitte des 18. Jhs. errichtetes Haus mit Kutschen-Remise, Hof und Stallung. Kurz nach seiner Fertigstellung ging das Gebäude an Assessor Albini über, der es gegen Ende des 18. Jhs. erweitern und umbauen ließ (Nr. 15) [Denkmaltopographie, S. 239; Volk, S. 49]

Lahnstraße 23 (Nr. 14) [Volk, S. 79] Hausergasse 25 (Nr. 15) [Volk, S. 49]

In Herrn Dr. Carls Hause [Nr. 16], bezieht aber nächstens das neue Haus des Herrn Assessors Albini [Nr. 17] 13

Beschreibung 4

Straße 3

Wohnhaft 2

In der Karte eingezeichnete Nummer (siehe Anhang Punkt 3.1). Angaben zumeist im Wortlaut nach: WA 1. Stück vom 15. Juli 1767, S.  6 – 8. Gemeint sind die bei Denkmaltopographie – Stadt Wetzlar (2004), Volk, Wohnungen der Kameralen (2001) und Wetzlar, Stadt des RKG (1998) geführten gegenwärtigen Straßenbezeichnungen. Den von Volk entnommenen Angaben liegt ein Häuserverzeichnis zugrunde, das im Februar 1767 begonnen und im Jahr 1774 abgeschlossen wurde. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Gerichtsangehörige am 15. Juli 1767 woanders gewohnt haben. Angaben zumeist im Wortlaut nach: Denkmaltopographie – Stadt Wetzlar (2004), Volk, Wohnungen der Kameralen (2001) und Wetzlar, Stadt des RKG (1998). Keine Angabe in WA; Angabe nach Volk, S. 64. Keine Verortung möglich. Hierzu liegen jeweils keine Angaben vor. HHStA Wien MEA RKG 381, Kostenübersicht der kurmainzischen Delegation 15. April bis Ende Dez. 1767. Siehe hierzu A.3.

Stadt Regensburg

Gustav Georg König von Königsthal

Visitationsstand Name

16/17 Stadt Nürnberg

Nr.1

584 Anhang

Gerichtsgebäude RKG – Ecke Buttermarkt/Fisch­ Neue Kammer markt

Franziskanerkirche

Unterkunft von Johann Wolfgang Goethe

20

21

22

Kornmarkt 7 [Volk, S. 64]

Schillerplatz 8 [Denkmaltopographie, S. 328]

Domplatz 8 [Denkmaltopographie, S. 176]

Diktaturstube der Visitation – Rathaus der Stadt

19



Mit der Übergabe des Franziskanerklosters an die Stadt im Jahr 1555 wurde die Kirche zunächst lutherische Stadtkirche und das Kloster Lateinschule mit Wohnungen für Lehrer und evangelische Geistliche. 1586 nahm die Stadt 60 wallonische reformierte Glaubensflüchtlinge auf, die den Chor als Kirche erhielten. 1626 bis 1631 und 1634 bis 1649 waren erneut Franziskaner im Kloster, seit 1650 diente die Kirche als lutherische Stadtkirche, 1667 wurde der Chor wieder reformiert. Nachdem die Franziskaner nochmals zurückgekehrt und das Kirchenschiff sowie West- und Südflügel des Klosters besetzt hatten, zogen die Reformierten 1675 die Scheidewand zwischen Chor und Kirche ein. Die Franziskaner führten 1720 bis 1724 umfassende Umbauten und Modernisierungen von Kirchenschiff und Kloster durch, die Kirche wurde ansehnlich vergrößert. Während der Chor bis heute Kirche blieb (ab 1833), wurde das Langhaus 1820 Proviantund Salzmagazin, Aktenarchiv und schließlich Kaserne [Denkmaltopographie, S. 328 f.].

1666 erbaut, seit 1690 bewohnt von RKG-Angehörigen, zuletzt von Assessor von Beaurieux. 1756 Ankauf durch das RKG und bis 1782 Nutzung als Gerichtsgebäude.5

Ehemaliges Zunfthaus, das der Rat 1693 mit der Abtretung des ursprünglichen Rathauses (sog. Alte Kammer) an das RKG übernahm. 2 Es brannte 1779 bey der schrecklichen Feuersbrunst ab 3 und wurde 1790 durch einen Bau ersetzt, der bis heute steht.4

Fischmarkt 13 [Denkmaltopographie, S. 199; Wetzlar, S. 72]

Konferenzsaal der Visitation – Alte Kammer

Beschreibung/Anmerkung Im 14. Jh. übernahm die Stadt das Gebäude, im ersten Stock Einrichtung des Rathauses (Sitzungsraum, Räume für den Stadtrat sowie Rathaussaal für Feierlichkeiten), im Erdgeschoss gewerbliche Nutzung (Metzgerei). Umfassender Umbau im Jahr 1606. Von 1693 bis 1756 Sitz des RKG. Nach dem Umzug in die Neue Kammer bis zur Visitationseröffnung weiterhin Ort der Audienzen sowie Unterkunft der Kanzlei. Im 19. Jahrhundert nochmalige Sanierung und Aufstockung um ein Geschoss [Denkmaltopographie, S. 199; Wetzlar, S. 72].1

Wo

Nr. Was

18

3.3. Weitere markante Orte

Reformzentrum Wetzlar

585

Wo

Buttermarkt (heute Domplatz 17)6

Beschreibung/Anmerkung

Gasthaus ‚Zum Goldenen Löwen’, zugleich Posthalterei Unterkunft von Johann Christian Kestner Mai 1767 [Wetzlar, S. 74]

Haus der Freimaurer-Loge Joseph zu den drey Helmen

25

26

1 Zudem: Hausmann, Geschichte des Kameralbauwesens (1995), S. 56 – 67. 2 Schieber, Normdurchsetzung Wetzlar (2008), S. 93. 3 Ulmenstein, Geschichte Wetzlar Teil 3 (1810), S. 44. 4 Denkmaltopographie – Stadt Wetzlar (2004), S. 176. 5 Scheurmann, Ausstattung RKG (1995), S. 82 (Bildbeschreibung). Siehe zudem Hausmann, Geschichte des Kameralbauwesens (1995), S. 56 – 67. 6 Schmidt-von Rhein, RKG in Wetzlar (1998), S. 48. 7 Goethe, Dichtung und Wahrheit (2003/1808 – 1831), S. 528; siehe A.2.2.

Eckhaus Zuckergasse/ Korn- – blumgasse [Wetzlar, S. 92]

Fischmarkt 9 [Denkmaltopographie, S. 198]

1599 errichteter Fachwerkbau, von 1694 bis 1740 Poststelle der Hessen-Kasseler Post, die später zur kaiserlichen Thurn und Taxischen Post wurde, jeweils verwaltet vom Wirt des Gasthauses ‚Zum Goldenen Löwen’. Der Fuhrpark des Posthofes befand sich mit Pferdeställen und Wagenremisen, direkt gegenüber, in dem ausgedehnten Hof der Neuen Kammer [Denkmaltopographie, S. 198; Wetzlar, S. 74].

1767 Unterkunft des kurtierischen Visitators Reis – siehe dort

Gasthaus ‚Zum Römischen Kaiser‘

4

Kornmarkt 5 [Denkmaltopographie, S. 269]

Dreigeschossiges Fachwerkhaus, im Jahr 1694 wohl kurz nach der Errichtung vom Buchdrucker Winckler gekauft, 1742 beträchtliche Erweiterung. 1767 Unterkunft der Visitatoren Keller (Kurmainz) und Wild (Stadt Regensburg), 1772 Unterkunft des Sekretärs Jerusalem, der sich dort selbst umbrachte. Seit 1907 erinnert ein kleines Museum an Jerusalem [Denkmaltopographie, S. 327]

Hier fand Goethes große[…] Wirtstafel und mit Geist und Munterkeit betriebene Rittertafel statt 7

2 u. Unterkunft von Karl Schillerplatz 5 (Nr. 2), davor 24 Wilhelm Jerusalem 1772 Silhöferstraße 3 (Nr. 24) [Denkmaltopographie, S. 327; Volk, S. 106 u. 114]

Gasthaus ‚Zum Kronprinzen‘

Nr. Was

23

586 Anhang

587

Die Mitglieder der Freimaurerlogen

4. Die Mitglieder der Freimaurerlogen 4.1. Die Gründungsmitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ (9. Febr. 1768)2 Nr.*

Name

Angaben zur Person

Freimaurertätigkeit vor 1767

1

Johann Chrysostomus von Keller

Visitator Kurmainz Meister vom Stuhl (bis 1776)

Mitglied der Mainzer Loge ‚Zu den drey Disteln’; 6. Grad der Strikten Observanz [225 Jahre, S. 13 f.]

2

Joachim Heinrich von Schröder

Visitator Mecklenburg-Schwerin 1760 Mitbegründer und Erster Aufseher von 1761 bis 1764 Meister der Rostocker Loge ‚Zu den drei Sternen’, 6. Grad der Strikten Observanz. 1772 beim Konvent von Kohlo der Strikten Observanz Dekan des Präfekturkapitels Rostock [225 Jahre, S. 13 f.; I, S. 26]

3

Friedrich Ludwig Wurmb

Visitator Kursachsen Zweiter Aufseher

1744 als Student Aufnahme in die Haller Loge ‚Aux trois clefs d`or’, 1759 in die Dresdner Loge ‚Zu den drei Schwertern’; 6. Grad der Strikten Observanz [225 Jahre, S. 13 f.]

2 Der Tabelle liegt eine Mitgliederliste zugrunde, die zwar undatiert ist, aber nach Freudenschuss/ Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ II (2001), S. 67 einem nicht näher umschriebenen Schreiben vom 9. Febr. 1768 beilag. Die Bezeichnung ‚Gründungsmitglied‘ muss dahingehend eingeschränkt werden, dass nicht genau gesagt werden kann, wer seit dem 13. Dez. 1767 (Eröffnung der Loge) Logenmitglied war oder erst danach bis zum Zeitpunkt der Listenerstellung der Loge beitrat. 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986), S. 13 spricht davon, dass die Mitglieder Nr. 1 bis 3 die Loge gründeten bzw. am 3. Okt. 1767 konstituierten. Bei der hier erstellten Tabelle handelt es sich also um die ‚Gründungsgeneration‘ der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘. Alle Angaben sind Freudenschuss/Pohlner, Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ I (1986) u. II (2001) sowie 225 Jahre Freimaurer in Wetzlar (1986) entnommen. Die beiden erstgenannten Schriften bestehen im Wesentlichen aus einem alphabetischen Verzeichnis aller Logenmitglieder, das auf Grundlage von fünf zeitgenössischen Verzeichnissen aus den Jahren 1768, 1772, 1775/76, 1778 und 1783/84 erstellt wurde. Die folgenden Nachweise ergehen in Kurzform: I (= Freudenschuss I), II (= Freudenschuss II) und 225 Jahre.

588

Anhang

Nr.*

Name

Angaben zur Person

4

Friedrich Jacob Dietrich von Bostel

1766 Mitglied der Mainzer Advokat des RKG, Sohn Loge ‚Zu den drey Disteln’ ; 6. (geb. 1744) des aus Hamburg stammenden Prokurators Lukas Grad der Strikten Observanz [225 Jahre, S. 14; I, S. 3] Andreas von Bostel Sekretär der Loge

Freimaurertätigkeit vor 1767

5

Karl Friedrich Wilhelm von Nettelbla

Mecklenburgischer Justizrat, Sohn (geb. 1747 in Wetzlar **) des Assessors Christian von Nettelbla, 1766 Praktikant am RKG

Aug. 1766 Aufnahme in die Loge zu Marburg [II, S. 37]

6

Dietrich Schumacher

Candidatus juris [II, S. 44]

-

7

Gerhard Wilhelm von Cronenberg

Kurpfälzischer Geheimer Rat, verheiratet mit Susanne Amalie von Cramer, der Schwester von Nr. 9, die 1765 verstarb. Ihn führten Visitationsgeschäfte nach Wetzlar [225 Jahre, S. 14; I, S. 6]

8

Burxdorf, v.

Kursächsischer Ober-Appellationsrat. Vermutlich handelt es sich hier um Friedrich Adolph Burgsdorf, der in der 3. Klassen für die Grafschaft Henneberg und in der 4. Klasse für Kursachsen visitierte [II, S. 14].

9

Johann Albrecht von Cramer

Praktikant des RKG, Sohn (geb. 1745 in Ulm) des Assessors Johann Ulrich von Cramer. 1772 als kurfürstlich Pfälzischer Regierungsrat geführt. Von 1787 bis 1806 RKG Assessor *** [225 Jahre, S. 14. u. 16]

10

Christian Jacob von Advokat des RKG, Sohn Zwierlein (geb. 1737) des Prokurators Johann Jacob v. Zwierlein [II, S. 55 f.]

11

Ludwig Adolph Christian von Grolmann

Visitator Hessen-Darmstadt

1764 Aufnahme in die Hannoveraner Loge ‚Georg’ [225 Jahre, S. 17; II, S. 24]

12

Johann Gotthard Hert

Advokat des RKG, Sohn (geb. 1745 in Wetzlar) eines Prokurators [II, S. 27]

-

13

Johann Reinhard Matthenius

Bedienter bei Herr v. Nettelbla Dienender Bruder [II, S. 35]

-

-

-

Die Mitglieder der Freimaurerlogen *

589

Die Nummer entspricht der Mitgliedernummer, wie sie die Liste vom/zum 9. Febr. 1768 führt und aufgenommen wurde von Freudenschuss I u. Freudenschuss II. Bei Freudenschuss II, S. 67 ist jedoch fälschlicherweise von 15 Mitgliedern die Rede. Es sind 13, wie Freudenschuss I, S. 41 richtig anführt. ** Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 108, S. 1197. *** Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 101.

590

Anhang

4.2. Die Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und der Provinzialloge ‚Joseph zum Reichsadler‘ in den Jahren 1772 und 1776*3 Name1

1772

1776

Konfession2 Angaben zur Person

Wilhelm Sigmund von Ascherleben

X



Evgl.

Königlich Preußischer Leutnant [II, S. 7]

Friedrich Jacob ­ ietrich von Bostel 3 D

X

X

Lutherisch

Siehe Tabelle I [II, S. 10]

Carl Philipp von ­Breitenbach zu ­Breitenstein

X

X

Evangel.

Herzoglich Braunschweigischer Leutnant, geb. 1751. Kam im Mai 1771 als RKG-Praktikant nach Wetzlar. Mitglied der Rittertafel (Ritter Windex). 1772 verließ er Wetzlar und widmete sich seiner Militärlaufbahn. 1777 Heirat mit Charlotte von Hein, der Nichte [II, S. 13]

Carl von Bülau (Bülow)

X

X

Evgl.

Hochfürstlich Hessen-Kassler Regierungsassessor [I, S. 5]

Johann Albrecht von Cramer

X

X

Evgl.

Siehe Tabelle I [II, S. 14 f.]

Gerhard Wilhelm von Cronenberg

X

X

Reform.

Siehe Tabelle I [II, S. 15]

Wolfgang Heribert von und zu Dalberg

X

X

Kath.

Kurpfälzischer Kammerherr, Mitglied der Göttinger Loge, Bruder von Karl Theodor von Dalberg [II, S. 15 f.]

Franz Dietrich von Ditfurth



X

Evangel.

Von 1773 bis 1806 Assessor des Niedersächsischen Kreises. 4 Nach dem Abgang von Keller (siehe dort) wurde er am 9. Jan. 1777 Logenmeister [II, S. 17]

* Der Tabelle liegen zwei Mitgliederlisten zugrunde. Die eine, von Freudenschuss I, S. 41 und Freudenschuss II, S. 67 nicht näher umschriebene Liste – es heißt nur, es handele sich „um eine Abschrift einer Liste im Archiv der Loge ‚Zur Einigkeit‘“ [Freudenschuss II] –, stammt vom 19. Dez. 1772. Die Liste von 1776, evtl. auch 1775, „ist einem Schreiben an den Herzog Ferdinand von Braunschweig, Schwager Friedrich des Großen und Großmeister der Strikten Observanz beigefügt“ [Freudenschuss II, S. 67]. Das Schreiben ist datiert auf den 17. Feb. 1776 [Freudenschuss I, S. 41]. Freudenschuss I, S. 41 und Freudenschuss II, S. 67 geben an, dass die Liste von 1775/76 46 Mitglieder der Loge ‚Joseph zu den drey Helmen‘ und 18 Mitglieder der Provinzialloge führt. Verzeichnet bzw. ausgewiesen sind jedoch nur 41 bzw. 11 Mitglieder. Die 41 Mitglieder des Jahres 1772 konnten demgegenüber gefunden werden.

591

Die Mitglieder der Freimaurerlogen Name1

1772

1776

Konfession2 Angaben zur Person

Franz Erwein Ferger

X



Cathol.

Kurmainzischer Regierungs- und Revisionsgerichts-Sekretär, für jetzo erster Subdelegat. Secretar bei der Visitation [II, S. 20]

Ludwig von Geussau



X

Evangel.

Hauptmann der Oberrheinischen Kreistruppen, Wetzlarer Kontingent. Geb. 1739 [II, S. 21]

August Siegfried von Goué

X



Evgl.

Sekretär der Visitationsdelegation Braunschweig-Wolfenbüttel. Gründer der Rittertafel (‚Ritter Coucy’).5 Aufnahme in die Wetzlarer Freimaurerloge wohl auf Empfehlung Schröders [II, S. 22 f.]

Ludwig Adolph ­Christian von ­Grolmann

X

X

Lutherisch

Siehe Tabelle I [II, S. 24]

Georg August Freiherr von Hammerstein

X

X

Evgl.

Königlich Großbritannischer Kammerherr [II, S. 25]

Carl Christoph ­Harsdorf(f)

X

X

Evgl.

1771 Praktikant am RKG, 1784 Ratsherr in Nürnberg [II, S. 25]

Johann Heinrich Hem(m)ert



X

Evangel.

Kaiserlicher Notar und Amanuensis – in etwa in Ausbildung befindlicher Schreibgehilfe – des Logenmeisters Keller (Tabelle I, Nr. 1) [II, S. 26]

Johann Gotthard Hert

X

X

Lutherisch

Siehe Tabelle I [II, S. 27]

Carl Christian Hof(f)mann

X

X

Evgl.

Hessen-Darmstädtischer Oberappelationsträger, Referendarius [II, S. 28]

Caspar Friedrich Hof(f)mann

X

X

Evgl.

Gerichtsadvocat u. Procurator, Sohn (geb. 1740 in Wetzlar) des Prokurators Georg Melchior Hof(f)mann, dessen Vater Johann Friedrich H. 1693 mit dem RKG nach Wetzlar kam und ebenfalls Prokurator war [II, S. 29]

Friedrich Christoph Balthasar von Keller



X

Cathol.

Fürstlich Ansbachischer Leutnant [II, S. 30]

Johann Chrysostomus von Keller

X

X

Catholisch

Siehe Tabelle I [II, S. 31]

Johann Friedrich Kerckering

X

X

Kathol.

Sekretär der Visitationsdelegation Münster, Mitglied der Rittertafel (‚Ritter Reinbrock’) [II, S. 31]

592 Name1

Anhang 1772

1776

Konfession2 Angaben zur Person

Eberhard Jodocus ­ önig von Königsthal K

X

X

Evgl.

Sohn (geb. 1745) des am 8. 1. 1771 verstorbenen Visitators der Reichsstadt Nürnberg, Gustav Georg von Königsthal. Visitationssekretär unter seinem Vater. Mitglied der Rittertafel (‚Ritter Vaudrai’) [II, S. 32]

Johann Georg ­Christoph Baron von Kress

X

X

Evgl.

1772 RKG-Praktikant, 1784 Ratsherr in Nürnberg [II, S. 32 f.]

Ludwig Freiherr von Langermann

X

X

Evgl.

Aus Preußen stammender Freiherr. Er kam nach Wetzlar (bis zum 6. Juli 1772), um einen Prozess gegen den Mecklenburgischen Adel vorzubereiten. (Aus diesem Grund?) Einschreibung als RKG-Praktikant. 6 Mitglied der Rittertafel (‚Ritter Levis’) [II, S. 33]

Lilienstern von



X

Evangel.

Hessen-Rothenburgischer Amtmann [II, S. 34]

Johann Reinhard Matthenius

X

X

Luther.

Siehe Tabelle I; 1772 u. 1776 geführt als Mecklenburgischer Gesandtschafts-Canzelist [II, S. 35]

Franz Ludwig von Mü(h)lmann

X

X

Evgl.

Hauptmann der Westfälischen Kreistruppen [II, S. 35]

Carl Philipp von Münster

X



Katholisch

Domherr zu Würzburg, Kammerherr und Hofrat zu Bamberg, 1771/72 Praktikant beim RKG [II, S. 36]

Karl Friedrich ­ ilhelm von Nettelbla W

X



Lutherisch

Siehe Tabelle I [II, S. 37]

Carl Ernst von Nimptsch



X

Evangel.

Fürstlich Hessen-Darmstädtischer Regierungsassessor [II, S. 37]

Georg Friedrich Pauli

X



Evgl.

Bis 1769 Sekretär der Visitationsdelegation Mecklenburg-Schwerin [II, S. 37]

Ludwig Conrad ­Preuschen

X

X

Evgl.

Fürst Hohenlohe Langenburgischer Hofrat, womöglich Verwandter des Assessors Georg Ernst Ludwig Preuschen [II, S. 38]7

Friedrich Philipp Carl Graf von Pückler und Limburg

X

X

Evgl.

Obristmeister und Wirklicher Geheimer Rat des Herzogtums Württemberg [II, S. 38]

593

Die Mitglieder der Freimaurerlogen Name1

1772

1776

Konfession2 Angaben zur Person

Anton von Redwitz



X

Catholisch

Fürstbischöflich Würzburgischer Hofrat und Kammerherr, 1771/72 Praktikant beim RKG [II, S. 39]

Karl Georg Riedesel Freiherr zu Eisenbach

X



Evgl.

Kammerherr und Regierungsrat zu Stuttgart, Sohn (geb. 1746) des kurpfälzischen Assessors Johann Wilhelm Riedesel. Von 1778 – 1806 Assessor des Obersächsischen Kreises 8 [II, S. 39 f.]

Martin Rieff

X

X

Kath.

Doktor der Rechte [II, S. 39 f.]

Ludwig von ­Rodenhausen

X

X

Evgl.

Kaiserlich-Königlicher Leutnant. Wegen niederträchtigster Befleckung der Maurerei ausgestoßen [II, S. 41]

Joachim Heinrich von Schröder

X

X

Lutherisch

Siehe Tabelle I [II, S. 43]

Dietrich Schumacher

X



Reform.

Siehe Tabelle I [II, S. 44]

Friedrich Carl ­Schweizer

X

X

Evgl.

Doktor der Rechte und Advokat zu Frankfurt, 1771 Praktikant am RKG, einer von Goethes Frankfurter Freunden [II, S. 44]

Johann Friedrich Seiffer

X



Evgl.

Herzoglich Württembergischer Oberamtmann [II, S. 44 f.]

Franz Erwein Serger

X

X

Kath.

Sekretär der Visitationsdelegation Kurmainz [II, S. 45]

Casimir ­Sickingen Freiherr zu ­Hochenburg

X

X

Kath.

Kaiserlich-Königlicher Kämmerer, 1770 Praktikant am RKG [II, S. 46]

Friedrich Graf zu Spaur



X

Catholisch

Sohn (geb. 1756) des Kammerrichters Franz Graf zu Spaur, kurfürstlich Mainzischer Kammerherr. Sein Bruder Joseph Philipp (geb. 1757), der spätere (1787 – 1796) Assessor des Bayerischen Kreises,9 taucht seit 1778 in den Mitgliederlisten auf [II, S. 46 f.].

Ludwig Spillmann



X

Evangel.

Doktor der Rechte und Gräflich Leiningen Hartenburgischer Hofrat, 1773 Praktikant des RKG [II, S. 47]

Carl Veit



X

Catholisch

Fürstbischöflich Würzburgischer Hofrat und Kammerherr [II, S. 50]

Jacob Valentin Conrad Wachs

X



Reformirt

Ehemaliger Syndikus des Deutschen Ordens und Bürgermeister zu Marburg

594 Name1

Anhang 1772

1776

Carl Eberhard von Wächter

X



Evgl.

Doctor juris. Einer der „eigenartigsten Persönlichkeiten der Freimaurerei im 18. Jahrhundert“, suchte vergeblich nach dem ‚geheimen Oberen’ der Strikten Observanz. Durch seine „überregionale[n] guten Beziehungen zur Freimaurerei machte er als Diplomat eine große Karriere“. Geb. 1746 [II, S. 51 f.].

Friedrich Christoph Wächter



X

Evgl.

Visitator des Herzogtums Württemberg, vermutlich Verwandter von Carl Eberhard von Wächter [II, S. 52]

Friedrich von ­Wallbrunn

X

X

Evgl.

1770 Praktikant am RKG, 1784 Königlich Preußischer Kammerherr [II, S. 53]

Friedrich Ludwig von Werkamp

X

X

Evgl.

Grenadier-Hauptmann in Herzogl. Württemberg. Diensten [II, S. 54]

Christian Jacob von Zwierlein

X

X

Lutherisch

Siehe Tabelle I [II, S. 55 f]

Salentin Friedrich von Zwierlein



X

Evangel.

Fürstlich Solms Braunfelsischer Geheimer Rat und Regierungsdirektor, Bruder (geb. 1747) von Christian Jacob von Zwierlein [II, S. 56 u. 63]

Gesamt: 53, davon 11 Gründungsmitglieder sowie 11 Mitglieder der Provinzialloge

41

42

Evangelisch-Lutherisch: 38 Katholisch: 12 Reformiert: 3

1 2 3

Konfession2 Angaben zur Person

In alphabetischer Ordnung. Wörtliche Angabe, wie sie die Mitgliederliste bzw. Freudenschuss II führt. Unterstrichen sind die Mitglieder der Provinzialloge, wie sie Freudenschuss II angibt. Anzumerken ist jedoch zweierlei. Zum einen lässt sich im Einzelnen nicht immer nachvollziehen, wann die Aufnahme in die Provinzialloge erfolgte. Aus diesem Grund erfolgt hier die Kennzeichnung unabhängig von der möglichen, auch nach 1776 geschehenen Aufnahme. Zum anderen widersprechen die bei Freudenschuss I zu findenden und von Freudenschuss II übernommenen Angaben dem System der Strikten Observanz, wie es unter A.2.2. mit Schüttler, Strikten Observanz I (1988) und Strikten Observanz II (1996) beschrieben wurde. Danach nämlich müssten alle, die den 4. oder höheren Grad innehatten, Mitglied der altschottischen Provinzloge sein. Dies aber wären über 20. Überdies ist nicht nachzuvollziehen, wie Keller im Jahr 1772 den 6. und 1776 lediglich den 4. Grad innehaben konnte. Lediglich bei C. J. Z ­ wierlein – 1772 4. Grad/1776 1. Grad – findet sich zu letzteren Angabe die Anmerkung: „Offensichtlich ein Druckfehler. Z. gehörte als Mitglied der Provinzialloge dem 4. Grad an“ [Freudenschuss II, S. 56]. Diese nicht zu behebenden Unklarheiten erzwingen, dass hier die Grade der einzelnen Mitglieder nicht angegeben werden und eine weiterführende Analyse der Provinzialloge ausbleibt. 4 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 123. 5 Gloël, Goethes Rittertafel (1910), S. 6.

595

Die Kosten der Visitation

6 Gloël, Goethes Wetzlarer Zeit (1911), S. 163. 7 Es handelt sich jedoch nicht, wie bei Freudenschuss II, S. 38 vermutet, um einen Sohn des Assessors. Dagegen spricht das bei Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 114, S. 1273 f. angegebene Alter der zwei Söhne Georg Ernst Ludwig (geb. 1764) und August Ludwig (geb. 1766) sowie die Tatsache, dass man „nach dem Lokalgesetz der Loge erst nach zurückgelegtem 18. Lebensjahr Mitglied werden“ konnte [225 Jahre, S. 29]. 8 Jahns, Richter Biographien (2003), Biogr. 109. 9 Ebd., Biogr. 85.

5. Die Kosten der Visitation 5.1. Extraordinari-Aufwand der kurmainzischen Delegation (16. April 1767 bis Ende Dez. 1767)3 4 Nr. Kostenkategorie

Spezifizierung (Beispiele)

1

Brückengeld

Für den Churfürstlichen Zug bei der Abreiß 9 von Mainz Für 18 Maultiere, so die Acten und Equipage transportirt, hin und her

2

Pferdefutter und Stallzins

Für den kurfürstlichen Zug zu Friedberg Mittags u. zu Butschbach für das Nachtquartier Für zwei Husarenpferde, so zur Bedeckung der Bagage mitgeritten zu Obermörte

20

746 fl. 55 3/24 xr.

3

Reparatur Kutschen- Geschirr, Beschlag-Geld u. andere Nothwen-digkeiten

Zu Wetzlar für die Husarenpferde Beschlaggeld für den kurfürstlichen Zug und Reparatur sämtlicher Hofwagen Sattler- und Wagnerarbeit Unweit Würgens für ein verbrochenes Rader Detto zwischen Würgens und Weilmünster, wo das Rade gänzlich zerbrochen, für ein neu angekauftes

34

215 fl. 8 xr.

4

Trinkgeld

Hofkutscher u. Maultierknecht

7

28 fl. 16 xr.

5

Reisekosten

Für Ottenthal und Horix nach Abzug des 10 Brücken- u. Trinkgelds Für Sekretär Linden Für Horix für eine nach Aschaffenburg am 9. Okt. getane Reise

3 HHStA Wien MEA RKG 381.

Anzahl * Kosten ** 14 fl. 12 xr.

445 fl. 28 xr.

596

Anhang

Nr. Kostenkategorie

Spezifizierung (Beispiele)

Anzahl * Kosten **

6

Brennholz

Den 17. April für die Subdelegierten und die Kanzlei 4 Karen Holz samt Macher und Trager-Lohn Den Stallleuten 1 Karren Den 2. Mai pro Subdelegatione 3 Karren

14

542 fl. 12 xr.

7

Mietzinsen der Quartiere ***

12 Für Ottenthal im Marschallische Hauß einschließlich Canzley und Archiv (555 fl. 20 xr.) Für Horix (u. Lieb) im Spinolaische Hauß (693 fl. 40 xr.). Für dortige Erbauung einer Küche und sonstige Einrichtungen (150 fl.) Für Keller im Winckelerische Quartier (319 fl. 26 xr.) Für die Sekretäre Eckard und Linden (191 fl. 40 xr.) Für das Oppermannische Quartier, wo der kurfürstliche Hof Laquay einquartiret (48 fl. 55 xr.) Für die drei kurfürstlichen Stallbedienstete bei Johann Beppler und ein Wagenremise (48fl.)

2328fl. 10xr.

8

Kanzleibedarf

Schreiner u. Schlosser für die Einrichtung des Archivs Tisch für Presse, 3 Schreibtische, Stehpult, 2 Lineal (20xr.), Tinten, Tintenmaterialien, Sand, Besen zur Säuberung, Buchbinder, Feuerzeug

25

68 fl. 53 xr.

9

Sorte de Chaise Geld

Für Ottenthal, Horix, Keller und Computanten

4

13 fl. 46xr.

10

Estafette

Den 2. Mai eine nach Mainz (5fl. 30xr.) Trinkgeld wegen einer von Innsbruck von dem österreichischen SD ad Directorium Moguntinum

6

21fl. 22 xr.

11

Für Hofbedienstete u. Stallleute

3 Den 8. Mai für den Hofkutscher, der Sekretär Linden nach Wetzlar brachte Dem Hof-Lakaien und Kanzleidiener Philipp Ermes vom 16. April bis 31. Dezember 3 Stallleute für eben besagte Zeit an jeden a 40 Xr. täglich

782 fl. 30 xr.

12

An Lichter und. Wachs-Flambeaux

Pro DDnis Subdelegatis et Cancellaria, in- 7 clusive 32 Xr. für ein Buch Holländisch Post Papier, und ein Buch Concept a 6 Xr für Hr. Revisions Rath Horix vom 23ten April bis d. 26t Juny 1767 Lichter, so Ottenthals Bediente abholten Lichter, Öl und Besen in der Stallung

52 fl. 34.xr.

597

Die Kosten der Visitation Nr. Kostenkategorie

Spezifizierung (Beispiele)

13

22 Für den Wegweiser, um die Ankunft der SD bei den Kammergerichtspersonen zu melden. Schreiner für einen großen Speisetisch Tragelohn für Schreibmaterialien Dem Bender, um den Wein Ottenthals ein und aus zu schrothen 4 Leih-Lakaien, die bei der Anhörung der kaiserlichen Proposition dem Zug vorangegangen 2 Exemplare Wetzlarische Anzeigen für ein halbes Jahr 14. Sept./12 Nov. Transport Gelder von Frankfurt samt Trinkgelder 17. Sept. Fracht für eine Lieferung mit Schreibmaterialien zur Kanzlei durch einen Frankfurter Fuhrmann Anfertigung eines zweiten Schlüssels für die Kanzlei Postwagen-Transport einer Lieferung mit Visitationsakten 2 Lieferungen Pfennigmeisterei-Rechnungen durch einen Postwagen Kostenerstattung Lieb für den Transport von erhaltenen Rggs acten und für Wax Tuch zu Rücksendung dieser acten

Sonstiges

Gesamt *

Anzahl * Kosten **

173

177 fl. 23½xr.

5435 fl. 50 ¾ xr.

Anzahl der gesamten Einträge. Die Zählung weicht ab von der zeitgenössischen Zählung der Rechnungsbeilagen (insgesamt 102), da diese nur auf die Zahl der beigelegten und durchnummerierten (aber nicht erhaltenen) Rechnungen und nicht auf die Anzahl der eigentlichen Anschaffungen verweist. ** Gesamtkosten aller Einträge je Kategorie. *** Siehe hierzu B.1.2.

598

Anhang

5.2. Specification der zur Königl. Preussischen fürtrefflichen GesandtschaftsCanzley gelieferten Schreib-Materialien (Mai 1771 bis März 1772)45 Datum

Menge

Kostenpunkt

Kosten *

Mai 1771

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

Juni

1

Extrafein Roth Sigill-Lac

2 rt. 14 gr.

2 Bünde

Hamburger Schreibfeder

1 rt. 3 gr.

1 Rieß

Deutsches pro Patria Schreibpapier

4 rt. 16 gr.

Extrafein Roth Sigill-Lac

2 rt. 14 gr.

4 Buch

Basler Schreibpapier

13 gr.

1 Rieß

Deutsches pro Patria Schreibpapier

4 rt. 16 gr.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

Okt.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

Nov.

1 Bund

Hamburger Schreibfeder

13½ gr.

10 Buch

Holländisch pro Patria Schreibpapier

4 rt. 20 gr.

Sept.

Dez. Jan. 1772

10 Buch

Fein Wendelsteiner Schreibpapier

2 rt.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

1 Bund

Holländische Schreibfedern

10 gr.

6 Buch

Holländisch pro Patria Schreibpapier

2 rt. 20 gr.

1 Bund

Holländische Schreibfedern

10 gr.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

1 Bund

Hamburger Schreibfeder

13½ gr.

Feb.

1 Buch

Großes Packpapier

7 gr.

März

1 Buch

Großes Packpapier

7 gr.

Gesamt *

1

½ Buch

Großes Packpapier

3 gr.

6 Buch

Deutsches pro Patria Schreibpapier

1 rt. 10 gr.

Sind zu schuldigstem Dank bezahlet J. G. C. Winkler

In Reichst(h)aler und Groschen.

4 GStA-PK I. HA Rep 18, Nr. 42 Fasz. 59.

39 rt. 20 gr.

599

Die Kosten der Visitation

5.3. Bücher- und Papierkosten der kurbayerischen Subdelegation (15. Juni 1770)5 6 Bücher, welche in duplo gekaufft und bezahlt worden*

Kosten**

1

Visitations Abschiede und Memorialien im Jahr 1714



2

Abhandlung von den Geschichten der wichtigsten teutschen Grund Geseze 1767



3

Kurze auf die Reichs Geseze sich gründende Abhandlung von dem K: R: C: Gerichts und dessen fürgewesene auch jetzt bevorstehende Visitation [= [Oertel], Abhandlung von dem Reichs Cammer-Gerichte Tl. 1 (1767); Tl. 2 (1767); Tl. 3 (1768)]



4

Johann Jacob Meyers [sic] Bedenken 1767 [= Moser, Bedenken (1767)?]



5

Betrachtung über des R: C: Gerichts Visitation was gelegentlich dessen etc. 1767 [= Betrachtungen (1767)]



6

Fortsezung der Sammlung der nöthigsten zum theil noch ungedruckten Acten Stücke die Visitation des K: R: etc. 1766 [= [Oertel], Actenstücke Visitation Bd. 1/1 (1766)]



7

Zweyte Fortsezung der Sammlung etc. 1767 [= [Oertel], Actenstücke Visitation Bd 1/2 (1767)]



8

Dritte Fortsezung etc. 1767 [= [Oertel], Actenstücke Visitation Bd. 1/3 (1767)]



9

Johann Stephan Pütter Versuch einer richtigen Bestimmung 1769 [= Pütter, Bestimmung des Kaiserlichen Ratifications-Rechts (1769)]



10

J: Stephan Pütter unpartheyische Gedancken über die in den C: G: Visitat: – Berichten vom 16ten Jul: 1768 I.) Die Eintheilung deren Senaten, 2do) die so genannte Recurrenz [= Pütter, Gedanken über Visitations-Berichte 16. Juli 1768 (1769)]

11

– Anmerckung über Hr. J: Stephan Pütter patriotische Gedancken in Absicht auf einige das K: R: C: G: und deßen Visitat: betrefende Fragen, ob und wie weit die alte Reichs Geseze hierin hinlänglich, 2do) Ob die erste Class etc. 1768 [= [Schrötter], Anmerkungen über Herrn Johann Stephan Pütters Patriotische Gedanken (1768)]

12

Kayserl: Hof Decret de 20 Aug. 1768 [= Hof-Decret, 9./20. Aug. 1768]



13

Krittisches Wörterbuch [= [Nehring], Kritisches Wörterbuch]



14

Verzeichniß aller R: Tags Deputat: und Visitations Handlungen, Abschiede etc.



15

Reverien und Verbesserung des Justiz weesens bey Gelegenheit der K:R:C: Gerichts Visitation etc. [= [Nettelbla/Schnitzlein], Reverien (1768)]



5 BayHStA KS 5898.

600

Anhang

Bücher, welche in duplo gekaufft und bezahlt worden*

Kosten**

16

Nüzliche Abhandlungen und Beyträge zur Erweiter- und Erleichterung des – C: Gericht etc. [= Nützliche Abhandlungen (1769)]

17

Gründliche Einleitung zu des K: und Reichs C_Gerichts Processen von J: Peter Bannizaz 1769



18

J: Stephan Pütters unpartheyische Gedancken über die in dem C: Gericht Visitat: Berichte enthalthenen Materien I.) die Eintheilung der Senate etc. 1769 [= Pütter, Gedanken über Visitations-Berichte 16. Juli 1768 (1769)]



19

J: Stephan Pütters Versuch einer richtigen Bestimmung des K: Ratifications Rechts 1769 [= Pütter, Bestimmung des Kaiserlichen Ratifications-Rechts (1769)]



20

J: Stephan Pütters patriotische Gedancken über einige das K: Reichs C: Gericht und dessen Visitation betrefende fragen 1768 [= Pütter, Patriotische Gedanken (1768)]



21

J: Stephan Pütters weitere Ausführung der Fragen ob die erste Class etc. 1768 [= Pütter, Weitere Ausführung der Frag, ob die erste Classe abgelöset werden müsse (1768)]



22

Versuch einer Widerlegung der vermischten Brief über die Verbesserung des Justiz wesens am K: C: G: 1768 [= Dalberg, Versuch einer Widerlegung (1768)]



23

Beobachtung über des Pütters Versuch 1770 [= [Schrötter], Beobachtungen Pütters Ratifications-Recht (1770)]



Für diese obstehende seyn sambt dem Einbinderlohn bezahlt worden

39 fl. 44 xr.



Für Erkaufung einiger gedruckter Piecen welche zu der vorigen Visitation gehörig, und selbe zur Erspahrung der ab Copirung erkaufft worden seynd

5 fl. 48 xr.



18 Riß Papier a 3 fl. 30 xr.

63 fl.



Für selbe zu beschneiden

7 fl. 12 xr.



Für Einbindung der alten und neuen Visitations Acten

20 fl.

Wezlar den 15 ten Jul: Summa 1770 Id est: 135 fl. 44 kr L: S: unthger Knecht Philipp Christoph Ohsen Buchbinder dahier

135 fl. 44 xr.

*

Die Titelangaben folgen der vorliegenden Quelle. Die eckigen Klammern verweisen auf die im Quellenverzeichnis geführten Visitationspublikationen. ** Keine Einzelauflistung der Bückerkosten.

III.

II.

I.

Ab Feb. 1768

Ab 11. Mai 1768 (Ab Session 163)

Ab 31. März 1768

22. Feb. 1768 – 21. März 1768 (Session 119 – 137)

16. Juli 1767 – 23. Feb. 1768 (Session 25 – 120)

1. Juni-11. Juli 1767 (Session 9 – 22)

Zeit

6.1. Verfahrensverlauf

Plenum Plenum

Verlesung der Schriftstücke u. Mitschrift der Visitatoren Mündliche/Schriftliche Vernehmung Beratungen/Umfragen und Beschlüsse Auswertung Lit. A, Examen Speciale I

Mitteilung der Antworten (Lit. B-Lit. P) Examen Speciale I Vernehmung einzelner Kamerale/Nicht-Kamerale über Befunde Lit. A Erstellung von Präliminarrelationen

Kursächsisches Quartier

Städtischer Raum u. Quartiere der Kameralen

Verteilung der Fragestücke u. a. durch Protonotar Messerer, Erstellung der Schriftstücke, Übersendung an das Direktorium

Zustellung der gedruckten Fragestücke (Lit. B-Lit. P), schriftliche Beantwortung und Übersendung der Antworten

Plenum

Beratungen/Umfragen u. Beschlüsse

Mündliche/Schriftliche Vernehmung, Beratungen/Umfragen und Beschlüsse

Überarbeitung der Gedruckten Fragestücke (Lit. B-Lit. P)

Plenum Plenum u. Quartiere der Kameralen

Beratungen u. Beschlüsse

Ort

Examen Generale (Lit. A) Mündliche, teils schriftliche Vernehmung sämtlicher Kameralen über Fragestücke Lit. A

Form

Aufstellung der General-Interrogatorien (Lit. A)

Inhalt

6. Das Examen der Gerichtsangehörigen

Das Examen der Gerichtsangehörigen

601

Ab 18. Mai 1770 (Session 420)

Ab 28. April 1769 (Session 294)

Auswertung der Präliminarrelationen, Examen Speciale I u. II, Lit. A-P, Gerichtsakten Verlesung Gutachten, Beratungen/ Umfragen u. Beschlüsse

Erstellung von Relationen und Correlationen

Ablegung der Relationen und Correlationen**

Vernehmung im Plenum od. per Examen Speciale III Kommission, schriftliche Anzeigen, Mündliche/schriftliche Vernehmung einzelner Kamerale/Nicht-Kamerale über Re- u. Correlatios- Beratungen/Umfragen u. Beschlüsse befunde/ Lit. A-Lit. P (Nachträge)

Vorschlag Direktorium, Umfrage u. Beschluss

Vernehmung im Plenum od. per Kommission, schriftliche Anzeigen, Beratungen/Umfragen u. Beschlüsse

Bestellung der Referenten und Correferenten*

Examen Speciale II Mündliche/schriftliche Vernehmung einzelner Kamerale/Nicht-Kamerale über Präliminarbefunde/ Lit. A-Lit. P (Nachträge)

Plenum, in u. außerhalb Wetzlars

Plenum

Quartiere der Visitatoren

Plenum

Plenum, in u. außerhalb Wetzlars

Ort

Form Verlesung Schriftstücke, Mitschrift der Plenum Visitatoren, Beratungen/Umfragen u. Beschlüsse

Inhalt Ablegung der Präliminar-Relationen über Kammerrichter, Präsidenten und Assessoren

* Die beiden Referenten für den Kammerrichter wurden bereits in der 190. Session vom 5. Juli 1768 benannt. ** Die Re- und Correlation über den Kammerrichter wurde bereits ab der 284. Session vom 6. April 1769 abgelegt.

III.

26. u. 28. April 1769 (Session 293 u. 294)

Ab 7. Dez. 1768 (Session 246)

Zeit

602 Anhang

B

B

B

Prokuratoren

C

C





B

B

B

B



Protonotare (3)

Notare (5)

Leser (4)

Botenmeister

Taxeinnehmer (1)





Assessoren u. Präsid. (92) –







D

D

D

D

D

D

D

D

D

D

E

E

E

E

E

E

E

E



E

E

E

E

E

Fiskal mit Advokaten (14) F

F

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Protonotar u. Notare (14) G

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Prokurat. u. Advokaten (37) H

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Leser (11) I

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Ingrossisten u. Kopisten (6) K

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K

K

K

K

Botenmeister (8) L

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Pfennigmeister (7) M

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M

M

Kanzleidiener (1) O – –



O

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O

– –

O

O

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O

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O

O

O

Pedellen (7)







N











P

P

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P

P

P

P

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P

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P

P

P

Boten (11)

In Klammern: Anzahl der Fragen über Person/Amt (Gesamt: 299). In Klammern: Anzahl der befragten Personen (Gesamt: 90) bzw. Anzahl der eingereichten Antworten. Hierbei liegen zugrunde drei Übersichten über die Antwortgeber BayHStA KS 5790 sowie die Originalantworten HHStA Wien MEA RKG 369 u. 370. 3 Gesamtzahl der befragten Anwälte nach der Übersicht BayHStA KS 5790.



Kopisten (6)

1 2





Completor (1)

Ingrossisten (2)

C

C

C

B

C

Kanzleiverwalter

Advokaten (48)

B

C

C



C

Präsidenten (8)

3

Präsidenten (2)

Assessoren (17)



Kammerrichter

2

Kammerrichter 1 (68)

Fragen über Antworten von

Kanzleiverwalter (15)

6.2. Gedruckte Fragestücke Lit. B-Lit. P

Das Examen der Gerichtsangehörigen

603

Sess. 369

Sess. 366

Sess. 350

Sess. 348

Sess. 338

Sess. 337

Sess. 347

Sess. 340

Sess. 363

Sess. 360

Sess. 353

Sess. 343

Sess. 342

Sess. 334

V-Bericht an Kaiser 15. Dez. 1769 (Beschluss 13. Dez. 1769 Sess. 370)

Sess. 362

Sess. 352

Sess. 344

Sess. 341

Sess. 335

504

V-Beratungen 11. Sept. 1769 (Sess. 333)

Commissions-Decret an RT 31. Jan./5. Febr. 1770: Mitteilung VBericht

Diktatur Gutachten/Voten Kameralkollegium 13./14. März 1769

Verlesung Reskript für KK im V-Plenum 29. Aug. 1768 (Sess. 199)

Ksl. Reskript an KK und RKG 9. Aug. 1768

Nachreichung Plenumsprotokolle u. Gutachten für Kaiser 27. Febr. 1769 (Sess. 273)

V-Bericht an Kaiser 16. Juli 1768 (Sess. 198)

Kameralkollegium: Erstellung zweier Gutachten für Kaiser (13. Jan. 1769) und V. (18. Febr. 1769)

VS an RKG: Nachreichung Plenumsprotokolle u. Gutachten für Kaiser 20. Febr. 1769 (Sess. 270)

Sess. 336

Sess. 351

Verlesung Gutachten im V-Plenum 20. Febr. 1769 (Sess. 270)

V-Beratungen seit 26. März 1768 (Sess. 140) Streit um ksl. Ratifikationsrecht 11. April/27. Juni (Sess. 145/185)

7. ‚Arbeitskette‘: Der mühsame Weg zum Reichsschluss vom 23. Okt./15. Dez. 1775

7. ‚Arbeitskette‘: Der mühsame Weg zum Reichsschluss vom 23. Okt./15. Dez. 1775

Reichsschluss 23. Okt./15. Dez. 1775

Beratungen am RT ab 5. Febr. 1770

Commissions-Decret an RT 24./27. Febr. 1769: Mitteilung Gutachten für Kaiser

Hof-Decret an RT 9./20. Aug. 1768: Mitteilung VBericht

604 Anhang

Personenverzeichnis

Im Verzeichnis angeführt sind die im Text als auch im Anmerkungsapparat und im Anhang erwähnten Akteure der behandelten Zeit, so allen voran das Visitations- und Gerichtspersonal (siehe hierzu Anhang Punkt 2), aber auch sonstige Personen, die (un)mittelbar im Umfeld der Reichskammergerichtsvisitation agiert haben und die deshalb in der Studie genannt sind. Nicht aufgenommen wurden die ebenfalls erwähnten Historiker oder sonstige (wissenschaftliche) Autoren aus der Zeit nach 1800. Das gesamte Verzeichnis verweist nur auf jene Seiten, auf denen die Person auch tatsächlich namentlich genannt wird, nicht jedoch auf solche Seiten, auf denen lediglich über eine Person gesprochen wird ohne explizite Nennung des Eigennamens.

A Albini, Kaspar Anton von  95, 162, 362, 363, 365, 367, 407, 468, 584 Ascherleben, Wilhelm Sigmund von  590

B Bachem, Franz Severin  572 Bähler, Christoph Albrecht  572 Balemann, Georg Gottlob  210, 219, 223, 225 – 227, 230, 231, 233, 237, 238, 240, 260, 409, 434, 570, 572 Bassenheim, Johann Maria Graf von Waldbott zu  130, 267, 268, 365, 367, 407 Baumgarten, Joseph Franz Graf von  22, 104, 181, 314 Bebenburg, Georg Joseph Freiherr Karg von  107, 237, 368, 568, 581 Bebenburg, Hieronymus Carl Freiherr von  237 Bebenburg, Johann Friedrich Freiherr Karg von 237 Beiswinger, Joseph Alois  568 Benedikt XIV., Papst  97 Bentheim, Fürstin von  107 Bentheim, Ludwig Wilhelm Graf von  259 Bep(p)ler, Johann  596 Berg, Günther Heinrich von  84 – 87, 92, 128, 372 Beringsen 278 Besserer, Johann Paul d. J.  151, 582, 583

Beulwitz, Ludwig Friedrich von  243 – 245 Birkenstock, Johann Conrad Edler von  359, 360, 363 Blain, Johann Jacob von  260, 572 Bleibimhaus, Georg Adam  572 Böhmer, Carl August von  233 Böhmer, Christian Wilhelm von  258, 260, 572 Böhmer, Georg Friedrich von  77, 98, 99, 102, 131, 227, 233, 237, 241, 381, 388, 570 Böhmer, Georg Ludwig  228 Böhmer, Johann Samuel Friedrich  233 Böhmer, Justus Henning  233 Bolz, Simon  226, 238, 239, 570 Bonn, Sittig Joseph  223 Borié, Egyd von  198, 199, 20, 375, 409, 414, 417, 420, 434 Borié (Beaurieux), Johann Franz Aegidius Freiherr von  232 Born, Jacob Heinrich von  113 Bostel(l), Friedrich Jacob Dietrich von  110 – 112, 407, 411, 417, 588, 590 Bostel(l), Lukas Andreas von  224, 588 Brand, Johann Adolph  572 Brand, Johann Ferdinand Wilhelm von (359?), 404, 582 Breitenbach zu Breitenstein, Carl Philipp von  112, 113, 590 Buff, Charlotte  37, 263, 275, 276, 281 – 284, 474 Buff, Heinrich Adam  282

606 Buff, Magdalena Ernestine  282 Bülau (Bülow), Carl von  590 Bürgel jun., Johann Philipp Franz von  278, 279, 359, 365, 367, 407 Bürgel sen., Georg Philipp von  224, 278, 298, 365, 367, 407, 453 Burgsdorf(f )/Burxdorf, Friedrich Adolph (von) 108, 111, 115, 191 – 193, 225, 227, 230, 231, 233, 236, 241, 570, 588

C Carl 584 Cocceji, Samuel von  229 Collenbach, Johann Andreas  572 Colloredo-Mansfeld, Franz Gundacker von  148, 323, 374, 379, 381, 382, 567, 579 Colloredo-Waldsee, Rudolph Joseph Graf von  55, 72, 75, 83, 84, 193 Cramer von Clauspruch, Arnold Heinrich  107, 162, 365 – 367, 407 Cramer, Johann Albrecht Freiherr von  112, 588, 590 Cramer, Johann Christian  194 Cramer, Johann Ulrich Freiherr von  95, 277, 279, 365, 367, 407, 453, 588 Cramer, Susanne Amalie Freifrau von  588 Cronenberg, Gerhard Wilhelm von  110, 588, 574, 590 Culemann, August  357

D Dalberg, Karl Theodor von und zu  590, 600 Dalberg, Wolfgang Heribert von und zu  111, 590 Deines, Georg Jacob  572 Denys, Jacob Joseph  568 Depra von Plain, Johann Jacob  572 Dietz, Johanna Marie Magdalena  239 Ditfurth, Franz Dietrich von  110, 112, 267, 270, 436, 590 Donauer, Wilhelm Christoph  210, 219, 222, 225, 227, 230, 233, 238, 241, 570 Dormann, Ernst Ludwig  572

Personenverzeichnis Drouin, Joseph Ludwig  260, 261, 572 Dudeum, Clemens Fidel. 572 Duill, Johann Jakob  357

E Eckard, Edmund Franz von  223, 260, 302, 572, 596 Emden 144 Emmerich Joseph Freiherr von BreidbachBürresheim, Kurfürst von Mainz  133, 165 Emminghaus(en), Heinrich Theodor von  99, 102, 131, 230 – 232, 237, 241, 570 Erhard, Anselm Franz  576 Erhard, Johann  118, 122, 260, 572, 576, 580 Ermes, Philipp  596 Erthal, Franz Ludwig Philipp Carl von und zu  147, 148, 150, 151, 216, 252, 374, 376, 377, 379, 567 Eschenburg, Johann Joachim  265, 393 Evers, Christian David  219, 227, 570

F Fahnenberg, 107 Falcke, Anton Heinrich Johann  228 Falcke, Ernst Friedrich Hector  240 Falcke, Johann Philipp Conrad  11 – 15, 17, 22 – 24, 27, 35, 40, 43, 75,76, 98 – 105, 107, 111, 112, 117, 119, 126, 127, 129, 131 – 135, 146 – 151, 166, 171, 173, 199, 219, 222 – 232, 235, 238 – 240, 242 – 245, 248 – 252, 255, 275, 278 – 280, 283, 291, 294 – 305, 307 – 313, 315, 320 – 325, 328, 332 – 342, 344, 346 – 348, 350, 365, 368 – 381, 386, 387, 391 – 393, 416, 455, 456, 461, 463, 472, 474, 570, 583, 584 Fels, Johann Christian  256, 576 Ferdinand, Herzog von BraunschweigLüneburg 590 Ferger, Franz Erwein  110, 112, 591 Fleck, Georg Adam  576 Fleck, Johann Nicolaus  572 Flöcker, Phil. Anton  572 Forkenbeck, Maximilian  572 Franz I., Kaiser  66 – 69, 237

607

Personenverzeichnis Frech, Johann Heinrich  227, 236, 568 Frech, Philipp Christoph  359 Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen, als König von Polen August III. 178 Friedrich August III., Kurfürst von Sachsen  312 Friedrich II., König von Preußen/Kurfürst von Brandenburg  67, 176, 177, 590 Fürstenberg, Carl Egon zu  150, 292, 297, 567, 579 Futterhäcker, Johann Friedrich  252, 576

G Galler, Leopold Erhard Graf  222 Ganz, Johann Friedrich Ferdinad  113, 149, 258, 572 Gebauer, Georg Christian  228 Gebler, Heinrich Ludwig Carl  210, 227, 230, 231, 233, 234, 237, 240, 570, 583 Gemmingen auf Guttenberg, Philipp Freiherr von  227, 236, 571, 583 Gemmingen-Guttenberg-Bonfeld, Henriette Friederike Sophie von  278 Georg III., König von England/Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg  133, 165, 177 Gerold, Bernhard Franz Joseph  572 Geussau, Ludwig von  111, 591 Gimmi, Ignaz  572 Goethe, Johann Wolfgang (von) 35, 37, 38, 112, 113, 144, 224, 239, 257, 263, 283, 411, 412, 448, 461, 464, 473, 480, 578, 585, 586, 593 Goldhagen, Andreas von  22, 43, 118, 182, 206, 215, 217 – 219, 237, 241, 287, 298, 303, 314, 315, 317 – 319, 321, 322, 332, 344, 381, 56, 581 Goldhagen, Joseph Sebastian Johannes Nepomucenus 206 Gondela, Simon He(i)nrich  357, (358?) Gotter, Johann Friedrich Wilhelm  113, 258, 261, 282, 572 Goué, August Siegfried  110, 112, 113, 216, 247, 255 – 262, 265, 266, 269, 286, 473, 474, 572, 591 Gress, Franz Philipp Felix (von) 358, 453

Grolman(n) (von), Ludwig Adolph Christian  13, 108, 110, 111, 219, 225, 226, 230, 231, 233, 236, 241, 371, 570, 588, 591 Grübel  249, 250, 260 Grün (von), Dietmar Heinrich  215, 216, 226, 236, 239, 248, 570, 583 Guggomos, Franz  576 Gutenberg, Johannes  43, 45, 46, 54

H Haas, Johann Daniel  366 Haas, Damian Ferdinand  352, 454, 455 Hackspiel, Joseph  576 Haes, Friedrich Joseph  227, 568 Haimb (von), Johann Ernst  226, 236, 241, 312, 568, 581 Hammer, Andreas Alexander Franz  210, 219,568, 573 Hammerstein, Georg August Freiherr von  111, 591 Harpprecht, Johann Heinrich Freiherr von  95, 147, 150, 223, 224, 234, 298, 303, 358, 365, 367, 370, 405, 407 Harsdorf(f ), Carl Christoph  112, 114, 591 Hartig, Johann Heinrich  573 Hartig, Christoph Heinrich  573 Heidinger, Georg Friedrich  576 Hein, Charlotte von  590 Heller, Johann  204, 206, 576 Hem(m)ert, Johann Heinrich  110, 591 Hennings, August  283, 284 Herd, Elisabeth  264, 274 Herd, Philipp Jakob  260, 264, 274, 573 Herdt, Conrad  576 Hermanni, Johann Andreas  576 Hert, Gotthard Johann  583 Hert, Johann Gotthard (Friedrich) 111, 112, 588, 591 Hertwich, Carl Casper von  210, 226, 227, 230 – 232,237, 238, 240, 568 Hertwich, Johann Gottfried Aemil  573 Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von  177 Heydlack/Heydlas, Johann Joseph  576

608 Hille, F. von  573 Hippe, Scabino  582 Hof(f )mann, Carl Christian  111, 591 Hof(f )mann, Caspar Friedrich  110, 112, 350, 455, 591 Hof(f )mann, Friedrich Reinhard  408 Hof(f )mann, Georg Melchior  363, 591 Hoffmann, Gottfried Daniel  190 Hof(f )mann, Johann Friedrich  591 Hoffmeister, Anna Dorothea Charlotte  243 Höfler, Johann Jacob  113, 210, 227, 228, 230, 231, 237, 238, 241, 246 – 248, 256, 257, 259, 261, 265 – 274, 279, 286, 368, 473, 571, 583 Hofmann, Karl Christian  111, 573 Hofmann, Wilhelm  573 Hohenlohe-Bartenstein, Karl Philipp Franz Fürst von  92, 438, 445, 452, 463 Hohmann/Hofmann, Johann Friedrich  254, 573 Horix, Johann Baptist von  78, 101, 104, 121, 126, 132, 171, 174, 219, 227, 230, 231, 236, 241, 295, 309, 310, 317, 323, 381, 568, 580, 595, 596 Hormayr zu Hortenburg, Joseph Ignaz Johann Valentin von  75, 151, 219, 223, 225, 227, 230, 237, 241, 246, 287, 568, 581 Horn, Johann Christian  580 Hoscher, Hermann Theodor Moritz  363 Hueber von der Wiltau, Johann Daniel Clemens von  210, 219, 222, 227, 230, 231, 233, 237, 240, 568 Huppmann, Franz Bartholomä(us) von  226, 568

J Jacobi, August  576 Jacobi, Johann Georg  284 Jäger, Carl Rudolph Friedrich  252, 573 Ja(h)n, Ludwig Friederich Ernst  260, 279, 573 Jan, Johann Christian Gottlieb  227, 238, 571 Jenichen, Johann Karl Friedrich  113, 573 Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm  265 – 267, 273, 279

Personenverzeichnis Jerusalem, Karl Wilhelm  113, 216, 255, 256, 258, 262 – 274, 279, 281, 284 – 286, 393, 473, 474, 573, 586 Joseph II., König/Kaiser  32, 63, 64, 66, 68, 69, 71 – 74, 84, 97, 157, 166, 200, 201, 349, 379, 384, 385, 388 Jung, Johann Siegmund  573

K Karl I., Herzog von BraunschweigWolfenbüttel  266 – 270, 272 Karl V., Kaiser  388 Karl VI., Kaiser  142, 237 Karl VII., Kaiser  68, 154 Karl-Friedrich, Markgraf von BadenDurlach 72 Karl-Theodor, Kurfürst von der Pfalz/von PfalzBayern 180 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst von  72, 246 Keck, Johann Georg  573 Keller, Friedrich Christoph Balthasar von  591 Keller, Johann Chrysostomus von  108 – 111, 115, 174, 210, 236, 241, 303, 304, 350, 381, 388, 569, 580, 586, 587, 590, 591, 594, 596 Kerckering, ( Johann) Friedrich  110, 112, 113, 260, 279, 573, 591 Kersting, Franz Leopold  226, 569 Keßler, Johann Christian  139 Kestner, Johann Christian  25, 79, 98, 100, 101, 106, 107, 130, 215, 216, 239, 247, 248, 255, 256, 258, 260 – 264, 267, 271, 272, 274 – 286, 344, 412, 452, 473, 474, 573, 586 Kestner, Johann Hermann  275 Kestner, Otto  276 Kielmannsegg, Christian Albrecht Freiherr von 113 Kirchberg, Christian Albert Kasimir Burggraf von  150, 160, 358, 365, 367, 407 Kirschbaum 223 Kir(s)chschlager, Johann Friedrich  573 Kir(s)chschlager, Leopold  573 Klippstein, Johann August  573

609

Personenverzeichnis Klöpper, Johann Peter  574 Kollenbach, Johann Freiherr von  574 König, Dietrich August  113 Königsthal, Eberhard Jodocus König von  110 – 113, 258, 260, 261, 574, 592 Königsthal, Gustav Georg König von  79, 130, 152, 162, 210, 219, 225, 227, 230, 231, 235, 237, 312, 571, 584, 592 Krafft, Franz Heinrich  576 Kreittmayr, Wiguläus Freiherr von  186, 187 Krempelhuber, Sebastian Ludwig  574 Kress, Johann Georg Christoph Baron von  112, 114, 592 Kroppe(n), Simon Joseph  122, 574, 580 Kun(c)kel, Johann Georg Wilhelm  358, 453 Kürsinger, Franz Anton von  227, 237, 238, 241, 569, 581

L Langen, Ludolph Joseph  260, 279, 574 Langermann, Ludwig Freiherr von  113, 592 Lenaert  454, 459 L‘Eau, Theodor Karl von  365, 367, 407 Lehrbach, Conrad Ludwig Freiherr von und zu  226, 236, 241, 569 Leipziger, Hans Christoph  365, 367, 407 Lenz, Franz Conrad von  226, 569 Leopold I., Kaiser  180, 237 Leopold II., Kaiser  142 Leykam, Franz Georg Freiherr von  232 Lieb, Franz Anselm  174, 219, 222, 225, 227, 230 – 231, 233, 238, 368, 580, 596, 597 Liebler, Friedrich Anton  574 Liebler, Matthias Ignaz  574 Lilienstern von  592 Linden, Damian  302, 574, 595, 596 Lohbauer, Philipp  577 Loskand(t), Heinrich Adam Joseph  219, 225 – 227, 233, 238, 241, 569, (581?) Loskand, Michael Franz  574 Loskand(t), Franz Wilhelm  95, 298, 303, 306, 353, 365, 367, 407 Ludolf(f ), Georg Wilhelm  224

Ludolf(f ), Johann Wilhelm  224, 278, 279, 358 Luther, Martin  43, 129

M Machenhauer 583 Magis, Carl Ludwig  569 Maria Josepha, Kaiserin  154, 155, 157, 166, 205, 469 Maria Theresia, Kaiserin  177, 246 Marschall, Heinrich Christian/Christoph  574 Marx, Daniel  408 Mat(t)henius, Johann Reinhard  110, 112, 252, 577, 588, 592 Mauchard, Friedrich  107, 210, 219, 223, 225, 238 – 240, 569, 581 Max(imilian) III. Joseph, Kurfürst von Bayern 182 Mayer, Johann Christian  227, 368, 569, 582 Mayer, Johann Gottlob  571, 583 Mehler 458 Merckl 261 Miller, Gottl. Dietrich  574 Minderlein, Christian Friedrich  577 Minderlein, Johann Emanuel  574 Moelck, Anton Edler von  574 Moser, Johann Jacob  52, 93, 94, 129, 142, 195 – 197, 199, 203, 215, 219, 249, 278, 338, 390, 443, 599 Mosheim, Gottlieb Christian von  249, 250, 260 Mosheim, Johann Lorenz von  249 Mosler, Johann Friedrich  577 Mülberger, Phil. Henr. 574 Müller, Jacob  577 Mü(h)lmann, Franz Ludwig von  592 Münchhausen, Gerlach Adolf Freiherr von  243 Münster, Carl Philipp von  112, 592

N Nehring, Johann Christian  599 Nettelbla, Marie Amalie Freifrau von  453 Nettelbla, Christian Freiherr von  53, 64, 110, 127, 129, 175, 178, 196, 197, 298, 224, 298, 303, 344, 362, 365 – 367, 390, 392, 396, 407, 408,

610 437 – 439, 441, 443 – 446, 452, 453, 456, 457, 459, 460, 463, 481, 588, 599 Nettelbla, Karl Friedrich Wilhelm Freiherr von  112, 588, 592 Neumüller, Johann Georg  251, 574 Nicolai, Friedrich  191 Nieper, Georg Heinrich  113 Nimptsch, Carl Ernst von  592 Noel, Peter Franz  277, 279

O Oertel, Christian Gottfried  194, 196, 599 Ohsen, Philipp Christoph  250, 600 Ortmann, Johann Peter  95, 365, 367, 407 Osterwald, Peter von  314 Ottenthal, Christian von  78, 101, 104, 105, 121, 122, 171, 174, 219, 225, 227, 230, 231, 236, 295, 298 – 300, 303, 304, 309, 310, 317, 323, 368, 569, 580, 595 – 597

P Papius, Apollonia Ernestine Josepha  223, 460, 461 Papius, Johann Hermann Franz von  127, 162, 222, 223, 298, 354, 365 – 367, 396, 407, 408, 437 – 441, 444 – 446, 452 – 461, 481, 579 Pauli, Georg Friedrich  110, 112, 258, 281, 574, 592 Pfeiffer  408, 453 Pfeuffer, Benignus  574 Pitschel, Johann Friedrich Adolph  574 Praun, Georg Septimus Andreas von  267, 269, 270 Preuschen, August Ludwig  595 Preuschen, Georg Ernst Ludwig  592 Preuschen, Georg Ernst Ludwig d. J. 595 Preuschen, Ludwig Conrad  110, 574, 592 Preuße, Johann Balthasar  577 Pückler und Limburg, Friedrich Philipp Carl Graf von  592 Purgold, Joh. Friedrich  574 Pütter, Johann Stephan  48, 69, 73, 84, 88, 91, 175, 190, 191, 194 – 196, 200, 201, 223 – 225, 229,

Personenverzeichnis 232, 238, 246, 250, 427, 428, 447, 448, 450, 455, 599, 600

Q Questenberg, Graf von  217

R Rath, Heinrich Albrecht  251, 577 Redwitz, Anton von  112, 593 Reinhard, Johann Georg  574 Reis, Franz Joseph  239, 368, 379, 569, 580, 586 Reusing, Johann Baptist  577 Reuss, Philipp Heinrich Freiherr von  107, 127, 365, 367, 380, 396, 405, 407, 408, 437 – 439, 441, 445 – 447, 452, 453, 456, 459, 460, 462, 481 Reuter, Johann Hartwig  99, 101, 130, 149, 187, 219, 227, 230, 231, 237 – 239, 271, 347 – 349, 376, 380, 571, 582 Richartz, Georg David  574 Riedesel Freiherr zu Eisenbach, Johann Wilhelm  95, 110, 210, 223, 224, 226, 242, 362, 365, 367, 407, 447, 593 Riedesel Freiherr zu Eisenbach, Karl Georg  593 Riedesel, Jacobis  223 Rieff, Martin  593 Rodenhausen, Ludwig von  593 Röder, Johann August Heinrich von  241, 571 Röhrig, Jacob  577 Rorschach, Franz Christoph  574 Rosenau, Johann Christian Mayer von  219, 569 Rosler, Johann Friedrich  577 Rottenburg, Friedrich von  577 Rüding, Friedrich Wilhelm  224 Ru(h)land, Johann Albert von  224, 362, 363, 454 Runde, Justus Friedrich  396

S Sachs, Franz Karl Anton von  584 Sachs, Georg Matthias Rudolph  581, 584 Sattler, Johann Friedrich  575

611

Personenverzeichnis Scheffern, Heinrich Philipp von  227, 230, 231, 233, 236, 241, 571 Schiller, Friedrich  17, 37, 188 Schleinitz, Karl Anton Wilhelm Freiherr von 113 Schmauß, Johann Jakob  228 Schmitz, Friedrich Joseph von  222 Schmitz, Maria Anna von  222 Schnitzlein, Carl Wilhelm  53, 64, 129, 344, 599 Schröder, Joachim Heinrich von  108, 110, 111, 151, 225 – 227, 241, 247, 248, 252, 310, 312, 313, 369 – 372, 571, 583, 587, 591, 593 Schroff, Franz Georg Freiherr von  232 Schrötter, Franz Ferdinand  191, 194 – 196, 200, 201, 203, 428, 599, 600 Schultheis, Johann Michael  577 Schumacher, Dietrich  588, 593 Schweizer, Friedrich Carl  112, 593 Seeger, Johann August  575 Seidel, Vincenz Edler von  575 Seidenberger, Andreas  575 Seidler, N. 575 Seiffer, Johann Friedrich  593 Seipp, Johann Christoph  357 Serger, Franz Erwein  11 – 13, 24, 35, 110 – 112, 252, 260, 302, 575, 593 Severin, Johann  577 Sichler, Wilhelm Jacob Bruno  219, 569 Sickingen, Casimir Freiherr zu Hochenburg 593 Siebenbeutel, Bartholomäus  447, 575 Sonntag, Friedrich Balthasar  279, 575 Spangenberg, Georg Freiherr von  59, 75, 78, 250, 296, 297, 309, 323, 382, 567, 579 Spaur, Franz Graf zu  130, 150, 407, 444, 447, 463, 593 Spaur, Friedrich Graf zu  110, 593 Spaur, Joseph Philipp Graf zu  593 Speckmann, Johann Stephan von  222 Spillmann, Ludwig  112, 593 Spinola, Gabriel  562 Sprenger, Johann Julius  408

Stadion-Warthausen, Franciscus de Paula von 207 Stadion-Warthausen, Maria Theresia von  207 Stallauer, Johann Casper von  98, 118, 121, 127, 145 – 147, 150 – 153, 157, 158, 160, 161 – 163, 191, 209, 215 – 217, 219, 227, 230, 231, 237, 251 – 255, 259, 262, 264, 271, 309, 324, 330 – 332, 349, 350, 368, 370, 372, 375, 379, 380, 388, 391, 396, 455, 469, 569, 582 Stamm, Ferdinand  575 Starhenberg, Graf von  217 Stock, Georg Wilhelm  169 Stockmann, Carl August  252, 575 Stölzel, Philipp Jacob  252 Strube, David Georg  194, 224, 229, 242, 243 Strube, Julius Melchior  224, 229, 240, 243 Stupan, Felix Freiherr von  575 Summermann, Johann Wilhelm  224, 362, 365, 367, 407

T Tasch, Joseph Aloys(i) von  223, 260, 575 Tenspold, Gerhard Anton  368, 569, 581 Tier, Bartholom. Matthias de  575 Tils, Johann Adam  568, 569 Tönnemann, Anna Maria Barbara von  453 Tönnemann, Johann Christian Veit von  222, 453 Trott zu Solz, Adolf Friedrich Rudolf Joseph von  162, 362, 365, 367, 407

U Ulmenstein, Anton von  244, 245 Ulmenstein, Christian Freiherr von  84, 87, 228, 244, 245, 249

V Veit, Carl  593 Verdier, Johann Gottf. 575 Vogelius, Gerhard Georg Wilhelm Freiherr von  445, 452 Volckart, Joh. Albrecht  575 Volz, Simon  583 Vorwerck, Philipp David  121

612 W Wachs, Jacob Valentin Conrad  593 Wächter, Carl Eberhard von  594 Wächter, Friedrich Christoph  110, 111, 227, 230, 235, 571, 594 Wagenreck/Wagnereck, Maximilian Joseph  254, 575 Wagner, Georg Wilhelm  219, 230,231, 238, 571 Waldorf, Joh. Jos. 575 Wallbrunn, Friedrich von  112, 114, 594 Wallmoden-Gimborn, Johann Ludwig von  273 Walter 580 Walther 583 Walther, Friederich Bernhard Julius  575 Wanderer, Johann Christian  113, 260, 575 Welcker, Philipp Friederich  260, 576 Weng, Johann Heinrich  576 Werkamp, Friedrich Ludwig von  594 Werner, Johann  357 Wetzlar, Nathan Aaron  92, 339, 346, 350, 352, 373, 382, 395, 407, 408, 437 – 440, 444, 445, 447, 451 – 458, 461 – 464, 481 Wied-Runkel, Karl Graf von  170 Wild, Johann Emanuel  209, 230 – 232, 235, 238, 241, 248, 368, 571, 584, 586

Personenverzeichnis Win(c)kler, Georg Ernst  169, 586 Win(c)kler, Georg Ernst d. J. (123?), 169, 207, 580, 584, (598?) Win(c)kler, J. G. C. 123, 598 Wippermann, Karl Wilhelm  113 Wolff, Wilhelm/Johann  577 Wölkern, Lazarus Carl von  210, 226, 227, 230, 231, 237, 240, 571 Wölkern, Lazarus Carl d. J. von  237 Wurmb, Ludwig Friedrich  59, 108, 110, 111, 115, 151, 227, 241, 453 – 455, 458, 571, 582, 587

Z Zech, August Ferdinand Graf von  164, 165, 223, 227, 230, 231, 237, 320 – 321, 368, 372, 571 Zech, Bernhard Graf von  237 Zedler, Johann Heinrich  30, 58, 59, 129, 302 Zillerberg, Johann Sebastian Freiherr von  358, 361, 365 – 367, 407, 408 Zwierlein, Christian Jacob von  62, 84, 88 – 91, 93, 96, 112, 125, 170, 224, 357, 392, 411, 443, 457, 588, 594 Zwierlein, Johann Jacob von  588 Zwierlein, Salentin Friedrich von  110, 594

NORM UND STRUK TUR STUDIEN ZUM SOZIALEN WANDEL IN MIT TEL ALTER UND FRÜHER NEUZEIT HERAUSGEGEBEN VON GERT MELVILLE IN VERBINDUNG MIT GERD ALTHOFF, HEINZ DUCHHARDT, PETER LANDAU, KLAUS SCHREINER UND GERD SCHWERHOFF



EINE AUSWAHL

BD. 42 | ANDREAS BÜTTNER, ANDREAS

BD. 38 | HARRIET RUDOLPH

GRENZEN DES RITUALS

DAS REICH ALS EREIGNIS

WIRKREICHWEITEN – GELTUNGSBE­

FORMEN UND FUNKTIONEN DER

REICHE – FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN

SCHMIDT, PAUL TÖBELMANN (HG.)

HERRSCHAFTSINSZENIERUNG BEI

2014. 367 S. 5 S/W-ABB. GB.

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BD. 43 | CRISTINA ANDENNA,

BD. 39 | SITA STECKEL

IDONEITÄT – GENEALOGIE –

KULTUREN DES LEHRENS IM FRÜH-

LEGITIMATION

UND HOCH MITTEL ALTER

BEGRÜNDUNG UND AKZEPTANZ VON

AUTORITÄT, WISSENSKONZEPTE UND

DYNASTISCHER HERRSCHAFT IM

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BD. 40 | KLAUS SCHREINER RITUALE, ZEICHEN, BILDER

BD. 44 | JAN HIRSCHBIEGEL

FORMEN UND FUNKTIONEN

NAHBEZIEHUNGEN BEI HOF –

SYMBOLISCHER KOMMUNIKATION IM

MANIFESTATIONEN DES VERTRAUENS

MITTELALTER

KARRIEREN IN REICHSFÜRSTLICHEN

HG. VON ULRICH MEIER, GERD SCHWER-

DIENSTEN AM ENDE DES MITTELALTERS

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2011. 343 S. 27 S/W-ABB. GB.

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BD. 45 | ALEXANDER DENZLER BD. 41 | NICOLAS DISCH

ÜBER DEN SCHRIFTALLTAG

HAUSEN IM WILDEN TAL

IM 18. JAHRHUNDERT

ALPINE LEBENSWELT AM BEISPIEL DER

DIE VISITATION DES REICHSKAMMER­

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PETER OESTMANN (HG.)

GEMEINE BESCHEIDE TEIL 1: REICHSKAMMERGERICHT 1497–1805 EINGELEITET UND HERAUSGEGEBEN VON PETER OESTMANN (QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR HÖCHSTEN GERICHTSBARKEIT IM ALTEN REICH, BAND 63,1)

Oberste Gerichte im vormodernen Europa waren in einem weithin unbekannten Ausmaß zugleich Rechtssetzungsorgane. Sie entschieden nicht nur Fälle, sondern reformierten das Verfahrensrecht, erließen »Policeyordnungen«, übten Dienstaufsicht über Anwälte, Kanzleipersonal und Boten. Vor allem wenn die ordentliche Gesetzgebung blockiert war, erlangten solche gerichtlichen Erlasse hohe Bedeutung. Deswegen sind besonders Reichshofrat und Reichskammergericht mit der Verkündung sogenannter Gemeiner Bescheide hervorgetreten. Der erste Teil der kommentierten Edition macht in einer historisch-kritischen Ausgabe sämtliche Gemeinen Bescheide des Reichskammergerichts von 1497 bis 1805 zugänglich. Der zweite Teil mit den »Decreta communia« des Reichshofrats von 1613 bis 1798 (978-3-412-21063-2) enthält die kommentierten Erlasse des zweiten obersten Reichsgerichts sowie das Gesamtregister. 2013. VIII, 802 S. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-21062-5

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Arndt Brendecke (Hg.)

Praktiken der Frühen neuzeit Akteure – HAndlungen – ArtefAkte (FrÜHneUZeIt-IMPULSe, BAnd 3)

Dieser Band reagiert auf das wachsende Interesse an historischen Praktiken. Dabei kommen alte historiographische Tugenden zur Anwendung, denn Geschichtsschreibung ist von ihren Anfängen an stark an Handlungen und Handlungsvollzügen interessiert, an Fakten und ihrer Darstellung. Zugleich muss jedoch neuen methodischen Reflexionen Raum gegeben werden, denn es reicht nicht mehr aus, „Taten“ aus Ideen oder individuellen Entscheidungen abzuleiten. Praktiken verfügen über eine Eigenlogik und damit auch über eine eigene Geschichte. Diese zu erschließen, nahm sich die Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit in ihrer zehnten Tagung vor. Die wichtigsten Ergebnisse sind in diesem Band versammelt. 2015. 714 S. 31 S/W-ABB. gB. 155 X 230 MM | ISBn 978-3-412-50135-8

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