Benjamin Veitel Ephraim – Kaufmann, Schriftsteller, Geheimagent: Gesammelte Schriften 9783110739770, 9783110722406

Benjamin Veitel Ephraim (1742–1811) was an affluent merchant, but also one of the first Jewish authors to write a drama

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Benjamin Veitel Ephraim – Kaufmann, Schriftsteller, Geheimagent: Gesammelte Schriften
 9783110739770, 9783110722406

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Benjamin Veitel Ephraim – Kaufmann, Schriftsteller, Geheimagent

Frühe Neuzeit

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext

Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Joachim Hamm, Wilhelm Kühlmann, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Band 242

Benjamin Veitel Ephraim – Kaufmann, Schriftsteller, Geheimagent

Gesammelte Schriften

Herausgegeben von Liliane Weissberg

ISBN 978-3-11-072240-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-073977-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-073979-4 ISSN 0934-5531 Library of Congress Control Number: 2021936707 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Danksagung Vor vielen Jahren begann ich ein Forschungsprojekt zur deutschsprachigen jüdischen Autobiographie in der Zeit der Aufklärung bzw. Haskala. In diesem Kontext entdeckte ich in der Free Library in Philadelphia Benjamin Veitel Ephraims Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens in der zweiten Auflage von 1808. Ich war sofort von diesem Buch fasziniert und in den folgenden Jahren veröffentlichte ich erste Aufsätze zu Ephraims Leben und Werk: „Wie schnell kann man verhaftet werden? Benjamin Veitel Ephraim, Preußens erster jüdischer Geheimrat, reflektiert über das Berufsrisiko um 1800“, in: Willi Jasper und Joachim H. Knoll (Hg.), Preuβens Himmel breitet seine Sterne …: Beiträge zur Kultur-, Politik- und Geistesgeschichte der Neuzeit I, Festschrift zum 60. Geburtstag von Julius H. Schoeps (Hildesheim 2002), S. 85–105; „Wie wird ein rechtloser Jude Diplomat? (oder: Politik um 1800)“, in: Rudolf Behrens und Jörn Steigerwald (Hg.), Die Macht und das Imaginäre (Würzburg 2005), S. 125–141; „Metropole der Freiheit: Berliner Juden in Paris, 1789–1812“, in: Caspar Battigay und Barbara Breysach (Hg.), Jüdische Literatur als europäische Literatur (ser.) Schriften der Gesellschaft für europäisch-jüdische Studien I (München 2008), S. 17–43. Bei diesen Aufsätzen hatte ich mich noch auf die publizierten Schriften Ephraims verlassen, doch dies schien mir immer unbefriedigender. Und Ephraim ließ mich nicht los. Während ich über Sigmund Freud oder Walter Benjamin oder Hannah Arendt arbeitete, meldete er sich immer wieder bei mir zu Wort. Ich musste einfach mehr über ihn erfahren. Ich musste ins Archiv. Mein großer Dank gilt zunächst Friedrich Vollhardt, der mich ermutigt hatte, eine kritische Ausgabe der Schriften Ephraims zu unternehmen und mir seine Buchreihe zur „Frühen Neuzeit“ als Publikationsort anbot. Ich unternahm meine Arbeit an diesem Buch in den letzten vier Jahren neben anderen Verpflichtungen und danke besonders jenen Personen und Institutionen, die mir die Zeit und Möglichkeit boten, zu Ephraim zu forschen und zu schreiben. Stephan Braese lud mich im Sommersemester 2016 für ein Gastsemester an die RWTH Aachen ein und dort begann ich ernsthaft an der Edition zu arbeiten. Der DAAD unterstützte auch eine kleine Konferenz, die Stephan Braese und ich im Juli 2016 in Aachen veranstaltet haben, „Die Französische Revolution und die preußischen Juden“. Ich danke allen Teilnehmern für die anregenden Gespräche: neben Stephan Braese selbst Dominique Bourel, Iwan-Michaelangelo D’Aprile, Grażyna Jurewicz, Hans Kruschwitz und Christian Liedke. Forschungsaufenthalte in Deutschland ermöglichten die weitere Arbeit an dem Projekt. Iwan-Michelangelo D’Aprile und das Reseach Center Sansscouci für Wissenschaft und Gesellschaft (RECS) unterstützten meinen Aufenthalt in Berlin und Potsdam und meine Arbeit in den dortigen Archiven im Sommersemester https://doi.org/10.1515/9783110739770-202

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Danksagung

2017. Annette Meyer und das Center for Advanced Studies in München boten mir im Sommersemester 2018 eine ideale Umgebung zum Forschen und Schreiben; allen Mitarbeiterinnen dort bin ich zu großem Dank verpflichtet. Ich beendete das Personenverzeichnis während meines Aufenthaltes an der American Academy in Berlin im Sommersemester 2020. Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz ist ein wunderbarer Arbeitsort und ich danke Dr. Katrin Beyer, Marie-Luise Adlung und dem ganzen Team des Archivs für ihre freundliche Hilfe bei der Manuskriptbeschaffung und der Herstellung von Kopien. Dank gilt ebenfalls den Archivaren des Brandenburgisches Landeshauptarchivs in Potsdam und der Bibliothèque nationale de France in Paris. Dominique Bourel, Frank Geißler, Stephen Lehmann, René Schreiter, Birka Siwczyk und Christine Vogl halfen mir mit Informationen, Bildmaterial und klugen Ratschlägen zur Edition. Johanna Sickert war bei dem ersten Korrekturlesen der Abschriften behilflich. Ich danke Sarah Jaglitz für die Transkription des Manuskriptmaterials, die vom Moses Mendelssohn-Zentrum in Potsdam unterstützt wurde; mein großer Dank gilt hier Irene Diekmann und Roswitha Kuska. Stephanie Wagner übersetzte Texte aus dem Französischen. Jerry Singerman hörte sich geduldig Erzählungen über Benjamin Veitel Ephraims Abenteuer an und wurde ein ebenso geduldiger Zeuge meiner eigenen Archiv-Abenteuer. Im Herbstsemester 2017 etablierte ich eine studentische Arbeitsgruppe zur Spionage in der Zeit der Französischen Revolution, das „Ephraim Collective“ an der University of Pennsylvania. Ich danke Madeleine Lamon und Matthew Palczynski für ihre enthusiastische Teilnahme, ebenfalls dem Jewish Studies Programm an der University of Pennsylvania, das ihre Forschung mit Bassini-Fellowships für Undergraduates unterstützte. Aktuelle Ergebnisse meiner eigenen Arbeit konnte ich an der Universität Potsdam, der RWTH Aachen, der University of Pennsylvania, dem Lessing Museum in Kamenz und dem Tel-Aviv Museum of Art vortragen. Das Jewish Studies Programm unterstützte auch die Drucklegung des Buches durch den Littauer Fund; mein Dank hier gilt Kathryn Hellerstein. Gleichfalls möchte ich mich bei Robert Forke bedanken, der den Band für den De Gruyter Verlag begleitet hat, sowie Eva Locher in der Produktion. Benjamin Veitel Ephraim ist eine schillernde Gestalt mit einer filmreifen Biografie. Er führte ein ungewöhnlich abenteuerliches Leben für einen Berliner Juden seiner Zeit, und zeichnete sich in sehr verschiedenen Gebieten aus. Er war wahrscheinlich der erste Jude, der ein Drama in deutscher Sprache schrieb und auf die Bühne brachte. Er schrieb zu ökonomischen wie politischen Fragen seiner Zeit. Er arbeitete zeitweise in einer Münzstätte, veröffentlichte aber auch eine Schrift zum Papiergeld. Er etablierte jüdische Schulen, stellte jüdische Arbeiter und Arbeiterinnen an und äußerte sich zur Judenemanzipation. Er gab Gesell-

Danksagung

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schaften, in denen sich Literaten wie Diplomaten trafen. Er war ein Jude ohne Bürgerrechte, aber auch ein Geheimrat, der am Hofe verkehrte. Er war Kaufmann, Kunstsammler, Schriftsteller, Spion. Er war ein preußischer, königstreuer Patriot, der Frankreich liebte. Seine Lebensgeschichte, die seine Verhaftung in Preußen im Herbst 1806 in den Mittelpunkt stellt, ist ein literarisches Werk und ein zeitgeschichtliches Dokument. Wer war Benjamin Veitel Ephraim? Der vorliegende Band will keine einfachen Antworten geben, sondern eine weitere Beschäftigung mit ihm und seinem Werk anregen und ermöglichen. Liliane Weissberg University of Pennsylvania

Inhaltsverzeichnis Danksagung

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„Cela seul est deja un crimme qu’un Juif prétend avoir du Patriotisme“: Leben und Werk des Kaufmanns, Schriftstellers und Geheimagenten Benjamin Veitel Ephraim 1 I Ein reiches Haus: eine Familiengeschichte 1 II Bildung und Vermächtnis 17 III Schriftstellerische Ambitionen 41 IV Politische Sendungen 58 V Ueber meine Verhaftung 101 VI Eine jüdische, eine Berliner Geschichte 123

Zur Edition der Schriften Benjamin Veitel Ephraims

129

I Literarische Schriften 1

Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens

133

Rezensionen 1a anon. [Karl Julius Lange]: „Vermischte Nachrichten“ (Der Telegraph; 1808) 213 1b Johann August Sack: [Rezension] (Zeitungs-Bericht der ImmediatFriedens-Vollziehungs-Kommission Berlin; 1808) 214 1c anon. [Johann Wilhelm Lombard]: „Ueber die Schrift des Geheimen Raths Ephraim“ (Neue Berlinische Monatsschrift; 1808) 216 1d anon. [Saul Ascher]: „Benjamin Veitel Ephraim“ (Kabinet Berlinischer Karaktere; 1808) 218

X

Inhaltsverzeichnis

1e anon.: „Bemerkungen über die Schrift: ‚Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens’. Von B. Veitel Ephraim, Königlich Preußischem Geh. Rath. Berlin, auf Kosten des Verfassers, 1808“ (Lichtstrahlen; 1808) 221 2

Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen (1776)

233

Rezensionen 2a anon.: „Worthy, Drama in fünf Aufzügen. Danzig, bey Flörke, 1776. 7 Bogen in 8.“ (Allgemeine deutsche Bibliothek; 1776) 272 2b anon.: „Worthy, ein Drama in fünf Aufzügen, 8. Danzig, 1776. (8 gr.)“ (Berlinisches litterarisches Wochenblatt; 1776) 273

II Politische Schriften 3

„Varietés: Au Spectateur national“ (1791)

4

Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld (1806)

277 279

Rezension 4a anon.: „Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld vom Geheimen Kommissionsrath Ephraim. Berlin bei Quien 1806. 8.“ (Der Preußische Staatsanzeiger; 1806) 289 5

„Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat“ (1806) 293

III Auswahl aus der geheimen Korrespondenz, Eingaben und Denkschriften 6

Auszug aus der Korrespondenz mit Johann Rudolf von Bischoffswerder und dem Preußischen Hof, Dezember 1791–März 1793 303

7

Denkschriften über die aktuelle Situation in Europa (undatiert, 1791) und Austausch mit den preußischen Ministern Karl Wilhelm Finck von Finkenstein und Ewald Friedrich von Hertzberg 313

Inhaltsverzeichnis

XI

8

Eingabe hinsichtlich der Einrichtung von Kantenmanufakturen und Anstellung jüdischer Arbeiterinnen in den neuen preußischen Landgebieten, 22. Februar 1792 327

9

Denkschrift über die Lage Frankreichs für den Preußischen Hof vom Februar 1793 333

10 Denkschrift über die wirtschaftliche Lage Preußens für den Preußischen Hof vom Februar und Juli 1794 343

Kommentar

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Verzeichnis der Abbildungen Personenverzeichnis

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„Cela seul est deja un crimme qu’un Juif prétend avoir du Patriotisme“: Leben und Werk des Kaufmanns, Schriftstellers und Geheimagenten Benjamin Veitel Ephraim I Ein reiches Haus: eine Familiengeschichte In seinen 1878 erschienenen Jugenderinnerungen eines alten Berliners beschreibt der inzwischen in Breslau lebende Jurist Felix Eberty seine Geburtsstadt zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Wir dürfen nicht vergessen, so Eberty, daß Berlin damals nach unseren jetzigen Begriffen durchaus noch keine große Stadt war, sondern weniger Häuser und Einwohner zählte als heutzutage Breslau. Der Raum, welchen die erst kürzlich gefallene Stadtmauer einschloß, war kaum zu zwei Dritteilen mit Wohngebäuden bedeckt. Große Kornfelder und Gemüsegärten füllten die östliche Seite desselben aus, und nur auf der westlichen, vom Königstore bis zum Halleschen Tore, gingen die Straßen und Plätze ohne Unterbrechung bis an die Mauer.1

In Ebertys Beschreibung ist Berlin eine Kleinstadt, geprägt von Gärten und ländlichen Gegenden. Aber das Bild Berlins wurde schon früh von den preußischen Soldaten dominiert, die in dieser Gegend stationiert waren. König Friedrich Wilhelm I., der Vater Friedrich des Großen, war noch als „Soldatenkönig“ bekannt. „Ich sehe hier einen königlichen Hof, der nichts Prächtigeres als seine Soldaten hat“, bemerkte der Frankfurter Bürger Johann Michael von Loen, ein entfernter Onkel Johann Wolfgang von Goethes, als er Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die preußische Stadt besuchte, die noch nicht einmal ein einziges Theater besaß.2 Der sandige Boden Brandenburgs bot keinen landwirtschaftlichen Ertrag, Bodenschätze waren nicht zu erwarten, doch Berlin versprach, ein strategischer Kreuzungspunkt von Ost und West, Nord und Süd und damit ein Handelszentrum zu werden. Bereits der Große Kurfürst hatte begonnen, Immigranten nach Berlin zu bringen, um das Land peuplieren zu helfen; sie sollten ihre Kenntnisse und

1 Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. hg. v. Georg Hermann. Berlin 1925, S. 26. Das Buch wurde zunächst 1878 in einer kürzeren Version publiziert. 2 Zitiert bei Georg Holmsten: Friedrich II. mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt (ser.) rororo Monographien. Reinbek bei Hamburg 1991, S. 17. Anmerkung: Die Rechtschreibung der Zitate folgt den jeweiligen Druckvorlagen. https://doi.org/10.1515/9783110739770-001

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

wenn möglich ihr Geld mitbringen, Waren umsetzen und auch produzieren. Friedrich der Große, der 1740 den Thron bestieg, war ebenso eifrig dabei, die Wirtschaft der Stadt und Preußens zu stärken. So befand sich die Stadt im achtzehnten Jahrhundert auch im großen Wandel. Manufakturen wurden eingerichtet. Ein städtisches Zentrum entstand um die erste große repräsentable Straße, Unter den Linden. Das Schloss des Königs, neue Kirchen, die für eine vielfältige Bevölkerung von Lutherischen Protestanten, böhmischen Immigranten und Hugenotten gebaut wurden, änderten Berlins Profil zusehends. Aus den früheren größeren Dörfern von Berlin und – jenseits der Spree – Cölln bildete sich eine mehr oder weniger geschlossene Stadt. Es entstanden Reihen bürgerlicher Häuser und auch eine neue aristokratische Pracht, und diese Entwicklung nahm zu, da Berlin an politischer Bedeutung gewann. So war Berlin trotz Ebertys Beschreibung eines recht idyllischen Ortes eine der schnellst wachsenden Städte Europas dieser Zeit. Im späten achtzehnten Jahrhundert wuchs nur St. Petersburg rascher, nicht aber London, Dresden oder Wien.3 1790 war Berlin bereits so groß wie Rom und hatte etwa 150 000 Einwohner.4 Das Provinzhafte hatte die Stadt jedoch nicht ganz und nicht überall abgelegt. So paradierten Ende des achtzehnten Jahrhunderts Offiziere und Soldaten durch die Straßen und Gärten, der Tiergarten lud Besucher ein, sich von der Großstadt zu erholen, und Gebäude und Monumente wurden vor allem von neo-klassizistischen Architekten geplant, um Preußens politische Macht zu feiern. Die Berliner Universität öffnete erst 1810 ihre Tore, um führende Wissenschaftler einzuladen; bis dahin lebten zwar Gelehrte in der Stadt, unterrichteten aber mittels Subskription, lehrten an Gymnasien oder predigten in Kirchen. Friedrich Nicolais Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, die zuerst 1769 publiziert und dann, erweitert und revidiert, 1779 und 1786 wiederaufgelegt wurde, zeigt eine Übersicht über die Architektur der Stadt und das Gesellschaftsleben. Einzelne Kapiteln beschreiben Stadtviertel auch außerhalb des Zentrums, und in Berlin selbst listet Nicolai jedes bedeutende Haus nach seiner Straßenadresse. 1121 Häuser und 654 Hinterhäuser konnte er bereits 1786 zählen.5  

3 Helga Schultz: Berlin 1650–1800. Sozialgeschichte einer Residenz. Mit einem Beitrag von Jürgen Wilke. 2. Aufl. Berlin 1992, S. 323. 4 Mark Boulby: Karl Philipp Moritz. At the Fringe of Genius. Toronto 1979, S. 68–69. Vgl. auch Peter Schmidt: Berlin und seine Juden im 18. Jahrhundert. In: Hans Otto Horch (Hg.): Judentum, Antisemitismus und europäische Kultur. Tübingen 1988, S. 97–115, hier S. 96. Schmidt bietet auch Zahlen hinsichtlich der jüdischen Bevölkerung Berlins. 5 Friedrich Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlichen Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend. 3 Bde. 3., völlig umgearbeitete Aufl. Berlin 1786, I: 2.

I Ein reiches Haus: eine Familiengeschichte

Abb. 1: John Stockdale, A Plan of the City of Berlin, London, 1800; nach einer Karte von Samuel Graf von Schmettau, 1748.

Abb. 2: Johann Wilhelm Meil, Die Spandauer Straße in Berlin, Federzeichnung, aquarelliert, nach Johann Stridbeck, 1798.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

An der Heiligengeiststraße stand das Joachimsthaler Gymnasium, und ein Krankenhaus befand sich an der Ecke der Spandauer Straße, wo Nicolai selbst, Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn ihre Wohnungen nahmen. Die Fortsetzung der Heiligengeiststraße, die Poststraße, führte direkt zum Mühlendamm, der Berlin und Cölln verband. Hier, an der Ecke von Poststraße und Mühlendamm, weist Nicolai auf eines der eindrucksvollsten Gebäude Berlins: Das große Haus der Gebrüder Ephraim. Das vorherige Tonnenbindersche Haus in der Poststraße bis an die Ecke des Mühlendamms, war schon ein weitläufiges Gebäude. Im Jahr 1762 kaufte der verst. Ephraim einen offenen Platz vor dem Hause, worauf Buden standen, dazu, und ließ dies Gebäude nach Diterichs Rissen erweitern, und die jetzige sehr ansehnliche Stirnwand nach dem Mühlendamm ziehen, deren Zierlichkeit dem Baumeister um so viel mehr Ehre macht, da er sich nach dem beybehaltenen ehemaligen Hause richten mußte, welches er nur moderner, und mit korinthischen Wandpfeilern verzierte.6

Der Bankier und Geschäftsmann [Nathan] Veitel Heine [Chaim] Ephraim (vor 1727–1775), ein Hofjude Friedrich II., hatte das ursprüngliche Haus, in dem sich Berlins älteste Apotheke befand,7 gekauft und Nicolai verweist hier auf dessen Söhne, die nach seinem Tod das Erbe antraten. Veitel Heine Ephraim kaufte auch ein Grundstück vor dem Gebäude, von dem er einige Marktbuden räumen ließ. Der Molkenmarkt gleich bei dem Haus, der um 1600 etabliert wurde, war zu dieser Zeit der einzige Markt Berlins. Der neue Eigentümer bat den Architekten Friedrich Wilhelm Diterichs, der viele repräsentative Bauten, so auch das Prinzessinnen-Palais, entworfen hatte, das Gebäude umzubauen, und dies geschah zwischen 1762 und 1766. Diterichs war ein Favorit Friedrichs des Großen und Oberbaudirektor in Berlin; er war auch für die architektonische Planung der Stadt Berlin verantwortlich.8 Das Haus Poststraße 16 galt jedoch schon bald als sein Meisterstück. Es war als die „schönste Ecke Berlins“ bekannt,9 und der architektonische Fokus des Handelsviertels.10 Der Architekt schmückte die Rokokofassade mit Skulpturen und goldgefassten Balkonen aus; die Innenausstattung war ebenfalls reich gehalten und wies sogar ein nach chinesischem Geschmack ornamentiertes Zimmer auf, das der damaligen aristokratischen Mode entsprach. Im dritten Stock befand sich wahrschein-

6 Nicolai (Anm. 5), I: 9. 7 Zur Geschichte des Grundstücks, s. Dagmar Claus: „Poststraße 16 / Ecke Molkenmarkt“. In: Berlinische Monatsschrift/ Luisenstädtischer Bildungsverein 2 (1996), S. 55–59. 8 Rolf-Herbert Krüger: Das Ephraim-Palais in Berlin. Ein Beitrag zur preußischen Kulturgeschichte. Berlin 1989, S. 25–42. 9 Krüger: Berlin Ephraim-Palais (ser.) 75 Baudenkmale. Leipzig 1991, S. 1. 10 Vgl. Krüger (Anm. 9), S. 5.

I Ein reiches Haus: eine Familiengeschichte

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lich eine Haussynagoge.11 An der Vorderfront des Gebäudes wurden acht dorische Sandsteinsäulen installiert. Sie waren ein Geschenk des Königs und Kriegsbeute; sie schmückten ursprünglich das Schloss Pförten in Sachsen, welches sich im Besitz des Grafen Heinrich von Brühl befand.12 Friedrich II. ließ das Schloss 1758 abbrennen, entfernte aber die Säulen und schenkte sie, um seinen Feind zu demütigen, seinem Hofjuden.

Abb. 3: Johann Friedrich Stock, Der Mühlendamm vom Molkenmarkt gesehen, Stahlstich, 1833.

Das Palais in der Poststraße war noch nicht fertiggestellt, da errichtete Veitel Heine Ephraim im Oktober 1764 bereits eine Silberraffinerie hinter dem Gebäude und nahm dann nach der Fertigstellung des Hauses in diesem auch ein Lager und eine Verkaufsfläche für Silberprodukte und die Produkte seiner Textilfabrik auf.13 Ein

11 Olga Stieglitz: Die Ephraim: Ein Beitrag zu Geschichte und Genealogie der preußischen Münzpächter, Großunternehmer und Bankiers und ihre Verbindung zu den Itzig und anderen Familien. Neustadt a.d. Aisch 2001, S. 126. 12 Krüger (Anm. 9), S. 10. 13 S. 5692. II. HA Generaldirektorium (Abt. 23) Münzdepartement Tit XX Nr 19: Konzession für Benjamin Veitel Ephraim zur Anlegung einer Silberraffinerie in Berlin 1763–1764. Geheimes

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Teil der Räume wurde vermietet, zum Beispiel an die General-Tabak-Administration. Prozessakten dokumentieren Veitel Heine Ephraims Streit mit seinen Nachbarn im Nebenhaus, von denen er sich gestört und observiert fühlte.14 Diese unerwünschte Beobachtung musste sich nicht unbedingt auf einen privaten Bereich beziehen, denn das Gebäude stellte für den Besitzer durchaus ein Geschäftshaus dar und die Grenzen zwischen einem privatem und einem öffentlichen Bereich waren undeutlich gezogen. Das Ephraim-Palais war nicht nur für eine einzige Familie oder Firma gedacht. Eine Vermietung von Räumen an andere Personen und Handelsunternehmen war bei Häusern dieser Größe durchaus üblich und dies nahm dem Haus nichts von seinem Repräsentationscharakter. Es zeigte den Reichtum seines Besitzers. Dabei handelte es sich bei diesem nicht einmal um einen preußischen Bürger. Veitel Heine Ephraim war ein Jude, der lediglich einen Schutzbrief besaß, mit dem er in Berlin geduldet wurde. Er war ein führendes Mitglied der jüdischen Gemeinde. Erst seine Enkel sollten die Religion wechseln und viele auch ihre Namen. Ein Enkel, der Bankier Heimann Joseph Ephraim, sollte sich nach seiner Taufe Hermann Eberty nennen; dessen Sohn Felix erwähnt die jüdische Herkunft seiner Familie in seinen Jugenderinnerungen mit keinem Wort mehr.15 War das Palais ein außergewöhnliches Gebäude, so war die Wahl des Grundstücks für das Gebäude dies keineswegs. Im Gegensatz zu anderen Städten wie zum Beispiel Frankfurt wies Berlin kein Ghetto auf, keinen abgegrenzten Bezirk, in dem Juden wohnten. Das Palais befand sich dabei im Nikolai-Viertel und eigentlich auch in der Nachbarschaft zum einstigen mittelalterlichen Judenhof, zu dem die ihm nahe, heute am roten Rathaus gelegene Jüdenstraße führte. In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wohnten die meisten Juden im heutigen Altberlin und oft in der Gegend der Spandauer Straße.16 Viele besuchten private Betstuben, aber von den meisten Häusern dort konnte man die Synagoge in der Heidereutergasse leicht erreichen. Diese wurde 1712–14 als erstes öffentliches jüdisches Bethaus vierzig Jahre nach der Gründung einer Jüdischen Gemeinde in Berlin von dem Zimmermeister Michael Kemmeter errichtet. Dessen Sohn Johann

Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK); im Folgenden wird die Abkürzung vor den Archivsiglen notiert. 14 Claus, (Anm. 7), S. 58. 15 Ein Stammbaum der Familie Ephraim befindet sich im Anhang von Hugo Rachel and Paul Wallich: Berliner Grosskaufleute und Kapitalisten, 3 Bde., hier II: Die Zeit des Merkantilismus 1648–1806, hg. v. Johannes Schultze, Henry C. Walllich und Gerd Heinrich. Berlin 1934–1939; hier zitiert nach dem Wiederabdruck Berlin 1967. 16 Vgl. Steven M. Lowenstein: Jewish Residential Concentration in Post-Emancipation Germany. In: Leo Baeck Institute Yearbook XXVIII (1983), S. 471–495.

I Ein reiches Haus: eine Familiengeschichte

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Gottfried arbeitete später auch an einem Projekt mit Diterichs, nämlich der Untersuchung des Turmeinsturzes der Berliner Petrikirche. Das Synagogengebäude in der Heidereutergasse war dabei durchaus bescheiden gehalten. Auffallen wollte man hier nicht. Der Architekt musste auch vielen Restriktionen folgen; so wurde das Gebäude etwa recht tief angelegt, um Emporen zu ermöglichen, denn Frauen und Männer saßen getrennt und die vorgegebene Höhenbestimmung musste eingehalten werden.

Abb. 4: Friedrich August Calau, Synagoge der Berliner Judenschaft. Radierung, Ende des 18. Jahrhunderts.

Der neue Bauherr am Mühlendamm überraschte einige Jahrzehnte später dagegen wahrscheinlich sogar seinen König mit seinem so reich ausgestatteten Palais, das auf große Sichtbarkeit setzte. So wird – allerdings unverbürgt – überliefert, dass Friedrich II. sich von seinem Hofjuden angesichts des Palais übervorteilt fühlte und nach einer ersten Besichtigung ausrief, Ephraim hätte nichts anderes verdient „als einen – Galgen, denn er hat mich ganz abscheulich betrogen!“17 Aber Veitel Heine Ephraim stand auch nach diesem Häuserbau in einem guten Verhältnis zum Hofe, und die Übermittlung dieses Ausspruchs mag mehr über den möglichen

17 Veronika Bendt: Das ‘Haus Ephraim’ in Berlin und seine Nachkommen. In: Der Bär von Berlin XXXI (1982), S. 83–106; hier S. 85.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Neid anderer Berliner etwas aussagen als über den Hoffaktor selbst. Veitel Heine Ephraim war zu dieser Zeit nämlich einer der reichsten Bewohner Berlins. Veitel Heine Ephraim stammte bereits aus einer wohlhabenden Familie. Sein Vater Nathan Heine Ephraim (um 1665–1748) war 1695 aus dem dänischen Altona bei Hamburg nach Berlin gezogen;18 er hatte dort als Bankier und Juwelier gearbeitet; seine Mutter Hannah Veitel stammte aus Wien und gehörte zu den ersten fünfzig jüdischen Familien, die sich nach der Judenvertreibung dort im Jahre 1671 in Brandenburg ansiedeln durften. Sie konnten dies allerdings nicht ohne Nachweis eines persönlichen Vermögens, um den preußischen Staat nicht wirtschaftlich zu Lasten zu fallen. Die jüdischen Neuansiedler in Berlin wurden Bankiers, Juweliere, Textilhändler und förderten, zumeist als Hoffaktoren, die lokale Wirtschaft und die politischen Ambitionen des Hofes. Sie erhielten Schutzbriefe, die ihnen eine gewisse Sicherheit hinsichtlich ihres Aufenthaltes in der Stadt gaben und die fortlaufend geändert oder erneuert wurden. Nathan Heine Ephraim hatte ebenfalls einen solchen Brief erhalten. Für ärmere Juden, die keinen Schutzrief besaßen, war der Aufenthalt in der Stadt prekär. Während der Altonaer Kaufmann Nathan Heine Ephraim in Berlin bereits zu einem preußischen Hofjuwelier aufstieg, so etablierte sein Sohn Veitel Heine Ephraim das wahre Familienvermögen nach dessen Tod. Auch er wurde 1744 oder 1745 zum Hofjuwelier ernannt und verkaufte Juwelen an Mitglieder des Königshauses, etwa an die jüngste Schwester Friedrichs II., Prinzessin Amalie von Preußen, die ihm sehr wohlgesinnt war,19 und auch an den einstweiligen Kammerherrn Voltaire.20 Zahlreiche Belege für seine Lieferungen von Juwelen und Silberobjekten sind in der Sammlung der königliche Schatullrechnungen aufbewahrt. Manche dieser Bestellungen dienten Mitgliedern des Hofes als Schmuck zum persönlichen Gebrauch, andere wurden als Staatsgeschenke gekauft, zum Beispiel für die russische Zarin Katharina die Große.21 Wie viele Hofjuweliere dieser Zeit handelte Veitel Heine Ephraim auch mit anderen Waren und diente eben-

18 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 288. 19 Rolf Born: Heimann Joseph Ephraim oder Tradition als Bindung. Berlin 1988, S. 21; s. auch Wilhelm Treue: Wirtschafts- und Technikgeschichte Preussens. Berlin 1984, S. 79. Treue verwechselt allerdings Veitel Heine Ephraim mit seinem Sohn Benjamin Veitel Ephraim. 20 Stieglitz (Anm. 11), S. 100. 21 Eine Reihe von Juwelen u. a. Objekte sind in den Schatullrechnungen Friedrichs des Großen verzeichnet, s. die Kommentierte Edition der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Zusammenarbeit mit dem Research Center Sanssouci (RECS) und perspectivia.net. Edition und Bearbeitung: Ralf Zimmer. Realisation und Datenmanagement: Fabian Cremer und Marcel Riedel. Zweite erweiterte Online-Edition 2018: https://quellen.perspectivia.net/de/schatullrechnungen/start (Zugriff August 2020).  

I Ein reiches Haus: eine Familiengeschichte

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falls als Bankier; so lieh er auch verschiedenen Mitgliedern des Hofes Geld. Sein eigentliches Vermögen machte er jedoch nicht als Juwelier oder Bankier, sondern mit Silberraffinerien und in der Münzproduktion. Veitel Heine Ephraim war mit Elka Fraenkel verheiratet, die aus einer wohlhabenden Berliner Familie stammte. Er begann seine Karriere als Angestellter und dann Mitarbeiter im Silberhandel der Brüder seiner Frau. Ab 1746 war Veitel Heine Ephraim bereits in Leipzig im Silbergeschäft tätig. 1752 und 1754 belieferte er auch Johann Philipp Graumann, den preußischen Generalmünzmeister, mit Silber. Führende Vertreter der jüdischen Gemeinde Berlins waren wie Veitel Heine Ephraim im Silber- und Münzgeschäft tätig, aber es war keineswegs nur ein „jüdischer Beruf“. Viele Händler, Pächter und Verwalter der Münzstätten waren, wie Graumann oder der Bankier Johann Georg Eimbke, Christen.22 Graumann hatte versucht, das Münzwesen zu reformieren und zu vereinheitlichen; 1755 wurde er jedoch von Friedrich II. entlassen. Hier bekam Veitel Heine Ephraim seine Chance, das Geschäft sowie die Verantwortung zu übernehmen. 1755 pachtete er zusammen mit seinem Schwager Moses Fraenkel die Königsberger Münze.23 Es folgte die Münzstätte in Cleve, die später sein jüngster Sohn Benjamin Veitel Ephraim übernehmen sollte. Friedrich II. überließ ihm und seiner Firma weitere Münzstätten in der Nachfolge Graumanns. 1755 pachtete er die Münze in Aurich und baute zwischen 1760 und 1769 auf dem Auricher Schloss ein neues Münzgebäude. Dieses Geschäft sicherte dem König die Pachteinnahmen; die Schwankungen des Silberpreises und damit die Gewinn- oder Verlustmöglichkeiten wurden dem Pächter überlassen.24 Veitel Heine Ephraim stand als Münzpächter nicht alleine. Er hatte lange gegen das Konsortium, das sein Schwager Hertz Moses Gumperz mit Daniel Itzig und dessen Schwager Moses Isaak [Isaac] bildete, konkurriert und auch bisweilen gegen sie prozessiert, aber die die Situation änderte sich 1758 nach dem Tod von Gumperz. Veitel Heine Ephraim bildete nun mit Itzig und Isaak einen neuen Verbund. 1759 konnten sie sämtliche preußische und sächsische Münzen pachten, dazu 1760 die Münze in Bernburg. Gold und Silber wurde vor allem in Amsterdam

22 Vgl. Rolf Straubel: Kaufleute und Manufakturunternehmer. Eine empirische Untersuchung über die sozialen Träger von Handel und Großgewerbe in den mittleren preußischen Provinzen (1763–1815). Stuttgart 1995, bes. S. 196. 23 Bernd Kluge: Für das Überleben des Staates: Die Münzverschlechterungen Friedrichs des Großen im Siebenjährigen Krieg. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 59,1 (2009), S. 125–143, hier S. 131. Die preußischen Münzverträge sind wiedergegeben in: Friedrich Freiherr von Schrötter: Das Preussische Münzwesen im 18. Jahrhundert, bearb. v. Gustav von Schmoller. 4 Bde. (ser.) Die Acta Borussica. Berlin 1904–1908; s. hier III: 5. 24 Vgl. Treue (Anm. 19), S. 79.

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gekauft, aber auch auf der Hamburger Börse, wo es auch aus England bezogen wurde; ein Teil des Edelmetalls wurde auch durch Einschmelzen von Objekten gewonnen.25 1760 trennten sich Veitel Heine Ephraim und Itzig von Isaak nach einem Gerichtsprozess,26 nicht viel später, 1763, wurde die Firma aufgelöst.27 Veitel Heine Ephraim gründete eine neue Firma.28 Hatte er zuerst für und dann mit den Brüdern Fraenkel gehandelt, dann mit neuen Partnern gearbeitet, so folgte nun eine Firmengründung, welche seine Söhne Ephraim Veitel (1729–1803), Joseph Veitel (1730–1786), Zacharias Veitel (1736–1779) und Benjamin (1742–1811) miteinschließen sollte: „Ephraim & Söhne“. Einmal wird jedoch sogar die Tochter Roesel Veitel (1738–1803) zusammen mit ihren Brüdern bei einer Eingabe dieser Firma erwähnt.29 Veitel Heine Ephraim und seine Partner prägten nicht nur Geld, sondern auch Medaillen, und zumindest zwei folgten dem Design des Familienfreundes Mendelssohn: Die Medaille von 1761, die an die Schlacht von Liegnitz (1760) während des Siebenjährigen Krieges erinnert,30 und eine Medaille von 1762, welche den Friedensvertrag zwischen Preußen und Schweden feierte; beide wurden vom jüdischen Berliner Münzstecher Jacob Abraham gearbeitet.31 Vorschläge Mendelssohns für Münzen, die Inschriften nach Texten des Dichters Karl Wilhelm Ramler oder von Nicolai, Lessing und Friedrich den Großen tragen sollten, wurden nicht verwirklicht.32 Aber schließlich sollte die Firma Itzig das alleinige Monopol für die Prägung preußischer Münzen erhalten und ab 1773 führte das Handelshaus Ephraim & Söhne auch nur den Namen seines Gründers, Veitel Heine Ephraim.33

25 Gerhard Steiner: Drei preussische Könige und ein Jude. Erkundungen über Benjamin Veitel Ephraim und seine Welt. Berlin 1994, S. 35; s. auch Fritz Redlich: Jewish Enterprise and Prussian Coinage. In: Explorations in Entrepreneurial History III,3 (1951), S. 161–181. 26 Treue (Anm. 19), S. 96. 27 Stieglitz (Anm. 11), S. 92. 28 Lowenstein: The Berlin Jewish Community: Enlightenment, Family and Crisis, 1770–1830. New York 1994, S. 26. 29 Das Empfehlungsschrieben für Isaac Daniel Itzig, der die Interessen der Firma in Breslau vertreten soll, datiert vom 17. September 1776. Selma Stern: Der preußische Staat und die Juden. 3 Teile. III: Die Zeit Friedrich des Großen. 2 Abteilungen (ser.) Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts, 7–8, 24. (1925) Tübingen 1971, III/2: 1321. 30 Moses Mendelssohn, Brief an Fromet Gugenheim, 31. Juli 1761. In Mendelssohn: Brautbriefe. Königstein im Taunus 1985, S. 59. 31 Dolf Michaelis: The Ephraim Family. In: Leo Baeck Institute Year Book XXIV (1976), S. 201– 228, hier S. 209–210. 32 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 313. 33 Heinrich Schnee: Die Hoffinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren an deutschen Fürstenhöfen im Zeitalter des Absolutismus. Nach archivalischen Quel-

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Abb. 5a und b: Gedenkmünze, Schlacht bei Liegnitz am 15. August 1760.Vorderseite: Brustbild Friedrich II. Rückseite: Ein mit Trophäen behangener Pfahl (Tropeum) auf dem Schlachtfeld, 1761.

Abb. 6: Johann Friedrich Walther, Die königliche Gold- und Silbermanufaktur auf der Friedrichsstadt Berlin, Radierung, um 1730.

len. 5 Bde. Berlin 1953–1967. I: Die Institution des Hoffaktorentums in Brandenburg-Preußen. I:156; Treue (Anm. 19), S. 93–96.

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Lieferte Heine Veitel Ephraim ab 1737 Münzen für den preußischen König, so war das Münzgeschäft während des Siebenjährigen Krieges besonders lukrativ.34 Zwischen 1756 und 1763 musste Ephraim nicht nur das für das Wirtschaftsleben in Friedenszeiten notwendige Geld generieren, sondern ebenfalls die Kriegskasse Friedrich des Großen füllen um seine Soldaten zu unterhalten und Gebietsannexionen ermöglichen.35 Die Münzgeschäfte, die er deshalb auf Geheiß des Königs tätigte, waren besonderer Art, denn 1755 erließ der König die Direktive, die Münze, die in den im Siebenjährigen Krieg errungenen neuen schlesischen Gebiete im Umlauf war, zu verschlechtern; d. h. den Anteil an Edelmetall zu verringern.36 Das individuelle Geldstück hatte nicht mehr den materiellen Wert, den seine Aufschrift versprach. Es enthielt einen größeren Kupferzusatz. Die ersten dieser Geldstücke wurden in Dresden unter preußischem Stempel geprägt; dann wurden sie auch in preußischen Münzstätten hergestellt und ab 1759 in großer Zahl in Leipzig produziert. Als dieser besondere Betrug offenbar wurde, galt Heine Veitel Ephraim als Schuldiger. Dabei agierte er keineswegs alleine. Heinrich Carl von Schimmelmann hatte die Münze in Schwerin gepachtet und stellte ebenfalls minderwertiges Geld mit einem jedoch etwas geringerem Kupferzusatz her;37 Peter Friedrich Damm, der wie Schimmelmann auch die Armee belieferte, vor allem mit Leder, verdiente ebenfalls sehr am Münzgeschäft.38 Veitel Heine Ephraim war aber Jude, und dazu richtete sich gegen ihn auch mehr populärer Widerstand als gegen seine jüdischen Partner wie etwa Itzig, der in dieser Partnerschaft weniger in den Vordergrund trat. So kursierte bald der Spruch, dass das neue Geld zwar außen „Friedrich“ zeigte (dabei aber auch das Porträt August von Sachsens) und drinnen von „Ephraim“ gefälscht wurden: „Außen gut, innen schlimm, außen Friedrich, innen Ephraim.“39 Die Münzen wurden „Ephraimiten“ genannt und galten als jüdisches Geld. Und der Name Ephraim wurde landesweit bekannt.  

34 Eine Übersicht aller Münzaktivitäten findet sich auch bei Stern: The Court Jew. A Contribution to the History of Absolutism in Europe. Neue Ausgabe. New Brunswick 1985 (1950), S. 167–176. 35 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 288–332. S. auch Stern (Anm. 29), III/1: 227–254 und die III/ 1:237–239, Anm. 1 wiedergegebenen Akten des Geheimen Staatsarchivs. 36 Emil Bahrfeldt: Zur Münzpolitik Friedrichs des Großen. In Bahrfeldt: Brandenburgisch-preussische Münzstudien. Berlin 1913, S. 100- S. 118; hier S. 101. Bahrfeldt gibt eine genauere Darstellung der königlichen Direktiven. 37 Vgl. die Erinnerungen des Kunsthändlers Johann Ernst Gotzkowsky: Geschichte eines patriotischen Kaufmanns aus Berlin, von ihm selbst geschrieben, Augsburg 1789. Gotzkowsky, dessen Gemäldeverkäufe den Grundstock der St. Petersburger Hermitage lieferten und der auch für die Porzellanmanufaktur Meißen vermittelte, hielt „Ephraimiten“ bei sich (s. S. 21), handelte allerdings vor allem mit Heinrich Carl von Schimmelmann. 38 Stern, (Anm. 33), S. 175. 39 Vgl. Krüger (Anm. 8), S. 3; Fritz Redlich (Anm. 25), S. 161–181.

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Abb. 7a und b: Berliner Münzstätte-Konsortium Veitel Ephraim, Itzig & Co. Links: Neuer sächsischer August d’or; geprägt unter preußischer Besetzung; geprägt in Berlin mit gefälschtem Stempel, Vorder- und Rückseite, 1761–1762; Gewicht 6,58 g, größerer Durchmesser: 25,25– 25,56 mm, größere Dicke: 1, 44 mm. Statt Laubrand (wie Original) ein geriffelter Rand.

Mehrere Pamphlete dieser Zeit sind bekannt, die sich gegen ihn und seine Münzprägungen wandten, so die fiktive Briefsammlung Der gerechtfertigte Ephraim oder historische und beurtheilende Nachrichten über den vergangenen, künftigen, und gegenwärtigen Zustand des sächsischen Finanzwesens nebst einer Vergleichung der preußischen und sächsischen Oekonomie. Ein sehr nützliches Werk für alle Gläubiger, Correspondenten, Freunde und Feinde von Preußen und Sachsen. Durch den Juden Ephraim zu Berlin an seinen Vetter Manasse in Amsterdam (Erlangen (?) 1758); die Schrift stammte von Jean Henri Mauvert de Gouvest, wurde aber anonym veröffentlicht. Ihr folgten Der gezüchtigte Ephraim oder: Beantwortung der Schrift, welche unter dem Titel: Der gerechtfertigte Ephraim neulich im Drucke erschien (o.O., 1758) und Schreiben von Frankfurt am Mayn nach Leipzig über den gerechtfertigten Ephraim, insonderheit über die angeschuldigte preußische Gewalt und Empörung im Reich (Burg—Friedberg, 1758). Die Streitschriften, bei denen die letzten beiden sich auf die erste bezogen, waren Pamphlete von etwa 40 Seiten Umfang.40

40 Vgl. auch Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin. Festschrift zur zweiten SäkularFeier. Anmerkungen, Ausführungen, urkundliche Beilagen und zwei Nachträge (1871–1890). Mit einem Vorwort von Hermann Simon. Berlin 1988 (1871), S. 141.

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Abb. 8: [Jean Henri Mauvert de Gouvest], Der gerechtfertigte Ephraim, Titelseite, Erlangen (?), 1758.

Als Folge eines allgemeinen Aufruhrs wurde Veitel Heine Ephraim 1758 in Haft genommen, doch sehr bald entlassen.41 Schließlich kam die Direktive zur Prägung der Münzen nicht von der Prägeanstalt her, sondern vom Hof, der diese Anwei-

41 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 299.

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sung nicht öffentlich machte, aber seinen Hoffaktor doch schonen wollte. Dieser hatte ja mitgeholfen, den Krieg zu finanzieren und während diese Transaktionen ihn reich machten, ging der Hauptgewinn an den preußischen König, der seinen Staat dadurch finanziell konsolidieren konnte.42 So wird geschätzt, dass die Einnahmen aus den Schlagsatz zwischen 1759 und 1762 bereits 29 Millionen Taler überstiegen.43 Dabei war Veitel Heine Ephraim dem König während des Siebenjährigen Krieges auch mit großen Geldanleihen behilflich. Der Comte de Mirabeau berichtet etwa von seinem Besuch beim preußischen Hof von einem 1762 geliehenen Betrag: La maison du Juif Ephraim avoit fait payer à Constantinople deux cens mille écus pour le compte du Roi, pendant la guerre de sept ans. Cet argent étoit destiné à corrompre quelques Turcs, & le but fut manqué. Frédéric II a toujours remis le paiement de cette somme. Son successeur l’a fait rembourser hier aux héritiers Ephraim.44

1764 wurde der alte Münzstandard wiederhergestellt.45 Am 28. Januar 1764 befahl der König seinen Münzjuden, das im Krieg verdiente Vermögen zum Wohle des preußischen Staates anzulegen. Sie erhielten das Recht, Grundstücke als Anlage zu erwerben und Veitel Heine Ephraim investierte verstärkt in Manufakturen. So ist das Ephraim-Palais letztendlich das Resultat dieses Münzgeschäftes und steht auch für den siegreichen Siebenjährigen Krieg, durch den er sein Familienvermögen mehren konnte.46 Der Krieg ging 1763 zu Ende; 1766 stand der neue Bau. Ephraims Partner bei den Münzprägungen verdienten ebenfalls reichlich in diesen Jahren. Der Hofagent Daniel Itzig baute sich ein Palais in der Burgstraße in der Nähe des Mühlendamms, das allerdings nicht die gleiche Berühmtheit erlangen sollte und 1859 dem Bau der Berliner Börse weichen

42 Vgl. etwa Kluge (Anm. 23), S. 132, S. 134 und S. 135; Stern (Anm. 33), S. 239. 43 Peter Rauscher: Prekäre Güter. Hofjuden als Heeres- und Münzlieferanten in der Frühen Neuzeit. Ein Plädoyer für die (Re) integration einer jüdischen Elite in die Wirtschafts- und Finanzgeschichte. In: Aschkenas 2013; 23(1–2): S. 53–75; hier: S. 70. Treue (Anm. 19), S. 96; s. auch Kluge (Anm. 23). 44 Gabriel Riqueti, Comte de Mirabeau: Histoire secrete de la cour de Berlin, ou correspondence d’un voyager François, depius le mois de Juillet 1786 juisqua 19 Janviers 1787. Ouvrage posthume. Avec une lettre remise au Roi de Prusse regnant, de jour de son avanement au trone. 2 Bde. London 1789, II: 204; s. auch Michaelis (Anm. 31), S. 213. 45 Stern, (Anm. 33), S. 174; Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 298–311. 46 Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (Hg.): Juden in Preußen: Ein Kapitel deutscher Geschichte. Katalog der Ausstellung „Juden in Preußen“ Berlin 1981 (ser.) die bibliophilen Taschenbücher 259/60. Dortmund 1981), S. 78–9. Hinsichtlich der unterschiedlichen Gesetzesbestimmungen für Juden im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, s. die Dokumentation von Stern (Anm. 29).

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musste.47 Itzig sollte als erster und einziger Jude vor der Emanzipation der Juden in Preußen (und in Frankreich) im Mai 1791 die Bürgerrechte erhalten.48 Die Partner Ephraim und Itzig blieben sich auch nicht nur geschäftlich verbunden; spätere Heiraten schufen verwandtschaftliche Beziehungen, wie sie auch zwischen den Familien Ephraim, Fraenkel und Gumperz schon früh bestanden.49 Die Mitglieder der wenigen Schutzjudenfamilien Berlins heirateten oft unter einander und erhielten sich so das Aufenthaltsprivileg.50 Veitel Heine Ephraims Tochter Roesel heiratete Aron Moses Meyer, seine Tochter Edel Veitel (1728– 1803) heiratete Moses Riess. Meyer wie Riess waren ebenfalls wohlhabende Männer, die Veitel Heine Ephraim auch bisweilen in seine Geschäfte einband. Riess’ Vater Moses Aron war bereits mit einer Schwester Veitel Heine Ephraims verheiratet; Edel Veitel heiratete also ihren Cousin. Dieser gründete 1748 mit Isaak Bernhard eine Seidenmanufaktur und wurde dann auch Mendelssohns Geschäftspartner, als dieser die Fabrik in Berlin übernahm. Die vier Söhne Veitel Heine Ephraims wurden auch selbstständige Kaufleute, aber keiner konnte den großen geschäftlichen Erfolg des Vaters wiederholen. Dabei hielt die Ephraimsche Familie bis zu dieser dritten Berliner Generation noch an der jüdischen Religion fest. Nathan Veitel Heine Ephraim war bereits Oberältester der jüdischen Gemeinde in Berlin. Er war es, der den Rabbiner David ben Naphtali Fränkel, einen Bruder seiner Schwiegertochter Elka, 1742 als Oberrabbiner von Dessau nach Berlin holte und damit auch indirekt für den Umzug eines anderen Bewohner Dessaus verantwortlich war, nämlich dem des jungen Moses Mendelssohn, der seinem Lehrer nach Berlin folgen wollte.51 Nach dem Tode seines Vaters wurde Veitel Heine Ephraim Oberältester der jüdischen Gemeinde, und stand ihr ab 1749 vor.52 1750 wurde er zum ständigen Oberältesten der Judenschaft in den staatlich preußischen Provinzen bestimmt, und er hielt diese Positi-

47 Zu Daniel Itzigs Palais und seiner Familie, s. Liliane Weissberg: Münzen, Hände, Noten, Finger: Berliner Hofjuden und die Erfindung einer deutschen Musikkultur (ser.) Vorlesungen des Centrums für Jüdische Studien Graz 12. Graz 2018. 48 Vgl. Thekla Keuck: Hofjuden und Kulturbürger: Die Geschichte der Familie Itzig in Berlin. Göttingen 2011. 49 Vgl. die Tafel „Die Verbindung Itzig — Friedländer — Ephraim“ in Stieglitz (Anm. 11), eingefügt zwischen S. 212 und S. 213. 50 Vgl. Michaelis (Anm. 31), S. 201–228. 51 Geiger, (Anm. 40), S. 143. 52 Vgl. GStA PK 5538 II. HA Generaldirektorium Materien Tit CCXXXII Generalia Nr 14: Bestallung des Hofjuweliers Veitel Ephraim in Berlin zum ständigen Oberältesten der Judenschaften in sämtlichen preußischen Provinzen 1750–75. Die Akte enthält auch die Anweisung an die Berliner Judenschaft, nach dem Tode von Veitel Ephraim einen Juden für die Wahl zum Oberältesten zu benennen, Juli 1755.

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on bis zu seinem Tod im Jahre 1775. Er plante auch Tora-Talmud Schulen. So reichte er 1761 zusammen mit Daniel Itzig den Vorschlag ein, eine jüdische Armenschule in der Kurmark zu etablieren und erhielt dafür auch eine Konzession.53 1772 erhielt er die Konzession für eine Lehranstalt für jüdische Kinder in Berlin, aber der Bau und die Eröffnung der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt wurde erst posthum, 1783 verwirklicht. Die Lehranstalt wurde als Stiftung geführt. Der spätere Arzt und bekannte Philosoph Marcus Herz gehörte zu den Schülern dieser Schule. Die Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt kann als eine Vorläuferin der Berliner Jüdischen Freischule betrachtet werden, die nach den Ideen der Aufklärung geplant war,54 doch bestand die Lehrstiftung länger als die Freischule, nämlich bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein.55 Sie wurde von den Nationalsozialisten enteignet, doch agiert sie heute wieder, wenn auch im bescheidenen Rahmen.56 Durch seinen Besitz wie durch seine Tätigkeiten gab er ein komplexes Erbe an seine Kinder weiter.

II Bildung und Vermächtnis Benjamin Veitel Ephraim war der verwöhnte jüngste Sohn eines reichen Hoffaktors. Und während es ungewiss ist, ob Veitel Heine Ephraim je in seinem Palais wohnte, kann an dem späteren Wohnsitz dieses Ephraims und seiner Familie am Mühlendamm kein Zweifel bestehen. Sein Vater hatte das Haus mit Säulen geschmückt; der Sohn trug auf seine Weise zu der Innenausstattung des Hauses bei. Er war es wahrscheinlich, der 1764 eine Reihe niederländischer Gemälde auf einer Auktion des Berliner Bankiers und ehemaligen Münzdirektors Eimbke erwarb. Ein

53 GStA PK. 5548.II HA Generaldirektorium (Abt 14) Kurmark Materien Tit CCXXXII Generalia Nr. 24: enthält den Plan von Ephraim & Söhne und Daniel Itzig zur Einrichtung einer jüdischen Armenschule und die ihnen erteilte Konzession 1761–1762. 54 Karl E. Grötzinger (Hg.): Die Stiftungen der preußisch-jüdischen Hofjuweliersfamilie Ephraim und ihre Spuren in der Gegenwart. Mit Beiträgen von Harry van der Linden und Karl E. Grötzinger (ser.) Jüdische Kultur 19. Wiesbaden 2009. Zur jüdischen Freischule und ihrer Vorgeschichte, s. Ingrid Lohmann (Hg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778–1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung (ser.) Bildungsgeschichte in Deutschland 1, Hamburg 2001; s. auch Britta L. Behm: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin (ser.) Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland 4. Münster 2002. 55 Harry van der Linden: Die Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt. In: Grötzinger (Anm. 54), S. 13–53. 56 Anke Geißler-Grünberg, Lisa Trzaska: NS-Raubgut. Forschungsbericht zur Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Potsdam 2014–2018. Potsdam 2018, S. 20–30.

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Exemplar des Sammlungskatalogs mit handschriftlichen Eintragungen hinsichtlich der Käufe Ephraims ist erhalten.57 Ephraim legte damit den Grundstock für eine Bildergalerie, die sich in dem Palais befand. Nicolai sollte 1786 in seinem Führer der Residenzstadt Berlin einige Gemälde beschreiben, die sich in seinem Besitz befanden: […] unter diesen sind die folgende die vorzüglichsten: eine Mutter mit vier Kindern, das kleinste sitzt auf ihrem Schooße, eines liest aus einem Buche der Mutter seine Lektion her, das dritte hält ein Buch unter dem Arm, und das vierte giebt dem auf dem Schooße sitzenden Kinde Blumen; halbe Figuren, von Boulogne. Zwey Figuren in einer Landschaft, von Salvator Rosa. Die drey Göttinnen beym Paris, und Pluto, wie er Proserpinen entführt, von G. Hoet. Ein Bettler und ein Savoyard in Lebensgröße, von M. A. Caravagio. Die Flucht der Maria mit dem Kinde Jesu nach Egypten, von Poelenburg. Ein Kopf mit Lorbeeren gekrönt, von Dominichino. Zwei Landschaften von C. Poussin. Zwey Landschaften von Locatelli. Ein Blumenstück von R. Savery.58

Aber auch sein Bruder Zacharias Veitel Ephraim schien zumindest in späteren Jahren eine Bildersammlung in seiner Wohnung in der Friedrichstraße zu besitzen, zu der vielleicht auch einige der niederländischen Werke gehörten, die sein Bruder einst ersteigert hatte.59 Die Gebrüder Ephraim gehörten mit Daniel Itzig und dem Arzt Josef Fliess zu den ersten jüdischen Kunstsammlern der Stadt.60 Der Vater hatte sein Haus gebaut, das fast einem Adelssitz gleichkam, und Benjamin Veitel Ephraim besaß auch eine Equipage, wie es sich für einen reichen Mann verstand.61 Die sozialen Grenzen in Preußen waren jedoch streng gezogen.

57 Ein Exemplar des Katalogs der Sammlung, J.G. Eimbke: Beschreibung seiner Sammlung verschiedener Original Gemählde von Italienischen Holländischen, &c Meistern. Berlin 1761, wurde mit handschriftlichen Anm. hinsichtlich der Käufe Ephraims versehen und befindet sich im Märkischen Museum Berlin; s. Michael North: Kunstsammeln und bürgerlicher Geschmack im 18. Jahrhundert. Tagung vom 17. Bis 18. November 2000 in Potsdam. In: Aufklärung (2001), S. 107–110; hier S. 110; vgl. Steiner (Anm. 25), S. 24. 58 Nicolai (Anm. 5), II: 838. Bei Poussin handelt es sich wahrscheinlich um den französischen Barockmaler Nicolas Poussin; das C. mag von einem anderen Maler der Barockzeit stammen, der ebenfalls für seine Landschaften bekannt war, Claude Lorrain. 59 Vgl. Johann Joseph von Huber, Handbuch für Künstler und Freunde der Kunst enthaltend das Leben von 50 der berühmtesten Maler aus allen Schulden mit ihren Bildnissen und einem Verzeichniß ihrer Werke in den Kirchen, Pallästen, Gallerien und Kabineten von Europa mit Bemerkung davon vorhandener Kupferstiche. 2 Bde. Augsburg 1819, II: 397. Damit war Benjamin Veitel Ephraim keineswegs der Einzige der Brüder, die schon früh eine Kunstsammlung besassen, s. dagegen Rachel und Wallich (Anm. 15), S. 343. 60 Zu Itzig und Fliess, s. ebenfalls Nicolai (Anm. 5), II: 839 und II: 838. 61 GStA PK. 5742 II. HA Generaldirektorium A Tit xxvi sekt. 1, Nr. 3. Neue Handelseinrichtungen und Maßnahmen zur Förderung des Handels. Bd I: 1786–1787. Darin: Veitel Ephraims Erben. Ver-

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Der Vater handelte bereits für den Hof, aber seine gesellschaftlichen Kontakte hielten sich vor allem innerhalb der jüdischen Gemeinde, auch wenn Nachbarn, Mieter und Geschäftskunden keine Juden waren. Die Familie sprach in dieser Generation vor allem ein westliches Jiddisch, das im Unterschied zu der Sprache der Juden Polen-Litauens kaum slawische Worte enthielt. Dazu mussten die Söhne schon früh Hebräisch lernen, um Bibel und Talmud lesen und am Gottesdienst teilnehmen zu können. Dafür wurde, wie bei allen wohlhabenden Berliner Familien, ein Hauslehrer angestellt, der aus Polen kam, religiös war und die Texte in einer traditionellen Jeschiwa studiert hatte. Ephraim hielt von seinem Lehrer wenig und bezeichnete seinen formalen Schulunterricht als minimal.62 Er merkte an, dass er von einem Unteroffizier der preußischen Armee als junger Mann drei Monate lang Unterricht in der deutschen Sprache erhielt.63 Aber er sprach selbst im Alter wohl kein ganz korrektes Deutsch; seine deutschen Briefe und Schriften zeigen grammatikalische und stilistische Eigentümlichkeiten. Ephraims Mutter wählte die Bücher für seinen Unterricht aus. Elka Ephraim war die Tochter des (Naftali) Hirsch Neumark Mirels Benjamin Fraenkel und kam aus einer wohlhabenden Berliner Familie, deren Mitglieder in der jüdischen Gemeinde Führungspositionen übernahmen. Sie hatte eine gute Erziehung genossen, die nicht unbedingt den Hebräisch-Unterricht miteinschloss, der für Mädchen nicht üblich war. Für ihren Sohn Benjamin wählte sie nun die deutsche Lektüre aus und diese beschränkte sich vor allem auf Luthers Bibelübersetzung — Mendelssohns Übersetzung erschien erst 1780.64 Ephraim lernte ebenfalls Französisch, aber auch diese Sprache schrieb er nie ganz fehlerfrei. Ein eifriger Schüler war Ephraim nicht. Als Halbwüchsiger widmete er sich Geselligkeiten, gab viel Geld aus, und vernachlässigte seine Studien. „Zu Anfang des Siebenjährigen Krieges begingen meine Eltern die Unvorsichtigkeit, mir jungen Menschen von 16 Jahren die Kasse anzuvertrauen. Ich wurde äußerst ausschweifend“, gesteht da der Sohn.65 Die besorgte Mutter wandte sich daher an Lessing, von dem sie sich Autorität und pädagogischen Beistand erhoffte. Lessing

zeichnis der Berliner Bürger, die über Equipagen und Stallbediente sowie Domestiken verfügen, April 1788, darunter Benjamin Veitel Ephraim. 62 Benjamin Veitel Ephraim: Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens. 2. Aufl. Dessau 1808; hier und anderswo zitiert nach dem vorliegenden Band, S. 163. 63 Ephraim (Anm. 62), S. 163. 64 Mendelssohn begann mit der Veröffentlichung seinen Übersetzungen 1770, s. Mendelssohn: Buch der Rolle Kohelet mit kurzem und zum Verstehen des einfachen Sinnes der Verse genügendem Kommentar zum Nutzen der Schüler. Berlin 5530 (1770); Übersetzung und Kommentar des Pentateuch erschienen 1780 bis 1783. 65 Ephraim (Anm. 62), S. 164.

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wohnte in der Nachbarschaft und hatte mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Kontakt, vor allem mit Mendelssohn, den die Familie sehr gut kannte. Ephraims Vater wollte ihn sogar ins Münzgeschäft holen und Nicolai schrieb dazu: Moses hatte von dem Charakter des im Siebenjährigen Kriege so bekannt gewordenen Münzentrepreneurs Heyne Veitel Ephraim, des Vaters, keine gute Meinung. Die Kontrakte über das Ausmünzen des geringhaltigen Geldes waren vom Könige dem General Tauenzien aufgetragen, und folglich hatte Lessing unmittelbar damit das meiste zu thun. Moses haßte diese Münzentreprise aufs äußerste; weil er sie für das hielt, was sie war: für unrecht. Er wollte auch nicht das geringste damit, selbst nur mittelbar, zu thun haben, ungeachtet ihm der alte Ephraim sehr glänzende Vorschläge that, um ihn dabey zu brauchen. Außer der eigentlichen Unternehmung selbst, die er für höchst unrecht hielt, waren ihm auch die Nebenintrigen, wodurch oft dieses oder jenes eingeleitet und durch die dritte oder siebente Hand erlangt wurde, sehr verhaßt, Daher warnte er seinen Freund Lessing. Lessing hat sich auch, wie jeder bezeugt, der von den Sachen weiß, höchst billig, gerade und uneigennützig bey diesem Geschäft betragen.66

Mendelssohn hatte eine Beschäftigung bei Ephraim abgelehnt; Lessing hingegen begab sich 1760 als Sekretär in die Dienste Friedrich Bogislav von Tauentzien, der im Siebenjährigen Krieg als General diente und für Verträge mit schlechten Münzen zeichnen sollte.67 In Berlin allerdings sollte Lessing den verantwortungslosen Sohn auf den rechten Weg bringen. So erinnerte sich Ephraim: Meine selige gottesfürchtige Mutter, deren Wohlthätigkeit gewiß auffallend merkwürdig ist, denn es vergingen wenige Nächte, wo sie nicht aus dem Bette geholt wurde, um Kranken oder Wöchnerinnen ihren Beistand zu leisten, und selten von solchen Hülfsbedürftigen wegging, ohne ihnen 2, 4 bis 10 Friedrichsd’or unter das Kopfkissen zu legen, – von welcher Religion sie auch sein mochten; – diese gute Mutter kränkte sich über meine Ausschweifung; hatte aber den guten Einfall, sich an den sel. Lessing zu wenden. Er tröstete sie und sagte: „hat nichts zu sagen. Er kann Leidenschaften haben, ist aber nicht böse; lassen sie mich machen“. Eines Tages kam er zu mir, und nachdem er ungewöhnlich lange sich mit mir unterhielt, sagte er: „Jeder vernünftige Mensch muß Herr über sich sein“. Sie müssen einmal versuchen, ob sie ganz ohne rauschende Gesellschaft, sechs Monat leben können. „Was soll ich aber mit meiner Zeit anfangen? erwiederte ich“. Welche Frage! – lernen sie Sprachen rc. Dies war genug, um mich zu bestimmen; ich lernte englisch und latein.68

66 Friedrich Nicolai annotiert hier einen Brief Gotthold Ephraim Lessings an Mendelssohn vom 7. Dezember 1760; s. Lessing: Sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausg. 13 Bde. Berlin 1840, XIII: 145 Anm. 67 Stern, (Anm. 33), S. 176. 68 Ephraim (Anm. 62), S. 164.

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Lessing ermutigte den jungen Ephraim nicht nur dazu, Sprachen zu lernen, er förderte auch dessen Interessen. Dieser war besonders von der Polizei- oder Kameralwissenschaft angetan, einer Disziplin, die Politik- und Wirtschaftswissenschaft miteinander verband; camera verwies auf die Finanzkammer eines Prinzen oder Staates. So fuhr Ephraim fort: Ich hörte sehr oft meinen Vater sagen, daß der Magister Lessing einer der größten Männer sei. – Derselbe machte zuweilen Vorstellungen für ihn an den König und andre Behörden. – Dies merkte ich mir, ging zu ihm und bat ihn um einige Bücher; er gab mir Krügers Naturlehre. […] Ich las über vier Wochen in jenem Buch und brachte es dem Magister wieder. Er schlug es auf, ließ mich laut lesen und examinirte mich. Er lachte über meinen Kommentar, und sagte: Scharfsinn genug, aber kein Wort von dem was darin enthalten ist. In der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts begann der Streit, oder vielmehr der Federkrieg zwischen den Amerikanisch-Englischen Kolonien und dem Mutterlande, worüber jeder politisirte, aber ohne Sachkenntniß. Die Deutschen hatten so zu sagen, keinen einzigen guten statistischen Schriftsteller, aber Schmierer und Kompilateurs genug, z. B. Just, v. Bielefeld, Sonnenfels rc. Da ich einen Hang zur Staatswirtschaft äußerte, so rieth der sel. Lessing mir, gedachte Schriften zu lesen.69  

Lessing empfahl ihm die Lektüre von Johann Gottlob Krügers Naturlehre, Bücher von Johann Heinrich Gottlob Justi, Jacob Friedrich Bielfeld und Joseph von Sonnenfels, sowie englische Texte zur Ökonomie. Da diese Schriften oft nicht übersetzt waren, musste Ephraim nicht nur besseres Französisch, sondern nun auch Englisch lernen. Und während der Vater von dem Siebenjährigen Krieg profitiert haben mochte, beschäftigte sich sein Sohn mit der Auseinandersetzung der amerikanischen Kolonien mit dem Mutterland, die zur amerikanischen Revolution führen sollten und 1776 sogar zur Unabhängigkeit der neuen Vereinigten Staaten. Ephraims Eltern hatten Lessing wahrscheinlich durch Mendelssohn kennengelernt, aber dieser verwies den jungen Mann bald wieder an den jüdischen Philosophen zurück, der ihm mit seinem Bildungsprogramm weiterhelfen sollte.70 Dieser empfahl keineswegs hebräische Texte, sondern riet Ephraim, Montesquieus De l’esprit des lois zu lesen wie auch Werke von David Hume. Wahrscheinlich studierte er auf Mendelssohns Rat hin auch Mathematik. Das Studium der Mathematik war bei den jungen aufgeklärten Juden dieser Zeit weit ver-

69 Ephraim, (Anm. 62), S. 165. 70 Mendelssohn, Brief an Ephraim Veitel Ephraim, 26. April 1785. In Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, in Gemeinschaft mit F. Bamberger et al. ; begonnen von I. Ellbogen, J. Guttmann, E. Mittwoch ; fortgesetzt von Alexander Altmann et al. 24 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 1971–, XIII: 276.

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breitet,71 das Studium der Wirtschaftswissenschaften und Politik allerdings nicht. Welchen Berufsweg konnte ein junger Jude mit diesen Interessen einschlagen, der selbst nicht einmal Bürgerrechte besaß? Und besonders ein junger Jude aus dem Hause Ephraim, dessen Berufsweg als Geschäftsmann und Bankier bereits vorgezeichnet war? Ab 1757 begleitete Benjamin Veitel Ephraim seinen Vater zur Leipziger Messe und er fuhr mit ihm auch nach Lübeck und begleitete ihn auf andere Geschäftsreisen. Nachdem Preußen im Juni dieses Jahres die Schlacht bei Kolin verlor, flohen Vater und Sohn sogar kurzfristig nach Kopenhagen; von Lübeck aus organisierten sie dann die Versorgung der Festung Kolberg während ihrer Belagerung. Ephraim half seinem Vater beim Handel mit polnischem Getreide, bei dem auch zeitweise Herz beteiligt war.72 Sie kauften Getreide zur Verpflegung der preußischen Bevölkerung auf und schlossen Verträge für die Verpflegung der preußischen Armee. Ephraim war jedoch für ein Familiengeschäft bestimmt, das sich besonders auf die Verarbeitung und den Handel mit Edelmetall konzentrierte.73 Bis 1754 war Veitel Heine Ephraim vor allem nur Silber- und Metalllieferant gewesen und das Silber für die Raffinerien und Schmelzen wurde zumeist aus dem Ausland bezogen, etwa aus Holland. Dort besaß er eine Silberschmelze, für die auch der jüdische Aufklärungsphilosoph Naphtali Herz Wessely, ein Freund Mendelssohns, gearbeitet hatte.74 Ephraims ältester Bruder Ephraim Veitel wurde nach Amsterdam gesandt, um die dortige Silberschmelze, die der Vater zusammen mit einem Kompagnon besaß, zu leiten. Benjamin Veitel ging dann 1761, gerade 19 Jahre alt, nach Holland, um seinen Bruder hinsichtlich der Leitung der Silberschmelze abzulösen. In Amsterdam entschied sich auch sein privates Schicksal. Ephraim traf Gutche [Jeannette] Phillip [Philipp] und heiratete sie. Die Braut war die Tochter des wohlhabenden Kaufmanns Levin Moses Philipp, der eine Metallschmelze im nahen Ijmuiden besaß und kein Fremder war; er war ein Cousin von Ephraims Vater.

71 Die Mathematik war Teil des philosophischen Denkens und als Disziplin der Aufklärung angesehen; so verstanden sich auch Lazarus Bendavid und Salomon Maimon etwa als Mathematiker und veröffentlichten zum Fach. 72 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 330. 73 Viele der Akten, welche die Geschäftsverbindungen der Firma Benjamin Veitel Ephraims und Ephraim & Söhne sowie der Verwandten Ephraims betreffen, inklusive von Geschäftsverträgen, und Abkommen, sind erhalten und in den Unterlagen jüdischer Händler in Preußen integriert; sie füllen alleine im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz 79 Bände. S. Stefi Jersch-Wenzel und Reinhard Rürup: Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer. 6 Bde. München 1996–2001; hier Bd. 2: Geheimes Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz. 74 Michaelis (Anm. 31), S. 209.

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Mendelssohn, der väterliche Freund, sollte sich mit seiner Verlobten, Fromet Gugenheim, über diese Verbindung beraten, denn diese hatte das junge Ehepaar bereits in Hamburg kennengelernt. So schrieb er ihr: Es freut mich daß unsere Urteile über Frauenzimmer ebenfalls übereinstimmen. Ich habe, wie Sie wissen, von Madame Gutche dieselbe Meinung, die Sie von ihr hegen. Sie ist klug, artig, bescheiden, spricht wenig, aber vernünftig. Kurz, wenn sie nicht durch Schmeichler oder durch die Eitelkeit verdorben wird, so hat Herr Benjamin glücklich gewählt. Damit ich aber auch etwas tadle, möchte ich fragen, ob sie nicht für ein Frauenzimmer von 17 oder 18 Jahren etwas zu kalt ist? Mir hat es gescheint, andere widersprechen mir auch hierin. Doch ich habe sie bei allzu wenig Gelegenheiten kennenlernen, um richtig urteilen zu können.75

Ephraim kaufte und übernahm Philipps Schmelze und wollte hierbei sein eigenes kaufmännisches Geschick beweisen. Amsterdam war ein bedeutender Hafen, hier lieferten Schiffe Metalle aus den Übersee-Kolonien. Aus dem Osten kam auch das Silber der notleidenden polnischen Aristokraten nach Amsterdam, das hier eingeschmolzen wurde. Gutche half Ephraim bei seinen Geschäften und gebar ihm in Holland zwei Töchter: Edel [Adele, Adelheid] (1763–1840), die später einen Major Philipp heiraten sollte, und Jente [Janny, Sophie Jeannette] (1764–1843), die spätere Ehefrau des Arztes Johann Stieglitz [Israel Hannover], eines Jugendfreundes Wilhelm von Humboldts. Eine dritte Tochter, Elka (1774-nach 1848), die spätere Ehefrau von Julius [Jüdel, Jehuda, dann Eduard] Saulson, und in zweiter Ehe von N.[atan?] Emmerich, kam später in Berlin zur Welt. In Amsterdam erfand Benjamin Veitel Ephraim verschiedene neue Verfahren für die Silberschmelze, aber investierte viel und konnte keine Gewinne erzielen. Er kehrte schließlich mit Ehefrau und Töchtern nach Berlin zurück. Dort zirkulierten bald skandalöse Gerüchte über einen Versicherungsbetrug. Ein ehemaliger Mitarbeiter und Miterbauer des Schmelzwerkes war der deutschschweizer Architekt und Ingenieur Joachim Heinrich Müntz,76 der einst für den neo-gotischen Landsitz Strawberry Hill des englischen Politikers und Schriftstellers Horace Walpole arbeitete.77 In seiner Ausführlichen Beschreibung von dem Silber- und KupferSchmelzwerk berichtet Müntz das Folgende:78

75 Mendelssohn, Brief an Gugenheim, 20. November 1761. In: Mendelssohn (Anm. 30), S. 165. 76 Vgl. Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 343. 77 James Stevens Curl: A Dictionary of Architecture. Oxford 1999, S. 441. 78 Johann Heinrich Müntz. Ausführliche Beschreibung von dem Silber- und Kupfer-Schmelzwerk, von denen Ofen […] aufgerichtet zu Muiden beij Amsterdam. Eigenthümer davon Herr B.V. Ephraim, mit accuraten und vollständigen Rissen versehen durch Johann Heinrich Müntz, Architekt und Metallurg. 1769, 1770.

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Der Herr Ephraim nahm plötzlich die Flucht nach Deutschland, um sich des Scharfrichters Hand zu entziehen. Die Ursache ist allzu schnöde, um verschwiegen zu bleiben. Der Kasus ist kürzlich dieser: Der Herr Ephraim hatte mit einem Schiffer und einigen anderen schelmischen Juden ein Komplott gemacht, um einen Assekuradeur um 30 bis 40 000 fl. zu betrügen. Der Schiffer nahm eine der Ladungen Schlacken, in Fässern gepackt, und fuhr damit nach Hamburg. An diesem Ort wurden die Schlacken ausgeladen, wiederum eingeschifft und als kostbare Waren angegeben. Ephraim ließ hierauf circa 40 000 fl. assekurieren. Der Schiffer segelte ab und auf einer gewissen Höhe auf See bohrte er sein Schiff in den Grund. Ephraim kam um die versicherte Summe ein. Als aber der Assekuradeur den schnöden Betrug entdeckte, nahm Ephraim plötzlich die Flucht. Der Schiffer mit einem Juden wurde gefangen, zur Verantwortung gezogen, überführt, mit dem Strick um den Hals gegeißelt, gebrandmarkt und auf 50 Jahre ins Zuchthaus geschickt. Dies alles hat sich zugetragen im Sommer 1769 und Frühling 1770.79

Ephraim schrieb später, dass er bereits 1768 nach Berlin zurückgekehrt war.80 Stimmte die Geschichte, die Müntz erzählte? Sie kann nicht verbürgt werden, wurde aber weithin verbreitet. Ephraim verkaufte die Silberschmelze in Holland erst 1773.81 In Berlin widmete er sich erneut dem Familiengeschäft, doch das große Münzgeschäft war zu Ende. Der Krieg war lange vorbei; Itzig hatte inzwischen auch das Präge-Monopol übernommen. Dutzende noch erhaltener Prozessakten zeugen darüber hinaus von den Risiken und Schwierigkeiten der Geschäfte mit den Silberraffinerien und der Arbeit in den Prägeanstalten.82 Der Ephraimsche Silberhandel ging jedoch weiter. Zwischen 1763 und 1764 hatte Benjamin Veitel Ephraim noch eine Konzession auf eine Silberraffinerie in Berlin; Akten über Silberraffinerien am Mühlendamm oder am Schiffbauerdamm sind noch bis 1787 erhältlich.831774, kurz vor dem Tod seines Vaters, gründete die Ephraimsche Firma auch eine Gold- und Silbermanufaktur in Breslau, welche Waren bis nach der Türkei und Ostindien verschiffen sollte.84 Aber dieses Geschäft blieb von nur kurzer Dauer. Ephraim und seine Brüder konzentrierten sich auf andere Erwerbsmöglichkeiten. Ephraim Veitel Ephraim

79 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 344–345. 80 Steiner, der versuchte, die Ereignisse jener Zeit zu rekonstruieren, zweifelt an ihren Wahrheitswert der Gerüchte, s. Steiner. (Anm. 25), S. 28–29. 81 Steiner, (Anm. 25), S. 29. 82 Jersch-Wenzel und Rürup (Anm. 73), II: 665–668; GStA PK. I. HA Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/1810 II 4b Nr. 542 (1767–99), 543 (1774), 545 (1786), 546 (1801), 551 (1767–1773), 552 (1768), 553 (1768–1769, 1806), 554 (1770), 557 (1798–99), 558 (1808–1809), 559 (1810–1811). 83 Steiner (Anm. 25), S. 31. 84 GStA PK. I. HA. Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10. 6510II 4b3 Nr. 543: Einrichtung einer Niederlage in Breslau durch die Unternehmer der Gold- und Silbermanufaktur Geschwister Ephraim, 1774.

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arbeitete vor allem als Juwelier und etablierte eine elegante Wohnung in den Unter den Linden 15.85 1782 erhielt er von dem damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm den Titel eines „Wirklichen Hof-, Krieges- und Cammer-Agenten“.86 Er engagierte sich auch weiterhin in vielen Geschäften zusammen mit seinen Brüdern. Die gemeinnützige Ephraim’sche Stiftung, die 1799 testamentarisch von ihm eingerichtet wurde und für Bildungseinrichtungen wie wohltätige Zwecke gedacht war, sollte die Jahrhunderte überleben; sie wurde ebenfalls von den Nationalsozialisten enteignet, aber existiert heute noch in reduzierter Form.87 Joseph Veitel Ephraim handelte weiterhin mit Edelmetall, aber suchte 1784 eine Wollzeugfabrik zu erwerben.88 Zacharias Veitel Ephraim handelte mit Edelmetall, aber auch mit Seide. Er wohnte in der Friedrichstraße, aber etablierte in seinem Haus an der Spandauer Brücke eine Manufaktur zur Seidenfärbung. Er adaptierte einen neuen Färbeprozess für das Material, der bereits in Holland populär war.89 Zusammen mit seinem Sohn Heyman Zacharias Veitel Ephraim gründete er ebenfalls eine wohltätige Stiftung.90 Die Ephraim-Brüder unterstützten jüdische Bildung und jüdisches Leben jedoch nicht nur durch großzügige Stiftungen. So subskribierten sie auch die Pentateuch-Übersetzung Mendelssohns und kauften zahlreiche Bücher — Benjamin Veitel bestellte 5, Joseph Veitel bestellte gleich 20 Exemplare.91 Durch eine königliche Ordre vom 22. April 1761 hatte der Vater für sich und seine Nachkommen die gleichen Rechte wie christliche Kaufleute erhalten In diesem Jahr bewarb sich Veitel Heine Ephraim um eine Aufnahme in eine Berliner Freimaurer-Loge, bei der ein guter Leumund wichtig war; einige Bewohner seiner Häuser, auch in späteren Jahren des Palais am Mühlendamm, gehörten wie auch 85 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 335. 86 Julius Schoeps, Ephraim Veitel Ephraim – Ein Vorkämpfer der Judenemanzipation. In: Mendelssohn Studien 2 (1975), S. 51–70, hier S. 59. 87 Grötzinger: Die „Ephraim Veitel Stiftung“. Ephraim Veitels Testament, Satzungen und deren Deutungen—Dokumente einer deutsch-jüdischen Geschichte. In: Grötzinger (Anm. 54), S. 103– 172. Als „executores“ seines Testaments vom 6. Februar 1799 waren zwei Männer der jüdischen und ein Mann der „herrschenden“ Nation vorgesehen; s. https://ephraim-veitel-stifung.de/stif tung/stiftungsgeschichte/ (Zugriff August 2020). Das Testament befindet sich im Landeshauptarchiv Brandenburg. 88 Brigitte Meier: Jüdische Seidenunternehmer und die soziale Ordnung zur Zeit Friedrichs II. Moses Mendelssohn und Isaak Bernhard. Interaktion und Kommunikation als Basis einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung (ser.) Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 52. Berlin 2007, S. 218. 89 Michaelis (Anm. 31), S. 218. 90 Grötzinger: Zacharias Veitel Ephraim (1736–1779), dessen Sohn Heyman Zacharias Veitel Ephraim (1760–1799) und ihre Stiftungen. In: Grötzinger (Anm. 54), S. 173–190. 91 Meier (Anm. 88), S. 218–219.

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Lessing Freimaurer-Logen an.92 Das Privileg gab ihm nämlich auch die Möglichkeit, Grund zu besitzen; zuvor durften Juden nur ein Wohnhaus erwerben, in dem sie wohnten. Neben dem Handel gab es für seine Söhne nun die Verwaltung von Grundbesitz. Veitel Heine Ephraim hatte von seinem neuen Recht reichlich Gebrauch gemacht. Seine zahlreichen Investitionen in Grund und Boden bewiesen auch sein Vertrauen in den preußischen Staat. Nathan Veitel Ephraim hatte noch Stadt und Staat gewechselt, er war vom dänischen Altona ins preußische Berlin gezogen. Sein Sohn und dessen Söhne waren zuversichtlich über ihr Bleiberecht in dieser Stadt. Veitel Heine Ephraim kaufte und vermietete Wohnungen und Häuser und etablierte auch Betriebe in neu erworbenen Gebäuden. Er besaß neben dem Haus in der Spandauer Straße, das bereits seinem Vater gehörte und in dem er wahrscheinlich wohnte, bereits seit 1746 das Haus Königstraße 14.93 Als Veitel Heine Ephraim 1775 starb, vererbte er seinen Söhnen auch zwei weitere Häuser in der Spandauer Straße, ein Haus am Kanal in Potsdam, sowie Häuser in Breslau, Magdeburg und Ostpreußen. Sein Grundstücksvermögen wurde zu dieser Zeit auf etwa 400 000 Thaler geschätzt.94 Es ist dokumentiert, dass seine Söhne im Mai 1776 zumindest eine der Liegenschaften veräußerten, eine holländische Mühle vor dem Halleschen Tor, die sie zusammen mit Aron Mayer besaßen. Zu der Mühle gehörten Wirtschaftsgebäude, Gärten und mehr.95 Der jüngste Sohn wohnte im Palais am Mühlendamm, aber nutzte auch einen Garten am Schiffbauerdamm, den sein Vater 1761 erworben hatte. Das Gelände war einst in adeligem Besitz und hatte dem Grafen Alexander Hermann von Wartensleben gehört.96 Im Garten befand sich auch ein Sommerhaus mit zwei Seitenflügeln und einer Orangerie, in der Nähe die Ephraimsche Silberraffinerie. Veitel Heine Ephraim hatte 1762 den Gartenarchitekten Joachim Ludwig Heydert, einen königlichen Hofgärtner in Potsdam, mit dem Entwurf des Gartens beauftragt.97 Es war, wie es in einer späteren Beschreibung hieß, ein prachtvoller Garten, „in welchem sechs Kolossalstatuen von Schlüter standen […], ursprünglich dazu bestimmt, die Balus-

92 Karlheinz Gerlach: Die Freimaurer im alten Preußen, 1738–1806. Die Logen in Berlin. Teil I. Innsbruck 2014, S. 159; s. auch die Listen der Mitglieder von Logen mit Wohnsitz im Ephraim-Palais u. a. Ephraimscher Häuser. Der spätere Besitzer des Palais, Carl Heinrich Ulrici, gehörte ebenfalls einer Loge an. 93 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 311–12. 94 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 312–313. S. Michaelis (Anm. 31), S. 211. 95 Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen 60 (18. Mai 1776), S. 316. S. auch Steiner (Anm. 25), S. 31–31. 96 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 312 Anm. 97 Vgl. Steiner (Anm. 25), S. 122.  

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trade des königlichen Schlosses zu schmücken, und ein schönes Landhaus im Barockstil, welches von einer riesigen Platane beschattet ward“.98 Nicolai schreibt: Der Ephraimsche Garten, dessen Hinterteil grenzt an den gräflich Reussischen Garten; die reizenste Partie desselben ist eine von den schattigen Spaziergängen umgebene Wiese. Hier stehen auch sechs, zehn bis zwölf Fuss hohe Statuen nach Schlüters Erfindung, welche auf die Brustgeländer, auf dem Dach des Schlosses haben sollen gesetzt werden. Es sind: Merkur, Juno, Bacchus, Flora, Leda und Venus. Noch ist in einem Gebüsche ein artiges Kabinet, welches von einem einzigen Platanusbaum, dessen Zweige sich sehr ausbreiten, beschattet wird.99

Der Sohn lud in den Sommermonaten nun Gäste dorthin ein.100 Allerdings war der Garten um die Wende zum 19. Jahrhundert nicht mehr im allerbesten Zustand und verwilderte ein wenig, da das Testament Veitel Heine Ephraims die Verantwortung für die Aufrechterhaltung zunächst allen Kindern zusprach, die sich individuell daher keine große Mühe mit ihm gaben.101 Für Benjamin Veitel Ephraim wurde es jedoch ein populärer Ort sommerlicher Gesellschaften. Er brachte dort jüdische und nichtjüdische Gäste zusammen und es waren durchaus nicht nur Kaufleute, die ihn besuchten, sondern auch Musiker und Literaten. So heißt es in Carl Friedrich Zelters Erinnerungen, dass er bei Ephraim „Gelehrte, Dichter und Künstler“ getroffen und dort auch „zuerst Moses Mendelssohn, Ramler, Engel, Leuchsenring, Stamford, Rode, Chodowiecki, Meil, Brandes und andere“ kennengelernt hätte, und dies war wohl nicht nur im Haus, sondern auch im Garten geschehen.102 Ebenfalls überliefert sind Gartenbesuche von Friedrich Schleiermacher und Rahel Levin.103 Rahels Vater, der Bankier und Juwelier Levin Marcus, hatte einst auch als Agent für die Ephraimsche Firma gearbeitet.104 98 Julius Rodenberg: Bilder aus dem Berliner Leben, hg. v. Gisela Lüttig, mit einem Nachwort von Heinz Knobloch. Berlin 1987, S. 214. 99 Nicolai (Anm. 5), III: 931; s. auch van der Linden: Die Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt. In: Grötzinger (Anm. 54), S. 13–53, hier S. 16 100 Eduard Vehse: Geschichte des preußischen Hofs und Adels und der preußischen Diplomatie. 6 Teile in 3 Bden. Hamburg 1851, III: 290–291. 101 Leopold F.G. Goeckingk, Brief an Amalie und Wilhelmine Goeckingk, 24. Mai 1794. In: Goeckingk: Die Freud ist unstet auf der Erde. Lyrik, Prosa, Briefe, hg. v. Jochen Golz. Berlin 1990, S. 507. 102 Johann-Wolfgang Schottländer (Hg.): Carl Friedrich Zelters Darstellungen seines Lebens – zum ersten Male vollständig nach den Handschriften herausgegeben. Weimar 1931, S. 136; s. auch Laurenz Demps: Der Schiffbauerdamm. Ein unbekanntes Kapitel Berliner Stadtgeschichte. Berlin 1993, S. 43- 45. 103 Rahel Levin, Brief an Alexander von der Marwitz, 28. Mai 1811. In: Rahel Levin Varnhagen: Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, hg. v. Barbara Hahn. 6 Bde. Göttingen, 2011, II: 242– 244. 104 S. Heinrich Schnee (Anm. 33), I: 148.

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Abb. 9: Ausschnitt, Plan de la Ville de Berlin Levé et dessiné par Ordre et privilege privatis du Roy Sous la Direction du Marchall Comte de Schmettau par Hildner aprouvé par l’Academie Royale de Science a Berlin Gravé sous la Direction de G. F. Schmidt Graveur du Roy, 1748. Der Hundsche, später Ephraimsche Garten erstreckt sich formal geplant von Südwesten nach Nordosten zum Fluss (im Norden) und zur Charité (im Süden) hin.

Der Garten war dabei nicht nur ein Schauplatz für intellektuelle Gespräche, sondern wurde auch Ort amouröser Verwicklungen. Adelbert Chamisso lernte bei einem Besuch bei Ephraim im Sommer 1803 die französische Hauslehrerin der

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Töchter, die junge Witwe Cérès Duvernay kennen. Er verliebte sich in sie, widmete ihr Gedichte und hielt vergeblich um ihre Hand an.105 Der Baumeister Zelter, der 1800 Leiter der Singakademie Berlin wurde, machte der musikalischen Tochter Jeannette den Hof; sie wies ihn zurück.106 Der Dichter Franz Michael Leuchsenring wollte die Tochter Edel ehelichen und bestand dabei darauf, dass diese am Judentum festhalten sollte. Auch dazu kam es nicht, aber diese Ereignisse wie auch die gesellschaftlichen Treffen im Ephraimschen Haus und Garten wurden von Karl August Varnhagen, dem späteren Ehemann Rahel Levins, in seinen Denkwürdigkeiten dokumentiert.107 Besonders der Grundbesitz sollte in den kommenden Jahren zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen führen, da Veitel Heine Ephraims Kinder und Enkel miteinander prozessierten. Keiner der Enkel oder Enkelinnen war, wie es der Großvater hinsichtlich der Testamentserfüllung verlangte, beim Judentum geblieben, doch alle wollten am Vermögen teilhaben. Unter den prozessierenden Enkeln befand sich auch Mariane Meyer, die für ihre Schönheit und ihre Korrespondenz mit Goethe bekannt war.108 Sie sollte 1797 in einer morganatischen Verbindung den Fürsten Heinrich XIV. von Reuß heiraten, der das Grundstück neben dem Ephraimschen Garten besaß. Veitel Heine Ephraim vererbte an seine Kinder jedoch nicht nur Grundbesitz. Ein weiteres Erbe waren Manufakturen, die er nicht nur in Berlin, sondern auch in Potsdam gegründet hatte. Diese Manufakturen florierten.109 So übernahm die Firma Ephraim & Söhne 1762 die Gold- und Silbermanufaktur des Potsdamer Waisenhauses; der König offerierte einen Pachtvertrag für 11,400 Taler im Jahr für die Herstellung von Tressen.110 Dazu kamen andere Betrieb der Silberzieherei.111 1763 erhielt die Firma das Monopol für die Produktion silberner Tressen und Borten und die Manufaktur ging in Erbpacht. Ephraim & Söhne produzierte Posamente für die preußischen Uniformen, dabei wurden die dort hergestellten Posamente

105 Vgl. Adelbert Chamisso: Briefwechsel zwischen Adelbert von Chamisso und Ceres Duvernay. Berlin: 1867. 106 Schottländer (Anm. 102), S. 136–137. 107 Karl August Varnhagen: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. 9 Bde. Leipzig: 1840– 1846, IV: 494 und auch Hannah Lotte Lund: Der Berliner „jüdische Salon“ um 1800: Emanzipation in der Debatte (ser.) Europäisch-jüdische Studien – Beiträge 1. Berlin 2012, S. 202. 108 Erhalten sind über 30 Briefe und Briefteile, vor allem aus den Jahren 1803–1811. Hinsichtlich der Gesellschaften, s. auch Lund (Anm. 107), S. 25. 109 Otto Büsch: Industrialisierung und Gewerbe im Raum Berlin-Brandenburg 1800–1830 (ser.) Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin ; Bd. 9, 19. Berlin: 1971, S. 84. 110 Vgl. Michaelis (Anm. 31), S. 212. 111 Schnee, (Anm. 33), I:151; Schoeps (Anm. 86), S. 57.

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auch nach Polen und Russland exportiert. Diese Exportware war zwischen 1770 und 1782 etwa 334 000 Taler wert.112 Während die Brüder in manchen Manufakturen zusammenarbeiteten, erfüllten sie auch getrennte Rollen. Benjamin Veitel Ephraim beispielsweise bemühte sich auch um die Herstellung von Kanten oder Spitzen. Nicht alle Wirtschaftszweige standen Juden offen. Manche galten als zu lukrativ um jüdische Händler willkommen zu heißen. Die weniger risikoreichen Gewerbe und besonders jene, die durch die Zünfte geregelt wurden, waren ebenfalls tabu.113 So blieben einerseits die weniger einträglichen Handelszweige, wie der Altkleiderhandel, oder andererseits jene, die als neu galten. Seidenfabriken etwa konzentrierten sich auf ein Material, das importiert wurde. Manche Berliner Juden hatten hinter ihrem Haus eine Zuckerraffinerie. Der Tabak kam auch aus der neuen Welt. Für die Herstellung von Spitzen war vor allem Brüssel und Brabant bekannt gewesen. Bereits 1745 hatte Veitel Heine Ephraim eine Klöppelei in Potsdam gegründet. Erst fünf Jahre zuvor, 1740, hatte sich eine Jüdische Gemeinde in Potsdam etabliert,114 aber die Zahl der jüdischen Fabrikanten in dieser Stadt wuchs sehr schnell. 1748 hatte Riess bereits eine Seidendamast- und Taftmanufaktur gegründet, und Bernhard folgte 1749 mit einer Seidendamastfabrik. Tatsächlich gründeten vor allem nur Berliner Juden Samt- und Seidenmanufakturen in Potsdam und stellten auch einige jüdische Arbeiter an. Friedrich II. äußerte dabei Bedenken, dass das Verhältnis von jüdischen im Vergleich zu christlichen Unternehmern in Potsdam viel zu hoch wäre.115 1749 hatte Veitel Heine Ephraim bereits mit seinem Schwager Gumperz einen Vertrag für Herstellung von Spitzen im großen Potsdamer Waisenhaus unterzeichnet.116 Dort war ein Gebäude für Mädchen reserviert worden, welche die Spitzen herstellten. Im Waisenhaus bekamen die Kinder Kost und Wohnung. Etwa 200 Klöpplerinnen wurden hier zunächst eingestellt; sie mussten täglich etwa neun Stunden arbeiten und erhielten kein weiteres Gehalt, da diese Arbeit als

112 Michaelis (Anm. 31), S. 212. 113 Vgl. Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin. Ein Menschenfreund in Preussen. Das Leben des Moses Mendelssohn. Veränderte und überarbeitete Ausg. Berlin 1993 (1979), S. 396–7. 114 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 325. 115 Irene Diekmann und Julius H. Schoeps (Hg.): Wegweiser durch das jüdische Brandenburg. Berlin 1995, S. 178–180. 116 GStA PK. 6159. I. HA ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10. Rep. 96 Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode. Nr. 615 F: Das Große Militärwaisenhaus in Potsdam und die dort errichtete Knöppelschule 1749–1750. Enthält u. a. die Übernahme der 1744 eingerichteten Kantenknöppelschule durch den Hofjuwelier Veitel Ephraim in Berlin und den dortigen Schutzjuden Hertz Moses Gumperts, Okt. 1749, dabei: Vertrag zwischen Oberst von Retzow und den beiden Juden, 1. Nov. 1749 (Abschrift).  

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Lehrzeit und Ausbildung verstanden wurde.117 Die Ausbilder und Verwalter erhielten 12 Taler monatlich; ein größerer Betrag, 1000 Taler, ging an das Waisenhaus selbst. Der Ephraimsche Betrieb galt vielen als beispielshaft und fand bald Nachahmer; andere Schutzjuden stellten Eingaben, um Knaben und Mädchen des Waisenhauses für Strumpf- und Handschuhmanufakturen oder Leinenzeugherstellung, Tressenherstellung oder das Klöppeln von Seidenspitzen, sogenannten Blonden, anzustellen. Die Ausnähfabrik des Unternehmers Isaac Joel, die 1749 im Waisenhaus gegründet wurde, war dabei besonders erfolgreich und hatte 50 Jahre lang Bestand.118 1766 wurde Veitel Heine Ephraims Produktion im Waisenhaus erweitert und neben Baumwollspitzen auch Blonden hergestellt. Dabei bezog er ab 1764 auch Knaben aus dem Waisenhaus, um sie zu Arbeitern in der Gold- und Silbermanufaktur auszubilden. In diesen Manufakturen waren Knaben des Waisenhauses noch bis 1787 tätig. 1774, kurz vor dem Tode seines Vaters, übernahm Benjamin Veitel Ephraim den Vertrag für die Spitzenherstellung im Waisenhaus.119 Er leitete die Produktion dort noch bis 1795,120 und bezahlte in den letzten Jahren seinen jungen Arbeitern sogar einen kleinen Lohn. Ein Jahr vor dem Ablauf seines Vertrages konnte er sogar noch eine entscheidende Bestimmung durchsetzen, nämlich dem Verbot eines Handels mit ausländischen Spitzen in Preußen. Damit konnte Ephraim seine Monopolstellung absichern. Bei der Suche nach geeigneten Arbeiterinnen stellte er auch Anträge, die den Umzug bestimmter Personen nach Potsdam ermöglichen sollten, etwa die Anwerbung einer jüdischen Spitzenklöpplerin aus Johanngeorgenstadt im Mai 1794, eine „geschickte faitoresse“, die zusammen mit ihrem Ehemann Beer, einem Nadler, engagiert werden sollte. Der Magistrat in Johanngeorgenstadt hatte nämlich die Ausreise zunächst nicht gestattet.121

117 Hinsichtlich der Einrichtungen Ephraims und der Schulerziehung, die er den Kindern, die in diesen Manufakturen arbeiteten, bot, s. Friedrich Gedike: Ueber Berlin. Von einem Fremden. In: Berlinische Monatsschrift II (1784), S. 556–564, hier S. 557. 118 Stern (Anm. 29), III/1: 208. 119 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 326. 120 Schnee, (Anm. 33), I: 72–73. 121 Vgl. Akte GStA PK. I HA Rep. 41 Nr. 453: Geheimer Rat Beziehungen zu Kursachsen. Antrag vom 23. Mai 1794, dazu Carl August Struensee vom 24. bis 26. Mai 1794 und weitere Materialien 27. Mai 1794.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Abb. 10: Großes Militär-Waisenhaus zu Potsdam, Mädchentrakt, um 1800.

Das Potsdamer Waisenhaus war eine bekannte Institution. Es wurde 1724 von König Friedrich Wilhelm I. als Militärwaisenhaus gegründet und sollte die Kinder der Militärangehörigen aufnehmen, und diese bis zum Alter von 16 Jahre verpflegen und erziehen. Sie sollten Lesen und Schreiben lernen, eine christliche Ausbildung erfahren, und einen Beruf erlernen. Friedrich Wilhelm I. war nach einem Besuch der Franckeschen Stiftungen in Halle zu dieser Gründung inspiriert worden, und ließ die größte barocke Architekturanlage der Stadt bauen. Während das Waisenhaus heute noch zum größten Teil erhalten ist, existiert das Gebäude des Mädchentraktes nicht mehr. Die Spitzen, die dort hergestellt wurden, waren Gebrauchs- und Zierspitzen von sehr guter Qualität. Beispiele seiner Produktion können heute nicht mehr im Großen Waisenhaus gefunden werden, das ein kleines Museum unterhält, aber in den Gerichtsakten, die im Geheimen Preußischen Staatsarchiv aufbewahrt werden. Denn Ephraim prozessierte gegen Konkurrenten, die ihm seine Produktionsmuster oder Kundschaft streitig machten, und wehrte sich gegen Schmuggelware. Um die Qualität und Art seiner Spitzen zu dokumentieren, legte er in den Prozessakten Beispiele bei.

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Abb. 11: Benjamin Veitel Ephraim, Beispiele aus der Spitzenproduktion des Potsdamer Waisenhauses, 1792.

Indem der jüngere Ephraim seine Arbeiterinnen im Waisenhaus verpflichtete, arbeitete er auch mit staatlicher Unterstützung. In den letzten Jahrzehnten des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts stellte er aber auch Arbeiterinnen in Berlin ein und ging verstärkt auf das Land mit seiner Produktion, die er in den durch den Krieg neugewonnen Gebieten zu etablieren suchte. Frauen stellten für ihn dort in Heimarbeit Spitzen her. Diese Arbeit war sicherlich nicht teuer und wurde nach der Stückzahl bezahlt,122 aber Ephraim konnte auch mit

122 Vgl. Jürgen Kocka: Lohnarbeit und Klassenbildung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in Deutschland 1800–1875. Berlin 1983, S. 33–48.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Abb. 12: Benjamin Veitel Ephraim, Beispiele aus der Spitzenproduktion des Potsdamer Waisenhauses, 1792.

einer besonderen Gruppe arbeiten, denn unter den Landklöpplerinnen waren, wie die erhaltenen Geschäftsunterlagen zeigen, auch Jüdinnen.123 Nicolai berichtete später auch von einer anderen Freischule, die Ephraim in einer Manufaktur von Brabanter Spitzen in Berlin etabliert hatte, die den dort arbeitenden Kindern, Juden und Christen, im Lesen und Schreiben unentgeltlich unterrichtete.124 1777 formulierte Ephraim auch einen Antrag zur Errichtung einer Klöppelschule in der Neumark nach dem Berliner Modell, die für Lehrlinge im Alter von 9–10 Jahren gedacht war. Er zog ihn aber bald zurück.125

123 Die Geschäftsunterlagen Benjamin Veitel Ephraim befinden sich vor allem im Geheimen Preußischen Staatsarchiv, aber auch im Brandenburgischen Hauptarchiv. 124 Nicolai (Anm. 5), II: 700. 125 Vgl. Gesuch des Entrepreneurs (Unternehmers der „Berliner königlichen Kantenfabrik“, Benjamin Veitel Ephraim, um Unterstützung der Neumärkischen Kriegs- und Domänenkammer bei der Gewinnung von Lehrlingen im Alter von 9 – 10 Jahren für die von ihm geplante Errichtung von Kanten-Knöppel-Schulen(Kanten-Klöppel-Schulen) in Drossen und Königsberg. Enthält u. a.: Grundsätze für den Betrieb der Schule nach dem Muster einer in Berlin bestehenden Anstalt. – Zurückziehung des Angebots der Ephraim. 1777. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer Nr. 6996.  

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Abb. 13: Ausschnitt der Karte des Netzedistrikts mit Kreisteilung von 1772; Max Toeppen, Atlas zur historisch-comparativen Geographie Preussens. Gotha: Justus Perthes, 1858.

Am 19. September 1785 stellte Ephraim eine Eingabe zur Etablierung von Manufakturen in Westpreußen „zur Reglung der Judenfrage“.126 Ephraim unterhielt auch zwischen 1795 und 1806 Kantenfabriken im Netzegebiet, einer Gegend, in der noch

126 Stern (Anm. 29), III/2: 1610–1611.

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unter Friedrich II. vor allem jüdische Unternehmer tätig waren.127 Ephraim wollte Manufakturen in Schneidemühl, Schönlanke, Chodziesen, Deutsch Krone, Czarnikau, Filehne und Flatow gründen, allerdings hatten die jüdischen Gemeinden von Chodziesen, Deutsch Krone und Schoenlanke hinsichtlich Ephraims Vorschlag anscheinend Bedenken.128 Dokumente zeigen jedoch, dass Ephraim im März 1796 Klöpplerinnen in „Filehne, Schönlancke, Sternicrowa, Schneidemühl, Crone, Chodzesen, Flatow, Sirojancke, Zempelberg, Lobsens, Margonin, Tietz, Stopp“ beschäftigte, neben „noch unbeträchtliche Anlagen“ in Potsdam und Berlin. Dort war ein anderer Kaufmann namens Christian Eichstädt dabei, Arbeiterinnen abzuwerben.129 1797 wurde der Vertrag mit Ephraim für das Postdamer Waisenhaus aufgelöst und das Gewerbe der Spitzen- und Tressenherstellung hörte auf, als Monopol zu fungieren.130 Ephraim gründete Klöppelfabriken in Neuostpreußen, aber produzierte weiterhin Kanten und Blonden in Potsdam in eigener Produktion. Bis 1805 beschäftigte er über 1500 Arbeiterinnen mit der Herstellung dieser Textilien. Trotz all dieser Aktivitäten konnte Ephraim zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts keinen anhaltenden Verdienst mehr erzielen. Der Siebenjährigen Krieg hatte den finanziellen Aufstieg der Familie bedeutet; den Krieg mit Frankreich sollte Preußen verlieren. Diese Zeit brachte nur Einschränkungen in der Produktion der Manufakturen mit sich, sowie geringere Handelsmöglichkeiten.131 1797 war Friedrich Wilhelm III. an die Macht bekommen und im gleichen Jahr wurde Ephraims Vertrag auf ein Monopol der Spitzenherstellung im Potsdamer Waisenhaus aufgelöst.132 Potsdamer Unternehmer wie Eichstädt machten ihm als Kon-

127 Vgl. Stern [Selma Stern-Taeubler]: The Jews in the Economic Policy of Frederick the Great. In: Jewish Social Studies 11,2 (1949), S. 129–152, hier S. 137. S. II. HA Abt 9. Tit LXVI Sekt I Nr. 4 Bd 3: Acta der Juden im District an der Netze. Darin enthalten: Briefe Ephraims hinsichtlich Vorschlaege vom September 1785. 128 Peter Simonstein Cullman. History of the Jewish Community of Schneidemühl: 1641 to the Holocaust. Bergenfield, NJ 2006, S. 35. 129 GStA PK. II HA (Abt 26) Manufaktur CCC XIV B=Nr. 10 Blatt 42. Berlin, 20. März 1796. 130 GStA PK. II HA (Abt 26) Manufaktur CCC XIV B=Nr. 10, Blatt 115: Gedruckte Beilage zum 63. Stück der Berlin Nachrichten von Staats= und gelehrten Sachen. 131 Vgl. Ulrich Pfister: Gewalt, institutionelle Schocks und Entwicklung. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftgeschichte 107 (2020), S. 9–46. 132 Vgl. GStA PK. II HA (Abt 26) Manufaktur CCC XIV B=Nr. 10, Blatt 115, „Gedruckte Beilage zum 63. Stück der Berlin Nachrichten von Staats= und gelehrten Sachen“. Nachdem nunmehr der zwischen dem Direktorium des Potsdamer Waisenhauses und dem Entreprenneur Benjamin Veitel Ephraim bestandene Vertrag, und das sich darauf gründende ausschließiche Recht des letzteren zur Kantenfabrikation aufgehört hat; so ist, um dieses Gewerbe allgemeiner zu machen, beschlossen worden, erwelcher das Knöppeln der Kanten, Blonden, Spitzen und Mignoetten für eigene Rechnung betreiben will, solches freistehen,

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kurrenz zu schaffen.133 Die Mode hatte sich auch geändert, obwohl Ephraim hoffte, dass diese Entwicklung von nur kurzer Dauer sein würde.134 Als Carl August Struensee, der Leiter der Seehandlung, 1804 starb, verlor Ephraim einen wichtigen Befürworter, der ihm Kredite ermöglichte.135 1805 machte Freiherr von Stein

sondern auch jedem, der es unternimmt, die benannten Waaren für seine Rechnung durch ander fabrikmäßig im Lande verfertigen zu lassen, auf sein Ansuchen dazu die erforderliche Concession ohnentgeldlich ertheilt werden soll. Da indessen bei solcher Gewerbe-Freiheit und besonders auf dem Fall, daß mehrere Kantenfabriken im Lande entstehen, theils zu Verhütung des Debauchirens der Arbeiter und anderer Unordnungen, theils zur Vorbeugung des Schleichhandels mit fremden Kanten, die Beobachtung einer gewissen Ordnung durchaus nothwendig bleibt; so ist zu dem Ende vorläufig festzusetzen für gut befunden worden: 1. daß in kleinen Städten, worin nicht mehr als 1500 Menschen vorhanden sind, und ein Unternehmer bereits die Fabrikation der Kanten eingerichtet hat, kein anderer Faktoresse ansetzen darf, in sofern der erstere alle zu solcher Arbeit daselbst befindliche und sich meldende Personen beschäftigt, daß hingegen 20 in größeren Städten die Fabrikation zwar von mehreren Unternehmern zu gleicher Zeit betrieben werden kann, jedoch niemand eine schon bei einem andern in Arbeit gestandene Knöpferin in seinen Verlag nehmen, und für seine Rechnung arbeiten lassen soll, wenn dieselbe nicht vorher einen schriftlichen Abscheid von ihrem vorigen Verleger beibringen kann, welcher ihr aber von derm erstern Verleger nicht vorenthalten werden darf, wenn sie ihm nichts schuldig geblieben ist, sondern die empfangenen Materialien getreulich abgeliefert hat; daß 3) jeder, der die Kantenfabrikation als Verleger unternehmen, mithin Kanten, Blonden, Spitzen oder Mignonetten für seine Rechnung durch andere und durch selbigen die erforderliche Konzession in dem gewöhnlichen Wege bei dem General= Fabriken=Departement des Königl. Generaldirektorii nachsuchen muß; daß 4) alle für den Handel bestimmte vorbenannte Kantenwaaren, ohne Ausnahme, durch die dazu zu beordernden Magistrats- und Acccisebedienten auf dem Knöppelkissen mit dazu bestimmten Siegeln bezeichnet, auch hiernächst, ehe sie in den Handel oder die Läden der der Kaufleute kommen, bei der Provinzial= Accise und Zolldirektion jeder Provinz mit den daran befindlichen vorerwähnten Siegeln der Magistrats- und Accisebedienten producirt, und daslebst mit dem nur allein bei den Direktionen befindlichen besondern Kantensiegel bezeichnet werden müssen, weil sie ohne letzteres Siegel nicht in den Handel kommen, sondern, in Ermangelung desselben, als verbotene Waaren werden behandelt werden; und 50 daß nur die in den alten Provinzen disseits der Weier, mit Einschluß von Westpreußen, verfertigten, mit bemeldetem Kantensiegel bezeichneten Kantenwaaren in dem ganzen Lande Cours haben; die in Südpreußen und Neuostpreußen verfertigten Kanten aber davon ausgenommen, und in die alten Provinzen nicht eingelassen werden sollen, weil dort der Eingang fremder Kanten zur Zeit noch erlaubt ist. Dieses wird em Publiko zur Nachricht und Achtung hierdurch bekannt gemacht. Berlin, den 4. Mai 1797 Königl Churmärk, Krieges= und Domänenkammer 133 Dies war besonders ab 1796 der Fall. S. GStA PK. I HA Rep 96 A 4 N 1 (Bd 3), Blatt 142; II HA (Abt 26) Manufaktur CCC XIV B=Nr. 10; II HA (Abt 26) Manufaktur CCC XIV B=Nr. 10, Blatt 46. 134 GStA PK. I HA Rep 96 A 4 N 1 (Bd 3), Blatt 144. 135 GStA PK. I. HA Rep. 109 – Seehandlung (Preußische Staatsbank) – A XIII Nr. 6a Generaldirektion der Seehandlung gegen den Geheimen Kommissionsrat Benjamin Veitel Ephraim wegen

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ihm bereits deutlich, dass es keinerlei Förderung für seine Manufakturen mehr geben könne, obwohl, wie Ephraim argumentierte, auch hunderte von Arbeitsplätzen involviert waren. Stein bestand darüber hinaus auch auf eine Rückzahlung der Kredite und wies Ephraims neue Anträge ab.136 So ging Ephraim 1809 in Konkurs.137 Er bemüht sich verzweifelt, Gelder einzutreiben, und neben den Akten von Gerichtsprozessen gibt es auch ungewöhnliche Anträge. Als sich seine Tochter Elka beispielsweise um 1809 von ihrem Ehemann scheiden ließ,138 stellte Ephraim im November 1810 ein Gesuch, um den Konzessionsbetrag zurückzuerhalten, den er neben einer Heiratssteuer als Schutzjude einst zahlen musste.139 Der Fall war etwas kompliziert und wurde dem Regierungsrat Christian Peter Wilhelm Beuth in Potsdam vorgelegt, der am 29. November 1810 protokollierte: Der Geheime Rath und generalprivilegirte Schutzjude Benjamin Veitel Ephraim hat im Jahr 1804. seine Tochter Elka mit dem aus Frankfurth gebürtigen Schutzjuden Sohn Eduard Saulsohn verheirathet und das ehemalige Militärdepartement des General Directoriums hat dem selben den erforderlichen Trauschein durch die Haupt-Waisenhaus Kasse zwar ausfertigen lassen, derg Ephraim hat jedoch außer den Trauscheingebühren noch eine besondere Caution von 50 rtl Courant, um die jura fisci und die Directorial- und Cammer-Canzley Gebühren zu sichern, stellen müssen, welches Depositum sich noch jetzt in Verwahrsam besagter Kasse befindet. Derg Ephraim hat nun unterm 9t. d. M. auf Zurückgabe dieser Kaution angetragen, weil der Saulsohn zur christlichen Religion übergegangen, dadurch die Ehe nach jüdischen Gesetzen getrennt sey, und da derg Saulson nie Handel getrieben habe, die Ver-

verschiedener Forderungen, 1804 – 1820. S. auch die Forderungen der Liepmannschen Bank: GStA PK, I. HA Rep. 109- Nr. 4774 Forderung des Nathan Liepmann & Co. ./. Benjamin Veitel Ephraim, 1811. 136 Freiherr von Stein, Bericht an den König vom 18. März 1805. In Stein: Briefe und amtliche Schriften, bearb. von Erich Botzenhart. Neu hg. v. Walter Hubatsch. Bearb. und hg. im Auftrag der Freiherr-Vom-Stein-Gesellschaft mit Förderung des Bundes und der Länder 9 Bde. Stuttgart 1957– 74, II: 46–47. 137 GStA PK, I. HA Rep. 83 – Oberpräsidium von Brandenburg und Pommern: – Nr. 1188 Durchführung des Konkursprozesses gegen den Geheimen Kommissionrat Benjamin Veitel Ephraim, 1809 – 1810; GStA PK. I. HA Rep. 83 – Oberpräsidium von Brandenburg und Pommern – Nr. 1188: 05.01 Zivilrecht ; GStA PK. I. HA Rep. 83 C, Sect. 17 – Nr. 15 : Durchführung des Konkursprozesses gegen den Geheimen Kommissionrat Benjamin Veitel Ephraim 1809–1810; GSt PK. I. HA Rep 109 Seehandlung (Preußische Staatsbank) Tit. XIII 6a. 138 Jacob Jacobson: Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin, 1809–1851: Mit Ergänzungen für die Jahre 1791–1809 (ser.) Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 4 Quellenwerke, Bd. 1. Berlin 1962, S. 92. 139 GStA PK. I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern – Tit. 1021, Berlin Nr. 28: Verheiratung der Tochter des Geheimen Rats und generalprivilegierten Schutzjuden Benjamin Veitel Ephraim zu Berlin, namens Elka, mit Eduard Saulsohn aus Frankfurt an der Oder, Sohn eines Schutzjuden, 1810.

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bindlichkeit zur Lösung einer Concession nie eingetreten sey. Wir sehen nicht ab, quo titulo derg. Ephraim// die Ansetzung umsonst verlangen kann, wenn er einen Trauschein erhalten hat, welches jedoch aus unsern Akten nicht zu ersehen ist, da diese mit dem Bericht über die Ansetzung schließen. Derg Saulson hat als Jude eine Jüdinn geheirathet, mußte daher einen Trauschein lösen, und es giebt kein Recht, die Ansetzungsgebühren zurückzufordern, weil er hernach zum christlichen Glauben übergieng und keinen Handel trieb. Es kommt daher darauf an, ob das Depositum deßelben von 50 rtl auch durch Directorial- und andere Gebühren absorbirt wird, und in wie weit; da wir ihm dann den Überschuß des Depositi auszahlen lassen werden, deshalb erbitten wir uns nähere Anweisung.140

Wie sich in der nachfolgenden Untersuchung klärt, hatte Ephraim den Konzessionsbetrag, den er zurückverlangte, gar nicht bezahlt, und die Beamten waren nun verwundert, dass der Trauschein damals überhaupt ausgestellt wurde.141 Elka, die sich zu dieser Zeit bereits Angelika nannte, war in einer heiklen Situation. Ihr Mann war Sohn eines Rabbiners aus Frankfurt an der Oder; er hatte ein Aufenthaltsrecht in Berlin erhalten. Durch seinen Übertritt und die Scheidung war sie eigentlich schutzlos geworden. Sie heiratete 1815 allerdings zum zweiten Mal, einen Mann namens Emmerich, und trat mit ihrem neuen Ehemann 1824 zum Christentum über.142 Keine der drei Töchter Ephraims blieben Jüdinnen, allerdings ließ sich nur Jeannette zu Ephraims Lebzeiten taufen. Ephraim machte weitere Eingaben. 1810 schlug er vor, „einer Gesellschaft das Monopol zur Versorgung aller Städte mit Lebensmitteln zu erteilen“.143 Dieses Gesuch war ebenfalls nicht erfolgreich. In seinen letzten Lebensjahren hatte Ephraim seinen Wohnsitz im Palais aufgegeben und wohnte wahrscheinlich in der Leipziger Straße 73. Er starb 1811 als armer Mann. „Am 16ten dieses, abends um 7 Uhr, starb an Entkräftigung mein Mann, der Geh. Rath B.V. Ephraim, im 71sten Jahre seines Alters: welches ich im Namen meiner und meiner Kinder hiermiet anzeige. Verwittwete Ephraim, geb. Jeannette Philipp“ heißt es in einer Anzeige, die in der Königlich Privilegierten Berlinischen Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen am 24. Dezember erschien.144 Seiner Witwe verblieb nicht viel mehr als et-

140 GStA PK. R XI 2892. Korrespondenz von Ephraim an den König Friedrich Wilhelm II, Blatt 2 (recto) und Blatt 2 (verso). 141 GStA PK. R XI 2892. Korrespondenz von Ephraim an den König Friedrich Wilhelm II, Blatt 3 bis Blatt 7. 142 S. Stieglitz (Anm. 11), S. 147. 143 GStA PK. Rep. 77, Tit 516, Nr. 3a.: Bericht des Regierungsrates Friedrich Georg Ludwig von Raumer. Die Eingabe Ephraims ist nicht erhalten. 144 Anzeige, Königlich Privilegierte Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen 154. Beilage (24. Dezember 1811), Titelseite; die Anzeige erschien ebenfalls zwei Tage später in der Haude- und Spenerschen Zeitung.

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was Mobiliar, das auf nicht mehr als 1553 Taler geschätzt wurde. Das Kammergericht verzeichnete seinen Nachlass mit insgesamt 4392 Talern, dabei wurde die Bildersammlung auf 781 Taler geschätzt.145 Davon musste die Familie aber die Vorschüsse und Kredite für Ephraims Spitzenmanufakturen begleichen, worauf der Fiskus bestand. Im Mai des folgenden Jahres starb Gutche Ephraim. Das preußische Emanzipationsedikt war einige Wochen zuvor, am 11. März 1812, in Kraft getreten.

Abb. 14a und b: Todesnachricht von Gutche Ephraim sowie Verkaufsnachricht hinsichtlich des Nachlasses von Benjamin Veitel Ephraim, Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Beilage zum 65. Stück (30. Mai 1812), S. 98.; die Verkaufsnachrichten wurden in diesem Blatt gleich dreimal abgedruckt, zuletzt in den Berlinischen Nachrichten 68 (6. Juni 1812), S. 85.

145 Steiner (Anm. 25), S. 118.

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III Schriftstellerische Ambitionen Ephraim interessierte sich schon früh für die zeitgenössische Literatur. Noch in Holland versuchte er sich an einer literarischen Übersetzung eines Dramas von Charles George Fenouillet de Falbaire de Quingey, L’Honnête Criminel: Drame en cinq Actes & en vers (1767). Er sandte das Manuskript zu Mendelssohn, der ihm aber von weiteren Übersetzungen und literarischen Arbeiten insgesamt abriet.146 Seine Übersetzung ist nicht mehr erhalten, aber das Drama erschien bereits 1768 in einer deutschen Fassung unter dem Titel Die Belohnung der kindlichen Liebe. Ein rührendes Lustspiel in fünf Aufzügen und 1769 erneut als Der Galeerensclave, oder Die Belohnung kindlichen Liebe.147 Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters wandte sich Ephraim allerdings erneut der Literatur zu und schrieb ein eigenes Theaterstück und zeigte sich hierbei als ein Schüler Lessings, mit dem er auch weiterhin in Kontakt blieb.148 Er schrieb das Drama Worthy, das er 1776 anonym veröffentlichte. Die Beschäftigung mit dem Theater und der Literatur waren sicherlich eine zeitweise Befreiung von dem für ihn bestimmten Berufs des Kaufmanns, den er eigentlich nie aufgeben sollte. Dabei war es in dieser Zeit recht ungewöhnlich, dass ein Jude sich als deutscher literarischer Schriftsteller versuchen wollte. Vorgänger gab es natürlich. Mendelssohn übersetzte biblische Psalmen. Moses Ephraim Kuh schrieb Gedichte.149 Er war ein Verwandter Ephraims aus Breslau, der dessen Familie 1763 in Berlin besuchte und bei dieser Gelegenheit auch Lessing kennengelernt hatte. Theaterstücke schrieb Kuh jedoch nicht.150 Das Drama galt als die höchste literarische Gattung, daher wagten sich auch Frauen kaum an dieses Genre und blieben lieber bei Gedichten oder der neuen Form des Romans.151 Auch war es sicherlich schwierig, Theaterstücke zur Aufführung zu bringen. Man musste

146 Vgl. Steiner (Anm. 25), S. 23. 147 [Charles Georges Fenouillot de Falbaire] Fenouillot von Falbaire: Die Belohnung kindlichen Liebe. Ein rührendes Lustspiel in fünf Aufzügen. Aus dem Französischen übersetzt. Leipzig 1768; Fenoullot von Falbaire, Der Galeerensclave, oder Die Belohnung kindlichen Liebe. Ein rührendes Lustspiel in fünf Aufzügen. Aus dem Französischen übersetzt. Aufgeführt auf dem k.k. priv. Theater zu Wien, 1769. 148 Vrgl. Ephraim, Brief an Lessing, Frühjahr oder Sommer 1776. Staatsbibliothek Berlin, Signatur: Nachlaß Familie Mendelssohn, Kasten 3, Mappe H, Blatt 7–8. 149 Ephraim Kuh: Hinterlassene Gedichte, hg. v. Moses Hirschel und Johann Josef Kausch. 2 Bde. Zürich 1792. 150 Sol Liptzin: Kuh, Ephraim Moses. In: Encyclopaedia Judaica, hg. v. Michael Berenbaum und Fred Skolnik. 2. Aufl., 22 Bde. New York 2007, XII: 380–381. 151 Vgl. Susanne Kord: Ein Blick hinter die Kulissen: deutschsprachige Dramatikerinnen im 18. und 19. Jahrhundert (ser.) Ergebnisse der Frauenforschung 27. Stuttgart 1992.

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Abb. 15: Benjamin Veitel Ephraim, Worthy, Danzig: Jobst Hermann Flörcke, 1776.

einen Zugang zu einem Hoftheater finden oder eine private Theatergruppe überzeugen, dass das Stück erfolgreich sein würde. Es war zwar bekannt, dass die jüdischen Einwohner das Berliner Theater kräftig unterstützten; sie bildeten eine große Zahl der Besucher und einige Juden fanden auch am Theater Arbeit.152 Ephraim aber war wahrscheinlich der erste Jude, der ein Drama in deutscher Sprache schrieb. Wenige Jahre später folgte Ludwig Robert, der Bruder Rahel 152 Jersch-Wenzel: Die Juden im gesellschaftlichen Gefüge Berlins. In Marianne Awerbuch und Jersch-Wenzel (Hg.): Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik (ser.) Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 75 (Berlin: Colloquium Verlag, 1972), S. 139–154, hier S. 148.

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Levins, mit eigenen Stücken,153 ebenso Michael Beer, der ebenfalls Sohn eines Hofjudens war und Bruder des Opernkomponisten Giacomo Meyerbeer.154 Dass Ephraim wohlhabend war, darf hierbei nicht unterschätzt werden. Er konnte es sich leisten, Schauspieler zu engagieren und die Truppe für ihre Mühe reichlich zu belohnen. Worthy wurde am 16. Mai 1776 in Berlin von Carl Theophil Döbbelins Theatertruppe auf der Bühne seines Hauses in der Behrenstraße uraufgeführt. Das Ensemble gab drei weitere Vorstellungen des Stücks, welches, wie es damals bei populären Stücken üblich war, durch Balletteinlagen in den Pausen ergänzt wurde.155 Das Ballett Die Matrosen rundete so den ersten Abend ab; bei der letzten Aufführung wurde das Ballett Die Dorf-Kirmse aufgeführt. Mit dem Inhalt des Stückes hatten diese Tanzeinlagen nichts zu tun. Sie spiegelten aber auf seltsame Weise die gelegentliche Praxis, Darsteller als tanzende Juden in der Pause als komische Einlage auf die Bühne zu schicken.156 Döbbelin hatte sich bereits für die Stücke Lessings eingesetzt. Am 11. Mai 1775 hatte er dessen Drama Die Juden auf seine Bühne gebracht und Ephraims Worthy folgte fast genau ein Jahr später. Auch hatte er noch Minna von Barnhelm im Mai im Programm, für diese Aufführung plante er das gleiche Ballett der Dorfkirmes. Für Worthy wählte der Theaterdirektor sehr gute Schauspieler, darunter gerade auch Gottlieb Christian Henke, der bereits 1772 bei der Aufführung von Lessings Emilia Galotti aufgefallen waren. Die Weichen für einen Erfolg schienen gestellt. Worthy spielt wie viele deutsche Dramen dieser Zeit—man denke wiederum an Lessings Trauerspiele — in England. Das Stück selbst leitete sich von der Handlung des Romans The Vicar of Wakefield A Tale. Supposed to Be Written by Himself von Oliver Goldsmith ab, der 1766 zuerst in zwei Bänden erschien.157 Unter dem Titel Der Landpriester von Wakefield. Ein Märchen, das er selbst soll geschrieben haben veröffentlichte der Leipziger Verlag Weidmann und Reich 1767 bereits eine deutsche Übersetzung von Johann Gottfried Gellius; weitere Ausga-

153 Vgl. Weissberg: Das Drama eines preußischen Patrioten: Ludwig Roberts Jephthas Tochter. In: Gerd Biegel und Michael Graetz (Hg.): Judentum zwischen Tradition und Moderne (ser.) Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg II. Heidelberg 2002, S. 95–116. 154 Vgl. Weissberg: Der Jude als Paria: Stationen in der Geschichte einer Idee im Diskurs der Assimilation. In: Andreas Kilcher und Urs Lindner (Hg.): Zwischen Anpassung und Subversion. Sprache und Politik der Assimilation. München 2019, S. 283–300. 155 Lessing, Brief an Karl Lessing, 1. Juni 1776. In Lessing: Werke und Briefe in 12 Bänden. 12 in 14 Bden. hg. v. Wilfried Barner, Claus Bohnen, Gunter Grimm, et al. (ser.) Bibliothek Deutscher Klassiker. Frankfurt/M 1989–2014, XI/2: 780–81, hier XI/2: 781. 156 Vgl. Hans-Joachim Neubauer: Judenfiguren: Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert (ser.) Schriftenreihe des Zentrums für Antisemitismusforschung. Berlin 1994. 157 Vgl. Bes. die Kap. 21 bis 32; s. auch die Ausführungen bei Steiner (Anm. 25), S. 37–47.

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Abb. 16: Besetzungsliste der Aufführung des Dramas Worthy, Berlinisches Litterarisches Wochenblatt 26 (29. Juni 1776), S. 400.

ben und Übersetzungen sollten folgen.158 Gerade am 28. Mai 1776 kündigte die Berlinische privilegierte Zeitung eine neue deutsche Übersetzung des Romans, Der Dorfprediger von Wakefield, eine Geschichte die er selbst geschrieben haben soll, ohne Angabe seines Autors an, sie war ebenfalls in Leipzig erschienen. Diese Anzeige, erwähnt auch die „Von Sr. Königl. Majestät von Preußen allergnädigsten

158 Oliver Goldsmith, Der Landpfarrer von Wakefield, übersetzt v. J.J. Chr. Bode. Leipzig 1776; ebenso Goldsmith: Der Dorfprediger von Wakefield. Eine Geschichte, die er selbst geschrieben haben soll. Von neuem verdeutscht. Leipzig 1776.

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Privilegio“ für die Aufführung des Dramas Worthy mit dem Ballett „Die Dorfkirmesse“[sic].159 Goldsmiths Roman erzählt die Geschichte des Pfarrers Dr. Charles Primrose und seiner Familie, vor allem den ältesten Kinder George, Sophie und Olivia. George muss sich von seiner Verlobten trennen, als der Vater seine Ersparnisse verliert. Ein reicher, adeliger Bösewicht, William Thornhill, will Olivia verführen und bringt die ganze Familie an den Rand des Ruins und Primrose ins Gefängnis. Schließlich entlarvt sich ein Wohltäter der Familie als Sir William Thornhill, ein Onkel des Bösewichts, der alles ins Lot bringen kann. Ephraim bringt einen bösen Lord Mastwell auf die Bühne, der den ehrlichen Prediger Worthy ins Gefängnis schickt. Worthy wurde von einem Geschäftsmann übervorteilt und lieh sich von Mastwell Geld, das er nicht zurückzahlen kann. Auch heiratete Mastwell Worthys Tochter Sara in einer Scheinehe und verlangt nun von dem Vater, ihn erneut zu verheiraten, diesmal mit der reichen Miss Rosalie. Worthys Sohn George, der Offizier zur See ist, liebt Rosalie. Neben Sara und George hat Worthy auch einen jungen Sohn namens Moses. Dies ist vielleicht ein ungewöhnlicher Name für den Sohn eines Pfarrers, aber George und Moses sind die Namen, die sich bei Goldsmith finden. Wie im Roman, werden auch in Ephraims Stück am Ende alle Schwierigkeiten gelöst, der böse Lord bestraft und Worthy befreit. Das einzige Szenenbild dieses Stückes ist das Gefängnis, in dem Worthy seine Zeit verbringt und Besucher empfängt. So beginnt das Stück auch mit einem Monolog Worthys im Gefängnis, in dem Shakespeares Hamlet anklingt, und seine eigenen Fragen vom Sein oder Nichtsein formuliert: Versperrt, von der ganzen Welt verlassen; wo soll ich Hülfe finden? Der verworfenste Bettler kann am Kreutzwege durch zerlumpte Kleider und jammerndes Gewinsel unter Hunderten doch vielleicht einen zum Mitleid bewegen, aber ich — ja gewiß ist mein Untergang unvermeidlich, wann du nicht, allgütiger Gott, mir deine Gnade — Gnade! Und womit hab ich sie verwirkt? Ich durchlaufe meinen ganzen Wandel, und wo finde ich das Verbrechen, welches das, was ich jezt leide, verdiene? Doch vielleicht sind für mich dort oben bey dir die Belohnungen. —160

Das hier gezeichnete Bild erinnert allerdings nicht nur an Hamlet, sondern auch an Mendelssohns Phaedon, der 1767 erschien. Dort finden wir Sokrates allein in einem kahlen Raum, und auch er hat nur ein schwaches Licht in seiner Zelle.161

159 Anzeige, Berlinische privilegierte Zeitung 64. Stück, 28. Mai 1776, S. 325. 160 Ephraim: Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen. Danzig: Jobst Hermann Flörcke, 1776. Zitiert nach dem vorliegenden Band, hier S. 234. 161 Vgl. das Frontispiz von Johann Ludwig Meil für Mendelssohns Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen. Berlin und Stettin 1767.

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Der Kupferstecher Johann Ludwig Meil hatte diese Szene auf Mendelssohns Anregung hervorgehoben und als Frontispiz zu Beginn des Buches gesetzt. Der dargestellte Totenkopf verbindet dabei Sokrates und Hamlet, im Bild wie im Monolog betrachten ihn beide. Wir müssen daher nicht überrascht sein, wenn George, der bald zurückkehrt, ein Buch über die Unsterblichkeit der Seele liest, das möglicherweise Mendelssohns Phaedon sein könnte, und Worthy sich mit Sokrates vergleicht, aber nicht zum Giftbecher greifen will.162

Abb. 17: Moses Mendelssohn, Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen. Titelseite und Frontispiz/Stich von Johann Ludwig Meil. Berlin: Friedrich Nicolai, 1767.

Worthys Sohn Moses wiederum findet Trost in der Bibel.163 Sein Gespräch mit dem Vater verbindet dabei auf seltsame Weise das Alte mit dem Neuen Testament. So erscheint der junge Moses mit der Bibel und erzählt von einem gespenstischen Traum, der gleichzeitig an den Tod Jesu erinnert:

162 Ephraim (Anm. 160), S. 264. 163 Ephraim (Anm. 160), S. 237.

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Es war Mitternacht, so träumte ich: als ich mit Schrecken den Glockenschlag Eins hörte. Diese Stunde, die mir immer durch den Umlauf der Gespenste, welche ihre Gräber verlassen, fürchterlich ist, wurde nur durch ein vermeintliches Donnerwetter noch schrecklicher. Himmel und Erde schienen zu vergehen, und den jüngsten Tag zu verkündigen. Ich wollte mich in Ihren Armen, liebster Vater, verbergen, allein Sie waren so ruhig, und sagten, fürchte dich nicht, mein Sohn. Gott ist gerecht, und wird uns gewiß nicht verlaßen. Sie küßten mich, vor Freuden erwachte ich, und schlief alsdann bis am Morgen.164

Worthy nutzt seine Zeit im Gefängnis, um die anderen Gefangenen zu erziehen und sich der Gefängnisreform zu widmen. Er schreibt Traktate, in denen er darauf besteht, dass es weit besser sei, „durch Vorstellungen guter Thaten und deren Belohnungen, zur Tugend anzuspornen, als durch Furcht vor der Bestrafung von dem Laster abschrecken“,165 und er erklärt: Statt Fluchen und Spielen, habe ich nützliche Arbeiten eingeführt. Sie bemerken daß sie sogar bis zur Unanständigkeit gekleidet waren. Von der ganzen Welt abgesondert und verachtet, glaubten sie, es sey ihnen alles Ungeziemende erlaubt. Ich zeigte ihnen die Möglichkeit, durch Arbeit ihre Umstände zu verbessern, und ein glücklicher Anfang spornte sie zum stärksten Fleiß. [ …] Ich reiße mehr als hundert Elende aus der Gefahr, ewig unglücklich zu bleiben, und auch im Kerker erfülle ich meine Pflicht.166

Ephraims Stück wurde dreimal aufgeführt, aber die Rezensionen waren keineswegs positiv. Kritiker wiesen auf die wenig originelle Handlung und sprachliche Unebenheiten. Der Rezensent des Berlinischen litterarischen Wochenblatts schrieb gleich über die erste Aufführung des Stückes. Er verwies dabei auch auf die ethnische Abkunft des Autors und das Ephraimsche Familiengeschäft der Silberschmelze und Münzprägung: Eine Rhapsodie aus dem Märchen des Landpriesters von Wakefield, die der Verfasser durch Umtaufung der Namen der Personen, und durch die Veränderung der Tathandlungen unkenntlich zu machen gesucht hat. Verbrämet durch rasende Personen, mit einigen Hirschfänger-Stößen, gezückten Dolchen und durchwirkt mit prächtigen widernatürlichen Floskeln, als der Magnet will Eisen und keine Goldpfeife. Feuer will brennendes Öl haben. Sind meine Seelenkräfte von Eisen? Ist mein Fleisch von Erz? — Den Amerikanern werden goldene Bogen zugeschrieben, mit denen sie wider die Spanier zu Felde gezogen sein sollen. Und bei allen diesen Verbrämungen von verschiedenem Metall, wodurch die Reden der handelnden Personen zwar glänzend gemacht worden, ist die Handlung selbst kalt, und der Schluß des Stücks so lendenlahm geworden, daß man die Gardine sinken siehet, ohne für irgendeine Person sich interessieret zu haben. Die jüdische Nation muß sich freuen, daß der Ver-

164 Ephraim (Anm. 160), S. 242–243. 165 Ephraim (Anm. 160), S. 247. 166 Ephraim (Anm. 160), S. 246–247.

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fasser, vielleicht zuerst, den Psalter auf das Theater bringet. Je nun! sie möge sich freuen, und wenn sie zu Jerusalem wieder einziehen sollte, das Stück aus Erkenntlichkeit auf ihrer Bühne aufführen lassen. Dazu würde es wegen seiner asiatischen Floskeln, Träume, Gespenster und Donnerwetter gut genug sein.167

Worthy sollte Ephraims erstes, aber auch letztes Drama sein. Er fuhr fort zu schreiben, allerdings wurde er zu einem Schriftsteller politischer und ökonomischer Schriften, vor allem Eingaben und Denkschriften an den Hof, aber auch Aufsätze und Pamphlete, die er veröffentlichen sollte. Am 23. Februar 1777 hatte der König Ephraim & Söhnen das Schutzprivileg in Breslau gegeben—allerdings am 1. April 1777 wieder hinsichtlich der Handelsmöglichkeiten für die Ephraimsche Familie eingeschränkt.168 Wahrscheinlich stammte die am 22. März 1777 dem Hof vorgelegte Denkschrift, eine sogenannte „Mémoire raisonnée“ von Ephraim. Er entwarf dort einen Plan zur Modernisierung ortsansässiger Handelsgesellschaften und erörterte das Verhältnis der Handelsleute zum Hofe, gleichzeitig schlug er einen größeren Bewegungsspielraum für jüdische Unternehmer vor. Diese Schrift ist lediglich mit „Veitel Ephraim“ gezeichnet.169 Eine Denkschrift vom 27. März 1777 wurde von den Brüdern Ephraim und Daniel Itzig gemeinsam vorgelegt und antwortete auf den Protest von Breslauer Kaufleuten gegen die Einrichtung von Unternehmen und Fabriken durch jüdische Besitzer.170 Dieser Protest war bedingt erfolgreich, denn Friedrich II. ließ zwölf etablierte jüdischen Kaufleute bzw. Judenfamilien in Breslau gewähren. In einem Dekret vom Mai 1777 ging der preußische Hof einen Kompromiss ein, indem er nur gegen die nicht-konzessionierten jüdischen Fabrikbesitzer und Handelsfirmen vorgehen wollte.171 Ephraim war sich damit seiner Stellung als Kaufmann weiterhin sicher. Aber eine königliche Stellungnahme von 1778 fügte auch einen anderen, eindeutigen Satz hinzu: „Was wegen ihres Handels ist, behalten sie, aber daß sie ganze Folkerschaften von Juden in Breslau anbringen und ein ganzes Jerusalem daraus machen wollen, das kann nicht seyn“.172

167 Rezension im Berlinisches litterarische Wochenblatt 2, 17 (27. April 1776), 250–2; wiederabgedruckt in diesem Band S. 273. 168 Die Folge einer Gewährung und Einschränkung von Rechten ist in dieser Zeit typisch. Hier Stern (Anm. 29), III/2:1349 und die Eingabe zur Versicherung des weiteren Schutzes bei Stern (Anm. 29), III/2: 1355. 169 Stern (Anm. 29), III/2: 1335; s. auch Meier (Anm. 88), S. 173. 170 Stern (Anm. 29), II/2: 1336. 171 Stern (Anm. 29), III/1: 148. 172 Geiger (Anm. 40), S. 142.

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Ephraims Beziehungen zu den jüdischen Handelsleuten dieser Gegend in den folgenden Jahren kann auch auf eine andere Weise dokumentiert werden, nämlich durch seine Empfehlungen an den Hof. So ist beispielsweise eine Akte zu einem Paschalis Jakubowicz erhalten, der wahlweise, je nach Brief, aus Warschau oder Breslau stammen wollte. Er berief sich auf eine Empfehlung der Geschwister Ephraim und bot sich als „berühmte[r] armenianische[r] Kaufmann“ dem Königshof an, um den preußischen Handel in Konstantinopel zu fördern.173 Im Sommer 1777 bereiste Ephraim die neuen Gebiete und fuhr bis nach Memel; er unternahm diese Reise mit Mendelssohn. Bei dieser Gelegenheit lernte er auch den Philosophen (und Zollbeamten) Johann Georg Hamann kennen. Ephraims Interesse betraf nicht nur den Handel, sondern auch die Geldpolitik. Frankreich hatte bereits zu Beginn der Revolution, am 14. Dezember, Papiergeld, sogenannte Assignaten, in Zirkulation gebracht. In einem langen Brief vom 23. Mai 1791 hatte Ephraim dem preußischen König bereits aus Paris von der geplanten Ausgabe von Assignaten im Kontext der Enteignungen von Kirchengütern berichtet und auf Schwierigkeiten hingewiesen, und schrieb wie so oft in Französisch, der Sprache des Hofes: La revolution francoise n’aurout jamois en lieu ni Succés sans la depoulle des bien fonds du Clergé, et ces fonds n’autoient été d’aucune utilité si on ne les avoit pas Converti en Argent par le moyen des Assignats, pour presenter une Monnoye sur l’Assurance des susdits fonds. Pour reparer la faute qu’on avoit Commise, de faire des Assignats de trop grosses Sommes On a ordonné de faire des petits de Cinq Livres & pour leur donner plus de Confiance on veut realizer cette nouvelle emission de 100 Millions de petits Assignats par une quantité de Monnois de cuivre qu’on frabriquera.174

1792 folgten dann die ersten republikanischen Assignaten. Hatte Friedrich II. versucht, seinen Krieg durch minderwertige Münzprägungen zu finanzieren, so plante Napoléon bald, seine Feldzüge durch den großzügigen Druck von Papiergeld zu unterstützen. 1805 dachte dann der preußische Staat auch daran, dieses Beispiel aufzunehmen und Papiergeld bzw. Tresorscheine als Anweisungen auf das Staatsvermögen auszugeben, um den zu erwartenden Krieg finanzieren zu können. Die preußischen Scheine, die vorgeschlagen wurden, waren allerdings in einem Holzschnittverfahren hergestellt und leicht zu fälschen. Hier sah nun Ephraim seine Chance, als Experte mitsprechen zu dürfen.

173 GStA PK. I HA Rep. II. Geheimer Rat Auswärtige Beziehungen Nr. 10552, 6. Heft; Eingabe der Geschwister Ephraim vom 22. Februar 1798, Blatt 4/1 (recto). 174 GStA PK. R XI 2892. Korrespondenz von Ephraim an den König Friedrich Wilhelm II, Blatt 155 (recto).

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Abb. 18: Assignat der ersten französischen Republik, RÉPUBLIQUE FRANÇAISE. Erstes Jahr der Republik, 21. November 1792.

Abb. 19a und b: Preußischer Tresorschein zu 5 Thaler courant nach dem Münzfuß von 1764 (recto und verso), gezeichnet von Schulenburg und Stein (ohne Ort und Datum). Zeitgenössische Fälschung.

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Ephraim verfasste eine Schrift, in der er sich praktisch mit der Möglichkeit befasste, den Druck von Geldscheinen durch Geheimzeichen abzusichern, und entwarf eine Methode zur Absicherung von Papiergeld und Staatspapieren, die er der preußischen Regierung als Eingabe vorlegen sollte. Trotz bereits anfänglicher Bedenken wurde sie Sachverständigen vorgelegt.175 Der Kupferstecher Johann Friedrich Frick, der Chemiker Martin Heinrich Klaproth und der Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt wurden hinzugezogen, Ephraims Methode zu untersuchen.176 Nicht Ephraims Schrift selbst, aber der detaillierte Briefwechsel der Beteiligten dokumentiert den Vorgang, durch den der Vorschlag bewertet werden sollte. Letztendlich wurden Ephraims Anweisungen als keineswegs neu oder effektiv angesehen; allerdings sah sich Frick bereits im Vorfeld für den künstlerischen Entwurf der Scheine verantwortlich. Somit wurde Ephraims Vorschlag abgelehnt und Stein, als zuständiger Minister, reagierte darüber hinaus mit einer schroffen Abmahnung.177 Im Mai 1806 schrieb er gar an den König: „Der p. Ephraim hat demnach hierdurch einen neuen Beweis seiner Erbärmlichkeit und seiner allseitigen Beschränktheit gegeben, und verdiente wohl eine Rüge, daß er verständige Männer auf eine so unverantwortliche Art um ihre Zeit bringet.“178 Ephraim war mit seinem Vorschlag sicherlich nicht uneigennützig, denn er erwartete auch eine Prämie von 10 000 Talern, sollte sein Plan angenommen werden.179 Bereits im September 1805 hatte er eine Eingabe mit dem Vorschlag gemacht, 10 Millionen Taler in Münzscheinen zu acht Groschen bis einen Taler herzustellen, die ebenfalls nicht erfolgreich gewesen war. So musste er, obwohl er grundsätzlich dem Papiergeld positiv entgegen 

175 Ephraim, Brief vom 10. Februar 1806. GStA PK. Abt 3. II. HA. Tit LXX Nr. 13; Blatt 1 (recto/verso). 176 GStA PK. 3644. I. HA Generaldirektorium. Generalfinanzkontrolle LXX Nr. 13: Vom Geheimen Kommerzienrat Benjamin Veitel Ephraim erfundenes Verfahren gegen die Verfälschung und Nachahmung von Papiergeld und Staatspapieren 1806. Enthält: Prüfung des Verfahrens durch von Humboldt, Obermedizinalrat von Klaproth und Kupferstecher Frick; sowie Stein, Brief vom 19. März 1806. GStA PK. I. HA Rep 96 A 7c, Blatt 148 [Der Geheime CommißionsRath Ephraim berühmt sich, ein Mittel erfunden zu haben]. 177 Helmut Caspar: Geschichte und Geschichten. Possierliche Tresorscheine. In: Berlinische Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein) 9 (1999), S. 92–95, hier S. 95. 178 Karl Freiherr von und zum Stein: Briefe und amtliche Schriften. 10 Bde in 11 Teilen. Bd. 1. T. Minister im Generaldirektorium. Konflikt und Entlassung. Stein in Nassau, die Nassauer Denkschrift. Wiederberufung (1804–1807). 2. T. Das Reformministerium (1807–1808), bearb. v. Erich Botzenhart und neu hg. v. Walther Hubatsch. Stuttgart 1957, S. 226, auch S. 182. 179 Georg Heinrich Pertz: Aus Stein’s Leben. 2 Bde. Berlin 1856, I: 152; Caspar (Anm. 177), S. 94.

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stand, die Art und Qualität der Tresorscheine bemängeln, die Preußen in den Umlauf bringen wollte, zu begegnen.180 Mit seiner Sorge um die mühelosen Fälschungen der Tresorscheine stand Ephraim allerdings keineswegs alleine. Friedrich Wilhelm Gubitz, der als junger Künstler mit dem Druck der Geldscheine beschäftigt war—Frick hatte ihn mit dem Holzstich beauftragt, seinen Vater, der ebenfalls Künstler war, mit Entwürfen für einen Stahlstich. Gubitz äußerte schon früh Bedenken, die allerdings nicht ernst genommen wurden. In seinen Erlebnissen beschreibt er die Aufträge und seine Beschwerden im Detail.181 „Frick hatte nur ein in der Art der Aqua-Tinta entstandenes, für die Buchdruckerpresse zugerichtetes Aetz=Wirrsal einzufügen“, schrieb er etwa, „und verhärtete sich in seinem, dem Minister v. Stein mit Nebenhülfe beigebrachten Glauben: weil solch Anhängsel ein zufälliges Erzeugniß sey, müsse es auch unnachahmlich seyn“.182 In den Entwürfen wurden zwar die Un-

180 Caspar (Anm. 177), S. 95. S. auch GStA PK. I. HA Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/ 10. Rep 96 A Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode. Maßregeln im Falle der Mobilmachung GStA PK. II. HA Abt 9. Tit LXVI Sekt I Nr. 4 Bd 3. 9. Oktober 1805 (Blatt 6–16): Stellungnahme/Eingabe des Minister Steins zur Creiirung von Papiergeld und Tresorscheinen, mit Blick auf London, Amsterdam, etc.; Blatt 17: Zahlenüberschlag hinsichtlich einer Mobilmachung. 26. October 1805: Bericht zur Herstellung von Papiergeld; Blätter Blatt 31–34: Fragen der Moral und fremde Erfahrungen mit Papiergeld; Blätter 45–67: Über die Natur des Papiergeldes, gez. Schleinitz Berlin, im November 1805; Blätter 68–71: Schrift zum Papiergeld und öffentliche Meinung, gez. Stein 26. October 1805; Blätter 72–77: Eröffnung ausländischer Anleihen zu Amsterdam, Cassel, Franckfurth und Leipzig, sowie inländischer Anleien zu Danzig und Münster, auch über Fuerth, gez. Stein 2. December 1805; Blätter 78–89: Auflage von Papiergeld und Bemerkungen betreffend der Klagen über Geld-Mangel in Berlin, Königsberg und anderen Plätzen unseres Staats im Jahre 1805, nicht gezeichnet, geschrieben am Ende Oktober; Blätter 90–98: Bemerkungen zu den Bemerkungen betreffend der Klagen über Geldmangel, nicht gezeichnet; Blätter 99–108: Über Papiergeld, gez. Alberti; Blätter 109–127: erneute Schrift ad regem, hinsichtlich Obligationen und Papiergeld, gez. Stein, Berlin 2. Dezember 1805; Blatt 128 und folgende: Mobilmachung; Blätter 190–195: von den Ministern gezeichnete Stellungnahme zur Mobilmachung. Mit veränderter Numerierung erscheinen die folgenden Blätter. Blätter 136–142: zum Papiergeld, gez. Stein 14. Januar 1806; Blätter 146–147: Papiergeld und Tresorscheine, gez. Stein 18. Februar 1806; Blatt 148: Prüfung des Vorschlags von Ephraim, gez. Stein 17. März 1806; Blatt 155: mit Abdruck eines Siegels von Friedrich Wilhelm III. zur Prüfung; Blatt 160: Prüfung des Ephraimschen Verfahrens, gez. Stein 6. Mai 1806; Blätter 163–189: Historisch-artistische Darstellung der Creation des neuen preußischen Papiergeldes, gez. Allé (?) 21. Juni 1806; Blätter 194–196: Gesetz zum Papiergeld, 13. Juni 1806; Blätter 197–200; Goldbeck gez. Für das GeneralDirektorium, 22. Juli 1806; Blatt 201: Declaration über den Umlauf von Tresorscheinen, Bestätigung der Finanzen vom 28. Dezember 1806 des Koenigs, bereits aus Koenigsberg zurück. 181 Friedrich Wilhelm Gubitz: Erlebnisse: nach Erinnerungen und Aufzeichnungen. 2 Bde. Berlin: Vereins-Buchhandlung, 1868, I: 88–94. 182 Gubitz (Anm. 181), I: 89.

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terschriften von Stein und Friedrich Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert wiedergegeben, aber Ort und Datum fehlten und die Angabe des Ausgabeortes. Gubitz erwähnt auch, dass er, der offiziell mit dem Druck der Scheine betraut war, 1792 sogar von dem französischen Schatzmeister Martin-Roch-Xavier Estève ein Angebot bekam, Fälschungen herzustellen. Er wollte sich allerdings darauf nicht einlassen.183 Diese Ereignisse bieten den Hintergrund für Ephraims 1806 in Berlin bei Charles Quien veröffentlichtes Pamphlet Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld. In der etwa dreißigseitigen Publikation skizziert er eine Geschichte des Papiergeldes und weist dabei nicht auf Frankreich und die für Preußen bedrohliche Lage hin, denn die napoleonischen Truppen waren auf einen siegreichen Vormarsch und sollten im Herbst des Jahres bereits Berlin erreichen. Stattdessen zitiert er den Brief eines englischen Lords. England sollte hinsichtlich der Wirtschaftspolitik als ein Vorbild wirken. Doch Ephraim beschreibt auch die Praxis des Geldverkehrs. Papiergeld war leichter zu handhaben und zu transportieren. Dennoch erwähnt er die Schwierigkeiten der Händler, Vertrauen zu einem Zahlungsmittel zu gewinnen, das selbst keinen Materialwert besitzt, aber verspricht, als Gegenleistung für ihre Waren das Silbergewicht einer Münze zu garantieren. „Wie kann es ihm [dem Händler] auch nur einfallen“, schreibt er, daß diejenige Autorität, die bei dem Branntweinbrenner Visitation anstellen läßt, ob der gehörige Visitation anstellen läßt, ob der gehörige Spiritus, nemlich innrer Gehalt, in dem Branntwein enthalten sey—selbst den innern Gehalt einer der heiligsten Sachen „des Geldes“ zu verfälschen fähig sey? Nein, so wenig ein Kind, das täglich von der zärtlichsten Sorgfalt seiner Mutter, durch die emsige Untersuchung der Nahrungsmittel, die sie selbst größtentheils mit genießt, überführt ist, daß solche nichts schädliches enthalten, nur im geringsten vermuthen kann, daß eben diese Mutter ihm ins Geheim Gift beibringen wird; — eben so wenig kann ein Volk glauben, daß der Landesvater das Geld verfälschen werde. Die Annahme des gemünzten Geldes beruhet also nicht blos auf leeren Glauben und Vertrauen, sondern auf der Gewisheit eines jeden, daß er den vollen Werth in einer Waare, die gleichen Werth in der ganzen Welt hat, dafür in seine Hände bekömmt.184

183 Gubitz, (Anm. 181), I: 115–118. 184 Benjamin: Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld. Berlin 1806. Zitiert nach dem vorliegenden Band, S. 283.

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Abb. 20: Benjamin Veitel Ephraim, Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld. Berlin: C[harles]. Quien, 1806.

Dass sich hier der Sohn eines berühmten Münzentrepreneurs, der auch selbst an der Prägung von Münzen verdient hatte, für den Umlauf von Papiergeld aussprach, ist bemerkenswert. Dabei erwähnte er auch das Problem der leicht möglichen Fälschung von Papiergeld. Der Wert, den ein Schein verbürgen sollte, entsprach ja nicht dem seines Materials. So forderte er auf, dem Herrscher ein Vertrauen zu schenken, obwohl dieses Vertrauen eigentlich gerade durch die Herstellung der sogenannten Ephraimiten während des Siebenjährigen Krieges nicht eingelöst wurde. Aber nicht nur Händler sollten dem Papiergeld Vertrauen schenken, auch der Staat. Denn nicht nur der Staat konnte gefälschte Geld ausgeben; es könnten auch leicht Papierscheine zirkulieren, die dem Staate schaden würden.

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Für Ephraim, der sowohl als Ökonom wie als praktizierender Kaufmann argumentieren wollte, zeichneten sich die Vorteile des neuen Zahlungsmittels trotz dieser doppelten Gefahr ab. Im gleichen Jahr, 1806, veröffentlichte Ephraim einen Aufsatz mit dem Titel „Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat“. Er erschien im Preußischen Staatsanzeiger, einer Zeitschrift, die „von einer Gesellschaft von Geschäftsmännern“ herausgegeben war, worauf der Untertitel hinwies. Mit diesem Text brachte sich Ephraim in die Diskussion um die Emanzipation der Juden ein, die seit einiger Zeit fast alle führenden Männer der jüdischen Aufklärung oder Haskala beschäftigte. Herz Cerf Beer von Medelsheim, ein wohlhabender Jude und Hofagent aus Straßburg, der 1775 vom französischen König Louis XVI bereits die Bürgerrechte erhielt,185 setzte sich für die elsässer Juden ein. Er schrieb eine Petition an den König und wandte sich an Mendelssohn um Hilfe und möglichen Korrektur. Mendelssohn nahm dies als konkreten Anlass, um den ihm bekannten preußischen Staatsbeamten Christian Wilhelm von Dohm zu der Abfassung eines Textes zu bitten. 1781 hatte erschien der erste Band der Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden.186 Dohm sprach sich darin für mehr Rechte für die jüdische Bevölkerung aus; skizzierte aber auch einen Erziehungsweg für Juden, der einer Emanzipation vorangehen sollte. Denn Juden sollten sich akkulturieren und für den Staat nützlich werden. Dohm entwarf den Gedanken einer Emanzipationswürdigkeit der Juden, die durch Erziehung, Bildung und Angleichung an christliche Moral und Werte erreicht werden sollte. Der Gedanke einer „Verbesserung“ ihrer Situation war an dem Gedanken einer erzieherischen „Verbesserung“ der Juden geknüpft. Kurz nach der Fertigstellung des Dohmschen Buches versuchte Mendelssohn, eine französische Übersetzung zu veranlassen.187 Der französische Weg zur Judenemanzipation folgte jedoch anders; dort wurden Juden 1791 aufgrund des Gedankens der allgemeinen Menschenrechte gleichgestellt.188 Die jüdischen Gemeinden

185 Vgl. Renée Neher-Bernheim: Cerfberr de Medelsheim. Le Destin d’un famille durant la Révolution. In: Revue des Études juives CXXXVII 1–2 (1978), S. 61–75. 186 Christian Wilhelm Dohm: Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden. 2 Bde. Berlin 1781– 83. 187 Dohm: De la réforme politique des Juifs, übersetzt von Jean Bernoulli, hg. v. Dominique Bourel. Paris 1984. Die Übersetzung des ersten Bandes erschien zuerst 1782 in Dessau, s. Dohm: Über die bürgerliche Verbessung der Juden. Kritische und kommentierte Studienausgabe, hg. v. Wolf Christoph Seifert. Göttingen 2015, S. 48–50. 188 Vgl. Robert Badinter: Libres et Égaux… L’émancipation des Juifs sous la Révolution française (1789–1791). Paris 1989; Zosa Szajkowski: Jews and the French Revolutions of 1789, 1830 and 1848. New York 1970, S. 45–74; Shmuel Trigano: The French Revolution and the Jews. In: Modern Judaism 10, 2 (1990), S. 171–190 und Szajkowski: The Emancipation of Jews During the French Re-

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in Frankreich – Juden siedelten vor allem in den französisch-deutschen Grenzgebieten Elsass und Lothringen, aber auch in Südfrankreich und im alten Papstgebiet Avignon — wurden jedoch nicht zur gleichen Zeit emanzipiert und sollten auch im Zuge der Emanzipation ihre traditionellen Gemeinden aufgeben. Während Preußen sich als christlicher, protestantischer Staat verstand, waren seit der Französischen Revolution Staat und Religion in Frankreich strikt voneinander getrennt. 1806 stellte Napoléon in einem imperialen Dekret die Religionen in Frankreich gleich.189 Dieses Dekret datierte vom 30. Mai; Ephraims Aufsatz folgte wenig später im September des Jahres. So scheint es zunächst, dass seine Schrift als eine Reaktion auf Napoléons Erlass gedacht war. Allerdings weist die Anmerkung des Zeitschriftenredakteurs darauf hin, dass der Artikel bereits 1789, also im Jahr der Französischen Revolution, entstanden war und zu dieser Zeit der preußischen Regierung als Denkschrift übergeben wurde. Damit schrieb Ephraim seine „Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat“ wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Dohms Schrift, dessen Begriff der „Verbesserung“ er hier übernahm. Napoléons Dekret mochte den aktuellen Anlass gegeben haben, sie nun im Preußischen Staatsanzeiger zu publizieren. Ephraim fordert in seinem Aufsatz weder eine radikale Emanzipationserklärung, noch tritt er für den Gedanken einer Trennung von Staat und Kirche ein. Er bleibt bei Dohms Vorschlag einer Erziehung der Juden zu verantwortungsvollen preußischen Bürgern und befürwortete die Akkulturation als eine Voraussetzung der Emanzipation. Sein Bruder Ephraim Veitel hatte bereits Anfang 1785 eine Denkschrift „Ueber die Lage der Juden in Preußen“ verfasst, die er Mendelssohn zum Kommentar vorlegte.190 Dort versuchte er die Nützlichkeit der Juden für den preußischen Staat zu beweisen und folgerte, dass „der Jude […] also dem Lande in allem Betracht sehr nützlich“ werden könnte.191 Benjamin Veitel widmet sich in seiner Arbeit hingegen einer Beschreibung und Bewertung der jüdischen Religion, deren Verbote er auf drei grundsätzliche reduzierte: „Götzendienst, Mordthat

volution. A Bibliography of Books, Pamphlets and Printed Documents, 1789–1800 (Continued). In: Studies in Bibliography and Booklore, 3,3/4 (1958), S. 87–114. 189 Vgl. Pierre Birnbaum: L’Aigle et la Synagogue. Napoléon, les Juifs et l’État. Paris 2007; Patrick Girard, La Révolution française et les Juifs. Paris 1989. 190 Sie befindet sich heute als „Denkschrift des Hofjuweliers Ephraim Veitel Ephraim“ in einer Akte „Civilsachen unter Friedrich dem Großen“ im GStA PK; GSt A Berlin, Rep. 94, Nr. 403; s. Schoeps (Anm. 86), S. 61. Steiner schreibt die Schrift versehentlich Benjamin Veitel Ephraim zu; s. Steiner (Anm. 25), S. 64–66. 191 Die Denkschrift ist abgedruckt bei Schoeps (Anm. 86), S. 62–69, hier S. 67.

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und Blutschande“.192 Nach Ephraim waren es vor allem die Rabbiner, welche den Mitgliedern ihrer Gemeinde Anweisungen gaben, die eigentlich für die Religionsausübung unwesentlich waren und die aufgeklärte Juden nicht befolgen sollten. Wie andere Schriftsteller der Haskala, so wandte sich auch Ephraim gegen den „Scharfsinn“ der Talmudauslegungen,193 denn nur so könnte die zentrale Rolle der Thora bewahrt werden: Das Resultat aus allem obigen würde also seyn, daß nicht die Religion, sondern die Rabbinen Schuld sind, daß die Juden nicht so wie die Christen, dem Staate nützlich seyn können; diese sind es, die ihnen wiederholentlich vorpredigen, daß sie kein Vaterland, als das ihnen gelobte Land haben, und um dieses wieder zu bekommen, wäre das einzige Mittel die Buße, und diese bestände darin, viel Unglück in fremden Ländern zu ertragen, und alles anzuwenden, um nur in großes Elend zu gerathen.194

„Es ist keine Nation in der Welt von ihren Beherrschern tyrannischer behandelt worden, als die jüdische“,195 fährt Ephraim fort, und als Beispiel diente ihm die Geschichte Frankreichs. Ende des 14. Jahrhunderts wurden die dort ansässigen Juden des Landes vertrieben; jene, die bleiben wollten und sich taufen ließen, wurden ihres Gutes beraubt. Für Preußen entwarf der Autor, der ja vor allem auch Kaufmann war, eine neue Steuerkalkulation. Gerade durch die Einnahmen, die sie bringen konnten, suchte er zu beweisen, dass Juden durchaus nützliche Bürger ihres Staates werden konnten. Und sie konnten sogar Patrioten sein. Sollte der Redakteur des Preußischen Staatsanzeigers mit seiner Datierung des Aufsatzes Recht haben, so stellte Ephraim selbst mit dieser Schrift seinen Patriotismus unter Beweis. Sie diente als preußische Antwort auf Napoléons Edikt. Im Sommer 1811 sandte Ephraim eine letzte politische Denkschrift an den Hof und zu Händen des Ministers Hardenbergs. Er enthielt den Vorschlag eines Landtausches, der Preußen vor weiteren Angriffen Frankreichs retten und einen weiteren Krieg vermeiden sollte. Hierzu ist Hardenbergs Reaktion überliefert: In Erstaunen setzte jetzt ein Gutachten von einem bekannten Franzosenfreunde, Ephraim, welches damals bei Hardenberg einging, der es französischen Inspirationen zuschrieb. Danach sollte das pommersche und westpreußische Küstenland, vielleicht auch ganz Ostpreußen an Napoleon abgetreten, oder doch zu dessen Verfügung gestellt werden; wogegen Preußen durch Bestandtheile in Polen und Sachsen zu entschädigen wäre, so daß es einen

192 Ephraim: Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat. In: Der Preußische Staatsanzeiger, hg. v. einer Gesellschaft von Geschäftsmännern. 2. Bd., Heft 9 (September). Berlin 1806, S. 343–355; im vorliegenden Band S. 294. 193 Ephraim (Anm. 192), S. 294. 194 Ephraim (Anm. 192), S. 295. 195 Ephraim (Anm. 192), S. 296.

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von Rußland ganz getrennten Staat ohne Debouches ausgemacht hätte. Hardenberg combinirt das mit den allgemeinen Tendenzen des Continentalsystems; aber, ruft er aus, „was für ein armes, des Absatzes seiner Erzeugnisse, des freien Verkehrs beraubtes Land würde damit Preußen geworden sein“. Er legte das Gutachten ohne weitere Beachtung bei Seite.196

IV Politische Sendungen Bereits als junger Mann hatte sich Ephraim als politischer Schriftsteller betätigt und ein Manuskript „über die Lage Englands und dessen merkantilistische Verfassung“ verfasst, welches er Mendelssohn zur Begutachtung sandte.197 Dieser schien sich über diesen Aufsatz positiv zu äußern.198 Die Denkschrift ist nicht mehr erhalten. Aber Ephraim schien diesen oder einen ähnlichen Aufsatz auch anderen Personen gezeigt zu haben; jedenfalls machte seine Einschätzung der englischen Politik unter preußischen Diplomaten die Runde.199 Ephraim beschäftigte sich im Folgenden besonders mit Wirtschaftsfragen und auch der Situation der polnischen Gebiete. Dabei gelang ihm der Schritt vom Schriftsteller zur politischen Praxis. So wurde Ephraim bereits 1763 von Graf Ernst Wilhelm von Schlabrendorf, dem dirigierenden Minister in Schlesien vorgeschlagen, als Generalsyndikus der polnischen Judenschaft in Breslau zu wirken und auf diese Weise auch den Handel dort voranzutreiben; diese Aufgabe machte, unter Zahlung einer Gebühr, auch die Weiterführung seines Toleranzbriefes für ihn und seiner Familie möglich, durch den sie in den neuen Gebieten weiterhin tätig sein konnten. Unter den Geschäftsmöglichkeiten in Polen befand sich auch die des Holzhandels und um 1773 folgten Salzkontrakte. Salz wurde von Liverpool und Cádiz importiert und nach Polen geliefert und Ephraim dachte schon früh an die Möglichkeit, dort Manufakturen zu etablieren.200 Die politische Aufgabe und die wirtschaftlichen Vorteile gingen Hand in Hand. 1770 verfasste Ephraim eine Denkschrift, in der er beschrieb, wie der Handel mit und in Polen verbessern werden könnt, und in der er auch Verbesserungen

196 Leopold von Ranke (Hg.): Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg. 5 Bde. Leipzig 1877, IV:271. 197 Ephraim (Anm. 62), S. 164, 167. 198 Ephraim (Anm. 62), S. 164. 199 Ephraim (Anm. 62), S. 164–165. 200 Zum letzteren, s. Hermann Fechner: Wirtschaftsgeschichte der preußischen Provinz Schlesien in der Zeit ihrer provinziellen Selbstständigkeit 1741–1806. Nach den Akten des Geheimen Staatsarchivs und des Handelsministeriums in Berlin, des Staatsarchivs und des Oberbergbauarchivs zu Breslau. Breslau 1907, S. 353.

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bezüglich der Verpflegung der Armee vorschlug.201 Nach der ersten Teilung Polens 1772 hatte er allerdings Schwierigkeiten, in den von Preußen besetzten Gebieten Schulden einzutreiben. Seine Erfahrungen im Münzgeschäft seines Vaters führten für ihn auch zu einem anderen Engagement in Polen, das er anscheinend nur widerwillig einging. Er sollte dort schlechte Münzen prägen. Wie er später schrieb, widerstrebte es ihm diese Tätigkeit; aber er fürchtete auch den Hohn, auf den er sich hinsichtlich seiner Herkunft gefasst machen musste: „Sieh, der Jude spielt den Ehrlichen!“202 So willigte Ephraim ein und musste auch polnisches Getreide mit falscher Münze bezahlen und wurde Zeuge der Hungersnot in den polnischen Gebieten. Er wurde vom Hof auch zum Abschluss von Verträgen über den Salzhandel nach Warschau geschickt.203 Im September 1786 bestieg Friedrich Wilhelm II. den Thron. Kurz danach wandte sich Ephraim bereits an den König mit Vorschlägen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in den polnischen Gebieten.204 Bereits 1792 verfasste er eine Eingabe zur Etablierung von Spitzenmanufakturen im Netze-Distrikt und schlug die Einstellung von Hunderten jüdischer Klöpplerinnen vor.205 Damit verband er sein Engagement für diese Gegend und seine Zuversicht in eine frühe Industrialisierung mit seinem Interesse für die jüdische Bevölkerung, die zum großen Teil in Armut lebte und die er, nicht zuletzt im Sinne der Aufklärung und im Hinblick auf ihre rechtliche Position, erziehen, bilden und ausbilden wollte. Seine Eingabe verband den Gedanken des wirtschaftlichen Aufbaus der Gegend mit jener der „Verbesserung“ der jüdischen Bevölkerung. Das polnische Getreide verkaufte Ephraim auch nach Belgien. So sollte er 1787 das Land bereisen, um Verträge und Lieferungen zu überprüfen. Er wurde Zeuge

201 Noch 1780 versucht Ephraim, das Geld einzuverlangen, dass er 1772 für die Verpflegung der Truppen in den polnischen Gebieten vorgeschossen hatte, s. Stern (Anm. 29), III/2: 639. GSt A PK Nr. 207 b2 Fasz 156: Kommissionsrat Benjamin Veitel Ephraim wegen Rückzahlung verauslagter Gelder für die Verpflegung von Truppen; 2. März 1780. 202 Ephraim (Anm. 62), S. 168. 203 Joachim Kühn: B.V. Ephraims Geheimsendung nach Paris, 1790/91: Ein Beitrag zur Kabinettspolitik Friedrich Wilhelms II. Dissertation Gießen 1916; auch enthalten in Kühn: Historische und polemische Aufsätze zur französischen Politik. Berlin 1920, S. 83–138. Im Folgenden zitiert nach dem Dissertationsdruck, hier S. 13. S. auch GStA PK. 6154. I. HA Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10: Handelskompanien; Rep 96 Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode Nr. 423 L: Die Preußische Seehandlung 1773. Enthält u. a. den Vertrag Benjamin Veitel Ephraims mit drei polnischen Palatinaten über die Lieferung von Salz, Januar bis Juni 1773. 204 Stern (Anm. 29), III/2: 1610–1611. 205 GStA PK. II HA Abt. 26 CCC XX 47 Bd. 1, Blatt 3–8: Eingabe hinsichtlich der Einrichtung von Kantenmanufakturen und Anstellung jüdischer Arbeiterinnen in den neuen preußischen Landgebieten, 22. Februar 1792; in diesem Band S. 327–332.  

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des politischen Aufbruchs in Brabant im Vorfeld der Französischen Revolution und teilte seine Beobachtungen Oberstleutnant Johann Rudolf von Bischoffswerder [Bischofswerder] mit, mit dem er seit längerem bekannt war und den er wahrscheinlich auch an einigen Getreidegeschäften beteiligte. Bischoffswerder, der ursprünglich aus Sachsen stammte, war bereits Friedrich II. verbunden gewesen; er wurde inzwischen zu einem engen Berater des neuen Königs, Friedrich Wilhelm II.

Abb. 21: Johann Christoph Frisch, Friedrich Wilhelm II. 1794, 1797. Der König trägt den Schwarzadlerorden. Seine linke Hand ruht auf einer Landkarte von Frankfurt am Main, im Hintergrund der Ort, an dem die preußische Armee ihr Quartier einnahm.

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Abb. 22: Hans Rudolf von Bischoffswerder, Porträtstich, verlegt v. Edward Francis Cunningham, 1793.

Bischoffswerder war von Ephraims Berichterstattung beeindruckt und empfahl ihn an den König für besondere diplomatische Dienste. Dieser kannte Ephraim ebenfalls, denn er hatte sich noch als Kronprinz Geld bei ihm geliehen, gerüchte-

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weise sogar 200 000 Taler.206 Somit erhielt Ephraim eine andere politische Aufgabe. Er sollte diesmal in den Westen reisen, um die politische Situation in Brabant, der österreichischen Niederlande, genauer zu eruieren. Dabei sollte er die Brabanter Revolutionsbewegung gegen Joseph II. unterstützen und somit die Situation Österreichs schwächen. Offiziell war Ephraim ein privater Geschäftsmann auf Reisen. Er war in Brüssel mit den Mitgliedern des belgischen Nationalkongresses in Kontakt und traf sich mit Heinrich van der Noot, dem Vertreter der klerikalen Partei, sowie mit dem Staatssekretär Pierre Jean Simon van Eupen. Er versprach ihnen nicht nur eine finanzielle Unterstützung Preußens, ohne dessen Zustimmung kein Frieden geschlossen werden sollte, sondern auch die Einrichtung eines Getreidelagers in Maastricht, das Ephraim selbst finanzieren wollte.207 Vor allem verhandelte er auch über Belgiens politische Lage, sollte es zu einer Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich kommen. Preußen wollte sich absichern. Die Gespräche schienen erfolgreich zu sein. Ephraim kehrte nach Berlin zurück und Bischoffswerder und der König schienen mit ihm sehr zufrieden zu sein. Spätestens am 22. März 1790 reiste Ephraim nochmals nach Brüssel und die Zeitung Le Modérateur hatte seine Ankunft folgendermaßen angekündigt: „Le Juif Ephraim de Berlin, émissaire du roi de Prusse, est arrivé à Bruxelles accompagné de son neveu & secretaire le baron d’Estok“.208 Der belgische Staat, der sich im Januar 1790 mit Preußens stillschweigender Unterstützung etabliert hatte, erhielt keine internationale Anerkennung und wenige Monate später sollten, wenn auch nur für kurze Zeit, die Österreicher ihre Herrschaft wieder geltend machen. Der Blick des preußischen Hofes führte aber auch nach Osten. Friedrich Wilhelm II. und sein Minister Ewald Friedrich von Hertzberg waren bemüht, Preußen gegenüber Russland und Österreich zu stärken und vor allem die Grenze zwischen Schlesien und Ostpreußen zu sichern. Österreich hatte sich mit Russland verbunden und führte seit 1787 Krieg mit dem Osmanischen Reich. Die Französische Revolution von 1789 veranlasste den preußischen König nun, rasch vorzugehen, um einen Frieden zwischen Preußen und Österreich zu ermöglichen. Auf englische Initiative trafen sich am 27. Juli 1790 Kaiser Leopold II. und Friedrich Wihelm II. im schlesischen Reichenbach. Österreich versprach bei diesem Treffen, den Krieg mit dem Osmanische Reich zu beenden und auf Gebiete an der Donau zu verzichten. Preußen verzichtete wiederum auf die Städte Thorn und Danzig und versprach, jegliche Unterstützung für die Revolution im österreichischen Brabant  

206 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 347, sowie Kühn (Anm. 203), S. 13. 207 Kühn (Anm. 203), S. 14. 208 Vgl. die Ankündigung der Ankunft Ephraims: Le Modérateur (22. März 1790), Titelseite.

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Abb. 23: Ankündigung der Ankunft Benjamin Veitel Ephraims in Brüssel, Le Modérateur (22. März 1790), Titelseite.

einzustellen und Unruhen in Ungarn nicht zu unterstützen. Die Reichenbacher Konvention sollte vor allem die Großmächte gegen das revolutionäre Frankreich vereinen, dessen politische Entwicklung schwer abzuschätzen war. Mitte oder Ende August reiste Ephraim nach Breslau und wurde zum nahen Hoflager in Scheidnig geladen. Dort wurde er mit einer diplomatischen Sendung

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beauftragt, doch diese war vielleicht diffiziler. Es ging nicht um den möglichen Erfolg eines Aufstandes in Brabant, sondern um die bereits Realität gewordene Revolution in Frankreich. Ephraim sollte über Brüssel nach Paris reisen, um die politische Lage in Frankreich für Preußen zu sondieren. Traditionell war Preußen ein Gegner Österreichs gewesen, mit Österreich hatte es die Schlesischen Kriege geführt. Aber Friedrich Wilhelm II. war unentschieden, ob er eine Allianz mit Frankreich eingehen sollte. In Frankreich rebellierten bereits einige gegen die Monarchie und Österreich war die Heimat der französischen Königin Marie Antoinette; der Kaiser war gar ein Bruder dieser Königin und nahm aus persönlichen wie politischen Gründen gegen Frankreich Stellung ein. Es ging auch darum, die Monarchie in Preußen zu erhalten. Ephraim sollte nun dem preußischen König über ein Land in der Revolutionszeit berichten. Ephraim traf am 27. September 1790 erneut in Brüssel ein und reiste von dort aus auch nach Den Haag. Von Brüssel aus schickte er noch am 27. September und auch im Oktober erste Berichte nach Berlin.209 Er erreichte Paris in der ersten Novemberwoche 1790. Wiederum gab er sich dort als ein privater Geschäftsmann aus, der gleichzeitig auch für Preußen Handelsverträge mit Frankreich erarbeiten sollte. Für diese Aufgabe erhielt Ephraim ein Gehalt von 3000 Taler, aber auch den Titel eines Geheimrates oder Geheimen Kommerzienrates. Somit wurde Ephraim, obwohl er keine preußischen Bürgerrechte besaß, der erste jüdische Geheimrat Preußens. In vieler Hinsicht muss der Aufenthalt in Paris für ihn prägend gewesen sein. Im Gegensatz zu Berlin war Paris 1790 bereits eine wahre Großstadt, in der zu dieser Zeit ein reges Kulturleben herrschte, Cafés und Restaurants eifrig frequentiert wurden, und eine Vielfalt von neuen Zeitungen gegründet wurde. Diese berichteten nicht nur über die politischen Ereignisse, sondern boten auch Anzeigen und Ergänzungsblätter und erfanden mit diesen zusätzlichen Seiten oder „feuillets“ ein neues Genre, das Feuilleton.210 Selbst die Vorherrschaft von Paris als Modehauptstadt blieb in der Revolutionszeit unangetastet; die bisherigen Luxusartikel des Adels wurden durch andere ersetzt. Am 4. Juni 1790, einige Monate vor Ephraims Ankunft in der französischen Hauptstadt, wurde diese administrativ neu geordnet und in 48 Sektionen geteilt; die Sektionen wurden dann 1795 in 12 neue Arrondissements von jeweils vier Teilen zusammengeschlossen.

209 GStA PK. 6162I. HA Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10. Rep 96 Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode. Politische Korrespondenz, Belgien. Nr. 168 A: Beziehungen zu Belgien (Österreichische Niederlande) Generalia 1789–1792; GSt RXI 2891. Enthält u. a. zwei Berichte des Kommissionsrates Benjamin Veitel Ephraim aus Brüssel vom 27. September und 7. Oktober 1790, Blatt 3–4 (recto/verso). 210 Vgl. Alfred Nettement: Histoire politique, anecdotique et littéraire du « Journal des débats. Paris 1842.  

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Abb. 24: John Stockdale, A Plan of the City of Paris, London, 1800.

Für einen Berliner Juden war das Leben in Paris außergewöhnlich. Die Emanzipation der Juden Frankreichs erfolgte erst ab September 1791 und Ephraim war zur Zeit der Emanzipationserklärungen nicht mehr im Land. Aber die Hauptstadt selbst hatte vor der Französischen Revolution keine nennenswerte jüdische Bevölkerung.211 Während in Berlin in diesen Jahren über die bürgerliche Gleichstel-

211 Vgl. Léon Kahn: Les Juifs de aris pendant la révolution. Paris 1898; Kahn: Les Juifs de Paris au dishuitième siècle d’après les archives de la lieutenance générale de police à la Bastille. Paris 1894; Bernhard Blumenkranz und Albert Soboul (Hg.): Les Juifs et la Révolution Française: Ouvrage publié avec le concurs du Centre national des lettres (ser.) Franco-Judaïca. Paris 1989; Paul Hildenfinger: Documents sur les juifs à Paris au XVIIIe siècle : actes d’inhumation et scellés / recueillis. Paris 1913, und BNF. http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k6481515v. (Zugriff August 2020). Ferner Robert Anchel: Napoléon et les Juifs. Paris 1928; Philippe Sagnac: Les Juifs et Napoléon (1806–1808). In: Revue d’histoire moderne et contemporaine 2 (1900–1901), S. 595–604 und

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lung der Juden gestritten wurde, waren Juden in Paris zum großen Teil einfach unbekannt. Menschen- und Bürgerrechte sollten Privilegien des Adels aufheben, eine Gleichberechtigung der Bürger bewirken und die Macht der Kirche einschränken.212 In Preußen besaß Ephraim nur einen Schutzbrief, der seinen Aufenthalt in Berlin ermöglichte. Er hatte als Jude die preußische Residenzstadt verlassen und erreichte Paris als Mensch. In Paris galt er als Preuße. Ephraim sah sich in Paris auch auf einem besonderen politischen Parkett; er war nicht der reiche Hofjude, sondern ein scheinbar gleichgestellter Gesprächspartner — zumindest den französischen Politikern und Diplomaten gegenüber. Rundum erlebte er eine neue soziale wie politische Freiheit, die ihn zu einem starken Befürworter einer preußischen Allianz mit Frankreich werden ließ. Joachim Kühn zeichnete in seiner Studie B.V. Ephraims Geheimsendung nach Paris 1790/91 den Aufenthalt Ephraims in dieser Stadt akribisch anhand von Briefen und Dokumenten nach. Er sollte acht Monate lang dauern. Bereits kurz nach seiner Ankunft hatte sich Ephraim mit Mitgliedern der Nationalversammlung in Kontakt. Dem König gegenüber berichtete er von der erhofften Freundschaft dieser Politiker mit Preußen und deren Hoffnung auf eine Allianz.213 Am 6. Dezember stellte der preußische Gesandte in Paris, Graf Bernhard Wilhelm von der Goltz, Ephraim auch offiziell dem französischen Außenminister Comte de Montmorin-Saint-Herem vor, um offiziell über Zölle und Warenlieferungen zu verhandeln. Montmorin kannte Ephraim jedoch schon aus Berichten, die er über dessen Verhandlungen in den Niederlanden erhielt. Ephraims Einsatz für die Aufständischen dort widersprach seinen eigenen Interessen,214 doch wollte er Ephraim auch für ein Abkommen mit Preußen gewinnen und teilte ihm Frankreichs Bedingungen mit.215 So verhandelten beide über bessere Handelsbedingungen für Preußen, aber führten auch Gespräche über das Vermögen jener Franzosen, die im Zuge der Revolution nach Preußen flohen und nicht zurückkehren wollten. Es ging es in den Zusammenkünften ebenfalls um die Stellung der Reichsfürsten in dem östlichen Grenzgebiet des Elsass und am

Bernhard Blumenkranz (Hg.): Juifs en France au XVIIIe siècle (ser.) Collection Franco-judaïca. Paris 1994. 212 Vgl. Kates, Gary: „Jews into Frenchmen: Nationality and Representation in Revolutionary France. In: Ferenc Fehér (Hg.): The French Revolution and the Birth of Modernity. Berkeley 1990, S. 103 – 115. 213 Ephraim, Brief an Friedrich Wilhelm II., 22. November 1790, GStA PK. G St.A R XI 89, 287 fol. 27 et v. 214 Ephraim, Brief an den König Friedrich Wilhelm II., 6. Dezember (datiert November) 1790, G St.A R 92, Bernhard Wilhelm von der Goltz, II, Nr. 1. 215 Ephraim, Brief an den König Friedrich Wilhelm II., 10. Dezember (datiert November) 1790, GSt PK. GStA R XI 89 287 fol. 45–46 v.

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Rande der wirtschaftlichen Vereinbarungen auch um Preußens Stellung zu England. Premierminister William Pitt wollte eine Allianz mit Preußen und der Türkei gegen Russland erhalten. Am 17. Dezember 1790 legte Ephraim Montmorin einen Entwurf eines Handelsabkommens vor, das versuchte, die wirtschaftliche Überlegenheit Frankreichs durch Vereinbarung hinsichtlich des Transitverkehrs für preußische Schiffe auszugleichen; es betraf Verträge für Holzlieferungen und vieles mehr. Allerdings waren Ephraims Ausführungen recht vage, denn Ephraims Zweck sollte ja nicht das Wirtschaftsabkommen sein. Er spielte auf Zeitgewinn. Sein Hauptziel war die ausführliche Berichterstattung der Pariser Ereignisse nach Berlin. Dabei versuchte er den preußischen König zu überzeugen, sich mit Frankreich zu verbünden; Montmorin versicherte er wiederum den guten Willen Preußens. Er versprach Montmorin auch, sich für ein Treffen des französischen Gesandten in Paris, den Grafen Elénor-François-Elie de Moustier, mit dem preußischen König einzusetzen, und beauftragte seine Frau Gutche in Berlin, Vorarbeit zu leisten.216 Montmorin ließ Ephraims Vorschläge prüfen. Details, die den Schiffsverkehr betrafen, liefen dem französischen Gesetz zuwider; anderes war zu vage. Ein solcher Vertrag konnte nicht unterzeichnet werden. Aber eigentlich lief alles gut für Ephraim: Preußen dachte ernsthaft an eine mögliche Allianz mit Frankreich; Frankreich war ebenfalls an einem Abkommen mit Preußen interessiert. Montmorin begann nach der Lektüre des vagen Entwurfes wiederum hinsichtlich Ephraims politischer Einstellung zu zweifeln. Er war Royalist und gehörte der Gruppe konservativer Politiker an. Da war nicht nur die Sache mit Brabant. Es kam ihm zu Gehör, dass Ephraim in Paris mit Politikern Kontakt aufnahm, die radikaler waren, oder sich zumindest gegen das Königspaar wandten. So schrieb er bereits am 20. Dezember 1790 an Moustier: „L’objet qu’il a mis en avant, est une traité de commerce, mais j’ai lieu de juger que sa mission va plus loin et qu’il a été chargé de nous sonder sur un rapprochement politique“.217 Ephraim traf sich in dieser Zeit mit dem Marquis de Lafayette, über dessen Rolle im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg er gut informiert war. Lafayette unterstützte aufgeklärte Staatsreformen, stand aber Preußens Politik in Brabant kritisch gegenüber. Ephraim traf sich auch mit dem Grafen Mirabeau, der mit Mendelssohn bekannt war und sich für die Toleranz der Juden in Preußen einsetzte. Mirabeau hatte 1787 eine Schrift Sur Moses Mendelssohn, sur la Réforme Politi-

216 Kühn (Anm. 203), S. 23. 217 Armand Marc Comte de Montmorin-Saint-Herem, Brief an den Comte Elénor-François-Elie de Moustier, 20. Dezember 1790; zitiert bei Albert Sorel: L’Europe et la Révolution Française. 8 Bde. Paris 1842–1906, II: 157.

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que de Juifs veröffentlicht.218 Ephraim sprach mit ihm über das Münzwesen. Doch Ephraims Enthusiasmus für Mirabeau zeigte auch gewisse Grenzen und es ist vielleicht zu vermuten, dass er bereits den Verdacht hegte, dass sich der progressive Politiker im österreichischen Sold befand. Weitere Bekannte Ephraims aus dieser Zeit waren Handelsbeauftragte der neuen Volksvertretung, etwa Jean Joseph de Laborde. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit dem Schriftsteller Choderlos de Laclos, der damals noch den Jakobinern angehörte. Laclos‘ erotischer Briefroman Les liaisons dangeureuses war 1782 erschienen und er gehörte zu den bekanntesten Intellektuellen der Stadt.219 Gerade Ephraims Beziehung zu ihm sollte sehr bald zu Schwierigkeiten für ihn führen, denn Laclos war Sekretär von Louis Philippe, dem Herzog von Orleans, und kein Freund des Königspaars. Laclos wollte keine Republik; er wollte wohl eher den Herzog von Orléans auf dem Thron Frankreichs sehen. So begannen bereits im Winter 1790 in Paris Diskussionen um Ephraims politische Einstellung. Der österreichische Gesandte Franz Paul von Blumendorf störte sich an Ephraims pro-revolutionären Einstellung und vermeintlicher Kritik der Königin Marie Antoinette.220 Möglicherweise hatte Ephraim tatsächlich überlegt, ob eine Rückkehr der Königin nach Österreich die Chancen für eine preußischfranzösische Allianz verbessern könnte. Aber Blumendorf brauchte keine Fakten, um Intrigen zu spinnen und an den österreichischen Staatskanzler Geschichten über den „Jud Ephraim“ weiterzuleiten.221 Monmorin störte sich ebenfalls an der Begeisterung Ephraims für das neue Frankreich und vermutete ihn den revolutionären Gesellschaften und dem Jakobinerklub verbunden. Dort hatten sich auch einige Deutsche eingefunden, etwa Jean-Baptiste Cloots aus Kleve.222 Vor allem schien sich Ephraim ungehörig zu benehmen, er gab sich ihm gegenüber vertraulich und hielt nicht die angemessene Distanz. Dabei hatte Ephraim wenig Kontakt zu den radikaleren Revolutionären. Er fühlte sich eher zu den Vertretern der Großbourgeoisie und sogar dem Adel hingezogen – er traf sich mit Antoine Barnave, Adrien Duport, der sich später beson-

218 Honoré-Gabriel de Riquetti, Comte de Mirabeau: Sur Moses Mendelssohn, sur la Réforme Politique de Juifs : Et en particulier Sur la révolution tentée en leur faveur en 1753 dans la grande Bretagne. London 1787. 219 Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos: Les Liasons dangereuses. 4 Bde. Paris 1782. 220 Franz Paul Zigeuner von Blumendorfs Berichte erschienen als: Der Weg in den Krieg. Die Berichte des Franz Paul Zigeuner von Blumendorf, k.k. Geschäftsträger in Paris 1790–1792, hg. v. Michael Hochedlinger, Wien 1999. 221 Montmorin, Brief an Moustier, 4. Februar 1791; Brief zitiert bei Kühn (Anm. 203), S. 31. 222 Georg Scheuer: Deutsche in der Französischen Revolution. In: Rote Revue. Sozialistische Monatsschrift 45,7–8 (1966), S. 221–224; hier S. 222.

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ders für die Emanzipation der Juden einsetzen sollte, und Charles de Lameth. Ephraim war für viele der Errungenschaften der Revolution und gleichzeitig konservativer Monarchist, der das Recht auf Privateigentum vertrat. Zu dem Ärger anderer Diplomaten lebte Ephraim in Paris auch auf großem Fuße, dabei bezahlte er das meiste aus der eigenen Tasche; seine Ausgaben übertrafen bei weitem das schmale Budget, dass der König ihm offeriert hatte.223 Als Sohn eines Hofjuden schien er den anderen Gesandten auf dem politischen Parkett in Paris jedoch fehl am Platz. Montmorin signalisierte an Moustier in Berlin, dass Ephraim in Paris intrigiere und mit seinem Enthusiasmus für die Revolution versuche, Frankreich dem Kaiser zu entfremden. Moustiers Verhandlungen mit Bischoffswerder, für die er sich zunächst eingesetzt hatte, sollten nun auf diplomatische Weise abgebrochen werden. Während Ephraim versuchte, weiter mit Montmorin zu verhandeln und vor allem Berichte zu schreiben, war sein Auftrag eigentlich schon zu Beginn des Jahres 1791 gescheitert. Dies war nicht einmal seinem Verhalten oder seinem gesellschaftlichen Umkreis zuzuschreiben: Friedrich Wilhelm II. hatte sich bereits politisch umorientiert. Bereits am 7. Januar wandte sich Bischoffswerder in seinem Auftrag an den österreichischen Gesandten Reuß und gab ihm bekannt, dass Preußen sich zu einer Allianz mit Österreich gegen Frankreich bereit erklären würde. Die weiteren Ereignisse in Frankreich gaben dem preußischen König zu denken; die französischen Gerichtshöfe waren bereits im September aufgelöst worden; der Klerus wurde im November auf die neue Verfassung vereidigt, die Stimmen der anti-Monarchisten schienen lauter zu werden. Inzwischen litt Österreichs Bündnis mit Russland hinsichtlich der Frage der Walachei, die Russland beanspruchte. Nur wenige Tage, nachdem Montmorin den französischen Gesandten in Berlin davor warnte, dem preußischen Hof zu sehr entgegenzukommen, machte sich Bischoffswerder tatsächlich auf den Weg nach Wien. Reuß sollte ja, als Ironie der Geschichte, im Juni 1797 eine Nichte Ephraims, Mariane Meyer, heiraten. Wenn Montmorin fortan nun also nicht mehr an eine Allianz mit Preußen glaubte, so tat er dies zu Recht. Ephraim wusste allerdings nichts von dieser neuen politischen Lage und wurde in dem Glauben gelassen, dass die Möglichkeit einer Allianz mit Frankreich weiterbestand. Für den preußischen König wandelte sich Ephraim von einem Informationsgeber zu einer Person, die ein singuläres Ablenkungsmanöver darstellen sollte. Dabei rechnete der Hof allerdings nicht mit Montmorin, der begonnen hatte, Ephraim als einen Feind Frankreichs zu betrachten und sich in diesem Sinne auch mit dem österreichischen Gesandten am fran-

223 Kühn (Anm. 203), S. 15.

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zösischen Hof, Franz Paul von Blumendorf, verständigte. Der befürchtete, dass Ephraim den österreichischen Interessen zuwider handeln könnte. Im März 1791 holte Montmorin dann zu einem eigenen Schlag gegen Ephraim aus. Er veröffentlichte anonym ein Pamphlet mit dem Titel Le secret de la coalition des ennemis de la Révolution françoise, das auch in Berlin und anderswo Verbreitung fand und mit dem Geheimrat abrechnen sollte.

Abb. 25a und b: [Armand Marc Comte de Montmorin-Saint-Herem], Le secret de la coalition des ennemis de la Révolution Françoise [sic], März 1791, Titelblatt und erste Seite.

Montmorin wandte sich darin gegen Barnave, de Lameth und anderen, mit denen Ephraim verkehrte, und argumentierte deutlich gegen einen möglichen Einfluß oder Einmischung Preußens auf die französische Politik. So führte er aus: La Prusse entretient ici depuis quelques mois un agent dont toutes les vues sont suspectes , les démarches équivoques & les discours incendiaires. – Le sieur Ephraïm , qui, banquier , juif, neveu de cet autre Ephraïm , qui, ministre de Frédéric-le-Grand, pendant la guerre, ne trouva d’autre ressource que d’inonder l’Allemagne de fausse monnoie ; le sieur Ephraïm est ici entretenu par le roi de Prusse ; tantôt il prétend être chargé d’acheter des biens nationaux, & il n’y a pas une seule offre de faite par lui ; tantôt il annonce être chargé de proposer un traité de commerce , & un traité de commerce entre la France & la Prusse est un incroy-

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able chimere. […] Cet homme s’environne de tous les subalternes révolutionnaires qui remplissent nos cafés & y fomentent l’exaltation; cet homme ne parle de notre révolution qu’avec un enthousiasme plus que suspect. – Enfin cet homme répete & ose dire au milieu d’un café, qu’il n’y auroir de liberté en France que lorsqu’on auroit tué la reine.224

Bei allen offensichtlich falschen Aussagen und Gerüchte wird hierbei auch deutlich, dass Ephraims Status als reiner Handelsmann in Paris nicht mehr glaubhaft erschien. Ephraim interessiere sich nicht für Handelsbeziehungen oder den Ankauf von Nationalgütern, schrieb Montmorin.225„Puisse le génie de la France & de la liberté éloigner de nous des telles horreurs“ beendet Montmorin sein Pamphlet, [p]uissons-nous bientôt revenir à la verité & à la raison, connoître nos amis & nos ennemis, marcher d’un pas ferme dans la route de la liberté, & voir rentrer dans le néant ou s’éclipser sans retour, & les émissaires étrangers qui nous conseillent de nous avilir & de nous perdre par des crimes, & les factieux scélérats qui se rendent leurs complices, parce qu’ils aiment encore mieux régner ou piller chez un peuple coupable & féroce, que de vivre sans puissance dans le sein d’une nation libre & douce, mais qui les auroit connus.226

Wie zuvor in der Ankündigung seiner Ankunft in Brüssel im März 1790 im Modérateur wurde Ephraim hier als Neffe seines Vaters beschrieben, und dieser gleich zu einem Minister befördert. Für Montmorin war Ephraim nicht nur ein Feind Frankreichs, der sich gerade durch seinen Enthusiasmus für die Revolution verdächtig machte; vor allem wurde er als preußischer Agent entlarvt. Doch Ephraims Probleme nahmen zu. Als das Königspaar, dass in den Tuilerien festgesetzt wurde, ihre Residenz verlassen wollte, um die Osterwoche im April im Schloss von Saint-Cloud zu verbringen, wurde dies als Fluchtversuch gesehen, der von Laclos geplant und von Ephraim finanziert wurde. Dieser hatte dank seiner finanziellen Großzügigkeit bereits in kürzester Zeit einen Ruf als reicher Berliner Geschäftsmann erhalten. Die Gerüchte, Ephraim hätte auf eine Flucht und damit Absetzung des Königs hingearbeitet und sich daher gegen eine konstitutionelle Monarchie gewandt, die zu dieser Zeit auch erwogen wurde, verbreiteten sich schnell. Weitere, weniger rezipierten Broschüren erschienen ebenfalls in diesem Frühjahr, etwa Le Messie Ephraim, Lettre de Binjamin Benoni, juif de Pou, à Elias Lévi, juif d’Allemagne oder das als fiktiver Brief veröffentlichte Pamphlet Lettre

224 Kühn (Anm. 203), S. 16–17. 225 Vgl. dazu Zosa Szajkowski: Jewish Participation in the Sale of National Property during the French Revolution. In: Jewish Social Studies 14,4 (1952), S. 291–316. 226 Armand Marc Comte de Montmorin-Saint-Herem: Le secret de la coalition des ennemis de la Révolution françoise. Paris 1791, S. 24–25.

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Abb. 26: Anon., Le Messie Ephraim, Lettre de Binjamin Benoni, juif de Pou, à Elias Lévi, juif d’Allemagne, 1791, Titelblatt.

d’Ephraïm A Laclos.227 Diese Schriften stellten nicht nur eine Verbindung zwischen Ephraim und dem preußischen König fest, sondern insistierten auch auf Ephraims Judentum. In Le Messie Ephraim verkündet ein fiktiver Briefautor

227 Le messie Ephraim, Lettre de Binjamin Benoni, juif de Pou, à Elias Lévi, juif d’Allemagne, 1791, 7 Seiten. Bibliothèque National de France, ID/Cote : 8-H PIECE-661, N.C. ; Lettre d’Ephraïm à

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Abb. 27: Anon., Lettre d’Ephraïm à Laclos, 1791, Titelblatt.

namens Benoni die frohe Botschaft: „Nous avons enfin le Messie“.228 Der neue Messias, Ephraim Josué, käme nun nicht von Bethlehem, sondern aus Preußen:

[P.A.F. Choderlos de Laclos], 1791, 4 Seiten. Bibliothèque National de France, ID/Cote : 8-LB399888 , N.C. Die Pamphlete erschienen in Paris natürlich ohne Angabe eines Verlages/Druckers. 228 Anon. (Anm. 227), S. 1.

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Il parloit de la liberté & la plûpart de ces infidèles, s’imaginoient qu’il s’aggisseit de la leur ; il cherchoit à leur donner de la compassion pour le Turc, qui du moins est circoncis , & qui ne pourra jamais nuire à ses desseins ; il s’élevoit contre l’Empereur, contre la Reine de france, & même un peu contre le Roi ; car le Messie qui doit être le Roi des Rois , cherche de loin à abaisser les têtes coronnées. Le Roi de Prusse est le seuil dont il ne parle pas, parce qu’il s’en sert comme d‘ instrument qu’il brisera un jour à son gré.229

Den Kaiser Leopold hätte Ephraim bereits besiegt, nun stünde der französische Senat und das französische Volk auf der Agenda, bevor sein Siegeszug weiter ginge nach Wien. Der fiktive Lettre d’Ephraïm A Laclos will beweisen, dass Ephraim einen Coup gegen den König finanziert und den Duc d’Orléans, für den Laclos wirkte, auf den Thron setzen will—dies alles auch mit dem Einverständnis des preußischen Königs, „telles sont du moins les intentions de Frédéric-Guillaume, mon maitre“.230 In der Zwischenzeit war am 12. Mai das amtliche Schreiben des preußischen Hofes nach Wien übermittelt worden, welches das Bündnis beider Mächte beschließen sollte. Am 23. Mai wollte sich Ephraim erneut durch einen Brief an den König versichern, ob er noch mit dessen Vertrauen rechnen könnte, und gab gleichzeitig kodiert ein Gespräch mit Montmorin wieder, um seine Aufgabe nicht als aussichtslos erscheinen zu lassen und neues Vertrauen zu gewinnen: Le Comte de Montmorin m’a demandé entr’autres, si j’ai quelques nouvelles concernant la guerre : j’ai répondu : que me lettres particulieres m’annoncent que les préparatifs sont encore le mêmes, & que je suis persuadé : que V. M. ne desire rien que la paix. Il me répondit : que je puis être fermement persuadé & assuré : que l’Impératrice de Russie pense de même, & qu’il est sur : que la guerre n’aura pas lieu, & c’est avec un air d’assurance, qu’il me le disoit : de façon que je présume qu’il Le tient officiellement de Petersbourg, vü que je sais que ces trois Puissances la Russie, l’Espagne & la France sont très liées, & d’accord. Les ésprits dans les Pays bas autrichiens sont encore montés contre le Gouvernement Les démocrates & les von Kistes se sont reünis. On a déja su séduire les régiments hongrois de vorte, que l’Empereur se soit dorcé de les remploier par des régiments autrichiens.231

Montmorins anonym erschienenes Pamphlet aber hatte ein weites Publikum erreicht, sogar Katharina die Große las es in St. Petersburg.232 In Berlin wurde es dem Minister Hertzberg zugespielt. Dieser war nun gegen Ephraim aufgebracht,

229 Anon. (Anm. 227), S. 4–5. 230 Anon. (Anm. 227). S. 1. 231 GStA PK. VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13: Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794. Blatt 157 (recto). 232 Steiner (Anm. 25), S. 140.

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Abb. 28a: François-Louis Comte d’Escherney, „Varieté“, Artikel mit einem Brief des Grafen Hertzfeld, Supplément au Journal de Paris 69 (10. Juni 1791), Titelseite.

da er zu viel Aufmerksamkeit erregte. Hertzberg wollte nicht für Ephraims Aufenthalt in Paris verantwortlich sein und wusste selbst noch nicht, dass bereits an Ephraims Abberufung gedacht war. So veröffentlichte er am 10. Juni 1790 über

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Abb. 28b: François-Louis Comte d’Escherney, „Varieté“, Artikel mit einem Brief des Grafen Hertzfeld, Supplément au Journal de Paris 69 (10. Juni 1791), S. ii.

einen französischen Bekannten, den Grafen François-Louis d’Escherny, einen Brief im Journal de Paris, in dem er Ephraim nicht beim Namen nannte, sich aber sich von fragwürdigen Gesandten, „aventuriers qui se donnent pour émissaires de

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la Prusse“, distanzierte.233 So wurde Ephraims Schicksal während seines Aufenthalts in Paris nicht zuletzt von der neuen Presse verhandelt, die zur Revolutionszeit florierte und eine neue Öffentlichkeit schuf.234 Hertzberg war zu dieser Zeit ein betagter Minister und gerade dabei, seinen Aufgabenbereich zu verkleinern ohne ganz zurückzutreten. Er bemühte sich mit diesem Artikel nicht nur um die Rettung seines Rufes, sondern auch um seinen Nachruhm. Sein im Journal de Paris lancierter Brief verletzte und provozierte Ephraim, der sich ja als Vertreter Preußens in Paris verstand und deshalb keine Presse dieser Art von einem preußischen Minister erwartet hatte. So antwortete er gleichfalls mit einem Artikel, der anonym erschien. Er wies darin auf den durch Hertzbergs Alter bedingten Machtwechsel im Ministerium hin und verteidigt diesen mit Ironie. Hertzbergs Hinweise auf Ephraims Judentum beantwortete er auf seine Weise, in dem er den Artikel nicht mit einem Namen zeichnete, sondern provozierend mit „un Prussien“.235 Am 13. Juni 1791 wandte sich Ephraim an den König und wehrte sich dabei auch deutlich gegen Hertzbergs Verweis auf Ephraims Judentum. „Cela seul est deja un crimme qu’un Juif prétend avoir du Patriotisme?“ fragte er,236 und gab damit auch gleich eine Antwort hinsichtlich seiner politischen Position: Ephraim sah sich als preußischer Patriot. Als solcher sah er sich unter dem Schutz des preußischen Königs und fühlte sich trotz allem noch sicher. Im Frühjahr, der Wirbel um Montmorins Pamphlet war noch nicht vorbei, besuchten ihn seine Frau und eine Tochter in Paris.237 So agierte Ephraim weiter. Wie zuvor von Brüssel aus, so schrieb er auch in den Monaten seines Pariser Aufenthaltes fast täglich und unermüdlich an den preußischen Hof. Er sandte Briefe, Berichte und Kopien von politischen Broschüren nach Berlin. Seine noch erhaltene Korrespondenz ist somit auch ein Archiv seltener Pariser Flugschriften, Zeitungen, gedruckter Anzeigen und Regierungsverlautbarungen.238 Bisweilen fügte er auch eigene Denkschriften bei, in denen er

233 François-Louis Comte d’Escherney: Varieté [Artikel mit einem Brief des Grafen Hertzfeld]. In: Supplément au Journal de Paris 69 (10. Juni 1791), Titelseite und S. ii. 234 Vgl. Jeremy Popkin: Revolutionary News. The Press in France, 1789–1799. Durham 1990. 235 [Ephraim], „Au Spectateur national“, Le Spectateur National et le Moderateur 205 (23. Juni 1791), S. 879–880; wiederabgedruckt in diesem Band S. 277. 236 Zitiert bei Kühn (Anm. 203), S. 43 Anm. 237 S. Kühn (Anm. 203), S. 42. 238 Allein den Briefen vom Winter 1791 findet sich z. B. die folgenden Pamphlete: GStA PK. I Rep 11 Nr. 89 Fasc 288 neu: RXI 2892, Blätter 4–6 ein eingelegter Bericht zum Brief vom 7. Januar 1791; Blätter 44–46, eingelegt im Brief vom 4. Februar 1791, Projet d’Adresse aux François, sur la constitution civile du clergé, von Mirabeau, Blätter 75–78, Rapport sur les droits à l’entreé des Villes, und Kopien von Dekreten.  

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die politische Lage analysierte und Vorschläge machte. Manchmal holte er weit aus und spekulierte über eine zukünftige preußische Mittelmeerflotte oder den Handel mit Konstantinopel. Vor allem bot er allgemeine Wirtschaftsanalysen, denen er ebenfalls persönliche Stellungnahmen und Anweisungen hinzufügte. Ephraims Denkschriften aus Brüssel und Paris waren dabei nur zum Teil in lateinischer Schrift und entweder in deutscher oder französischer Sprache verfasst; Französisch wurde ja nicht nur in Brabant und Paris, sondern auch am Hof in Berlin gesprochen. Aber er benutzte auch einen Geheimcode, wie er zu dieser Zeit üblich war und wie ihn auch Lessing während seiner Zeit als Regimentssekretär Tauentziens verwendet hatte. Das System war leicht verständlich, der Code keineswegs. Es war ein Zahlencode, in diesem Fall in Gruppierungen von in der Regel jeweils vier Ziffern. Der Schreiber hatte einen Schlüssel zur Hand, mit dem er Buchstaben Ziffern zuordnen konnte. Der Empfänger hatte einen Dechiffrierschlüssel, der den Vorgang wieder rückgängig machen und den Code auflösen konnte.

GstA. RXI 2892. Geheimkorrespondenz an Friedrich Wilhelm II: Verschiedene Abschriften von Gesetzgebungen und Verlautbarungen 2 finden sich die folgenden eingebundene Schriften: Im Brief vom 4 (?) Februar 1791, „Projet d’Adresse aux François sur la constitution civile du clergé/ Adopté et presenté par le Comité Ecclésiastique à l’Assemblée Nationale dans la Séance du 14 Janvier 1791/prononcé par M Mirabeau, laîné/A Paris, L’Imprimerie Nationale 1791“. Im Brief vom 19. Februar 1791, „État des dépenses publiques de l’années 1791, publié au nom du Comité des Finances en suite de son rapport du 6 février 1791/imprimé par ordre de l’assemblée nationale/A Paris, de l’imprimerie nationale M.DCC. XCI“. Im Brief vom 11. April 1791, „Rapport sur le choix d’une unité de mesure,/ Lu à l’Académie des Sciences le 19 mars 1791/Imprimé par ordre de l’Assemblée Nationale/[gezeichnet] Condorcet,/ Secrétaire perpétuel/de l’imprimerie nationale“. Im Brief vom 10. Juni 1791, „Rapport sur le Projet du Code Pénal/Présenté à l’Assemblée nationale au nom de Comités de Constitution & de Législation Criminelle/Imprimé par ordre de l’Assemblée Nationale/A Paris, De l’Imprimerie Nationale 1791“. Im Brief vom 17. Juni 1791, „Rapport/ sur la Situation du Royaume/Fait au nom des Comités de Constitution, Diplomatique, Militaire, des Recherches et des Rapports, à la Séance de l’Assemblée Nationale, du Samedi 11 Juim 1791;/Par M. Fréteau, Député du Département de Seine & Marne;/ Imprimé par ordre de l’Assemblée Nationale/A Paris,/de l’Imprimerie Nationale/1791“. Im Brief vom 1. Juli 1791, „Lettre de Mr. le Marquis de Bouillé, Général de l’Armée Françoise sur la Meuse, la Moselle, & la Sarre, à l’Assemblée Nationale/Luxembourg, 26. Juin 1791“. Ebenfalls im Brief vom 1. Juli 1791, „Déclaration/ du Roi/Adressé à tous les François, à sa sortie de Paris/Journals des Débats, No. 763/A Paris, le 20 juin 1791, Signé Louis/A Paris, Chez Baudouin“. Im Brief vom 29. Juli 1791, Le Courrier des LXXXIII Départements No XXIII (23. Juli 1791) und Journal Génerale de l’Europe vom gleichen Tag eingebunden mit dem vorigem Journal.

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Abb. 29a: [Benjamin Veitel Ephraim], „Varietés. Au Spectateur national“, Le Spectateur National et le Moderateur 205 (23. Juni 1791), S. 879.

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Abb. 29b: [Benjamin Veitel Ephraim], „Varietés. Au Spectateur national“, Le Spectateur National et le Moderateur 205 (23. Juni 1791), S. 880.

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Abb. 30a: Benjamin Veitel Ephraim, Brief an den König Friedrich Wilhelm II., Brüssel, 18. Oktober 1790. Zum Teil mit Zahlenchiffre der Geheimschrift verfasst; über der Chiffre befindet sich die am Hofe getätigte Dechiffrierung.

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Abb. 30b: Benjamin Veitel Ephraim, Brief an den König Friedrich Wilhelm II., Brüssel, 18. Oktober 1790. Zum Teil mit Zahlenchiffre der Geheimschrift verfasst; über der Chiffre befindet sich die am Hofe getätigte Dechiffrierung.

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Abb. 30c: Benjamin Veitel Ephraim, Brief an den König Friedrich Wilhelm II., Brüssel, 18. Oktober 1790. Zum Teil mit Zahlenchiffre der Geheimschrift verfasst; über der Chiffre befindet sich die am Hofe getätigte Dechiffrierung. Die Anmerkungen wurden wahrscheinlich von Minister Bischoffswerder hinzugefügt und mit seiner Initiale versehen.

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Ein Lehrbuch der Kryptographie, das 1809 veröffentlicht wurde, stellte den Vorgang folgendermaßen dar: Einem Gesandten werden, von dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten, gewöhnlich drei Chiffres an den Ort seiner Bestimmung mitgegeben: 1) der Chiffre chiffrant (ChiffrirTabelle), dessen man sich bedient, um einen Aufsatz in Geheimschrift zu übersetzen; 2) der Chiffre déchiffrant (DechiffrirTabelle), mit dessen Hülfe man die empfangene Geheimschrift in gewöhnliche Schrift übersetzt; 3) der Chiffre banal (CommunicationsChiffre), den man allen Besandten desselben Hofes mittheilt, um sich dessen in ihrem Briefwechsel unter sich zu bedienen.239

Um den Text weiter zu verschlüsseln, wurde der zu dechiffrierende Text nach diesem System nicht immer in der gleichen Sprache gehalten oder wechselten sogar in ein und demselben Brief die Sprache; manchmal wurden falsche Codes eingeführt, um die mögliche Entzifferung schwieriger zu machen und den nicht eingeweihten Leser in die Irre zu führen. Viele der Briefe Ephraims waren nicht vollständig in Chiffre geschrieben, sondern begannen mit lateinischen Buchstaben und boten Unverbindliches, bevor der Text in die Geheimschrift wechselte, nur um zum Ende des Briefes in Klartext aufgelöst und mit einer Unterschrift versehen zu werden. Die Briefe waren datiert und deshalb in eine Reihenfolge zu bringen; sie wurden vom Hofamt auch durchnummeriert aufbewahrt; zum Teil dechiffriert und mit Bemerkungen der Adressaten versehen. Ein besonderes Dechiffrieramt bei Hofe beschäftigte sich mit der Encodierung und dem Kopieren wichtiger Briefe und in Ephraims Briefen ist ersichtlich, dass die Dechiffrierer ihre Auflösungen oft über den Zahlenchiffren vermerkt hatten. Den Handschriften der Anmerkungen oder Dechiffrierung zur Folge gab es mehrere Beamte, die Ephraims Briefe lasen. So wurden Nachrichten zu Themen, die nicht interessant waren, nicht mehr weiter entziffert oder andere Briefe mit Bemerkungen wie „unnütz“ versehen: „car ils sont entirement inutiles au cabinèt“.240 Sehr wahrscheinlich wurde dann eine Auswahl getroffen, die an die Minister oder gar den König weitergereicht oder vermittelt wurde. Manche Briefe erhielten auch längere Kommentare oder gar Handlungsanweisungen. Briefe und Berichte wurden dann im Hofamt kopiert und geordnet abgelegt, dabei verpackt und verschnürt. Bisweilen bestand das verwendete Aktenpapier aus wie-

239 D. Johann Ludwig Klüber: Kryptographik. Lehrbuch der Geheimschreibekunst (Chiffrierund Dechiffrierkunst) in Staats- und Privatgeschäften. Tübingen 1809, S. 58. 240 „car ils sont entirement inutiles au cabinèt“: GSt.A PK. R XI 2892. Korrespondenz von Ephraim an den König Friedrich Wilhelm II: Blatt 340; Potsdam, 5. April 1791.

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derverwendeten Papiertapeten.241 So sind die Dokumente sind heute im Geheimen Preußischen Staatsarchiv einsehbar.

Abb. 31: Auswahl von Briefakten des Hausarchivs am Hofe Friedrich Wilhelm II. Geheimes Preußisches Staatsarchiv Berlin.

Ephraim selbst erhielt oft nur kurze Direktiven einfach weiterzumachen. Er berührte in seinen Briefen eine große Reihe von Themen. So versprach dem König am 19. Februar: „je puis donner des nouvelles precises et certaines, des évenements Politiques qui s’y sont passes“,242 und analysierte die politische Lage in den Niederlanden. Er verband mit seinen Analysen auch immer allgemeine Ausführungen über politische Systeme oder die Wirtschaftspolitik an sich: Pour etre veritablement une Nation, il faut avoir un Teritoire, et un Teritoire tel qu’il puisse nourir sa population, salarier ses administrateurs et ses Juges, payer la depense du Culte

241 Vgl. GStA PKA BPH Rep 48 325–32: Briefe an den Prinzen Friedrich Wilhelm (II.) von Preußen, 1765–1786 (auch einige andere Daten). 242 Ephraim, Brief an den König, 19. Februar 1791. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 48 (recto).

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publiq, stipendier la force exterieure, qui doit le deffendre des incursions etrangeres, et la force et la force domestique qui doit garantir la Constitution des insurrections de ses ennemis, et le citoyen des attentats du citoyen.243

In Brabant zum Beispiel waren die Bedingungen für einen unabhängigen Staat nach Ephraim nicht ganz gegeben, und er führte eine Kostenaufrechnung dessen auf, was investiert werden müsste, um den Kommerz und die Sicherheit eines Landes zu garantieren. Dabei versuchte er immer die Interessen Preußens als treuer Diener des Landes zu vertreten.

Abb. 32: Handschriftliche Notiz von Minister Bischoffswerder für die Formulierung einer Chiffre an Benjamin Veitel Ephraim, undatiert.

243 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 44 (recto).

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Ephraim spielte seine eigene Expertise hinsichtlich der Niederlande dabei gegenüber den Nachrichten aus und widerlegte Gerüchte, die er gehört hatte und die in Paris zirkulierten. Dazu gehörte jenes, das Preußen sich Brabant gegenüber nicht richtig verhalten habe. Am 21. Februar berichtete er wiederum über die neuen französischen Wirtschaftsbestimmungen: „L’Assemblée Nationale a aboli tous les Corps de métier, Communauté & Compagnie, qu’a l’avenir chacun aura la Liberté de s’occupper, travailler et trafiquer, dans tout genre qu’il Voudra ; á Condition qu’il payera les droits de Patente“,244 und gab die realen oder geschätzten Zahlen weiter, nach denen man ableiten könnte, wie sich bei einer Bevölkerung von etwa 25 Millionen Franzosen die Einnahmen verteilen würden. Oft beinhalteten die Briefe kodierte Abschnitte, hier hieß es: „Pour prouvez: que la France ne perd pas de vuë les démocrats Hollandois, je veux seulement observer : qu’elle paye encore annuellement aux fugitifs démocrates, huit cent mille livres. On peut pas là juger : qu’elle est encore la rivale & l’ennemie invélérée des Anglois : Bruxelles est actuellement le séjour des plus riches françois aristocrates“.245 In einem vom 2. Mai, widmete sich Ephraim dem Militär und dem Status der ehemaligen Papststadt Avignon.246 Am 15. Mai fuhr er fort, sich mit der Volkswirtschaft Frankreichs zu beschäftigen und schätzt die Aus- und Einnahmen. Er berichtete von den Diskussionen hinsichtlich des Status der französischen Kolonien und über die Rechte der Schwarzen. Am 20. Mai wechselte Ephraim zum Thema der bürgerlichen Teilnahme bei politischen Entscheidungen via Petitionen. Er schrieb über die Vor- und Nachteile eines Gebrauchs von Assignaten gegenüber dem von Münzen. Er führte das Thema der Kolonien und der schwarzen Bevölkerung, „Mulatres“, fort. Diesmal versuchte er, die Überseekolonien Frankreichs oder Englands mit den neuen Gebieten Preußens zu vergleichen und somit auch auf Preußens nationale Politik einzugehen. Dabei lag ihm wiederum Polen nahe: „Je Sais bien qu’il n’est pas facile d’etablir des fabriques dans un païs comme la Pologne, mais avec de la patience & de l’asiduité on parvient pourtant à faire quelques progrés ; Ce Royaume qui jusqu’a present a été pour la Prusse ce que furent les Colonies de L’Amerique pour l’Angleterre“.247 „L’Avantage qu’un Etat tire en S’appropriant l’invention des Machines, par des bons Mechaniciens pour Ses fabriques est bien notoire, mais Sitot qu’on a introduit ces Machines, dans une fabrique, il est essential, que cet usage Soit Suivi, dans toutes les fabriques que L’etat possede“ heißt es dann in einem Brief vom

244 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 73 (recto). 245 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 74 (verso). 246 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 141 (recto) bis Blatt 142 (verso). 247 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 153 (verso).

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3. Juni, der sich mit der Industrialisierung auseinandersetzte, die ihm sehr am Herzen lag. Am 20. Juni konnte er seine Gedanken konkretisieren: Ein französischer Künstler hatte eine neue Maschine zur Geldprägung erfunden, die allerdings nun in England hergestellt würde.248 Von Ausführungen über den Vorteil einer solchen Prägemaschine geht Ephraim zu einer Diskussion der neuen französischen Strafgesetze über, den Code pénal. Eine Kopie des Codes schickte er nach Berlin. Und diesmal fügte er in Geheimschrift die Nachricht hinzu, dass die Assemblé nationale nun genügend Beweise gegen den Prinz Condé und seine Gefolgschaft gesammelt hätte; hatte der Prinz doch eine Gegenrevolution geplant.249 Ephraim fuhr auf diese Weise fort, über vieles zu berichten. Aber er wusste auch, dass seine Situation seit März doch heikel war. Deshalb nahm er von Treffen mit Vertretern der Nationalversammlung Abstand. So schrieb er Ende Mai an den König, dass er sich sicherheitshalber gesellschaftlich zurückgezogen hatte. Er protokollierte sein Gespräch mit Golz und gab es so an seinen König weiter: Je Suis obligé de faire à Vôtre Majesté la Relation d’une Affaire qui peut etre ne l’interessera pas, mais je crois qu’il est de mon devoir d’en donner Avis a Vôtre Majesté Depuis quelque Mois je me suis retiré de toute Societé, soit Democrate, ou Aristocrate, pour ne point Causer Ombrage et eviter toute question ; depuis quelque Semeines Monsieur le Comte de Golz m’a dit, qu’on loui demandoit par tout le but de mon Sejour à Paris, que les Aristocrates se tourmentoient en reflexions Sur mon Compte, et hier il questionné sur ce Sujet ; je me suis rendu chez Monsieur le Comte de Montmorin que je n’avois pas Vu depuis quelques tems pour lui demander le motif de Sa Question […].250

Aber Ephraims Rückzug aus der Gesellschaft hatte nur neue Gerüchte zur Folge. Diesmal hieß es, dass er ein Royalist wäre und er verdächtigte Moustier, ihn zu einem Anti-Revolutionär erklärt zu haben. So beschwerte er sich bei Bischoffswerder und dem König über seine heikle Situation, fuhr aber fort, aus Paris zu berichten. Dabei war Ephraim war sicherlich nicht der einzige jüdische Spion dieser Zeit; zur Zeit der Französischen Revolution, aber auch des Wiener Kongresses, waren einige aktiv gewesen. Dominque Bourel berichtet von 582 Spionagefällen, die zwischen 1778 und 1792 in Wiener Archiven dokumentiert werden, davon handelte es sich bei 172 Spionen um Juden.251 Für die Herrscher dieser Jahre waren jüdische

248 Ephraim, Brief vom 10. Juni 1791. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 188 (recto). 249 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 188 (recto), Blatt 188 (verso). 250 Ephraim, Brief v. 23. Mai 1791. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 55 (verso). 251 Bourel: Ephraim, un espion juif allemand. In: Yod 27–28 (1988), S. 81–91 ; hier S. 82–83.

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Spione sehr bequem. Sie hatten transnationale Geschäfts- und Familienbeziehungen, waren meist mehrsprachig, und konnten glaubhaft Handelsinteressen als ihren Aufenthaltsgrund anführen. Sie besaßen keine Bürgerrechte und konnten notfalls sogleich fallengelassen werden.252 Ephraims Position verschlechterte sich allerdings noch weiter. Am 20. Und 21. Juni versuchte das Königspaar nach Varennes zu fliehen und wurde gefasst; eine Regierungskrise folgte. Am 13. bis zum 16. Juli tagte die Nationalversammlung und beriet über den Beschluss, den König wiedereinzusetzen. Barnave verließ am 16. Juli mit einer Gruppe anderer Delegierten den Jakobinerklub, um einen rivalisierenden Klub, die Société des Amis de la Constitution Monarchique oder Feuillants, zu bilden; Laclos hatte bereits 1790 eine Zeitschrift, das Journal des Amis de la Constitution, gegründet. Für den folgenden Tag wurde im Protest zu einer Massendemonstration aufgerufen. Am 17. Juli 1791 wurde Ephraim dann angeblich auf dem Marsfeld in der großen Volksmenge gesehen, die gegen die Monarchie demonstrierte. Die lautstarke Versammlung wurde von Lafayette aufgelöst und es kam zu blutigen Zwischenfällen. Am 18. Juli traten zahlreiche Personen aus dem Jakobinerklub aus, und traten der konservativeren Gruppierung der Feuillants bei. Am gleichen Tag wurde Ephraim verhaftet und in das Prison d’Abbaye gebracht, wo er eine Zelle mit einem Oberstleutnant teilen musste, der in die Affäre von Varennes involviert war.253 Die Chronique de Paris berichtete bereits am 19. Juli über den preußischen Juden, der verhaftet wurde, da er seit einigen Tagen Geld unter den Leuten verteilte um sie zu einer Revolte zu bewegen.254 Ein Journalist der Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel stellte fest, das Ephraim einer von neun Fremden war, die festgenommen wurden.255 Die Informationen, die zu Ephraims Verhaftung führten, gingen wahrscheinlich auf Blumendorf und die österreichische Partei zurück, die ihm schaden wollte.256 Montmorin beauftragte das Comité de recherche, das 1789 gegründet wurde und als eine Art politische Polizei fungierte,257 mit der Untersuchung und der Durchsuchung der Ephraimschen Wohnung. Ephraim bewohnte eine Reihe von

252 Vgl. etwa Reinhard Buchberger: Leibl Hörschl von Wien und Ofen: Kaufmann, Hofjude und Spion des Kaisers. In: Sabine Hödl, Peter Rauscher und Barbara Staudinger (Hg.): Hofjuden und Landjuden. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit. Berlin 2004, S. 217–250. 253 Vgl. Kühn (Anm. 203), S. 47. 254 Chronique de Paris 200 (19. Juli 1791), S. 809. 255 Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel 200 (19. Juli 1791), S. 4/829. 256 Vgl. Kühn (Anm. 203), S. 34–44. 257 Barry M. Shapiro: Revolutionary Justice in 1789–1790. The Comité des Recherches, the Châtelet, and the Fayettist Coalition. In: French Historical Studies 17,3 (1992), S. 656–669, bes. S. 659.

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Abb. 33: Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel 200 (19. Juli 1791), S. 4/82.

Zimmern im ersten Stock des Hauses Rue basse Porte St. Martin 8. Das Comité fand bei Ephraim eine Vielzahl von Dokumenten in französischer, deutscher und hebräischer Sprache (oder wahrscheinlicher einfach in hebräischer Schrift), darunter französische Briefe seiner Töchter und andere private Post, aber auch Briefe an den König. Man stellte auch eine zwölfseitige Broschüre „Chiffre chiffrant et déchiffrant“ für die Abfassung und Entzifferung von Geheimschriften fest.258 Allerdings war Ephraims Briefen selbst nichts Belastendes zu entnehmen; selbst Montmorin musste feststellen, dass es keine Beweise gab, Ephraim einer Verschwörung gegen Frankreich zu beschuldigen. Ganz im Gegenteil. Das Material bewies, dass Ephraim Frankreich und der Revolution gegenüber positiv eingestellt war, nichts Negatives über das Königspaar verlauten ließ und eine Allianz zwischen Preußen und Frankreich befürwortete. Goltz, der Ephraim bei Montmorin eingeführt und sich inzwischen deutlich gegen ihn gewandt hatte, musste sich dennoch für dessen Freilassung einsetzen. Ein Brief von Goltz an Montmorin vom 19. Juli 1791 über „Le juif Ephraim“ ist erhalten, ebenso so wie Montmorins Antwort an ihn vom 20 Juli 1791.259 So berichtete das Journal de Paris bereits am 22. Juli 1791 von Ephraims Freilassung und veröffentlichte eine offizielle Entschuldigung des Regierungsausschusses.260 Ephraim fügte eine Erklärung seiner Unschuld hinzu: „Qu’apres avoir subi une arrestation que les circonstances critiques

258 Vgl. Kühn (Anm. 203), S. 46. 259 Goltz, Brief an Montmorin, 19. Juli 1791. GSt.A PK. RXI 2895: Korrespondenz Golz. Juli 1791– Dezember, Blatt 47; Brief Montmorin an Goltz, 20. Juli 1791; GSt.A PK. RXI 2892: Korrespondenz Golz. Blatt 306. 260 Der Text datiert vom 21. Juli 1791 und ist wiedergegeben bei Kahn: Les Juifs de Paris pendant la Révolution. Un Agent du Roi de Prusse. In: Annuaire des Archives Israélites 14 (5658: September 27, 1897-September 16, 1898), S. 34–48, hier S. 44.

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oil Ton etait m’ont attiree, j’ai toujours ete rassure par la purete de ma conduite, et que je defie qui que ce soit d’articuler aucun fait propre a m’inculper. B. R. Ephraim [sic], conseiller prive de S.M. le roi de Prusse“.261 Die Gazette Nationale druckte an diesem Tag die offiziellen Erklärungen.262

Abb. 34: Notiz über die Freilassung von Benjamin Veitel Ephraim und seine Ehrenerklärung, Supplément au Journal de Paris 83 (22. Juli 1791), Titelseite.

261 Kahn (Anm. 259), S. 38. 262 Abgedruckt in der Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel 205 (24. Juli 1791), S. 199.

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Alles schien nun im Lot. Aus dem Gefängnis entlassen, schrieb Ephraim noch am 22. Juli ganz aufgebracht über seine Verhaftung an den König, wobei er an der Unschuld von Goltz in dieser Affäre festhielt und einen ungenannten Arzt verdächtigte, ihn angezeigt zu haben. Und immer noch war er über Hertzbergs Artikel erregt: Mes ennemis de Berlin ont Soudoyés ici des gens pour me perdre, parmis lesquels Je Soupconne principalement, un certain Docteur en Medecine natif de Berlin qui jouë ici Le bel ésprit, traducteur, & généralement chaque rolle qui lui plait / de m’avoir accuse au Comitté de recherches comme aya ci fait distribuer non moins de 10 Millions pour soulever le Peuple, cette Seule infamie n’auroit rien èffectué & on n’y auroit pas même fait attention Si on ne se seroit pas appuyé sur la famente Lettre de Monsieur Le Ministre de Herzberg au Comte d’Echernay dans la quelle je suis traitte de Vagabond et d’Avanturier […]263

So schloß Ephraim den Bericht über die Durchsuchung seines Hauses, bei der seine Briefe an den König wohl versiegelt wurden, mit den Zeilen „je fasse ma profession de foi en declarant, qu’il n’existe pas de meilleure alliance pour la Prusse, que la France“.264 Eine Bleistiftnotiz auf dem Briefkopf, die nach Erhalt des Briefes angebracht wurde, bemerkt jedoch die Notwendigkeit seiner Rückberufung. Ephraims Brief an den König vom 29. Juli 1791 enthält Seiten des Le Courier des LXXXIII Départemens No XXIII und des Journal Génerale de l’Europe vom 23. Juli 1791, die von seiner Verhaftung berichten und ihn freisprechen:265 On a plus d’une raison de croire, que l’arrestation du conseiller intime Ephraim a été l’effet ou d’un malentendu, ou plutôt des calomnieuses inculpations du parti Autrichien, dont on ne se méfie point assex. Ce qui est certain, c’est que M. Ephraim n’étoit point une créature ni un protégé de M. Hertzberg, ainsi qu’on l’a pu voir dans sa lettre a M. d’Echerny; ce qui est certain encore, c’est qu’après l’examen le plus scupuleux, le comité des recherches n’a rien trouvé dans la conduite de cet agent Prussien, qui puisse avoir motivé sa detention […].266

Am 29. Juli schrieb Ephraim dann nochmals über die Ereignisse. Wiederum verteidigte er Goltz und wollte dem preußischen Gesandten nur Positives abgewinnen, obwohl er früher mit ihm deutlich hinsichtlich einer politischen Expertise konkurriert hatte. Sein Brief scheint hastig geschrieben, direkt im Ton und zeigt seine Aufregung:267

263 Ephraim, Brief vom 22. Juli 1791. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13, Blatt 310 (recto) – 311 (recto), hier 310 (recto). 264 GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13: Blatt 311(recto). 265 Ephraim, Brief an den König vom 29. Juli 1791. GSt.A PK. R XI 2892. 266 France. In: Journal Génerale de l’Europe 24 (23. Juli 1791), S. 290. 267 Vgl. Ephraim, Brief an Friedrich Wilhelm II., 13. Januar 1791: „Comme cela n’est pas une tâche executable par Monsieur le Comte de Golz; J’ose offrir, /: comme je me flatte d’avoir touttes les

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Der Baron von Senft ist seit 14 Tagen alhier in Paris, dieser junge Mann kam mir mit Höfligkeitten zuvor, und Schmeichelte mich auf eine Krichende art; dieses machte mir gleich verdacht, und ich war auf meiner Hut ; seine Hauptbeschäftigung war eine hetzerey zwischen mich und den Graffen Golz an zustiften. Er wolte mir weis machen das der Graff Golz mit antheil an meiner arrestation gehabt Es ist mehr das der Graff Golz beständig mich in verdacht gehabt das ich hier ware ihm zu inspektiren, ich Konte ihm diesen fatalen gedanken nicht aus den Kopf bringen. Er sagte mir zwahr selbst das er erst 24 Stunden verstreichen lies Ehe er mich reclamirte, um abzuwarten ob man es ihm nicht anzeigen werde, allein dieses war unrecht was ihm, den es Kam nicht auf meine persohn, sondern auf meine papieren an, und hätte // ich mich nicht gut genomen so hätten sie meine papiren unterdeßen von mal geloßen. Gott seies gedanckt das ich ohne reclamation auf eine solche Ehrenhafte art los gekomen ; allein ihm zu beschuldigen das er mit theil an meiner arrestation gehabt, dieses were niederträchtigkeit; den er liebt sein Vaterland und ist Ehrsichtig. ich komme wiederum auf den Baron Senft, dieser unbesonnenne Man sucht alhier dienste, darauf kennen sie sich heillig verlaßen, allein das es soll ihm nicht glücken. Ich habe bey ihm eine Correspondence gesehen, so von jemand aus Berlin an ihm geschrieben war, so kan der Rudelsführer von die anragirsten democraten nicht schreiben. Ich habe das den Graffen Golz gesagt, vielleicht kann man die briefe habhaft werden.//Seine suchende dienste sollen ihm gewis nicht glücken und vielleicht mache ich das ihm das weitte Paris zu Enge wird. Man hat alhier die gewiße bestättigung des general friedens, wozu ich von herzen gratuliere, und wünsche zu gleich das es nicht wahr sein möge, das Preußen ein Contagent von ca a 12000 Man gegen frankreich geben wird. In diesen fal bitte ich mich alhier nicht zu avanturiren, und wünsche ich die Erlaubnis zu erhalten mich so lange diese unruhe dauren sollte entfernen zu dürffen.268

Obwohl Bischoffswerder und der König Ephraim so lange auf seinen Posten behielten, war er als Spion längst entlarvt. General Dumouriez, der bereits vor der Revolution als Mitglied des französischen Geheimdienstes diente, veröffentlichte beispielsweise 1848 seine Erinnerungen, in denen es hieß: „on ne peut pas douter qu’ils ne fussent et ne soient encore influencés par des Anglais, des Italiens, des Flamands et des Allemands, qui étaient connus pour des espions payés par les gouvernements étrangers. On peut ranger dans cette class les Clootz, Marat, Chabot, Pio, le juif Éphraïm, de Buscher, et beaucoup d’autres.269 Goltz bestand auf Ephraims baldige Abberufung und auch Prinz Wenzel Anton von Kaunitz und Graf Friedrich Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert, Hertz-

renseignement et connoissances du Local :/ a Notre Majesté, mes services […]“. Acta 1789–1793. Belgien Generalia GSt.A PK. R 96. 168. A, Blatt 22. 268 Ephraim, Brief an den König v. 29d. Juli 1791. GSt.A PK. R XI 2892, Blatt 326 (recto)–316 (verso). 269 Charles François Dumouriez: Suites des Mémoires du Général Dumouriez, Mémoires de Louvet et Mémoires pour server l’histoire de la convention nationale, par Daunou, avec notice par M. Fs. Barrière. Paris 1848, S. 53–54.

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bergs späterer Nachfolger, fanden Ephraims weitere Präsenz in Paris unerträglich. So orderte Friedrich Wilhelm II. seinen Gesandten dann endlich zum 1. August 1790 zurück nach Berlin. Dieser verschob seine Abreise jedoch für einige Tage aus gesundheitlichen Gründen: „Le Comte de Golz m’a indiqué la Volonté de Votre Majesté pour partir d’ici: L’affaire de mon arrestation a un peu derangé ma Santé: mais dans tous les Cas je ne differeai pas mon voyage, que de huit jours“.270

Abb. 35: Notiz gezeichnet Friedrich Wilhelm II., Benjamin Veitel Ephraim betreffend, datiert August 1791.

270 GSt.A PK. R XI 2892: Briefe von Benjamin Veitel Ephraim an Friedrich Wilhelm II, Blatt 343.

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Vor seiner Abreise war er noch Gast bei einem Abendessen mit Vertretern des Comité Diplomatique. Auf die an ihn gerichtete Frage: „La révolution est elle déjà chez Vous?“ antwortete er: „Quand on n’a pas la maladie il est superflu de passer le grande remède“.271 Am 27. August wurde zwischen Friedrich Wilhelm II. und dem Kaiser Leopold II. auf Schloss Pillnitz in Sachsen bereits die erste Koalition gegen das revolutionäre Frankreich ins Leben gerufen, bei der sich nicht zuletzt Polens Schicksal entscheiden sollte – ein Land, für dessen Selbstständigkeit Ephraim sich einsetzen sollte. Später sollte er auch Frankreich nochmals dafür loben, dass es sich für Wiederherstellung der polnischen Republik einsetzten wollte.272 Am 21. August 1792, fast genau ein Jahr, nachdem Ephraim Paris verließ, wurde Montmorin verhaftet und in dem gleichen Gefängnis wie Ephraim, dem Prison d’Abbaye, festgesetzt. Preußen hatte inzwischen seine Neutralität aufgegeben. Am 25. Juli hatte der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel ein Manifest verlesen, das mit einem Krieg gegen Frankreich drohte, und im September 1792 waren preußische und österreichische Truppen unter dem Oberbefehl des Herzogs nach Frankreich vorgedrungen. Sie hatten die Stadt Verdun eingenommen und waren auf dem Weg nach Paris. Ein Teil der Anklage Montmorins durch die Vertreter der Nationalversammlung lautete, dass er Ephraim habe verfolgen und verhaften lassen und damit half, ein Bündnis Frankreichs mit Preußen zu verhindern: „M. Montmorin a rejeté l’alliance avec la Prusse, et sacrifié, par ce refus, les intérêts de la France à ceux de l’Autriche“.273 Montmorin fiel dem Septembermassaker 1792 zum Opfer, bei dem die Gefängnisse gestürmt wurden.274 Ephraim war zu dieser Zeit bereits in Berlin und zu seinen Geschäften zurückgekehrt, um die sich in seiner Abwesenheit seine Frau kümmern musste. Das Pariser Abenteuer war für ihn teuer gewesen. Die meisten Gelder, die er für seine diplomatische Mission in Paris ausgegeben hatte, bekam er nicht zurückerstattet. Neben dem für ihn vorgesehenen Betrag von 3000 Talern hatte er eine ebenso hohe Anleihe der Seehandlung erhalten, die ihm nachgelassen wurde. Einen Vorschuss von 90 000 Talern musste er ohne Zinsen zurückzahlen und wurde mit einem Betrag von 12 000 Talern abgefunden.  



271 Ephraim (Anm. 62), S. 173. 272 Vgl. Ephraim (Anm. 62), S. 203. 273 Bulletin de l’assemblée nationale. In: Gazette nationale ou le Moniteur universel 247 (3. September 1792), S. 1046. 274 Kühn, (Anm. 203), S. 55.

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Abb. 36: Pierre Gabriel Berthault, Massacres des 2,3,4,5, et 6 Septembre 1792. Das Gefängnis der Abbaye de Saint-Germin-des Prés in Paris. Stich nach Jean-François Schwebebach, 1802.

Aber auch hinsichtlich der politischen Entwicklung konnte Ephraim eigentlich nicht glücklich sein. Friedrich Wilhelm II. handelte ja nicht in seinem Sinne, er hatte sich gegen eine Allianz mit Frankreich entschieden. Aber zumindest sah sich Preußen auch zunächst als neutraler Staat. Ephraim stand immer noch loyal hinter seinem König. Auch hatte er selbst noch Befürworter am Hof: Der Leiter des Acciseund Zolldepartements Struensee von Karlsbach war ihm wohlgesonnen, der Feldmarschall von Möllendorf, die Generäle von Köckritz und Zastrow, sowie der Geheime Kabinettsrat Lombard. Er schrieb über sie später positiv in seiner Autobiographie. Im März 1792 fragte noch ein Journalist der Chronique de Paris was eigentlich mit dem Juden Ephraim geschehen sei, der zur Zeit der Unruhen auf dem Marsfeld bekannt geworden war?275 Die Antwort war einfach: Er war zwar wieder als Kaufmann in Berlin tätig, aber hatte dennoch seine politischen Ambitionen nicht aufgegeben. So fuhr er fort, politische Memoranda an Bischoffswerder zu schreiben, in denen er vor allem die politische Situation in Frankreich und Brabant zu

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analysieren versuchte, aber auch auf England und bisweilen Russland verwies. Für diese Denkschriften aus den Jahren 1791 bis 1794 konnte er dann auf die Chiffrenschrift verzichten; es waren politische Essays und keine geheimen Sendungen mehr.276 Trotz seiner Pariser Abenteuer und der Beschwerden einiger preußischer Diplomaten wurde Ephraim auch für weitere vertrauliche politische Aufgaben zu Rate gezogen. Mit der Unterstützung Bischoffswerders reiste Ephraim noch 1791 nach Wien und nahm dort mit von Kaunitz an einem politischen Treffen und Abendessen teil. Als der König im folgenden Jahr nach Frankfurt am Main reiste, wurde Ephraim dorthin beordert; er sollte über die Position der französischen Truppen und der preußischen Aufstellung am Rhein Auskunft geben. Bischoffswerder und der Herzog von Braunschweig sandten ihn 1792 zurück nach Paris um zu eruieren, wie es um den französischen König stand;277 ein Anerbieten Ephraims, mit den Führern der französischen Revolution zu verhandeln vom 30. November 1792 liegt vor.278 Im Dezember berichtet er dem König aus Berlin: Vor einigen Tagen kam derselbe [Mann] von seiner in Schlesien gemachten Reise zurück, wo seine Geschäfthe ihn nöthigten sich lange in den Dörfern u. bey den Edelleuten aufzuhalten. Er klagte mir mit thränenden Augen wie sehr unzufrieden die Schlesisch Unterthanen insgesamt mit dem jetzigen Kriege sind, u. ich versichere nochmals, daß man sich auf die Aussage dieses Mannes verlaßen kann. Es giebt Wahrheiten, die von falschen interessirten Freunden nie gesagt werden, wahre Freunde aber sind nützlich, wenn sie auch darüber den Verlußt der Freundschaft riskieren sollten. Man ist allgemein sehr aufgebracht gegen den jetzigen Krieg, u. den Anfang u. die Fortsetzung deßelben giebt man nur Ew. Hochwohlgeb. schuld. Man geht soweit dreist zu drohen u. die Uebereinstimmung gewißer Gesellschafthen nimmt tagtäglich zu. Ich bitte Sie daher, bey allem was heilig ist, suchen Sie den Frieden, durch wen es auch sey, zu bewirken. Es ist nicht so unmöglich wie man denkt. Wenn Oestreich die Niederlande verliert, so verliert es nichts, denn es wird die darauf haftenden Schulden als denn nicht bezahlen. Es gewinnt noch dadurch, daß es sich mehr concentrirt und

275 Kahn (Anm. 259), S. 48. Kahn zitiert die Beilage der Chronique de Paris 174 vom 27. March 1792. 276 Vgl. die Denkschriften vom Dezember 1791 (mit Ephraims Brief an den König, um seine Denkschrift anzupreisen); Denkschrift vom 7. November 1792 (mit einer Zuschrift vom 15. November 1792 von Bischoffswerder); Denkschrift vom 30 November 1792 (mit einem Postskriptum vom Dezember 1792); Denkschrift vom Februar 1793; Denkschrift vom Februar 1794; Denkschrift vom Juli 1794. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13. Alle sind auch in Abschrift enthalten. S. auch die Denkschriften in diesem Band. 277 Michaelis (Anm. 31), S. 225. 278 GSt.A PK. I. HA Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10. Rep 96 A Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode. Miliaria Nr. 258 A: Krieg mit Frankreich 1792–1795. Enthält u. a. das Anerbieten des Geheimen Kommissionsrates Benjamin Veitel Ephraims mit den Führern der französischen Revolution zu verhandeln, 30. Nov 1792.  

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fortdauerndem Kriege ausweicht. Dagegen wird Preußen als dann mehr gedrückt u. kann Oestreich nicht mehr in Furcht erhalten, welches doch eigentlich die Freundschafths Verträge beider Mächte verknüpfen muß.279

Bischoffswerder kann Ephraim in seiner Antwort nur bestätigen.280 Und am 22. Januar 1793 unterlegt Ephraim sogar den folgenden Vorschlag seinem König, diesmal aus Frankfurt: Der größte u. gesundeste Theil der Nation will nicht allein keine Eroberungen, sondern ist auch des Krieges gänzlich überdrüßig; nur aus Furcht vor einem Haufen Räuber hat niemand den Muth solch Aeußerungen zu wagen. Sollten die Franzosen im künftigen Feldzuge Verlußt leiden, woran ich nicht zweifle, so ist als dann am Frieden nicht zu denken; denn die unsinnige Idee, die Römer nachahmen zu wollen, hat sie verrückt. Mein Plan war also, unter dem Vorwande, auf der Gränze Magazin-Einrichtungen zu treffen, mich daselbst gefangen nehmen zu laßen, u. als dann mit Allerhöchstder Genehmigung, ohne die verbundenen Mächte zu compromittiren, an dem Frieden zu arbeiten, daß auch Oestreich damit zufrieden seyn sollte.281

Während Preußen sich politisch für Österreich entschieden hatte, wollte es dennoch in militärischen Auseinandersetzungen neutral bleiben. Und inzwischen nahmen die Ereignisse in Frankreich inzwischen ihren Lauf: Der französische König Louis XVI. wurde im Januar 1793 hingerichtet, neun Monate später die Königin Marie Antoinette. Napoléon war an die Macht gekommen. Inzwischen hatte Preußen 1793 eine zweite Teilung Polens vereinbart; die erste Teilung war 1772 geschehen. Im März 1794 leitete Tadeusz Kościuszko einen Aufstand, der aber zu einer Unterdrückung der polnischen Freiheitsbewegung und einer weiteren Teilung Polens 1795 führte, bei der Rußland als besonderer Gewinner hervorging. Ephraim, der bereits als Geschäftsmann nach Polen gereist war, wurde als Emissär dorthin geschickt. Allerdings wurde er bereits eine Woche nach seiner Ankunft in Warschau von dem Prinzen von Nassau, dem Emissär der russischen Zarin Katharina, zurückgesandt.

279 Ephraim, Brief an Friedrich Wilhelm II., Dezember 1772. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm III. König von – B. I. Nr. 13 Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794, Blatt 7a. 280 Bischoffswerder, Brief an Ephraim, 30. März 1793, GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13 Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794, Blatt 8a. 281 Ephraim, Brief an Friedrich Wilhelm II., 22. Januar 1793. GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13 Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794, Blatt 7b.

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1795 wurde Ephraim angewiesen, mit dem neuen französischen Gesandten in Berlin, Antoine Bernard Caillard, Kontakt zu halten; er vermittelte auch ein Treffen zwischen Caillard und Zastrow in der Zeit, in der die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich verhandelt wurde. Dabei wurden seine Treffen mit Caillard von der preußischen Polizei überwacht.282 1796 kam es mit Hilfe von Verhandlungen von Caillard und Hardenberg zu einem Separatfrieden zwischen Preußen und Frankreich. Ephraim konnte keine Allianz zwischen Preußen und Frankreich fördern, so war er nun bemüht, Preußens Neutralität zu gewinnen und zu erhalten. Ephraim hielt auch mit den folgenden französischen Gesandten Kontakt. Er stand dem Grafen Emanuel Joseph Sieyès nahe, der als französischer Gesandter 1798–99 in Berlin weilte und sich ebenso mit Ephraim beriet. Der Abbé Sieyès war als kluger Kopf bekannt, aber auch als indiskreter Diplomat. Er traf sich mit dem Comte de Beurnonville (1800–1802), dem Baron de Bignon (1800– 1803) oder La Forest (1803–1804). Seine Freundschaften mit französischen Politikern wurden vom preußischen Hof genutzt; er blieb eine Informationsquelle für Nachrichten aus Frankreich. Seine Beziehungen zu den französischen Gesandten sollten Ephraim auch persönlich helfen. Es ist auch ein Brief erhalten, den Sièyes zusammen mit Ephraim an Talleyrand schrieb; die französische Regierung hatte „une créance portant le nom d’Itzig (maison juive de Berlin) pour fourniture de chevaux faite à la République“ gelöst und Ephraim war bereit, unter bestimmten Bedingungen die Forderung zu übernehmen. Die Angelegenheit ging vor das Direktorium und zeigte die wirtschaftlich-politische Hilfeleistung von Sieyès in diesem Fall.283 Ephraim sandte in dieser Zeit auch eine Eingabe an den Hof um vorzuschlagen, nach Algier, Tunis und Tripolis zu reisen, um mit den dortigen Beys über die Sicherheit der Schifffahrt im Mittelmeer zu verhandeln.284 Inzwischen drangen die französischen Truppen gegen Österreich vor und durchquerten dabei das preußische Ansbach. Ephraim fand diesen Schritt im Unterschied zu den auf Neutralität pochenden preußischen Ministern eigentlich ver-

282 GSt.A PK. Rep 96 Geheimes Zivilkabinett, ältere Periode. Angelegenheiten einzelner Landesteile Nr. 246 J/ VI NI Preußen F.W. III v. B VIII a 7 b Nr. 246 J: Polizeiberichte über Berlin; Bd. 2 1795–1797: Enthält Akte betreffend der geschäftlichen und privaten Beziehungen des Geheimen Kommissionsrates Benjamin Veitel Ephraim zu dem französischen Gesandten Caillard in Berlin, 2. April 1796. 283 Emmanuel Joseph Sieyès [vermutlich] und Ephraim, Brief an Charles Maurice de TalleyrandPérigord, 14. August 1798. Korrespondenz Ignaz Heinrich von Wessenberg, Signatur P 1839 13. Stadtarchiv Konstanz. 284 GSt.A PK. I. HA Geheimer Rat. Rep 11: Auswärtige Beziehungen Nr. 179 Fasz 13: Vorschlag des Geheimen Kommissionsrates BVE zu einer Reise nach Algier, Tunis und Tripolis zwecks Verhandlungen mit den dortigen Beys über die Sicherheit der Schiffahrt im Mittelmeer 1804–1805.

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ständlich und er verglich Napoléon mit dem von ihm verehrten Friedrich II. Für das eigene Land nahm Ephraim ebenso einen Standpunkt ein, zu dem er sich durch seine Verehrung Friedrichs II. verpflichtet fühlte: Er sprach sich für eine Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus Preußens durch Manufakturen und Industrie aus. So waren viele seiner weiteren Eingaben an die preußische Regierung auf dem ersten Blick nur wirtschaftliche Vorschläge, aber sie waren durchaus auch politisch zu verstehen. Dies galt selbst für den Plan zur Verbesserung der Feldbäckerei, welcher dazu gedacht war, die Soldaten mit frischerem Brot zu versorgen.285 Und da er auch als Zulieferer für die Armee arbeitete, war dieser exakt durchkalkulierte Vorschlag sicherlich nicht nur zur Stärkung des Militärs gedacht, sondern auch zur Förderung seiner eigenen Verträge. Im September 1805 wurde Marschall Duroc von Napoléon nach Berlin entsandt. In diesem Jahr wurde Ephraim dann für eine weitere, letzte geheime Mission benötigt. Die französischen Truppen hatten den Kurstaat Hannover besetzt, für das sich Preußen verantwortlich fühlte, und er sollte Nachrichten zwischen den französischen Gesandten, dem bayrischen Gesandten Gabriel von Bray, und der preußischen Regierung überbringen. Ephraim konnte keine Allianz Preußens mit Frankreich bewirken, aber Preußen war noch neutral. So wollte er zumindest militärische Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten vermeiden helfen. In seiner 1808 anonym erschienenen Gallerie preussischer Charaktere veröffentlichte Friedrich Buchholz ein Kapitel über den Kabinettsminister Haugwitz. Um dessen „wahren Gehalt als Cabinets-Minister“ darzustellen,286 wusste er nichts Besseres, als Haugwitz‘ Verhältnis zu Ephraim zu beleuchten, den die preußische Regierung und der Herzog von Braunschweig für ihre Dienste verwendet hatten: Manche nennen ihn den diplomatischen Pflastertreter, weil er von einer Legation zur andern wallfahrtet, allenthalben horcht, allenthalben zuträgt, immer versichert, die Neuigkeiten aus der ersten Hand zu haben, und mitunter auch wohl den Geheimnißvollen spielt. Welche Benennung ihm auch zukommen möge: er ist ein so alberner, ekelhafter Schwätzer, und verbindet mit seiner Narrheit so zurückstehende Sitten, daß ich meines Orts nie habe begreifen können, wie ein Mann von Kenntnissen, von Geschmack und von einigem Selbstgefühl ein so unerträgliches Wesen nur eine halbe Stunde um sich leiden könne. Indeß habe ich diesen Ephraim bei allen Preussischen Ministern in Berlin, den Herrn von Stein ausgenommen, angetroffen.287

285 Ephraim (Anm. 62), S. 182. 286 [Friedrich Buchholz]: Gallerie preussischer Charaktere. Aus der französischen Handschrift übersetzt (Germanien, 1808), S. 342. Das Buch wurde bei Sander in Berlin verlegt. 287 [Buchholz] (Anm. 285), S. 344.

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Und nach einem fiktiven Gespräch zwischen Haugwitz und Ephraim, das Buchholz wiedergab, kam er zu der Schlussfolgerung: Kann es eine größere Auflösung geben, als die, worin ein Staat sich befindet, in welchem zwischen dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten und einem schmutzigen und verrätherischen Juden ein solcher Dialog stattfindet? […] Wenige Tage nach dieser Unterredung wurde E p h r a i m auf öffentlicher Straße verhaftet und in die Hausvogtei gebracht.288

Am 8. September 1810, nur drei Monate vor seinem Tod, reichte Ephraim ein allerletztes Gesuch bei dem König ein. Er war zu dieser Zeit bereits ein armer Mann und bat Friedrich Wilhelm III., ihm die Ausgaben, die im Zuge seiner diplomatischen Dienste entstanden waren, zurückzuerstatten.289

V Ueber meine Verhaftung Friedrich Wilhelm III. hatte 1797 seine Regierungszeit zu einer denkbar ungünstigen Zeit angetreten. Napoléon war, als Frankreich mittels der revolutionären Kriege die Gedanken der Revolution, aber vor allem auch ihre europäische Vorherrschaft sichern wollte, als großer Feldherr hervorgegangen. 1799 wurde er Erster Konsul, 1804 gar Kaiser. Preußen wollte lange Zeit an seiner Neutralität festhalten, aber es wurde schließlich in die militärischen Auseinandersetzungen miteinbezogen, für die der Staat nicht gut vorbereitet war.290 1806, in dem gleichen Jahr, in dem Ephraim seine Schrift Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld veröffentlichte, erreichte französische Armee bereits Preußen. Sie schien unbesiegbar und nicht aufzuhalten. Der Fleckenteppich deutscher Staaten ordnete sich neu. An eine Neutralität konnte er nicht mehr festhalten. Preußen verlor die Schlacht bei Jena und Auerstädt vom 14. Oktober. Am 27. Oktober ritt Napoléon offiziell in Berlin ein, obwohl er zuvor bereits Potsdam erreichte, um das Grab seines militärischen Heldens, Friedrich II., zu besuchen. Als Napoléon Berlin erreichte, hatte sich der König und seine Familie bereits nach Königsberg zurückgezogen. „Unser Dämel sitzt in Memel“ dichtete der Volksmund doch etwas respektlos über den König, der erst kurz vor Weihnachten 1809 nach Berlin zurückkehren sollte. Schulenburg, nun Stadtkommandant von Berlin, verfasste, den Einmarsch erwartend, eine Proklamation, welche die Bürger der

288 [Buchholz] (Anm. 285), S. 346–347. 289 Steiner (Anm. 25), S. 221. 290 Eine detaillierte Darstellung der militärischen Auseinandersetzungen findet man bei Oscar von Lettow-Vorbeck: Der Krieg von 1806 und 1807. 4 Bde. Berlin 1891–1896.

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Stadt anweisen sollte, Ruhe zu bewahren und sich zu ergeben: dies sei die „erste Bürgerpflicht“.291 Kurz vor der Schlacht bei Jena aber, der zu Preußens großer Niederlage führte, rief der König zu einer Versammlung auf, um sich über die aktuelle Situation Preußens zu beraten. Dazu heißt es in den Memoiren des Ministers Hardenberg: Der König befahl, wie es leider Sitte geworden war, eine Conferenz. Diese buntscheckigen Versammlungen hatten unter andern auch die schlimme Folge, daß das Geheimniß über nichts bewahrt wurde. Der französische Gesandte wußte ein Paar Stunden nachher, was berathschlagt worden war. Er hielt sich theils selbst, theils durch den mehrmals erwähnten Ephraim an den Herzog von Braunschweig, der leicht auszuholen war; überdem waren der General Köckritz, der gar nicht schweigen konnte, und die Offiziere vom Generalstabe jetzt sehr oft bei den Conferenzen gegenwärtig. Mehrmals sagte ich dem König, daß ich für kein Geheimniß einstehen könne, da so viele es mit mir theilten.292

Hardenberg fand diese Art von großen Zusammenkünften gefährlich, da eine Verschwiegenheit von allen Teilnehmern nicht erwartet werden konnte. Als Informationen nach außen drangen, war es aber zumindest für Schulenburg klar, dass nur ein einziger Mann dafür verantwortlich sein konnte. Er beschuldigte Ephraim. Schulenburg dachte, dass dieser wohl Einzelheiten der Gespräche erfahren und an den französischen Gesandten La Forest weitergeleitet hatte. Als Preußen Frankreich den Krieg erklärte, wurde Ephraim von Schulenburg als Spion verhaftet.293 Die Verhaftung erfolgte am 23. September 1806, und als Ephraim endlich Wochen später das Gefängnis verlassen und nach Hause zurückkehren konnte, hatte Preußen bereits den Krieg verloren und seine Berliner Welt sah anders aus. Ephraims Verhaftung steht im Zentrum seiner Autobiographie, die sein schriftstellerisches Hauptwerk darstellt und unter dem Titel Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens 1807 erschien. Das Buch ist sowohl Lebensbeschreibung als auch eine politische Schrift, in der Ephraim die Ereignisse der

291 Friedrich Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert ließ den folgenden Text überall in Berlin plakatieren: „Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere alle Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben!“; s. Hans-Joachim Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, Neuausg. Berlin 1997, S. 99. 292 Leopold von Ranke (Hg.), Eigenhändige Memoiren des Staatskanzlers von Fürsten von Hardenberg. 2 Bde. Leipzig 1877, I: 357. 293 Vgl. auch Hermann Hüffer: Die Kabinetsregierung in Preußen und Johann Wilhelm Lombard. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staates vornehmlich in den Jahren 1797 bis 1810. Leipzig 1891, S. 474–476.

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Abb. 37: Sebastian Weygandt, Porträt eines Herrn, vermutlich Friedrich Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert. Ölgemälde auf Leinwand, 1790.

Revolutionszeit und die Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Frankreich beschreibt und kommentiert. Es ist auch ein literarisches Werk, das bisweilen an einen pikaresken Roman erinnert, in dem ein Charakter namens „Ephraim“ die Hauptrolle einnimmt.

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Ephraim begann seine Erzählung nicht mit seiner Geburt oder eine Darstellung seiner Kindheit und seines Lebenslaufs, sondern mit eben dieser Verhaftung in Berlin. So erscheint sein Buch auch als eine Art Detektivroman, da der Protagonist von seiner eigenen Unschuld überzeugt ist und erfahren möchte, warum er verhaftet wurde, und wer das Recht zu einer solchen Verhaftung besaß. Tatsächlich erinnern die ersten Zeilen seines Buches an Franz Kafkas Roman Der Prozeß: Den 23. September 1806 wurde ich Vormittags um 11 Uhr, von drei Personen, wovon einer der Policei=Inspector Jacobi war, in meiner Behausung arretiret, und meine von mir bewohnten drei Stuben mit dem Policei= und meinem Siegel belegt. Ich wurde hierauf nach der Hausvogtei gebracht, wo man mir keine Freistunden erlaubte, noch viel weniger mit irgend jemand zu sprechen. Mein ganzer dortiger Arrest verstrich, ohne daß man mir ein Verhör anberaumte, oder wenigstens mir die Ursache, so sehr ich auch darauf drang, davon bekannt machte.294

Im Folgenden beschreibt Ephraim sein weiteres Schicksal, forscht nach den Gründen für seine Verhaftung. Dabei unterbricht er die Chronologie der Erzählung, um Reflexionen über sein Leben — seine Kindheit, Erziehung, Familie — einzufügen. Während diese Exkurse auch dazu dienen, ihn als einen respektablen und vor allem ehrlichen Mann vorzustellen, der auch seine Fehler kennt, so beschwert er sich auch ganz offen über intrigante preußische Politiker. Ein offener Brief an den Grafen von Schulenburg, mit dem das Buch endet, lässt schließlich keinen Zweifel daran, wem er die Schuld für seine Verhaftung geben möchte, die ihm völlig grundlos erscheint. Der Leser erfährt nichts über die Konferenz, die seiner Verhaftung vorausging. Der Kontext seiner Verhaftung bleibt, wenn nicht ihm selbst, doch sicherlich dem Leser unbekannt. Sie war einfach nicht rechtens; Ephraim sieht sich als das Opfer von Verleumdungen und Gerüchten. Tatsächlich unterschied Ephraim in seinem Buch zwischen dem König und der Institution der Monarchie einerseits – beide finden seine uneingeschränkte Unterstützung – und Politikern andererseits, die willkürlich handeln konnten. So scheute er sich in diesem Buch nicht, die Schwächen einiger höheren Beamten aufzuzeigen und Namen zu nennen. Er beschreibt die Ablehnung einer Allianz mit Frankreich und die Partizipation in einer Koalition gegen Frankreich als das eigentliche Unglück Preußens. Fast scheint es so, als ob Ephraims Außenseitertum ihm bei seiner Analyse und Darstellung zum Vorteil gereichen konnten. Er ist kein Aristokrat und gehörte nicht dem Hofe an, damit nimmt er auch nicht Teil an einem System von Vergünstigungen und Intrigen, das er beschreibt. Ephraim stellt sich als ein Monarchist dar, den die

294 Ephraim (Anm. 62), S. 135.

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Ideen der Französischen Revolution geschult hatten. Immer wieder betont Ephraim in seinem Buch, dass er selbst nur Preußens beste Interessen im Auge hatte und nicht an eine persönliche Bereicherung dachte — reich wäre er ja ohnehin. Jüdische Schriftsteller wie Salomon Maimon oder Lazarus Bendavid hatten ihre Autobiographien am Modell der medizinischen Fallberichte geschult, wie sie Karl Philipp Moritz in seinem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde Ende des achtzehnten Jahrhunderts veröffentlicht hatte. Diese erste psychologische Zeitschrift bot Studien von Individuen, deren Beschwerden durch Beobachter oder „Selbstbeobachter“ beschrieben wurden.295 Ephraim hingegen kehrte mit seinem Buch die Krankheitsberichte des Magazins einfach um. Auch er sah sich als ein Beobachter, aber er war nicht krank; der preußische Staat war der Patient. Er versucht in dem Buch, eine Diagnose zu geben und eine Therapie vorzuschlagen, durch die der Kranke genesen kann. Ueber meine Verhaftung stellt die Verhaftung nicht einfach als Fehlurteil oder als ein persönliches Unglück. Sie erscheint als ein Symptom dafür, was faul an diesem Staate sei. Denn Ephraim hat, wie er betont, gegen kein Gesetz verstoßen. Dagegen weigern sich die Offiziere, die ihn verhaftet hatten, das Gesetz zu befolgen. Ephraim wird verhaftet, aber nicht über den Grund der Verhaftung informiert; er erhält kein richtiges Verhör. Er darf im Gefängnis nicht mit anderen kommunizieren; er hat Mühe, sein Eigentum wieder zurückzuverlangen; er darf nicht einmal seine Ehefrau informieren, so dass sie seine Geschäfte übernehmen kann. Als ihm diese letzte Bitte, seine Ehefrau zu kontaktieren, abgeschlagen wird, ist er verwundert. Denn diese Entscheidung richtet sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen die preußischen Landesinteressen. Schließlich braucht der Staat die Produkte, die Ephraim produziert. So muss er erklären: Es giebt keinen Staat in Europa, selbst diejenigen nicht ausgenommen, die sich durch die härteste Despotie auszeichnen, wo man nicht den Arrestanten binnen 24 Stunden verhört, oder doch wenigstens mit der Ursache seiner Festsetzung bekannt macht. Ferner, ist es nicht selbst für die Gerichte zuverlässiger, entweder den Angeklagten selbst, oder einen seiner Seits dazu Bevollmächtigten bey der Entsiegelung zuzulassen? Worauf ich auch antrug; aber vergebens. Was verliert man bey einem solchen gesetzmäßigen Verfahren? Wie vielen schiefen und argwöhnischen Vermuthungen, die sonst unausbleiblich sind, würde man dadurch nicht ausweichen?296

Heute wissen wir, dass die Nachricht von Ephraims Verhaftung sich rasch verbreitet hatte. Selbst Prinz Louis Ferdinand von Preußen sollte am 18. September unter 295 Vgl. Weissberg: Erfahrungsseelenkunde als Akkulturation. Philosophie, Wissenschaft und Lebensgeschichte bei Salomon Maimon“. In: Hans Jürgen Schings (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literaturwissenschaft im achtzehnten Jahrhundert. Stuttgart 1994, S. 298–328. 296 Ephraim (Anm. 62), S. 136.

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den politischen Nachrichten diese Neuigkeit in sein Kriegstagebuch notieren: „Arrêtation du juif Ephraim“.297 Louis Ferdinand befand sich zu dieser Zeit in Chemnitz, und dies war eines seiner letzten Aufzeichnungen; der Prinz fiel am 10. Oktober in der Schlacht bei Saalfeld. Ephraims Autobiographie ist eine Anklageschrift auch hinsichtlich bestimmter Personen, denn wenn er selbst auch unschuldig ist, so möchte er doch darin die Verbrechen anderer aufzeigen. Hierbei muss er auf den französischen Staat verweisen – in einer Ausführung, die er dann in der zweiten Auflage des Buches streicht: So lange das Menschengeschlecht nicht im Allgemeinen eine bessere Erziehung erhält, wozu aber leider wenig Hofnung ist, – so kann nach der jetzigen Lage der Dinge, und besonders wegen der falschen Aufklärung, nicht der Wahlspruch der französischen Revolutions=Demagogen gedacht und noch weniger realisiert werden; nemlich: Liberté, égalité, fraternité. Wenn er irgendwo vorhanden ist, so ist es in solchen Gefängnissen, wie der Hausvogtei. –298

Abb. 38: Berlin-Mitte, ehemaliges Untersuchungsgefängnis „Hausvogtei“, Hausvogteiplatz, Druckgraphik, um 1848.

297 Louis Ferdinand von Preußen: Kriegstagebuch. In: Wieland Giebel (Hg.): Die Franzosen in Berlin, 1806–1808. Berlin 2006, S. 140. Der Prinz fällt kurze Zeit darauf in der Schlacht bei Saalfeld. 298 Ephraim (Anm. 62), S. 352 Anm.

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Abb. 39: Jean Chrétien Selter, Grundriss von Berlin von neuem aufgenommen und mit Genehmigung (Ausschnitt), 1804. Kolorierter Kupferstich.

Ephraim wurde nach seiner Verhaftung nicht in die Stadtvogtei gebracht, die sich seit 1794 gleich gegenüber seinem Palais am Molkenmarkt befand, sondern in die Hausvogtei. Diese war jenseits des Schlosses am alten Wall gelegen, an einem Platz, der im Volksmund „der Schinken“ hieß. Die Hausvogtei wurde 1750 in einem ehemaligen Stallgebäude des Jägerhofes einquartiert und war das Hofgericht. Bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts diente sie auch als ein Untersuchungsgefängnis, dann machte das Gebäude dem Finanzministerium Platz. Anders als die Stadtvogtei, die sich am Molkenmarkt schräg gegenüber vom Ephraimschen Palais befand, wurden hier jene Personen inhaftiert, die der Hofsgerichtsbarkeit unterstanden, also die Bediensteten des Hofes, auch Bewohner der Friedrichsstadt. Tatsächlich war die zweifelhafte Etymologie im Umlauf, dass sich der Name des Platzes, „Schinken“, vom jiddischen „schikse“, d. h. ein nichtjüdisches Mädchen, ableiten ließ, denn der Platz war ein Treffpunkt für Prostituierte. In späteren Jahren war die Hausvogtei auch als ein politisches Gefängnis berüchtigt; ein Spottvers lautete: „Wer die Wahrheit weiß und saget sie frei, der kommt in Berlin in die Hausvogtei“. Vor allem war die Hausvogtei aber für die Berliner Juden zuständig. Ephraim war zumindest einmal zuvor bereits in  

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der Hausvogtei gewesen, um im Dezember 1796 den Diebstahl seines Hundes zu melden.299 Interessanterweise beschwert sich Ephraim in Ueber meine Verhaftung nicht über die Hausvogtei; er lobt sie stattdessen. Hier im Gefängnis werden die Forderungen der französischen Revolution nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erfüllt. Er wird gut behandelt und kann endlich Kleidung, Bücher und etwas Geld von zu Hause erhalten. Nicht ohne Ironie gibt Ephraim den Titel des Werks wieder, das er nun zu lesen beginnt: Edward Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire. So verbringt er seine Zeit in der preußischen Zelle mit einem englischen Buch über den Untergang des römischen Reiches. Der preußische Staat geht inzwischen seinem eigenen Ende entgegen. Ephraim bleibt nicht lange in der Hausvogtei. Am 19. Oktober verlässt er sie. Er wird in eine Kutsche gesetzt, doch weiß er nicht, wohin der Weg gehen soll. Während Maimons Lebensgeschichte, die erste deutschsprachige Autobiographie eines Juden, die als Buch veröffentlicht wurde, ohne genaue geographische Bezeichnungen und vor allem ohne Daten auskommen möchte, ist Ephraim hier fleißig dabei, seine Reise zu dokumentieren, seine Fahrt und die einzelnen Stationen genau anzugeben. Maimons Buch zeigt seinen Lebensweg als eine Reise von seiner polnisch-litauischen Heimat im Osten Europas nach dem Berlin der Aufklärung. Ephraim reiste dagegen zunächst nach Paris, aber jetzt zurück in Richtung Osten durch die Brandenburgische Provinz. Er notierte dabei die Gespräche seiner Wärter auf dieser Reise, die Wetterverhältnisse, und seine Bereitschaft, die Gefängnisaufsicht mit Decken und Mänteln zu beschenken. Diese Wärter erscheinen ihm ehrlich, doch nicht sehr klug. Nach einer Übernachtung in Landsberg fährt Ephraim weiter nach Müncheberg, und es ist dort, wo er zu einem öffentlichen Spektakel wird. Noch in der Hausvogtei konnte Ephraim angeblich eine Hamburger Zeitung einsehen, und den möglichen Grund für seine Verhaftung lernen. Das, was ihm nicht gesagt wurde, fand er dort veröffentlicht: „Ein bei seiner Nation, in Achtung stehender, Jude ist dieser Tage wegen gepflogener verrätherischer Korrespondenz arretiret worden“ heißt es in seinem Buch;300 dies folgt nahezu wörtlich dem tatsächlichen Text der Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen Correspondenten; so, als hätte er sie entweder memoriert oder Zeitungsausschnitte aufbewahrt. In der Zeitung steht: „Ein hiesiger, unter seinen Glaubensgenos-

299 Acta der Hausvogtei 1794–96. Status causae et contoversiae. GStA PK. 1139 I. HA Geheimer Rat. Rep 9 Allgemeine Verwaltung. D4 c Fasz 75. 1794–1796; darin: Geheimer Kommissionsrat Benjamin Veitel Ephraim wegen seines gestohlenen Hundes, Dez 1796. 300 Ephraim (Anm. 62), S. 139–140.

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sen sehr angesehener Jude ist diese Woche gefänglich eingesetzt und seine Papiere in rechtlichen Beschlag genommen worden. Ein von diesem Juden geführter strafbarer Briefwechsel ist die Ursache seiner Verhaftung. Einer seiner Consorten ist in Fürstenwalde arretirt“.301 Jeglicher Konsorte bleibt jedoch unbekannt. In seinem Buch rügt Ephraim sofort den Hamburger Korrespondenten: „Was erlaubt man sich nicht gegen einen Juden“.302 Karl Spaziers Zeitung für die elegante Welt nannte ihn sogar beim Namen, und, wie es für den „eleganten“ Witz dieses Blattes üblich ist, fügt die Zeitung einen Kommentar hinzu, den Ephraim in seinem Buch wiedergibt: „Es gebe Spione in allen Gestalten“.303 Ephraim zitiert die Formulierung fast wörtlich, denn in der Zeitung für die elegante Welt heißt es: „Der bekannte Geheime Rath Ephraim ist wegen verdächtiger Verbindungen arretirt worden und da man hier Spione unter mancherlei Gestalten vermuthet, so hat die Polizei jetzt einen schwierigern Posten, wie je“.304 Bewahrte Ephraim einen Zeitungsausschnitt auf oder beeindruckten ihn diese Sätze so sehr, dass er sich noch lange an sie erinnern konnte? Weder Ephraim noch dem Leser ist es zu diesem Zeitpunkt jedoch klar, um welche verräterische Korrespondenz es sich handeln könnte, welche die Hamburger Zeitung erwähnt, aber seine Festnahme in Berlin spiegelt jene von 1791 in Paris.

Abb. 40: Nachrichten „Aus Berlin“, Zeitung für die elegante Welt: Mode, Unterhaltung, Kunst, Theater. Korrespondenz und Notizenblatt (4.Oktober 1806), Spalte 959.

Nach der Lektüre dieser Zeitungen vermutet Ephraim, als Spion verhaftet worden zu sein, und bereitet seine Verteidigung vor. Den Einwohnern von Müncheberg kann er allerdings nichts Neues sagen, im Gegensatz zum Gefangenen sind sie über seine angeblichen Untaten bereits informiert. Erwachsene und Kinder ver-

301 Schreiben aus Berlin, vom 27. Sept. In: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 156 (30. September 1806), n.p. 302 Ephraim (Anm. 62), S. 140. 303 Ephraim (Anm. 62), S. 140. 304 Aus Berlin. In: Zeitung für die elegante Welt: Mode, Unterhaltung, Kunst, Theater. Korrespondenz und Notizenblatt (4.Oktober 1806), Spalte 959.

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Abb. 41: Ehemaliger Gasthof „Zum Güldenen Löwen“ in Müncheberg, gegründet ca. 1717/18, später umbenannt Hotel Stadt Berlin. Postkarte um 1910.

sammeln sich in einem Gasthaus, in dem Ephraim und seine Wächter sich aufhalten, und starren ihn an. Sie machen ihn zu einem negativen Beispiel für andere; er ist für sie ein Mensch, der Preußen schaden wollte. Der Bürgermeister betont seine Gefährlichkeit und setzt eine zusätzliche Garde für ihn ein. Ein alter, „spartanischer Krieger“ verkündet: „Dieser Verräther hat an unserm ganzen Unglück Schuld“,305 eine Feststellung, die unheimlich wirkt und an die Propaganda des Dritten Reiches anklingt. Der Ortspfarrer predigt gegen den Staatsverrat und ermutigt jeden der Anwesenden, gegen seinen eigenen Bruder auszusagen, sollte dieser sich gegen den Staat wenden. Im Kontext des Patriotismus wird Familienverrat hier zur Bürgerpflicht. Doch die Angriffe auf Ephraim bleiben nicht verbal. Bürger Münchebergs stoßen Ephraim, schlagen auf ihn ein und bedecken ihn mit Kot. Anstatt Mitleid zu erregen, wird er zu einer Volksbelustigung. „Du taugst doch zu etwas“; schließt Ephraim endlich seine Beschreibung, „du bist doch die Ursache eines Volksfestes zu Müncheberg; es wird den guten Leuten gewiß noch acht Tage lang Stoff zu ihren Unterhalten im Bierhause geben“.306 Er kann es aber nicht unterlassen, da-

305 Ephraim (Anm. 62), S. 141. 306 Ephraim (Anm. 62), S. 142.

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rauf zu bestehen, dass die Aussage, er hätte sein Vaterland in Unglück gestürzt, in einem Protokoll aufgenommen wird. Dies scheint schließlich die Bewohner doch stutzig zu machen. Ohne irgendeine moralisierende Ansprache über die Aufgabe von Bürgermeistern, Geistlichen und Bürgern versucht Ephraim seine Zuschauer zu erziehen. In der Beschreibung der Menschen in Müncheberg erwähnt er auch einen Mann namens Schmidt: Unter allen Anwesenden war der Meister Schmidt der auffallendste, welcher, wie es mir schien, in Müncheberg keine kleine Rolle spielt. Wer kennt nicht die drei um eine Tonne sitzenden Bauern von Ostade? Dieser gute Mann sah dem von ihnen am ähnlichsten, der ein Glas in der Hand und die rothe Mütze auf ein Ohr geschoben hat; ein kleiner, untersetzter Mann, breiten Gesichts, ziemlich breiter Nase, tiefen aber funkelnden kleinen Augen.307

Adriaen Jansz von Ostade war der Maler mehrerer Genre-Szenen, in denen trinkende Bauern zusammensitzen; in einigen wird ein Mann mit einer roten Mütze bekleidet dargestellt. Dier Hinweis zeigt, dass für Ephraim, der einst eine Sammlung niederländischer Bilder gekauft hatte, die bildende Kunst noch immer ein Referenzpunkt geblieben war, er zieht ebenfalls die Bilder Raphaels zu visuellen Vergleichen hinzu. In Seelow, einem weiteren Halt auf seiner Reise, wird Ephraim ebenfalls zu einer Attraktion, zum lebenden Beispiel eines preußischen Verräters. Dann erreicht er das Ziel der Reise, das er inzwischen erahnt hat, die Festung Küstrin.

Abb. 42: Anon., Karte der Provinz Brandenburg (1905), Ausschnitt.

307 Ephraim (Anm. 62), S. 140.

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Abb. 43: Johann Friedrich Vater, Plan von Cüstrin, Stadt und Festung (Ausschnitt), 1724 (heute Kostrzyn).

Küstrin ist ein besonderer historischer Ort. Die Festung befindet sich an der Stelle, an der die Warthe in die Oder mündet, und lag damals in der Provinz Brandenburg. Seit dem sechzehnten Jahrhundert diente die Festung der Kontrolle des Schiffshandels auf den Flüssen. Das Gebäude, in dem Ephraim einquartiert werden sollte, war im achtzehnten Jahrhundert erneuert worden – bis Ende des zweiten Weltkrieges blieb der Ort von strategischer Bedeutung; heute ist die Festung zerstört, der Ort heißt Kostrzyn und liegt in Polen. In Küstrin erhält die Erzählung Ephraims einen erneuten Anfang. Diesmal ist es kein Beginn, der durch Ephraims Verhaftung markiert ist, oder durch seine Kindheit. Er markiert den Beginn der Niederschrift seines Buches. Ephraim hatte zunächst geplant, ein Werk über den „Abstieg des Kontinents“ zu verfassen, und plant dies immer noch zu tun. Aber er beginnt in Küstrin eigentlich ein anderes Buch zu schreiben, nämlich seine Autobiographie. Dies Buch handelt nicht vom

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„Abstieg des Kontinents“ und zeigt dennoch den Verfall des preußischen Staates. Ephraim schreibt seine Lebensgeschichte nicht ohne Bedenken: „Sehr selten ist eine Biographie des Lesens werth, außer wenn sie den Scharfsinn und die Diction eines Plutarchs, Tacitus, Robertsons, oder die Laune eines Yoriks enthält; denn ohne diese Vorzüge wird der Held noch in zwei Bänden ein Embrio sein“.308 Ephraim beschäftigt sich hierbei nicht mehr mit Gibbon, sondern vergleicht sein Schicksal mit dem des Sokrates. Nochmals wird der Einfluss von Mendelssohns Phaedon deutlich und Ephraims Geschichte scheint hier auch die eines der Charaktere Worthys zu wiederholen: Auch Worthy saß unschuldig in einem Gefängnis. Ephraim wird dabei nicht nur zu einem Doppelgänger Worthys und Sokrates, denn gerade, als er einige Gedanken über eine erfolgreiche Monarchie niedergelegt – nämlich, dass der König keine Liebe, sondern Respekt und Bewunderung von seinen Untertanen verlangen solle, so wie Friedrich der Große es tat, damit es keinen simplen Patriotismus der Müncheberger Art geben könne—da erscheint ihm der Schatten des großen Königs deutlicher als je. „Zwei Thüren mit starken Schlössern wurden geöffnet, und der Führer sagte: Hier sind Sie in einer von den Stuben, wo Friedrich der Große gesessen hat. Wo ist dieser göttliche Mann, schrie ich laut auf. Die Umwölkung verzog sich, und ich bekam wieder etwas Besinnungskraft“.309 Ephraim scheint überwältigt. Friedrich II. und Ephraim: Erst Ephraims Verhaftung und sein Gefängnisaufenthalt in Küstrin erlauben es ihm, sich nun mit seinem früheren König zu identifizieren. Und seine Identifikation mit dem Monarchen beweist, wie sehr er seine Verehrung für den König auch ausleben konnte. Ephraim kannte die Geschichte Friedrichs II. gut. Dieser hatte als Kronprinz mehrere Wochen, vom frühen September bis Mitte November 1730, in Küstrin verbracht. Er wurde des Staatsverrats beschuldigt, weil er dem strengen Regiment seines Vaters entkommen und nach England fliehen wollte. In Küstrin lebte Friedrich in einem Zimmer im zweiten Stock und wurde lediglich von zwei Dienern begleitet. Wie Ephraim weiß, musste er mit wenigen Büchern auskommen: der Bibel, einem Gesangbuch und Johann Arends’ Wahres Christentum (das englische Buch Gibbons war nicht dabei). Er musste auf seine geliebte Flöte verzichten und auf Gespräche mit Freunden. Durch das Fenster wurde er Zeuge der Exekution seines besten Freundes und „Mit-Verschwörers“ Hans Hermann von Katte, mit dem er fliehen wollte. Nur als der König gewarnt wurde, dass sein Sohn einem Zusammenbruch nahe wäre, erhielt dieser eine eigene Wohnung in Küstrin und eine administrative Beschäftigung. Friedrichs Einverständnis, die Nichte des österreichischen Kaisers zu heiraten, ermöglichte schließlich seine Entlassung.

308 Ephraim, (Anm. 62), S. 163. 309 Ephraim, (Anm. 62), S. 147–148.

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Der junge Friedrich war das Opfer einer autoritären Erziehung, die ihm Gehorsam lehren sollte. Ephraims Verhaftung wurde von keinem strengen königlichen Vater befohlen, sondern von einem rachsüchtigen Mitglied des königlichen Kabinetts. In Küstrin ist er alleine mit dem positiven Bild Friedrichs des Großen beschäftigt. Die Erinnerung an ihn bewegt ihn und verwandelt seine Haft zu einem wahren Triumph. Seine Gefängniszelle in der Festung wird zu einem Ort, an dem sich der reiche Jude, der Diplomat sein wollte, und der preußische Kronprinz, der seinem Vater entkommen wollte, treffen können. Ephraim und Friedrich werden in Küstrin zu Leidensgenossen und Ephraim, das Opfer einer falschen Beschuldigung und ungerechten Verhaftung wird zum Helden, der einem Prinzen gleicht, der später als aufgeklärter Monarch regieren sollte. In Küstrin muss Ephraim nicht mehr die Seitenzahlen in Wände ritzen, wie er es zuvor bei der Lektüre Gibbons noch gemacht hatte, um sich auf sein Buch über den „Abstieg des Kontinents“ vorzubereiten. Er erhält Papier und Feder und kann seine Lebensgeschichte in dieser neuen Position niederschreiben. Aber einmal ins Gefängnis verbannt, testet Ephraim auch die Charaktere seiner armen Mitgefangenen und der soldatischen Wache. Er prüft, ob diese korrupt sind, ob auch sie versucht sind, ungerecht zu sein. So trifft er auf ehrliche wie auf unehrliche Menschen und auf weitere Opfer des Systems. Kafkas K. mag sein Schicksal als Einzelfall beschreiben, aber Ephraim hat Vorgänger und er ist nicht allein. So zählt er andere Fälle auf, bei denen Menschen unschuldig verhaftet wurden und zählt selbst den privaten Kabinettsrat Lombard unter die Opfer preußischer Willkür. Lombard wurde 1803 wegen seiner pro-französischen Einstellung von Stein streng gerügt.310 Und bei seiner Beschreibung einiger Opfer als „Galeerensklaven“ weist er auch Goethes Torquato Tasso hin,311 ein Drama, das nun mehr zeigen soll als das Schicksal eines einzelnen Dichters. Ephraim sieht es schließlich als seine Pflicht, die Namen derjenigen zu nennen, die so willkürlich handeln: Eine solche Barbarei muß gerügt werden, und es ist Pflicht und Schuldigkeit, die Handlungen dieses Menschen dem Urtheile des Publikums Preis zu geben, damit andere Bösewichter von ähnlichen Verbrechen abgeschreckt werden, und mit den Gefangenen wenigstens menschlich umgehen lernen.312

310 Lothar Kittstein: Politik im Zeitalter der Revolution. Untersuchungen zur preußischen Staatlichkeit 1792–1807. Bonn 2003, S. 395. 311 Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso, 5. Akt, 5, 3339: „Nur die Galeerensklaven kennen sich“; vgl. Ephraim (Anm. 62), S. 162. 312 Ephraim (Anm. 62), S. 156–157. Auch die Druckfassungen von Ephraims Schriften zeigen kein perfektes Deutsch, aber sie unterscheiden sich trotzdem sehr von der Sprache der hier transkribierten Handschriften.

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Schulenburg, so klagt Ephraim nun, handelte unabhängig von seinem König Friedrich Wilhelm III. Der Gefangene Ephraim hingegen, sieht sich mit Friedrich II. verbunden und steht in direkter Linie zur preußischen Monarchie. Das Berliner Palais am Mühlendamm mochte sein Wohnsitz gewesen sein, aber durch ihre Nähe zum großen König ist diese Küstriner Gefängniszelle Ephraims wahres Quartier. Und somit muss es der treue Jude sein, der den adeligen Politiker als wahren Verbrecher entlarvt. Er ist gegenüber Ephraim ein Intrigant, aber vor allem ist er auch ein Verräter der Werte des preußischen Staates. Immer wieder wundert sich Ephraim dabei, dass Ereignisse wie die, welche Schulenburg bewirkt hat, in Preußen möglich sind. Dabei wird deutlich, dass der Ephraim sich mit dieser Lebensgeschichte nicht nur als reich (wealthy), sondern auch als ehrbar (worthy) darstellen wollte. Tatsächlich unterschied er sich hinsichtlich seiner Herkunft als wohlhabender Sohn eines prominenten Hofjudens von anderen jüdischen Autoren, die in dieser Zeit ihre Lebensgeschichten aufzeichnen. Maimon etwa weist in seiner Lebensgeschichte immer wieder auf die prekären Verhältnisse hin, in denen er aufgewachsen war und auf die Armut, die ihn sein ganzes Leben lang begleitete.313 Ephraim gehörte nicht nur zu einer jüdischen Minorität in Preußen und Berlin, sondern zu einer Minorität der Minorität. Dennoch ging es ihm in seiner Autobiographie nicht um den Unterschied zwischen reichen und armen Juden, Berlinern oder Zuwanderern aus ärmeren Gegenden, sondern um eine allgemeine Frage: Es muß ganz natürlich jedem die Frage aufstoßen: „Warum ist keinem andern solches Unglück zu Theil worden?“ Ich finde es nicht nur gerecht, sondern zu meiner Ehrenrettung pflichtmäßig, die Geschichte meiner diplomatischen Geckerei zu berühren, denn leider muß ich gestehen, ich war ein Gimpel das meinige aufzuopfern um mich bekannt zu machen.314

Ein Klopfen an die Gefängnistür etwa gibt Ephraim dabei das theatralische Mittel, seiner Erzählung Spannung und ein wechselvolles Tempo zu geben. Zweimal unterbricht Ephraim die Erzählung seiner Verhaftung, um über sein vergangenes Leben, seine Erziehung, seine Geschäfte und Politik zu reflektieren. Zweimal wird er auch in seinem Schreiben durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen, denn er erhält Besucher. So verwebt der Erzählungsstrang Vergangenes mit Gegenwärtigem, Familiengeschichte und politisches Essay. Und seine Rolle als preußischer Patriot macht es ihm auch möglich, auf eine rasche Befreiung zu verzichten.

313 Maimon: Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben und herausgegeben von K(arl). P(hilipp) Moritz. In zwei Teilen. Berlin 1792–1793. 314 Ephraim (Anm. 62), S. 163.

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Denn während er in Küstrin verweilt, stürmen die französischen Soldaten, die ostwärts ziehen, bereits den Ort. Aber Ephraim möchte nicht von den Franzosen, sondern von den Preußen befreit werden und erwartet von ihnen eine Erklärung und Entschuldigung. Er sieht hier eine Wiederholung der Ereignisse von 1791, nun auf preußischem Boden. So könnte er zwar von den französischen Besatzern befreit werden, bleibt aber nun freiwillig inhaftiert. Er kann den französischen General Davoust sprechen, der ihn anweist, an den General Duroc zu schreiben. Ephraim kannte Duroc, und dieser könnte seine Entlassung offiziell und ehrenhaft bewirken. Ephraim folgte schließlich diesem Rat, erlangte seine Freiheit und kehrte nach Berlin zurück. Dort beendet er seinen Lebensbericht: Das Zutrauen des französischen Gesandten gegen mich wurde auch durch den Enthusiasmus bewirkt, den ich mit äußerster Anhänglichkeit für mein Vaterland erwies; indem ich der festen Meinung war, daß eine innige Freundschaft mit Frankreich nicht nur zu dessen Erhaltung sondern auch zur Vergrößerung desselben sei. Ich kann mich auf noch lebende achtungswürdige Männer berufen, daß Friedrich der 2te stets den Grundsatz äußerte: „Man muß Rußland schonen, aber mit Frankreich sich verbinden“.315

Ephraims Ueber meine Verhaftung wurde nur wenige Monate, nachdem die Franzosen Berlin besetzten, gedruckt. As Ort wurde Berlin angegeben, es erschien wohl im Selbstdruck. Dabei ist es interessant, dass Ephraims Buch, das Schulenburg und andere so offen angriff, jeder Zensur entging. Tatsächlich kehrte Ephraim scheinbar mühelos in sein Geschäftsleben zurück. Aus dem gleichen Jahr wie die Publikation des Buches, 1807, datieren auch Belege, die Ephraims Lieferungen an die Armee dokumentieren. Nur war es jetzt nicht die preußische Armee, sondern, den Umständen bemessen, die französischen Truppen, die er mit Verpflegung und Lazarettmaterial bediente.316 Die Publikation seiner Lebensgeschichte war bald vergriffen und Ephraim bereitete eine zweite Auflage vor. Für den erneuten Druck bearbeitete er den Text. Er behielt die Struktur bei, fügte aber weiteren politischen Kommentar hinzu und war etwas vorsichtiger hinsichtlich seiner Einschätzung der französischen Politik. Aber in dieser zweiten Auflage finden sich die Namen weiterer preußischer Politiker, die er kritisierte, und weitere Details. Die Erstpublikation seines Textes beläuft sich auf ein einen Umfang von 212 Seiten; der Umfang der zweiten vermehr

315 Ephraim (Anm. 62), S. 189. 316 Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Rep. 23A Kurmärkische Stände Nr. B.1444. 23A B.1444; 1807 (Akte): Nachweisung und Abrechnung der Lieferungen von Getreide, Fleisch, Fourage, Getränken, Lazarettbedürfnissen u.ä. für die französischen Truppen, Etappenlager und -magazine durch Lieferanten gegen Bezahlung in alphabetischer Reihenfolge der Namen: Ephraim, Benjamin Veitel, und Ezechiel u. Co., Berlin. 1807.

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Abb. 44: Benjamin Veitel Ephraim, Ueber meine Verhaftung, Berlin, 1807.

ten Auflage von 1808 beträgt 264 Seiten. Sie hat ein nahezu identisches Titelblatt, aber trägt jetzt den Publikationsort Dessau. Die Zeitung für die elegante Welt kündigte das Buch am 30. September 1808 gleich nach der Anzeige der Selbstbiographie der Gräfin von Lichtenau an: „Herr Ephraim in Berlin hat das seltene Glück erlebt, dass die Vorfälle seines Lebens zum zweiten Mal aufgelegt worden sind“.317

317 Zeitung für die elegante Welt (30. September 1808), Spalte 1348.

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Abb. 45: Benjamin Veitel Ephraim, Ueber meine Verhaftung. Zweite vermehrte Auflage, Dessau, 1808.

Die selbstverlegte Auflage von 1807 war bald ausverkauft. Aber eine Notiz in der Zeitung für die elegante Welt gibt im Februar 1808 Auskunft über eine Klage hinsichtlich einer anderen Publikation, bei der ein verabschiedeter Hauptmann gegen einen Verleger vorging, und fährt fort: Eine ähnliche Klage hat ein Offizir zu Küstrin wider den Geh. Rath Ephraim über seine Schrift: seine Gefangennehmung betreffend, beim Kammergericht angestellt und nach der

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Räumung des preußischen Staats von den Franzosen, vor der sich jetzt die Gerüchte wieder erneuern, wird es gewiß noch manche unangenehme Händel sehen.318

Rezensionen des Buches folgten auf beide Auflagen. So heißt es in einem Aufsatz „Benjamin Veitel Ephraim“ im Kabinet Berlinischer Karaktere – Kühn möchte Saul Ascher hier als Autor identifizieren:319 Es gibt gewisse Erscheinungen, die, wenn man sie entwickeln und aus ihren mannigfaltigen Ursachen herleiten will, noch dunkeler und problematischer werden. Zu diesen gehört unfehlbar der Geheimerath Ephraim. Er hat vor Kurzem in einer Brochüre, genannt „über meine Verhaftung“, ein sogenanntes curriculum vitae gegeben, das aber gewiß jeden Leser in einem noch größeren Zweifel über den Karakter und die Tendenz des Mannes erhalten muß. Herr Ephraim hätte sehr wohl gehandelt, wenn er die Geschichte seines Lebens unterdrückt hätte, denn es bleibt immer keine kleine Schwierigkeit, bei den üblen und verdächtigen Gerüchten, welche von ihm seit 40 Jahren im Umlauf sein mögen, durch einen solchen, gleichsam rakettenartigen, Vortrag zu blenden; denn das Ganze ist ein mit Lücken ausgestelltes Fachwerk, ein sogenanntes Gerippe. Es erregt daher vielmehr eine Fortsetzung des Verdachtes, der gegen Ephraim schon längst im Umlauf war, und man geräth auf den Gedanken, daß er uns viele Scenen und Begebenheiten aus seinem Leben zu verschweigen für gut fand, welche ein so schönes Licht auf den Brennpunkt seiner Handlungen, seinen Karakter, geworfen hätten.320

Der Artikel verweist auch auf Ephraims Reichtum und das Münzgeschäft der Familie: „Es ist nichts natürlicher, als daß ein Mann, der durch verdächtiges Münzen ein fürstliches Vermögen zusammen brachte, nicht den Keim in dem Busen eines seiner Nachkommen hinterlassen haben sollte, der zu Handlungen der Art tendirte“.321 Dies ist eine Biologie des ererbten „Geldorgans“ im Kontrast zum biblischen „Religionsorgan“.322 David Fränkel, ein Mitherausgeber der Zeitschrift Sulamith in einem Aufsatz „Die Lage der Juden alter und neuerer Zeiten: Ein Wort des Trostes und der Vermahnung“, fügt die folgende Fussnote an: Der Geheime=Rath B.V. Ephraim in Berlin im Jahre 1806. Durch ein Lettre de cachet, wie er es nennt ganz unschuldigerweise arretirt wurde, wie aus seiner neuesten vortrefflichen, in Berlin erschienenen Schrift: Ueber meine Verhaftung u.s.w. näher hervorgeht, als man in den Zeitungen, daß ein Jude, welcher in großem Ansehen stand, wegen verräterrischer Cor-

318 Zeitung für die elegante Welt (3. Februar 1808), Spalte 183. 319 Kühn, (Anm. 203), S. 10 Anm. 2. 320 Anon. [Saul Ascher], „Benjamin Veitel Ephraim“. In: [Ascher]: Kabinet Berlinischer Karaktere, Berlin 1808, S. 37–45; wiederabgedruckt in diesem Band, hier S. 217–219. 321 Anon. (Anm 319), S. 217. 322 Anon. (Anm. 319), S. 217.

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respondenz arretirt worden sey. Eine gewisse Zeitung, die ihn nannte, setzte witzig hinzu: „Es giebt Spione in allen Gestalten“. So gerne sieht man in dem Juden einen Verbrecher und Nichtswürdigen, selbst wenn man ihm Talent und Verdienste zugestehen muß. – Sapienti sat! –323

Ein Rezensent der Neuen Berlinischen Monatsschrift wies darauf hin, dass kein anderer Staat einem Mann wie Ephraim einen so freien Verkehr mit fremden Offizieren und Diplomaten ermöglicht hätte, und nennt Friedrich den Großen selbst als Autorität dafür.324 Ephraim litt danach unter den falschen Vorstellungen, selbst Diplomat zu sein, und einen mangelnden Realitätssinn. Man könne höchstens Mitleid mit ihm haben, dass er in eine solche Lage geraten war: „Eigene Unvorsichtigkeit störte seine Ruhe. Sein Buch scheint indeß zu beweisen, daß die Lehren des Unglücks für ihn verloren gegangen sind“.325 Eine Rezension in den Lichtstrahlen, die möglicherweise von Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer stammte,326 der sich mit seinen anti-jüdischen Schriften hervortat, gab auch den preußischen Diplomaten die Schuld. Sie hätten Ephraims Treiben schon früher ein Ende setzen sollen: „Was war das für ein Herzog von Braunschweig, der einem so konfusen, in seinen Ideen und seinen Gefühlen gleich sehr zerrissenen Juden freien Zutritt zu sich gestatten, auf seinen Rat einen Wert legen, seine Billette in dem Staatsrate vorlesen, und sich seiner Geldspekulationen bei dem Monarchen annehmen konnte!“.327 Der Kunsthändler und Journalist Alexander Daveson, ein Freund Mendelssohns, war einmal in Braunschweig wegen des Verdachts eines Betrugs, für den keine Beweise vorlagen, verhaftet worden; es war Lessing, der sich seinerzeit für seine Befreiung einsetzen sollte.328 Unter dem Namen Karl Julius Lange veröffentlichte er im Januar 1808 eine kurze Ankündigung im Telegraphen:

323 David Fränkel, Die Lage der Juden alter und neuerer Zeiten. Ein Wort des Trostes und der Vermahnung. Sulamith I, ii H6 (1807), S. 353–386; hier S. 383 Anm. 324 [Johann Wilhelm Lombard]. Ueber die Schrift des Geheimen Raths Ephraim. In: Neue Berlinische Monatsschrift IXX/I (Februar 1808), 123–126; wiederabgedruckt in diesem Band, hier S. 215–216. 325 [Lombard]. (Anm. 323), S. 216. 326 Anon., Rezension. In: Lichtstrahlen I (1807), S. 455–480; wiederabgedruckt in diesem Band, hier S. 220–231. Zu Steiners Vermutung, s. Steiner (Anm. 25), S. 201. Karl Wilhelm Friedrich Grattenauers Wider die Juden: Ein Wort der Warnung an alle unsere christliche Mitbürger erschien 1802. 327 Anon. (Anm. 325), S. 231. 328 Alexander Daveson wurde von Lessing, mit dem er auch eine zeitlang eine Wohnung teilte, befreit; s. Steiner (Anm. 25), S. 205.

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In dieser Schrift findet man eine reichhaltige und wirklich interessante Sammlung historisch-politischer Notizen, Anekdoten und Charakterzüge, die meistens neu, lesenswerth, und in Hinsicht der Geschichte der lezten zwanzig Jahre, für den Politiker und Diplomatiker ungemein viel Interesse haben. Die Schreibart, der Ton, und die ganze Einkleidung dieser Schrift hat etwas sehr gefälliges, und der Verfasser versteht die Kunst, seine eigene Geschichte unter einer Menge fremder, sehr unterhaltender Erzählungen, auf eine anziehende Art zu verweben.329

Ephraims Buch wurde zu einem Diskussionsobjekt hinsichtlich seines Judentums, aber pro- und antifranzösische Parteien bezogen ebenfalls Stellung. Daveson sympathisierte dabei mit den Franzosen. Der offizielle, von Johann August Sack publizierte Zeitungs-Bericht der Immediat-Vollziehungs-Kommission vom 11. Januar 1808 wies dagegen die Empfehlung des Telegraphen zurück und beklagte Ephraims „unermüdliche[ ] Geschäftigkeit“, mit der er „das Handwerk eines französischen Kundschafters“ ausgeübt hatte und seine mangelnde Diskretion.330 Stein schrieb noch am 30. Dezember an den König und zitierte Sacks Schreiben, das auf Ephraims weitere Beziehungen zu General Zastrow und anderen hinwies und ihn als gefährlichen Menschen beschrieb, der gegen die Interessen der Regierung Intrigen spönne. Dabei erwähnt weder Sack noch Stein Ephraims Autobiographie, nur seine Treffen mit Militär und Diplomaten:  

Ich stelle E.K.M. untertänigst anheim, ob Hochdieselben mich nicht autorisieren wollen, nur in meinem Namen dem Ephraim jede Einmischung in öffentliche Angelegenheiten bei unausbleiblicher Festungsstrafe zu verbieten, und gewiß wäre es sehr gut, wenn der gutgesinnte und rechtschaffende General Köckritz sich alles Umgangs mit solchen listigen und ränkevollen Menschen wie Ephraim […] enthielte.331

Auf diesen Brief machen viele Jahre später, am 6. September 1900 auch die Deutsch-Sozialen Blätter der Deutschsozialen Reformpartei (DSRP) aufmerksam, die ihn Stein selbst zuschriebenen und den 1. März 1807 in als einen der antisemitischen „Gedenktage im September“ [sic] veröffentlichten.332

329 Karl Julius Lange [Alexander Daveson]: Vermischte Nachrichten. In: Der Telegraph: Ein Journal der neuesten Kriegsbegebenheiten I, Freitag, den 1. Januar 1808, S. 35; wiederabgedruckt in diesem Band, hier S. 112. 330 Johann August Sack, Zeitungs-Bericht der Immediat-Friedens-Vollziehungs-Kommission. Berlin 1808 Januar 4. Rep. XI. 89. In: Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven 88. Berichte aus der Berliner Franzosenzeit 1807–1809, veranlasst und unterstützt durch die K. Archiv-Verwaltung. Leipzig 1913, S. 105–106; wiederabgedruckt in diesem Band, hier S. 213–214. 331 Der Brief des Freiherrn von Steins vom 30. Dezember 1807 ist zitiert bei Steiner (Anm. 25), S. 198–199. 332 Siehe Titelseite, Deutsch-Soziale Blätter 15, Nr. 629 (6. September 1900).

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Ephraims Buch wurde auch in Frankreich gelesen. 1808 erschien auch eine französische Übersetzung seines Buches als „zweite Auflage“ von 213 Seiten.333 In Frankreich wurde er wahrscheinlich ob seines Schicksals und seiner Kritik preußischer Adeliger für einen Revolutionär gehalten. Heute sind nur sehr wenige Exemplare der Schriften Ephraims vorhanden und sie sind weit verstreut. Ein Widmungsexemplar Ephraims der französischen Ausgabe der Autobiographie gehörte zur Sammlung der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in Berlin und befindet sich heute in Jerusalem.

Abb. 46: Benjamin Veitel Ephraim, De ma détention et de quelques autres événements de ma vie. Seconde édition, o.O., 1808; die Verlagsangabe, „chez Philipson, rue de Chasseur“ wurde mit einer Signatur Ephraims eingeklebt.

Es ist interessant, nachzuforschen, wer Exemplare der Ephraimschen Bücher gekauft bzw. erhalten hatte. Das Bücherverzeichnis der Majoratsbibliothek von

333 Ephraim: De ma détention et de quelques autres événements de ma vie. Paris: [Philipsen], 1808.

VI Eine jüdische, eine Berliner Geschichte

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Schlobitten führt ein Exemplar der ersten Auflage.334 1816, fünf Jahre nach dem Tode Ephraims und bereits nach dem Ende der Befreiungskriege gegen Napoléon wurde ein Exemplar der französischen Ausgabe der Autobiographie in England in einer Auktion besonderer Bücher bei Leigh und Sotheby versteigert; ein Vermerk in dem in der Harvard Library aufbewahrten Katalog verzeichnet die Bücher als Sammlung des Prinzen Talleyrand.335 Exemplare des Dramas Worthy wurden für die Theater-Sammlungen der Bibliotheken der Schlösser Radenin und Krimice in Böhmen angekauft.336 Ein Exemplar befand sich in der Bibliothek Zelters, des einstigen Verehrers von Ephraims Tochter Jeannette.337 Heute befindet sich ein seltenes Exemplar der ersten deutschen Fassung und eines der französischen Ausgabe der Lebensgeschichte in der National Library in Jerusalem und in Berlin; Exemplare der deutschen zweiten Auflage in der Staatsbibliothek München und der Free Library in Philadelphia. Ein Exemplar von Worthy ist Teil der Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Jeweils ein Exemplar der Schrift zum Geldumlauf findet sich in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel und der Bibliothek der Columbia University in New York. So haben auch die wenigen überlebenden Buchexemplare weite Reisen hinter sich.

VI Eine jüdische, eine Berliner Geschichte Von Benjamin Veitel Ephraims Leben zeugen die wenigen erhaltenen Exemplare seiner Publikationen, sowie das reiche Brief- und Schriftenmaterial in den Berliner und Brandenburgischen Archiven, der Bibiothèque nationale in Paris, und den Nachlass-Sammlungen seiner Korrespondenten. Nur wenige Objekte aus dem Familienbesitz der Ephraims sind erhalten. So gibt es eine Miniaturkommode mit Initialen, die ursprünglich seinem Vater gehörte, im Besitz der Nachkommen.338 Ein Ring, der Veitel Heine Ephraim gehörte und um 1750 hergestellt wurde, ging in den Besitz einiger Frauen der Familie über und ist heute Exponat des Jüdischen

334 Hildebert Schellhorn: Bücherverzeichnis der Majorats-Bilbliothek von Schlobitten. Berlin 1858, S. 197. 335 Bibliotheca Splendissima. A Catalogue of a Superlatively splendid and Extensive Library […] which will be sold by Auction, by Leigh and Sotheby. Booksellers, at their Home, No. 145, Strand, opposite Catherine-street. 8. Mai 1816. London 1816. Das Buch erscheint auf S. 39, item 650. Eine Kopie des Katalogs befindet sich in der Sammlung der Harvard Library. 336 Steiner (Anm. 25), S. 47. 337 Thomas Richter: Bibliotheca Zelteriana. Rekonstruktion der Bibliothek Carl Friedrich Zelters. Alphabetischer Katalog. Stuttgart 2000, S. 67. 338 S. Born (Anm. 19), S. 18.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Museums in Berlin.339 Viele Mitglieder prominenter jüdischer Familien ließen sich im achtzehnten Jahrhundert malen; ihre Porträts zeugten von ihrem Selbstbewusstsein. Besonders Hofjuden stellten sich in repräsentativen Bildern dar, die ihren Status wiedergaben und als eine Reklame für ihren Handel dienen konnten. Von Berliner Zeitgenossen wie Herz oder Bendavid gibt es Porträts und einige Juden wurden von prominenten Künstlern wie Anton Graff gemalt. Mendelssohn war der Erste, der 1785 in einer Porträtbüste verewigt wurde; sie stammte von Jean-Pierre-Antoine Tassaert, der für den Hof tätig war.

Abb. 47: Benjamin Veitel Ephraim, Unterschrift und Siegel, Brief vom 19. April 1793.

Doch von Veitel Heine Ephraim gibt es kein Porträt, noch sind Bildnisse seiner Söhne bekannt. Eine naive Illumination in einer mittlerweile verschollenen Handschrift soll angeblich den Vater, Veitel Heine Ephraim, mit Friedrich II. in Rheinsberg zeigen, aber nicht einmal ein Datum des Bildes ist verbürgt.340 Statt eines Porträts von Benjamin Veitel Ephraim sind nur seine Unterschrift und sein Siegel erhalten. Erst eine der drei Töchter Benjamin Veitel Ephraims, die bereits verheiratete Jente oder Sophie Jeannette ließ sich 1794 malen.341 Ein Pastellbild, das wahrscheinlich Ephraims Cousin Ephraim Marcus Ephraim zeigt, befand sich lange Zeit im Familienbesitz und ist heute Teil der Sammlung des Jewish Museum in

339 Das Testament befindet sich heute im Jüdischen Museum Berlin, Inv.-Nr.: 2006/3/1. Der Ring befindet sich ebenfalls im Jüdischen Museum Berlin, Inv.- Nr.KGM 82/25/0 und ist wahrscheinlich ein Damenring. 340 Veitel Heine Ephraim, der Vater von Ephraim Veitel, präsentiert dem Kronprinzen Friedrich II zwischen 1736–1740 in Rheinsberg eine Schuldenurkunde / Abb. aus einer verschollenen Handschrift https://ephraim-veitel-stiftung.de/gomperz-ephraim-itzig-erfolg-und-bedrueckungder-hofjuden-friedrichs-ii/ (Zugriff August 2020). 341 Das Bild von Jeannette Stieglitz befindet sich in Privatbesitz; es ist abgebildet in: Stieglitz (Anm. 11), S. 149. Sie und ihr Ehemann, der Arzt Johann Stieglitz, traten 1800 zum Christentum über; ihre Geschwister wechselten erst nach dem Tod des Vaters ihre Religion.

VI Eine jüdische, eine Berliner Geschichte

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New York.342 Diese Objekte wurden lange Zeit von den Nachkommen der weitverzweigten Familie Ephraim gehütet, zu denen auch bedeutende deutsche Gelehrte und Wissenschaftler gehören: der Psychologe William Stern, der Philosoph Günther Anders, der Kunsthistoriker Rudolf Wittkower. Hinsichtlich Veitel Heine Ephraim gibt es zwar kein Bild, aber Beschreibungen seiner Person. Er war, wie ein Zeitgenosse meinte, „fein und artig“,343 eine Bewertung, die möglicherweise sein Äußeres einschloss. Lessings Bruder Karl beschreibt ihn als „einäugig“.344 Es folgen auch antijüdische Klischees, die selbst der jüdische Autor Berthold Auerbach 1840 in einem Roman formuliert: [D]ie Augen waren wie von unersättlicher Gier weit aus ihren Höhlen hervorgetrieben, die zurückgedrückte hohe Stirne, die aufgeworfenen bläulichen Lippen schienen Verschlagenheit und sklavische Unterwürfigkeit zu verrathen; [...] mit Geld klimpernd, den Unterkörper nach vorne streckend, sich auf den auseinander gestreckten Beinen stolz hin und herwiegend, so stand Veitel Ephraim da, eine lebendige Rechenmaschine, deren Zifferblatt, das Gesicht, nur die gewonnenen Presente anzeigte.345

Nicht viel differenzierter erscheint der Vater in dem Roman von Luise Mühlbach, Johann Gotzkowsky der Kaufmann von Berlin.346 Der Sohn Benjamin Veitel Ephraim bot trotz seines schillernden Lebens keinen Romanstoff. In Geschichtsbüchern des neunzehnten Jahrhunderts wird oft Buchholz zitiert und Ephraim danach mit einem „alttestamentliche[n] Prophet[en]“ verglichen,347 und als Autor von „widerlich possirlichen, gleich kriechenden und anmaßlichen Briefe[n]“ beschrieben.348 Präsent und sichtbar ist für die Nachwelt das Haus, in dem er wohnte, und für das zunächst der Vater als Bauherr verantwortlich war. Das Ephraim-Palais hatte im Unterschied zu den Wohnungen der meisten anderen Berliner Juden die Zeit überstanden. Es blieb auch nach Ephraims Tod noch in der Familie, aber da Veitel Heine Ephraim in seinem Testament darauf bestanden hatte, dass sein Besitz nur

342 Das Pastell-Porträt gehört zum Nachlass von Rudolf Wittkower und befindet sich heute im Jüdischen Museum New York (Accession Number: 1992–59). 343 Stern (Anm. 29), III/1: 371. 344 Karl Lessing, Brief an Gotthold Ephraim Lessing, 26. Dezember 1772. In Lessing: Sämtliche Schriften, hg. v. Karl Lachmann. 3. Aufl. 20 Bde. Leipzig 1905, XX: 214. 345 Berthold Auerbach. Dichter und Kaufmann. Ein Lebensgemälde. 2 Bde. Stuttgart 1840, I:167. 346 Luise Mühlbach: Johann Gotzkowsky der Kaufmann von Berlin. 3 Bde. Berlin1850, bes. 2. Bd., passim. 347 Friedrich Christoph Förster: Neuere und neueste preussische Geschichte: Seit dem Tode Friedrichs II. bis auf unsere Tage. Mit Benutzung vieler bisher ungedruckter Quellen und mündlicher Aufschlüsse bedeutender Zeitzeugen. 5 Bde. Berlin 1851–1866, I: 740. 348 Förster (Anm. 345), I: 741.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

an Nachkommen vererbt werden konnte, die Juden geblieben waren, sah seine Zukunft als Familienbesitz bald schlecht aus.349 Auch als die Testamentsbestimmung schließlich ungültig wurde, wurde das Haus nicht mehr lange von den Enkeln erhalten, sondern verkauft. In diesem Haus befanden sich bereits Teile der ehemaligen Tabak-Administration. 1823 ging es in den Besitz des Kaufmanns Carl Heinrich Ulrici über, der die zweitgrößte Tabakhandlung in Berlin besaß, Carl Heinrich Ulrici & Co., Cigarren-, Rauch- und Schnupftaback-Fabrik, und auch ein Lager und eine Tabakmühle am Ort operierte, die dann sein Sohn übernahm. Ephraims Neffe Victor Ebers (vormals Veitel Heymann Ephraim) wurde zeitweilig sein Partner. 1843 verlegte die Tabakfirma ihren Hauptsitz in die Kommandantenstr. 15 und verkaufte das Gebäude.350 Ulrici hatte es für 58 500 Taler gekauft; er verkaufte es für 185 000 Taler an den preußischen Staat.351 Im Ephraim-Palais befand sich danach das Bureau des Königlichen Policei- Präsidii und das Einwohnermeldeamt. 1936 wurde es demoliert, um eine Straßenerweiterung zu ermöglichen, aber die Fassadenteile wurden aufbewahrt.352 Eine mehrspurige Straße durchschneidet heute das Gebiet, und der Asphalt bedeckt einige Meter weiter auch die archäologischen Reste des mittelalterlichen Judenhofes. Nach dem zweiten Weltkrieg war das alte Berlin nahezu vollständig zerstört, aber die Fassaden des Ephraim-Palais hatten überdauert. Sie befanden sich in Aufbewahrung im Stadtteil Wedding im Westen des nun geteilten Berlins. 1975 dachte der Senat daran, das Gebäude wiederaufzubauen. Es war an ein Jüdisches Museum gedacht.353 Im Osten der Stadt war ebenfalls ein Wiederaufbau geplant, da sich dort zwar nicht die Fassade, aber das ursprüngliche Grundstück befand. Nach einigen Verhandlungen wurden die doppelten Pläne aufgeben, und der Westberliner Senat bot 1982 dem Berliner Magistrat der DDR die Fassade an. Dieser konnte nun das Ephraim Palais 12 Meter versetzt vom ursprünglichen Ort am Mühlendamm errichten. Dies geschah nicht als Jüdisches Museum, sondern  



349 Hinsichtlich der legalen Auseinandersetzungen, die Ephraim auch mit seinem Neffen Heyman Ephraim hinsichtlich der Grundstücke am Mühlendamm führte, s. GSta PK HA GR Rep 21 Nr. 207, Fasz 270; sihe auch 6188 I. HA ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10: Judensachen 59 a B; 2475 I. HA: Geheimer Rat. Rep 21: Kurmärkische Städte, Ämter und Kreise, Nr. 207 b2 Fasz 270. 350 Die Büroadresse Ulricis konnte anhand von Berliner Adressbüchern und der Firmenanzeigen für seine Tabakhandlung festgestellt werden. 351 Vgl. Claus (Anm. 7), S. 58. 352 Krüger (Anm. 9), S. 13–15 und Krüger (Anm. 8), S. 43; s. auch Michaelis (Anm. 31), S. 211. 353 Rachel und Wallich (Anm. 15), II: 312.

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sollte die 750-jährige Geschichte der Stadt Berlin feiern helfen; zur 750-Jahr-Feier der Stadt 1987 wurde das wiedererbaute Ephraim-Palais eröffnet. In Erinnerung an das von Andreas Schlüter gebaute Wartenbergpalais an der langen Brücke erhielt ein Raum des Gebäudes auch eine Kopie einer „Schlüterdecke“, die sich vorher nicht in diesem Gebäude befand.

Abb. 48: Das 1985 wiederaufgebaute Ephraim-Palais, heute Stadtmuseum Berlin, 2017.

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Leben und Werk des Benjamin Veitel Ephraim

Abb. 49: Ehemalige preußische Justizverwaltung und Kammergericht Berlin, heute Jüdisches Museum Berlin.

In Westberlin entschied man sich inzwischen für einen Neubau, der das Jüdische Museum lediglich als Anbau zu dem dortigen Berlin-Museums im ehemaligen preußischen Kammergericht das Jüdische Museum beherbergen sollte. Der Architekt des Anbaus war Daniel Libeskind und das neue Jüdische Museum wurde 2001 eröffnet – aber da war Berlin wieder vereint und das Gebäude selbst wurde ein Symbol des neuen Berlins und der neuen Berliner Republik. Dabei übernahm der Zweck des Anbaus auch das alte Gebäude, das nun den Haupteingang des Jüdischen Museums bilden sollte. Dass eine ehemalige preußische Justizverwaltung ein jüdisches Museum wurde und ein Ephraim-Palais das Museum der Stadt Berlin, zeigt eine Wechselbeziehung zweier Barockgebäude, die ein Jude und preußischer Patriot wie Benjamin Veitel Ephraim vielleicht positiv bewertet hätte.

Zur Edition der Schriften Benjamin Veitel Ephraims Der zentrale Text dieser Ausgabe ist Benjamin Veitel Ephraims Autobiographie Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens. Die vorliegende Edition gibt die zweite, erweiterte Ausgabe von 1808 wieder. Alle Änderungen und Zusätze sind aber deutlich im Editionsbereich markiert und somit sind hier beide Versionen hier präsent und miteinander vergleichbar. Die Autobiographie und alle anderen publizierten Schriften Ephraims erscheinen in dieser kritischen Edition zum ersten Mal seit ihren Erstveröffentlichungen. Die Denkschriften und Briefe aus dem Archiv, die im letzten Teil des Buches wiedergegeben oder in der Einleitung zitiert werden, wurden für diese Ausgabe transkribiert. Alle französischen Texte und Zitate im Editionsteil werden im Kommentar in Übersetzung wiedergegeben. Die kurzen französischen Zitate in der Einleitung wurden in französischer Sprache belassen. Die in Ephraims Texten gesperrt gedruckten Stellen werden hier durch einen Fontwechsel wiedergegeben. Der gleiche Fontwechsel hebt die Personennamen im Kommentarteil hervor, die im Personenverzeichnis ausführlicher beschrieben werden. Das achtzehnte Jahrhundert kannte keine vereinheitlichte Orthographie. Die Edition gibt alle gedruckten Schriften wie auch die Manuskripte ohne Korrektur wieder. Im Kommentarteil werden jene Stellen in normativer Orthographie wiedergegeben, die sonst schwer verständlich sind. Dies betrifft vor allem auch Personen- und Ortsnamen. Bei einer solchen nicht modernisierten Wiedergabe der Texte werden auch Ephraims sprachliche Eigenheiten deutlich; weder Deutsch noch Französisch waren seine Muttersprachen.

https://doi.org/10.1515/9783110739770-002

1 Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens Quelle: B. V. Ephraim, Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens. Zweite vermehrte Auflage. Dessau, 1808. (Der Kommentar zeigt die Veränderungen und Ergänzungen zur ersten Auflage von 1807).  

Ueber meine

Verhaftung und einige andere

Vorfälle meines Lebens

von

B.V. Ephraim, Königl. Preuß. Geheimen Rath.

Zweite vermehrte Auflage. Dessau, 1808

https://doi.org/10.1515/9783110739770-003

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I Literarische Schriften

Vorbericht zur ersten Auflage. Ich war lange unentschlossen, ob ich die Geschichte meiner Verhaftnehmung zur 5 Wissenschaft des Publikums bringen sollte. Der Gerechte hat nicht nöthig sich zu

vertheidigen, dacht’ ich, indem die Sache für ihn selbst spricht. Allein ich bin es der Menschheit und meinen Freunden schuldig, das Verfahren wider mich aufzudecken, und die dabei ausgestreueten mannigfachen höchstleidenschaftlichen Nachreden zu widerlegen. 10 Es geschieht auch im mindesten nicht aus einer Art von Selbstrache gegen diejenigen, die, ohne Vorwissen des Königs, des Großkanzlers und der Gerichte, ein lettre de chachet oder geheimen Verhaftbrief wider mich ergehen lassen; sondern ich überlasse es blos dem Urtheil des Publikums, ob eine solche Verhaftnehmung, ohne den Verhafteten zu verhören, noch ihm zu sagen, warum und von wem 15 er verhaftet wird, und ohne ihm ein gebührendes gerichtliches Urtheil zu sprechen und solches vielmehr sogleich öffentlich bekannt zu machen – ein in einem wohleingerichteten Staat rechtliches Verfahren zu nennen sei? – ungeachtet ich, um alles dieses wiederholentlich, aber vergebens, gebeten habe. Das Detail dieses Gegenstandes habe ich mit möglichster Kürze und Scho20 nung dargestellt, und vielleicht werden die dabei vorkommenden Episoden und andere damit verbundene Gegenstände politischen Inhalts, den meisten Lesern nicht uninteressant sein; wenn es gleich nicht geschehen konnte, ohne vielleicht zuviel von mir selbst zu sprechen; so unbedeutend ich auch das, was mich selbst betrift, gern gehalten lassen will. 25

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Vorrede zur zweiten Auflage.

Da wider meine Erwartung die erste Auflage dieser Schrift gleich in den ersten 14 Tagen der Herausgabe gänzlich abgegangen; so habe ich mich entschlossen diese zweite herauszugeben; zumal ich vielfältig den Wunsch der Leser vernom35 men, daß dieselben über manche Gegenstände ausführlicher unterrichtet seyn möchten. Aus diesem Grunde sehe ich mich veranlaßt, statt eine unveränderte zweite Auflage, vielmehr eine mehr erklärende darzustellen. Denjenigen, die etwa einen gewissen jetzt gewöhnlichen Schwung im Vortrage und in der Schreibart von mir verlangen möchten, kann ich weiter keine Grün40 de entgegenstellen als daß mir selbst das modische gesuchte und gekünstelte im

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Vortrage nicht ganz gefällt; dies gehört nur in das Fach der Dichtkunst und Beredsamkeit, die bei den hier vorgetragenen Gegenständen im geringsten nichts mitzuwirken haben, mithin ein reiner populairer Vortrag gerade der passendste und zweckmäßigste ist. Zwar muß ich auch gestehen, daß, als ich diese meine Begebenheiten niederschrieb, meine physischen und moralischen Kräfte durch die üble und grausame Behandlung, die ich erlitten hatte, äußerst geschwächt worden waren, und daher wohl manche Stellen manchem nicht gehörig abgeründet scheinen mögen; allein eine gänzliche Abschleifung und Verzierung der Schreibart finde ich dennoch, wie gesagt, dem Gegenstande nicht angemessen. Der Hauptgesichtspunkt und das wesentlichste meines Vertrages besteht darin, daß ich es für eines jeden wohldenkenden Menschen Schuldigkeit halte, seine Mitbürger auf die Pflichten der Regierung aufmerksam zu machen, (denn eine rechtschafne und wohlmeinende Regierung haben wir) und nur die äußerst strafbaren Vergehungen derer, welche die Menschheit und die Rechte der Menschen zu Boden drückten, zu rügen und öffentlich kund zu machen, damit höhern Orts solchen Misbräuchen der Gewalten abgeholfen werde. Um so einleuchtender aber ist es, daß der Vortrag solcher Gegenstände ganz ungekünstelt und einfach, dem Karakter der Wahrheit gemäß und mit höchst klarer Diktion dargestellt werden müsse, damit er jeder Klasse von Lesern geeignet sei. So wie der Rost mit zum Beweise der Aechtheit einer Antike gehört, so ist ein ungekünstelter und selbst etwas nachlässiger Vortrag das Gewand der Wahrheit. Ich hoffe übrigens daß die von mir verlangten nähern Aufschlüsse die Leser befriedigen werden.

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*** Den 23. September 1806 wurde ich, Vormittags um 11 Uhr, von drei Personen, wovon einer der Policey-Inspector Jacobi war, in meiner Behausung arretiret, und 30 meine Zimmer mit dem Polizei- und meinem Siegel belegt. Ich wurde hierauf nach der Hausvoigtei gebracht, wo man mir keine Freistunden erlaubte, noch viel weniger mit irgend jemand zu sprechen. Mein ganzer dortiger Arrest verstrich, ohne daß man mir ein Verhör anberaumte, oder wenigstens mir die Ursache, so sehr ich auch darauf drang, davon bekannt machte. Auf meine Bitte um einen Justiz-Com- 35 missarius, und um eine Vollmacht für meine Frau zur Betreibung meines Handels und der Geschäfte der Gold- und Silber-Manufaktur, wurde nicht reflectiret, und es ist leicht einzusehen, daß dies meinen Kredit nicht verbessert sondern ihm vielmehr geschadet hat. Mein Bedienter mußte im Beisein des Inspectors mir die nöthigen Kleidungsstücke zuzählen und überliefern, mit der Aeußerung, daß alles 40

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wieder entsiegelt sei, welches auch der Inspector selbst mir nachher versicherte. Man erlaube mir folgende Betrachtungen hierüber anzustellen. Es giebt keinen Staat in Europa, selbst diejenigen nicht ausgenommen, die sich durch die härteste Despotie auszeichnen, wo man nicht den Arrestanten binnen 24 Stunden verhört, oder doch wenigstens mit der Ursache seiner Festsetzung bekannt macht. Ferner, ist es nicht für die Gerichte zuverlässiger, entweder den Angeklagten selbst, oder einen seiner Seits dazu Bevollmächtigten bey der Entsiegelung zuzulassen? worauf ich auch antrug; aber vergebens. Was verliert man bey einem solchen gesetzmäßigen Verfahren? Wie vielen schiefen und argwöhnischen Vermuthungen, die sonst unausbleiblich sind, würde man dadurch nicht ausweichen? Eigentlich war es schon widerrechtlich, die Abnahme der Siegel und Bemächtigungen meiner Papiere ohne Zuziehung des Insp. Jacoby zu bewerkstelligen. Zum Glück wurde der Auftrag zu dieser Entsiegelung einem würdigen und rechtschafnen Manne dem Hrn. Geh. Rath Küster aufgetragen. Ich saß bis zum 18. October in der Hausvoigtei, wo im Allgemeinen die Arrestanten menschlich behandelt werden. So lange auch kein Urtheil rechtskräftig geworden ist, müssen solche Oerter nur zur sicheren Aufbewahrung, freilich nach Maasgabe des präsumtiven Vergehens, mit mehr oder weniger Vorsicht, verordnet und eingerichtet sein. Howard hat hierüber sehr weise und zur Nachahmung zu empfehlende Vorschläge gemacht, welche aber leider nicht befolgt werden. In den ersten Tagen ihres Verhaftes ängstigen sich die Gefangenen mit dem Gegenstande ihres Arrestes. Tiefsinn, nachdenken, wie sie ihr Recht oder Unrecht vertheidigen oder demselben einen rechtlichen Anstrich geben sollen, beschäftigt sie; aber sie kommen bald damit ins Reine. Sie sehen mit Erstaunen bei ihren Mitgefangenen Ruhe des Geistes, ja sogar Munterkeit. Der eine liest im Gehen mit ruhigem Nachdenken; schwenkt rechts und links; macht im Sande Figuren; beweist und prophezeit, daß die Franzosen den Preußischen linken Flügel tourniren, und diesemnach die Preußen total schlagen werden. Wer verkennt hier den großen Taktiker Hrn v. Bülow. Ueberhaupt beschäftigen sich die Gefangenen sehr mit Lektüre. Während meines Aufenthaltes daselbst, habe ich, außer den Büchern, die ich aus meinem Hause erhielt, aus einer Lese-Bibliothek Gibbons Werk von dem Verfall und Untergange des römischen Reiches von neuem durchgelesen. Da mir kein Schreibzeug gestattet wurde, so notirte ich über 200 der auffallendsten Stellen, die ich benutzen dachte, indem ich mich mit einem Werk über den Verfall des Kontinents beschäftige. Ich kritzelte mit einem Messer die nöthigen Seitenzahlen an die Wand. – Den Körper durch Auf- und Abgehen im Gefängniß gesund zu erhalten, wird von den Verhafteten nicht außer Acht gelassen. Mir wurden in den ersten 14 Tagen gar keine Freistunden erlaubt, und in den letzten acht Tagen des hiesigen Arrests genoß ich dies nur des Nachts, wenn alles verschlossen war, wo ich in Gesellschaft des Inspectors eine halbstündige Bewegung hatte.

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Den 19. Nachmittags um 5 Uhr kam der Inspector in Begleitung zweier Leute und erklärte mir, daß er Befehl habe, mich diesen beiden Leuten zu überliefern. Ich muß gestehen, daß diese Menschen weder in ihrer Kleidung noch im äußeren Ansehen das geringste hatten, was gerichtliche Achtung oder Zutrauen einflößen konnte. Einer davon, vermuthlich der Obere, sagte in einem barschen Ton: „Ziehen Sie sich geschwind an, Sie kommen von hier weg.“ Wohin? fragte ich. „Das werden Sie schon erfahren.“ Kann ich meine Sachen mitnehmen? Der Mann nahm eine wichtige Miene an; doch endlich sagte er: „Packen Sie nur zusammen, aber nicht zu viel.“ Ich habe aber keinen Pfennig Geld; kann ich nicht nach Hause schicken und mir etwas holen lassen? „Das wird sich wohl finden, und Ihre übrigen Sachen können vielleicht nachgeschickt werden; fort! fort! Der gutherzige Inspector fiel mir um den Hals und sagte, wir wollen doch nicht als Feinde scheiden! und eine Thräne stieg ihm ins Auge. Bei allem was heilig ist, dieser Mann hat nie was von mir annehmen wollen. Ich packte also so viel zusammen, als man mir mitzunehmen erlaubte, und ging damit nach dem Vorhofe, wo eine Kutsche stand, in welche ich nebst den beiden Leuten hineingeworfen wurde, und so ging es durch die Stadt. – Auf der Königsbrücke schrie der gewaltige Machthaber Halt! und stieg aus. – Mein Gott! fragte ich ihn, was ist die Ursache dieses harten Verfahrens? Er antwortete mit einer hönischen Mine: „Das wird sich wohl dort aufklären.“ Jenseits der Königsbrücke rief er wiederum Halt! und befahl dem andern zur Prenzlauer Landwehr hinaus zu fahren und entfernte sich. Ich ließ mich nun mit dem andern in ein Gespräch ein, welcher meinte, man könne doch errathen, daß es nach Küstrin gehen werde. Er machte die philosophische Bemerkung: keiner wäre jetzt seines Kopfes sicher; auch er könnte morgen um seinen Kopf kommen wenn er mit hinaus müßte. Dies war eben keine tröstliche Anrede und Aussicht. Ich erfuhr nun auch von ihm, daß der Abgestiegene der Secretair des Platzmajors wäre, und er selbst dessen Bedienter sei. Endlich erschien der gewaltige Mann wieder, aber heiterer, mit einem kleinen schmalen offenen Bauerwagen, nebst einem Unter-Officier und zwei Gemeinen. Er rief, aufgesetzt, geschwinde! Zu mir sagte er eilig: Habe ich doch die Flasche Wein, die Sie mitgenommen haben, vergessen. Hat nichts zu sagen, erwiederte ich. Ich dachte: aus deiner Miene habe ich es schon errathen. „Nun Bursche, geladen.“ Hierauf warf er sich triumphirend in die Kutsche und fuhr zurück. Ich kann gewiß versichern, daß ich, ungeachtet der mißlichen Lage in welcher ich mich befand, bei dem martialischen Befehle, das Gewehr zu laden, mich kaum des Lachens habe enthalten können. Lieber Gott! dachte ich, ein Kind wäre hinlänglich gewesen mich alten kränklichen Menschen nach Küstrin zu bringen; ich wäre gewiß allein dahin gegangen und hätte mich überliefert. So viel erfuhr ich noch durch den Bedienten des gedachten Secretairs, daß alles vom Gouvernement befehliget worden sei, nemlich von Sr. Exellenz dem Minister v. Schulenburg. Ich erfuhr neulich von dem Bairischen Gesandten,

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daß er ihm dieses sehr behaglich mitgetheilt habe; woraus hinlänglich hervorgeht, wie leidenschaftlich der M. Schulenburg gegen mich gestimmt war. Dieser so allgemein bekannte Minister v. Schulenburg war nie mein Freund, indeß können unmittelbare Verhältnisse unmöglich die Ursachen seiner Abneigung gegen mich gewesen seyn. Dieser Mann war im Karakter und Stande zu weit über mich erhaben, als daß ich mit ihm in irgend einen unmittelbaren Mißlaut gerathen konnte, wohl aber nahm dieser Ehrenmann es sehr übel, daß ich dem König wiederholentlich über mancherlei schädliche Maaßregeln und Einrichtungen Vorstellungen machte; unter andern in Hinsicht der Lotterie, wo der Abzug von zehn Prozent nur zur Hälfte dem Staat zu Theil wurde; desgleichen wegen der ungeheuern Ausprägung der Scheidemünze, dessen Unglück ich vorhersagte, was uns jetzt trift. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einen Umstand zu eröfnen, der zwar unglaublich scheinen wird, dessen Wahrheit aber von mitwirkenden Personen bekundigt werden kann. Da es ruchtbar wurde, daß die Engländer uns mit falscher Münze überschwemmtem so wurde deshalb eine Konferenz gehalten. Der Minister Schulenburg äußerte sich in Betref der deshalb zu publizirenden scharfen Edikte: „Man müsse diese Sache gar nicht berühren, weil sonst die Münze in Mißkredit kommen würde. Kann man sich wohl etwas läppischers denken, da es schon weltkundig war, daß ungeheure Summen falscher Münze eingeschleppt wurden? Allein der Grund des Ministers bestand darin, um gewisse Vortheile davon .... nicht zu entsagen. – Ich ersuchte den Minister Haugwitz, sich dieserhalb bei dem Englischen Gesandten Carrysford zu beschweren. Dieser hatte aber die Unverschämtheit, zu erwidern: „Man müsse den Thäter angeben und die Einschleppung der falschen Münze auf der Gränze durch gehörige Maaßregeln verhindern.“ Da diese Münze doch öffentlich in Bermingham fabrizirt und im Kostümhaus daselbst zur Versendung angegeben wurde. – Nur als man ihm drohte, auch hier auf Englische Banknoten-Verfälscher nicht zu vigiliren, wurde in England einer, auf die Angabe des Preuß. Gesanten, arretirt; welches aber weiter keinen Erfolg hatte. Schulenburg und Haugwitz haben stets die Englische Partei gehalten, und wenn es auch von letzterem auf eingie Zeit nicht geschah, so war er nur aus Zwang, wie jener Preuß. Offizier, der eine französische Kokarde aufsteckte, citoyon par force. Die von dem Minister Schulenburg verübten Verfolgungen entstanden also nur aus dem Widerwillen gegen mich, daß ich die Mißbräuche aufdeckte, wodurch er fremder Habsucht zu genügen strebte. – Sollte dies fremde nicht blos fremde Habsucht gewesen seyn, so bitte ich um Verzeihung. – – Es war eine heitere sternhelle Nacht, der fünfte Tag des ersten Mondviertels; aber es ging eine schneidende Nordluft, und ich war freilich nicht sehr verwahrt. Der alte Unteroffizier sprach die erste halbe Meile kein Wort, es fror dem armen

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Mann, denn er hatte so wenig, als seine Soldaten, einen Mantel um, wobei ihm die Worte entfielen; wenn wir doch erst den halben Weg nach Landsberg zurückgelegt hätten! Je nun, sagte ich, die andere Hälfte soll es ihnen schon nicht mehr so kalt sein. „Wie so das? versetzte er, je später die Nacht, und je näher zum Tage desto kälter wird es. Gedulden Sie sich, Alter, sagte ich, Sie werden sehen, ich halte Wort. Wir sind gleich da, sagte der eine Soldat. Wie spät mag es wohl sein, fragte der Unterofficier den Kutscher; es ist noch nicht 7 Uhr, erwiederte dieser. Ich widersprach ihm und sagte, es müßte zwischen 3/4 und voll acht Uhr seyn. „Wie können Sie dies so genau bestimmen?“ Das werden Sie bald sehen, Alter, ob ich Recht habe. Wir stiegen ab, und ich zeigte ihm meine Uhr, die gerade 55 Minuten auf 8 war. Dies setzte ihn nicht wenig in Erstaunen; er bat mich ihm das Geheimniß davon mitzutheilen. Da ich noch nicht wußte, wes Geistes Kind er war, so sagte ich mit einer geheimnißvollen Miene: man müßte mehr können als Brod essen, um sich zu einer solchen Eingebung fähig zu machen. Mein beabsichtigter Zweck wurde erreicht, denn von dem Augenblick an erwarb ich Achtung bei ihnen. Ich forderte von der Wirthin Brod, Butter, und Käse; konnte aber nur wenig essen, weil er zu salzig war. Als wir abgehen wollten, sagte der alte Mann: da der Käse doch übrig bleibt, so will ich auch ein Stückchen davon nehmen. Ich wußte nun, was ich wissen wollte; ich beurtheilte diesen Mann richtig. Er handelte pflichtgemäßig, aber nicht pedantisch. Ich ließ meine zusammengebundenen Betten hereinbringen, nahm zwei Ueberröcke heraus und gab einen davon dem Unter-Officier. Das darf ich wohl leiden, war seine Bemerkung. Den Soldaten, ein Paar jungen Menschen, gab ich Kissen, um sich die Lenden damit zu bedecken. Es war für die Jahrszeit sehr kalt, und wir krüppelten bis 11 Uhr, ehe wir nach Landsberg kamen. Mit Besorgniß bestellte ich daselbst gleich einen großen Topf mit Warmbier, ungeachtet ich nur noch 20 gr. in der Tasche hatte, das Getränk war aber nicht zum besten gerathen. Ich konnte nur eine Tasse davon genießen, und sagte mit Vorsatz: Mehr kann ich nicht zu mir nehmen und schob den Topf dem Unteroffizier zu, der ihn auch mit den 2 Soldaten ausleerte, ohne etwas zu sagen oder sich zu bedanken. Um 12 Uhr ging es weiter, über Taßdorf, ein Umweg von einer Meile. Wir krochen ohne anzuhalten bis 8 Uhr, ehe wir in Müncheberg ankamen, wo wir im goldenen Löwen abstiegen. Dem Wirthe, Hrn. Heinrich, schien es nicht zu behagen, daß ein Kommando mit einem Arrestanten in seinem vornehmen Wirthshause Quartier nahm. Ich wurde von diesem Ehrenmanne von oben bis unten lange berachtet, that aber als wenn ich es nicht bemerkte. Ich forderte eine Portion Kaffee und Semmel, welches der Madame Heinrich nicht ganz gelegen schien, und es währte lange ehe ich ihn bekam. In der Hausvoigtei hatte ich aus der Hamburger Zeitung ersehen, mit welchem Verbrechen man mich beim Publikum angeschwärzt hatte. So viel ich mich besinne, war die Ankündigung folgende: „Ein bei seiner Nation in Achtung stehender

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Jude ist dieser Tage wegen gepflogener verrätherischer Korrespondenz arretiret worden.“ Der Hamburger Korrespondent nimmt sonst nicht leicht in seine Zeitung etwas auf, was gegen einen preußischen Unterthanen gerichtet ist, denn er steht unter aller Aufsicht – allein was erlaubt man sich nicht gegen einen Juden. In der Zeitung für die elegante Welt wurde ich sogar mit Namen genannt, und zwar mit dem dieser Zeitung so gewöhnlichen eleganten Witz „Es gebe Spione in allen Gestalten.“ Diesen beiden Blättern habe ich es zu verdanken, daß man mich wenigstens mit einem angeblichen Verbrechen bekannt gemacht hat. Es war daher in Müncheberg – – diesem wahren preußischen Abdera – – für so weise Männer nicht schwer zu errathen, daß der Arrestant, der durch öffentliche Blätter angekündigte Staatsverräther sey. Es währte auch nicht lange so war die ziemlich große Gaststube voller Menschen und ich wurde als ein Delinquent gezeigt. Unter allen Anwesenden war der Meister Schmidt der auffallendste, welcher, wie es mir schien, in Müncheberg keine kleine Rolle spielt. Wer kennt nicht die drei um eine Tonne sitzenden Bauern von Ostade? Dieser gute Mann sah dem von ihnen am ähnlichsten, der ein Glas in der Hand und die rothe Mütze auf ein Ohr geschoben hat; ein kleiner, untersetzter Mann, breiten Gesichts, ziemlich breiter Nase, tiefen aber funkelnden kleinen Augen. Mit diesen sah er mich drohend an, und ich konnte in seiner Miene deutlich lesen: o hätte ich dich doch in meiner Werkstätte, ich wollte dich so mit meinen Cyklopen zerhämmern, daß du daran denken solltest. Der Lärm nahm immer mehr zu, und auch auf der Straße versammelten sich Menschen vor den Fenstern. Ein junger Mann, gepanzert mit einer Amtsmiene, erschien. Er wandte sich zu dem Unteroffizier und fragte ihn mit einer donnernden Stimme: „Sind Sie ein Landeskind? ja antwortete dieser mit militärischer Trockenheit. „Auch ihr? die zwei Soldaten anredend. Ja, war ihre Antwort. Das ist mir lieb! – Er wollte eigentlich dem Berlinischen Gouvernement seinen Beifall zuklatschen, daß es so klug war, zu diesem großen Geschäfte Landeskinder und keine Ausländer zu nehmen. Das Gedränge nahm immer mehr überhand. Ich sagte leise zu dem Unterofficier: Alter, sein Sie auf Ihrer Huth! Nun erschien auch der hocheingeweihte Herr Prediger, und hielt eine lange Rede über Landesverrätherei, wobei er wiederholentlich äußerte: „Wenn ich einen Bruder hätte, der ein Landesverräther wäre, so würde ich mir kein Gewissen daraus machen, ihn den Gerichten zu überliefern.“ Ich will den Namen dieses Geistlichen nicht hersetzen, weil er mehr ein Narr als ein böser Mensch ist. – Zu dem Unterofficier sagte ich leise: „die Sache wird ernsthaft.“ Es währte auch nicht lange, so erschien von neuem der erwähnte junge Mann, und stellte den Unterofficier zu Rede, warum er leise mit mir gesprochen hätte; er werde ihm noch zwei Leute mitgeben die ihre Pflicht besser beobachten würden. Der alte Mann gab ihm aber keine Antwort; dies verdroß ihn, und er wurde laut. „Herr, sagte er, wenn Sie wüßten, wer ich bin, würden Sie besser Ihre Pflicht zu erfüllen wissen und Ihren Hut abnehmen! Ich bin der Jus-

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tizbürgermeister Schwarz. In meinem ganzen Leben ists mir nicht sauer geworden, zwischen Demokrit und Heraklit zu wählen; man kömmt weit besser weg, wenn man über die menschlichen Thorheiten lacht, als wenn man darüber weint; ich blieb immer gelassen. Ich mußte wegen einer unentbehrlichen Notwendigkeit auf den Hof gehen, als ich aber wieder ins Vorhaus hinein treten wollte, bekam ich einen Schlag auf dem Kopf; ich schrie auf, faßte mich aber gleich, und machte keinen Lärm, weil es noch andere mehr dreist machen konnte; der Thäter lief davon. Zuletzt kamen auch Kinder in die Stube; der Unterofficier sagte freundlich zu ihnen: was wollt ihr hier? Der Herr Justizbürgermeister Schwarz nahm sich aber der Sache an und sagte: in einem Wirthshause hat jeder freien Zutritt. Unter den mich angaffenden Neugierigen trat auch ein alter ehrwürdiger Spartanischer Krieger auf, mit einer goldenen Ehren-Medaille und einem großen Stock in der Hand. Ich hielt ihn für einen von denen die mich begleiten sollten. Es war eine lange hagere Figur, ein Mann in den siebzigern, mit einer biedern Miene. Nachdem er mich lange genug angesehen hatte, holte er aus dem Innern seines Herzens einen tiefen Seufzer und sagte mit einer jammernden Stimme: „Dieser Verräther ist an unserm ganzen Unglück Schuld.“ Mit welchem Ton und Ausdruck er dies deklamirte – ja deklamirte – läßt sich nicht darstellen, so wenig man die ganze Stellung nebst dem blassen, hagern langen Gesicht mit Worten malen kann; nur ein Raphael kann so etwas mit seinem Pinsel lebhaft versinnlichen. Kurz, ein mit der Bothschaft der Gnade vorbereiteter Engel würde, im tiefen Anschauen versenkt, sich dabei verweilet haben. Hätte ich mir nur das geringste vorzuwerfen gehabt, bei allem was heilig ist, ich hätte es auf der Stelle eingestanden. Ihr Herren Psychologen, die ihr doch von allen gleich eine Ursache wissen wollt, was mag wohl hier Veranlassung gewesen seyn, daß eben die erniedrigende und kränkende Beschuldigung dieses alten Mannes mir meine ganze Heiterkeit und gute Stimmung wiedergab, und ich sogar die Schmerzen am Kopf dabei nicht mehr empfand? Doch was liegt daran, ob es von dieser oder von jener psychologischen Erscheinung herrührte; es war einmal so. Ich vernahm unter andern, daß der Bürgermeister in Betref meiner, wie er selbst sagte, sogar eine Staffette von Berlin aus erhalten haben solle, und zwar vom Minister von Schulenburg. Wer diesen thätigen Mann kennt, der weiß, daß ihn nichts aus der Fassung bringen kann, und wie sehr er, selbst in den größten Bedrängnissen, für alles gesorgt hat. So hat er z. B. als die Franzosen sich der Stadt Berlin näherten, die Anerbietungen einer Gesellschaft, welche die im Zeughause damals vorhandenen 80 000 Gewehre das Stück zu acht Thaler ankaufen und auf ihre Gefahr in Sicherheit bringen wollte, standhaft zurückgewiesen, und die dazu nöthigen Schiffe vielmehr zur Wegbringung der alten Akten und Papiere des Ober-Kriegskollegiums genutzt. Dies hat gewiß seinen Grund in einer tief verborgenen dem Publi 

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kum ganz unbekannten Weisheit gehabt. Auch fehlte es diesem Minster nicht an ganz besonderem Heldenmuth, indem er sich heroisch auf ein Pferd schwang und die Garnison zum Thor hinaus führte, wie es sich für einen Gouverneur geziemte; worauf er sein Schwerd in die Scheide steckte und glücklich wieder nach Berlin zurückkehrte. Dies unzweckmäßige Benehmen des Ministers zeigte sich auch in Hinsicht der von ihm befohlnen Fortbringung meiner Person nach Küstrin, wodurch er einen strafbaren Eingrif in die Rechte des Königs, und gleichsam ein Verbrechen der beleidigten Majestät beging; indem niemand ohne ausdrücklichen Befehl des Königs nach einer Festung gebracht werden darf. Wie groß muß also die Feindschaft, Wuth und Rachsucht des Ministers gegen mich deshalb gewesen seyn, daß ich so manches ... Sr. Maj. dem König hinterbracht habe, worüber er für sich Ursache hatte, mit mir äußerst unzufrieden zu seyn. Ein Reisender, der so eben angekommen war, redete mich an, und prahlte mit seinem Patriotismus. Ich merkte aber, daß er dem Guten zu viel gethan hatte, und antwortete keine Silbe. Der hochgebietende Bürgermeister hingegen nahm das Ding anders; er ging den Mann hart an, wie er so verwegen seyn könne, mit einem Arrestanten zu sprechen! Er examinierte ihn auf schärfste und ließ ihn dann abfahren. Ich war nun bereits vier Stunden in der Lage eines Delinquenten, der zum Gericht geführt werden soll, und zum Prunk und Amusement gezeigt wird, jedoch mit dem Unterschied, ein Delinquent wird gewöhnlich bemitleidet, ich hingegen wurde verabscheut und stets mit geballten Fäusten bedrohet. Wie, dachte ich, soll das Gaukelspiel denn kein Ende nehmen? Ich begann unruhig zu werden. Zum Glück forderte der Meister Schmidt wieder einen Schnaps, – und mir fiel die drollige Idee ein: daß selbst das Schlimmste auch seinen Nutzen hat. Du taugst doch zu etwas; du bist doch die Ursache eines Volksfestes zu Müncheberg; es wird den guten Leuten gewiß noch acht Tage lang Stoff zu ihren Unterhaltungen im Bierhause geben. Das Gedränge war auf äußerste, und der Vorspann war noch nicht da. Endlich fiel mir ein Mittel ein, welches mir glückte. Ich dachte: so lange mich die Leute nur mit allgemeinen, nicht auf mich allein anzuwendenden Sticheleien und Anzüglichkeiten quälen, so lange mußt du dich ruhig halten; aber wie wäre es – richtig. – Ich rief mit etwas barscher Stimme: Herr Justizbürgermeister! verzeihen Sie, daß ich durch Ihre eigene Ankündigung erfahren habe, wer Sie sind; – ich riß hierbei den Hut ab, um ihn wegen des dem Unterofficier gegebenen Verweises lächerlich zu machen. – Ich kann nicht zugeben, sagte ich, daß dieser Mann mit der goldnen Medaille (auf den beschriebenen 70jährigen Invaliden zeigend) mich eskortire; haben Sie die Güte, ad Protocollum zu nehmen, daß er gesagt, ich sei derjenige, der das Vaterland in dieses Elend gebracht habe. Der Herr Bürgermeister antwortete mit etwas leiserer Stimme, wie bisher: „Dieser geht auch nicht mit: es

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ist der Kreisbothe und muß hier bleiben.“ Der Herr Bürgermeister machte sich davon, auch der Alte lief bestürzt zur Thür hinaus, welches mir sehr nahe ging. Ich dachte: guter Alter, vergieb es mir! ich glaubte nicht daß dies eine solche Wirkung auf dich machen würde. Komme ich wieder durch Müncheberg, so will ichs dir in der That abbitten, und ein Händedruck. – Mein Blut war einmal in Bewegung gesetzt; ich verspürte eine Aenderung, und meine Kaltblütigkeit war dahin. Ich ging nun auf den Herrn Prediger los, und hielt eine Rede, die ziemlich lange dauerte, wovon ich nur das Wesentlichste hier mittheile. „Bevor ich mir die Ehre nehme, die Rede an Sie zu richten, erlauben Sie, daß ich erst ein paar Worte an die ganze hier versammelte Gesellschaft vorausschicke. Meine Herren! bei der jetzigen Kalamität muß natürlicherweise jeder preußische Unterhalt auf das höchste gespannt, um seinen König, den Staat, und seine eigene Existens äußerst bekümmert seyn. Nicht nur sein eigenes Wohl hängt von dem Ausgange der jetzigen Katastrophe ab, sondern auch das Leben manches geliebten Ehegatten, Vaters, Bruders, oder Sohnes liegt jedem am Herzen, und Thränen des Kummers entfallen jedem Auge. Die immerwährende Unruhe beengt jedem Raum, und man ist nirgends lieber als an demjenigen Orte, wo man sich nicht befindet. Meine Herren! Sie haben vermuthlich gehört oder auch in den öffentlichen Blättern gelesen, daß man mich verhaftet hat, und zwar aus der Ursache, weil ich unerlaubte verrätherische Korrespondenz gepflogen haben soll. Mich hier zu verantworten, halte ich für unschicklich und unzweckmäßig; so viel kann ich aber wohl sagen, daß es erlogen ist, und dies ist hier im Wirthshause mehr als genug. Ich verdenke es keinem, daß Unruhe und Neugierde ihn von seinen Geschäften abhalten und hierher treiben; aber Sie, mein Herr Prediger, werden erlauben, daß ich nun auch Ihnen meine Meinung mittheile. Man kann von Ihnen und besonders von Ihrem Berufe schon etwas mehr erwarten und verlangen. Wir leben nicht mehr in den Zeiten, wo Methodisten und katholische Pfaffen auf öffentlichen Plätzen, wie es jetzt noch in dem finstern Neapel üblich ist, – auftreten und predigen. Oeffentliche Reden und moralische Ermahnungen gehören bei uns in die Kirche aber nicht ins Wirthshaus. Und was für einen Zweck beabsichtigten Sie, als Sie den Auflauf und Aufstand beförderten? Sie bemühten sich, mich, durch Ihre menschenfeindlichen Ausdrücke, gleichsam auf die Tortur gespannt, unablässig zu peinigen. „Es ist keine Kleinigkeit, wenn man sich unter erbitterten Menschen befindet, welche die Fäuste ballen, und mit drohenden Blicken ihre Wuth zu erkennen geben. Nicht der König oder sonst ein dazu befugter Richter, sondern Sie, Herr Prediger, waren so dreist, mir eine so harte Strafe zuzuerkennen, und sie executiren zu lassen; Sie, dem es obliegt, Liebe, Sanftmuth und Nachsicht zu empfehlen, und vor allen Dingen in die Rechte keinen Eingriff zu thun. Allem diesen haben Sie gerade entgegen gehandelt.“ ec.

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Es wurde angekündigt, daß der Vorspann angekommen sei; die Sachen wurden auf den Wagen geworfen und der Hr. Bürgermeister befahl, daß der Unterofficier nebst den zwei Gemeinen zu Fuß gehen, die beiden Bürger hingegen mit geladenem Gewehr sich auf den Wagen setzen sollten. Hier kam jemand, unter dem Vorwande, mich hinauf zu helfen, und gab mir einen Stoß zwischen die Beine – – der mir weit schmerzlicher war, als der Streich den ich auf dem Kopf bekam. Ich schrie zwar, faßte mich aber gleich, und sagte nur, das war hart! Jene Vorsichtsmaaßregeln schienen indeß dem Herrn Bürgermeister noch zu geringe; auch Kavallerie mußte mich begleiten, welche durch den Herrn Mävius, wohlangesehener Bartscherer, repräsentirt wurde. Dieser Mann wußte Ordnung zu halten; er befahl, daß niemand mit mir sprechen sollte. Im Herausfahren aus Möncheberg, bewirthete man mich noch mit Koth ins Gesicht, ich machte aber kein Aufhebens davon. Wie tröstlich ist doch die schöne Natur! wie bald kann sie alle finstern melancholischen Ideen verscheuchen und den Menschen im größten Leiden mit sich selbst und dem ganzen Menschengeschlecht versöhnen! Es war ein heiterer Herbsttag; der eine Bürger mit seine Flinte war ein guthmüthiger Mann. „Sie haben gedient, mein Freund,“ fragte ich ihn. Ja, ich war unter der Artillerie und habe 20 Jahre mitgemacht, und nun bin ich Ackerbürger in Müncheberg. „Kann der Hr. Bürgermeister bei einem Militairkommando auch Bürger hinzufügen, wenn das Kommando es nicht verlangt?“ Er antwortete mit einer wichtigen Miene: Der Mann weis was er thut: er ist hochgelehrt, studirt, stehet in großem Ansehen und wird protegirt. „Also“ erwiederte ich, „kennt ihn der Minister oder gar der König?“ Er antwortete: der Herr Geheimrath Beyme ist sein großer Gönner. – Nachher erfuhr ich, daß es sein Neffe war, der bei Gelegenheit eines umgefallenen Wagens mit Königsleuten, deren er sich angenommen, Justizrath wurde. Der Prediger hatte eine Verwandte des gedachten Herrn Geh. Beyme geheirathet. Gegen 3 Uhr kamen wir in Seelow an. Auch da hatte Herr Mävius, dieser mich begleitende Kavallerist, im voraus angekündigt, daß man bald einen großen Staatsverbrecher sehen würde. Als ich anlangte, war der ganze Flecken bereits versammelt. Wir stiegen im Wirthshause ab, und die bürgerliche Infanterie und Kavallerie entfernte sich, um bei einem guten Freunde zu schnapsen. Nach einer Stunde kam der Vorspann, und wir reiseten in derselben Ordnung weiter. Auch dieser Abend war schön; Wetterbeobachtungen sind keine Tändeleien. Man glaube nicht, daß es für einen Menschen in meiner Lage gleichgültig sei, ob das Wetter heiter oder trübe ist; ganz und gar nicht. Sobald man nur über sich Meister ist, und nicht stehts an seiner mißlichen Lage hängt, auch hinreichende Macht über sich selbst hat, mit anderen Gegenständen sich zu beschäftigen: so sind alle Leiden sehr leicht zu ertragen. Der Mond schien helle, und als wir vor Küstrin kamen, kündigte ich wiederum an, was die Uhr sei; die Glocke schlug so eben neun, und

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bestätigte die Größe meiner tiefen Weisheit. Meine Begleiter verwunderten sich nicht wenig, und einer fragte mich: ob ich etwas von der Sterndeuterei verstände? Ich antwortete mit einer mystischen Miene: gerade so viel, als zur Ankündigung der Zeit nöthig ist. Wir kamen an die Brücke, die aber aufgezogen war, und es wurde durch die Schildwache an der Hauptwache gemeldet, daß ein Kommando von Berlin mit einem Arrestanten ankäme. Nach einer guten Stunde kam die Antwort, man sollte den Arrestanten an die Thorwache außerhalb der Stadt, auf der Schanze abliefern. Welche Härte! einen kranken Arrestanten eine Stunde lang auf der Straße warten zu lassen, weil der Hr. Kommandant zu bequem war vom Spieltisch aufzustehen. Von welchem Gepräge dieser Mann überhaupt war, hat sich nachdem hinlänglich bewiesen. Man brauchte auch nur irgend eine Unterredung mit ihm zu haben, um sich von der Ignoranz und Idolenz desselben zu überzeugen. Daher ein Souverain nicht behutsam genug in der Wahl seiner Diener seyn kann; allein Ingersleben bekam diese Stelle indirekte von dem großen Minister Schulenburg, dessen Verhältnisse meinen Mitbürgern zu Gnüge bekannt sind und dem Ausländer nicht interressiren; weshalb ich das Detail davon hier übergehe. Ich wurde also dahin gebracht; es war eine kleine Stube, ungefähr 12 Fuß lang und 4 Fuß breit, worin die Pritsche die Hälfte derselben einnahm. Der Chef der eskortirenden Kavallerie, der kommandirende Herr Bartscheerer, verordnete, man sollte zu mehrerer Sicherheit auch zwei bürgerliche in die Wachstube zulassen; welches genehmiget wurde. Ich hielt mich ganz ruhig; endlich bat sich den Unterofficier, ob es wohl möglich sey, in dem nächsten Wirthshause zwei Portionen Kaffee und eine Buttersemmel zu bekommen. O ja, antwortete der biedere Unterofficier. Es war hier gedrängt voll, kaum war noch ein Platz zum Sitzen da. Der Kaffee langte an; ich trank zwei Tassen, und fragte den Unterofficier: ob er das übrige genießen wollte. Er nahm es. Ich war sehr ermüdet und abgespannt; der gute Unterofficier bemerkte dies, und sagte: Bursche! macht doch für den Mann etwas Platz auf der Pritsche. Ich legte mich hin und schlief sehr erquickend bis 5 Uhr. Gegen 8 Uhr kam der Befehl, ich sollte nach der Stadt gebracht werden. Man führte mich mit nicht weniger als 2 Unterofficieren und 6 Mann zum Kommandanten von Ingersleben, wo ich auf dem Flur warten mußte. Der Chef der bürgerlichen Kavallerie ging nebst dem Unterofficier, der mich transportirt hatte, hinein, und sie erhielten Ordre, mich nach der Hauptwache zu bringen. Dort befahl der Unterofficier, der die Ordonnanz hatte, daß ich mich ausziehen sollte. Wie, dachte ich, sollte man dich wohl prügeln wollen? – denn zwei andre Unterofficiere hatten mich in ihrer Mitte. – Mir entfiel der Muth; jedes Kleidungsstück wurde sorgfältig betastet. Meine Besinnungskraft hob sich indeß ein wenig wieder, ich wurde bis auf die Strümpfe ganz nackend entkleidet, und die Ordonnanz rief einem Soldaten zu: komm er her! Als dies gesagt wurde, hörte ich Ketten rasseln. Sie wollen dich wohl in Eisen schmie-

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den, dachte ich, und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen; allein glücklicherweise fiel mir Sokrates mit seinen Banden ein. Ich mokirte mich aber über mich selbst, daß ich einen solchen Eigendünkel hatte, meinen Zustand mit dem jenes weisen Mannes in Parallele zu stellen. Seit 10 Jahren habe ich mich geübt, meine Besinnungskraft zur schnellen Erhaschung komischer oder auch abgenehmer und für mich interessanter, froher Ideen zu gewöhnen, so daß fast in demselben Augenblick, wo ein widriger Zufall mir zustößt, meine Denkkraft auch sogleich wie durch einen Ableiter, auf einen mildern Gegenstand geleitet wird. Man befahl mir, mich wieder anzukleiden. Bei der ganzen Operation blieb die Thüre offen, und der Zugwind verursachte meinem nackten Körper eine sehr peinliche Empfindung. Ich hatte noch Kräfte genug, solches auszuhalten, und glaubte nicht, daß meine Gesichtszüge sich sehr verändert haben mochten. Ein Unterofficier pflanzte sich nun mit einem Esponton vor mich hin, und keiner durfte mit mir sprechen. Gegen mir über saßen 10 bis 12 Soldaten, die mir steif ins Gesicht sahen, und bis auf einen einzigen gaben sie sehr deutlich durch ihre Minen zu verstehen, sie glaubten ich sei unschuldig. Was dieser im Grunde unbedeutende Beifall auch seyn mag, so würkte er doch so sehr auf mich, daß ich meine ganze Heiterkeit wieder bekam. Welch ein elendes Geschöpf ist doch der Mensch! Ich war immer der abgesagte Feind aller physiognomischen Wahrsagereien, und dennoch waren in diesem Augenblicke die physiognomischen Kenntnisse, welche ich den Soldaten zutraute, für mich sehr schmeichelhaft. Man ließ mich fast eine halbe Stunde sitzen; der Unterofficier, der mich von Berlin hierher transportirt hatte, trat herein, und wollte mir den Gulden geben, den er von da für mich mitbekommen hatte. Da mir alles das Meinige abgenommen war, so ließ ich dies Geld dem mir gegenüber stehenden Unterofficier geben. Das Rasseln der Ketten klärte sich nun auch auf, indem ein geschlossener Soldat hinter dem Ofen hervortrat. Nun konnte ich mir die schadenfrohe Mine des Müncheberger Bartscheerers erklären, als er vom Kommandanten herauskam. Vermuthlich hatte er eine Requisition vom Justizbürgermeister überbracht, daß man mich genau durchsuchen sollte, weil er den Berlinischen Unterofficier eines Einverständnisses mit mir beschuldigte. Ich ersuche jeden inständigst, mir den Aufenthalt dieses braven Mannes gefälligst anzuzeigen, indem ich ihn bis jetzt noch nicht habe ausfindig machen können. Dieser gute Mann kam noch einmal zurück, und drückte mir treuherzig die Hand, so daß mir die Thränen entfielen. Diese stumme Szene machte einen sichtbaren Eindruck auf alle Soldaten, und es herrschte in fünf Minuten eine gänzliche Stille in der Wachstube. Endlich kam der Platzmajor Feige und führte mich in die Stube des wachhabenden Officiers, wo er mir meine Uhr, die silbernen Knieschnallen und den Gulden wiedergeben ließ. Im Herausgehen steckte mir ein Soldat, ein hübscher junger Mensch, verstohlnerweise sein Fläschgen mit Branntwein in die zerrissene Seitentasche meiner Beinkleider; ich verspürte wohl etwas, wußte aber nicht was es sei;

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ich habe den guten Menschen nicht ausfindig machen können: das Fläschgen soll aber meine Reliquie bleiben. Ich muß wieder auf Müncheberg zurückkommen, und mir einige Betrachtungen über den so sehr gepriesenen Patriotismus erlauben. Nur in den kleinen griechischen Republiken und bei den Römern, aber auch nur im Beginn ihrer Stiftung, und jetzt noch in England, war und ist Patriotismus. In einer Monarchie muß der Monarch Ehrfurcht und Bewunderung zu erregen suchen. Bloße Liebe gegen seinen König ist Heuchlerei, Achtung ist das Vehikel, worauf alles ankommt. Hat ein Herrscher diese, so kann er alles unternehmen und erlangen, sogar wenn man ihn hasset. Größtentheils stiftet in Monarchieen der blendende vorgaukelnde und einschläfernde Patriotismus das größte Unheil. Wehe dem Staat, wo das Volk sich vordrängt und ein Wort mitzusprechen beginnt, selbst wenn es einen guten Zweck hätte. Wie schnell artet der Patriotismus in Umwälzungen aus! Vertrauen, Ehrfurcht, Achtung gegen den Souverain müssen den Staat schützen und ihm Festigkeit geben. Friedrich dem Großen ist es nie eingefallen, Liebe zu fordern; er wußte wohl, daß diejenigen, die am meisten damit prahlen, nur Nebenabsichten haben. Das einzige was ein Souverain zu beobachten hat, worauf er halten und es nie aus dem Auge verlieren muß, ist, daß er sich nie in Rechtssachen menge und alle diejenigen genau beobachte, die um ihm sind. Er muß nie zugeben, daß sie sich in der geringsten Kleinigkeit etwas herausnehmen wollen. Wenn Menschen erst glauben, sich auf diejenigen verlassen zu können, welche die Person des Königs umgeben, so ist alles verloren, besonders leiden die Königl. Günstlinge darunter. Es giebt tausend Fälle, an welche der Günstling nicht denkt; die aber durch das Benehmen der von ihm Begünstigten ein falsches Licht auf ihn werfen. Das vorzüglichste, was ein solcher Mann zu beobachten hat, ist, Verdacht zu vermeiden; thut er dies nicht, so ist er schon dadurch strafbar. Man hat keinen Begriff, wie sehr solche Gegenstände, so gering sie auch scheinen, auf die Ehre und Achtung gegen den Souverain Einfluß haben. Ich wurde aufs Schloß gebracht, wo Staatsgefangene aufbewahret werden. Ermüdet und beinahe ganz abgespannt, konnte ich mich kaum aufrecht erhalten, und, um die steile Treppe hinauf zu klimmen, mußte ich drei- bis viermal auf allen Vieren kriechen; doch suchte ich solches vor dem Führer zu verbergen, indem diese Art Menschen gewöhnlich die geringste Niedergeschlagenheit zu ihrem Vortheil nutzen und ihrer Härte freieres Spiel lassen. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß Bösewichter durch nichts so gelenkt werden, als durch Festigkeit. Ich strengte mich mit aller Gewalt an, um etwas erheiterndes und einen Gedankenableiter zu erhaschen; allein vergebens. Ein Nebel überzog meine Gedanken, so wie meine Augen. Zwei Thüren mit starken Schlössern wurden geöffnet, und der Führer sagte; Hier sind Sie in einer von den Stuben, wo Friedrich der Große gesessen hat. Wo ist dieser göttliche Mann! schrie ich laut auf. Die Umwölkung verzog

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sich, und ich bekam wieder etwas Besinnungskraft. Ich fragte nach Stroh, und der Platzmajor bot mir eine Bettstelle an, welche auch sogleich hineingebracht wurde. Er sagte mir, ich könnte nur mein Essen von der Frau kommen lassen, welche es für meinen Nachbar den Mitgefangenen, besorgte. Nun bemühte ich mich, meine Phantasie mit Bildern von Friedrich dem Großen zu beschäftigen. Die Thüre wurde verschlossen, und ich schleppte meine Betten mit vieler Anstrengung auf die Bettstelle, warf mich darauf, ließ die Betäubung wirken, und schlief ein. Es wurde geklopft, und zwar sehr stark; ich erwachte, und sprang im Taumel zur Thüre. Es war das Mädchen, welches mir mein Essen brachte. Ich sagte: ich bin eingeschlossen. Sie lachte laut auf, und sagte: schieben Sie doch nur den Schieber zurück; und nun reichte sie das Essen herein. Das spottende Gelächter des Mädchens that mir weh. Da ich lange Zeit nichts genossen hatte, so fand ich dicke Erbsen mit höchstes 2 Loth Fleisch ziemlich gut, mäßigte mich aber. Ich fiel wieder in einen Schlaf, und erwachte erst um 6 Uhr. Das erste was mir einfiel, oder vielmehr womit ich erwachte, war, daß ich in dem Zimmer sei, worin auch Friedrich der Große gefangen gesessen hatte. Ich war verdrießlich, daß ich keinen Geisterbeschwörer habhaft werden konnte, um das Bild dieses großen Mannes, der mir so viel Gutes wiederfahren ließ, anzuschauen; ich hätte dem Betrüger für seine Gaukeleien meine ganze Barschaft geben mögen, meinen einzigen Gulden. So dacht’ ich, und diese komische Idee führte mich zu wesentlicheren Betrachtungen. Du hast kein Geld, was wirst du nun anfangen? Ei nun, man hat dir doch bis jetzt täglich 16 gr. gegeben; muß doch der arme Soldat mit 2 gr. fertig werden. Denn ich glaubte nicht, daß man mir hier den Gulden täglich entziehen würde. Ich hatte diesen Abend kein Abendbrod; ich beruhigte mich aber mit dem Gedanken: fastet doch wohl ein orthodoxer Glaubensgenosse 3 bis 4 Tage ununterbrochen, du wirst dich wohl auch 24 Stunden, ohne zu essen, behelfen können. Ich legte mich bereits um 8 Uhr schlafen; erwachte aber um 2 Uhr. Da es Mondschein war, so ging ich eine ganze Stunde auf und ab, wodurch ich den Schlaf wieder erhaschte, der mich erst um 7 Uhr des Morgens verließ. Ich hätte gern eine Tasse Kaffee genossen; allein die Bedenklichkeit, mit dem Gulden gehörig zu wirthschaften, schreckte mich davon ab. Ich ließ mir für 6 pf. Brodt holen, und trank Wasser aus dem Kruge, denn ein Glas hatte ich noch nicht. Gegen 9 Uhr kam der Platzmajor. Ich fragte ihn, ob er sich bei dem Kaufmann Krappe erkundigen wollte, ob er mir wohl gegen eine Anweisung auf mein Comptoir, oder auf die Gold- und Silbermanufaktur, 5 thlr. geben möchte? Er that es, und brachte mir die Antwort, Hr. Krappe verweigere es. Ich fragte, ob ich denn keine Alimente bekäme? Nein, erwiederte der Major, Sie haben ja eigenes Vermögen. Man kann es keinem sehr verdenken, wenn er schwierig ist, einem vermeinten Staatsverräther Geld vorzuschießen. Ich ersuchte nun den Platzmajor, bei dem Hrn. Lemonius deshalb anzufragen. Mit diesem würdigen Manne war ich

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vor 20 Jahren in ienem starken Verkehr, indem ich damals die Besorgung des Einkaufs für die Königl. Magazine hatte. Dieser edle Mann sagte: Ephraim ist gewiß so unschuldig als ich; er kann von mir so viel Geld bekommen, als er will, nur muß ich dazu die Erlaubniß des Kommandanten haben. Der Herr Platzmajor meinte aber, diese Erlaubniß würde nicht ertheilt werden können; wie nachher auch der Kommandant unverholen äußerte, mit den Worten: Geld vom Lemonius zu haben, kann ich nicht erlauben. Was haben Sie denn, fragte ich, für einen Befehl aus Berlin erhalten, und was ist die Ursache dieses harten Verfahrens? Von wem ist der Befehl meiner hiesigen Aufbewahrung in Berlin unterschrieben? und in welchen Ausdrücken? Seine Antwort war: der Befehl ist vom Berlinischen Gouvernement ergangen, allein die Ursache ist nicht angegeben: Sie sind blos zur Aufbewahrung hergeschickt worden. Ist es denn nicht möglich, fragte ich, ein Verhör zu erhalten? Ich habe mich schon in Berlin deshalb bemühet und es erwartet. Hierauf erwiederte er, er glaube schwerlich, daß der Kommandant sich damit befassen werde. Und gleichwohl hat man mich so hart behandelt, erwiederte ich; man will mir keine Alimente geben, und doch auch nicht erlauben, daß gute Freunde mir Geld vorschießen? Da ich auch kein Verhör gehabt, die Versiegelung wieder aufgehoben und kein Urtheil gefällt ist, warum will denn der Hr. Kommandant mich verdammen, daß ich vor Hunger und Ungeziefer umkommen soll? Dies sagte ich in einem harten, rauhen Tone und etwas aufgebracht, und es that die gehoffte Wirkung. Der Hr. Platzmajor war über mein Benehmen betroffen, und bot mir seine Börse an; meiner Seits, sagte er, will ich Ihnen ihr Schicksal so viel möglich erleichtern; wollen sie einen Thaler? und zitterte am ganzen Körper als er den Thaler aus der Börse zog. Ich merkte mit welchem Menschen ich zu thun hatte: machte aber bonne mine à mauvais jeu und nahm den elenden Thaler. Dieser Mensch hatte sich gratulirt, daß ihm eine so gut zu benutzende Gelegenheit zu Theil geworden, und glaubte durch sein Benehmen sich ganz unentbehrlich und mich ganz von sich abhängig zu machen. Ich rief deshalb meinen Nachbar, bat ihn um sein Schreibzeug und sagte: ich werde Ihnen, Herr Hauptmann, ein Billet an den Herrn Kommandanten geben, oder kann ich allenfalls dies durch den Unteroffizier besorgen? (wir hatten auf demselben Koridor eine Wachstube). Er war schon so schwankend geworden daß er nichts dagegen einzuwenden wagte. Vermuthlich dachte er auch: ich komme auf die vorige Art nicht zu meinem Zweck, und will lieber Zutrauen zu gewinnen suchen. Nach der Regel konnte er mir das Schreibzeug versagen. Ich schrieb an den Kommandanten, und ersuchte denselben, ein eingelegtes Billet an den Kriegsrath Lemonius abzusenden und den darin gebetenen Vorschuß von 15 thl. zu genehmigen; bekam aber keine Antwort. Den 5ten Tag meines Arrestes kam der König mit der ganzen Suite. Ich schrieb an den Kommandanten mit der Bitte, folgendes den Generalmajors von Köckritz

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und von Zastrow vorzuzeigen: „Ich bin seit dem 23. September in Berlin verhaftet, ohne daß man mich verhöret, noch mit mir mein Vergehen kund gemacht hat. Den 18. October bin ich auf die grausamste Weise nach Küstrin transportirt worden. Ich bitte nicht um Entlassung aus meinem Arrest, sondern nur um Rechtspflege. Doch wünsche ich meinem Vaterlande durch meine Bekanntschaft Dienste leisten zu können, und durch dies Benehmen mich an meinen Feinden zu rächen, sollte ich auch die Vollführung dieser guten Absicht, selbst unter Observation, als Gefangener thun müssen. Ich bin in den öffentlichen Blättern als ein Staatsverbrecher gebrandmarkt, und nur eine öffentliche Ehrenehrklärung kann mich rechtfertigen.“ Der Kommandant hatte dies den drei Herren Generaladjudanten hinterbracht, worauf er mich den folgenden Tag zu sich holen ließ. „Ich soll Ihnen, war seine Anrede, dieses Gold einhändigen.“ Von wem kommt es? fragte ich. „Von hoher Hand,“ war die Antwort. Der Begriff von Hoheit wird sehr gemißbraucht; kömmt es von Sr. Königlichen Majestät, so muß ich es aus der gebührenden Achtung annehmen, die ich nie aus den Augen gesetzt habe, und trotz der jetzigen ungerechten Behandlung auch fernerhin beibehalten werden. Wie reimt sich aber dies mit dem tyrannischen Verfahren, das dieser Monarch sich nie hat zu Schulden kommen lassen? – Dem Könige ist die Ursache ihres Arrestes unbekannt, war seine Antwort. Dies habe ich auch stets vermuthet, erwiederte ich; desto schlimmer aber ist es für diesen guten Monarchen selbst, für ein Volk, und besonders für mich, daß so etwas in den Preußischen Staaten möglich seyn kann, wenigstens hat man doch, so viel mir bewußt ist, stets die Form beobachtet; haben vielleicht gewisse Leute gefürchtet, ich möchte bey einem Verhör etwas aussagen, was ihnen nicht lieb sein könnte? Der Kommandant wurde gesprächiger, und es entfiel im folgendes: Sowohl dem Hrn. General v. Köckritz als v. Zastrow ist Ihr Schicksal zu Herzen gegangen. Das glaube ich, fiel ich ihm in die Rede; jener ist einer der rechtschaffensten Männer im Preußischen Staate; er besitzt zwar keinen glänzenden, aber doch sehr geraden Verstand. Dieser verbindet mit Rechtschaffenheit viele nützliche Kenntnisse. Ich hatte ihm einen Vorwurf zu machen, indem ich ihm geschrieben, daß seine Anwesenheit in Berlin nöthig sei rc. Ich wünschte nur jemanden, der Fähigkeit und Muth hätte den Obersten von Kleist zu imponieren. – – Gestehen Sie es nur, mein Herr Obrister, das Geld kommt von einem der beiden Männer. Er lächelte, und ich sagte mit thränenden Augen: geben Sie es nur her? von diesen will ich etwas davon mit der innigsten Empfindung und Liebe annehmen. In der Folge erfuhr ich, daß der Herr General-Lieutenant von Zastrow es war, der dem Kommandanten befahl, mir so viel Geld zu geben als ich verlangte. Der gute General von Köckritz sagte noch acht Tage vor seinem Ausmarsche aus Berlin: Lieber Ephraim! komm nicht mehr zu mir, du compromittirst mich, und überdies, was ist zu machen? er zeigte mit dem Finger – es war im Korridor

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auf dem Schlosse, unweit seines Zimmers – wo die Wohnung des Flügel-Adjutanten von Kleist war. Man glaube nicht, daß die Verhältnisse des Preußischen Kabinets denen von St. Cloud gleichen, wo alle politischen Angelegenheiten zwischen Napoleon und Talleirand diskutirt und abgemacht werden; anstatt in den Konferenzen des Preuß. Kabinets auch der Obrist v. Kleist mit zugezogen wurde, der vorzüglich einer von denen war, die mit einer emsigen, imponirenden, hitzigen Art den Krieg gegen Frankreich betrieben haben; der aber, nachdem er selbst zu Napoleon geschickt wurde und denselben gesprochen, einsah, wie voreilig sein Benehmen gewesen. Allein das Uebel war leider nicht mehr ungeschehen zu machen. Wenn ich übrigens sage, daß ich das Unglück voraus sah, so mag vielleicht manchem der Gedanke einfallen: Wo hat denn dieser Israelit die Weisheit allein her, um das Mißliche der Zukunft vor so vielen Höheren beurtheilen zu können? Allein aus der Folge meiner Geschichte ergiebt solches sich ganz natürlich, indem ich von zarter Jugend an diesem Fach ergeben war. Ich wurde darin bereits unter Friedrich II. gebraucht, wo ich Gelegenheit hatte, die Aeußerungen so mancher erfahrnen Männer zu fassen und zu benutzen, wobei das Studium der Welt und Staatsgeschichte mir vieles darstellte, was auf dem Preußischen Staat sich gar wohl anwenden ließ. Wem dies nicht hinlänglich scheint der beherzige nur folgende Bemerkungen des Herrn Guibert*). Dans cet Etat, que nous appellons militaire, parceque son Roi est un guerrier habilte; dans cet Etat, qui s’est aggrandi par les armes, qui n’existe et ne paut se flatter de consever ses conquêtes que par elles; les troupes n’y sont pas plus vigoureusement constituées qu’ailleurs; elles y sont plus qu’en aucun autre pays, une assemblage de stipendiaires, de vagabonds, d’étrangers, que l’inconstance on la nécessité ammène sous les drapeaux, et que la discipline y retient; cette discipline ferme et vigilante sur quelques points, y est relachée et meprisable dans beaucoup d’autres &. – – Qu’aprés la mort de ce Prince (Frédéric) dont le genié seul soutient l’édifice imparfait de sa constitution, il survienne un Roi foible et sans talens; on verra dans peu d’années le Militaire Prussien dégénerer et déchoir, on verra sette puissance éphemére rentrer dans la sphère que ses moyens réels lui assignent, et peut-être payer cher quelques années de gloire. – Der Kommandant fiel mir ins Wort, der General Köckritz sagte mir auch, er hätte Ihnen gerathen diskret zu sein. – Das ist wahr; erwiederte ich: allein ich, der ich das Unglück leider im Voraus kommen sahe, konnte und wollte nicht schweigen.

*) Remarques sur l’Essai général de tactique p. 101 et 102.

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Ich wurde nun wieder nach meinem Gefängniß gebracht. Den Werth des Geldes lernt man nirgends besser, als hier kennen. Da ich die Erfolge nicht gewiß voraussehen konnte, und alle Anstalten zu einer langen Belagerung getroffen wurden, so war es desto nothwendiger, jeden Pfennig zu Rathe zu halten, daher ich mich täglich auf 10 gr. einschränkte; wovon ich aber bei den meisten Ausgaben um ein ansehnliches betrogen wurde. Der Genuß von allem war sehr elend und meine Nahrung beschränkte sich hauptsächlich auf Butter und Brod und frisches Wasser. In den ersten 8 Tagen bekam ich die stinkendste Butter, und diese war noch dazu so theuer, daß ich das Pfund zu 20 gr. rechnen konnte, und doch betrug meine Ausgabe mit Holz und Wäsche täglich 10 gr. Mit den Unterofficiren hatte ich durch das Loch in der Thüre einige Unterhaltung und erfuhr alles was vorging. Hier fanden sich aber auch Neugierige ein, mich zu sehen, unter anderen einige Artilleristen und Feldjäger. Ich ließ mir es gefallen, wiewohl ich anfänglich darüber verdrießlich und beinahe aufbrausend geworden wäre; aber auch diesmal rettete mich mein komischer Genius. Es fiel mir ein: ich könnte doch selbst im Gefängnis noch nützlich sein, und die Neugierde, gleichviel ob erlaubte, oder unerlaubte, befriedigen. Was mich am meisten genierte, war der Mangel an Gefäßen; ich mußte alles mit dem Waschbecken bestreiten, so ekelhaft es auch war, und ich gab mir die Mühe es nach einer jeden Operation mit Sand auszuscheuern, denn meine Finanzen erlaubten mir nicht ein mehreres anzuschaffen. Es ist himmelschreiend, wie wenig man sich hier um die Gefangenen bekümmert. Der Kommandant kömmt nie in das Gefängniß, und der Platzmajor? – – in der Folge meiner Relation wird man den Ehrenmann näher kennen lernen. – Daß diese elende Lebensart einen nachtheiligen Einfluß auf die Gesundheit hat, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Ich fühle leider immer noch zu sehr die traurigen Folgen davon. Den 30ten October kam die Nachricht, die Franzosen wären bis auf einige Meilen vorgerückt, und nun wurde alles mit erstaunender Aengstlichkeit zur Vertheidigung vorbereitet. So wenig ich auch militairische Kenntnisse besitze, so war mir doch manches auffallend. Z. B. warum man keine Anstalten traf, um im Nothfalle die Vorstadt abzubrennen? warum man sich nur auf die elende Schanze verließ? warum man nicht einen Brückenkopf anlegte? In acht Tagen hätte man vieles machen können. Ich konnte aus meinem Fenster vom Schlosse alles beobachten, und in die Ferne und auf das Feld sehen. Den 31ten Vormittags hörte man schießen: dies waren die Vorposten. Nachmittags wurde es ernsthafter, aber die Franzosen schossen nur aus kleinem Gewehr, welches wir mit Kanonen beantworteten. Gegen 4 Uhr sprengten die Vorposten und die Kavallerie über die Brücke zur Stadt hinein; die Brücke wurde angesteckt und brannte auch ab.  

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Am Abend ließ der Kommandant anbefehlen, man solle kein Licht brennen, weil der Feind darnach schösse. Bis acht Uhr wurde von beiden Seiten gefeuert, und von feindlicher Seite wurde es zuerst schwächer. Das Schloß, oder vielmehr das Gefängniß, war am meisten ausgesetzt, meine Stube war verschlossen, und hätte der Feind mit schwerem Geschütz gefeuert, so wäre dieses Gebäude zuerst eingeäschert worden. In solcher Lage ist es wohl das Beste, dachte ich, wenn man sich aus dem Staube macht, und dies geschah dadurch, daß ich mich in meine Betten tüchtig einwickelte und einschlief, und erst um 5 Uhr Morgens wieder erwachte. Die Brücke brannte noch lichterloh, so daß ich, ungeachtet der Entfernung von etwa 300 Schritte, doch jeden Gegenstand in meiner Stube deutlich erkennen konnte. Ich steckte den Kopf zwischen den eisernen Stäben durch und sah hinab auf den Wall, aber ich erblickte keinen einzigen Soldaten mehr. Der Unterofficier wußte auch nicht, was vorging, und ich glaubte, der Feind hätte sich entfernt. Bei dieser Gelegenheit machte ich die so oft bestätigte Erfahrung, daß man allezeit besser daran ist, wenn man sich mit der äußersten Gefahr bekannt macht, und lieber das Schlimmste ahndet, als sich mit tröstlichen leeren Hoffnungen und Aussichten täuscht. Man gewinnt tausendfach dabei, denn so wie die Gefahr sich vermindert, wächst die Hoffnung und der Muth, und man empfindet die Staupenschläge der Zeit weit weniger, denn die Zeit ist stets in uns selbst. Vom 30sten Abends bis den 1sten November war ich mir ganz allein überlassen, und bekam diesen Tag kein Essen; ich nährte mich mit Kaffee und Kommisbrod, welches ich von den Soldaten bekam. Den 31sten gegen Abend brachte man zwei Officiere, die Herren Bölzig und von Keller; ersterer hatte jemanden herausgefordert, und seinen Gegner tödlich verwundet, und der Hr.v. Keller war sein Sekundant gewesen. Den 1sten November Vormittags gegen 10 Uhr erfuhr ich, daß der Kommandant capitulirt habe. Noch Ausgangs October wurden fünf Schiffe mit 1000 Centner Pulver von Küstin nach Graudenz geschickt; auch diese fielen den Franzosen in die Hände. Es ist auffallend, daß nicht frühere und bessere Vertheidigungs-Anstalten getroffen worden waren. Ein Jahr ist doch noch kein so großer Zeitraum, daß man sich nicht an die schnellen Märsche der Franzosen hätte erinnern können, welche sie ins Reich und ins Oesterreichische gemacht haben. Das ganze Unglück haben Sachverstandige gar wohl vorausgesehen, wie ich solches zu Ende dieser Schrift weiter mittheile. Das ganze Personale der Kriegskollegii bestehet zuverlässig aus den rechtschaffensten Männern; ob aber damit Alles gethan ist, – doch ich will davon abbrechen, und den guten, leider ohnehin schon so übermäßig gekränkten Monarchen, nicht noch mehr betrüben; es würde auch überdies zu nichts helfen. – Die Anordnungen im Ober-Kriegskollegio, zumal in Betreff der Festungen, stehen größtentheils unter dem General-Quartiermeister-Lieutenant v. Geisau, ei-

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ner der vorzüglichsten Hebel des unseligen Krieges. – Es sei ferne von mir, mich zum Tadler aufzuwerfen, und die Ehre sonst guter Männer zu trüben; – ich glaube aber, es ist jedem rechtschafnen Mann erlaubt, dem Publikum diejenigen zu schildern, die mich auf eine unerhörte Art deswegen verfolgt haben, weil ich dem Staat auf alle Weise nützlich zu sein, und dessen Untergang zu verhindern suchte, aber freilich dadurch ihren Lieblings-Meinungen entgegenarbeitete. Zwar ist die Wissenschaft der Politik mehr persönlich als abstrakt, auch sind Beispiele nicht immer ganz anwendbar, indem sie, gleich chemischen Kompositionen, sich stets von der Natur verändern, und doch ist es die einzige Art welche die Politik zuläßt, und von jedem als eine Pflicht fordert, sein möglichstes zur Aufklärung der Geschichte beizutragen, eine Pflicht die ich folglich eben dadurch erfülle, daß ich die Haupttriebräder anzeige, die durch Bosheit oder Unwissenheit zu dem Unglück des Landes beigetragen und auf meinen Untergang gewirkt haben; hätte es auch nur den Nutzen, daß es manchen Eingebildeten abschreckte, sich zu Stellen zu drängen, denen er nicht gewachsen ist, indem schon dadurch ein Hauptzweck erreicht wäre. Der Herr v. Geisau war zwar schon unter Friedrich II. Quartiermeister-Lieutenant; der König machte aber nicht viel aus ihm, und brauchte ihn auch nicht. – Dieser leidenschaftliche Mann ist seiner gar nicht mächtig, und es hängt nicht von ihm ab, einen Gegenstand gelassen zu diskutiren. Der Anfang ist stets aufbrausend. Der sel. Minister v. Struensee hatte seine eigene Art mit ihm umzugehen, welches ich von dem Minister selbst vernommen. Er ließ Geisau ununterbrochen fortschreien, bis er müde war; dann sagte er mit einer lächelnden Miene: Herr General, haben Sie ausgeraset? Jetzt wollen wir alles gelassen diskutiren. – Auf diese Art konnte er alles mit ihm machen was er wollte. – Wie aber, erwiederte ich ihm, stehen dann die Sachen, wenn seine Untergebene oder andere schlaue Menschen sich eben dieses Mittels bedienen, ihre unlauteren Absichten zu erreichen? – Das geschieht leider freilich sehr oft, erwiderte derselbe. – Bei Geschäftsleuten müssen die leidigen negativen Tugenden gar nicht in Rechnung kommen. – Das Urtheil über jenen Mann ist im allgemeinen folgendes: „Er ist zwar aufbrausend, aber ein unbestechbarer Mann.“ Wir wollen indeß beides näher betrachten. – Aufbrausend sein, wie dieser Mann es ist, heißt: seiner mächtig sein, oder vielmehr, in dem Augenblick solcher Gemüthsstimmung, verrückt sein. – Denn wie viel für den Augenblick tolle Menschen giebt es nicht, die nach geendigtem Paroxismus so vernünftig sind wie alle übrigen. Was die negative Tugend, unbestechbar, betrift, so ist dies das abgeschmackteste was sich denken läßt. – Nur der weise, ruhige Mann, kann sich vor den Kniffen und den geheimen Gängen derer sichern, die in der Bestechungskunst geübt sind. – Zwar fällt es mir schwer, ein Beispiel davon zu geben, da ich in dieser Kunst selbst unbewandert bin. Doch eins fällt mir bei. Z. B. der zu Bestechende hat eine Frau, die er liebt, die sich etwas  

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in ihm zu schicken weiß und geizig ist. Zu dieser kömmt der Bestecher, und sagt: „Wie groß jetzt leider die Noth, die Leute haben nicht einmal Geld in die Lotterie zu setzen. Mir sind so viele Loose auf dem Halse geblieben, daß ich nicht weiß wo ich damit hin soll, und für eigne Rechnung möchte ich sie höchst ungern spielen, lieber will ich sie für die Hälfte geben. „Ja, mein lieber Mann, erwiderte die Frau, 5 ich nähme sie gern, habe aber nicht so viel Geld.“ – Das hat nichts zu sagen; ich gebe ja allen meinen Kunden auf Kredit. Natürlich muß dabei gewonnen werden; und siehe da, die negative Tugend der Unbestechlichkeit ist dahin. – Sie liegt wie in Ketten geschmiedet, so unschuldig auch der Mann selbst ist, und es sich gar 10 nicht einmal träumen läßt. Der Minister Struensee durch dessen Umgang ich manches gehöret habe, ist noch in theuern Andenken vieler rechtschafnen Menschen; auch ist es fühlbar genug, was der Staat durch seinen Tod verlohren hat. So lange der Min. Schulenburg diesem großen Finanzier und ehemaligen Direktor der Seehandlung die Geldgeschäfte allein überließ, so ging alles erwünscht. Sobald aber Schulenburg in die- 15 se Geschäfte pfuschern wollte, so entstanden Mißgriffe, die wir jetzt theuer genug bezahlen müssen, und woraus der Abstand der Fähigkeit dieser beiden Minister von einander am deutlichsten hervorgeht. – Schulenburg und Struensee verhalten sich wie Marcius und Appollo. 20

Struensees Verdiensten um die Kaufmannschaft oder den Handelsstand könnten wohl durch eine Büste desselben im Börsensaal ein Andenken für die Zukunft gestiftet werden; denn man kann von der ehrwürdigen Kooperation der hiesigen Kaufmannschaft, worunter ich das Glück habe so viele rechtschafne und einsichtsvolle Männer zu kennen nicht sagen: passato il pericolo, gabbato il santo. 25 Es verging keine Woche, daß ich nicht einigemal Stunden lang mit diesem Minister in Unterredung war, wovon ich mir vieles notirt habe. Unter andern erläuterte mir derselbe einst mit vielen Gründen, daß der Preußische Staat, ohne besondre glückliche Ereignisse, nicht im Stande seyn würde, sich noch vier Jahre zu erhal- 30 ten; wo ich nicht irre so war der ehrliche Geh. Rath Labaye bei dieser Unterredung zugegen. Um wieder auf die Absendung des Pulvers von Küstrin nach Graudenz zurückzukommen – wovon diese Episode ausging – so bemerkte ich dabei, daß dasselbe von Berlin kam. – Bei diesem Umstande sind vorzüglich folgende zwei Fälle zu er- 35 wägen: entweder sah man ein, das Pulver sey in Berlin nicht sicher genug aufbewahrt, oder mangle in Graudenz. – Im ersten Falle ist die Frage: Warum Hr. v. Geisau seine Galle und sein Geschrei bei kleinlichere Gegenstände nicht lieber gespart, und solche vielmehr dazu angewendet habe, um die Kanonengießerei und Pulverfabriken in Festungen zu verlegen? welches von einsichtsvollen Männern 40

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vorgeschlagen worden ist. Ich weiß schon im voraus die Gegenfrage: Woher der Fond dazu? Allein wie haben sich denn die Fonds zu Gegenständen gefunden, die ohne Gefahr hätten aufgeschoben werden können? – Der Einwurf des Mangels an Pulver in Graudenz ist noch unverantwortlicher. – Die Regeln eines Vaubans Köhoorn rc. Maaßregeln die schon von den Griechen und Römern genau befolgt wurden, bestehen vorzüglich darin, daß sobald man einmal eine Festung für unentbehrlich halte, dieselbe auch mit allem nöthigen unverderblich versehen werden müsse. Die Festung war mit allen Bedürfnissen gut versehen, aber nur für die Franzosen und nicht für die Preußen; denn am Tage der Uebergabe sollte die Preußische Garnison zum erstenmale Fleisch erhalten. Der Kommandant übergab die Festung – denn capituliren kann man so etwas nicht nennen – und dieses erfuhr ich durch die obgedachten Herren Offiziere. Gegen Mittag bekam ich wieder ewas zu essen, es war aber harte, blähende Kost, und meine Gesundheit verkümmerte sich immer mehr. Nun ging ich mit mir selbst zu Rathe, was anzufangen sei. Keine Wäsche, das Ungeziefer hatte ich mir bisher nur mit Mühe einigermaßen abgehalten, und mein Geldvorrath mußte bald erschöpft werden. Der gute Lemonius hatte sich zwar zu meinem Vortheile sehr edel erkläret, es war aber ungewiß, ob es bei dieser Erklärung bleiben würde*). Nehme ich, dacht’ ich, meine Entlassung von den Franzosen an, so wird man glauben, ich sei mit ihnen im Einverständniß gewesen. Ich ging einige mal in der Stube auf und ab, und mein Entschluß war folgender: du bleibst im Gefängniß und verdankest ihnen nichts. Ich muß meine Leser mit meinen Nebengefangenen bekannt machen, weil sie als eine Episode in meine Geschichte mit verwebt sind. Ein junger Mann von Stande, seinen Namen will ich verschweigen, weil es ihn doch, wenn er einst wieder im Publikum erscheint, schaden könnte, saß wegen 2000 Thaler Manquements einer Postkasse gefangen und hatte noch 2 1/2 Jahre zu sitzen. Ich werde ihn in der Folge den Postarrestanten nennen. Die zweite war ein pohlnischer Jude von Geburt, schon seit 20 Jahren in Holland wohnhaft, und reisete in Geschäften von Königsberg in Preußen nach Holland zurück. Man griff ihn in Schönfließ auf, und ungeachtet alle seine Pässe richtig waren, wurde er doch zu Fuß hierher gebracht, und anfänglich sogar mit Ketten belegt. Der Platzmajor stellte sich wieder ein und den Nachmittag kamen die Franzosen in die Stadt, und zwar mit ihrem gesammten großen Belagerungsheer von dreihundert Mann. Sie wußten sehr geschickt die nehmliche Mannschaft hin und

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her marschiren zu lassen, damit man glauben sollte, sie wären einige Tausende stark. Die armen preußischen Soldaten waren sehr erbittert, und zerschlugen ihre Gewehre; ein Bombardier soll sich sogar aus Verdruß ersäuft haben. Die beiden Offiziere wurden entlassen, und der Herr Feige überließ die Schlüssel zu den Stuben der drei Gefangenen, dem auf dem Schloß sich noch befindenden Unterofficier; da man aber diesen mit seinen drei Gemeinen gänzlich vergaß, so übergab er mir die Schlüssel und zog ab. Den 2ten November erschien der Herr Hauptmann Feige mit einer geheimnißvollen Miene und außer Athem und sagte: „Nun können Sie sich retten; Ihre Lage ist verzweifelt; indem nunmehro alles für Preußen verloren ist, denn Magdeburg und Stettin sind auch über, und der Prinz Hohenlohe ist mit seiner ganzen Armee gefangen. Sie können jetzt nur durch die Franzosen Ihre Rettung erhalten, aber es wird etwas kosten. Der jetzige Kommandant, der Oberst Duppelin, will 4000 Thaler haben; ich will mit 2000 Thaler zufrieden seyn.“ Fast hätte mich meine Kaltblütigkeit verlassen, und ich war im Begriff, ihn an die Brust zu fassen; erholte mich aber, und sagte ihm nur; „Lieber Herr Hauptmann! ich hätte es mir weit schlimmer vorgestellt kommen Sie, wir wollen gleich zum Kommandanten gehen.“ Er fiel mir ins Wort; „Können Sie mir das Meinige nicht gleich in einer Verschreibung geben? Ich erwiderte: Wie thöricht handeln Sie! Was hilft die Verschreibung eines Gefangenen? da haben Sie eine Anweisung auf ein Port d’Epee und eine Huttresse.“ Ich zog ihn aus der Stube, nahm den Holländer auch mit, und wir gingen nun zum Kommandanten. Der Feige sprach kein französisch und zitterte wie Espenlaub. Der Herr Obrist war ein sehr hübscher Mann; ein offener militärischer Charakter blitzte aus seinen Augen. Er hieß mich sitzen, und ich ersuchte ihn, den rc. Feige zu entfernen. – Hierauf wünschte er die Umstände meines Schicksals zu wissen, die ich ihm auch erzählte. Er drang in mich, zu gestehen, daß ich mit den Franzosen korrespondirt hätte. Ich antwortete ihm, so sehr es mir auch in diesem Augenblick nützen würde, wenn es geschehen wäre, so müßte ich doch bekennen, daß meine Korrespondenz mit den Franzosen blos in den Köpfen meiner Feinde existire. Da ich in meiner Erzählung den Umstand mit dem Gulden einfließen ließ: so nahm er die Börse von ungefähr 50 Louis und sagte: prénéz autant que Vous voulez. Ich bedankte mich und sagte ihm, daß ich von den Franzosen weder Geld noch meine Freiheit annehmen könnte; daß ich an meiner Ehre gebrandmarkt sei, und daß dieser Fleck nur durch eine öffentliche Ehrenerklärung meines Königs, wodurch meine Unschuld völlig an den Tag geleget würde, weggewaschen werden könne. Nun entfernte ich mich, suchte den rc. Feige auf, und ging wieder ins Gefängnis. Er fragte mich, ob ich fertig geworden? Ja sagte ich, mit 3000 Thaler. Sind Sie frei? fragte er mich zudringlich; ja, sagte ich. Nun so geben

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Sie mir die Verschreibung. Nicht einen Pfennig, erwiderte ich; warum haben Sie mich durch die Lappen gelassen. Ich glaube, ein Donnerschlag hätte ihn nicht mehr erschrecken können, als diese Worte. Er erholte sich aber und sagte: geben Sie mir die Schlüssel. „Nicht doch, bester Mann, erwiderte ich; diese bekömmt der französische Platzmajor. Ungeachtet ich ihn nun so nachdrücklich abgefertigt hatte, so ließ dieser Mensch doch nicht nach, mich zu quälen, und schuf immer neue Ränke. Es wäre mir ein leichtes gewesen, ihn ganz zu Boden zu drücken; dies wollte ich indeß aus zwei Ursachen nicht, denn er hat eine Frau mit sieben Kindern, und ich wollte meine Freiheit nicht den Franzosen zu verdanken haben. Doch wünschte ich, wenigstens nur die Stadt zum Gefängnis zu haben; wollte aber auch diese Begünstigung nicht den Franzosen verdanken; kurz, ich leitete es so ein, daß ich alles selbst machte und bewirkte. Ich hätte die ganze Geschichte von diesem bösen Menschen verschwiegen, wenn derselbe nicht noch eine recht boshafte Niederträchtigkeit begangen hätte, und zwar folgende: Der holländische Jude erhielt seine Befreiung, und kam auf das Schloß zurück. Monsieur Feige erschien, und verlangte von ihm 20 thl. Der arme Mensch kam bestürzt zu mir, und sagte: Meine ganze Barschaft beträgt sechs Ducaten, zwei habe ich ihm bereits gegeben, wovon soll ich nun nach Hause reisen? Ich verbot ihm, das geringste weiter zu geben; allein der rc. Feige bestand auf seiner Forderung und wollte den Juden nicht gehen lassen. Endlich riß er letzterem sogar einen Ueberrock vom Leibe, und nun mischte ich mich darin, fing an hart und nachdrücklich zu sprechen, und bewirkte den ehrenvollen Abzug des Herrn Explatzmajors Feige. – Eine solche Barbarei muß gerügt werden, und es ist Pflicht und Schuldigkeit, die Handlungen dieses Menschen dem Urtheile des Publikums Preis zu geben, damit andere Bösewichter von ähnlichen Verbrechen abgeschreckt werden, und mit den Gefangenen wenigstens menschlich umgehen lernen. Den 2. Nov. kam auch der Feldmarschall Davoust nach Küstrin. Ich wurde den Abend zu ihm gerufen; er fragte mich fast dasselbe, was ich bereits von dem Kommandanten Düppelin angeführt habe, und auch ihm gab ich dieselbe Antwort. Er äußerte sich über eine Sache, die mir wehe that, nemlich: „Ich habe nicht geglaubt, sagte er, daß bei euch noch lettres de cachet und Bastillen existiren.“ Ich wollte darauf antworten; er ließ mich aber nicht zu Wort kommen, sondern sagte: Sie sind Ihres Arrestes entlassen. Ich erwiderte: das könnte ich nur mit einer Ehrenerklärung annehmen, und diese kann ich nur von Preußischer Seite erlangen, wenn es Eindruck machen soll. Er sah mir steif ins Gesicht und fragte mich: ob ich nicht ein paar Zeilen an Düroc schreiben wollte, er würde ein solches besorgen. Ich that es und zwar folgenden Inhalts: „Ich hätte sehr gewünscht, Ew. Exzellenz zu sehen, weil ich gewiß, ohne Frankreich zu schaden, meinem Vaterlande Dienste geleistet hätte. Allein die Um-

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stände erlauben mir nicht, Küstrin zu verlassen; übrigens bin ich so frei, Ihnen den General Zastrow zu empfehlen, der ein Mann von Kopf und von einem für Preußen heilsamen System ist re.“ Davoust ist ein schöner unterhaltender Mann. Er äußerte sich mit folgenden Worten über die Schlacht bei Jena: „Ich habe mit meinem Korps von nur 24000 Mann gegen einen dreimal stärkeren Feind aushalten müssen, und kann nicht sagen, daß ich einen schwachen Widerstand von eurer Infanterie gefunden habe.“ Besonders aber rühmte er die Preußische Artillerie. – Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit der in so vielen Flugschriften angeführten übertriebenen Vorwürfe zu erwähnen, die insgesamt gegen die Preußischen Heere und gegen die kommandirenden Generale und Officiere derselben gerichtet sind; worin man aber gewiß zu weit geht. Man begeht eine bloße Mißhandlung, ohne gehörig unterrichtet zu sein. Ich habe keine einzige Relation noch vielweniger Discussion, die Schlacht bei Auerstädt anlangend, gelesen; denn nur Militairpersonen, und auch nur diejenigen, die in der Strategie initirt sind, können ein Urtheil darüber fällen. Man erlaube mir, die Aeußerungen und Bemerkungen eines Sachverständigen, der Augenzeuge war, mittheilen zu dürfen. „Ich mißbillige den Uebergang über die Saale.*) Der Herzog beorderte die Armee in 3 Abtheilungen, und zwar mit einem Intervall von 2 Stunden zwischen jeder Abtheilung. Der Marsch der ganzen Armee sollte nur auf einem einzigen Wege jenseits der Saale effectuirt werden: warum hat man nicht auch die andern Straßen diesseits der Saale benutzt? Der Train der Armee, das Proviantfuhrwesen rc. alles dieses auf einer einzigen Straße mußte Unordnung und Versäumnis verursachen, und dies erfolgte auch; bei dem Defilee drängte sich alles, und der Herzog konnte nur mit 3 Divisionen Tete machen. Der Marschall Davoust benutzte alle Fehler als ein großer Sachverständiger. Es kam alles übereilt, und der Angriff geschah, bevor noch die Armee geschlossen in einer Linie konzentrirt werden konnte; der Herzog soll diese Worte gesagt haben: „so werden Bataillen verloren! „Allein was hat das sagen wollen? Wenn wider seinen Willen der Angriff statt hatte, warum hat er es nicht hintertrieben? Auf dem Kampfplatz muß der Held und nicht der Hofmann seine Stelle ausfüllen. Alles kam so überraschend, daß nicht einmal eine Disposition zur Schlacht vom Herzog ertheilt wurde.“ Gleich viel, welches die Ursachen dieser verlornen Schlacht waren; das Unglück ist geschehn. Der Kluge durchschaue und schweige.

*) Vielleicht hatte man die Absicht, das Weimarsche und Braunschweigsche zu decken. – – –

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Da mein Zweck nicht sein kann, eine Relation von dieser unglücklichen Schlacht zu geben, so erlaube man mir, nur folgenden Schluß dabei zu machen: daß weder die Truppen noch die Generale Schuld daran waren, sondern alles nur dem Herzog allein beizumessen ist. Das auffallendste dabei ist dies, daß auch der Herzog den Angriff nicht genehmigte; denn als man ihn vom Schlachtfelde wegbrachte, sagte er: Man hat es ja nicht erwarten können; mithin bleibt das wesentliche davon unerklärbar. Warum gab er aber denn nicht andere Befehle? wird man mit Recht fragen. – Wer den Herzog genau kannte, der wird auch wissen daß dieser unstreitig große Mann nur den einzigen Fehler der Unentschlossenheit hatte. Frägt man aber, wenn man das wußte, warum hat man ihm denn das Kommando gegeben? so ist dies sehr schwer zu beantworten. So viel ist gewiß, daß der König selbst den Plan des Herzogs zu gewagt fand; auch hatte er viele Gebrechen der Armee mit gesundem Menschenverstande schon lange voraus eingesehen und richtig beurtheilt. Man kann nun daher zwar mit Recht fragen: warum denn der Krieg beschlossen wurde? Wem aber die von innen und außen gespielten Intriguen so bekannt sind als mir, der würde weit richtiger fragen, warum man nicht noch eher in diesen Fehler gefallen ist? Und in der That, ich möchte fast behaupten, daß selbst Friedrich der Große bei solchen Umständen, unter Kabalen und Intriguen, in denselben Fall gerathen wäre. – Hat nicht dieser große Mann, selbst in einem Alter, wo nur reife und kalte Ueberlegung Statt finden sollte, durch die Kampagne von 1778 einen Misgriff gemacht? – Ich habe dies Urtheil bei einer Gelegenheit erfahren, wo man nach dem Tode des Königs allerlei Beurtheilungen hervorsuchte und vorzüglich auch den sogenannten einjährigen Krieg tadelte, welches mich kränkte. Ich klagte dies dem Hrn. Gen. Leut. v. Rohdig, der mir aber sagte, daß Friedrich selbst seinen Fehler eingestanden habe und zwar mit den Worten: Durch diese meine Uebereilung wäre ich beinahe ganz abhängig von Rußland geworden.“ Diese Aeusserung wurde auch vom Hrn. Feldmarschall v. Möllendorf bestätigt. – Jetzt wird man meine Behauptung wohl nicht zu gewagt finden. – Den 4ten war mein armer Holländer noch nicht fort, weil er keine Paß bekommen konnte. Ich ging mit ihm zum Obersten Guigne, weil der Oberst Düppelin den Commandantenposten nicht mehr hatte. Der Oberst war der älteste von allen Staabsofficiren, die ich vom D’avoust- und Augereauschen Korps habe durchziehen sehen, ein Mann von 60 Jahren, aufbrausend, aber bieder. Man hielt mich über fünf Stunden im Büreau als Dolmetscher, so daß ich ganz heiser wurde. Zur aufgeräumten kordialen Unterhaltung giebt es keine bessere Gesellschaft als einen alten französischen Krieger; diese oft gemachte Erfahrung bestätigte sich auch hier. Das wilde jugendliche Feuer dämpft sich und das französische Blut bekömmt durch die Erfahrung und Eindrücke der Zeit eine Dosis von Mäßigung; doch nur so viel, daß die anständige Lebhaftigkeit nicht verlischt. Ich soupirte bei ihm in Gesellschaft einiger Kapitäne: außer dem Dienst spürt man nicht das ge-

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ringste von der steifen Subordination. Der Kaiser erhob den General Menard zum Gouverneur der Neumark und Kommandanten von Küstrin. Dieser ist ein Mann in den vierzigern, mittlerer Statur, blassen Gesichts, und außerordentlich lebhaft. Ich erinnere mich, seinen Namen mit Lob selbst in den Zeiten der Directoren, gehört zu haben. Wenn ich nicht irre, so hat er einst unter Dümourier, entweder Vanloo oder doch ein Fort in dieser Gegend mit Tapferkeit und Kenntnis rühmlichst vertheidigt. Ich habe meine Leser mit einem die Menschheit entehrenden Gegenstande, nemlich mit des Feige Benehmen belästigt; jetzt werde ich sie dagegen auch mit einem Vorfall bekannt machen, der das Herz erhebt, und es mit demselben wieder aussöhnt. – Mein armer Postarrestant kann Fehler und Leichtsinn begangen haben, aber gewiß nicht aus Bosheit. Er hat ein empfindsames Herz; mit dankbarem Gefühl erzählte er mir zum öftern das Gute was er von der würdigen Frau von Reck genossen. Gott lohne es ihr. Den 9ten Morgens, kam der Hauptmann Feige in der größten Bestürzung und sagte: sie hätten sämmtlich Befehl abzureisen und zwar nach Spandau. Dieser Feige hatte noch 2 Thaler rückständige Alimente an gedachten Postarrestanten zu bezahlen. Ich sagte ihm leise, er sollte sie fordern; er that es aber nicht. Nur ein Arrestant, der kümmerlich von einigen Groschen täglich leben muß, kennt den ganzen Werth von 2 Thalern. Der Feige ging fort. Ich war ärgerlich und sagte: Lieber, Sie sind doch sehr leichtsinnig, ihre Barschaft ist 14 Groschen und Sie fordern das Ihrige nicht. Er war niedergeschlagen und sagte: ich weiß alles, aber jetzt mag er es wohl selbst bedürfen. Er hat eine Frau mit sieben Kindern, und Thränen entfielen ihm. Er fiel mir ohnmächtig in die Arme; unwillkührlich schrie ich laut auf: Sie sollen und müssen Ihres Arrestes entlassen werden. Seit diesem Vorfall bekam ich eine Art Hochachtung vor diesen jungen Mann, und ich genoß nichts woran ich ihn nicht Theil nehmen ließ. Wie ich aber zu jenem thörichten Gedanken kam, ihm seine Freilassung zu versprechen, weiß ich nicht. Ich machte auch die Bekanntschaft des Marschalls Augereau, und hatte Gelegenheit über eine halbe Stunde den Generalstab des Marschalls Davoust sowohl, als auch einige Tage nachher den Augereau zu beobachten. Sie unterschieden sich in vielen Stücken. Beim Frühstück des General Menard kam auch der jetzige Lieblingsstof, nemlich die durch den Kaiser geschehene Berufung des Sanhedrin, zur Sprache. Sie waren nicht für diese Maaßregel und machten die Bemerkung: Dies wird dem Kaiser mehr Mühe kosten, als eine Schlacht. – Doch was ist für ihn unmöglich? Der ganze Stab, besonders ein Oberster Lambert, ein feuriger junger Mann, der nicht übel spricht, meinte, es werde nichts gescheues aus dem allen werden. Die Juden lieben zu sehr das Geld, und wenn man ihnen alles wiederabnehme, was sie den Christen genommen, so würde ihnen nichts übrig bleiben. –

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Die Bemerkung des Marschalls war gründlicher. Seit 14 Jahren, sagte er, genießen die Juden in Frankreich dieselben Freiheiten, wie die Christen, und dennoch bleiben sie einzig und allein beim Schacher. – Ich erwiderte dem Marschall mit derselben Gelassenheit, daß es kein Werk von 14 Jahren sei, eine Nation, die anderthalbtausend Jahr ein handeltreibendes Leben geführt, zu Ackersleuten umzuformen. Dem Obersten antwortete ich schon etwas feuriger, aber doch mit derselben Vorsicht! Alle die Herren fragten mich, ob ich Töchter habe, und wie viel Ausstattung ich ihnen gäbe, ohne sich zu sehr um die übrigen zur Heirath so wesentlich nothwendigen Umstände und Eigenschaften zu bekümmern, welches anzeigt, daß sie wenigstens auch keine Abneigung gegen den Werth des Geldes haben; welches besonders bei jungen Leuten fast eine Tugend ist, warum wolle man denn diese Neigung den Juden verdanken? – Ferner, wenn man allen Nationen dasjenige wieder abnähme, was sie mit fas oder nefas genommen so würden sie sehr schlecht dabei fahren. – Der Oberst Lambert antworete sehr witzig darauf aber nicht einleuchtend: „Den Franzosen würde dasjenige übrig bleiben, was von jeher das ihrige war, aber nicht so dem von Gott auserwählten Volk.“ Ich hätte zwar aus der Geschichte beweisen können, daß es auch mit ihnen, so wie mit allen Nationen, schwierig aussehen würde, suchte aber die Unterredung auf etwas anders zu lenken: weil auch ein Offizier von den Hülfstruppen sich zu feurig darin mischte. – – Ich muß hier wiederum einer Episode Platz machen. Mein Postarrestant fing an, sein Schicksal ganz zu überschauen. Woher soll ich Unterhalt bekommen, sagte er betrübt, wenn Sie sich entfernen? Seit dem letzten edlen Zuge, der dieser junge Mann äußerte, war er beständig in meiner Stube. Es fing an kalt zu werden, und der arme Mensch hatte weder Mantel noch Ueberrock. Da ich zwei Ueberöcke hatte, so schenkte ich ihm einen. Die Absonderung von der menschlichen Gesellschaft ist keine so harte Bestrafung als man glaubt; man gewinnt dabei, wenn man Menschen sieht und nicht spricht. Ein anderes ist es, einen Bösewicht, zur Sicherheit der Gesellschaft, auf Lebenszeit zum Gefängnis zu verdammen, und ein anderes, auf eine bestimmte Frist. Das Peinliche liegt nur in den ersten Monaten, nachher wird man die Lage gewohnt. In Amsterdam ist die Veranstaltung so, daß der Burgemeister oder Präsident, Schöppe, die Gefängnisse öfters besucht, und nach Maaßgabe der Konduitenliste, der Ergebung, der Reinlichkeit, des Fleißes, eine Minderung der Gefängnißjahre ertheilt. Ist die Verurtheilung eines Gefangenen auf eine kurze Zeit, so giebt er sich nicht auf; er sucht vielmehr, sich auf seine künftige Verhältnisse vorzubereiten und der Gesellschaft nützlich zu werden. In Berlin besucht der Präsident Hr. Woltermann alle Monat das Gefängnis, und erkundigt sich genau nach der Lage der Gefangenen. Hier in Küstrin bekümmert sich kein Mensch um einen Gefangenen, und ein Galeerensklave ist weit glücklicher als ein Staatsgefangener,

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geschweige die im Stockhause, welche verfaulen, und durch barbarische Behandlung vorsätzlich gemordet werden. Man erlaube mir einen Vorschlag zur Einrichtung der Gefangenen zu machen, der bereits im Waisenhause zu Amsterdam in Ausübung ist. Dort besuchen die Waisenhausmütter wöchentlich einigemal die Anstalten. Sie halten sich damit nicht etwa eine Viertel- oder Halbestunde, sondern halbe Tage auf und untersuchen alles. Unter diesen edlen Frauen habe ich eine Mad. Six gekannt, die Millionen besaß. Auch in Küstrin sind sehr achtungswerthe Frauen, die mit Freuden einem solchen Geschäft sich unterziehen würden, z. B. die Frau des würdigen Konsistorialraths Seyferth geb. Hornemann, desgl. die Frau Kriegsräthin Lorenz. Ich habe der Verweigerung der 5 thl. von dem Kaufmann Krappe erwähnt, und ihn einigermaßen entschuldigt; derselbe wird mir hoffentlich verzeihen, wenn ich meinen Irrthum berichte. Ich kam zu diesem Mann in der Absicht, mir einen Kalmuküberrock zu verschaffen. Er war ganz bereit, solches zu übernehmen. Ich besann mich aber anders. Einige Tage nachher fragte ich ihn, ob wir noch verwandt wären, daß heißt, ob er mir noch Geld schuldig sei. Er sagte ja; ich verlangte von ihm 20 Thaler, er verweigerte es ganz kalt. Ich halte es für überflüssig, Betrachtungen über dies Benehmen hinzuzufügen. Es muß ganz natürlich jedem die Frage aufstoßen: „Warum ist keinem andern solches Unglück zu Theil worden?*) Ich finde es nicht nur gerecht, sondern zu meiner Ehrenrettung pflichtmäßig, die Geschichte meiner diplomatischen Geckerei zu berühren, denn leider muß ich gestehen, ich war ein Gimpel, das meinige aufzuopfern um mich bekannt zu machen. Sehr selten ist eine Biographie des Lesens werth, außer wenn sie den Scharfsinn und Diction eines Plutarchs, Tacitus, Robertsons, oder die Laune eines Yoriks enthält; denn ohne diese Vorzüge wird der Held noch in zwei Bänden ein Embrio sein. Da dies Talent aber nicht jedem verliehen ist, so will ich alle Begebenheiten nur in sofern annehmen, als sie einiges Licht auf meine jetzige Lage werfen und solche aufklären können. Die Erziehung im Preußischen Staat überhaupt war in der ersten Hälfte des 18ten Jahrhunderts noch sehr zurück, und vorzüglich bei den Juden. Ich wurde einem ärmlichen Talmudisten übergeben, der mir den Scharfsinn der Rabiner einprägte. Dieser Mensch war aber zum Glück ein guter Hebräer und ich lernte gründlich diese Sprache. Um die Heiligeschrift und die Propheten zu verstehen, wurde beschlossen, mir die deutsche Sprache im Lesen und Schreiben durch einen Unterofficier beibringen zu lassen, jedoch nur auf drei Monat.

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*) Ich erfuhr erst nachher, daß auch der Geh. Kab. Rath Lombard dort behandelt worden ist.

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Ich hörte sehr oft meinen Vater sagen, daß der Magister Lessing einer der größten Männer sei. – Derselbe machte zuweilen Vorstellungen für ihn an den König und andre Behörden. – Dies merkte ich mir, ging zu ihm und bat ihn um einige Bücher; er gab mir Krügers Naturlehre. Bisher bestand meine ganze Lectüre in Luthers Bibel; ich durfte kein anders Buch sehen lassen, denn meine Mutter war eine sehr gottesfürchtige Frau, und äußerst orthodox. Ich las über vier Wochen in jenem Buch und brachte es dem Magister wieder. Er schlug es auf, ließ mich laut lesen und examinirte mich. Er lachte über meinen Kommentar, und sagte: Scharfsinn genug, aber kein Wort von dem was darin enthalten ist. In der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts begann der Streit, oder vielmehr der Federkrieg zwischen den Amerikanisch-Englischen Kolonien und dem Mutterlande, worüber jeder politisirte, aber ohne Sachkenntniß. Die Deutschen hatten so zu sagen, keinen einzigen guten statistischen Schriftsteller, aber Schmierer und Kompilateurs genug, z. B. Just, v. Bielefeld, Sonnenfels rc. Da ich einen Hang zur Staatswirtschaft äußerte, so rieth der sel. Lessing mir, gedachte Schriften zu lesen. Die französischen und englischen Schriftsteller konnte ich nicht benutzen; indem ich von dem Französischen, durch den dreimonatlichen Unterricht eines elenden Sprachlehrers von der Französischen Kolonie, wenig erlent hatte, und im Englischen gar nicht bewandert war. Zu Anfang des siebenjährigen Krieges begingen meine Eltern die Unvorsichtigkeit, mir jungen Menschen von 16 Jahren die Kasse anzuvertrauen. Ich wurde äußerst ausschweifend. Meine selige gottesfürchtige Mutter, deren Wohlthätigkeit gewiß auffallend merkwürdig ist, denn es vergingen wenige Nächte, wo sie nicht aus dem Bette geholt wurde, um Kranken oder Wöchnerinnen ihren Beistand zu leisten, und selten von solchen Hülfsbedürftigen wegging, ohne ihnen 2, 4 bis 10 Friedrichsd’or unter das Kopfkissen zu legen, – von welcher Religion sie auch sein mochten; – diese gute Mutter kränkte sich über meine Ausschweifung; hatte aber den guten Einfall, sich an den sel. Lessing zu wenden. Er tröstete sie und sagte: „hat nichts zu sagen. Er kann Leidenschaften haben, ist aber nicht böse; lassen sie mich machen.“ Eines Tages kam er zu mir, und nachdem er ungewöhnlich lange sich mit mir unterhielt, sagte er: „Jeder vernünftige Mensch muß Herr über sich sein.“ Sie müssen einmal versuchen, ob sie ganz ohne rauschende Gesellschaft, sechs Monat leben können. „Was soll ich aber mit meiner Zeit anfangen? erwiederte ich.“ Welche Frage! – lernen sie Sprachen rc. Dies war genug, um mich zu bestimmen; ich lernte englisch und latein. Ich hatte auch das Glück, um diese Zeit die Bekanntschaft des unsterblichen Mendelssohn zu machen. Da Mendelssohn meinen Hang zu Staatswirthschaftlichen Kenntnissen bemerkte: so empfahl er mir, l’esprit des loix von Montesquieux und discours politiques von David Hume. Ich war sechs Monate äußerst fleißig, und da Hr. Mendels 

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sohn mir freundschaftlich zuredete, die Mathematik zu erlernen, so nahm ich auf seine Empfehlung bei einem sehr geschickten jüdischen Mathematiker Hrn. Swah Unterricht im Euklides und in der Algebra nach Clairau. Daß Mendelssohn alles über mich vermogte, wird denen nicht auffallen die diesen großen Mann gekannt haben und gar wohl wissen werden, wie viel Eindruck sein Geist auf jeden andern machte. Im Jahr 1787 ließ mein Vater mich nach Leipzig kommen, um mich in dortigen Münzgeschäften zu brauchen. Nach der verlornen Schlacht bei Collin ging ich mit demselben nach Koppenhagen. Nach meiner Zurückkunft verbachte ich bis 1761 zwar ein sehr thätiges, aber vom Unterricht und Erweiterung nöthiger Kenntnisse ganz entferntes Leben. Die meiste Zeit war ich in Sachsen und bei der alliirten Armee. Die damals auf mich Bezug habenden Begebenheiten Friedrichs des Großen, zumal in Hinsicht der Kriegswirthschaft, nemlich der Armeeverpflegung und in wiefern sie von der jetzigen abweicht, werde ich besonderes mittheilen. Es wurde von meinem Vater und seinen Kompagnons beschlossen, ein Handelshaus in Amsterdam zu errichten. Ich verheirathete mich daselbst, besorgte diese Geschäfte und machte mit sehr unterrichteten Kaufleuten, als von der Pool und de Smeth Bekanntschaft, durch welche ich in der damals sehr verfallenen französischen und aufblühenden Staatswirthschaft initiirt wurde. Ich übersetzte l‘Honnêt criminel und machte eine flüchtige Broschüre über die Lage Englands und dessen merkantilistische Verfassung. Der sel. Mendelssohn, dem ich beides zuschickte, war überhaupt mit Uebersetzung theatralischer Werke nicht zufrieden und rieth mich ab, mit dieser Beschäftigung fortzufahren. Er bediente sich dabei der Lehre des Lopes de Fega. „Wer in seinem Leben nicht zwölf Verse macht, ist ein Faullenzer, wer aber mehr macht, ist ein Zeitverschwender.“ – Ueber den Aufsatz über England sagte er mir viel schmeichelhaftes Um diese Zeit wurde mir der nach England gehende Preußische Gesandte empfohlen. In einer Unterredung mit ihm kamen wir auf die Lage Englands in Hinsicht der amerikanischen Kolonien. Ich sagte ihm hierüber meine Gedanken und erwähnte obengedachter Abhandlung. – Er verlangte sie von mir, und ich gab sie ihm. In dem Augenblick, da ich diese Zeilen niederschrieb, wurde ich durch ein Klopfen an meine Thür gestört. Wer ist da, fragte ich; ouvrez! Dies geschah; es trat ein Kapitain von der Garde d’élit herein, fragte nach meinem Namen und sagte: Sie sollen mit mir zum General Menard kommen. Schickt er sie zu mir? – Nein ich komme von Berlin vom Marschall Düroc. Ich fragte ihn, ob dieser in Berlin wäre; denn in Küstrin sagte man, er sei mit dem Kaiser nach Magdeburg gegangen. Er ist in Berlin, erwiederte er, und ich soll Sie zu ihm bringen. – Ich muß gestehen, dies kam mir sehr gelegen, und zwar aus einer doppelten Ursache: 1) Weil Küstrin wegen gewisser Umstände – – mir nicht mehr behagte, und 2) weil ich gegen diesen jungen

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Mann – Duroc, wahre Achtung und Liebe hegte. Er ist nicht von der Art von Günstlingen, die sich viel herausnehmen und in Staatsangelegenheiten manches in ihrem Namen äußern. Er sagte immer nur, ich glaube wohl, daß die Sache so gehen mag, allein ich weiß nicht, ob der Kaiser derselben Meinung sein wird. Nie aber drückte er sich so aus, wie diese Art Menschen sich gewöhnlich zu äußern pflegen, „ihre Sache wird gehen, oder, das kann nicht, das muß nicht sein.“ – Ich kann nicht umhin, mich hiebei an den schlauen Kabinetsrath Eichel zu erinnern. Dieser Mann hatte gewiß Einfluß auf Friedrich den 2ten, aber seine Antwort war stets: Es kann wohl Gang haben; allein ich weiß nicht, was mein gnädigster Herr dazu sagen wird. – Alle die um einen Monarchen sind, und eine Sprache führen, oder wohl gar etwas niederschreiben, was derselbe nicht gesagt hat, oder hat sagen können, zumal wenn man sich einer pedantischen, logischen Terminologie bedient, begehen eine Läsion der Majestät, indem sie dieselbe herabsezzen.*) Der Priester zu Delphos sprach nie anders als im Namen des Orakels. – Herr ist Herr; gleichfiel, ob es Napoleon, oder Ferdinand ist. Zwar ist es äußerst unrecht, über einen Souverain sich Urtheile zu erlauben, allein es ist nützlich und vielleicht Pflicht, die Unverschämtheit derjenigen, die die Güte des Souverains misbrauchen, zu rügen. Rousseau hat in seinem Contractsocial diesen Gegenstand sehr gut und abstract ausgeführt, nemlich, daß der Souverain das Recht hat zu richten, aber nicht gerichtet werden könne. – Ihr Herren Potentaten, die ihr so sehr gegen die Juden eingenommen seid, wisset, daß die angeführte Rousseausche Sentenz bereits von den Talmudisten vor 1000 Jahren als ein Fundamentalgesetz angenommen worden ist. Meine Herren Günstlinge, seid nicht gegen mich aufgebracht, wenn ich euch eine Lehre gebe, wie ihr eine Gottheit verehren sollt. Es ist ja euer eigener Vortheil, wenn die Glorie nicht verlischt; und was kann dies euch wohl schaden? Seid ihr rein von dem brausenden Hochmuth, so schadet es euch nicht. Ist die der Fall nicht, so bessert euch, und dankt es mir, – – wenn ihr zu einem erlaubten Dank noch fähig seid. – – Ich habe mich von meinem Hauptgegenstande ein wenig entfernt. Düroc hat für sein Alter eine sehr zu bewundernde Kaltblütigkeit, und alles was er spricht, ist logisch richtig, da er die Logik vielleicht nicht einmal studirt hat; dagegen andere sich stets mit derselben brüsten, und dabei immer pedantisch und unlogisch handeln: eine Tonne für den Wallfisch – aber freilich für einen, der in der Spree war, und bereits von einer Harpune getroffen ist. Der Hauch, der aus seinem Mund geht, ist schädlich, und sein Witz abgeschmackt. – Duroc ist im höchsten

*) Ich habe Piecen in Händen, die ich vielleicht einst dem Publikum mittheilen werde, über deren Inhalt man erstaunen wird. Monarchen sind vieles ohne ihr Verschulden ausgesetzt, und nicht zu 40 beneiden.

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Grade schätzenswerth und man muß ihn achten; eine Aeußerung die man mir öfters übel genommen. – Ich will jetzt von Küstrin Abschied nehmen, mit der Anzeige, daß ich von da als Arrestant mit zwei Gensd’armen nach Berlin gebracht wurde, wo ich am 15. November Abends um 10 Uhr auf dem Schloß ankam. Die starke Bewachung ist mir selbst ein Räthsel; sollte es von dem guten Duroc darum geschehen sein, um damit anzuzeigen, daß man mir meine Befreiung aufgedrungen? Wer ihn kennt, der wirds nicht unmöglich glauben. Er reiste 2 Tage nachher, als ich hier angekommen, zum König: und ich hatte keine Gelegenheit ihn dieserhalb zu befragen. Die fernern Vorfälle in Berlin muß ich so lange verschieben, bis ich die Geschichte meiner diplomatischen Begebenheiten beendigt habe. Im Jahr 1768 kam ich nach Berlin und kultivirte fleißiger das statistische Fach, besonders studirte ich mit unglaublicher Emsigkeit Stuarts Staatswirthschaft. Mein Vater machte mir die Bekanntschaft des Kabinetsraths Galster. Dieser erwähnte einige Grundsätze der Englischen Staatswirthschaft, worüber ich meine Gedanken äußerte, und wobei ihm einige meiner Ausdrücke sehr auffielen. Ich sagte ihm, daß ich einst über diesen Gegenstand eine Abhandlung geschrieben hätte, die ich jetzt umarbeitete und berichtigte. Er verlangte dieselbe je eher je lieber, und nach Verlauf von acht Tagen brachte ich sie ihm. Er fragte mich im Namens des Königs: ob ich zu dieser Abhandlung Helfer gehabt hätte? Ich verneinte solches, und zeigte ihm die Stellen, die der sel. Mendelssohn berichtigt hatte. Haben Sie solche jemand mitgetheilt? Ich erinnerte mich nicht sogleich an den obgedachten Preuß. Gesandten und beantwortete diese Frage mit Nein! – Er lenkte nun den Diskurs auf andere Gegenstände, und kam wie von ohngefähr auf den erwähnten Gesandten. Ich fiel ihm in die Rede, und sagte: diesem habe ich eine Abschrift von der Abhandlung gegeben, und es enträthselte sich, daß dieser Gesandte meine Sätze benutzt hatte. – Friedrich der Große ist in der Staatswirthschaft nicht mit der Zeit fortgegangen. Er las nur französische Schriften und verachtete in dieser Epoche alles, was von den Engländern kam. Ich lernte das Preußische Ministerium kennen, und [und] wurde dreister in meinen Aeußerungen. Die Frage entstand: „ob es besser sei, alle Kräfte des Staats nur auf den Ackerbau zu verwenden, und dem Kunstfleiß keine Unterstützung angedeihen zu lassen, oder auch diesen zu befördern?“ Damals machten die französischen Ephemeriden viel Aufsehens, und da in denselben über das physiokratische System viel vorgetragen wurde: so gab solches zu jener Frage in Hinsicht der Preußischen Staaten Anlaß. Es waren damals zwei bedeutende Männer am Staatsruder: der Minister von der Horst, ein Mann der sich mit Wissenschaften beschäftigte, und der Minister von der Hagen, ein äußerst beschränkter Staatsmann. Ich versprach dem Kabinetsrath Galster, zwei Abhandlungen zu entwerfen, die eine zur Vertheidigung

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des physiokratischen Systems, und die andere zur Widerlegung desselben. Das thun Sie, war seine Antwort. Der König und der Minister Horst waren beide Antiphysiokraten. Ich wandte allen Fleiß an, die Physiokraten lächerlich zu machen, auch war ich selbst ein Antiphysiokrat, und dedizirte diese Abhandlung dem Minister Horst. – In einer andern Abhandlung vertheidigte ich das physiokratische System mit schwachen Gründen. Da ich dabei stehts auf den Preußischen Staat Rücksicht nahm, so konnte es auch nicht anders sein; und diese Abhandlung dedizirte ich dem Minsiter von Hagen. – Der König machte sich den Spaß, solche jedem besonders zuzuschicken, und beide waren mit meinen Arbeiten sehr zufrieden. Um diese Zeit begann meine politische Epoche. Der Preußische Staat war immer nur ein gekünstelter Staat. In Polen regte sich ein gewisser Tiessenhausen, dessen Absicht dahin ging, den Erwerb- und Kunstfleiß daselbst einzuführen. Dies beunruhigte Friedrich den Großen aufs äußerste. Er betrachtete Polen immer nur als eine Preußische Kolonie, und nahm in der weitesten Ausdehnung den klugen und schlauen Satz des weisen Salomon an: Gnade gegen Nachbarn ist Sünde. Um diese Zeit wollte der König eine Abänderung und Verminderung des innern Gehalts im Münzfuß machen; hatte aber falsche und schädliche Grundsätze in diesem Fache. Er wollte sich nicht bereden lassen, daß das Münzen zu keinem Regal gemacht werden müsse. Um ihn von dieser Idee abzubringen, führte ich ihn auf die Verringerung der Scheidemünze. Ich habe Muth genug, mich anzuklagen; ich gab leider die erste Veranlassung zu diesem pestilenzialischen Regal; aber Gott ist mein Zeuge, daß ich stets den Satz predigte: daß man von allem zirkulirenden gemünzten Gelde nicht mehr als den zehnten Theil an Scheidemünze in Umlauf bringen müßte. Wie konnte ich voraus sehen, daß Schulenburg und Konsorten einst die häufige Ausprägung derselben zu einer Landplage machen würden? Diese Ausprägung der Scheidemünze brachte den König auf folgende Gedanken. „Um die Industrie in Polen nicht aufkommen zu lassen, müßte man den Grundpfeiler, die Schätzung und Repräsentirung aller Gegenstände – das polnische Geld – verfälschen.“ Eines Theils konnte ich ihm die Ungerechtigkeit dieser Handlung nicht vorrücken. Er würde gewiß gesagt haben: „Sieh, der Jude spielt den Ehrlichen;“ andern Theils war mein Interesse damit verknüpft. I nun, dachte ich du hast einen vornehmen Herrn zum Gefährten, und ich war schwach genug, mich dazu brauchen zu lassen. Die ersonnene Pest im Jahre 1772 war die Losung zur ersten Theilung von Polen; Oestreich wurde so zu sagen von Rußland dazu gezwungen. Ich muß hier einen Vorfall berühren, der die Denkart Friedrich des 2ten in ein helles Licht setzen wird. Dieser Monarch, der nicht skrupulös war, den Gehalt der Münze zu verringern, fand es gewissenlos, Polen zu theilen. Er sträubte sich gegen die Zudring-

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lichkeit des Prinzen Heinrichs, der diese Sache von Petersburg aus sehr betrieb. – „Was für ein Recht habe ich zu dieser Handlung?“ sagte er. Nur als der Prinz die Nachricht gab, daß Rußland und Oesterreich allein sich darin theilen würden, erwiderte Er: „Nun wenn die Hunde durchaus essen wollen, so muß ich mit essen!“ Der Gewährsmann dieser interessanten Anekdote ist mein Freund, der noch lebende ehrliche alte Geh. Kabinetsrath Lasper. Eine wirkliche Hungersnoth überfiel den ganzen Kontinent. Ich wurde dazu gebraucht für die falsche polnische Münze in Polen Getreide, den Scheffel zu 14 gr. zu kaufen. Auch spielte ich eine Rolle bei der ersten Theilung dieses Landes. Der König wurde darin hintergangen. Ich war der erste, der ihn darauf aufmerksam machte, daß von den andern Mächten jeder sich über eine Million Seelen anmaßte, ihm aber kaum die Hälfte zu Theil wurde. Dies wollte er nicht zugestehen. Es waren mittelmäßige Menschen, die zu diesem Geschäft gebraucht wurden, Leutulus, Brinkenhof und Benois. Ich suchte durch die Bischöfe mir die Listen der Gebohrnen und Gestorbenen von 20 Jahren zu verschaffen, und bewies dadurch nach der Newtonschen Lehre die Menschenzahl der drei Theilungen; womit ich aber die Sache nur ärger machte. Friedrich der 2te konnte es nicht vertragen, wenn man ihn zwang seine Unwissenheit zu gestehen. Ich war darüber außer mir, denn ich hatte eine ziemliche Dosis Eigenliebe, und wenn der König gegen jemand ergrimmte, so konnte er ihm die Hölle anthun. Erst nach Jahresfrist kam er wieder davon zurück und zog mich auf einem ganz unmerklichen Wege wieder an sich. Der geheime Kabinetsrath Galster fiel in Ungnade und seine Stelle wurde durch einen Mann besetzt, der außer dem Magazinfache weiter nicht die geringsten Kenntnisse besaß, nemlich der Geh. Kab. Rath Stelter. Destomehr aber wußte die geschickte Frau desselben alle Umstände zu benutzen. Alles machte diesem Weibe die Kour, weil sie gänzlich ihren Mann leitete. Der große Geist Friedrich des 2ten näherte sich einer dem Alter unvermeidlichen Abspannung. Sein ganzer Ehrgeitz war nur zu erhalten und nichts weiter mehr zu unternehmen. Ein Staat der nicht, gleich seinen Nachbarn, stets vorwärts strebt, zerfällt unausbleiblich. Es war nie meine Sache, durch Bestechungen etwas zu erlangen, mithin ward es denen auch nicht schwer, die alles anwandten mich von den Geschäften zu entfernen. Von diesem Zeitpunkt an begann die stets vermehrte Ausprägung der Scheidemünze. Man beschuldigte mich ich hätte Theil an der berüchtigten Ausmünzung und Debitirung der holländischen Dukaten und der Rubel rc. genommen; ich kann aber versichern, daß dies der Fall nicht war. Der Hang des großen Mannes, fremde Münzen geringhaltiger nachzuprägen, schreibt sich vom siebenjährigen Kriege her. Da dies Mittel ihm Gelegenheit gab, sich dadurch nicht nur große Kapitalien zu den Kriegskosten zu verschaffen, sondern auch zugleich seine Nachbarn indirekte in Kontribution zu setzen, so war ihm nichts lieber als dergleichen Einfälle auszuführen.

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Eine aufgehende Sonne erhob sich am politischen Firmament, und das war der Thronfolger Friedrich Wilhelm der 2te. Ich wurde durch den damaligen Oberst von Bischofswerder aufgefordert, gedachtem Thronfolger meine Staatswirthschaftlichen Gedanken über Preußen mitzutheilen. Im Jahr 1787 bekam die holländische Revolution ein ernstliches Ansehen. England nahm mit Preußen Antheil an diesen Unruhen; aber jeder hatte seine eigene Ursachen. – Preußen mischte sich darin, um eines Theils den Statthalter in seiner Würde zu erhalten, womit auch England einstimmte; andern Theils aber auch, um zugleich die österreichische Niederlande mit seinem Heer in ihrer aufkeimenden und gährenden Empörung zu unterstützen, und dadurch Oestreich wo nicht einen wirklichen Streich zu vesetzen, doch wenigstens Besorgnisse zu erregen, um im Nothfall den Türken Luft zu machen. Mit diesem Gegenstande war aber England nicht ganz einstimmig. Diese Nation hatte an den österreichischen Niederlanden sozusagen eine Kolonie und ein kräftiges Hülfsmittel, wo durch England Oestreich zwingen konnte an den Kriegen gegen Frankreich Theil zu nehmen. – Ich bekam vom erwehnten Hrn. von Bischofswerder den Auftrag, die Gesinnungen der Belgier zu sondiren. Ich reisete nach Brüssel und es wurde mir nicht schwer, mit den Häuptern der Insurrection, van der Noot und van Eupen Bekanntschaft zu machen. Ersterer war der homme de bois wovon der anderer die Seele sein sollte, der aber auch nur ein mittelmäßiger Kopf war. Mein Auftrag ging dahin, zu versprechen, daß, wenn Oestreich keinen Frieden mit den Türken machen sollte, Preußen alsdann die Niederländer in allem unterstützen würde. Von allen Insurrectionen war die brabantische die elendeste; es war blos eine Priester-Revolution, und Haß gegen den Kaiser Joseph. Preußen gab ihnen den General Schönfeldt zum Anführer, dessen politische Einsichten man aus folgenden beurtheilen kann. Frankreich machte Mine sich in die belgischen Angelegenheiten zu mischen, Dümourier wurde von Lafayete nach Namur geschickt, um eine gemeinschaftliche Operation zu bewirken. Man ließ eine unbedeutende Rüstung in Giver organisiren. Der schlauer Dümourier proponirte ein abwechselndes wöchentliches Kommando; ich machte Gegenvorstellungen, und da ich mit gutem nichts ausrichten konnte, Schönfeldt auch nicht begreifen wollte, daß Preußen dadurch die Hände gebunden würden, so fing ich an ernsthaft zu sprechen. Dadurch brachte ich beide gegen mich in Harnisch; um unangenehme Auftritte zu vermeiden ging ich nach Brüssel; indeß erlangte ich doch meinen Zweck. Folgende zwei Anekdoten können statt einer Karakteristik dienen. Die genannten zwei Herren van der Noot und Eupen fanden es für zuträglich die Oestreichische Parthei in Furcht zu setzen, und dazu bediente man sich der Capons– eine Art Menschen wie les forts de la halle – aber viel ungesitteter, um die Häupter der Oestreichischgesinnten zu demüthigen. – Das Haus des Kaufmanns

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Romberg war auf ihrer Liste. Wohlgesinnte Bürger baten mich, bei van der Noot zu bewirken, daß dem Zuge dieser Capons nach jenem Hause Einhalt geschehen möchte. Van der Noot schützte vor, er selbst laufe Gefahr, von einem so aufgebrachten Haufen gemißhandelt zu werden. Ich versuchte alles, aber vergebens. Sollte denn die Eigenliebe dieses Mannes, dacht’ ich, durch nichts rege gemacht werden? – Was, Furcht! sagte ich; große Männer imponiren. Friedrich der Große zeigte sich nach der Schlacht bei Leuthen den in Aufruhr begriffenen Oestreichischen Gefangenen, und sie wurden gleich ruhig. Kaum hatte ich dies ausgesprochen, so griff der Mann nach seiner Perücke, ging hin, und der Aufruhr wurde sogleich gestillt. – Madame Bedinger kam, um sich zu bedanken. Dem großen Friedrich, gesegneten Andenkens, sagte ich, haben Sie dies zu verdanken, und erzählte ihr die Geschichte. Lassen Sie ihm eine Messe lesen; und siehe, die gute Frau ging gleich hin, ihm eine Messe lesen zu lassen. Ich mußte nach dem Haag. Der Herr Staatssekretair van Eupen empfahl mich dem belgischen Gesandten Herrn von Lempel, und zwar auf folgende Art: „Der Ephraim, ein Israelit, dient uns aus allen Kräften; ihr könnt euch ihm anvertrauen. Er schlägt alle Belohnungen aus, denn er besitzt alle irdische Glückseligkeiten. Das einzige was ihm noch fehlt, ist die christliche Religion, die ich demselben von Grunde der Seele mittheilen möchte.“ – Da der Herr van Eupen mir sagte, er würde noch besonders an Herrn von Lempel schreiben, so machte ich eine Ausrede, daß ich den Brief in Brüssel vergessen hätte, und daher besitze ich denselben noch. Der Reichenbacher Friede kam zu Stande, und ich ging zum König nach Breslau. Das erste was dieser Monarch mir sagte, war: „ihm den Reichenbacher Frieden zu verdanken.“ Dies war auch buchstäblich wahr; denn Oestreich konnte sich von der falschen Politik, einen großen Werth in dem Besitz der Niederlande zu setzen, nicht losmachen. Die meisten Kabinette begehen den Fehler, stets die extensiven Kräfte und nicht die intensiven zu vermehren; sie wollen nicht viel, sondern vieles haben. Der König sagte mir*): „Er soll nach Paris gehen, und sehen, ob er nicht unter dem Vorwande eines Kommerztraktats, eine Allianz abschließen kann. Wenn er die Sache gut macht, setze ich ihn in ein Departement – ihm Empfehlungsschreiben nach dem Haag, Paris und London mitgeben.**)“

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35 *) Es war im October 1790. **) Man kann daraus zur Genüge abnehmen, daß, so lange der Minister Herzberg die Stelle eines auswärtigen Ministers bekleidete, man vollkommen das System Friedrich des Zweiten befolgte, nemlich sich nicht in Französische innere Angelegenheiten zu mischen, sondern sich vielmehr 40 mit dieser Macht zu vereinigen.

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Mein Gehalt wurde auf 4000 Thaler angesetzt. Ich brauchte aber viermal so viel. Anfangs Nov. 1790 kam ich in Paris an, wo ich dem damaligen Minister der auswärtigen Geschäfte, Montmorin, vorgestellt wurde. Gleich in der ersten Konferenz bemerkte ich bei demselben einen Widerwillen gegen alles was der Revolution nur den geringsten Nachschub geben konnte. Ich wandte mich auch an die Comité diplomatique und vorzüglich an Mirabeau, dessen Eloge zu machen hier thöricht wäre. Wer kennt nicht den unbegränzten und viel umfassenden Geist dieses großen Mannes. Es war nie seine Absicht, das Königthum zu zernichten. – Ich genoß seine Achtung, er nahm meine Gedanken in Hinsicht des Münzwesens gern an, und benutzte sie in seinem Werk über diesen Gegenstand. – Es war nicht schwer vorauszusehen, welchen Gang die Revolution nehmen würde. Ich rieth daher, daß Preußen sich ganz leidend verhalten sollte. Dies war es auch, wodurch ich die Rachsucht des Grafen von Schulenburg vermehrte. Der preußische Gesandte Graf von Golz wurde einigermaßen über meinen Einfluß eifersüchtig, und da er mir nicht geradezu entgegen arbeiten durfte, noch konnte, indem ich denselben, leider mit großen Aufopferungen, vom Arrest gerettet hatte, so suchte er, mir meinen dortigen Aufenthalt und Betrieb ängstlich zu machen. Ich merkte es wohl, achtete aber nicht darauf, bis derselbe mir die gründliche Bemerkung machte, daß sowohl Demokraten als Aristokraten ihre Gesinnungen verbergen, wodurch man leicht in Verlegenheit kommen könnte. Ich fiel auf ein Mittel, mir die wahre Gesinnung eines Jeden zu verschaffen; und zwar bemerkte ich, daß beide Partheien nur diejenigen Journale, Zeitungen und Epheriden lasen, die mit ihren Gesinnungen übereinstimmten. Unter sieben bis acht dergleichen Schriften schlich sich kaum eine einzige mit ein, welche gegen ihre Denkungsart schrieb. Ich befliß mich, diese Blätter zu untersuchen, und dies Mittel entsprach meiner Vermuthung. Ich erfuhr, daß Frankreich mit allen Kräften an der Wiederherstellung der polnischen Republik arbeitete. La Fayette hatte die Weise, nach der Tafel, wenn man Kaffee servirte, Audienzen zu ertheilen, wobei ich bemerkte, daß unter dreien Konferenzen immer zwei mit Polen statt fanden. Mir fiel dies auf. Einem polnischen Juden, einem eifrigen Demokraten, benachrichtigte ich, daß die Republik wieder hergestellt werden würde. Dieser gute Mann benutzte meine Nachweisung von denjenigen Senatoren, die damals in Paris sich befanden; kurz, ich erfuhr durch ihn alles, was ich zu wissen nöthig hatte. Robespierre begann immer größeren Einfluß zu erhalten, weshalb ich den Plan, eine Allianz zwischen Frankreich und Preußen zu befördern, abrieth, indem ich wohl einsah, daß das Gouvernement sich noch in vielen Jahren nicht konsolidiren würde. Dies war auch bei einem Tischgespräch die Aeußerung eines Barnave, Duport und Duc d’Aiguillon. – Dieser Gegenstand verursachte

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eine lange Diskussion, welches alles ich in einem andern Werke mittheilen werde. Zu eben der Zeit wurden Anschläge zu meinem Untergange geschmiedet. Es fand sich ein französischer Gesandte Namens Dumoutier mit einer gewissen Madame de Brüan in Berlin. Letztere hatte Zutritt bei der Frau von Ingenheim, und da der verstorbene hochsel. König nicht zurückhaltend gegen diese Dame war, so erfuhr sie vieles von meinen Depeschen, und Dumoutier berichtete solches nach Paris. – Es gab zu der Zeit zwei Blätter unter dem Titel: Ami du peuple, das eine von Marat, das andere von einem royalistischen Skribler. Dieser fing an mich in seinen Blättern zu verfolgen, und es wurden bei der Comité des recherches Anklagen gegen mich angebracht. Ich hatte aber gute Freunde bei derselben, besonders einen ehrwürdigen und rechtschaffenen Mann Namens Chabreond. Sie sahen wohl worauf es losging, und, um mich der Wuth des Pöbels zu entziehen, ließen sie mich nach der Abtei bringen. Chabrond, Sales, Mouguet de Nantes, waren die Kommissarien, die mich vernahmen. Sie begnügten sich mit meinem Vorschlage, drei bis vier Briefe von der mit dem König gehabten Korrespondenz aus den Papieren herauszuziehen, und es glückte, daß drei von diesen Briefen die Abrathung enthielten, sich nicht in die französischen Angelegenheiten zu mischen. Ich wurde in 36 Stunden meines Arrestes mit öffentlicher Genugthuung wieder entlassen, ohne daß der Graf von Golz das geringste dazu beitrug. Das Applaudiren der Poissarden im Palais Royal und der forts de la halle vergällten mir den Aufenthalt in Paris, und ich reisete Anfangs August 1791 nach Berlin zurück. Vor meiner Abreise wurde ich von einigen Mitgliedern der Comité diplomatique zu einem Diner bei Mehu eingeladen. Man machte sich die schalkhafte Freude, mich zu fragen: la revolution est elle déjà chez Vous? Ich antwortete darauf: quand on n’a pas la maladie, il est superflu de passer le grand remède. Bei meiner Zurückkunft fand ich leider den Pilnitzer Traktat bereits abgeschlossen. Der Keim zu Preußens Unglück liegt unstreitig in der Pilnitzer Konvention, welche die Koalition gegen Frankreich zu Stande brachte. Der Plan dazu wurde von dem großen Minister von Schulenburg, von Bischofswerder und Lucchesini ausgebrütet. Ersterer trat im Mai 1791 wieder ins Ministerium. Preußischer Seits hatte man die Absicht, Oestreich in einen Krieg zu verwickeln, um freieres Spiel in der Bemächtigung Polens zu haben. – Das schrecklichste und unerhörteste ist dies, daß in demselben Augenblick, da Preußen die Polnische Constitution vom 3. May 1791 genehmigte, der Plan zu Polens Untergang von diesen benannten dreien geschmiedet wurde. – Oestreich hatte auch keine reine Absichten, denn nach abgeschloßner Konvention entfielen Leopold die Worte: „Nun habe ich

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Gelegenheit, mich für Reichenbach zu rächen“ – Man muß Kaunitz, diesem alten erfahrnen Politker, der aber damals nicht viel galt, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er richtigere Grundsätze gehabt hat; denn er billigte so wenig die dritte Theilung Polens, als diese Koalition. Ich weiß von guter Hand, daß er nach Ab5 schließung dieser Konvention gesagt hat: „Der Karren ist in Dreck geschoben, wir wollen sehen, wie wir ihn durchbringen.“

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Die Unglücksfälle der östreichischen und preußischen Heere in den damaligen Feldzügen von 1792 und 1793 gegen Frankreich, sind freilich von beiden Theilen leidenschaftlich und verdreht beschrieben, doch im Mittelwege leider mehr als zu wahr. Aber nicht so allgemein sind die Ursachen bekannt, die das preußische System von ohngefähr mit vollkommnenem Recht unterstützten und den unglücklichen Plan zur Unterjochung Polens begünstigten. Als im Frühling 1794 ein Operationsplan unter den koalisirten Mächten verabredet werden sollte, entstanden Uneinigkeiten. – England unterstützte den östreichischen Plan, durch Brabant ins Herz von Frankreich zu drängen; wobei folgendes den Karakter der englischen Politik bezeichnen mag. – Holland war im letzten Jahrhundert nach und nach so herunter gekommen, daß ein Engländer sich mit Recht folgendermaßen ausdrückte: „Wir müssen Holland nicht sinken lassen; schaden kann es uns nicht mehr, – er nannte Holland die Fregatte eines englischen Kriegsschifs – denn seine Seemacht und Finanzen sind geschwächt, und den Oekonomiehandel können wir ihm lassen und müssen es, weil derselbe uns in Kriegszeiten von außerordentlichem Vortheil seyn kann. – Ferner ist Hollands Erhaltung uns auch in einem Kriege gegen Frankreich höchst nöthig; denn nur von Holland aus können wir mit unsern Alliirten am leichtesten in Frankreich eindringen und Brabant erhalten. – Man muß nicht vergessen, fuhr er fort, – daß die östreichischen Niederlande für uns eine wichtige Kolonie sind; nicht nur, weil wir jährlich 12 000 Last an Waitzen daher erhalten, sondern in Bilanz noch über 400 000 Pfund gewinnen.“ Dies waren demnach mit die Ursachen, warum England damals darauf bestand, bei Frankfurt und am Unterrhein nur defensiv, und in Brabant offensiv zu agiren. Ob die Reichs- und Preußischen Länder dadurch in Verlegenheit kämen, und feindlichen Einfällen ausgesetzt seyn würden, kümmerte sie wenig. Im Anfange des Jahrs 1794 verließ der Herzog von Braunschw. die Armee, und der Feldmarschall von Möllendorf erhielt den unumschränkten Befehl über sie. Er wollte sich aber nicht so in den Plan der Alliirten schmiegen, sondern behauptete, man müsse vor allen Dingen dahin sehen, den Feind vor Mainz anzugreifen und zurückzudrängen; und ungeachtet der König ihm befahl, sich an die östreichischen, englischen und holländischen Heere anzuschließen und in ihren Plan einzutreten; so war er dennoch im genauesten Verstande ungehorsam  



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und schlug die Franzosen bei Kaiserslautern. Hierauf kamen die englischen und holländischen Bevollmächtigten, Malmesbury und Kunkel, im Namen der Alliirten, mit dem Befehl, ungesäumt mit der ganzen Armee am rechten Rheinufer über Köln nach Brabant vorzurücken; wogegen er aber folgende Erklärung gab: „Wenn ich am rechten Rheinufer über Köln mich an euch anschließen soll: so komme ich nicht eher zu euch als in sechs Wochen; denn da ich keine Magazine auf diesem Wege vorfinde, und das Land ausgezehrt ist: so muß ich wenigstens drei Wochen zu diesem Marsch haben, und meine Artillerie schaffe ich nicht in sechs Wochen dahin. Statt diesem, proponire ich folgendes:“ „Ich habe Einverständnisse in Landau und nehme solches gewiß mit Einem Schwerdstreich. Dadurch wird Mainz gedeckt. Dann werfe ich mich rechts nach Sarlouis und belagre solches mit Hülfe der Oestreicher und ihrem Geschütz aus Lurenburg. In dieser Gegend habe ich bereits Veranstaltungen getroffen, denn ich habe in Trarbach und Trier auf 14 Tage Vorräthe. Dann schwenke ich mich rechts auf Sedan und bedrohe die französische Armee im Rücken, die entweder zurück muß, um Metz zu decken, oder eine für sie höchst gewagte Schlacht zu liefern hat.“ – Alle diese Aeußerungen waren vergebens, denn Malmesbury meinte, da England die preußischen Truppen in Sold hätte, so müßte der Feldmarschall auch den Plan desselben befolgen, der ihm auch im Namens seines Königs überbracht würde; widrigenfalls keine Subsidien weiter ertheilt werden könnten. – „Was Sold? erwiderte der Feldmarschall – Preußen nimmt Subsidien; allein das sey ferne, daß Preußische Truppen in Sold gegeben würden.“ „Ich werde darüber die Willensmeinung des Königs selbst einholen.“ Malmesbury wollte aber keine Raison annehmen und der Feldmarschall wandte sich darauf an Kornwallis, der bei der Konferenz zugegen war, mit den Worten: „Je ne peux continuer à discuter avec Vous, Mr. Malmesbury, car Vous n’êtes pas Militaire. Mais Vous Mr. Cornvallis, ayez la bonté de donner Votre Sentiment là-dessus.» Er antwortete: Je suis tont à fait d’accord avec le Feldmarechal, et sil’on suivra un autre plan je partirai.“ Er reisete auch wirklich nach England zurück. Der Feldm. schickte nun sogleich Hr. von Meyrink ab, und stellte dem König die Gefahr und die für Preußen so sehr herabwürdigenden Anmassungen der Engländer vor. – Der König gab ihm vollkommen Recht und autorisirte ihn unter der Hand, ohne ihn zu kompromittiren, zu dem Vorschlage, mit den Franzosen zu unterhandeln. – Man sondirte sich beiderseits, und der Feldmarschall schickte Meyrink zum Bacher nach Basel, um die Präliminarien zu verabreden, nemlich in Hinsicht des status quo, den Rhein zur Gränze zu bestimmen, und Preußen für das Klevische zu entschädigen rc. welches mündlich festgesetzt wurde. – Der Feldmarschall wurde durch Bischofswerder und Zastrow unterstützt. Ersterer bekam damals Einfluß, weil er seinen fatalen Zweck der 2ten Theilung Polens erreicht hatte, und letzterer, weil er einer gesunden Politik anhing, nemlich, mit Frankreich sich zu alliiren, und keinen Krieg führen.

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Um diese Zeit kamen auch die Polnischen Angelegenheiten zur Sprache und die Comité du salut public äußerte sich: „daß man zwar gegen die erste Theilung nichts hätte, allein man erklärte sich mit den ausdrücklichen Worten: „Une Pologne quelconque convient tant à Vous qu’à nous.“ Alles dies habe ich wörtlich, wenn gleich nur stückweise, von Bischofswerder. – Ich machte ihm manche Einwürfe, wegen dieser Theilung Polens. Er vertheidigte zwar seinen Plan unter mancherlei Vorwand, allein die wahre Ursache hütete er sich wohl anzugeben; nehmlich die Vertheilung der Gratialgüter. Er merkte zeitig genug, daß die Gesundheit des Königs nicht lange anhalten wüde, daher wollte er sich bei Zeiten Freunde machen; und das gelang ihm bei allen, denen er diese Güter anbot; außer bei zweien Personen nicht, dem Feldmarschall von Möllendorf und dem Minister v. Struensee, die solches ausschlugen. In dem Augenblick, da ich obigen Aufsatz niederschrieb, erschien das 2te Heft der Lichtstrahlen. Der darin enthaltene Aufsatz in Rückblick in das Jahr 1794, Seite 326, muß von einem sehr unterrichteten und sachverständigen Mann herrühren. Dasjenige was in aller Hinsicht nach den hier sehr gründlich beurtheilten und angegebenen Operationen, damals hätte ausgeführt sollen, wurde ebenfalls von dem Feldmarschall von Möllendorf den Alliirten vorgeschlagen. Das auffallendste und merkwürdigste dieses Aufsatzes ist der Brief, den der Prinz Ludwig von Baden, dieser große Feldherr, ein ganzes Jahrhundert voher 1703 an den kaiserlichen Minister Grafen von Zinzendorf geschrieben. Wäre die Aechtheit des Briefes nicht so allgemein gesichert und bekannt, so könnte man auf den Argwohn geraten, daß derselbe erst jetzt von einen Weihrauchstreuer geschmiedet worden. Um den Leser in den Stand zu setzen, die so selten übereinstimmend vorgeschlagenen Operationen dieser beiden Feldherrn selbst zu bewundern, will ich den gedachten Brief ganz mittheilen*).

*) „Ich gestehe Ew. Excellenz, daß ich die Operation nach der Mosel für das einzige vernünftige 30 und nützliche Projekt gehalten habe, welches vorgeschlagen worden und billigerweise ausgeführt werden müßte; und daß ich die Unternehmungen auf Antwerpen, Nieuport und alle andere sogenannte großen Entwürfe als Chimären betrachte, von welchen nie etwas Ersprießliches für die gute Sache zu erwarten ist. Ew. Exzellenz werden über die Unbeständigkeit der Alliirten in ihren Beschlüssen und über die geringern Erfolge aller ihrer Unternehmungen nicht mehr befremdet seyn, wenn Sie sich die Ereignisse der vorigen Kriege in das Gedächtnis zurückrufen, und 35 wenn Sie sich erinnern wollten, daß alle änliche sogenannte große Ideen keine andere Folge gehabt haben, als einen übereilten nachtheiligen Frieden. Ich werde mich von dem Nutzen aller dieser Entwürfe nie überzeugen. Da man nur dasjenige unternehmen muß, was ausführbar ist, und einen wahren Nutzen verspricht: so ist meine freimüthige Meinung die, daß man auf Thionville, oder irgend einen andern Platz an der Mosel, los gehen müßte, nach dessen Eroberung man in das Herz von Frankreich eindringen kann. – Frankreich kann nur in Frankreich zu einem uns vorheil40 haften Frieden gezwungen werden. Der König von Frankreich kümmert sich wenig um alle die

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Der Minister von Schulenburg könnte es mir mit dem Recht verargen, daß ich ihn so ganz aus den Augen verliere: Ich will also, um ihn nicht zu sehr im Harnisch zu bringen, etwas von seiner Mitwirkung einschieben; weshalb ich folgendes bemerke: Friedrich der 2te, zog nur solche Leute zur Ausführung seiner Befehle, die mit Festigkeit, Schärfe und Pünktlichkeit die Sachen betrieben; dazu war Schulenburg gemacht. Der König konnte es nicht leiden wenn seine Minister nach Wohlgefallen, allein etwas anordnen, oder abändern wollten. Er sagte in solchen Fällen: Meine Herren, raisoniren kann ich allein. Dieser große Mann war auch die alleinige Triebfeder der ganzen Maschiene; mithin war im Ganzen eine gute Haltung. Nach seinem Tode aber war jeder Minister in seinem Fach Raisonneur und gleichsam Despot, außer wenn eine Sache in Kollision mit einem anderen Departement kam. Schulenburg aber stand an der Spitze von allen, und lief alle Fächer durch. – Er war Departements-Minister, Kriegs-Minister, über die Post, Chef der Seehandlung und Bank, Minister des auswärtigen Departements, Generalkontrolleur, und zuletzt sogar kommandirender General. Er war Universalminister, aber auch, gleich den Universalbüchern, in keinem Stück mit Zuverlässigkeit zu gebrauchen. Ich habe bereits bemerkt, daß unter seiner Leitung die berüchtigte Pilnitzer Konvention zustande kamen. Da er merkte, daß es in der Champagne schlecht ging, so warf er sich in die Lieferungsgeschäfte. Man glaube mir nicht, daß er altägliche Operationen machte, ein solcher Geist bleibt nicht beym gemeinen Schlendrian stehen. Damit diese Operation für die Nachwelt nicht verlohren geht, so will ich solche dem Publikum mittheilen.

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25 Unternehmungen die nicht nach dem Herzen gerichtet sind. Es giebt nichts erbärmlicheres, als wenn man das Verfahren beibehält, das man bisher beobachtet hat: nemlich bald auf dieser, bald auf jener Seite anzugreifen, den Gegner bald beim Kopf, bald bei den Füßen anzupacken; die Belagerung dieser Festung der Belagerung jener vorzuziehen, weil die Belagerung an und für sich selbst geringern Schwierigkeiten unterwofen ist. Auf die Wichtigkeit der zu belagernden Festung 30 in Bezug auf den Erfolg des Krieges, glaubt man keine Rücksicht nehmen zu müssen. – Will man den Zweck des Krieges nicht verfehlen: so muß man den Anfang damit machen, daß man im größten Geheim einen Operationsplan entwirft, und diesem Plan zufolge alle seine Schritte und anstalten einrichtet. – So muß man sich einen Weg bahnen, der zu dem vorgesetzten Ziele führt, und auf welchem Wege man seinem Gegner tödliche Streiche beibringen kann. Der Feind geräth in eine weit größere Verlegenheit, wenn er sieht, daß wir ihm auf das Leben gehen, als wenn er be- 35 merkt, daß wir nicht nach einem festen Plan handeln, und einen Krieg führen der die Proviantbedienten bereichert, die müßigen Leute in den Weinschenken belustigt und uns Generale mit – Schande bedeckt, weil wir die Menschen unnöthigerweise auf die Schlachtbank, und die Monarchen an den Rand des Untergangs führen.“ So sprach Ludwig Prinz von Baden im Jahr 1703. Neunzig Jahre nachher lasen wir seinen Ta40 del und handelten so, als hätten wir gar nichts von ihm gewußt. –

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Sein General-Finanzrath L. Meyer Wulf war mit ihm von gleichem Gepräge. Er nannte ihn aus inniglicher Erkenntlichkeit den Papa Schulenburg. Beide beabsichtigten nur das Interesse des Staats, wodurch sie an den Bettelstab geriethen. Um nun einestheils den unverschämten Forderungen der Lieferanten am Rhein Gränzen zu setzen, und anderntheils dem dortigen Mangel zu Hülfe zu kommen, so wurde von beiden beschlossen, 10000 Winspel Hafer, von der Warte und dem Netzstrom über Rotterdamm und Amsterdam auf der Maas und dem Rhein, der Armee zuzuführen. Ungeachtet es aber dem Minister nicht unbekannt war, daß im Jahr 1787 von Embden (Ostfrießland liefert jährlich an England über 8000 Last Hafer) über die Südersee der Hafer nach dem Rhein um 1 1/2 Thaler der Scheffel wohlfeiler, als der Geh. Rath Flesch seel. Angedenkens, solche kontrahirten, geliefert wurde, so wollte Papa Schulenburg bey dieser Gelegenheit sich auch väterlich bezeigen, und gab diesen Auftrag seinem ächten Sohn L.M. Wulf. Diesem wurde von Stettin berichtet, die dortigen Kornhändler glaubten nicht, daß der Hafer gesund ankommen werde, indem dies keine Art Getreide sey das sich so weit zur See transportiren ließe. L.M. Wulf erwiederte aber, ich bin auch ein Kornjude (wahr im genauesten Verstande) und verstehe es besser als die Hrn Kaufleute die nur ihren gemeinen Schlendrian gehen. Der Minister war, wie gesagt, damals nicht mehr Minister der auswärtigen Verhältnisse, sondern Generalintendant und Kommissair ordinateur bei der Rheinarmee; der Kommissarius Parschke wurde nach Rotterdam geschickt um den Hafer in Empfang zu nehmen. Nun lief die Hiobspost ein, daß der Hafer gänzlich verdorben sey. Er wurde öffentlicht verkauft der Scheffel zu zwei und vier gr. Daß der Hafer demnach wieder aufgekauft, und einige 1000 Pferde dabei krepiren mußten, ist wohl überflüssig zu bemerken. – Der General von Bischofswerder ließ mich nach Wien kommen. Der Fürst Kaunitz äußerte sich bei einem Diener im Beisein des Hrn. v. Bischofswerder und Grafen Collonne sehr hart in Ansehung meiner, und wollte durchaus nicht glauben, daß ich von der Unterstützung der brabantischen Insurrektion abgerathen hätte. – Ein gewisser Mann wurde gebraucht, mir verfängliche Fragen zu machen. Den Tag vor meiner Abreise fragte mich derselbe: welchen auswärtigen Minister ich wohl für den größten Mann hielt. Ich antwortete: Pitt und Kaunitz. Ei! diese werden sich wohl im Würken und Benehmen unterscheiden! Allerdings, erwiederte ich, und das sehr. – Pitt giebt der Madame Fortuna Rippenstöße und Kaunitz streichelt ihr die Wangen. Demungeachtet gebe ich diesem den Vorzug, denn er ist auch ein guter Nabigateur. – Wie, sagte er, das versteh ich nicht! – Das werden sie leicht begreifen, sagte ich. – Kaunitz weiß mit allen Winden zu segeln, und wenn es die Noth erfordert, auch zuweilen mit dem Winde der Redlichkeit. Ich reisete dieselbe Nacht ab, und späterhin erhielt ich die Nachricht, daß Kaunitz diese Aeußerung wörtlich wieder erfahren und gesagt hat: „Der Jude ist dreist und hat Verstand.“

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Ich wurde im Jahr 1792 nach Frankfurt berufen, und zwar auf Veranlassung zweier Briefe von mir, einen an den sel. Herzog von Braunschweig und den andern an Bischofswerder, noch vor den unglücklichen Ereignissen in Champagne. Ich rieth, den Untergang Frankreichs dadurch zu bewirken, daß man solches der entgegengesetzten Parthei desselben überlassen sollte, und führte zum Beispiel an, daß die Holländer die Bändigung der Wuth und Wellen an ihren Küsten, mehr den daselbst an Ketten liegenden beweglichen Balken, als ihren starken mit großen Steinen versehenen Dämmen zu verdanken hätten; denn mit Gewalt würde man nichts ausrichten. Der König ließ mich fragen, ob man wohl Ludwig den 16ten verurtheilen würde? Ich antwortete, die königliche Parthei ist zwar im Grunde zahlreicher als die demokratische; allein letztere hat mehr Kraft, Muth und Festigkeit, und daher glaube ich gewiß, daß man ihn verurtheilen wird. Der König ward deshalb äußerst aufgebracht über mich. Die Verurtheilung erfolgte indeß, und ich wurde befragt: ob die Kerle wohl Muth genug haben würden, die Verurtheilung zu exekutieren? – Da ich sah, daß man nicht gern die Wahrheit hörte, so antwortete ich durch folgende Wendung: Philidor hatte einen Affen, den er das Schachspiel lehrte und ihm einen Gegner dazu verschafte. Dieser verlor das Spiel und gab dem Affen eine Ohrfeige, verlangte aber auch Revange, welches Philidor einging. Auf einmal sprang der Affe weg. – Der Gegner fragte, warum spielt der Affe das Spiel nicht aus? Ei sagte Philidor, vermuthlich haben Sie das Spiel verloren, und der Affe befürchtet eine Ohrfeige zu bekommen. – Der lächerliche Vergleich verscheuchte den Humor des guten Königs. Der Russische Gesandte Woronzow drang darauf, daß man mich zurückschicken sollte; welches mir angedeutet wurde. Ich kann nicht umhin, hier eines Vorfalls zu erwehnen, der zwar nur mich allein betrift. Gewisse Leute machten gemeinschaftliche Sache, meine Existenz zu zernichten. – Ich hatte einen Lieferungs-Kontrakt von Getreide, um aus Polen den Scheffel zu einen Thaler in die Preußischen Magazine zu liefern. Dieser Kontrakt wurde ohne Recht und Urtheil aufgehoben. Ich wurde klagbar, und gewann den Prozeß in drei Instanzen. Es kam aber eine Königliche Kabinetsordre, daß der Prozeß aufs neue instruirt werden sollte, was im preußischen Staat noch nie erhört war. – Ich gewann abermals den Prozeß in zwei Instanzen. Bei der sechsten und endlichen Instanz aber kam wieder eine Kabinetsordre, worin es hieß, daß Seine Majestät unmöglich diesen Prozeß verlieren könnten, und ich verlor denselben durch eine einzige Stimme im Tribunal. Es wurden neue Kontrakte gemacht, wodurch der König bei zwölftausend Winspel, den Scheffel zu vier bis fünf Thaler, über viermal hundertausend Thaler verlor. – Ich brachte dies sowohl als unter-

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schiedene andere Sachen vor den Thron durch den noch jetzt lebenden rechtschaffenen Genral von Zastrow; allein auch dieser konnte gegen die Klicke nicht aufkommen, so gern er auch wollte. Auch dies werde ich dem Publikum besonders vortragen, und die ganze Klicke, wie sie es verdient, darstellen. Ich habe dem Publikum die Zusicherung gegeben, einst meine Verfolger anzuzeigen. – Es würde ein eigenes Bändchen erfordern, diesen Gegenstand, seiner Wichtigkeit und seinem Umfange gemäß, hinreichend darzustellen: daher ich hier vorläufig nur das wesentlichste in möglichster Kürze mittheile. Im Jahr 1790 wurde auf Königl. Befehl durch den Feldmarschall von Möllendorf und damaligen Kriegsminister von Gröben ein Roggenlieferungskontrakt mit mir abgeschlossen und vom Könige bestätigt, dessen Interesse von jenen erfahrnen unbestechbaren Männern gewiß auf das genaueste beobachtet worden ist. – Der Hauptinhalt des Kontrakts war, daß ich den Auftrag übernahm, Roggen in die Königl. Magazine den Scheffel zu 1 Thlr. zu liefern, und zwar aus folgenden Gründen: 1) weil man die Getraidebestände zu sehr angegriffen, und 2) weil man Ursache hatte, dies Geschäft nicht mehr wie sonst, durch Kommissarien betreiben zu lassen. Die Sache hatte ihren guten Fortgang: daß dies aber den Herren Kommissarien und besonders ihrem Chef, dem Ober Geh. Finanz-Rath Flesch, einem unwissenden elenden Geschäftsmann, nicht angenehm seyn konnte, versteht sich von selbst. – So lange ich auch gegenwärtig war, konnten sie nichts dagegen ausrichten; als ich aber vom König nach Paris geschickt wurde, so entstand eine Verschwörung wider mich, an deren Spitze der Liepmann Meier Wulf und der erwehnte Flesch standen. Diese wußten den Min. Schulenburg und den General Lieut. v. Geysau dahin zu bringen, daß sie in ihrem Vorsatze mit allem Eifer unterstützt wurden. Die Absichten der beiden erstern mitzutheilen, ist wohl überflüssig, und ich bemerke nur, daß L.M. Wulf der beständige und immerwährende Lieferant, und Flesch der Alleroberproviantmeister war. Dem Min. Schulenburg war es gar nicht gelegen, daß ich nach Paris geschickt worden war und daß meine Korrespondenz unmittelbar mit dem Könige betrieben wurde. L.M. Wulf nutzte die damalige Gährung und suchte sowohl den Min. Schulenburg als den Gen. Lieut. v. Geysau gegen mich aufzuhetzen, indem er auf eine feine Art zu vestehen gab, Ephraim sei ein Demokrat. – Man darf nicht glauben, daß unter diesen Einverstandenen eine Konvention abgeschlossen wurde, das war ganz überflüssig; denn sie verstanden sich ohnehin meisterhaft, und überdies trug noch eine andere Person von Gewicht und Ansehen dazu bei, – ich will mir aber diesen fürchterlichen Mann bis zu einer andern Gelegenheit ersparen. – Wie gesagt, mein Kontrakt wurde aufgehoben, und ungeachtet ich den Prozeß durch drei Instanzen gewonnen hatte; so mußte ich ihn auf Königl. Befehl aufs

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neue anfangen. Die Getraidevorräthe verminderten sich immer mehr, und da man fürchtete, daß die Aufhebung meines Kontrakts doch üble Folgen haben könnte: so wurde mit L.M. Wulf ein Kontrakt über 12 000 Wipfel, den Scheffel zu 17 Gr. abgeschlossen. – Diesem war es aber gar nicht darum zu thun, Getreide zu einem so niedrigen Preise zu liefern; auch hatte er die Schlauheit, sich an keine Lieferungszeit binden zu lassen, und konnte sogar, wenn’s ihm gefiel, auch nicht liefern; denn da er schon durch so manchen Kontrakt durchgekommen war, den er nicht erfüllt hatte, so würde nach seiner Idee, Papa Schulenburg ihn auch hier schon durchhelfen. – So gedacht, so geschehen. – Nachdem er in zwei Jahre keinen Scheffel geliefert, so kam er doch mit 5000 Thlr. Abstand davon. Man wird vielleicht glauben, daß er diese Summe verlor; – keinesweges. Man gab ihm vielmehr, selbst wider die bestehenden schärfsten Verbote, einen Vorschuß von hunderttausend Thalern ohne Kaution; – eine Summe die er gewiß nicht hat still liegen lassen, sondern vielmehr während der zwei Jahre sehr gut benutzt hat; denn da er keine Zinsen bezahlte, so hat er mehr als dreimal 5000 Thlr. damit gewonnen. Die Herren Bankiers Salomon Moses Levi und Konsorten hatten an Tepper und andere ansehnliche Bankiers in Warschau große Forderungen. Ein Bankier Klug in Posen schoß vielen Edelleuten in Großpolen Geld vor. Dieser kam in Verlegenheit, und um sich und die Edelleute zu retten, kam ein Abkommen zu stande, daß er Getreite das Viertel zu 16 gr. liefern, und 76 Edelleute sich zu dieser Lieferung verbürgen sollten. – Es wurden 380 600 Viertel Roggen kontrahirt, um solche an die Preuß. Magazine zu liefern. Die Verschreibung der Edelleute wurde bei der Bank belehnt; aber von allen diesen Geldern ist seit 15 Jahren auch nicht ein Pfennig eingegangen. Zur Beförderung dieser Anleihe und zur Betreibung des Lieferungsgeschäfts mußten die Bankiers Levi und Konsorten den L. M. Wulf haben. – Dieser zeigte endlich nach vielem Moniren an, daß 1000 Wispel abgeliefert worden. Das Militairdepartement setzte auch diese Summe in den an den König überschickten monatlichen Magazinauszug. Da man aber einen Zweifel darin setzte, so wurde der Oberst v. Lützow nach Posen geschickt, und siehe – die ganze Lieferung war erdichtet. – Hier ein für allemal gesagt, ich verpflichte mich, alle von mir geschehenen Aeußerungen und Angaben durch königl. und andere Briefe, durch vorhandene Akten und selbst durch noch lebende ehrwürdige Zeugen zu bekunden. – Zwar lag es wohl unstreitig eher den Departementschefs, nemlich dem Gen. Lieut. v. Geysau und dem Geh. Ober Fin. Rath Flesch ob, über die Magazine zu wachen, als dem Kabinet; aber dennoch ist diesem die Unrichtigkeit eher als jenem bekannt worden; – aber nein! Die ganze Sache wurde unterdrückt. – Derjenige rechtschaffne Mitbürger aber, der bei dergl. unbestraften Verbrechen gleichgültig bleiben kann, ohne muthlos zu werden, verdient wohl mit noch mehrere Abgaben zur Genügung so unersättlicher – – – belastet zu werden, –  

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Der Zweck, durch einen Machtspruch meinen Kontrakt zu zernichten, war geradezu der, um den König und den Staat zu berauben. Wenn aber dergl. Machtsprüche und geheime Verhaftbriefe im Preuß. Staat statt finden, liegt die Schuld blos an den Unterthanen, daß diese nicht höhern Orts Vorstellungen dagegen machen. Die Preuß. Monarchen sind gewiß gerecht und lieben das Volk, und streben für das Wohl eines jeden; aber sie werden leider hintergangen. – – Im Jahr 1794 begann der Zug nach Polen, um die Finalzerstörung der polnischen Republik zu vollziehen. In Hinsicht gewisser Umstände wurde ich dahin beordert; allein ich war kaum acht Tage da, so trug der damalige Russische Gesandte, der berühmte – – Prinz von Nassau, darauf an, mich zurück zu schicken, und dies geschah. Da ich sah, daß es auf die Vernichtung meiner Person angesehen war, so zog ich mich zurück und hielt mich eingezogen; denn selbst Bischofswerder konnte nichts für mich thun. Alle mir ertheilte Versprechungen wurden nicht erfüllt. Der Prinz von Nassau spielte damals eine große Rolle und wohnte bei Lucchesini, der stets um den König war, und das Partefeuille der auswärtigen Geschäfte hatte. Wie schnell aber oft die seltsamsten Widersprüche in politischen Verhältnissen Statt finden, erhellet daraus, daß nicht lange vor dieser Katastrophe die Nassauischen Fürsten sich über die Vossische Zeitung beklagten, daß solche dem benannten Herrn das Prädikat eines Prinzen von Nassau gegeben hatte; und Hr. Voß wurde deshalb mit einer Geldstrafe belegt. – In diesem polnischen Feldzuge fehlte es an allem; an Proviant; denn es gab keine Magazine, und sogar an der höchstnöthigen Artillerie und Munition. – Es war ein bloßes Glück, daß die Sache noch so ablief. Doch hätte man, durch begangene Fehler belehrt, die Administration andern Händen anvertrauen sollen; allein es blieb beim Alten, und nichts wurde gerügt. – Ich hatte einen Plan an den König zur bessern Einrichtung der Feldbäckerei geschickt, ohne die Kosten zu erhöhen, und bei der Armee stets nur auf drei Tage Brodt zu backen und dem durch das Nachführen entstehenden Verschimmeln vorzubeugen. Der General-Lieutenant von Geysau erhielt Befehl, diesen Plan zu untersuchen. Bevor er aber noch von dem Umfange des Gegenstandes instruirt war, fuhr er mich auf die auffallendste Art an. – Er verlangte zwar die Schriften von mir; ich gab ihm aber keine Antwort und ging davon, weil ich es bedenklich fand, solche einem so leidenschaftlichen Mann zu übergeben. Erst nachher erfuhr ich, daß dieser Mann nie seiner mächtig ist, und über alles gleich in Wuth geräth, ohne es gerade so arg zu meinen; indeß hatte ich mich schon beim König darüber beklagt, der es ihm auch sehr ernstlich verwiesen hatte. – Seitdem verfolgte mich dieser General aufs äußerste, und war die Haupttriebfeder der Aufhebung meines Getreidelieferungs-Kontrakts, wodurch der Getreideeinkauf in Polen während dieses Krieges zu einem so enormen Preise stieg, daß der Scheffel Roggen mit fünf bis sechs Thaler bezahlt wurde.

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Im Jahr 1796 kam der rechtschaffne Caillard als französischer Gesandter nach Berlin. Ich bekam nicht allein die Erlaubniß, sondern sogar den Befehl, mit ihm Umgang zu pflegen. Dieser Mann arbeitete dahin, um mit Preußen die Bestimmung der Grenzen des Rheins und einige Entschädungen für Preußen und den Prinzen von Oranien abzumachen. Der Minister von Haugwitz wollte dazu nicht die Hände bieten, unter dem Vorwande, daß das französische Gouvernement noch zu schwankend und nicht konsolidirt sei. Ich machte die Bemerkung, daß in dieser Konvention alles für Preußen und nichts zum Vortheil Frankreichs enthalten wäre Ich bewirkte eine Zusammenkunft des Generals v. Zastrow und Caillard, worauf die Bedingungen am 4. August 1796 durch Haugwitz und Caillard abgeschlossen wurden. Ich kann nicht umhin diesem diplomatischen Veteran dem Hrn. Caillard, die ihm gebührende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dieser Mann ist keiner von jenen Geschäftsträgern, die ihre Stellen durch Konnektionen der Ahnenwürde erlangen und die Geschäfte ihren Legationsräthen und Sekretarien überlassen. Ganz und gar nicht – Er diente von unten aus. Er war im eigentlichen Verstande sein eigener Sachverständiger. Ueberdies ist er ein großer Sprachkenner, offen, leutselig. Er übte keine Ränke, wußte aber den Ränken anderer entgegen zu arbeiten, ohne es sich merken zu lassen. Er liebt den Genuß der Tafel, aber nicht aus Liebe zum Schmause, sondern der Gesellschaft wegen. Kurz er ist ein Mann, desgleichen man in solchen Geschäften nur immer auffinden und benutzen sollte. Und doch wäre derselbe durch einen wichtigen Mann fast in die Verlegenheit gerathen, nach Cayenne exilirt zu werden, und zwar durch folgende Veranlassung; In einer Unterredung mit Hrn. Caillard äußerte und rühmte ich das Preußische Kabinet, besonders wegen dessen Bereitwilligkeit, alles für Frankreich thunliche vortheilhafte gern zu genehmigen; indem es sogar einen freien Ausfuhrpaß über 1000 Last Waitzen bewilligt hätte. – Wie? sagte er, mir einen Paß über 1000 Last Waizen? das ist nicht wahr; es müßte denn durch Sandoz Rollin gegangen seyn; indeß würde Lacroix mir doch gewiß etwas davon mitgetheilt haben. Die Sache wurde ihm verdächtig, und er fuhr sogleich zum Min. Struensee, der ihm auch bekräftigte, daß ein dergl. Paß auf seinen Namen ausgefertigt worden; womit es eigentlich folgende Bewandniß hatte: – Der verstorbene Bankier Itzig kam in Bedrängniß. – Ein gewisser Mann hatte bei ihm an 30,000 Thlr. auf Zinsen stehen, und Itzig wollte die Protektion desselben nicht verscherzen. – L.M. Wulf, der auch die Gunst jenes wichtigen Mannes zu erwerben suchte, gab Itzig den Rath, diesen dahin zu bewegen, daß er ihm einen Paß zur Ausfuhr von einigen 1000 Last Waitzen verschaffen möcht; wogegen er die 30,000 Thl. übernehmen wollte; denn bei der Ausfuhr des Waitzens war da-

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mals über 50 Prozent zu lukriren. – Itzig brachte nun den L.M. Wulf zu diesem Mann, und so wurde der Plan ausgebrütet, beim König einen Paß auf Caillards Namen zu erhalten. – Das Scheußliche dieses Benehmens bedarf wohl keiner weiteren Bemerkung. Der scharf denkende Sieyes kam an seine Stelle. Man kann ihm, bis auf eine gewisse Stufe, ohne Uebertreibung, den französischen Kant nennen. Er besitzt den Scharfsinn eines Rousseau, ist aber weit tiefdenkender und nicht so schwärmerisch. Es ist nicht seine Sache, durch Deklamationen zu blenden und zu verführen. In der geringsten Kleinigkeit, die er schrieb, – ich will nur die kleine Flugschrift über die Konstitutionen berühren – welche Präcision, Tiefsinn und Klarheit herrscht nicht darin! Sein Lebenswandel als Staatsbürger ist untadelhaft. Eine einzige Anekdote kann von seinem moralischen Karakter einen hinlänglichen Begrif geben. Er kam einst von der Kour und äußerte sich folgendermaßen. – Nimmermehr sagte er, kann es einem Staat wohl gehen, wenn junge Leute mit unverschämten Geberden sich vor die ältesten im Kriege grau gewordenen Männer hinpflanzen und diese Alten kaum ihres Anblicks würdigen. – Ich habe dies Betragen nicht an Einem, sondern an sehr vielen bemerkt. Ich mußte aus Verdruß weggehen. Wie kann euer König, der doch gewiß ein guter moralischer Mann ist, eine solche Aufführung dulden? Allein bei Feudal- und Ahnenstolz kann es nicht anders sein. Man sieht, daß ich diesem Manne Gerechtigkeit widerfahren lasse, man wird mir deshalb auch in folgendem Glauben beimessen: Sieyes ist eben dem Grade, als er ein unermüdeter Denker ist, ein eben so nachlässiger Praktiker. Im gewöhnlichen Umgange, wenn er sich nicht aus Eigenliebe herabließ, um in einem wolgewordneten Diskurs gewisse Gegenstände abzuhandeln, war er zurückdrängend. Er besitze nicht die Gabe, Zuneignung einzuflößen; er paßt sich ganz und gar nicht zu einem unternehmenden Umwälzer. Er hat Muth genug, Angriffen mit Dreistigkeit zu begegnen; aber selbst als angreifender Theil zu erscheinen, muß er von Andern vorgestoßen werden. Die geringste vermeinte Beleidigung kann ihn in Harnisch setzen, denn er ist sehr ehrfürchtig, und dann hat seine Rache kein Ziel. Sieyes gab mir in einer damals obwaltenden Staatsangelegenheit seine Gedanken – eigentlich beabsichtigte seine Sendung eine zwischen Frankreich und Preußen abzuschließende Allianz. – Er wollte indirekte durch mich das Terrain, sondiren, um dann weitere Fortschritte zu machen. Da er aber merkte, daß man seine Absichten bekundigte, so leugnete er alles rein ab. Er war nicht der Mann, auf eine ungerechte Weise sich zu bereichern, aber doch karg, fast bis zur Filzigkeit. Er muß indeß doch wohl geglaubt haben, daß Andern diese Ansicht über ihn nicht entginge, und suchte es damit zu beschönigen: „man müßte suchen un-

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abhängig in der Welt zu seyn.“ Ueberdies taugte er ganz und gar nicht zu einem Gesandten, weil er sich der Sarkasmen und witzigen Einfälle nicht enthalten konnte; besonders war sein Pfeil stets wider den Minister v. Haugwitz gerichtet. – So nannte er ihn unter andern le portier d’Etat. – Ich fragte ihn, warum er denselben so bezeichnete, und erhielt zur Antwort: Il ne laisse rien ni entrer ni sortir. – Da Sieyes sich bei jeder Gelegenheit über die Deutschen aufhielt, so mußte ich einst auch eine solche auf, um ihm etwas entgegen zu stellen. Ich war bei ihm zum Mittagessen, da er so eben einen Brief aus Rastadt von Jean de Bry erhalten hatte. Dieser schrieb unter andern, daß ihm nichts saurer würde, als die deutschen Gesandten zu gewöhnen, bei der Tafel sich selbst etwas zu nehmen. Ich äußerte dabei: c’est bien dans l’ordre, car pour prendre il faut cela apprendre de vous autres. In jener Beziehung auf den Minister v. Haugwitz lag etwas wahres. Man kann es diesen Kabinetsminister bei allem seinen künstlichen Aeußeren ansehen, daß Herz und Kopf nicht übereinstimmend sind. Er konnte Sieyes durchaus nicht ausstehen und haßte ihn sogar. Auch sind beide Männer von ganz entgegengesetztem Karakter. Sieyes ist, ungeachtet seiner Fehler, in seinen Handlungen offen; Haugwitz aber versteckt. Sieyes wurde zu einem der fünf Direktoren erwählt; der eitle Mann konnte seine kindische Freude darüber nicht verbergen. Das Direktorium äußerte gegen den preußischen Gesandten, man wünschte, daß dem Sieyes eine Eskorte zu seiner Rückreise gegeben würde. Wegen des erwehnten Umstandes, daß er mir die von ihm erhaltenen Aufträge abläugnete, und ich mich gegen ihn etwas hart ausließ, versagte er mir die Thüre. Er verlangte seine Abschiedsaudienz, die auch bestimmt wurde; wollte aber durchaus die erwehnte Eskorte nicht nachsuchen. Sein Legations-Sekretair Herr Otto, wie auch der Spanische Gesandte, der gute Muskis, und der rechtschaffene schwedische Gesandte von Engeström, drangen in mich, ihm eine Eskorte zu verschaffen; der Minister Haugwitz wollte aber dazu kein Gehör geben. Man verlangt für ihn eine Eskorte, sagte er, und ich bin auch geneigt, dies zu erfüllen; er muß aber solche nachsuchen, und hier war das Recht meines Erachtens auf des Haugwitz Seite. Ich bat den friedliebenden Oberst von Köckritz, dieserhalb mit Haugwitz zu sprechen. Dies geschah; allein es war vergebens. – Den andern Morgen sprachen die oberwähnten drei Männer noch einmal mit mir, alles anzuwenden, daß Sieyes nicht unbegleitet abreise, mit der Bemerkung, daß die Französischen Emigranten jetzt die Oberhand hätten, und da Sieyes von diesen sehr gehaßt würde, so könnte leicht ein Unheil daraus entstehen. – Ich richtete dieses Umstands wegen meinen Weg zum Grafen von Haugwitz. Das Ungefähr wollte, daß ich dem Obersten Köckritz begegnete. Ich fragte ihn: ob

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er es wohl über sich vermöge, mit dem Ephraim eine Gesandtschaftsangelegenheit dem Minister von Haugwitz vorzutragen. Seine Antwort war, warum nicht, wenn es nur zum Guten abzweckt. Ich sagte ihm den Umstand und er ging mit mir hin; indeß nahm ich mir vor, der Sache womöglich, eine solche Wendung zu geben, daß sie von des Ministers eigenem Interesse befördert zu werden geeignet würde. Der Oberst v. Köckritz eröfnete die Bothschaft mit dem spaßhaften Eingange, daß er mit mir als Gesandter in einer sehr ernsthaften Sache vor ihm auftrete, deren Gegenstand ich vortragen würde. Sieyes will nicht glauben, sagte ich, daß im Preußischen Staat der Minister der auswärtigen Geschäfte nicht das geringste ohne ausdrücklichen Befehl Sr. Königl. Majestät bewirken könne, zumal im Betref einer militairischen Eskorte. Dies hätte ich zwar dem Sieyes hinterbracht; allein er wollte es gar nicht annehmlich finden. Diese meine Vorstellung that jetzt bei rc. Haugwitz die erwehnte Wirkung. Leider sehen es die Minister sehr gern, wenn man den Regenten Glauben macht, daß sie nichts ohne sein Vorwissen thun. Haugwitz sagte, „freilich, so ist es auch.“ Er wollte weiter sprechen; der Oberst von Köckritz fiel ihm ins Wort: „Der König hat ja schon den Oberst Lottum zu seiner Begleitung bestimmt und selbst dem Marschall von Möllendorf die Sache bei der Parole aufgetragen.“ – In diesem Falle, unterbrach ich denselben, braucht doch nur der Hr. von Lottum sich bei Sieyes zu melden, und ihn fragen, ob er die Eskorte verlange, indem er dazu beordert sei. Allein die Sache hat Eil. – Der Minister erwiderte: da ich weiß, daß der Feldmarschall Vertrauen in Sie setzt, so gehen Sie zu ihm und hinterbringen dies in meinem Namen. – Ich berichtete es dem Feldmarschall, der auf mein Wort dem Oberst Lottum zu Sieyes schickte. Hierauf begab ich mich zu dem Herrn Otto, der sich sogleich zum Sieyes verfügte, um sienen Triumph zu hinterbringen, und sagte zugleich, daß ich Abschied von ihm zu nehmen wünschte; er wollte mich aber nicht sprechen. – Ich dachte, reise glücklich, du großer aber eigensinniger Mann. Hr. Otto, der von unten auf gedient hat, und bereits in Amerika diesen Posten bekleidete, hat zwar nicht ganz den Scharfsinn eines Sieyes, ist aber zu dieser Stelle weit brauchbarer. Er ist ein gesprächiger nachdenkender Mann, mit einem geraden Blick, einnehmend, herablassend, ohne sich wegzuwerfen. – Dieser Mann hatte einen schweren Stand; die französischen Angelegenheiten gingen immer übler; die Verfolgung nahm mit der anwachsenden Kraft der Emigrirten in eben dem Grade zu, und man ließ es sich recht angelegen sein, den guten Otto auf alle Weise zu kränken. Ein Vorsteher des Casino ließ es den Hrn. Otto vorzüglich empfinden, wie sehr es ihm darum zu thun war, demselben seinen Aufenthalt unangenehm zu machen. Dies ging so weit, daß man ihm sogar die Aufnahme in jene Gesellschaft verweigerte, warum er nicht einmal angehalten hatte. Mein Haus war fast das ein-

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zige, was ihm zum Zufluchtsort diente; weshalb ich nicht nur gehaßt, sondern im genauesten Verstande auf das äußerste verfolgt wurde; ich achtete es aber nicht, denn ich war durch seinen Umgang für alle genugsam entschädigt. – Meine Töchter lebten ganz in dem Umgange seiner Frau, einer Dame, die dem schönen Geschlecht zum Muster dargestellt werden kann; sie ist von ausgezeichneter Tugend und unübertreffbar in der Kunst des Umgangs, frei und ungezwungen mit dem edelsten Anstande. Der Geschäftsträger Otto brachte es indeß, ungeachtet aller Machinationen der Emigrirten, die, wie gesagt, damals gleichsam völliges Oberwasser hatten, dennoch dahin, daß man ihn achtete? aber das konnte er nicht bewirken, daß das Preußische Kabinet sich in eine genaue Verbindung mit ihm einlassen möchte. Der Aufenthalt in Berlin wurde ihm daher als Geschäftsträger sehr angenehm. Man glaubte, dem König damit die Kour zu machen, wenn man diesen guten Mann kränkte; und doch war das der Fall nicht. Man muß dem König die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß Er Geschäftsträgern, deren Wandel moralisch und anständig ist, nicht das geringste von den Veränderungen politischer Ereignisse empfinden lasse. – Selbst Sieyes hat dies an dem Monarchen gerühmt, der auch vielleicht nebst Köckritz, nur der einzige am Hofe war, der diese edle Gesinnung hegte. – Nie werde ich folgende Katastrophe vergessen. Ich war in Potsdam, um den Herrn Oberst von Köckritz in gewissen Angelegenheiten zu sprechen. Diesem edlen Manne ist es zur andern Natur geworden, gebeugten und bedrängten Menschen Trost zu geben und sie aufrecht zu erhalten. Ja es ist nicht zu viel, wenn ich sage, daß es ihm zur andern Natur geworden ist, indem er diese Tugend sogar gegen seine ärgsten Feinde ausübte, sobald sie bedrängt wurden. Er ließ mich nicht zu Wort kommen. – Machen Sie, sagte er, daß Sie nach Berlin zurückkehren, und belben Sie Ihren Freund den Hrn. Otto; denn so eben haben wir die Nachricht erhalten, daß Massena bei Zürich eine sehr wichtige Schlacht gewonnen, und die Russen gänzlich geschlagen hat; vielleicht giebt Gott dadurch den Frieden; das übrige was Sie mit mir sprechen wollen, hat noch alles Zeit. Ich kam spät nach Berlin; ich ließ Hrn. Otto aufwecken. Er kam zerstört und erschrocken hervor; ich sagte ihm, er sollte sich beruhigen, und möchte nur auch seine Gemahlin bei meiner Nachricht mit zugegen sein lassen. – Er wurde darauf ruhiger, – denn er wußte, daß ich nicht der Mensch sei, der in später Nacht etwas Unangenehmes zu hinterbringen suche. – Seine Gemahlin kam, und Hofnung und Angst schwebte bei ihnen hin und her. – Sie vernahmen die für sie so glückliche Neuigkeit. Nie werde ich die Wonne vergessen, die die Freudenthränen dieser beiden Personen mir verursachten. Zeit und Umstände haben nun einmal viel Einfluß auf uns. Alles bekam bei diesem Manne eine andere Gestalt, und beide fingen gleichsam wieder an aufzuleben.

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Bonaparte wurde Konsul, und schickte Dücrot anhero. Es herrschte damals eine ächte Politik am Preußischen Hofe. Das System des Ministers von Haugwitz, daß die strengste Neutralität für Preußen das zweckmäßigste sei, hatte völlige Oberhand, und der friedliebende Monarch hielt die aufbrausenden Ruhestörer im 5 Zaum. Düroc kam, gepanzert mit einer Kraft, die wohl die wenigsten jungen Leute von seinen Jahren errathen werden, nemlich Bescheidenheit und Anstand; man bemerkte auch nicht den geringsten Zug von Anmaßung oder Eigendünkel an ihm. Welche Belohnung diese Tugend mit sich führt, wird man aus folgender Anekdote ersehen. 10

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Bei der Königl. Tafel wurde Düroc befragt, ob er einen Krokodill in Egypten gesehen habe? Nein, war seine Antwort. Die Königin machte dabei die treffende Bemerkung: Der Mann verdient Achtung, denn er ist kein Großprahler. Hätte er uns gesagt, daß er einen gesehen habe, so müßten wir es auch glauben. Bonaparte hatte damals den Plan wieder in Italien einzudringen und Genua zu entsetzen. Er wußte, daß Preußen sich vorjetzt zu keiner Allianz verstehen würde; allein er wollte sich von der Preußischen Neutralität überführen, und insofern erhielt Duroc auch alle Beruhigung. Ein Bogen über militärische Oekonomie von mir, sollte nach dem Vorgeben des batavischen Gesandten Hrn. Meier in Paris, in den Händen Napoleons sein. – Ich ersuchte den Marschall Düroc mir diesen Bogen wieder zu verschaffen, und siehe, dieser gute Mann ließ sich dies so angelegen sein, daß er mir deshalb von Mailand aus, den Tag nach der gewonnenen Schlacht bey Marengo schrieb. Aus dergleichen kleinen Zügen kann man sich einen Begriff von den Herrschern durch die Günstlinge und von den Günstlingen durch die Herrscher machen. Der Gernal Beurnonville kam als Gesandter nach Berlin. Dieser Mann ist offner Soldat, der keine Intriguen noch Ränke schätzt. In einem militairischen Staat sind schon diese beiden negativen Talente allein hinreichend, Achtung und Zuneigung zu erwerben. Er wäre vielleicht nicht von hier abgegangen, wenn nicht seine zerrüttete Gesundheit, die von der grausamen und harten Gefangenschaft in Olmütz herrührte, nebst dem Eindruck den das nordische Klima auf ihn machte, seine Rückkehr erfordert hätten. In jener Hinsicht hat das, was ich in meiner Gefangenschaft erlitten, die Wirkung bei mir, daß ich jetzt um so mehr mit diesem redlichen Manne sympathisire. Nur gleiche Schicksale nähern Menschen in ihren Gesinnungen, wie Dido zum Aeneas sagt. Während seines hiesigen Aufenthalts fiel nichts erhebliches in politischer Hinsicht vor; es war nur politisches Spielgefecht. An Beurnonvilles Stelle kam Laforest. – Die französische und russische Partei buhlten damals um Preußen; nur mit dem Unterschiede, daß jene nie die Wohlanständigkeit überschritt und nie einige harte Ausdrücke ihr entfielen; dahin-

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gegen dieser manche offne und versteckte Drohungen entschlüpften. Ich erwarb mir die Freundschaft dieses Mannes dadurch, daß ich sets alle starke Aeußerungen und Handlungen widerrieth. Ich will nur einen einzigen Umstand davon berühren: Es wurde dem Gesandten eine Depesche zugeschickt, um solche weiter nach 5 Petersburg an den damals dort residirenden französischen Gesandten zu besorgen. In Berlin war weder der Minister von Hardenberg noch von Haugwitz zugegen, und der König war zur Revüe bei Graudenz; auch der Kabinetsrath Lombard war wegen Krankheit abwesend; Preußen war damals Mediateur zwischen Rußland und Frankreich. Jene Depesche war so beschaffen, daß der französische 10 Gesandte in Petersburg allem Vermuthen nach hätte abreisen müssen. Herr Laforest, ein Mann, der vernünftigen Vorstellungen gern Gehör giebt, folgte meinem Rath, den Kourier zwölf Stunden aufzuhalten, bis der Minister von Hardenberg zurückkäme. Die Depesche wurde darauf gar nicht abgeschickt; denn die Absendung war dem Herrn Laforst nach Umständen überlassen; und für den Augen- 15 blick hatte es auch seinen Nutzen. Das Zutrauen des französischen Gesandten gegen mich wurde auch durch den Enthusiasmus bewirkt, den ich mit äußerster Anhänglichkeit für mein Vaterland bewies; indem ich der festen Meinung war, daß eine innige Freundschaft mit Frankreich das beste und heilsamste System für Preußen, nicht nur zu dessen Erhaltung sondern auch zur Vergrößerung desselben sei. Ich kann mich auf noch lebende achtungswürdige Männer berufen, daß Friedrich der 2te stets den Grundsatz geäußert: „Man muß Rußland schonen, aber mit Frankreich sich verbinden.“ Die Begebenheiten vom Jahr 1805 sind noch in frischem Andenken, mithin, darf ich solche nur oberflächlich berühren; um das wenige was nicht allgemein bekannt ist, und mich selbst betrifft, dadurch kundbar zu machen. An den Krieg zwischen Frankreich und Oestreich war nicht mehr zu zweifeln. Oestreich suchte, durch die Vermittelung Rußlands, Preußen (geschehe es gütlich oder nicht) mit in diesen Krieg zu verwickeln. Unter zehn Fällen giebt es stets neun, die den Satz bestätigen, daß eine große Macht, die sich um offensive Alliirte bewirbt, gewiß Mißtrauen in ihre eigene Kräfte setzt, und schon dadurch halb verlornes Spiel hat? auch zeigt die Geschichte Beispiele genug, daß das Mitwirken anderer die intensive Wirkung schwächt. Rußland machte sogar drohende Demonstrationen. Der Kaiser Napoleon schickte den Marschall Düroc nach Berlin, der sich zwar bemühte, Preußen zu einer Allianz mit Frankreich zu bewegen, doch ohne alle Zudringlichkeit und mit dem größten Anstande. Dem Marschall Düroc wäre es zwar sehr angenehm gewesen, solches zu bewerkstelligen; allein Preußens Hang war zu dieser Zeit noch nicht gleichstimmig genug, wenn es gleich nicht abgeneigt

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war, eine Allianz mit Frankreich abzuschließen. Diese schwankende Denkungsart wurde aber nicht so sehr von der Unterhandlungsweise des Hrn. Düroc und Laforest gehoben, als vielmehr durch das Benehmen Rußlands, das auf der Neu- Ostund Südpreußischen Gränze eine Armee aufstellte, um Preußen dadurch zum Zutritt zur Russischösterreichischen Allianz zu nöthigen. Ehe ich die weiteren Vorgänge berühre, muß ich meine Leser mit der Karakteristik des damaligen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, des Hrn. Barons von Hardenberg, bekannt machen. Dieser ist ein Mann von einnehmender Physiognomie und äußerem Anstande. Er besitzt Kenntnisse, spricht angenehm und ist ein Mann von Kopf und gutem Herzen, welches letztere ihn vorzüglich schätzbar macht. Er kann laut werden, weil er ein redlicher Mann ist, ohne alle Heimtücke, demungeachtet aber weiß er an sich zu halten, wo es nöthig ist. Man kann ihn plötzlich aus dem tiefsten Schlaf wecken, und der Minister ist mit allen Nüanzen gegenwärtig. Die drohende Stellung der Russen an der Preußischen Gränze war auffallend; doch war die Armee noch nicht 50 000 Mann stark. Es ist bekannt, wie langsam die Russen marschiren, und daß es hinlänglich gewesen wäre, ihnen 50 000 Mann entgegen zu stellen, die sich in den dortigen Gegenden befanden. Allein man wollte alles decken, und selbst den Einfall eines Schwarms Kosaken verhindern; mithin setzte man über 100 000 Mann in Bewegung. Es hieß, man müßte zeigen, daß Preußen sich nicht necken, vielweniger ungeahndet drohen ließe. – Ich konnte hingegen weder den Nutzen noch die Nothwendigkeit dieser fürchterlichen Anstalten begreifen. – Rußland schien nur in einem falschen Wahn zu stehen, Preußen würde sich durch bloßes Drohen sogleich zu allem bequemen. Es fiel demselben bei weitem nicht ein (wenn ihm das Drohen nicht glücken sollte) Preußen anzugreifen, um keinen Feind hinter sich zu lassen; und hätte Rußland es zur Thätigkeit kommen lassen, so wären die Verabredungen zwischen Preußen und Frankreich zur Ausführung gekommen. Um diese Zeit ging Bernadotte durch das Anspachsche, und zwar aus folgenden Veranlassungen: Sowohl der Preußische Botschafter am französischen Hofe, als Düroc, berichteten dem Kaiser, daß der Krieg mit Rußland unvermeidlich sei. Ferner waren in den vorigen Kriegen Durchmärsche durch das Anspachsche erlaubt; jetzt aber wurde dem General Mack von der Anspachschen Kammer ein Befehl des Ministers von Hardenberg mitgetheilt, daß keine Durchmärsche von fremden Truppen mehr Statt haben sollten; dieser Entschluß wurde aber nicht zugleich den Franzosen bekannt gemacht. Gegen diesen Durchmarsch wurde von Seiten Preußens protestirt, die Franzosen gewannen dadurch zwar nur unbedeutend; durch den Rückzug aber würden sie an fünf Märsche vergebens gemacht haben. Das Völkerrecht bekömmt nach Maßgabe der Stärke und Schwäche eines Staats eine größere oder geringere Ausdehnung. Zwar muß keine Nation ihre  



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Würde ungeahndet antasten lassen; in wiefern aber bei einer Nation die Würde im ganzen Umfange gehandhabt werden kann oder nicht, läßt sich nur a posteriori bestimmen. Kann eine beleidigte Nation nicht dieselbe Masse physischer und moralischer Kräfte aufstellen, die ihr Gegner besitzt, so muß sie auch den Begriff der Nationalwürde dieser Verschiedenheit gemäß annehmen; so wie ein Raphael die Würde eines Herkules gewiß ganz anders, als die eines Crotona darstellen wird. Vielleicht wird man dies nur für Sophisterei halten; allein der Geist eines Grotius und Puffendorfs würden dies Axiom so klar darstellen, daß man gewiß nicht anstehen würde, diese Modification im Völkerrecht in Erwägung zu ziehen. – Jener Vorgang war wenigstens nicht geeignet, um sogleich einen Krieg deshalb zu beginnen; zumal da die Franzosen die Erlaubniß hatten, durch einen andern Theil des Preußischen Staats, durch das Münstersche, ihre Verstärkung nach dem Hannöverschen zu schicken, und es hätte ihnen zur gehörigen Zeit förmlich untersagt weden müssen, daß diese Erlaubniß ihnen kein Recht gäbe, solche auch auf das Anspachische auszudehnen. Wie oft hat nicht Fridrich der Zweite fremdes Territorium ohne Anfrage betreten! – Zwar mußte Preußen diesen Vorgang jetzt deshalb ernsthaft aufnehmen, weil es, gegen die anscheinende Drohung der Russen, sich zu übereilt in einen zu starken Vertheidigungsstand gesetzt hatte; und dies hätte Frankreich meines Erachtens nie beherzigen müssen; allein, wie gesagt, sie hielten den Krieg zwischen Rußland und Preußen schon unvermeidlich, welches ihrer Vertheidigung eingiermaßen Gewicht gab, worauf man allerdings Preußischer Seits hätte Rücksicht nehmen müssen. Ich sprach über diesen Vorgang mit dem Marschall Düroc. – Ew. Excellenz wissen, sagte ich, daß blos eine anscheinende Drohung von Seiten Rußlands, durch Schlesien zu dringen, Preußen bewog, 100 000 Mann gegen diese aufzustellen, und demungeachtet ist Bernadotte durch das Anspachische gedrungen. – Ich kann die Ursache des Vorganges nicht beurtheilen, erwiderte Düroc betroffen; der ganze Vorfall war ihm wirklich auffallend. Es wurde eine Konferenz beim König angesagt; weshalb ich früh um fünf Uhr ein Billet zum Herzog von Braunschweig brachte, mit der Bitte, solches auch dem Minister v. Hardenberg mitzutheilen, und zwar folgenden Inhalts: „Frankreichs Benehmen ist unbegreiflich; Preußen hat Ursache, sich Genugthuung zu verschaffen; doch wäre es nicht rathsam, Schritte zu thun, die man vielleicht nicht im Stande sein möchte, wieder zurück zu nehmen.“ Dies Billet wurde wirklich in der Konferenz vorgetragen, und der scharfsehende, gründlich denkende Geh. Kab. Rath Lombard sagte mir den folgenden Tag: „Ihre Gedanken waren die besten.“ Auch mit dem Bayrischen Gesandten Chev. de Bray, dem ich das Zeugniß geben muß, daß er stets nur das Beste Preußens beabsichtigte, und die nöthigen Kenntnisse zu einem solchen Posten ausgezeichnet besitzt, sprach ich, um den  

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üblen Folgen vorzubeugen. Ich kann nicht umhin, hiebei zu bemerken, daß mein Umgang mit den Herren Gesandten höhern Orts genehmigt und mir sehr oft anbefohlen wurde. Der Hr. Geh. Kab. Rath Lombard ist einer der seltnen guten Köpfe im Preußischen Staat. In Hinsicht der französischen Sprachkenntniß wurde er selbst von Sieyes bewundert. Dies ist aber das wenigste. Er hat einen klaren deutlichen Sinn und einen scharfen richtigen Blick, ist weder anmaßend noch stolz, und vermeidet sorgfältig allen Verdacht; daher er auch von allen rechtschaffnen und uninteressirten Männern geliebt und geehrt wird. Was man ihm mit Recht vorwirft, ist, daß er zu wenig Werth in der Erhaltung seiner Gesundheit setzt, die doch auch dem Staat angehört, wiewohl dies größtentheils schon in seiner kränklichen Leibesbeschaffenheit liegt. Wegen des jetzigen Unglücks kann man ihm gewiß nicht das geringste vorwerfen, weil er stehts den Krieg mit Frankreich höchst schädlich hielt. Die wenigsten Menschen aber bleiben sich immer gleich. Der Geh. Rat Lonbard, der stets unwandelbar an das auf Vernunft und Erfahrung gegründete einzige und allein zu adoptirende System, sich fest anschloß, veränderte mit einmal die Gesinnung. Das Manifest gegen Frankreich ist sein Machwerk. Ich gebe gerne zu, daß ein Kabinetsschreiber (in den glücklichen Zeiten Friedrichs des Zweiten war Kabinetsrath und Kriegesrath synonim) diejenige Willensmeinung, die ihm von seinem König geäußert und zu Papier zu bringen, aufgegeben werden; genau befolgen muß: allein sich selbst gewisse Aeußerungen und Anmaßungen zu erlauben, das ist zu viel und unerlaubt. Dieser Geh. Rath Lombard lief in Weimar als ein Besessener zu jedem, und schrie: Avez vous lu mon Manifeste j’ai bien traité Napoleon – Der Marschall Düroc und Laforest hatten eine Konferenz beim Minister v. Hardenberg, die aber sehr stürmisch war; indem letzterer ihnen erklärte, daß alle bisher abwaltenden Einverständnisse und Verabredungen zwischen Frankreich und Preußen aufgehoben und als nicht bestanden angesehen werden müßten. – Es wurden viele Noten gewechselt, und französischer Seits erbot man sich sogar zur Genugthuung; aber alles war vergebens, und Hardenberg versagte ihnen den ferneren Zutritt zu ihm, ungeachtet, sie sich bis zum Vorzimmer drängten. Düroc wollte abreisen, und alle meine Vorstellungen dagegen waren fruchtlos. Endlich fiel mir folgende Frage ein: „Hat denn der Kaiser Sie anhero geschickt, um das Englische Spiel zu spielen?“ Laforest wollte diese meine Bemerkung nicht ganz gelten lassen; allein Düroc, mit seinem geraden unverdorbenen Menschenverstande, sagte: „Wir müssen uns nichts vorzuwerfen haben, und selbst über Unschicklichkeiten, oder wenn man will, Unanständigkeiten, wegsetzen. Allein, guter Ephraim, da euer Minister alle Unterhandlungen abgebrochen hat, so bin ich hier nichts mehr nütz;

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das seid aber versichert, fuhr er fort, daß euer Kabinet sich sehr irrt, wenn es glaubt, daß Preußens Macht dem Kaiser große Schwierigkeiten in den Weg stellen wird. Er wird mit noch größerem Erfolg als Friedrich der Zweite mit einer und derselben Armee einen Feind nach dem andern schlagen. – Ich erwiderte ihm: es kömmt nicht darauf an, Kunststücke zu machen, sondern die Absichten der Engländer zu hintertreiben. – Ueberlassen Sie Zeit und Umständen auch etwas. Ich bitte Sie, schenken Sie mir nur einige Tage. – Auch darauf entgegnete derselbe: Ephraim hat Recht, wir müssen alles versuchen; denn selbst der Kaiser wünscht, an Preußen einen Alliirten und keinen Feind zu haben. Der Minister Hardenberg verstattete mir zwar einige Augenblicke; er ließ mich aber kaum zu Worte kommen, war auf das äußerste gegen mich aufgebracht, und stieß sehr beleidigende Ausdrücke gegen mich aus. – Ich ließ ihn ausbrausen, konnte aber nicht umhin, ihm folgende Bemerkungen zu machen: „Ew. Excellenz thun mir durch die stürmische Gemüthsäußerung zu viel Ehre an. Nur solchen Männern, die Macht haben, durch ihren Stand und Einfluß Sachen abzuändern, könnte es wohl möglich sein, einen Minister in Harnisch zu setzen. Allein ich, der so wenig Einfluß hat, und ohne Ihre Zustimmung nichts für oder wider zu bewirken im Stande ist, ein solcher Mensch, sage ich, muß den Minister nicht in üble Laune bringen können. – Glauben Ew. Excellenz nicht, daß ich dieselben irgend eines Argsinns, oder gar Bosheit beschuldige, dafür behüte mich Gott. – Ein Minister von Hardenberg ist zu solchen niederen Leidenschaften unfähig. – Ueberdies, warum bitte ich den Ew. Excellenz? Nicht um eine Sache, die den Fonds dieses wichtigen Gegenstandes betrift, sondern nur, um den Gesandten die Thüre nicht zu versagen. Minister der auswärtigen Geschäfte müssen einander als Friedensengel ansehen, die selbst unter dem Donner der Kanonen sich gegenseitige Erörterungen nicht versagen müssen. – Ich weiß, daß es für einen Mann, wie Ew. Excellenz, schmerzhaft sein muß, die guten Absichten, die Sie so emsig für Preußen und selbst für Frankreich zu erfüllen, betrieben haben, durch einen Zufall zerstöhrt zu sehen; allein, alle meine Vorstellungen waren fruchtlos. Meine richtige Bemerkung, Zeit und Umständen auch etwas zu überlassen, bestätigte sich durch eine Thatsache. – Der bei Ulm erfochtene Sieg gab der ganzen Angelegenheit eine andere Gestalt. Düroc bekam einen Kourier, und ich theilte diese Nachricht dem Herzog von Braunschweig mit, erwähnte aber auch zugleich, daß der Marschall Düroc alle Anstalten zur Abreise getroffen habe. Der Herzog äußerte den Wunsch, daß Düroc nicht abreisen möchte. – Man beschuldigt mit Unrecht diesen Fürsten, daß er den Krieg gewünscht. – Ich erzählte ihm, was zwischen Hardenberg und mir vorgefallen, und ich deshalb keine Gründe hätte, dem Marschall von seinem Vorhaben abzurathen. Zu eben der Zeit war auch der Minister v. Haugwitz von seinen Gütern wieder zurückgekommen. Ich äußerte daher gegen den Herzog folgenden Einfall: Wie

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wäre es, wenn man die französischen Angelegenheiten dem Minister von Haugwitz wieder übertrüge? Der Herzog ließ mich nicht ausreden und befahl mir, Düroc zum Haugwitz zu führen. – Ich konnte mich nicht wohl dazu bequemen, weil ich fürchtete, den Minister von Hardenberg dadurch zu beleidigen. Der Herzog sagte aber, ich stehe Ihnen vor alle Gefahr. Ich erwiderte dagegen, daß dies wohl hinreichend wäre, wenn Ihro Durchlaucht beständig hier blieben; so aber müßte ich unmittelbar von Sr. Königl. Maj. oder vom Minister v. Hardenberg dazu befehligt werden. – Auch dies soll geschehen, entgegnete der Herzog. – Nach einer Stunde ließ derselbe mich rufen, und, indem ich noch weiter über diesen Gegenstand mit ihm sprach, traten der General v. Köckritz und Oberst v. Kleist herein und befahlen mir im Namen des Königs, den Marschall Düroc dahin zu bewegen, daß er sich vor seiner Abreise zu einer Unterredung mit dem Minister v. Haugwitz bequemen möchte. – Ich erhielt vom Marschall das Versprechen, daß er sich zu einer dem Minister v. Haugwitz beliebigen Stunde zu demselben verfügen würde. Diese war um sechs Uhr Abends angesetzt; allein Umstände und Abhaltungen machten es unmöglich, eher als ein Viertel auf sieben zum Minister zu fahren, der aber bereits – vermuthlich wegen einer wichtigen Angelegenheit – nach dem Schauspielhause gefahren war. – Auch dahin fuhr ich mit dem guten Marschall; allein da es einmal an der Tagesordnung war, die Thüren zu versagen, so wurde auch selbst die Logenthüre nicht geöffnet. Ein anderer, als ein Düroc, würde deshalb mit Recht gegen mich ungehalten worden sein; allein bei ihm war das der Fall nicht, und den folgenden Morgen um zehn Uhr fand die Konferenz Statt. Ich habe bisher die Karakteristik derjenigen Personen, mit welchen ich Geschäfte hatte, im kurzen mit berührt, glaube aber dessen bei dem Grafen v. Haugwitz überhoben sein zu können. Sein Karakter wird sich durch die Folge von selbst darstellen. – In jener Konferenz mit Düroc äußerte Haugwitz durch einen künstlich verwebten Vortrag und Ueberredungen, daß er mit den bisher genommenen Maßregeln nicht einstimmig gewesen. – Düroc reisete zufrieden ab. Es ist jedem bekannt, daß der General Kalkreuth den Kaiser von Rußland nach Berlin begleitete. Man brachte damals eine Konvention zwischen Preußen, Rußland und Oestreich vom 3. Novbr. 1805 zu Stande. – Es giebt gewisse Gegenstände, die durch öfteres Wiederholen ein solches Gewicht erhalten, daß selbst der vernünftige Mensch zuletzt getäuscht und sein gerader Menschenverstand irre geführt wird. Von dieser Art waren die Gefühle gegen die angebliche Todsünde Napoleons, daß er seine Truppen durch einige Anspachsche Dörfer hatte marschiren lassen. – Ich kenne überhaupt nur drei Personen, die zwar dem Aeußern nach in dies Zetergeschrei mit einstimmen mußten; die Sache selbst aber besser einsahen. Der Minister Haugwitz wollte nur darum die Freundschaft mit Frankreich wieder herstellen, um sich dadurch den Weg zu einer gewissen Stelle zu bahnen. –

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Dem Generalmajor von Köckritz bewogen edlere Absichten, nemlich weil er den König und das Volk liebte, mithin alle mögliche Veranlassung zum Kriege zu vermeiden wünschte. Der Feldmarschall von Möllendorff mußte zwar nothgedrungen nachgeben (denn jeder, der dagegen sprach, wurde für einen Staatsverräther gehalten) allein er that alles, wie er von diesem ehrwürdigen 83jährigen Greise, bei welchem moralische und physische Kräfte noch in vollem Leben sind, zu erwarten war, gegründete Schwierigkeiten und Besorgnisse zu äußern. – Ich muß zum Ruhm dieses schätzbaren Mannes bezeugen (wenn ich gleich dahin gestellt sein lasse, ob demselben an meinem geringen Zeugnisse irgend gelegen sei, da er dessen gewiß nicht bedarf) – daß er auch nicht einen Augenblick vom richtigen Wege abgewichen, nemlich, daß Preußens Glück nur von einer innigen Freundschaft mit Frankreich abhange. Die Lehren Friedrichs des 2ten waren ihm stets gegenwärtig, und verließen ihn nie, zumal diese: „Man müsse mit Rußland nie hadern noch Zwist suchen und alle Kontestationen vermeiden; aber mit Frankreich sich verbinden.“ – Diesem verehrungeswürdigen Greise hat man es auch zu verdanken, daß das jetzige Unglück wenigstens um ein Jahr aufgeschoben worden ist. Er war es, der darauf bestand, den terminium a quo in der Konvention vom 3. Nov. zu verschieben, wobei seine Bemerkungen so richtig als heilsam waren. Hier sind seine eignen Worte: „Sollten wir das Unglück haben; mit Frankreich in einen Krieg zu gerathen, so wollen wir denselben doch wenigstens nach der gesunden Vernunft und den Regeln der Kriegskunst führen. Es muß keine Operation von Rußland und uns eher Statt finden, als bis alle Armeen an Ort und Stelle sind, so daß alle Korps einander sogleich die Hand bieten können. Er bestand darauf, man müßte sich vor dem 12. Dezember in keinen offensiven Krieg mit den Franzosen einlassen. – Dieser Mann war einer von den seltenen, der die moralischen und physischen Kräfte des Kaisers Napoleon und der französischen Nation richtig berechnete. Weder Furcht noch Rücksicht auf die Existenz seiner eigenen Person kamen bei diesem Veteran in Anschlag. Dies hat er auch noch in seinem 83sten Jahre durch seine bei der Schlacht von Jena erhaltenen vier Wunden bewiesen; allein man nahm leider jetzt zu wenig Rücksicht auf seine Erfahrung und kalte Vernunft, seine genaue Kenntniß von der unzulänglichen Kraft Preußens, von der Schädlichkeit und den Mängeln aller Koalitionen – Wahrheiten, die diesem noch jetzt klar und richtig denkenden Manne stets gegenwärtig sind*).

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35 *) Hart, ja sehr hart und unschonend ist dieser Greis in vielen Flugschriften behandelt worden. Bedenkt man, daß derselbe von Friedrich dem Großen gleichsam erzogen, das heißt, gewohnt ist, nur dem Monarchen streng zu gehorchen – und durchaus keinen eigenen Willen zu haben; ferner, daß man im Alter nur in die Grube schauet; ihm auch vollkommen bewußt war, daß man ihm den König stets abwendig gemacht – bei solcher Gewandniß verliert man gewiß den Hang, mit 40

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Der Minister v. Haugwitz ging nach Wien, wo er einige Tage vor der Schlacht bei Austerlitz ankam**). So sehr auch der Kaiser Napoleon von dem guten Erfolg dieser Schlacht im voraus überzeugt war, so verschmähete derselbe doch nicht, erst günstigere Katastrophen abzuwarten, um solche zu benutzen. Es wurde daher mit gedachtem Minister nichts abschließendes verabredet. Nach geschlossenen Präliminarien mit Oestreich kam Napoleon nach Wien zurück, wo lange Konferenzen zwischen im und Haugwitz Statt fanden. Letzterer suchte dem Traktat vom 3. Nov. eine Wendung zu geben. – Daß Preußen sich nach den Zeitumständen richtete, auch solche zu benutzen gesucht hat, ist gewiß zu verzeihen; denn seine damaligen Alliirten waren nicht ganz aufrichtig. Man versprach Preußen eine Schadloshaltung von einem Theil des Hannöverschen, ohne dazu die Einwilligung Englands zu haben, und ich bin gewiß versichert, daß England solches nicht zugegeben hätte. Nach einer gewissen Aeußerung hat man zuverlässig mehr versprochen, als man zu halten vermögend und Willens war. – – – – Es war dem Kaiser Napoleon damals darum zu thun, nicht nur sein Vorhaben, Baiern zu vergrößern und sonstige Einrichtungen im Reich zu treffen, sondern auch in Italien seine Absichten auszuführen, und aus diesen Gründen liebte er nicht sehr das Benehmen Preußens in Hinsicht der eingegangenen Verbindungen, besonders der abgeschlossenen Konvention vom 3. November. Haugwitz brachte die hannöverschen Angelegenheiten nach seiner Meinung sehr gut zu Stande, und schmeichelte sich, bei Rußland und England wie seinem zweideutigen Benehmen sich ebenfalls gut durchzuwinden. Den Karakter Napoleons hatte er indeß nicht gehörig gefaßt und beurtheilt. Dieser große Mann besitzt eine Gabe, die man selten bei einem großen feurigen Geist antrift, nemlich daß Er über sich selbst Herr ist. Es entging ihm nicht leicht eine diplomatische Wendung;

30 Energie und Festigkeit zu imponiren. Das einzige Mittel, das Unglück nicht zu überleben (und das wollte er) ist, dem Tode entgegen gehen. Er ist der einzige, der den Stock und die Härte, womit seine Vorfahren sich so sehr auszeichneten, aus der Armee verbannte. – Es sind gewiß nur Menschen, in deren Seele sich eine schwarze Spinne verwebt hat, die, um einige Thaler zu erwerben, offenbare Verläumdungen hinschmieren. Ein anderes ist die Notwehr, wo man Handlungen aufdecken muß, die man sonst gewiß nicht berührt haben würde. – Gewisse Menschen machen zwar 35 dagegen den Einwurf, daß man doch nicht die Blößen des Staats aufdecken müsse. Allein dies sagen sie nur aus Schwäche oder Bosheit, auch aus Blödsinn vielleicht. Die Blößen bestehen eigentlich nur darin, wenn man aus Furcht oder aus Vorsatz die Vergehungen und Thatsachen nicht zur Wissenschaft des Throns bringt; und dann wie wenn die Kontrolle – – – Doch hiervon zu einer andern Zeit. – – – **) Er machte kleine Tagereisen und schützte Krankheit vor mit der kleinen Idee im Hinterhalt, 40 die Katastrophe abzuwarten.

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er hatte aber die Kraft über sich selbst, die Ausführung seiner Pläne, bis zur gelegneren Zeit aufzuschieben und solche gehörig vorzubereiten. Haugwitz reisete mit einer großen Genügsamkeit von Wien ab und er vermogte daher nicht über sich, bei dem steten Lobe über Napoleon, auf eine sehr versteckte Art seine eigne eingebildete Größe auszuposaunen. Die kluge Herablassung des Kaisers und das Benehmen des scharfsichtigen Talleyrand*) hatten Haugwitz so verstrikt, daß er anfing sich selbst jetzt mehr als sonst zuzutrauen. – Sein einziges Bestreben ging nun dahin, die Allianz zwischen Frankreich und Preußen abzuschließen und völlig ins Reine zu bringen. Dem Minister entschlüpfte indeß doch manches; so z. B. beengte er, nach seinem Dünkel, die Absicht des Kaisers, als käme es demselben nur darauf an, den östreichschen Einfluß ins deutsche Reich zu zerstöhren; und da Haugwitz selbst nur mit der kleinlichen Idee eines Unterschiedes zwischen Süd= und Norddeutschland umging, so fiel es ihm gar nicht ein, daß Napoleon kein Mann sei, der sich mit einer so kleinen Absicht begnügte; und was den Minister in noch größere politische Fehler stürzte, war dies, daß er sich zutrauete, alles bei dem Kaiser bewirken zu können. Dies äußerte er zwar nicht geradezu, denn dazu war er doch zu klug; allein aus seinem Benehmen ging hinreichend hervor, daß er – ungeachtet er sich beim König und andern sehr bescheiden hierüber äußerte, – dennoch im Innern seines Herzens zuversichtlich glaubte, ihm könne das Gelingen durchaus nicht fehlschlagen; und diesemnach reisete er mit einer außerordentlichen Zufriedenheit und völligem Selbstvertrauen, nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin, nach Paris. Die eigentlichen Schwierigkeiten der projektirten Allianz mit Frankreich waren folgende: Frankreich wollte, wenigstens damals, von keinen Bedingungen in Hinsicht der Besitznahme von Hannover, und der Sperrung der Häfen von Hamburg und Bremen, etwas wissen, so wenig als in Hinsicht der drei im Kleveschen eingeschlossenen Abteien; und endlich verlangte es einen Of- und Defensiv-Traktat. – Haugwitz sah bald, daß sein Einfluß nicht so beträchtlich war, als er sich einbildete. In Berlin hatte die Gegenpartei von Frankreich ganz die Oberhand. Haugwitz schickte den Markis de Lucchesini nach Berlin, um den König zur Einwilligung der von Frankreich gleichsam vorgeschriebenen Bedingungen zu überreden, welches diesem auch glückte. Lucchesini ging nach Paris zurück, und da sich dort noch feinere Menschen fanden, als er, so fiel er in die Falle, und machte solche fürch 

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*) Ich getraue mir nicht, diesen Mann gehörig zu karakterisiren; und ich bemerke bloß, daß seine Art sich auszudrücken, ein Meisterstück von Kürze ist. Ungern giebt er mehr als zwei Worte und 40 selten dreisilbige.

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terliche Berichte, daß die Anti-Französische Partei Oberwasser bekam, und sogar die Gutgesinnten zu schwanken anfingen. Man hörte die wohldenkendsten Männer und Krieger sagen: „Wenn wir doch einmal untergehen sollen, so wollen wir wenigstens mit dem Degen in der Faust sterben.“ Ich machte auf diese Deklamation die Bemerkung: „Dies mag wohl löblich und belohnend für euren unsterblichen Ruhm sein; allein ist dem Könige und dem Staat damit geholfen?“ Auch der Minister von Schulenburg reiste nach Hannover, um dieses Land zu organisiren. Den Tag vor seiner Abreise mußte ich wegen einer gewissen Sache mich zu ihm verfügen. Er fertigte mich mit folgenden Worten ab: „Von heute an gebe ich mich nicht mehr mit Civilsachen ab; und ich bin nur General.“ N.B. Man gab ihm das Kommando über die Truppen im Hannöverschen Was zwischen ihm und dem General Blücher vorgefallen, ist weltkundig. Es war auch letzterem nicht zu verdenken, sich nicht von jemanden befehlen zu lassen, der den Militairdienst als Lieutenant verlassen hatte. Die Hannöverschen Unterthanen behandelten ihn ein wenig zu gerade. Als er einst ein großes Diner veranstaltete, so wollten die schlichten Hannoveraner nicht so geschmeidig sein, sich einzufinden; dagegen sie, als sie den biedern Marschall Bernadotte kennen lernten, sich nicht zweimal bitten ließen; und in diesem Betragen ist nichts auffallendes. Der Marschall, jetzt Prinz von Ponte Corvo, ist ein offner freimüthiger Mann, der allen Argwohn, selbst den Verdacht zu vermeiden weiß. Diese Tugend besitzt der Minister Schulenburg nicht. Ein Minister von der geheimen Policey sollte sichs zur Hauptpflicht machen, Achtung zu erwerben, und allen Vedacht vermeiden. Ganz anders dachte und benahm sich ein gewisser Minister. Dieser war jemandem 6000 Rthlr. schuldig. Er nahm seinen Abschied. Der Inhaber dieses Wechsels, dem der Minister große Gefälligkeit erzeigt und vieles hatte gewinnen lassen, brachte ihm den Wechsel mit den Worten: „Ihre Schuld ist bezahlt.“ Nein, erwiderte der Minister, dafür sey Gott! Es könnte andere verleiten, wenn sie das erfahren, durch die Finger zu sehen, in der Hofnung, daß, wenn sie den Abschied nehmen, man sich gegen sie erkenntlich dafür bezeigen werde. – – – – So, und nicht anders, muß ein Minister handeln. – – – – – Zu dieser Zeit entstand eine Begebenheit, die auf mein Schicksal wirkte. In den wenigen Tagen des hiesigen Aufenthalts des Markis de Lucchesini wurden häufige Konferenzen beim Könige gehalten, wozu sonst niemand Zutritt hatte, als der Minister von Hardenberg, der Markis de Lucchesini, der General Köckritz und der Geh. Rath Lombard. Diese waren mithin einzig und allein in die Geheimnisse eingeweiht. Selbst der Feldmarschall von Möllendorf erfuhr nichts von ihren Verabredungen.

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Ich fordere alle diese Herren auf, anzugeben, ob ich zu dieser Zeit einen einzigen von ihnen mit Augen gesehen, noch viel weniger gesprochen habe. Ich entfernte mich auch von selbst aus einer sehr gegründeten Ursache von ihnen, während der Anwesenheit des M. de Lucchesini, weil ich wußte, daß dieser kein Verauen zu mir hatte, aus dem natürlichen Grunde, weil er ebenfalls gar wohl wußte, daß ich ihm in Hinsicht meiner nicht traute. Demungeachtet argwöhnte man feindseligerweise bei dem Minister v. Hardenberg und v. Schulenburg, daß eine gewisse Sache, wovon ich bis jetzt nicht weiß welche, die angeblich in jenen Konferenzen behandelt worden, dem Laforest zu Ohren gekommen sein solle, und man machte den falschen Schluß, daß dieser Mann es von keinem andern, als von mir habe erfahren können. – Wenn dieser Gegenstand irgend eine Aufklärung verdiente, so könnte ich wohl auf die Spur helfen, wie Laforest manches erfahren, was gerade nicht nöthig war ihm wissen zu lassen. – – – Ich kann aber, bei allem was heilig ist, versichern, daß mir damals von allem was in den erwähnten Konferenzen vorging, nicht das geringste bekannt war. – Demungeachtet kam ein Kabinetsschreiben an den Stadtpräsidenten Büsching, mir im Namen des Königs anzubefehlen, allen Umgang mit Gesandten bei Ahndung zu vermeiden. Gedachter Präsident fügte hinzu: „ich soll ihnen sagen, daß dieser Befehl nur darum geschieht, weil Sie den französischen Gesandten frequentiren; Sie werden aber nicht sagen, daß es Ihnen verboten ist.“ Ich fordre alle hiesige Gesandten sammt und sonders auf, zu erklären, ob ich seit dieser Zeit ihre Schwellen betreten, und die geringste Konnexion mittelbar oder unmittelbar Statt gefunden habe. – Da ich in der Folge auf diesen Gegenstand wieder zurückkomme werde, so will ich mich jetzt nicht weiter dabei aufhalten. Späterhin wurde bekannt, daß nach langen Debatten Preußischer seits alles angenommen, wie Frankreich es verlangte und eine förmliche Allianz abgeschlossen sei. In Hinsicht der drei im Kleveschen eingeschlossenen Abteien wollte man sich in Güte vergleichen. – Mit dieser Allianz reisete Lucchesini wieder nach Paris, worauf Haugwitz nach Berlin zurückkam. Gleich bei der ersten Unterredung, die ich mit demselben hatte, zumal als ich diese auf Napoleon lenkte, bemerkte ich, daß sein Mund zum Lobe desselben nicht mehr so voll genommen wurde. – Er war kaum hier angekommen, so beklagten sich die Minister Stein, Schrötter und Angern bei demselben wegen der von England den Preußischen Unterthanen gekaperten Schiffe. – Haugwitz antwortete diesen Ministern blos durch die Mittheilung der Abschrift eines Briefes von ihm aus Paris an den König, worin er antrug, daß hier eben die Verfügung, wie in den französischen Häfen, getroffen werden möchte, nemlich die Verhinderung des Auslaufens der Schiffe.

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Bei dieser Gelegenheit äußerte sich der Minister gegen mich auf eine solche Art und so bestimmt, daß ich sein ganzes damals angenommenes System untrüglich und evident daraus abnehmen konnte. Allein ungeachtet jetzt, da ich dies schreibe, die Mittheilung seiner Aeußerung für die Lage Preußens ganz gleichgültig sein kann, indem sie weder schlechter noch besser dadurch werden würde: so halte ich es doch für gewissenhaft, das mir damals von ihm anvertraute, wenigstens vor jetzt, nicht zu entdecken. Sobald aber alles in seinem vorigen Geleise durch einen erwünschten Frieden wieder hergestellt sein wird, werde ich solches vielleicht dem Publikum mittheilen. So viel ist gewiß, daß durch das auffallende Benehmen dieses Ministers in Verbindung der mit den Engländern häufig gepflogenen Unterhandlungen es niemanden und am wenigsten einem Talleyrand entgehen konnte, daß Haugwitz den abgerissenen Faden mit England wieder anzuknüpfen suchte. Die Abneigung gegen Frankreich nahm bei demselben täglich zu, und, wie gesagt, es konnte dem französischen Kabinet gar nicht entgehen, von dieser Veränderung sich augenscheinlich zu überzeugen. Das Nachgeben Preußens gegen Schweden, die entfallenen Aeußerungen eines Stakelbergs, und der Aufschub der Engländer, die preußischen Prisen nicht zu verkaufen, waren hinlängliche Beweise des veränderten Systems. – Der Hauptgrund dieser veränderten Umstände lag, ich möchte fast sagen, größtentheils mit darin, daß der Minister v. Haugwitz sich in seiner Eigenliebe getäuscht fand, indem seine letzte Unterhandlung in Paris nicht den ihm erwünschten Ausgang nahm. Er wußte diese seine Selbstbeleidigung so künstlich zu verbergen, daß es leider allen denjenigen entgangen ist, bei welchen es nothwendiger als bei mir gewesen wäre, solches zu bemerken. Besonders begann der Hader wegen der drei im Kleveschen eingeschlossenen Abteien. Er äußerte sich darüber eines Tages sehr auffalend gegen mich, als ich ihm sagte: „ich kann mich nicht überreden, daß die jetzigen Ursachen, sich einem Kriege mit Frankreich auszusetzen, erheblicher sind, als die im vorigen Jahre.“ Hierauf erwiederte er: „da reden Sie wieder so etwas in den Tag hinein; heute will man – auf die Knöpfe seines Kleides zeigend – diesen Knopf haben, morgen den zweiten, und übermorgen den dritten.“ Ich erwiderte ihm darauf, es sind auch wirklich nur Knöpfe, und zwar solche, die nur zum Ueberfluß paradiren, und, noch dazu den Schaden mit sich führen, daß man bei Gelegenheit daran hängen bleiben kann.“ Da er indeß, wo er keine Schonung nöthig hat, leicht aufzubringen ist, so setzte ich bescheiden hinzu: „ich belehre mich jedoch gern, daß Ew. Excellenz es besser verstehen müssen. Durch Rußlands Vermittelung wurde Schwedischer Seits die Blokade der Preußischen Häfen aufgehoben. Haugwitz sagte mir, er hätte diesen Vorfall der Kaufmannschaft kund gemacht, mit dem Beifügen, daß dieselbe jetzt die Freiheit habe, ihre Schiffe auslaufen zu lassen. Ich sagte dazu blos das einsylbige Wort: so! – welches ihm auffiel, mit der Bemerkung: „Das stimmt wohl nicht mit Ihrer Weisheit

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überein.“ Ich erwiderte lächelnd; „Da Ew. Exzellenz ein großer Verehrer der Logik sind, so erlauben Dieselben mir folgendes Dilemma: – „Sind Sie nicht fest überführt, daß die Engländer fernerhin die Preußischen Schiffe nicht mehr wegnehmen werden – denn auf bloßes mündliches Versprechen kann man sich mit den Engländern nicht einlassen – so ist das Auslaufen viel gewagt. Sollten aber dieselben solche wirklich nicht nehmen, so muß dies den größten Argwohn bei den Franzosen erwecken.“ Diese meine Bemerkung machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß ich den größten Verdruß darüber in seinen Gesichtszügen wahrnahm, und er gab mir die schöne Antwort: „Wir sind schon zu sehr in der Zeit fortgeschritten, jetzt hemmt sich bereits die Schifffahrt.“ Ich hatte die Unbesonnenheit, ihm gleich darauf zu erwidern: Diesemnach hätte auch die Erlaubniß des Auslaufens unterbleiben können. Leider haben die Franzosen es deutlich genug zu erkennen gegeben, daß dies zweideutige Benehmen ihnen nicht entgangen ist.“ Da ich bereits angemerkt habe, daß die gekränkte Eigenliebe des Ministers vorzüglich mit im Spiel war, so brachte doch ein Zufall eine augenblickliche Veränderung bei demselben hervor, und sein scharfer Blick wurde vom französischen Kabinet wenigstens diesmal, wie man deutlich sehen wird, geblendet. Es fiel dem Minister nicht ein, daß der Kaiser Napoleon sich als Protektor des deutschen Bundes in seiner ganzen Ausdehnung, wie es wirklich geschah, im Ernst aufstellen würde. – Dieser bekannte Vorfall mit der süddeutschländischen Konförderation wurde sowohl von Lucchesini als von Laforest, dem hiesigen Kabinet mit dem Beifügen mitgetheilt, daß auch Preußen im Norden eine ähnliche Konförderation verrichten könne. – Dies erzählte der Minister mir mit einer besonderen Behaglichkeit; denn er glaubte dadurch seine gescheiterte Allmacht wieder herzustellen. – Ich sagte ihm: ich verstehe von allen dem nichts. Das französische Kabinet thut nichts ohne Absicht; hat denn dasselbe bereits den allgemeinen Ausdruck einer nordischen Konföderation bestimmt und gegen wen soll dieselbe statt finden? Man ist doch gewiß nicht Willens eine nordische Konföderation gegen die südliche aufzustellen. – Ueber diese meine Bemerkung wurde Haugwitz äußerst aufgebracht; doch lächelte er dabei; welches mir eine innige Freude schien, daß das Französische Kabinet einen Mißgriff gethan hätte. Diese nordische Konföderation wurde von dem Minister von Haugwitz mit einem heißhungrigen Appetit betrieben, und, ungeachtet er bald darauf den Vorgang vom französischen Gesandten am Kurfürstl. Hessischen Hofe, Herrn Bignon, vernahm, so kam er doch noch nicht von seinem Irthum zurück. Bignon war Geschäftsträger in Berlin. – Er besitzt viel Talent, und hat nicht nur Kenntnisse, sondern auch einen klaren, scharfen Blick, und eine leichte Fassungskraft. Er hat einen deutlichen angenehmen Vortrag, ohne pedantisch zu sein und, was noch lobenswerther ist, er ist seiner selbst Meister und außer-

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ordentlich arbeitsam*). Dieser Mann drang in den Kurfürst von Hessen-Kassel, der südlichen Konföderation beizutreten. Haugwitz war deshalb über den Herrn Bignon äußerst aufgebracht, und so verblendet, daß er fest glaubte, die Aeußerung des Mannes sei selbst wider den Willen des Kaisers; indem er sagte: „Dieser Mann 5 wird schlecht bei Napoleon wegkommen!“ Ich konnte mich aber nicht enthalten im zu erwidern, ich kenne Bignon, er handelt nicht übereilt. Jeder spielt sein Spiel; Gott gebe, daß ich Unrecht haben möge! Haugwitz wollte sich aber von seinen einmal gefaßten Lieblingsideen nicht abbringen lassen, und betrieb die Nordische Konföderation mit allem nur möglichen Feuer. 10 Dieser Minister glaubte fest und sicher, wenigstens zu dieser Zeit, daß es Frankreich ein Ernst mit der nordischen Konföderation sei, und Preußen nur standhaft bleiben und die Zähne zeigen müsse; welches hinlänglich sein würde, Napoleon von starken Schritten abzuhalten. Was den Minister zu diesem Irrthum verleitet haben mag, war und ist mir noch bis jetzt ein Räthsel. Der M. de Lucchesini berichte15

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*) 1808 bekam derselbe den Posten eines General Intendanten der Mittelmark. Er hatte die Befugniß, Lieferungskontraite zu annulliren und zu genehmigen; ein Auftrag, der in einem Jahre jemand zu einem reichen Mann machen kann. Dies Geschäft war ihm aber so widrig, daß er alles anwandte, um sich davon loszumachen. Gewiß ein seltener Zug. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit zwei nicht bekannte Anekdoten mitzutheilen. In dem ersten Schlesischen Kriege wurde ein Kommissarious bei dem damals kommandirenden Fürsten von Dessau wegen begangener großen Verbrechen angeklagt. Der Auditeur machte den Bericht: „es wäre zwar kein Zweifel, daß der Kommissarius die Verbrechen begangen hätte; allein aktive Beweise wären nicht vorhanden. Der Fürst fragte: „Wie lange ist er Kommissarius?“ Der Auditeur erwiderte: „zehn Jahr.“ „Gut,“ sagte der Fürst: „ein Kommissarius, der 10 Jahr Kommissarius ist, qualifizirt sich zum Galgen.“ Er ließ ihn auch wirklich aufknüpfen. Das Besondere dabei ist, daß aus den Akten wirklich hervorging, daß derselbe den Strick verdient hatte. Friedrich nahm aber das Ding ganz anders. In einem ernstlichen Schreiben an den Fürsten sagte er: „Ich verbitte mir in Zukunft, die Untersuchungen nach der Exekution anstellen zu lassen.“ Friedrich rügte das Benehmen des Fürsten nicht seiner günstigeren Meinung wegen, sondern er beobachtete streng die Form. Er pflegte zu sagen: „mit der heiligen Justiz muß man nicht spaßen.“ – Im ganzen genommen verachtete er die Menschen. Wie sehr schaden sich aber die Großen, wenn sie solches äußern. Der Verachtete achtet nichts. Folgende Anekdote beweiset, daß man nicht im allgmeinen von einer Klasse Menschen urtheilen müsse. Der Generallieutenant Rohdich äußerte sich gegen Friedrich, als die Rede von Kommissarien war, daß er einen gekannt, der sich auch nicht einen Pfennig unrechtmäßig angemaßt hätte. Wie? sagte Friedrich, daß ist unmöglich; er stand an der Krippe, und soll nicht mit gefressen haben? Herr, sei er nicht ein solcher Narre, und glaube er so etwas. Rohdich aber blieb bei seiner Aeußerung, und fügte bei einer andern Gelgenheit noch hinzu: „der qu. Mann wäre in der äußersten Noth.“ Diese Sache fiel dem König doch auf, und Er ertheilte andern den Auftrag, sich genau nach allem zu erkundigen. Alle Berichte der außerordentlichen Moralität dieses Mannes bestätigten sich, worauf der König dem Rohdich zu sich rufen ließ, um ihm befahl, zu dem Kommissarius zu gehen, um ihm zu hinterbringen, daß der König ihm eine Pension von 300 Thaler ausgesetzt hätte. Dieser göttliche Mann war auch im Kleinen groß.

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te endlich wiederholentlich das Gegentheil, und die Nachrichten bestätigten sich auch, daß die französischen Truppen in Deutschland anstatt sich zu vermindern, sich im Gegentheil daselbst und am linken Rheinufer immer mehr verstärkten. Nun kam alles in Bewegung und kein zur Sühne führender Gedanke fand mehr Gehör. Man machte schon kein Geheimniß mehr von den emsigen Unterhandlungen mit England. Vergebens wandte ich alle ersinnliche Vorstellungen an, den Minister von diesen höchst gefährlichen Maaßregeln abzubringen. Ich fragte ihn einst, ob er noch wohl glaubte, daß der Krieg Statt finden würde, und er beantwortete mir solches mit einem festen und bestimmten Nein! – Ich wußte aber das Gegentheil, sagte indeß: desto besser; indem es nicht allein unmöglich sei, etwas dabei zu gewinnen, sondern auch selbst, wenn Preußen den Franzosen im Angriff zuvorkommen sollte, so würde dies doch nur eine kurze Freude sein. Und was ist gewonnen, wenn wir nach drei Schlachten bis an den Rhein vorrücken? wie stand es mit den Franzosen vor der Schlacht bei Zürich? – – – Er ließ mich, wider seine Gewohnheit, ohne mich zu unterbrechen, weiter reden, und ich fuhr fort: Sind denn Ew. Exzellenz von dem glücklichen Erfolg unsrer Waffen so fest und sicher überführt? Sachverständige und redliche im Kriege grau gewordene Männer sind leider nicht ganz dieser sichern guten Meinung. – Es war dem Minister nich schwer zu errathen, wen ich damit meinte, und da Er diesen Mann nicht liebte, wovon die Ursache in der Folge zu ersehen sein wird, so hatte er Macht genug über sich, an sich zu halten, und ich konnte weiter reden: „Die Lage Ew. Exzellenz ist sehr kritisch; sollten wir glückliche Fortschritte machen, so werden Ihre Feunde sagen: was wären nicht erst die Folgen gewesen, wenn man gleich im vorigen Jahre angebunden hätte? denn da hatten wir 50 000 Russen an Ort und Stelle zu unsrer Disposition. Sollt es aber mislingen, wofür Gott bewahre; so werden Ihre Feinde Ihnen den schlechten Fortgang zuschreiben und sagen: im vorigen Jahre wäre es nicht so gekommen, denn wir hätten zu der Zeit 50 000 Russen gehabt.“ – Nun kam Er in Harnisch, und sagte aufgebracht: – Ich sch ... was auf alle die so was sagen.“ – Ich erwiderte leise: „vielleicht stinkt eines Ministers Sch ... nicht.“ – Er wußte, daß ich bei dem Hrn. Feldmarschall von Möllendorf in einiger Achtung stand, und daß ich denselben fast täglich anspornte, sein Ansehen und das ihm gebührende Vertrauen dahin zu verwenden, um diesen höchst mißlichen Krieg zu verhindern. – Er wußte auch, daß dieser würdige Greis keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, dem König, der auch den Krieg weder gewollt noch gewünscht hat, alle mögliche Gründe vorzustellen um keinen so schweren Kampf zu beginnen.

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Von dieser Zeit an begann Haugwitz mich aufs Korn zu nehmen. – Eines Tages sagte er gleichsam von ohngefähr mitten im Diskurs: „Ich habe Laforest in acht Tagen nicht gesprochen; was sagt er denn zu allen unsern Rüstungen und Anstalten?“ – Ich erwiderte wie natürlich: „Woher soll ich das wissen? Sie selbst haben 40

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mir ja vor 14 Tagen auch verboten diesen Mann zu frequentiren;“ und erst als ich von Haugwitz weggegangen war, fiel mir die Frage auf. – Ich äußerte einigemal gegen den Minister, was denn wohl die Ursache Napoleons sein könnte, einen Krieg anzuzetteln: blos um den Grosherzog von Berg drei elende Abteien zu verschaffen? Das ist doch wohl der Mühe nicht werth. Gewiß werden Ew. Exzellenz am besten die wahren Ursachen davon angeben können. Er erwiderte: dieser hat seine eignen Wege, die sich nicht so leicht ergründen lassen. – Ich dachte: aber die Deinigen. – Die Unterhandlungen Oubrils in Paris intriguirten den Minister am meisten, und überhaupt war es seine Gewohnheit, auf allen Hochzeiten tanzen zu wollen. Er sagte mir deshalb mit Heiterkeit Rußland wird die Friedensbedingungen nicht genehmigen. Er war fest entschlossen mit Frankreich anzubinden, und so wie sein Gang in auswärtigen Unterhandlungen war, eben so waren auch seine Rathschlüsse und Aeußerungen im Kabinet selbst; nemlich er hatte stets, wie das Orakel zu Delphi, die Hinterthür offen, und darin ist er gewiß stark. Seine Antworten und Reden waren beständig so abgefaßt, daß er immer Recht haben mußte. – Der Markis de Lucchesini war bis auf eine gewisse Epoche, stets für die Erhaltung des Friedens mit Frankreich. Aber auf einmal fing er an Lärm zu schlagen. – Er wiederholte und warnte, daß Frankreich nicht aufrichtig zu Werke ginge, indem es, statt die Truppen in Deutschland zu vermindern, starke Armeen nach dem linken Rheinufer marschiren ließe. Daß Frankreich stets die Wiederherstellung des polnischen Reichs beabsichtigte, kann diesen Ministern nicht entgangen sein; zumal Laforest sich mehrmals sogar gegen mich äußerte, wie sehr es Preußens Interesse sei, die polnische Republik wieder herzustellen. Ich erwiderte demselben: „das Preußische Kabinet kennt sein Interesse. Wahrscheinlich mag Frankreich sich nach der Nichtgenehmigung des russischen Friedens etwas stärker darüber geäußert haben, und da Lucchesini merkte und glaubte, daß der Kaiser dies Unternehmen nicht aufgeben würde, so hetzte er Preußen auf. Erst jetzt schien es mir ganz evident möglich, daß ein Krieg zwischen Frankreich und Preußen Statt haben könnte; und muß dabei eine Episode einrücken, die mich selbst betrift. – Da das System, mit Frankreich stets in Friede und Eintracht zu leben, unstreitig das heilsamste war, so suchte ich auch bei jeder Gelegenheit, mündlich und schriftlich, mittelbar und unmittelbar, diese friedlichen Gesinnungen zu äußern, nemlich, daß Preußens Glück und Wohlfahrt blos auf diesem System beruhe. Der hochsel. Herzog von Braunschweig nahm sich meiner aufs äußerste an, und drang darauf, mich für meine geleisteten Dienste und Aufopferungen einigermaßen zu entschädigen, indem solche sich über 26 000 Thaler beliefen; den Schaden ungerechnet, den ich durch Versäumung meiner hiesigen Geschäfte und durch die höchst ungerechte Aufhebung meines Lieferungs-Kon 

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trakts erlitten hatte. Der König assignirte mir deshalb dreitausend Thaler auf die Dispositionskasse; eine Summe, die ich gewiß nicht aus der Ursache erhalten habe, weil ich den Krieg zu befördern gestimmt war. Ich wurde vielmehr dadurch um so eifriger angespornt, mit Aufopferung meiner selbst alles anzuwenden, um diesen unglücklichen Entschluß abzuhalten. Ich äußerte mich gegen den Minister von Haugwitz und gegen alle, die so sehr auf den Krieg drangen, mit diesen Worten: „Wie kann eine so gute, tugendhafte und verständige Dame wie die Königin, so sehr für den Krieg sein? Die Möglichkeit des Unglücks – denn wer kennt nicht das wandelbare Kriegsglück – sollte doch billig der guten Königin begreiflich machen, daß sie ebenfalls genöthigt sein könnte, nach Königsberg zu gehen, wie die Kaiserin von Oestreich nach Teschen. Ferner, der Hr. Oberst von Kleist, ein Zögling des erfahrnen Möllendorfs, sollte doch aus Vernunft und Erkenntlichkeit mehr Vertrauen in die militairischen Kenntnisse dieses alten Veteranen setzen, der die Kraft des jetzt bestehenden Preußischen Heeres, in Hinsicht der Französischen Armee, die die Ausübung eines 14 jährigen ununterbrochenen Krieges vor sich hat ... gewiß zu berechnen im Stande ist, und den Einsichten dieses Greises mehr als den seinigen zutrauen. Ueber diese Aeußerung ward der Minister wüthend, und sagte: „er riethe mir, mich dergleichen zu enthalten,“ und dennoch sagte er selbst: „ich glaube auch nicht, daß der Krieg Statt haben werde. – Erst im Januar 1807, erfuhr ich das Kleinliche dieses falschen Zutrauens. Er wünschte, daß ich dies ausbringen sollte, welches auch von mir geschah – damit Bernadotte es nicht wagen möchte, Sachsen zu besetzen. Kann man sich wohl kleinlichere Absichten erdenken? – Konnte man denn nicht einsehen, daß die Preußische Armee nach ihrer relativen Stärke und ihrer innern Verfassung nicht eben so gut bei Frankfurth am Main als bei Jena geschlagen werden würde. Die Ursachen a posteriori der etwanigen Niederlage unserer Armee bei Frankfurth am Main würden eben so wenig Trost und Hofnung gebracht haben, als die Ursachen die man jetzt weiß, warum wir die Niederlage bei Jena erlitten haben. – Kämpfer mit allen seinen gelehrten Abhandungen über den Bau eines Schuhes wird doch keinen einzigen Schuh so gut machen können, als ein Schuhmacher, der sein ganzes Leben damit zugebracht hat. Abhärtung und Erfahrung überwiegt alles. Ohne das Intellektuelle der Kriegskunst der Franzosen zu erwehnen, hätte man nur bedenken müssen, daß diese, funfzehen Jahre lang, nicht gegen Türken, sondern gegen die kriegerischsten Völker von Europa in Krieg verwickelt waren. Mein Glaube an Frieden wurde täglich schwächer; ich wollte demnach einen andern Weg einschlagen und den Minister von Haugwitz so viel möglich zu überführen suchen, daß unsre Armee, wegen gewisser Umstände sich nicht dazu eigne mit Frankreich anzubinden. Da ich aber in diesem Fache keinen Glauben verlangen konnte; so wünschte ich eine öftere Unterredung zwischen Haugwitz und dem würdigen Feldmarschall von Möllendorf. – Ich äußerte einst dreist, es sei nicht hinläng-

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lich, daß ein Minister der auswärtigen Angelgenheiten sich bloß mit politischen Gegenständen befasse, er müsse auch von dem Bestande und der Hinlänglichkeit der Finanzen und noch mehr von den innern Kräften der Armee überführt sein. Dies Letztere könnte er nur mit Gewißheit von dem Feldmarschall von Möllendorf erfahren. Ich wünschte zwischen beiden Männern das gegenseitige Vertrauen wieder herzustellen. Die Ursachen aber, warum es nicht gelang, habe ich erst späterhin erfahren, worüber ich noch zu sprechen Gelegenheit haben werde. Der Feldmarschall v. Möllendorf hat stets seine Meinung über einige von denen, die zu Anführern der Preußischen Heere bestimmt wurden, geäußert. Von den noch Lebenden will ich seine Gedanken nicht offenbaren, weil es mir als Verläumdung oder Schmeichelei ausgelegt werden kann; wohl aber von denen, die nicht mehr da sind. Er rühmte den gebliebenen General v. Schmettau und zitterte vor dem jugendlichen Feuer des vielversprechenden Prinzen Louis Ferdinand. Der Minister Haugwitz beging unverzeihliche Fehler. Unter den Bedingungen, die er Frankreich gleichsam vorschreiben wollte, war die auffalendste die, daß die französischen Truppen sogar Süddeutschland verlassen sollten – Ist es wohl zu glauben, daß einem Minister nur der Gedanke einfallen konnte, einem zu befehlen gewohnten Sieger und Chef des südlichen Deutschlands – den Preußen hatte damals schon die Protektorstelle des Kaisers Napoleon über Süddeutschland eingeräumt – die peremtorische Zurückziehung seiner Truppen aus den Ländern seiner Alliirten, zur ersten Bedingung zu machen? da doch diese Alliirten es selbst nicht verlangten. Die von Frankreich darauf ertheilte Antwort war anscheinend mäßig; denn man erboth sich, die Truppen aus dem nördlichen Deutschland zurückzuziehen. Die Ursache dieser ungewöhnlichen Nachgiebigkeit hatte gewiß ihre Absicht, gerechte oder ungerechte, kann ich nicht beurtheilen. Napoleon beabsichtigte damals die Erlangung der drei qu. Abteien für den Großherzog von Berg und die Abtretung der bis an der Weser gelegenen Preußischen Länder, wofür eine anderweitige Entschädigung angeboten wurde. Freilich ging dies auf Kosten anderer, wozu kein Recht vorhanden war; auch befürchtete Preußen, daß durch Zueignung solcher Länder wie Meklenburg rc., die Absichten nur dahin gingen, es mit Rußland zu entzweien. Es liegt auch nicht in dem Karakter des Königs, fremdes Eigenthum ohne Veranlassung sich zuzueignen; auch waren Frankreichs Feinde nicht die seinigen. Da überdies Frankreich in den mit England gepflogenen Unterhandlungen sich geneigt zeigte, demselben Hannover wieder zurückzugeben, – wenigstens hat England davon kein Geheimniß gemacht – so nahm das Mißtrauen täglich zu, und Preußens Unterhandlungen mit Rußland und England wurden umso emsiger vom Minister Haugwitz betrieben. In wie weit der Verdacht der Englischen Insinuationen gegründet sein mochte, will ich dahin gestellt lassen. Allein gesetzt, Frankreich hätte wirklich die Absicht

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gehabt, Hannover an England zurück zu geben, so war in diesem Falle der Minister Haugwitz eines Theils mit Schuld, weil er durch das zweideutige Benehmen gegen Schweden und die angeknüpfte Unterhandlung mit England den Verdacht Frankreichs gegen Preußen erweckte und vermehrte. – Ich will nicht entscheiden, auf welcher Seite das mehrere Recht sich hinneigen mochte; allein so viel bleibt ausgemacht, daß Haugwitz darin einen Fehler beging, daß er Preußens Absichten zu frühzeitig aufdeckte. – Machte doch Preußen Rußland den Vorwurf, daß es die Schlacht bei Austerlitz zu frühzeitig wagte, nemlich vor dem 12ten Dezember, ehe noch alle Preußische Truppen an Ort und Stelle haben eintreffen können. Wie leicht war es nicht für Preußen, durch unterschiedene diplomatische Wendungen, in welchen der Minsiter von Haugwitz sonst so gewandt ist, den Ausbruch des jetzigen Krieges zu verschieben, bis die von Rußland versprochenen hunderttausende Truppen näher gewesen wären? – Wäre es denn ein so großes Unglück für Preußen gewesen, den Ausbruch des Krieges aufzuhalten, wenn man sich vielmehr entschloß, jene drei elende Abteien aufzuopfern und abzutreten, um dadurch Frankreich allen Vorwand zu benehmen und dasselbe glauben zu machen, daß Preußen sich blos durch Unterhandlungen zu allem bequemen würde. Allein die kalte Vernunft war leider nicht mehr bei dem Minister an der Tagesordnung. So bestätigt auch die Erfahrung, daß, sobald ein Minister in zweideutige Unterhandlungen verfällt, es von beiden Seiten auf politische Belistung angesehen wird. – Wie leicht wäre es nicht gwesen, England zu einer Subsidie von 20 Millionen Thaler an Preußen zu vermögen; die gerechte Maxime, man muß seine Unterthanen nicht verkaufen, findet hier nicht Statt; denn der Krieg war doch beschlossen; – und bloßes Versprechen von Schadloshaltung war lächerlich. – Dadurch hätte man der mißlichen Kreirung der Tresorscheine überhoben sein können, womit leider die Einwohner jetzt, 1808, so sehr geplagt sind; indem jene Scheine bereits an 35 Prozent verlieren, und bei fortdauerndem Elende noch mehr sinken können, welches alles ich bereits in der 1805 von mir herausgegebenen Schrift „Ueber Geldumlauf und Papiergeld,“ genugsam vorausgesagt und dafür gewarnt habe. Daß ich meine Besorgnisse hierüber in gedachter Schrift in einer erdichteten Unterredung zwischen dem Minister Walpole und dem Bankdirektor Hutchinson versteckt habe, war wohl zu verzeihen. Ich wollte der Regierung nur einen Wink geben, ohne ihr im geringsten anmaßend vorzugreifen. Der Minister von Haugwitz hat in seinen Unterhandlungen stets so viele Rücksichten und Besorgnisse geäußert, daß er am Ende dadurch fast für gar nichts mehr sorgte. Gesetzt aber auch die Besorgniß, daß Frankreich das Prävenire spielen würde, wäre gegründet gewesen, so glaube ich dennoch, daß der Preußische Einmarsch in Sachsen, den Frankreich als die Losung zum Kriege ansah, übereilt war. – Einer minder starken Macht geziemt es eher, verzögernd zu verfahren; und in diesem Falle hätte der Minister auf die Erfahrung und Kriegskenntniß des Feld-

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marschalls v. Möllendorf Rücksicht nehmen sollen. Dieser wollte, die Armee sollte bei Bunzlau stehen bleiben. Allein auch hier wollte man Künste machen, und der Prinz von Hohenlohe wollte zeigen, daß die Preußischen Truppen mit ihrer schweren Ekipirung und mit Zelten beladen, eben so schnell marschiren könnten, als die Franzosen. Es wurden alle Künste angewandt, den guten König, der so sehr gegen den Krieg war, dazu zu bewegen. Der Minister Haugwitz sagte endlich mir mit dürren Worten: „Ich habe dem Laforest gesagt, daß die Maaßregeln gegen Frankreich lediglich auf mein Anrathen genommen wären.“ Jetzt aber hörte ich von glaubhaften Männern, daß derselbe an Laforest das Gegentheil gesagt haben soll, nehmlich: – „Es ist meine Schuld nicht; der Oberst Kleist betreibt so sehr den Krieg.“ Diese listigen Wendungen sind dem Grafen Haugwitz ganz eigen. Noch bevor der Minister Haugwitz zur Armee abreisete, ging man schon mit der Ausarbeitung eines Manifestes schwanger. Eines Tages fand ich ihn von Arbeit abgeäschert, und in Gemüthsbewegung. Der Faden der Underredung lenkte auf die Beschwerden gegen Frankreich, wobei er mich fragte: „Müssen Sie nicht gestehen, daß alle Beschwerden wahr sind?“ Ich erwiderte: desto schlimmer! Der Mächtigere, der seine Absichten ausführen will, entrüstet sich weniger, wenn man ihm Lügen, als wenn man ihm Wahrheiten vorwirft. – – – – Ich sehe mich genöthigt, die Erzählungen der politischen Vorgänge abzubrechen, oder vielmehr in dieser Broschüre zu endigen, weil solches zu weit führen kann, und muß wieder auf den Gegenstand meiner Verhaftung zurückkommen, indem ich folgendes dem Herrn Grafen von Haugwitz vorzüglich zu beherzigen gebe: Sie wissen, mein Herr Graf, daß ich bei aller Gelegenheit, so viel nur irgend einem so unbedeutenden Individuum als ich, zu bewirken möglich war, stets Ihre Partie genommen, und Ihnen wirklich mit Eifer gedient habe. Ich berufe mich deshalb auf den würdigen General von Köckritz*). – Auch sagten Sie selbst einst: „Ephraim, Sie sind so uneigennützig, daß, wenn es auch eine Gelegenheit gäbe, auf eine zweideutige Art 4000 thl. zu gewinnen, Sie wüßten gewiß nicht einmal, wie Sie es anfangen sollten.“ – Also, Herr Graf, Sie haben mich für einen Menschen gehalten, der unfähig ist, unerlaubte Wege einzuschlagen; auch müssen Sie geste-

*) Auch gegen diesen hat man sich unanständige Ausfälle erlaubt. Ich kann heilig versichern, daß er sich wegen folgender drei Gegenstände, welche ich überreichte, Unannehmlichkeiten aus35 gesetzt hat: 1) wegen einer andern Verwaltung der Klassen-Lotterie; 2) wegen der Kreditsysteme in Südpreußen, damit das Mutterland nicht vom Gelde entblößt werde; 3) wegen der Einrichtung der Magazine. Allein er hat gegen Schulenburg und Konsorten nicht aufkommen können. Daß er nicht mehr Gutes stiften konnte, lag nicht an ihm. Ich werde dem Publikum Alles, vielleicht in der dritten Auf40 lage, mittheilen.

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hen, daß ich in meinem Leben nicht die geringste Wohlthat von Ihnen, weder mittelbar noch unmittelbar erhalten habe, und dennoch haben Sie mich auf eine so widerrechtliche und unerhörte Art verhaften lassen; indeß Sie noch einige Tage vorher auf die herablassendste, ich möchte sagen freundschaftlichste Art, sich gegen mich äußerten. Warum geschah das? Hat man Ihnen etwa einen Verdacht gegen mich beigebracht, so hätten Sie mich ja rufen lassen, oder etwa einen rechtschaffnen Mann den Auftrag geben können, mir das vermeinte Vergehen vorzuhalten; allenfalls gleich zu verlangen, meine Papiere nachzusehen. – Statt diesem reisten Sie ab, und hinterließen den Befehl, mich auf die härteste Art einzusperren; setzten mich der Gefahr der barbarischsten Mißhandlungen aus, die mein Körper noch sehr empfindet; auch wurden durch die verläumderischsten Nachreden meine häuslichen Angelegenheiten sehr zerrüttet. – Berechtiget denn, Herr Graf, ein bloßer Verdacht zu dergleichen Grausamkeiten? – Wie wenig ist gleichwohl auf bloßem Verdacht zu bauen? – Nichtswürdige Menschen hielten des Ministers von Hardenberg Güterverkauf für verdächtig; hat es sich aber nicht nachher gezeigt, daß dieser Minister, wegen Schulden von mehr als 70 000 Thaler, in die größte Bedrängniß gerathen ist? – Doch, wozu fremde Beispiele! – Sie wissen, Herr Graf, daß Sie vor einigen Jahren geäußert haben, Ihre Einkünfte von 45 000 Thaler hätten sich bis auf nichts reduzirt, und Sie wären daher genöthigt, auf einen unbestimmten Urlaub zu dringen, um Ihre Güter wieder in gehörigem Stand zu setzen. In weniger als zwei Jahren brachten Sie es, nach Ihrer Aussage, dahin, die ganz zu Grunde gerichtete Kultur wiederherzustellen, und Sie erklärten der ganzen Welt, daß Ihre Einkünfte wieder bis auf 65 000 thl. gestiegen wären. – Eine so schleunige Wiederherstellung verfallner Güter mußte bei jedem Verdacht erregen. – Ich für mein Theil hielt einen solchen Verdacht grundlos. Sie hatten ja bei der Seehandlung 120 000 thl. von den vom König Ihnen geschenkten Geldern zu stehen, und mit solchen Summen kann man ja wohl Güter wieder in Stand setzen; denn mit 120 000 thl. Mist läßt sich schon was düngen und auf chinesische Art das Korn pflanzen, statt es zu säen. Vielleicht ist aber diese schleunige Herstellung der Einkünfte auch nicht wahr, und Sie wollten nur dadurch ihre große ökonomischen Kenntnisse gehörigen Orts beweisen, um sich den Weg zu – – – bahnen. Da ich mich nun durchaus nicht überreden kann, daß Ihrer Seits ein Verdacht gegen mich möglich war, was beabsichtigten denn Dieselben durch den gegen mich erlassenen eigenmächtigen geheimen Verhaftbrief; die lettres des cachet im vormaligen Frankreich waren, gleichwohl doch vom Könige unterschrieben. Daher dieses Ihr Verfahren, (wenn ich selbst die gerechteste Veranlassung dazu gegeben hätte,) die äußerste Nationalverletzung ist, und wehe dem Volk, das ein solches Verfahren nicht rügt. – Ich fordre die ganze Preußische Nation auf, wenn einst unser guter und gerechter König wieder in Besitz seiner Länder sein wird, nicht meine persönliche Beleidigung, denn daran ist wenig gelegen, sondern die Sache an sich

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selbst, zu der ihrigen zu machen; weil ihre eigene Wohlfahrt darauf beruhet, wenn ein solches Verfahren ohne Vorwissen des Königs und der angeordneten Gerichte Statt finden kann. Je größer und vornehmer die Person ist die eine solche Gewaltthätigkeit ausübt, desto größer muß auch die Strafe und Ahndung sein. Herr Graf, Sie haben sich als ein ungeschicktes Oberhaupt der geheimen Polizei gezeigt; (denn dies waren Sie zu dieser Zeit) so wie Sie vormals als ein geheimer Oberer der Geistersehergesellschaft wirkten; worüber ich folgende nähere Umstände hier mittheile: Bei der Thronbesteigung des jetzigen Königs gab der Minister Haugwitz im Namen Sr. Königl. Majestät dem Herrn Feldmarschall von Möllendorf den Befehl, die Gräfin Lichtenau zu verhaften und sich ihrer Papiere zu bemächtigen. – Unter diesen fanden sich viele Billets von Haugwitz an die Lichtenau, die nicht nur sehr schmeichelhaft und kriechend abgefaßt waren, sondern auch die geheimsten und vertraulichsten Gegenstände betrafen. Daraus ging hervor, daß der Herr Graf der unbekannte geheime Obere der Geisterbeschwörer war. Er glaubte, diese Papiere von dem Feldmarschall zurück zu erhalten; allein dieser an seine Pflicht gewöhnte Greis überlieferte alles dem Könige. – Seit diesem Vorfalle entstand die Abneigung des Grafen gegen den Feldmarschall. Er entfernte sich von ihm, so weit es die Anstänigkeit und das Hofleben erlaubte; und dies ist auch die Ursache, daß ich es nicht dahin bringen konnte, daß derselbe sich mit diesem würdigen Manne wegen einer richtigen und wahren Auskunft des innern Gehalts der Preußischen Heerführer besprach, und ob die alleinige Machte hinlänglich sei, Frankreich die Spitze zu bieten. Es wäre Unrecht, dem Grafen von Haugwitz alles Talent abzusprechen. Er besitzt eine außerordentliche Gewandheit sich zu verstellen, so daß man leicht verleitet wird, fest zu glauben, man könne auf seine Aufrichtigkeit rechnen; aber wehe dem, der sich durch den Sirenengesang verführen läßt. – Wo dieser Minister Einfluß hat, da weiß er sich, trotz der verschlagensten Hofschranzen, der geringsten Vortheile wegen, so zu schmiegen und zu biegen, und selbst einem in Ansehen stehenden Manne so lange die Kour zu machen, bis er seinen Zweck erreicht. – Haugwitz hat auch einen ihm eignen Wahlspruch, wie die römischen Kaiser, nemlich: „ich will nicht was ich nicht kann;“ wenn er aber nur irgend etwas ausführen kann, das auch in der weitesten Entfernung seinen Absichten nützt, so ist ihm nichts heilig. Dies hat die Lichtenau empfinden müssen, eine Frau, die zwar leichtsinning und eitel, aber nie boshaft war. Einige dreiste Menschen haben ihm dies Verfahren vorgehalten, und es ist kaum zu glauben, was er darauf antwortete. „Ich mußte die Freundschaft der Lichtenau kultiviren, sagte er, damit ich alles erfuhr, was zwischen ihr und dem hochsel. Könige vorging.“ – Das setzte kein vollkommenes Vertrauen seines Souverains zu ihm voraus, wenn er zu solchen Mitteln seine Zuflucht nahm. Könnte

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ich unter solchen Bedingungen sogleich auswärtiger Minister werden, gewiß ich würde lieber noch einmal mich der harten Behandlung in Küstrin aussetzen. – – Weniger Unterrichteten kann er eine solche Ursache weiß machen. Die wahre Absicht seiner Geschmeidigkeit gegen jene Frau, war der schwarze Adlerorden, den er auch noch einige Zeit vor dem Absterben des hochsel. Königs von ihr bekam, und vielleicht war dies auch die Ursache ihres Sturzes, denn in Grunde verdroß es ihm, weil er es wider die Würde der Grafen von Haugwitz hielt, einer solchen Person den Orden zu verdanken zu haben. Das harte Verfahren gegen die Lichtenau mag übrigens auch andere politische Ursachen gehabt haben, um manchem die Kour zu machen, und ich bin überzeugt, daß dies auch in Hinsicht meiner der Fall war, ungeachtet ich nur ein unbedeutendes Individuum bin. Der Befehl, den der Minister zu meiner Verhaftung gegeben, war blos und allein in seinem Namen, denn es heißt darin: „Da der Ephraim ungeachtet des Verbots, die französische Legation frequentirt hat, so wird man denselben verhaften.“ Mein Herr Graf, der mir gemachte Vorwurf ist eine grobe Lüge, sei es bloße Muthmaßung, oder vorsätzliche Erfindung von Ihnen selbst, oder lügenhafter Bericht von irgend einem Ihrer Muschen (gleichviel welcher) denn es ist äußerst auffallend, daß man eine Lüge gesehen haben will. Es ist sogar abgeschmackt, denn man kann wohl eine Lüge hören, aber nicht sehen. Gesetzt aber auch, man sähe jemand einen Ort betreten, in welchem sich Personen aufhalten, deren Umgang man ihm versagt hat, dieser Ort aber wäre zugleich das Lokal Andrer, ist es deswegen ausgemacht, daß er gerade mit denjenigen Personen gesprochen haben muß, deren Umgang ihm versagt worden ist? – Wie strafbar ist aber denn nicht ein solches Verfahren, jemanden auf bloßen Verdacht für einen Staatsverräther zu erklären; indem man, wie gesagt, wohl eine Lüge hören, aber nicht sehen kann. Man kann dem Minister Grafen von Schulenburg nicht den Vorwurf machen, daß derselbe während der Zeit, daß die geheime Polizei unter seiner Aufsicht war, auch nur ein einzigesmal ein Mißbrauch Statt gefunden, und noch viel weniger, daß er selbst einen unrechten Gebrauch davon gemacht hat. Ich habe aber keinen von den Herren Gesandten weder direkte oder indirekte frequentirt, und was hätte ich ihnen auch wohl sagen können, was diese nicht ohnehin schon und weit besser aus Ew. Excellenz eignem Benehmen erkennen konnten. Ueberdies sprach ich durchaus niemand von dem Departement der auswärtigen Geschäfte als Sie, Herr Graf, und Sie selbst sagten mir ja, daß alles zwischen Ihnen und dem König allein und unmittelbar abgemacht würde. – Was haben Sie denn für eine Absicht gehabt, mir Ihre Thür offen zu lassen? Um was evident zu machen, hatten Sie ja ein weit besseres Mittel, nemlich Ihre Geister; denn was meine wenige Kenntniß betrift, so konnten Sie solche ja bei hundert andern finden, und warum haben Sie denn gerade mich zum Opfer gewählt?

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Erst einige Wochen nach meiner Zurückkunft von Küstrin, erfuhr ich von dem Hrn. Leg. Rath Küster, daß Ew. Excellenz demselben von Weimar aus den Auftrag gaben, nach meiner bereits 14 tägigen Verhaftung in der Hausvoigtei, meine versiegelten Papiere durchzusehen; welches in Gegenwart des Polizeiinspektors Jakobi geschah. – In diesen Papieren befanden sich unter der Menge Schriften, Briefe von Düroc, von Bournonville, vom General Köckritz[,] vom Herzog von Braunschweig, nebst einem Schiffre rc. rc. Der Hr. Leg. R. Küster stattete einen sehr günstigen Bericht davon ab, „daß nemlich weder das geringste Kriminelle in allen meinen Papieren enthalten sei, noch im mindesten solche zu irgend einem Vedacht Anlaß gäben.“ – Er hätte mit gutem Gewissen noch hinzufügen können, „nichts als patriotische Gesinnungen enthielten.“ – Von allem diesen sagte der Minister v. Haugwitz kein Wort weder dem Könige noch irgend einem von denen die ihn umgaben. Ein Beweis davon ist dies, daß diese Herren noch in Küstrin sich äußerten, daß ihnen sämmtlich von meiner Verhaftung nicht das geringste bewußt sei. – Zu so einem Verfahren noch weitere Betrachtungen hinzu zu fügen, halte ich völlig überflüssig. – Glauben Sie nicht, Herr Graf, daß ich einen Augenblick anstehe, Ihre Geschicklichkeit in Zweifel zu ziehen, daß Sie nicht auch in der Folge wiederum sich den Weg zur Wiedererlangung Ihres vorigen Einflusses bahnen können. – Da Sie Ihre Verfahren gegen die Lichtenau so geschickt zu bemänteln wußten, wie viel leichter wird es Ihnen bei einem Ephraim werden. – Allein wissen Sie, Herr Graf, daß ich nicht weit von 70 Jahren bin, und daß ich eben so wenig Rücksicht auf meine Person nehme, als wenn ich das Schnupftuch aus einer Tasche in die andre stecke. Hätten Sie mich durch den Weg Rechtens verhaften und verurtheilen lassen; so würde es mir gar nicht eingefallen sein, das geringste öffentliche Aufhebens davon zu machen. Allein Ihr geheimer widerrechtlicher Verhaftbrief berechtigt, wenn Sie wollen, wenigstens meine Eigenliebe; denn ich will mich gern allem blos stellen wenn ich dadurch bewirke, daß kein Preußischer Einwohner ferner durch dergl. lettre de cachet verhaftet und auf eine so grausame Art behandelt wird. Dann glaube ich meinem Könige und der ganzen Preußischen Nation einen wahren Dienst geleistet zu haben. – Ich erwarte auch von Ihnen, mein Herr Graf, als eine Pflicht gegen Ihre eigene Person und Stand, daß Sie sich entweder öffentlich entschuldigen, – denn rechtfertigen glaub‘ ich, können Sie sich nicht – oder mich zur Verantwortung ziehen lassen; indem ich so bereit als willig bin, mich vor jedes gerechte, unpartheiische, fremde oder einheimische Gericht zu stellen. Dies mag fürs erste genug sein! — — — — —— — — — — — — — — —— — — — — — — — — —

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Rezensionen 1a anon. [Karl Julius Lange]: „Vermischte Nachrichten“ (Der Telegraph; 1808) Quelle: Der Telegraph: Ein Journal der neuesten Kriegsbegebenheiten I (Freitag, den 1. Januar 1808), S. 35. Karl Julius Lange wurde als Herausgeber der Zeitschrift genannt; der Journalist Alexander Daveson hatte diesen Namen angenommen.

Rom, den 12. December Unter den, jezt so häufig erscheinenden grössern und kleinern politischen Broschüren, verdient eine so eben in Berlin erschienene Schrift besonders ausgehoben, und der Aufmerksamkeit der Leser empfohlen zu werden. Sie führt folgenden Titel: „Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens. Von B.V. Ephraim, Königlich=Preussischen Geheimen Rath.“ In dieser Schrift findet man eine reichhaltige und wirklich interessante Sammlung historisch-politischer Notizen, Anekdoten und Charakterzüge, die meistens neu, lesenswerth, und in Hinsicht der Geschichte der lezten zwanzig Jahre, für den Politiker und Diplomatiker ungemein viel Interesse haben. Die Schreibart, der Ton, und die ganze Einkleidung dieser Schrift hat etwas sehr gefälliges, und der Verfasser versteht die Kunst, seine eigene Geschichte unter einer Menge fremder, sehr unterhaltender Erzählungen, auf eine anziehende Art zu verweben.

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1b Johann August Sack: [Rezension] (Zeitungs-Bericht der Immediat-Friedens-Vollziehungs-Kommission Berlin; 1808) Quelle: Zeitungs- Bericht der Immediat-Friedens-Vollziehungs-Kommission. Berlin 1808, Januar 4. Rep. XI. 89. Ausfertigung, gez. Sack. In: Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven 88: Berichte aus der Berliner Franzosenzeit 1807–1809, veranlasst und unterstützt durch die K. Archiv-Verwaltung (Leipzig: Verlag von S. Hirzel, 1913), S. 98, 105–106.

Vorgänge vom 28. Dezember 1807–4. Januar 1808. Daru noch da! Übermut der subalternen „Parvenus“ unter den französischen Beamten. Einquartierungslasten, namentlich durch Kavallerie und Vorgespann. Hoffnung auf den Prinzen Wilhelm in Paris. Die Universität in Berlin oder Potsdam? Iffland bleibt Berlin treu. Verbot von Trauerspielen im Nationaltheater. Munitionsgießen zu Torgelow für Danzig. Schlechte Ernte-Aussichten. Jüdische Münzmanoever. Durchsuchung der Post in Danzig, Berlin und Hamburg. Die westfälischen Universitäten. Westfälische Einkommenssteuer. Politische Gerüchte. Schmuggel in Hamburg. Freigebung preußischer Schiffe durch England.

Sonstige Vorfälle in hiesiger Stadt Hier wollen wir der Erscheinung eines Buches erwähnen, dessen Verfasser wir lieber in der Lage wünschen, daß er dasselbe hätte zur Noth noch fortsetzen können. Wir meinen die Geschichte der Verhaftnehmung des Geheimen Rath Ephraim1, welche er gegenwärtig herausgeben hat. Der Telegraph hat nicht verfehlt, sie gebührend auszuposaunen; uns geht der Inhalt dieser Schrift hier weniger an, als wir dabey den großen Schaden nicht unbemerkt laßen können, den der Verfasser uns in dieser Zeit bey aller Gelegenheit zuzufügen bereit gewesen ist. Mit unermüdlicher Geschäftigkeit übte er das Handwerk eines französischen Kundschafters, suppedirte aus seinem Leben und aus Briefen von vornehmen Personen, die sich in E.K.M. Nähe befinden, die er zu nennen sich kein Bedenken gemacht hat und von denen er noch jeetzt Briefe zu erhalten behauptet, wie z. B. von dem General-Major von Köckritz, den Franzosen allerhand Nachrichten, alles aus dem Gesichtspunkt uns zu schaden und sich wichtig zu machen, weshalb den unser  

1 „Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens. Von B.V. Ephraim. Königl. Preuß. Geheimen Rath“, Dessau 1808. Eine kurze Abfertigung dieser eitlen Schrift brachte die Biestersche „Neue Berlinische Monatsschrift“, Februar 1808, 19. Band, s. 123 F., Berlin und Stettin, bei Friedrich Nicolai. Cfr. No. 30, S. 72.

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obiger Wunsch wol ganz Gerecht und es nur zu bedauern ist, daß er unerfüllt geblieben ist. Die französischen Ober-Behörden fahren fort, in der schon früher angezeigten Art hier zu leben, wogegen im übrigen eine große Stille und Eingezogenheit aller hiesigen Großen und übrigen reichern Einwohner sichtbar ist, denen doch auch der Krieg viele Entbehrungen nothwendig macht, durch Bezalung von Kontributions- und andern Abgaben. Vor einigen Tagen ist ein aus dortiger Gegend seit Kurzem angekommener Chevalier de la Coudroye durch französische Gensd’armes arretirt. Er hatte auf einem Koffee-Hause sich für die Engländer geäußert, und soll mit Dumouriez, George und Pichegru in Verbindung gestanden haben. Er ist noch in Arrest und seine Papiere, worunter sich auch Briefe an den bey Saalfeld gebliebenene Prinzen Louis von Preußen befinden sollen, sind nach Paris gesandt. Wir haben dem Geheimen Finanzrath v. Seegebarth, der uns vor einiger Zeit um die Observation des de la Coudroye ersuchte, hiervon ebenfalls Nachricht gegeben. …

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1c anon. [Johann Wilhelm Lombard]: „Ueber die Schrift des Geheimen Raths Ephraim“ (Neue Berlinische Monatsschrift; 1808) Quelle: Neue Berlinische Monatsschrift IXX/I (Februar 1808), S. 123–126.

Der Geheime Rath Ephraim versucht das Mitleid des Publikums durch die Erzählung seines Unfalls*) zu gewinnen; und das Recht wird keiner ihm streitig machen. Allein, er klagt Männer die daran ganz unschuldig waren, als Urheber derselben an, und es ist nicht gut wenn er die Meinung irre leitet. Die Geschichte des Mannes ist folgende. In keinem Staat wo das polizeiliche Gesetz seiner Strenge nach gehandhabt wird, ist der Umgang mit fremden Gesandten ohne Einschränkung Allen erlaubt. Unter Friedrich II wäre wenigstens für den Staatsdiener Kasiazion die geringste Strafe einer Unvorsichtigkeit von der Art gewesen. Unter der gegenwärtigen Regierung, wo Alles Offenheit und Zutrauen war, wo, besonders in Ansehung der polizeilichen Aufsicht, die liberalsten Grundsätze, oft wohlthätig und bildend, nicht immer ohne Nachtheil, herrschten, stand jedem jeder Umgang frei. Doch lag in der Natur der Sache, daß jene Freiheit keine Bürgerpflicht aufheben, noch die Strafbarkeit eines durch schädliche Einmischungen geschehenden Mißbrauchs vermindern konnte. Allein Geheimrath Ephraim litt an einer eigenen Krankheit. Im J. 1789 war er – auf welchem Wege, weiß Gott – in Geschäften gebraucht worden, die er für diplomatische hielt. Von der Stunde an, war in den Augen des guten Mannes sein hoher Beruf entschieden. Jetzt lebte und webte er einzig in der Politik. Jahrelang treib er sich in Berlin mit seiner zwecklosen Thätigkeit umher, lief von einem Gesandten zum andern, von diesen zu den Ministern, oder zu den Umgebungen des Königs, gab Winke mit geheimnißvoller Miene, Memoires eben so logisch geschrieben als seine itzt herausgekommene Broschüre; ward bald abgewiesen, bald belacht, bisweilen gutmüthig gewarnt, nie aber mit dem Schatten eines Auftrages beglückt. Da es zu jener Zeit nichts Offeneres in der Welt gab als unsre Politik, da, bei dem friedlichen redlichen Gang des Kabinets, nichts in demselben zu verrathen noch zu kompromittiren war, so ließ man – vielleicht selbst in diesem Falle, unpolitisch – der Posse ihren Lauf. Nur wurde, ich betheure es noch einmal, der

*) „Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens. Von B.V. Ephraim. Berlin 1807.“

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G.R. Ephraim nie gebraucht. Wüßte auch der Eingeweihte dieses nicht nur mit Gewißheit, läge auch die Absurdität der entgegengesetzten Behauptung nicht in den Persönlichkeiten schon; so ergäbe sich der Beweis unwidersprechlich aus dem Verworrenen der Erzählung dieses Mannes. Sein ganzer Vortrag verräth, statt deutlicher Erinnerungen, die fixe Idee eines durch Eitelkeit getäuschten Gemüths. Unsern friedlichen Verhältnissen drohte aber die gräßliche Störung. Itzt konnte Ephraim gefährlich werden, nicht aus böser Absicht – es gibt ja gutmüthige Thorheiten –, sondern weil es izt Fakta in unserer Politik gab, und Alles auf ihre Darstellung ankam. Hier schadete unkluger Eifer so gewiß als Bosheit. Der König (nicht Graf Haugwitz, diesem ward der hohe Befehl mitgetheilt) ließ dem Geh. R. Ephraim durch den Polizeipräsidenten jeden Schritt in das Haus eines fremden Gesandten, unter Androhung der augenblicklichen Arretirung beim ersten Rückfall, untersagen. Das fruchtete eine kurze Zeit: bis die unüberwindliche Leidenschaft, die Unbedeutendheit nicht länger ertragend, sich wieder zu regen anfing; und, in dem ersten Momente des beginnenden Krieges, die Verhaftung des alten Mannes wirklich seine politische Laufbahn schloß. Graf Haugwitz hatte daran keinen andern Antheil, als den ihm sein Posten nothwendig gab. Hart war die Gefangenschaft des Geheimenr. Ephraim in Berlin keineswegs. Auch wäre sie gewiß nicht von langer Dauer gewesen, wenn eine andere Wendung der Dinge der sanften Regierung Zeit gelassen hätte, mit einzelnen Leiden sich zu beschäftigen. Als aber die Hauptstadt bedroht wurde, mußten die Staatsgefangenen eiligst nach Küstrin gebracht werden, und auf dem Wege dahin fielen die Mißhandlungen vor, über die der kränkliche Greis nicht ohne Grund so bitterlich klagt. An diesen jedoch war die Regierung unschuldig. Fürchterlicher wüthete auf andern Flecken die Rache des Volks. Blind suchte sie unter den Trümmern des Staats ihre Opfer, und leidlich vielleicht kam Ephraim noch aus jener Gefahr. Eigene Unvorsichtigkeit störte seine Ruhe. Sein Buch scheint indeß zu beweisen, daß die Lehren des Unglücks für ihn verloren gegangen sind.

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1d anon. [Saul Ascher]: „Benjamin Veitel Ephraim“ (Kabinet Berlinischer Karaktere; 1808) Quelle: [Saul Ascher], Kabinet Berlinischer Karaktere, ([Berlin: Duncker und Humblot] 1808), S. 37–45.

Es gibt gewisse Erscheinungen, die, wenn man sie entwickeln und aus ihren mannigfaltigen Ursachen Herleiten will, noch dunkeler und problematischer werden. Zu diesen gehört unfehlbar der Geheimrath Ephraim. Er hat vor Kurzem in einer Broschüre, genannt „über meine Verhaftung“, ein sogenanntes Curriculum vitae gegeben, daß aber gewiß jeden Leser in einem noch größeren Zweifel über den Karakter und die Tendenz des Mannes erhalten muß. Herr Ephraim hätte sehr wohl gehandelt, wenn er die Geschichte seines Lebens unterdrückt hätte, denn es bleibt immer keine kleine Schwierigkeit, bei den üblen und verdächtigen Gerüchten, welche von ihm seit 40 Jahren im Umlauf sein mögen, durch einen solchen, gleichsam rakettenartigen, Vortrag zu blenden; denn das Ganze ist ein mit Lücken aufgestelltes Fachwerk, ein sogenanntes Gerippe. Es erregt daher vielmehr eine Fortsetzung des Verdachtes, der gegen Ephraim schon längst in Umlauf war, und man geräth auf den Gedanken, daß er uns viele Scenen und Begebenheiten aus seinem Leben zu verschweigen für gut fand, welche ein so schönes Licht auf den Brennpunkt seiner Handlungen, seinen Karakter, geworfen hätten. Indeß wir müssen gestehn, daß Ephraim doch in gewisser Hinsicht dies Gute für sich durch jene Schrift bewirkt, daß man dadurch veranlaßt wird, die verdächtige Seite seines Karakters als ein angeborenes oder Erbübel zu betrachten. Es ist nichts natürlicher, als daß ein Mann, der durch verdächtiges Münzen ein fürstliches Vermögen zusammen brachte, nicht den Keim in dem Busen eines seiner Nachkommen hinterlassen haben sollte, der zu Handlungen der Art tendirte. Daß dieses sein jüngster Sohn Benjamin sein mußte, ist ganz in der Ordnung, denn bei dessen Geburt konnte erst das Geldorgan Ephraim so ausgebildet sein, um sich in einem seiner Nachkommen zu generiren, so wie bei jenem Bibel-Benjamin, dem jüngsten Sohne Jakobs, die Frömmigkeit sich im höchsten Grade nur deshalb erst personificirte, weil in diesem Zeitpunkte des Patriarchen Jakob Religionsorgan sich selbst zur höheren Vollkommenheit emporarbeitete. Wenn Herr Ephraim von diesem Standpunkt ausgegangen wäre, so hätte er offenherziger, motivirter sein Leben dargeboten, und uns nicht in die Verlegenheit gesetzt, durch Argwohn und Horchen auf Gerüchte, welche über ihn in Umlauf sind, die Lücken auszufüllen, die er gelassen, und die Motive uns hinzuzudenken, die ihn in seiner Handlungsweise leiteten.

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Doch warum hätte er diesen Weg einschlagen sollen, da ihn noch kein Autobiograph gewählt. Jeder sucht seine Fehler und Gebrechen so viel als möglich zu verbergen. Herr Ephraim hat also ganz nach der Ordnung verfahren; er hat nur Begebenheiten, Handlungen aus seinem Leben aufgestellt, nicht sein Leben. Er dachte gewiß: Nun die Motive die hat das Publikum in meinem öffentlichen Ruf; meine Freunde werden Alles zu meinem Besten, meine Feinde Alles zu meinem Nachtheil deuten, und die Unparteiischen – ? Wir gehören zu Letzteren. Wir haben den Standpunkt angegeben, aus welchem wir Herrn Ephraim in seiner Handlungsweise ausgehen ließen. Was kann Herr Ephraim dafür, daß er der Sohn eines steinreichen Juden war, der ihm keine feste Bestimmung geben konnte, und der ihm in seinem Mammon ein Werkzeug schuf, allen Leidenschaften und Neigungen zu genügen, die sich in ihm zeigten; daß bei dem beruflosen Leben, das ihm der Reichthum seines Vaters zu ergreifen erlaubte, sich in ihm Sucht zu glänzen und Hang für einen Mann von Ansehen und Einfluß bei seiner Nation zu gelten, natürlich entwickelte, wobei er in einen Strudel von Ausgaben und Unternehmungen wechselseitig gestürzt ward, wobei er Vermögen und Ruf endlich verlustig ward. Der Hang zu einer frivolen und verschwenderischen Lebensart, wovon die mehrsten Großen und Reichen ergriffen werden, findet mehrentheils seine Entschuldigung in dem Einfluß, den sie sich zu verschaffen wissen. Man wähnt, daß der Standpunkt, auf welchem sie stehen, durch eine gute Einnahme, die ihre Stelle im Staate verschaft, ihnen Mittel genug darbieten dürfte, alle die Ausfälle in ihrem Etat zu decken, die ihre Verschwendung und ihr Leichtsinn bewirkt. Es bekommt ihre Verschwendung gleichsam ein Relief von Humanität oder von Gemeingeist. Ephraim scheint die Absicht gehabt zu haben, in seinem Treiben und Wirken diese Ansicht von sich zu schaffen. Bei seinem Aufwande, seiner glänzenden Lebensart war es ihm ein Leichtes, sich den Großen zu nähern, allein als Jude ward ihm eine solche Sphäre der Wirksamkeit in dem großen Weltschauspiel zugestanden, die ihn wieder von der andern Seite in übeln Leumund brachte. Für sein ewiges Drängen nach Bekanntschaft mit den ersten Personen, die in dem großen Drama des Welthandels thätig waren, für sein Haschen nach Gelegenheit, in allem Treiben und Jagen der politischen Factionen eine Rolle zu spielen, weiß er kein anderes Motiv anzugeben, als ein oberflächliches Hineinblicken in einige politische und staatswirthschaftliche Schriften, welches in ihm gleichsam den Funken eines genialischen Diplomatikers entflammte. Man muß wirklich die Großen und die Staatsmänner bedauern, die sich dadurch verleiten ließen, ihm einiges Vertrauen zuzuwenden. Habe er es auch nicht gemißbraucht, so zeigt es doch immer, daß die Großen oft noch ununterrichteter sind als die Schüler, die ihnen ihre Dienste anbieten. Herr Ephraim würde uns gleich bewegen, dies harte Urtheil zu mildern, wenn er die merkwürdigen politi-

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schen und staatswirthschaftlichen Aufsätze oder Abhandlungen der Welt vorlegte, die so rasch, selbst Friedrich dem Großen, sein blendendes Genie verriethen. Was Ephraim als Diplomatiker that, fällt so sehr ins Lächerliche und Leere, daß man gar nicht weiß, was man von der ganzen Diplomatik denken soll. Zum wenigsten erscheint Ephraim bei seiner Sendung nach den Niederlanden und Frankreich immer als ein Geschöpf, daß hors d’oeuvre wirkte. Wodurch bewies er diplomatisch, in den Niederlanden so viel gethan zu haben, daß Friedrich Wilhelm II. ihm sagte, er habe ihm den Reichenbacher Frieden zu danken. Welchen Verdacht bewirkte er nicht in Hinsicht seiner Sendung nach Paris, wobei er jährlich 12 000 Thaler, wie er sagt, zusetzte? Dort gerieth er mit dem Grafen von Golz, dem preußischen Gesandten zu Paris, in Zwist, und kehrte endlich von Paris zurück, nicht weil seine Mission zu Ende war, sondern, wie er selbst sagt, einzig und allein, weil ihm das Applaudiren der Poissarden im Palais Royal und der Forts de la Halle seinen Aufenthalt in Paris vergällte. So verfährt keine wahre diplomatische Person. Woher kam es, daß der russische Gesandte Woronzow verlangte, daß Ephraim von Frankfurt am Main entfernt werden sollte, wo 1792 Friedrich Wilhelm II. das Hauptquartier hatte? Warum drang immer wieder der Prinz Nassau darauf, daß Ephraim im Jahre 1794 aus Polen von der Armee entfernt werden mußte? Darüber gibt Ephraim kein Licht. Vielmehr bietet er den Verdacht dar, daß seine Missionen stets verdächtige Tendenzen hatten. Man wird um so mehr dazu berechtigt, da man nicht weiß, was Ephraim davon hatte, sich in alle diese diplomatischen Händel zu mischen. Keinen Ertrag hatte er von seiner diplomatischen Wirksamkeit. Sein Gehalt von 4000 Rthlr., den er bei seiner Sendung nach Paris jährlich erhielt, schien mit seiner Rückkehr von dort erloschen zu sein, und es blieb ihm nichts als eine leere glänzende Ausgabe, um Konnexionen zu erhalten, die ihn völlig zu Grunde richteten.  

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1e anon.: „Bemerkungen über die Schrift: ‚Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens‘. Von B. Veitel Ephraim, Königlich Preußischem Geh. Rath. Berlin, auf Kosten des Verfassers, 1808“ (Lichtstrahlen; 1808) Quelle: Lichtstrahlen. Beiträge zur Geschichte der Jahre 1805, 1806, und 1807. Eine Zeitschrift in freien Heften von einer Gesellschaft wahrheitsliebender Militärpersonen, Civil=Beamten und Gelehrten I,iii. Mit einer Landkarte (Hamburg und Leipzig: historisch-politisch-militärisches Institut, 1808), S. 455–480.

Es giebt Schriften, welche, als literarische Produktionen genommen, so albern, so verworren, so abgeschmackt sind, daß von ihnen niemals die Rede seyn sollte. Gleichwohl bieten eben diese Schriften dem denkenden Leser bisweilen ein so hohes Interesse dar, daß er sich über alles, was daran fehlerhaft ist, sehr gerne hinaussetzt, um bei Dem verweilen zu können, was er nicht so wohl dem Verstande der Verfasser, als den besonderen Umständen, welche die Schriften selbst veranlaßten, zu verdanken hat. Wer hat nicht Leichenpredigten gelesen, die, so gleichgültig sie auch als Kunstwerke seyn mochten, dennoch in Ansehung der Person, auf welche sie sich bezogen, höchst interessant waren, indem sie Auffschluß gaben über die verschiedenen Verhältnisse, worin ein merkwürdiger Mann während seines Lebens stand? Eine gleiche Bewandniß scheint es mit der Schrift zu haben, welche der Königl. Preussische Geheime Rath Ephraim vor Kurzem über seine Verhaftung und einige andere Vorfälle seines Lebens bekannt gemacht hat. Die unverkennbare Absicht dieser Schrift ist, den Glauben zu verbreiten, daß dem Verfasser durch seine Verhaftung das größte Unrecht geschehen sey. Um diese Absicht zu erreichen, sucht der sich selbst vertheidigende Herr Ephraim eine recht vortheilhafte Meinung von sich zu erregen. In seiner eigenen Darstellung ist er nicht nur ein bescheidener Mann, der sich niemals um Dinge bekümmert hat, die ihn nichts angingen, sondern auch ein vorzüglicher Kopf, dem die praktischen Wissenschaften so Manches verdanken, und, was noch mehr sagen will, ein Patriot im Superlativ, dessen guter Rath nur zum Verderben des Staates hat verworfen werden können. Wir wollen uns die Mühe nehmen, Herrn Ephraim in allen diesen Eigenschaften zu beleuchten. Da er aber so großmüthig ist, einzugestehen, daß an seinem Individuum nichts gelegen sey, wofern durch die Bekanntwerdung seines Schicksals nur das allgemeine Beste gewinne, so wollen wir, um hinter so vieler Großmuth nicht zurückzubleiben, vorher, ebenfalls zum Besten des Publikums, die Frage erörtern:

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Was hat es denn eigentlich mit seiner Verhaftung auf sich gehabt? Herr Ephraim kann sich, wie es scheint, durchaus nicht von dem Gedanken trennen, daß die Regierung, indem sie ihn verhaften ließ, einen Staatsverbrecher in ihm erblickt habe; und da er sich bewußt ist, kein Staatsverbrecher gewesen zu seyn, so sieht er in dem Befehle, welcher seine Verhaftung nach sich zog, eine lettre de chachet, in der Verhaftung selbst einen Akt von Tyrannei, in dem Verfahren gegen ihn während seiner Gefangenschaft eine fortgehende Grausamkeit. Diese Ansicht scheint uns nicht die richtige zu seyn. Seine Verhaftung war schwerlich etwas Anderes, als eine polizeiliche Maßregel, deren Absicht auf Verhütung einer Gefahr geht. Herr Ephraim hatte sich in den Kopf gesetzt, daß Er den Preussischen Staat regieren müsse, wenn er gut regiert werden solle. Dieser Einbildung gemäß, drängte er sich zu allen Ministern, die schwach genug waren, in seinen guten Rath einen Werth zu setzen; vorzüglich zu dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Wie es scheint, war er noch immer gegen den Krieg mit Frankreich, als dieser Krieg, durch den Mangel an richtigen Ideen, bereits unvermeidlich geworden war. Was sollte nun der Minister der auswärtigen Angelegenheiten thun, um sich von einem so überlästigen Rathgeber zu befreien? Es ist wahr, er konnte seinem Portier den Befehl ertheilen, den geheimen Rath Ephraim nicht über die Schwelle zu lassen. Allein, während dieser geheime Rath unaufhörlich den Staatsmann in sich sah und seinen guten Rath für durchaus unentbehrlich hielt, erblickte die Regierung in ihm einen Spion, auf welchen sie ein aufmerksames Auge haben müsse. Daß sie einen Spion in ihm erblickte, geht aus Hrn. Ephraims eigener Erzählung hervor. Seite 169 seiner Schrift ist er naiv genug, dem Leser zu sagen: „Der Stadtpräsident Büsching habe ihn zu sich rufen lassen, und ihm, im Nahmen des Könnigs, allen Umgang mit Gesandten verboten, wiewohl mit dem Zusatze, daß dieses Verbot sich nur auf den Französischen Gesandten beziehe, und daß er folglich alle übrigen Gesandten, nach wie vor, frequentiren könne.“ Indem nun der geheime Rath Ephraim den Spion, der er in der Ansicht der Regierung war, in sich durchaus übersah, und sich zur politischen Intelligenz constituirte, welche in ihren Aussprüchen durchaus Recht haben wollte: war es wohl sehr natürlich, daß die Regierung, in so fern sie ihm keine politische Meinung mehr gestatten konnte, ihn für gefährlich zu halten anfing, und sich dadurch Ruhe verschaffte, daß sie ihn der Besserungs-Polizei übergab, wozu sie sich um so mehr befugt hielt, da ihr – ob mit Wahrheit oder nicht – gilt hier gleichviel – hinterbracht worden war, daß Herr Ephraim noch immer fortfahre, den Französischen Gesandten zu frequentiren. Von einem Verbrechen war dabei gar nicht die Rede: es kam bloß darauf an, einen Menschen zu neutralisiren, der durch seine unruhige Geschäftigkeit lästig

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geworden war, und, wenn man ihm seine Freiheit ließ, als Doppel-Spion leicht gefährlich werden konnte. Eben deswegen nun konnte keine Untersuchung über das wahre Vergehen des Verhafteten angestellt werden; denn wenn es einen Streit über politische Meinungen gilt, so giebt es für diesen Streit sein Tribunal. Der Staatsgrund allein muß entscheiden; und diese Entscheidung hatte Ephraim hinlänglich dadurch provocirt, daß er der nur Spion seyn sollte, sich geradezu über den Minister der auswärtigen Angelegenheiten stellte und hartnäckig eine Weisheit affichirte, die seine Gesinnung verdächtig machte. An den Folgen der Verhaftung hatte Das, was man Zufall zu nennen pflegt, allzu vielen Antheil, als daß sie zu einem Gegenstande des Vorwurfes erhoben werden könnten. Eine Habeas-corpus Akte gab es im Preussischen Staate nicht; und selbst wenn es eine solche darin gegeben hätte, so würde sie auf Hrn. Ephraims Vergehen keine Anwendung gefunden haben. Im Ganzen genommen hatte er das Schicksal Derer, die sich in alles mengen; und wenn man mit Dem, der sich unter die Treber mischt und von den Säuen gefressen wird, kein Mitleid haben kann, so verdient auch Derjenige kein Erbarmen, der seine Weisheit bei jeder Gelegenheit aufdringt und seine Ueberlästigkeit nicht eher einstellt, als bis er eingesperrt wird. Weil Herr Ephraim von dem Nothwendigen in seinem Schicksale keine Ahnung hatte, so konnte es ihm freilich wohl begegnen, seine Verhaftung als eine – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – ich gestehe zugleich, daß ich noch weniger weiß, was Ehre in Beziehung auf einen Spion ist. Um indeß seinen Lesern das Geheimniß zu erklären, hat Herr Ephraim kein Bedenken getragen, Seite 98. zu erzählen, wie Friedrich II das Polnische Geld durch ihn verfälscht habe, um den Erwerb und Kunstfleiß in Polen darnieder zu halten. (Er macht dabei die Bemerkung, daß er eines Theils nicht berechtigt gewesen sey, dem großen Könige das Ungerechte dieser Handlung vorzurücken, und daß er sich anderen Theils die Kameradschaft um so lieber habe gefallen lassen können, da sie nichts weniger als uneinträglich gewesen sey.) Hierauf erzählt er Seite 102 u. f., wie Friedrich Wilhelm II geruhet habe, von seinen Talenten Gebrauch zu machen, um die Niederländer gegen Oesterreich zu insurgiren und die Franzosen während jener Zeit, wo der Thron in Frankreich zusammen zu stürzen drohete, zu beobachten. Er erzählt endlich Seite 150, wie, unter Friedrich Wilhelms III Regierung, sein Umgang mit den Herren Gesandten nicht nur höheren Ortes genehmigt, sondern sogar anbefohlen worden sey. Freilich, wenn ein so überaus wichtiger Mann, mir nichts dir nichts, in die Hausvogtey gesetzt wird, und länger als drei Wochen vergeblich auf das erste Verhör wartet; so ist wohl gekränkte Ehre im Spiel! Herr Ephraim hätte es bei den mitgetheilten Angaben bewenden lassen können, um den Verstand aller gescheidten Leser zu seinem Vortheile zu bestechen;

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allein da eine doppelte Schnur desto besser hält, so ermangelt er nicht, von dem Vertrauen zu reden, welches Se. Durchlaucht der verstorbene Herzog von Braunschweig in seine Einsichten setzte, und sich nebenher der vertrauten Freundschaft des General=Feldmarschalls von Röllendorf, des Generals von Zastrow, des Generals von Köckeritz und so vieler anderen angesehenen Personen zu rühmen. Alle so eben genannte Personen theilen seine Schmach; denn wie konnten sie sich herablassen, mit ihm Umgang zu haben, wenn er nicht ein ehrenwerther Mann war, der Ihnen von keiner Seite Schande machte? Doch der Leser soll nicht bloß voraussetzen, daß diese Personen durch die Verhaftung des Geheimen Raths Ephraim wesentlich an ihrer Ehre gekränkt worden sind, sondern den Verhafteten auch auf seine eigene Rechnung bedauern. Zu diesem Endzweck stellt sich Herr Ephraim vor allen Dingen als ein sehr bescheidenen Mann dar. Hätte man vor seiner Verhaftung von seinem Thun und Treiben als von einer Geckerei gesprochen, und ihn einen Gimpel genannt, der sein Vermögen aufopfere, um eine belachenswerthe Celebrität zu bekommen: so würde man ihn unstreitig in Harnisch gebracht haben; der Umgang mit dem Herzoge von Braunschweig, dem Feldmarschall von Möllendorf und so vielen Ministern und Generalen, hätte ihm vielleicht nicht einmal erlaubt, eine solche Beschimpfung auf sich sitzen zu lassen. Nach der in der Hausvogtei und in dem Gefängniß zu Küstrin ausgestandenen Kur nennt sich der Herr Geheime Rath selbst einen Gecken und Gimpel, wie Seite 81 zu lesen ist. Ein solches Bekenntniß wird freilich ein wenig spät gemacht, wenn man sich, wie Herr Ephraim, den Siebzigen mit starken Schritten nähert. Doch es werde so früh oder so spät gemacht, als es immer wolle, wenn es nur die Aufrichtigkeit diktirt hat, und wenn man nur von dem Uebermaße von Eigenliebe zurückgekommen ist, welche bis dahin zu Thorheiten verführte. Wie sehr dies nun mit Herrn Ephraim der Fall ist, zeigt sich am auffallendsten in den Urtheilen, die er über Personen von seiner Bekanntschaft fällt. Seite 54 nennt er den General von Köckeritz „einen der rechtschaffensten Männer im Preussischen Staate, der zwar keinen glänzenden, aber doch einen sehr geraden Verstand besitze.“ Eben daselbst wird von dem General von Zastrow geurtheilt: „er verbinde mit Rechtschaffenheit viele nützliche Kenntnisse.“ Seite 150 nennt Herr Ephraim den Geh. Cab. Rath Lombard: „einen von den seltenen guten Köpfen im Preussischen Staate, den selbst Sieyes wegen seiner Kenntniß der Französischen Sprache bewundert habe.“ Für den König kennt Herr Ephraim kein besseres Prädikat, als das der Güte, indem er ihn allenthalben den guten König nennt, der den Krieg mit Frankreich nicht gewollt habe. Von der Königin heißt es, Seite 186: „Wie kann eine so gute, tugendhafte und verständige Dame, wie die Königin, so sehr für den Krieg seyn? Die Möglichkeit des Unglücks – denn wer kennt nicht das

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wandelbare Kriegsglück? – sollte doch billig der guten Königin begreiflich machen, daß sie ebenfalls genöthigt seyn könnte, nach Königsberg zu gehen, wie die Kaisern von Oestreich nach Teschen.“ Auch über auswärtige Personen spricht sich Herr Ephraim mit gleicher Bescheidenheit aus. Seite 92 heißt es von dem Marschall Duroc: „Er hat für sein Alter eine sehr zu bewundernde Kaltblütigkeit, und alles, was er spricht, ist logisch richtig, da er doch die Logik vielleicht nicht einmal studiert hat.“ Seite 140 wird Herr Laforest als ein Mann vorstellt, der vernünftigen Gedanken Gehör giebt.“ Seite 177 wird von dem Minister Bignon gesagt: „Er besitze viel Talent, und habe nicht nur Kenntnisse, sondern auch einen klaren, scharfen Blick und eine außerordentlich leichte Fassungskraft. Er habe auch einen deutlichen angenehmen Vortrag, ohne pedantisch zu seyn, und, was noch lobenswerther, er sey seiner selbst Meister und außerordentlich arbeitsam.“ Ich führe das alles in keiner anderen Absicht an, als um zu zeigen, wie eben der Mann, der sich einen diplomatischen Gecken und noch obendrein einen Gimpel nennt, seinem einmal angenommenen Charakter getreu bleibt, der Eigenliebe auf das allerstrengste entsagt, und, nach so vielen unangenehmen Erfahrungen, endlich dahin gekommen ist, nicht länger über Personen abzusprechen und ihren Werth dem seinigen unterzuordnen. Herr Ephraim würde indessen sehr wenig über das Wohlwollen des Lesers gewonnen haben, wenn er es dabei hätte bewenden lassen, sich ihm als einen anspruchslosen, bescheidenen, von allen Thorheiten für immer geheilten Mann darzustellen. Da ein solcher Charakter niemals imponirt, Herr Ephraim aber imponiren mußte, wenn er irgend ein Bedauern erregen wollte: so gab es schwerlich ein besseres Mittel, als sich von Seiten seiner Gelehrsamkeit und seiner Einsichten zu schildern. Auch hat er dies mit einer Sorgfalt gethan, welche nichts zu wünschen übrig läßt. In der interessanten Skizze, die er von seinem Leben entworfen hat, stellt er sich als Mendelssohns und Lessings Zögling dar. Beide habe, wie es scheint, sehr große Verdienste um ihn: vorzüglich Lessing, der, weil er mit seinem Umgange nicht zurückhielt, sich noch immer gefallen lassen muß, von einem gewissen Theile der Berlinischen Judenschaft als der Urheber ihrer Eigenthümlichkeit genannt zu werden. Nachdem Herr Ephraim seinen ersten Unterricht von einem Talmudisten erhalten, und seine Jugend unter Ausschweifungen aller Art verlebt hatte, brachte Lessing ihn dadurch in das rechte Gleis zurück, daß er ihm das Sprachstudium empfahl. Herr Ephraim lernte in sehr kurzer Zeit, wie er Seite 86 sagt, Englisch und Latein. Mit welchem Erfolge – dies liegt unstreitig am meisten in seiner Schrift zu Tage, von der man keine Seite lesen kann, ohne in immer neue Bewunderung über die Richtigkeit seiner Gedankenfolge und die Präcision seines Ausdrucks zu gerathen. Für einen Liebhaber hier ein ganz kleines Pröbchen! „Sehr selten,“ heißt es

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Seite 81, „ist eine Biographie des Lesens werth: wenn sie nicht den Scharfsinn und die Diktion eines Plutarchs, Tacitus, Robertsons, oder die Laune eines Yoriks enthält; denn ohne diese Vorzüge wird der Held noch in zwei Bänden ein Embryo seyn.“ Doch dies beiläufig. Als Hr. Ephraim einmal den Tempel der Wissenschaften eingeführt war, wünschte er, sich vorzüglich staatswirthschaftliche Kenntnisse zu erwerben, unstreitig, weil er seine hohe Bestimmung, der Rathgeber der sämmtlichen Preussischen Minister zu werden, sehr früh ahnete. Um dieses Bedürfniß zu befriedigen, wendete er sich an den verstorbenen Mendelssohn. Dieser empfahl ihm den esprit des loix von Montesquieu und die discours politiques (hier sind unstreitig die Essays gemeint) von David Hume. Nun sagt uns Herr Ephraim freilich nicht, wie viel Nützliches er in dem esprit des loix und in den discours politiques für die Staatswissenschaft gefunden hat, und Leser, welche mit dem Inhalte beider Werke bekannt sind, könnten sogar auf den Gedanken gerathen, Herr Ephraim wisse von beiden Werken nicht mehr und nicht weniger, als die Titel, und führe diese zu einer kindischen Parade an. Allein der Erfolg zeigt, wie schnell das unvergleichliche Genie des Herrn Ephraim entzündet wurde. Welcher Mann von Kopf hat in seinem Leben nicht wenigstes Einmal Verse gemacht! Herr Ephraim, angezogen von dem honnête criminel, übersetzte dies Schauspiel in Deutsche Verse, welche freilich nicht den Beifall des verstorbenen Mendelssohn fanden, aber, nach seiner Prosa zu schließen, deshalb gewiß nicht weniger vortrefflich waren. Durch einen vorgeblichen Ausspruch des Lope de Vega (Herr Ephraim nennt in Lopez de Fega) von dem Parnaß vertrieben, brach sich der angehende Schriftsteller eine neue Bahn, indem er eine flüchtige Broschüre über Englands Lage und merkantilistische Verfassung schrieb, und fand den unschätzbaren Beifall des verstorbenen Mendelssohn, der davon gewiß recht viel verstand. Kaum waren einige Jahre verflossen, als er, außer Friedrich dem Einzigen, die Preussischen Minister von der Horst und von der Hagen, durch die gründlichen Abhandlungen, die er für und gegen das physiokratische System schrieb, in Erstaunen setzte. Diese Abhandlungen waren die Frucht des emsigen Studiums von Stewards Staatswissenschaft und den Französischen Ephemeriden, und machten eine um so stärkere Sensation, je mehr Friedrich II, wie es Seite 94 heißt, alles verachtete, was von England kam und nur Französische Schriftsteller las. Herr Ephraim, dessen feiner Geist sich unstreitig schon damals nach der Politik hin neigte, war sogar so klug, das physiokratische System mit sehr schwachen Gründen zu vertheidigen, weil er für sich der Meinung war, es sey, in Beziehung auf den Preussischen Staat, besser, die Kräfte desselben nicht auf den Ackerbau allein zu verwenden. Kenner wollen versichern, daß Physiokratismus und Antiphysiokratismus nichts weiter seyen, als Wörter, wodurch zwei

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gleichschlechte staatswirthschaftliche Systeme bezeichnet werden, und daß es außer der National-Intelligenz kein Kapitel gebe. Dem sey indeß, wie ihm wolle: genug, Herr Ephraim stand von dieser Zeit an in dem Kredit eines Mannes, der mehr könne, als – um mich seines eigenen Ausdrucks zu bedienen – ein Butterbrot essen. Wie sehr mag es zu bedauern seyn, daß diese vortrefflichen Abhandlungen nur in die Köpfe einfältiger Minister übergegangen sind! Denn wie würden sie die Welt erleuchtet haben, wenn sie auch nur zur Hälfte mit der Gründlichkeit und dem innigen Zusammenhange, welche diese letzte Schrift auszeichnen, abgefaßt gewesen wären! Von dieser Zeit an überreichte Herr Ephraim sehr viele andere Memoires, die den eben genannten an Gründlichkeit nichts nachgaben. Ein ganz vorzüglicher Gegenstand seines Forschens war die Armee-Verpflegung, wobei er unstreitig auf nichts so sehr Rücksicht nahm, als wie man den Juden diesen vortheilhaften Erwerbszweig entreißen, oder diese Egoisten wenigstens zu ehrlichen Leuten machen könnte. Beiläufig erfährt man, daß eine bogenlange, diesen Gegenstand allein umfassende Abhandlung in die Hände des großen Napoleon gekommen ist; woraus denn der Leser schließen mag, warum es bei der Französischen Armee, in Ansehung der Verpflegung, weit besser hergeht, als bei den Deutschen Armeen, und nahmentlich bei der Preussischen. Was indessen der Weisheit des Herrn Ephraim die Krone aufsetzt, ist seine im Jahre 1806 öffentlich bekannt gemachte Schrift: Ueber Geldumlauf und Papiergeld. Er bedauert in Hinsicht dieses Meisterstücks von klarer Entwickelung, welches die Schöpfung der Tresorscheine veranlaßte, jetzt nur, „daß er seine Besorgnisse in eine Unterredung zwischen dem Minister Walpole und dem Bankdirektor Hutchinson versteckt habe“: ein Verfahren, welches niemals Statt gefunden haben würde, wenn er weniger bescheiden gewesen wäre, und, wie er sich selbst ausdrückt, mehr als Winke hätte geben wollen. – Wie unendlich ist es also zu bedauern, daß man einen so einsichtsvollen Staatsmann und einen so luminösen Schriftsteller ohne alle Façons in die Hausvogtei einsperrte, wo er, nach Seite 11, die ihm zu Theil gewordene philosophische Muße dazu anwendete, Gibbons Werk von dem Verfall und Untergange des Römischen Reiches aufs neue durchzulesen, und sich über zwei hundert Stellen auszeichnete, welche das Fundament eines neuen Werkes über den Verfall des Continents werden sollten: eines Werkes, das, wenn es jemals erscheint, gewiß alles übertreffen wird, was die tiefste Weisheit bis jetzt an den Tag gefördert hat; eines Werkes, das die Welt allein über die Ungerechtigkeit einer unmotivirten Verhaftnehmung beruhigen kann, da die Idee zu demselben nur in der Hausvogtei gebildet werden konnte, wo die nöthigen Seitenzahlen bereits mit einem Messer an die Wand gekritzelt sind!

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Der geneigte Leser wird hoffentlich jetzt schon so einigermaßen wissen, in wie fern er den Herrn Geheimen Rath Ephraim hochzuachten hat; doch ganz im Reinen wird er über diesen wunderbaren Mann nicht eher seyn, als bis er vollständig von seinem Patriotismus unterrichtet ist; und diesem in der That nicht leichten Geschäfte wollen wir uns jetzt unterziehen. Man erstaunt Anfangs, wenn man Herrn Ephraim, wie Seite 41 seiner preiswürdigen Schrift ausführlicher zu lesen ist, gegen den Patriotismus in Monarchieen zu Felde ziehen sieht. „Nur in den kleinen Griechischen Republiken,“ sagt er mit ungemeiner Weisheit, „nur bei den Römern, wiewohl bei diesen auch nur in den besten Zeiten der Republik, und jetzt noch in England, war und ist Patriotismus. In einer Monarchie muß der Monarch Ehrfurcht und Bewunderung zu erregen suchen. Bloße Liebe gegen den König ist Heuchelei; Achtung ist das Vehikel, worauf alles ankommt. Hat ein Herrscher diese, so kann er alles unternehmen und erlangen, sogar wenn man ihn hasset. Friedrich dem Großen ist es nie eingefallen, Liebe zu fordern; er wußte wohl, daß Diejenigen, die am meisten damit prahlen, nur Nebenabsichten haben,“ u.s.w. Wo soll das hinaus? fragt man sich. Legt Hr. Ephraim es darauf an, sich wegen eines etwaigen Mangels an Patriotismus vorläufig zu rechtfertigen? Will er wohl gar den Umstand geltend machen, daß er ein Jude ist, als solcher kein Vaterland hat, den Vortheil der Gleichheit nicht genießt und, aus allen diesen Gründen zusammen genommen, als Patriot der ersten Narrenhäusler von der Welt seyn würde? Man bleibt hierüber, eine längere Zeit hindurch, in der peinlichsten Ungewißheit, bis man endlich die Entdeckung macht, daß alles, was Herr Ephraim über den albernen Patriotismus der in der Person ihres Bürgermeisters von dem Cabinetsrath Beyme protegirten Münchenberger auskramt, nur des lieben Gegensatzes wegen da steht, und folglich nur als der Schatten zu betrachten ist, welcher dem Gemählde von Herrn Ephraims eigenem Patriotismus Kraft und Leben ertheilen soll. Wie rührend ist es, ihn, bei seinem Eintritt in das Gefängnis zu Küstrin, (welches zufälliger Weise eben dasselbe gewesen seyn soll, worin Friedrich II gesessen hat) ausrufen zu hören: Wo ist der göttliche Mann! Und in welchem interessanten Widerspruche steht Herr Ephraim durch diese Exklamation mit seinen hochweisen Erklärungen über den Patriotismus der Münchenberger! Doch dies ist nur der erste Anfang eines Schauspiels, welches zur Erbauung Derer gegeben wird, die bisher in dem Wahne gestanden haben, ein Jude sey keiner hochherzigen Gefühle fähig, und lege es immer darauf an, zu täuschen, um seines Vortheils desto gewisser zu seyn. Herr Ephraim befand sich seit fünf Tagen in den Gefängnissen von Küstrin, als der König von Preussen mit seinem Gefolge in dieser Festung anlangte.

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Kaum hatte er das erfahren, so wallte sein gefühlvolles Herz von den Empfindungen des Patriotismus über, und, allen Groll über das ihm widerfahrne Unrecht entsagend, schrieb er für die General-Majors von Köckritz und von Zastrow folgendes Billet nieder: „Ich bin seit dem 25sten Sept. in Berlin verhaftet, ohne daß man mich verhört, noch mir mein Vergehen kund gemacht hat. Den 18. Okt. bin ich auf die grausamste Weise nach Küstrin transportirt worden. Ich bitte nicht um Entlassung aus meinem Arrest, sondern nur um Rechtspflege; doch wünsche ich, meinem Vaterlande (?) durch meine Bekanntschaft Dienste leisten zu können, und durch dies Benehmen mich an meinen Feinden zu rächen, sollte ich auch die Vollführung dieser guten Absicht, selbst unter Observation, als Gefangener thun müssen. Ich bin in den öffentlichen Blättern als ein Staatsverbrecher gebrandmarkt, und nur eine öffentliche Ehrenerklärung kann mich rechtfertigen.“ Die Herren General-Majors begnügen sich indeß, dem Geheimen Rath Ephraim einige Goldstücke zu schicken, die er, da ein wahrer Patriot sich auch durch die größten Kränkungen nicht irre machen lassen darf, mit Vergnügen annahm, unstreitig, um dadurch einen neuen Beweis von seiner Resignation und Tugend zu geben. Von jetzt an häufen sich die Züge des Patriotismus so sehr, daß man Mühe hat, sie alle in sich aufzunehmen. Die Franzosen rücken in Küstrin ein. Der Oberst Dupelin wird Kommandant der Festung. Kaum hat dieser die Bekanntschaft des verhafteten Geheimen-Raths gemacht, als er, gerührt von dessen unglücklichem Schicksal, ihm nicht nur seine Freiheit, sondern auch Geld anbietet. Herr Ephraim, wo nicht ein zweiter Sokrates, doch wenigstens erhaben über den Leichtsinn eines Hugo Grotius, erklärt mit seltener Standhaftigkeit: „daß er von den Franzosen weder Geld, noch seine Freiheit annehmen könne, daß er an seiner Ehre gebrandmarkt sey, und daß dieser Fleck nur durch eine öffentliche Ehrenerklärung von Seiten seines Königs weggewaschen werden könne.“ Vergebens dringt Dupelin in den Patrioten; er bleibt unerschüttert, bis ihm endlich das Bild des liebenswürdigen Marschalls Duroc in die Seele geschoben wird. Doch die erweichende Kraft dieses Bildes kann nicht mehr als folgendes, höchst patriotisches, Billet an den besagten Marschall erzeugen: „Ich hätte gewünscht, Ew. Excellenz zu sehen, weil ich gewiß, ohne Frankreich zu schaden, meinem Vaterlande (?) Dienste geleistet hätte; allein die Umstände erlauben mir nicht, Küstrin zu verlassen. Uebrigens bin ich so frei, Sie dem“ (soll vermuthlich heißen: Ihnen den) „General Zastrow zu empfehlen, der ein Mann von Kopf und von einem für Preußen heilsamen System ist.“ Unstreitig glaubte Herr Ephraim, seinem Vaterlande durch dieses Billet die letzte Pflicht bezahlt zu haben; denn als er bald darauf durch einen Kapitän von der Garde d’Elite aufgefordert wurde, zu dem Marschall Duroc nach Berlin zu kommen, nahm er, wie man Seite 89 seiner interessanten Schrift lieset, diese Auf-

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forderung mit Vergnügen an; und zwar Einmal, weil Küstrin ihm – wegen gewisser Umstände – nicht mehr behagte; und zweitens, weil er gegen den Marschall Duroc wahre Achtung und Liebe hegte: Gefühle, die allerdings stärker seyn mußten, als der Patriotismus, da dieser durch irgend etwas zum Weichen gebracht werden mußte. Doch wir müssen, um den Patriotismus des Herrn Ephraim recht gründlich kenne zu lernen, seine politischen Maximen einer genaueren Prüfung unterwerfen und zu dem Ende in die Periode zurückgehen, wo Preussens Schicksal noch nicht entschieden war. Seite 141, und an mehreren anderen Stellen seiner lehrreichen Schrift, stellt Hr. Ephraim den Grundsatz auf: „daß Preußen Rußland schonen, aber sich mit Frankreich verbünden müsse;“ und dieser Grundsatz ist für ihn um so mehr ein Orakelspruch, als er von Friedrich II herrührt. Ich frage: Zeigt sich Herrn Ephraims Geist hier nicht in seiner ganzen Vortrefflichkeit? Denn was ist in der Welt wohl nothwendiger, als es, wenn das irgend thunlich ist, mit Niemand zu verderben, Gott und dem Mammon zu gleicher Zeit zu dienen, und, wie das Sprichwort sagt, weder Fleisch noch Fisch zu seyn! Ueber die Thoren, welche behaupten, jener Grundsatz habe seine Anwendung nur so lange gefunden, als die Europäische Welt durch die Idee vom Gleichgewichte der politischen Macht regiert worden sey, und habe weggeworfen werden müssen, sobald diese Idee in dem Französischen Revolutions-Kriege ihren Untergang gefunden! Als wenn Personen, welche von Einer Legation in die andere wandern, um hier zu horchen und dort zuzutragen, dies nicht weit besser verstehen müßten! Verdankte denn Preussen nicht seine ganze Größe dem Gleichgewichts-System, und mußte es sich nicht eben deswegen in einer beständigen Schwebe zwischen Rußland und Frankreich erhalten? Was soll der Traum von wachsender Cultur! Was die Verbindlichkeit, den Zeitgeist zu begreifen, der eine solche Universal=Monarchie, als bisher durch England gebildet wurde, nicht länger gestatten will? Das sind Chimären, von welchen man im Leben keinen Gebrauch machen kann! Man muß dem Glauben der Väter getreu bleiben, die Umstände mögen beschaffen seyn, wie sie wollen. In der That, ich bewundere die Weisheit des Herrn Ephraim in seinen politischen Maximen eben so sehr, als ich die Stärke seiner patriotischen Empfindungen verehre. Jetzt fehlt nur noch Ein Aufschluß, um sich Herrn Ephraims Wesen in allen den Prädikaten zu erklären, die er sich in seiner höchst interessanten Schrift beigelegt hat, und folglich den bescheidenen Mann in ihm eben so gut zu begreifen, als den genievollen Memoiren-Schreiber und den unermüdlichen Patrioten. Glücklicher Weise hat er diesen Aufschluß selbst gegeben, so daß wir durchaus nicht nöthig haben, ihm etwas unterzulegen, das mit seinen eigenen Geständnissen nicht in der vollkommensten Harmonie stände. Die merkwürdige Stelle, die sein

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ganzes Thun und Treiben in’s Licht stellt, findet man Seite 185, wo sie Wort für Wort also lautet: „Da das System, mit Frankreich stets in Frieden und Eintracht zu leben, unstreitig das heilsamste war, so suchte ich auch bei jeder Gelegenheit, mündlich und schriftlich, mittelbar und unmittelbar, diese friedlichen Gesinnungen zu äußern, nehmlich, daß Preussens Glück und Wohlfahrt bloß auf diesem System beruhe. Der hochselige Herzog von Braunschweig nahm sich meiner auf’s äußerste an, und drang darauf, mich für meine geleisteten Dienste und Aufopferungen einigermaßen zu entschädigen, indem solche sich auf 26,000 Thaler beliefen; den Schaden ungerechnet, den ich durch Versäumung meiner hiesigen Geschäfte und durch die höchst ungerechte Aufhebung meines Lieferungs-Contrakts erlitten hatte. Der König assignirte mir deshalb dreitausend Thaler auf die Dispositions-Kasse: eine Summe, die ich gewiß nicht aus der Ursache erhalten habe, weil ich den Krieg (mit Frankreich) zu befördern gestimmt war. Ich wurde vielmehr dadurch um so eifriger angespornt, mit Aufopferung meiner selbst alles anzuwenden, um diesen unglücklichen Entschluß abzuhalten.“ Also um, wo möglich, durch den Herzog von Braunschweig 26,000 Thaler zu fischen, war Herr Ephraim ein so unermüdlicher Diplomatiker und Patriot, und erst, als er die Nichtigkeit seines Thuns und Treibens einsah, nannte er sich selbst einen Gecken und Gimpel. Achtet man, bei Durchlesung der Ephraimschen Schrift, nur auf das, was mit dem Verfasser selbst vorgeht, so kann man sich schwerlich des Lachens enthalten, und noch weit weniger vermeiden, an den Frosch in der Aesopischen Fabel zurück zu denken, der sich so lange aufblähet, bis er platzt. Die ganze Schrift, so weit sie nur den Geheimen Rath Ephraim angeht, ist eine wahre Komödie, in welcher ein eingebildeter diplomatischer Geck durch seine Eigenliebe Alles um sich her beleidigt, und selbst da, wo er über einzelne Personen in Lobeserhebungen ausbricht, beständig mißhandelt. In anderer Hinsicht hört diese Schrift freilich auf eine Komödie zu seyn; und, irren wir nicht, so muß jeder Preusse, wenn er ein Mann von Bildung ist, sie mit der höchsten Zerknirschung und mit allen den Gefühlen lesen, welche eine wahre Tragödie einzuflößen pflegt. Vielleicht ist die Zeit noch nicht gekommen, wo man ernsthaft über eine solche Erscheinung nachdenkt; aber was wird die Nachwelt sagen, wenn der Zufall ihr das eine oder das andere Exemplar von dem Ephraimschen Machwerke aufbehalten sollte! Wird sie es glauben, daß solche Verhältnisse, wie in diesem Buche geschildert sind, wirklich Statt gefunden haben? Und wenn sie, da auch der entschlossenste Pyrrhonismus seine Gränze hat, die in demselben niedergelegten Fakta, wenigstens der Hauptsache nach, als wahr anzunehmen sich gedrungen fühlt – wie wird sie alsdann urtheilen? Wir wollen ihr nicht vorgreifen in ihrem Richterspruche; aber die Elemente desselben anzuge-

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ben, ist um so mehr heilige Pflicht, da der Sinn für das Schickliche und Unschickliche immer mehr zu ersterben scheint. „Was war das für ein Herzog von Braunschweig,“ wird sie sagen, „der einem so konfusen, in seinen Ideen und seinen Gefühlen gleich sehr zerrissenen Juden freien Zutritt zu sich gestatten, auf seinen Rath einen Werth legen, seine Billette in dem Staatsrathe vorlesen, und sich seiner Geldspekulationen bei dem Monarchen annehmen konnte! (Seite 185) Was war das für ein General von Köckritz, der, in Gemeinschaft mit eben diesem Juden, zu dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten gehen konnte, um einem auswärtigen Gesandten eine Eskorte zu verschaffen (Seite 130), und der, bei einer andern Gelegenheit, denselben Juden mit einem vertraulichen Du bat, nicht länger zu ihm zu kommen, damit er nicht kompromittirt würde! (Seite 54) Was war das für ein Feldmarschall von Möllendorf, der mit diesem Juden in einer Verbindung stand, die ihm erlaubte, sich zwischen den Feldmarschall und den Minister der auswärtigen Angelegenheiten in die Mitte zu stellen, um, wo möglich, eine Versöhnung zu Stande zu bringen! (Seite 189) Was war das für ein Minister der auswärtigen Angelegenheiten von Haugwitz, der, nachdem er das höchste Maß der Grobheit und Pöbelhaftigkeit gegen diesen Juden erschöpft hatte, (Seite 181) sich von ihm nicht anders befreien konnte, als durch den Befehl zu einer Verhaftnehmung! Was war das für ein Geheimer Cabinetsrath Lombard, der, nach einer sehr wichtigen Conferenz, diesem Juden sagen konnte: Ihre (in dem Billet an den Herzog von Braunschweig mitgetheilten) Gedanken waren die besten! (Seite 149) – Und bei einer solchen, alle Einsicht, alle Tugend, allen Charakter und alle Schicklichkeit verleugnenden Aristokratie glaubte man, sich unter den Stürmen aufrecht erhalten zu können, welche Europa erschütterten? Beklagenswerther Staat! Beklagenswerthere Dynastie! Der Abgrund, der euch zu verschlingen drohete, öffnete sich unter euren Tritten, und ihre ahnetet ihn nicht. Das Gebäude eurer gegenseitigen Wohlfahrt war dem Einsturz nahe, ehe der Feind kam, der diesen Einsturz vollenden sollte!“ Indem die Nachwelt so spricht, sagt sie zugleich, wodurch Staat und Dynastie allein gerettet werden können, und Herr Ephraim hat sich vielleicht ein großes Verdienst erworben, indem er, dem Zuge seiner gekränkten Eigenliebe folgend, mehr als jeder Andere vor ihm, – wenn gleich gegen seine Absicht – die allgemeinste Ursache der öffentlichen Schwäche aufgedeckt hat.

2 Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen (1776) Quelle: anon. [Benjamin Veitel Ephraim], Worthy, Ein Drama in fünf Aufzügen. Danzig: Jobst Hermann Flörcke, 1776.

W o r t h y, ein Drama in fünf Aufzügen

Danzig, bey Jobst Hermann Flörcke. 1776.

https://doi.org/10.1515/9783110739770-005

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Personen Worthy. Dessen Frau. Sara. Jenny,

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ihre Töchter.

George. Moses,

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ihre Söhne.

Lord Maskwell. Lord Kingston. Noddy. Brigard. Kerkermeister. Miß Rosalie. Bedienter bei Maskwell

Erster Act. Erster Auftritt. (Ein Gefängniß mit einem Verschlag.) Worthy. (An einem Tisch sitzend, worauf eine brennende Lampe steht.) Versperrt, von der ganzen Welt verlassen, wo soll ich Hülfe finden? Der verworfenste Bettler kann am Kreuzwege durch zerlumpte Kleider und jammerndes Gewinsel unter Hunderten doch vielleicht einen zum Mitleid bewegen, aber ich – ja 5 gewiß ist mein Untergang unvermeidlich, wann du nicht, allgütiger Gott, mir deine Gnade – – Gnade! Und womit hab ich sie verwirkt? Ich durchlaufe meinen ganzen Wandel, und wo finde ich das Verbrechen, welches das, was ich jezt leide, verdiente? Doch vielleicht sind für mich dort oben bey dir die Belohnungen. – – Aber wie? Müssen nothwendig nur auf irrdische Quaalen, künftige Belohnungen 10 folgen? Und wann sie nicht folgten, warum litt’ ich, warum litt’ ein jeder Rechtschaffener, und ließ Maskweln triumphiren? Trotz der göttlichen – (er springt auf) Gott was habe ich sagen wollen! Ha! Nichtswürdiger, wars Dir nicht genug, mein Kind entführt und geschändet zu haben, auch meine Gewissensruhe willst Du mir 15 rauben? Nein, das sollst Du nicht, ehe will ich in diesem Gefängniß verschmach-

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ten, ehe ich Dir meine Einwilligung zu einer andern Heyrath gebe, so lange meine Tochter lebt. Allgütiger Gott! Hier stehe ich armer verlaßner Mann. Ich flehe nur um Standhaftigkeit, deine Verhängnisse geduldig ertragen zu können, und um Schonung meiner Kinder. 5

Zweyter Auftritt. Der Kerkermeister. (indem er ihn noch beten hört) Seltsame Erscheinung! (zum Prediger) Mein Herr, ein gewisser Brigard verlangt mit Ihnen zu sprechen. Er giebt 10 vor, daß er Ihnen Sachen von Wichtigkeit zu offenbaren habe. Sie werden wissen, wie weit Sie Sich einlassen können. Das allgemeine Gerücht will ihn nicht ganz frey sprechen. Worthy. Mein Freund, mann kann nicht wissen, wie zuweilen Menschen, sich selbst unbewußt, in Fehler verfallen, und sie haben nur eine geringe Ermahnung 15 nöthing, um wieder zu sich selbst zu kommen. Ich möchte ihn wohl sprechen. Kerkermeister. Er soll sogleich bey Ihnen seyn. – Ich habe Ihrer Familie eine von meinen Stuben eingeräumet. Sie haben in dieser Gegend keine Wohnung erhalten können. Zwar habe ich selbst nicht viel Raum, allein Ihre schöne Tochter hat mich ganz durch ihre Thränen erweicht. Ich verlange auch nicht mehr als ein 20 anderer dafür. (geht ab.)

Dritter Auftritt. 25

Worthy. alsdann Brigard. Worthy. Es scheint, sein Amt hat ihn nicht um alle menschliche Empfindungen gebracht. Noch gutherzig, von meinem Unglück gerührt! (zum Brigard, welcher eintritt.) Der Kerkermeister hat mir gesagt, daß Sie mit mir zu sprechen verlangen. Sie su- 30 chen vielleicht Gesellschaft, und ich nehme sie mit Freuden an. Brigard. Mein Herr, Ihre Bekanntschaft ist mir nothwendig, ja nothwendiger als Sie wohl denken. Ich hätte viel zu thun, alles wieder gut zu machen, was ich Ihnen Uebels zugefügt habe. Lassen Sie Sich dieses freymüthige Bekenntniß nicht befremden. Das Nachdenken über mein Unglück, worein mich meine Laster ge- 35 stürzt, und Ihre gestrige erbauliche Rede machte so viel Eindruck auf mich, daß ich Gottlob! mein Verbrechen mit Erröthen gestehen, und um Vergebung bitten kann. Ehe ich Ihnen aber alles entdecke, so gewähren Sie mir eine Bitte. Sie sind alt, von Krankheit ausgezehrt, und können die Unbequemlichkeiten des Gefängnisses noch nicht ertragen. Nehmen Sie einen Theil meiner Betten von mir an. Ich 40

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habe mich bereits an das unglückliche Leben gewöhnt, und kann eher das harte Lager bequem finden, als Sie. Ja der Gedanke, einen Theil meiner Pflicht gethan zu haben, wird mich auf der bloßen Erde weit sanfter ruhen lassen, als auf Betten, die eher Ihnen, als mir, zugehören. Worthy. Mein Herr, was Sie mir sagen ist mir ein Räthsel. Ich kenne Sie nicht, kann mich auch nicht erinnern, Sie jemahls gesehn zu haben. Ich werde von niemanden etwas annehmen, wozu ich kein Recht habe. Brigard. Wann ich Sie aber überführen werde, daß Sie dazu Recht haben, und daß diese angebotenen Betten in keinen Vergleich mit dem Schaden kommen, den ich Ihnen zu gefügt. Worthy. Alsdann werde ich noch sehen, ob es sich für mich geziemt. Brigard. Erkennen Sie in mir denjenigen, der Sie und Ihren Nachbar Noddy auf dem Markt zu Upson um funfzig Guinees betrog. Allein, Gott weiß es, die Noth meiner hungernden Familie und falsche Schaam, durch Arbeit mein Auskommen zu gewinnen, haben mich in diese Laster gezogen. Worthy. Ich bin wohl zu Upson von einem alten Mann betrogen worden, aber nicht von Ihnen. Brigard. Es war mir damals ein leichtes, alle mögliche Gestalten anzunehmen. Ich bin nicht im Stande, Ihnen und dem Herrn Noddy den Verlust zu ersetzen. Allein vielleicht kann ich Ihnen einigen Nutzen schaffen, wann Sie mir entdecken wollen, welcher Umstand Sie hieher ins Gefängniß gebracht. Glauben Sie nicht, daß es eine bloße Neugierde sey. Worthy. Auch alsdann noch wäre ich es mir und meinem Stande schuldig, Ihnen die Ursache meines Hierseyns zu eröfnen. Ohne Zweifel kennen Sie den jungen Maskwell, den Erbherrn dieser unglücklichen Gegend, wo ich Prediger bin? Brigard. Ich kenne ihn. Worthy. Nun, diesen Maskwell habe ich’s zu danken, daß ich hier bin. Ein unglücklicher Brand, der mir alles raubte, setzte mich ausser Stand ihm eine Schuld von zwey hundert Pfund zu bezahlen, und diese Schuld hat seiner Rachsucht zur Beschönigung dienen müßen. Und wollte Gott! daß dieses das einzige Unglück wäre, welches er über mein Haupt gebracht hat! Denn, können Sie es glauben, mein Herr, nur erst, nachdem er meine älteste Tochter entführt, unter der Larve der Heyrath geschändet, und dann geschändet wieder verstoßen, ist es ihm eingefallen, meiner armen Familie ihren Vater und Ernährer zu rauben. Brigard. Wollte Gott, ich hätte keinen Antheil an der schändlichen Entführung, doch bin ich auf mein jetziges Unglück stolz. Denn, wissen Sie, daß ich mir lediglich dieß Gefängniß zugezogen, weil ich nicht genug im Laster verhärtet war, um seinen grausamen Befehl zu erfüllen, und Ihre Tochter in ein Kloster nach Frankreich zu bringen. Ich hoffe aber, daß Sie auch mich retten sollen. Ihre Rechtschaffenheit ist zu bekannt, als daß Sie nicht seinen Oheim von seinen Freveltha-

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ten ganz überführen, demselben die Augen öfnen, und ihn bewegen solten, meinen Worten Glauben beyzumessen. Mächtige, wie Maskwell, können, wenn man zögert, alle Ohren gegen das Geschrey der Unschuld verstopfen. Ich will erst thätig seyn, und Ihnen alsdann mehr entdecken. (er geht ab.) 5

Vierter Auftritt. Worthy. Moses. 10

Worthy. Dieser Mann erregt meine ganze Neugierde. Er klagt sich an! rechtfertigt sich! – Ich weiß nicht, was ich von allem diesen denken soll. – (zum Moses, welcher mit der Bibel in der Hand aus dem Verschlag kömmt.) Wie hast du geschlafen mein Sohn? Du siehst heute viel heiterer aus. Moses. Ja, liebster Vater, des Morgens recht ruhig; um Mitternacht quälten mich Träume. Worthy. Schon wieder einen Traum? Moses. Es war Mitternacht, so träumte ich: als ich mit Schrecken den Glockenschlag Eins hörte. Diese Stunde, die mir immer durch den Umlauf der Gespenste, welche ihre Gräber verlassen, fürchterlich ist, wurde mir durch ein vermeintes Donnerwetter noch schrecklicher. Himmel und Erde schienen zu vergehen, und den jüngsten Tag zu verkündigen. Ich wollte mich in Ihren Armen, liebster Vater, verbergen, allein Sie waren so ruhig, und sagten, fürchte dich nicht, mein Sohn. Gott ist gerecht, und wird uns gewiß nicht verlaßen. Sie küßten mich, vor Freuden erwachte ich, und schlief alsdann bis am Morgen. Worthy. Sey standhaft, mein Sohn, und vergiß deinen Traum nicht. Gott kann uns wohl züchtigen, wird uns aber nicht ewig verlassen. – Geh und sieh, was deine kranke Schwester macht. Ich werde mich zu den andern Gefangenen begeben. Sollte Herr Noddy kommen, so ruffe mich. – – Doch bald hätte ich vergessen; hast du noch keinen Trost aus den Psalmen gehohlt? Moses. Sehr viel Trost, der Ihnen nicht ausbleiben kann; denn Sie sind gerecht. Worthy. Antworte auf das, was ich frage, und enthalte dich des Richtens. Was hast du gelesen? Moses. (ließt laut aus der Bibel) Ich bin jung gewesen und alt worden, und habe noch nie gesehen den Gerechten verlaßen, und seinen Saamen nach Brode gehen. (er küßt ihn mit Entzücken, und geht ab.)

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Fünfter Auftritt. Moses. Noddy. Moses. Ich möchte lieber hier bleiben, als bey meiner Mutter und Schwester seyn. 5 Sie sind so betrübt.

Noddy. (tritt herein.) Moses. (springt auf ihn zu) Wo kommen Sie her? Ihre Tochter auch hier? Noddy. Was machst Du? Du siehst noch immer dick und rund aus. Jeta läßt dich grüßen, hat mir auch was für dich mitgegeben. 10 (er giebt ihm Kuchen.) Moses. Ach! die gute Jeta. Warum haben Sie sie nicht mitgebracht? Doch nein, hier ists abscheulich. Wann ich nur etwas hätte, um es ihr wieder zu schicken, allein wir sind so arm, so arm! Noddy. Wo ist dein Vater, Junge? 15 Moses. Er ist zu den übrigen Gefangenen gegangen. Er pflegt sehr lange da zu bleiben. Soll ich ihn ruffen? Noddy. Ruffe ihn. Doch höre erst, was macht Jenny? Moses. Was soll sie machen? Sind wir um ihr, da ist sie ganz ruhig; aber ist sie allein, da weint sie. Ich will den Vater rufen. 20 (geht ab.)

Sechster Auftritt. Noddy allein. 25

Arme Jenny! Wie sehr dauerst du mich! Jetzt wäre die beste Zeit meinen Antrag zu machen und in den Umständen, worin sie sich versetzt findet, wird sie ihn gewiß nicht ausschlagen. (er sinnt nach.) Doch nein! Das hieße die Liebe erpreßt. Kein Zwang soll sie in die geringste Verlegenheit setzen. Selbst für dieses Geld soll 30 Worthy mir keinen Dank schuldig bleiben.

Siebenter Auftritt. Worthy. Noddy. 35

Worthy. Es freut mich, liebster Herr Nachbar, Sie zu sehen; wie tröstlich ist es, im Elende noch Freunde zu finden. Guter Herr Noddy, was denkt man von meinem Unglück? Ich möchte nicht gerne, daß die wahre Ursache verborgen bliebe. Leute von meinem Stande müssen mehr, als jemand anders, unverdienten Ruf zu ver40 meiden suchen.

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Noddy. Ich weiß, was ich davon denken soll. Was die Welt schwatzt, darum muß sich kein vernünftiges Geschöpf bekümmern. Es giebt noch Gelegenheit, Sie zu retten, allein Sie sind in der Wahl der Mittel zu strenge. Worthy. Mein Freund, ich will gerne alle Hülfe mit Vergnügen annehmen, die meinem und meiner Familie Elende ein Ende machen. Noddy. Es ist zwar schwer, genau zu bestimmen, wie viel man zu seiner Rettung sich erlauben, und wo man still stehen müsse; allein sagen Sie mir, Herr Prediger, wie? wann der Gegner einen so weit brächte, daß ihm alle Wege abgeschnitten wären, und daß, wann er weiter fliehen wollte, ins Wasser gleiten und ersaufen müßte? Worthy. Alsdann ists freylich erlaubt, allenfalls sich mit dem Tode seines Feindes zu retten. Die Selbsterhaltung ist unsere erste Pflicht. Noddy. Herr Prediger, das ist hier der Fall. Sie sind verlohren, wenn Sie Sich nicht von Ihrem Feinde loß machen. Ich biete Ihnen meine Dienste an. Sie wissen, ich thue alles für meinen Freund. Die beste Gelegenheit dazu ist seine Jagd. – – Worthy. Herr Nachbar ists Ihr Ernst? Noddy. Ja freylich, mein vollkommener Ernst. Kann ein wildes reißendes Thier anders als durch seine Zernichtung unschädlich gemacht werden? Worthy. Verwunderung und Schrecken bemächtigen sich meiner Seele! Ihre blinde Freundschaft macht, daß ich Ihnen Ihre Sophisterey verzeihe. Welcher böse Geist blendete Sie, als Sie diesen Entwurf ausbrüteten? Maskwell ermorden? Und warum? Weil er ein Bösewicht ist? Ists Ihr Amt! Giebt Ihnen die menschliche Gesellschaft Recht dazu? Er verging sich lange nicht so sehr gegen die allgemeinen Pflichten, als Sie es blos mit Ihrem unbesonnenen Einfall thun. Noddy. Nur Sie sind fähig, mich von meinem Vorsatz abzubringen. Doch beynahe hätte ich das Wichtigste vergessen. Sie werden Sich zu erinnern wissen, wie wir auf dem Marckt zu Upson von einem alten Mann um funfzig Guinees betrogen worden. Ich habe so eben diesen Schelm erhascht, und da ich mit Arrest drohte, hat er mir acht Guinees auf Abschlag bezahlt. Hier sind Ihre vier Guinees, und ich werde bey Gelegenheit Ihnen die Quittung hierüber abfordern. (er zählt das Geld auf den Tisch.) Warum stehen Sie in Gedanken? Worthy. Nichts, gar nichts, ich denke nach, der Zufall ist glücklich. (Seitwärtz.) Gott! Welche großmüthige Handlung! Er empfinde das Vergnügen, mir das Erröthen über seine Wohlthat zu ersparen. Noddy. Mein Herr, wollen Sie das Geld nachzählen? Worthy. Das wird wohl unnöthig seyn. (Er scharrt das Geld zusammen und Noddy geht weinend ab.) Worthy. (Sieht ihm nach.) Wer nur Gutes zu thun den Willen hat, dem wird es nie an Gelegenheit fehlen. Elend, wer das Geld diesen Thränen vorzieht. (Geht ab.)

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Erster Auftritt. (die Wohnstube der Worthyschen Familie.) Frau Worthy. Sara. Jenny. (sitzen und spinnen.) Frau Worthy. (zur Sara.) Du kannst nicht mehr. Lege die Arbeit aus den Händen. So gehts wenn man ins Laster verfallen. Gewissensangst und ein zerrütteter Körper sind die natürlichen Folgen des Lasters. Verdruß und Nachläßigkeit verschwistern sich, und wir werden zu allem stumpf und unfähig. Man nannte mein gerechtes Mistrauen, übertriebene Vorsorge, und nur duch eigenen Schaden wollte man belehret seyn. Sara. Glauben Sie nicht, liebste Mutter, als wenn die Arbeit mir beschwerlich würde. O nein! Nur das macht mich unruhig, daß ich mit meinen Händen nicht genugsamen Unterhalt verschaffen kann. Wann sich doch mein Vater entschließen möchte, dem Maskwell seine Einwilligung zur Heyrath mit der Miß Rosalie zu geben. Ich selbst will frohlocken, ihr Myrrtenkränze ins Haar flechten und dann – – – Oh mein Kopf; mein Kopf! Frau Worthy. Dein Vater glaubt, daß diese Weigerung seine Pflicht sey, und die wahre Pflicht seine Rettung zu befördern, wird von ihm verabsäumet. O! hättest Du meiner Warnung getrauet. Allmächtiger Gott! was wird aus diesem allen noch werden. Jenny. Liebste Mutter, verzeihen Sie. Meine Schwester ist eine unschuldig Verführte, daß unser Vater – – – Frau Worthy. Unschuldig Verführte! Verbanne diesen Unsinn aus Deiner Seele, oder du bist Deinem Fall nahe. Eine unschuldig Verführte kann nur im Roman existiren. – Geh, und bereite Deinem Vater zu essen. Ich will den Brief an meinen George bestellen. Dieß ist schon der dritte, der ihn zur Bestrafung des schändlichen Maskwell auffordert; sollte er so ehrvergessen geworden seyn, seine Familie nicht rächen zu wollen? (geht ab.)

Zweyter Auftritt. Sara. Jenny.

Jenny. Liebste Schwester, Du bist niedergeschlagen. Deine schwachen Hände versagen Dir ihre Dienste. Deine alle Augenblick veränderten Gesichtszüge zeigen die trostlosen Bewegungen Deines Herzens. Verbanne diesen Kummer, und laß 40 die Verzweifelung nicht zu tiefe Wurzeln schlagen. Die möchten schwer auszurot-

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ten seyn. Der Trost, aus Mangel genungsamer Erfahrung verführt worden zu seyn, ist hinlänglich, ein erliegendes Herz zu befriedigen. Seit einigen Tagen drohen Deine Blicke, die sonst sanft und heiter waren, nichts als Gefahr. Dir selbst unbewußt, fährst Du plötzlich auf und nieder, gleich einer Verzweifelten – – Ich will doch nicht hoffen? Ich will doch nicht hoffen (Sie sieht sie eine Weile mitleidig an; und umarmt sie) Verzeih, wenn mein Argwohn ungegründet ist. Wahre Liebe geräth bey jeder verdrießlichen Mine in traurige Ahndungen. – Du schweigst? Ich bitte, ich beschwöre Dich, verbirg mir nicht länger die Dich verzehrenden Geheimnisse. Dein zurückhaltendes Wesen beunruhigt mich. Sara. Deine schmeichelhaften Worte sind mir weit unerträglicher, als die harten Vorwürfe einer erzürnten Mutter. Gleich geschärften Dolchen zerfleischen sie mein Herz. Der Magnet will Eisen, und keine Gold=Speise. Feuer will brennendes Oel haben. – Liebst Du mich? Jenny. Ob ich Dich liebe? Dein Zweifel kränkt mich. Hast Du je das Gegentheil davon empfunden? Verlangst Du ausstudirte schmeichelhafte Reden, wie die Töchter des Königs Liar, wo sich die Liebe so geschwind, wie die Worte in der Luft, verlieren. Nein, liebste Schwester, wahre Liebe ist stumm. Sara. Höre dann. Wenn Dir ja an meiner Freundschaft etwas gelegen ist, so ändre Deine Sprache. Nimm den bestrafenden Ton der aufgebrachten Mutter an. Mahle mir meine Laster mit den stärksten Farben, suche die Schande desselben meinem Gedächtniß so fest einzuprägen, daß sie sich wie einen fressenden Krebs fest setze, und meine unruhige Seele keinen Augenblick in Ruhe lasse. Zeige mir einen geliebten von Kummer vergehenden Vater. Zeige mir sein voriges blühendes Gesicht, sonst heiter wie die Sonne, jezt blaß als der Tod. – Ich bitte, ich flehe Dich! zeige mir mein eignes Herz, welches sich selbst untersuchen durfte, und nun beym bloßen Gedanken vor Schreck und Schauder zurück weicht. Dann sage, ob ich ruhig seyn kann. Wer niemals Wermuth gekostet, kann sich von dessen Bitterkeit keine Vorstellung machen. Für Gift muß Gegengift. – – – Jenny. (Seitwärts.) Meine Reden thun die entgegengesetzte Würkung. Ihr Gemüth ist in Gährung.

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Dritter Auftritt. Moses und die Vorigen. 35

Sara. (läuft auf den Moses zu, küßt ihn, und stößt ihn von sich.) Rettung! Liebste Schwester, Rettung! Hülfe! Ich habe den armen Knaben gefährlicher, als ein Schlangenbiß vergiftet. Siehe seine Wangen erblassen; die Haare werden starr. Seine Augen verdunkeln, verdrehen sich. Nun fällt er. (Sie steht einen Augenblick in Gedancken, und ergreift ihn alsdann beym Arm.) Ha, guter Knabe, sieh mir 40

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steif ins Gesicht, sage die Wahrheit. Siehest Du in diesen Zügen etwas veränderets? Moses. (Zur Jenny.) Liebste Schwester, erbarme Dich, reiß mich loß. Sara. Weißt du auch schon das Unangenehme zu verschweigen? Moses. Ja genug veränderliches. Du küßt und stößt mich von Dir. (Er weint.) Jenny. (Sachte zum Moses.) Weine nicht, liebster Bruder. Deine Schwester ist kranck, ja gefährlich krank. Sara. Was bringt Dich her? Warum verließest Du die geheiligten Wohnstätte Deines Vaters? Vormals war ich gerne bey ihm. Meine Gegenwart linderte seinen Kummer. Jezt haben sich die Laster als Schlangen um meine Stirne gewunden. Siehe mich nicht an, oder Du versteinerst. Flieh von hier! Moses. Unser lieber Vater schickt mich um zu sehen, was Du machest. Er ist so sehr um Deine Gesundheit bekümmert. Jenny. Siehst Du, liebste Schwester, Dein Vater liebt Dich. Nur Deine Unzufriedenheit kränkt ihn. Glaube mir, die verzeihende gütige Mine eines Vaters, wie der unsrige, überwiegt bey weitem das schlechte Urtheil einer ganzen Welt. Sara. (zum Moses.) Folternde Güte! Hast Du auch bereits die Verstellungskunst erlernt? Es ist gefährlich, wenn der Sturm das Meer gegen den Strom beweget. Moses. Ich weiß von keiner Falschheit. Von Dir habe ich sie zum erstenmahl gesehen. Du küßtest mich, und stößest mich von Dir. Sara. (steht in Gedanken.) Jenny. Die unschuldige Antwort meines Bruders rührt mich so sehr, als der Wahnwitz meiner Schwester. Ich kann nicht mehr – (geht ab.) Moses. Ach weit angenehmer ist es bey meinem Vater. Jenny ist niedergeschlagen und läuft davon, und Sara steht in Gedanken versenkt.

Vierter Auftritt. George und die Vorigen.

George. (Im Hintergrunde.) Ist dies das ehemals blühende zärtliche Mädchen? — Der Kummer hat seine finstern Kennzeichen in Ihr Gesicht gegraben. Sie stehet, aller Empfindungen beraubt, einer Bildsäule gleich. 35 (Er läuft auf sie zu.) Liebste Schwester! (Er will sie umarmen, sie stößt ihn von sich.) Sara. Hat Dich die See ausgeworfen? Schickt Dich der Kriegsgott, um die Welt von Ungeheuern zu reinigen? Mache nicht, daß mein Blut eine geseegnete Ge40 gend benetze, es wird alles darin verdorren. Hast Du den Sirenengesang gehört?

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George. Geliebteste Schwester, sey ruhig, besänftige Deine Wuth. Auf den heftigesten Sturm folgt ein günstiger Wind, und bringt das Schif zu seiner Bestimmung. Jah, ich bin gekommen von gerechter Rache angefeuert, die Welt von einem Ungeheuer zu befreyen, unsern Vater, dich, mich und die ganze Welt zu rächen. Der Frevler soll sterben. Diese Thränen soll er mit seinem Blut bezahlen. (Er weint und halt sich das Tuch vor die Augen.) Sara. Wer soll sterben? Maskwell? Unerfahrner leichtgläubiger Mensch; alles Betrug; alles Verstellung. Als Daphne vor dem Apoll floh, wurde sie für ihr verstelltes Sträuben mit Recht hart bestraft. In mir, in mir Heuchlerin liegt das Uebel. Verscharre mich, sonst werden die Ausdünstungen die Welt vergiften. Stehe nicht an – – – Nun wie der Held da steht, als wann er Hände hätte, Thränen zu waschen. (Sie nimmt ihm seinen Hirschfänger und ersticht sich damit; sie will fallen, wird aber vom George unterstützt.) George. Hülfe! Hülfe! (Der Kerkermeister und Jenny kommen herzu gelauffen, und weichen vor Schrecken zurück.) Moses. Gott! Sie blutet. Weh mir. (Er läuft davon.) George. Weh uns! unsere Schwester hat sich ermordet. Jenny. Beste Schwester! Hülfe! Hülfe! Sara. (indem man sie abführt) Gott! mein Vater. Der Kerkermeister. (im abgehn) Die Mordthat ist verdächtig.

Fünfter Auftritt. George allein. (Nachdem er eine Weile als betäubt gestanden.)

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War es ein Traum, der mit seiner Phantasie auch wachend quält, oder eine würkliche Geschichte? – Und wie? Du zweifelst noch Thor? Der Auftritt war zu barbarisch, um nur ein bloßer Traum zu seyn. Er war so, wie es dem allgemeinen Lauf am angemessensten ist. Alles abscheulich, alles schrecklich. Elend ist die 35 wahre Bestimmung des Menschen. So gar die Last des Lebens durch eigene Zernichtung zu endigen, wird durch Vorurtheile, Vernunft oder Thorheit, Gott weiß es, uns untersagt. Ein Blick in die verstoßnen Zeiten bestätigt es, daß Gutes und Vergnügen nur Namen ohne Bedeutung sind, und eben so wenig als Meerwunder existiren. Rosalie, mein ander Ich – verließ mich, und warum? Weil mich meine 40

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Glücksumstände verließen. – Selbst Ihr Andenken aus meinem Herzen zu reißen, stand nicht bey mir. (spöttisch) Und warum sollte dies? Das wäre noch eine Linderung, und auch diese darf der Mensch nicht genießen. – Das einzige Vergnügen, daß dem Menschen auf dieser elenden Wanderschaft noch verstattet wor5 den, ist die süße Rache. Auch nur du allein sollst mein Labsal seyn, mich sättigen oder verzehren. (Er hebt den Hirschfänger auf, und sieht ihn an.) Schwesterblut. – Du seyst von nun an die schreckliche Losung. (Er setzt sich um zu schreiben.) 10

Sechster Auftritt. George, und der Kerkermeister. 15 Der Kerkermeister. Der Arzt versichert, die Wunde sey nicht unheilbar. Die arme

Kreatur dauert mich. Ich weiß gewiß der Prediger ist unschuldig, wie alle, die der Lord Maskwell je hieher bringen ließ. George. Mein Freund, kennt er den jungen Maskwell? Der Kerkermeister. Ja, mein Herr. 20 George. Will er so gut seyn und ihm diesen Brief einhändigen? Der Kerkermeister. Wenn er nichts Böses enthält. George. Nichts, als was einem ehrliebenden Herrn angenehm seyn muß. – Hier hat er auch was für seine Mühe. (Geht ab.) 25 Der Kerkermeister. Ich glaube, daß ich ohne Bedenken den Brief bestellen kann. – Was für ein Wagen hält da vor dem Hause? – Maskwell selbst ists.

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Siebenter Auftritt. Der Kerkermeister. Maskwell.

Maskwell. (für sich nachdenkend) Der Priester muß seine schriftliche Einwilligung geben. – Das wäre wohl durch Brigard am besten zu betreiben; er wird nun wohl gelehriger seyn. – Rosalie, Rosalie! Du machst mir den Sieg sauer. (zum Kermeis35 ter.) Habe ich nicht rechtschaffen für Euch gesorgt? (spöttisch) Ihr habt bisher als das Vieh gelebt. Erbauet euch der Priester zum öftern? Was machen seine Töchterchen? Besonders Sara? Kerkermeister. Wir hatten einen schrecklichen Auftritt. Maskwell. Hat sie sich vielleicht an ihrem Kinde vergangen, wie dergleichen 40 Kreaturen zu thun pflegen?

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Kerkermeister. Da sie mit ihrem Bruder allein war, bemächtigte sie sich seines Hirschfängers, und erstach sich. Wir haben aber noch Hofnung. – Maskwell. Auch wäre der Verlust nicht groß, und leicht durch hundert andre zu ersetzen. – Sagtest Du nicht, ihr Bruder sey hier? (Seitwärts.) Der Rosalie Liebe 5 gegen ihn, ist noch nicht gänzlich erloschen. Es ist doch der Seeofficier? Kerkermeister. Ja, Ihre Gnaden, und eben derselbe hat mir diesen Brief eingehändiget. (er giebt ihm den Brief.) Maskwell. Geh, und schicke mir den Brigard. (der Kerkermeister geht ab.) 10

Achter Auftritt. Maskwell alsdann Brigard. Maskwell. Laß sehen, ob dieser Schiffsheld so gut als sein Vater moralisiren kann. Diese Krankheit pflegt unter Familien im Geblüte zu stecken. (Er ließt laut.) „Meine Hand würde mir den Dienst versagen, Dir alle Deine Laster vorzurücken.“ Dir alle Deine Laster? Das soll dir den Hals brechen. „Ich schaudere bey der bloßen Erinnerung, und schäme mich, mich in der Nothwendigkeit zu sehen, an Dich zu schreiben. Wenn Du noch einen Funken von Ehre besitzest, so wirst Du gegen zehn Uhr vor dem Wirthaler Thor auf der Wiese Dich einfinden, und mir für die an meiner Familie ausgeübten Ruchlosigkeiten, Genugthuung geben. Wenn ich Dich da finde, so hast Du die Begegnung, die es Leute Deiner Art verdienen, zu erwarten.“ George. Verwegener! Du forderst mich heraus? Ich wäre ein Thor, wenn ich mein Leben gegen Dich wagte. Solche Landstreicher haben nichts zu verlieren. Die Ausforderung soll dem Naseweis theuer zu stehen kommen. Meine Leute sollen ihm mit Knütteln die Antwort bringen. – Doch er ist ein Officier! Seine Ausforderung ist gültig. – – (er sinnt nach.) Sagte mir nicht der Kerkermeister, daß Sara mit ihm allein war, als sie sich erstach? Könnte er nicht füglich die Mordthat begangen haben? – Recht! Brigard und der Kerkermeister wissen es gewiß. – (nach einer Pause.) Aber auch Blut soll fließen? So weit wolte ich nicht. O Rosalie! Rosalie! Ich dachte mit der Liebe zu spielen, und nun hat sie sich centnerschwer auf mein Herz gelegt. – Ihm zum Mörder machen! Und zum Mörder seiner Schwester! (nach einer Pause.) Stehts doch bey mir, ihn wieder zu retten. Brigard. Was befehlen Ihro Gnaden?

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Maskwell. Du weißt, daß Deine Halsstarrigkeit Dir dieses Gefängniß zugezogen hat. Versprich meine Aufträge zu befolgen. Du sollst nicht allein des Gefängnisses entlassen werden, sondern noch funfzig Guinees zum Geschenk erhalten. Brigard. Befehlen Sie nur Ihro Gnaden. Maskwell. Dir ist die Ermordung der Sara bekannt; dieser Selbstmord ist erdichtet. Frauenzimmer besitzen diesen Muth nicht. Sage dem Kerkermeister, daß er bey einer Untersuchung, die ich gewiß werde anstellen lassen, in die größte Gefahr gerathen kann; daß der Bruder unstreitig der Mörder ist, daß er zu seiner eigenen Rettung mit Dir das Zeugniß davon ablegen muß. Du verstehst mich doch? Brigard. Vollkommen. Ich werde alles, wie es Ihro Gnaden verlangen, bestens besorgen. Maskwell. Es steht Dir zu rathen, sonst – – (geht ab.) Brigard. Funfzig Guines und meine Befreyung, und für was? Für eine Sache, die hundert andere für einen viel geringern Preiß thun würden; und im Grunde hat es viel Wahrscheinliches, daß der Bruder der Mörder sey. Der Prediger – (er weicht erschrocken zurück) warum muß ich ihn kennen! Welche sanfte Empfindungen genoß ich nicht bey seinen Ermahnungen! Und ich soll ihm unglücklich machen? Nein, nimmermehr! Ich habe Maskwells Ruchlosigkeiten den Lord Kingston und der Rosalie entdeckt; ich weiß sie wird erkenntlich dafür seyn, und auf diesem Wege will ich fortfahren, mir meine Befreyung zu verschaffen, es koste was es wolle. (geht ab)

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Dritter Act. Erster Auftritt. Das Gefängniß des Worthy. 30

Worthy (sitzend und eine Bibel auf dem Tisch.) Gottlob! daß es mir so weit geglückt ist, die abscheuliche Lebensart aus diesem Gefängnisse zu verbannen. Statt Fluchen und Spielen, habe ich nützliche Arbeiten eingeführt. Sie bemerken, daß sie sogar bis zur Unanständigkeit gekleidet 35 waren. Von der ganzen Welt abgesondert und verachtet, glaubten sie, es sey ihnen alles Ungeziemende erlaubt. Ich zeigte ihnen die Möglichkeit, durch Arbeit ihre Umstände zu verbessern, und ein glücklicher Anfang spornte sie zum stärkern Fleiß. Eben wenn Menschen in einem erschrecklichen Sturm auf dem Meere sind; hält derselbe wütend an, so bringt sie die Verzweiflung zur Nachläßigkeit. 40 Die geringste Abnahme der Gefahr belebt ihren Fleiß, und sie sind gerettet. – Das

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Vergnügen so vielen Leuten Gutes zu thun, macht, daß ich meine eigene Unglücksfälle vergesse. Wie viel glücklicher bin ich als ein König. Ich reiße mehr als hundert Elende aus der Gefahr, ewig unglücklich zu bleiben, und auch im Kerker erfülle ich meine Pflicht. Ich habe versprochen, morgen eine erbauliche Rede zu halten. (er schlägt die Bibel nach.) Dieser Text gefällt mir nicht. Es ist weit besser, 5 durch Vorstellungen guter Thaten und deren Belohnungen, zur Tugend anspornen, als durch Furcht vor der Bestrafung von dem Laster abschrecken.

Zweyter Auftritt. Worthy. Moses. Worthy. Was macht Deine Schwester? Ist sie ruhiger? Oder zweifelt sie noch an der göttlichen Güte und Verzeihung? – Du antwortest nicht? Du bist bestürzt und betrübt? Hungert Dich? O schrecklicher Zustand, wenn die ersten Nothwendigkeiten mangeln! Moses. Ach Gott! Worthy. Du seufzest? ringest die Hände? Hat man Dir Leid zugefüget, oder hast Du andere beleidiget? Du schweigst? Zwinge mich nicht, mein Sohn, den gebieterischen Ton anzunehmen. Moses. (fällt auf die Knie.) Verzeihen Sie, allerbester, gütigster Vater. Sie lehrten mich, nie ein schlimmer Bote zu seyn. Allein, mein Gesicht hat mich verrathen. Ach! verlangen Sie es nicht zu wissen. Es ist allzuschrecklich. Worthy. Mein Sohn, das allergrausamste kann mich nicht mehr erschüttern; ich bin auf das größte Uebel gefaßt. Sprich. Moses. Sara, Sara! – Worthy. Quäle mich nicht länger Moses. Hat sich ermordet. Worthy. (fährt vor Schrecken zurück, und im Zurückweichen sagt er.) Du lügst. (Er fällt in einen Stuhl.) Moses. (springt auf.) O weh! was habe ich gemacht! Worthy. (kömmt wieder zu sich.) Sind meine Seelenkräfte von Eisen? Ist mein Fleisch von Erz? Willst Du einen andern Hiob aus mir machen, so gieb mir auch seinen Sturm von Beredsamkeit, um mir wenigstens durch Worte Linderung schaffen zu können. Wenn wirst du erscheinen, ewige Nacht! die Räthsel werden aufgelößt, oder – Sara sich selbst ermordet? Es kann nicht seyn. Nicht wahr, Du hast geträumt? Moses. Liebster Vater, wollte Gott ich hätte! mit diesen meinen – – da ist Jenny! (er geht ab.)

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Dritter Auftritt. Worthy. Jenny. Worthy. Liebste, beste Tochter! Du warest mir stehts die angenehmste. Du kannst 5 mir keine schlechte Bothschaft bringen. Wo ist Sara? Bring sie her.

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Jenny. Hat Ihnen Moses diese Nachricht hinterbracht? O! ich Unglückliche, daß ich nicht zugegen war! Vielleicht hätte mein Arm den gefährlichen Streich zurück halten können. Worthy. Auch Du willst mir die Hofnung rauben? Um Gottes willen! schone meine alten Tage. Doch nein! Fahre fort; erzähle Du es, und habe Mitleiden. Jenny. Es sey die letzte betrübte Nachricht, die Sie zu erfahren genöthiget sind. Sara sprach mit dem Moses, als ich sie verließ, um einige häusliche Geschäfte zu verrichten. Bald schreckte mich ein ungewöhnliches Geschrey um Hülfe. Ich eilte der Stimme nach, und Gott! welch ein schrecklicher Anblick! Hier fand ich meine Schwester im Blute schwimmend, in den Armen meines beynahe entseelten Bruders. Mit schwachen Kräften, welche mir selbst zu mangeln anfingen, half ich sie auf ein Bette bringen. Ganz ruhig und unerschrocken sah sie ihr Blut fließen. Nach einigen Augenblicken streckte sie die Hand gegen die Mutter, und indem sie die mütterliche Hand an ihre Brust drückte, bat sie dieselbe um Vergebung, und empfahl ihr, Ihnen liebster Vater, das Elend durch harte Begegnungen nicht noch beschwerlicher zu machen. Der Wahnwitz schien sie völlig verlassen zu haben. Sie wandte sich zu mir. Liebste Jenny, beste Schwester! weine nicht. Siehe mein trauriges Ende und hüte Dich vor jedem Laster. Das erste zieht tausende nach sich. Fluche mir nicht, wenn Du meiner gedenkst. Eile zu meinem Vater, damit kein andrer ihm meine Schande plötzlich hinterbringe; bitte ihn, daß er mir verzeihe. Sage ihm, daß er seine Einwilligung zur Heyrath des Maskwells geben soll. Vor allen eile meinem Bruder nach; verbiete ihm die Ausübung seiner Rache. Wie gern wollte ich noch vor meinem Ende die Knie meines Vaters umfassen! weiter hin wurde ihre Stimme undeutlich, und ich verstand nichts mehr. Worthy. Gott! warum hast Du mich zu dem letzten Opfer bestimmt? Wann ich das Morgenopfer gworden wäre, so wäre ich glücklich, und dieser anhaltenden Folterpein überhoben gewesen. Der Ehre hat man mich beraubt. Mein bestes Kind hat sich meiner entrissen. Unschuldige, sanfte Hand. (indem er der Jenny Hand ergreift.) Du mußt ferner die bittern heissen Thränen von meinem Gesichte wischen. (er liegt eine Weile auf der Schulter seiner Tochter, und fährt alsdann plötzlich auf.) Sagtest Du nicht, Sara hätte Dir befohlen, ihren Bruder von Rache abzuhalten? was für einen Bruder? Von welcher Rache? Hat ihn Deine Mutter zum Werkzeug Ihres aufgebrachten Gemüths, zur Ausübung der Rache gegen Maskwell herberu-

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fen? Und ich soll der letzte seyn, den er zu sprechen verlangt? Gott! welche Plage, von seinem eigenen Kinde sich verspottet und verachtet zu sehen. Allzusehr gehäufte Quaal! Jenny. Geliebtester Vater! gebieten Sie Ihrem Zorn. Ihr Sohn ist allzu tugendhaft, um die gehörige Ehrerbietung aus den Augen zu setzen. Die Schaam, Sie hier in diesem Gefängnisse zu sehen, verzögert seine kindliche Pflicht. Sie wissen, wie tief Ihre Lehren in seiner Seele eingeprägt sind. Als ich ihm auf Geheiß meiner Schwester nachlief, und ihm die Gefahr einer übereilten Rache vorstellte, so versprach er, wenn Maskwell nicht zur bestimmten Zeit erschiene, sich ruhig zu halten; und da Bösewichter nie edlen Muth besitzen, so weiß ich gewiß, daß mein Bruder diese Sache vorerst nicht weiter treiben wird. Worthy. Deine Güte lässet keinen Argwohn in Deiner Brust aufkeimen. Weit mehr schrecket mich das hitzige aufgebrachte Wesen Deines Bruders, wie alles Vergangene. Wie, wenn Deine Mutter in ihn dringt, ihn zur Rache anfeuert? – – Jenny. Unmöglich kann er eine solche That ohne Ihr Vorwissen unternehmen. Ich weiß, wie verabscheuungswürdig Sie ihm die Rache vorgestellet haben. Nein! Er wird uns durch gerechtere Mittel aus diesem Elende reißen. Beruhigen Sie Sich, liebster Vater. Worthy. Was soll meinen Lippen der Honig, da Wermuth auf der Zunge liegt. Die Angst und Ahndung für meinen Sohn verdrängen die Wehen von dem Tode meiner Tochter, wie einer die Schmerzen eines schneidenden Schwerds, woran er sich vest hält, um sich vom Ersaufen zu retten, nicht spürt. Ich bin verloren. –

Vierter Auftritt. Frau Worthy und die Vorigen.

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Worthy. Zweifel und Ungewißheit sind die stärksten Plagen, ja weit erschrecklicher, als das drückende Elend selbst. Reiß mich aus diesem bangen Kummer. Laß Deine Worte mich tödten oder beleben. Mag uns die Verfolgung auf das 30 schrecklichste quälen. Mit Geduld und Tröstung wollen wir ihr trotzen. Nur alsdann wird das Elend unerträglich, wenn man sich dasselbe durch eigene Vergehungen zuzieht. Aendere Deinen harten Sinn. Du hattest unserer Sara zuviel zugesetzt. Das arme Kind war verzagt, und so verzagt, daß Sie an Ihrer Vergebung 35 verzweifelte. Kein Wunder, daß sie sich verging. Frau Worthy. Das wußte ich, daß mir die Schuld von allem würde beygemessen werden. Wenn ich meinen Willen gehabt hätte, nimmermehr hätte uns dieß Unglück betroffen. Seit zwanzig Jahren habe ich täglich gegen Ihre verzärtelte Erziehung geschrien. Allein umsonst. Wann Sie Ihren Töchtern nicht so vielen Willen gelassen hätten, wäre alles nicht geschehen. Ich hoffe, daß Sie nun einmal Ih- 40

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re Einwilligung zu Maskwells Heyrath geben werden. Denn hier das geduldige Leiden wird uns gewiß nicht retten. Worthy. Liebste Frau, soll ein innerer Zwist unser bereits unglückliches Leben noch elender machen? Laß uns nicht das Vergangene untersuchen. Es ist zu gefährlich, eine frische Wunde sogleich aufzureißen. Haben wir doch noch bis jezt den Trost, unschuldig durch Frevler unterdrückt zu seyn. Laßt diesen Trost ewig behalten, nur mache nicht, daß wir die Strafe mit Recht verdienen. Hast Du Georgen gesehen? Frau Worthy. Ja, ich habe ihn gesprochen. Worthy. Und mich flieht er? Gewiß aus Furcht, ich werde gegen die Herausforderung, welche in seinen Stande eine Nothwendigkeit zu seyn scheinet, eifern. Du hast ihn doch nicht zum Duel angefeuert? Sollte mein Sohn dies ausführen, so wären wir höchst unglücklich. Ein General wird verehrt, wann er mit der Festung zu Grunde geht. Tugend ist die uns anvertraute Festung. Frau Worthy. In ruhigern Zeiten konnte ich Deine Moral mit Vergnügen anhören. Jetzt aber vergeht mir alle Geduld. Glaubst Du, daß Maskwell ein Mann sey, der sich durch Erinnerungen an seine Pflichten von seinen Frevelthaten abbringen läßt? Haben Dich Deine Unglücksfälle noch nicht zur Gnüge überführt, daß bey dieser Art Leuten diese nicht den mindesten Eindruck macht? Laster müssen mit Laster zurückgeprellt werden. Deine Moral ist bey diesem Menschen eben so schwach, als die amerikanischen goldenen Bogen gegen das spanische eiserne Geschütz. Jenny. Liebeste Mutter, mit Gewalt werden wir doch gewiß gegen ihn nichts ausrichten. Frau Worthy. Freylich dürfen wir ihn nicht geradezu angreiffen; allein es steht uns frey, List mit List zu vergelten, und dazu müssen wir erst unsere Freyheit haben. Worthy. Glaubst Du, daß unsere Einwilligung uns befreyen wird? Er sucht in jeder neuen Missethat ein besonderes Vergnügen. Sara! Wann ich doch bereits in jenes ewige Leben zu Dir hinüber wäre. Geliebteste Tochter, warum habe ich Dich nicht vor meinem Ende in meine Arme drücken können? Frau Worthy. (leise zur Jenny) Der Vater glaubt, Sara sey todt, und dieser Irrthum soll uns seine Einwilligung zur Heyrath verschaffen. Jenny. O! mein Vater, Sara – – Frau Worthy. Schweig, ich befehle es Dir. (zum Mann) Wehklagen hat seine Zeit. Alle bisherige Ursachen Deiner Weigerung verschwinden durch den letzten unglücklichen Schritt der Sara. Soll die Worthysche Familie noch länger unter Schaam und Schmach in diesem Gefängnisse vergehen, als seine besondere Gnade ansehn, wenn sie Arbeit erbetteln, und sich kümmerlich ernähren muß? Worthy. Ja, jetzt kann ich mit gutem Gewissen die verlangte Einwilligung zur Heyrath geben. Wie schmerzlich einen Maskwell um seine Befreyung zu bitten.

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O Schändlicher! Die Pflichten meiner Familie dringen mir diese Erniedrigung ab. Vor allem muß man vorsichtig dabey – – Frau Worthy. Dafür laß mich sorgen. Ich werde gewiß auf meiner Huth seyn. Wie mir der Kerkermeister gesagt hat, so will er selbst gleich hier seyn. Jenny. Dieses Scheusal nicht zu sehen; und der mütterliche Befehl, treiben 5 mich von hier. Thue ich Unrecht, so verzeihe allwissender, gütiger Gott. (geht ab.)

Fünfter Auftritt. Frau Worthy. Worthy.

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Worthy. (ihr nachruffend) Was willst Du damit sagen? – – (zur Frau) Liebste, wo möglich, erspahre mir die Erniedrigung, Maskwelln zu sprechen. Nicht Stolz machet in mir dieses Verlangen rege. Ein gerechter Widerwille, Bösewichter anzufle- 15 hen, macht mir seinen Anblick schrecklich. Frau Worthy. Du mußt Dir schon diesen Zwang anthun. So lange wir eingesperrt sind, ist keine Hofnung. Laß uns nur erst auf freyen Fuß seyn, ich will Himmel und Erde bewegen, mein Geschrey soll die Himmelsgewölbe durchdringen. Ja 20 Du sollst den König anfallen. Worthy. Und der König? Frau Worthy. Der König ist gerecht. Worthy. Eben darum wird er sich nicht übereilen. Er wird der Sache ihren Lauf, und den Ausspruch der Gerechtigkeit überlaßen. Hier kömmts auf Zeugen an, und glaubst Du, daß es Maskwelln je daran mangeln kann? Laß uns nicht un- 25 besonnen handeln; die Bestrafung liegt der Obrigkeit ob. Uns gehört nichts, als die Vertheidigung, und die Welt von unserer Unschuld zu überführen; und dieses erlangt man mit Gelassenheit weit eher, als mit Gewalt. Wir wollen Maskwelln die Einwilligung geben, weil wir müssen, aber – – – 30

Sechster Auftritt. Die Vorigen. Maskwell. Maskwell. Es ist mir leid, Sie in diesen elenden Umständen zu finden. Ein, ich 35 weiß nicht was, hat bey Ihnen einen unerhörten Widerwillen gegen mich erreget, als wenn ich an diesem Elende schuld wäre. Ich habe mich über die Uebereilung Ihrer Gefangenschaft mit meinem Pachter so entzweyet, daß ich ihn gewiß weggejaget haben würde, wenn nicht Miß Rosalie mich davon abgehalten hätte. Auch hätte ich ihm die zwey hundert Pfund bezahlt, wann nicht der jetzige Mißwachs 40

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mir alle meine gehofften Einkünfte geraubt hätte. Die schlechten Zeiten vernichten die Gelegenheit, manche gute That auszuüben. – – – Worthy. Daß es schlechte Zeiten giebt, kann sehr leicht erweislich gemacht werden. Nicht bloß das Getreyde hat einen Mißwachs erlitten. – – – Ich verlange aber keine Geschenke, nur die Freyheit, um durch Arbeit die Schuld abtragen zu können. Maskwell. Dieses können Sie leicht erlangen. Allein, um eine Kleinigkeit, will ich bitten, und ich weiß Sie werden mir solche nicht verweigern. Miß Rosalie beharret auf eine schriftliche Einwilligung, ehe sie die Heyrath mit mir vollziehen will. Es ist mir leid, daß Sara ihr Herz an einen andern gegeben. Wäre dieses nicht geschehen, so hätte ich gewiß an diese Verbindung nicht gedacht. Ich weiß, sie hat Ihnen andere Ursachen vorgebracht. Ist aber wohl einer Wahnwitzigen Glauben beyzumessen? Ich hatte mit ihr die beste Absicht. Frau Worthy. Mein Herr! mein Mann hat mir versprochen, in Ihr Begehren zu willigen. Worthy. (seitwärts.) Deine Absicht, Schändlicher! Ist mir leider bekannt. O Geduld! Stehe mir bey. – Mein Herr, wir wollen nicht die vergangenen Absichten untersuchen. Sie verlangen eine schriftliche Einwilligung. Ich bins zufrieden, und will meinen Sohn, welcher sich jezt hier befindet, dazu bewegen. Maskwell. Ich bin versichert, daß Miß Rosalie auch bloß mit der Ihrigen, zufrieden seyn wird. Ich möchte nicht gern, daß seine Unterschrift sie an das Vergangene erinnerte. Frau Worthy. Darf ich Sie auch ersuchen, so gleich zu unserer Befreyung das Gehörige besorgen zu lassen?

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Achter Auftritt. Worthy. (ganz in Gedanken vertieft.) 30 Ja. Ich will ihr Gesellschaft leisten. Mit ihr in jener hellglänzenden Versammlung

Lieder anstimmen. Ich will die Engel mit meinem Gesange übertreffen. (er fährt zurück.) Vernunft, einziger Vorzug der Menschen, auch du willst mich verlassen, und gleich nächtlichen Träumen in labyrinthischen Wegen herum irren? – – Bald wird mein Unglück bis zum höchsten Gipfel gestiegen seyn. Gleich Sandgebirgen, 35 die vom Wind in der Wüsten mehr und mehr auf den Wanderer zusammen getrieben werden, haben sich Unglücksfälle über mich aufgethürmet. Seit drey Jahren hat stets ein Unglück das andere verdrängt. Ein Kaufmann brachte mich um das Meinige. Meine Tochter wurde entführt. Ein Brand raubte mir mein letztes Vermögen. Das Gefängniß – der Tod meiner geliebten Tochter – der Ungehorsam 40 meines Sohns – Ach Gott! wie schrecklich ist mein Schicksal!

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Neunter Auftritt. Worthy. George in Ketten. George. (läuft auf seinen Vater zu, der Vater springt auf, ihn zu umarmen, und fährt vor Schrecken zurück.) Worthy. Was sehe ich? Welche Zeichen der Schande? Mein Kind in Ketten? O weh mir! Wodurch hast Du dir diese Schande zugezogen? Doch nein! Schweig. Nicht wahr? Du hast den Maskwell in einem Zweykampf, ja vielleicht gar meuchelmörderischerweise umgebracht? Mein Sohn! Doch nein; du verdienest diesen Namen nicht. Nun ist der Stab gebrochen. (Er wirft sich in einen Stuhl.) George. Liebster Vater! – Ja getrost kann ich mich dieser heiligen Benennung bedienen. Sie beschuldigen mich einer That, die vielleicht geschehen wäre, wann nicht ein höheres Wesen seine Obhut über mich gehabt hätte. Aufgebracht und verblendet war ich eben auf dem Wege, mich an den bestimmten Ort der Herausforderung zu begeben, als fünf Kerle sich meiner bemächtigten. Ich wurde nicht wie ein Officier behandelt. Ich wollte mich zur Gegenwehr setzen, allein sie überwältigten mich, und ließen mich in diese Ketten schlagen. Worthy. O Trost und Triumph! Mein Sohn ist unschuldig! Weit willkommner bist Du mir in diesen Ketten, als mit Blut besudelten Händen. Aber, George, Du bist schon drey Stunden hier, und ich bin der letzte, den Du zu sprechen verlangst? Mein Sohn! Soll ich Dir trauen, da Du Mißtrauen in mich setzest? George. Der schreckliche Auftritt meiner Schwester hat mich der Sinnen beraubt. Gottlob! daß die Wunde nicht gefährlich war. Zum Unglück mußte sie am Fenster seyn, als man mich zu Ihnen in diesen Ketten führte. Worthy. Was sagst Du? Auch Jenny hat sich ermorden wollen? – – – George. Sara! Sara! Wie können Sie das von Jenny glauben? Worthy. Schändliche Frau! Weh mir, was habe ich gethan? Wie? Meine Tochter lebt? Welche kämpfende Leidenschaften! Mein Sohn eile, sage der Miß Rosalie, die Abstandsschrift wäre mir abgedrungen worden. Ich glaubte Sara todt. Eile! Eile! (Er will Georgen fort stoßen, bekömmt aber die Ketten in der Hand, springt bestürzt zurück, fällt auf den Stuhl, und wirft den Kopf in die Hände.) George. Für die schwersten Sünden kann keine härtere Strafe, als dieser Anblick erdacht werden. Weh mir! (Er lehnt den Kopf an der Wand.)

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Zehnter Auftritt. Miß Rosalie.

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(Streicht bey der Szene, wo George angelehnt steht, herein, ohne ihn zu bemerken.) Wo ist er? Worthy im Kerker? Doch nein! Es ist kein Kerker. Es ist ein Tempel, der durch einen Heiligen eingeweiht worden. Und ich konnte einen Augenblick an Ihrer Unschuld zweifeln? Ich bin strafbar, höchst strafbar. Verzeihung, Verzeihung! Als eine Sünderinn vor Gott flehe ich um Gnade. Meine Knie sollen eher in diesem Boden einwurzeln, ehe ich ohne Vergebung und ohne Ihren Segen aufstehen will. Man hat mich hintergangen. – Wie? Sie wenden verächtlich Ihr Gesicht von mir? Verlangen Sie zur Ueberführung meiner Unschuld, was Sie wollen. Nur Ihre unglückliche Abstandsschrift machte, daß ich ihm meine zitternde Hand am Altare – – – George. (wirft sich ebenfalls vor seinen Vater.) Rosalie kann nicht schuldig sein. Miß Rosalie. George. O! unausstehlicher Anblick. (fährt auf.) Ketten? Auch dieses Bubenstück ist bereits ausgeführt? Sinds Maskwellsche Ketten? Gut, auch diese Hände sollen sie tragen lernen. Entweder ich zerreiße sie, oder sie sollen mich mit Dir auf ewig in diesem Gefängnisse verbinden. Ich werde mich rechtfertigen, mich Deiner würdig machen, oder mit Dir sterben. Ich eile fort, um bald sicherer bey Dir seyn zu können. (geht ab.) George. Miß Rosalie, was wollen Sie thun? – Sie eilet fort, mein Vater! Sie liebt mich noch. Sie will uns retten. Günstige Aussichten! Worthy. Günstige Aussichten! (mit einem verbissenen Gelächter.) Ha, ha, ha, sehr günstig! Lustig mein Sohn! Gieb Deinen verliebten Thorheiten einen feurigen Schwung. Laß Deine Vorstellungen sich in den Wolken verlieren. Eine Falsche hat Dir etwas vorgesungen. Auch mich hat ein Weib belogen. – – Aber warum will ich auch Dir Deine Hofnung und Freuden rauben? Nun gut! (weinend und schluchzend.) Ich will mit frölich seyn. – – (der Sohn fährt vor Schrecken zurück.) Warum erschrickst Du? – Ja es ist wahr, mein Sohn, ich habe die Ruhe nöthig. (George hält ihn unter dem Art und begleitet ihn nach den Verschlag.)

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Vierter Act. Zimmer des Kerkermeisters. Erster Auftritt. Lord Kingston. Brigard. Lord Kingston. (mit einem Briefe in der Hand.) Und das kann er alles bezeugen? Brigard. Ich und der Kerkermeister. Ich würde mich in diesem Elende nicht der Gefahr aussetzen, die mit der Anklage gegen einen so mächtigen Mann als Maskwell, verbunden ist, wenn nicht alles gegründete Wahrheit wäre. Lord Kingston. Und der Kerkermeister? Brigard. Dieser Mann ist in der größten Verlegenheit. Er weiß, daß, wann er es weigert, es um seinen Dienst gethan sey. Lord Kingston. Seines Dienstes verlustig? Ist denn kein Recht? Und warum klagt er ihn nicht auf dieses sein Verlangen an? Brigard. Und bey wem soll er ihn anklagen? Bey den Richtern? Alle diese Leute sind von seinen Creaturen genommen, und bestehen meistentheils aus seinen Kammerdienern. Lord Kingston. Wo sind den die Alten hingekommen? Besser versorgt? Brigard. Verjagt, verstoßen, und einige, die sich auf Sie beriefen, ins Gefängniß versperrt. Lord Kingston. Und warum beklagten sie sich nicht bey mir? Brigard. Weil einige Briefe an Ihro Gnaden aufgefangen, und diese armen Leute noch härter gesetzt, oder gar auf den Transport gegeben wurden. Ich wage es Ihnen dieses zu entdecken. Ich bitte aber um Ihre Hülfe, sonst bin ich gänzlich verloren. Lord Kingston. Sorget für nichts. Wann alles wahr ist, was Er mir entdeckt, so soll Er seines Verhaftes entlaßen seyn, und außerdem werde ich für Ihn weiter Sorge tragen. Halte Er sich unterdessen stille, und entdecke Er dem Prediger nicht, wer ich bin. Da ich schon drey Jahre von hier entfernt, und der Prediger erst ein halbes Jahr in dieser Gegend ist, so kann er mich nicht kennen. Schickt mir den Kerkermeister her. (Brigard geht ab.)

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Zweyter Auftritt. Lord Kingston, alsdann der Kerkermeister. Lord Kingston. Welcher Unterschied zwischen seinen Thaten, und jenen schriftlichen Angelobungen. Sollte er sich so sehr verstellen können, und bis zur Heuche- 40

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ley sich herunter lassen? Maskwell, Maskwell! Und an diesen Nichtswürdigen habe ich mein ganzes Vermögen abgetreten. – – – Doch wer weiß? – ich will nicht zu voreilig seyn. (Zum Kerkermeister, der hereinkömmt.) Ich weiß, daß es Seine Sache nicht ist, über das Recht Seiner Gefangenen zu urtheilen. Allein mir einen Wink 5 von dem Vorgegangenen, und die monatliche Liste zu zuschicken, so wie ich es befohlen, hätte Er nicht unterlassen sollen. Kerkermeister. Der Lord Maskwell hat es aufs schärfste verboten. Er gab vor, alles wäre ihm allein abgetreten, und Ihro Gnaden hätten ganz und gar kein Recht mehr an diesen Gütern. Hier sein schriftlicher Befehl. 10 Lord Kingston. (indem er ließt.) So? Es wird sich finden. Ich will sehen, ob ich noch etwas zu thun im Stande bin. Führt mich zum Prediger, sagt aber nicht, wer ich bin. (geht ab.) 15

Dritter Auftritt. Jenny, alsdann Noddy. Jenny. (ruft dem Kerkermeister nach.) Mein Herr! Mein Herr! – – In dieser kurzen 20 Zeit ists weit genung gekommen. Man fliehet uns, wie eine ansteckende Krank-

heit. Noddy. (ganz außer Athem) Gute Zeitung! Der Schelm ist erhascht. Nun, Maskwell, wollen wir sehen, ob du ihn noch länger wirst versperrt halten können! Jenny. Herr Noddy, Sie sind ja ganz außer sich vor Freuden. Was ist Ihnen Gu25 tes wiederfahren? Wir werden aus Freundschaft und Pflicht Theil daran nehmen. Ihre letzte Wohlthat wird unstets neu bleiben. Noddy. Ist er auf? Ich habe ihm etwas Gutes zu hinterbringen. Wissen Sie, der Kaufmann ist in Antwerpen erhascht: ich will ihn aufwecken. Diese Zeitung wird ihn mehr als der Schlaf laben. 30 Jenny. Gott gebe Ihnen stets die Gelegenheit, Ihren wohlthätigen Character durch Ertheilung guter Nachrichten mehr und mehr zu erheben. Noddy. (im Abgehen) Unschätzbares tugendhaftes Mädchen.

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Vierter Auftritt. Jenny. Ein Bidienter des Maskwell.

Jenny. (sieht zum Fenster heraus) Dieser Kerl schleicht schon den ganzen Tag hier herum. Es ist der unverschämteste Mensch (zum Bedienten) Was will Er? 40 Bedienter. Ich habe keinen Willen.

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Jenny. Wen sucht Er? Bedienter. Muß man den suchen, wenn man jemand finden will? Da haben Sie es gleich, mein schönes Kind. Ich habe Sie gefunden, ohne zu suchen. Jenny. Bey wem dient Er? Bedienter. Ich diene meinem Herrn, und dieser dient mir mit seinem Gelde. 5 Wann Sie wollen, mein schönes Jüngferchen, können Sie dienen und bedient werden. Mein Herr ist schön und freygiebig, und nimmt alles in seine Dienste auf, wenn es auch Deserteurs sind. Jenny. Niederträchtiger Schurke. Bedienter. Nicht so freygebig mit Titeln. Wenn Sie auch keine Respect für 10 mich haben, so haben Sie es für die Livree, die ich trage. Ich diene dem Lord Maskwell, und der hat keinen Schurken in Diensten. Jenny. Aber doch Spione? Bedienteer. Wir thun das, was unsere Herrn für ihre Herren thun. (er sieht nach dem Fenster) Das ist der Miß Rosalie Livree. Adieu, mein schönes Kind. Wir 15 wollen schon fertig werden. (geht ab.) Jenny. Ohne deine Livree würde man doch wissen, wem Du dienst. Was mag Miß Rosalie wollen. Sollte diese auch die Unverschämtheit haben, sich zu zeigen. 20

Fünfter Auftritt. Miß Rosalie. Jenny. Jenny. (will gehen, wird aber von der Rosalie zurückgehalten.) Rosalie. Wo wollen Sie hin? Ich beschwöre Sie bey Ihrer vormaligen Freundschaft zu bleiben und mich anzuhören Jenny. Miß, rauben Sie nicht Elenden das einzige Vergnügen, sich mit ihren Schmerzen ungestöhrt zu unterhalten. Ich bitte, uns nicht zu höhnen. Rosalie. Auch Sie, wehrteste, beste Freundinn, können so niedrig von mir denken? Ich sollte gekommen seyn, Sie zu höhnen? Ehe wollte ich von der ganzen Welt verachtet, und Maskwells Weib werden. Jenny. Was haben Sie davon, Elende mit Heucheley und Lügen zu hintergehen. Es ist keine Stunde, daß Sie ihm Ihre Hand gegeben. Rosalie. Meine Hand, aber nicht mein Herz. Hören Sie, und dann verurtheilen Sie mich. Dieser Schändliche ließ mir von allen Seiten die Nachricht von dem Tode meines geliebten George hinterbringen. Man sagte mir, er wäre vor Kadir geblieben. So wahrscheinlich dies dadurch ward, weil ich seit dieser Belagerung keinen Brief von ihm erhalten, so wollte ich es doch nicht glauben. Ich suchte, trotz aller Gewalt meines Vaters, durch Ränke, Aufschub zu gewinnen. Da man

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aber unaufhörlich in mich drang, und mich als eine Gefangene beobachtete, so versprach ich mein Ja, wann Ihr Vater seine Einwilligung dazu (welche ich ohne Georg’s Tod für unmöglich hielt) schriftlich geben würde. Wie erstaunte ich, als ich die Unterschrift: Worthy, erblickte. Ohne Aufschub verlangte mein Vater die Trauung, der ich nicht entgehen konnte. Welche Angst hatte ich nicht auszustehen! Man entriß mich einer Ohnmacht, um der andern Raum zu machen. Ein matter Schlummer überfiel den entkräfteten Körper. Verzweiflung und Träume liessen die gefolterte Seele keinen Augenblick in Ruhe. Ich hörte mich nennen, und erwachte. Mein Mädchen stand vor mir, und wollte in Thränen zerschmelzen. „Ich kann es Ihnen nicht verschweigen, sprach sie, so gern ich es auch wollte. Vielleicht können Sie Sich und sie retten. Lesen Sie selbst meine beste Gebieterinn,“ und überreichte mir ein Billet. Da ist es. (sie ließt) „Der Prediger Worthy ist von Lord Markwell für zwey Hundert Pfund Schulden ins Gefängniß versperrt, und George wird wegen einer angedichteten Mordthat auch bald dahin gebracht werden.“ Ich sprang auf, lief nach dem Gefängniß. Allein Ihr Vater wandte verächtlich sein Gesicht von mir. Ich habe ihm und Georgen versprochen, sie zu befreyen oder zu sterben. Hier sind Ohrgehänge und Ringe, die nur mir gehören. Diese werden hinlänglich seyn, die Schuld zu bezahlen. Und Georgen? Man soll mich mit ihm verschließen oder tödten. Hier habe ich Schutz gesucht. (Sie zeigt auf die Tasche.) Jenny. Verzeihen Sie, Miß. Ich bin vor Erstaunen außer mir. Welche gehäufte Ruchlosigkeiten! Allmächtiger Gott, wie lange noch wirst Du gestatten, daß dieser Schändliche seine Gewalt mißbrauche? Das Unglück hat das Zutrauen aus unsern Herzen verbannt. Wir glaubten Sie untreu und falsch. Wertheste Freundinn! Ich sehe nicht ab, wie die Gefahr, worein Sie sich so edelmüthig stürzen wollen, für uns von einigen Nutzen seyn kann. Mein Vater wird von Ihnen die Juwelen, ohne Vorwissen des Ihrigen, nicht annehmen, und meines Bruders Befreyung hängt von der Gerechtigkeit ab, und was erdichtet oder wahr ist, läßt sich leicht unterscheiden. Rosalie. Als wann die Gerechtigkeit nicht lediglich mit Maskwells Creaturen besetzt wäre?

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Sechster Auftritt. Die Vorigen Maskwell. Maskwell. Wie Miß! Sie hier in diesem abscheulichen Gefängnisse? Nimmermehr 40 hätte ich geglaubt, daß Sie fähig wären, sich so wegzuwerfen.

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Rosalie. Wie man sich nicht wundern kann! In diesem Gefängnisse, noch dazu abscheulichen Gefängnisse, und wo man sich wegwirft? Sieh doch, wie vernünftig, wie überlegen dieses alles klingt. Sie erstaunen vielleicht, daß Sie mich mit einmal so ruhig finden, aber Sie sollen noch mehr staunen, wenn Sie erst die rechte Ursach wissen werden. Ich habe Lust heute Ihnen mein ganzes Herz zu entdecken, und das in eben diesem abscheulichen Gefängnisse. Ein Gefängniß ists in aller Betracht. Verschlossen, schmutzig und unbequem. Aber abscheulich? das kann ich unmöglich einräumen. Es bleibt verehrenswerth, so lange diese tugendhafte Familie darinn schmachtet, und noch verehrenswerther ists, wann Sie nicht hier sind. Maskwell. Miß, Sie haben den Verstand verloren; Sie wissen nicht, was Sie sagen. Rosalie. Leute, die den Verstand verloren, pflegen schlecht mit Worten ihre Gedanken aus einander zu setzen, und das habe ich doch wohl nicht gethan. Sagte ich nicht, das Haus wäre nicht abscheulich, so bald Sie nicht darinn sind? Ich glaube, in meinem Leben nichts vernünftigeres gesagt zu haben. Aber fort mit diesem Gewitzel. – Weil Du es denn so haben willst, so wisse, Schändlicher, daß mir alle Deine Ränke entdeckt sind; daß George lebt, daß Du ihm nach dem Leben trachtest, daß sein Vater um zwey hundert Pfund, die er Dir, und nicht Deinem Pachter schuldig war, im Gefängnisse schmachtet. Höre dann, Niederträchtiger, allenfalls zehnfach so starke Gewalt, als an dieser armen Familie, kannst Du gegen mich ausüben, und doch wirst Du mich nie zwingen, die Deinige zu werden. Du hast mir nur die Einwilligung abgelogen, und diese verpflichtet mich zu nichts, als Dich eben so sehr zu hassen, wie ich Georgen liebe. Maskwell. Die Erklärung ist deutlich. Die Wuth hat sie noch schöner gemacht. Eine Röthe erhebt ihre zarte Wangen, und zeigt sie anbetenswürdiger. Der jetzige Augenblick allein ist genug, auch nicht den kleinsten Anspruch fahren zu lassen. Ich weiß, Sie halten Ihr Wort heilig, und habe ich nicht Ihr Wort? (zur Jenny.) Nicht wahr, mein sanftes Mädchen? Jenny. So höhnisch Sie sind, so können Sie doch immer glauben, daß ich so lange sanft war, so lange ich die völlige Verleugnung der Tugend für unmöglich hielt. Rosalie. Wundern Sie sich nicht; eher werden jene nordische Eisklippen von der Sonne zerschmelzen, als sein Herz von Tugend etwas empfinden wird. Maskwell. Es empfindet genung, und eben darum eilte ich Ihnen nach. Rosalie. Ich werde nie von hier scheiden; die Glückseligkeit ist mir zu werth, um von ihr Abschied zu nehmen. Maskwell. Ich glaube, Ihre Verachtung wird mit der Zeit sich selbst aufzehren. Rosalie. So lange sie noch so viele Nahrung vor sich sieht, wird sie nicht sterben.

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Maskwell. Ich bitte Sie, Miß, mißbrauchen Sie meine Geduld nicht, oder – – Rosalie. Drohen Sie immerfort, so viel sie wollen. Aber wissen Sie, wenn auch Ihre Drohungen Donnerkeile wären, und ich das Ziel Ihrer Bestimmung, so werde ich eher sie alle hier in dieser Brust auffangen, als diesen Ort ohne Befreyung dieser tugendhaften Familie verlassen. Maskwell. Sie sind ja ganz feurig geworden. Auch ich will ernsthaft werden. Ich befehle Ihnen, sogleich sich von hier zu entfernen, oder ich werde Gewalt brauchen lassen, und Ihnen zeigen – – – Rosalie. Mir Gewalt anthun? mich zwingen? O thörichter Bösewicht! Lernen Sie von einem Mädchen, daß sich alles, nur nicht der Wille zwingen läßt, und dieser Wille soll seinen Vertheidiger an seiner weibischen Hand finden. Trotz der letzten Berührung der Ihrigen am Altar verspürt sie noch Kräfte genug dazu. Gott! durch deine Obhut erstarrete sie nicht, wie sie sollte. Maskwell. Ich werde wissen, der Gefahr auszuweichen. – He Bediente! Rosalie. Du mißtrauest Deinen eigenen Kräften. Ich entsage fremder Hülfe, und finde Muth genung, mich selbst zu vertheidigen, und davon sollst Du – – (Sie zieht einen Dolch, will nach ihm stechen, wird aber von der Jenny abgehalten, welche ihr den Dolch entreißt.) Die einzige Rettung der Schande zu entgehn, wollen Sie mir rauben? Falsche Freundinn. Maskwell. (zur Jenny.) Geben Sie her diesen meuchelmörderischen Dolch, und erwarten Sie meine Belohnung. Bitten Sie, um was Sie wollen, es soll Ihnen alles gewährt werden. Jenny. Keine Gewalt, sonst – – – Nicht Sie, Miß Rosalie wollte ich retten. Ja, bitten will ich, aber nicht um Ihre Belohnung; nein, Gott um Verzeihung, daß ich Sie gerettet habe. Maskwell. Die Zeit wird diese Schwärmereyen dämpfen. (geht ab.) Rosalie. Feigheit ist das Eigenthum der Bösewichter. Jenny, Jenny, in was für ein Labyrinth haben Sie mich gestürtzt. Jenny. Sagen Sie vielmehr, daß ich Sie aus einem Labyrinth befreyet. Ich denke, daß ich Ihren ganzen Dank verdiene. Es ist überflüßig, Ihnen die Abscheulichkeit des Mordens vorzupredigen. Ueberlegen Sie um Gottes willen, Sie wollten morden? Morden wollten Sie? – Bis jezt hat er nicht einmal den Anschein einer gerechten Sache gehabt; Diese Ihre Uebereilung wird er auf uns zurück wälzen, um allen seinen begangenen Ruchlosigkeiten damit einen Anstrich zu geben. – Wann Ihnen noch unsere Erhaltung am Herzen liegt, so eilen Sie ihm nach. Suchen Sie ihn zu besänftigen, um den ersten Ausbruch seiner Grausamkeit im Zaum zu halten. Wir werden Zeit gewinnen, und vielleicht machet die Fürsprache seines Oheims, um dessen Hülfe wir schriftliche gebeten, einen Eindruck auf ihn.

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Rosalie. Und was vermag das Wort eines Oheims über einen Bösewicht? Wenn er auch die Gewalt eines Engels hätte, so werden doch seine Worte, wie die Streiche eines Schwerds gegen einen Fels verloren gehen, und durch die springenden Funken nur desto mehr seine Härte beweisen. 5

Achter Auftritt. Die Vorigen. Brigard. Brigard. Unbekannte können keinen Glauben erlangen. Da es aber die Noth erfordert, so ists Ihre Pflicht, sich lieber der Verachtung auszusetzen, als zu schweigen. Miß, Sie haben den Maskwell so sehr in Harnisch gejagt, daß er seine schändliche Anschläge nunmehro auf alle Art zu beschleunigen sucht. Ists Ihr Ernst, diese unglückliche Familie zu retten, so eilen Sie, suchen Sie wenigstens Zeit zu gewinnen. Er hat so eben zu den abscheulichsten Grausamkeiten Befehl gegeben. Rosalie. Ehe würde ich mich der stürmenden See in ihrer Wuth entgegen setzen, das verzehrende fließende Feuer des Aetna in seinen Lauf aufhalten, ehe ich diesen Schändlichen von seinen verderbenden Ruchlosigkeiten abbringen werde. Nein, Georges Ketten sollen auch die Meinigen werden; diese sollen mich befreyen und vor der abscheulichen Schande schützen. Rosalie. (geht ab.) Brigard. (seitwärts.) Ich muß zuvor kommen, und seinen Oheim aufsuchen. (er geht ab.) Jenny. (dem Brigard nachsehend.) O! könnte ich ihn belohnen. Nun fühle ich die ganze Last der uns drückenden Armuth. – Wann mein Vater Rosaliens Uebereilung erfährt, wie sehr wirds seiner ohnehin geschwächten Gesundheit schaden. O! armer unglücklicher Vater! (geht ab.)

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Fünfter Act. Das Gefängniß des Worthy. Erster Auftritt. (George liest in einem Buche.) Rosalie herein kommend. George.

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Rosalie. Gleichheit ist der wahre Grundpfeiler der Liebe. Ich wollte Dich und mich durch seinen Untergang befreyen. Aber leider! ich wollte. Und was ist wollen? Nichts! Ja noch weniger als das leere Nichts, wenn die ausübung den Willen nicht 40

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zur Reife bringt. Eine Schwangerschaft, die todte Kinder zur Welt bringt, drohet der Mutter Lebensgefahr. Auch mich wird er mit den häßlichsten Farben anklagen, mir Gesetze vorschreiben. Ich zittere – – O! verzeihe, werthester, bester, unglücklicher George. Es ist Schande in diesem Leben, aber es war ein Anstoß, so den Standhaftesten überfallen kann. Ja er ist verschwunden, auch kein Schatten, nicht der mindeste Eindruck ist zurück geblieben. Welchen glückseligen Vorstellungen hat er weichen müssen. Hier das Todgerüste, hier der Ort, wo ich mit Dir, Hand in Hand geschlungen, mit festen Tritten herauf steige. Freude, beyderseitiges Anschauen, wird unser Gesicht zum Ruheplatz der Seelen machen. Hier sehe ich hundert blühende Mädchen, mit Thränen auf ihren zarten Wangen, unsern Tod beneiden. Selbst Maskwell würde weinen, wann seine Grausamkeit nicht bey ihm die Quelle der Thränen vertrocknet hätte. – – Und Du weinst? Undankbarer, Du weinst allein! (indem sie sich an die Wangen fühlt.) Ja, es sind Thränen, Gott sey gedankt! Noch sind sie zur rechten Zeit gekommen. George. Welche schreckliche Vorbereitung; und doch wünsche ich es zu wissen, wenn anders Deine Worte durch innere Bewegung der Aufrichtigkeit und Liebe herausgepreßt werden. Aber vielleicht widerspricht das äußere falsche Betragen der inner Wahrheit. O, Grausame! warum wollen Sei den Gefolterten durch Labsale sein Daseyn verlängern? Lassen Sie mich mein Leben in meinem Schmerz verseufzen. Rosalie. Maskwells Ermordung hätte Dich von meiner Aufrichtigkeit überführen können. Allein, man hat mir den Dolch entrissen. Aus Mangel dieses Beweises, so höre: So wahr ich von aller Falschheit entfernt, mit reinem Herzen diese unbefleckten Hände gegen Dich, unbegreiflicher, allgütiger Gott, empor hebe, so wahr hat sich nie mein Wille in Worten, Gedanken, geschweige würklicher That, gegen meine Liebe aufgelehnt, auch nie an irgend einen Gegenstand außer Dir ergötzt. Und wenn Maskwell oder sonst jemand auch nur den kleinsten unbegreiflichsten Theil meiner Liebe von Dir abwendig gemacht hat, so komme eine verzehrende Untröstlichkeit in meinen Busen, und das murmelnde Gezische: „Recht geschieht der Meineydigen, die ihren Geliebten verrathen, Recht, daß das innere Gewissen ihr alle Lebenskräfte geraubt hat, sey mir schrecklicher, als das Hohngelächter der Furien einer ganzen Hölle. George. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen diese schreckliche Betheurung abgedrungen. Mißtrauen ist einem Unterdrückten und Elenden leicht zu vergeben. Verlassene und Verfolgte suchen hierin ihre einzige Sicherheit.

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Zweyter Auftritt. Die Vorigen. Der Kerkermeister. Kerkermeister. (zu Georgen.) Auf Befehl des Lord Maskwells soll ich Sie in genauere Verwahrung nehmen, und allen Umgang mit andern verhindern. Miß, und nur Sie sind an diesem Befehle schuld. Er sucht alles zu beschleunigen, und eine gewisse Hülfe, die unvermeidlich ist, wird durch Ihre letzte Uebereilung verzögert, und vielleicht kann sie nun zu spät kommen. Sie werden wenigstens wohl thun, ihm auf einige Zeit nachzugeben. George. Ja, Wehrteste, dieses ist der einzige Weg, uns zu retten. Wir erwarten alle Augenblick die erwünschte Zeitung, daß noch ein Ansehnliches von meines Vaters Vermögen bey dem erhaschten Kaufmann gefunden worden. Ich bitte Sie, geben Sie ihm einige Hofnung, und wann mein Vater sene Freyheit erlanget, sind wir gerettet. Rosalie. Ich soll ihm schmeicheln? Mich verstellen? Und durch diese Ränke uns befreyen? O! schreckliche Zuflucht! Doch Du willst es, George. Gut, ich gehorche: ja ich will, was ich nicht sollte, aber – – – Nein, auch nicht einmahl dieses Aber. Kerkermeister. Mein Herr, folgen Sie mir. Meine Verzögerung könnte uns den größten Verdruß zuziehen. Das Haus ist voller Spione. George. Ich muß, weil es Maskwell will, und Sie Miß, wollen, weil ich Sie darum bitte. Es ist weit angenehmer, sich freywillig zu verpflichten, als aus Zwang zu gehorchen. (geht ab.)

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Dritter Auftritt. Rosalie allein. 30

Verpflichten! Gehorchen! Und auf welche Art? Maskwelln zu gefallen leben, seiner Hofnung schmeicheln, und endlich selbst das Echo seiner Laster werden? Nun auch dem will ich mich unterwerfen. – Aber wie? Wenn von dem Echo die Thätigkeit verlangt wird? Wenn er mich auf einer seiner Güter versperren, mich? – O schauernder Gedanke! – Sagte nicht der Kerkermeister von einer unvermeidli- 35 chen Hülfe. Unglückliche glauben gern, was ihrer Hofnung schmeichelt. Nun ich will alles wagen, und wenigstens den mißtrauischen Worthy von meiner Unschuld überführen. (geht ab.)

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Vierter Auftritt. Worthy. (hört die letzten Worte.) 5 Mißtrauischer Worthy! O wäre ich es gewesen! Du hättest Dich jetzt nicht darüber

zu beklagen. – Doch weg mit diesem melancholischen Gedanken. Ich habe dem alten Unbekannten versprochen, mich zu beruhigen. – – War es nicht zu voreilig sich gegen einen Fremden so weit heraus zu lassen? – (auf der Stirne zeigend.) Wenn ich nur den Compaß nicht verliere. Ich muß Zerstreuung suchen. (er schlägt 10 das Buch auf so George liegen lassen,) „Ueber die Unsterblichkeit der Seele.“ Schon recht, mein Sohn. Der Beweis sollte keinem mehr, als dem Kriegsmann obliegen. – Und dieser Sokrates konnte in den letzten Augenblicken, mit dem Giftbecher in der Hand, diesem tiefsinnigen Schluße geruhig anhängen, die Gründe genau erwägen, und ich – – aber auch hatte er nur für sich zu leiden. Weit stärker 15 empfinden wir, wann wir uns in das Leiden anderer versetzen, und in welcher andrer? O! meine Kinder.

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Fünfter Auftritt. Worthy und Noddy. Noddy. (außer Athem.) Bestätigung. Fehlt nicht viel. Alles gut. Herr Grott hat mir bereits zwey hundert Pfund vorgeschossen. Hier haben Sie den Brief. Worthy. Gottlob! das Gewölke zertheilet sich. Laß sehen (er liest den Brief.) „Aus meinem gestrigen Schreiben werden Sie die Erhaschung des Wilkland ersehen haben; Nunmehro kann ich Ihnen zuverläßig melden, daß man bey demselben noch an Noten über acht tausend Pfund gefunden; zu Ihrer Beruhigung fertige ich Ihnen dieses mit einem Expressen zu. Sie werden den Gläubigern davon Nachricht geben. Ihnen, Herr Nachbar, wünsche ich Glück dazu. Sie können die Früchte von diesem Ihnen wieder gewordenen Vermögens in Ruhe genießen, aber ich – – mir kann alles nichts helfen. So lange mein Kind in Gefahr schwebt, weiß ich von keinem Trost. Alles Geld wird ihn von der abscheulichen Anklage nicht retten können. Wissen Sie, daß Maskwell meinen Sohn als einen Schwestermörder anklagt? Worthy. Die Anklage ist erdichtet, und wird sich leicht zu seinem Vortheil aufklären. Die Wahrheit muß ihn schützen, und sollte die willkührliche Macht das Recht zu Boden drücken, so hört auch der schuldige Gehorsam auf, und dann wollen wir sehen, wer die stärkste Partey haben wird. Ich habe alle Anstalten und nöthige Vorsicht bereits gebraucht. Das Volk ist auf meiner Seite, und wird Georgs Vertheidigung zu seiner eigenen Sache machen.

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Worthy. Herr Nachbar, ich habe Ihnen tausendmahl gesagt, und werde nie aufhören es zu wiederholen, daß ich keine gewaltsame Mittel je zugeben werde. Wann Ihnen das geringste an meiner Freunschaft und Hochachtung gelegen ist, so ersticken sie dergleichen hitzige Aufwallungen. Trauen Sie meiner unglücklichen Erfahrung, daß der nur Mitleiden und Hülfe verdienet, der sein Unglück ge- 5 duldig erträgt, und sich keine ausgelassene Mittel erlaubt.

Sechster Auftritt. Die Vorigen. Jenny. Jenny. (außer Athem zu den Vorigen.) Sie stürmen das Haus. Sie wollen Sie heraus haben, und drohen das Gefängniß einzureißen. Auch Georgen wollen Sie befreyen. Eilen Sie, mein Vater, zeigen Sie sich, sonst bringt der alte Unbekannte, der heute so vertraut mit Ihnen sprach, das Volk von seinem Vorsatz ab. Ergreifen Sie diese öffentliche Genugthuung. Worthy. Bravo, Bravo! welche Genugthuung? Noch mehr, Sie werden Freudenfeuer machen, mich auf Händen tragen, und dann im lauten Getümmel vor mir her schreyn: das ist der exemplarische Mann – – (er läßt den Ton sinken.) Der die Gesetze mit Füßen tritt. (er nimmt sie bey der Hand, und führt sie einige Schritvorwärts.) Du hast Deinen Auftrag schlecht bestellt. Deine Mutter hat Dich nicht gut unterrichtet. (er sieht sie steif an.) Gewiß, meine Tochter, das gezwungene abgerichtete Wesen kleidet Dich nicht. Du erröthest? Du bist wieder mein Kind. (er küßt sie.) Mehr brauchts bey Dir nicht. (zum Noddy.) Es scheint, Herr Nachbar, als wann die Vernunft nichts mehr über Sie vermag. Ich muß also, so ungern es auch geschiehet, Ihnen erklären, daß ich der erste seyn werde, der Sie als einen Stöhrer der öffentlichen Ruhe anklagen wird. Denn wissen Sie, daß ich erst den Gesetzen, und dann mir und meinen Freunden zugehöre. Es steht also bey Ihnen, ob Sie lieber für einen Aufrührer gelten, oder – – Noddy. Aber bedenken Sie – – Worthy. Kein Aber. Was wollen Sie thun? Noddy. (stampft mit dem Fuß, und geht ab.)

Siebenter Auftritt. Die Vorigen und Frau Worthy.

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Jenny. Herr Noddy ist aufgebracht. Seine Absichten sind gut. Worthy. Hier ists nicht um Absichten, sondern um die Mittel zu thun, und die40 se müssen gerecht seyn. Mag er doch aufgebracht seyn.

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Frau Worthy. Abermals die Früchte Ihres Systems! Ists möglich, daß sie noch immerfort auf Ihren Sätzen beharren können, da sie täglich den schlechten Erfolg davon, mit Ihrem Schaden emfpinden müssen? Sich dem ersten besten Unbekannten in die Arme werfen, und sein ganzes Herz auszuschütten, und das alles, 5 weil man nicht von seinem Nächsten böses denken muß. Gehöret dieses auch zu einem moralisch guten Charackter? die Stimme des ganzen Volks war für uns, und man stößt auch diese einzige Rettung von sich. Worthy. Wie? ist das Volk aus einander. Frau Worthy. Ihr unbekannter Freund, den Sie Ihres ganzen Vertrauens ge10 würdiget, hat diese fromme Bemühung über sich genommen. Um Gottes willen, wohin wird sie Ihr unbiegsamer Charakter noch bringen? Worthy. (ganz ruhig zu Jenny.) Was macht Sara? Frau Worthy. Mein ganzer Entwurf, als ich Ihnen die Einwilligung abgewonnen, war zu unserm Besten. Allein, wer kann sich vor Niderträchtigen genung in 15 Acht nehmen? Worthy. Aber sehr leicht, um sie nicht selbst zu begehen.

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Achter Auftritt. Die Vorigen und Lord Kingston. Lord Kingston. Sie sollten nach den Pflichten Ihres Amts die Eintracht befördern, und nicht die allgemeine Ruhe aus Privatnutzen stöhren. Ein Mann, der ein freyes Gewissen hat, wird nie ungerechte Mittel zu seiner Rettung ergreifen. Ihnen wird doch wohl die Bestrafung, welche die Gesetze darauf gelegt haben, nicht unbekannt sein? Ich hätte vielleicht meinen wenigen Einfluß zu Ihrem besten verwandt, aber jetzt – – Frau Worthy. Wenn man sich falschen Freunden anvertrauet, verdient man mit Recht die härteste Strafe. Jenny. Mein Herr! glauben Sie, daß mein Vater nicht allein keinen Antheil an diesem Auflauf gehabt, sondern noch jetzt mit – – Worthy. (zur Jenny.) Meine Tochter. Du handelst unbesonnen. (zum Lord Kingston.) So unbekannt Sie mir auch sind, so bahnet Ihnen doch Ihre Offenherzigkeit den Weg zu meinem Herzen, und entfernt alle Zurückhaltung. Ihre letzte That verdienet allen Dank. Sie haben mich von der Gefahr befreyet, meinen besten Freund anzuklagen, und undankbar zu seyn. Hätte ich Theil an diesem Auflauf gehabt, so verdiente ich mit Recht die härteste Bestrafung. Meine Unthätigkeit dabey muß vorerst mein einziger Beweis seyn. Allein mein Freund, der mich dadurch zu retten glaubte, verdienet Nachsicht. – Wenn wir uns in Andrer Unglück versetzen, ist unsere Unruhe weit heftiger, als wann wir selbst leiden. Die

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lebhafte Vorstellung von Andrer Schmerzen läßt nicht zu, die wahren Grenzen derselben zu bestimmen, die doch bey selbst Leiden stets durch Hofnung, Gewohnheit oder Gefühllosigkeit gelindert wird. 5

Neunter Auftritt. Die Vorigen. Miß Rosalie. Miß Rosalie. Hülfe, Mylord. Sie waren sonst ein Freund meines Vaters und der Rechtschaffenheit. Retten Sie eine Unglückliche von ihrem Untergang. Maskwell 10 will mich auf eins seiner Güter bringen lassen. Nur Sie können diesem Unfall wehren. Denn wissen Sie, daß ich zu allem, ja zu der unglaublichsten Marter standhaft und entschlossen bleiben, und gewiß nicht diesen Ort verlassen werde. Gern will ich mein Leben in diesem Gefängnisse verschmachten. Nur befreien Sie diese 15 unglückliche Familie. Sie sind unschuldig. Lord Kingston. Doch nicht so wie Sie Miß? Ich habe keine Macht, die Gerechtigkeit von verdienten Bestrafungen abzuhalten. Gesetzt aber, ich hätte sie, so wüste ich nicht, warum ich sie zum Besten einer Mörderinn verwenden sollte. Ich finde es sehr gelinde, wann er sie auf seine Güter versperren läßt. Denn im Grunde ist auch 20 der ein Mörder, der morden will, und durch andere daran verhindert wird. Jenny. Miß Rosalie wollte nicht morden; nein, nur sich vertheidigen. Er wollte sie mit Gewalt durch seine Leute wegschleppen lassen. Es war kein anderes Mittel sich zu retten. 25

Zehnter Auftritt. Maskwell. Die Vorigen. Maskwell. (zur Rosalie.) Vergebens suchen Sie hier Schutz. (zum Lord Kingston) Sir! Man wird Sie vermuthlich mit meinem Unrecht betäuben, und alles mit einem heili- 30 gen Firniß überstreichen. Sie haben sich doch bey den Augenzeugen nach dem wahren Vorgang erkundigt? Finden Sie es anders, als ich es Ihnen angegeben? Lord Kingston. Ich habe genau nach allem nachgefragt, und bin genugsam unterrichtet, Neffe. 35 Worthy. Lord Kingston. Erschrocken, alle zugleich Frau Worthy. Sein Neffe. Jenny. 40 Gerechter Gott!

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I Literarische Schriften

Lord Kingston. (sich zum Prediger wendend) Erwarten Sie dasjenige, was Sie sich nach der Billigkeit Ihres Verfahrens versprechen können. 5

Zehnter Auftritt. Die Vorigen und Noddy. Noddy. (zum Maskwell.) Mein Herr! Hier ist eine Banconote von zwey hundert 10 Pfund zum Abtrag der Schuld des Herrn Predigers.

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Maskwell. Zwey hundert Pfund ja so viel glaube ich, wird die Schuld betragen, ja es macht gerade so viel. Allein die Interessen und Unkosten – Frau Worthy. Für die Interessen und Kosten wollen wir Ihnen Ihre Cavalierparole zurück geben. Rosalie. Hier sind meine Ohrgehänke. Noddy. Miß! das ist unnöthig. Auch für Schicanen habe ich Sorge getragen. Hier sind noch funfzig Guineen. Worthy. Herr Nachbar, es kommt nicht darauf an, ob ich noch einige Zeit versperrt bleibe. Allein, was mein Ende befördert, ist die falsche Anklage gegen meinen geliebten Sohn, die einzige Stütze in meinem Elende und Alter. Maskwell. Und Sie können diese schändliche That leugnen? Es sind Zeugen da. Lord Kingston. Die Zeugen habe ich herbestellt. Es ist doch der Kerkermeister, und ein gewisser Brigard? Jenny. Auch von diesen sind wir hintergangen worden. (Sie wirft sich dem Maskwell zur Füßen.) Sie wissen, daß ich Ihnen das Leben gerettet habe. Sie versprachen mir, alle meine Bitten zu gewähren. Nun haben Sie Gelegenheit, sich das göttliche Vergnügen der Belohnung zu verschaffen. Gesetzt auch, das ganze Unrecht wäre auf unserer Seite, so lassen Sie aus Großmuth die mir versprochene Vergeltung, meinem Bruder genießen. Erbarmen Sie sich dieses alten Greises, bedenken Sie, daß Sie auch einst alt, und der Unterstützung benöthiget werden. Maskwell. Miß! Verlangen Sie alles, nur nicht eine Sache, die von den Rechten abhängt. Damit befasse ich mich nicht. Lord Kingston. (seitwärts.) Unverschämter! Noddy. Stehen Sie auf, Miß. Mein Sachwalter hat nach London geschrieben, und verspricht eine Commission auszuwürken.

2 Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen (1776)

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Eilfter Auftritt. Der Kerkermeister. Brigard. Die Vorigen. Kerkermeister. (zum Lord Kingston.) Mein Herr! Hier ist die Schrift aus der Cantzley, und auch Herr Brigard. Lord Kingston. (zum Maskwell.) Sollte man auch auf dieser Leute Zeugniß trauen können? Ich glaube, daß viele Umstände dabey obwalten, deren die Gegner sich mit Grund bedienen könnten. Der eine ist Kerkermeister, und der andre Gefangener. Maskwell. Aber rechtschaffene Leute, gegen deren Gültigkeit auch nicht das geringste einzuwenden ist. Lord Kingston. (zum Kerkermeister und Brigard.) Tretet näher, und sagt ungescheut die Wahrheit. Brigard. Daß die Sara von ihrem Bruder ermordet worden, ist eine Erdichtung des Lord Maskwells, der von uns dieses falsche Zeugniß mit Drohungen und Versprechungen verlangt hat. – – Maskwell. Schurke! (Er will den Degen gegen ihn ziehen, wird aber von Lord Kingston zurück gehalten.) Lord Kingston. Es sind rechtschaffene Leute! – Du hast noch keine Ursache aufgebracht zu seyn. Noch etwas Geduld und höre mich. Du wirst Dich erinnern, daß bey der Abtretung meiner Güter an Dich, ich mir diese Kleinigkeit vorbehalten, daß es zu allen Zeiten von mir abhängen sollte, mein Geschenk wieder zurück nehmen zu können. (Er überreicht ihm die Schrift.) Hier hast Du die Bekanntmachung der Gerichte. Maskwell. (wirft ihm die Schrift zu den Füßen.) Meine Verbindung setzt mich in den Stand, Ihr Geschenke zu entbehren. Noddy. Wie stehts nunmehro mit den Interessen und Unkosten? Frau Worthy. (zum Lord Kingston.) Verzeihen Sie, mein Herr, die Leiden – – Lord Kingston. Wer achtete darauf? Rosalie. Vollenden Sie das angefangene gute Werk, und beschützen Sie eine Unschuldige vor der abscheulichsten ungerechtesten Verfolgung. Ist es auf mein Vermögen angesehen, mit Freuden will ich es Ihren Neffen abtreten. Bedenken Sie, was ich Unglückliche bereits erlitten? Lord Kingston. Erlitten? Und worin bestehet dieses Leiden? Vielleicht rechnen Sie auch unter die Leiden, daß Sie Ihrer Mordsucht kein Gnüge gethan. – Das hitzige aufgebrachte Wesen ist bey unserm Geschlecht strafbar, bey dem Ihrigen aber unverzeihlich. Ein Frauenzimmer mit männlicher Tollkühnheit ist das ärgste

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Scheusal. Und Sie, mein feiner Lord, glaubten Ihre Sache sehr vernünftig ausgesonnen zu haben, und sind auf die gröbste Weise betrogen. Wie wäre es, wann der Prediger, der die Trauung mit der Sara verrichtet, ein würklicher Prediger gewesen wäre? Könnten Sie noch auf das Vermögen der Rosalie Anspruch machen? Dieser Mann hier, (auf Brigar zeigend) den Sie selbst für einen rechtschaffenen Mann erkennen, hat den zu Ihren Vortheil gespielten Betrug durch Aussage des ächten Predigers, der die Trauung verrichtete, bestätigt. – Nun was sind Sie mit der Sara gesonnen? Maskwell. (im Abgehn) Gaukelwerk! Ich habe noch Freunde bey Hofe. Lord Kingston. Freunde bei Hofe! Ha, ha, ha! Unerfahrner, thörigter Bösewicht. Man befreye Georgen. (Brigard und der Kerkermeister gehen ab.) Rosalie. (in Ablaufen mit Geschrey.) George ist frey, George ist frey! Worthy. Die Fülle meines Herzens. – – Lord Kingston. Es ist spät, und wir müssen noch zum Abendessen. Wir bleiben zusammen, Herr Prediger. (geht ab.) Worthy. (ihm nachsehend.) Thätig ohne Geräusche; gerecht, wenn auch mit eigenem Schaden. So wollte Gott den Menschen, und so schuf er diesen Mann. Frau Worthy. Mit wahrer Reue bitte ich um Vergebung. Der glückliche Ausgang läßt mich Verzeihung hoffen. Worthy. Beruhige Dich, Beste! Unser beyderseitiger Endzweck war ein und derselbe. Auch in der Wahl der Rettungsmittel haben wir den göttlichen Beystand nöthig. Ich kenne Dein gutes Herz, und weiß daß Du künftig mehr Vertrauen in die gelassenen gerechten Wege setzen wirst. Ich bitte Dich, leiste Saran allen Beystand, ich hoffe, daß mit der Aufhebung der Ursache sich auch ihre Krankheit heben werde. (Frau Worthy geht ab.) (zur Jenny.) Und Du, mein liebes Kind, hast Du nichts, was einen Wunsch in Dir erregt. – – Du erröthest? – Ja es ist billig, daß ich Dir zuvorkomme. Ich habe mit Freuden bemerkt, wieviel Theil Du daran genommen, als ich den Herrn Noddy wegen des Aufruhrs zu Halse ging. Mit dem wahresten Dank billige ich Deine Wahl. Ich bin stolz auf diesen Freund, und auf seiner Belohnung. (Sie ergreifen seine Hände, und bezeugen entzückend ihren Dank und ihre Freude.) Ja, Kinder! Wohl mir und wohl Euch. Gehet, ich folge Euch. (Sie gehen ab.) Worthy. (allein.) Dieser Ort hier wird wohl der feyerlichste zur Trauung seyn. – Der heutige Tag sey zu einem jährlichen Fest gewidmet. (Er sieht sich eine Weile im Zimmer um.) Diese Gegenstände sind mir wichtig. (Er fällt auf die Knie und sagt schluchzend.)

2 Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen (1776)

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Gott! der du mich gezüchtiget, und jetzt so wunderbar errettest, nimm diese Fülle meines Herzens, und die durch Freudenthränen zerstückten Worte für ein schuldiges Dankopfer deines erretteten Knechts! 5

Ende. — — — — —— — — — — — — — — —— — — — — — — — — —

Rezensionen 2a anon.: „Worthy, Drama in fünf Aufzügen. Danzig, bey Flörke, 1776. 7 Bogen in 8.“ (Allgemeine deutsche Bibliothek; 1776) Quelle: Allgemeine deutsche Bibliothek, 29. Band (1776), S. 502–503.

Die Quelle, woraus der Stof dieses Schauspiels entlehnt worden, ist zwar von dem Verf. desselben nicht angezeiget; man merkt aber sogleich, daß es die letzten Begebenheiten in dem schönen Roman, der Dorfpriester von Wakefield, sind. Der Verf. des angezeigten Schauspiels hat darinn einige kleine Umstände verändert, die uns doch in dem Roman besser gefallen, andere hinzugesetzt, die eben nicht mit den übrigen in der besten Zusammenstimmung stehen ; andere weggelassen, die wir hier ungern entbehren. Die ganze Geschichte hat uns überhaupt beym Lesen des Schauspiels nicht so interessirt, als in der Erzählung ; jenes hat sehr oft etwas Schleppendes und Gedehntes ; diese hingegen so viel Lebhaftigkeit und Energie. Auch die Zeichnung der Charaktere ist nicht treffend noch abstechend genug. Worthy, der Landpriester, hat hier gar das Eigenthümliche nicht mehr, das ihn dem Leser des Romans so einnehmend und vertraut macht ; seine Frau zeiget sich nur selten ; auch ihr Charakter scheint verfehlt zu seyn, und nicht so gutherzig im Grunde, nur mit Eitelkeit und kleinen Thorheiten vermischt, wodurch er in der Erzählung so gut mit dem Chrakter ihres Mannes kontrastirt. Olivie, die hier Sara heist, gefällt uns in dem Schauspiele gleichfalls weit weniger ; der Verf. des Romans läßt sie auch nichts so romanhafts begehen, wie hier ihr Versuch eines Selbstmordes ist. Oder geschah dieser Versuch nur, um ihren Bruder George in einen wahrscheinlichen Verdacht zu bringen ? Auch dieser Verdacht ist lange keine so natürliche Ursache seiner Gefangennehmung, als der im Roman erzählte Vorfall mit des Lords Bedienten. Am wenigsten hat der Verf. des Drama den so rührenden Auftritt zu benutzen gewußt, da der unglückliche Landpriester seine todt geglaubte Olivie wieder sieht. Kurz, diese dramatische Bearbeitung dieser an sich so rührenden und wirklich sehr threatralischen Geschichte reicht nicht weit über das Mittelmäßige hinaus.

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Rezensionen

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2b anon.: „Worthy, ein Drama in fünf Aufzügen, 8. Danzig, 1776. (8 gr.)“ (Berlinisches litterarisches Wochenblatt; 1776) Quelle: Berlinisches litterarisches Wochenblatt I. Berlin und Leipzig: bei Friedrich Wilhelm Birnstiel, 1776. Litterarisches Wochenblatt no. 17. Berlin, den 27. April 1776. S. 260–261.

Eine Rhapsodie aus dem Mährchen des Landpriesters von Wackefield, die der Verfasser durch Umtauffung der Namen der Personen, und durch die Verändrung der Thathandlungen unkenntlich zu machen gesucht hat. Verbrämet durch rasende Personen, mit einigen Hirschfänger Stössen gezückten Dolchen, und durchwirckt mit prächtigen widernatürlichen Floskeln, als der Magnet will Eisen und keine Goldspeise. Feuer will brennendes Oel haben. Sind meine Seelenkräfte von Eisen? Ist mein Fleisch von Erz? – Den Amerikanern werden goldene Bogen zugeschrieben, mit denen sie wider die Spanier zu Felde gezogen seyn sollen. Und bei allen diesen Verbrämungen von verschiedenem Metall, wodurch die Reden der handelnden Personen zwar gläntzend gemacht worden, ist die Handlung selbst kalt, und der Schluß des Stücks so lendenlahm geworden, daß man die Gardine sinken siehet, ohne für irgend eine Person sich interessiret zu haben. Die jüdische Nation muß sich freuen, daß der Verfasser, vielleicht zu erst, den Psalter auf das Theater bringet. Je nun! sie möge sich freuen, und wenn sie zu Jerusalem wieder einziehen sollte, das Stück aus Erkenntlichkeit auf ihrer Bühne aufführen lassen. Darzu würde es wegen seiner asiatischen Floskeln, Träume, Gespenster und Donnerwetter gut genug seyn.

3 „Varietés: Au Spectateur national“ (1791) Quelle: Le Spectateur National et le Moderateur. Deo Patria et Regi 205 (23. Juni 1791), S. 879–880.

Depuis long-temps, Monsieur, j’écoute et je lis avec toute l’indifférence du mépris ce que l’on débite et ce que l’on imprime à Paris sur les opérations intérieures du cabinet et de la cour de Berlin. j’avois pourtant été un peu surpris d’abord que les faiseurs et les trompettes de la constitution françoise cherchassent à tourner les regards de leurs concitoyens sur un gouvernement et sur un pays qui ne peuvent avoir aucun rapport, aucune influence sur une révolution qui peut, dans l’avenir, faire, à ce que l’on assure, le bonheur de la France; mais je m’etois imposé la loi de laisser dire et de me taire. On a facilement de la complaisance pour les bavards qui en sont réduits à faire pitié. Je suis pourtant forcé de rompre le silence; et ce qui m’y contraint, c’est une lettre que M. d’Escherny a fait imprimer dans le Moniteur, en y joignang l’extrait d’une autre que M. le comte de Hertzberg doit lui avoir écrite. Je n’examinerai pas jusqu’à quel point est véritable la lettre de M. le comte de Hertzberg, citée par M. d’Escherny; je ne demanderai pas à quel titre celui-ci s’est permis d’abuser de la confiance d’un ministre respectable à toute sorte d’égards; je me bornerai à éclairer le peuple françois sur le changement du ministere prussien, qu’on lui présente sous un jour équivoque et même faux à la rigueur. M. de Hertzberg est aujourd’hui ce qu’il a été pendant 30 ans, c’est-à-dire, ministre des affaires étrangeres, conjointement avec le comte Finkenstein. Ils sont tous deux d’un âge très avancé, tous deux sujets à des infirmités qui en sont la suite. Le roi, qui les estime, les aime, et veut conserver, en préperant à la Prusse des successeurs dignes d’eux, leur donné pour adjoints le comte de Schullembourg et le baron d’Alvensleben, qui, introduits par eux dans les connoissances diplomatiques, peuvent coopérer d’une maniere uitle à leurs traveaux. Cette résolution du roi, loin d’annoncer une disgrace, est, au contraire, une preuve de bienveillance, et elle prouve avec quelle sage prévoyance le roi s’occupe du bonheur de ses sujets. Je puis vous certifier que la Prusse entiere applaudit à cet arrangement, qui honore également le prince et ses ministres. Signé Un Prussien.

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4 Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld (1806) Quelle: Benjamin Veitel Ephraim, Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld. Berlin: Charles Quien, 1806.

Über Geldumlauf, gemünztes Geld und

Papiergeld.

Vom Geheimen Kommissionsrath Ephraim.

Berlin, Bei C[harles]. Quien 1806

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Was hast Du mit dem hin und her rollen deiner Tonne einen Zweck? fragte ein Athenischer Pflastertreter den Diogenes. Nichts mehr und nichts weniger, erwiederte der Sonderling, als das, was ihr mit euerm rastlosen Geräusch und Deklamiren beabsichtigt. Alle eure Redner und Politiker brechen sich die Köpfe, sophistiren und beschmieren tausend Rollen, ohne dadurch das geringste zu verbessern. Glaubt mir, eure Archonten werden sich wenig um eure Einwürfe bekümmern. Ihr haltet es für nothwendig, euch zu beschäftigen, und das Ungefähr bringt auch zuweilen etwas Nützliches hervor. Vielleicht glückt es auch mir zufällig, durch das Rollen meiner Tonne die Quadratur des Cirkels zu finden. Das Kritisieren über öffentliche Verordnungen nimmt überhand, und Geldcirculation und Papiergeld sind an der Tagesordnung. Auch ich fühle einen Trieb mich zu beschäftigen, daher will ich, nach meinen Kräften, diese Gegenstände zu beleuchten versuchen. Man erwarte von mir keine Citationen; in einer Flugschrift sind solche am unrechten Ort, und überdies weiß der Eingeweihete doch das Mein und Dein zu unterscheiden, und dem Laien kann es gleich viel seyn, von wem das Wahre herrührt. Bei der Theorie von Circulation kommt es hauptsächlich auf den richtigen Begriff davon an. Ich glaube denselben durch folgende Vergleichung geben zu können: Ein Spediteur unternimmt den Transport von Geld einer großen Stadt zur andern zu besorgen; z. B. von Breslau nach Königsberg und umgekehrt. So wie der reciproke Handel zwischen diesen beiden Städten zunimmt, wird der Unternehmer anfänglich, zur Beschleunigung dieses Transports öftere Relais nehmen, und wenn dies nicht hinreicht, stets den Transport verdoppeln und endlich sogar tripliren, rc. So lange der Gang der Handlung reell mit Vorsicht und Ueberlegung getrieben wird, so wird die Transportanstalt in eben dem Maaß und Grade zunehmen. Sind aber die Geschäfte zu spekulativ, nämlich in Voraussetzung künftiger Umstände, nach welchem der Absatz sich aus gewisser Beurtheilung vermehren soll, die Spekulationen aber nicht pünktlich erfüllt werden, sondern Aufschub erleiden: so muß eine Stockung erfolgen. Das öftere Transportiren wird nicht mehr so nothwendig, und nach Maaßgabe der Verminderung der Geschäfte, nehmen auch die Transportanstalten ab, u.s.w. Die Anwendung dieser Vergleichung ist leicht auf den Umlauf des Geldes zu machen; denn dieser vermindert sich mit der Transportanstalt, sobald das Kapital – nemlich die Geschäfte – entweder ins Stocken gerathen, oder sich vermindern. Das Transportiren des Geldes allein von Breslau nach Königsberg wird die Geschäfte im geringsten nicht vermehren; dieser Satz ist unbestritten richtig. Zunehmende aktive Geschäfte können mehreres Geld in Umlauf bringen; aber die öftere Circulation des Geldes wird nicht auch die Geschäfte vermehren. – Es müs 

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sen dabei besondere Umstände obwalten; z. B. mehr Trieb zum Wohlleben, durch Leidenschaften erregte eingebildete Nothwendigkeiten und neue oder auch nur verbesserte Erfindungen in Geschmackssachen diese auch aber werden und müssen erst durch innern Luxus und deren Verbrauch auf gemuntert werden; der auswärtigen Nachahmung wird stehts ein marsch abgewonnen; weil die Ermüdung, denselben Gegenstand oft zu sehen, den Erfinder zwingt, die Erfindung zu verbessern. Hauptsächlich müssen die entstehenden Schwierigkeiten, wenn der Umfang der Geschäfte sich vermehrt, mit Hülfe des Staats beseitigt werden; wohl zu verstehen, nicht, daß der Staat selbst Geschäfte, welcher Art es auch sey, unternehme, – (das ist gewiß das schädlichste), wohl aber, daß er die im Wege stehenden Hindernisse fortschaffe. Auch diese Beseitigung muß nur mittelbar geschehen. – Um diesen Gegenstand noch deutlich zu machen, will ich zu meiner Vergleichung zurückkommen. Setzen wir den Fall, der Handelstand beobachtete das immerwährende Transportiren des Geldes von Königsberg nach Breslau, und umgekehrt; und sähe ein, daß der größte Theil des Geldes durch Anweisungen an Ort und Stelle verbleiben könnte, und nur der Saldo im Gelde nach oder von Breslau zu transportiren nöthig sey; die Kaufleute wurden deshalb unter sich eins, ein Komptoir in Breslau und Königsberg, mit Zuziehung des gedachten Entreprenneurs der Roulage zu erriechten, dem jeder sein Geld überliefern könnte, und darüber einen Schein bekäme, um an beide Orten, gegen Vorzeigung des Billets die Zahlung zu erhalten. Der Staat kann diese Anstalt unterstützen, und befehlen, daß diese Scheine auf der ganzen Route in seinen Kassen angenommen werden sollen; der Staat hat aber auch zugleich das Recht, sich die Aufsicht darüber, (eine billige Polizeiordnung) zuzueignen, nemlich die Deponirung hinlänglicher Sicherheiten zu verordnen, daß obige Scheine zu allen Zeiten gleich ausbezahlt werden. Worin die Sicherheit bestehen müsse, und wie weit der Staat alle mögliche Chancen festzusetzen für gut finden dürfte, ist ein Gegenstand der nicht hieher gehört. – Genug, das Geld, welches während des Transports sonst ausser Circulation gebracht worden wäre, bleibt jetzt im Umlauf; denn der Entrepreneur oder die Gesellschaft wird solches in der Zwischenzeit nützen, sey es im Diskontiren auf kurz gezogene Wechselbriefe, oder auch gegen Deponirung andrer Münzsorten, oder sonstige allgemeine reelle Deponirung rc. Denn diese Scheine werden selbst in Breslau und Königsberg nicht gleich eingelöset werden. Ich muß die weitere Ausführung und Verfolgung dieses Gegenstandes abkürzen, weil ich nur einen Umriß der Cirkulation zu geben beabsichtige, damit sich das Folgende besser übersehen lasse. Es ist schon daraus genug zu ersehen, daß, wenn die Fortschritte der Industrie und Handlung auf eine solide Art sich vermehren, auch der Umlauf des bereits vorhandenen Geldes, ohne Zuthuung des Staats sich beschleunige, mithin so gut als vermehrt anzusehen ist. Denn wenn in einer  

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kurzen Zeit die Wirkung beschleunigt wird, so vermehrt sich auch dieselbe zugleich. Alle Beschleunigung des Geldumlaufs, in welchem Geschäft es auch immer sey, setzt die Nothwendigkeit des geschwinderen Umlaufs desselben voraus. Wenn aber dies der Fall nicht ist, so wäre es Unsinn, auch die Beschleunigung zu befördern, z. B. Gesetzt die Tracht der baumwollnen Zeuge käme aus der Mode, wäre es nicht unzweckmäßig, die Spinnmaschinen zu vermehren? Wozu also die Vermehrung des Geldes? Die spiritueusen Getränke und die volle Nahrung hält den Sackträger in Thätigkeit; gesetzt aber seine Beschäftigung nähme ab, so wird diese ihm sonst zuträgliche Nahrung gerade das Gegentheil wirken; der Ueberfluß erhält ihn nicht wie sonst, sondern zerstöhrt ihn vielmehr. Jetzt muß ich noch folgende mir etwa entgegen zu setzende Einwendungen beantworten: Aus Deiner Vergleichung, könnte man sagen, läßt sich mit Recht vermuthen, daß Du das Geld nur als Mittelding zur Beschleunigung der Geschäfte anstehst, wie in der Medizin die Orangenessenz, um durch den Reitz das Blut des Körpers auf einige Augenblicke in schnellere Bewegung zu setzen, damit das Heilmittel desto besser wirken möge; oder, Du betrachtest das Geld als eine Elle, womit das Zeug gemessen wird. Dies ist eigentlich meine Idee nicht; ob es gleich der Irthum ist in welchen die meisten verfallen. Aechte klingende Münze ist eigentlich dasjenige, wodurch alles bei jeder Handlung gleich finaliter abgemacht wird. Es liegt zwar nur in dem Sinn eines jeden – und das entsteht durch den mechanischen Gebrauch – daß er für jede Sache, die er weggiebt, auch wiederum den vollen Werth in Waaren durch eine andere Sache erhalten will und haben muß. Die angenommene Meinung und Vorstellung, die man vom Gelde hat, setzt stillschweigend voraus, daß er den vollen Werth an Silder oder Gold, das ist in einer wichtigen unverfälschten Waare erhält. Wenn der Tuchhändler 14 Ellen Tuch, die Elle zu 1 Rthl. verkauft, so berechnet er dem Käufer den Werth der Wolle, den Arbeitslohn, die Zinsen und seine Mühwaltung re. Er verlangt aber dagegen auch, daß in den 14 Rthl. die er bekömmt, der volle Werth an Silber, d.i. 16 Loth sein Silber enthalten sey; indem er nicht jeden Thaler, der ihm gegeben wird, nachwiegen, noch probiren kann, ob jeder Thaler auch den 14ten Theil einer Mark wiege; auch nicht die Kunst versteht, durch die Kapelle zu erfahren, ob auch wohl eine Beimischung von Kupfer, und wie viel Beimischung darin enthalten sey. Daher übernimmt es der Staat dafür zu sorgen, und durch dazu angestellte Männer das Geld so ausprägen zu lassen, daß in einem jeden Thaler gewiß der 14te Theil einer Mark reinen Silbers enthalten sey. – Der Unterthan verläßt sich blindlings auf die vom Staat übernommene Fürsorge, daß der Thaler nach dem Münzfuß richtig das Silber  

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enthalte, und warum soll er denn auch daran zweifeln? Er sieht täglich Leute bestraft, die Maaß und Gewicht auch nur um ein ganz geringes verfälschen. Wie kann es ihm auch nur einfallen, daß diejenige Autorität, die bei dem Branntweinbrenner Visitation anstellen läßt, ob der gehörige Spiritus, nemlich innrer Gehalt, in dem Branntwein enthalten sey – selbst den innern Gehalt einer der Heiligsten Sachen „des Geldes“ zu verfälschen fähig sey? Nein, so wenig ein Kind, das täglich von der zärtlichsten Sorgfalt seiner Mutter, durch die emsige Unterschung der Nahrungsmittel, die sie selbst größtentheils mit genießt, überführt ist, daß solche nichts schädliches enthalten, nur im geringsten vermuthen kann, daß eben diese Mutter ihm ins Geheim Gift beibringen wird; – eben so wenig kann ein Volk glauben, daß der Landesvater das Geld verfälschen werde. Die Annahme des gemünzten Geldes beruhet also nicht blos auf leeren Glauben und vertrauen, sondern auf der Gewisheit eines jeden, daß er den vollen Werth in einer Waare, die gleichen Werth in der ganzen Welt hat, dafür in seine Hände bekömmt. Diejenigen Staaten die eine vernünftige Staatswirthschaft adoptieren, werden selbst die Prägekosten nicht durch eine Verminderung des innern Gehalts zu ersetzen suchen, sondern solche aus dem Schatz bezahlen. Dies war die Maxime in England und Holland und ist es jetzt in Frankreich; denn die geringste Verlezzung des innern Gehalts vermindert den Werth der Waare und alsdann bekömmt der Verkäufer weniger als er giebt. – Diesemnach kann jeder einsehen, daß bei dem Gelde alles auf den innern vollkommnen berechnet ist, und nichts sich auf Vertrauen stützt, sondern die unverweigerliche Annahme auf Realität beruhet. Nach dieser Einleitung über Geld und Geldumlauf wird es leichter, den Werth eines sonst verworrnen Gegenstandes, nemlich des Papiergeldes, zu beurtheilen. Die erste Erfindung, das beschwerliche Transportiren des Geldes von einem Ort und Lande, ja sogar von einem Welttheil zum anderen zu ersparen, und nach geschwehener stillschweigender Abrechnugen alles bis auf den Saldo, baar zu übermachen, rührt von Livornischen Juden her. Der Livorner hatte nach Algier für 1000 Rthlr. rothe Kappen, und der Allgirer nach Livorno für 1100 Rthlr Korallen geschickt. Um das hinundhersenden der Baarschaften zu vermeiden, kam man auf den Einfall, sich durch Wechselbriefe zu helfen. Der Algirer traßirte an die Ordre eines Kaufmanns, der auch für 1000 Rthlr. Waare von Livorno verschrieb, das Geld, welches derselbe für seine verkaufte Korallen in Livorno zu stehen hatte: und so umgekehrt. Es blieb also nur der Rest von 100 Rthlr. baar zu übermachen. Es ist eine richtige Bemerkung, daß diese Erfindung dem damals herrschenden Despotismus und Tyrannei der Regenten den ersten Stoß gegeben; denn jeder konnte sein ganzes Vermögen in ein Stückchen Papier verwandeln und, ohne sich

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mit einer Masse von Geld zu beschweren, auf eine leichte Art sich der willkührlichen Beraubung entziehen. Die Jesuiten verfeinerten diese Erfindung, wenn sie Geld von dem Spanischen Amerika nach Europa ziehen wollten, so gab der Pater Prior in Rom demjenigen, der gern Geld in Lima haben wollte, blos ein Stückchen weißes Papier. Man versah nun den Inhaber des Papiers mit einer Nummer, die zuweilen in die tausende ging. – Diese Nummer und das Stückchen Papier zeigte er in Lima dem Pater Prior, und dieser, ohne etwas zu fragen, brachte ihm genau die Summe, die er in Rom gegeben. Die Form des Papiers bezeichnete die Summe; und diese Form suchte derselbe nach der Nummer im Buch auf, weil solches daselbst wiederum in die Einschnitte passen mußte. Die größte Unternehmung, große Summen Papiergeld in ununterbrochnem Umlauf zu erhalten, fand in England Statt. König Wilhelm ertheilte einer Gesellschaft von Kaufleuten ein Privilegium exclusivum auf dreizehn Jahre. Diese Kaufleute errichteten unter sich Aktien, die jeder erlangen konnte, und wodurch die Dividenden auf die noch in Cours existirenden Bankaktien entstanden. – Es würde zu weitläufig seyn, das Umständliche davon hier anzuführen. So viel ist gewiß, daß dies die einzige Banknoten Cirkulation ist, die sich seit ihrer Errichtung bis jetzt stets intact erhalten hat. – Von Girobanken ist hier die Rede nicht. – Ihr Fonds war 1 200 000 Livres Sterling. Man rechnet daß die Bank jetzt, an eignen Fonds, und dem, was Partikuliers ihr anvertrauen, über 45 Millionen disponiren kann, ohne in Verlegenheit zu kommen. Ich rechne darunter das Vertrauen, daß die Bank keine Noten ausstellen werde, ohne Sicherheit in Händen zu haben, und vornemlich, daß der Engländer den augenblicklichen Vorschuß an den Staat für reelle Sicherheit hält. Außer der Englischen Bank sind alle übrigen Banken die ihr Wesen mit symbolischem Gelde treiben, vielfältig eine Zeitlang in Stocken oder gänzlich in Verfall gerathen. Die Französische dauerte nur einige Jahre. Die Wiener blieb ungekünstelt nur 20 Jahr; denn nach der Zeit fing man schon an, durch verstecktes Wesen, das aber nicht lange verborgen blieb, den Grund derselben zu untergraben. Die Ursachen, warum die Englische allein sich bis jetzt unerschüttert erhalten, sind folgende: 1) Zur Haupteigenschaft und Solidität einer Bank ist ein negatives Bedürfniß erforderlich d.i., daß nichts vom Souverain, sondern alles, was ihre Geschäfte betrifft, von der Bankdirection allein abhänge: (es versteht sich, wenn sie ihre Charte bestimmt und genau befolgt) und sie in diesem Fache ein unumschränkter Despot seyn muß; die Regierung muß nicht mehr Recht zu fordern haben, als jedes andere Individuum. 2) Müssen Grundsätze und Ausübung einfach seyn und das Darlehn nur auf Wechsel von kurzer Sicht, auf ungeprägtes Gold und Silber, und allenfalls auf  



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Vorschüsse gegen Hebung und Bezahlung der unmittelbaren nächst eingehenden Staatsrevenüen Statt haben. Alle diese Eigenschaften besitzt die Englische Bank im höchsten Grade. Um mit wenigen einen richtigen Begriff von der Realität einer soliden Bank darzustellen, will ich die Antwort des ersten Bankdirektors Toweshoed an den Lord Stanhope wörtlich übersetzt hier mittheilen: „Sie machen der Bank im Namen des Königs einen Antrag, den dieselbe in keinem Fall gut heißen kann, noch weniger auszuführen im Stande ist. Se. Maj. beklagen, daß die Zeitumstände*) Sie nöthigen, zu außerordentlichen Mitteln Ihre Zuflucht zu nehmen; die Staatsbilanz ist im Sinken; alle Manufakturen sind im Stocken; für Getreide und Subsidien gehen viele Baarschaften nach dem Kontinent; die Kassen sind erschöpft; alle Gegenstände sind im Preise gestiegen und bedürfen einer großen Quantität Benennungszeichen. Sr. Maj. haben daher beschloßen, daß die Bank, nach Maaßgabe der Umstände und des Bedürfnisses, (Bedürfnisse hängen von Ereignissen ab, und wer ist im Stande die zukünftigen zu berechnen?) – eine Anzahl Exchequier Noten kreiren soll, die aber eben so realisirt werden sollen, als die bisherigen Banknoten; und um diesen Exchequier Noten bessern Kredit zu verschaffen: so geben Sie Ihr Königl. Wort, nicht allein in Rücksicht der Realität, sondern auch in Rücksicht der Realisirung derselben, und befehlen zugleich, daß die ganze Civilliste und alle sonstigen direkten Königlichen Einkünfte nur in Exchequier Noten bezahlt werden sollen. Man kann mit Gewißheit voraussetzen, daß jeder Engländer und um so viel mehr der geehrte Lord die Verfassung unserer Bank, das Palladium der Nation kennt. Der Fond, der durch Aktien aufgenommen, von einer Hand in die andere übergeht, wie auch alles Geld, das von Cultivateurs, Kaufleuten, Bankiers, Fabrikanten und Rentiers bei uns augenblicklich plazirt wird, gehört weder dem Könige noch dem Staat, und noch weniger der Bank. Das Zutrauen beruhet nicht auf unsrer Zusicherung, und noch weniger auf dem Personale der Direktion, sondern auf der Gewißheit, daß wir nicht mehr Noten cirkuliren lassen, als an baarem Gelde, oder doch wenigstens an solchen Effekten vorhanden ist, die ungesäumt zu Gelde gemacht werden können*). Um dies zu bewirken, haben wir stehts ein festes Engagement mit den vornehmsten Bankiers, um uns im Nothfall durch ihren Kredit mit auswärtigem Silber zu versehen; wiewohl unsere bisherige günstige Bilanz diese Vorsorge beinah ganz überflüßig macht. Und nun wird von uns verlangt, daß wir noch ein neues Papiergeld kreiren sollen, nämlich, daß, auf die Zusiche-

*) Es war zu der Zeit als der Prätendent in England landete. *) Zu dieser Zeit ist das wirklich wahr gewesen; aber jetzt?

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rung des Königlichen Worts, Exchequiers Noten im Umlauf gebracht werden sollen, und diesem nach the symbly und the vision untereinander werfen, das bisherige Vertrauen zernichten, und in die Luft sprengen sollen. Dem Einfältigsten kann die Frage nicht entgehen: Was bezweckt man mit der Kreirung dieser Exchequier Noten? Man braucht ja nur die bisherigen Banknoten in meherer Quantität in Umlauf zu setzen. – Der Unterrichtete wird bei diesem Gegenstande weiter gehen und die Frage aufstellen: Was soll denn mit dem baaren Gelde, das wir für die Exchequier Noten in die Kasse bekommen, angefangen werden? Denn umsonst werden doch Sr. Maj. die Noten nicht hingeben? auch nicht das baare Geld, das für die Exchequier Noten eingeht, weglegen? Durch letzteres Mittel bleibt ja die Cirkulation in gleicher Masse. – Den auswärtigen Krieg fortsetzen? dazu müßte ja erst vom Parlament etwas festgesetzt und alsdann ein neues Budget sanctionirt werden. Gesetzt auch, wir wollten blos auf das Königl. Wort, welches stets heilig erfüllt worden, uns dazu bequemen, so ist ja wenigstens nöthig, daß ein Fond ausgemittelt werde, wodurch diese Noten wieder eingelöset und realisirt werden können; denn man hat und setzt nur Zutrauen in demjenigen, das man beurtheilen zu können glaubt. Sie wissen, geehrter Lord, daß man zwar sehr oft der Ostindischen Kompagnie den Antrag gemacht hat, den Staat mit Geld auf ihren Kredit zu unterstützen; aber nie war das der Fall bei der Bank, auch ist die Ursache davon einleuchtend. Alle Handlungszweige sind coalisirte Glieder des Staats; die Bank aber ist die Seele des Ganzen, Wie das Herz um Körper, so verhält sich die Bank als Seele zur Staatswirthschaft. Das eine Lähmung in dem Gange der Geschäfte und besonders in den Manufakturen, vorhanden ist, ist unbezweifelt; auch ist es richtig, daß der Staat sie aufreh zu erhalten suchen muß; dies wird aber blos durch Kreirung eines neuen Papiergeldes nicht bewirkt; am wenigsten zu einer Zeit, wo die Baarschaften zur Abtragung unsrer Schulden und der schlechten Bilanz ins Ausland versenden werden. Wir müssen dem geehrten Lord in Erinnerung bringen, daß bei der Bank stets die Verpflichtung befolgt worden, daß, wenn der auswärtige Wechselkurs aus der Ursache in die Höhe gegangen, weil die Bilanz zum Nachtheil Englands gesunken, wir das Defizit mit der Aussendung an Baarschaften gedeckt; aber auch zugleich, statt die Noten zu vermehren, solche vermindert haben; das was man jetzt von uns begehrt, bewirkt gerade das Gegentheil. Unsere Bankozettel sind nicht bloß auf chimärische Projekte kreirt, wie die Missisippischeine, die Law unter dem Herzog von Orleans in Umlauf setzte. Dies ist ganz und gar nicht der Fall. Alle übrigen Nationen ohne Ausnahme, brauchen das Silber größthenteils nur als Benennungszeichen, um den Tausch zu erleichtern, und während der Zeit, daß solches als Münze kursirt, kömmt der Inhalt des

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Silbers als Waare nur mittelbar in Anschlag. Die Englische Nation verbraucht aber beinah das sämmtlich Silber bis auf zwei Millionen Rthlr.*), welches die ganze Circulation in Silbermünze ist, als Waare, um solches für ostindische Produkte auszuführen. Dem Englischen Volk ist bewußt, daß die Ostindische Kompagnie ihre Silbermasse verschlingt; allein es weiß auch, daß dieser Ostindische Handel der Nervensaft ihres Körpers ist, und die Visibilität wieder mittelbar durch die Banknoten dargestellt wird. So lange die Ostindische Kompagnie in Flor seyn wird, so wird sie auch mittelbar auf die Sicherheit der Banknoten wirken. Auch die Bankdirektion empfindet leider den Verfall der Industrie und hält die Aufrechterhaltung derselben nothwendig. Sie stimmt auch darin überein, daß Mittel ausfindig gemacht werden müssen, wodurch das Stocken der Cirkulation, hauptsächlich zu diesem Behuf, gehoben wird. Dies muß aber durch Anstalten verwirkt werden, die von Bankiers, Fabrikanten und Kaufleuten unter sich selbst, in Verbindung mit dem Staat und der Unterstützung der Bankdirektion befördert werden. So wie durch diesen Weg die Schottländische Industrie empor gekommen, so können solche Mittel auch allgemein eingeführt werden und ersprießlichen Nutzen stiften. – Eben die schwierigsten Fabriken müssen am meisten unterstützt werden. Die Verfolgung dieser Maxime hat uns auf die höchste Stufe gebracht. – Ich bin daher nicht der Meinung des geehrten Lords, daß eine Wahl getroffen werden soll. Ihr Vorgänger der Lord Walpole hat das Glück und den guten Fortgang der Englischen Industrie nur darin aufzufinden geglaubt, daß man sie in allen Stücken zu befördern gesucht. Aller fremde Saamen, sagt er, muß ausgesäet werden, und je hartnäckiger das Fortkommen ist, desto standhafter muß man auf das Hervorbringen bestehen. Wenn wir uns von Vorurtheilen hätten täuschen lassen, so schickten wir noch unsre Tücher nach Leiden um sie dort färben zu lassen; wir belegten nicht die ganze Welt mit unsrer Stahlarbeit. Sollen wir die Schiffahrt aufgeben, weil wir das dazu nöthige Holz von andern Nationen ziehen müssen? Kolbert sagt, und wenn ich noch funfzig Jahr die schlechte Arbeit verbrennen lassen müßte, so soll mich das doch nicht abschrecken, wenn es auch die halbe Staatsrevenüe kosten sollte. Es ist gleich viel, ob wir die prima materia im Lande besitzen, oder nicht. Die Turiner Seide können wir nicht einheimisch machen, und demungeachtet machen wir die besten Tafte. Was der geehrte Lord zu berühren geruheten, daß das Numerair durch verbesserten Ackerbau und Viehzucht zu sehr in die Hände der Cultivateurs gekommen, und vieles bei diesen ungebraucht still liegt, weil ihre Lebensart noch zu einfach ist, und dadurch der Absatz der Industrieprodukte abnimmt, mithin, sowohl zur Unterstützung des Staats als der Industrie es nöthig ist, diese Menschen-

*) Jetzt wird die ganze Circulation auf 3 Millionen in Silber und 45 Millionen in Gold geschätzt.

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klasse mehr als andere anzuziehen: so werden Seine Herrlichkeit erlauben hierüber meine Gedanken äußern zu dürfen. Es ist immer zweckwidrig, eine Klasse von Menschen darum mit mehreren Abgaben zu belegen, und solche unmittelbar bezahlen zu lassen, weil dieselbe durch ihren Fleiß mehr gewinnt. Wie selten gebraucht die Natur zerstöhrende Mittel, als Donnerwetter, Stürme, rc. um ihren Zweck zu erreichen. Die sanfte, und hauptsächlich die üppige Natur lockt alles durch ihren Einfluß hervor der den Schooß der Erde befruchtet und den Menschen erfreuet. Die Begierde zum Genuß treibt den Menschen stets vorwärts, und nur ein frohes, freies Gemüth empfindet die Wonne des Genusses. Dieses Wonnegefühl ist stets bemühet, immer neue Genüße aufzusuchen, die zu eben so viel Bedürfnissen sich anhäufen, deren Menge zuletzt, von welcher Art sie auch immer seyn mögen, die Oberhand hat, und den wohlhabenden Besitzer nöthigt, seine versteckten Schätze in Umlauf zu setzen, und dadurch sinken die erhöheten Preise des Getreides von selbst. Um diese Begierden überall in Schwung zu setzen, könnte man wohl wünschen, daß jedes Dorf eine Akademie, eine Drurylane, Konventgarden und allenfalls Anstalten von nicht so edlem Unterricht und Belustigungen hätte. Der Mensch wird durch unmittelbar empfundene Bedürfnisse in seinen Wünschen regiert; man braucht ihn nur mit den Gegenständen dazu bekannt zu machen. Auch der Cultivateur wird es für unentbehrlich halten, diesen Bedürfnissen zu genügen; mithin seinen Ueberfluß in Umlauf setzen und Staat und Indüstrie unterstützen. Was den Verfall der Fabriken anlangt, so ist das freilich ein Gegenstand der beherzigt werden muß. Dieser entsteht aber nicht durch die jetzigen Umstände allein. Alle Neuerungen und Umwälzungen taugen nichts. Die Englische Nation hat sich bis jetzt sehr wohl bei dem System befunden, alle Arten von Industrie fortzuhelfen. Ein Theil ist gleich in Aufnahme gekommen; andre liegen noch in der Kindheit; aber alles das muß nicht abschrecken. Industrie hängt nicht von der Zeit ab. Was jetzt nicht zur Vollkommenheit gelangt, wird in 20 oder 40 Jahren reif; das thut nichts zur Sache.“ Die Anwendbarkeit dieser Rede auf jetzige Zeitumstände folgt vielleicht in einer andern Schrift. — — — — —— — — — — — — — — —— — — — — — — — — —

Rezension 4a anon.: „Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld vom Geheimen Kommissionsrath Ephraim. Berlin bei Quien 1806. 8.“ (Der Preußische Staatsanzeiger; 1806) Quelle: Der Preußische Staatsanzeiger, hrg. von einer Gesellschaft von Geschäftsmännern. Zweiter Band, Heft 8 (August 1806). Berlin: Im Verlage der Frölichschen Buchhandlung, 1806, S. 139–144.

II. Vorerinnerung des Redakteurs — — — — — — — —— — Nachfolgende Kritik stimmt nicht ganz mit meiner Ansicht der Sache überein: Es ist wohl klar, daß der Verfasser in dieser Flugschrift nur Winke hat geben wollen, man kann daher auch nicht mehr verlangen, als derselbe geleistet hat. Rezensent sagt: Der Geldumlauf wird durch einen wahren Zirkel erklärt. Ich frage aber: Ob der Geldumlauf etwas anderes als ein Zirkel ist? Wie soll man ihn anders erklären? Was Rezensent vom Spiritus sagt, der sich zwischen dem Gelde und den Sachen regt, und das Bedürfnis nach Gelde ausdrücken soll, so ist dies etwas undeutlich. Das Bedürfnis nach dem Gelde ist immer ein falsches, das Bedürfnis nach den Sachen ist ein wahres. Zugegeben, ich suchte Geld und gerade nur dies, wenn ich auch ohne sein Zuthun Sachen erhalten könnte, so wäre ich doch ein Thor, wenn ich das Geld um sein selbst und nicht um der Sachen willen suchen sollte; es bleibt daher immer nur Mittel und ist nicht Zweck. Der Verfasser hat daher Recht, wenn er das Geld den Maßstab des Werths der Dinge nennt. Die Produktion hat die Konsumtion zum Zweck, wird viel produzirt und viel konsumirt, oder ist ein starkes Verkehr vorhanden, so folgen daraus die Bewegungsmittel der Produktion: Geld und Münzen. Geld kann als bloßer Vermögensmesser, ohne wirkliche Existenz gedacht werden (Pfund Sterling), die Münze muß Existenz haben, da man darunter das Ausgleichungsmittel versteht. Beide Begriffe verschmelzen aber in einander, wenn sie durch Münzen dargestellt werden, https://doi.org/10.1515/9783110739770-009

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dennoch sind sie ewig verschieden. Etwas anderes läßt sich vom Gelde und der Münze nicht gut sagen. Man kann nun freilich etwas anders als Metall zu jenen Zwecken gebrauchen, dies kann aber nicht von der Regierung geschehen, sondern es bleibt Sache der Konvenienz. Geschieht es von der Regierung auf eine vorsichtige Art doch, so submittirt sich die Konvenienz; sobald als aber auf sie keine Rücksicht genommen wird, rächt sie sich auf der Stelle. Rezensent tadelt die erklärte Entstehung des P. G. zu unrecht: Nur durch die Konvenienz, keineswegs durch die Regierungen, entstand ein zweckmäßiger papierner Maßstab der Dinge und ein Ausgleichungsmittel, und nur die Konvenienz hält die Bank in London, keineswegs Georg’s des 3ten Scepter. Da wo es auf bloße Ideen abgesehen ist, erreicht der poetische Kopf am ersten den Zweck, Täuschung führt nie hier zum Ziel. — — — — — — — —— — Die Tendenz der Schrift läßt sich wohl nicht verkennen. Ohnfehlbar soll sie einige leise Winke des Unwillens, über mehrere Ideen, die unter den Staats- und Geschäftsmännern Preußens gangbar zu werden beginnen, und einige ihrer Vorkehrungen zu Tage fördern. Indeß, ihre Kürze, und die Einsichtigkeit, die in ihrem Räsonnement herrscht, kann höchstens aufmerksam auf den Gang der auf dem Titelblatt angegebenen Materien machen, allein die keineswegs belehren, oder etwas Licht über eine derselben zu verbreiten geeignet seyn. Wie kann man auch erwarten, über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld, drei Gegenstände, von denen jetzt vielleicht den Inhalt eines ganzen Buches ausmachen dürfte, in einer kaum zwei Bogen füllenden Schrift etwas Bestimmtes oder Erwiesenes auseinandergesetzt zu finden. Es ist alles so individuell, einseitig und unbestimmt vorgebracht, wie es von einem bloßen Geschäftsmanne, als der Hr. Verfasser seyn mag oder gewesen ist, sich nur erwarten läßt, und wie es jetzt vielleicht jeder Geschäftsmann herzusagen weiß—Der Geldumlauf wird durch einen wahren Zirkel erklärt. Es wird davon nicht mehr gesagt als: das Geld von einem Orte zum andern sich bewegt ohne über das Verhältnis der Geschwindigkeit oder Langsamkeit seines Laufes zu dem Verkehr, und seinen Antheil an demselben etwas zu erwähnen. Es ist auch des Verfassers Idee vom Geld einseitig wenn er behauptet : daß durch dasselbe alles finaliter ausgemacht wird, und daß es den wahren Werth der Sache ausdrücke. Woher kommt denn das Steigen und Fallen des Verhältnisses des Geldes zu den Sachen, und die in den mancherlei Staaten verschieden Stattfindenden Verhältnisse des Geldes zu denselben. Es muß sich doch also zwischen dem Gelde und den Sachen ein gewisser Spiritus regen, der ein gewisses Verhältniß unter ihnen bildet, und das ist das Bedürfnis. Es ist eigentlich der Spiritus, der den Verkehr beseelt. Auf die Art wäre das Geld bloß als ein Mittel zu betrachten,

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anstatt der Verfasser es als Zweck selbst fixirt. Wie, wenn etwas anders als Geld, von Gold und Silber geprägt, dies Mittel abgäbe, und der Staat, wegen Mangel Goldes und Silbers, oder aus anderen Gründen, dem baaren Gelde z. B. Papiergeld substituirte? ist deshalb gleich zu fürchten, daß er es verfälschen und geringhaltiger umlaufen lassen dürfte, als seine geschlagene Münze? – Herr Ephraim sollte doch der Ephraimiten eingedenk seyn, die nicht in seine Idee von der Heiligkeit des Geldes eingreifen dürften. – Noch sonderbarer ist aber seine Vorstellung vom Papiergelde, dessen Ursprung er aus der Schöpfung der Ziehwechsel, Tratten und Assignationen herleitet, deren Geschichte hier gar nicht her gehört, welcher aber mehr Raum gestattet wird, als es dem Umfange der Abhandlung angemessen ist, und von der er durch einen Sprung auf die engl. Bank und ihre Bankonoten kommt. Hr. Ephraim hält sich hier an dem, was die Chronik uns von dem Anfang und Fortschritt dieses Instituts erzählt. Allein wie mager und wie unbedeutend ist nicht alles, was uns selbst Englands Schriftsteller darüber zu sagen wissen! Der Hr. Verf. achtet nicht : daß die Organisation des englischen Papiergeldes nicht zu solcher Vollkommenheit gediehen wäre, wenn die englische Bank nicht dabei, im Einverständniß mit der Regierung, gewirkt hätte, und wobei sie die mancherlei für England günstigen Konjunkturen so mitwirkten, daß ein Papiergeldsystem entstehen konnte, durch das es der ganzen Welt trotzen kann. Die Aeußerungen des englischen Bankdirektors Toweshoed, die hier aufgeführt werden, bilden, wenn sie anders aus einem englischen authentischen Werke entlehnt seyn sollten, eine von den Masken, die in der englischen Politik, wie in einem italienischen Schauspiele, immer wieder auftreten. Die ganze Einsetzung der englischen Bank sollte man als ein politisches Kunststück betrachten, wozu der Kaufmannsgeist bloß die Gestalt hergab. Preußen hätte bei der Schöpfung der Tresorscheine auch eine solche Maske anlegen können, allein sie ist schon verbraucht. Es handelte edler, indem es öffentlich erklärte : daß seine Tresorscheine durch die Realität seiner Regierung allein ihre Würde behaupten sollen Was die preuß. Regierung aber überhaupt zur Schöpfung derselben, bei seiner jetzigen Lage, wo alle Quellen des Staats gehörig fließen und die Einnahmen bei weitem die Ausgabe übersteigt, veranlaßt haben mag, dürftig nur denen in die Augen springen, welche mit den Namen die Sachen nicht verwechseln. Sapientz sat.  

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5 „Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat“ (1806) Quelle: Der Preußische Staatsanzeiger, hrg. von einer Gesellschaft von Geschäftsmännern. Zweiter Band, Heft 9 (September). Berlin: Im Verlage der Frölichschen Buchhandlung, 1806, S. 343–355.

V. Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat.

— — — — — — — —— — Diese Vorschläge haben den Herrn Geheimen Rath Ephraim zum Verfasser, der solche im Jahre 1789 der Regierung übergeben hat, und wovon dem Herausgeber Gebrauch zu machen gestattet worden. Anm. des Redakteurs. — — — — — — — —— — Um über die Verbesserung der Juden etwas Sicheres sagen zu können, müßten folgende Fragen genau beurtheilt werden, nämlich: „Ob die unglückliche Lage, worin sich die jüdische Nation befindet, lediglich aus ihrer Religion, ihren Grundsätzen und Gebräuchen, oder aus der üblen Behandlung und den Verfolgungen, welche sie von den Christen erdulden müssen, entstehet?“ Ferner, „ob es mög- 5 lich, diese Schwierigkeiten zu heben, und wenn es möglich, ob es Pflicht der herrschenden Nation sey, und von ihr allein abhange, solches zu bewirken?“ Wenn man die jüdische Religion beurtheilen will, um bestimmt auseinander zu setzen, was Fundamentalgesetze, und was Auslegungen und Zusätze der Talmudisten und der Rabbinen sind, muß man nicht allein den ganzen Talmud und 10 alle alte und neuere Kommentatoren desselben inne haben, sondern noch überdies ein geborner Jude seyn; indem es einem Christen durchaus unmöglich ist, sich diese Kenntnisse zu verschaffen. Ich will daher dasjenige, was mir selbst bekannt, theils was mir einige aufgeklärte Rabbinen, besonders der geschickte Hallische Rabbiner Saul, ein Sohn des Oberrabbiner Hirschel, auf deren Beurtheilung 15 und Geschicklichkeit man sich verlassen kann, mitgetheilt, benutzen. Die eigentlichen Fundamentalgebote, die ein Jude, selbst mit dem Verlust seines Lebens, nicht übertreten darf, haben sich anfangs auf 13, und zuletzt auf die https://doi.org/10.1515/9783110739770-010

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drei folgenden reduzirt, nämlich Götzendienst, Mordthat und Blutschande; alle übrigen Gesetze, sie mögen Namen haben wie sie wollen, kann er übertreten, sobald er zu deren Vernachlässigung oder Nichtbefolgung gezwungen wird. Ein Theil von den unter den jetzigen Juden im Gange seyenden Religionsbräuchen ist von solcher Art, daß kaum ein nicht ganz in der Schrift bewanderter ihren Ursprung ausfindig machen kann, wovon ich nur einige Beispiele anführe. Kein Jude darf zugleich Butter mit Fleisch essen. Dieses Gebot entstehet lediglich aus der Stelle in der Bibel: „Du sollst nicht das Zicklein in der Muttermilch kochen.“ Aus der ganz simpeln Verordnung, daß man dem Ochsen schlachten und sein Blut auf die Erde vergießen soll, entstand das Gebot, daß, sobald nur eine, auch nur ganz unmerkliche Scharte, im Schlachtmesser nach dem Schlachten sich findet, der geschlachtete Ochs nicht gegessen werden darf. Jeder weiß, wie exact die Juden auf die Ausübung dieser Gebräuche halten. Dagegen werden wiederum Verordnungen, die ganz klar und deutlich in der Bibel enthalten sind, von dem größten Theile der Juden jetzt übertreten. Es ist z. B. das Rasiren und Abschneiden des Bartes schlechterdings verboten, und es wird dennoch von den mehresten übertreten, ohne daß man darauf sehr achtet. Es heißt ferner: „Du sollst von deinen Nächsten keine Interessen nehmen,“ und es giebt in Polen keinen Rabbiner, der nicht wenigstens 25 p. C. nimmt. Obiges ist nur angeführt, um zu beweisen, daß man, außer den Fundamentalgesetzen, auf die übrigen Gebräuche der Juden nicht strenge Rücksicht zu nehmen nöthig hat. – Der geringste Buchstabe im alten Testament wird auf so mannichfaltige Art ausgelegt, daß zuletzt ein Gesetz herauskommt, woran der Heterodoxe vielleicht mit Recht zweifeln kann, ob das der Sinn des Gesetzgebers war; denn selbst die Talmudisten waren darin nicht einerlei Meinung. Ein jeder Jude wird beständig zur Erlernung des Talmuds und strikten Ausübung der Gesetze durch einen gewissen Grad von Vorzug und Ehre angespornt. Diesen Umstand wissen sich die Rabbinen so gut zu Nutze zu machen, daß sie eine unumschränkte Macht über den gemeinen Mann erhalten. Jeder Jude erhält seine Erziehung von dem polnischen unwissendsten Juden. (Jetzt hat sich dies sehr verändert, und unter den jüdischen Lehrern finden sich in aller Rücksicht religiöse und achtungswerthe Männer.) Außer seinem Talmud hat dieser durchaus gar nichts in der Welt gelernt, und selbst das hieraus Gelernte kann er nicht wiederum mittheilen, denn er kann im eigentlichsten Verstande keine einzige Sprache, und von der wahren, echten hebräischen Sprache versteht er nur so viel, als zur Erlernung seines Talmuds nöthig ist. Das Hauptsächlichste, womit er seinem Lehrling den Kopf anfüllt, ist Talmudistischer Scharfsinn; und da ein jeder Jude fest und steif überführt ist, daß alle Wissenschaften im Talmud enthal 

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ten sind, das hauptsächlichste seines Glaubens in der Einheit Gottes beruht, und er freilich alle übrige Nationen als Götzendiener verachten muß, so schätzt er auch nichts, als dasjenige, was im Talmud steht, oder vielmehr, was ihn sein Rabbiner lehrt, diesen hält er für den geschicktesten, gelehrtesten und weisesten Menschen. Nicht ein, sondern mehr als zwanzig Juden haben mich versichert, daß ein unwissender polnischer orthodoxer Rabbiner in einer Predigt folgendermaßen sich geäußert habe: „was sich doch die neuen geistlichen Philosophen brüsten, ich kann und verstehe alle ihre Wissenschaften, und zur Erlernung dieser Wissenschaften habe ich nicht einmal meine müßige Stunden verwendet, sondern ich habe dieses auf dem N.S. erlernt.“ Kann man sich wohl etwas Unverschämteres denken! Folgendes Beispiel kann zum Beweis dienen, wie groß die Macht der Rabbinen ist. Den Juden ist es verboten, gewisse Adern am Hintertheil eines Ochsen zu essen, und das aus der Ursache, weil sich Jakob mit dem Engel gerungen, und der Engel dem Jakob eine Ader am Hintertheil zersprengt hat. Da nun in einigen Staaten Deutschlands und in ganz Polen die Juden gesetzmäßig gewisse Adern ausschneiden, so ist ihnen auch erlaubt, Hintertheile zu essen. So wollte die Gemeine in Berlin, wo bei den Juden es zuweilen an Fleisch fehlt, diesen Gebrauch auch einführen; allein der Rabbiner setze sich so standhaft dagegen, daß nichts daraus wurde. Um mehrerer Beweise überhoben zu seyn, will ich nur Folgendes anführen. Nämlich: es ist ein unwiderrufliches Gesetz bei den Juden, daß wenn einmal ein Gebrauch sich in einer Gemeine festgesetzt hat, derselbe, sollte er auch mit den Geboten kontrastiren, dennoch beibehalten werden muß, und man bedient sich dabei des Ausdrucks: „wenn auch der Prophet Elias kommen möchte und ein anders anordnen sollte, so kann es doch nichts helfen.“

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Das Resultat aus allem obigen würde also seyn, daß nicht die Religion, sondern die Rabbinen Schuld sind, daß die Juden nicht so wie die Christen, dem Staate nützlich seyn können; diese sind es, die ihnen wiederholentlich vorpredigen, daß sie kein Vaterland, als das ihnen gelobte Land haben, und um dieses wieder zu 30 bekommen, wäre das einzige Mittel die Buße, und diese bestände darin, viel Unglück in fremden Ländern zu ertragen, und alles anzuwenden, um nur in großes Elend zu gerathen. Sie sind es, die jeden Funken von Vernunft und Aufklärung im Keim zu ersticken suchen. Dessen ungeachtet ist es doch unstreitig wahr, daß sich seit 30 Jahren die jüdische Nation im preußischen Staate sehr aufgeklärt hat, und 35 diese Verbesserung verdankt sie allein dem hochseligen König und dem Moses Mendelssohn. Der größte Theil der Jugend hat sich auf Wissenschaften gelegt und hat darin Fortschritte gethan; diese Jugend möchte eine Revolution vornehmen, und sich gern von dem Rabbinischen Joch befreien, allein hier steht die Behand40 lung der Christen ihnen im Wege.

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Es ist keine Nation in der Welt von ihren Beherrschern tyrannischer behandelt worden, als die jüdische. Nur ein einziges Beispiel. Zu Ende des 14ten Jahrhunderts wurden in Frankreich den Juden alle ihre Haabseligkeiten geraubt, und nichts konnte sie, als der Uebergang zur christlichen Religion, vom Tode retten. Den reichen Juden, welche sich taufen ließen, wurde dennoch ihr Geld geraubt, unter dem Vorwande, man müßte gesichert seyn, ob sie sich nicht auch nur wegen des Geldes hätten taufen lassen. Wie hart sind nicht die Bedingungen, unter welchen die Juden in den preußischen Staaten geduldet werden! Wenn alle Abgaben zusammen genommen werden, so muß eine jüdische Familie, außer den gewöhnlichen Abgaben, die sie mit den Christen gleich bezahlen muß, noch besonders jährlich 37 Rthl. beitragen. Zur Anschaffung ihres Unterhalts, wie auch zu außerordentlichen Staatsabgaben, ist den Juden weiter nichts (einige reiche Familien ausgenommen) als der Handel mit Waaren im Detail und alten Kleidern und der Wucher erlaubt, und selbst dieses ist mit so vieler Gefahr verknüpft, daß sie bei der geringsten Unvorsichtigkeit befürchten müssen, dem Fiskal in die Hände zu fallen. Man sehe das Pfandleihe-Reglement vom 27. März 1787. Wenn auch hier und da wohldenkende und aufgeklärte Christen diese Behandlung verabscheuen, und das Schicksal der Juden zu erleichtern wünschen, so widersetzt sich doch der größte Theil, aus Haß gegen dieses heilsame Werk, und versteckt sich hinter dem Scheingrunde, daß die Juden darum für den Staat unnütz und beschwerlich wären, weil man sie nicht zu Soldaten gebrauchen könne. Warum taugen sie aber nicht zu Soldaten? Ich will weder ihre eignen geführten Kriege, noch ihre Kriegesdienste unter den Römern, sondern nur dasjenige, was in neuern Zeiten geschehen, anführen. Haben die Juden nicht die Festung Prag gegen die Preußen vertheidigen helfen? Haben bei dem letzten amerikanischen Kriege nicht Juden sowohl zur See als zu Lande gedient? Ja, er muß den Sabbat halten, ist das allgemeine Geschrei der Christen. Wer sagt das? Man spricht mit unterrichteten Juden, und man wird eines bessern belehrt werden. Es ist einem jeden Juden erlaubt, wenn in seiner Stadt Brand entstehet, selbst bei einem Christen, bei der Feueranstalt löschen zu helfen, und nur alsdann darf der Jude nicht an Sabbat löschen, wenn man ihn zu diesem Löschen aus der Absicht zwingen will, damit er seine Gesetze übertreten solle, und nicht bloß wegen der Feuersgefahr. Sogar die Rabbinen können nach ihren Grundsätzen nichts dawider haben, daß, wenn ein allgemeines Landesgesetz die Juden dem Kanton unterwürfe, sie sich dazu, wenn sie gezwungen würden bequemten, und gezwungen wird ja sogar der reiche Bürgersohn in einer kleinen Stadt. — — — — — — — —— —

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Zweitausend Jahr ist die jüdische Nation der Verfolgung ausgesetzt, und demungeachtet ist sie von ihren Grundsätzen und Gebräuchen nicht abgewichen. Nicht allein hat selbige bis jetzt keins von ihren Gesetzen vernachlässigt, sondern es haben noch täglich neue Formen Wurzel gefaßt. Ohne die Güte oder das Auffallende ihrer Religionssätze zu beurtheilen, so muß doch immer Folgendes Aufmerksamkeit erregen. Man hat gegen die Juden scharfe und gelinde Mittel angewendet, um sie von ihren Gebräuchen abzubringen; allein alles war vergebens. Ich glaube es geht in Religionssachen wie mit der Erziehung. Locke und Rousseau behaupten mit Recht, daß diejenige Erziehungsart, welche das Kind gar nicht bemerkt, am besten fruchtet. Der größte Haufe ist von der Güte seiner Religion hauptsächlich durch Gewohnheit, Gebräuche und Wunderglauben, die wenigsten durch die Vernunft überzeugt. Alles ihm widerfahrende Böse und Gute schiebt er als Bestrafung oder Belohnung auf die Befolgung oder Vernachlässigung seiner Religionsgebräuche. Anhaltende Verfolgungen können eine religiöse Nation so sehr verleiten, und ihren Haß gegen die Verfolger in dem Grade vermehren, daß selbst das Böse von ihren Feinden ihnen ein an-Genuß wird. Und ist es Wunder, diese widernatürliche Leidenschaft zu erregen? Welche Barbareien übte man nicht gegen dieselben aus? Ich bin gewiß versichert, daß die jüdische Nation zu einem sehr nützlichen Theil des Volks gemacht werden kann, wenn man sie nicht von den Societätsgesetzen auschließet, und sie nicht als einen Auswurf behandelt. Dies könnte auf folgende Art geschehen. Indem jeder Unterthan alle seine moralischen und physischen Kräfte, sogar das Leben nicht ausgenommen, der ganzen Gesellschaft darbietet, verliert kein einziges Mitglied dadurch, denn so viel er von dem seinigen hingiebt, empfängt er vom Ganzen wiederum tausendfach zurück. Nur durch diese gesellschaftliche Verbindung bekommt sein Eigenthum eine gewisse Existenz und Sicherheit. Kein einziges Mitglied kann demnach, ohne Nachtheil aller übrigen, seiner Pflichten erlassen werden. Also kann auch der Souverain kein einziges Mitglied von den ihm obliegenden Pflichten befreien. Selbst Religionsgesetze können keine Ausnahme machen, denn auf diejenige Religion, welche erlaubt, das Leben des einen mit dem Verlust des Leben des andern zu schonen, und, wenn nicht physische Ursachen solches verhindern, mit Geld sich loskaufen zu können, brauchte der Staat keine Rücksicht zu nehmen. Wenn also eine Verordnung im Staat existirt, daß jedes Mitglied gehalten sey, denselben mit seinem Leben zu vertheidigen, so kann auch kein Jude keinerlei Art vom Soldatenstande befreiet bleiben, in sofern die Juden wiederum alle Freiheiten gleich den Christen genießen. Der nichtige Vorwand und das Vorurtheil, daß die Unmoralität der Juden den übrigen Soldaten, mit denen sie dienen, gefährlich werden könne, ist wohl nicht ernstlich gemeint. Ich glaube doch nicht, daß man

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bei der ausländischen Werbung sehr auf Moralität rechnen kann. Dies ist ein eingewurzelter Haß. Hieraus folgt, die Juden müssen keinen Staat im Staate bilden, sondern gleich den Christen unter den ordentlichen Obrigkeiten jedes Orts stehen. Alle Rabbinen und Schulmeister müssen Landeskinder seyn, und sich ihrer moralischen Bildung und deutschen Sprachkenntniß wegen, einem Examen unterwerfen. Diejenigen, so vom Ackerbau und Kunstfleiß leben, sind nicht mehreren Abgaben als die Christen unterworfen. Alle bisherigen milden Stiftungen bei den Juden, welche nur zum Studium des Talmuds abzweckten, werden aufgehoben, und die Interessen der Kapitalien zur Erlernung nützlicher Handwerke verwendet. Es darf sich kein jüdischer Rabbiner in Streitigkeiten zwischen Juden und Juden mischen, und bestehet dessen Funktion lediglich darin, wenn ein Jude sich freiwillig in Religionssachen bei ihm Raths erholen will, ihm solchen zu ertheilen, und alle Sonnabende eine gute moralische deutsche Predigt zu halten; (bereits jetzt finden sich Subjekte, welche diese Forderung erfüllen). Die bisherigen Königl. Revenüen werden mittelst einer Abgabe von dem sogenannten Kauscherfleisch erhoben, und zwar durch Verpachtung, wenn fürs erste keine andere Fonds zum Ersatz derselben ausfündig gemacht werden können. Die Ausfälle, welche vielleicht durch die nicht hinlängliche Abgabe vom Fleisch entstehen (woran jedoch zu zweifeln ist), müssen folgendermaßen ge4 und der deckt werden: Die Banquiers, Grossisten und Pfandleiher zahlen 10 3 2 Wechsler 10 , der Kaufmann und Detaillist 10 , und der Fabrik-Entrepreneur 101 . Ackersleute und Leute, die vom Kunstfleiß leben, sind ganz frei. Bei einer jeden Erbschaft der Juden wird der 20ste Theil zu Bezahlung ihrer Gemeindeschuld abgezogen, diese geschiehet bereits jetzt. Die eben angesetzten 4 Klassen sind gehalten, die ersten 10 Jahre gewisse zu bestimmende Kapitalien zu verzinsen. Diese Kapitalien selbst, und oft können die zu milden Zwecken gestifteten verwendet werden, müssen zum Ankauf von Grundstücken und zum Etablissement jüdischer Kolonisten zum Ackerbau verwendet werden. Nach dem 10ten und bis zum 20ten Jahre müssen die Kolonisten die Hälfte dieser Interessen, nach dieser Zeit aber sämtliche Interessen zu bezahlen übernehmen. Dies wird weniger kostbar, als die bisherigen gezwungenen Abgaben zur Unterhaltung der Armen seyn. Die erstern 10 Jahre sind die Kolonisten in Friedenszeiten frei vom Enrollement, nach 10 Jahren aber gehören dieselben unter die Kantons. Von den in Westpreußen befindlichen Juden wird ein Kanton errichtet, und solche jährlich einen Monat exerzirt, um selbige in Kriegszeiten zur Besetzung der Festungen gebrauchen zu könne.  

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5 „Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden“ (1806)

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Wenn die obigen besagten 4 Klassen in Städten wohnen, die vom Kanton nicht ausgenommen worden; sind solche schuldig, die bestimmten Nachschüsse zu tragen; allein ihre Kinder, sobald sie in den Kantonslisten enrollirt worden, sind davon befreit. Man hat bemerkt, daß, wenn unter den Sklaven auf einer Galeere eine gewis- 5 se Rangordnung eingeführt ist, ihnen das Galeerenleben so angenehm würde, daß sie die angebotenen Freiheiten ausschlügen. Das Vehikel, worauf alles ankommt, ist: daß man den Juden weder Aelteste noch sonstige Vorsteher gestatte. Ist dies der Fall, so wird man erstaunen, mit 10 welcher Leichtigkeit obige Einrichtungen ausgeführt werden. — — — — —— — — — — — — — — —— — — — — — — — — —

6 Auszug aus der Korrespondenz mit Johann Rudolf von Bischoffswerder und dem Preußischen Hof, Dezember 1791 – März 1793 Quelle: GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13 Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

I. Blatt 1a recto A Mr. de Bischoffswerder le 24 Decbr. 1791 Quelle influence peut avoir la situation future de la France sur la Prusse, en supposant que l’un des trois cas suivans se réalise? 5 1. Que les Emigrés attaqueront la France avec succès: 2. Que la France attaquera avec succès les Emigrés, sur le territoire de l’Empire; ou 3. que l’Empire defendra sérieusement tous les attroupemens des Emigrés. Dans les deux premiers les Emigrés seront soutenus indirectement ou directement par d’autres Puissances et il y aura lieu une deplus longues et cruelles guerres qui ait jamais existé; le fanatisme politique remplacera cent fois le fanatisme de la religion. Si les phlegmatiques Hollandois ont combattu 80 ans pour conquerir leur indépendance; peut-on attendre moins de l’opiniatreté de la Nation francaise? Mais supposons que la France sera vaincue après une ou deux Campagnes, ou au moins ruinée et eclipsée de la sphère politique, que deviendra la Prusse? Si une fois la Revolution sera culbuté, l’Autriche n’aura plus rien à craindre dans les Païs-Bas de sa dependance, et elle ne dependra plus de la Prusse; au contraire la Prusse dependra de la bienviellance des deux Cours Impériales. La Russie veut occuper toutes les Puissances contre la France, pour arranger l’affaire de la Pologne à son gré. Il ne reste pour le salut de la Prusse que d’exécuter la troisieme supposition; c’est-à-dire, à faire defendre tout attroupement des Emigrés, de faire rentrer la France dans la Sphère politique et de s’allier avec elle. L’objection que toutes les Puissances doivent s’opposer et empêcher la communication de la peste revolutionaire, est sans fondement; car on n’évitera jamais https://doi.org/10.1515/9783110739770-011

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ce fléaux par une guerre. La Prusse n’a besoin que d’un moyen bien simple, lequel je communiquerai à une autrefois.

II. Blatt 1b verso Sire, Sous tout autre Etat et Regence je n’aurois pas entrepris avec autant de risques et depenses ce que j’ai exécuté depuis deux ans en Brabant et en France. Votre Majesté n’a jamais retracté à quiconque que ce soit, les promesses qu’Elle a données, 5 et c’est justement cette vertu qui me rend malheureux; car comme V. Maj. a cessé de m’employer dorenavant, un chaqu’un a droit de croire que la faute est de mon coté, en n’ayant pas rempli mes devoirs. Permettez, Sire d’oser présenter à ce sujet le Memoire ci-joint. Je suis avec la plus profonde obéissance et Soumission, 10 de Votre Majesté, le très-humble et très obéissant Serviteur B. V. Ephraim 15 Berlin le Decbr.

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III. Blatt 2a le 13 Janv. 1792 Sire, Après que l’Empereur a employé tous les moyens possibles pour faire rentrer ses 5 Sujets Belgiques sous l’obéissance, l’instigation des Français lesquels ne cessent à travailler sur les esprits, l’ont enfin forcé, d’agir avec rigueur contre eux et de se venger de la France. Les circonstances du tems lui sont très favorables; car sous le prétexte de protéger les Princes lesés dans leur possessions en Alsace, il peut reclamer la coo10 pération de l’Empire et sur-tous celle de la Prusse. La situation actuelle de la Prusse et de l’Autriche sont prèsque hétérogènes; L’Autriche ne peut sauver les PaisBas sans anéantir la Constitution, et la Prusse ne peut se reposer sur la stabilité de

6 Korrespondenz mit Johann Rudolf von Bischoffswerder und dem Preußischen Hof

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l’amitié reciproque de l’Empereur, que seulement qu’elle fasse rentrer la France dans la Sphère politique par la voye de la Constitution. Ainsi la continuation de la paix qui est un bonheur en tous tems, est encore plus à désirer dans le moment actuel pour la Prusse. La paix ne depend ni du Roi, ni du Ministère mais bien de quelques membres 5 Jacobins, comme Condorcet, Fauchet et Brissot. Ces Messieurs avec tout leur Savoir et érudition sont des plus vains et ambitieux qui existent. En prêchant contre les Grands ils veulent être adorés et fêtés. Comme cela n’est pas une tâche exécutable pour Mr. le Comte de Golz, car ils haïssent tout ce qui se nomme Envoyé et Ambassadeur, et comme je me flatte d’avoir tous les renseignemens et connois- 10 sances du local; j’ose offrir à Votre Majesté mes Services à cet égard, en me flattant de prouverici comme ailleurs l’inviolable zêle avec lequel je suis, de V. Maj. [Anmerkung/Bestätigung] Le Roi ayant vu et reçu les offres de Service du Sr. 15 Ephraim, que ses représentations du 13 de ce moi contiennent, Sa Maj. lui en temoigne par la présente Sa sensibilité, Se reservant d’en faire usage d’après les circonstances qui peuvent se présenter. A Berlin le 15 Janv. 1792 F. Guillaume Au Conseiller privé de Commissions le Sr. Ephraim

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IV. Blatt 2b A Mr. de Bischoffswerder Berlin le 31 Janv. 1792 Le parti que la Prusse doit prendre dans la situation actuelle, depend De la décision des questions suivantes: La Prusse doit-elle, ou ne doit elle pas contribuer à l’ané5 antissement du Pacte de famille, pour se ménager une Alliance avec la France? La France commence enfin à concevoir que le Pacte de famille est l’Alliance la plus absurde qui ait jamais existé. Les principes d’une Alliance doivent poser sur la nécessité d’une assistance reciproque, en cas d’attaque d’une troisieme Puissance. Les mésintelligences commencent prèsque toujours par les intérêts differens du voisinage; ainsi l’Alliance avec une Puissance éloignée est naturelle, et 10 celle de deux voisins est précaire et denaturée. Le pacte de famille et l’Alliance de l’Autriche avec la Prusse sont tous les deux une inceste politique; or, même si les circonstances momentanées ont forcé la

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Prusse et l’Autriche de s’allier, la Prusse doit toujours agir avec circonspection vis-à-vis de la France pour se ménager cette Alliance quand la Constitution sera consolidée. D’exécuter cette tâche, c’est le plus difficil ouvrage politique qui ait jamais eu 5 lieu; car outre qu’il est toujours une mauvaise politique de tromper son Allié, il sera aussi fort dangereux; parceque sitôt que l’Autriche s’appercevra que la Prusse n’agit point de bonne foi, il n’y aura rien dans le monde qu’elle ne sacrifiera pour gagner ou la Russie, ou faire continuer le pacte de famille. De là resulte combien cette tâche est épineuse; car si la Prusse secondera l’Autriche contre la France, el10 le perdra l’amitié française; et si la Prusse refusera l’assistance à l’Autriche, celleci renouvellera l’Alliance avec la France, et cet Allié naturel sera perdu à jamais pour la Prusse. Ainsi il seroit mieux d’éviter la guerre et de préparer tout pour être prèt, en cas que l’Autriche n’agisse pas en bonne foi, de pouvoir conclure l’Alliance avec la France. 15

B. V. Ephraim

V. Blatt 3a d. 7’ Novbr. 1792 Dreytausend Millionen geistliche u. königl. Güter sind verkauft. Von dieser Veräußerung hängt das Schicksal einiger Millionen Menschen ab. Die Besitzer ob5 benannter Güter u. der Adel contribuiren nunmehro mit zu den directen Abgaben. Diesemnach bezahlt der Bauer jetzt nur 16 Livres, da er sonst 36 Livres entrichtete. Alle diese Klaßen Menschen müßen die Revolution bis auf den letzten Blutstropfen verfechten. Die Beantwortung folgender Frage würde obigem Resultat noch mehr Gewicht geben: 10 Frage: Welches ist der unbezweifelte u. wichtige Barometer, um die Majorität der französischen Nation für die neue Regierungsform zu bestimmen u. zu erkennen? Antwort: Das Steigen oder Fallen der öffentlichen Fonds. Der National Convent hat den Intereßen Fuß um 1/5 vermindert; die Fonds mußten also statt 18 pl’- Aufgeld (den sie standen 18) bis auf 16 pl’- Verlust sin15 ken. Jetzt, da Frankreich sich zu einer Republik umgeschaffen, sind die nemlichen Fonds wiederum bis auf 4 pl’- Aufgeld gestiegen, u. dies Steigen continuirt. Da Eigennutz die Haupt Triebfeder der menschlichen Handlungen ist, u. der französische Staat jährl. über 140 Millionen Zinsen bezahlt, so kann wohl das Steigen u.

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Fallen der Fonds als ein sicherer Barometer angenommen werden. Wenn obiges Resultat festgesetzt u. angenommen ist, so entstehen folgende Fragen: 1. Wie ist die Revolutions Schwärmerey nach psychologischen Grundsätzen zu zerstören oder zu hemmen? 2. Wie sind den Inconvenienzen, so bey dem letzten Feldzuge entstanden, 5 in einer 2. Campagne vorzubeugen? Ad 1 wird folgende Parabel füglich auflösen: 10

Blatt 3b Das Harlemer Meer richtete große Verwüstung an, und zerstöhrte Wälle u. Deiche. Um diesen Zerstöhrungen Einhalt zu thun, ward jeder Gelehrte u. Waßerbaukundige um Rath gefragt; allein nur der Vorschlag eines Bauern konnte den Hollän- 15 dischen Staat retten. Ich will solchen wörtlich hersetzen: „Die Hochedlen Herren Deichgrafen vergeßen, daß es nur die Wuth von Waßerwogen ist. Man lege vor den Wällen u. Deichen bewegliche Balken an Ketten; der nachgiebige Widerstand wird die Waßerwogen schwächen, in sich selbst brechen u. zuletzt ganz zernich20 ten.“ Dieser Vorschlag ward befolgt u. Holland gerettet. Ad 2. wird folgendes kurze Memoire beantworten. d. 7 Novbr. 1792 Die preußischen Principia der Verpflegung einer Armee beruhen auf erworbene practische Kenntniße, so nur von einem einzigen Local geformt, das ist vom Kriege, der in dem engen Bezirk zweyer schifbarer Ströhme geführt worden. So oft eine Preußische Armee zu weit von diesen Ströhmen oder ihren Vestungen sich ent- 5 fernte, verunglückten ihre Plane aus Mangel der Verpflegung. Das war der Fall im zweiten Kriege in Böhmen, u. im siebenjährigen Kriege vor Olmütz. Engländer u. Rußen haben in den entferntesten Ländern gefährliche Kriege geführt. Preußen ist nicht so reich als England u. nicht so barbarisch als Rußland, diesemnach sind 10 beide Arten Verpflegung nicht anwendbar. Die seit einem halben Jahrhundert vermehrte Cavallerie und Artillerie macht die Verpflegungen noch schwieriger. Will Preußen, entfernt von Polen, Elbe u. Oderstrohm u. seinen Vestungen Kriege mit großen Armeen führen, so muß es glatterdings ein anderes Verpflegungs System annehmen.

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Blatt 4a Eine zwote Campagne gegen die Franzosen, wenn man auch bis Paris vorrücken, u. die Witterung günstiger seyn sollte, muß ebenfalls scheitern, wenn nicht folgende Abänderungen getroffen werden: 1. Muß die Verpflegung auf 24 Tage (ohne das Proviant Fuhrwesen zu ver5 mehren) statt selbige bisher nur auf 18 Tage Statt gehabt, eingerichtet werden. 2. Die Feldbäckerey muß auf einen ganz andern Fuß gesetzt werden, u. zwar so, daß in den ersten 24 Tagen nie der Fall entstehe, daß die Armee sich wegen der Becker länger als die gewöhnlichen Rasttage zu verweilen 10 nöthig haben muß. 3. Im Fall der Noth muß die Cavallerie 2 Tage von der Portions-Verpflegung mit ernährt werden können. 4. Wenn die Armee sich 30 Meilen von der Gränze in Frankreich vestsetzen will: so kann sie sich ohne Unterstützung einer Flotte unmoglich souteni15 ren, wenn auch der Krieg regelmäßig durch Eroberung der Gränz Vestungen geführt würde. Ew. Wohlgeb. geehrte Zuschrift vom 9’- d. habe ich so wie die vorhergehenden wichtig zu erhalten das Vergnügen gehabt. Die in der vorletzteren ertheilten 20 Nachrichten scheinen Aufmerksamkeit erregt zu haben. Ob ich gleich an jetzt bloßer Zuschauer bin, so nehme ich dennoch an den erwähnten Gegenständen den lebhaftesten Antheil. Ob u. wann ich das Vergnügen haben werde, Sie in diesem Winter zu sehen, ist noch unbestimmt, indeßen empfehle ich mich dero bestem Andenken u. bin, 25

Ew. Wohlgeb. ganz ergebenster Diener Bischoffswerder 30 Cant. Quart.

Montabor d. 15’- Novbr. 1792

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VI. Blatt 4b d. 30’- Nobr. 1792 So nothwendig ein zweiter Feldzug seyn muß, eben so nothwendig ist es, unter dem Geräusch der Waffen Friedens Unterhandlungen zu entamiren. Was können entfernte Siege u. allenfalls Vergrößerungen helfen, wenn leider gefährliche Meinungen das Innere des Staats zernagen. Nur in Friedenszeiten kann der Staat die verdorbnen Säfte Wieder verbeßern, u. um diesen Frieden zu bewirken, muß man bey den Unterhandlungen mit der jetzt schwärmenden französischen Nation ganz anders wie sonst zu Werk gehen. Ich kann Zutrauen verlangen, denn ich habe nichts von E. K. M. gleich Andern, zu erhaschen gesucht, im Gegenteil von dem Meinigen u. beynahe mein Leben aufgeopfert. Diesem nach beschwöre ich E. K. Maj. bey dem fortdauernden Ruhm u. Größe des Preußl. Hauses u. der Liebe u. Ruhe Höchstdero Unterthanen, mich anzuhören. Es muß jemand nach Paris geschickt werden, der die dortigen Schwärmereyen u. die vornehmsten Rädelsführer kennt, wenn etwas nützliches ausgeführt werden soll. Das größte Glück das die combinirte Armee haben kann, ist die Wiedereroberung der Niederlande. Ich glaube, u. sehe die Möglichkeit, diesen Zweck ohne schreckliches Blutvergießen Allerhöchstdero Unterthanen, durch Negociationen zu erlangen. Von einer vernünftigen Negociation hängt die solide Vergrößerung des Preußl. Hauses u. nochmehr der fortdauernde nothwenige Friede mit Oestreich u. Rußland ab. Zur näheren Auflößung u. Erläuterung dieses Antrages, nebst dem heiligen Versprechen, E. K. Maj. nicht zu compromittiren, bitte ich allerunterthänigst um eine Audienz, um mich mündlichweiter darüber expliciren zu können.

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Blatt 7a Berlin d. Decbr. 1792 P.P. Wenn Ew. Wohlgeb. nicht selbst die Zeit haben; so bitte ich durch Jemand den 5 wichtigen Empfang meiner Briefe mir gütigst mittheilen zu laßen. Wie weit die Preußl. Unterthanen mit der Revolutions Seuche bereits angesteckt, zu erfahren, u. zwar durch einen unpartheiischen Mann observiren zu laßen, habe ich folgen-

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den Weg eingeschlagen: Die Frankfurther Mappessche Weinhandlung läßt ihren Compagnon Mackenhauer das ganze Preußl. Land mit eignem Pferde bereisen. Der Mann war vor diesem Hofmeister beym Jägermeister Splittgerber, u. ist geschickt, klug u. unpartheiisch. Vor einigen Tagen kam derselbe von seiner in Schlesien gemachten Reise zurück, wo seine Geschäfthe ihn nöthigten sich lange in den Dörfern u. bey den Edelleuten aufzuhalten. Er klagte mir mit thränenden Augen wie sehr unzufrieden die Schlesisch Unterthanen insgesamt mit dem jetzigen Kriege sind, u. ich versichere nochmals, daß man sich auf die Aussage dieses Mannes verlaßen kann. Es giebt Wahrheiten, die von falschen interessirten Freunden nie gesagt werden, wahre Freunde aber sind nützlich, wenn sie auch darüber den Verlußt der Freundschaft riskieren sollten. Man ist allgemein sehr aufgebracht gegen den jetzigen Krieg, u. den Anfang u. die Fortsetzung deßelben giebt man nur Ew. Hochwohlgeb. schuld. Man geht soweit dreist zu drohen u. die Uebereinstimmung gewißer Gesellschafthen nimmt tagtäglich zu. Ich bitte Sie daher, bey allem was heilig ist, suchen Sie den Frieden, durch wen es auch sey, zu bewirken. Es ist nicht so unmöglich wie man denkt. Wenn Oestreich die Niederlande verliert, so verliert es nichts, denn es wird die darauf haftenden Schulden als denn nicht bezahlen. Es gewinnt noch dadurch, daß es sich mehr concentrirt und fortdauerndem Kriege ausweicht. Dagegen wird Preußen als dann mehr gedrückt u. kann Oestreich nicht mehr in Furcht erhalten, welches doch eigentlich die Freundschafths Verträge beider Mächte verknüpfen muß.

VII. Blatt 7b Frankf. a. M. d. 22’ Jan 1793  

Au Roi 5 Bevor ich die in einigen Tagen beschloßne Rückreise antrete, glaube ich meiner

Pflicht gemäß zu handeln, wenn ich die wahre Ursache meiner Anherokunft E. K. Maj. noch einmal auch schriftlich zu Füßen lege. Allerhöchstendenhalben haben die Gnade gehabt, mich eine Zeitlang in Frankreich zu gebrauchen u. ich habe mir alle mögliche Mühe gegeben, die Revolutions Krankheit zu ergründen, 10 so wie auch den Karakter u. die jetzige Lage der Franzosen. Der größte u. gesundeste Theil der Nation will nicht allein keine Eroberungen, sondern ist auch des Krieges gänzlich überdrüßig; nur aus Furcht vor einem Haufen Räuber hat niemand den Muth solch Aeußerungen zu wagen. Sollten die Franzosen im künftigen Feldzuge Verlußt leiden, woran ich nicht zweifle, so ist

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als dann am Frieden nicht zu denken; denn die unsinnige Idee, die Römer nachahmen zu wollen, hat sie verrückt. Mein Plan war also, unter dem Vorwande, auf der Gränze Magazin-Einrichtungen zu treffen, mich daselbst gefangen nehmen zu laßen, u. als dann mit Allerhöchstder Genehmigung, ohne die verbundenen Mächte zu compromittiren, an dem Frieden zu arbeiten, daß auch Oestreich damit 5 zufrieden seyn sollte. Meine Treue u. Liebe gegen den Staat u. E. K. Maj. Hat nicht nach dem gemeinen Gange blos in schaalen Worten bestanden; ich habe nie Gnadenbezeigungen zu erhaschen gesucht, sondern stets von dem Meinigen aufgeopfert. Diese ruhige innere Zufriedenheit giebt mir die Dreistigkeit u. den Muth meine Ideen Aller- 10 höchstderselben zu Füßen zu legen um nach meinem Gewissen u. Kenntnißen Gutes zu befördern u. jedes mal die Allerhöchste Decision schuldigst zu befolgen.

Blatt 8a [Anmerkungen/Antworten] Ew. Wohlgeb. Zuschrift v. 1 d. habe ich richtig zu erhalten das Vergnügen gehabt u. Inlage unverzüglich an dhl. Marquis von Lucchesini abgegeben. Die beygefügte Abschrift werde ich zu meiner eignen Instruction benutzen u. habe die Ehre zu seyn, 5

Ew. Wohlgeb. Ergebenster Diener Bischoffswerder 10

Haupt Quart. Frankf. a. M. d. 7’- März 1793  

An den Königl. Geh. Rath. H. Ephraim Wohlgeb.

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Ew. Wohlgeb. mir zu geschriebenen Bemerckungen über Schlesien stimmen mit den Meinigen vollkommen überein; da ich aber gänzlich außer Stand gesetzt bin, Gutes zu befördern u. böses zu verhüten, so muß ich mich blos auf gute Wünsche 20 einschränken. B. d.30’- Mar 93

7 Denkschriften über die aktuelle Situation in Europa (undatiert, 1791) und Austausch mit den preußischen Ministern Karl Wilhelm Finck von Finkenstein und Ewald Friedrich von Hertzberg Quelle: RN 2891 [Seiten 13–16 „Reflexions“ nach Brief vom 4. März 1790; Seiten 21–22 vor dem Brief vom 14. November 1790; Seite 29 eingesetzt nach Brief von Ephraim v. 22. Oktober 1790 (von Bischoffswerder); Seiten 34–35 eingesetzt mit dem Brief vom 28. Oktober 1790; Seiten 39–43 eingesetzt nach dem Brief vom 6. November 1790]. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

I. Blatt 13 recto Reflexions sur la presente Situation de l’Europe & Le rapport moutuel des Etats Avant qu’on fit la faute de meler la Russie dans les affaires de l’Allemagne; L’Europe se trouva divisée entre deux parties de puissances dominantes et Rivales. Les premieres parties qui donnerent l’impulsion aux autres puissances, furent la 5 France et l’angleterre. l’hollande et l’autriche s’allierent a eux suivant les circonstances. L’autriche pouvoit rarement commencer ou continuér une guerre si ces deux puissances etoient d’accord sur la paix ; aussi longtems que ces deux etats furent rivales le reste de l’europe pouvoit etre tranquil: à cause que la Balance ne se trouvant plus alterée etoit sure d’etre retablie apres paix faite La fin de toute les 10 guerres confirme cette reflexion. le moment le plus dangereux pour l’europe fut, après la perte des Etablissements de l’angleterre en Amerique. L’Equilibre fut entierement perdu non par la perte des provinces etendues en dddamerique /car on les tenoit plus haute qu’elle ne 15

Blatt 13 verso le fut en effet / mais par l’alliance formidable du pacte de famille; car on ne doit pas seulement compter dans ce pacte L’autriche la france l’espagne &. &. mais on 20 y peut aussi ajouter, la Russie et le Dannemark qui dependoit de la Russie C’etoit le moment le plus critique pour l’Europe et principalement pour l’angleterre et la Prusse; La Prusse n’auroit elle pas prise une Tournure si favorable pour arracher la Hollande des grifs de la france / car toute la guerre des Patriots Ne fut qu’une https://doi.org/10.1515/9783110739770-012

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intrige forgée par l’interet reciproque de la france et de la Hollande comme ils sera demontré dans les reflexions suivantes c’en auroit été fait de la balance en Europe Ce sera assé dit de l’une partie des puissances dominantes et rivales. La Seconde partie l’autriche et la prusse, a prise premierement naissance depuis un ½ Siècle. 5 La Russie ne pensa jamais à faire des Conquettes en Europe, Et je crois meme qu’apres avoir fait partie avec l’autriche pour etablir un Empire grec, elle n’etoit pas intentionnée de se faire un ennemie de La Prusse; mais au contraire, je crois qu’elle pensoit à se servir de la prusse contre la grandeur croissante de l’autriche; car sitot qu’un etat commence à devenir voisin d’un autre etat florissant, il faut 10 qu’il ait un troisieme pour apposer des Limites a sa grandeur.

Blatt 14 recto 15 neamoins on ne peut s’y fier puisqu’il se mele souvent des passions personelles

dans la politique qui repoussent le bon sens et le Salut des Etats; et principalement àpresent qu’elle ne peut oublier le Tort que la Prusse leurs a fait dans les guerres Turcs; dans ces circonstances il fut necessaire à La Prusse de s’allier avec la Hollande et L’angleterre. L’Interet de cette alliance fut égal de deux cotés, et 20 l’avantage en fut moutuel, car aucun ne pouvoit se passer de l’autre. Il est de meme dans le sisteme politique comme dans le Sisteme astronomique; aussi longtems que les forces attringantes et repoussantes restent égales il n’y a rien a craindre, mais sitot que le mouvement d’un Planete fut alteré, soit tout ou en partie; le Sisteme de tous les autres est sujet à un changement. 25 Voila le Cas dans Le Sisteme de L’Europe. La france par la revolution est eclipsée pour le moment, et les necessitées des alliances entre la prusse et l’angle terre sont inegales; car la prusse est pour ainsi dit accablé par deux lourdes masses nommement. L’autriche, et la Russie. mais l’angleterre au contraire a libre jeu d’agir comme elle veut; la Prusse depend donc dans le moment de sa bonne Vo30 lontée, car il ne faut pas croire que la guerre d’espagne lui tient tant a coeur; au contraire elle n’y penseroit pas dans Sa presente glorieuse Situation si elle n’etoit

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pas sure d’une prochaine paix ou d’une fort courte guerre pour s’aggrandir, non par des conquettes mais par des avantages de Commerce Je defie le premier Historien de me citer un Exemple d’une puissance plus florissante que l’angleterre dans le present moment; non seulement qu’elle ne depend d’auc’un allie, mais 40 Au contraire que les alliés doivent se régler suivant elle Les forces interieures

7 Denkschriften über die aktuelle Situation in Europa

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sont de facon qu’ils peuvent entreprendre tous ce qu’ils Veulent, et qu’il ne leurs manquera jamois de ressources, car ce sont proprement eux qui sont les monopolistes du Commerce des Indes Orient et occidentales, et on peut etre sur que l’explotion des Mines du Mexique ne se fait que pour payer aux Anglois leurs marchandises et denrées qui sont importees clandestinement dans l’amerique es- 5 pagnole ou par le negoce que font leurs comptoirs existantes sous des noms espagnoles a Cadix. L’objet de donner une connaissance parfaite de la grandeur de L’Angleterre est trop Serieux pour le passer outre 10

Blatt 15 recto presque chaque individue moins ou plus, est contributaire de l’Angleterre. il y a des etats ou l’on peut dire avec Sureté que la moitié des Vetemens consistent dans 15 des fabrication Angloises, oui même des Articles de consumtion comme p. E. poivre et autres Marchandises des Indes; même les etats qui croyent posseder un Sisteme de fabriques ne peuvent se passer des anglois; si ce ne sont pas les marchandises, du moins ce sont les articles d’utiles d’artistes; je ne veux pas faire mention du rouade de montre à Varington duquel les Genevois mêmes ne peuvent 20 se passer, et leurs fabriques de Limes et d’acier; et on ne porte de boucles qui ne soyent pourvues d’echappes angloises. On pourroit demander de droit d’ou vient que L’angleterre peut donner a si modique prix ses fabrications avec la chereté des Vivres et autres necessitees; Les charges desquels chaque individu se trouve accablé se montent au double que dans La prusse, ou l’on compte la contribution 25 d’un chacun à peu pres 6 R. et en angleterre a 2 Liv. Sterling Mais la raison en est si simple et clairvoyante que je m’etonne que les hommes les plus sages en ont données d’autres; Toutes les autres Etats regardent les fabriques comme des Travaux ou l’esprit n’a besoin de  

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Blatt 15 verso travailler; mais en angleterre la manipulation est secondée de l’invention, et les raisons de leurs modiques prix sont leurs machines, la Mechanique et chimi qu’ils 35 employent pour faire plus en un jour que cents bras n’en font dans une Semeine. On ne connoit pas même de nom ces machines en Prusse, car on y fait aussi peu attention comme de leurs commerce, et si l’on y fait aussi une foi attention c’est deja si tard qu’ils ont changées et perfectionnées avec tant d’avantage qu’ils ne sont plus les mêmes Tous les Etats sont presques ruinees par L’Angleterre; L’espa- 40

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gne sacrifie des milliers d’ames au travaux de mines pour exploter l’argent que les anglois leurs emportent par le commerce clandestin pour chercher d’ans les Indes occidentales les Marchandises par lesquelles ils mettent en contribution les autres nations de l’Europe. La France à été duppée par le dernier Traitté de commerce. La 5 Hollande est ruinée / oui tout à fait ruinée / et le partie sensé des Patriots n’avoit pas tant tort / non ce partie effrené qui osa lever sa main contre la Princesse cette Dame

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si estimable /; mais toute la Hollande sent presentement la crise dans la quelle ils sont; mais il manque un planete dans le sisteme / c’est a dire la France / et ils sont forcées de tous faire ce que L’angleterre veut Je ne veux point toucher ce qui est 15 deja connu depuis si longtems que Le Portugal n’est regardé que comme une province de l’angleterre Exepté La Russie de la quelle elle à besoin à cause de sa marine, il n’y a point d’etat qui ne perd dans la Balance à cause des fabrications de leurs pays qu’ils font entrer clandestinement et des marchandises des Indes avec les quels ils pourvoyent toute l’europe. Pour plus grand malheur les souverains ne 20 veulent savoir l’enorme quantité d’argent qui sort de leurs pais pour la contrebande qui y est importée. [Beginn der Dechiffrierung]: A quel but cet ample mémoire, & ces réfléxions sont elles faites? C’est pour faire 25 une prophetie, pour l’accomplissement de laquelle je ne demande qu’un lustre. L’angleterre poursuivra dans sa carrière avec tant de succès que tout le monde sera obligé de faire cause commune contre elle, pour mettre des

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des bornes à cet empire, qui à l’exemple de l’empire des Cartaginois veut tout dévorer. Mais quant à la Prusse en particulier, elle ne peut conserver sa grandeur, qu’en se fiant moins à ses alliés, & en fortifiant de plus en plus sa consti35 tution intérieure. Non que l’armée déja perfectionnée au plus haut degré, dut être augmentée. C’est des fabriques & des finances que je parle. Voilà des objets qui ne saurraient atteindre le degré de perfection, qu’éxige le bien de l’Etat, si l’on n’accorde pas plus d’attention au système des finances & des fabriques étrangères. En second lieu; il est à desirer qu’on fasse reprendre à l’Espagne 40 une place dans le système de l’europe. Par là l’angleterre verra: que la Prusse

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ne dépend pas de ses volontés; mais qu’elle même plutôt depend de l’alliance de la Prusse. [Ende der Dechiffrierung] 5

B. V. Ephraim

II. Blatt 21 recto Quand on veut aprofonder les relations éxitantes entre deux états il faut attacher son point de Vue sur la Balance & sur le Commerce reciproques dans les états. Comme la Prusse ou est établie et conservée un Sistéme de fabrique, un état tel que l’Angleterre qui n’a point des productions Naturelles non èxistantes dans d’autre païs & en telle abondance qu’il peuvent l’exporter et dont toute la gran- 5 deur consiste dans son Industérie de fabrication ne peut causer aucun domage, car la France Se fait une mauvaise Idée de la Regie presente de nôtre païs au lieu que le Roi defunt fit venir de Regisseur francois presentement la france feroit bien d’en Envoyer en Prusse pour apprendre à empecher la Contrebande dans Galéres & autres punitions cruelles, par la on ne risque rien de l’Angleterre qui ne peuvent 10 faire entrer frauduleusement leurs Marchandises. Nous avons établi des fabriques difficiles à fonder, entre autres une d’acier qui exite même l’admiration des Anglois & s’il y en a que nous ne pouvons pas imiter & qui ne sont pas pour les premieres necessitées, l’Etat fait bien en deffendant l’Entrée Voila precisement le cas entre la Prusse et l’Angleterre & l’Angletérre ne peut en aucune façon nous Nuire. 15

Blatt 21 verso Mais la Relation de la france est d’une toute autre manière Ils mettent en Contri- 20 bution tous les autres Etats par leurs produits naturels qui leurs Sont deja devenus necessaires par Exemple qui peut se passer de leur Soye, Sucre crut, Caffé, Vin, huile, fruit confit et Sec, Savon, matière de teinture, raisins, Olives, Eau de Vie & & & et la Prusse n’a que de l’Argent comptant qui sort du pays pour lui donner en Echange. On pouvoit m’objecter, eh bien La Prusse qui n’a point ces pro- 25 duits Naturels, comment veut elle empecher de prendre ces produits qu’elle ne possede pas et qui pourtant sont devenus de la premiere Necéssitée & d’ou vient que la Prusse pense à cela dans ce Moment, Il faut que je replique. La Situation presente de la France donne toute une autre tournure aux affaires, car Jadis la

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france a eu la foiblesse & la fausse ambition / pour S’attirer Un Relief et dicter des Loix à toute l’Europe / de commencer des guerres inutiles et ruineuses par la Elle a versé non des Millions mais des Milliards dans les païs etrangers il est un fait certain & demontré par Tableau qu’apres la Guerre de 7 ans, les provinces de Cle5 ver & de Westphalie sont devenus les plus riches de la Prusse / exepté les Montagne de la Silesie / par le Numeraire francois qui restoit. Je ne veux argumenter le quel

10 Blatt 22 recto

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des deux Partis a raison dans la presente Revolution francoise; mais comme les Hommes ne sont point des Anges je s’ai par experience que comunement les deux partis ont tort en pareil Cas; mais ou l’assemblée Nationale agit Sagement & avec Justice c’est qu’elle ne veut plus entreprendre de Guerres ruineuse & ambitieuses, Voila le point principale que devoit rendre Attentif la Prusse sur la Grandeur la france s’élévera aux depends de la Prusse & des autres Etats car ces tems sont passés ou les Rois ne pensoient qu’à l’econnomie & à l’augmentation de l’armée. Je puis assurer à V. Excellence que le Roi present entrevoit bien que le bien de l’Etat ne depend pas de l’Oeuil Attentif qu’il faut avoir sur ses Voisins, mais c’est plustot sur les fabriques & sur le Sisteme du Commerce interieur & finances qu’elle passe Mainte heures dans la conversation avec des Hommes au fait des affaires pour s’y instruire Je sais que la france ètoit mal instruit par quelques barbouilleurs de papiers à ce Sujet; mais tout ce developpera dans peu de temps On pourroit m’objecter que ce n’est point la faute de la france de posseder des productions que la Prusse ne peut s’en passer & ou la trouverat elle ailleurs que chez les francais. On peut y repondre avec droit qu’ils se trompent; mais je souhaitte qu’ils ne sentient Pas leurs erreurs car même l’Espagne & le Portugal comencent à devenir attentifs à l’intérrét du Commerce et comme ils voyent la Necessité qu’ils ont annuellement d’avoir de nos toiles de Silesie Ils en veulent aussi avoir qq de dedomagements de la Prusse & c’est ce qui peut produire l’idée de prendre toutes ces dangrées comme Huiles, Vins & & & du portugale & de l’espagne, au plus grand detriment & desavantage de la france.

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Blatt 22 verso On pourroit m’objecter Comment forcer une Nation qui a pris Du gout des Vins et autres articles françois, à pouvoir s’accoutumer À d’autres à cela on Repliqueroit, 40 il ne faut pas croire que le Sujet ches nous ait raison de penser de la même sorte

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comme en france car chez nous les impots restent les mêmes & aucun n’est Oppressé. Par la l’attachement de l’allemend qui à la Verité n’a point cet Anthousiasme; mais l’amour pour son Roi et l’Etat est très ferme & stable & si on lui prouve sans beaucoup de detour avec une Soine raison qu’il est de Son Intéréts de ne point boire des Vins françois Il est prèt de s’en desacoutumer tout à fait ou à pren- 5 dre d’autres. Voila Mes Idées desquelles je suis persuadé que Votre Excellence soit de même Sentimens, c’est ce que nous pouvons prendre pour Base si la france veut faire un traitte de Commerce. BVEphraim

10

III. Blatt 29 recto Chifré a Ephraim a Paris Que j’etois Content de son raport et qu’il continue de la même facon et pour l’instruction necessaire et la reponse sur ses question elle lui seroit envoiée a temp J’ai ecrit a Goltz come si la comission d’Ephraim ne pressait point afin que celui ci 5 puisse continuer paisiblement sa marche [Initialen]

IV. Blatt 34 recto Differentes Circonstances sont la Cause du haut encher des Fonds Nationaux. 1. L’etat a donné 12 années pour payer successivement La Valeur; 2. Il n’etoit pas permis autrefois au roturier d’acheter des Terres; mais presentement; chacun peut acheter toutes Sortes de Terres; ainsi la Con5 courrence gagnera; 3. Depuis 3 ans les denrées sont haussé en France et par la, la Valeur des Terres doit aussi hausser Tous ce que je Voi, Lis et entend me fortifie dans mon opinion que l’etat qui n’est pas attentif sur son Commerce, agriculture, et fabriques, doit tout à fait decliner 10 au sisteme des circonstances presentes en Europe La france gagne en cela tout une autre forme, je repeterai les propres Mots d’une de leurs premieres Tetes „Dans le nouvel ordre des choses qui vient d’etre etabli, les finances n’exigent

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plus de minister car il n’existera desormois qu’une Caisse et les ordonnateurs auront une Somme fixe pour chaque departement et des regles fixes pour la distribution de cette Somme; il ne faut donc plus qu’un controlleur ou registrateur des ordonnances 5

Blatt 34 verso ou payemens, ainsi le mot de ministre ou de controleur des Finances doit dis10 paraitre pour jamois, quant à la partie contenstieuse elle passe aux Tribunaux et

directoirs mais notre agriculture, nos arts, et notre Commerce si peu connus et si negligées demandent un Ministre qui en porte la denomination. Notre Commerce etoit en perte en 1788. de 95 millions presque tout en matieres agricoles (*) car nos importations ont montés à 302 Millons, et nos exportations correspondantes a 15 207, la Balance ne s’est opére qu’avec les danrées de nos Colonies; l’agriculture francoise pouvoit combler ce deficit par le chanvre, le Lin, les Bestiaux, le Beure, le frommage, les chaires salées, le Suif, les Cuirs &. &. qui font plus de la moitie, de nos importations. Ajoutons à cela la Fabrication des matieres premieres, telles que Le chanvre le Lin 20 (*) cette perte resultoit par le manque des Grains ; il fallait donc faire Sortir de l’argent du pays pour faire venir du Bled; sans cela la france gagn[er]ait toujours dans la balance (propre remarque)

25 Blatt 35 recto

Les Lainies & co. il sera evident que non seulement Le defficit en eut été comblé mais encore que la Balance du Commerce eut été beaucoup à notre Avantage ainsi il faut à la France un ministre de l’agricoulture, des Arts et du Commerce; mais 30 un ministre dont la Capacité, les connaissances, le desinteressement, et le Zele, peuvent porter ces diverses branches au degré de perfection qu’elles sont susceptible d’atteindre; par ce moyen les productions, les fabrications que nous tirons de l’etranger deviendront à jamois le resultat de notre Sol et de nos fabriques. Nous repetons donc abolissons le nom funeste de controlleur de Finances, et creons ce35 lui de Ministre de l’agricoulture, des Arts, et du Commerce, capable de remplir cette Tache dont depend la prosperité du royaume, et que ces biens que nous allons gouter sous ce dernier nom nous fasse oublier les maux sans nombres que nous avons soufferts sous les premiers

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Blatt 35 verso Propres Réflexions Votre Majesté daignera entrevoire L’attention que La France porte à son arrange- 5 ment interieur, si elle seroit plus attentif aux Arrangements des autres pays elle trouveroit qu’on a deja fixé en prusse depuis longtems son point de Vue sur ces objects relativement les rapports de chaque Mois des chambres de domaines. si un ministre d’agricoulture seroit utile en Prusse? c’est une question de La quelle 10 je ne me trouve pas assez instruit pour y repondre BVE

V. Blatt 39 recto Copie Je vien d’apprendre que l’Assemblée Nationale non contente d’avoir defendue l’Importation du fil Retor & augmenté l’Impot sur le fil, a encore chargée les Marchandises des fabriques étrangeres, & par consequent celles de mes Provinces de 5 Westphalie d’un Impot Si enorme, qu’il équivaut une prohibition Absoluë, & si le tarif qui a été arreté à cet égard par l’Assemblée Nationale devoit étre executé à la Rigueur, cela entraineroit infailliment la Ruine totale des fabriques de mes Etats de Westphalie. Je ne sçaurois ètre indifferent à ces proihibition & impositions exorbitantes de L’Assemblée Nationale; mais mon Intention est que vous 10 fassiez au Ministre de France et par son Concel à L’Assemblée Nationale les Representations les plus fortes et les plus energiques tant par rapport à la Prohibition des fils retors & à l’augmentation des Impots sur le fil / objets sur les quels Vous avez deja eû plusieurs Explications infructueuses avec le Comte de Montmorin / qu’à l’égard du nouveau tarif par le quel on se quasi defendû toutes les 15 Marchandises des fabriques Etrangeres. Vous ne dissimulerez pas au Comte de Montmorin, que Si contre mon attente on ne Vouloit pas avoir egard à mes Representations,

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VI. Blatt 45 verso Je serai obligé d’avoir recours à des represailles, en augmentant considerablement l’Impot sur les Vins & sur les Marchandises de Luxe que mes sujets tirent de la france et qui sont un Objet de la plus grande importance, & en diminuant les Droits sur le Vin du Rhin Et d’autres païs qui de leur Coté favorisent le Commerce 5 de mes Etats. Vous tacherez en même tems de glisser cette Observation aux membres du Comité qui travaille à la Redaction du tarif, & à d’autres membres influents de l’assemblée Nationale. Je vous dirai encore pour Votre information que j’ai fait prevenir les Marchands de Bremen qui fournissent à mes provinces de Westphalie une trés grande quantité de Vin de france, de ma resolution d’user de re10 presailles afin que par leurs Corespondens de Bourdeaux Ils puissent cooperer à faire revoquer les prohibitions et les impositions que l’Assemblée Nationale vient de mettre sur les Marchandises Susmentionees. Je crois pouvoir me dispenser de vous recommender encore plus particulierement cette Affaire dont la Haute importance ne vous echappera pas. 15 J’y mets la plus grande Attention & J’attends votre Zele Patriotique que vous n’epargnerez rien pour lui donner une tournure favorable au Commerce de mes Sujets.

20 Blatt 46 recto

Vous me ferez aussi de tems en tems vôtre rapport sur le Succès de vos demarches. 25 Berlin le 20. Novembre

par ordre expres du Roi Signé de finkenstein, de Herzberg

30 VII.

Blatt 41 recto Avant de dire mes pensées sur l’objet important et sur la question s’il etoit utile dans notre Etat de mettre un impot sur les rentes Viageres et consolidées ; Il me faudra auparavent faire le suivant Aveu ; me servant des propres paroles de J. J. Rousseau qui sont frappées au Coin de La Verité et qui dit dans son Emile Un 5 rentier est pire qu’un Voleur de grand chemin car c’est Le devoir d’un chacun

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d’etre actif personne n’est excuse de dire mon Pere etoit actif et je Veux jouir de son Travail Ton pere etoit un homme qui fit son devoir il faut que tu fasse le tien Ceux meme qui ne veuilent point en croire un rousseau doivent Se persuader par les regles de la nature; Le paysan et le cytoyen ne doivent point travailler pour 5 l’oisif rentier je connois les prejuges des politiques qui pretendent que celui qui consomme est aussi utile que celui qui produit. C’est un faux sisteme Meme si la consommation est necessaire egalement comme la production pourtant celui qui consomme uniquement est un etre isolé, heureux L’Etat qui n’a 10 point d’autres consummeurs que ses producteurs

Blatt 41 verso 15

Mais Le rentier qui ne fait que s’engraisser et qui ne produit rien celui la est suivant l’axiome de Rousseau un Voleur de grand chemin, c’est ne pas assé que le rentier contribue indirectement sa cote part par sa Consommation pour ses droits à L’Etat mais il doit aussi payer son inactivité et L’industrie de ses concytoyens qui travaillent pour lui ainsi suivant les Loix de La Nature que personne ne doit 20 etre exempte de L’activite universelle ce qui d’autant plus doit etre la Vehikule dans une republique on peut ainsi exiger de droit encore une contribution particuliere des rentiers J’entens deja les mourmures des politiques qui veulent me faire L’objections suivantes 1. Il n’y a que l’Etat qui est en souffrance par des tettes impots au moindre 25 Hausse le rentier calculera pour Hausser ses Interets ainsi c’est l’etat qui souffre et non le rentier 2. Tous les cytoyens qui jusqu’apresent avaient placés leurs biens dans les fonds publique tacheront de les convertirs en fonds etrangers et par la 30 beaucoup de numeraire sortira du pays

Blatt 42 recto Ad 1. tous ce qu’on à repeté et debattu si souvent dans notre assemblée nationale 35 est il réel ou d’illusion Les biens eclesiastiques ont été taxées a 3 milliards si la Vente s’effectue tellement que les avis journaliers nous l’anoncent nous pouvons fermement esperer que La Dette nationale Sera Liquidée entierement Ces notices etant fondees La solution tombe d’elle même c’est à dire que n’ayant point de Dettes nous n’aurons pas besoin de payer d’interets. Mais Messieurs je ne crois per- 40

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sonne, si impartiale d’enfanter ces Idees Dieu ne fait point de miracles Journellement et il n’existe plus d’etat eclesiastique qui amassera de L’argent pendant 4 ou 5 Siecles pour payer nos dissipations ulterieures J’entens deja un Cri universel mais et il possible qu’un Etat puisse subsister sans contracter des Dettes? Cette 5 question ne peut à la Verité avoir lieu que chez nous puisque nous avons la presomption de ne pouvoir rien apprendre chez les etrangers, nous rendons ridicules les autres nations sans chercher à les imiter dans leurs bonnes institution. Qui ne devinera pas qu’on doit prendre la 10

Blatt 42 verso Prusse pour exemple cet Etat de moyenne grandeur qui est peuple à peine le quart du notre ou le sujet est chargé de la moitié des impots que chez nous qui à mené 15 les guerres les plus ruineuses, entretient pourtant à La surprise de tous le monde Une Armée tres redoutable et un tresor pour continuer une guerre pendant 4 a 5 années Et d’ou croyez Vous Messieurs que cet Ordre des choses provient? C’est par les sages ordonances qui y existent et qu’on n’a jamois contracté des Dettes; que nous serions Heureux si nous pouvions nous pouvions nous mêmes nous ba20 rer le chemin pour faire des emprunt; par une bonne economie, et une administration de justice, et afin de ne rien omettre il ne faut pas qu’il y entre de Vues individuelles La France pourra ele pousser aussi loin que La Prusse et faire que son papier ait même sans Interets la même valeur que L’argent comptant car croyez moi Messieurs en Prusse non seulement que les Billets de Banque royale circulent 25 comme L’Argent comptant mais il gagnent meme encore un Agio je m’etenderois plus Loin mais ce n’est pas l’endroit ici pour citer encore plus de motifs

Blatt 43 recto 30

Ad. 2. Il est faux qu’en mettant un Impot sur les Interets les rentiers placeroient leurs fonds dans d’autres pays Il n’y a aucun pays ou l’on paye un interet plus haut que chez nous, la remarque de Neker se trouve juste il dit quoique La France n’ait pas tant de Dettes que L’Angleterre elle paye pourtant le même Interet que 35 L’Angleterre Le Malheur ne seroit pas si grand si les Interets des fonds placées dans les pays etrangers se consummoit dans le Pays; mais l’experience nous apprend que le rentier n’a point de Confiance dans les autres pays; Il Employera plutot son argent Dormant pour l’achat de bien fonds ou au defrichement des Terres ou pour de nouveaux etablissements et il en donnera beaucoup sur credit per40 sonel a des Negocians Il perd a la Verité qq fois par une Banquroutte ou par un

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mauvois etablissement mais j’espere Messieurs que Cela ne Vous inquiettra pas mais que Vous en serez plutot Content

Blatt 43 verso

5

Je crois superflus de m’ettendre plus au long sur un objet si connu; s’il n’etoit pas de La derniere importance d’ecarter tout ombre d’Injustice je serois le premier a proposer de faire baisser les Interets de L’etat et de payer aux mecontents par des assignats que nous rentrerons sur la Vente des biens du Clergé Mais cela n’etant 10 pas practicable il faut que nous agissons en dissipateurs honettes qui ont fait un Heritage / c’est à dire les biens du Clergé / et qui reviennent de leurs eurreurs il faut tenir parole et nous barer le chemin pour faire des nouveaux emprumts Je propose le Decret suivant d’ordonner que suivant l’Interet que chaque Quittance de rente viagere ou Dettes d’Etats consolidees soyent timbrées et que le timbre ne 15 soit point trop ecxessifs avec condition que les fonds d’etablissement pieuses en soyent exclus

8 Eingabe hinsichtlich der Einrichtung von Kantenmanufakturen und Anstellung jüdischer Arbeiterinnen in den neuen preußischen Landgebieten, 22. Februar 1792 Quelle: GSpK II HA Abt. 26 CCC XX 47 Bd. 1, Blatt 3–8. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

Blatt 3 recto Verhandelt Berlin, den 22 ten Februar 1792 erschien der Geheime Commiss.Rath Herr Ephraim, und gab folgende Aussage mündlich zu Protocoll: 5

ich habe in meiner Eingabe vom 25t. vor. Mon. gebeten, über gewisse Vorschläge näher vernommen zu werden, die ich zur Ausnahme und Erweiterung der einländischen Kanten fabrication thun wollte. In eben der Eingabe habe ich über Vorurtheile und Hinderniße geklagt, die den guten Fortgang meiner Fabrication zurück sezten, und über alle diese Punckte bin ich iezt nähere Aufklärung zu geben be- 10 reit. Sollen meine Vorschläge Eingang finden, so muß ich zuförderst zeigen, daß diese fabrications branche nicht so leicht eingerichtet, und aufrecht erhalten ist, als es wohl scheint. Zwirn und Seide zu Kanten und Blonden, erhelt ich von auswärts, das Pergament zum 15 eingegang d 23 Febr. 1792 G. Assessor Kunth No. 26 im M. Febr. 20

Blatt 3 verso zum ausstechen der Muster, kommt eben daher, denn alle diese Artikel liefert das Land nicht in der Qualitaet, als es eine Kanten fabrique erfordert, und weil neue Zeichnungen mir hier nicht bezahlt werden, so liefert das Ausland zugleich alle 25 verschiedenen Muster. Bey diesen Umständen scheint es, daß für meine fabrique daß blosse Knüppeln, eine alte bekannte Erfindung, übrig bleibe, und weil es bey diesem Artikel keiner Bleiche, Wäsche oder einer andern Art von Appretur bedarf, https://doi.org/10.1515/9783110739770-013

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III Auswahl aus der geheimen Korrespondenz, Eingaben und Denkschriften

so scheint die Kantenfabrication, eine der leichtesten fabrications branchen zu sein. Aber eine Schwierigkeit, die man diesem Gewerbe nicht zutraut, ist die, daß alles bey derselben von dem Genie, der Anlage und selbst der physischen qualitaet der Arbeiterinnen abhängt. Bey jeder andern fabrication thut Stuhl oder Ge5 räthschaft das ihrige, und mehr oder weniger Anlage des Arbeiters hat nicht so vielen Einfluß, weil der Me/

10 Blatt 4 recto

Mechanismus gewißer maaßen an die Stelle des Arbeiters tritt. Dies trift aber bey der Kanten fabrication nicht zu. Ein Mädchen arbeitet mit Leichtigkeit eine Kante, wozu 200 und 300 Knöppel gehören; ein anderes liefert nur gute Arbeit, wenn das 15 Muster einfacher und leichter ist; ein drittes hat gar keine Anlage für einen oder den andern Schlag; eine vierte Arbeiterinn liefert in ihrer Art vortrefliche Waare, aber sie hat nicht die Gabe, die Kante reinlich zu erhalten; eine fünfte liefert gute accurate Arbeit, aber sie arbeitet nicht fest, nicht drall genug, und so viel Einfluß hat die natürliche Anlage der Arbeiterinn, daß selbst zwey Mädchen, die für eine 20 und dieselbe Gattung von Arbeit bestimmt sind, immer noch verschieden Arbeiten, und daß die eine mit denselben Zuthaten, doch die andere um 50 prl. übertrift. Die Kanten fabrication ist also auf die natürliche Anlage der Arbeiterinnen eingeschränckt, und nun kommt der Umstand hinzu, daß man 25

Blatt 4 verso man keine große Auswahl unter ihnen hat. Der niedrige Preis der Sächsischen Kan30 ten, erlaubt kein hohes Arbeitslohn und man muß also die annehmen, die sich dazu

anbieten, statt daß man bey andern Gewerben, den beßern ouvrier auswählen kann. Diese Schwierigkeiten sind Schuld daran, daß es nur einer einzigen Nation, den Brabantern, gelungen ist, die fabrication der feinen Kanten die eine Nebenbeschäftigung der Klöster ausmacht, zu einem gewißen Grade von Vollkommen35 heit zu bringen, und außer den Sachsen, die im Erz Gebürge die gröberen Sorten, bey dem kümmerlichsten Erwerbe liefern, ist mein Institut das einzige, was alle Sorten, mit einer gewißen schon erreichten Vollkommenheit und Ausarbeitung arbeitet. Aber Ich habe mit zweien großen Hindernißen zu kämpfen, die mich immer noch niederhalten, und das sind die Contrebande, und die Veränderung des großen 40 Pots

8 Einrichtung von Kantenmanufakturen und Anstellung jüdischer Arbeiterinnen

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Blatt 5 recto Potsdamschen Waysenhauses, was iezt mehr ein Caßen, als eine VerpflegungsAnstalt der Waysenkinder geworden ist. Die Contrebande läst sich bey diesem so portablen Artikel, der in der Tasche bequem herum getragen werden kann, 5 nicht verhindern. Das Vorurtheil für fremde Waaren ist allgemein, und es trift auch bey dem Artikel der Kanten zu. Ein Stück was ich durch die dritte Hand verkaufe, und was etwa für ausländische Waare ausgegeben wird, wird immer theurer bezahlt, als wenn daßelbe Stück nur als einländische Waare behandelt wird, und so wenig richten die Verbothe und die geschärfte Aufsicht im Lande 10 aus, daß einige Provinzen auch nicht ein Stück Waare von mir nehmen. So nimmt Preußen gar nichts; Magdeburg und Halberstadt eben so wenig; ganz Pommern und die Neumark noch nicht für 2,000 rh. Schlesien etwa für 2,000 rh. und doch kann 15 der

Blatt 5 verso der Bedarf des ganzen Landes auf 150.000 rlln. angenommen werden. Alles was 20 ich mir als würklichen Absatz anrechnen kann, ist der fünfte Theil dieses Quanti, den ich etwa jährlich im Lande absetze; die übrigen vier Fünftel werden immer durch die contrebande bestritten. Das zweite Hindernis ist die Verwandlung des großen Potsdamschen Waysenhauses in eine Caßen Anstalt, die die Waysenkinder auf das platte Land zur Verpflegung vertheilt. Durch diese operation ist es da- 25 hin gekommen, daß statt 400 Mädchen, die anfänglich bey Errichtung der Fabrik zum Knöppeln bestimmt waren, iezt nur 130 zu dieser Beschäftigung vorhanden sind. Nach dem letzten Contract ist die Zahl der Arbeiterinnen schon auf 230 herunter gesunken; allein auch diese hält man mir nicht, und mir eine Entschädi30 gung für die fehlenden Mädchen an/

Blatt 6 recto 35

anbieten zu wollen, das würde kein Ersatz sein, weil mir durch die fehlenden Arbeiterinnen zugleich eben so viele feine Muster fehlen, und ich also kein assortirtes Lager, dem ersten Erfordernis zu einem regelmäßigen Absatz, haben kann. Diese Schwierigkeiten wollte ich nicht durch assistenz einer höheren Hülfe bekämpfen. Die Contrebande ist nun einmahl bey einem so portablen Artikel nicht 40

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III Auswahl aus der geheimen Korrespondenz, Eingaben und Denkschriften

zu besiegen, und ich wolte also auf mich selbst und meine Fabrication zurück gehen, und die Waare so gut und wohlfeil zu liefern suchen, daß sich der Hang zur Contrebande von selbst verliehren solte. Durch Klagen und Prozeße gegen daß Waysenhauß wurde mein Lager auch um nichts completter, und ich fing also vor 5 sieben Jahren an, die Kanten Knöppeley in Westpreußen, bey Waibern und Mädchen Jüdischer Nation einzuführen. Allein auch da fand ich unendliche Schwierigkeiten, und je mehr sich dies Gewerbe in West-Preußen aufnehmen soll, je mehr Hinderniße stellen sich mir entgegen 10

Blatt 6 verso gen, die ein bloßer privat Mann nicht besiegen kann. Ich habe es mit unendlicher 15 Mühe und Fleiß dahin gebracht, daß die ordinaire Arbeit zu einem gewißen Grade von perfection in West Preußen gekommen ist; ich habe die Unreinlichkeit bey der Arbeit, die eine Folge der großen Armuth und des Elendes war, zum Theil abgestellt, und es ist doch in Zeit von 7 Jahren dahin gekommen, daß ich 949 Arbeiterinnen, die ich regelmäßig beschäftige, in 9 West Preußischen Städten aufzeigen 20 kann. Aber dabey darf es nicht bleiben. Ich habe keine Hoffnung, die Zahl von 400 Arbeiterinnen je wieder durch das Waysenhaus ersezt zu erhalten, und ich muß also den größten Theil der feinen Arbeit des Waysenhauses nach Westpreußen ebenfalls zu verpflantzen suchen. Allein dies Unternehmen ist unendlich gewagt. Ich kann in den ersten 5 Jahren noch nicht auf Gewinn rechnen, ich muß al25 so auf meine Kosten die ganze Sache wagen, und 20.000 rh. aufs Spiel setzen, die mir erst in der Folge von Nutzen sein können. Diese operation würde für den Raat sehr interessant sein. Ich will 30

Blatt 7 recto will in den Städten Fordon, Camin, Stolpe, Crone, Dietz, Usch und noch einigen andern, ganz neue Anlagen etabliren, und die Zahl der Arbeiterinnen überhaupt 35 auf 1600 und vielleicht bis auf 2000 bringen. Jede Arbeiterinn nur zu 50 rh. im Jahre anzuschlagen, macht einen tournant von 80.000 rh., und wenn die Kantenfabrication zu einem nationellen Erwerb von WestPreußen gemacht, und auf die Mühsamkeit und Genügsamkeit der Jüdischen Nation radicirt wird, so entsteht ein Gewerbe, auf dessen Dauer und Solidität man gewis rechnen kann. Soll dies aber 40 geschehen, so muß ich mir folgende Begünstigungen erbitten:

8 Einrichtung von Kantenmanufakturen und Anstellung jüdischer Arbeiterinnen

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1., es müssen Fabrikenhäuser in den vorzüglichsten Knöppel Städten, als Filehn, Schönlancke, Czarnikowe, Schneidermühl, Lobsens und Flato auf Kosten des großen Potsdamschen Waysenhauses erbaut werden. In diesen Häusern geschieht der Unterricht der Arbeiterinnen, und ich verzinse dem Waysenhause die Baukosten mit 10 pro., trage alle reparatur Kosten, 5 und setze die factorehsen, die den Unterricht besorgen, auf meine Kosten an 2., muß mir so lange, bis ich die feine fabri10

Blatt 7 verso fabrication in WestPreußen zur perfection gebracht habe, erlaubt werden, jährlich ein Quantum von fremden Kanten und Blenden, gegen 5 pro. Accise einzubringen. 15 Dies Quantum soll in sechs hinter einander folgenden Jahren wenigstens 25.000 rthlr. alle Jahre betragen, und Ich mache mich anheischig, binnen dieser Zeit 1250 rh. Acci./n alljährlich zu erlegen, auch wenn daß importations quantum nicht 25.000 rh. im Jahre betragen haben sollte. Sonst will ich alle quanta, die ich einbringe, mit der factura belegen, die Waare an die Adresse, die mir aufgegeben 20 wird, adressiren, und alles Mögliche zur Sicherstellung der Accise Gefälle beobachten. Bey diesem Punckt habe ich noch ein paar Neben Ideen. Könnten von den 1250 rh Accise Gefälle, zu denen ich mich auf 6 Jahre anheischig mache, jährlich 600 rh. als praemien für die beste Kanten Arbeit in West Preußen ausgesezt werden, so bestimme ich aus meinem Vermögen zu eben der Absicht 400 rh., und 25 dann wird der Werth den die Kantenfabrication für das Land hat, desto früher herbei geführt. Könnten ferner die Fabrikenhäuser 30

Blatt 8 recto ser, um die ich bitte, auf zwey Etagen eingerichtet werden, so würde ich in der unteren versuchen, durch Juden Tuche zum ausländischen Absatz weben zu laßen; eine Idee, wozu mir die Begünstigung der Judenschaft, die iezt an den bürgerli- 35 chen Gewerben Theil nehmen soll, Gelegenheit giebt. 3., müßte ich mir für jede arbeitende Juden familie einen halben Haufen Holz, zu einem mäßigen Preise, aus Königl. Forsten erbitten; 4., um die Verwendung Eines Hohen Departements, daß mein Contract mit dem großen Potsdamschen Waysenhause, der nur bis 1796 lauft, bis ulti- 40

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mo 1802. verlängert wird, und in seiner völligen Kraft verbleibt; und 5., muß ich um eine Bekantmachung an alle West Preußischen Magisträte bitten, daß da der Judenschaft nun mehr Mittel und Wege an die Hand gegeben sind, sich durch Arbeit zu ernähren, sie auch nachdrücklich von allem unerlaubten Wucher und ins/

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insbesondere dem Hausiren auf dem platten Lande abgehalten werden. Werde ich nicht darum unterstützt, wenn ich die Sache so nachdrücklich angreife, so kann ich die Folgen vorher sagen. Mein Waarenlager dessortirt sich je länger je 15 mehr, die feine Arbeit aus Potsdam wird immer seltener, und so muß mit diesem Institut auch das West Preußische eingehen, und alle die Vortheile cessiren, die sich im entgegen gesezten Falle mit Grunde erwarten laßen. Dies war es dann, was Herr Comparent zur Erleuterung seiner Eingabe vom 20 25. vor. Mon. Anführen wollte, und was derselbe eigenhändig

Benjamin Veitel Ephraim wie vorstehet, unterschrieb Wie oben CFSpener 25

acht Stück Kanten mit ihren Knöppeln, die ich meiner Eingabe beygefügt hatte, sind mir dato richtig und complett retradirt BVEphraim

9 Denkschrift über die Lage Frankreichs für den Preußischen Hof vom Februar 1793 Quelle: GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13 Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

Blatt/Seite 9a Zur Beurtheilung eines moralischen Uebels ist es, wie bey einem physischen, wohl eben so nöthig auf die wahre Ursache und den Ursprung deßelben zurück zu gehen. Ich werde mich nicht bey bekannten Thatsachen der jetzigen französischen Revolution aufhalten, sondern mich bemühen dem Geist derselben und der Wirkung die sie auf Frankreich und die übrigen Mächte gehabt hat, nachzuspühren, und sie durch gedrungne Sätze in klares und deutliches Licht zu stellen. Ambition, dieses Vehikel alles Guten und Bösen, hat auch leider hier sein Spiel getrieben. Frankreich konnte die im siebenjährigen Kriege empfangne Wunde nicht verschmerzen. Statt die Scharte der erlittenen Verluste durch beßere ökonomische Einrichtungen der Finanzen, Industrie und Handlung auszuwetzen, verfiel man leider auf die gemeine Leidenschaft, sich zu rächen, und wo möglich durch entfernte Eroberungen sich auszubreiten. Bey Eroberungen aber, die durch Menschen, Geld u. Anleihen bewürkt worden, haben selten Staaten gewonnen, geschweige bey entfernten. Gerade durch die erlittenen Verluste hätte Frankreich einsehen müßen, daß entfernte Vortheile gemeinhin von keiner Dauer sind. Ein Land wie Frankreich, das mit allen möglichen Naturgaben gesegnet ist, bedarf keiner Eroberungen. Frankreich hätte in sich selbst noch Mittel genug gehabt, sich in Reichtthum und Volksmenge zu verdoppeln. Hat sich doch die Mark Brandenburg, eine Sandscholle, in einem halben Jahrhundert beynahe in allen Vortheilen triplirt. Allein von jeher hat eine unnütze ägyptische Pyramide, wovon die Nachwelt nicht einmal weiß, weßen Asche darunter ruhet, die Menschen mehr angezogen und die Nachahmung angespornt, als der Anblick einer glücklichen Bauerhütte. Leider haben intensive Verbeßerungen, die nur allein wahre Vortheile des Staats und die ächte Glückseligkeit des Volks ausmachen, nicht so viel anziehendes, als Eroberungen, da diese doch beständig Kriege nachführen und mit Menschenblut gedüngt werden müßen. Man war einmal in Frankreich gestimmt zu glänzen, und zuletzt hat man sich

https://doi.org/10.1515/9783110739770-014

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durch den Glanz selbst verblendet. Man suchte die Englisch Americanischen Kolonien gegen ihr Mutterland aufzuhetzen. Dies kostete Frankreich über 100tausend Seelen, und die bereits angewachsene ungeheure Schuldenlast vermehrte sich um 1500 Millionen. Es wurde Friede gemacht, und der einzige Vortheil, den Frankreich dabey gehabt, oder genoßen, u. genießen wollen, war die Ambition, England gedehmüthiget zu haben. Jene 1500 Millionen vermehrten die jährliche Intereßen Ausgabe um wenigstens 100 Millionen, diese mußten also durch neue Auflagen erpreßt werden. Da gleichwohl jede Sache bey einem gewißen Punct stehen bleiben muß, so ist dies ebenso auch mit den Auflagen. Der Staat bedurfte wegen der currenten Ausgaben und der ungeheuern Zinsen jährlich zwischen 6 bis 700 Millionen; und dies ist eigentlich was nur in den Staats Ausgaben berechnet wurde; noch 300 Millionen wurden, ohne Rechnung davon abzulegen, von den armen Unterthanen erpreßt; welches alles noch um so beschwerlicher wurde, da viele Klaßen Menschen von Abgaben befreiet waren. Das bekannte Deficit zwang den König die Notablen zu berufen; die übrigen Revolutions Umstände sind jedem bekannt. Außer England ist kein Staat in Europa, der ein Beyspiel aufweisen könnte, daß der Monarch, nur allein und lediglich, wegen zerrütteter innerer Finanzen, mit seinen Unterthanen in Collision gekommen wäre; und ich glaube nicht, daß der hochselige unglückliche Ludwig der XVIte mit der Americanischen Aufhetzung u. den daraus entstandenen Folgen, den übrigen Mächten Europas einen Dienst geleistet habe. Die jetzigen 740 französischen Tyrannen haben auf die schrecklichste Art ihren Wohlthäter gemishandelt, der doch nach ihren Grundsätzen u. Schimären die erste Ursache zur Revolution war, indem er durch die Americanische Revolution den Grund zu der jetzigen legte; und wenn anders dieser unglückliche König strafbar gewesen ist, so war er es vielleicht nur in dieser Hinsicht, wegen der zugefügten Beleidigungen und Unruhen, die er durch diese Revolution den übrigen Mächten verursacht hat*

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[Anmerkung] Was mein Auftrag in Brabant war, kann ich durch authentische Urkunden

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Dies war die Quinteßenz bezugsweise auf den unglücklichen u. gewis zu beweinenden Ludwig den XVIn. Ich will nunmehro einen Blick auf diejenigen werfen, die jetzt die Revolution gemacht haben. Jede Revolution, sie bestehe in politischen 40 oder moralischen Meinungen, theilt sich in zwo Klaßen Menschen; in Betrüger

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und Betrogne. Der tugendhafte Mann sucht nur Uebeln vorzubeugen; aber selten hat dieser den Muth, geschehenes Uebel schnell und mit Gewalt wegzuräumen. Wenn also ein solcher Mann auch Misbräuche in seinem Staat antrift; so hat er nie die Herzhaftigkeit, nochviel weniger die Frechheit den Staat einer Krisis blos zu stellen. Die Revolutionairs sind also gemeiniglich solche Menschen, die ihr Haab u. Gut verschwendet haben, oder sich in ihrer Ambition getäuscht finden, u. sich dadurch ein Relief geben und sich wieder aufhelfen wollen. Dies war der Fall der französischen Revolution. Wenn solche Menschen einmal den Regierungsstab in Händen bekommen; so ist ihnen nichts heilig, und alles zweckt nur dahin ab, sich zu erhalten, und die größten Schandthaten werden mit dem Ausspruch: Ce sont les circonstances du tems bemäntelt. Von welcher Klaße von Menschen diese waren überlaße ich jedem Monarchen die Namenliste davon nachzusehen. Selbst ein Nero kann und muß endlich durch das Elend seines Volks zu etwas bewogen werden; aber kein Marius u. Sylla; und deren sind jetzt in Frankreich 740. Dies ist der Gesichtspunct aus welchem ich die jetzige Revolution sehe, und eben dies veranlaßte mich, während meiner Zurückkunft aus Frankreich Se. Königl. Majestät mit Memoires zu behelligen. Meine Absicht war stets, diesen 740 Tyrannen allen Vorwand des Krieges zu benehmen, und sich unter sich selbst aufreiben zu laßen. Auf einen Theil dieser Memoires haben Ew. Königl. Majestät die Gnade gehabt mir zu antworten. Daß ich die Begebenheiten aus keinem falschen Gesichtspunct

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[Fortsetzung der Anmerkung] beweisen, daß nur in dem Fall, wenn Preußen mit Oestreich in einen Krieg verwickelt werden sollte, man mit ihnen gemeinschaftliche Sache machen würde. Diese Drohung u. Furcht hat auch den guten Effect gehabt, Oestreich 25 zum Frieden zu zwingen; und in sofern glaub‘ ich, ist dies keinem Staat unerlaubt. Ob andere mehr versprochen, laß ich dahingestellt seyn.

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gesehen habe, beweiset deutlich das Pronostique, so ich den 27‘- Decbr. 1791 Eurer Königl. Majestät überreichte, und hiebey nochmals begleite. Man erlaube mir, dies Pronostique nunmehro fortzusetzen. Europa hat sich gegen Frankreich verbunden, und wenn es möglich wäre durch einen coup de 35 main etwas zu entscheiden, so müßte Frankreich natürlich unterliegen. Der einzige Weg, wo dies Reich vielleicht noch mit Vortheil anzugreifen ist, ist von der Seite des Elsaßes, Lothringen u. Flandern. Hier drängen sich aber auf einen engen Bezirk von beiden Theilen 500tausend Menschen zusammen. Bey den combinirten Mächten ist der Bedarf der Verpflegung unbegreiflich groß. Die Anschaffung 40

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der Subsistenz ist vielleicht bey guter Ordnung möglich; aber nicht so in der Fortdauer die Anschaffung des Geldes zu dieser Ausgabe. Gewonnene Schlachten u. eroberte Festungen sind nicht hinreichend, ein Königreich wie Frankreich zu erobern, und es ist falsch, wenn man glaubt, dies Land durch Mangel an Getreide und Geld zu bezwingen. Ich muß mich hierüber etwas weitläuftiger erklären. Sowohl Necker als Calonne, u. alle französische Finanzminister stimmen darin überein, daß alle Jahre im Durchschnitt genommen, Frankreich keinen Mangel an Getreide hat. Wenn wir diese Basis annehmen, so entsteht eine Hauptfrage: Da seit 1789 kein Miswachs in Frankreich gewesen, woher denn der Mangel des Getreides? zumal da Frankreich überdies seit eben dem Jahr über 145 Millionen von auswärts an Getreide hat kommen laßen? Die Ursachen sind folgende: 1. Es ist bekannt, daß die nördlichen, französischen Länder einen Ueberschuß und die mittäglichen Provinzen einen Mangel an Getreide haben. Wenn die innere Circulation nicht durch Unruhen gestöhrt wird: so vertheilt sich der Ueberschuß der ergiebigen Provinzen successive von einer Provinz zur andern, bis zu den mangelnden Provinzen. Die anhaltenden vierjahrigen Unruhen aber haben diese Circulation gehemmt. 2. Das vermehrte Papiergeld muß beständig zwo Wirkungen hervorbringen; die Steigerung aller übrigen Objecte durch die vermehrte Quantität des sogenannten circulirenden Geldes, u. ferner den Miscredit

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gegen den Repräsentanten der klingenden Münze. Ein jedes Individuum, das sonst seinen Ueberfluß in dem Repräsentanten aller Objecte, das heißt, im Gelde, oder auch allenfalls in Staatspapieren zurückgelegt hat, tresorirt jetzt die Objecte selbst. Ich bin also versichert, daß in Frankreich zu keiner Zeit ein größerer Vorrath an Getreide war als jetzt.

So weit vom Getreide, nun ihr Geld betreffend: Frankreich hat den jetzigen Krieg noch immer nur durch Papier geführt; dies ist jetzt, da die französische Revolution eine tyrannische Wendung genommen, nicht mehr werth, als die Spartanische Eisenmünze; denn nur die gegebne Sicherheit dieses creirten Papiers kann Vertrauen bey einem gut organisirten Staat hervorbringen, aber nicht bey einem Staat, wo eine Räuberbande nach Willkühr 40 regiert. Es ist falsch, daß Frankreich von Geld entblößt worden sey; es ist unbe35

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trächtlich, was es bey der jetzigen Revolution an klingender Münze außerhalb Landes verthan hat. Wenn ich sage unbeträchtlich, so versteht es sich für Frankreich. Denn was hat dieser Staat nicht seit dem Anfange des siebenjährigen Krieges außer Landes für eine schreckliche depense gemacht? Ich will durch die abgelegte Neckersche und Montesquieusche Rechnung nachweisen, daß solches über 5 2000 Millionen betragen hat. Und was hat dies Frankreich geschadet? Nichts. Man sey also versichert, daß in Frankreich eine ungeheure Anzahl Millionen an klingender Münze versteckt unter denen vorräthig sind, die von jeher in Frankreich von allen Abgaben befreiet waren. Eine jede andere Macht, die nach Gesetz und Billigkeit regiert, kann nicht 10 nach Wohlgefallen mit dem Gelde und Getreide der Unterthanen schalten u. walten. Aber im jetzigen Frankreich ist es leider ganz anders beschaffen. Es ist ein innerer Krieg der ehrsüchtigen Revolutionairs und des Armen gegen den Reichen. Es hat sich alles umgeschaffen, und die berühmte Lanssche Mißisippi Operation hat bey weitem nicht so sehr den schleunigen Uebergang der Glücksgüter von ei- 15 ner Hand zur andern hervorgebracht, was die jetzige Revolution bewirkt hat. Ein jeder steht durch die geraubten 5000 Millionen

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Geistlicher-, Adlicher-, u. Domainen-Güter und des aufgehobnen Feudal Systems, in eines andern Stelle. Ein für allemal ist es eine ausgemachte Sache, daß der Räuber, wenn es ihm glückt, immer mehr Reßourcen hat, als der Rechtschaffene. Wenn also der Krieg, wofür die Vorsicht behüte, länger als diese Campagne dauern 25 sollte, so prophezeihe ich folgende zwey Decrete der Nationalversammlung: 1. Daß ein jeder seine vorräthige klingende Münze und Getreide bey LebensStrafe, gegen Aßignate an den Staat ausliefern muß. 2. Zur Sicherheit dieser neuen creirten Aßignate werden die auswärtigen Er30 oberungen an Domainen, Adlichen und Geistlichen Güter gegeben. Ich habe bereits gesagt, daß die jetzige Revolution platterdings eine Revolution des Armen gegen den Reichen ist. Einmal hat man bereits den Stand der Menschen verändert. Jene geraubten 5000 Millionen Güter, wie auch geraubte Rechte der Gutsbesitzer gegen ihre Unterthanen, haben den Besitz alle Reichthümer des französi- 35 schen Staats in andere Hände gebracht, und nunmehro muß das Vermögen dieser neuen Besitzer (denn diese sind jetzt die Reichen) wiederum in andere Hände gebracht werden. Dies zu bewirken, pronosticire ich obige zwey Decrete. Dies sind aber nur Schritte, die durch Usurpateurs, gleich den 740 französischen Tyrannen ausgeübt werden können; welches aber bey gesitteten Völkern 40

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nicht Statt findet; und eben aus diesem Grunde behaupte ich, daß die Franzosen es mit Geld, Menschen u. Getreide länger als die übrigen Mächte aushalten können. Nichts ist schädlicher und unpatriotischer als einen Staat durch falsche Hof5 nungen zu induciren. Man will die combinirten Mächte bereden, daß es Frankreich an Getreide fehle, und daß die Zufuhr gehemmt werden könnte. Was das fehlende Getreide in Frankreich anbelangt, habe ich schon zur Genüge gesagt. Ich will nun noch hinzufügen, daß durch die Eroberungen von Flandern u. Brabant Frankreich einen großen Zuwachs an Getreide erhält; denn dies Land hat, ein Jahr ins 10 andre gerechnet, 10 bis 12 tausend Last (30/m Wspl.an Waitzen) exportirt. Dies ist allein hinreichend 150/m Mann zu ernähren.

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Wozu also alle Blendwerke und Täuschungen sowohl dieserhalb; als in Ansehung der Hemmung der Zufuhr? Einem Lande wie Frankreich, deßen halber Bezirk von der See benetzt wird, kann die Zufuhr unmöglich abgeschnitten werden; wenn auch der ganze Strand mit Kriegsschiffen besäet wäre. Um dies zu beweisen, will ich nicht einmal meine Zuflucht zu der Proviantirung von Gibraltar nehmen. Im siebenjährigen Kriege wurde Kolberg von einer Rußischen Flotte blockirt gehalten. Mein Vater schickte mich nach Lübeck, um von da aus Kolberg mit Lebensmitteln zu proviantiren. Jeder weiß wie sandig und unsicher die Ostsee u. besonders der Hafen von Kolberg ist. Demohngeachtet segelten 7 Proviantschiffe durch die Rußische Flotte durch; zwey wurden genommen, und fünf kamen sicher in den Hafen. Man kann versichert seyn, daß nicht allein neutrale Mächte, sondern sogar Engländer u. Holländer mit Munition und Provision die Franzosen versehen werden. Die Schwierigkeit, Frankreich die Zufuhr an Getreide zu sperren besteht auch in deßen Flotten. Man schmeichelt sich zwar, daß es den Franzosen an Schiffbau–Materialien fehlen wird; und ich will gern zugestehen, daß besonders die Zufuhr des Schifbauholzes schwürig ist, weil die Maße zu groß, und eine große Menge Schiffe dazu gehören. Allein auch dies können sie durch das Schifbauholz, was sie in Korsica vorräthig haben, ersetzen. Bereits unter der Assemblee constituante machte ein gewißer Neufchateau zur exploitirung dieses Holzes Pläne und Vorschläge, u. bewies, daß durch die darauf zu verwendenden Unkosten das Holz dennoch nicht theurer als das auswärtige zu stehen kommen würde. Die Assemblee nahm diesen Vorschlag nur darum nicht an, weil man den auswärtigen Mächten etwas laßen müßte, um ihre zur exploitirung dieses Holzes zu berichtigen, und sie glaubten, daß Frankreich glücklicher ohne See-Macht sey.

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Sie stützten sich sogar zu der Zeit auf die Aeußerung des Hochsel. Königes, daß es unmöglich für einen Staat sey, eine große Land- u. See-Macht zugleich zu unterhalten. Ich habe in meinen Depechen zu der Zeit die Pläne und alles davon mitge5 theilt. Da Landungen in Frankreich Schimären sind : so werden die Franzosen wenn es ihnen an Schiffbau-Materialien fehlen sollte, lieber ihre auswär10

Blatt/Seite 12b tigen Etablißements und Kolonien verlaßen, und sich nur auf das veste Land einschränken. Sie werden dieserhalb demohnerachtet den Handel mit ihren Kolonien so wenig einbüßen, als die Engländer solchen durch die Abreißung der Americanischen Staaten verloren haben. Ueberdies können die Americanischen Staaten die Vereinigung Spaniens mit England unmöglich gleichgültig ansehen; und sobald Spanien sich gegen Frankreich erklärt: so werden jene sich vielleicht nicht für Frankreich, aber demohnerachtet gegen Spanien erklären, u. Frankreich mit Korn u. Holz proviantiren. Ich will die widerstrebenden französischen Kräfte nur in eine Recapitulation zusammenziehen: 1. Der jetzige französische Staat enthält nicht 25 Millionen, sondern, wenn ich Brabant, Flandern, Lüttich und Savoyen mit dazu rechne, zwischen 28 bis 29 Millionen Seelen. 2. Ich habe klar und deutlich dargethan, daß es Frankreich weder an Geld noch an Getreide fehlen kann noch wird. 3. Auch an Schifsmaterialien wird es im ersten Jahre nicht mangeln. Gesetzt aber es sollte den combinirten Mächten, wie allerdings zu wünschen u. zu hoffen ist, in allem glücken : so ist es demohnerachtet eine Unmöglichkeit, Frankreich ohne einen 3 bis 4 jährigen Krieg zu überwältigen.

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Man muß das jetzige Frankreich nur als ein Nest, worin sich eine Räuberbande aufhält, betrachten. Wenn entschloßne Räuber sich überwältigt sehen, so trauen sie mit Recht keiner Capitulation, sondern ziehen sich in Klüfte, Gebürge u. Wal- 35 dungen. Dort wehren sie sich mit dem Entschluß, ihren Tod theuer zu erkaufen, aufs äußerste. Dies wird der Fall lediglich mit Frankreich seyn. Auch bin ich versichert, daß sie den Krieg mit der ganzen Welt suchen. Man kann jetzt Frankreich mit einem Banquier der Hazardspiele vergleichen, denn es hat nur Eine Summe gegen alle zu risquiren, wobey die Summe der Pointeurs seine Bank bey weitem 40

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übersteigt; auch ist ein solcher Banquier gemeiniglich kein rechtschafner Mann, da er sich in der Mischung der Karten alles Unrecht erlaubt. Alle meine bisherigen Betrachtungen, Aeußerungen und 5

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Voraussetzungen sind allen combinirten Mächten gemein. Nun will ich mich auch bey dem Preußischen alleinigen Intereße einen Augenblick aufhalten. Nichts kann Preußen gefährlicher werden, und den Krieg zwischen Oestreich u. Preußen verewigen, als wenn es, wofür Gott behüte, den Franzosen glücken sollte, die Niederländischen Provinzen von Oestreich abzureißen. Oestreichs Ohnmacht bestand nur in diesen entfernten Etablißements. Verliert es die Niederlande, so verliert es im geringsten nichts, weil es als dann gewiß weder die Schulden, noch die darauf haftenden jährlichen Zinsen bezahlen wird. Dagegen wird es gewis an intensiven Kräften zunehmen, wenig entfernten Kriegen ausgesetzt seyn, und combinirt mit Rußland, den angränzenden Ländern Gesetze vorschreiben. Ob Acquisitionen diese benannte Gefahr der Ausgaben von 25 Millionen Thaler, und vielleicht den Verlust von 50/m Menschen, nebst allem übrigen vielfältigen Kriegs-Ungemach u. vornemlich die Verminderung der intensiven Kräfte aufwiegen können, das muß ich Staats Männern mathematisch u. politisch zu berechnen überlaßen, und ich werde mich nie erfrechen, obiges zu beurtheilen. Ich bin gewiß versichert, daß ein tugenhafter Monarch, wie der Unsrige, solches auf der Waagschale der Gerechtigkeit u. des Intereße seiner Staaten selbst wird abgewogen haben. Das einzige nur wofür einen jeden Rechtschafnen schaudern muß, ist, daß, so wie die Anstalten bis jetzt sind, man ganz u. gar keine Aussicht zu einem Zeitpunct des Friedens angeben kann. Da ich meine Gedanken nicht, wie zu verabscheuende Aufwiegler, dem Volk, oder sonst jemand mittheile, und man mir bis jetzt gewiß keine wuchernde, oder sonst eigennützige Nebenabsichten darthun kann : so halte ich es mir nicht allein erlaubt, sondern für meine Schuldigkeit, solche Ew. Königl. Maj. zu Füßen zu legen. Auf welche Art auch die Franzosen den Krieg führen werden,

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Blatt/Seite 13b glücklich oder unglücklich, so ist bey diesen unruhigen, die Römer nachahmenden Menschen, so leicht kein Friede durch den Ausgang der Waffen zu hoffen; die 40 einzige Möglichkeit scheint mir nur folgende:

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Ich habe bereits angezeigt, daß es unter den Revolutionairs Betrüger und Betrogne giebt. Unter den betrognen Revolutionairs befinden sich würklich sehr rechtschafne Leute. Diese wollen wohl Abänderung im Staat, aber keine Greuel. Sie sind aber so gebeugt, daß sie allen Muth verloren haben. Sie müßen daher einen Stoß bekommen; dieser Stoß aber muß durch eine reine Hand geschehen, und zwar von solchem Auswärtigen, der sich durch seine unpartheyische Aufführung und nicht durch Fineßen und Ränke bey diesen Leuten Vertrauen erworben hat. Ein jeder hat seine Lieblings-Schimäre und Egoismus; ich bin nicht frey davon. Vielleicht würden meine in Frankfurth gemachten Offerten, (wenn sie hätten Statt finden mögen) die aber vermuthlich zu der Zeit nicht acceptable gewesen) manchem Greuel vorgebeugt haben; vielleicht können auch noch manche ähnliche Greuel verhütet werden; denn bey der ersten verlornen Schlacht ist dergleichen allerdings zu befürchten. Die Schwierigkeit, mit wem man tractiren soll, ist nicht schwer zu beantworten, mit Räubern und Banditen; man muß aber ihre Sprache reden. Ich habe nie, selbst in meiner gefährlichsten Lage, den Preußl. Staat compromittirt, und ich werde nie in der Folge, weder die Preußische, noch die übrigen Mächte, in allen wozu ich mich würde brauchen laßen, compromittiren. Ich bin evident überzeugt daß, wenn die übrigen Mächte nur darin einwilligen, daß Preußen, aber auch nur Preußen, die französische Constitution garantiren möge, alles wieder in das vorige Geleise zu bringen sey; und nur durch dies Mittel allein kann der jetzige desastreuse Krieg nicht nur zum Vortheil aller Mächte geendiget, sondern ihm auch auf 20 Jahr vorgebeugt werden. Ein größeres Detail würde ein beleidigendes u. strafbares Unternehmen gegen die Einsichten Ew. Königl. Maj. seyn.

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Blatt/Seite 14a Man erlaube mir, meine Gedanken mit einer traurigen Aussicht zu beschließen. 30 Wenn anders Frankreich nur durch die Macht der Waffen zur Vernunft zurück gebracht und zerschmettert werden müßte : so kann der mercantilische Despotismus den Engländern platterdings nicht entgehen, und ganz Europa wird zu Grunde gerichtet. Hieraus erhellet, daß man zwo Gefahren zu widerstreben hat: 1. Einem Volk Einhalt zu thun, das die Römer in Ambition und die daraus 35 fließenden Eroberungen nachahmt; dies sind die jetzigen Franzosen. 2. Einem andern Volk, das den mercantilischen Despotismus u. Monopol mit der größten je existirenden Seemacht unterstützt u. ausübt, und wie ein Igel das Blut von ganz Europa unvermerkt und im Stillen aussaugt. 40 Dies sind die Engländer.

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In dieser Hinsicht sind, nach meinen Gedanken, die Engländer weit gefährlicher, als die Franzosen. Denn da die Pläne der Franzosen jeder andern Macht hell u. deutlich in die Augen fallen; so kann man denselben auch öffentlich widerstehen, und wenn es recht angegriffen wird : so müßen sie durch ihre innere 5 Unruhen sich selbst aufreiben. Aber nicht so mit den Engländern. Die Pläne dieser Nation sind so künstlich verwebt, daß die wenigsten Mächte es durchschauen können. Berlin im Febr. 1793

10 Denkschrift über die wirtschaftliche Lage Preußens für den Preußischen Hof vom Februar und Juli 1794 Quelle: GStA PK, VI. HA, Nl Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von – B. I. Nr. 13 Schriftwechsel zwischen Bischoffwerder und Ephraim, sowie Denkschriften des letzteren, 1791–1794. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

I. Blatt/Seite 15a Bey politischen Betrachtungen läßt sich nur als dann etwas zuverläßiges vestsetzen, wenn die Basis dazu von Finanz u. Handlung genommen wird. Nach diesem Grundsatz entwarf ich mein Memoire vom Febr. 1793, und ich will ihn auch jetzt befolgen. Daß England sein politisches System nur auf mercantilischen Despotismus gründet, hat sich durch Thatsachen bestätigt. Dieser in der Politik dominirende Staat ist seinem System mit Emsigkeit gefolgt u. treu geblieben. Die Americanischen Staaten sind in facto für England nicht verloren; sein westindischer Handel ist im blühendesten Zustande. Das einzige worauf es noch abzielte, war das Monopol des Ostindischen Handels, und diesen hat es durch die Eroberung von Pondichery nun auch erhalten. England ist wenig an Länder-Eroberungen gelegen, die seinen Handel nicht erweitern. Der Staat läßt den Nutzen aller mercantilischen Eroberungen lediglich den Unterthanen, u. die darauf vom Staat selbst gemachten Vorschüße u. Unkosten sucht man durch Auflagen auf diejenigen Unterthanen, die die mercantilischen Eroberungen nützen, zu vergüten, und die Intereßen dieser Vorschüße damit zu bezahlen. Solange es die Schultern dieser Unterthanen tragen können, wird man indirecte die ihnen gegebnen Vortheile benutzen; und selbst wenn einst ein Staats-Bankrott entstehen sollte : so werden Auswärtige eben so viel wie die Engländer selbst zu ihrem mercantilischen Despotismus beygetragen haben. Als England seine Vortheile durch den zerstöhrenden französischen Commerztractat aufgeben mußte, so war der Krieg für daßelbe erwünscht, ohnerachtet es ihn nicht gesucht hatte. Es amusirte damit, u. vornemlich mit der vorgespiegelten französischen Landung, ganz Europa. Gern hätte England,

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Schweden u. Dännemark auch in diesen Wirbel gezogen, um ihre wenigen Kräfte vom Handel abzuziehen. Alles dies bestätigt meinen Satz, daß England nur den Monopolhandel der ganzen Welt sucht, die Wege dazu sind ihm alle gleich. [der Interloppenhandel auf den Americanisch Spanischen Küsten, ist für England vielleicht größer als der Werth des ganzen Preußl. Handels.] Seine ungeheuern Flotten werden bis jetzt nur zur Sicherheit des Handels gebraucht, und der einzige noch etwas beträchtliche Holländische Ostindische Handel wird ehestens auch zu Grunde gerichtet seyn. Im ganzen hat England bey dem jetzigen Kriege weit mehr durch mercantilischen Despotismus gewonnen, als an Unkosten verloren; denn wie gesagt, in England sind die Vortheile des Staats mit jedem Individuum in Einer u. derselben Maße; dies können wir aber von dem Preußischen Staat nicht sagen. In dem Preußischen Staat können unmöglich Verbeßerungen des Handels und der Fabricken, oder Erweiterung des Nahrungsstandes, anders, als durch Vermehrung der Circulation Statt haben. Wie sehr aber das Numeraire in diesem zweyjährigen Kriege vermindert worden, ist niemanden unbekannt; ich glaube daß man es in 3 Klaßen abtheilen könne. 1. Die Verminderung desjenigen Geldes, was gewöhnlich jährlich durch Ausbezahlung des Soldes der am Rhein befindlichen Truppen im Lande circulirte. 2. Dasjenige Geld, was durch die Zerstöhrung der Bilancen nicht circulirt. 3. Diejenigen Summen, die wegen der Mobilmachung, Magazin-Anstalten p. von der Mobilmachungs Kaße u. dem Tresor außerhalb Landes circulirt. Ad 1. Die abwesende Armee verursacht einen doppelten positiven Verlußt in der Circulation. Denn außer, daß der Sold nicht

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Blatt/Seite 16a im Lande circulirt, und diese Millionen unwiderbringlich verloren sind : so ist auch der producirende Theil dieser Armeen abwesend, die auch ihr eignes Ver35 mögen außerhalb Landes verzehrt; mithin wird durch die mindere innere Consumtion ein Minus in den Staats Revenuen veranlaßt. Ad 2. Entsteht auch ein doppelter Verlußt in den Bilancen. Beynahe die ganze Schlesische production an Leinwand und übrigen Schlesischen Producten zum 40 auswärtigen Debit ist zernichtet; auch der Westphälische Handel nach Frankreich

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ist verloren. Dieser Verlußt in der Staats Bilance wird nicht durch die Ausfuhr des Getreides ersetzt; denn bey dem Getreidehandel in den Preußischen Staaten können nur die Commission-Gebühren, die durch einen Oeconomie Handel mit diesem Getreide erworben werden, in die Balance aufgeführt werden; indem der größte Theil des ausgeschickten Getreides in Polen producirt u. von Preußen be- 5 zahlt worden. Selbst die Ausfuhr von Südpreußen ist bis jetzt noch verboten gewesen, und überdies wird dies Land noch als ein fremdes Land behandelt. Dies ist also ein wahrer Balance Verlust, u. entgeht mithin der jährlich ersetzenden Circulation. Noch positiver ist der Verlust der Circulation durch die Steigerung u. nicht verminderte Einfuhr der auswärtigen Bedürfniße. Alle auswärtigen Producte sind 10 durch den Krieg sehr gestiegen, wofür jährlich Millionen mehr außerhalb Landes gehen. Leider hat diese im Werth vermehrte Importation an auswärtigen Waaren auch einen unmittelbaren Einfluß auf die inneren Preußischen Productionen; denn wenn diese nur (ohngeachtet des gesammten Absatzes) fortgesetzt würden : so würde das Uebel wohl in etwas gemindert seyn; weil es zuweilen für den Staat 15 beßer ist, die Productionen selbst als den Werth derselben in Gelde zu besitzen. Allein diese

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Productionen werden durch den Mangel an Gelde ebenfalls gehemmt; denn der unmittelbare Tausch von Producten gegen die ersten Nothwendigkeiten findet nicht Statt; mithin muß beständig der Repräsentant alles Nothwendigen, nemlich das Geld, in jährlicher Quantität circuliren. Man wird also daraus ersehen, wie un- 25 geheuer dieser doppelte Verlust auf den Preußischen Staat wirken muß. Ad 3. Preußen muß zu Grunde gehen, wenn deßen Armee im Tresor, das heißt, das baare vorräthige Geld, nicht in eben dem Verhältniß, wie die stehende Armee besteht. Soll das Tresoriren nicht das Land an circulirendem Gelde erschöp- 30 fen: so ist die beste Methode, die Zölle, die der Oeconomie-Handel abwirft, und von Auswärtigen getragen wird, nur zum Tresor-Etat zu bestimmen. Durch den jetzigen Krieg und durch die in Europa vorgegangnen Veränderungen haben u. werden diese Zölle abnehmen. Es bleibt also kein ander Mittel um diese zu ersetzen (und das Leere muß ersetzt werden) als auch diese Maße aus der Circulation 35 heraus zu heben; und kann dieser Satz anders, als durch neue Contribution erlangt werden? Um das Schädliche der obangeführten drey Sätze zu heilen, das heißt, um schleunig wiederum alle Ausfälle zu ersetzen, (denn durch gute Wirtschaft, Oeconomie u. heilsame Einrichtungen solche schreckliche Summen zu ersetzen, dazu 40

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gehört eine Zeit von 20 Jahren) muß meines Erachtens der Ersatz des auswärts gegangnen Geldes, das wenigstens bis 1/3 der ganzen Circulation beträgt, durch erhöhete Contribution bewirkt werden. Ich stelle es aber einem jeden Patrioten u. wahrheitsliebenden Mann anheim, zu beurtheilen, ob es vernünftig sey, einem 5 geschwächten Körper noch eine größere Quantität Bluts abzuziehen? Ferner, ob man bey jetzigen Zeiten, wo eine jede neue Handlung von Schwindelköpfen zum Unglück des Staats, das heißt, lediglich und allein nur um Unheil zu stiften, benutzt wird, 10

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die Vermehrung der Lasten des Volks anrathen kann? Nur innere Ruhe und äußere Sicherheit können der Vermehrung des Unglücks steuern und Veranlaßungen geben, wie man diesen Uebeln abhilft, und neue innere Anordnungen ohne Aufsehen u. Druck einführe. Hinzu sehe ich kein anderes Mittel als den Frieden. Die neue Acquisition der Süd Preußl. Provinzen kann unendliche Vortheile für das Mutterland sowohl als für das Filial bewirken : allein jede neue Acquisition führt leider Kriege nach sich. Die Versicherung dieser Länder wird nicht durch Allianzen bevestigt, sondern durch reciproque Vortheile und Nothwendigkeit. So sehr auch das Türkische Reich und sogar Schweden ein Zero ist, so können selbige demohngeachtet durch die Cessirung des Krieges, durch Frankreich und durch die Herstellung ihrer Ruhe, Sterne der ersten Größe am Firmament werden; und diese verbundenen drey Mächte können u. werden lediglich u. ohne Allianz die neu acquirirten Länder an Preußen ohne ferneren Krieg sichern. Ich weiß den Einwurf, den man wegen des zu erlangenden Friedens macht, nemlich : Mit wem kann man in Frankreich negociiren? Allein eine jede Frage, die eine wichtige Sache, die doch geschehen muß, zu bewirken unmöglich macht, bleibt schon darum keine Frage mehr. Sämmtliche Mächte müßen nur guten Willen zeigen, und sich nicht durch die bisher angenommenen Principien der beleidigten Staats-Ehre abschrecken laßen. Was ist vermeinte Ehre, oder das vermeinte beleidigende Zuvorkommen gegen das Glück eines ganzen Staats oder vielmehr der ganzen Welt? Sobald man sich nach den jetzigen Zeiten und Umständen lenken wird, (das Vergangne ist nun einmal geschehen und nicht zu ändern) : so ist ein Friede in vier Wochen zu bewirken. Allein eine jede augenblicklich längere Verzögerung, wird für alle Staaten und besonders für Preußen höchst gefährlich werden.

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Blatt/Seite 17b Ich glaube gewis daß derjenige, der die jetzige Lage von Europa genau kennt, mit mir übereinstimmen wird daß nur ein allgemeiner Friede durch die reciproque Näherung von Frankreich und Preußen bewirkt werden könne. Daß es bey Frank- 5 reich, ohngeachtet aller ausgelaßenen Erklärung deßelben, ein Ernst ist, daran zweifle ich nicht. Febr. 94

II. Blatt/Seite 18a Die Volksmenge der Oestreichischen Niederlande kann wenigstens auf 2 ½ Million gerechnet werden. Die Haupt Productionen der ersten Nothwendigkeiten sind Getreide, Viehzucht, Butter und Leinwand. Nur an Waitzen allein werden jährlich wenigstens 30/m Wispel exportirt. Die Ausfuhr der Leinewand wird auf 4 Millionen Gulden, und diejenige des Viehes auf 2 Millionen angegeben. Frankreich er- 5 hält durch die jetzige Eroberung der Niederlande, was ihm bisher so sehr gemangelt, und durch den Besitz der beyden Seehäfen von Nieport und Ostende einen doppelten Vortheil. Es kann desto mehr Kaper nach der Nordsee ausrüsten und von daher mehr Getreide und andere ihm fehlende Artikel erhalten, ohne den Kanal passiren zu dürfen. Das Lüttichsche Land wird zwar nur auf ½ Million bis 10 600/m Menschen gerechnet, hat aber die beträgtlichsten Steinkohlen – Minen und producirt Eisen; desgleichen hat es ansehnliche Tuch – und Leder-Fabricken; zwey Artikel woran es den Franzosen sehr gemangelt hat. Die Gewehrfabricken sind im Lüttichschen in gutem Stande u. häufig, und die Franzosen können ihre Leute, die sie bisher mit dieser Fabrication beschäftigt haben, wiederum zu nütz- 15 lichern Arbeiten gebrauchen. Die Flandrischen Unterthanen sind noch einigermaßen zu Soldaten zu brauchen, aber nicht die Brabanter; diese

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haben sich bey aller Gelegenheit zaghaft bewiesen. Dagegen sind die Lütticher gute Soldaten und haben größtentheils bereits gedient. Bey den letzten Brabantischen Unruhen wollten die Lütticher 15000 Mann stellen; das wenigste aber was die Franzosen aus den Oestreichischen Niederlanden und dem Lüttichschen zur 25 Vermehrung ihrer Truppen anwenden können, ist 30/m Mann. Die Circulation der

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III Auswahl aus der geheimen Korrespondenz, Eingaben und Denkschriften

Französischen Assignate erhält itzt einen weiten Spielraum; denn der Reichthum der Niederlande ist unermeßlich. Der Werth aller Grundstücke, so die Stände 1789 aufnehmen ließen, belief sich auf 6000 Millionen Gulden. Während dem siebenjährigen Kriege unterstützten die Niederlande die Kaiserin mit 52 Millionen Gul5 den. Durch die Eroberung der Niederlande verliert Oestreich nicht allein eine Unterstützung von 20/m Soldaten und eine jährl. Revenu von 4 bis 5 Millionen Gulden; sondern es werden ihm und allen übrigen Mächten ihre Anleihen nicht nur allda sondern auch in Holland gehemmt. Bisher hat Frankreich seine Flotten nicht zu Eroberungen brauchen können. 10 Es mußte mit selbigen eines Theils die letzten Habseligkeiten aus Westindien decken, um solche nach Frankreich zu bringen; andern Theils um dem Schleichhandel von der Zufuhr der ersten Nothwendigkeit einen sichern Eingang zu verschaffen. Da es aber nunmehro seine ungeheurn Armeen 15

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besonders die Nord-Armee nicht aus Frankreich zu proviantiren nöthig hat : so wird die bisherige Zufuhr der ersten Nothwendigkeiten von außen, dadurch vermindert, und die Franzosen können ihre Flotten zu Eroberungen destiniren. Bey jedem Seegefecht wird England mehr Gefahr als sie laufen, indem es seine reichen Kauffahrtey Flotten decken muß : Frankreich hingegen kann bey einer verlornen Schlacht nichts als einige Schiffe verlieren, weil sein auswärtiger Handel ruinirt ist. Für alle von England eroberte Inseln giebt Frankreich nicht Eine Meile von den Eroberungen in Europa zurück; denn da Spanien u. Holland Friede machen werden und müßen, so wird Frankreich über lang oder kurz doch seine Inseln wieder bekommen. Zum Frieden aber werden jene Mächte deshalb sich genöthigt sehen, weil die Spanische Geistlichkeit durchaus keinen Krieg will, indem sie dadurch zu viel aufs Spiel setzt. Auch muß dieser Staat doch endlich einmal einsehen, daß der Ruin Frankreichs die mercantilische Bothmäßigkeit gegen England vermehrt. Holland hingegen ist deshalb zum Frieden gezwungen, weil die Demokraten daselbst eine große Rolle spielen. Gesetzt aber auch, der Friede wird auf dem festen Lande noch diesen Winter zu Rande gebracht : so dürfen doch die Franzosen den See-Krieg (wenn sie anders innere Unruhen vorbeugen wollen) nicht einstellen. Denn wenn sie auch behaupten, daß sie die Römer nicht nachahmen : so ist doch ihre jetzige Lage derjenigen der Römer so ähnlich,

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Blatt/Seite 19b daß, wie die Römer Karthago, sie auch England zu Grunde richten müßen. Sollte es ihnen gelingen den Handel deßelben zu zerstören : so ist es um England gethan, denn nur der bisherige Gewinn und Eigennutz der Individuen hat die Revolution daselbst verhindert. Nach der jetzigen Verfaßung halte ich es für unmöglich, den Franzosen das Vordringen bis an den Rhein streitig zu machen; denn wer soll Mastrich vertheidigen. Nach der Zerstöhrung der Barrieren p. p. durch Joseph II sehe ich weder den Nutzen noch die Möglichkeit ein, daß die Holländer Mastrich vertheidigen können, und Oestreich kann u. wird nicht 10 000 Mann davor wagen. Selbst wird es schwer halten, daß die Holländer sich in ihrem eignen Lande werden behaupten können; denn bey dem Bau ihrer Festungen ist größtentheils mit Rücksicht auf die Ueberschwemmungen genommen worden. Allein die Natur des Landes hat seitdem eine Veränderung erlitten, so daß seit dem Jahr 1788 keine einzige Ueberschwemmung die gehörige Wirkung thut. Ist dies wahr, was sollen sie dann mit ihren, den Englischen, u. übrigen Hülfs-Truppen zuerst thun, ihre Festungen vertheidigen oder sich dem Feind entgegen stellen? Es scheint mir eine ausgemachte Sache, daß Oestreich die Niederlande für verloren giebt und diesen Verlust gern in Polen ersetzen will. Ist dies, so verliert Oestreich an extensiver Kraft, die ihm von jeher das größte Unglück zugezogen hat, erwirbt aber dadurch eine erstaunliche intensive Kraft, die mit der Zeit höchst gefährlich für Preußen werden kann. Diesemnach könnte die Feindschaft der

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Blatt/Seite 20a Franzosen mit den Oestreichern aufhören und eine natürliche Allianz zwischen diesen beiden Mächten mit der Zeit Statt haben, und was sonst die Niederlande wegen ihrer Lage von den Franzosen erdulden mußten, kann nunmehro bey den 30 Preußisch-Westphälischen Provinzen eintreten. Ich kann nicht umhin einige Bemerkungen mitzu theilen, die jeden Patrioten äußerst betrüben müßen. Das Glück der Preußischen Waffen entstand nur daher weil Friedrich der IIte die Römische Tactik zu den veränderten Waffen (dem Feuergewehr) zuschnitt und abänderte. Die Franzosen bedienen sich eben dieser abge- 35 änderten Tactik und des Feuergewehrs zur Unterstützung ihrer Armes blanches. Dazu gehört aber die Aufopferung vieler Menschen und eine Art Raserey. Die Türken bedienen sich hiezu des Opiums, welches Mittel jedoch erschlaft, wenn der Spiritus verraucht ist; dies ist aber der Fall nicht bey dem Freiheits Rausch der Franzosen. Leider kenne ich nichts, was die Mächte diesem entgegen setzen könn- 40

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III Auswahl aus der geheimen Korrespondenz, Eingaben und Denkschriften

ten. Ueberdies, welcher Monarch kann u. wird die Menschen so zur Schlachtbank führen wie die Franzosen? Da nun physische Raserey eher zu vertreiben ist, als moralische Schwärmerey, so glaube ich, daß nur die Zeit dies Uebel heilen kann, und dazu dient der 5 Friede, der außerdem auch hauptsächlich darum anzurathen ist, weil zur jetzigen Macht der coalisirten Mächte kein Zuwachs möglich ist, und wer kann dafür stehen, ob nicht die glücklichen Fortschritte der Franzosen, Dännemark, Schweden und vielleicht auch die Americanischen Staaten zu einer offensiven Allianz bewegen. 10

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In meinen vorigen Memoires die ich die Gnade gehabt habe Ew. Königl. Maj. zu überreichen, habe ich die unterschiednen Verlußte, so der Staat bey dem jetzigen Kriege erlitten, ausführlich bemerkt. Diesemnach hat der Preußische Staat außer dem, was aus dem Tresor genommen ist, viele Millionen aus der Circulation verloren und ins Ausland gebracht. Die am Rhein stehende Armee hat weniger im Lande consumirt und producirt. Durch die Vertheurung der auswärtigen Productionen, der Seefrachten u. vermehrten Assecuranzen sind mehre Millionen außerhalb Landes verschickt worden. Die innere Indüstrie ist in Hauptzweigen als z. B. u. hauptsächlich in Schlesischer Leinewand gehemmt worden. Die Fortschritte der neuern Anlagen, oder auch nur die Nachahmung der Engl. Maschinen u. auswärtigen Erfindungen gerathen aus Mangel an Unterstützung ins Stecken. Hauptsächlich aber nimmt die Frechheit, die französischen Grundsätze u. Freiheits Schwindeleyen mehr u. mehr auszubreiten, in dem Maaße zu, als die Franzosen glückliche Fortschritte machen. Es gehört Friede u. Muße dazu, um gehörige Pläne zur Stöhrung dieses Unheils auszuarbeiten und beynahe ganz neue Regierungsformen einzuführen. Ich halte den Frieden mit Frankreich nicht so schwer, als man sich wohl einbildet, jedoch mit derjenigen Bedingung, daß die coalisirten Mächte die Allianz mit England aufgeben müßen.  

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Kommentar 1 Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens ([1807]; zweite erweiterte Auflage 1808) Gesperrt gedruckte Texte wurden kursiv wiedergegeben. Manche französischen oder lateinischen Ausdrücke erscheinen in einem anderen Font und werden auch hier in einem anderen Font wiedergegeben. Der letzte Teil des Buches wird mit einzeiligem Zeilenabstand gedruckt; dies wird hier nicht wiederholt, aber markiert. Die Seitenverweise auf Stellen der ersten bzw. zweiten Auflage des Textes erscheinen in Klammern nach dem Zitat. Zweite vermehrte Auflage] Die erste Aufl. erschien im Eigendruck: „Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens“. Von B.V. E PHRAIM , Königl. Preuß. Geheimem Rath. Berlin 1807. Gedruckt auf Kosten des Verfassers. Die vorliegende zweite, erweiterte Fassung erschien 1808. Im gleichen Jahr erschien auch eine französische Übersetzung, „De ma Détention et de quelques autres événemens de ma vie“. Par B.V. E PHRAIM , Conseiller intime du Roi de Prusse. Second édition. 1808. Das Buch enthält die folgende eingeklebte Bemerkung hinsichtlich des Druckortes bzw. Vertriebs: „La traduction française de l’histoire de ma détention et de quelques événements de ma vie se vend á un Ristd. chez Philipson, rue des chasseurs, en face de la banque n. 40. B.V. Ephraim“. Der ersten Aufl. des Buches wurde ein kleines Druckfehlerverzeichnis beigegeben, das allerdings nur einige Namen korrigierte und Verwechslungen von Dativ und Akkusativ. Ein solches Verzeichnis fehlt in der zweiten Aufl., die offensichtlich auch die erste Version korrigieren und nicht nur den Text erweitern wollte. Die französische Übersetzung des Buches richtete sich nach der zweiten Aufl.; sie hat ein längeres Druckfehlerverzeichnis. 134,11 des Königs] B ENJAMIN V EITEL E PHRAIM (1742–1811) lebte zu Zeiten der Herrschaft von drei Königen: F RIEDRICH II. (1712–1786); F RIEDRICH W ILHELM II. (1744–1797) und F RIEDRICH W ILHELM   III. (1770–1840) Hier ist F RIEDRICH W ILHELM II. gemeint. 134,11 des Großkanzlers] Die Position des Großkanzlers wurde unter F RIEDRICH II. 1747 neu geschaffen. Er war Chef de Justice (Leitender Justizminister) und mit der Ausarbeitung von Gesetzestexten beauftragt. Zeitweise gehörte auch das Kirchen- und Bildungsressort zu dem des Justizministers; parallel gab es zeitweise auch weitere Justizminister. 1795 wurde H EINRICH J ULIUS VON G OLDBECK Großkanzler; das Kriminaldepartement wurde ab 1798 von A LBRECHT H EINRICH VON A RNIM -K RÖCHENDORFF geleitet, F RIEDRICH W ILHELM VON T HULEMEYER teilte sich das Militärjustizdepartement. Ab 1802 übernahm G OLDBECK wieder das Kriminaldepartement. C ARL F RIEDRICH VON B EYME wurde dann 1808 Großkanzler und blieb bis 1810 in diesem Amt. 134,12 lettre de chachet] [fr.] lettre de cachet, Ein Brief mit einem Siegel, der die Verhaftung einer Person ohne Prozess autorisiert. Diese Schriftstücke waren vor allem zunächst in Frankreich bekannt, wo der König einen solchen Brief zeichnete, ein Minister gegenzeichnete, und ein königliches Siegel (cachet) den Brief schloß und legitimisierte. 135,15 Rechte der Menschen] Die französische Nationalversammlung verkündete am 26. August 1789 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte („Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen“). 135,30 In meiner Behausung] E PHRAIM und seine Familie wohnten in dem Palais am Mühlendamm, dem heutigen Ephraim-Palais, das sein Vater umgebaut hatte und das 1766 fertigstellt wurhttps://doi.org/10.1515/9783110739770-016

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de; in späteren Jahren wohnte er dann in der Leipzigerstr. 73. Die Familie Ephraim besaß viel Grundbesitz in Berlin; er wurde 1764 auf 400 000 Reichsthaler geschätzt. Neben den Häusern besaß er auch einen Garten, in dem er im Sommer Gesellschaften gab. 135,30 arretiret: [fr.] arrêter, verhaften. 135,31 meinem Siegel] Mehrere Abdrücke des E PHRAIMSCHEN Siegels sind auf seinen Briefen erhalten und befinden sich in den Akten des Geheimen Preußischen Staatsarchivs. 135,32 Hausvogtei] Polizeiwache und Polizeigefängnis. Die Hausvogtei war die ehemalige Dienststelle des Hausvogts, d. h. des kurfürstlichen Beamten, der für die Unterhaltung des Residenzschlosses zuständig war. An der Stelle des Gefängnisses wurde 1876 das Gebäude der Reichsbank errichtet. 135,33 Arrest] [fr.] l’arrest, [lat.] restare: stillstehen; Verhaftung. 135,35–36 Justiz-Commissarius] Justizkommissar bzw. Justizbeamter mit Notar- und Anwaltpflichten. 135,36 Vollmacht für meine Frau] wie in vielen jüdischen Häusern beteiligten sich auch E PHRAIMS Frau, J EANNETTE G UTSCHE P HILLIP , an den Geschäften und trat für ihren Mann ein. 135,37 Gold- und Silbermanufaktur] E PHRAIM hatte als junger Mann seine Frau J EANNETTE G UTSCHE P HILLIP in den Niederlanden kennengelernt und geheiratet. Er war von seinem Vater dorthin entsandt worden, um in den dortigen Silberraffinerien zu arbeiten, die zur E PHRAIMSCHEN Firma gehörten und nach Berlin lieferten. In Berlin und Potsdam hatte die Familie neben der Goldund Silbermanufaktur auch Posamente- und Spitzenmanufakturen, die dem Potsdamer Waisenhaus angeschlossen waren, sowie Manufakturen für die Herstellung von Textilien für militärische Uniformen. Die Firma belieferte während Kriegszeiten auch die Verpflegung für die Armee. 136,4 den Arrestanten] den Gefangenen [s. 135,33 ]. 136,4 Hrn. Geh. Rath Küster] Herrn G EHEIMEN R ATH K ÜSTER . 136,11 Eigentlich war es schon widerrechtlich […] dem Hrn. Geh. Rath Küster aufgetragen (13)] Diese Stelle wurde in der zweiten Aufl. eingesetzt. 136,16 menschlich behandelt werden] In der ersten Aufl. wird der Inspektor beim Namen genannt und es heißt es folgendermaßen: „Ich saß bis zum 18. October eingesperrt; habe mich jedoch über die Behandlung von Seiten des Inspectors Richard nicht zu beklagen. Er beobachtete in allem aufs strengste seine Pflicht, vergiftete aber den Pflichtpfeil nicht, wie man es in Küstrin that“. (9) 136,20 Vorschläge gemacht] J OHN H OWARD war ein englischer Philantropist, der sich mit der Gefängnisreform befasste. Er veröffentlichte „The State of the Prisons in England and Wales, with Preliminary Observations, and an Account of Some Foreign Prisons“, London: Warrington, 1777. 136,20 welche aber leider nicht befolgt werden] in der zweiten Aufl. hinzugefügt. In der ersten Aufl. heißt es stattdessen: So lange das Menschengeschlecht nicht im Allgemeinen eine bessere Erziehung erhält, wozu aber leider wenig Hofnung ist, – so kann nach der jetzigen Lage der Dinge, und besonders wege der falschen Aufklärung, nicht der Wahlspruch der französischen Revolutions-Demagogen gedacht und noch weniger realisirt werden; nemlich: Liberté, égalité, fraternité. Wenn er irgendwo vorhanden ist, so ist es in solchen Gefängnissen, wie die Hausvoigtei. – (10) 136,25 ja sogar Munterkeit] In der ersten Aufl. danach: „In den Freystunden wird geschäkert, auch wohl laut aufgelacht“. (10) 136,29–30 Überhaupt […] mit Lektüre] In der ersten Aufl. heißt es hingegen: Ein verabschiedeter Officier glaubte, es sei unmöglich, die Preußen zu schlagen. Nicht wahr liebes Kind? (dies galt als ein sehr wohl erzogenes, artiges und rechtliches Mädchen, die Tochter des Inspectors, welche ihre Eltern mit sehr vielem Fleiße in der Wirthschaft unter 

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stützet). Es wird daselbst viel gelesen; den man hat die Freyheit sich täglich Bücher aus einer Lese=Bibliothek holen zu lassen. (11) 136,30 Gibbons] E DWARD G IBBONS sechsbändige Geschichte „The History of the Decline and Fall of the Roman Empire“, erschien 1776–1789. G IBBONS Buch wurde zur Zeit seiner Publikation besonders auch in Deutschland stark diskutiert. Eine erste vollständige Übersetzung erschien bereits 1788–1792: Geschichte der Abnahme und des Falls des Römischen Reichs, übersetzt von C.[ RISTOPH ] W. V .[ ON ] R.[ IEMBERG ]. Magdeburg [Bände I–VI] und Wien [Bände VII–XIV]; Bd. XIV enthält „Gibbons Vertheidigung“, ein Nachwort des Übersetzers und ein Register. 136,34–35 Verfall des Kontinents] Anspielung auf das Werk E DWARD G IBBONS [s. 136,30 ]. 137,9 Pfennig] Die Herkunft des Wortes ist nicht geklärt. Als Münzbezeichnung seit dem 8. Jahrhundert gebraucht bezieht es sich auf eine kleine, meist kleinste Einheit. Der Groschen war dagegen der sogenannte „dicke Pfennig“. 137,17 Königsbrücke] eine repräsentative Brücke, welche über den Festungsgraben führte und Berlin mit der Königsstadt verband; etwa am heutigen Alexanderplatz gelegen. Sie war einer der am meisten frequentierten Verbindungswege zwischen Stadt und Schloss. In der ersten Aufl.: „Königs=Brücke“ (13). 137,21 Landwehr] Landwehr, Landgraben oder Landhege sind Grenzmarkierungen; sie kennzeichnen eingehegte Territorien, die oft bereits im Mittelalter etabliert wurden. 137,23 Küstrin] das heute polnische Kostrzyn ist eine Kleinstadt, die eine wichtige, inzwischen vollkommen zerstörte Festung besass, in der preussische Gefangene festgehalten wurden. Ephraims Reise erfolgte auf einer Poststraße, die erst 1802 fertiggestellt wurde und Berlin mit Küstrin verband. Sie ist heute in die Bundesstraße 1 aufgegangen. 137,26 Secretair] [fr.] secretair: Sekretär; Kommunikationsverwalter und Schreibkraft. 137,26 des Platzmajors] Ein Platzmajor war ein Offizier, der in einer Garnison oder Festung platziert war und dessen Dienst sich nur auf Aufgaben hinsichtlich dieser Garnison oder Festung beschränkten; er war dem Kommandeur direkt unterstellt. 137,28–29 nebst einem] in der ersten Auflage: nebst einem Unterofficier und zwey Gemeinen (14). 137,36 mich alten kränklichen Menschen] E PHRAIM wurde 1742 geboren und war zur Zeit der Französischen Revolution (1789) 47 Jahre alt. Er hatte damit die durchschnittliche Lebenserwartung Ende des 18. Jahrhunderts überschritten, die, auch durch die Kindersterblichkeit bedingt, bei Mitte 30 Jahren lag. Sein Vater N ATHAN V EITEL H EINE (C HAIM ) E PHRAIM wurde allerdings 72 Jahre alt. 137,39 Gouvernement] [fr.] Regierung, staatliche Administration. 137,40 Baierischen Gesandten] F RANÇOIS G ABRIEL DE B RAY [s. 191,38]. 138,2 gestimmt war] In der ersten Aufl.: „[…] daß er ihm dieses sehr behaglich mitgetheilt habe. Nach einst hergestellten Frieden werde ich über diesen Punkt die näheren Ursachen und Verhältnisse mittheilen“ (15–16). Ephraim teilte tatsächlich in der zweiten Aufl. seiner Schrift mehr mit; die Stelle „Dieser so allgemein bekannte Minister v. Schulenburg […] so bitte ich um Verzeihung. – –“ (19–22) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 138,9 Lotterie] In der preußischen Kurmark gab es bereits 1763 eine Klassenlotterie, die F RIEDRICH II. nach italienischem Vorbild gegründet hatte. Der Vertrieb der Lose lag bei den Stadtund Postämtern. 1795 wurde die Lotterie an den Bankier L IEPMANN M EYER W ULF verpachtet. Er erhielt zunächst einen Vertrag bis 1804, der dann auf Grund seines Erfolgs bis 1812 verlängert wurde. Während der napoleonischen Kriege brach die Lotterie jedoch zusammen; W ULF wurde zahlungsunfähig. 1809, nach der Rückkehr des Hofes nach Berlin, wurde ihm zunächst der Prozess gemacht, aber dann seine Unschuld anerkannt. Die Lotterie wurde im gleichen Jahr aufgelöst.

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138,11 Scheidemünze] Eine Münze, bei welcher der Metallwert geringer als der aufgeprägte Nominalwert ist. 138,11 dessen Unglück ich vorhersagte] E PHRAIM bezieht sich hier nicht nur auf unveröffentlichte Depeschen, sondern auch auf seine Schrift „Ueber den Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld“, die in diesem Band wieder abgedruckt ist. 138,15–16 uns mit falschen Münze überschwemmten] J OHANN C HRISTOPH M EIER schreibt in seiner „Geschichte des Französischen Revolutions=Kriegs“, 6. Teil, Leipzig: Johann Ambrosius Barth, 1808, S. 255: Ohne Unterlaß schwammen englische Schiffe an den Küsten der ehemaligen Bretagne und Normandie. Englische Schiffe führten die Abgesandten des Prätendenten zu den Chouans, und die Abgeordneten jener nach England. Auf englischen Schiffen wurden den Rebellen Dolche und falsche Münze zugeführt, wogegen diese zur Dankbarkeit von den geraubten Lebensmitteln an die Schiffe der Engländer abgaben. Es handelte sich bei der englischen Falschgeldproduktion allerdings nicht allein um Münzen. Frankreich begann 1789 Geldscheine, sogenannte Assignaten, zu produzieren, die dann auch helfen sollten, die revolutionären Kriege zu finanzieren. Als Kriegsmaßnahme produzierte England dann gefälschte Assignaten. Frankreich musste mehr Assignaten produzieren und es kam zu einer Hyperinflation; zwischen 1790 und 1793 verloren die Geldscheine etwa 60 % ihres Wertes. Auch in späteren Jahren bildete sich in England (in Birmingham, aber vor allem auch Manchester) ein Zentrum der Falschgeldproduktion von Geldscheinen aus. Diese enthielten Baumwollfasern und England war führend in der europäischen Baumwollproduktion. 138,23–24 Gesandten Carrysford] J OHN P ROBY , E ARL OF C ARYSFORT war 1800–1802 Britischer Gesandter in Preußen. 138,27 Bermingham] Birmingham wird hier als „Münzort“ beschrieben [s. 138,15 ff.], erhielt anderswo allerdings auch eine andere Geschichte, s. J OHANN C HRISTIAN F ABRICII , „Policey=Schriften“ I. Kiel: auf Kosten des Verfassers, 1786, S. 267: So gieng es zum Exempel Frankreich unter Ludwig dem vierzehnten. Dieser Monarch ließ Louisd’ors schlagen, die vier livres schlechter oder leichter waren, als die alten, und die demungeachtet denselbigen Wehrt in Frankreich hatten. Es dauerte aber nicht lange, so wurde Frankreich mit einer unzälichen Menge dieser Louisd’ors überschwemmt, und die alten verschwanden gänzlich. England bezahlte nicht allein alle französische Waaren in diesem Golde, sondern wechselte auch alle alte ein, um neue daraus zu münzen. Birmingham hat seine erste Entstehung diesen Französischen Louis’dors zu verdanken. Auch unsere Schillinge von 1761 musten derselben Ursache wegen wieder eingeruffen werden, obgleich das Nachmünzen der Scheide=Münze, wegen der grössern Kosten und Arbeit, weniger vortheilhaft. 138,27 Kostümhaus] [engl.] custom house oder Zollamt. 138,29 vigiliren] [lat.] vigilare; lauern, fahnden. 138,31 die Englische Partei gehalten] waren auf der politischen Seite Englands. 138,33 französische Kokarde] Die coquarde [Kokarde] als an einem Hut befestigte Bandschleife galt als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Sie wurde bereits im 17. Jahrhundert gebraucht und während der Französischen Revolution ein populäres Attribut der Revolutionäre. 138,33 Citoyen par force] Bürger durch die Macht bzw. das Symbol der Kokarde. 139,2 Landsberg] Landsberg an der Warthe war ehemals Kreisstadt der Provinz Brandenburg und ist heute das polnische Powiat Gorzowski in der Woiwodschaft Lebus. 139,6 Der eine Soldat] In der ersten Aufl. folgt hier: „Es ging entsetzlich langsam, und die Zeit ward uns allen sehr lang“ (16).  

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139,13 als Brod essen] In der ersten Aufl.: „als Butterbrod essen“ (17). 139,20 zusammengebundenen Betten] Bettzeug und Gepäck. 139,24 krüppelten] bewegten uns mühsam fort. 139,25–26 Warmbier] Warmbier war ein populäres Getränk, besonders auch in Wirtshäusern, ist aber eigentlich eine Biersuppe ohne Einlage. Dem warmen Bier wurden Ei, Mehl, Butter, Ingwer, Muskatnuss, Salz und Zucker eingerührt. 139,26 gr.] Abkürzung für Groschen. Der Name leitet sich von dem spätlateinischen „grossus denarius Turnosus“ [dicker Denar von Tours] ab und kann auf eine Reihe von Münzen verweisen. 139,28–29 Unteroffizier] In der ersten Aufl.: „Unter-Offizier“ (18). 139,29–30 oder sich zu bedanken] In der ersten Aufl.: „ohne sich zu bedanken. –“ (19). 139,30 Taßdorf] Ort auf der Chaussee von Berlin nach Frankfurt/Oder, Kreis Niederbarnim. 139,31 Müncheberg] Stadt in der Mittelmark, die von einem Stadtbrand 1641 fast völlig zerstört wurde, erholte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch die Ansiedlung von über 40 französischer Familien und der Errichtung einer ständigen Garnison. Die Verlegung der Postlinie von Berlin nach Küstrin macht es schließlich zu einem Zentrum des Handels- und Warenverkehrs; Dutzende von Postpferden wurden hier täglich gewechselt. 139,32 im goldenen Löwen] Der Gasthof zum güldenen Löwen wurde bereits 1717 als erster Gasthof in dieser Gegend gegründet und überlebte auch den Zweiten Weltkrieg. Während der DDR wurde er HO Betrieb. Der Gasthof scheiterte erst an der Forderung neuer sanitärer Einrichtungen; ein Neubau, der dieses Manko beheben sollte, wurde nie fertiggestellt. Der Gasthof schloss kurz nach der Wende; das Haus besteht weiter und ist heute ein Wohnbau mit Geschäftsräumen im Erdgeschoß. Ich danke F RANK G EI ß LER , Heimatverein Müncheberg, für diese Information. 139,33 ein Kommando] eine durch Befehl beauftragte Einheit oder Gruppe. 139,36 Madame Heinrich] In der ersten Aufl. des Textes heißt es „Madame Heinreich“ (19) und ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. 139,38 Hamburger Zeitung] „Die Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten: mit allergnädigster Kayserlicher Freyheit“ erschien 1731–1868 und wurde in Hamburg, Grundsche Erben, verlegt. Sie gab Korrespondennachrichten aus aller Welt wieder und bot Platz für Privatanzeigen. 140,1–2 arretiret worden] Die Nachricht wird in einem „Schreiben aus Berlin, vom 27. Sept.“ abgedruckt und befindet sich zwischen der Nachricht, dass Reitpferde für die K ÖNIGIN L UISE ins Hauptquartier gebracht wurden, wo sie noch einige Tage zubringen wollte, und die Abreise eines russischen Hofrats und eines russischen Collegien-Assessor nach St. Petersburg: „Ein hiesiger, unter seinen Glaubensgenossen sehr angesehener Jude ist diese Woche gefänglich eingesetzt und seine Papiere in gerichtlichen Beschlag genommen worden. Ein von diesem Juden geführter strafbarer Briefwechsel ist die Ursache seiner Verhaftung. Einer seiner Consorten ist in Fürstenwalde arretirt“. In: „Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburger unpartheyischen Correspondenten“ 1806 (Dienstag, 30. September), Nr. 156. Ohne Seitenangabe (in diesem Blatt eigentlich S. 4). E PHRAIM erwähnt keinen Konsorten oder Gefährten und es ist unklar, wer in Fürstenwalde verhaftet wurde. Er gibt im vorliegenden Text das genaue Datum seiner Inhaftierung mit dem 23. September 1806 an. 140,5 Zeitung für die elegante Welt] „Die Zeitung für die elegante Welt. Mode, Unterhaltung, Kunst, Theater“ erschien 1801–1859. Sie wurde von J OHANN G OTTLIEB K ARL S PAZIER begründet und erschien in Leipzig bei Voß und Compagnie (später Leopold Voß). Ab 1806 erschien sie viermal wöchentlich in zwei Lieferungen. Sie richtete sich an das entstehende gehobene Bürgertum, politische Themen wurden eigentlich nicht behandelt. 140,6–7 Es gebe Spione in allen Gestalten] Im „Korrespondenz- und Notizenblatt der Zeitung für die elegante Welt“ 119 (Sonnabend), den 4. Oktober 1806, Spalte 959 heißt es: „Der bekannte

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Geheime Rath Ephraim ist wegen verdächtiger Verbindungen arretirt worden und da man hier Spione unter mancherlei Gestalten vermuthet, so hat die Polizei jetzt einen schwierigern Posten, wie je“. 140,9 Abdera] bedeutende antike griechisch-thrakische Stadt; die Bewohner erhielten später den Ruf von naiven Schildbürgern. 140,12 Delinquent] [lat.] delinquerer; eine Widrigkeit begehen: Gesetzesbrecher, Krimineller. 140,14–15 drei um eine Tonne sitzenden Bauern von Ostade] A DRIAEN J ANSZ VON O STADE malte mehrere Bilder von Bauern an einem Weinfass sitzend. Ephraim waren seine Werke wahrscheinlich noch von seinem Aufenthalt in den Niederlanden bekannt, er kaufte dort auch Bilder für sein Wohnhaus in Berlin, wo er eine der ersten privaten Gemäldesammlungen etablierte. In der ersten Aufl.: „Ostada“ (21); ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. 140,18 funkelnden kleinen Augen] In der ersten Aufl.: „kleinen Augen“. (21) 140,19 in meiner Werkstätte,] In der ersten Aufl.: „in meiner Werkstätte! ich wollte dich […]“ (21). 140,20 Cyklopen] [fr.] cyclope; Zyklop; einäugige Gestalt der griechischen Mythologie. 140,24–25 mit militärischer Trockenheit] In der ersten Aufl.: „mit militairischer Trockenheit“ (22). 140,26 Berlinischen Gouvernement] s. 137,39. Die Berliner Bevölkerung hatte 1804 noch 182,157 Einwohner betragen und betrug 1808 nur noch 145,941. 140,29 Unterofficier] In der ersten Aufl.: „Unter-Officier“ (22). 140,34 Unterofficier] In der ersten Aufl.: „Unter-Officier“ (22). 140,36 Unterofficier] In der ersten Aufl.: „Unter-Officier“ (23). 140,40–141,1 Justizbürgermeister] ein für die Rechtspflege zuständiger Bürgermeister und Rechtsgelehrter. In der ersten Aufl. ist lediglich der Name S CHWARZ hervorgehoben (23). 141,2 zwischen Demokrit und Heraklit] D EMOKRIT war ein griechischer Philosoph aus Abdera, H ERAKLIT stammte aus Ephesos; beide zählen zu den Vorsokratikern. D EMOKRIT galt als der lachende, H ERAKLIT als der weinende Philosoph der antiken Literatur und wurden als solche in der Erbauungsliteratur und Kunst des 17. Und 18. Jahrhunderts wiedergegeben. 141,11–12 Spartanischer Krieger] Das Heer Spartas galt im antiken Griechenland als die professionellste Streitkraft; ihre Krieger waren bestgerüstet. 141,16–17 Dieser Verräther ist an unserm ganzen Unglück Schuld] Diese Feststellung ähnelt auf unheimliche Weise der deutschen anti-jüdischen Propaganda der 1930er Jahre, die Juden seien an allem schuld. 141,19 nur ein Raphael] R AFFAELLO S ANZIO DA U RBINO wurde zu dieser Zeit als besonders auch in Preußen wiederentdeckt und verehrt; in der Privatsammlung K ÖNIG F RIEDRICH W ILHELM III. befand sich eine umfangreiche Sammlung von Kopien seiner Werke. 141,22 verweilet haben] In der ersten Aufl. hier kein Absatz (25). 141,24 Herren Psychologen] Die Psychologie war zu dieser Zeit ein recht neues Gebiet. K ARL P HILIPP M ORITZ ’ „Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“ (1783–1793) war die erste psychologische Zeitschrift. M OSES M ENDELSSOHN beteiligte sich bei der Wahl ihres Titels und viele jüdische Autoren veröffentlichten dort Beiträge. 141,31 Staffette] [lat.] staffa: Steigbügel; reitender Bote, Kuriere. 141,31 sogar eine Staffette] In der ersten Aufl. endet der Satz hier. Das folgende: „Wer diesen thätigen Mann kennt […] mit mir äußerst unzufrieden zu seyn“ (33–35) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 141,39-40 Ober-Kriegskollegium] Vom 17. Jahrhundert an war das Kriegskollegium eine Gruppe von Kriegsräten und die oberste Verwaltung der Armeen und ging aus dem Generaldirektorium

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hervor. Das Kriegskollegium einer Großmacht wie Preußen wurde Oberkriegskollegium genannt. Das eigentliche Preußische Ober-Kriegskollegium wurde am 25. Juni 1787 gegründet und war in sieben Departements oder Abteilungen strukturiert: Infanterie, Kavallerie, Artillerie, Corps de Genie und Festung (Ingenieurswesen), Verpflegung, Armatur, Montierungswesen und Feldgeräte, sowie Invalidenversorgung und Erziehung der Kinder der Soldaten. Das Ober-Kriegskollegium wurde von einen Oberpräsidenten udn Vize-Oberpräsidenten geleitet. Dazu kam der oberste Kriegsminister und sein Vizeminister. Die sieben Abteilungen hatten jeweils eigene Direktoren. Am 25. Dezember 1808 wurde das Kriegskollegium aufgelöst und durch das Kriegsministerium ersetzt. 142,3 Garnison] [fr.] garnison; befestigte Stadt oder Truppenkörper 142,4–5 glücklich wieder nach Berlin zurückkehrte] F RIEDRICH W ILHELM G RAF VON DER S CHULENBURG -K EHNERT war Interims-Gouverneur von Berlin. Nach den verlorenen Schlachten von Jena und Auerstedt erlangte seine Bekanntmachung vom 14. Oktober 1806 Berühmtheit: „Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere alle Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben!“ 142,12 Sr. Maj.] Seiner Majestät. 142,21 Amusement] [fr.] Unterhaltung. 142,27 Volksfest] Müncheberg war ein bekannter Jahrmarktsort mit Festen im Frühjahr und zur Weihnachtszeit. 142,30–31 die Leute nur] In der ersten Aufl. heißt es: „nicht nur“ (27) und ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. 142,37–38 eskortire] [fr.] escorter, begleiten. 142,38 Ad Protocollum] [lat.] rechtlicher Begriff: zu Protokoll geben. 143,1 Kreisbothe] Kreisbote, Nachrichtenvermittler; später auch Name lokaler Zeitungen 143,2 zur Thür hinaus] In der ersten Aufl.: „zur Thüre hinaus“ (28). 143,3 guter Alter] In der ersten Aufl.: „guter Alter! Vergieb es mir!“ (28). 143,29 Im finstern Neapel] Napoléons Truppen erreichten Neapel im Januar 1799. Die Stadt besaß eine Elite von Aristokraten und Landbesitzern, aber vor allem sehr viel arme Bevölkerung und stand u. a. auch unter dem Einfluß (protestantischer) englischer Truppen. A DMIRAL H ORATIO N ELSON verhaftete die Revolutionäre im Juni 1799 und stellte die Monarchie wieder her. 143,33 Tortur] [lat.] torquere: wenden, quälen; Elend, Folter, Strapaze. 143,37–38 executiren] [fr.] frz. exécuter: ausführen, bestrafen. 144,2 Hr.] Herr. 144,5 dem Vorwande] In der ersten Aufl.: „Vorwande mich hinauf zu helfen“ (32). 144,9 Kavallerie] [fr.] cavalerie: Reiterei. 144,10 Bartscherer] Barbier. 144,18 Artillerie] [fr.] artillerie; Truppengattung, die Geschütze einsetzt. 144,24 sein großer Gönner] In der ersten Aufl.: „der Herr Geheime Rath Beyme“ (33). 144,27 Herrn Geh. Beyme] In der er ersten Aufl.: „Hern Geh. Rath Beyme“ (34). 144,28 Seelow] Stadt im märkischen Oderland in Brandenburg; heute nahe der polnischen Grenze. In der ersten Aufl. heißt es dagegen: „Gegen 4 Uhr kamen wir in Seelow an“ (34). 144,31 Infanterie] [fr.] L’infanterie: Militärdivision zu Fuß. 144,32 schnapsen] Schnapsen ist ein Kartenspiel. 145,5 Schildwache] [mhd.] Schiltwache: wachhabender Posten. 145,5 Hauptwache] zentrale Wache oder Polizeistation. 145,6–7 kam die Antwort] In der ersten Aufl.: „kam die Antwort: man sollte […]“ (35). 145,7 Thorwache] Posten am Stadt- bzw. Ortstor. 145,8 Schanze] [frühneuhochdeutsch] Reisigbündel; Wehranlage.  

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145,12 Idolenz] Idolenz; [lat.] indolentia: Schmerzlosigkeit. 145,8 Welche Härte!] Der Abschnitt: „Welche Härte! [Indolenz; …] davon hier übergehe“ (45) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 145,27 und abgespannt] „und abgespannt“ (46) wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 145,34 Ordre] [fr.] Order, Befehl. 145,35 Ordonnanz] [fr.] Befehl bzw. Befehlsmacht hinsichtlich der Anordnung des Heers, Auflistung von Soldaten, und mehr. 146,2 Sokrates mit seinen Banden] S OKRATES verbrachte seine letzten Wochen im Gefängnis, wo er auch starb. E PHRAIM bezieht sich hier implizit auch auf M OSES M ENDELSSOHNS bekannte Version von P LATONS „Phädon“, „Phädon, oder Ueber die Unsterblichkeit der Seele“ (1767). In der ersten Aufl.: „allein, glücklicher Weise fiel mir […]“ (38). 146,13 Esponton] [fr.] eine Halbpike ähnlich der Hellebarde, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Offizieren der Infanterie zusammen mit dem Degen als Waffe zu Paradezwecken geführt wurde. 146,21 eine halbe Stunde sitzen] In der ersten Aufl.: „Stunde sitzen, […]“ (39). 146,23 Gulden] [mhd.] guldin pfenninc; Goldmünze, später auch Silbermünze und Recheneinheit. 146,28 Requisition] [lat.] requirere, nachforschen, verlangen; Bedarfsanforderung, Beschlagnahme. 146,30–31 Ich ersuche jeden inständigst] Der Satz: „Ich ersuche jeden inständigst […] machen können“ (50) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 146,37 Knieschnallen] Befestigungen für Kniebundhosen; sie entsprachen der Mode des 18. Jahrhunderts. 147,2 Reliquie][lat.] reliquiae, Zurückgelassenes; oft nachgelassenener persönlicher Besitz oder Körperteile von Heiligen. 147,14 Souverain] [fr.] Herrscher. 147,29 aufs Schloß] Festung Küstrin. 147,31–32 auf allen Vieren kriechen] In der ersten Aufl.: „auf allen vieren“ (43–44). 147,37 allein vergebens.] In der ersten Aufl.: „allein vergebens; ein Nebel […]“ (44). 147,39–40 wo Friedrich der Große gesessen hat] Der junge F RIEDRICH wollte am 5. August 1730 mit seinem Freund H ANS H ERMANN VON K ATTE vor seinem Vater, F RIEDRICH W ILHELM I., von Steinsfurt aus nach England fliehen. Er wurde gefasst und zunächst zu lebenslanger Festungshaft auf Küstrin verurteilt; K ATTE erhielt das Todesurteil. Der Prinz wurde im September 1730 nach Küstrin gebracht und im August des folgenden Jahres, nachdem er um Vergebung bat, aus der Haft entlassen. 147,40 Wo ist dieser göttliche Mann!] In der ersten Aufl.: „Wo ist dieser göttliche Mann, schrie ich laut auf“ (44). 148,11 das Essen herein.] In der ersten Aufl.: „das Essen herein; das spottende Gelächter […]“ (45). 148,13 Loth] eine Maßeinheit; ein Lot ist etwa ein voller Löffel. 1 altes Lot = 4 Quentchen = 16 Pfenniggewichte = 32 Hellergewichte. 148,16 gefangen gesessen hatte] In der ersten Aufl. wird lediglich „Friedrich“ hervorgehoben (46). 148,18 der mir soviel Gutes wiederfahre ließ] „der mir soviel Gutes wiederfahre ließ“ (56) in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 148,19–20 So dacht’ ich] In der ersten Aufl.: „so dacht ich“ (46). 148,25 3 bis 4 Tage ununterbrochen] Dies ist hier eine Übertreibung; die Fastenzeit am Yom Kippur (dem Sühne-Tag am Jahresbeginn) oder die eingeschränkte Fastenzeit an anderen Tagen wie

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Tischa A’Bav (dem Gedenktag der Zerstörung des Tempels von Jerusalem) beträgt von Sonnenuntergang zum Sonnenuntergang eines Tages. 148,31 pf.:] Abkürzung für Pfennig. 148,34 Krappe] In der ersten Aufl., hier wie weiter unten: „Krapp“ (47). 148,34–35 Comptoir [fr.] Kontor, Verkaufstisch. 148,35 thlr.] Abkürzung für Reichst(h)aler oder T(h)aler, eine vom 16. bis zum 19. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich gebräuchliche große Silbermünze. 148,37 Alimente] [fr.] alimente; [lat.] alimentum; Unterhaltszahlung. 148,37–38 Vermögen] In der ersten Aufl. hinzugefügt: „ich entschuldigte anfänglich diesen Krapp“(47). 148,40 dem Hrn. Lemonius deshalb anzufragen] In der ersten Aufl.: „dem Hrn. Kriegesrath Lemonius“ (48). 149,2 Magazine] [arab.] al-maḫzan; Warenlager. 149,11–12 die Ursache ist nicht angegeben:] In der ersten Aufl.: „die Ursache des Verhaftes nicht angegeben; Sie sind […]“ (49). 149,16 erwiederte ich;] In der ersten Aufl.: „erwiderte ich; man will […]“ (49). 149,22 bot mir seine Börse an;] In der ersten Aufl.: „bot mir seine Börse an, mit den Worten: Meiner Seits […]“ (50). 149,24 Thaler] T(h)aler oder Reichst(h)aler. 149,25–26 bonne mine à mauvais jeu] „faire bonne mine à mauvais jeu“ [fr.], eine gute Miene zum schlechten Spiel machen, ist eine französische Redensart. 149,27 Gelegenheit] In der ersten Aufl. hier ein Druckfehler: „Gelegenhrit“ (50). 149,30 Billet] [fr.] billet; Zettel, Schein. 149,35–36 Ich schrieb den Kommandanten,] In der ersten Aufl.: „den Kommandanten und ersuchte denselben“ (51). 149,38 zu genehmigen; bekam aber] In der ersten Aufl.: „zu genehmigen, bekam aber […]“ (51). 149,39 Suite] [fr.] suite; Gefolgschaft. 149,40–150,1 Generalmajors von Köckritz und von Zastrow] In der ersten Aufl.: „den General=Majors v. Köckritz und v. Zastrow“ (51). 150,6–7 an meinen Feinden zu rächen, sollte ich] In der ersten Aufl.: „Feinden zu rächen; sollte ich […]“ (52). 150,7–8 Observation] [fr.] observation [lat.] observare; Beobachtung, Aufsicht. 150,11 Generaladjudanten] In der ersten Aufl.: „General-Adjutanten“ (52). 150,13 „Von hoher Hand,“ war die Antwort] In der ersten Aufl.: „Von hoher Hand, war die Antwort“ (52). 150,28 im Preußischen Staate] In der ersten Aufl.: „im preußischen Staate;“ (54). 150,30–31 indem ich ihm geschrieben, daß] In der ersten Aufl.: „in dem ich ihm geschrieben daß seine Anwesenheit […]“ (54). 150,31 rc] Abkürzung für etcetera; und so weiter. 150,32 Kleist zu imponieren] In der zweiten Aufl. wurde: „Ich wünschte nur jemanden, der Fähigkeit und Muth hätte den Obersten von Kleist zu imponieren“ (64–65) hinzugefügt. 150,33 Obrister] Obrist ist ein militärischer Titel; ein Obristlieutnant war im 17. Und 18. Jahrhundert der militärische Kommandeur für den Regimentsinhaber. 150,34 geben Sie nur her?] In der ersten Aufl.: „gebe Sie es nur her; von diesen will ich […]“ (54). 150,37 als ich verlangte] In der zweiten Aufl. wurde der Satz: „In der Folge erfuhr ich […] als ich verlangte“ (65) hinzugefügt.

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150,38–39 Ausmarsche aus Berlin] K ARL L EOPOLD VON K ÖCKRITZ leitete 1801 das reitende Feldjägerkorps und wurde 1803 Major-General. 151,1 auf dem Schlosse] Berliner Stadtschloß. 151,1 unweit seines Zimmers] In der ersten Aufl.: „unweit seines Zimmers. – Nichts weiter, er möchte es vielleicht nicht gerne sehen. – “ (53–54). 151,4 St. Cloud] Am 6. Juni 1790 durfte L OUIS XVI. mit Erlaubnis der Nationalversammlung nach Saint-Cloud, einem Pariser Vorort reisen. 151,8–9 zu Napoleon geschickt wurde] F RIEDRICH G RAF K LEIST VON N OLLENDORF nahm an der Schlacht von Jena teil, die am 14. Oktober 1806 stattfand. Danach wurde K LEIST vom König zu N APOLÉON entsandt, um die vom französischen G ENERAL H ENRI G ATIEN B ERTRAND vorgelegten Friedensvorschläge zu beantworten. K LEIST brach die Verhandlungen aufgrund der großen Forderungen N APOLÉONS ab. N APOLÉON hatte von den Provinzen diesseits der Weichsel einen Beitrag von 159 Millionen Francs verlangt. 151,32–33 quelques années de gloire] G ENERALMAJOR C HARLES E MMANUEL DE W ARNERY , „Remarques sur l’essai général de tactique de Guibert: Pour servir de suite aux commentaires et remarques sur Turpin, César et autres auteurs militaires, anciens et modernes“, Warschau: [ohne Verlagsangabe], 1782, S. 101–102: In diesem Staat, den wir einen Militärstaat nennen, weil sein König ein fähiger Soldat ist; in diesem Staat, der durch Waffen vergrößert wurde, der sich jedoch nicht schmeicheln kann, anders als durch den Einsatz dieser Waffen zu existieren, mit deren Hilfe er seine Eroberungen bewahrt, sind die Truppen nicht stärker zusammengesetzt als anderswo. Mehr als in jedem anderen Land setzen sich die Truppen aus Stipendiaten, Vagabunden und Fremden zusammen, welche Unbeständigkeit oder Notwendigkeit zum Banner ruft. Disziplin soll sie halten. Diese Disziplin weist in mancher Hinsicht Strenge und Wachsamkeit auf, aber sie zeigt sich in vielen anderen Fällen locker und verabscheuungswürdig. Sollte nach dem Tod dieses Prinzen (Friedrichs), dessen Genie allein das unvollkommene Bauwerk seiner Verfassung stützt, ein schwacher und ungelernter König folgen, so werden wir in einigen Jahren Zeuge werden, wie das preußische Militär degenerieren und sich dem Niedergang nähern wird. Wir werden uns mit den wirklichen Fähigkeiten dieser vergänglichen Macht konfrontiert sehen, welche vielleicht ein paar Jahre des Ruhms teuer bezahlen muß. Der Abschnitt „Man glaube nicht […] années de gloire“ (65–68) ist in der zweiten Aufl. eingefügt worden. 151,35 erwiederte ich] In der ersten Aufl.: „erwiderte ich; allein ich, […]“ (55). 152,9 Pfund] [lat.] pondus (Gewicht); eine bis heute übliche Maßeinheit. Die Einheit ist nach Ort und Zeit verschieden; ein Pfund (pfd. oder lb. für libra pondo) wiegt etwa ein halbes Kilo. 152,13 Feldjäger] ursprünglich aus Forstleuten rekrutierte leichte Infanterie; in Preußen auch Soldaten, die zur Patrouille und Sicherheit gestellt werden. 152,26–27 traurigen Folgen davon] In der zweite Aufl. wurde der Satz: „Ich fühle leider immer noch […] Folgen davon“ (71) hinzugefügt. 152,28 den 30. October] Die napoleonischen Truppen hatten bereits am 25. Oktober 1806 Berlin (und Potsdam) erreicht; Napoléon ritt offiziell am 27. Oktober in Berlin ein. 152,33 Brückenkopf] Wehranlage zur Sicherung einer Flussbrücke. 152,38 Gegen 4 Uhr] In der ersten Aufl.: „Gegen vier Uhr“ (58). 153,2 von beiden Seiten gefeuert,] In der ersten Aufl.: „von beiden Seiten gefeuert; und von feindlicher Seite […]“ (58). 153,4 Gefängniß, war am meisten] In der ersten Aufl.: „das Gefängniß war am meisten […]“ (58).

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153,10 Schritte] ein Schritt war eine Einheit, die sich vom römischen gradus ableitete, der 2 ½ pedes maß. In den deutschen Ländern betrug ein Schritt zwischen 71 und 75 Zentimeter. Da die Länge von der Fußgröße des herrschenden Fürsten abhing, war sie je nach Zeit und Fürstentum verschieden. 153,19 Staupenschläge] eine seit dem Mittelalter gebräuchliche Strafe, bei der ein Angeklagter am Pranger geschlagen wurde; die Strafe war bei einem Soldaten mit dem Ehrverlust verbunden. 153,21–22 Kommissbrod] Ein dunkles, haltbares Brot, das seit dem 16. Jahrhundert vom Kommiss für die Heeresversorgung eingeteilt wurde. 153,23–24 die Herren Bölzig und von Keller] In der ersten Aufl.: „die Hrn. Bölzig und v. Keller“ (60). 153,28 Centner] Zentner, [lat.] centenarius, centum: Ein Gewicht von 100 Einheiten; üblicherweise 100 Pfund. 153,19 Graudenz] heute das polnische Grudziądz, eine Stadt in der Woiwodschaft KujawienPommern. 153,33 ins Oesterreichische] Austerlitz befand sich auf Habsburger Gebiet. 153,35 Das ganze Personale der Kriegskollegii] Die Mitglieder des Kriegskollegiums [s. 141,39–40]. In der ersten Aufl.: „Krieges=Kollegii“ (61). 153,38 es würde auch] In der ersten Aufl. der Druckfehler: „es würdeauch“ (61). 153,40 General-Quartiermeister-Lieutenant] [fr.] quartier; Teil eines Heereslagers. Ein Quartiermeister ist für die Logistik, d. h. Verpflegung der Armee verantwortlich. Der Titel General-Quartiermeister-Leutnant weist auf seinen hohen Rang hin. 154,35 Paroxismus.] [med. lat.] paroxysmus: starke Erregung, Attacke. 155,13 Min.] Minister. II. 155,14 Seehandlung] Die Preußische Seehandlungsgesellschaft wurde 1772 von F RIEDRICH II gegründetes Staatsunternehmen, um den Außenhandel des Landes zu unterstützen. Sie verwandelte sich im 19. Jahrhundert in eine Bank und wurde 1918 zur Preußischen Staatsbank. 155,19 Marcius und Appollo] G NÄUS M ARCIUS C ORIOLANUS war ein Patrizier, der die Plebejer während einer Hungersnot zu erpressen suchte. S TRUENSEE , hier als A POLL , dem Gott der Bogenkunst, der Musik und des Tanzes gezeichnet, erscheint dagegen als eine Lichtgestalt. 155,22 Börsensaal] Die Börse befand sich seit 1739 an der nordöstlichen Ecke des Lustgartens am Ufer der Spree. Im Winter fand die Börse zwischen 13 und 15 Uhr im Börsensaal statt; im Sommer unter der Kolonnade des Gebäudes. 1863 bezog die Börse dann ein neues Gebäude in der Burgstrasse, das auf dem Grundstück des ehemaligen Palais Daniel Itzigs entstand. 155,25 passato il pericolo, gabbato il santo] Zitat aus F RANÇOIS R ABELAIS , „Pantagruel“ (1532), IV. 24: „Nach der Gefahr wurde der Heilige betrogen“. 156,2 Fond: [fr.] fond; [lat.] fundus: Grund. 156,4–5 Regeln eines Vaubans Köhoorn] M ARSCHALL S ÉBASTIEN L E P RESTRE DE V AUBAN (1633–1705) war für seine Kenntnis von Befestigungsanlagen berühmt. In „Reich der Toten; eine Zeitschrift enthaltend: politische Gespräche der Toten; politische Reden, nebst geheimen Briefwechsel zwischen den Lebendigen und den Toten „14, i (1799), S. 128, heißt es über G ENERAL VON K ÖHOORN : „Cöhoorn oder Köhoorn (Menno), der Vauban der Holländer, 1632 geboren. Sein Genie zum Krieg und zu Befestigungen entwickelte sich frühzeitig. Er befestigte und verteidigte als Ingenieur und General-Leutnant der vereinigten Staaten die meisten ihrer Plätze“. Er erscheint als „unsterbliche[r] General Köhoorn“ in der „Encyclopädie der Kriegswissenschaften; das ist: Kriegskunst, Kriegsbaukunst, Artillerie, Minierkunst, Pontonier-Feuerwerkerkunst und Taktik ihrer Geschichte und Literatur“, in alphabetischer Ordnung hrg. v. G.E. R OSENTHAL , Bd. 5 (Gotha: Carl Wilhelm Ettinger, 1800), S. 261. Vauban hatte drei Systeme des Festungsbaus entworfen, der hollän 

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dische Ingenieur M ENNO VON C OEHO [O] RN (1641–1704) hatte Festungen gebaut, war aber auch General und leitete die Eroberungen von feindlichen Festungen. E PHRAIM greift hier also hundert Jahre zurück. 153,39–156,8 Die Anordnungen] Der Abschnitt: „Die Anordnungen im „Ober=Kriegskollegio […] versehen werden müsse“ (75–83) wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 156,11–12 Der Kommandant übergab die Festung –] In der ersten Aufl.: „Der Kommandant übergab die Festung, –“ (62). 156,40 Anm. Dieser edle Mann] In der ersten Aufl.: „Dieser edle Mann hat nachher wirklich sein Wort erfüllt“ (62 Anm.). 156,25–26 Ein junger Mann von Stande,] In der ersten Aufl.: „Ein junger Mann von Stande seinen Namen […]“ (63). 156,27 Manquements] [fr.], Defizite, Regelverstöße. 156,31 Königsberg in Preußen] ursprünglich eine Stadt des Deutschen Ritterordens in Ostpreußen wurde Königsberg die wichtigste Stadt Preußens und blieb auch, nachdem Berlin 1701 zur Hauptstadt wurde, Krönungsstadt. 1806 wurde es im Zuge der fortschreitenden napoleonischen Truppen Rückzugsort für F RIEDRICH W ILHELM III. und seine Familie. 156,32 Schönfließ] Ort in Brandenburg, heute Ortsteil der Stadt Lebus im Landkreis MärkischOderland. 157,3 Bombadier] militärischer Rank bei der Artillerie der Preußischen Armee. Ursprünglich bedienten die Bombadiere die Steine für das Katapult, im frühen 19. Jahrhundert wurde es zu einem Rank zwischen dern Kanonieren oder Gemeinen und den Unteroffizieren; von bombarder [fr.]: Bomben werfen. 157,5 dem auf dem Schloß] In der ersten Aufl. des Textes heißt es „den“ (64) und ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. Der Gebrauch des Dativs statt des Akkusativs mag möglicherweise jedoch kein Druckfehler gewesen sein, sondern auf das Jiddische (bzw. Berlinerische) verweisen. 157,5–6 sich noch befindenden Unterofficier] In der ersten Aufl.: „den auf dem Schloß sich befindlichen […]“ (64). 157,11 Magdeburg] Stadt an der Elbe und heute Hauptstadt von Sachsen-Anhalt. Der Gouverneur F RANZ K ASIMIR VON K LEIST übergab Magdeburg kapitulierte vor den Franzosen, die zunächst unter der Führung des M ARSCHALLS J OACHIM M URAT , dann unter dem M ARSCHALL M ICHEL N EY die Stadt unterwarfen und besetzten. Die französische Besetzung Magdeburgs dauerte vom 25. Bis zum 8. November 1806. 157,11 Stettin] Hafenstadt an der Oder nahe der Ostsee, heute das polnische Szczecin. L EUTNANT -G ENERAL F RIEDRICH G ISBERT W ILHELM VON R OMBERG kapitulierte vor der eigentlich kleinen Kavallerie-Brigade A NTOINE L ASALLES am 29.-30. Oktober 1806. Die Armee war nach der verlorenen Schlacht von Jena-Auerstedt (14. Oktober) demoralisiert. 157,12 mit seiner ganzen Armee gefangen: F RIEDRICH L UDWIG , F ÜRST ZU H OHENLOHE -I NGELFINGEN , war ein preußischer General, der 1806 als General der Infanterie den linken Flügel der Preußischen Armee kommandierte. P RINZ L OUIS F ERDINAND befand sich unter ihm [s. 206,13]. H OHENLOHE überließ die taktischen Entscheidungen jedoch C HRISTIAN K ARL A UGUST L UDWIG VON M ASSENBACH und bald gab es auch Auseinandersetzungen zwischen H OHENLOHE und dem H ERZOG VON B RAUNSCHWEIG , da M ASSENBACHS Pläne ineffektiv waren. H OHENLOHE verlor die Schlacht bei Jena. Er floh mit einem Teil der Armee und weigerte sich zu kapitulieren. Anlässlich der Schlacht bei Prenzlau verhandelte M ASSENBACH mit den Franzosen und gab fälschlicherweise an, dass der Ort von Franzosen umstellt war. Als Folge gab H OHENLOHE auf und kapitulierte mit etwa 10 000 Soldaten. Viele andere Kommandierende folgten seinem Beispiel und

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kapitulierten in Pasewalk (29. Oktober), Stettin (in der Nacht zum 30. Oktober; s. 157,11) und Küstrin (1. November 1806). 157,14 Oberst Duppelin] J EAN D UPPELIN leitete als General 1806–1807 die Feldzüge der Grande Armée. Er wurde am 21. September 1807 für seine militärischen Leistungen zum Offizier der Ehrenlegion (Légion d’honneur) ernannt und erhielt den Ttitel eines Barons. In der ersten Aufl.: „jetzige Kommandant der Oberst Duppelin […]“ (65). 157,22 Port d’Epee] [fr., porte-épéé]. Das Portepee war ursprünglich eine Degentrage, auch Faustriemen genannt und ursprünglich eine um Griff und Bügel der Waffe wie um das Handgelenk des Soldaten geschlungene Schlaufe, die das Herabfallen der Waffe im Kampf verhindern sollte. Sie wurde zu einem Standesabzeichen für Feldwebel und Offiziere. 157,22 Huttresse] [fr. galon de chapeau], Hutverzierung; oft farblich abgesetzt, auch in Silber oder Gold. In der erste Aufl.: „correspondirt“ (66). 157,33 Louis] Der Louis d’or ist eine französische Goldmünze, die 1640–41 eingeführt wurden; sie trugen die Porträts der jeweiligen Könige. Die letzten Münzen wurden 1792 und 1793 geprägt, danach boten die Goldmünzen das Bildnis N APOLÉONS . 157,33–34 prénéz autant que Vous voulez] [fr.] prenez-en autant que vous voulez: Nehmen Sie soviel wie Sie möchten. 157,36 meines Königs] F RIEDRICH W ILHELM III. VON P REU ß EN regierte seit 1797. 157,38 rc. Feige] Regimentskommandant F EIGE . 158,18 Ducaten] Dukat oder Dukaten von lat. ducatus [Herzogtum] abgeleitet ist eine Goldmünze mit einem ungefähren Feingewicht von 3,44 g, die in ganz Europa noch bis zum 20. Jahrhundert im Umlauf war. In der ersten Aufl.: „Baarschaft“ (69). D AVOUT oder D AVOUST ] war als 158,28 Feldmarschall Davoust] L OUIS N ICOLAS D ’A VOUT [D „eiserner Marschall“ bekannt. Aufgrund seiner militärischen Leistungen und Loyalität zu N APOLÉON ließ dieser ihn und seine Männer als erste im Oktober 1806 in Berlin einreiten. 158,32 Bastillen] Die Bastille war eine mittelalterliche Festung in Paris, die im 17. Jahrhundert zum Staatsgefängnis wurde. Die Stürmung der Bastille am 14. Juli 1789 stand zu Beginn der Ereignisse der Französischen Revolution. 158,39 Ew. Exzellenz] Eure Exzellenz. 159,3 re] wohl für ec. bzw. etc. 159,5 Schlacht bei Jena] Die Schlachten bei Jena und Auerstedt in Thüringen fanden am 14. Oktober 1806 während des Vierten Koalitionskrieges statt. Die preußische Armee erlitt dabei eine schwere Niederlage. 159,5 Korps] [fr.] corps, [lat.] corpus: ein „Körper“ oder Verband des Heeres, der sich aus mehreren Divisionen bzw. Brigaden zusammensetzt. 159,14–15 Schlacht bei Auerstädt] Auerstedt [Auerstädt] ist ein kleiner Ort an der Saale bei Weimar und in der Nähe der Stadt Jena. Zu den Schlachten bei Jena und Auerstedt [s. 159,5]. 159,19 Uebergang ueber die Saale] Jena und Auerstedt liegen an der Saale; Weimar an einem Zufluß der Saale, der Ilm. 159,19 Der Herzog] K ARL W ILHELM F ERDINAND VON B RAUNSCHWEIG hatte 1806 den Oberbefehl über die preußische Hauptarmee. Am 14. Oktober 1806, zu Beginn der Schlacht bei Auerstedt verlor er durch eine Gewehrkugel beide Augen und konnte die Armee nicht mehr leiten. 159,22 effectuirt] [fr.] effectuer; (einen Auftrag) ausführen, etwas umsetzen. 159,23 Train] [fr.] Tross; Bezeichnung für das militärische Transportwesen. 159,25 Defilee] [fr.] défilé; von fil: Faden; ein feierliches Vorbeischreiten von Personen an hochgestellten Persönlichkeiten. 159,26 Tete] [fr.] tête de pont: Brückenkopf [s. 152,33].

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159,30 Bataillen] [fr.] Schlachten. 160,16 Intriguen] [fr.] intrigues: Intrige, Verschwörung, geheimer Anschlag. 160,21 Kampagne von 1778] Preußen marschierte am 5. Juli 1778 in Böhmen ein; Beginn des bayrischen Erbfolgekrieges [s. 205,11]. 160,23 den sogenannten einjährigen Krieg] Krieg zwischen Preußen, Sachsen und Österreich 1778–79 (sogenannter Kartoffelkrieg). Österreich beanspruchte nach dem Tod M AXILIMIANS III. das Kurfürstentum Bayern, das sonst an die Pfalz fallen würde; Preußen versuchte, die Allianz zwischen Österreich und Bayern zu verhindern. Der Erbfolgekrieg endete durch eine Vertragsunterzeichnung in Teschen. 160,24 Hrn. Gen. Leut. v. Rohdig] Herrn G ENERAL -L EUTNANT F RIEDRICH W ILHELM VON R OHDICH , ein preußischer General der Infanterie, der auch Geheimer Staats- und Kriegsminister war. 159,4–160,28 Davoust ist ein] Der Abschnitt: „Davoust ist ein schöner unterhaltender Mann […] wohl nicht gewagt zu finden“ (93–98) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 160,32 Staabsofficiren] In der erste Aufl.: „Staabsoffizieren“ (71). 160,32 D’avoust- und Augereauschen Korps] Die Soldaten unter der Leitung des G ENERAL D ’A VOUST [s. 175,12–13], der sein Hauptquartier in Oettingen hatte, und P IERRE A UGEREAU , dessen Hauptquartier sich in Frankfurt befand. 160,34 Büreau] [fr.] bureau; Büro, Arbeitszimmer. 160,39 soupirte] [fr.] zu Abend speisen. Das Hauptmahl des Tages war in dieser Zeit das diner, das am frühen Nachmittag stattfand; das souper war eine zumeist leichtere Mahlzeit. 160,40 Gesellschaft einiger Kapitäne] In der ersten Aufl.: „Kapitäns; außer dem Dienst spührt man […] (72). 161,2 Neumark] Gebiet in Ostbrandenburg; [poln.] Nowa Marchia. 161,4 Zeit der Directoren] Ein Ausschuß von fünf Direktoren, das Directoire, regierte Frankreich vom 2. November 1795 bis zum 1799, als Ersatz für den Ausschuß Nationaler Sicherheit. Am 9. November 1799 ersetzte N APOLÉON diese Regierungsform durch das Konsulat und ernannte sich selbst zum Ersten Konsul. In der ersten Aufl.: „mit Lob, selbst in den Zeiten“ (72). 161,5–6 Vanloo] Venlo [s. 178,7]. 161,8 mit einem] In der ersten Aufl. des Textes heißt es „einen“ (72) und ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. 161,16 Spandau] Ort westlich von Berlin (heute ein Stadtteil); Ort der 1594 erbauten Spandauer Zitadelle. 1806 kapitulierte die sich in der Zitadelle aufhaltende preußische Garnison kampflos. 161,29 des Marschalls Augereau, und hatte] In der ersten Aufl.: „des Marschalls Augereau und hatte […]“ (74). 161,34 Sanhedrin] [griech.] synedrion: Rat; höchstes jüdisches Gericht. N APOLÉON berief 1806 einen Grand Sanhedrin von Rabbinern, um an die antike Tradition anzuschließen. Er legte ihm zwölf Fragen vor; die Antworten sollten im Zuge der Diskussion um den Status der Juden die Nationalversammlung informieren. 161,37 ein Oberster Lambert] In der ersten Aufl.: „ein Oberster Albert“ (75). 161,38 nichts gescheues] nichts Gescheites; in der ersten Aufl.: „nichts gescheutes“ (75). 162,3 Schacher] [jidd.] schaher: schwindeln; Handeln zwecks eines geschäftlichen Vorteils. Ein negativer Begriff, der sich von dem hebräischen śakar (Erwerb) ableitet. 162,6 Dem Obersten] In der ersten Aufl.: „dem Obersten Lambert“ (76). 162,9 nothwendigen Umstände und Eigenschaften zu bekümmern] in Preußen wäre nur eine kirchliche Heirat möglich gewesen, die daher den Übertritt des jüdischen Partners voraussetzen würde. Tatsächlich gab es um die Jahrhundertwende mehrere Eheschließungen vor allem jüdischer

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Töchter aus wohlhabendem Hause mit Aristokraten, vor allem Vertretern des verarmten Landadels und daher eine relative hohe Anzahl von Konversionen in den etablierten jüdischen Familien Berlins. In erster Aufl.: „zu bekümmern; welches anzeigt […]“ (76). 162,12 verdanken] In der ersten Aufl.: „verdenken“ (76). 162,13 fas oder nefas] [lat.] per fas et nefas; Recht oder Unrecht; mit erlaubten und unerlaubten Mitteln. 162,19 zu lenken: weil auch] In der ersten Aufl.: „zu lenken: weil auch […]“ (77). 162,26 so schenkte ich ihm einen] In der ersten Aufl. folgt hier ein Absatz: Der entlassene Holländer bat mich, ihm einen Dukaten zu wechseln. Dieser blieb auf dem Tisch liegen; ich wollte ihn zu mir stecken, dachte aber, mag auch der Postarrestant dadurch etwa in Versuchung gerathen? Weglaufen kann er jetzt noch nicht, denn die Wege sind äußerst unsicher. Ich kam mit dem Hrn. Secr. Wachsmuth zu Hause und weg war der Dukaten. Der Postarrestant sagte: Sie haben gewiß den Dukaten statt einen Groschen weggegeben. Daß Er ihn sllte genommen haben, kam auch im Vorübergehen mir nicht in die Gedanken. Als ich den Nachmittag zu Hause kam, war der Postarrestant weg. Es kann sein, er hat den Ducaten nicht genommen, denn Wahrscheinlichkeit macht noch keine Gewißheit. (77–78). 162,31 Das Peinliche] In der ersten Aufl.: „das peinliche“ (79). 162,32 Amsterdam] Amsterdam ist hier nicht nur als fortschrittliche Stadt erwähnt; E PHRAIM kannte die wohlhabende Hafenstadt auch durch seinen Aufenthalt in seiner Jugendzeit. Hier gab es auch eine gewisse religiöse Toleranz, welche die Ansiedlung nicht nur aschkenasischer (deutschstämmiger oder osteuropäischer), sondern vor allem auch sephardischer Juden ermöglichte, die aus Spanien und Portugal nach den Niederlanden flohen. 162,32 Burgemeister] Bürgermeister. 162,33 Schöppe] [ahd.] sceffino oder scaffin; [mhd.] Scheffe oder Schepfe; Schöpfe: eine Person, der die Aufgabe der Rechtssprechung zukam. 162,33–34 Konduitenliste] Darstellung des Lebenslaufes mit Hinweis auf moralische wie professionelle Eigenschaften, Verhalten und Eignung zu einer möglichen Beförderung. Die Konduitenliste wurde über Offiziere und Beamte erstellt und an regelmäßig an die höheren Behörden weitergeleitet. 163,1 im Stockhause] Gefängnis; ein Haus, in dem sich der Stock für die Gefangenen befand; üblicherweise für Schwerverbrecher. 163,4 Waisenhause zu Amsterdam] Das Amsterdamer Waisenhaus [Burgerweeshuis] wurde im 16. Jahrhundert gegründet und beherbergt heute das Amsterdam Museum. Bürger spendeten Geld in Sammelbüchsen, die an dem Gebäude angebracht waren. 163,7 Mad. Six] M ADAME S IX ; Identität nicht weiter feststellbar. Die Wohltätigkeit der spendenden Personen war nicht immer selbstlos. Im 17. Jahrhundert wurden auch Kinder des Waisenhauses der East India Company als Arbeiter zugesprochen. 163,12 Ich habe der Verweigerung […] von dem Kaufmann Krappe erwähnt] In der ersten Aufl.: „dem Kaufmann Krape erwehnt und ihn einigermaßen entschuldigt […]“ (80). 163,15 Kalmuküberrock] Die Kalmücken sind ein westmongolisches Volk, das im russischen Gebiet lebt; ihre Mäntel wurden als schwarze, lange und zottige Filzmäntel beschrieben, die sie vor dem Wetter schützen sollten. S. B ENJAMIN B ERGMANN , „Nomadische Streifereien unter den Kalmüken in den Jahren 1802 und 1803“, Erster Teil (Riga: C.J.G. Hartmann, 1804), S. 58. 163,23 Ein Gimpel] ein einfältiger Mensch, Narr; wahrscheinlich abgeleitet von der Vogelart Gimpel oder Dompfaff, die sich leicht einfangen lässt. 163,25–26 Scharfsinn] Intelligenz. In späterer Zeit wird Scharfsinn zu einem Begriff, der als Spitzfindigkeit auch negativ verwendet wird und zu einem negativen Begriff hinsichtlich der Beschreibung von Juden wird.

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163,26 Plutarchs, Tacitus, Robertsons] hier sind die Autoren von Geschichtswerken gemeint, etwa P LUTARCHS Parallelbiografien, T ACITUS ‘ Geschichte Germaniens und W ILLIAM R OBERTSONS Geschichten Schottlands und Amerikas. E PHRAIM verweist hiermit auf griechische, lateinische und englisch-schottische Autoren, weder Deutsche noch Franzosen, die außerdem einem gebildeten nicht-jüdischem Publikum bekannt sein dürften. 163,26 Laune eines Yoriks] s. „Hamlet“ von W ILLIAM S HAKESPEARE . Dort heißt es: „Alas, poor Yorick! I knew him, Horatio; a fellow of infinite jest, of most excellent fancy; he hath borne me on his back a thousand times; and now, how abhorred in my imagination it is! My gorge rises at it“ (5. Akt, 1). 163,32–33 Einem ärmlichen Talmudisten] viele Religionslehrer in Berlin dieser Zeit waren arme, religiöse polnische Juden, deren Hebräisch- und Talmudkenntnisse geschätzt wurden. Sie hatten kein eigentliches Aufenthaltsrecht in der Stadt und wurden nur bedingt geduldet. Sie unterrichteten die Söhne vieler wohlhabender Familien, während die Töchter nicht so sehr hebräisch wie Französisch und andere Sprachen lernten und eine eher säkulare Erziehung erhielten. 163,33–34 einprägte] In der ersten Aufl.: „einprägete“ (82). 164,1 meinen Vater] der Hofjude N ATHAN V EITEL H EINE (C HAIM ) E PHRAIM , ein wohlhabender Bankier und Kaufmann. 164,1 Magister Lessing] G OTTHOLD E PHRAIM L ESSING schloß 1752 sein Studium in Wittenberg als Magister der Sieben Freien Künste ab. Als Autor von Dramen wie „Die Juden“ (1749) und „Nathan der Weise“ (1779) sowie als Freund von M OSES M ENDELSSOHN erwarb L ESSING einen besonderen Respekt in der Jüdischen Gemeinde Berlins. 164,4 Kruegers Naturlehre] J OHANN G OTTLOB K RÜGER , „Naturlehre“, 3 Bde, 1740–1749. Krüger war ein Arzt und Naturforscher der Aufklärung an den Universitäten in Halle und Helmstedt; seine Naturlehre erreichte große Popularität. 164,4–5 Luthers Bibel] Die deutsche Bibelübersetzung von M ARTIN L UTHER wurde hier auch von einem Vertreter eines religiösen jüdischen Hauses gelesen. 164,5 meine Mutter] E LKE (E LKELE ) M IRELS F RÄNKEL . Weder von ihr noch von ihrem Mann, E PHRAIMS Vater N ATHAN V EITEL H EINE (C HAIM ) E PHRAIM existieren Porträts. Wohlhabende Hofjuden dieser Zeit ließen sich bereits abbilden; hier geschah es vielleicht aus religiösen Gründen nicht. 164,11 Federkrieg] eine Auseinandersetzung, die zunächst durch schriftliche Erlasse und Protestnoten, nicht durch Kriegsführung auf dem Feld ausgeführt wurde. 164,13 statistischen Schriftsteller] Schriftsteller, die über das Staatswesen schreiben. 164,14 Kompilateur] [fr.] compilateur: eine Person, die Texte sammelt und zusammenstellt, impliziert gemeint hier ist ein Mangel an Originalität. 164,15 der sel. Lessing] der selige L ESSING . 164,17 indem ich von dem Französischen] In der ersten Aufl.: „von dem französischen durch den dreimonatigen Unterricht […]“ (84). 164,18 Französischen Kolonie] Ansiedlung der französischen Réfugiés (Flüchtlinge), die in Frankreich wegen ihrer protestantischen Religion verfolgt wurden, in Berlin. Das Toleranzedikt des G RO ß EN K URFÜRSTEN F RIEDRICH W ILHELM ermöglichte ihre Einwanderung und sie spielten seit dem späten 17. Jahrhundert eine bedeutende wirtschaftliche wie kulturelle Rolle in der Stadt. 164,20 Anfang des siebenjährigen Krieges] Der von F RIEDRICH DEM G RO ß EN gegen Österreich und die mit Österreich verbündeten Staaten geführte Krieg dauerte von 1756 bis 1763, etablierte F RIEDRICHS Ruf als Kriegsführer und verwandelte das Königreich in Preußen in ein Königreich Preußen.

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164,26 Friedrichsd’or] gebildet aus einer Kombination des Namens Friedrich und d’or [fr.: aus Gold] ist eine preußische Goldmünze mit einem Nominalwert von 5 silbernen preußischen Reichstalern. Sie wurde nach F RIEDRICH DEM G RO ß EN benannt und zwischen 1741 und 1855 geprägt. 164,27–28 über meine Ausschweifung] In der ersten Aufl.: „meine Ausschweifung, hatte aber […]“ (85). 164,33 ohne rauschende Gesellschaft] In der ersten Aufl.: „ohne rauschende Gesellschaft sechs Monat […]“ (85). 164,34 lernen sie Sprachen rc] In der ersten Aufl.: „lernen Sie Sprachen […]“ (85). 164,36 des unsterblichen Mendelssohn] M OSES M ENDELSSOHNS führende Stellung in der jüdischen Gemeinde war allgemein anerkannt; die Gemeindemitglieder bestellten etwa noch zu seinen Lebzeiten eine Porträtbüste von ihm von dem Hofbildhauer J EAN -P IERRE T AESSERT . Wahrscheinlich suchte E PHRAIMS Vater auch hinsichtlich der Erziehung seines Sohnes Rat bei M ENDELSSOHN . 164,39 l’esprit des loix von Montesquieux] C HARLES DE S ECONDAT , B ARON DE M ONTESQUIEU , veröffentlichte „De l’esprit des loix“ 1748 (Genf: Barillot et fils). 164,39–40 discours politiques von David Hume] D AVID H UME , „Political Discourses“ (1752) wurde als „Discours Politiques“ von E LZÉAR DE M AUVILLON übersetzt und erschien in Amsterdam: Chez J. Schreuder, et Pierre Mortier le jeune, 1754. E PHRAIM las das Buch wahrscheinlich in französischer Übersetzung. 164,40–165,1 Hr. Mendelssohn] In der ersten Aufl.: „Hr Mendelssohn“ (86). 165,2 Hrn. Swah] J OSEPH S WAH oder S WA war ein jüdischer Bankbedienter, der 1794 auch H ERZ H OMBERG Mathematik und Astronomie unterrichtete und 1777 auch zu den Förderern einer jüdischen Schule (dem Philantropin) gehörte. In der ersten Aufl.: „Hrn Schwah“ (86); das Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies. Jüdische Namen waren vor der Emanzipation jedoch ohnehin nicht festgeschrieben. 165,3 Euklides] griechischer Mathematiker, der als Begründer der Geometrie gilt. 165,3 Algebra nach Clairau] A LEXIS C LAUDE C LAIRAUT war ein bekannter Mathematiker, der vor allem durch seine Meridianmessung in Lappland (1736) und Berechnung der Kometenbahnen hervortrat. 1731 veröffentlichte er bereits achtzehnjährig seine „Recherches sur les courbes à double courbure“ und wurde Mitglied der französischen Akademie. Das Studium der Mathematik spielte eine große Rolle in der Ausbildung junger Juden der Aufklärungszeit. In der ersten Aufl.: „Clairon“ (86). 165,4 wird denen nicht auffallen die] In der ersten Aufl.: „wird denen nicht auffallen, die [..]“ (86). 165,7 Leipzig] Leipzig war die führende Messestadt der Zeit, aber N ATHAN V EITEL H EINE E PHRAIM führte seinen Sohn auch in seine Geschäfte mit der sächsischen Münze ein, die er in Leipzig betrieb. 165,8 Schlacht bei Collin] militärische Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich am 18. Juni 1757 im böhmischen Kolin während des Siebenjährigen Krieges; F ELDMARSCHALL L EOPOLD J OSEPH VON D AUN brachte F RIEDRICH DEM G RO ß EN hier die erste Niederlage des Krieges. Der Verlust war gewaltig; die Schlacht forderte etwa 22.000 Tote und Verwundete. 165,9 Koppenhagen] E PHRAIM floh mit seinem Vater zunächst nach Hamburg und dann nach der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. In der ersten Aufl.: „Nach der verlohrenen Schlacht bei Collin ging ich mit demselben nach Kopenhagen“ (86–87). 165,11–12 bei der alliierten Armee] im Siebenjährigen Krieg positionierte sich Preußen und Großbritannien/ das Kurfürstentum Hannover auf der einen, Österreich, Russland und Frankreich auf der anderen Seite. Preußen ging aus diesem Krieg als fünfte europäische Großmacht hervor. 165,14 besonderes mittheilen] E PHRAIMS Schrift über die Armeeverpflegung ist nicht erhalten. In der ersten Aufl.: „werde ich in einem besonderen Werk mittheilen“ (87).

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165,15 von meinem Vater und seinen Kompagnons] E PHRAIMS Vater stand zu verschiedenen Zeiten in Partnerschaft mit seinem Schwager M OSES F RÄNKEL , mit dem er die Königsberger Münze betrieb, dann aber vor allem mit dem Berliner Gemeindeältesten D ANIEL I TZIG , mit dem er ebenfalls im Münzgeschäft stand und während des Siebenjährigen Krieges ein Vermögen verdiente. Der Gesellschaft Ephraim & Co. wurden alle sechs preußischen und die beiden sächsischen Münzstätten in Leipzig und Dresden verpachtet. Auf Anweisung F RIEDRICH II. sollten sie dieses Vermögen dann im Inland anlegen und betätigten sich daher mit der Einrichtung von Manufakturen, etc. 165,15–16 Handelshaus in Amsterdam] Es handelte sich dabei vor allem um eine Silberschmelze. Das Metall für die Münzen wurde zum Teil von der Neuen Welt her nach den Niederlanden verschifft. 165,16 verheirathete mich daselbst] E PHRAIM heiratete J EANNETTE G UTSCHE P HILLIP 1762 in Amsterdam. 165,20 l‘Honnêt criminel] Drama von C HARLES G EORGE F ENOUILLET DE F ALBAIRE DE Q UINGEY , „L’Honnête Criminel: Drame en cinq Actes & en vers“ (1767). Die Übersetzung ist nicht erhalten. 165,20 flüchtige Broschüre über die Lage Englands] Die Broschüre ist nicht erhalten. 165,24 Lopes de Fega] L OPE DE V EGA wurde in dieser Zeit u. a. durch F RIEDRICH J USTIN B ERTUCHS „Magazin der Spanischen und Portugiesischen Literatur“, Weimar: Carl Ludolf Hoffmann, 1780, bekannt; der erste Bd. dieses Werkes trägt auch ein Porträt des spanischen Autors. 165,25 ist ein Zeitverschwender] Dieses Wort L OPE DE V EGAS wird auch bei Richard E. Chandler und Kessel Schwartz in „A New History of Spanish Literature“ zitiert: „An author who wrote fewer than one hundred plays was either lazy or lacking in inventiveness“ (A New History of Spanish Literature. Revised edition, Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1991, S. 48). Der Satz ist allerdings nicht nachweisbar. 165,25–26 Aufsatz über England] vgl. 165,20. In der zweiten Aufl. fehlt der Punkt am Ende des Satzes. 165,27 Preussische Gesandte] Der Schweizer A BRAHAM L OUIS M ICHELL war 1760–1764 preußischer Gesandte in England, bevor er nach Neuenburg versetzt wurde. 1765 wurde J OACHIM C ARL VON M ALTZAN als außerordentlicher Gesandter nach England entsandt. 165,30 erwähnte] In der ersten Aufl.: „erwehnte“ (88). 165,33 Ouvrez!] [fr.]: Öffnen Sie die Tür! 165,34 Garde d’élit] [fr.] Gendarmerie d’élite de la Garde impériale; die Elitegendarmerie der kaiserlichen Garde wurde 1801 von N APOLÉON aufgestellt, wurde 1802 in die garde consulaire eingegliedert und 1803 von der kaiserlichen Garde übernommen. 165,35–36 Nein ich komme] In der ersten Aufl.: „Nein, ich komme von Berlin […]“ (89). 166,1 Duroc, wahre Achtung und Liebe hegte] In der ersten Aufl.: „Düroc wahre Achtung und Liebe hegte“ (89). 166,2 manches] In der ersten Aufl. des Textes heißt es „maches“ (90) und ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. 166,8 gewiß Einfluß auf Friedrich den 2ten, aber] In der ersten Aufl.: „Friedrich den 2ten aber seine Antwort war stets […]“ (90). 166,10 und eine Sprache führen] In der ersten Aufl.: „eine andere Sprache führen“ (90). 166,13 Läsion] [lat.] laesio: Verletzung; Schädigung. 166,13 Priester zu Delphos] Das antike Orakel von Delphi befand sich am Hang des Parnasses außerhalb der Stadt. Die Hohepriesterin P YTHIA verkündete Weissagungen, welche zwei Priester, die sie begleiteten, interpretieren mussten.  

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166,14–15 Napoleon, oder Ferdinand] N APOLÉON war seit 1802 Kaiser von Frankreich; der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war allerdings L EOPOLD II. bis 1792, dann bis zu dessen Auflösung 1806 F RANZ   II. Es gab einen Ferdinando Burbone. Die erste Aufl. gibt allerdings weiteren eher literarischen Aufschluß, dort heißt es: „gleich viel ob es ein Napoleon, oder König von Dännemark ist“. 166,15 Zwar ist es äußerst unrecht] Der Satz: „Zwar ist es äußerst unrecht […]“ (118) wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 166,18 Contratsocial] [fr.] Gesellschaftsvertrag; J EAN -J ACQUES R OUSSEAU , „Du contrat social ou Principes du droit politique“ (1762; „Vom Gesellschaftsvertrag oder den Prinzipien des politischen Rechts“) ist ein Hauptwerk des Autors wie der französischen Aufklärung und beschäftigt sich mit den Vorraussetzungen einer menschlichen Gemeinschaft; R OUSSEAU fordert einen freiwilligen Vertrag, der den Gemeinwillen zum Wohl aller und die Gerechtigkeit als Grundlage des Staates sieht. 166,20 Potentaten] [lat.] potentatus: Machthaber, Herrscher. 166,24–25 euer eigener Vortheil] In der ersten Aufl.: „eigner“ (91). 166,27 und dankt es mir] In der ersten Aufl. folgt nur ein Gedankenstrich (92). 166,32–33 unlogisch handeln:] In der ersten Aufl.: „unlogisch handeln; eine Tonne […]“ (92). 166,33 eine Tonne für den Wallfisch] Sprichwörtlich dem Walfisch eine Tonne vorwerfen; s. etwa: „ich dürfte nur erdichten, dasz ein ... berühmter mann ... sich habe verlauten lassen, buchdruckerstöcke wären nichts anders, als was die tonnen bey den wallfischen sind, welche man ihnen vorwirft, damit sie das schiff in ruhe lassen“. G OTTHOLD W ILHELM R ABENER , „Sammlung satyrischer Schriften“ II. Leipzig: Johann Gottfried Dycks, 1751, S. 82. 166,34 Harpune] ein Spieß oder Speer, der mit einem Widerhaken versehen ist und für den Walfang verwendet wird. In der ersten Aufl. folgt nach diesem Satz ein Gedankenstrich (92). 166,35 Duroc] In der ersten Aufl.: „Düroc“ (92). 166,38 Anm. Ich habe Piecen in Händen] Diese Anm. wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 166,38 Anm. Piecen] [fr.] pieces, Stücke. 167,4 Gensd’armen] [fr.] „Gens d’armes“ wurde im 15. Jahrhundert in Frankreich für bewaffnete und gepanzerte Ritter geprägt; in Preußen war es seit Ende des 17. Jahrhunderts der Name eines Eliteregiments, das als Regiment Gendarmes oder Gens d’Armes besonders unter Friedrich II. bekannt wurde. Es wurde 1806 aufgelöst. Der Name galt seit dem 19. Jahrhundert als Bezeichnung für die Polizei. 167,5 auf dem Schloß] hier das Berliner Stadtschloß. 167,5 Die starke Bewachung] „Die starke Bewachung […] zu befragen“ (120–121) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 167,12 das statistische Fach] von [lat.] statisticum, „den Staat betreffend“. Die deutsche Statistik wurde 1749 von G OTTFRIED A CHENWALL als eine „Lehre von den Daten über den Staat“ begründet. 167,13 Stuarts Staatswirtschaft] J AMES S TEUART , „An Inquiry into the Principles of Political Economy“ (London 1767). 167,15 Staatswirthschaft, worüber] In der ersten Aufl.: „Staatswirthschaft; worüber […]“ (93). 167,17 eine Abhandlung] s. 165,20. 167,20 des Königs:] In der ersten Aufl.: „des Königs; ob ich zu dieser […]“ (93). 167,24 auf andere Gegenstände, und kam] In der ersten Aufl.: „andere Gegenstände und kam […]“ (94). 167,27 benutzt hatte. –] In der ersten Aufl.: „benutzt hatte? – „ (94).

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167,34 Ephemeriden] [fr.] l’éphéméride; von [fr.] éphémére: vergänglich; [griech.] ephēmeros: für einen Tag. Astronomische Tabellen oder Kalender, auch Abreißkalender; aktuelle und vergängliche Nachrichten. 167,35 physiokratisches System] Ein ökonomisches System der Erhebung von Abgaben, dass eine Abgabe, die verschiedene bündelt, vorzieht; in Frankreich beeinflusste es den Beginn der Revolution. 168,3 Antiphysiokraten] Schüler einer Wirtschaftslehre, die der Physiokratie entgegensteht und sich für eine Industrialisierung einsetzt. E PHRAIM selbst war überzeugter Antiphysiokrat. 168,4 Physiokraten] von [gr.] physis (Natur) und kratis (Herrschaft); die Schüler dieser ökonomischen Lehre sehen die Natur (Grund und Boden, Bergbau, Fischerei) als Grundlage der Wirtschaft. 168,8 dedizierte] [lat.] dedicare: widmete. 168,12 ein gekünstelter Staat] kein natürlich gewachsener Staat, sondern ein Staat, der durch List und geschickte Feldzüge entstanden ist. 168,12 Tiessenhausen] T IESENHAUSEN ist ein alter baltischer Adelsname; eine in Polen ansässige Linie nannt sich T YZENHAUS und hatte den Grafenstand angenommen. Ein prominenter Vertreter war A NTONI T YSENHAUS (oder A NTON VON T IESENHAUSEN , 1733–1785), Hofmarschall des Großfürstentum Litauens und ein Vertrauter von K ÖNIG S TANISŁAW II. A UGUST VON P OLEN , der als ein Industriepionier galt. Er ist wahrscheinlich hier gemeint. Ein weiterer Vertreter der Familie war G EORG J OHANN VON T IESENHAUSEN , ein Autor verschiedener Werke zur Landwirtschaft in Livland und auch durch Innovationen in diesem Bereich bekannt. 168,16 des weisen Salomon] Hier wohl eher „Sprüche“ 27.10, „Deinen Freund und deines Vaters Freund verlaß nicht, und gehe nicht ins Haus deines Bruders, wenn dir’s übel geht; denn dein Nachbar in der Nähe ist besser als dein Bruder in der Ferne“. 168,20 Regal] [fr.] régale, Ursprung, [lat.] Königsrecht. 168,20 gemacht werden müsse] In der ersten Aufl. folgt hier ein Gedankenstrich (97). 168,21 Ich habe Muth genug, mich anzuklagen] In der ersten Aufl.: „Muth genug mich anzuklagen“ (97). 168,22 Regal; aber Gott ist mein Zeuge] In der ersten Aufl.: „Regal: Aber Gott ist mein Zeuge […]“ (97). 168,25 daß Schulenburg und Konsorten einst] In der ersten Aufl.: „daß andere einst die häufige Ausprägung […]“ (97). 168,36 die ersonnene Pest] Das Gerücht einer Pest-Epidemie diente offiziell als Grund des Einmarsches preußischer Truppen. 168,36–37 Erste Theilung von Polen] In den Jahren 1772, 1793 und 1795 teilten die Nachbarmächte Russland, Preußen und Österreich Polen schrittweise unter sich auf. Hier ist die erste Teilung von 1772 gemeint. 168,37 von Rußland dazu gezwungen] Russland befürwortete und beförderte eine Teilung Polens, die dem Reich Gebiete zusichern konnte. 168,39 skrupulös] In der ersten Aufl.: „skrupuleus“ (99). 169,1 Petersburg] Peter der Große hatte schon 1712 Sankt Petersburg zur Hauptstadt des russischen Reiches erklärt; die Stadt löste Moskau als Hauptstadt ab. 169,8 Scheffel] seit dem Mittelalter Maß für Getreide, aber auch Steinkohle, das regional verschieden gemessen wurde; in Brandenburg etwa 52,75 Liter. 169,14 Leutulus] In der ersten Aufl.: „Lentulus“ (100). 169,16 nach der Newtonschen Lehre] In seiner „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ (1687) formulierte I SAAC N EWTON drei Grundsätze der Bewegung: Ein kräftefreier Körper bleibt

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in Ruhe oder bewegt sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit; Kraft gleich Masse mal Beschleunigung; Kraft gleich Gegenkraft. 169,19 Eigenliebe] amour propre. J EAN -J ACQUES R OUSSEAU im Besonderen schrieb in seinen Werken über amour propre als Selbstrespekt. E PHRAIM , der diesen Begriff häufig wiederholt, bezieht ihn wahrscheinlich von R OUSSEAU . 169,24 Geh. Kab. Rath Stelter] G EHEIMER K ABINETTRAT S TELTER . Der Geheime Rat war ein Kollegium oder Kabinett von Räten, das über wichtige Landesangelegenheiten beriet. Es unterstand direkt dem Landesherrn. 169,25–26 Alles machte diesem Weibe die Kour] [fr.] cour; jeder machte dieser Frau den Hof. 169,30 etwas zu erlangen] In der ersten Aufl.: „etwas zuzueignen“ (101). 169,34 Debitirung] [lat.] debitum: Belastung eines Kontos oder einer Person; ein Kaufmannsbegriff. In der ersten Aufl.: „der berüchtigten Ausmünzung der holländischen Dukaten“ (102). 169,34 Rubel] [russ.] rubit’: (ab)hauen; i.e. das Stück eines Silberbarrens. Russische Währung. 169,37 vom siebenjährigen Kriege her] F RIEDRICH II. finanzierte den Krieg vor allem durch die Prägung minderwertiger Münzen, für die vor allem E PHRAIMS Vater, N ATHAN V EITEL H EINE E PHRAIM , zuständig war. 169,38 Kapitalien] [mittellat.] capitale: Kopfende; verfügbare Geldsumme, Werte, die Gewinn abgeben. 169,39 in Kontribution zu setzen] einem Land Beiträge auferlegen. 170,2 Friedrich Wilhelm der 2te] F RIEDRICH W ILHELM II. wurde nach dem Tod seines O NKELS F RIEDRICH II. (17 August 1786) König von Preußen. Er starb bereits am 16. November 1797; sein Nachfolger war sein Sohn F RIEDRICH W ILHELM III. 170,5 holländische Revolution] Der Aufstand in den Niederlanden datiert vor der Französischen Revolution, nämlich 1787. 170,7 Statthalter] Verwalter einer Region, Stellvertreter eines Regenten oder Vorgesetzten. Die holländischen Provinzen wurden ab 1433 durch Statthalter regiert. Der holländische Statthalter war während des französischen Flandern-Feldzuges W ILHELM V., P RINZ VON O RANIEN . 170,12 den Türken Luft zu machen] Österreich hatte in der Vergangenheit die Türkenkriege erlebt. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts expandierte jedoch Russland nach dem Süden. Der russische Zar sah sich als Erbe des byzantinischen Kaisers. Zwischen 1787 und 1792 fanden die Russisch-Österreichischen Türkenkriege statt; Anlass war die Annexion der Krim durch K ATHARINA II. Mitte 1790 beendete Österreich aber seine Auseinandersetzungen und versuchte, den Aufstand in II Brabant niederzuhalten. 170,13 österreichischen Niederlanden] Die österreichischen Niederlande (Belgium Austriacum) existierten seit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges (1714) bis zur Eroberung durch die französischen Truppen und dem Anschluss an die Französische Republik 1795. Sie umfassten etwa das Gebiet des heutigen Belgiens und Luxemburgs. 170,15 an den Kriegen gegen Frankreich Theil zu nehmen] Frankreich und Großbritannien befanden sich seit 1793 in einem See- und Kolonialkrieg. 170,17 sondiren] [fr.] sonder, erforschen. 170,17 reisete nach Brüssel] E PHRAIM traf am 27. September 1791 in Brüssel ein. 170,18 Insurrection] [lat.] insurgere: aufstehen; Aufstand. 170,20 homme de bois] [fr.] Mann des Waldes, wilder Mann; auch die Übersetzung aus dem Malaiischen für Orang-Utan]. 170,22 keinen Frieden mit den Türken] Der Zweite Russisch-Österreichischen Türkenkriegs von 1787–1792 folgte der Annexion der Krim durch die Z ARIN K ATHARINA II. Österreich wurde durch Preußen zu einem Ausscheiden aus dem Krieg und einer Rückgabe von erbeuteten Gebieten

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gezwungen und L EOPOLD II. unterzeichnete am 4. August 1791 einen separaten Friedensvertrag mit der Türkei in Swischtow im heutigen Bulgarien. 170,24 die brabantische] Die Brabanter Revolution brach am 24. Oktober 1789 aus. Im Unterschied zur Französischen Revolution ging es hier aber um den Erhalt der Ständeordnung. 1790 kam es dabei zu einer Unabhängigkeitserklärung von den Niederlanden und einer ersten Gründung Belgiens. 170,24–25 Haß gegen den Kaiser Joseph] gemeint sind hier die auch kirchenpolitischen Reformen des K AISERS J OSEPH II. Der Kaiser beschnitt die Macht der katholischen Kirche und ermöglichte auch die Ehe als bürgerlichen Vertrag. 170,28 Lafayete] In der ersten Aufl.: „Lafayette“ (104). 170,28 Namur] Stadt im wallonischen Teil von Belgien. 170,29 zu bewirken. Man ließ] In der ersten Aufl.: „zu bewirken: Man ließ […]“ (105). 170,29 Giver] Givet; Ort in Nordfrankreich an der belgischen Grenze. 170,39 Capons] [fr.] Plural von Kapaun oder Masthahn; d. h. ein kastrierter Hahn. Der Begriff wurde auf einen nicht besonders mutigen bzw. charakterlosen Mann übertragen. 170,39 les forts de la halle] [fr.] Les forts des Halles: Die Arbeiter, welche die Waren in die alten Markthallen von Paris [Les Halles] trugen. 171,3 Van der Noot schützte vor] In der ersten Aufl.: „van der Noot schützte vor, er selbst laufe Gefahr von einem so aufgebrachten Haufen gemißhandelt zu werden“ (106). 171,7 Schlacht bei Leuthen] Die Schlacht fand am 5. Dezember 1757 während des Siebenjährigen Krieges bei Leuthen in Schlesien statt.. F RIEDRICH II. führte die preußische Armee zum Sieg gegen das österreichische Heer unter P RINZ K ARL A LEXANDER VON L OTHRINGEN . 171,18–19 alle irdische Glückseligkeiten] eine Anspielung auf den vom Vater, N ATHAN V EITEL H EINE E PHRAIM , für sich und seine Familie erlangten Reichtum; E PHRAIM selbst war mit seinen Geschäften nicht so erfolgreich und ging 1809 bankrott. 171,24 Der Reichenbacher Friede] Die Reichenbacher Konvention wurde am 27. Juli 1790 im schlesischen Reichenbach als Vertrag zwischen Preußen und Österreich getroffen, der beide Staaten miteinander verbündete. 171,24–25 Zum König nach Breslau] Breslau wurde in dieser Zeit von Preußen in eine Festung verwandelt. 171,31 Der König sagte mir] Die anschließende Fußnote wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 171,31–32 unter dem Vorwande eines Kommerztraktats] E PHRAIM ging unter dem Vorwand nach Paris, um als Kaufmann Handelsverträge [Kommerztraktate] abzuschließen; um aber eigentlich im Auftrag des Königs die Möglichkeiten einer Verbindung [Allianz] zwischen Preußen und Frankreich zu erkunden. In der ersten Aufl.: „Kommerztraktats eine Allianz abschließen kann“ (108). 171,33 Departement] [fr.] département: Bezeichnung einer Gebietsköperschaft bzw. politischgeographische Einheit; gleichzeitig auch politische Abteilung wie etwa das Justiz-Departement. 171,34 Haag, Paris und London] Damit bestimmt E PHRAIM die Hauptstädte der Niederlande, Frankreichs und Großbritannien und europäische Zentren von Bedeutung. Die Fußnote wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt. 172,1 viermal] In der ersten Aufl.: „4mal“ (108). 172,2–3 Minister der auswärtigen Geschäfte] In der ersten Aufl.: „Minister der auswärtigen Geschäfte Montmorin vorgestellt wurde“ (109). 172,6 Comité diplomatique] Das Comité diplomatique de l’Assemblée constituante, später de l’Assemblée legislative und schließlich de la Convention war gegründet worden, um die Außenpolitik zu leiten.  

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172,8–9 Es war nie seine Absicht] Der Satz: „Es war nie seine Absicht, das Königthum zu zernichten“ (138) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 172,10–11 in seinem Werk über diesen Gegenstand] Es ist unklar, auf welches Werk E PHRAIM sich bezieht. 172,13 ganz leidend] passiv bleiben. 172,13–14 Dies war es auch] Der Satz: „Dies war es auch […] vermehrte“ (139) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 172,16 entgegen arbeiten durfte] In der ersten Aufl.: „arbeiten durfte noch […]“ (109). 172,20 sowohl Demokraten als Aristokraten] gemeint sind wohl Republikaner und Monarchisten. 172,24 Epheriden] s. ephemeride, s. 164,37. 172,25 schlich] In der ersten Aufl. des Textes heißt es „schiich“ (110) und ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Buches korrigiert dies. 172,26 Ich befliß mich, diese Blätter] In der ersten Aufl.: „Ich befliß mich diese Blätter zu untersuchen und dies Mittel entsprach meiner Vermuthung“ (110). 172,36 immer größeren Einfluß zu erhalten] In der ersten Aufl.: „Einfluß zu erhalten; weshalb ich […]“ (111). 172,40 Barnave, Duport und Duc d’Aiguillon] In der ersten Aufl.: „Barnave, Duport, und Duc d’Aiguillon“ (111). 173,1 in einem anderen Werke] E PHRAIMS hier angekündigtes Werk ist unbekannt. 173,4 Gesandte Namens Dumoutier] Hier verweist E PHRAIM auf die Schwester des französischen Gesandten in Berlin, M OUSTIE r, M ARQUISE DE B RÉHAN ; E PHRAIM glaubte M OUSTIER als einen Urheber seiner Verhaftung in Paris. 173,5 Frau von Ingenheim] Hier ist die G RÄFIN D ÖNHOFF gemeint; die G RÄFIN I NGENHEIM starb bereits am 25. März 1789. 173,6 der verstorbene hochsel. König] F RIEDRICH W ILHELM II. 173,7 Depeschen] [fr.] dépêches; Nachrichtensendungen. 173,7 Dumoutier] In der ersten Aufl. hier: „Dümoutier“ (112). 173,9 Ami du peuple] [fr.] L’Ami du Peuple: Freund des Volkes; eine von J EAN -P AUL M ARAT während der Französischen Revolution herausgegebene politische Zeitung, die 1789–1793 erschien; die letzte Ausg. wurde einen Tag nach seinem Tod gedruckt. Die andere von E PHRAIM genannte Zeitung war möglicherweise „L’Ami du Roi“, eine royalistsche Publikation des A BBÉ T HOMAS -M ARIE R OYOU und G ALART DE M ONTJOIE (1790–92), die mit M ARATS Zeitschrift konkurrierte. 173,11 Zu verfolgen,] In der ersten Aufl.: „verfolgen und es wurden […]“ (112). 173,11 Comité des recherches] [fr.] Das Comité des recherches de l’Assemblée nationale, ein Such- und Überwachungsausschuss, wurde am 28. Juli 1789 gegründet. Am 2. Oktober 1792 wurde dieses Comité mit dem Comité de surveillance révolutionnaire, [fr.: Überwachungsausschuss], zusammengelegt und das Comité de sûreté Générale, ein allgemeiner polizeilicher Sicherheitsausschuss gebildet. 173,13 Chabreond] In der ersten Aufl.: „Chabreond“ (113); ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies. 173,15 nach der Abtei] das Prison de l’Abbaye war das Staatsgefängnis in Paris; es war ursprünglich als Abtei und Kirche Saint-Germain-des-Prés bereits im 11. Jahrhundert errichtet worden. 173,16 Chabrond] In der ersten Aufl.: „Chabreond“ (113); ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies. 173,16 Sales] In der ersten Aufl.: „Isnar“ (113); ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies als „Salle“.

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173,23 Poissarden] [fr., poissardes] Fischweiber. 173,23 Palais Royal] [fr.] königlicher Stadtpalast im ersten Arondissement von Paris. Er wurde im 17. Jahrhundert erbaut und zuvor Palais Cardinal genannt. 173,23 forts de la halle] s. 170,39. 173,24 in Paris, und ich] In der ersten Aufl.: „in Paris und ich […]“ (113). 173,26 Diner bei Mehu] [fr.] diner: Abendessen. Unklar, ob es sich hier um eine Institution oder Person handelt. Der bekannte M ÉHÉE DE L A T OUCHE wurde als Spion nach Russland entsandt und kam erst im März 1791 zurück; danach ging er nach Polen, wurde auch von dort verbannt und 1792 dann Mitglied des Pariser Jakobinerklubs. Er gab in Paris verschiedene Zeitungen heraus. 173,27 la revolution est elle déjà chez Vous?] [fr.] Gibt es schon eine Revolution bei Ihnen? 173,28–29 quand on n’a pas la maladie, il est superflu de passer le grand remède] [fr.] Wenn man nicht krank ist, so ist es überflüssig eine starke Medizin zu nehmen. 173,30 Pilnitzer Traktat] Die nach der Konferenz vom 25.–27. August 1791 verfasste Deklaration des Kaisers Leopold II., Bruder der französischen K ÖNIGIN M ARIE A NTOINETTE , und des preußischen K ÖNIGS F RIEDRICH W ILHELM II., die sich in Solidarität mit dem französischen K ÖNIG L OUIS XVI. gegen die Französische Revolution aussprach und dem französischen Monarchen Unterstützung versprach. Die Französische Nationalversammlung sah die Pillnitzer Deklaration als eine Kriegserklärung und N APOLÉON verstand sie später als seine Geburtsstunde als General. 173,30–31 abgeschlossen] Hier folgt in der ersten Aufl. der Satz: „Die Absicht des v. Bischofswerder ging dahin, Oestreich in einen Krieg mit Frankreich zu verwickeln, um die fernere Theilung von Pole desto feiner und ungehindert zu bewerkstelligen“ (114). 173,37–38 Polnische Constitution vom 3. May 1791] Die Verfassung vom 3. Mai 1791 wurde von Polen-Litauen im Warschauer Königsschloss verabschiedet. 173,40 Leopold] Der österreichische Kaiser und K AISER DER H EILIGEN R ÖMISCHEN R EICHES L EOPOLD II II. 174,1 für Reichenbach zu rächen] hinsichtlich der Reichenbacher Konvention [s. 171,24]. 174,3–4 dritte Teilung Polens] Die letzte der drei Teilungen Polens erfolgte 1795. 174,14 koalisirten Mächten] der Erste Koalitionskrieg gegen Frankreich zur Verteidigung der Monarchie fand zwischen 1792 und 1797 statt und bestand zunächst aus der Koalition von Preußen, Österreich und anderen deutschen Staaten. 174,21 Fregatte eines englischen Kriegsschifs] Eine Fregatte ist ein kleines Kriegsschiff, das sich auf bestimmte Aufgaben spezialisisert und ergänzend anderen Kriegsschiffen beistehen soll. 174,28 Last an Waitzen] Eine Last ist eine seit dem Mittelalter bekannte Maßeinheit für Getreide und bezeichnete ursprünglich die Masse Getreide (hier: Weizen), die von einem Fuhrwerk, das von vier Pferden gezogen wurde, transportiert werden konnte. Eine Last wiegt ungefähr 4000 Pfund oder 2 Tonnen. 174,29 Pfund] [lat.] libra; englische Währung; die älteste Währung, die kontinuierlich im Gebrauch ist. 174,31 Frankfurt] Frankfurt/M war eine freie Reichsstadt, die nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 dem ehemaligen Erzbischof von Mainz, K ARL T HEODOR VON D ALBERG , zugesprochen wurde. 174,31 Unterrhein] Das Departement Bas-Rhin oder Unterrhein war im Elsass, obwohl es eigentlich geografisch zum Gebiet des oberen Rheins gehörte. 174,31–32 in Brabant offensiv zu agieren] Die Brabanter oder Belgische Revolution fand 1789– 90 statt [s. 170,24].

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174,34 Herzog von Braunschw.] Herzog von Braunschweig [s. 179,3]. 174,37 vor Mainz] Am 17. März 1793 konstituierte sich der Nationalkonvent der freien Teutschen. Dieser verabschiedete am 18. März ein Dekret, in dem eine Rheinisch-Deutsche Republik konstituierte, die den Anschluss an Frankreich suchte. 14. April 1793 von 32 000 deutschen (vor allem preußischen) Soldaten eingeschlossen. Am 23. Juli kapitulierte die Besatzung, die übrigen 18 000 Soldaten erhielten freien Abzug. Mainz bekam einen preußischen Stadtkommandanten. In den folgenden Jahren wurde Mainz zu einem Spielball der revolutionären und konterrevolutionären Kräfte, da die französische Armee mehrfach versuchte, die Stadt zu erobern. 1797 war dies schließlich der Fall. Mainz wurde Hauptstadt des neuen Départements du Mont Tonnerre (Donnersberg) und erhielt den P RÄFEKTEN J EAN -B APTISTE -M OÏSE J OLLIVET . Nach 1801 war dann J EANBON S T .   A NDRÉ für das linksrheinische Department verantwortlich. 175,1 bei Kaiserslautern] Stadt im Südwesten Deutschlands, zwischen Frankfurt/M und Luxemburg. 175,3–4 über Köln] Die französischen Revolutionstruppen zogen 1794 kampflos in Köln ein; die Stadt leistete keinen Widerstand. 175,10 Landau] Stadt in der Pfalz. Zwischen 1680 und 1815 gehörte sie zu Frankreich und war eine der zehn freien Städte des Elsass. V AUBAN schuf 1688–99 die Stadtbefestigungen [s. 156,4–5]. 1789 wurde Landau Teil des Departements Bas-Rhin (Unterrhein) [s. 174,31]. 175,12 Sarlouis] Saarlouis; Stadt im heutigen Saarland. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde sie in Sarre-Libre umbenannt, doch kehrte sie 1810 zu ihrem alten Namen zurück. 175,12–13 Lurenburg] Gebiet, das ursprünglich den Grafen von Salm und Lurenburg gehörte, bei Saarbrücken gelegen. 1805 marschierte das dritte Armee-Korps unter G ENERAL D ’A VOUST über Lille, Namur, Lurenburg, Saarlouis und Zweibrücken nach Mannheim, wo es Stellung bezog. 175,14 Trarbach und Trier] Traben-Trabach ist eine Stadt an der mittleren Mosel, etwa 40 km nordöstlich von der Stadt Trier, die ebenfalls an der Mosel gelegen ist. Frankreich besetzte Trier 1794 während der Revolutionskriege und beendete ihre Position als Bischofssitz; 1815 nach dem Ende der Napoleonischen Kriege wurde die Stadt Teil des Königreich Preußens. 175,15 Sedan] Stadt in den Ardennen im Nordosten Frankreichs; etwa 10 km südlich der belgischen Grenze. 175,16 Metz] Stadt an der Mosel in Lothringen im Nordosten Frankreichs gelegen. 175,18 in Sold] [lat.] solidus; Goldmünze des römischen K AISERS K ONSTANTIN für die Bezahlung von Kriegsdiensten. 175,20 Subsidien] [lat.] subsidia: Hilfsmittel, Zuwendungen. 175,25–27 Je ne peux continuer à discuter avec Vous] [fr. Übersetzung:] Ich möchte nicht weiter mit Ihnen, M R . M ALMESBURY , diskutieren, da sie nicht dem Militär angehören. Aber Sie, H ERR C ORNVALLIS , haben die Güte, mir Ihre Ansicht mitzuteilen. 175,27–28 Je suis tont à fait d’accord] [fr.] tout à fait; [Übersetzung:] Ich stimme ganz mit dem Feldmarschall überein, und wenn ein anderer Plan aktuell sein sollte, werde ich gehen. 175,29 Feldm.] Feldmarschall; hoher Rank im deutschen wie österreichischen Militär. 175,34 Zu Bacher nach Basel: Der Elsässer T HÉOBALD J ACQUES J USTIN B ACHER war ein französischer Diplomat, der 1777–1812 mit diplomatischen und geheimen Missionen in der Eidgenossenschaft und im Rheinbund beauftragt war. Von Basel aus organisierte er ab 1793 einen Nachrichtendienst für die Französische Republik. 175,34–35 Präliminarien] [lat.] prae: vor; limen: Grenze; Vorverhandlungen. 175,35 status quo: [lat.] die existierende Sachlage. 175,36 für das Klevische zu entschädigen] [s. 190,29]. 175,38–39 2ten Teilung Polens] Die zweite Teilung Polens erfolgte 1793.  

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176,3 Comité du salut public] Der Ausschuss für das öffentliche Wohl und Sicherheit wurde im April 1793 von der Französischen Nationalversammlung gegründet und sollte ein im Januar gegründeten allgemeinen Verteidigungsausschuss ersetzen. Im Juli des Jahres wurde das Comité umstrukturiert und entsprach während der Zeit des Terrors (1793–1794) eigentlich der französischen Regierung. 176,3–4 „Une Pologne quelconque convient tant à Vous qu’à nous“] [fr. Übersetzung:] Ein Polen, das Euch wie uns passt. 176,8 Gratialgüter] Güter und Dörfer besonders in Ermland und Westpreußen, die eigentlich den Domänen gehören, aber unter gewissen Bedingungen einer Person überlassen werden, allerdings nach dessen Tod an die Landesherrschaft zurückkehren. 176,13–14 das 2te Heft der Lichtstrahlen] Anon., „Rückblick in das Jahr 1794“. „Lichtstrahlen. Beiträge zur Geschichte der Jahre 1805, 1806, und 1807. Eine Zeitschrift in freien Heften, von einer Gesellschaft wahrheitsliebender Militärpersonen, Civil-Beamten und Gelehrten“. Erster Bd. I. II. III. (Hamburg und Leipzig: in dem historisch-politisch-militärischen Institut, 1807), I:326–345. 176,19 der Brief] der Brief ist im Artikel in den „Lichtstrahlen“ abgedruckt und erscheint ebenfalls in C HRISTIAN K ARL A UGUST L UDWIG VON M ASSENBACHS „Memoiren zur Geschichte des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III“. II. Amsterdam: Verlag des Kunst= und Industrie=Comptoirs, 1809, S. 12. 176,31 Anm. Unternehmungen auf Antwerpen, Nieuport] Der französische Feldzug nach Flandern wurde vom 6. November 1792 bis zum 7. Juni 1795 geführt. On 16 Februar 1792 schritt G ENERAL D UMOURIEZ ’ Armée du Nord von Antwerpen in Richtung Brabant voran. Nieuwpoort (frz. Nieuport) ist ebenfalls in Flandern gelegen. 176,38 Anm. Thionville] eine früher zu Lothringen, heute im Département Moselle gelegene französische Stadt an der Mosel. 177,9 raisoniren] [fr.] raisonner: räsonnieren; argumentieren, sich beschweren. 177,15 über die Post] Bereits F RIEDRICH II. hatte sich für eine Erweiterung der Post eingesetzt; diese dann 1766 von französischen Postkommissaren bereits ab 1766 weiter reformiert. Im Anschluss an den Luneviller Frieden (1801) und dem Reichsdeputationshauptbeschluss (1803) wurde Preußen zu einem Haupt-Post-Staat. 177,20 Champagne] Bei P.M. L AURENT , „Geschichte des Kaisers Napoleon III“, Leipzig: Carl B. Lorch, 1847, S. 234–235, wird eine Rede N APOLÉONS an seine Soldaten in Bamberg vom 6. Oktober 1806 zitiert, die auf die Schlacht bei Valmy Bezug nimmt [s. 179,3]: „Soldaten!“ sagte er, „Kriegsgeschrei ist zu Berlin laut geworden; seit zwei Monaten sind wir jeden Tag mehr herausgefodert worden. Dieselbe Partei, derselbe Schwindelgeist, welcher vor vierzehn Jahren unter Begünstigung unserer inneren Unruhen die Preußen bis mitten in die Ebenen der Champagne führte, herrscht in ihrem Rathe. Sie fanden in der Champagne Niederlage, Tod und Schmach. Laßt uns den marschiren, auf daß die preußische Armee von demselben Schicksale wie vor vierzehn Jahren getroffen werde […]“. M ARSCHALL B ERNADOTTE hatte seine Truppen am 2. Oktober von Ansbach nach Bamberg verlegt. 178,1 L. Meyer Wulf] L IEPMANN [L IEBMANN ] M EYER W ULFF , auch T AUSK oder T AUSS , war ein Bankier und Hoffaktor, dessen Familie zu den ersten Schutzjuden gehörte, die sich 1671 nach ihrer Vertreibung aus Wien in Berlin ansiedeln durften. W ULFF war ein Geschäftskonkurrent E PHRAIMS . Mit I SAAC D ANIEL I TZIG und D AVID F RIEDLÄNDER gehörte er zu den Ältesten, die für die Jüdische Gemeinde in Berlin zeichnen durften. 178,6 Winspel] Wispel oder Winspel war ein gebräuchliches Maß für Getreide, dass jedoch von Land zu Land (und auch innerhalb der Länder) variable ausfiel. 178,6 Warte] Die Warthe (poln. Warta) ist ein rechter Nebenfluss der Oder in Polen.

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178,7 Netzstrom] Die Netze (poln. Noteć) ist ein Nebenfluss der Warthe. Die Flußgegend wurde 1772 nach der Ersten Teilung Polens zum Netzedistrikt des Königreichs Preußen erklärt. 1807 kam das Land zum neuen polnischen Herzogtum Warschau, aber wurde nach dem Wiener Kongress 1815 wieder preußisch. 178,7 Rotterdamm] Rotterdam ist eine bedeutende Hafenstadt in Südholland. N APOLÉON schloss die holländische Küste erst 1810 seinem Reich an und besuchte die Stadt im September 1811. 178,7 Maas] Die Maas (fr. Meuse; niederländisch Maas) durchfließt Frankreich, Belgien und die Niederlande. Das niederländische Venlo liegt an der Maas, die nach Rotterdam führt. 178,9 Embden: Emden ist die größte Stadt Ostfriesland und liegt an der Mündung der Ems an der niederländischen Grenze. 178,10 Südersee: Zuiderzee; Meeresbucht der Nordsee im Nordwesten der Niederlande, vor allem auf dem Gebiet des 1932 durch Eindeichung entstandenen IJsselmeers. 178,17–18 Kornjude] Jude, der mit dem Grundnahrungsmittel Getreide spekuliert; seit dem späten 17. Jahrhundert ein antijüdisches Schimpfwort. 178,20 Kommissair ordinateur] [fr.] verantwortlicher Kommissar. 173,31–178,25 Der Keim zu Preußens Unglück] Der mehrseitige Abschnitt: „Der Keim zu Preußens Unglück […] ist wohl überflüssig zu bemerken“ (144–161) wurde in die zweite Aufl. eingefügt. 178,26 Wien] die Hauptstadt des Habsburgerreiches war Treffpunkt diplomatischer Unterredungen der Vertreter Preußens und Österreichs, aber Ephraim hatte auch eine persönliche Beziehung zu E PHRAIMS Großmutter—stammte aus Wien, wie ihr. N ATHAN V EITEL H EINE E PHRAIMS Mutter—E auch die Familien vieler Berliner Schutzjuden, die sich 1671 nach der Vertreibung aus Wien in Berlin ansiedeln durften. Zwei Töchter des väterlichen Teilhabers I TZIG , F ANNY A RNSTEIN und C ÄCILIE E SKELES , hatten auch nach Wien geheiratet; ihre jüdischen Ehepartner waren vom Kaiser geadelt worden. 178,27 Diener] In der ersten Aufl.: „Diner“ (114). 178,32 Ei! diese werden sich] In der ersten Aufl.: „Ei! sagte er, diese werden sich […]“ (115). 178,23 erwiederte] In der ersten Aufl.: „erwiderte“ (115). 178,34 Madame Fortuna] [fr./lat.] Frau Schicksal; F ORTUNA ist die Schicksalsgöttin, die in der römischen Religion auch Glück personifiziert. 178,36 Nabigateur] [lat.] Navigator, Steuermann. 178,37 zu segeln, und wenn] In der ersten Aufl.: „zu segeln und wenn […]“ (115). 179,3 unglücklichen Ereignissen in Champagne] Die Schlacht von Valmy, einem Ort in der Campagne-Ardenne, fand am 20. September 1792 statt. Der H ERZOG VON B RAUNSCHWEIG war auf dem Feldzug nach Paris, verlor aber diese Schlacht. Sie war der erste große Sieg der französischen revolutionären Truppen. 179,10 Der König] F RIEDRICH W ILHELM II. VON P REU ß EN . 179,10 Ludwig den 16ten verurtheilen würde] Zu Beginn der Französischen Revolution wurde die Monarchie an sich noch nicht in Frage gestellt. 179,11 königliche Parthei] Die Vertreter der Monarchie im Unterschied zu den „demokratischen“ Republikanern. 179,20 Philidor] Die Geschichte von P HILIDOR , dem Schachspieler, wurde 1805 in der „Wiener Zeitung aus der Vorwelt“ I, I abgedruckt; s. „Schooßthiere (Fortsetzung)“, III: „Der Affe“, 3. Mai 1805, S. 65–66, hier S. 66. 179,38 im Tribunal] [lat.] Sitz des Tribuns, i.e. Gerichtshof. Einige Prozeßakten Ephraims befinden sich im Geheimen Preußischen Staatsarchiv. 179,40–180,1 unterschiedene] In der ersten Aufl.: „unterschiedne“ (119). 180,3–4 dem Publikum besonders vortragen] Weiterführende autobiografische Aufzeichnungen E PHRAIMS sind nicht bekannt.

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180,4 Klicke] [fr.] Clique: Gruppierung von Individuen. 180,9 auf Königl. Befehl] auf Befehl des K ÖNIGS F RIEDRICH W ILHELM II.; E PHRAIM handelte hier wie ehemals sein Vater als Hoffaktor. 180,17–18 durch Kommissarien] E PHRAIM selbst wollte für den Breslauer Handelsraum als Kommissar eingesetzt werden [s. S. 58]. 180,29 Alleroberproviantmeister] ironisch gemeinter Titel. 181,3 Wipfel] Hohlmass für Getreide und Korn; 1 Last = 2½ Wipfel = 3¾ Malter = 24 Tonnen = 60 Scheffel. 181,13 ohne Kaution] [lat.] cautio; ohne Sicherheitsleistung. C HALFAN ; 181,16 Salomon Moses Levi und Konsorten] gemeint ist M OSES S ALOMON L EVY (C 1757–1813), Berliner Bankier und Sohn des S ALOMON M OSES L EVY ; E PHRAIM übt hier wie anderswo Kritik an Berliner Hofjuden [s. etwa 138,9]. 181,18 Großpolen] [poln.] Wielkopolska oder [lat.] Polonia maior; der historisch älteste Teil Polens um Posen und Gnesen. 181,21 Viertel] Stück und Hohlmaß; ein Viertel sind 25 Stück; als Hohlmaß ist ein Viertel etwa 7,2455 Liter. 181,26 Moniren] [lat. monere, erinnern, auffordern]; monieren, bemängeln. 181,27 Militairdepartement] Militärabteilung. 182,3 geheime Verhaftbriefe] s. 134,12. 180,5–182,6 Ich habe dem Publikum] Der mehrseitige Abschnitt: „Ich habe dem Publikum […] werden leider hintergangen. – – „ (166–173) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 182,9–10 Russische Gesandte … Prinz von Nassau] G RAF M AGNUS M AXIMILIAN VON A LOPAEUS wurde im Juni 1789 von K ATHARINA II. zum außerordentlichen Gesandten am preußischen Hof ernannt. Er diente dort bis 1796, als Preußen sich nach dem Frieden von Basel (1795) von der KoC HARLES alition trennte, und dann wieder von 1802 bis 1806. K ARL H EINRICH N IKOLAUS O TTO (C H ENRI N ICOLAS O THON ), P RINZ VON N ASSAU -S IEGEN , war ein deutsch-französischer Abenteurer, der 1783 von K ATHARINA II. zum russischen Kontergeneral ernannt wurde, sich aber 1802 bemühte, eine Position im französischen Heer zu gewinnen. Er kehrte nach Russland zurück. 182,15 Partefeuille] [fr.] portefeuille; [lat.] portfolio; den Aufgabenbereich. 182,19–20 Hr. Voß] Der Verleger C HRISTIAN F RIEDRICH V O ß war Gründer der „Vossischen Zeitung“, die 1721 bis 1934 erschien. 1779 wurde sein gleichnamiger älteste Sohn Gesellschafter des Unternehmens und leitete ab 1791 die Zeitung. Als Herausgeber war er für den gedruckten Inhalt verantwortlich. 182,14–25 Der Prinz von Nassau] Der Abschnitt: „Der Prinz von Nassau […] wurde gerügt. –“ (174–175) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 182,29 Der General-Lieutenant von Geysau] In der ersten Aufl.: „Ein gewisser General erhielt Befehl […]“ (120). Gemeint ist hier Carl Levin von Geusau. 182,37 aufs äußerste, und war] In der ersten Aufl.: „aufs äußerste und war […]“ (121). 183,2 sogar dem Befehl, mit ihm] In der ersten Aufl.: „sogar den Befehl mit ihm […] (121). 183,5 von Haugwitz] In der ersten Aufl.: „v. Haugwitz“ (122). 183,9 enthalten wäre] In der ersten Aufl.: „enthalten wäre. Ich bewirkte […]“ (122). 183,15 Legationsräthen und Sekretairien] Vertreter der Gesandtschaften und Sekretäre. 183,20–21 er ist ein Mann, desgleichen] In der ersten Aufl.: „ist ein Mann desgleichen […]“ (123). 183,23 nach Cayenne] Cayenne ist die Hauptstadt von Französisch Guayana, der südamerikanischen Kolonie Frankreichs. Die zu Cayenne gehörenden Inseln Îles du Salut dienten als französische Strafkolonien.

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183,30 Sandoz Rollin] D ANIEL A LFONS VON S ANDOZ -R OLLIN war 1796–1799 preußischer Vertreter in Paris. Als Napoléon 1799 seine Macht konsolidierte, berichtete S ANDOZ -R OLLIN über ihn nach Paris als einen „Mann mit Geschmack für die Literatur und Philosophie“ und als keine Gefahr für Preußen. 183,32 Min. Struensee] C ARL A UGUST S TRUENSEE war preußischer Finanzminister und seit 1791 Minister des Accise-, Zoll-, Commercial- und Fabrikenwesens. Er diente F RIEDRICH W ILHELM II. wie auch F RIEDRICH W ILHELM III. 183,35 Bankier Itzig] I SAAC D ANIEL I TZIG , ein führendes Mitglied der Berliner Jüdischen GeII. meinde, war zusammen mit W ULFF und D AVID F RIEDLÄNDER ein von F RIEDRICH W ILHELM II bestimmter General-Deputierter der Berliner Gemeinde. 183,22–184,4 Und doch wäre derselbe] Der Abschnitt: „Und doch wäre derselbe […] keiner weiteren Bemerkung“ (178–180) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 184,9–10 die kleine Flugschrift über die Konstitutionen] E MMANUEL J OSEPH S IÈYES veröffentlichte im Januar 1789 sein bekanntestes Pamphlet, „Qu’est-ce que le Tiers État?“. Sein Pamphlet „Reconnaissance et exposition des droits de l’homme et du citoyen“ (1789) beeinflusste die Erklärung der Menschenrechte und musste für E PHRAIM besonders beeindruckend gewesen sein. 184,14 Kour] [fr., cour]; fürstlicher Hof. 184,27–28 Zuneignung einzuflößen; er paßt sich] In der ersten Aufl.: „flößen. Er paßt sich […]“ (125). 184,35 Terrain] [fr.] Gebiet. 184,37 alles rein ab] In der ersten Aufl. folgt hier ein Gedankenstrich (126). 185,2 Sarkasmen] In der ersten Aufl.: „Sarkasnen“ (126); ein Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies. 185,4 le portier d’Etat] [fr.] Der Türhüter des Staates. 185,5 Il ne laisse rien ni entrer ni sortir] [fr.] Er lässt nichts hinein und nichts hinaus. 185,8 Brief aus Rastadt] J EAN -A NTOINE -J OSEPH DE B RY , ein Mitglied der Legislative, wurde vom Directoire 1797 zum Ministre plénipotentaire beim Kongress in Rastatt. Auf dem Rückweg von Rastatt konnte er ein Massaker überleben, dem zwei seiner Kollegen zum Opfer fielen. 185,11 c’est bien dans l’ordre] [fr. Übersetzung:] Das ist schon in Ordnung, denn um es zu nehmen, muss man es erst von Ihnen lernen. 185,19 zu einem der fünf Direktoren erwählt] s. 161,4. 185,25 Eskorte] [fr.] Begleitung; Militaereskorte. 185,28 Gesandte von Engeström, drangen in mich] In der ersten Aufl.: „von Engeström drangen in mich […]“ (128). 185,36 abreise, mit der Bemerkung] In der ersten Aufl.: „abreise; mit der Bemerkung […]“ (129). 185,36 die Französischen Emigranten] Aristokraten bzw. Konservative, die Frankreich in der Revolutionszeit verlassen hatten. 185,40 Das Ungefähr] das Schicksal, der Zufall. 186,20 melden, und ihn fragen] In der ersten Aufl.: „melden und ihn fragen […]“ (131). 186,37 Casino] Speisesaal, Kantine. 187,3 Meine Töchter] E PHRAIM hatte drei Töchter, E LKA , S OPHIE J EANNETTE , und A DELHEID . 187,4 in dem Umgange seiner Frau] E LISABETH O TTO , Ehefrau des L OUIS G UILLAUME O TTO , C OMTE DE M OSLEY . 187,4 einer Dame, die] In der ersten Aufl.: „eine Dame die […]“ (133). 187,10 ihn achtete? aber das] In der ersten Aufl.: „ihn achtete; aber das […]“ (133).

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187,27–28 Massena eine wichtige Schlacht gewonnen] Der Ersten Schlacht von Zürich, die vom 4.–7. Juni 1799 während des Zweiten Koalitionskrieges stattfand, folgte am 25. Und 26. September 1799 die Zweite Schlacht, bei welcher der französische G ENERAL A NDRÉ M ASSENA seine Armee zum Sieg führte. 187,33 zugegen sein lassen] Dies datiert die Anekdote. O TTO heiratete im März 1787; seine Frau starb bereits im Dezember des gleichen Jahres. 188,1 Bonaparte wurde Konsul] N APOLÉON B ONAPARTE wurde am 25. Dezember 1799 zum Ersten Konsul der Französischen Republik gewählt. 188,1 Dücrot] G ÉRAUD C HRISTOPHE M ICHEL D UROC , H ERZOG VON F RIAUL befand sich 1805 während des Ausbruchs des Krieges zwischen Frankreich und Österreich am Berliner Hof, wo zu dieser Zeit auch Z AR A LEXANDER I. VON R U ß LAND eintraf. Er kehrte danach bis zum Kriegsende zu N APOLÉON zurück. 188,11 Ein Krokodil in Ägypten] N APOLÉONS Feldzug in Ägypten fand 1798–1801 statt. N APOLÉON wurde von 167 Mitgliedern einer Commission des sciences at des arts bgleitet, die das Land erforschn sollten. D UROC nahm ebenfalls an der ägyptischen Expedition teil. Krokodile gab es am Nil; sie wurden im antiken Ägypten als heilige Tiere verehrt. 188,12 Nein, war seine Antwort] In der ersten Aufl.: „Nein! war seine Antwort“ (137). 188,12 Die Königin] K ÖNIGIN L UISE VON P REU ß EN . 188,15 wieder in Italien einzudringen und Genua zu entsetzen] Der Italienfeldzug N APOLÉON B ONAPARTES fand in den Jahren 1796 und 1797 statt und bekräftigte seinen Ruhm als Feldherr. Genua wurde 1797 von Frankreich besetzt und der Satellitenstaat zur Ligurischen Republik erklärt. N APOLÉON gab dem Staat bald eine konservativere Verfassung; 1805 wurde es Frankreich angeschlossen. In der ersten Aufl.: „den Plan, wieder in Italien einzudringen […]“ (137). 188,17 Preußischen Neutralität] Preußen versuchte sich in den Revolutionskriegen zunächst neutral zu verhalten. Am 6. August 1806 wurde das Heilige Römische Reich aufgelöst und Preußen schloß sich Russland in der Vierten Koalition (1806–1807) an; später traten Großbritannien und Schweden ebenfalls zu diesem Bündnis hinzu. 188,19Ein Bogen über militärische Oekonomie von mir] Die Schrift ist nicht erhalten. In der ersten Aufl.: „militairische“ (137). 188,20 des batavischen Gesandten Hrn. Meier in Paris] Die Batavische Republik wurde in der Folge der Französischen Revolution am 19. Januar 1795 ausgerufen und wurde dann 5. Juni 1806 zum Königreich Holland. Um 1805 verfügten nur das Kaisertum Österreich, das Königreich Spanien, das Königreich Sizilien, das Osmanische Reich und eben die Batavische Republik über eine Botschaft und einen Botschafter in Paris. Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland hatte ebenfalls Anspruch auf die Einrichtung einer Botschaft, war aber zu dieser Zeit nicht in Paris vertreten. 188,23 Mailand] N APOLÉON hatte bereits 1796 die Lombardei von den Habsburgern erobert und Mailand zur Hauptstadt einer neuen Cisalpinischen Republik erklärt. Am 26. Mai 1805 sollte er sich im Mailänder Dom zum König von Italien krönen. 188,23 Schlacht bey Marengo] Die Schlacht bei Marengo nahe der Stadt Alessandria in Piedmont, Italien, fand am 14. Juni 1800 während des Zweiten Koalitionskrieges statt; N APOLÉON siegte hier entscheidend über die Österreicher. 188,26 Beurnonville] P IERRE DE R UEL , M ARQUIS DE B EURNONVILLE diente während der Revolutionskriege als General. Er kam 1800 as Gesandter nach Berlin und wechselte 1802 als Gesandter nach Madrid. 188,30–31 Gefangenschaft in Olmütz] P IERRE R IEL DE B EURNONVILLE wurde 1793 Kriegsminister. Er verriet C HARLES -F RANÇOIS D UMOURIEZ ‘ Versuch eines Staatsstreichs den Mitgliedern

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des Nationalkonvents. Bei dem Versuch, D UMOURIEZ zu verhaften, ließ dieser B EURNONVILLE und seine ihn begleitenden Konventskommissare festnehmen und lieferte sie den Österreichern aus. Im November 1795 wurden sie nach 33-monatiger Haft gegen die H ERZOGIN VON A NGOULÊME ausgetauscht. In der ersten Aufl. heißt es: „Gesandter in Berlin“ (138); es wird im Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert. 188,35 wie Dido zum Aeneas sagt] E PHRAIM bezieht sich hier auf das Epos „Aeneis“ des lateinischen Dichters V ERGIL . Der Held A ENEAS verzichtet auf sein Liebesglück mit der Königin D IDO , die er auf seiner Flucht aus Troja in Karthago trifft, beugt sich dem Willen der Götter und zieht weiter, während D IDO sich mit einem Schwert des A ENEAS ersticht. 188,38 Laforest] Antoine René Charles Martin de Mathurin, Comte de La Forest, französischer Gesandter in Berlin; er nahm am 4. Oktober 1806 seinen Abschied und kehrte nach Frankreich zurück. 188,39 buhlten damals um Preußen] hinsichtlich der beendeten Neutralität Preußens [s. 200,15–16]. 189,6 den damals dort residirenden französischen Gesandten] B ARTHÉLEMY DE L ESSEPS befand sich 1792–1812 als diplomatischer Vertreter in St. Petersburg. Daneben war G ABRIELE , C OMTE D ’H ÉDOUVILLE , 1801–1804 diplomatischer Vertreter am Zarenhof und seit 1807 agierte dort auch A RMAND A UGUSTIN L OUIS , M ARQUIS DE C AULAINCOURT ; er löste kurzfristig A NNE J EAN M ARIE R ENÉ S AVARY ab. 189,8 zur Revüe] [fr.] revue: Militärparade. 189,9 Mediateur] [fr.] Vermittlerin; dies war auch durch Preußens neutralen Stand möglich. 189,24 Man muß Rußland schonen] s. 195,15–16. 189,28 Krieg zwischen Frankreich und Oestreich] Der erste Koalitionskrieg fand 1792–97 in Verteidigung der Monarchie statt. 189,33 Spiel hat? auch zeigt] In der ersten Aufl.: „Spiel hat; auch zeigt […]“ (142). 189,34 die intensive Wirkung schwächt] In der ersten Aufl. folgt ein Gedankenstrich. 189,39 gewesen solches zu bewerkstelligen;] In der ersten Aufl.: „gewesen solches zu bewerkstelligen […]“ (143). 190,13 mit allen Nüanzen] [fr.] nuances; Schattierungen, Abstufungen. 190,19 Kosaken] freie Reiterverbände, zu denen sich Russen und/oder Ukrainer zusammenschlossen. 190,29 ging Bernadotte durch das Anspachsche] G ENERAL J EAN B APTISTE B ERNADOTTE [s. 198,22]. M ARKGRAF A LEXANDER hatte 1791 seinen beiden Fürstentümer Ansbach und Bayreuth an das Königreich Preußen verkauft, um danach in England als Privatier zu leben. Ansbach fiel am 15. Dezember 1805 im Vertrag von Schönbrunn an Frankreich; Preußen tauschte das von französischen Truppen besetzte Kurfürstentum Hannover neben Bayreuth, Kleve und Neuenburg/Schweiz gegen Ansbach ein. Am 16. Dezember 1805 fiel Ansbach an Bayern, das im folgenden Jahr Königreich wurde. Am 24. Februar besetzte B ERNADOTTE Ansbach für Bayern. 190,33 Anspachschen Kammer] Anspacher Abgeordnetenkammer; das fränkische Anspach fiel 1806 Bayern zu im Austausch für das Wittelsbachsche Herzogtum Berg [s. 204,4]. 190,39 Völkerrecht] als „Recht der Völker“ eine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen ius gentium. H UGO G ROTIUS formulierte 1625 in seinem „De jure belli ac pacis“ [Über das Recht des Krieges und des Friedens] erste Regeln des Völkerrechts, die dann von S AMUEL P UFENDORF , C HRISTIAN W OLFF und anderen weiterentwickelt wurden. E MER DE V ATTEL fasste 1792 in „The Law of Nations – Applied to the Conduct of Nations and Sovereigns“ (Dublin 1792) die Gedanken zum Völkerrecht in seiner Zeit zusammen. 191,2 a posteriori] [lat.] im Nachhinein.

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191,6 Herkules] H ERAKLES oder H ERKULES [gr.] „der sich an Hera Ruhm erwarb“. H ERAKLES war in der griechischen Mythologie ein durch seine Stärke bekannter griechischer Held, der in den Olymp der Götter aufgenommen wurde. 191,6 Crotona] M ILO , der aus Croton stammte und im 6. Jahrhundert AD lebte, war ein Ringer, der im antiken Griechenland wegen seiner Stärke berühmt war. Er war auch als Krieger bekannt und half 510 AD das benachbarte Sybaris zu erobern. Er erscheint in R ABELAIS ’ „Gargantua et Pantagruel“ (1532–1564) wie S HAKESPEARES „Troilus and Cressida“ (1602) und vielen Gemälden, allerdings keinem von R APHAE l. In der ersten Aufl.: „Milo von Crotou“ (147); das Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies als „Kroton“. 191,7–8 der Geist eines Grotius und Puffendorfs] H UGO G ROTIUS und S AMUEL VON P UFENDORF waren Staatsrechtler und Theoretiker des Völkerrechts [s. 190,39]. 191,12 das Münstersche] F ÜRSTBISCHOF A NTON V IKTOR VON Ö STERREICH verzichtete 1801 auf die Regierung von Münster und auf Druck Frankreichs wurde Münster säkularisiert und 1802 Preußen zugesprochen. 1806 geriet es dann unter den französischen Herrschaftsanspruch. 191,12–13 nach dem Hannöverschen] hinsichtlich Hannovers [s. 190,29]. 191,15 Fridrich der Zweite] In der ersten Aufl.: „Friedrich der 2te“ (147). 191,25 bewog, 100000 Mann] In der ersten Aufl.: „bewog 100000 Mann […]“ (148). 191,30 auch dem] In der ersten Aufl.: „auch den“ (149). Das Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bd. korrigiert dies. 191,38 Bayrischen Gesandten Chev. de Bray] F RANÇOIS G ABRIEL DE B RAY war bis dahin Gesandter in Berlin gewesen. Er war französischer Abstammung und hatte gute Beziehungen zum preußischen, russischen und britischen Hof. N APOLÉON misstraute ihm, aber er wurde von T ALLEYRAND gefördert. 192,18 die Gesinnung.] Im Folgenden ändert sich der Zeilenabstand des Buches und der Text wird dichter im einzeiligen Zeilenabstand gedruckt. 192,18 Das Manifest gegen Frankreich] die Kriegserklärung Preußens an Frankreich wurde von L OMBARD vorbereitet. 192,23 Weimar] das Hauptquartier der Königlich Preußischen Armee wurde Ende September 1806 von Naumburg nach Weimar verlegt. 192,24–25 j’ai bien traité Napoleon: [fr.] „Haben Sie mein Manifest gelesen, ich habe Napoleon gut behandelt“. Der Abschnitt: „Die wenigsten Menschen […] j’ai bien traité Napoleon—“ ist in der zweiten Aufl. eingesetzt worden. 192,30 französischer Seits] In der ersten Aufl.: „französischer seits“ (151). 193,3 Friedrich der Zweite] In der ersten Aufl.: „Friedrich der 2te“ (152). 193,31 Der bei Ulm erfochtene Sieg] Die Schlachten des Dritten Koalitionskrieges bei Ulm fanden zwischen dem 8. Und 20. Oktober 1805 statt. Teile der österreichischen Armee wurden von französischen Truppen eingekreist und gefangen genommen. 193,32 Kourier] [fr.] coursier, Kurier; Bote, Übermittler von Nachrichten, Neuigkeiten; oft auch Name einer Zeitung. 194,6 Ihro Durchlaucht] In der ersten Aufl.: „Ihro Durchl.“ (156). III. 194,7 Sr. Königl. Maj.] Seiner Königlichen Majestät F RIEDRICH W ILHELM III 194,9 und, indem ich noch weiter] In der ersten Aufl.: „und indem ich noch weiter […]“ (156). 194,17 als ein Viertel auf sieben] In der ersten Aufl.: „als ¼ auf sieben […]“ (157). 194,18 Angelegenheit –] In der ersten Aufl.: „Angelegenheit, – […]“ (157). 194,30–31 nach Berlin begleitete] Bereits bei einem Treffen im Juni 1802 schloss F RIEDRICH W ILHELM III. einen Freundschaftsbund mit Z AR A LEXANDER I., der auch mit der K ÖNIGIN L UISE in regem Briefverkehr stand; A LEXANDER I. hatte 1801 die Regierung übernommen. A LEXANDER I. hat-

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te zunächst auch mit Frankreich freundliche Beziehungen, aber 1804 kam es zu einem Bruch. Er wandte sich im Folgenden Österreich zu und erneuerte 1807 sein Bündnis mit Preußen. G ENERAL F RIEDRICH A DOLF VON K ALCKREUTH war im Ersten Koalitionskrieg noch ein Gegner eines Bündnisses mit Österreich und ein Freund Frankreichs. Später leitete er jedoch die Belagerung von Mainz. Im Feldzug von 1806 sah er die Niederlage bei Auerstedt voraus und hatte gerüchteweise durch sein Zögern dazu beigetragen. K ALREUTH war ein Verehrer N APOLÉONS . Er unterzeichnete den für Preußen wenig vorteilhaften Tilsiter Frieden. 194,31–32 Konvention zwischen Preußen, Russland und Östreich] Z AR A LEXANDER I. hatte den preußischen K ÖNIG F RIEDRICH W ILHELM III. auf dem Weg nach Österreich besucht, wo N APOLÉON Wien einnehmen konnte, sich aber auch ein österreichisch-russischer Widerstand bilden konnte. Das Abkommen von Potsdam vom 3. November 1805 fand zwischen Preußen und Russland statt; Preußen erklärte sich bereit, einer Dritten Koalition beizutreten, wenn N APOLÉON zu keinem Friedensvertrag bereit war. In der ersten Aufl.: „3. Nov. 1805“ (158). 195,4 nachgeben (denn jeder, […])] In der ersten Aufl.: „nachgeben, (denn jeder, […])“ (159). 195,15 Kontestationen] [lat.] contestatio; Infragestellung von bestehenden (Herrschafts)verhältnissen. 195,15–16 aber mit Frankreich sich verbinden] s. 189,24. 195,18 terminium a quo] terminus a quo [lat.] ist der Anfangspunkt oder frühmöglichste Beginn, etwa im Rechtlichen das Gültigwerden eines Gesetzes. 195,31–32 und uns] In der ersten Aufl.: „uns“ (161). 195,30 Schlacht von Jena] s. 159,19. 195,30 vier] In der ersten Aufl.: „fünf“ (161). 195,36 Anm. Hart, ja sehr hart] Diese Fußnote wurde in der zweiten Aufl. des Textes hinzugefügt (218–219). 195,39 Anm. Er machte kleine Tagereisen] Diese Fußnote wurde in der zweiten Aufl. des Textes hinzugefügt (219). 196,11 Theil des Hannöverschen] Hannover war seitdem G EORG L UDWIG VON H ANNOVER als G EORGE I . den englischen Thron bestieg in Personalunion mit Großbritannien. Bereits 1801 wurde Preußen von N APOLÉON bedrängt, Kurhannover (das Kurfürstentum Hannover) zu besetzten. Am 27. Februar 1806 sollte Preußen erneut auf Veranlassung Frankreichs Hannover besetzten und damit einen Krieg mit England provozieren. Nach dem Vertrag von Tilsit von 1807 wurde Hannover Teil des neuen Königreiches Westphalen, das dann seit 1810 von N APOLÉONS Bruder J ÉROME B ONAPARTE regiert wurde. 196,17 Baiern zu vergrößern] Bayern stand auf der Seite N APOLÉONS , konnte ihr Gebiet vergrößern und wurde am 1. Januar 1806 mit Hilfe Frankreichs Königreich. 196,26 Es entging ihm nicht leicht] In der ersten Aufl. heißt es indessen: „Diesem entgeht nicht leicht eine diplomatische Wendung; er hatte aber Kraft über sich selbst, die Ausführung seiner Pläne, bis zur gelegneren Zeit aufzuschieben und solche gehörig vorzubereiten“ (164). 197,6 Talleyrand] In der ersten Aufl.: „Telleirand“ (164). Die Fußnote wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt (221). 197,7 verstrikt] In der ersten Aufl.: „verstrickt“ (164). 197,8 Allianz] [fr.] alliance; Verbund. 197,13 Süd= und Norddeutschland] zu N APOLÉONS Plänen, s. 201,20–28. 197,16 zutrauete, alles] In der ersten Aufl.: „zutrauete alles […]“ (165). 197,17 klug; allein] In der ersten Aufl.: „klug, allein […]“ (165). 197,26–27 Sperrung der Häfen von Hamburg und Bremen] Hamburg und Bremen waren die bedeutendsten norddeutschen Häfen. Nach der französischen Besetzung der Niederlande florierte

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der Handel über Hamburg und Bremen zunächst. Als Preußen Cuxhaven und im April 1801 zum ersten Mal Kurhannover besetzten, waren die Flussmündungen gesperrt. Preußen musste nach einer Vereinbarung mit Frankreich die Häfen weiterhin für englische Schiffe sperren. Zwischen England und Preußen entwickelte sich als Folge ein Schiffahrtskrieg mit gegenseitigem Embargo. 197,27 drei im Kleveschen eingeschlossenen Abteien] Kleve gehörte 1757–1762 zu Frankreich und ging dann 1795, anlässlich des Friedens von Basel, zu Preußen, doch trat es einen kleinen Teil auf der linken Rheinseite an Frankreich ab; weitere Gebiete gingen an die Batavische Republik. Zum späteren Großherzogtum [s. 204,4]. Die Stifte Essen, Elten und das Kloster Werden wurden 1803 preußisch. Wesel wurde 1808 als rechtsrheinischer Brückenkopf dem französischen Gebiet zugeordnet. 197,28 Of- und Defensiv-Traktat] Ein Angriffs- (offensiv) und Verteidigungsabkommen (defensiv). 197,31–32 Haugwitz schickte] In der ersten Aufl.: „Er beschloß, den Markis de Lucchesini nach Berlin zu schicken, […]“ (166). 197,32 Markis de Lucchesini] M ARQUIS G IROLAMO L UCCHESINI war ein Vertrauter F RIEDRICH II. 1793–1797 war er für F RIEDRICH W ILHELM II. preußischer Botschafter in Wien, ab 1802 außerordentlicher Gesandte in Paris. 1806 schloss er den Waffenstillstand mit Frankreich nach den Schlachten bei Jena und Auerstedt ab, der jedoch nicht von F RIEDRICH W ILHELM III. ratifiziert wurde. 198,1 die Anti-Französische Partei] Die Gegner einer Allianz mit Frankreich und auch der Neutralität gewinnen Ende Juli 1806 die Oberhand; Preußen entschied sich dann für den Krieg gegen Frankreich. 198,15 ist weltkundig] G ENERAL B LÜCHER war Befehlshaber der Schlachten bei Jena und Auerstedt und diente danach dem S TABSCHEF G ERHARD D AVID VON S CHARNHORST . 1807 ging er ins Kriegsdepartement. B LÜCHERS Tochter B ERNHARDINE F RIEDERIKE heiratete 1806 A DOLPH E RNST L UDWIG G RAF VON DER S CHULENBURG .. 198,22 Der Marschall, jetzt Prinz von Ponte Corvo] Das Fürstentum von Pontecorvo wurde von N APOLÉON geschaffen, nachdem er 1805 die Königskrone von Italien aufnahm. Es befand sich als ehemals päpstliche Kommune im Königreich Neapel und N APOLÉON setzte seinen erfolgreichen G ENERAL J EAN B APTISTE B ERNADOTTE dort zur Belohnung als Prinzen ein. 198,24 der geheimen Policey] Beamte, die sich mit politischen Fällen beschäftigten. Die Berliner Polizei wurde erst am 25. März 1809, die eigentliche Preußische Geheimpolizei erst 1848 etabliert. 198,27 Rthlr] Abkürzung für Reichst(h)aler. 197,34–198,33 Lucchesini ging nach Paris] Der Abschnitt: „Lucchesini ging nach Paris zurück […] muß ein Minister handeln. – – – – –“ (223–225) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 199,6 traute] In der ersten Aufl.: „trauete“ (168). 199,17 Stadtpräsidenten Büsching] S TADTVERORDNETENVORSTEHER J OHANN S TEPHAN G OTTFRIED B ÜSCHING . Der Stadtpräsident steht Ratsversammlung vor. 199,19 Ahndung] Bestrafung eines Vergehens, Maßreglung. 199,23 Konnexion] [fr.] connexion, [lat.] connexio: Verbindung, Beziehung. 199,36 gekaperten Schiffen] Die Kurbrandenburgische Marine wurde nach der Selbstkrönung des K URFÜRSTENS F RIEDRICH III. VON B RANDENBURG 1701 in Königlich-Preußische Marine umbenannt; sie bestand bis zur Gründung des Norddeutschen Bunds 1867. 1806 wurden im Zuge der Auseinandersetzungen mit Frankreich Flotillen in Danzig und Ostpreußen aufgestellt, die nach dem Frieden von Tilsit 1807 wieder aufgelöst wurden. 199,39 werden möchte, nemlich] In der ersten Aufl.: „werden möchte; nemlich […]“ (170).

1 Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens

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200,15–16 Nachgeben Preußens gegen Schweden] Preußen gab im Vierten Koalitionskrieg seine Neutralität auf und verbündete sich mit Schweden [s. 198,1]. 200,16 Aeußerungen eines Stakelbergs] G USTAV E RNST G RAF VON S TACKELBERG war 1802–1805 russischer Gesandter bei der Batavischen Republik. Nach der Etablierung des Königreichs Holland trat er 1806 die Position in Den Haag an. 1807 wurde er dann Gesandter am preußischen Hof in Königsberg. 200,17 Prisen] Ausdruck aus dem Seewesen: im Krieg erbeutete oder beschlagnahmte Handelsschiffe bzw. Handelsgut. 200,27 auszusetzen, erheblicher sind] In der ersten Aufl.: „auszusetzen erheblicher sind […]“ (172). 200,34 Ist, so setzte] In der ersten Aufl.: „ist; so setzte […]“ (173). 200,36 Schwedischer Seits] In der ersten Aufl.: „Schwedischer seits“ (173). 200,36–37 der Preußischen Häfen] s. 197,26–27. 201,10 die] In der ersten Aufl.: „dit“ (175). 201,13 nicht entgangen ist] In der ersten Aufl. endet der Satz ohne Zitatzeichen (175). 201,20–21 süddeutschländischen Konförderation] K ARL A UGUST VON H ARDENBERG legte im Februar 1806 einen Vorschlag für eine Neuordnung des Reiches für eine neue Verfassung vor. Er schlug sechs Kreise (Österreich, Brandenburg, Bayern, Sachsen, Hessen und Schwaben) vor, die wiederum in drei Konföderationen gruppiert werden sollten, die österreichische Konföderation, die süddeutsche Konföderation unter der Leitung Bayerns, und die norddeutsche Konföderation. Dem von Napoléon hingegen 1806 gegründeten Rheinbund traten auch die neuen, im Süden Deutschlands gelegenen Königreiche Bayern und Württemberg bei. 201,23–24 Behaglichkeit;] In der ersten Aufl.: „Behaglichkeit: […]“ (176). 201,24–25 herzustellen. –] In der ersten Aufl.: „herzustellen; ich erwiderte […]“ (184). 201,28 nordische Konföderation] N APOLÉON plante zunächst auch einen norddeutschen Reichsbund, über den er auch mit Sachsen und Hessen verhandeln wollte. 1806 gründete er dagegen den Rheinbund als Zusammenschluß deutscher Staaten, die sich in seinem Machtbereich befanden, und die damit aus dem Heiligen Römischen Reich austraten. 201,32 gethan hätte] In der ersten Aufl. folgt hier ein Gedankenstrich (177). 201,33 von Haugwitz] In der ersten Aufl.: „v. Haugwitz“ (177). 201,35 am Kurfürstl. Hessischen Hofe] gemeint ist hier das Kurfürstentum Hessen-Kassel. 201,35 Herrn Bignon] In der ersten Aufl.: „Hrn. Bignon“ (177). 201,37 Bignon war Geschäftsträger] in Berlin In der ersten Aufl. heißt es stattdessen: „Bignon war ehedem erster Gesandtschafts=Sekretair bei der Sendung des Generals Beurnonville in Berlin.—“ (177). 202,1 arbeitsam] In der ersten Aufl. folgt nach „arbeitsam“ ein Gedankenstrich (177). Die Fußnote wurde in der zweiten Aufl. hinzugefügt (234–236). 202,4–5 Dieser Mann wird schlecht] In der ersten Aufl.: „Dieser wird schlecht […]“ (178). 202,7 Unrecht haben möge!] In der ersten Aufl. erscheint hier ein Gedankenstrich (178). 202,16 Anm. Mittelmark: Brandenburger Gebiet zwischen Oder und Elbe; zwischen Alt- und Neumark gelegen [s. 161,4]. 202,17 Anm. Lieferungskontraite] [fr.] contrat; Lieferverträge. 202,22 Anm. Auditeur] ein auditeur de justice, ein öffentlicher Justizrevisor. 202,36 Anm. der qu. Mann] der fragliche Mann. 203,1 das Gegentheil] In der ersten Aufl. ist dies ergänzt: „das Gegentheil von Paris aus“ (179). 203,28 sch ... ] scheisse; hier und im folgenden Satz übt E PHRAIM Selbstzensur.

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Kommentar

204,4 Grosherzog von Berg] 1806 musste Preußen auf den letzten Teil des Herzogtums Kleve verzichten und der H ERZOG VON K LEVE UND B ERG wurde zum Großherzog ernannt. N APOLÉON berief seinen Schwager J OACHIM M URAT in diese Position. 204,8 aber die Deinigen. –] In der ersten Aufl.: „die Deinigen! –“ (183). 204,9 Unterhandlungen Oubrils] P ETER D ’ O UBRIL , eigentlich P JOTR J AKOWLEWITSCH U BRI , war seit 1803 der russische Gesandte in Paris; er stammte ursprünglich aus einer französischen Familie. Am 28. August 1804 erklärte er den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Frankreich und verließ Paris, wurde jedoch am 30. April 1806 als Sondergesandter nach Paris geschickt und schloss am 20. Juli 1806 einen neuen Vertrag ab, der allerdings von Z AR A LEXANDER I. nicht anerkannt wurde. 204,9 intriguirten] [fr.] gegeneinander ausspielen; hier auch: interessieren. 204,14–15 wie das Orakel zu Delphi] Delphi war ein heiliger Ort, dem A POLL gewidmet; das Orakel der Priesterin nicht immer klar deutbar. 204,19 Er wiederholte und warnte] In der ersten Aufl. heißt es stattdessen: „Er berichtete und warnte, daß Frankreich nicht aufrichtig zu Werk ginge, […]“ (184). 204,23–24 mehrmals sogar gegen mich äußerte] In der ersten Aufl. „mehrmals gegen mich äußerte […]“ (184). 204,26–27 Nichtgenehmigung des russischen Friedens] s. 188,17; 204,9. 205,1 assignirte] [fr.] assigner; an- und zuweisen. 205,2 Dispositionskasse] Kasse/Schatulle mit verfügbarem Geld. Die Kabinettsordre vom 15. Mai 1806 an die Dispositionskasse liest sich folgendermaßen: „Ich habe dem Geheimen Rat Ephraim die 3000 Thaler, die auf den von der Seehandlung vom 24. Dezember 1799 erhaltenen Vorschuß von 5000 Thalern noch schuldet, erlassen. Nach dem Antrage des Staatsministers Stein wird die Dispositionskasse die 3000 Thaler der Seehandlung erstatten“. H ERMANN H ÜFFER , „Die Kabinetsregierung in Preußen und Johann Wilhelm Lombard. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staates vornehmlich in den Jahren 1797–1810“. Leipzig: Duncker und Humblot, 1891, S. 476. 205,4 selbst alles anzuwenden, um] In der ersten Aufl.: „selbst alles anzuwenden um […]“ (186). 205,8 Dame wie die Königin] L UISE VON M ECKLENBURG -S TRELITZ , seit 1793 mit dem Thronfolger, dann König F RIEDRICH W ILHELM III. verheiratet, wurde mit seiner Amtsübernahme im November 1797 Königin von Preußen. Hochverehrt galt sie als Vertreterin bürgerlicher Tugenden. 205,11 nach Königsberg zu gehen, wie die Kaiserin von Oestreich nach Teschen: F RIEDRICH W ILHELM III. und K ÖNIGIN L UISE flohen vor dem Einmarsch der napoleonischen Truppen nach Königsberg. Das Teschener Land war der Teil Schlesiens, der sich unter österreichischer Herrschaft befand. Das Ende des bayrischen Erbfolgekrieges wurde durch einen Vertrag am 13. Mai 1779 in der Stadt Teschen vertraglich unterzeichnet; es war der Geburtstag der K AISERIN M ARIA T HERESIAS . 206,11–12 von denen, die nicht mehr] In der ersten Aufl.: „von denen die nicht mehr […]“ (190). 206,13 des vielversprechenden Prinzen Louis Ferdinand] P RINZ L OUIS F ERDINAND war Kommandeur einer preußischen Vorhut und fiel am 10. Oktober 1806 in der Schlacht bei Saalfeld, vier Tage vor der Schlacht von Jena und Auerstedt. L OUIS F ERDINAND war als „preußischer Apoll“ bekannt; er war auch ein Musiker und Komponist, der eifrig am Berliner Gesellschaftsleben teilnahm. 206,28 an der Weser gelegenen Preußischen Länder] der Fluß führt von Hannoversch Münden bis nach Bremenhafen und die Nordsee und damit die westlich von Hannover gelegenen preußischen Gebiete. 206,31 Meklenburg] Es gab zwei Herzogtümer Mecklenburg; Mecklenburg-Schwerin und das kleinere Mecklenburg-Strelitz. F RIEDRICH F RANZ I. VON M ECKLENBURG -S CHWERIN blieb zu-

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nächst Frankreich gegenüber neutral und erhielt 1803 Wismar von Schweden. Am 22. März 1808 trat er jedoch der von N APOLÉON etablierten Rhein-Konfederation bei. 206,31 rc., die Absichten] In der ersten Aufl.: „rc. die Absichten […]“ (192). 206,32 entzweien. Es liegt] In der ersten Aufl.: „entzweien; es liegt […] (192). 207,8 Schlacht bei Austerlitz] N APOLÉON wollte dem zu erwartenden Kriegseintritt Preußens mit dem Datum der Schlacht zuvorkommen. 207,11 von Haugwitz] In der ersten Aufl.: „v. Haugwitz“ (194). 207,25 Kreirung der Tresorscheine] Nach einer Verordnung vom 4. Februar 1806 wurde in Preußen Papiergeld unter dem Namen Tresorscheine eingeführt. 1805 und 1806 hatte die preußische Regierung Geld in einem sogenannten Realisationsfonds zur Absicherung der Tresorscheine gesammelt. 207,29 „Ueber Geldumlauf und Papiergeld“] E PHRAIMS „Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld“ erschien 1806 und ist in dem vorliegenden Band aufgenommen. 207,29–30 und dafür gewarnt habe] In der ersten Aufl. heißt es: womit leider die Einwohner jetzt so sehr geplagt sind; indem jene Scheine, da ich dies schreibe, bereits an zwölf Prozent verlieren, und bei fortdauerndem Elende nicht das Schicksal der Assignaten und Mandaten haben werden; welches alles ich bereits in der im vorigen Jahr von mir herausgegebenen Schrift: „Ueber Geldumlauf und Papiergeld,“ genugsam vorausgesagt und dafür gewarnt habe“. (195) 207,31–32 Hutchinson] Möglicherweise eine Verwechslung mit dem Ökonomen Francis Hutcheson. 207,33 vorzugreifen] In der ersten Aufl. wird ergänzt: „vorzugreifen; daher diese Schrift auch ohne allen Einwand die Censur passirt ist“. (196) 207,36–37 das Prävenire spielen] abgeleitet von [fr.] prévenir; jemanden bei etwas zuvorkommen oder den Rang ablaufen. 207,37–38 der Preußische Einmarsch in Sachsen] Beginn des Siebenjährigen Kriegs; F RIEDRICH II. überschritt am 29. August 1756 die Grenze Sachsens ohne vorherige Kriegserklärung. Preußen verband sich in dieser Zeit im England; Frankreich mit Österreich. 208,2 Bunzlau] heute das polnische Blesławiec; die Stadt liegt in der Woiwodschaft Niederschlesien und ist heute besonders durch seine Keramikproduktion bekannt. 208,4 Ekipirung] [fr.] equipment; Ausrüstung. 208,7 sagte endlich mir mit dürren Worten] In der ersten Aufl.: „sagte mir mit dürren Worten“ (197). 208,12 ganz eigen.] In der ersten Aufl. heißt es weiter: „Diese listigen Wendungen sind dem Grafen Haugwitz ganz eigen und so wie ich ihn kenne, räthet er gewiß jetzt, in allem nachzugeben; welches er aber früher hätte rathen sollen“ (197). 208,15 abgeäschert] [norddeutsch] abgehetzt, ermüdet. 208,17–18 Der Mächtigere, der] In der ersten Aufl.: „Der mächtigere der seine Absichten ausführen will […]“ (198). 208,19 vorwirft. – – – –] In der ersten Aufl. setzt der Autor nur drei Gedankenstriche (198). 208,22–23 zurückkommen, indem ich] In der ersten Aufl.: „zurückkommen; indem ich folgendes […]“ (198). 208,27 General von Köckritz] Die Fußnote wurde in der zweiten Aufl. eingefügt (253). 209,12 Angelegenheiten sehr zerrüttet] In der ersten Aufl. heißt es: „mich auf die härteste Art einzusperren, setzten mich der Gefahr der barbarischsten Mishandlungen die mein Körper noch sehr empfindet, und den verläumderischsten Nachreden aus. –“ (200). 209,17 Doch, wozu fremde Beispiele!] In der ersten Aufl. als Frage formuliert: „Doch, wozu fremde Beispiele? –“ (200).

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209,19 auf nichts reduzirt, und] In der ersten Aufl.: „reduzirt und […]“ (201). 210,3 die Person ist die] In der ersten Aufl.: „Person ist, die […]“ (203). 210,7 geheimer Oberer der Geistersehergesellschaft] Dies ist auch anderswo zu lesen, etwa bei einem Zitat von L UDWIG K ONRAD R EICHSFREIHERR UND G RAF VON L EHRBACH : „Daß Graf Haugwitz“, so meinte Lehrbach, „gelassener, höflicher und mehr communicable als die übrigen preußischen Minister ist, habe ich öfters bemerkt, und es ist wahr; aber diese Form muß nie einen einsichtigen Geschäftsmann und besonders bei dem Grafen Haugwitz täuschen. Er ist ein Geisterseher, Herrnhuter und politischer Heuchler“. In: A LFRED E DLER VON V IVENOT , „Albrecht von Sachsen-Teschen als Reichs-Feld-Marschall. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverfalls und des Baseler Friedens“. 2. Bd., 1. Abth.: November 1794 bis April 1795. Wien: Wilhelm Braumüller, 1866, S. 444. Im protestantischen Preußen der Aufklärungszeit galt das „Geister sehen“ als große Anschuldigung. 210,11 die Gräfin Lichtenau zu verhaften] W ILHELMINE E NCKE , verheiratete R IETZ , seit 1794 Gräfin Lichtenau war 1769–1782 Mätresse, danach weiterhin die engste Vertraute und Beraterin des preußischen Königs F RIEDRICH W ILHELM II. Nach seinem Tod 1797 ermittelte der Sohn, K ÖNIG F RIEDRICH W ILHELM  III., gegen sie, brachte sie in Festungshaft und verbannte sie danach nach Glogau. 210,29 zu biegen, und selbst] In der ersten Aufl.: „zu biegen und selbst“ (205). 210,34 die Lichtenau] In der ersten Aufl.: „die Lichtenauen“ (205). 211,4 der schwarze Adlerorden] der Hohe Orden vom Schwarzen Adler war der höchste preußische Orden; er wurde von K URFÜRST F RIEDRICH III. VON B RANDENBURG am 17. Januar 1701 vor seiner Selbstkrönung zum König in Preußen gestiftet. 211,15 die französische Legation] die französische Gesandtschaft. S. auch den Titel des Legationsrates für Angestellte im Auswärtigen Amt. 211,16 Mein Herr Graf] Der Text wechselt hier von der Form eines allgemeinen Berichts zur direkten Anrede und damit zur Briefform. 211,18 Muschen] Schlampen; erscheint in der ersten Aufl. ebenso. 211,22 Lokal Andrer] In der ersten Aufl.: „Lokal andrer“ (208). 211,20–26 Gesetzt aber auch] Der Abschnitt: „Gesetzt aber auch; […] aber nicht sehen kann“ (260–261) wurde in der zweiten Aufl. eingefügt. 211,27 Grafen von Schulenburg] In der ersten Aufl.: „Graf v. Schulenburg“ (208). 211,29 und noch viel weniger, daß er] In der ersten Aufl.: „und noch vielweniger er selbst einen unrechten Gebrauch davon gemacht hat“ (208). 211,31 frequentirt, und] In der ersten Aufl.: „frequentirt und […]“ (208). 212,7 einem Schiffre] [fr.] chiffre, verschlüsselter Brief, Geheimschrift.

1a anon. [Karl Julius Lange]: „Vermischte Nachrichten“ (Der Telegraph; 1808) Der Telegraph: Ein Journal der neuesten Kriegsbegebenheiten von Karl Julius Lange] Die Zeitschrift war die erste Tageszeitung Berlins und erschien vom 17. Oktober 1806 bis zum 3. Dezember 1808. K ARL J ULIUS L ANGE war das Pseudonym von S IMSON A LEXANDER D AVID , der sich als Publizist auch A LEXANDER D AVESON nannte. Er nahm den Namen L ANGE nach seiner Taufe (möglicherweise vor 1790) an. L ANGE plante ursprünglich eine Preußen freundliche Publikation; er erhielt die Lizenz für eine „vaterländisch“ gesinnte Zeitung und erhielt die Unterstützung von Stadtrat J O-

Rezensionen

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HANN E MMANUEL VON K ÜSTER . Nach der Niederlage von Jena und Auerstedt wechselte er die Sei-

ten. Der „Telegraph“ wurde das Hauptorgan der französischen Besatzung in Berlin. Die Zeitung erschien zeitweise auch in französischer wie deutscher Ausgabe. Rom, den 12. December] Die Publikationsnachricht wurde hier in der Form eines Auslandsberichts aufgenommen. für den Politiker und Diplomatiker] Das Buch wird hier vor allem keinem allgemeinen Publikum empfohlen, sondern jenen, die an der Zeitgeschichte beruflich interessiert sind.

1b Johann August Sack: [Rezension] (Zeitungs-Bericht der Immediat-Friedens-Vollziehungs-Kommission Berlin; 1808) lmmedial-Friedens-Vollziehungs-Kommission] In „Die Zeiten. Archiv für die neueste Staatengeschichte und Politik“ XII, hrg. v. C HRISTIAN D ANIEL V O ß , Halle: auf Kosten des Herausgebers, Dezember 1807, S. 379–80 wurde die Erklärung von Johann August Sack im Namen der königlich preußischen, zur Vollziehung des mit Frankreich geschlossenen Friedens angeordnete Immediatkommission vom 22. August 1807 unter „Akten und Verfügungen zur Vollziehung des Tilsitter Friedenstraktes“ abgedruckt: In der dem preußisch-französischen Friedensschlusse angefügten Konvention, die Vollziehung des Friedens betreffend, war, wie man sich erinnert, (Art. VI.) (S. die Zeiten. Auguststück S. 272) festgesetzt, ‘daß Kommissäre ernannt werden würden, um über alle streitige Punkte sich freundschaftlich auszugleichen.’ Preußischer Seits bildete sich diese Kommission, unter dem Vorsitz des geheimen Oberfinanzraths Sack; französischer Seits wurde dazu der Generalintendant der großen Armee und des kaiserlichen Hauses, Staatsrath Daru bevollmächtigt. […] Der Telegraph] S. die hier wieder abgedruckte Rezension vom 1. Januar 1808. E.K.M.] Eure Königliche Majestät. Dumouriez] C HARLES -F RANÇOIS D UMOURIEZ wurde des Landesverrats bezichtigt und 1793 hingerichtet. Der Französische G ENERAL J EAN -C HARLES P ICHEGRU versuchte mit G EORGE C ADOUDAL 1803 einen royalistischen Aufstand zu leiten. …] Die Auslassungszeichen erscheinen im Druck.

1c anon. [Johann Wilhelm Lombard]: „Ueber die Schrift des Geheimen Raths Ephraim“ (Neue Berlinische Monatsschrift; 1808) Hinsichtlich der Zuschreibung der Rezension siehe H ERMANN H ÜFFER , „Die Kabinetsregierung in Preußen und Johann Wilhelm Lombard. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staates vornehmlich in den Jahren 1797 bis 1810“ (Leipzig: Duncker und Humblot, 1871), S. 476 Anm. 2. Neue Berlinische Monatsschrift] Die „Berlinische Monatsschrift“ (1783–1796) wurde von J OHANN E RICH B IESTER und F RIEDRICH G EDIKE begründet und war die führende Zeitschrift der deutschen

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Aufklärung. B IESTER publizierte danach die „Berlinischen Blätter“ (1797–1798) und F RIEDRICH N ICOLAI legte die „Monatsschrift“ als „Neue Berlinische Monatsschrift“ (1799–1811) neu auf. Kasiazion] Kassation, von [lat.] cassare: vernichten, ungültig machen.

1d anon. [Saul Ascher]: „Benjamin Veitel Ephraim“ (Kabinet Berlinischer Karaktere; 1808) Kabinet Berlinischer Karaktere] In dem Vorwort zu seinem Buch schreibt S AUL A SCHER über die dort enthaltenen Skizzen: „Sie bilden größtentheils Brust= und Kniestücke von einer Anzahl Berlinischer Privatpersonen, die sich durch ihre Talente und Ihre Industrie einen public Charakter angeeignet haben“ (iv). Curriculum vitae] [lat.] Lebenslauf. ein Mann, der durch verdächtiges Münzen ein fürstliches Vermögen zusammen brachte ] Verweis auf Ephraims Vater, der für F RIEDRICH II. Münzen geringeren Metallwertes prägte, welche den Siebenjährigen Krieg finanzieren halfen. hors d’oeuvre] [fr.] außerhalb des Werkes, der Arbeit. Applaudiren der Poissarden im Palais Royal] Fischweiber, die während der Ereignisse der Französischen Revolution auf die Reden im Palais Royal reagierten. Forts de la Halle] die Männer (Kräfte), die auf dem Pariser Markt Lebensmittel transportierten. Rthlr] Reichstaler; eine seit dem 16. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich verbreitete große Silbermünze.

1e anon.: „Bemerkungen über die Schrift: ‚Ueber meine Verhaftung und einige andere Vorfälle meines Lebens‘. Von B. Veitel Ephraim, Königlich Preußischem Geh. Rath. Berlin, auf Kosten des Verfassers, 1808“ (Lichtstrahlen; 1808) Lichtstrahlen] „Lichtstrahlen: Beiträge zur Geschichte der Jahre 1805–1807“ wurde von den liberalen J OURNALISTEN F RIEDRICH B UCHHOLZ , J OHANN G OTTLIEB S CHUMMEL und C HRISTIAN M ASSENBACH herausgegeben, Berlin: Hamburg und Leipzig: historisch-politisch-militärisches Institut, 1807–1808. lettre de chachet] [fr.] Ein Brief mit einem Siegel, der die Verhaftung einer Person ohne Prozess autorisiert. Diese Schriftstücke waren vor allem zunächst in Frankreich bekannt, wo der König einen solchen Brief zeichnete, ein Minister gegenzeichnete, und ein königliches Siegel (cachet) den Brief schloss und legitimierte. Habeas-corpus] [lat.] „du sollst den Körper bringen“ waren die ersten Worte der Haftprüfanweisungen im Mittelalter. Der Habeas Corpus Act in England, hier als Habeas Corpus Akte übersetzt, etablierte das Recht eines Verhafteten auf sofortige Haftprüfung vor einem Gericht. von den Säuen gefressen wird] Hinweis auf das alte deutsche Sprichwort „Wer sich unter die Trebern mengt, den fressen die Schweine“. S. I DA VON D ÜRINGSFELD und O TTO F REIHERR VON R EINSBERG -D ÜRINGSFELD , „Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen“, Leipzig: Hermann Fries, 1875, S. 58.

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2 Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen (1776)

General=Feldmarschalls von Röllendorf] hier gemeint VON M ÖLLENDORF . esprit des loix] C HARLES DE S ECONDAT , B ARON DE M ONTESQUIEU , veröffentlichte „De l’esprit des loix“ 1748 (Genf: Barillot et fils). die discours politiques] D AVID H UMES „Political Discourses“ (1752) wurden als „Discours Politiques“ von E LZÉAR DE M AUVILLON übersetzt und erschien in Amsterdam: Chez J. Schreuder, et Pierre Mortier le jeune, 1754. honnête criminel] „L’Honnêt Criminel: Drame en cinq Actes & en vers“ (1777) von C HARLES G EORGE F ENOUILLET DE F ALBAIRE DE Q UINGEY . E PHRAIMS Übersetzung ist nicht erhalten. das physiokratische System] eine Wirtschaft, die auf Landresourcen beruhte und nicht auf neue Technologien und industrielle Entwicklung. E PHRAIM selbst war Anti-Physiokrat. Stewards Staatswirtschaft] J AMES S TEUART , „An Inquiry into the Principles of Political Economy“ (London 1767). Der Rezensent wiederholt hier E PHRAIMS Schreibweise des Namens. Möglicherweise verwechselt mit dem schottischen Philosophen Dugald Stewart, der ebenfalls Staatswirtschaft lehrte und sich während der Französischen Revolution in Frankreich aufhielt. Ephemeriden] [fr.] l’éphéméride; von [fr.] éphémére, vergänglich; s. [griech.] ephēmeros „für einen Tag“. Astronomische Tabellen oder Kalender, auch Abreißkalender; aktuelle und vergängliche Nachrichten. Ueber Geldumlauf und Papiergeld] E PHRAIMS „Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld“ erschien 1806 und ist in dem vorliegenden Band aufgenommen. Garde d’Elite] [fr.] Gendarmerie d’élite de la Garde impériale; die Elitegendarmerie der kaiserlichen Garde wurde 1801 von N APOLÉON aufgestellt. Sie wurde 1802 in die garde consulaire eingegliedert und ein Jahr später von der kaiserlichen Garde übernommen. Frosch in der Aesopischen Fabel] Der griechische Schriftsteller Ä SOP (etwa 6. Jahrh. v. Chr.) schrieb eine Fabel über einen Frosch, der sich aufblies, um an Größe zu gewinnen und dabei platzte. Fabeln wie die von A ESOP erhielten in der Aufklärung neue Popularität. Pyrrhonismus] Variante des Skeptizismus, nach dem griechischen Philosophen P YRRHON VON E LIS (ca. 362 v. Chr.–275/270 v. Chr.) benannt.  





2 Worthy. Ein Drama in fünf Aufzügen (1776) 233 Flörcke] J OBST H ERMANN F LÖRCKE war 1770–1790 Verleger in Danzig. 233 Worthy] Der Name selbst bedeutet „wertvoll“ und weist auf den positiven Charakter des Pfarrers hin. 234 George] Worthy lehnt sich stark an den Roman des irischen Schriftstellers O LIVER G OLDSMITH , „The Vicar of Wakefield. A Tale, Supposed to be written by Himself“, das zwischen 1761 und 1762 verfasst wurde und 1766 erschien; E PHRAIM hat den Namen für sein Drama übernommen. Am 28. Mai 1776 erschien in der „Berlinischen privilegirten Zeitung“ 64, S. 325 eine Anzeige für eine neue Publikation der Voßischen Buchhandlung, „Der Dorfprediger von Wakefield, eine Geschichte die er selbst geschrieben haben soll, von neuem verdeutscht“. Leipzig, 1776. 1 Rhtl. 234 Moses] Auch bei G OLDSMITH heisst der zweitälteste Sohn des Priesters Moses. E PHRAIM gibt dem Sohn des Pfarrers nicht nur einen alttestamentarischen Namen M OSES ; dieser Moses tritt im Stück gleich mit einer Bibel in der Hand auf. 234 Lord Maskwell] Dieser Name erscheint in W ILLIAM C ONGREVES Stück „The Double Dealer“ (1693). Er ist in diesem Intrigenstück ein Betrüger.

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234 Lord Kingston] Ein irischer Adelstitel, der zuerst 1768 für E DWARD K ING geschaffen wurde, dem 1 ST V ISCOUNT K INGSTON . 237,30 Psalmen] M OSES M ENDELSSOHN übersetzte die Psalmen ins Deutsche, allerdings erschienen sie erst 1783 in Buchform. 239,27 Guinees] [engl.] Guinea; eine Münze, die in Großbritannien zwischen 1663 und 1814 im Umlauf war und etwa einer Viertelunze Gold entsprach. Der Name leitet sich vom westafrikanischen Guinea ab. 241,16 des Königs Liar] W ILLIAM S HAKESPEARES Drama „King Lear“ (1605/1606; „The Tragedy of King Lear“ 1623) handelt von einem alternden König mit drei Töchtern, der sein Reich zwei seiner Töchtern vermacht, die ihm schmeicheln, und von denen er verlassen wird. 243,9 Als Daphne vor dem Apoll floh] Im griechischen Mythos wird der Gott A POLL vom Pfeil des E ROS getroffen und folgt der Nymphe D APHNE , die vor ihm flieht, mit leidenschaftlicher Liebe. 251,22 Der König ist gerecht] Hier, wie auch später in seinen autobiografischen Aufzeichnungen, zeigt sich E PHRAIM als Royalist, 258,14 Pfund] [lat.] pondus (Gewicht); eine bis heute übliche Maßeinheit. Die Einheit ist nach Ort und Zeit verschieden; ein Pfund (pfd. oder lb. für libra pondo) wiegt etwa ein halbes Kilo. 264,10 Ueber die Unsterblichkeit der Seele] Die deutsche Fassung des Dialogs „Phädon“ von P LATON , „Phädon oder Ueber die Unsterblichkeit der Seele“ (1767) war wohl das bekannteste Buch M OSES M ENDELSSOHNS . 268,13–14 Cavalierparole] Ehrenwort.

2a anon.: „Worthy, Drama in fünf Aufzügen. Danzig, bey Flörke, 1776. 7 Bogen in 8.“ (Allgemeine deutsche Bibliothek; 1776) Allgemeine deutsche Bibliothek] Die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ (AdB) war eine von F RIEDRICH N ICOLAI herausgegebene Rezensionszeitschrift, die 1765–1806 in Berlin und Stettin erschien.

7 Bogen in 8] bezeichnet Papierbögen und die Größe des Buches, es erschien in Oktavform. Eine Oktavform ergibt 8x2, d. h. 16 Seiten; das Buch hat daher 112 (7x 16) Seiten. dem Verf.] dem Verfasser. Dorfpriester von Wakefield] O LIVER G OLDSMITHS Buchtitel wurde vor allem als „Landprediger“ oder „Dorfprediger von Wakefield“ übersetzt, erscheint allerdings als „Dorfpriester von Wakefield“ etwa in J OHANN G OTTFRIED E ICHHORNS „Geschichte der Litteratur von ihren Anfängen bis auf die neuesten Zeiten“ IV,ii. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht, 1808, S. 750.  

2b anon.: „Worthy, ein Drama in fünf Aufzügen, 8. Danzig, 1776. (8 gr.)“ (Berlinisches litterarisches Wochenblatt; 1776) Berlinisches litterarisches Wochenblatt] Die Wochenzeitung wurde in Berlin und Leipzig von F RIEDRICH W ILHELM B IRNSTIEL herausgegeben und erschien 1776–1777 in jeweils zwei Bänden. Rhapsodie] ein ursprünglich von griechischen Wandersängern vorgetragenes Gedicht, dann für die Wiedergabe von unzusammenhängenden, eigentlich formlosen musikalischen Gedanken verwendet.

3 „Varietés: Au Spectateur national“ (1791)

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Hirschfänger] zur Jagd verwendete Stichwaffe, Seitengewehr eines Jägers. Psalter] [Kirchenlatein] psalterium; Buch der Psalmen.

3 „Varietés: Au Spectateur national“ (1791) Der Artikel bezieht sich auf das „Supplement au Journal de Paris“, No 69, Année 1791, wo unter „Variété“ (Verschiedenes) der „Lettre de M. d’Escherny, Comte d’Empire, aux Auteurs du Journal“ erschien und mit Paris, 10. Juni 1791, datiert ist. Der Brief enthält den Ausschnitt eines Briefes von E WALD F RIEDRICH VON H ERTZBERG , in dem dieser angibt, nichts mit den Revolutionen in den Niederlanden und Liège zu tun gehabt zu haben. Weiterhin gibt er an, seinen Namen unter nichts setzen zu können, das Abenteuerer, die sich als preußische Gesandte ausgeben, getan haben: „Je ne puis pas garantir, & on ne doit pas m’attribuer ce que font ou disent des aventuriers qui se donnent pour emissaires de la Prusse, mais qui ne pouront jamais produire la moindre signature de mon nom“. E PHRAIM , der sich hier wohl angesprochen fühlte, legte diese Zeitschrift seinem Brief an den König vom 13. Juni 1791 bei. Er unterzeichnete seinen Artikel auf französisch als „ein Preuße“. Le Spectateur National et le Modérateur] Publikation des französischen Assemblée nationale constituante; die Zeitschrift erschien zwischen 1789 und 1791. Deo Patria et Regi] [lat.] Für Gott, Vaterland und König. Varietés] [fr.] Verschiedenes. 277,10 c’est une lettre] Siehe den oben genannten Brief von F RANÇOIS -L OUIS , C OMTE D ’E SCHERNY vom 10. Juni 1791. 277,11 M. le comte de Hertzberg doit lui avoir écrite] E SCHERNY zitiert aus einem Brief von H ERTZBERG , siehe oben. 277,18 conjointement avec le comte Finkenstein] K ARL W ILHELM F INCK VON F INCKENSTEIN hatte von 1760 bis 1763 alleine als Außenminister gedient und war danach vor allem als königlicher Berater wirksam. 277,1 ff. Depuis long temps […]] [Übersetzung:] Mein Herr, ich höre und lese schon seit langer Zeit mit verachtender Gleichgültigkeit, was in Paris über die internen Entscheidungen des Kabinetts und des Gerichtshofs in Berlin getratscht und gedruckt wird. Dabei war ich zunächst ein wenig überrascht, dass die Autoren und Verkünder der französischen Verfassung versuchten, die Augen ihrer Mitbürger auf eine Regierung und ein Land zu lenken, das keine Beziehung zu den Ereignissen hier haben kann und keinen Einfluss auf eine Revolution, die wohl das zukünftige Glück Frankreichs bedeuten kann. Ich hatte es mir jedoch zur Aufgabe gemacht, dem Gerücht keine Beachtung zu schenken und zu schweigen. Man ist nachsichtig mit den Geschwätzigen, die nur noch Mitleid erwecken. Ich bin jedoch gezwungen, mein Schweigen zu brechen; und was mich dazu zwingt, ist ein Brief, den M. d’Escherny im Moniteur veröffentlicht hat, zusammen mit dem Auszug eines anderen Briefes, den der Graf von Hertzberg an ihn geschrieben haben muss. Ich will hier nicht prüfen, inwiefern der von Herrn d’Escherny zitierte Brief des Grafen von Hertzberg echt ist; ich will nicht fragen, weshalb er es sich erlaubt hat, das Vertrauen eines allseits respektablen Ministers zu missbrauchen. Ich werde mich lediglich darauf beschränken, das französische Volk über einen Wechsel im preußischen Ministerium aufzuklären, der ihm auf eine zweideutige Weise und sogar im falschen Licht präsentiert worden ist. Herr von Herzberg hält heute die Position inne, in der er bereits seit 30 Jahren

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befindet, er ist nämlich Außenminister, und zwar zusammen mit dem Grafen Finkenstein. Beide sind in einem sehr fortgeschrittenen Alter und leiden unter verschiedenen altersgegebenen Gebrechen. Der König, der sie schätzt, sich ihnen verbunden fühlt und sie halten will, bildet für Preußen würdige Nachfolger aus. Mit diesem Ziel hat er ihnen als Stellvertreter den Grafen Schulembourg und den Baron von Alvensleben zur Seite gestellt, die von ihnen in die diplomatischen Kenntnisse eingeführt werden und mit ihnen konstruktiv zusammenarbeiten können. Diese Entscheidung des Königs ist beileibe kein Beweis für jegliche Form von Ungnade. Im Gegenteil: Diese Entscheidung zeugt vom Wohlwollen und von der weisen Voraussicht, mit der sich der König dem Glück seiner Untertanen widmet. Ich kann Ihnen versichern, dass ganz Preußen diese Vereinbarung begrüßt, die auch den Prinzen und seine Minister ehrt. Unterzeichnet: ein Preuße.

4 Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld (1806) Charles Quien] Q UIEN kaufte den Verlag 1799 von F RANÇOIS T HÉODORE DE L AGARDE , der bis 1815 auch einen französischen Verlag besaß. Q UIENS Verlag ist nach 1825 dann nicht mehr nachweisbar. 280,2 Diogenes] D IOGENES VON S INOPE , griechischer Philosoph, der freiwillig ein Armenleben geführt hat und bisweilen in einem Vorratsgefäß schlief. 280,6 Archonten] (griech.) Árchōn; Herrschender, leitender Beamte. 280,9 Quadratur des Cirkels] Die Quadratur des Kreises war ein Problem, dass sich die antike euklidische Geometrie gestellt hat; es ging um die Konstruktion eines Quadrats, dessen Flächenausdehnung der eines Kreises entspricht. Es ist zu einem Sprichwort für die mögliche Lösung einer schwierigen Aufgabe geworden. 280,10–11 Geldcirculation] der im Titel erwähnte Geldumlauf. 280,14 Citationen] Fußnoten, Belege. 280,22 Breslau nach Königsberg] E PHRAIM skizziert hier ein Beispiel aus dem innerpreußischen Handelsverkehr. 280,24 Relais] [fr.] ein Schalter (im Stromkreis). 280,25–26 tripliren] verdreifachen; Militärsprache für Schrittführung in Reihen und Gliedern. 280,26 rc.] [lat.] res cetera; und so weiter. 281,17 Saldo] [lat.] solidus/validus; [ital.] saldare; Differenz zwischen dem Soll und Haben eines Kontos. 281,18 Komptoir] [fr.] comptoir: Geschäftsstelle, Büro. 281,19 Entreprenneurs] [fr.] Entrepreneure; Unternehmer. 281,19 Roulage] [fr.], Transport der Minenerzeugnisse. 281,21 Billets] [fr.] Papier, Anweisung. 281,25 Deponirung] [lat.] deponere: ablegen; Abgabe, Lagerung. 281,31 Diskontiren] finanzmathematisches Rechnungsverfahren, eine Abzinsung. 282,7 Spinnmaschinen zu vermehren] mit der Herstellung von Baumwollstoffen in Manufakturen wählt Ephraim hier ein frühindustrielles Beispiel. 282,8 spiritueusen Getränke] alkoholische Getränke. Mit Hinweis auf den Tuchhandel und die Brandweinproduktion (s. Anm. 23) wählt E PHRAIM Produktions- und Handelsbereiche, in denen Juden aktiv waren.

4 Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld (1806)

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282,16 Orangenessenz] Die Orange, und insbesondere die süße Orange, war zu dieser Zeit in Europa noch eine seltene und exotische Frucht; der größere Anbau in Spanien begann gerade im späten 18. Jahrhundert. 282,22 finaliter] [lat.] letztendlich, schließlich. 282,27 Silder] Silber. 282,29 14 Ellen Tuch] E PHRAIMS Berechnungen der Ellen Tuch gehen hier dem Beispiel K ARL M ARX ’ im „Kapital“ I voraus. Es ist ein Beispiel aus seinem Erfahrungsbereich. E PHRAIMS Familie war nicht nur in der Herstellung von Spitzen tätig, sondern versorgte Zeitweise auch die preußische Armee mit Tuch für die Soldatenbekleidung. 282,31 Rthl] Abkürzung für Reichsthaler, eine vom 16. bis zum 19. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich gebräuchliche große Silbermünze. 282,32 Loth] Maßeinheit; 1 Lot = 4 Quentchen = 16 Pfenniggewichte. Die Maßeinheit wurde Mitte des 19. 2 Jahrhundert im deutschen Raum durch das Gramm ersetzt. 282,36 Beimischung darin enthalten sey] als Münzpräger waren E PHRAIMS Vater wie er selbst mit dem Pressen minderwertiger Münzen beauftragt gewesen, die bereits den Siebenjährigen Krieg mitfinanziert hatten. 282,40 Münzfuß] offizielle Bestimmung des Münzherrn der Anzahl der Münzen, die aus einer Gewichtseinheit von Edelmetall geprägt werden sollen. 283,3–4 Branntweinbrenner] Das Brennen von Schnaps bzw. Brandwein wurde besonders im Osten Europas auch zu einem Beruf, in dem sich Juden betätigen konnten. 283,4 Visitation] [lat.] Besuch; offizielle Überprüfung. 283,6 verfälschen fähig sey] E PHRAIM benützt hier den Begriff des spiritus, [lat.] Geist, für den Alkoholgehalt zu einem Vergleich mit dem Edelmetall der Münze, bei der die religiösen Konnotationen beim Münzvergleich deutlich werden. 283,30 von Livornischen Juden] Die toskanische freie Hafenstadt Livorno bot schon früh ihrer jüdischen Bevölkerung Religions- und Handelsfreiheit. 283,33 traßirte] [fr.] tracer; [lat.] trahere: feststellen, entwerfen, vorzeichnen. 283,34 Ordre] [fr.], Bestellung, Befehl, Reihe. 284,4 Pater Prior] [lat.] prior, zuerst; Pater, der dem Kloster bzw. der Abtei vorsteht; hier auch der Papst als erster Geistlicher des Vatikans. 284,7 Lima] Als Ciudad de los Reyes und spanische Kolonialstadt 1535 von dem Eroberer F RANCISCO P IZARRO gegründet; Lima wurde zu einer wichtigen Handelsstadt. 284,13 König Wilhelm] W ILLIAM III. VON E NGLAND (und W ILLIAM II. VON S CHOTTLAND ) regierte 1689–1702. W ILLIAM III. erteilte dem schottischen Kaufmann W ILLIAM P ATERSON im Gegenzug für einen Großkredit die Genehmigung für die Gründung der Bank of England. Sie stellte die ersten, handgeschriebenen Banknoten aus. 284,14 Privilegium exclusivum] [lat.] alleiniges Privileg, Vorrecht. 284,15 Aktien] Wertpapiere der neu etablierten Aktiengesellschaften. 284,16 Dividende] Teil des Gewinns einer Aktie, der ausgeschüttet wird. 284,16 Cours] [fr.], Umlauf. 284,19 Girobanken] [ital.] giro: Runde, Drehung; Banken, die sich auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr von Kaufleuten spezialisieren. 284,20 Fonds] [fr.], Geldmittelbestand. 284,20 Livres Sterling] [fr./engl.], pound sterling [lat.] libra; englisches Pfund, englische Währung. 284,21 Partikuliers] [fr.] particulier: Privatmann; Rentiere und Privatiere. Der Begriff wird auch für selbstständige Schiffsinhaber der Binnenschifffahrt verwendet.

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284,28 Die Französische] J OHN L AW verwendete 1718–1720 Papiergeld, 1720 endete diese Zeit durch die Mississippi-Spekulation (s. Anm. 34). 284,28 Die Wiener] 1762 wurden von der Wiener Stadtbanco sogenannt Bancozettel ausgestellt. 284,34 Souverain] [fr.] Herrscher, Inhaber der Staatsgewalt. 284,36 Charte] [fr.] Verfassung; Vertrag. 284,39 Darlehn] Kredit, ein schuldrechtlicher Vertrag. 284,40 Wechsel] Wertpapier; bill of exchange [s. Anm 15]; enthält Aussteller, Bezogene Person und Wechselnehmer. 285,5 ersten Bankdirektors Toweshoed] gemeint ist hier H ORATIO T OWNSHEND , der 1722 Direktor der Bank of England wurde; er war 1733–1735 auch Governor of the Bank of England. Der erste Governeur der Bank of England war allerdings S IR J OHN H OUBLON , 1694–1697. 285,5–6 Lord Stanhope] P HILIP S TANHOPE , 4 T H E ARL OF C HESTERFIELD saß im House of Lords und unterstützte Robert Walpole; er wies jedoch die vorgeschlagene Excise Bill (1733) zurück. 285,13 Se. Maj.] Seine Majestät. 285,39 Anm. Prätendent] von [lat.] prae und tendere: beanspruchen; jemand, der das Recht auf den Thron beansprucht. J AMES F RANCIS E DWARD S TUART beanspruchte nach dem Tod seines Vaters, J AMES II., die englische Krone und kehrte, unterstützt von L OUIS XIV., 1715 vom Kontinent nach Großbritannien zurück. 285,21 Exchequier Noten] Anweisungen auf die öffentliche Kasse; exchequer: das britische Finanzministerium. 285,26 Cultivateurs] Bauer, jemand, der das Land bebaut. 286,2 the symbly und the vision] symbol and vision (?). 286,19–20 der Ostindischen Kompagnie] Die East India Company wurde 1600 als Britische Handelsgesellschaft gegründet, die Baumwolle, Seide, Indigo, Salz, Gewürz, Salpeter, Tee und Opium vertrieb und deren Wirkungsbereich über Indian hinaus bis nach China reichte. 286,22 coalisirte] [fr.] coaliser: zusammenspielen. 286,23–24 Seele zur Staatswirthschaft] Bereits T HOMAS H OBBES zeichnte in seinem „Leviathan, or The Matter, Forme and Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall and Civil“ (1651) den Staat in der Form eines menschlichen Körpers, bei dem die Glieder miteinander korrespondieren müssen, allerdings von einem Kopf beherrscht werden. E PHRAIM überträgt das Bild auf das Bankwesen. 286,36 Bankozettel] [ital.] banco: Geldwechslertisch; Bancozettel: Bezeichnung der ersten Banknoten in Deutschland und Österreich. In Deutschland wurden die ersten „Bancozettel“ von der 1705 in Köln gegründeten Banco di gyro d’Affrancatione 1705 erstellt. In Sachsen und Preußen wurden später Tresorscheine erstellt. 286,37 Mississippischeine] Der Schotte J OHN L AW etablierte 1716 eine private Bank Générale, die im folgenden Jahr verstaatlicht und zur ersten französischen königlichen Bank wurde, die Banque Royale. Law kaufte die Compagnie du Mississippi, der er vorstand und die mit amerikanischem Land spekulierte. Sie wurde von der Bank finanziert und bankrottierte 1720. P HILIPPE D ’O RLÉANS entließ Law Ende dieses Jahres von dessen Positionen und Law floh nach Brüssel und dann nach Venedig. 287,7 in Flor seyn] blühen, in Ansehen stehen. 287,12 Behuf] [vrg; ndl.] behoeven, gebrauchen; Ziel, Zweck. 287,15–16 die Schottländische Industrie empor gekommen] Die bekannte Wirtschaftsmaßnahme Schottlands im späten 18. Jahrhundert war die radikale Räumung schottischer Gebiete in den Highlands und auf den Inseln, um diese für die Schafszucht zu öffnen. Die Bevölkerung wanderte in die Städte aus und bildete im 19. Jahrhundert den Kern des Proletariats der entstehenden südlichen Industrieregion.

Rezension

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287,20 Ihr Vorgänger der Lord Walpole] R OBERT W ALPOLE , 1 S T E ARL OF O RFORD , war ein britischer Staatsmann und eigentlich erster Premierminister Großbritanniens. Er war im Ministerium Walpole=Townshend (1721–30) tätig und leitete danach das Ministerium alleine (1730–1742). 287,25 Leiden] die niederländische Universitätsstadt zeichnete sich auch durch ihre Textilindustrie aus. 287,28 Kolbert sagt] J EAN -B APTISTE C OLBERT war der Finanzexperte L OUIS XIV. und prägte eine merkantilistische Wirtschaftspolitik. Durch eine Steigerung der französischen Produktion sollten im Außenhandel ein Überschuß erwirtschaftet werden, der wiederum die Gold-Reserven des Landes vergrößern konnte. 287,30 Staatsrevenüe] [dt./fr.]; Staatsrevenue; Staatseinkommen. 287,30 prima materia] [lat.] das erste Element; Anfangselement eines alchemischen Prozesses für die Gewinning des Elements, das niederes Material in Gold verwandeln kann. 287,31 Turiner Seide] Das im Piedmont gelegene Turin zeichnete sich durch die Seidenproduktion und den Seidenhandel aus. In Preußen wurde ebenfalls versucht, eine Seidenproduktion zu etablieren; M OSES M ENDELSSOHN war in seinem Hauptberuf zunächst Angestellter, dann Besitzer einer Seidenmanufaktur. Turin wurde 1720 Hauptstadt des neuen Königreichs von Sardinien-Piedmont. Es wurde 1796 von den französischen Revolutionstruppen eingenommen und 1802 dann französisch. 287,33 Numerair] [fr.] numéraire: Standardgut; Wertmaß, das die Preise anderer Güter bestimmen kann. 288,16 Drurylane] Drury Lane; Straße, die im Osten an Covent Garden [s. Anm. 41] angrenzt. Das Theatre Royal, ein im 17. Jahrhundert gebautes Theatergebäude, befindet sich auf dieser Straße. 288,16 Konventgarden] Covent Garden; Ehemaliger Marktplatz im Westen Londons zwischen St. Martin’s und Drury Lane. 288,31–32 einer andern Schrift] Ephraim kündigt hier eine Fortsetzung an, diese ist jedoch nicht bekannt.

4a anon.: „Ueber Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld vom Geheimen Kommissionsrath Ephraim. Berlin bei Quien 1806. 8.“ (Der Preußische Staatsanzeiger; 1806) 8.] Oktav-Format. des Redakteurs] wahrscheinlich F RIEDRICH VON C ÖLLN als Herausgeber der Zeitschrift. Pfund Sterling] Englische Währung; die älteste noch im Verkehr stehende Währung. Hier wurde sie wahrscheinlich gewählt, da E PHRAIMS Schrift sich auf auf England und sein Währungssystem bezieht. Ausgleichungsmittel] Ersatz. submittirt] [lat.] submissio; sich unterwerfen. Konvenienz] [lat.] convenire; Zusammenkunft, Übereinkunft. P. G.] Papiergeld. Georg’s des 3ten Scepter] unter dem Zepter, d. h. der Herrschaft G EORGE III. VON G RO ß BRITANNIEN . G EORGE III. wurde 1760 zum König von England und von Irland gekrönt und herrschte nach der Vereinigung beider Länder 1801–1820 als König von Großbritannien. Räsonnement] [fr.] raisonnement; vernünftige Ausführung. finaliter] [lat.] letztendlich.  

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Spiritus] [lat.] Geist. substituirte] [lat.] substituere; ersetzte, austauschte. Ephraimiten] volkstümlicher Berliner Name für die von E PHRAIMS Vater, N ATAN V EITEL H EINE E PHRAIM , geprägten minderwertigen preußischen Münzen; sie halfen F RIEDRICH II. bei der Finanzierung des Siebenjährigen Krieges. Ziehwechsel] Wechsel ist ein Wertpapier, das auf einen Bezogenen ausgestellt ist; einen Wechsel ziehen. Tratten] [ital.] trarre, ziehen; gezogener Wechsel. Assignationen] Assignaten; in der Französischen Revolution ausgestelltes Papiergeld, das auch N APOLÉONS Feldzüge finanzieren sollte. Toweshoed] H ORATIO T OWNSHEND , der 1722 Direktor der Bank of England wurde; der Name wird hier wie in E PHRAIMS Schrift wiedergegeben. einem italienischen Schauspiele] gemeint sind hier wahrscheinlich die Maskenstücke der commedia dell’arte. Tresorschein] Name für das Preußische Papiergeld, das zwischen 1806 und 1825 herausgegeben wurde. Sapientz sat] [lat.] sapientia, Weisheit und [lat.] satis, genug; genug aller Weisheit!

5 Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat“ (1806) Preußischer Staatsanzeiger] Die Zeitschrift erschien monatlich und wurde in Berlin bei Frölich verlegt. Herausgeber war F RIEDRICH VON C ÖLLN . Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ vom Jahre 1807 berichtet folgendermaßen: Der Preußische Staatsanzeiger; herausgeben von einer Gesellschaft von Geschäftsmännern (Berlin b. Frölich. 8.), beschränkt sich zwar nur auf einen einzelnen Staat und muss, seiner Natur nach, sich am häufigsten mit der inner Administration beschäftigen: allein, da dieser Staat in jeder Hinsicht sehr wichtig ist, und sein Verhältniss zu den andern Staaten in der genannten Zeitschrift doch auch berücksichtigt wird: so darf sie hier nicht übersehen werden (S. 507). Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in dem preußischen Staat] B ENJAMIN V EITEL E PHRAIMS Titel lehnt sich hier der einflußreichen Publikation von C HRISTIAN W ILHELM VON D OHM , „Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781–1783) an. 1789 der Regierung übergeben hat] 1789 war das Jahr der Französischen Revolution, wobei die Emanzipation der Juden erst in den folgenden Jahren für die vier Gemeinden in Frankreich beschlossen wurde [s. Anm. 19]. E PHRAIMS älterer Bruder E PHRAIM V EITEL E PHRAIM schrieb bereits einige Jahre zuvor eine Denkschrift über die Lage der Juden in Preußen, die undatiert ist, aber wahrscheinlich aus dem Jahr 1785 stammt. Er zeigte sie M OSES M ENDELSSOHN , der eine stilistische Bearbeitung vorschlug; er dachte auch über eine Übersetzung ins Französische nach, um die Wahrscheinlichkeit einer Lektüre durch Friedrich II. zu erhöhen. Das Manuskript befindet sich heute im Geheimen Preußischen Staatsarchiv (GStA Berlin, Rep. 94, Nr. 403). Auch E PHRAIM V EITEL E PHRAIM war wahrscheinlich mit Dohms Schrift vertraut. S. dazu J ULIUS H. S CHOEPS , „Ephraim Veitel Ephraim—Ein Vorkämpfer der Judenemanzipation“. „Mendelssohn Studien“ II (1975), S. 51–70. Redakteurs] von Cölln gehörte zum Bekanntenkreis von S AUL A SCHER . Er war 1805 Kriegs- und Domänenrat in Berlin. Nach der Schlacht bei Jena und Austerlitz versuchte er, F RIEDRICH W ILHELM

5 Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden (1806)

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III. Pläne für die Verteidigung Preußens gegenüber Frankreich vorzulegen. Während der französischen Okkupation arbeitete er dann an einer sechsbändigen Studie, „Vertraute Briefe über die inneren Verhältnisse am preußischen Hofe seit dem Tode Friedrichs II.“, geriet aber oft mit den französischen wie mit den preußischen Stellen in Konflikt und flüchtete schließlich nach Österreich. 293,9 Fundamentalgesetze] Die aus der Bibel selbst abgeleiteten Religionsgesetze, im Unterschied zu den Interpretationen späterer Kommentatoren [s. Anm. 6]. Damit folgt E PHRAIM anderen radikalen Texten der jüdischen Aufklärung oder Haskala, etwa L AZARUS B ENDAVIDS „Etwas zur Charakteristik der Juden“, Leipzig: Stahel, 1793. 293,9–10 Zusätze der Talmudisten und der Rabbinen] Kommentare und Auslegungen. Der Talmud enthält die verschiedenen Rechtsauslegungen sowie Anweisungen für die private Lebensführung, den die Rabbiner des Mittelalters liefern. Dabei gibt es einen babylonischen und einen Jerusalemer Talmud. 293,15 Rabbiner Saul] Die Wiederansiedlung von Juden in Halle begann erst im späten 17. Jahrhundert, 1704 wurde ihnen vom preußischen König das Generalprivileg verliehen und ihnen erlaubt, eine Synagoge zu bauen und Gemeinde zu bilden. Wahrscheinlich ist mit R ABBINER S AUL der Rabbiner S AUL B ERLIN bzw. S AUL H IRSCHEL gemeint, der in Glogau geboren wurde und seit 1768 in Frankfurt/Oder in Brandenburg tätig war. Er wurde zuvor in Berlin ordiniert und war ein Vertreter der Aufklärung. Der erste in Halle selbst amtierende Rabbiner war L EVIN E ZECHIEL (ab 1737); Halle wurde zuvor von dem Rabbiner in Halberstadt vertreten. E ZECHIEL wurde wahrscheinlich 1769 von M ARCUS S AMUEL abgelöst. 293,15 Oberrabbiner Hirschel] S AUL B ERLIN war der Sohn des H IRSCHEL L EVIN , der Rabbiner in London war und dann das Oberrabbinat in Berlin übernahm. H IRSCHEL war auch der Lehrer seines Sohnes. 294,9 Du sollst nicht das Zicklein in der Muttermilch kochen] In seiner Autobiographie „Ueber meine Verhaftung“ (hier abgedruckt) schreibt E PHRAIM von seinem Studium der Lutherbibel [s. dort Anm. 198]. Hier gebraucht er sie offensichtlich nicht. Das Verbot hinsichtlich der Zubereitung erscheint im Buch Deuteronium 14,21und in der Lutherübersetzung heißt es: „Du sollst das Böcklein nicht kochen in der Milch seiner Mutter“. 294,21 25 p.C.] 25 per Cent; Prozent. 294,32 polnischen unwissendsten Juden] im Berlin dieser Zeit wurden in wohlhabenden Familien oft polnische Talmudlehrer angestellt. Sie galten als gelehrt, aber auch als nicht aufgeklärt. Auch E PHRAIM erwähnt in seiner Autobiographie einen polnischen Lehrer. 294,39 Talmudischer Scharfsinn] Der Talmud ist als sein Kommentarwerk der Heiligen Schrift angelegt; er gibt also die Auslegungen verschiedener Rabbiner wieder. Für die Vertreter Haskala war der Talmud kein wesentlicher Teil des Judentums, sondern eher eine Verschriftlichung einer fortdauernden mündlichen Diskussion um einen Kerntext. Dieses Argumentieren hinsichtlich eines Textes, das junge Männer in einem jüdischen Lehrhaus lernen konnten, konnte damit abgeschafft werden. Scharfsinn wurde dabei zu einem besonders auch in anti-judaischen und später antisemitischen Schriften gebrauchten Begriff, der eher Spitzfindigkeit bedeutete als Weisheit oder Intelligenz. 295,11 N.S.] Nachtstuhl. 295,14 Jakob mit dem Engel gerungen] Verweis auf die Bibel, (Genesis 32,23–33). J AKOB ringt mit einem Unbekannten um seinen Segen und erhält von ihm den Namen Israel. 295,23 kontrastiren] [fr.] contraster: sich abheben, abgrenzen. 295,24 Prophet Elias] Der Prophet E LIAS erscheint mehrmals in der Bibel; er verbreitete das Wort Gottes und Gott schuf Wunder durch ihn. Er wird am Ende jedes Schabbats angerufen und bei dem Pessach-Fest wird für ihn ein Platz am Seder-Tisch freigehalten.

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295,36 dem hochseligen König] F RIEDRICH II. wurde als aufgeklärter Monarch von den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Berlins verehrt, obwohl er eher strikte Dekrete hinsichtlich der Juden Preußens erließ, die keineswegs den Weg zur Emanzipation oder Religionsfreiheit bahnten. 295,37 Moses Mendelssohn] Der Philosoph M ENDELSSOHN war nicht nur das bekannteste Mitglied der jüdischen Gemeinde nach außen hin, auch innerhalb der Gemeinde wurde er verehrt. Er selbst blieb frommer Jude, sprach sich aber in Wort und Tat für eine andere Form des Zusammenlebens mit der nichtjüdischen Umwelt ein, die durch den Gebrauch der deutschen Sprache und die Erlernung von säkularem Wissen gefördert werden sollte. Bildung sollte auch zu einem Weg zur Emanzipation werden. Die Familie E PHRAIM war ihm besonders eng verbunden. Für B ENJAMIN V EITEL E PHRAIM wurde er ein Ratgeber in Erziehungs- und Lebensfragen, sogar einmal Reisebegleiter; der Vater bot M ENDELSSOHN sogar eine Position in seiner Firma an, die dieser allerdings ablehnte. M ENDELSSOHN wechselte nicht ins Münzgeschäft, sondern blieb Seidenfabrikant. 296,5 vom Tode retten] Am 17. September 1394 gab erließ C HARLES VI. ein Dekret, dass die Juden Frankreichs aufgrund ihrer Vergehen gegenüber der christlichen Bevölkerung des Landes zu verwiesen werden sollten. Zur Zeit der Französischen Revolution gab es nur noch jüdische Gemeinden im Süden (ehemalige Flüchtlinge aus Spanien und Portugal, die als Marranos ins Land gekommen waren); in Avignon (dem ehemaligen Pabst-Sitz) und den Grenzgebieten Lothringen und Elsass. In Paris, dem Zentrum der Revolutionsereignisse, gab es keine nennenswerte Anzahl von Juden. 296,11 Rthl.] Reichsthaler; eine vom 16. bis zum 19. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich verbreitete Silbermünze. 296,16 Fiskal] [lat.] fiscalis; dem für den Staat als Wirtschaftssubjekt (Fiskus) zuständigen Beamten. 296,17 Pfandleihe-Reglement vom 27. März 1787] Hierbei handelt es sich um das Pfand-LeihReglement vom 13. März 1787, das deutlich Juden diskriminierte und die Jüdische Gemeinde für Vergehen Einzelner in Haft nehmen wollte. S. Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten VII, hrg. im Bureau des Ministeriums des Innern, Berlin: Im Verlage des Königlichen Zeitungs-Komtoirs, 1846, S. 253–260. 296,24 Kriegsdienste unter den Römern] Juden kamen zuerst mit der römischen Armee nach Deutschland und ließen sich vor allem in der Rheingegend nieder. 296,25–26 die Festung Prag gegen die Preußen vertheidigen helfen] Es ist wohl eher Schweden als Preußen hier gemeint. Während des Dreißigjährigen Krieges nahmen die Prager Juden an der Verteidigung der Stadt teil; sie wurde von der schwedischen Armee belagert. 1648 belohnte F ERDINAND III. die Prager Juden durch die Vergabe einer eigenen Flagge und eines eigenen Wappens in Form eines Davidsterns mit einem schwedischen Hut. 296,27 Juden sowohl zur See als zu Lande gedient] Etwa 2000 Juden lebten zur Zeit der Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in der Kolonie, der 1775 begann und der Französischen Revolution vorausging. Juden hatten dort größere Freiheiten als in Europa. F RANCIS S ALVADOR , der erste Jude, der in den Kolonien ein öffentliches Amt innehatte, wurde zum Revolutionär, ebenfalls M ORDECAI S HEFTALL aus Savannah, Georgia, der dem örtlichen Revolutionskommittee vorstand. R EUBEN E TTING aus Baltimore kämpfte in der Schlacht von Lexington und kam in britische Gefangenschaft. Etwa 100 weitere jüdische Soldaten nahmen an den Kämpfen teil. Die Revolutionäre fanden in dem Bankier H AYM S OLOMON einen bedeutenden Unterstützer ihrer Sache. Offiziell wurde die Religionsfreiheit 1791 in der amerikanischen Verfassung verankert, dem gleichen Jahr, in dem die Juden in Frankreich emanzipiert wurden. Offensichtlich beobachtete E PHRAIM (wie wahrscheinlich auch andere Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Berlin) die Ereignisse in Amerika nicht nur wegen des allgemeinen politischen Impakts und als Auseinandersetzung zwischen einer

5 Vorschläge zur bürgerlichen Verbesserung der Juden (1806)

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Kolonie und dem britischen Mutterland. Sie waren an der Lage der Juden dort interessiert. Die Familie E PHRAIM selbst hatte eher Beziehungen zu Juden in Mittelamerika; dorthin wie auch in die Staaten waren seinerseits viele Juden von der Iberischen Halbinsel geflüchtet. Sie boten nun Geschäftsbeziehungen hinsichtlich des Silberhandels über Holland an, wo E PHRAIM eine Silberschmelze besaß. 296,33–34 wegen der Feuersgefahr] Lazarus B ENDAVID schreibt in „Etwas zur Charakteristik der Juden“ [s. 293,9], dass der Besitz einer Feuerspritze für die Jüdische Gemeinde von Vorteil gewesen wäre, aber die Anschaffung wäre abgelehnt wurde. B ENDAVID zitiert dies als Beispiel für die Rückständigkeit der Gemeinde. Hinter der Entscheidung stand wahrscheinlich eine religiöse Überlegung, die er nicht erwähnt; nämlich die Frage, wie die Feuerspritze am Schabbat zu warten bzw. zu gebrauchen wäre. 296,35 Kanton] Preußen war in Distrikte oder Kantone aufgeteilt; das Kantonsystem diente der Rekrutierung von Soldaten für die Preußische Armee 1733–1813. 297,8 Locke und Rousseau] S. J OHN L OCKE , „Some Thoughts Concerning Education“ (1693). J EAN - J ACQUES R OUSSEAU vertritt sein Erziehungsmodell in vielen seiner Schriften, so etwa in „Émile, ou De l’éducation“ (1763). 297,17 ein an-Genuß wird] Befriedigung verschafft. 297,20 Societätsgesetzen] [fr.] société: Gesellschaft; die Klauseln und Bedingungen, unter denen die Gesellschafter eine Societät errichtet haben. 297,37 vom Soldatenstande befreiet bleiben] Juden in Preußen war der Beitritt in die Armee nicht erlaubt; es gab vor allem Bedenken gegenüber ihrer Loyalität dem preußischen Staat gegenüber, aber auch hinsichtlich der Einhaltung des Schabbats und anderer Feiertage. Mit dem ersten Emanzipationsedikt von 1812 konnten sie der Armee beitreten—im Zuge der napoleonischen Kriege wurden Soldaten gebraucht. 298,3 keinen Staat im Staate bilden] Kritiker einer Emanzipation der Juden wiesen oft darauf hin, dass diese nicht nur eine eigene Religion besäßen, sondern auch ein eigenes Sozialsystem mit eigenen Rechts- und Moralvorstellungen. Sie würden eigentlich nicht abgesondert werden, sondern sich selbst absondern und damit einen Staat im Staate bilden. 298,6 deutschen Sprachkenntniß] gerade M OSES M ENDELSSOHN , der das in jüdischen Familien Berlins gebräuchliche West-jiddisch als einen korrupten Dialekt ansah und nicht als Sprache, wurde zu einem Vertreter des Deutschunterrichts für die preußischen Juden, denn nur mittels der Sprache konnten sie am (Kultur)leben ihrer Umgebung teilnehmen. 298,8 Ackerbau] Juden in Preußen war Landbesitz verboten und damit ein Leben als Bauer unmöglich gemacht. Sie konnten sich lediglich als Getreidehändler verdingen. Hofjuden, die in der Stadt wohnten, konnten jedoch Häuser kaufen oder bauen; Ephraim und seine Familie besaßen reichlichen Grundbesitz. 298,13 in Streitigkeiten zwischen Juden und Juden mischen] E PHRAIM spricht sich hier für eine Gerichtsbarkeit aus, die für Juden und Nichtjuden gelten soll, und lehnt Rechtsprechungen innerhalb der jüdischen Gemeinde ab; Schlichtungen, die oft unter Juden mit einem Vertreter der Gemeinde stattfanden. 298,19 Kauscherfleisch] koscheres, d. h. nach jüdischer Schlachtung (Schechtung) präpariertes Fleisch von Tieren, deren Verzehr erlaubt ist. Die Schreibweise „kauscher“ folgt hierbei einer deutsch-jüdischen Vokalisierung des Hebräischen, die noch bis zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland gebräuchlich war. 298,23 Grossisten] Vertreter eines Großhandels. 298,24 Detaillist] Vertreter eines Einzelhandels. 298,24 Fabrik-Entrepreneur] [fr.] entrepreneur; Fabrikunternehmer.  

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298,31 Etablissement jüdischer Kolonisten] Unternehmen der jüdischen Bevölkerung. Ähnlich wie die Hugenotten Berlins als „französische Kolonie“ bezeichnet wurden, so galten die jüdischen Einwohner als „jüdische Kolonie“. 299,2 Nachschüsse] Eine Nachschusspflicht bedeutet, dass ein Gesellschafter bzw. Mitglied das Gesellschaftskapital wenn notwendig anteilmäßig erhöhen oder für den Verlust haften muss. 299,3 enrollirt] [fr.] enroller: registrieren, sich anmelden, sich zur Aufnahme stellen. 299,9 Vorsteher] gemeint ist hier die Verwaltung der Gemeinde durch Judenälteste; die preußische hatte bislang prominente Hofjuden als Gemeindevorsteher eingesetzt, etwa D ANIEL I TZIG . Auch E PHRAIMS Vater gehörte zeitweise zu dem Vorstand der Gemeinde.

6 Auszug aus der Korrespondenz mit Johann Rudolf von Bischoffswerder und dem Preußischen Hof, Dezember 1791–März 1793 303,5 Que les Emigrés attaqueront la France avec succès] Nach 1789 flüchteten viele Adelige, reiche Bürger und Geistliche Frankreich. Sie bekannten sich zur Monarchie und wollten die Französische Revolution bekämpfen. Konterrevolutionäre formten eine Armée des émigrés, die auch von Geldern aus Großbritannien erhalten wurden. 303,14 leur indépendance] Der Spanisch-Niederländische Krieg dauerte von 1568 bis 1648; in dieser Zeit erkämpften die Sieben Vereinigten Provinzen ihre Unabhängigkeit von Spanien und der Herrschaft der Habsburger. 303,1 f. A Mr. de Bischoffswerder […]: [Übersetzung:] An Herrn von Bischoffswerder d. 24. Dez. 1791 Welchen Einfluss kann die zukünftige Situation Frankreichs auf Preußen haben, wenn man davon ausgeht, dass einer der folgenden drei Fälle eintritt: 1. Dass die Emigranten Frankreich erfolgreich angreifen werden 2. Dass Frankreich die Emigranten erfolgreich auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen angreifen wird; oder 3. Dass das Reich jegliche Truppenbildung unter den Emigranten verhindert In den ersten beiden Fällen werden die Emigranten direkt oder indirekt von anderen Mächten unterstützt werden und es wird einen der längsten und grauenhaftesten Kriege geben, die jemals stattgefunden haben. Der politische Fanatismus wird hundert Mal größer sein als der religiöse Fanatismus. Wenn die phlegmatischen Holländer 80 Jahre lang gekämpft haben, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen, kann man dann bei der Hartnäckigkeit der französischen Nation weniger erwarten? Aber nehmen wir an, dass Frankreich nach ein oder zwei Feldzügen geschlagen oder zumindest ruiniert ist und von der politischen Bildfläche verschwindet; was wird dann aus Preußen? Nach der Zerschlagung der Revolution wird Österreich nichts mehr in den abhängigen Niederlanden zu fürchten haben und nicht mehr von Preußen abhängig sein. Preußen hingegen wird vom Wohlwollen der beiden Kaiserhöfe abhängig sein. Russland will nämlich alle Mächte gegen Frankreich aufbringen, um die Angelegenheit Polen in seinem Sinne zu lösen. Für sein Überleben bleibt Preußen nur die dritte Lösung; d. h. jegliche Truppenbildung unter den Emigranten zu unterbinden, Frankreich auf die politische Bühne zurückzubringen und mit ihm ein Bündnis zu schließen.  

6 Korrespondenz mit Johann Rudolf von Bischoffswerder und dem Preußischen Hof

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Der Einwurf, dass alle Mächte Widerstand leisten und die Kommunikation mit der revolutionären Pest verhindern müssten, entbehrt jeder Grundlage, denn man verhindert diese Plage nicht durch einen Krieg. Preußen muss sich nur eines ganz einfachen Mittels bedienen, dass ich Ihnen ein anderes Mal mitteilen werde. 304,1 f. Sire, […]: [Übersetzung:] Majestät, unter jeder anderen Regentschaft hätte ich nicht so viele Risiken und Mühen auf mich genommen, um seit zwei Jahren in Brabant und Frankreich zu agieren. Ihre Majestät hat stets jedem gegenüber ihr Versprechen gehalten, und gerade diese Tugend macht mich unglücklich. Denn da Ihre Majestät mich nicht weiter zu beschäftigen gedenkt, so wird jeder dies auf einen Fehler meinerseits zurückführen, so als wäre ich meiner Pflicht nicht nachgekommen. Erlauben Sie mir, Majestät, Ihnen diesbezüglich angehängten Bericht zu unterbreiten. Mit größtem Gehorsam und Untertänigkeit gegenüber Ihrer Majestät, Ihr sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener B.V. Ephraim Berlin, Dez. 1791 304,5 sous l’obéissance] Kaiser L EOPOLD II herrschte noch bis zu seinem Tod im Jahre 1792; sein Sohn F RANZ II war der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, das sich 1806 nach der Kaiserkrönung N APOLÉONS auflösen sollte. F RANZ II wurde dann K AISER F RANZ I. VON Ö STERREICH . 304,1 f. le 13 Janv. 1792 […]] [Übersetzung:] d. 13.Jan. 1792 Majestät, nachdem der Kaiser mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die belgischen Untertanen wieder unter seine Obhut geführt hat, haben die Manöver der Franzosen, die weiterhin die Gemüter bewegen, ihn endlich dazu gezwungen mit Härte gegen sie durchzugreifen und sich an Frankreich zu rächen. Die derzeitigen Umstände sind günstig für ihn; denn unter dem Vorwand, die Prinzen zu schützen, die ihre Ländereien im Elsass verloren haben, kann er die Kooperation mit dem römisch-deutschen Reich und vor allem mit Preußen einfordern. Die aktuelle Situation Preußens und Österreichs ist sehr ungleichartig. Österreich kann die Niederlande nicht halten ohne mit der Verfassung zu brechen und Preußen kann nur auf die Stabilität der gegenseitigen Freundschaft mit dem Kaiser setzen, wenn es mittels der Verfassung Frankreich wieder auf die politische Bühne zurückholt. Daher ist der Erhalt des Friedens, der zu jeder Zeit ein Glück darstellt, für Preußen momentan noch wünschenswerter. Der Frieden hängt weder vom König noch vom Ministerium ab, sondern von einigen Jakobinern wie Condorcet, Fauchet und Brissot. Diese Herren mit all ihrem Wissen und ihrer Gelehrsamkeit gehören zu den eingebildetsten und strebsamsten, die je existierten. Sie predigen gegen die Großen und wollen dafür gefeiert und vergöttert werden. Da dies für den Comte de Golz keine durchführbare Aufgabe ist, da die Jakobiner alles hassen, was sich Gesandter oder Botschafter nennt, und da ich selbst davon ausgehe, alle nützlichen Informationen und Kenntnisse zu haben, wage ich Ihrer Majestät diesbezüglich meine Dienste anzubieten und berufe mich dabei auf meinen ungebrochenen Eifer mit dem ich Ihrer Majestät ergeben bin. 305,15 f. Le Roi ayant vu […]] [Antwortbestätigung/Übersetzung:] Der König hat das Schreiben des Herrn Ephraim vom 13. dieses Monats, mit dessen Einwürfen und dem Angebot seiner Dienste zur Kenntnis genommen. Seine Majestät versichert ihm hiermit ihr Wohlwollen und behält sich vor, sollten es die Umstände erlauben, davon Gebrauch zu machen. Berlin, d. 15. Januar 1792 F. Wilhelm Dem Berater ohne derzeitige Mission

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Herrn Ephraim 305,1 f./A Mr. de Bischoffswerder Berlin le 31 Janv. 1792 […]] [Übersetzung:] An Herrn von Bischoffswerder Berlin, d. 31. Jan. 1792 Der Entschluss, den Preußen in der aktuellen Situation fassen muss, hängt von der Entscheidung zu folgenden Fragen ab: Soll Preußen, oder soll Preußen nicht zur Zerstörung des Familienpaktes beitragen, um sich mit Frankreich zu verbünden? Frankreich beginnt endlich zu begreifen, dass der Familienpakt das absurdeste Bündnis ist, das jemals existierte. Das Bündnisprinzip muss auf der Notwendigkeit gegenseitigen Beistands beruhen, für den Fall des Angriffs einer dritten Macht. Unstimmigkeiten beginnen fast immer durch unterschiedliche Nachbarschaftsinteressen; ein Bündnis mit einer entfernten Macht ist somit natürlich, eins aus zwei Nachbarn unnatürlich und bedenklich. Der Familienpakt und das Bündnis zwischen Österreich und Preußen sind beides politische Inzeste; doch selbst wenn die derzeitigen Umstände Preußen und Österreich gezwungen haben, sich zu verbünden, so muss Preußen Frankreich gegenüber mit Bedacht handeln, um sich dieses Bündnis zu sichern, wenn die Verfassung gefestigt sein wird. Diese Aufgabe durchzuführen ist die schwierigste politische Aufgabe, die es je gab, denn abgesehen davon, dass es immer von schlechter Politik zeugt, seinen Verbündeten zu täuschen, wird dies auch sehr gefährlich sein; denn sobald Österreich merkt, dass Preußen nicht mehr loyal handelt, wird es nichts unversucht lassen, um entweder Russland für sich zu gewinnen oder den Familienpakt weiterzuführen. Daher ist diese Aufgabe so heikel, denn wenn Preußen Österreich gegen Frankreich unterstützt, verliert es die Freundschaft Frankreichs, und wenn Preußen Österreich den Beistand verweigert, wird dieses das Bündnis mit Frankreich erneuern, und dieser natürliche Verbündete wird für immer für Preußen verloren sein. Es wäre daher besser, einen Krieg zu vermeiden und alles vorzubereiten, um für Folgendes gerüstet zu sein: wenn Österreich illoyal handelt, ein Bündnis mit Frankreich zu schließen. B.V. Ephraim 310,3 Au Roi] [fr.] An den König.

7 Denkschriften über die aktuelle Situation in Europa (undatiert, 1791) und Austausch mit den preußischen Ministern Karl Wilhelm Finck von Finkenstein und Ewald Friedrich von Hertzberg 313,12 la perte des Etablissements de l’angleterre en Amerique] der amerikanische Unabhängigkeitskrieg begann 1765; 1776 hatten die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit erklärt. Die amerikanische Revolution ging daher der Französischen Revolution voraus. 313,21 qui dependoit de la Russie] hier bezieht sich Ephraim auf die seit dem Siebenjährigen Krieg gezeichneten Staatsabkommen. 314,6 un Empire grec] Griechenland befand sich seit dem Fall Konstantinopels 1453 unter osmanischer Herrschaft. 1770 gab es bereits einen von Russland geförderten Aufstand, der nach den Grafen Grigori, Alexei und Fjodor Orlow benannt und als Orlow-Revolte bekannt wurde. Sie wurde allerdings niedergeschlagen. Erst 1821 wurde eine erste griechische Nationalversammlung einberufen; ein von westlichen Großmächten unterstützter Freiheitskrieg folgte.

7 Denkschriften über die aktuelle Situation in Europa (undatiert, 1791)

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315,4 Mines du Mexique] die spanische Kolonie Mexiko war wahrscheinlich der größte Edelmetallproduzent der Welt; neben Gold- und Edelsteinminen waren vor allem die Silberminen reich und gefragt. Benjamin Veitel Ephraim hatte in Amsterdam in einer Silberschmelze gearbeitet und kannte sich als Kaufmann und Münzfabrikant mit den Metallen der Neuen Welt aus. 315,7 Cadix] Cádiz ist eine Stadt im Südwesten Spaniens; der Hafen war ein Hauptstützpunkt für die spanische Flotte. 315,16 comme p. E.] [fr.] comme par example; beispielsweise. 315,20 du rouade de montre à Varington] Warrington ist eine Stadt in Chesthire, England, die sich bereits im achtzehnten Jahrhundert als Industriestadt hervortat. Unter anderem stellte die dortige Stahlindustrie auch Uhren her. 315,26 R.] Wohl Abkürzung für Reichstaler, preußische Währung. 315,26 Liv. Sterling] Pfund Sterling, britische Währung. 316,5 partie sensé des Patriots] Die partie des Patriots sind hier die Patriotten [ndl. Patrioten], eine republikanische Partei, welche die Herrschermacht der Statthalter der Oranier beschränken bzw. diese gar abschaffen wollte. Den Patriotten gehörten sowohl Vertreter der Aristokratie, welche die Monarchie unterstützten, wie auch demokratische Bürger an. 316,6 contre la Princesse] Die Prinzessin Wilhelmine von Preußen, Schwester des Königs Friedrich Wilhelm II. von Preußen, war Erbstatthalterin; als sie nach Den Haag reisen wollte, wurde sie von den Patriotten auf dem Weg nach Den Haag aufgehalten und zur Rückkehr nach Preußen gezwungen. Friedrich Wilhelm II. forderte Genugtuung und rückte 1787 in den Niederlanden ein um den Erbstatthalter wiedereinzusetzen. Die Patriotten hatten auf eine Hilfe Frankreichs vertraut; Wilhelm VI. von Oranien, der nun an der Macht stand, schloß hingegen einen Pakt mit England und Preußen. Die Patriotten wurden 1787 durch die einmarschierenden Preußen unterdrückt, erlangten aber 1795 wieder politische Macht. 316,32 l’empire des Cartaginois] Karthago wurde 539 v. Chr. zu einer Seemacht, welche die Führungsrolle über die phönizischen Städte des Mittelmeerraumes übernahm. Schiffe engagierten sich in Entdeckungsfahrten der afrikanischen Küste und durch Kriege und koloniale Expansionspolitik eroberte Karthago Gebiete auf Sizilien und beherrschten Korsika, Sardinien, Ibiza, sowie Küstenflächen Spaniens. Erst im Dritten Punischen Krieg (149-146 v. Chr.) wurde Karthago von Rom endgültig besiegt und zerstört. 316,38 des fabriques] Preußens Wirtschaftspolitik setzte schon früh auf Handel und die Etablierung von Manufakturen, da das Kernland selbst keinen sehr fruchtbaren Boden für die Landwirtschaft hatte. Benjamin Veitel Ephraim war natürlich mit dem Manufakturwesen vertraut; die Familie vertrieb Textilien, die für die Uniformen der preußischen Armee hergestellt wurden. Er war der Besitzer einer Spitzenmanufaktur in Potsdam und betreute auch Spitzenklöpplerinnen in anderen, kleineren Orten in Brandenburg. 316,39–40 reprendre à l’Espagne une place dans le système de l’europe] Spanien engagierte sich zu dieser Zeit vor allem in den amerikanischen Kolonien, sowie den Überseekolonien in Asien. Ephraim verweist hier implizit auf die vormalige Herrschaft Spaniens über die Niederlande hin. 316,1 ff. Reflexions sur la presente Situation de l’Europe […]] [Übersetzung:] Reflektionen über die aktuelle Situation in Europa und die Beziehung der Staaten untereinander Bevor man den Fehler beging, Russland in die Angelegenheiten Deutschlands einzubinden, war Europa in zwei dominierende und untereinander rivalisierende Machtblöcke gespalten. Die Ersten, die den anderen Mächten Impulse gaben, waren Frankreich und England. Holland und Österreich verbündeten sich mit ihnen, wenn die Umstände es ergaben. Österreich

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konnte kaum einen Krieg beginnen oder fortführen, wenn diese beiden Mächte sich über einen Frieden einig waren; solange diese beiden Staaten Rivalen blieben, hatte der Rest von Europa seine Ruhe: denn man konnte davon ausgehen, dass das Gleichgewicht nach einem einmal geschlossenen Frieden wiederhergestellt sein würde. Das Ende aller Kriege bestätigt diese Überlegung. Der gefährlichste Moment für Europa war, als England seine Gebiete in Amerika verloren hatte. Das Gleichgewicht war völlig verloren gegangen, nicht durch den Verlust der in Amerika befindlichen Provinzen (denn man stufte sie als wichtiger ein als sie tatsächlich waren), sondern durch den Familienpakt; ein hervorragendes Bündnis; denn man darf zu diesem Pakt nicht nur Österreich, Frankreich, Spanien &. &. zählen, sondern sollte auch Russland und das von ihm abhängige Dänemark berücksichtigen. Dies war der kritischste Moment für Europa, insbesondere für England und Preußen. Hätte Preußen keine so günstige Wendung genommen und Holland den Klauen Frankreichs entrissen (denn der ganze Patriotenkrieg war letztendlich nur eine von Frankreichs und Hollands gegenseitigen Interessen geleitete Intrige, wie in den folgenden Überlegungen ausgeführt werden wird), dann wäre das Gleichgewicht in Europa verloren gegangen. Damit ist zu dem einen der dominierenden und rivalisierenden Machtblöcke genug gesagt. Der Zweite, Österreich und Preußen, nimmt seit einem halben Jahrhundert Gestalt an. Russland hatte niemals an Eroberungen in Europa gedacht. Und ich glaube, selbst nach dem Bündnisschluss mit Österreich, mit dem Ziel, den Griechischen Plan durchzusetzen, hatte Russland nicht die Absicht, sich Preußen zum Feind zu machen; im Gegenteil, ich glaube, Russland wollte sich Preußen gegen die aufstrebende Größe Österreichs zu Nutze machen, denn sobald ein Staat Nachbar eines florierenden Staates wird, benötigt er einen dritten, um ihn in den Schranken zu halten. Nichtsdestotrotz kann man sich nie sicher sein, da sich oft persönliche Interessen in die Politik mischen, die über die Geschicke der Staaten mitbestimmen. Und vor allem jetzt, wo es das Unrecht nicht vergessen kann, das Preußen ihm in den Türkenkriegen zufügte. Unter diesen Umständen wurde es für Preußen notwendig, sich mit Holland und England zu verbünden. Dieses Bündnis beruhte auf allseitigem Interesse und wechselseitigem Vorteil, da keiner der Partner darauf verzichten konnte. Mit dem politischen System ist es wie mit dem astronomischen System. Solange sich anziehende und abstoßende Kräfte die Waage halten, gibt es nichts zu befürchten, aber sobald sich die Bewegung eines Planeten, ganz oder teilweise, ändert, ist das gesamte System einer Veränderung unterworfen. Dies ist der Fall im System Europa. Frankreich hat sich durch die Revolution momentan ausgeklinkt und die Notwenigkeit der Bündnisse zwischen Preußen und England sind ins Ungleichgewicht geraten; denn Preußen wird gewissermaßen durch zwei schwere Massen, nämlich Österreich und Russland, niedergerungen. England jedoch hat freies Spiel, sodass Preußen gegenwärtig von dessen guten Willen abhängig ist; denn man darf nicht glauben, dass ihm der spanische Krieg derart am Herzen liegt; im Gegenteil, es würde in dieser für ihn so glorreichen Situation gar nicht daran denken, wenn es sich nicht eines nahenden Friedens oder eines sehr kurzen Krieges sicher wäre, um sich auszudehnen, nicht durch Eroberungen, sondern durch Handelsvorteile. Soll mir der beste Historiker ein Beispiel einer blühenderen Macht nennen als England im Moment; es ist nicht nur von keinem Verbündeten abhängig, sondern seine Verbündeten müssen sich nach ihm richten. Seine inneren Kräfte sind so stark, dass die Engländer in Angriff nehmen können, was sie wollen, niemals wird es ihnen an Ressourcen mangeln, da ja sie selbst das Handelsmonopol

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über Ost- und Westindien haben. Zudem ist sicher, dass der Abbau in den Minen Mexikos nur betrieben wird, um den Engländern ihre Handelswaren und Nahrungsmittel zu bezahlen, die illegal nach Lateinamerika importiert werden oder die über die unter spanischem Namen laufenden Handelsvertretungen in Cadix laufen. Das Ziel, eine perfekte Vorstellung über die Größe Englands zu geben, ist zu wichtig, um darüber hinweg gehen zu können. Fast jedes Individuum ist England mehr oder weniger dienlich; es gibt Staaten, wo man mit Sicherheit sagen kann, dass die Hälfte der Kleidung aus englischer Produktion stammt; ja selbst Gebrauchsartikel wie bspw. Pfeffer und andere Güter aus Indien; selbst Staaten, die glauben, ein Fabriksystem zu besitzen, kommen nicht an den Engländern vorbei; wenn es nicht Handelswaren sind, so sind es Handwerksgüter: ich will nicht das Uhrwerk in Warrington erwähnen, an dem selbst die Genfer nicht vorbeikommen, und ihre Fabriken für Feilen und Stahl, und man trägt nur Schnallen mit englischem Verschluss. Man könnte mit Recht fragen, wie es dazu kommt, dass England seine Produkte zu so günstigen Preisen anbieten kann, wenn man die hohen Preise für Lebensmittel und andere Notwendigkeiten bedenkt. Die finanzielle Bürde, von der jedes Individuum niedergedrückt wird, ist doppelt so hoch wie in Preußen, wo jeder eine Abgabe von etwa 6 R. zu leisten hat, gegenüber 2 Pfund Sterling in England. Doch der Grund hierfür ist so einfach und einleuchtend, dass es mich wundert, dass die klügsten Männer andere hierfür nennen. Alle anderen Staaten betrachten die Fabriken als Arbeitsstätten, wo der Geist nicht zu Arbeiten braucht; aber in England wird das Manuelle von Erfindungsgeist begleitet, und der Grund ihrer günstigen Preise liegt in ihren Maschinen, der Mechanik und der Chemie, die sie nutzen, um an einem Tag mehr zu schaffen als hundert Arme in einer Woche. In Preußen kennt man diese Maschinen nicht mal vom Namen her, denn man achtet darauf genauso wenig wie auf ihre Vermarktung, und wenn man doch einmal darauf achtet, dann so spät, dass sie inzwischen so verändert und perfektioniert wurden, dass es nicht mehr dieselben sind. Alle Staaten werden von England fast ruiniert; Spanien opfert Tausende Seelen für die Arbeit in den Minen, um Silber abzubauen, dass ihnen dann von den Engländern illegal weggetragen wird, um sich in Westindien jene Waren zu beschaffen, mit denen sie die anderen Nationen Europas im Zaum halten. Frankreich wurde durch den letzten Handelsvertrag hintergangen. Holland ist ruiniert / ja, vollkommen ruiniert / und die vernünftige Patrioten-Partei lag gar nicht so falsch / nicht diese zügellose Partei, die es wagte, ihre Hand gegen die Prinzessin, diese so geschätzte Dame zu erheben /; doch ganz Holland fühlt momentan die Krise, in der sich das Land befindet; aber es fehlt ein Planet in diesem System / nämlich Frankreich / und so sind sie gezwungen, alles zu tun, was England will. Ich will nicht auf das eingehen, was schon so lange bekannt ist; dass Portugal nur als eine Provinz Englands angesehen wird. Abgesehen von Russland, auf das es wegen seiner Marine angewiesen ist, gibt es keinen Staat, der nichts von seinem Gleichgewicht einbüßt aufgrund der englischen Produkte, die illegal eingeführt werden und der Waren aus Indien, mit denen England ganz Europa beliefert. Das größte Unglück liegt darin, dass die Herrscher nichts von der enormen Geldmenge wissen wollen, die ihr Land durch importierte Schmuggelware verliert. [Beginn der Dechiffrierung]

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Mit welchem Ziel wurden diese ausführliche Schrift und diese Reflektionen verfasst? Um eine Prophezeiung zu machen, für deren Eintreffen ich nur fünf Jahre rechne. England wird seinen Weg so erfolgreich weitergehen, dass alle gezwungen sein werden, gemeinsame Sache zu machen, um dieses Imperium, das wie einst Kathargo alles verschlingen will, in seine Schranken zu weisen. Doch was insbesondere Preußen angeht, so kann es seine Größe nur bewahren, wenn es sich weniger auf seine Verbündeten verlässt und seine innere Konstitution mehr und mehr festigt. Es ist nicht so, dass die schon aufs höchste Niveau perfektionierte Armee ausgebaut werden müsste. Nein, ich spreche von den Fabriken und Finanzen. Das sind die Dinge, die nicht den vom Staat geforderten Perfektionsgrad erreichen können, solange ausländische Finanz- und Fabriksysteme nicht näher beachtet werden. Zudem wäre es wünschenswert, Spanien in Europa wieder Fuß fassen zu lassen. Dadurch wird England klar werden, dass Preußen nicht seinem Willen unterworfen ist, sondern dass es eher selbst von dem Bündnis mit Preußen abhängig ist. [Ende der Dechiffrierung] B.V. Ephraim 317,8 le Roi defunt] Der Hof von Friedrich II. war vor allem französisch orientiert, der König selbst sah sich als Vertreter der Aufklärung. Kein französischer Regent sondern Voltaire lebte 1750–53 in Sanssouci. Friedrich Wilhelm II. bevorzugte wiederum die deutsche Sprache und stand Frankreich kritischer gegenüber. Er entschloß sich 1791 den Kaiser Leopold II. gegen die französischen Revolutionäre zu unterstützen. 318,30 nos toiles de Silesie] in den preußisch-schlesischen Gebieten befanden sich bedeutende Leinenmanufakturen. Die Leinenproduktion in diesem Land war seit dem Mittelalter bekannt und diente auch dem Export über Preußen hinaus. 317,1 ff. Quand on veut aprofonder […]] [Übersetzung:] Will man die zwischen zwei Staaten bestehenden Beziehungen vertiefen, muss man seinen Blick auf das Gleichgewicht und den gegenseitigen Handel in den Staaten richten. Wie Preußen, wo sich ein Fabriksystem durchgesetzt hat, so kann auch ein Staat wie England, der keine für ihn typischen Naturprodukte und schon gar nicht in der Menge, dass sie exportiert werden könnten, hat und dessen Größe allein auf der industriellen Produktion beruht, überhaupt keinen Schaden anrichten. Frankreich hat ein schlechtes Bild von der aktuellen Regierung in unserem Land: unser verstorbener König ließ einen französischen Regenten kommen; doch nun täte Frankreich gut daran, einen Gesandten nach Preußen zu schicken, um zu lernen, wie Schmuggelgeschäfte ohne Galeeren und andere grauenhafte Bestrafungen zu verhindern sind; aufgrund all dessen geht von England keine Gefahr aus, denn es kann seine Waren nicht illegal einführen. Wir haben schwer auszukundschaftende Fabriken errichtet, unter anderem eine für Stahl, die sogar die Bewunderung der Engländer auf sich zieht, und wenn es Fabriken gibt, die wir nicht imitieren können und die auch nicht für die notwendigsten Güter sind, so tut der Staat gut daran, ihre Ansiedlung zu verhindern. Dies ist genau der Fall zwischen Preußen und England und England kann uns in keinster Weise schaden. Aber die Situation Frankreichs gestaltet sich ganz anders. Die Franzosen haben durch ihre Natur- und Agrarprodukte alle anderen Staaten an sich gebunden, die nun nicht mehr ohne auskommen; wer kann zum Beispiel auf ihre Seide, ihren Rohrzucker, Kaffee, Wein, ihr Öl, ihre eingelegten und trockenen Früchte, ihre Seife, Farben, Weintrauben, Oliven, Schnäpse & & & verzichten. Und Preußen kann dem nur Bargeld entgegensetzen, das dafür außer Landes geht. Man könnte mir entgegnen, nun ja, wie will Preußen, das ja nicht diese Naturprodukte hat, verhindern, dass diese Produkte, die es ja nicht hat und die doch zu notwendigen Gütern geworden sind, konsumiert werden und weshalb denkt Preu-

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ßen gerade jetzt daran; und so muss ich etwas erwidern. Die aktuelle Situation Frankreichs hat sich in allen Angelegenheiten gewandelt, denn einst hatte Frankreich die Schwäche und falsche Ambition / um sich wichtig zu machen und ganz Europa Gesetze zu diktieren / unnütze und es ruinierende Kriege zu beginnen. Dadurch flossen nicht Millionen, sondern Milliarden ins Ausland; es ist eine unumstößliche Tatsache und mathematisch bewiesen, dass nach dem Siebenjährigen Krieg die Provinzen Clever und Westphalen durch das dort verbliebene französische Geld die reichsten Provinzen Preußens / abgesehen vom schlesischen Gebirge / wurden. Ich will nicht darüber argumentieren, welche der beiden Parteien in der momentanen Französischen Revolution Recht hat, aber da Menschen nun mal keine Engel sind, weiß ich aus Erfahrung, dass gewöhnlich beide Parteien in solch einem Fall falsch liegen; das Assemblée Nationale handelt jedoch weise und korrekt in der Hinsicht, als dass es keine ruinierenden und überambitionierten Kriege mehr führen will. Dies ist der Hauptpunkt, der Preußen aufhorchen lassen sollte: mit dieser Größe wird sich Frankreich über Preußen und die anderen Staaten erheben, denn die Zeiten, in denen die Könige nur an die Wirtschaft und die Aufstockung der Armee dachten, sind vorbei. Ich kann Ihrer Exzellenz versichern, dass der derzeitige König gut verstanden hat, dass das Wohlergehen des Staates nicht vom aufmerksamen Blick auf die Nachbarn selbst abhängt, sondern eher von dem auf ihre Fabriken und das innere Handels- und Finanzsystem. Frankreich verbringt zahllose Stunden mit Männern, die über diese Angelegenheiten auf dem Laufenden sind, um sich ein aktuelles Bild zu verschaffen. Ich weiß, dass Frankreich von ein paar Schreiberlingen diesbezüglich schlecht instruiert war; doch alles wird sich in kurzer Zeit entwickeln. Man könnte mir entgegnen, dass es nicht Frankreichs Fehler sei, Produkte zu haben, an denen Preußen nicht vorbeikommt (& wo würden es sie sonst finden, wenn nicht bei den Franzosen). Man könnte darauf zu Recht antworten, dass sie sich irren, aber ich hoffe, dass sie ihre Fehler nicht bemerken. Denn selbst Spanien und Portugal beginnen sich für den Handel zu interessieren und da sie jährlich unser schlesisches Tuch beziehen, möchten sie auch einen Gegenbezug aus Preußen und dies kann zu der Idee führen, alle Lebensmittel wie Öle, Weine &&& aus Portugal und Spanien zu beziehen, zum größten Schaden und Nachteil Frankreichs. Man könnte mir entgegnen, wie eine Nation, die Geschmack an Wein und anderen französischen Artikeln gefunden hat, dazu gezwungen werden soll, sich an andere zu gewöhnen. Darauf sollte man erwidern, dass man nicht glauben darf, dass der Untertan bei uns damit Recht hat, genauso zu denken wie in Frankreich, denn bei uns bleiben die Steuern gleich und niemand wird unterdrückt. Damit ist die Bindung des Deutschen (der an sich nicht diesen Enthusiasmus hat; aber seinen König und seinen Staat liebt) sehr fest und stabil und wenn man ihn ohne Umschweife und mit gesundem Menschenverstand beweist, dass es in seinem Interesse ist, keinen französischen Wein zu trinken, ist er bereit, es sich komplett abzugewöhnen oder anderen zu trinken. Dies sind meine Ideen, von denen ich überzeugt bin, dass Ihre Exzellenz sie teilen, was uns als Basis dienen könnte, wenn Frankreich einen Handelsvertrag machen will. B.V. Ephraim 319,1 Chifré a Ephraim a Paris […]] Der Zusatz datiert den vorausgehenden Bericht; Ephraim befand sich 1791 in Paris. [Übersetzung:] Ephraim nach Paris übermittelt, dass ich über seinen Bericht erfreut war, und dass er in gleicher Weise fortfahren soll und was die nötigen Instruktionen und die Antwort auf seine Fragen angeht, so werden ihm diese rechtzeitig übermittelt werden. Ich habe Goltz so geschrieben als würde Ephraims Mission nicht eilen, so dass auch er in Ruhe sein Vorhaben fortführen kann.

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[Initialien] 320,22 propre remarque] Ephraim fasst in seinen Berichten aus Paris die aktuelle Lage zusammen, vor allem auch aufgrund der Lektüre von Zeitungsberichten und Pamphleten, die er oft seinen Berichten beifügt. Die Briefakten enthalten demnach auch eine Sammlung französischer Revolutionsschriften. Gleichfalls berichtet er nicht nur von seinen Begegnungen und Gesprächen, sondern fügt seine eigene Meinung und Interpretationen (wie hier) an. 319,1 ff. Differentes Circonstances [...]] [Übersetzung:] Verschiedene Umstände führten zur Verteuerung der nationalen Fonds: Der Staat hat 12 Jahre zur sukzessiven Abzahlung der Wertsumme veranschlagt Angehörigen des 3. Standes war es zuvor nicht erlaubt, Land zu erwerben; doch nun kann jeder jegliche Art Land erwerben; die Konkurrenz wird dadurch härter Seit 3 Jahren werden die Lebensmittel in Frankreich teurer, was eine Wertsteigerung der Ländereien nach sich ziehen muss Alles, was ich sehe, lese und höre, bestärkt mich in meiner Meinung, dass der Staat, der nicht auf seinen Handel, seine Landwirtschaft und seine Fabriken Acht gibt, in jedem Fall im gegenwärtigen europäischen System untergehen wird. Frankreich wird somit eine ganz andere Form annehmen. Um es mit den Worten eines seiner wichtigsten Männer zu sagen: In der neu etablierten Ordnung der Dinge ist für die Finanzen kein Minister mehr nötig, denn von nun an wird nur noch eine Kasse existieren und die Befehlshaber werden eine fixe Summe für jedes Departement und feste Verteilungsregeln für diese Summe haben: man braucht also nur noch einen Kontrolleur oder Finanzbuchhalter. Daher soll das Wort Finanzminister oder –kontrolleur für immer verschwinden; Rechtsangelegenheiten werden an Gerichte und Tribunale ausgelagert. Doch unsere Landwirtschaft, unser Handwerk und unser Handel, die so wenig bekannt sind und stiefmütterlich behandelt werden, brauchen einen eigens hierfür ernannten Minister. Unsere Wirtschaft verzeichnete 1788 einen Verlust von 95 Millionen; quasi ausschließlich in der Landwirtschaft*, da unsere Importe auf 302 Millionen gestiegen sind, während sich unsere Exporte auf 207 beliefen. Das Gleichgewicht konnte allein durch Lebensmittel aus unseren Kolonien aufrechterhalten werden. Die französische Landwirtschaft hätte das Defizit durch Hanf, Leinen, Nutztiere, Butter, Käse, in Salz eingelegtes Fleisch, Talg, Leder &. &., die mehr als die Hälfte unserer Importe ausmachen, ausgleichen können. Fügen wir hier noch die Gewinnung der primären Rohstoffe wie Hanf, Leinen (*) dieser Verlust resultierte aus einem Mangel an Getreide; es musste also Geld außer Landes geschafft werden, um Weizen kommen zu lassen; ohne dies hätte Frankreich stets wirtschaftlichen Gewinn. (eigene Anmerkung) Wolle & Co. hinzu, so ist es offensichtlich, dass damit nicht nur das Defizit ausgeglichen worden wäre, sondern auch das Handelsgleichgewicht zu unserem großen Vorteil ausgefallen wäre. Daher benötigt Frankreich einen Minister für Landwirtschaft, Handwerk und Handel; aber einen Minister, dessen Kompetenz, Kenntnisse, Uneigennützigkeit und Eifer diese unterschiedlichen Bereiche zu jenem Perfektionsgrad führen können, den sie zu erreichen imstande sind. Damit würden Produkte und Fabrikate, die wir aus dem Ausland beziehen, für immer das Resultat unseres Bodens und unserer Fabriken. Wir wiederholen daher: schaffen wir die unselige Bezeichnung Finanzkontrolleur ab und kreieren jene des Ministers für Landwirtschaft, Handwerk und Handel; fähig, diese Aufgabe zu erfüllen, von der das Wohlergehen des Königreiches abhängt, und dass jene Güter, die wir im Namen des Letzteren konsumieren werden, uns die zahllosen Übel vergessen lassen, unter denen wir im Namen des Ersteren gelitten haben.

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Eigene Anmerkungen Ihre Majestät wird die Güte haben, die Aufmerksamkeit zu bemerken, die Frankreich seiner inneren Organisation entgegenbringt. Würde der Organisation anderer Länder mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden, würde man herausfinden, dass man in Preußen seit Langem seinen Standpunkt gemäß der monatlichen Berichte aus jedem dieser Bereiche ausrichtet. Wäre ein Landwirtschaftsminister in Preußen nützlich? Das ist eine Frage, für deren Beantwortung ich nicht ausreichend instruiert bin. BVE 321,3 l’Assemblée Nationale] Die französische gesetzgebende Nationalversammlung wurde im September 1791 aufgelöst, daher muss der vorliegende Text zuvor entstanden sein. 321,14–15 Comte de Montmorin] Armand Marc Graf de Montmorin-Saint Herem war Außenminister Louis XVI. gewesen; Ephraim traf sich mehrfach mit ihm. Montmorin starb bereits im September 1792. 321,1 f. Copie […]] [Übersetzung:] Kopie Gerade erfuhr ich, dass das Assemblée Nationale, unzufrieden darüber, den Import von Zwirn verboten und die Steuern auf Fäden erhöht zu haben, außerdem die Handelswaren ausländischer Fabrikate mit Steuern belegt hat. Somit sind die Waren meines Westphalens mit so hohen Steuern belegt, dass es einem absoluten Importverbot gleichkommt und wenn der vom Assemblee Nationale festgesetzte Tarif in vollem Maße umgesetzt würde, würde dies die Fabriken meines westphälischen Landes in den Ruin treiben. Ich würde gegenüber den Verboten und exorbitanten Forderungen des Assemblée Nationale nicht gleichgültig bleiben können; doch meine Intention besteht darin, dass Sie über den französischen Minister und seinen Einfluss im Assemblée Nationale meinen stärksten Widerspruch zum Ausdruck bringen, einerseits bezüglich des Einfuhrverbots von Zwirn und der Erhöhung der Steuern auf Fäden und andere Waren / worüber Sie ja mit dem Comte de Montmorin bereits mehrere erfolglose Verhandlungen führten / und andererseits bezüglich des neuen Zolltarifs, mit dem sich Frankreich quasi vor allen Waren aus ausländischen Fabriken schützt. Sie werden dem Comte de Montmorin nicht vorenthalten, dass, sollte man entgegen meiner Erwartung nicht auf meinen Widerstand eingehen wollen, ich gezwungen sein werde, auf Repressalien dahingehend zurückzugreifen, dass ich zum Einen die Steuern auf Wein und Luxusgüter, die meine Untertanen aus Frankreich beziehen und die von großer Wichtigkeit sind, erhöhen werde. Zum anderen werde ich die Gebühren auf Wein vom Rhein und aus anderen Ländern, die dem Handel mit meinen Ländereien wohlgeneigt sind, senken. Gleichzeitig obliegt es Ihnen, diese Anmerkungen den Mitgliedern des Komitees, welches die Tarife ausarbeitet, sowie anderen einflussreichen Mitgliedern des Assemblée Nationales zu unterbreiten. Ich informiere Sie zudem darüber, dass ich die Händler von Bremen, die meine westphälischen Ländereien mit einer sehr großen Menge französischen Weins beliefern, über meine Resolution, Repressalien zu nutzen, in Kenntnis setzen werde. Somit können sie mit ihren Korrespondenten in Bordeaux bei der Abschaffung der Importverbote und der Steuern, mit denen das Assemblée Nationale die oben erwähnten Güter belegt hat, kooperieren. Ich glaube, dass ich Ihre Aufmerksamkeit wohl nicht eigens auf diese Angelegenheit lenken muss, deren große Wichtigkeit Ihnen nicht entgangen sein dürfte. Ich richte meine gesamte Aufmerksamkeit darauf und ich erwarte von Ihrem patriotischen Eifer, dass Sie nichts unversucht lassen werden, um dieser Angelegenheit eine günstige Wendung für den Handel meiner Untertanen zu geben.

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Sie werden mir auch von Zeit zu Zeit über den Erfolg Ihres Vorgehens Bericht erstatten. Berlin, den 20. November Auf Befehl des Königs Gezeichnet von Finkenstein, von Herzberg 322,4 Emile] J EAN -J ACQUES R OUSSEAUS populärer Roman „Émile, ou De l’éducation“ erschien 1762; das Buch wurde zu einem Text, der die pädagogischen Ideen der französischen Revolutionäre leiten sollte. 324,25 Agio] [ital.] Aufgeld; die Differenz zwischen dem Nominalwert einer Münze und ihrem Kurswert. 322,1 ff. Avant de dire mes pensées […]] Für den französischen Staat gedacht; eine von E PHRAIM kopierte und nach Preußen gesandte Schrift. [Übersetzung:] Bevor ich meine Gedanken zu dem wichtigen Gegenstand darlege und zu der Frage, ob es in unseren Staat von Nutzen wäre, eine Steuer auf die garantierten und die Leibrenten zu erheben, muss ich zunächst folgendes Geständnis machen: um es mit den Worten J.J. Rousseaus in „Emile“ zu sagen, die voller Wahrheit stecken: ein Rentier ist schlimmer als ein Straßenräuber, denn es ist die Pflicht jedes Einzelnen, tätig zu sein. Niemand ist berechtigt zu sagen: mein Vater stand in Lohn und Brot und ich will von seiner Arbeit profitieren. Dein Vater war ein Mann, der seine Pflicht tat, du musst die deine tun. Selbst diejenigen, die einem Rousseau nicht glauben wollen, müssen sich von den Regeln der Natur überzeugen lassen: Bauern und Bürger dürfen nicht für den untätigen Rentier arbeiten. Ich kenne die Vorurteile der Politiker, die behaupten, dass derjenige, der konsumiert genauso nützlich ist wie derjenige, der produziert. Das ist ein falsches System. Auch wenn der Konsum ebenso nötig ist wie die Produktion, so ist doch derjenige, der nur konsumiert, isoliert. Derjenige Staat schätzt sich glücklich, der keine anderen Konsumenten als seine Produzenten hat. Der Rentier jedoch, der nur fett wird und nichts produziert, ist nach Rousseaus Worten ein Straßenräuber. Es genügt nicht, dass der Rentier indirekt durch seinen Teil des Konsums zu seinen Rechten am Staat beiträgt, sondern er muss auch für seine Untätigkeit zahlen ebenso wie für die Industrie seiner Mitbürger, die für ihn mitarbeiten. Folgt man den Naturgesetzen, wonach niemand vom allgemeinen Schaffen ausgenommen ist, was umso mehr die Regel in einer Republik sein sollte, so wäre es legitim, von den Rentiers einen speziellen Beitrag einzufordern. Ich höre schon das Gemurmel der Politiker, die mir Folgendes erwidern: 1. Allein der Staat leidet unter diesen Steuern. Bei der kleinsten Erhöhung rechnet der Rentier sofort, um seine Zinsen zu erhöhen. Somit leidet der Staat und nicht der Rentier. 2. Alle Bürger, die bislang ihr Vermögen in öffentliche Fonds gesetzt hatten, würden versuchen, es in ausländische Fonds umzuwandeln und somit würde viel Geld das Land verlassen. Zu 1. Ist alles, was so oft in unserem Assemblée Nationale wiederholt und diskutiert wurde, real oder Illusion? Die Güter der Kirche wurden mit 3 Milliarden besteuert. Wenn der Verkauf sich so gestaltet, wie die täglichen Nachrichten es uns verkünden, können wir fest davon ausgehen, dass die nationale Verschuldung komplett liquidiert werden wird. Erweisen sich diese Annahmen als begründet, stellt sich die Lösung von selbst ein; d. h., dass, wenn wir keine Schulden haben, müssen wir auch keine Zinsen zahlen. Aber meine Herren, ich glaube, dass niemand so unparteiisch wäre, solche Ideen zu haben. Gott schafft nicht täglich Wunder und es gibt keinen Kirchenstaat mehr, der 4 oder 5 Jahr 



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hunderte lang Geld ansammeln würde, um damit unsere späteren Ausgaben begleichen zu können. Ich höre schon den allgemeinen Aufschrei; aber ist es überhaupt möglich, dass der Staat überleben kann, ohne Schulden zu machen? Eine solche Frage kann man sich wirklich nur bei uns stellen, da wir vorgeben, von den anderen nichts lernen zu müssen; wir ziehen die anderen Nationen ins Lächerliche und versuchen gar nicht erst, ihre guten Seiten nachzuahmen. Wer errät hierbei nicht, dass es gilt, sich Preußen zum Vorbild zu nehmen; diesen mittelgroßen Staat, der kaum ein Viertel unserer Bevölkerungsgröße aufweist und wo die Untertanen nur die Hälfte unserer Steuerbelastung haben. Preußen, dass die ruinösesten Kriege führte und zur Überraschung aller dennoch eine starke Armee hat und Reserven, um weitere 4 bis 5 Jahre Krieg zu führen. Und wie glauben Sie meine Herren, dass all das möglich ist? Durch die dort geltenden weisen Gesetze und den Umstand, dass keine Schulden aufgenommen werden. Wie glücklich wären wir, wenn auch wir uns den Schuldenweg ersparen könnten: durch eine gute Wirtschaft sowie eine gerechte Verwaltung und, nicht zu vergessen, individuelle Interessen dürften darin keine Berücksichtigung mehr finden. Könnte Frankreich so weit gehen wie Preußen und dahin kommen, dass seine Bankpapiere auch ohne Zinsen den gleichen Wert haben wie das Bargeld? Denn glauben Sie mir, meine Herren, in Preußen zirkulieren die Papiere der königlichen Bank nicht nur als Bargeld, sondern man verdient an ihnen noch einen Agio. Ich werde darauf später zurückkommen, denn hier ist nicht der richtige Ort, um weitere Argumente aufzuführen. Zu 2. Es ist falsch, dass die Rentiers ihre Fonds ins Ausland verlagern würden, wenn auf die Zinsen Steuern erhoben werden würden. Nirgends werden mehr Zinsen gezahlt als bei uns, die folgende Anmerkung Neckers ist daher gerechtfertigt: obwohl Frankreich weniger Schulden hat als England, so zahlt es doch genauso viel Zinsen wie England. Dieses Unglück wäre nicht so groß, wenn die Zinsen auf ins Ausland verlagerte Fonds im Land eingesetzt würden; doch die Erfahrung lehrt uns, dass der Rentier kein Vertrauen in andere Länder hat; er nutzt eher sein schlafendes Geld zum Kauf von Grundstücken oder zur Nutzbarmachung von Ländereien oder für neue Anlagen und er bezahlt die Händler oft von seinem persönlichen Vermögen. Natürlich legt er sein Geld manchmal schlecht an oder geht gar bankrott, aber ich hoffe, meine Herren, dass Sie das nicht beunruhigt, sondern dass Sie damit eher zufrieden sind. Ich halte es eigentlich für überflüssig, ein so bekanntes Thema weiter auszuführen; wäre es nicht so wichtig, mit jeglicher Ungerechtigkeit aufzuräumen, so wäre ich der Erste, der eine Senkung der Staatszinsen vorschlagen würde, ebenso wie eine Bezahlung der Unzufriedenen durch Assignaten, die wir durch den Verkauf der kirchlichen Güter erhalten würden. Da dies aber nicht praktizierbar ist, müssen wir als einsichtige Verschwender handeln, die geerbt haben / und zwar die kirchlichen Güter / und die aus ihren Fehlern gelernt haben. Wir müssen also Wort halten und uns selbst den Schuldenweg ersparen. Ich schlage folgendes Dekret vor: anzuordnen, dass, je nach Zinssatz, jede Urkunde für eine Leibrente oder einen staatlichen Kredit mit Garantie mit einer Steuermarke versehen wird und dass die Steuer nicht zu hoch ist mit der Bedingung, dass die kirchlichen Fondsanlagen davon ausgenommen sind.

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8 Eingabe hinsichtlich der Einrichtung von Kantenmanufakturen und Anstellung jüdischer Arbeiterinnen in den neuen preußischen Landgebieten, 22. Februar 1792 Die Abkürzungen der Geldeinheiten beziehen sich auf Reichstaler. 327,3 Commiss.Rath] Kommissionsrat; E PHRAIM hielt den Titel Geheimer Kommissionsrat oder Geheimrat. 327,6 25t. vor. Mon.] vom 25. des vorigen Monats. 327,8 Kanten] Borten- oder Randspitzen. 327,12 branche] [fr.] Gewerbszweig. 327,13 Blonden] Spitzen aus Seidengarn. 327,14 Pergament] eigentlich Schreibstoff aus Tierhaut; hier wohl: Urkunde, Eingabe. 327,16 Kunth] G OTTLOB J OHANN C HRISTIAN K UNTH , der ehemalige Hauslehrer der Gebrüder H UMBOLDT war Assessor beim Manufaktur und Kommerz Kollegium. 327,24 fabrique] [fr.] Fabrik. 327,27 Knüppel] Klöppel; um 1700 löste die preiswerter zu produzierende Klöppelspitze weitgehend die Nadelspitze ab. Bei der Produktion von Klöppelspitze wird das Garn auf einem Klöppelkissen auf Klöppeln gewickelt, dann verflochten und verwebt. 327,28 Appretur] [fr. apprêt] Behandlung von Stoffen und Garnen. 328,31 ouvrier] [fr.] Arbeiter. 328,33 Brabantern] die österreichischen Niederlande, das heute Belgien, waren für die Produktion feiner Spitzen bekannt. 328,39 Contrebande] [fr.] Schmuggelware. 329,13 Neumark] Gegend in Ost-Brandenburg, ehemals auch Brandenburg-Küstrin. 329,21 Quanti] [lat. sing. quantum]; Menge. 329,24 des großen Potsdamschen Waysenhauses] Das große Waisenhaus in Potsdam wurde 1724 von F RIEDRICH W ILHELM I. für die Kinder von Militärpersonal gegründet; B ENJAMIN V EITEL E PHRAIMS Vater H EINE V EITEL E PHRAIM hatte bereits einen Vertrag für eine Spitzenmanufaktur dort abgeschlossen, die der Sohn übernahm. 329,24 Caßen Anstalt] Kassenanstalt, Sparkasse. 330,15 ordinaire] [fr.] gewöhnlich[e], üblich[e]. 331,6 factorehsen] Fabrikangestellte. 331,15 Accise] [fr.] indirekte Steuer, Binnensteuer. 331,18 importations quantum] Einfuhrzahl, -menge. 331,20 factura] [lat. facere]; Rechnung. 331,40–332,1 ultimo] [lat.] am letzten, Enddatum. 332,27 retradirt] [fr. retardé]; zurückerstattet.

9 Denkschrift über die Lage Frankreichs für den Preußischen Hof

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9 Denkschrift über die Lage Frankreichs für den Preußischen Hof vom Februar 1793 333,8 siebenjährigen Kriege] Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) kämpfte Frankreich auf der Seite von Österreich und Russland. Österreich hatte Frankreich im Gegenzug für die Hilfe bei einer Wiedergewinnung Schlesiens die Österreichischen Niederlande versprochen. Dieser Fall trat nicht ein. Der Krieg brachte Frankreich darüber hinaus hohe Verschuldungen, es verlor auch einen Teil seiner Kolonien; es musste Gebiete in Nordamerika und Indien an Großbritannien abgeben. E PHRAIM scheint die Französische Revolution auch als eine Folge der hohen Verschuldung Frankreichs im Kontext des verlorenen Siebenjährigen Krieg zu sehen; einem Krieg, in dem die E PHRAIMSCHE Familie für den Preußischen König agiert und als Münzmeister dessen Sieg ermöglicht hatte. 333,19 eine Sandscholle] Das Gebiet der Mark Brandenburg war berühmt-berüchtigt sandig und konnte schlecht für den Ackerbau benutzt werden; daher hatten sich bereits die Brandenburgischen Kurfürsten auf den Handel konzentriert und bereits früh Manufakturen gefördert. 333,20 triplirt] verdreifacht. 334,3–4 die Englisch Americanischen Kolonien gegen ihr Mutterland aufzuhetzen] Frankreich stellte sich auf die Seite der amerikanischen Revolutionäre während des Unabhängigkeitskrieges 1775 – 1783; nicht zuletzt durch die Seitenziehung im Siebenjährigen Krieg, der zum Verlust der französischen amerikanischen Kolonien an die Briten führte. 334,38 Ludwig der XVIte] L OUIS XVI. wurde im Januar 1793, also nur wenige Wochen vor der Niederschrift dieses Memorandums, durch die Guillotine von den Revolutionären hingerichtet. 334,32 Anm. Was mein Auftrag […]] Fußnote, auf der folgenden Seite weitergeführt. 335,7 ein Relief geben] eine Bedeutung geben. 335,10–11 Ce sont les circonstances du tems] [fr.] Dies sind die Umstände der Zeit [temps]. 335,12–13 Selbst ein Nero] Der römische K AISER N ERO galt als ein grausamer Tyrann und Ziel vieler Mordanschläge; er beging schließlich Selbstmord. 335,14 Marius u. Sylla] L UCIUS C ORNELIUS S ULLA F ELIX war ein römischer General und zweimal Konsul der römischen Republik. Zwischen 88 und 87 v. Chr. führte er einen Bürgerkrieg gegen den römischen G ENERAL G AIUS M ARIUS . Dieser führte letztlich zum Ende der römischen Republik. 335,22 Anm. beweisen, daß […]] Fortsetzung der Fußnote der vorigen Seite. 335,34 Pronostique] [fr.] Prognose, Vorschlag. 335,35–36 coup de main] [fr.] Handstreich, Schachzug. 335,40 Verpflegung unbegreiflich groß] Die E PHRAIMSCHE Familie besaß schon unter N ATHAN V EITEL E PHRAIM Verträge für die Verpflegung preußischer Armeeeinheiten; E PHRAIM scheint hier also mit dieser Erfahrung zu sprechen. 336,6–7 Sowohl Necker als Calonne] J ACQUES N ECKER war Finanzminister unter L OUIS XVI; C HARLES A LEXANDRE DE C ALONNE sprach sich als Finanzbeamter für ein neues SteuersysXVI tem aus, um der Verschuldung Frankreichs zu begegnen; er wurde 1787 entlassen und ging zunächst nach Lothringen, dann ins Exil nach Großbritannien. 336,9 Miswachs] Mißwachs; schlechte Ernte. 336,31 tresorirt] [fr.] aufbewahrt. 336,35 durch Papier geführt] N APOLÉON finanzierte seine Feldzüge durch Assignaten, d. h. französisches Papiergeld. 336,37 Spartanische Eisenmünze] Im Stadtstaat Sparta führte L YKURG 880 v. Chr. Eisenmünzen ein. Der Wert des Materials musste damit nicht mit dem angegebenen Wert der Münze übereinstimmen.  





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337,4 Depense] [fr.] Ausgabe, Kosten. 337,14 Lanssche Mißisippi Operation] wohl Lawsche Mississippi Operation; J OHN L AW , der 1715 eine private Notenbank in Frankreich einrichten konnte, forderte den Druck von Papiergeld. Er gründete 1717 die Handelsgesellschaft Compagnie de la Louisiane ou d’Occident, die Aktien vergab und drei Jahre später bankrott ging. 337,25 Campagne] [fr.] Feldzug. 337,29 Aßignate] [fr.] Assignaten, französisches Papiergeld. 337,38 pronosticire] [fr.] schlage ich vor. 337,39 Usurpateurs] [fr.] Usurpator, Eindringling. 338,5 induciren] [fr.] induzieren, einleiten. 338,10 30/m Wspl.an Waitzen] 30 000 Wispeln Weizen; ein Wispel ist ein Raummaß, das etwa in Preußen 1313,400 Liter beträgt; m ist die Abkürzung für das lateinische mille (tausend). 338,11 150/m Mann] 150 000 Mann; m ist die Abkürzung für das lateinische mille (tausend). 338,21 Gibraltar] südlichster Punkt der iberaischen Halbinsel,seit 1713 britisches Territorium. 338,23 Lübeck] norddeutsche Hansestadt an der Ostsee; sie blieb im Siebenjährigen Krieg verschont. 338,23 Kolberg] Hafenstadt in Westpommern an der Ostsee, heute polnisch (Kołobrzeg). Während des Siebenjährigen Krieges wurde die Festung Kolberg zunächst erfolgreich gegen die russische Armee verteidigt, dieser aber 1761 übergeben. 338,32 schwürig] schwierig. 338,34 Korsica] Insel im Mittelalter und Geburtsort von N APOLÉON B ONAPARTE ; zeichnet sich durch die Gebirgsgegenden aus, besitzt reichhaltige Kastanienwälder. 338,34 Assemblee constituante] Assemblée nationale constituante war die verfassunggebende französische Nationalversammlung, die vom 9. Juli 1789 bis zum 2. September 1791 tagte. 338,35 Neufchateau] Der französische Staatsmann N ICOLAS -L OUIS F RANÇOIS DE N EUFCHÂTEAU beschäftigte sich mit der Landwirtschaft. 338,35 zur exploitirung dieses Holzes] Zum Abbau des Holzes. 339,4 Depechen] [fr. dépêche] kurze schriftliche Nachrichten. 339,7 Schimären] [fr. chimaire] Trugbild, Hirngespinst. 339,20 proviantiren] mit Proviant versorgen. 339,39 Banquier der Hazardspiele] [fr.] Bankhalter der Glücksspiele. 339,40 Pointeurs] [fr.] Gegenspieler der Bankhalter im Glückspiel. 340,19 Acquisitionen] erworbene Güter. 340,20 50/m Menschen] 50 000 Menschen (m ist die Abkürzung für das lat. mille oder tausend). 340,33 Ew. Königl. Maj.] Eure Königliche Majestät. 341,10 nicht acceptable] [fr.] nicht annehmbar. 341,22 desastreuse Krieg] [fr.] schreckliche Krieg. 341,37 mercantilische Despotismus] vom Handel bestimmte Gewaltherrschaft. 341,39 wie ein Igel] wie ein Blutegel.

10 Denkschrift über die wirtschaftliche Lage Preußens für den Preußischen Hof

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10 Denkschrift über die wirtschaftliche Lage Preußens für den Preußischen Hof vom Februar und Juli 1794 343,3 Memoire vom Febr. 1793] die Denkschrift vom Februar 1793 ist in diesem Band abgedruckt. 343,4–5 mercantilischen Despotismus] vom Handel bestimmte Gewaltherrschaft. 343,7–8 sein westindischer Handel] Die Englische East India Company wurde 1600; die niederländische Verenigde Oost-Indische Compagnie (VOC) 1602 gegründet. Beide boten nicht nur dem portugiesischen Handel mit Fernost Konkurrenz; sie wurden gegenseitige Rivalen. 1621 gründeten Händler in der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande die Geoctrooieerde Westindische Compagnie. Amsterdam und London wurden Zentren des globalen Handels. Die East India Company expandierte weit über Indien hinaus und prägte die Wirtschaft nicht nur Großbritanniens. 343,9–10 Eroberung von Pondichery] Pondicherry oder Puducherry ist ein Gebiet im Südosten Indiens, das nach seiner Hauptstadt benannt wurde. 1674 etablierten die Franzosen dort einen Handelsposten. Während des Anglo-Französischen Krieges (1742–1763) fiel das Gebiet 1762 an England, kehrte 1763 zum Ende des Siebenjährigen Krieges jedoch nach Frankreich zurück. 1793 wurde es als Folge der Kriegsereignisse in Folge nach der Französischen Revolution wiederum Besitz der englischen Krone. 343,17 indirecte] hier das französische Wort für indirekt. 343,20 Commerztractat] [lat.] commercium und [lat.] tractatus: Handelsabkommen. 343,22 amusirte damit] [fr.] vergnügte sich, spielte damit. 343,22–23 vorgespiegelten französischen Landung] Großbritannien schloss sich nach der XVI. der Ersten Koalition gegen Frankreich an. Frankreich erklärte den NieHinrichtung von L OUIS XVI derlanden 1793 wegen ihrer Unterstützung für Großbritannien den Krieg. N APOLÉON B ONAPARTE , der 1799 an die Macht kam, drohte Großbritannien mit einem Feldzug, aber er sollte es vergeblich versuchen, Großbritannien einzunehmen; das Land galt als eine Inselfestung. 344,6 Interloppenhandel] [engl.] interloper; Schiffshandel, bei dem kleinere Schiffe als Zwischenläufer fungieren; bezieht sich aber auch Zwischenhändler. S. A NTOINE -A UGUSTIN B RUZEN DE L A M ARTINIÈRES Bemerkungen über den Sklavenhandel in: Historisch Politisch-Geographischer Atlas der gantzen Welt; Oder Grosses und vollständiges Geographisch- und Critisches Lexicon …, Leipzig: Johann Samuel Heinsius (Übersetzung und Erweiterung von A NTOINE A UGUSTIN B RUZEN DE LA M ARTINIÈRES Grand Dictionnaire Géographique Et Critique, Den Haag 1726 ff. 10 Bde.) Bd. 2 (Leipzig: Johann Samuel Heinsius, 1744): Denn über dieses, daß die Englischen Compagnien, die ihre Comptoirs auf den Africanischen Küsten haben, ihrer jährlich eine erstaunliche Anzahl kauffen, und sie nach America shicken; so bringen die Kauffleute, welche man Interloppes, oder Interlopers, nennet, ihrer eigne noch grössere Anzahl dahin, welche sie viel wohlfeiler, als die Compagnien, geben. (S. 222) 344,16 Vermehrung der Circulation] [lat. circulatio] verstärkter Warenverkehr. 344,16 das Numeraire] [fr.] numéraire; Standardgut. Das Wertmaß in der Volkwirtschaftslehre. 344,6–17 in diesem zweyjährigen Kriege] Der Erste Koalitionskrieg, in dem sich Preußen und Österreich gegen Frankreich verbündete, begann 1792; die vorliegende Schrift wurde 1794 verfasst. 344,22 Bilancen] [ital.] bilancio: Endgewicht der Waage, Abrechnung. 344,24 Tresor] [fr.] Geldkasse. 344,35–36 innere Consumtion] Verbrauch innerhalb des Landes.  

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344,36 Revenuen] [fr.] Einnahmen. 344,40 Debit] [lat.] debere: schulden; Schuldeintrag. 345,3 Commission-Gebühren] [lat.] committere: anvertrauen; Gebühren für die Weiterverarbeitung. 345,4 Balance] [fr. balance], Gleichmäßige Verteilung; Bilanz. 345,12 Importation] [fr.] importation: Einfuhr. 345,36 Contribution] [lat.] contributio: Abgabe. 346,17 neue Acquisition der Süd Preußl. Provinzen] Die Provinz Südpreußen bestand 1793– 1807 und umfasste den größten Teil der bei der Zweiten Teilung Polens annektierten Gebieten und umfasste die ehemaligen polmischen Woiwodschaften Brześć Kujawski, Kalisch (Kalisz), Płock, Posen, Rawa und Sieradz. 346,18 das Filial] [lat.] filius/filia: Sohn/Tochter; das Tochterunternehmen. 346,20 reciproque] [fr.] gegenseitig. 346,22 Cessirung] [lat.] cessare: aufhören, Wegfall. 346,27 negociiren] [lat.] negotatio: Verhandlung, verhandeln. 347,1 Oestreichischen Niederlande] [lat.] Belgium Austriacum oder [ndl.] Oostenrijkse Nederlande existierten seit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges von 1714 bis zu ihrem Anschluß an die Französische Republik im Jahre 1795. Sie umfassten die Teile Belgiens und Luxemburgs. 347,4 30/m Wispel] 30 000 Wispel; ein Wispel ist ein preußisches Raummass (ca. 1313,400 Liter). 347,7 Nieport] Nieuwpoort liegt in Westflandern an der belgischen Küste und liegt an der Mündung der Yser. 347,7 Ostende] Oostende ist eien Hafenstadt an der belgischen Küste in Westflandern. 347,8 Kaper] Schiff, das im Seekrieg feindliche Handelsschiffe erbeutet. 347,10 Das Lüttichsche Land] Das Gebiet des Hochstifts Lüttich (Liège) in der Nähe Aachens. Obwohl es zu den Niederlanden gerechnet wurde, rechnete es sich zu der Gegend von Westphalen und stand lange unter der geistlichen Betreuung des Erzbischofs von Köln. Am 16. August 1789 setzten die Bewohner der Hauptstadt Lüttich den alten Bürgermeister ab und zwangen den B ISCHOF C ONSTANTIN F RANZ eine neue Verfassung zu bestätigen. Dieser tat es, setzte sich in der Folge aber nach Trier ab und widerrief alles und wandte sich an das Reichskammergericht, das die Verfassung als ungültig erklärte. Lüttich geriet danach unter die Rechtsprechung Westphalens und besonders Preußens, das die Stadt im November 1789 besetzen sollte. Preußen zog sich im April 1790 aber bereits aus Lüttich zurück. Das nun durch die Exekutionskosten verschuldete Lüttich wandte sich danach an die französische Nationalversammlung und erhielt L OUIS -A RMAND -C ONSTANTIN DE R OHAN , P RINCE DE M ONTBAZON , zum Gouverneur. Preußen zeigte auf dem Wahlkonvent in Frankfurt am Main noch an Lüttich interessiert, das freie Wahlen der Magistratspersonen verlangte; wobei es zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen Lüttich, Preußen und dem Bischof kam. Im Januar 1791 griffen die Österreicher ein und besetzten Stadt und Land. B ISCHOF F RANZ A NTON M ARIA C ONSTANTIN trat 1792 die Nachfolge des verstorbenen Bischofs an und zeigte sich hinsichtlich der Verfassung nicht nachgiebig. Die Lütticher selbst stellten sich auf die Seite Frankreichs, das 1794 versuchte, die Niederlande unter seine Herrschaft zu bekommen und am 1. Oktober 1795 Lüttich mit den gesamten Österreichischen Niederlanden in die Französische Republik einzugemeinden. 347,11 600/m] 600 000 (m=[lat.] mille oder tausend). 347,16 Flandrischen Unterthanen] Die Untertanen der Grafschaft Flandern, heute die niederländisch bzw. flämisch sprechenden Bewohner des Nordens Belgiens. Die Region blieb unter österreichischer Herrschaft bis sie 1794 von der französischen Armee eingenommen wurde.

10 Denkschrift über die wirtschaftliche Lage Preußens für den Preußischen Hof

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347,17 Brabanter] Bewohner des historischen Gebietes des Herzogtums Brabant im heutigen Belgien und dem Süden der Niederlande. Unter dem K AISER J OSEPH II. kam es zu einer Auseinandersetzung um die Rechte Brabants, das sich in einem Aufstand 1790 von Österreich lossagte. B ENJAMIN V EITEL E PHRAIM befand sich zu dieser Zeit im Land und berichtete an den Preußischen Hof. 348,1 Assignate] [fr.] assignate; französisches Papiergeld, dass zwischen 1789 und 1796 hergestellt wurde und die Revolutionskriege finanzieren half. 348,3 Gulden] [ndl.] Guilder; niederländische Währung; Gulden war ebenfalls als Name für Goldmünzen in deutschen Ländern gebräuchlich. Die ersten Gulden wurden 1388 von H ERZOG W ILHELM I. VON B AYERN -S TRAUBING , der gleichzeitig G RAF W ILHELM V. VON H OLLAND UND S EELAND war, in den Niederlanden geprägt. 1694 wurde der Generaliteitsgulden eingeführt. 348,4 die Kaiserin] K AISERIN M ARIA T HERESIA VON Ö STERREICH . 348,18 proviantiren] im militärischen Kontext mit Proviant, Verpflegung versorgen. 348,20 destiniren] [lat.] destinare: bestimmen, anordnen. 348,22 Kauffahrtey Flotten] Eine Flotte von Seehandelsschiffen. 348,30 Bothmäßigkeit] gerichtsuntertanes Handeln; Ausübung im Sinne der Gesetze des Landesherrn. wie die Römer Karthago: Die Römer zerstörten das ehemals mächtige Reich von Karthago im Dritten Punischen Krieg (149–146 v. Chr.). 349,8 Mastrich] Maastricht; eine Stadt im Südosten der Niederlande nahe Aachen. Die Franzosen eroberten Maastricht 1794; die Stadt gehörte bis 1814 zu Frankreich. G ENERAL C HARLES F RANÇOIS D UMOURIEZ zog 1793 mit 46.500 Soldaten in Maastricht ein und griff die Niederlande an. 349,9 Zerstöhrung der Barrieren p. p. durch Joseph II] Am 15. November 1715 schlossen Holland und Österreich den sogenannten Barriere-Vertrag, der Holland ermächtigte, eine Anzahl von Festungen alleine und in Dendermonde mit Österreich zusammen zu verwalten. Österreich zahlte für den Unterhalt der Mannschaften 500 000 Taler jährlich. Der Vertrag schloss für Österreich auch Schiffe an der Mündung der Schelde aus und untersagte den Ostindienhandel. Im November 1781 beschloss der K AISER J OSEPH II. die Schleifung der der von den holländischen Truppen besetzten Festungen. Österreich sah sich auch durch familiäre Beziehungen Frankreich verbunden und die Festungen stellten daher keinen notwendigen Schutz dar. Mit Ausnahme von Luxemburg, Ostende und der Zitadelle von Antwerpen wurden alle Festungen geschliffen. Die Niederlande wurden somit für die französischen Revolutionstruppen besonders angreifbar. 349,21 an extensiver Kraft] geographischer Größe, Landbesitz. 349,34 Römische Tactik] Das römische Heer bildete mit Schildern bzw. Speeren verschiedene Formationen (Phalanx, Tortus, etc.); es war durch ihre Aufrüstung und die Aufstellung der Soldaten bekannt. 349,36 Armes blanches] [fr.] Messerangriffe. 349,39 Spiritus] [lat.] Atem, Geist, auch Alkohol. 350,6 der coalisirten Mächte] [fr. coalition], der sich in einem Bündnis befindlichen Staaten. 350,14 Ew. Königl. Maj.] Eure Königliche Majestät. 350,17 Circulation] [lat.] circulatio: Umlauf. 350,20 Assecuranzen] [ital.] assicuranza, [lat.] ad securus: Absicherungen bzw. Versicherungen.  

Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: John Stockdale, A Plan of the City of Berlin, 1800. Nach einer Karte von Samuel Graf von Schmettau, 1748. Bibliothèque nationale de France (Gallica btv1b84449208) Abb. 2: Johann Wilhelm Meil, Die Spandauer Straße in Berlin. Federzeichnung, aquarelliert (1798; nach Johann Stridbeck). Albumseite aus Leopold Ludwig Müller, Das ehemalige und jetzige Berlin: dargestellt in Ansichten aus verschiedenen Theilen der Stadt. Theils nach älteren Abbildungen und theils nach eigner Aufnahme gezeichnet, von Leopold Ludwig Müller. Angefangen in Januar 1829. Bd. 1, Teil 1, S. 5; Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ident. Nr. Sign. 2131. Foto: Dietmar Katz. Abb. 3: Johann Friedrich Stock, Der Mühlendamm vom Molkenmarkt gesehen. Stahlstich, 1833. Stadtmuseum Berlin. Foto: Michael Setzpfandt. Abb. 4: Friedrich August Calau, Synagoge der Berliner Judenschaft. Radierung, Ende des 18. Jahrhunderts. Landesdenkmalamt Berlin, Archiv. Abb. 5a und b: Gedenkmünze, Schlacht bei Liegnitz am 15. August 1760.Vorderseite: Brustbild Friedrich II. Im Armabschnitt die Medailleursignatur I A. Rückseite: Ein mit Trophäen behangener Pfahl (Tropeum) auf dem Schlachtfeld. 1761. Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. Abb. 6: Johann Friedrich Walther, Die königliche Gold- und Silbermanufaktur auf der Friedrichsstadt Berlin, 1735–37 von Philipp Gerlach am Wilhelmsplatz in der Friedrichstadt gebaut, Radierung, um 1730. Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.-Nr.: S. 2016–4074. Foto: Michael Setzpfand. Veröffentlicht als Stich von Matthias Seuth zusammen mit den Architekturzeichnungen der Räume bei Rolf Born, Heimann Joseph Ephraim oder Tradition als Bindung (Berlin: Oberbaum Verlag, 1988), S. 21. Abb. 7a und b: Berliner Münzstätte-Konsortium Veitel Ephraim, Itzig & Co. Neuer sächsischer August d’or; geprägt in Berlin mit gefälschtem Stempel, 1761–1762. Königreich Polen und Kurfürstliches Herzogtum Sachsen unter preußischer Besetzung August III. König von Polen (1733–1763) und als Friedrich August II. Herzog von Sachsen und Kurfürst (1733–1763). Gewicht der Münze 6,58 g, größerer Durchmesser als Original: 25,25–25,56 mm, größere Dicke als Original: 1, 44 mm. Statt eines Laubrands wie beim Original ein geriffelter Rand. Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. Abb. 8: [Jean Henri Mauvert de Gouvest, Der gerechtfertigte Ephraim, o.O.: 1758, Titelseite. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle. Abb. 9: Ausschnitt, Plan de la Ville de Berlin Levé et dessiné par Ordre et privilege privatis du Roy Sous la Direction du Marchall Comte de Schmettau par Hildner aprouvé par l’Academie Royale de Science a Berlin Gravé sous la Direction de G. F. Schmidt Graveur du Roy. Der Plan wurde nach einer um 1747 abgeschlossenen Neuvermessung Berlins angefertigt und wahrscheinlich von Friedrich Gottlieb Berger gestochen. 1748. Harvard Library. Abb. 10: Großes Militär-Waisenhaus zu Potsdam, Mädchentrakt. um 1800. Museum der Stiftung Großes Militär-Waisenhaus zu Potsdam. Abb. 11: Beispiele aus der Spitzenproduktion des Potsdamer Waisenhauses. I HA Rep 96 A 4 NI Bd. 3, Blatt 138 verso. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Abb. 12: Beispiele aus der Spitzenproduktion des Potsdamer Waisenhauses; mit Siegeln versehen. GStA II. HA Generaldirektion, Abt 26 Manufaktur CCCXX 47 Bd. 1 Blatt 64 (Protokoll Berlin, den 22. Februar 1792) Die Protokolle beschreiben die Herstellung der Waren, die Waren selbst, und Massnahmen gegen Kontrabande bzw. den Handelsradius, Abrechnungen für die Leipziger Messen. Geheimes Staatsarchiv Stiftung preußischer Kulturbesitz. https://doi.org/10.1515/9783110739770-017

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Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 13: Ausschnitt, Karte des Netzedistrikts mit Kreisteilung von 1772; Max Toeppen, Atlas zur historisch-comparativen Geographie Preussens. Gotha: Justus Perthes, 1858. Abb. 14a und b: Todesnachricht von Gutche Ephraim sowie Verkaufsnachricht hinsichtlich des Nachlasses von Benjamin Veitel Ephraim, Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Beilage 68 (30. Juni 1812), S. 85. Princeton University Library. Abb. 15: Benjamin Veitel Ephraim, Worthy, Danzig: Jobst Hermann Flörcke, 1776. Österreichische Nationalbibliothek Wien. Abb. 16: „Vom hiesigen deutschen Theater. Folge der aufgeführten Stücke. Mai.“ Besetzungsliste der Aufführung des Dramas Worthy, Berlinisches Litterarisches Wochenblatt 26 (29. Juni 1776), S. 400. Abb. 17: Moses Mendelssohn, Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen. Titelseite und Stich von Johann Ludwig Meil. Berlin: Friedrich Nicolai, 1767. Staatsbibliothek zu Berlin. Abb. 18: Erster Assignat der ersten französischen Republik, RÉPUBLIQUE FRANÇAISE. Assignat de quatre cents livres de la création du 21. 9.bre 1792 L’an premier de la République; hypothequé sur les Domaines Nationaux.LA LOI PUNIT DE MORT LE CONTREFACTEUR.LA NATION RÉCOMPENS. LE DÉNONCIATEUR. Französische Republik. Zuweisung über vierhundert Livres. Ausstellung am 21. 11. 1792 im ersten Jahr der Republik, hypothekarisch gesichert durch Staatsbesitz. Das Gesetz bestraft den Nachahmer mit dem Tod. Die Nation belohnt den Denunziator. Catalogue général des assignats Français, https://assignat.fr/1-assignat/ass38a. Abb. 19: Preussischer Tresorschein zu 5 Thaler courant nach dem Münzfuß von 1764 (recto und verso), gezeichnet von Schulenburg und Stein. Zeitgenössische Fälschung. Auktionskatalog der Westfälischen Auktionsgesellschaft, Los-Nummer: Auktion 51–593 (15. März 2015). Abb. 20: Benjamin Veitel Ephraim, Über Geldumlauf, gemünztes Geld und Papiergeld. Berlin: C[harles]. Quien, 1806. Rare Book Library, Columbia University. Abb. 21: Johann Christoph Frisch, Friedrich Wilhelm II., 1794, 1797. Privatbesitz. Katalog des Auktionshauses Christie’s (5. Juli 2006), Lot 4749048. Abb. 22: Hans Rudolf von Bischoffswerder, Porträtstich, verlegt v. Edward Francis Cunningham, 1793, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung 5/134 Mortzfeld A 1616. Abb. 23: Ankündigung der Ankunft Benjamin Veitel Ephraims in Brüssel, Titelseite, Le Modérateur, 22. März 1790, Titelseite. Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 24: John Stockdale, A Plan of the City of Paris, London 1800. Aus: „Geographical, Historical and Political Description of The Empire of Germany, Holland, the Netherlands, Switzerland, Prussia, Italy, Sicily, Corsica, and Sardinia; with a gazetteer of reference to the principal places in those countries“, ursprünglich in Deutsch verfasst Jakob Gottlieb Isaak Boetticher. Die Karte befindet sich als Einlage zwischen den Seiten 288 und 289. Koninklijke Bibiotheek/ Nationale Bibliotheek van Nederland, Den Haag. Abb. 25a und b: [Armand Marc Comte de Montmorin-Saint-Herem], Le secret de la coalition des ennemis de la Révolution Françoise [sic], März 1791. Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 26: Anon., Le Messie Ephraim, Lettre de Binjamin Benoni, juif de Pou, à Elias Lévi, juif d’Allemagne (o.O.,1791), S. 1. Bibliothèque National de France, ID/Cote: 8-H PIECE-661, N.C. Abb. 27: Anon., Lettre d’Ephraïm à Laclos, [22. April 1791], 1791. Bibliothèque National de France, ID/Cote: 8-LB39-9888, N.C. Abb. 28a und b: François-Louis Comte d’Escherney, „Varieté,“ Artikel mit einem Brief des Grafen Hertzfeld, Supplément au Journal de Paris 69 (10. Juni 1791), Titelseite und S. ii. Harvard University Library.

Verzeichnis der Abbildungen

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Abb. 29: [Benjamin Veitel Ephraim], „Varietés. Au Spectateur national“, Le Spectateur National et le Moderateur 205 (23. Juni 1791), Titelseite und S. 879–880. Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 30: Benjamin Veitel Ephraim, Brief an den König Friedrich Wilhelm II., Brüssel, 18. Oktober 1790. Zum Teil mit Zahlenchiffre der Geheimschrift verfasst; über der Chiffre befindet sich die am Hofe getätigte Dechiffrierung. Die Anmerkungen wurden wahrscheinlich von Minister Bischoffswerder hinzugefügt und mit seiner Initiale versehen. GSt RXI 2891, Blatt 3–4 (recto/verso). Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. Abb. 31: Auswahl von Briefakten des Hausarchivs am Hofe Friedrich Wilhelm II. Geheimes Preußisches Staatsarchiv Berlin. GStA PKA BPH Rep 48 325–327 Briefe an den Prinzen Friedrich Wilhelm (II.) von Preußen, 1765m 1786 (und andere Daten). Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Abb. 32: Handschriftliche Notiz von Minister Bischoffswerder für die Formulierung einer Chiffre an Benjamin Veitel Ephraim, undatiert. RN 2891 (GStA Rep. 11 Akten Nr. 2891), Blatt 29. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Abb. 33: Gazette Nationale ou Le Moniteur Universel 200 (19. Juli 1791), S. 4/829. Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 34: Notiz über die Freilassung von Benjamin Veitel Ephraim und seine Ehrenerklärung, Supplément au Journal de Paris 83 (22. Juli 1791), Titelseite. Harvard University Library. Abb. 35: Notiz gezeichnet Friedrich Wilhelm II., Benjamin Veitel Ephraim betreffend, datiert August 1791. RXI 2892, Blatt 309. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Abb. 36: Pierre Gabriel Berthault, Massacres des 2,3,4,5, et 6 Septembre 1792. Das Gefängnis Abbaye de Saint-Germin-des Prés in Paris. Stich nach Jean-François Schwebebach. Tafel 72 der Collection complète des tableaux historiques de la Révolution française (1802). Département des estampes et de la photographie; RESERVE QB-370 (29)-FT 4 [De Vinck, 4956], Bibliothèque nationale Paris, Fr-BnF 40249850k. Abb. 37: Sebastian Weygandt, Porträt eines Herrn, vermutlich Friedrich Wilhelm von der Schulenburg-Kehnert. Ölgemälde auf Leinwand, 1790. Katalog Invaluable Auktionen Berlin (22. März 2016), Lot 3. Abb. 38: Berlin-Mitte, ehemaliges Untersuchungsgefängnis „Hausvogtei“, Hausvogteiplatz, Druckgraphik um 1848. Bildarchiv Foto Marburg; Bilddatei-Nr. fm1111426. Abb. 39: Jean Chrétien Selter, „Grundriss von Berlin von neuem aufgenommen und mit Genehmigung“ (Ausschnitt), 1804. Kolorierter Kupferstich. Stadtmuseum Berlin, IV 59/339 R. Abb. 40: Nachrichten „Aus Berlin“, Zeitung für die elegante Welt: Mode, Unterhaltung, Kunst, Theater. Korrespondenz und Notizenblatt (4.Oktober 1806), Spalte 959. Bayrische Staatsbibliothek München. Abb. 41: Ehemaliger Gasthof „Zum Güldenen Löwen“ in Müncheberg, gegründet ca. 1717/18, später umbenannt Hotel Stadt Berlin. Hier auf einer Postkarte um 1910. Verein für Heimatgeschichte der Stadt Müncheberg e. V. Abb. 42: Karte der Provinz Brandenburg (Ausschnitt), In: Bibliothek allgemeinen und praktischen Wissens für Militäranwärter I. Berlin: Deutsches Verlaghaus Bong & Co, 1905. Abb. 43: Johann Friedrich Vater, Plan von Cüstrin, Ausschnitt, 1724. Stadt und Festung (heute Kostrzyn). Handkolorierte Zeichnung, Staatsbibliothek Berlin Kart SX 22187/15. Abb. 44: Benjamin Veitel Ephraim, Ueber meine Verhaftung, Berlin 1807. Hebrew National Library Jerusalem. Abb. 45: Benjamin Veitel Ephraim, Ueber meine Verhaftung. Zweite vermehrte Auflage, Dessau 1808. Free Library Philadelphia.

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Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 46: Benjamin Veitel Ephraim, De ma détention et de quelques autres événements de ma vie. Seconde édition. n.p., 1808; die Verlagsangabe, „chez Philipson, rue de Chasseur“ [in Paris] wurde mit einer Signatur Ephraims eingeklebt. National Library of Israel, Jerusalem. Abb. 47: Benjamin Veitel Ephraim, Unterschrift und Siegel eines Briefes vom 19. April 1793. II HA Abt. 26 CCC XX 47 Bd. 1, Blatt 42 recto. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Abb. 48: Das 1985 wiederaufgebaute Ephraim-Palais. Museum Ephraim-Palais, Stiftung Stadtmuseum Berlin, 2017. Foto: Liliane Weissberg. Abb. 49: Ehemalige preußische Justizverwaltung und Kammergericht Berlin, heute Jüdisches Museum Berlin, Foto: Peter Foley.

Personenverzeichnis Abraham, Jacob (1723–1800). Münzstecher und Medailleur aus Mecklenburg-Strelitz. Ab 1752 Münzstecher am preußischen Hof. Arbeitete in Stettin und hielt sich während des Siebenjährigen Krieges in Danzig und Dresden auf, ab 1761 in Berlin. Vater des bekannten Medailleurs Abraham Abramson. 10 Alexander I. Pawlowitsch, (ab 1801) Император и самодерщез Всероссийский [Zar von Rußland] (1777–1825). Entstammte dem Haus Romanow-Holstein-Gottorp. Ab 1809 erster Russischer Großfürst von Finnland und ab 1815 König von Polen (1815–1825). Befreundet mit Friedrich Wilhelm III. Nach anfänglich engen Beziehungen zu Napoléon kam es 1804 zu einem Bruch mit Frankreich. 378,381,384,449 Alopaeus, Graf Magnus Maximilian von [Maxim Maximowitsch Alopaeus] (1748–1821), finnischschwedischer Diplomat. Ab 1790 Minister am Preußischen Hof und ab 1802 russischer Gesandte in Preußen; er ging 1807 als Gesandter nach London. 182,378 Alvensleben, Philipp Karl Graf von (1745–1802). Ab 1775 Gesandter in Dresden. 1787 Sondermissionen in Hannover und Paris. Ab 1788 außerordentlicher Gesandte in den Niederlanden, ab 1789 außerordentlicher Gesandter in London. 1791–1802 wirklicher geheimer Staats-, Kriegs- und Kabinettsminister; nach dem Tod von Karl Wilhelm von Finckenstein (1801) erster Kabinettminister. 277,391 Anna Amalie, Prinzessin von (1723–1787). Tochter von Friedrich Wilhelm I. und Schwester von Friedrich II. Musikerin. (ab 1755) Äbtissin von Quedlinburg. 8 Angern, Ferdinand Ludolf, Freiherr von (1757–1826). Rechtswissenschaftler, ab 1794 Geheimer Oberfinanzrat und ab 1796 Kammerpräsident von Magdeburg. Ab 1803 Wirklicher Geheimer Staats-, Kriegs- und dirgierener Minister im Berliner Generaldirektorium. Auch bekannt für seine Experimente mit dem Anbau von Rübenzucker. 199 Anders, Günther *(1902–1992). In Breslau gebürtiger Schriftsteller und Philosoph; Flucht von Berlin über Paris in die Vereinigten Staaten, ab 1950 in Wien. Apollon (Apoll). Gestalt der griechischen und römischen Mythologie. Gott des Lichts und der Künste, insbesondere der Musik und Dichtkunst. Wurde von Marsyas zu einem musikalischen Wettbewerb aufgefordert, den er gewann. 243,361,384,389,440,441,445 Arnim, Albrecht Heinrich von Arnim auf Kröchlendorff und Woddow (1744–1805). Preußischer Justizminister. Domdechant zu Brandenburg, Erster Direktor der kurmärkischen Landschaft und Präsident des Kammergerichts. 1798–1802 Königlich preußischer wirklicher Geheimer Staats- und Justizminister. Übernahm das Amt von Heinrich Julius Goldbeck, der auch sein Nachfolger wurde. 351 Arouet, François-Marie [ab 1718: Voltaire] (1694–1778). Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung. Begann 1736 eine Korrespondenz mit Friedrich II. 1743–1744 als Spion Frankreichs am preußischen Hof. Kehrte auf Einladung Friedrichs II. und im Einverständnis des französischen Hofes 1750–1752 als preußischer Kammerherr zurück und wohnte in Sanssouci und Schloß Charlottenburg. 8,405,432 Ascher, Saul [Saul ben Anschel Jaffe] (1767–1822). Schriftsteller und Kritiker, veröffentlichte häufig unter Pseudonyme; schon früh als Verleger aktiv. Ascher verkehrte mit den Berliner Aufklärern und den Vertretern der jüdischen Aufklärung oder Haskala. 119,218,387,396 Auerbach, Berthold [Moyses Baruch] (1812–1882). Schriftsteller, bekannt für seine Schwarzwälder Dorfgeschichten sowie eine literarische Biographie Baruch de Spinozas (1837). 125 Augereau, Pierre François Charles, (ab 1806) Duc de Castiglione (1757–1816). Französischer General und Maréchal d’Empire. Zeichnete sich durch Mut und Standhaftigkeit, allerdings https://doi.org/10.1515/9783110739770-018

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Personenverzeichnis

auch durch Raffgier aus. Trug nach 1807 keine wichtige Verantwortung mehr. 160,162, 363,364 Bacher, Théobald Jacques Justin, (ab 1810) Baron de (1748–ca. 1813). Französischer Botschafter in Berlin. Zwischen 1777 und 1812 in verschiedenen politischen und nachrichtendienstlichen Missionen in der Eidgenossenschaft, im Heiligen Römischen Reich und im Rheinbund tätig; 1797–1812 in Deutschland. 175,190,374 Barnave, Antoine Pierre Joseph Marie (1761–1793). Französischer Politiker und einflußreicher Orator. Korrespondenz mit der französischen Königin Marie Antoinette, um eine konstitutionelle Monarchie zu bewirken. Gründungsmitglied der Feuillants, der Société des Amis de la Constitution. 68,70,72,89,372,429 Bedinger, Madame (um 1790). wahrscheinlich in Brüssel wohnhaft. 171 Beer. Nadler aus Johanngeorgenstadt. Ehemann einer Spitzenklöpplerin. 31 Beer, Herz Cerf [von Medelsheim] (1730–1793). Kaufmann in Straßburg, Philantropist. Lieferant der Französischen Armee. Setzte sich für die Rechte der Juden im Elsaß ein. 55 Beer, Michael (1800–1833). Dichter und Dramatiker. Sohn des Hoffaktors und Zuckerfabrikanten Jacob Hertz Beer und seiner Frau Amalie; Bruder des Komponisten Giacomo Meyerbeer und des Astronomen Wilhelm Beer. 1819 Gründungsmitglied des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden. 43 Bendavid, Lazarus (1762–1832). Glasschleifer, Philosoph, Mathematiker und Schriftsteller. Schüler der Kantschen Philosophie und Autor von Vorlesungen zu den Kantschen Kritiken. Ab 1806 Direktor der Jüdischen Freyschule in Berlin. 22,105,124,398,396 Benoît, Gédéon (Gideon) de (?–nach 1776). Preußischer Diplomat, 1748–1763 in Warschau tätig, ab 1852 Lebationssekretär. 1763–1776 Botschafter Preußens im Königreich Polen-Litauen. 1764 zum preußischen Residenten in Warschau ernannt, ab 1766 Legationsrat. Unterschrieb 1772 als preußischer Vertreter den Vertrag über die Erste Teilung Polens. 169 Benjamin. Biblische Gestalt des Alten Testaments; der jüngste Sohn Jakobs und Sohn Rachels. 218 Bernadotte, Jean [Jean-Baptiste Jules oder Karl Johan] (1763–1844). Von Napoleon zum Maréchal de France ernannt; 1806–1810 Prince de Pontecorvo in Süditalien; ab 1810 de facto Regent. Ab 1818 als Charles XIV. John König von Schweden und als Charles III. John König von Norwegen. 190–191,198,375,379,382 Bernhard, Isaac [Isaak, Beermann Zülz, Berman Isaac] (?–1768). Kaufmann, Besitzer einer Seidenmanufaktur. Stellte Mendelssohn zunächst als Hauslehrer seiner Kinder ein; dieser wurde dann Leiter seiner Manufaktur. 16,25,30 Bertrand, Henri Gatien, (ab 1805) Comte de (1773–1844), französischer General und Vertrauter Napoléon Bonapartes. Nahm an dem Ägypten-Feldzug teil und wurde von Napoléon zum Général de brigade befördert. Nach der Schlacht von Austerlitz wurde er 1805 aide-decamp, Generaladjudant des Kaisers. Nahm bei der Schlacht bei Wagram teil und zeichnete sich auch in anderen Schlachten aus; nach Durocs Tod 1813 erhielt er den Titel Grand maréchal du palais, Hofmarschall. 151 Beurnoville, Pierre de Ruel, Marquis de (1752–1821), französischer General während der französischen Revolutionskriege und Maréchal de France. Ab 1800 war Beurnoville Gesandter in Berlin, ab 1802 Gesandter in Madrid. Er war Deputy Grand Master des Freimaurerordens Grand Orient de France. 99,188,379,383 Beyme, Carl Friedrich (1765–1838). Jurist, Mitarbeiter an der Verfassung des Allgemeinen Preußischen Landrechts. Ab 1791 Kammergerichtsrat und Oberster Lotterierichter, ab 1798 preußischer Kabinettsrat, ab 1806 de facto Leiter des Kabinetts. 134,144,351,357

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Beuth, Christian Peter Wilhelm (1781–1853). Jurist. Ab 1806 Assessor in Bayreuth; ab 1809 in Potsdam; ab 1810 Leiter der Steuerbehörde im Berliner Finanzministerium. Er gehörte ab 1811 der Berliner Tischgesellschaft an, die von Achim von Arnim und Adam Heinrich Müller gegründet wurde; er wandte sich gegen eine Emanzipation der Juden. 38 Bielfeld (Bielefeld), Jakob Friedrich von (1717–1770). Staatswissenschaftler und Schriftsteller; 1741–1755 im preußischen Staatsdienst als Legationsrat. Autor eines mehrbändigen Werkes Institutions politiques (zwei Bände 1760, überarbeitet 1767; dritter Band 1772). 21,164 Bignon, Louis Pierre Edouard, Baron de (1771–1841). Französischer Diplomat und Historiker. Ab 1799 arbeitete er in der französischen Gesandtschaft in Berlin, ab 1802 als Chargé d’affaires. 1804–1806 Minister in Kassel und an der Gründung der Konfederation der Rheinstaaten beteiligt. Nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt (1806) kehrte er nach Preußen als Finanzverwalter zurück. Nach der Schlacht bei Wagram (1809) erfüllte er eine ähnliche Funktion in Wien und übernahm nach 1810 Verwaltungsaufgaben in Warschau. 99,201–202, 225,383 Bischoffwerder, Johann (Hans) Rudolf von (1741–1803). Berater Friedrich Wilhelm II. von Preußen. Zunächst militärische Laufbahn, dann ab 1763 Kammerherr am kursächsischen Hof und Stallmeister des Herzogs Karl von Kurland. Ab 1765 in der schottischen Loge „Zur gekrönten Schlange“ in Görlitz aktiv. Interessierte sich für Alchemie und Geisterbeschwörungen. 60–62,69,83,86,88,96–98,170,173,176,178–179,182,303,305,308,313,373,399,400, 401,420,421 Blücher, Gebhardt Leberecht Graf von, (ab 1814) Fürst von Wahlstadt (1742–1819). Ab 1758 Husar der Schwedischen Armee, ab 1760 in der Preußischen Armee. 1773 wegen Ungehorsam von Friedrich II. entlassen und nach dessen Tod 1786 wieder eingestellt. Ab 1794 Major, ab 1801 Leutnant General und 1806 Kommandeur der Kavallerie. Er hatte sich 1805 für den Krieg gegen Frankreich ausgesprochen, konnte allerdings die Preußischen Truppen in der Koalition der Befreiungskriege zum Sieg gegen Frankreich führen. 198,382 Blumendorf, Franz Paul Zigeuner (ab 1770) von (1738–1826). 1790–1792 österreichischer Chargé d’affaires in Paris. 68,70,89 Bölzig, Wilhelm Ferdinand von (1756–1834). Preußischer Offizier. Ab 1772 Standartenjunker im Leib-Carabiniers-Regiment der Preußischen Armee, 1778–1779 Leutnant in den Bayrischen Erbfolgekriegen und ab 1790 Major. Ab 1790 auch Flügeladjudent unter Friedrich Wilhelm III. und Mitglied des Oberkriegskollegiums. Er begleitete den König 1806–07 während des Vierten Koalitionskrieges. Ab 1807 Generalmajor ging er 1808 in den Ruhestand. 153,160 Bourbon, Louis Joseph de (ab 1740) Prince de Condé (1736–1818). Ein Mitglied des Hauses der Bourbonen hielt er auch den Titel Prince du Sang. Im Zuge der Revolution floh er 1789 nach Deutschland und dann England. 88 Borbone, Ferdinando di, (1759–1799) Re di Napoli; (1759–1815) Re di Sicilia; (1815/1816–1825) Re delle due Sicilie [Ferdinando Antonio Pasquale Giovanni Nepomuceno Serafino Gennaro Benedetto di Burbone] (1751–1825). Sohn des Königs von Spanien. Er wurde zunächst als Ferdinand IV. König von Neapel, dann als Ferdinand III. König von Sizilien und schließlich als Ferdinand I. König beider Sizilien. Verheiratet mit Marie Antoinettes Schwester, Maria Karoline von Österreich. Zunächst der Revolution gegenüber positiv gestimmt, verbündete er sich im Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich. 1776 musste er mit Frankreich Frieden schließen, verband sich 1778 dann wieder mit Österreich und rückte bis nach Rom vor. Als Folge rückte Frankreich nach Neapel ein und Horatio Nelson musste die königliche Familie nach Sizilien in Sicherheit bringen. 1799 fiel Neapel wieder an die Royalisten und der König kehrte 1800 nach Neapel zurück. Im Frieden von Florenz musste er 1801 französische Be-

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satzungen zulassen und 1805 die Neutralität des Landes versprechen. Napoléon setzte im Gleichen Jahr die Dynastie der Bourbonen in Neapel ab. 166,368 Brandes, Johann Christian (1735–1799). Schauspieler und Dramatiker. Wirkte in Dresden, Mannheim und Hamburg, dann in Berlin. Seine Tochter Minna war ein Patenkind Lessings. 27 Braunschweig-Wolfenbüttel, Karl Wilhelm Ferdinand, (ab 1780) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg; Landesherr von Braunschweig-Wolfenbüttel (1735–1806). Preußischer Feldmarschall; 1792–1794 Oberbefehl über die alliierte Armee. Sein Manifest vom 25. Juli 1792 wandte sich gegen die revolutionären Franzosen, löste im Gegenzug jedoch den Sturm auf die Tuilerien aus. Fiel 1806 in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. 95,97,100,102,120, 159–160,174,179,191,193,194,204,212,224,231–232,362,363,373,376,437 Bray, François Gabriel Chevalier de, (ab 1813) Comte de [Franz Gabriel von Bray] (1765–1832). Naturforscher und Staatsmann. 1788 französischer Legationssekretär beim Reichstag in Regensburg; 1799 Flucht aus Frankreich und bayrische Dienste. Berater des Grafen Maximilian von Montgelas, der 1806 zum König Maximilian I. von Bayern ernannt wurde; dann bayrischer Minister und Gesandter in Berlin, London und St. Petersburg. 100,191, 353,380 Bréhan, Anne Flore, geb. Millet; Marquise de (1749–1826). Hofdame bei der französischen Königin Marie Antoinette und lebenslange Royalistin; Malerin. Heiratete 1766 married Marquis Jean René François Amalric de Bréhan (1730–1813). Schwägerin des Compte Elénor-François-Elie de Moustier, der mit ihrer früh verstorbenen Schwester verheiratet war. Ging 1787 mit Moustier 1787 nach den Vereinigten Staaten, als Moustier dort Gesandter wurde. Folgte ihm später auch auf seine Posten nach Berlin, Konstantinopel und London. 372,426 Brenkenhoff, Franz Balthasar Schönberg von (1723–1780). Preußischer Beamter und Staatsmann. Trat zunächst in die Dienste des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau; war nach dessen Tod (1747) Kammerdirektor und Mitvormund für den jungen Fürsten Franz. Initiativen zur Verbesserung der Landwirtschaft und der Elblandschaft; verdiente durch Armeelieferungen im Siebenjährigen Krieg. Wurde nach seinem Tod der undurchsichtigen Mischung privater und dienstlicher Abrechnungen beschuldigt. 169 Brissot, Jacques-Pierre, (ab 1774) de Warville (1754–1793). Jakobiner und führendes Mitglied der Girondisten während der Französischen Revolution. Nannte sich nach seinem Heimatort Ouarville bei Chartres. 1778–1779 Redakteur beim Courrier de l’Europe. Veröffentlichte 1980 Recherches philosophiques sur le droit de propriété considéré dans la nature eine Publikation, die Eigentum als Diebstahl betrachtete, und andere Pamphlete. 1782–1786 Herausgeber der zehnbändige Bibliothèque philosophique du législateur, die auf den Thesen Rousseaus beruhte. In London Publikation des kurzlebigen Journal du Lycée de Londres. Ab 1788 lieutenant-général de la chancellerie des Herzogs Louis-Philippe de Orléans. 1787 Teilnahme am Brabanter Aufstand. Flucht nach London und 1788 Reise nach Amerika im Namen der Société des Amis des Noirs, Gesellschaft der Freunde der Schwarzen. 1789–1793 Leitung der Zeitung Le Patriote français. 1791 Wahl in die Assemblée legislative. Beeinflußte 1792 Kriegserklärung gegen Österreich. Der Mitwisserschaft des von Charles-François Dumouriez begangenen Landesverrats bezichtigt wurde er 1793 hingerichtet. 305,401 Brüan, Madame de. Eigentlich: Madame de Bréhan. 173 Bry, Jean-Antoine-Joseph de [Debry] (1760–1834). 1793 Präsident der Convention nationale, Nationalversammlung. Unterstützte Napoléon Bonaparte bei seiner Ernennung zum Ersten Konsul. Französischer Gesandter in Preußen; entkam 1797 einem Anschlag bei Rastatt, bei dem zwei weitere Gesandte ums Leben kamen. 185,377

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Buchholz, Friedrich (1768–1843). Journalist, Publizist und Schriftsteller. Herausgeber der Gallerie Preussischer Charaktere (1808). Unterstützte die Hardenbergschen Reformen von 1810, aber wandte sich gegen eine Emanzipation der Juden. 100–101,125,388 Bülow, Dietrich Adam Heinrich, Freiherr von (1757–1807). 1773–1786 Dienst in der preußischen, dann niederländischen Armee; danach einige Jahre auf Reisen. Ab 1804 in Berlin. Als Militärschriftsteller bekannt; veröffentlichte 1806 Der Feldzug von 1805, der die russische Kriegsführung kritisierte; prophezeite ebenfalls die preußische Niederlage. Friedrich Wilhelm III. ließ ihn auf russischem Wunsch verhaften und zu vier Jahren Festungshaft verurteilen. 136 Buscher oder de Buscher. Teilnehmer an revolutionären Treffen in Paris, möglicherweise mit dem Verlag de Buscher bzw. de Buscher et fils verbunden. 93 Büsching, Johann Stephan Gottfried (1761–1833). Preußischer Verwaltungsbeamter. Direktor der Kriegs- und Domänenkammer im ostpreußischen Gumbinnen, dann Kriegs- und Steuerrat, seit 1804 Stadtpräsident von Berlin. Er leitete 1806–1808 die Polizeiabteilung im von den Franzosen besetzten Berlin. 199,222,382 Cadoudal, Georges [Jorj Kadoudal, Georges] (1771–1804). Politiker der Bretagne, Royalist. Versuchte 1793 eine Revolution zu organisieren. Zunächst im Gefängnis in Brest, floh er nach England und kehrte nach Frankreich zurück. Lehnte sich mehrfach gehen die Regierung auf. 387 Caillard, Antoine-Bernard(1737–1807). französischer Staatsmann. 1770–1773 Sekretär der Gesandtschaft in Parma, danach Kassel (1773–1775), Kopenhagen (1775–1780) und St. Petersburg (1780–1783). 1786–1792 Chargé d’affaires in Den Haag, dann französischer Gesandter in den Niederlanden (1793–1795). Ab 1795 Ministre plénipotentiaire, akkreditierter Repräsentant der Regierung in Berlin. 99,183 Calonne, Charles Alexandre, (ab 1759) Vicomte de Hannonville (1734–1802). Französischer Staatsmann und Anwalt. 1783–1787 receveur général des finances, Generalkontrolleur der Finanzen. Versuchte 1785 das staatliche Defizit durch die Umprägung von Goldmünzen zu beheben und entwickelte die caisse d’escompte. Schlug eine Steuer für Adel und Klerus vor sowie die Einführung einer subvention territoriale für Eigentum jeglicher Art. 1787 von Louis XVI. entlassen und verbannt und ging nach Lothringen und England; nach der Revolution lebte er in Flandern und schloß sich, als seine Rückkehr nach Paris abgelehnt wurde, den Gegnern der Revolution an. 336,413,443 Caravaggio, Michelangelo Merisi [Michele Angelo Merigi der Amerighi] da (1571–1610). Maler, vor allem in Rom. Seine Bilder, die große Emotionen zeigen, hatten Einfluß auf die Kunst des Barocks. 18 Caritat, Marie-Jean-Antoine-Nicolas, Marquis of Condorcet [Nicolas de Condorcet] (1743–1794), französischer Philosoph und Mathematiker. 1774–1794 Generalinspektor der staatlichen Münze. Wichtige Publikationen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematischen Philosophie. Trat als Aufklärer nach der Verkündung der Menschenrechte 1790 für die Bürgerrechte der Frauen und die Abschaffung der Sklaverei ein. Ab 1782 Mitglied der Académie française; ebenso Mitglied der amerikanischen, preußischen und russischen Akademien der Wissenschaften. 1792 Präsident der Assemblée nationale législative, der gesetzgebenden Nationalversammlung und Mitglied des Verfassungsausschusses. 1794 Verhaftung und Tod im Gefängnis. 78,305,401 Chabot, François (1756–1794). Mitglied des Comité de sûreté générale. Unter Verdacht, dass er die Finanzen der Compagnie française pour le commerce des Indes orientales gefälscht hatte. Wurde 1794 hingerichtet. 93

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Chabreoud, Charles (1750–1816). Französischer Rechtsanwalt und Politiker. 1789 in den Estates General der Provinz Dauphiné gewählt. 1790 Präsident der Assemblée nationale constituante, der Verfassung gebenden Nationalversammlung ; 1791 Mitglied des Cour de cassation, Obersten Gerichtshofs. 173,372 Chamisso, Adelbert de Boncourt [Louis Charles Adélaïde] (1781–1838). Schriftsteller, Naturforscher und Botanist. Die Familie flüchtete 1790 von Frankreich nach Berlin. Ab 1796 Page der preußischen Königin; 1798 Eintritt in die preußische Armee. 1803 Gründung des Musenalmanachs. Autor der Erzählung „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Ab 1815 Forschungsreisen. Ab 1818 Wärter des Botanischen Gartens in Berlin. 28–29,430 Chodowiecki, Daniel (1726–1801). Maler und Kupferstecher. Bekannt unter anderem für seine Buchillustrationen. Ab 1797 Direktor der Akademie der Künste in Berlin als Nachfolger Bernhard Rodes. 27,441 Clairaut, Alexis Claude (1713–1765). Pariser Mathematiker, Astronom und Geophysiker. Er bewies Thesen, die Isaac Newton in den Principia (1687) formulierte. Als Mathematiker Mitglied einer Expedition nach Lappland. Autor des nach ihm benannten „Clairotschen Theorems“ und der Clairotschen Gleichung. 165,366 Cloots, Jean-Baptiste du Val-de-Grâce [Anarchis Cloots, Clootz] Baron de (nach 1790 Aufgabe des Titels) (1755–1794). Preußischer Adeliger niederländischer Herkunft, der sich in der Französischen Revolution engagierte. Engagierte sich für die weltweite Gültigkeit der Menschenrechte. 68 Coehoorn, Menno Baron van [Köhoorn] (1641–1704) niederländischer Ingenieur und GeneralLeutnant, bekannt durch seine Befestigungsbauten. Autor von Büchern über Kriegsführung und Verteidigungsbauten. Galt wie Vauban als führender Belagerungs-Stratege. 361 Colbert, Jean-Baptiste (1619–1683). Französischer Politiker und Ökonom. 1665–1683 Finanzminister von Louis XIV.; förderte die Manufakturen. Hatte den Ruf, Frankreichs Wirtschaft entscheidend zu unterstützen und den Handel durch Aneignung weiterer Kolonien zu verbessern. 394 Condé, Prince de. Siehe: Louis Joseph de Bourbon. Condorcet. Siehe: Marie Jean Antoine Nicolas de Caritat, Marquis of Condorcet. Cornvallis, Charles Mann, 1st Marquess Cornwallis, (1753–1762) Viscount Brome, (1762) Earl of Cornwallis (1738–1805). Britischer General während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Erklärte 1781 bei der Belagerung von Yorktown die Niederlage gegenüber den amerikanischen und französischen Truppen. Ab 1786 Governor-General in Indien. 1789– 1792 Leitung der Britischen Armee und der East India Company im Krieg gegen Tipu Sultan. 1794 Rückkehr nach England; ab 1798 Lord Lieutnant of Ireland. Half nach der Irischen Rebellion von 1798 die Union of Great Britain and Ireland zu etablieren. Vertrat 1802 Großbritannien bei der Unterzeichung des Vertrags von Amiens, der die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich beenden sollte. 1805 Rückkehr nach Indien. 175,374 Damm, Peter Friedrich (?–1776). Lederfabrikant und Silberhändler. Der einzige Lieferant für Chamois- oder Sämischleder an die Preußische Armee. Ab 1755 Besitzer des Schlosses Dammsmühle in Schönwalde bei Berlin. 12 Daphne. Nymphe der griechischen Mythologie; Tochter eines Flussgottes. Oft als jungfräuliche Jägerin beschrieben. 243,389 Daru, Pierre Antoine Noël Bruno, Comte (1767–1829). Französischer Politiker. (1806) Intendant général der Grand Armee, ab 1807 verantwortlich für die Verwaltung preussischer Gebiete. 214,387

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Daveson, Alexander. Siehe: Carl Julius Lange. Davoust, Louis-Nicolas, (ab 1806) Herzog von Auerstädt und Fürst von Eckmühl [Davoût, Davoust] (1770–1823). Französischer General; ab 1804 Maréchal d’Empire, Marschall des Kaiserreichs. Wegen seiner Strenge als „eiserner Marschall“ bekannt. Kämpfte in der Rheinarmee (1795–1796); dann unter Napoléon Bonaparte in Italien; nahm am Ägyptenfeldzug teil. Führte 1805 den rechten Flügel bei der Schlacht von Austerlitz und schlug 1806 die preußische Armee in der Schlacht bei Auerstedt. Ab 1807 Generalgouverneur des neugeschaffenen Herzogtums Warschau. 116,158–159,161,362,363,428 Demokrit von Abdera (460/459 v. Chr. bis um 371 v. Chr.). griechischer Philosoph, Vorsokratiker. Verfasste Schriften zur Mathematik, Astronomie, Physik, Logik, Medizin und Ethik. 141,356 Diogenes von Sinope [Diogénēs ho Sinōpeús] (um 413 v. Chr.–323 v. Chr.). Griechischer Philosoph. Empfahl, sich von überflüssigen Bedürfnissen frei zu machen und selbstgenügsam zu sein. 280,392 Diterichs, Friedrich Wilhelm (1702–1782). Berliner Architekt und Ingenieur; ab 1723 Preußischer Baubeamter. Zog sich während des Siebenjährigen Krieges zurück und arbeitete danach als freier Architekt. Zu seinen bekannten Gebäuden gehört das Prinzessinnenpalais (1733) und das Ephraim Palais am Mühlendamm (1762–69). 4,7,392 Döbbelin, Carl Theophil [Karl Gottlieb, Theophilius, Doebelin, Döbelin] (1772–1793). Schauspieler und Theaterdirektor. Brach 1750 sein Jurastudium in Halle ab und wurde Schauspieler. 1772 in Braunschweig die Uraufführung von Lessings Emilia Galotti. Ab 1775 Königliches Privileg für das Döbbelinsche Theater in der Behrenstraße. 1786 Schließung des Theaters und 1787 Beginn am Königlichen Theater am Gendarmenmarkt. 43 Dönhoff, Sophie Friederike Juliane von [Gräfin von] (1768–1838). Ab 1789 Hofdame der preußischen Königin Friederike Louise und in morganatischer Ehe gleichfalls mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. verheiratet. 372,436 Dohm, Christian Wilhelm von (1751–1820). Preußischer Staatsbeamter, Jurist und Historiker. Freund von Mendelssohn; Autor der einflußreichen Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781–1783). 55–56,396 Dominichino. Siehe: Domenico Zampieri. Dumouriez, Charles-François [eigentl. Du Mouriez] (1739–1823). Mitglied des französischen Geheimdienstes, Secret du roi, unter Louis XV.; nach 1788 Maréchal de camp. Ab 1792 Außenminister und verantwortlich für die Kriegserklärung gegen Österreich sowie den Einmarsch französischer Truppen in die Österreichischen Niederlande. Im Ersten Koalitionskrieg 1792 erfolgreiche Teilnahme an der Schlacht bei Jemappes; ab 1793 General. Versuchte, die Hinrichtung des Königspaars zu verhindern, wandte sich gegen die expansionistische Politik des Nationalkonvents und protestierte gegen die Enteignung der Kirchengüter in Belgien. 1793 wechselte er nach der Annektierung Hollands die Seiten und versuchte, eine eigene Regierung in den Niederlanden installieren. Floh 1804 nach England. 93,215,374,379, 387,416,426,440 Duppelin, Jean, (ab 1807) Baron de l’Empire (1771–1813). War 1787–1791 Soldat des 89. Regiments der Infantery (Royal-Suédois), ab 1792 adjudant sous-officier, ab 1793 adjudantmajor. Diente in der Armée du Nord am Rhein. Colonel (1806–1809) und Général de brigade. Nahm an den Italien-Feldzügen statt und wurde 1809 Commandeur de la Légion d’Honneur. 157–158,160,362 Duport, Adrien Jean François [Du Port] (1759–1798). Politiker und Jurist. 1787–1788 Anführer einer „Revolte der Privilegierten“. 1789 vom Pariser Adel zum Abgeordneten der États géné-

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raux, Generalstände, gewählt. Wechselte in der Nationalversammlung zum Dritten Stand. Sprach sich für das Veto-Recht des Königs aus, half das Rechtssystem zu reformieren und lehnte die Todesstrafe ab. Bildete mit Charles de Lameth und Antoine Barnave 1790 ein politisches Triumvirat und sprach sich für eine konstitutionelle Monarchie aus. Seine 1792 gegründete Zeitung L’Indicateur wandte sich an die Vermögenden. 1792 Flucht nach England; 1794 Rückkehr nach Paris; 1797 Flucht in die Schweiz. 68,172,372 Duroc, Gérard Christoph Michel [Géraud Christophe de Michel, Chevalier du Roc] (1772–1813). Französischer General und Diplomat, enger Vertrauter von Napoléon Bonaparte. Nach der Revolution verbrachte er eine kurze Zeit in Deutschland. Ab 1793 Sous-lieutenant der Artillerie, ab 1796–1797 Capitaine und Napoléon Bonapartes Adjudant während der ItalienFeldzüge; ab 1797 Chef de bataillon. Nahm am Ägypten-Feldzug teil. Diplomatische Missionen Wien, St. Petersburg, Stockholm und Kopenhagen. Ab 1803 Général de division und ab 1804 Grand maréchal du palais, Oberhofmarschall. Nach den Schlachten von Austerlitz, Jena und Auerstedt und Friedland 1808 zum Herzog von Friaul ernannt. 100,116,158,165–167, 188–194,212,225,229–230,267–268,378,427 Duvernay, Cérès. Witwe. Französische Hauslehrerin der Töchter Benjamin Veitel Ephraims. Korrespondentin von Adelbert von Chamisso, der sie 1803 im Hause Ephraim kennengelernt hatte. Zog 1804 nach Königsberg, wo sie erneut heiratete. 29 Ebers, Victor [Veitel Heymann Heine Ephraim] (1776–um 1832). Kaufmann in Berlin; Sohn von Heymann [Chaim] Veitel Ephraim und Enkel von Ephraim Veitel Ephraim. 126,450 Eberty, Georg Friedrich Felix (1812–1884). Jurist und Schriftsteller sowie Amateurastronom. Enkel des Bankiers Joseph Veitel Ephraim. Referendar am Berliner Stadt- und dann Kammergericht, ab 1840 Kammergerichtsassessor, dann Richter in Hirschberg, Lübben, Breslau. 1849 Habilitation und Ausscheiden aus dem Justizdienst, ab 1854 außerordentlicher Professor an der Universität Breslau. 1–2,6 Eichel, August Friedrich (1698–1768). Jurist, Preußischer Kabinettsrat, Berater Friedrich II. Ab 1730 preußischer Kabinettssekretär und Kriegsrat. Kabinettsrat unter Friedrich Wilhelm I. Ab 1740 Geheimer Kriegsrat unter Friedrich II., zuständig für außenpolitische Korrespondenz. 166 Eichstädt, Christian [Eichstaedt]. Kaufmann und Spitzenfabrikant in Potsdam. Aufgeführt in der Liste der Sekretäre der Kaufmannschaft der Tuch- und Seidenhändler mit der Berliner Adresse im Nikolai-Kirchenhof im Kirchenhaus (1798). 36 Eimbke, Johann Georg (1714–1793) Münzbuchhalter in Braunschweig, dann in Breslau, Cleve, Aurich und anderen Orten für die Münze tätig, schließlich Geschäftsmann und Bankier in Berlin. 9,17–18 Elijahu [Elija, Elias] (9. Jahrh v. Chr). Biblischer Prophet. Dem Ersten Buch der Könige nach stammte er aus Tischbe im Ostjordanland. 295,397 Emmerich, N[atan?]. Zweiter Ehemann der Elka Veitel Ephraim, Tochter Benjamin Veitel Ephraims. 23,39,430 En(c)ke, Wilhelmine; später Gräfin Lichtenau (1753–1820). 1769–1797 Geliebte von Friedrich Wilhelm II. von Preußen; von ihm geadelt. Hatte Einfluß auf die politischen Entscheidungen des Königs. 117,210–212,386 Engeström, Lars Graf von (1751–1826). Schwedischer Diplomat. 1882–87 Gesandter in Wien, 1788–1792 Gesandter in Warschau, 1793–95 Gesandter in London, ab 1795 schwedischer Botschafter in Wien. 1809–1824 erster Premierminister für auswärtige Angelegenheiten. 185,378 Ephraim, Benjamin Veitel (1742–1811). Berliner Kaufmann, Münzentrepreneur, Fabrikbesitzer und Schriftsteller und Diplomat. Operierte zeitweise eine Silberschmelze in Holland. 1790–

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1791 für den Preußischen Staat in Geheimmission in den Niederlanden/Brabant und Paris stationiert. 4,5,8,10,17–43,45,47–49,51–59,61–129,148–150,171,180,186,192–193,208, 211–214,216–217,218–220,221–233,279,289,291,293,303–306,311,313,317,319,327, 332–333,343,351,352,353,355,357,361,364,365,366,367,369,370,371,372,375,376,377, 378,379,383,384,385,387,388,389,390,392,393,394,395,396,397,398,399,400,401,402, 403,405,407,408,409,411,412,413,416,420,421,422,430,431,436,438,441,442,443,444, 447,449 Ephraim Edel [Adele, Adelheid] (1763–1840). Tochter von Benjamin Veitel Ephraim. Wahrscheinlich spätere Ehe mit einem Major Philipp. Konversion zum Protestantismus. 16,23,29,39, 187,378 Ephraim, Elka [Angelika] (1774–?). Tochter von Benjamin Veitel Ephraim. Heirat 1804 mit Jehuda Saul (später Julius [Eduard] Saulsohn), dem Sohn des Hofjudens, Rabbiners und Buchdruckers Saul Aaron aus Frankfurt/Oder, Scheidung 1813; dann Heirat mit N. (Philipp) Emmerich und 1824 Konversion zum Protestantismus. 23,38–39,187,378,430 Ephraim, Elke [Elka], geb. Neumark Mirels Fraenkel (1703–1769). Seit 1727 mit [Nathan] Veitel Heine Ephraim verheiratet; Mutter von Benjamin Veitel Ephraim. 9,16,19,20,21,29,31,53, 164,365,432 Ephraim, Ephraim Marcus (1716–1776). Kaufmann. Cousin Benjamin Veitel Ephraims. Vorfahre des Psychologen William Stern und dessen Sohn, dem Philosophen Günter Anders, sowie des Kunsthistorikers Rudolf Wittkower. 124 Ephraim, Ephraim Veitel (1729–1803). Kaufmann und Manufakturbesitzer; Bruder und zeitweise Geschäftspartner von Benjamin Veitel Ephraim. 10,21–22,24–25,56,129,396 Ephraim, Hannah Veitel (1675–1746). Tochter des Nathan Veitel Segal Meyer und der Sara Fraenkel Mirels, Berliner Schutzjuden, die 1671 von Wien gezogen waren. Ehefrau von Nathan Heine Veitel Ephraim und Großmutter von Benjamin Veitel Ephraim. 8,375 Ephraim, Heimann Joseph [Heyman; Hermann Eberty] (1784–1851). Sohn des Zacharias Veitel Ephraim und der Bela Gomperz Ephraim. Neffe von Benjamin Veitel Ephraim. 6,8,419 Ephraim Heimann Zacharias Veitel [Heyman] (1760–1799), Sohn des Zacharias Veitel Ephraim und Neffe Benjamin Veitel Ephraims. 25 Ephraim, Jeannette Gutsche, geb. Phillip (1743–1812). Tochter eines Amsterdamer Kaufmanns; Ehefrau von Benjamin Veitel Ephraim. 22,40,67,77,95,105,135,148,352,367,352 Ephraim, Jente [Sophie Jeannette] (1764–1843). Tochter von Benjamin Veitel Ephraim. Verheiratet mit Israel (Johann) Stieglitz. 1800 Konversion zum Protestantismus. 23,29,39,124, 187,187,378 Ephraim, Joseph Veitel (1731–1786). Kaufmann und Manufakturbesitzer; Bruder und zeitweise Geschäftspartner von Benjamin Veitel Ephraim. 10,25,430 Ephraim, Nathan Heine Veitel (1665–1748). Kaufmann aus Altona (Dänemark) und später Juwelier in Berlin. Vater des Veitel Heine Ephraim und Großvater des Benjamin Veitel Ephraim. 8,431 Ephraim, [Nathan] Veitel Heine (1703–1775). Preußischer Hoffaktor; Juwelier, Kaufmann und Münzmeister unter Friedrich II. Geschäftspartner von Daniel Itzig; ihre Unterstützung finanzierte den Siebenjährigen Krieg. Vater von Benjamin Veitel Ephraim. 4–10,12,14–22,25–27, 29–31,47–48,123–125,164–167,351,352,353,365,366,367,370,371,375,376,388,392,395, 397,399,409,412,430,431,432,434,438,444,445,451 Ephraim, Roesel Veitel (1738–1803). Schwester von Benjamin Veitel Ephraim und Ehefrau von Aron Moses Meyer; Mutter von Mariane Meyer. 10,16 Ephraim, Zacharias Veitel (1736–1779). Kaufmann und Manufakturbesitzer; Bruder und zeitweise Geschäftspartner von Benjamin Veitel Ephraim. 10,18,25

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Eros. Griech./röm. Gott der Liebe. 389 Escherny, François-Louis, Comte d’ (1733–1815). Schweizer Diplomat in preußischen Diensten. Ab 1780 Berater von Friedrich II., Reisen an den Hof nach St. Petersburg und 1785 nach Versailles, später Savoien. Begrüßte in Paris zunächst die französische Revolution, verließ dann aber die Stadt im Mai 1792 mit dem preußischen Gesandten. 78,92,277,391 Estève, Martin-Roch-Xavier (ab 1809) Comte d’Émpire (1773–1853). Ab 1792 als Finanzbeamter für die französische Armee zuständig; ab 1801 Schatzmeister der Regierung, ab 1804 Finanzverwalter des Kaiserreiches. Ab 1806 (nach der Schlacht bei Jena) auch für Preußen zuständig. 53 Euklides von Alexandria (um 300 v. Chr.). Griechischer Mathematiker. Autor eines Lehrwerkes zur Mathematik (Stoicheia), das die Theoreme der Geometrie bestimmte. Schrieb Werke zur Perspektive und Zahlentheorie. 165,366 Eupen, Pierre Jean Simon van (1746–1804). Nahm wie van der Noot an der Revolution in Brabant teil. 1772–1775 Geistlicher der Gemeinde Kontich; ab 1775 Domprobst in Antwerpen. Ging in die Provinces-Unies ins Exil und kehrte 1792 nach der französischen Besetzung nach Belgien zurück. 1797 zur Deportation nach Guyana verurteilt, ging er nach Utrecht ins Exil. 62,170–171 Fauchet, Claude (1744–1793). Französischer Geistlicher. Prediger beim König Louis XVI. und Abt von Montfort-Lacarre. 1788 vom Hof entlassen wurde er ein führender Redner bei dem Angriff auf die Bastille. 1789–1790 Mitglied der Commune. Ab 1791 zunächst Bischof von Calvados, dann Mitglied der Assemblée législative, legislativen Versammlung ; wandte sich im Journal des amies (1793) gegen eine Hinrichtung des Königs. Im gleichen Jahr vom Revolutionstribunal hingerichtet. 305,401 Feige, preußischer Hauptmann (Platzmajor). 146,157–158,161,362 Fenouillot de Falbaire de Quingey, Charles-Georges (1727–1800). Französischer Dramatiker und Enzyklopädist. Ab 1774 Geschäftsführer der Saliens de Salins, 1782–1787 in dem Ministériel des finances royales en France, dem Finanzministerium Louis XVI., tätig; schließlich Inspecteur général des salines de Franche-Comté, de Lorraine et des Trois-Évêchés, Generalinspektor der Salinen dieser Regionen. Sein Theaterstück Honnête criminal (1767) wurde von Voltaire gelobt, allerdings in Paris verboten. Schrieb Artikel über Salinen für die Encyclopédie von Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert. 41,367,388,431 Ferdinand III., König von Sizilien. Siehe: Bourbon, Ferdinando Antonio Pasquale Giovanni Nepomuceno Serafino Gennaro Benedetto von Ferdinand IV., König von Neapel. Siehe: Bourbon, Ferdinando Antonio Pasquale Giovanni Nepomuceno Serafino Gennaro Benedetto von Finckenstein, Karl Wilhelm Graf Finck von (1714–1800). Preußischer Staatsminister und vertrauter Berater von Friedrich II. Ab 1735 preußischer Legationsrat; ab 1747 Staatsminister und Gesandter am russischen Hof; ab 1749 Kabinettsminister. 1760–1763 alleinige Leitung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, danach bis 1800 zusammen mit Ewald Friedrich von Hertzberg. 277,313,322,391,402,409,423 Flesch(e), Johann Georg Daniel (1713–1787). Geheimer Oberfinanz-, Kriegs- und Domänenrat sowie Generalproviantmeister. 178,180–181 Fliess, Josef Moses (1745–1822). Arzt in Berlin. Sohn von Moses Isaak und Bella Itzig. 18 Fortuna. Griech./röm. Schicksalsgöttin. 178,376 Fränkel, David [David ben Mose Fränkel] (1779–1865). Publizist. Herausgeber der Zeitschrift Sulamith. Zeitschrift zur Förderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation (1806–1846). Die Zeitschrift druckte Artikel in deutscher Sprache und hatte hebräische Beilagen. 119,120

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Fränkel, David [David ben Naphtali Fränkel oder David Hirschel Fränkel] (1704–1762). Rabbiner in Dessau, ab 1742 Hauptrabbiner in Berlin. Lehrer von Moses Mendelssohn. 16 Fraenkel, Moses [Fränkel] (1713–1773). Berliner Bankier, Silber- und Münzhändler. Bruder des Rabbiners David Fränkel. Früher Geschäftspartner seines Schwagers Veitel Heine Ephraim. Sie pachteten 1755 zusammen die Königsberger Münzstätte. 9,10 Fraenkel, Naftalie Hirsch Neumark Mirels Benjamin (1682–1742). Juwelier. Vater der Elke Veitel Ephraim. 19 Franz II., [Franz Josef Karl] Erzherzog von Österreich, König von Ungarn, König von Böhmen, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, (1792–1806) Kaiser Franz I. von Österreich (1768–1835). Entstammte dem Haus Habsburg-Lothringen. Letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, das 1806 durch Napoléon aufgelöst wurde. 1804 bis 1835 der erste Kaiser von Österreich. 197,202,368,400 Frick, Johann Friedrich (1774–1850). Maler und Kupferstecher. Ab 1803 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, Berlin, Sektion für die Bildenden Künste. Vor allem für seine Architekturbilder bekannt. Arbeitete in Aquatinta Manier. 51–52 Friedrich II., (1740–1772) König in Preußen, (1772–1786) König von Preußen, Friedrich der Große (1712–1786). Entstammte dem Haus Hohenzollern. Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. Führte drei Schlesische Kriege. Der letzte, sogenannte Siebenjährige Krieg (1756– 1763) sicherte Preußens Position als Großmacht, aber führte auch zu dem „deutschen Dualismus“ hinsichtlich Österreichs. 1,2,4–5,7–12,30,36,48–49,56,60,100–101,113–116, 120,124–125,147–148,151,154,160,165–169,171,177,189,191–193,195,202,216,220,223, 226,228,230,349,353,358,360,366,367,368,370,371,375,380,385,388,395,396,397, 405,419 Friedrich Albrecht Carl Hermann, Reichsgraf von Wylich und Lottum (1720–1797). Preußischer General der Kavallerie, Chef des Dragoner-Regiments Nr. 1 sowie Domherr zu Halberstadt. Nahm im Dezember 1794 seinen Abschied. 186 Friedrich Wilhelm von Brandenburg (ab 1640) Kurfürst von und Herzog von Preußen (1620–1688). Versuchte das Land nach dem Dreißigjährigen Krieg wiederaufzubauen. Verlieh 1771 den ersten jüdischen Familien, die aus Wien vertrieben wurden, einen Schutzbrief für Berlin. 1 Friedrich Wilhelm I. (ab 1713) König in Preußen, Kurfürst von Brandenburg (1688–1740). Bekannt als „Soldatenkönig“. Entstammte dem Haus Hohenzollern. Vater von Friedrich II. 1,32,358, 412,430,437,445 Friedrich Wilhelm II., (1786–1797) König von Preußen (1744–1797). Entstammte dem Haus Hohenzollern. Verband sich mit Österreich gegen das revolutionäre Frankreich. 25,39,49, 59–60,62,64,66,69,74,78,81–88,92,94,97–98,170,179–180,220,223,303,316,333,343, 351,370,372,374,376,377,382,386,405,420,421,425,429,430 Friedrich Wilhelm III., (1797–1840) König von Preußen (1770–1840). Entstammte dem Haus Hohenzollern. Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation bis zu dessen Auflösung 1806. 36,52–53,101,115,157,194,224,356,361,362,374,381,384,386,396,423, 427,436,437,439 Gaius Marius (157 v. Chr.–86 v. Chr.). Römischer General und Staatsmann. Diente siebenmal als Konsul von Rom; seine Militärreformen professionalisierten die römische Armee. 335,413 Galster, Carl Albert Franz (1720–1800). Zunächst Geheimer Sekretär in der Generaladjutantur, ab 1764 Mitglied des Königlichen Kabinetts, ab 1768 Geheimer Kabinettsrat. 1775 von Friedrich II. abgesetzt und zu einjährigem Arrest verurteilt. 167,169 Gellius, Johann Gottfried (1732–1781). Theologe. Übersetzer französischer und englischer Literatur, darunter Werke von Rousseau und Goldsmith. 43

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George III., (ab 1760) King of England, (ab 1801) King of the United Kingdom of Great Britain and Ireland (1738–1820). Während seiner Herrschaftszeit erlangten die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Unabhängigkeit. 290,395 Geusau, Carl Levin von (1734–1808). Preußischer Offizier, ab 1790 Generalmajor; Chef des Generalstabs der Preußischen Armee, Generalquartiermeister und Chef des Ingenieurkorps. Verantwortlich für den Festungsbau wie für die Feldbäckerei. 153–155,180–182,377 Gibbon, Edward (1737–1794). Englischer Historiker, Schriftsteller und Parlamentsmitglied. 1776– 1788 erschien die sechsbändige The History of the Decline and Fall of the Roman Empire (Verfall und Untergang des Römischen Imperiums). 108,113–114,136,227,352,353 Goethe, Johann Wolfgang, (ab 1782) von Goethe (1749–1832). Deutscher Dichter und Staatsminister in Weimar am Hofe von Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. Bereits zu Lebzeiten als bekannstester deutscher Autor verehrt. 29,114,442 Goldbeck, Heinrich Julius, (ab 1778) von Goldbeck und Reinhart (1733–1818). Preußischer Großkanzler und Justizminister. Ab 1763 Kammergerichtsrat in Stendal. Ab 1778 Präsident des Kammergerichts, Direktor des General-Postamtes und Condirektor der allgemeinen WitwenVerpflegungssocietät und des Kur- und Neumärkischen Kreditwesens. Ab 1779 Staats- und Justizminister in der Provinz Westfalen, Chefpräsident des Kammergerichts, der Oberregiegerichte in Akzise- und Zollangelegenheiten und Leitung des Kriminaldepartments. Ab 1795 Großkanzler und Chefpräsident der Gesetzgebungskommission. Ab 1798 Leitung des Pfälzer Koloniedepartemnts und Militärjustizdepartements mit Friedrich Wilhelm von Thulemeyer. 1802 Rückkehr zur Leitung des Kriminaldepartments, sowie Aufsicht über die Justizangelegenheiten in Ost- und Westpreußen. 52,114,423 Goldsmith, Oliver (1728–1774). Irischer Schriftsteller und Romanautor. Bekannt u. a. durch seinen Roman The Vicar of Wakefield (1766) und Theaterstücke wie She Stoops to Conquer (1771). 43–45,389,433 Goltz, Wilhelm Bernhard [Golz], (ab 1786) Graf von der (1736–1775). Preußischer Offizier und Diplomat. Ab 1756 Major und Flügeladjutant der Infanterie; zum Ende des Siebenjährigen Kriegs zum Oberst ernannt. Ab 1762 preußischer Gesandte in St. Petersburg, ab 1763 Vizedomus beim Domkapitel Magdeburg; ab November 1768 Gesandter in Paris, wo er den Einfluß Österreichs mindern sollte. Ab 1791 Generalmajor; nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Frankreich 1792 Rückkehr nach Preußen. Verhandelte 1794 in Basel über einen Frieden Preußens mit Frankreich. 66,88,90,92–94,172–173,220,305,319, 401,407 Gotkowsky, Johann Ernst (1710–1775). Preußischer Seide- und Getreidehändler, Bankier und Münzhändler, Kunsthändler. Seine Gemälde legten den Grundstock für die Hermitage in St. Petersburg. 12,125 Gouvest Jean-Henri Maubert [de] (1721–1767). Ab 1740 Mitglied des Kapuzinerordens. Verließ den Orden 1744. Abenteurer und Publizist. Adelte sich selbst. Wegen verschiedener Vergehen mehrfach inhaftiert. Autor verschiedener Pamphlete, darunter eine Schrift gegen Heine Veitel Ephraim. 13–14,419 Graff, Anton (1736–1813). Porträtmaler. Malte viele bekannte Persönlichkeiten der Zeit, darunter Adelige, Gelehrte aber auch Personen der jüdischen Gesellschaft Berlins. 124 Grattenauer, Carl Wilhelm Friedrich (1773–1838). Jurist, Publizist und Schriftsteller. Autor von judenfeindlichen Textem wie u. a. das zunächst anonym erschiene Schrift Wider die Juden (1803). 120 Graumann, Johann Philipp (1706–1762). Mathematiker und Finanzexperte; ab 1742 Münzmeister in Braunschweig-Wolfenbüttel und Berlin; verantwortlich für eine Finanzreform. Nach dem

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Bau der neuen Berliner Münze in der Spandauer Vorstadt (1752) diente Veitel Heine Ephraim als Silberlieferant. 91 Gröben, Georg Dietrich, Graf von der (1743–1794). Militärschriftsteller (vor allem Schriften über die Kavallerie) und Leiter des Militärdepartements beim General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domainen-Direktorium. Ab 1745 Major; ab 1780 Oberstleutnant, ab 1782 Oberst und ab 1787 Generalmajor und Leiter des Kürassier-Regiments „von Bohlen“ sowie Generalinspekteur der niederschlesischen Kavallerie. Ab 1788 Leiter des Militärdepartments. 180 Grotius, Hugo[Huigh oder Hugo de Groot] (1583–1645). Politischer Philosoph, Theologe und Rechtsgelehrter. Vertrat die Naturrechtslehre und skizzierte ein aufgeklärtes Völkerrecht. 191,229,380 Gubitz, Friedrich Wilhelm (1786–1870). Grafiker (Holzstecher) und Schriftsteller. Ab 1805 Professor an der Berliner Kunstakademie. Lehrte die Technik des Holzschnitts und Buchillustrationen. 52–53 Guibert, Jacques-Antoine-Hippolyte, Comte de (1743–1790). Französischer Offizier und Schriftsteller. Sein Vater war während des Siebenjährigen Kriegs mit der französischen Armee in Deutschland stationiert. 1767 Teilnahme am Feldzug auf Korsika, 1788 Maréchal de camp und Divisions-Inspecteur der Infanterie im Artois. Nahm vor der Französischen Revolution an der Heeresreform teil. Autor von militärischen Schriften, Essays, Dramen und eine Eloge auf Friedrich II.; ab 1786 Mitglied der Académie française. 151,359 Guigne, franz. Oberst (um 1806). 160 Gumperz, Hertz Moses (1716–1760). Kaufmann und Bankier in Berlin. Verheiratet mit Clara Ephraim, Schwester von Veitel Heine Ephraim. Mutter von Moses Riess. 9,16,30 Hamann, Johann Georg (1730–1788). Protestantischer Theologe und Philosoph, Finanzbeamter Friedrich II. in Königsberg. Seine Schriften setzten sich kritisch mit der Aufklärung auseinander. Genannt der „Magus des Nordens“. 167–168,226 Hagen, Ludwig Philipp Freiherr vom (1724–1771), wirklicher Etats-, Kriegs- und dirigierender Staatsrat, Staatsminister und Vizepräsident im 3. Departement des Generaldirektoriums. Ab 1746 Kriegs- und Domänenrat in verschiedenen Provinzen Preußens, ab 1754 Geheimer Finanzrat im Generaldirektorium in Berlin, ab 1764 Minister. Entwarf Reformen des Merkantilismus und arbeitete in der Bauverwaltung. 167–168,226 Hardenberg, Carl August (1750–1822). Ab 1790 leitender Minister des Markgrafen von AnsbachBayreuth; half bei der preußischen Eingliederung des Landes. 1798 nach Berlin berufen; 1804–1806 preußischer Außenminister, ab 1810 Staatskanzler. 57–58,99,102,189–194, 198–199,204,383,435,449 Harris, James, (ab 1800) 1st Earl of Malmesbury (1746–1820). Englischer Diplomat. 1772–1776 außerordentlicher Britischer Gesandter in Berlin. Erfuhr als erster Diplomat von den Plänen Friedrich II., Polen in Kooperation mit Rußland zu teilen. 175,374 Haugwitz, Christian August Heinrich Curt von, (ab 1786) Graf von (1752–1832). Preußischer Jurist. 1792 Gesandter in Wien, danach Kabinettsminister in Berlin, zuständig für Außenpolitik. Zog sich 1804 auf seine Güter zurück (Nachfolger war Hardenberg); 1805 wiederberufen. 100–101,138,183,185–186,188–189,193–194,196–197,199–208,210–212,217,232,377, 382,383 Heinrich, Ehepaar. 1806 leiteten sie als Wirte den ältesten Gasthof in Müncheberg, den 1717/18 gegründeten „Zum güldenen Löwen“. 139,355 Henke, Gottlieb Christian (1743–1814). Theaterschauspieler und Sänger. Ab 1768 am Theater bei Heinrich Gottfried Koch in Berlin, ab 1778 in Hamburg am Ackermannschen und Schröderschen Theater, ab 1786 am Theater in Prag und schließlich Dresden. 43

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Heraklit von Ephesos [Hērákleitos ho Ephésios] (um 520 v. Chr.– um 460 v. Chr.). Philosoph. Gehörte zu den Vorsokratikern. Beschäftigte sich mit dem Prozess des stetigen Werdens und Wandelns. Werk ist nur durch Zitate späterer Autoren überliefert. 141,356 Herkules [Herakles]. Griechischer Heros, der für seine Stärke bekannt war; er wurde in den göttlichen Olymp aufgenommen. 191,380 Hertzberg, Ewald Friedrich, (seit 1786) Graf von [Herzberg] (1725–1795). 1786–1795 Kurator der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1786–1791 Leiter der Außenpolitik. Versuchte zunächst vergeblich, der österreichisch-französischen Koalition durch einen Bund mit Russland und Skandinavien entgegen zu wirken. 1790 kam es zu einer Annäherung Preußens mit Österreich bei dem Kongress von Reichenbach. 62,74–75,77,92,277,313,390, 391,402,432 Herz, Marcus [Markus] (1747–1803). Arzt und Philosoph. Ab 1774 Arzt im Jüdischen Krankenhaus in Berlin, dessen Leitung er nach dem Tod seines Schwiegervaters, Benjamin de Lemos 1789 übernahm. Ein Schüler Immanuel Kants. Gab in seinem Haus Vorlesungen zur vorkritischen Philosophie Kants und zur Physik und Naturlehre. 17,22,124 Heydert, Joachim Ludwig (1716–1794). Ab 1756 Königlicher Hofgärtner in Potsdam. 26 Hirschel, Saul [Saul Berlin] (?–1794). Rabbiner in Frankfurt/Oder und Sohn des Berliner Oberrabbiners Hirschel Lewin; befreundet mit den Aufklärern Daniel Itzig und David Friedländer. Bekannt durch exzentrisches und provokatives Verhalten frommen Rabbinern gegenüber. Zog nach Verlust seines Amtes nach England. 293,296–297 Hoet, Gerard (1648–1733). Maler und Kupferstecher. Ab 1697 führte er eine Mal- und Zeichenschule in Utrecht. Nach 1715 auch Kunsthändler in Den Haag. 18 Hohenlohe-Ingelfingen, Friedrich Ludwig, (1796–1806) Fürst zu Hohenlohe-Ingelfingen, (1805– 1806) Fürst von Hohenlohe-Öhringen, (ab 1804) Herr von Landsberg und Koschentin (1746– 1818). Kämpfte im Siebenjährigen Krieg mit der Reichsarmee gegen Preußen. Ab 1766 Major des preußischen Heers, ab 1778 Oberst, ab 1786 Generalmajor. Nahm am Ersten Koalitionskrieg teil; bezog im März 1795 sein Hauptquartier in Frankfurt am Main. Ab 1804 Gouverneur von Ansbach und Bayreuth. 1806 Niederlage bei der Schlacht bei Jena gegen die französische Armee; Flucht seiner Truppen und Kapitulation vor Prenzlau 1806. Bis 1808 in Kriegsgefangenschaft. 157,208,362 Horst, Julius August Friedrich, Freiherr von der (1723–1793). Preußischer Minister und Vertrauter Friedrich II. Ab 1746 Mitglied der Kriegs- und Domänenkammer in Minden, 1749–1753 Kriegs- und Domänenrat. Ab 1763 Kammerpräsident der Kurmark in Brandenburg, dort für die Steuerverwaltung verantwortlich. Ab 1766 Wirklicher Geheimer Etats- und Kriegsrat sowie Vizepräsident und Dirigierender Minister im Generaldirektorium, für das Handels-, Fabriken und Manufakturdepartment verantwortlich. 1772–1774 Präsident der neu gegründeten Seehandlung. 167–168,226 Houblon, John, (ab 1689) Sir (1632–1712). 1694–1697 erster Governor der Bank of England; erneut 1700 im Amt. 1700–1701 Direktor der New East India Company. 393 Howard, John (1726–1790). Philantrop und Gefängnisreformer. Ab 1773 High Sheriff von Bedfordshire. Initiierte 1774 Gesetzesänderungen zur Gefängnisreform. Ab 1775 Reisen durch mehrere deutsche und europäische Länder, um Gefängnisse zu besuchen und die Bedingungen des Strafvollzugs zu überprüfen. 136,352 Humboldt, Alexander von (1769–1859). Naturforscher und Schrifsteller. Bekannt durch seine Expeditionen nach Südamerika (1799–1804), die vor allem auch durch den Bankier Abraham Mendelssohn in Berlin finanziert wurden. Lebte nach seiner Rückkehr zunächst in Paris, ab 1827 in Berlin. Bruder von Wilhelm von Humboldt. 51,411,438

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Humboldt, Wilhelm von (1767–1835) Linguist und Staatsmann. Studierte in Frankfurt an der Oder und in Göttingen, wo er und sein Bruder Alexander sich mit Johann Stieglitz befreundeten. 1802–1819 diplomatische Karriere in Rom und (nach 1812) Wien. In Berlin für Bildung und Erziehung zuständig, u. a. für die Gründung einer Universität. Widmete sich nach 1819 als Privatgelehrter vor allem seinen wissenschaftlichen Studien im Bereich der Sprachforschung und vergleichenden Linguistik. 438 Hume, David (1711–1776). Schottischer Philosoph und Schriftsteller; Vertreter der schottischen Aufklärung. Arbeiten zum Empirismus und zur Wirtschaftslehre; stand in Kontakt mit Adam Smith. Autor des Treatise of Human Nature, Traktat über die menschliche Natur (1739–40); es beeinflußte Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (1781). 21,164,226,366,436 Hutcheson, Francis (1694–1747). Irischer Philosoph und ein Mitbegründer der sogenannten Schottischen Aufklärung; Schüler John Lockes. Veröffentlichte 1738 A System of Moral Philosophy (nachfolgende Editionen). Beeinflußte David Hume und Adam Smith. 207,227,385 Ingenheim, Gräfin von. Hier gemeint: Gräfin Dönhoff. Ingersleben, Friedrich Wilhelm Heinrich Ferdinand von (1746–1814). Preußischer Oberst. Ausgezeichnet im Ersten Koalitionskrieg mit dem Orden Pour le Merité. Übergab im Vierten Koalitionskrieg am 1. November 1806 entgegen die Direktive des Königs Friedrich Wilhelm III. die Festung Küstrin den Franzosen. 1807 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 145 Isaak, Moses [Isaac; Moses Levy Chalfan] (um 1708–1776) Bankier Friedrich II. Schwager von Daniel Itzig. Wurde während des Siebenjährigen Krieges vom König zu finanziellen Verhandlungen nach England geschickt. Investierte kurzfristig wie sein Schwiegersohn Moses Bernhard, Sohn des Isaac Bernhard, in die Seidenfabrikation. 9,432 Itzig, Daniel (1723–1799). Hoffaktor und Bankier. Teilhaber von [Nathan] Veitel Ephraim als Münzentrepeneur; half als Bankier mit der Finanzierung des Siebenjährigen Krieges. Vertreter der jüdischen Aufklärung oder Haskala. Wurde 1791 als erster Berliner Jude Bürger Preußens. 5,9,10,12–13,15–18,24,48,48,62,124,183–184,349,367,370,375,399,416,419,431,435, 439,447,452 Itzig, Isaac Daniel (1750–1806). Sohn Daniel Itzigs. Bankier und Hofbaurat in Berlin. In der Jüdischen Gemeinde engagiert wie sein Vater, gründete er zusammen mit seinem Schwager David Friedländer und Herz Wessely 1778 die Jüdische Freyschule in Berlin. 377 Jakob, Biblischer Patriach des Alten Testamentes. 218 Jacobi. Daten unbekannt. Extraordinärer Polizeiinspektor; Ernennung erwähnt bei Karl Justus von Gruner, „Neue Verordnung“ vom 3. Dezember 1809, Allgemeiner Kameral-, Polizei-, Oekonomie-, Forst-, Technologie- und Handels=Korrespondent 7,1 (1809), S. 669. 104,135 Jakubowicz, Paschalis. Armenischer (wahrscheinlicher jüdischer) Kaufmann aus Warschau mit Beziehungen nach Konstantinopel. Bekannter Benjamin Veitel Ephraims. 49 Jesus [Joshua, Jesus von Nazareth, Jesus Christus] (ca. 4 v. Chr.–30 oder 33). Prediger und zentrale Figur des Christentums. 73 Joseph II. [Josef Benedikt Anton Michel Adam] (ab 1765–1780) Mitregent (mit seiner Mutter Maria Theresia) von Österreich und der Habsburger Länder, (ab 1780) Erzherzog von Österreich, (1765–1790) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation (1741–1790). Entstammte dem Haus Habsburg-Lothringen. Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. 62,349, 370,416 Justi, Johann Heinrich Gottlob von (1720–1771). Kameralist und Schriftsteller. 1750–1753 Professur für Kameralistik und später auch Rhetorik an der Ritterakademie Theresianum in Wien. Ab 1755 Polizeidirektor in Göttingen. Ab 1757 in dänischen Diensten, ab 1758 in Altona. Ab 1760 in Berlin, ab 1765 Preußischer Inspektor für Bergwerk, Glas- und Stahlwesen. Ab-

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handlungen über Staats- und Polizeiwissenschaft sowie über Manufakturen und Fabriken. 1768 wegen seiner unklaren Buchführung verhaftet und nach Küstrin gebracht; 1771 wieder in Berlin. 21 Kafka, Franz (1883–1924). Schriftsteller aus Prag. Autor existentiell-geprägter Romane, Erzählungen und Parabeln der Moderne. Sein Roman Der Prozeß erschien posthum 1925. 104 Kant, Immanuel (1724–1804). Theologie- und Philosophieprofessor an der Universität Königsberg und Vertreter der Aufklärung. Seine Kritik der reinen Vernunft erschien 1781 als erste von drei Kritiken, welche die „kopernikanische Revolution“ der Philosophie einleiten sollten. 184 Karl Heinrich Nikolaus Otto [Charles Henri Nicolas Othon], Prinz von Nassau-Siegen (1743– 1808). Familiäre Herkunft umstritten; vom Stammhaus Nassau nicht anerkannt. Deutschfranzösischer Marineoffizier in französischen, spanischen und russischen Diensten, Abenteuerer und Glücksspieler. Ab 1783 russischer Kontergeneral. Nahm für Russland am Kampf gegen das revolutionäre Frankreich teil. Bemühte sich 1802 vergeblich um eine Position im Heer Napoléons; kehrte dann nach Russland zurück. 98,182,220,376,377 Katharina II. geb. Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, (ab 1762) русская царица [Zarin von Russland], Екатерина Великая (1729–1796). Ab 1743 Ehefrau des russischen Großfürsten Peter Fjodorowitsch, ab 1762 des Zaren Peter III. Setzte Peter III. 1762 in einem Staatsstreich ab. Repräsentantin des aufgeklärten Absolutismus. 8,98,370 Katte, Hans Hermann von (1704–1730). Leutnant der preußischen Armee und Jugendfreund Friedrich II. Auf Anordnung Friedrich Wilhelm I. nach einem Fluchtversuch der Freunde in Küstrin hingerichtet. 113,358,451 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton, Graf von, (ab 1764) Reichsfürst von (1711–1794). Österreichischer Diplomat und Reichshofrat. Gründer des österreichischen Staatsrats; bewirkte innenpolitische Reformen. 1753–1792 Staatskanzler; für die Außenpolitik Österreichs zuständig. Setzte sich vor dem Siebenjährigen Krieg für das Bündnis mit Frankreich ein. 93,97, 174,178 Keller, Ludwig Friedrich Heinrich Ferdinand Freiherr (1760–1835). Preußischer Politiker. Offizier und Kammerjunker in Nassau-Weilburg; ab 1819 Landrat des Mansfelder Gebirgskreises im Bezirk Merseburg in der preußischen Provinz Sachsen. 153,360 Kemmeter, Johann Gottfried (?–1748). Baumeister. Arbeitete an Renovierungen des Schlosses Oranienburg, am Umbau des Rheinsberger Schlosses und untersuchte zusammen mit Diterichs den Turmeinsturz der Petrikirche in Berlin. 6–7 Kemmeter, Michael (1655 oder 1656–1729). Zimmermann und Baumeister, vor allem wegen seiner Deckenkonstruktionen bekannt. Arbeitete an der Synagoge in der Heidereuter Straße in Berlin (1712–14). 6 Klaproth, Martin Heinrich (1743–1817). Chemiker und Pharmazeut. Entdeckte unter anderem Uranium (1789), Zirconium (1789) und Cerium (1803). Ab 1788 Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, die er ab 1800 leitete. Ab 1810 Professor für Chemie an der neugegründeten Berliner Universität. 51 Kleist von Nollendorf, Friedrich Heinrich Ferdinand Emil, Graf (1762–1823). Preußischer Offizier. 1806 Generaladjudant des Königs Friedrich Wilhelm III. bei der Schlacht bei Jena und Auerstedt. 151,359 Kleist, Friedrich Wilhelm Franz Philipp Christian von (1752–1822). Preußischer Offizier. Ab 1787 Premierleutnant, danach Kapitän. Adjudant des preußischen Generalfeldmarschalls, des Herzogs von Braunschweig. 1787 Teilnahme am Feldzug gegen Holland. Ab 1790 Major; 1791–1792 politische Mission in Den Haag, ab 1798 Oberstleutnant, ab 1800 Oberst. Nahm

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1807, kurze Zeit nach der Schlacht bei Auerstedt (1806), bei welcher der Herzog von Braunschweig schwer verwundet wurde, seinen Abschied. 150,151,194,205,208,359 Klug, Jan Jakub [Johann Jakob] (1750–vor 1818). Bankier. Gebürtig in Kraków; entstammte einer deutschen Handelsfamilie. Ab 1778 Posener Bürger. Baute 1785 eine Wollmanufaktur auf und erhielt 1788 die Berechtigung, Waren zuerst in Posen zu verzollen. 181 Köckritz, Karl Leopold von [Köckritz-Zielenzig] (1744–1821). Ab 1797 Generaladjudant der Preußischen Armee und ab 1801 auch Chef des Reitenden Feldjägerkorps. Ab 1803 Generalmajor. 96,102,121,149–151,185–187,194–195,198,208,212,214,224,229,232,359,385 Kościuszko, Andrzej Tadeusz Bonawentura (1746–1817). Ingenieur, Offizier und polnischer Politiker. Kämpfte für den Polnisch-Litauischen Staatenverbund gegen Russland und Preußen, aber auch im amerikanischen Freiheitskrieg. Führte 1794 den polnischen Aufstand an. In folge seiner Niederlage wurde Polen 1795 zum dritten Mal geteilt. 98 Krappe,Kaufmann (um 1806). 148,163,358,365 Küster, Johann Emanuel von (1764–1833). Königlich-Preußischer Diplomat und Wirklicher Geheimer Rat in Berlin; auch Gesandter in Stuttgart und München. 136,212,352,386 Kuh, Moses Ephraim (1731–1790). Jüdischer Dichter aus Breslau. Eine Auswahl seiner etwa 5000 Gedichte wurde posthum 1792 publiziert. Verwandter Ephraims; ab 1763–1768 Gast Veitel Heine Ephraims in Berlin. 41 Kunkel (Kinkel?). Holländischer Handelsbevollmächtigter (um 1790). 175 Kunth, Gottlob Johann Christian (1757–1829), ab 1777 Hauslehrer der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt und Verwalter des Schlosses Tegel, ab 1789 Assessor beim Manufaktur und Kommerz Kollegium, ab 1794 Kriegsrath, ab 1797 Geheimer Kriegsrath, ab 1801 Direktor des preußischen Manufaktur- und Kommerzkollegiums des Generaldirektoriums, ab 1815 Direktor der preußischen Generalverwaltung für Handel und Gewerbe. 327,411 Labaye [L’Abaye], J.B. (1749–1831). Geheimer Staatsrat. Zuständig für Finanzangelegenheiten. 155 Laborde, Jean Joseph de, (ab 1784) Marquis de (1724–1794). Kaufmann und Bankier des französischen Königs Louis XVI. Akzeptierte die Aufgabe seiner Titel und Position in der Französischen Revolution, wurde aber hingerichtet. 68 Laclos, Pierre Ambroise François Choderlos de (1741–1803). Soldat und Schriftsteller. Aktiv im Siebenjährigen Krieg. Ab 1771 Capitain. Ab 1779 vor allem Schriftsteller; erfolgreicher Roman Les Liaisons Dangereuses erschien in vier Bänden 1782. Ab 1788 in Diensten von LouisPhilippe, Duc de Orléans. 68,71–74,89,420 La Coudraye, François-Célestin de Loynes de [Chevalier de La Coudraye] (1743–1815). Marineoffizier, Politiker und Schriftsteller. Emigrierte 1791 nach Dänemark und verbrachte sein Lebensende in St. Petersburg. 215 Lacroix, J.A. Geheimer Sekretär 1796–1806 in Berlin. 183 Lafayette. Siehe: Motier, Marie-Joseph-Paul-Yves-Roch-Gilbert du, Marquis de La Fayette La Forest, Antoine René Charles Martin de Mathurin, Comte de La Forest (1756–1846). Französischer Diplomat; französischer Generalkonsul in den Vereinigten Staaten vor der Französischen Revolution. Ab 1805 generalbevollmächtigter Minister in Berlin, ab 1808 französischer Botschafter in Madrid. 187,378,441 Lambert, Charles, Comte de (1773–1843). Französischer Royalist, trat der Russischen Armee bei. 1796 Teilnahme an der Expedition nach Persien, Ernennung zum General. Kämpfte im Namen der französischen Emigranten gegen Frankreich. 161–162,364 Lameth, Charles Malo François de (1757–1832). Französischer Offizier und Politiker. Diente im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Vertreter der konstitutionellen Monarchie. Wurde

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als Mitglied der Feuillants angesehen und 1792 verhaftet. Emigrierte nach Hamburg und kehrte erst in der Konsulatszeit nach Frankreich zurück. 69–70,429 Lange, Karl Julius [Carl; zuvor: Simson, Simon, Samson Alexander David]; Pseudonym und ab 1812 legaler Name für Alexander Daveson (1755–Ende 1812/Anfang 1813). Sohn des braunschweigischen Hoffaktors Alexander David. Taufe in England vor 1790 und Namensänderung zu Lange. Deutscher Publizist, Journalist, Reiseschriftsteller, Lotterieeinnehmer, Kunst- und Galanteriewarenhändler. Ab 1806 Zensor im Sold der französischen Besatzungstruppen, ab 1807 Hofrat. Nahm 1912 als Zivilperson an Napoléons Russlandfeldzug teil. 120–121,213,386 Laspeyres, Theodor Stephan (1750–1806). Sohn einer Hugenottenfamilie; arbeitete als Déchiffreur in der Kanzlei und im Chiffrierbüro im königlichen Kabinett Friedrich II. in Potsdam. Ab 1782 Geheimer Kabinettsrat. 169 Law, John (1671–1729). Schottischer Nationalökonom und Bankier. Erwarb in Paris durch Glückspiel ein Vermögen. Ab 1707 Freundschaft mit Philipp von Orléans. Wurde nachdem dieser 1715 die Regentschaft für den noch unmündigen Louis XV. übernahm, Leiter der Pariser Banque Générale; dann 1720 Contrôleur général des finances, Oberster Finanzkontrolleur. War für die Mississippi-Spekulation verantwortlich. 1719 schuf er die Fondateur de la Compagnie des Indes, welche die französischen Ostindien- und Westindienkompanien (Compagnie française pour le commerce des Indes orientales, Compagnie des Indes Occidentales Françaises) zusammenfasste. Seine Initiativen endeten katastrophal. 1720 Flucht nach Brüssel und Venedig, dann nach England. Starb in Venedig. 286,393,394,413 Lemonius, Kriegsrat in Berlin. 148–149,156,358 Lempel, von. belgischer Gesandter (um 1790). 171 Leopold II. [Peter Leopold Josef Anton Joachim Pius Gotthard] (1765–1790) Erzherzog von Österreich und Großherzog von Toskanien, (ab 1790) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation; König von Ungarn und Böhmen (1747–1792). Entstammte dem Haus Habsburg-Lothringen. Bruder von Maria Antonia Josepha Johanna, der späteren französischen Königin Marie Antoinette, Ehefrau von Louis XVI. 62,64,74,89,95,173,368,370, 372,373,400,405 Leopold III. Friedrich Franz, (ab 1758) Regierender Fürst von Anhalt-Dessau (1740–1817), (ab 1807) Herzog von Anhalt Dessau. Vertreter der Aufklärung; schuf nach englischem Vorbild in Wörlitz einen großangelegten Landschaftsgarten, sein Gartenreich. 202 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781). Dichter, Schriftsteller und Bibliothekar. Aufklärer; dem Toleranzgedanken verpflichtet. Arbeitete 1760–1765 als Sekretär bei General Tauentzien und verfasste für ihn auch Briefe in Geheimschrift. Wohnte ab 1752 mehrfach in Berlin. Ab 1770 Bibliothekar der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel. Schrieb bürgerliche Trauerspiele nach englischem Vorbild sowie andere Dramen, unter anderem Die Juden (1749) und Nathan der Weise (1779), sowie Schriften zur Kunst und zum Theater. 4,10,19–21,26,41,78, 120,164,365,366,439,441,443,445 Lessing, Karl Gotthelf (1740–1812). Münzdirektor. Herausgeber der Königlich Privilegierten Berlinischen Zeitung (später Vossische Zeitung). Bruder von Gotthold Ephraim Lessing. 43, 125 Leuchsenring, Franz Michael (1746–1827). Dichter. War kurze Zeit Philosophie Tutor Friedrich Wilhelm III. Mitglied der Mittwochsgesellschaft, zu der auch Mendelssohn und Nicolai gehörten. Zog dann nach Paris und gehörte während der Revolution den Jakobinern an. 27, 29 Leutulus, Robert Scipio Baron von (1714–1784). Diente zunächst in Österreich, ab 1745 in preußischen Diensten. Preußischer General-Adjudant unter Friedrich II. Nahm 1779 seine Entlassung und lebte in der Schweiz. 169,369

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Levin, Rahel [Robert, Varnhagen; Antonie Friederike Varnhagen von Ense] (1771–1833). Bekannt für ihre Gesellschaften und ihr Konversationstalent, ebenso als Briefeschreiberin. Ab 1814 verheiratet mit Karl August Varnhagen. 27,29,42,441,445,450 Levy, Moses Salomon (1757–1813). Bankier und Getreidehändler; ab 1761 Münzfaktor in Berlin. Sein Bruder Samuel Salomon Levy war mit Sarah, Tochter des Hofjuden Daniel Itzig, verheiratet; sein Sohn, der Bankier Salomon Moses Levy konvertierte, wurde 1810 zum Freiherrn Ferdinand Moritz de Delmar ernannt und wirkte als Stadtrat in Berlin. 181,376 Libeskind, Daniel (1946–). Polnisch-amerikanischer Architekt. Bekannt geworden durch den Bau des Jüdischen Museums in Berlin (2001) und den Masterplan des World Trade Centers in New York City (2003). 128 Lichtenau, Gräfin von. Siehe En(c)ke, Wilhelmine. Liepmann, Nathan Hirsch (nach 1812) Heinrich Nicolas Liman] (1772–1839). Vereideter Wechsel-, Fonds- und Geldmakler. 38 Locatelli, Andrea [Lucatelli] (1695–1741). Landschaftsmaler. Malte Bilder mythologischer Szenen sowie pastorale Landschaften. 18 Loen, Johann Michael von (1694–1776). Deutscher Schrifststeller und Staatsmann; ein Großonkel Johann Wolfgang von Goethes. 1 Lombard, Johann Wilhelm (1767–1812). Politiker, Schriftsteller und Übersetzer. Ab 1786 preußischer Kabinettssekretär und Berater des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen in außenpolitischen Fragen. Begleitete den König 1789 nach Schlesien, 1790 auf den Reichenbacher Kongress und 1792 auf dem Frankreich-Feldzug, bei dem er in Gefangenschaft geriet. Ab 1800 geheimer Kabinettsrat. Für seine Frankreich gegenüber freundliche Haltung bekannt; verfasste allerdings 1806 das Kriegsmanifest. 96,102,114,120,163,189,191–192,198, 216,224,232,380,384,387 Lorenz, Gattin eines Kriegsrats in Küstrin (um 1806). 163 Louis XVI. (ab 1775) Roi de France, (1793) Citizen Louis Capet (1764–1793). Letzter König Frankreichs vor der Französischen Revolution. 1793 durch die Guillotine hingerichtet. 55,78,97– 98,176,179,334,354,359,372,374,408,412,413,414,427,428,431,439,440,442,443,444,448 Louis Ferdinand, Prinz von Preußen [Friedrich Ludwig Christian] (1772–1806). Feldherr und Musiker; genannt der „preußische Apoll“. Häufiger Besucher der Berliner Salons. Ab 1793 Generalmajor, ab 1795 Leitung des Infanterieregiments „Von Baden“. Fiel 1806 im Gefecht bei Saalfeld. 106,206,215,362,368,384 Louis-Philippe-Joseph d’, Duc de Montpensier, Duc de Orléans (ab 1752) Duc de Chartres (1792) Philippe Égalité (1747–1793). Cousin des Königs Louis XVI und der reichste Mann Frankreichs. Er sprach sich für die Hinrichtung des Königs aus und wurde 1792 selbst hingerichtet. Sein Sohn Louis-Philippe d’Orléans wurde 1830 König von Frankreich. 68,286,426, 438 Lucchesini, Girolamo (1750 od. 1751 od. 1752–1825). Letzter Vorleser Friedrich II. und preußischer Diplomat. Wirkte 1790 am Bündnis zwischen Preußen und Polen mit, 1791 am Kongress von Reichenbach. 1792 Diplomat in Warschau, 1793–1797 Botschafter in Wien, 1802 außerordentlicher Gesandter in Paris. 173,182,197–199,201–202,204,311,382 Ludwig Wilhelm von Baden, (ab 1677) Regierender Markgraf (1655–1707). Kaiserlicher Feldherr, auch wegen seiner Sieger über die türkische Armee „Türkenlouis“ genannt. 176,178 Luise von Preußen, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz (1776–1810), ab 1793 Gattin Friedrich Wilhelm III. und ab 1797 Königin von Preußen. Wegen ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit beim Volk beliebt; vertrat bürgerliche Werte. 188,205,224–225,355,378,381, 384

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Luther, Martin (1483–1546). Mönch, ab 1507 Priester, ab 1512 Professor der Theologie in Wittenberg. Versuchte die katholische Kirche zu reformieren. Übersetzte das Neue Testament 1522 und das Alte Testament 1534 in die deutsche Sprache. 19,164,365 Lykurg [Lykoûrgos] (um 820 v. Chr.). Gesetzgeber von Sparta, wahrscheinlich mythische Gestalt. Genannt in den Schriften von Platon, Plutarch, Herodotus. Förderte die spartanischen Tugenden von Gleichheit, Genügsamkeit und militärischer Disziplin. 413 Mack von Leiberich, Karl Freiherr von (1752–1828). Österreichischer Offizier. Diente 1792–1793 als Generalstabschef de Prinzen Friedrich Josias von Sachsen-Coburg-Saalfeld und führte 1793 Verhandlungen mit Charles-François Dumouriez, die dessen Seitenwechsel zur Folge hatten. Ab 1797 Feldmarschall-Leutnant, erhielt im gleichen Jahr den Oberbefehl über die napoleonischen Truppen. Nach dem Aufstand in Neapel wechselte er die Seiten und wurde französischer Kriegsgefangener; er entkam 1800. 190 Mävius, Bartscherer in Müncheberg. 144 Maimon, Salomon [Shlomo ben Joshua] (1753–1800). Mathematiker, Philosoph und Schriftsteller aus polnisch-Litauen. Lebte ab 1780 in Berlin. Bedeutender Vertreter der jüdischen Aufklärung oder Haskala. Arbeitete an Karl Philipp Moritz‘ Magazin zur Erfahrungsseelenkunde mit. 22,105,115,442 Marat, Jean Paul (1743–1793). Französischer Arzt und Naturwissenschaftler. Verlegte während der Revolution die Zeitung Ami du Peuple, die schließlich auch zur Hinrichtung des Königs aufrief. Abgeordneter im Nationalkonvent und ein Sprecher der Jakobiner. Wurde von der Girondistin Charlotte Corday ermordert. 93,173,372 Marie Antoinette, (ab 1770) Daupine de France, (ab 1774) Reine de France [Maria Antonia Josepha Johanna] geb. Erzherzogin von Österreich (1755–1793). Entstammte dem Hause Habsburg, Tochter Maria Theresias und Schwester des Kaisers Leopold II. Letzte Königin Frankreichs vor der Französischen Revolution; sie wurde einige Monate nach ihrem Mann 1793 hingerichtet. 64,68,98,372,424,426,439,425 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, (ab 1740) Königin von Österreich, Ungarn und Böhmen, (1717–1780). Gattin von Franz I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Führte gegen Friedrich II. Krieg um Schlesien, vertrat aber auch eine Heiratspolitik für ihre Kinder. Ihre Tochter Maria Antonia wurde als Marie Antoinette Königin von Frankreich. 205,348, 384,416 Marcus, Levin [Löb Cohen] (1723–1790). Juwelier und Kaufmann. Vater Rahel Levins und Ludwig Roberts. Gerüchtehalber einst als Bandenmitglied gebrandmarkt. Zeitweilig Agent der Firma Ephraim & Söhne. 27 Marsyas. Gestalt der griechischen Mythologie. Forderte Apollon zu einem Musikwettbewerb auf, den er verlor; damit verlor Marsyas auch sein Leben. 423 Masséna, André, (ab 1797) Duc de Rivoli, (ab 1810) Prince d’ Eßling [Andrea Massena] (1758– 1837). Französischer Offizier. Ab 1793 Général de brigade, ab 1793 Général de division. Zeichnete sich 1795 weiterhin beim Italien-Feldzug aus. Ab 1804 Maréchal d’Empire. Ab 1798 Commandeur der neuen Römischen Armee. Für seine Plünderungen berüchtigt, musste er seinen Posten aufgeben. Rehabilitiert erhielt er 1798 im Zweiten Koalitionskrieg das Kommado über die neue „schweizerische Armee“ und wurde von Napoléon 1799 zum Oberkommandeur der italienischen Armee ernannt; bereitete den Sieg der Schlacht von Marengo vor. 1806 eroberte er das Königreich Neapel; 1809 nahm er an der Schlacht bei AspernEssling teil. 187,378,441 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, (ab 1740) Königin von Österreich, Ungarn und Böhmen, (1717–1780). Gattin von Franz I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Führte

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u.a. gegen Friedrich II. Kriege um Schlesien, vertrat aber auch eine Heiratspolitik für ihre Kinder. Ihre Tochter Maria Antonia wurde als Marie Antoinette Königin von Frankreich. 205,348,384,416 Meil, Johann Wilhelm (1733–1805). Maler und Kupferstecher. Ab 1752 als Künstler in Berlin tätig. Ab 1766 Mitglied der preußischen Akademie der Künste, ab 1783 Rektor der Zeichenklasse, 1801 Nachfolger Chodowieckis als Direktor der Akademie. Schuf auch Kostüme für das Berliner Hoftheater und Entwürfe für die Berliner Porzellanmanufaktur. Zu seinen Buchillustrationen gehört auch das Frontispiz zu Mendelssohns Phaedon. 3,27,45–46,419 Ménard, Philippe Romain (1750–1810). Französischer Général de la Revolution und Général de l’Empire. Diente ab 1795 in der Armee von Andrée Masséna. Unterstützte die Unabhängigkeitsbewegung der Waadt; forderte gleich danach eine finanzielle Anleihe von ihnen. 1799 Teilnahme an den Feldzügen in der Schweiz; Stellvertreter Massénas bei der helvetischen Armee. 1806 Armee-Entlassung aus Gesundheitsgründen. 161,165 Mendelssohn, Fromet Gugenheim (1737–1812). Ehefrau von Moses Mendelssohn. 10,23 Mendelssohn, Moses (1729–1786). Jüdischer Philosoph, Pädagoge und Seidenfabrikant. Vertreter der Haskala oder jüdischen Aufklärung. Veröffentlichte 1767 eine eigene Fassung des platonischen Textes, Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele; übersetzte 1783 biblische Psalmen ins Deutsche. 1780–1783 deutsche Übersetzung der hebräischen Bibel (mit hebräischen Buchstaben). 1783 Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum. Setzte sich für die Emanzipation der Juden ein. Freundschaft mit Gotthold Ephraim Lessing, regte die Gestalt des Nathans in Nathan der Weise (1779) an. 4,10,16–17,20-21,23,25,27,30,41, 46,49,55–56,58,67–68,124,164–165,167,226,295,356,366,389,394,396,397,399,420,429, 432,436,439,440,441,442,443,445,450 Meyer, Aron Moses (1737–1795). Kaufmann und Bankier in Berlin. Verheiratet mit Roesel Veitel Ephraim; Schwager von Benjamin Veitel Ephraim. 16,431,442 Meyer, Caspar (1749–nach 1799). Gesandter der 1796 gegründeten Bataafse Republiek in Paris (ab dem 5. Juni 1806 Königreich Holland). Vertrat Batavia in Paris zusammen mit Jacobus Blauw. Beide wurden von Jacques-Louis David gemalt; Davids „Gaspar Mayer“ (1795) befindet sich heute im Louvre. 188,378 Meyer, Mariane, (ab 1799) Freifrau von Eybenberg (1770–1812). Tochter des Bankers Aron Moses Meyer und der Roesel Veitel Ephraim; Nichte von Benjamin Veitel Ephraim. Sie und ihre Schwester Sarah korrespondierten mit Goethe. 1797 in zweiter (morganatischen) Ehe mit dem Fürsten Heinrich XIV. von Reuß zu Greiz verheiratet. Nach dem Tod ihres Mannes erhielt sie vom Kaiser Franz II. den Titel von Eybenberg. 29,45,445 Meyerbeer, Giacomo Meyerbeer [Jacob Liebmann Beer] (1791–1864). Opernkomponist. Sohn des Berliner Hoffaktors Judah Herz Beer und seiner Frau Amalie. Vertreter der „Grand opera“ mit großen Erfolgen in Paris. Ab 1842 dann Generalmusikdirektor der Hofoper in Berlin. 43,424,452 Meyrink, von. Preußischer Unterhändler (um 1795). 175 Milo (6. Jahrh. v. Chr.). Ein erfolgreicher griechischer Ringer aus Croton. 510 v. Chr. von Diodorus Siculus für den militärischen Sieg über das benachbarte Sybaris verantwortlich gemacht. 191,380 Mirabeau, Honoré Gabriel Riquetti, Comte de (1749–1791). Politiker, Schriftsteller und populärer Redner. Unterstutzte als Französischer Adeliger früh die Französischen Revolution; sprach er sich für eine konstitutionelle Monarchie nach dem britischen Modell aus. Ab 1790 jedoch auch im Sold von Louis XVI und dem österreichischen Staat. 15,67–68, 77–78,172

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Möllendorf, Richard Joachim Heinrich von (1721–1816). Preußischer Feldmarschall. Kämpfte im Siebenjährigen Krieg in den Schlachten bei Leuthen (1757), Hochkirch (1758) und Torgau (1760). Ab 1783 Gouverneur in Berlin; ab 1787 General und ab 1793 Feldmarschall. Kommandierte 1794 den Rheinfeldzug der preußischen Armee. Nahm 1806 an der Schlacht bei Jena teil, geriet bei Auerstädt in französische Gefangenschaft. 160,174,176,180,186,189, 195,203,205–206,208,210,224,234,388 Montesquieu. Siehe: Charles de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu. Montmorin Saint-Herem, Armand Marc Aurelle, Comte de (1746–1792). Französischer Politiker. 1778–1784 Gesandter in Madrid. Verbündete Spanien mit Frankreich und den amerikanischen Kolonien gegen England. Ab 1784 Commandant en chef in der Bretagne, ab 1787 Ministre des Affaires étrangères, Außenminister, Secrétaire d’État à la Marine, Marineminister. Beendete seine politische Karriere 1791. Als Monarchist vom Tribunal verurteilt, starb im Septembermassaker 1792. 66–72,74,77,88–90,95,321,371,408,409 Moritz, Karl Philipp (1756–1793). Pädagoge, Publizist und Schriftsteller. Lehrte am Grauen Kloster in Berlin. Herausgeber des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde (1783–1793) und Autor u. a. von Schriften zur Ästhetik. Befreundet mit Mendelssohn und Maimon. 2,105,115, 356,440 Moses. Gestalt des alten Testamentes; Urvater des jüdischen Volkes. 45–46 Motier, Marie-Joseph-Paul-Yves-Roch-Gilbert du, Marquis de La Fayette [Lafayette] (1757–1834). Französischer Offizier und Politiker. Entstammte dem reichen Landadel. Nahm am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teil; unterstützte die Französische Revolution. Half bei der Abfassung der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen, Deklaration der Menschenund Bürgerrechte, von 1789. Wurde 1792 von radikalen Revolutionären verhaftet, floh in die Österreichischen Niederlande, verbrachte dort fünf Jahre in Gefangenschaft. Kehrte 1797 nach Paris zurück und nahm nicht mehr aktiv in der Politik teil. 67,89,170,370,442 Moustier, Elénor-François-Elie, Comte de (1751–1817). Französischer Kavallerie-Offizier und später Politiker. 1787–1798 französischer Gesandter in den Vereinigten Staaten, 1783 in London; 1790 Gesandter in Berlin. Royalist und Kritiker der Französischen Revolution. 67–69, 88,372,426 Mühlbach, Luise [Clara Maria Regina Müller, Clara Mundt] (1814–1873). Populäre Autorin von historischen Romanen. 125 Müntz, Joachim Heinrich (1727–1798). Schweizer Künstler, Architekt und Bauingenieur. Arbeitete einige Jahre in England, unter anderen bei Horace Walpole (Strawberry Hill). Als Metallurgist in der Amsterdamer Silberraffinerie des Benjamin Veitel Ephraims tätig. 23–24 Muguet de Nanthou, François-Félix-Hyacinthe (1760–1808). Rechtsanwalt und politischer Schriftsteller; Lieutenant-général du bailliage von Gray, Haute-Saône; 1789–1791 Abgeordneter von Haute-Saône, Mitglied der Assemblée constituante. 1808 Bürgermeister von Soing. 173 Murat, Joachim (1806–1808) Joachim I. Großherzog von (Kleve und) Berg, (1808–1815) Joachim I. (Gioacchino I) Re di Napoli (1767–1815). Französischer Offizier und Schwager Napoléon Bonapartes. König Maximilian I Joseph von Bayern trat das Herzogtum Berg an Napoléon ab und tauschte es im Schönbrunner Vertrag 1805 gegen das Fürstentum Ansbach ein. 204,206,362,383,380,383 Múzquiz y Clemente, Ignacio de, Marqués (1759–1813). Spanischer Gesandter in Paris und Sohn des spanischen Finanzministers Miguel de Múzquiz e Goyeneche, Conde de Gausa. 185 Napoléon I. [Napoléon Bonaparte] (1799–1804) Premier consul, (ab 1804) Empereur de France, (1806–1813) Protecteur des États confédérés du Rhin (1769–1821). Französischer General

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und Politiker. 49,53,56–57,65,98,100,101,123,151,166,188–189,192,194–197,199,201–202, 204,206,227,353,357,359,360,361,362,363,364,367,368,373,374,375,377,378,379,380, 381,382,383,384,389,395,399,400,413,414,423,424,425,426,428,429,432,437,438,440, 441,443,444,449,452 Necker, Jacques Necker (1732–1804). Bankier und Finanzminister von Louis XVI. Vater der Germaine de Staël. Ab 1776 contrôleur général des finances; 1777–1781 directeur général des finances. Reformierte die taille (Kopfsteuer), schaffte die Steuer vingtième d’industrie ab, führte die monts-de-piété, Leihäuser, ein. Verfasste 1781 eine Compte rendu au roi, Aufstellung über die Staatsfinanzen; als sie öffentlich wurde, musste er in den Ruhestand gehen. Kritisierte 1787 seinem Nachfolger Charles Alexandre Calonne und wurde aus Paris verbannt. Ab September 1788 erneut Generaldirektor der Finanzen. 1789 entlassen und nach dem Sturm auf die Bastille zurückgerufen. Rücktritt 1790; lebte fortan in Coppet am Genfer See. 336,413 Neufchâteau, Nicolas-Louis François de, (ab 1804) Comte de (1750–1828). Französischer Staatsmann, Landwirtschaftsexperte und Dichter. 1782–1785 Procureur-général, Generalprokurator auf Haiti. 1791–1792 Präsident der Assemblé nationale, französischen Nationalversammlung. Ab 1795 Richter am tribunal de cassation, höchsten Gericht; dann Kommissar des Direktoriums im Département Vosgas und 1797–1798 Innenminister; 1798–1799 erneut Innenminister. 1801 Sekretär und 1804 Präsident des Senats. Ab 1806 Senator in Brüssel. 338,414 Nero [Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus], 54–68 Imperator Romanorum [Römischer Kaiser] (37–68). Regierte Rom mit starker Hand, förderte die Künste. Legte 64 gerüchteweise die Stadt in Feuer, um sie neu aufzubauen (heute wiederlegt). Plünderte Tempel für den Neuaufbau Roms; verfolgte Christen als Brandstifter. Ein Fokus seiner Außenpolitik war Judäa; 66 gab es nach einer Plünderung des Jerusalemer Tempels einen Aufstand. 335,413 Newton, Isaac Sir (1643–1727). Physiker, Astronom und Mathematiker; Professor an der University of Cambridge. Begründete mit Philosophiæ Naturalis Principia Mathematica, mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie (1687) das Gebiet der klassischen Mechanik. Wichtige Arbeiten im Bereich der Optik, Opticks (1704), Gravitation; Entwicklung der Infinitesimalrechnung. Erfand das Spiegelteleskop; forschte zur Gestalt und Position der Erde und ihrer Bewegung. 369,428 Nicolai, Christoph Friedrich (1733–1811). Deutscher Schriftsteller der Aufklärung, sowie Buchhändler und Verleger. Führte die Nicolaische Buchhandlung in Berlin. Mit Mendelssohn und Lessing bekannt. 2,4,10,18,20,27,34,46,387,390,420,439,445,446 Noot de Vrechem, Henri-Charles-Nicolas, van der [Henrik] (1731–1827). Rechtsanwalt und Schriftsteller aus Brüssel; Conseil souverain von Brabant. 1787 Denkschrift über die Rechte der Brabanter, Mémoire sur les droits du peuple brabançon et les atteintes y portées. 1789 zusammen mit Jean-François Vonck Hauptinitiator der Revolte gegen die österreichische Herrschaft in den Niederlanden (Brabanter Revolution). Wurde 1789 in Brüssel mit einem Lorbeerkranz gefeiert. 1790 nahmen die Österreicher das Land wieder ein. Sprach sich 1792 für eine Vereinigung mit Frankreich aus; wurde verhaftet und blieb ab 1796 der Politik fern. 62,170–171,371,431 Orléans, Louis-Philippe-Joseph, Duc de, Duc de Montpensier, (ab 1752) Duc de Chartres (1747– 1793). Cousin von Louis XVI. und einer der reichsten Männer Frankreichs. Unterstützte die Revolution und nannte sich ab 1792 Philippe Égalité. Vertrat den Vorschlag einer konstitutionelle Monarchie, stimmte aber für die Hinrichtung des Königs. Wurde 1793 selbst hingerichtet. 68,286,426,438

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Ostade, Adrian van [Adriaaen Hendricx] (1610–1684). Niederländischer Maler und Radierer. Bekannt für seine Genreszenen. 111,140,355 Otto, Elizabeth, Comtess de Mosley, geb. Van Brugh Livingston (*–1787). Ehefrau des Louis Guillaume Otto, Comte de Mosley. Starb wenige Monate nach ihrer Hochzeit. 187,378 Otto, Louis Guillaume, Comte de Mosley (1754–1817). Legationssekretär. In Deutschland gebürtig. Unter Louis XVI. im französischen diplomatischen Dienst; diente unter Napoléon in Amerika, Berlin, London, München und Wien. War 1805 maßgeblich daran beteiligt, Bayern für ein Bündnis mit Frankreich zu gewinnen. 185,187 Oubril (Ubri), Pjotr Jakowlewitsch (1774–1848), Russischer Diplomat. Stammte aus einer französischen Familie. 1803–1804 Gesandter in Paris. Kehrte 1806 nach Paris zurück, um ein Abkommen Rußlands mit Frankreich abzuschließen. 384,204 Pa(r)schke, Kommissar (um 1790). 178 Philidor,François-André Danican (1726–1795). Französischer Komponist und Schachspieler. Veröffentlichte 1749 die Analyse du jeu des Échecs. 179,376 Philipp, Levin Moses. Inhaber einer Silber- und Metallschmelze bei Amsterdam, die Benjamin Veitel Ephraim übernahm. Cousin Veitel Heine Ephraims und Vater von Gutche Ephraim. 22,39,431 Philipp. Möglicherweise preußischer Major. Ehemann der Edel Veitel Ephraim, Tochter des Benjamin Veitel Ephraim. 23,430 Pichegru, Jean-Charles (1761–1804). Französischer General. Führte den Feldzug in Belgien und den Niederlanden an. Als Royalist musste er 1797 nach Cayenne, Französisch Guayana, ins Exil gehen. Floh nach London und versuchte dann in einem Coup Napoléon abzusetzen. 215,287 Pitt, William Jr. (1759–1806). Staatsmann. Ab 1783 Prime Minister of Great Britain; 1801 sowie 1804–1806 Prime Minister of the United Kingdom sowie Chancellor of the Exchequer, Schatzkanzler. Oft als „new Tory“ bezeichnet und für sein Verwaltungstalent bekannt. Erhöhte die Steuern zur Aufrüstung gegen Frankreich. 67,178 Pio, Louis [Luigi], Chargé d’affaires des Königreiches Neapel in Paris. Lernte dort auch Thomas Jefferson 1784 kennen, mit dem er korrespondierte. Vor der Revolution wurde er Chevalier des Ordens des Heiligen Stephans. Ab 1790 französischer Bürger. Hielt während der Revolution Positionen im Ministerium für ausländische Beziehungen und im Kriegsministerium und folgte der Linie der radikalen Revolutionäre. 93 Plutarch [Ploútarkhos, als römischer Bürger Lucius Mestrius Plutarchus] (um 46–um 120). Griechischer Biograph und Essayist. Schrieb in griechisch für ein griechisches und römisches Publikum. Bekanntesten Werke sind die Bíoi Parállēloi (Parallele Leben) von 48 griechischen und römischen Persönlichkeiten und die Sammlung Ethika (Morallehre). 113,163,226,365,440 Poelenburg, Cornelis van [Poelenburgh] (1594 oder 1595–1667) niederländischer Maler des Barock. Ab 1617 in Rom, dann ab 1627 wieder in Utrecht. Malte unter dem Einfluß der italienischen Kunst mythologische Landschaften. 18 Pool, van der. niederländischer Kaufmann (um 1760). 165 Poussin, Nicolas (1594–1665). Französischer Maler des Barock, bekannt durch seine Landschaftsbilder mit mythologischen Figuren. 18 Proby, John Joshua, (ab 1789) Earl of Carysfort, (1751–1828), (ab 1801) Baron of Carysfort. Er war 1800–1802 Britischer Jurist, Diplomat und Dichter. Gehörte der Whig Partei an. Ab 1789 Master of the Rolls in Irland, 1790 Mitglied des House of Commons, 1800–1802 Gesandter in Berlin. Ab 1801 Sitz im House of Lords. 354

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Pufendorf, Samuel, (ab 1694) Freiherr von (1632–1694). Historiker und Naturrechtsphilosoph und Begründer der Vernunftrechtslehre. Plädierte für Toleranz und Menschenrechte in Verbindung von christlichem wie säkular-rechtlichem Verständnis. Führte den Begriff der Menschenwürde (dignatio) ein. 380 Pythia. Griechische Hohepriesterin im Tempel von Apollon zu Delphi. 368 Raffael. Siehe: Raffaello Sanzio. Ramler, Karl Wilhelm (1725–1798). Dichter und Philosoph der Aufklärung, genannt der deutsche Horaz. 1748–1790 Dozent für Philosophie an der Kadettenanstalt in Berlin. Befreundet mit Lessing, Nicolai und Mendelssohn. 10,27 Raumer, Friedrich Ludwig Georg von Preußen (1781–1873). Historiker. Ab 1801 im preußischen Zivildienst; ab 1809 Berater Hardernbergs. 39 Reck(e), Karoline Ottilie Friederike von, geb. Gräfin von Eickstedt-Peterswaldt (1745–1808). Ehefrau des Baron Carl Friedrich von der Reck (1746–1810), Kammerherr, dann Hofopernintendant (maitre de plaisir und directeur des spectacles) und Direktor der Königlichen, Italienischen und Komischen Oper sowie des corps de ballet. 161 Reuß zu Greiz; Heinrich XIV. Fürst von, Graf und Herr zu Plauen, Herr zu Kranichfeld, Gera, Schleiz und Lobenstein (1749–1799). Als jüngerer Sohn des Fürsten Heinrich XI Reuß zu Greiz trug er zwar den Titel eines Fürstens, war allerdings nicht regierender Fürst. Feldmarschall und ab 1785 österreichischer Botschafter in Preußen. Vertonte in den 1790er Jahren Gedichte Goethes. Heiratete 1797 Mariane Meyer. 27,29,69,442 Riess, Moses Aron (1683–1722). Berliner Kaufmann. Ehemann von Clara Veitel Ephraim, Schwester von Veitel Heine Ephraim, die in erster Ehe mit Gomperz verheiratet war. 16 Riess, Moses (1722–1773). Berliner Kaufmann; Sohn des Moses Riess und Cousin und Ehemann von Edel Veitel Ephraim. Als Seidenfabrikant gründete er 1748 zusammen mit Bernhard Manufakturen und arbeitete auch mit Mendelssohn. 16,30,434 Robert, Ludwig [Liepmann Levin; Robert-tornow] (1778–1832). Dichter und Theaterschrifsteller; Schwester der Rahel Levin. Bekannt vor allem durch das Drama Die Macht der Verhältnisse (1819). Widmete seinen patrotischen Gedichtband Kämpfe der Zeit dem Philosophen Fichte. 42 Robertson, William (1721–1793). Schottischer Historiker und Chaplain, Kaplan, der Church of Scotland und Principal, Vorstand, der University of Edinburgh. Schrieb über die Geschichte Schottlands, Spaniens und der spanischen Kolonien in Amerika. 113,163,226, 365 Robespierre, Maximilien Françoise Marie Isidore de (1758–1794). Rechtsanwalt, Politiker und bekannter Redner. Während der Französischen Revolution Mitglied der Assemblée nationale constituante, des Verfassungsausschusses, und des Jakobinerklubs. Trug 1792 entscheidend zu dem Ende der Monarchie bei.Teilnahme bei der Pariser Kommune. Mitglied des Comité de salut public, Ausschuss für öffentliche Sicherheit. Führende Rolle in Zeit des Terrors. Wurde selbst 1794 hingerichtet; sein Tod markiert das Ende dieser Epoche. 173,448 Rode, Bernhard (1725–1797). Künstler und Kupferstecher. Befreundet mit Nicolai und Lessing. Maler historischer Gemälde. Ab 1783 Direktor der Akademie der Künste in Berlin. 27 Rohan, Louis-Armand-Constantin de, Prince de Montbazon (1732–1794). Französischer Marineoffizier und Kolonialbeamter aus einer bekannten Adelsfamilie. Ab 1764 Chef d’Escadre, ab 1766 Gouverneur der Iles Sous-le-Vent, ab 1769 Lieutenant Général des Armées Navales. 1768–1769 Versuch, den Aufstand in Saint-Domingue niederzuhalten. Nahm am amerika-

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nischen Unabhängigkeitskrieg teil. Ab 1784 Vize-Admiral. Verließ 1789 die Marine in Protest gegen die Französische Revolution; wurde 1794 hingerichtet. 416 Rohdich, Friedrich Wilhelm von (1719–1796). Preußischer General der Infanterie, Ab 1779 Direktor des Großen Militärwaisenhauses in Potsdam, ab 1787 Geheimer Staats- und Kriegsminister. Vermachte sein Vermögen, den Grundbesitz des heutigen Pariser Platzes, an das Grenadiergarde-Bataillon und in eine bis heute aktive Stiftung, den von Rohdich’schen Legatenfonds. 202,363 Romberg, Frédéric [Johann Bernhard Friedrich] (ab 1784) von (1729–1819). Kaufmann, Transportunternehmer, Bankier, Manufakturbesitzer und Reeder in Brüssel. War im transatlantischen Sklavenhandel tätig. 171,362 Rosa, Salvatore (1615–1673). Barockmaler. Vor allem in Neapel und Rom tätig. Malte historische und relgiöse Bilder sowie Landschaftsszenen, welche die romantischen Maler des 18. Jahrhunderts beeinflußten. 18 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778). Französischer Schriftsteller, Komponist und Philosoph der Aufklärung. Seine Schriften beeinflußten die Ideen der Französischen Revolution, etwa Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1754) und Du contrat social; ou, Principes du droit politique, Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes (1762). Sein Roman Émile, ou De l’éducation, Émile oder Über die Erziehung (1762) prägte die pädagogischen Ideen der Zeit. 166,184,297,322–323,368,369,398, 409,410,426,435 Royou, Thomas-Marie Royou [Abbé Royou] (1743–1792). Philosoph und Journalist. Ab 1776 Leitung des l’Année Littéraire und schreibt für das Journal de Monsieur. Gründet 1790 zusammen mit Galart de Montjoie, Julien Louis Geoffroy und Jacques Corentin Royou L’Ami du roi, eine royalistische Publikation, die im Mai 1792 verboten wird. 372 Sack, Johann August (1764–1831). Kameralwissenschaftler. Ab 1785 Verwaltungslaufbahn, zunächst in Kleve. Ab 1788 Bergrat und Bergrichter in Wetter, ab 1792 Justitiar der Kriegs- und Domänenkammer in Kleve, Stein unterstellt. Ab 1808 Geheimer Staats-Rath und Ober-Präsident der Kurmarck, Neumark und Pommern. Ab Ende 1810 Position im Innenministerium, stand der Abteilung der allgemeinen Polizei vor. 121,214,384 Sales (Salle?). Französischer Kommissar (um 1790). 173,372 Salomon. Biblische Gestalt des Alten Testaments; Herrscher des Vereinigten Königreiches Israel und Erbauer des ersten jüdischen Tempels in Jerusalem. War für seine Weisheit berühmt. 168,369 Sandoz Rollin, David Alphonse de (ab 1799) Freiherr von (1770–1809). Schweizer Diplomat in preußischen Diensten; Zeichner und Kunstliebhaber. 1784–1795 Gesandter in Madrid, 1795–1800 Gesandter in Paris. 1800 Rückkehr nach Berlin; ab 1788 Ehrenmitglied der Preußischen Akademie der Künste, Berlin. 183,377 Sanzio, Raffaello [Raffael da Urbino, Raffaello Santi, Raffaello Sanzio da Urbino] (1483–1520). Italienischer Maler und Architekt. Wirkte am Hof in Florenz und am päbstlichen Hof in Rom, wo er auch Bauleiter des Petersdoms war. Galt im 19. Jahrhundert als der bekanntester Maler der italienischen Renaissance; berühmt durch die Darstellungen der Madonna. 191,141,356,380 Saulson, Julius [Jüdel, Juda, Eduard] (ca. 1773–?). Sohn eines Rabbiners, Buchdruckers und Schutzjuden Aron Saul in Frankfurt an der Oder. Heiratete 1804 Ephraim, Tochter des Benjamin Veitel Ephraim. Trat 1810 zum Christentum über, nannte sich Eduard Saulson und ließ sich scheiden. 23,38–39

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Savery, Roelant (1576 oder 1578–1639). Flämischer Maler und Radierer. Arbeitete am Hof in Prag; kehrte 1619 nach Utrecht in die Niederlande zurück. Malte weitläufige Landschaften, oft mit Tierstaffagen. 18 Schimmelmann, Heinrich Carl von (1724–1782). Deutscher Kaufmann und Bankier. Ab 1758 Pächter der Münzstätte in Schwerin. Prägte minderwertiges Geld. Konkurrierte mit der Firma Ephraim & Itzig. Ab 1759 dänischer Bürger. Wurde 1761 Finanzberater des dänischen Königs Frederick V. und übersah das dänische Steuersystem. 12 Schlabrendorff, Ernst Wilhelm Graf von [Schlabrendorf] (1719–1769). Preußischer Staatsmann; (ab 1755) Etatsminister von Schlesien. 58 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1768–1834). Theologe, protestantischer Prediger und Philosoph. Stand den Romantikern nahe. Formulierte eine moderne Hermeutik sowie eine Theorie der Geselligkeit. 27 Schlüter, Andreas (1659–1714). Architekt und Bildhauer. 1702–1704 Direktor der Preußischen Akademie der Künste, Hofbaumeister; auch tätig in Polen und Russland. Schuf unter anderem die Reiterstatue des Großen Kurfürsten im Hof des Schloß Charlottenburg. 26,127 Schmettau, Friedrich Wilhelm Karl von (1743–1806). Preußischer General und prominenter Kartograph. Sohn des Samuel von Schmettau und Freund des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen. In der Schlacht bei Auerstedt verwundet, erlag er später in Weimar seinen Verletzungen. 206 Schmettau, Samuel, (ab 1742) Reichsgraf von (1684–1751). Preußischer Generalfeldmarschall und Kartograf. Diente in dänischen, markgräflich-ansbacher, hessischen und kursächsischpolnischen Regimentern. 1717 Wechsel in kaiserliche Dienste. 1720 verantwortlich für die Belagerung von Messina; 1732 für den Feldzug auf Korsika gegen Frankreich und Sardinien; 1737–1739 Feldzüge gegen die Türken. Ab 1741 Feldmarschall. Preußischer Sonderbotschafter hinsichtlich eines Geheimvertrags mit Österreich. Gesandter in Paris in Vorbereitung des Zweiten Schlesischen Krieges. Erstellte 1748 als Kartograf einen Plan der Stadt Berlin. 3,28,419 Schmidt, Bürger von Müncheberg. 111,140,142 Schönfeld, Nikolaus Heinrich, Baron von (1733–1795). Preußischer Generalleutnant, zuletzt Gourverneur der Festung Schweidnitz. Kämpfte bereits im Siebenjährigen Krieg und ging 1762 in hessen-kasselische Dienste. Ab 1790 Oberbefehlshaber der belgischen Armee gegen Österreich. Nach dem Vertrag von Reichenbach Wechsel in preußische Dienste. Ab 1791 preußischer Generalleutnant der Kavallerie und Gouverneur der Festung Schweinitz. Ab 1792 Berater der Armée des émigrés, Armee der Emigranten. Teilnahme an den Schlachten bei Kaiserslautern, Pirmasens, der Belagerung von Mainz. Ab 1794 Oberbefehl über die preußischen Truppen nördlich der Weichsel. 170 Schrötter, Friedrich Leopold Reichsfreiherr von (1743–1815). Preußischer Offizier und Minister. Ab 1791 Oberpräsident von Ost- und Westpreußen in Königsberg, ab 1795 Staatsminister für Ostpreußen in Berlin. Mit Heinrich Friedrich Karl vom und zu Stein verantwortlich für die preußischen Staats- und Verwaltungsreformen. 199 Schulenburg-Kehnert,Friedrich Wilhelm, (ab 1786) Graf von der (1742–1815). Preußischer Offizier, zuletzt General der Kavallerie sowie Minister beim Generaldirektorium und Oberkriegskollegium. 1761–1763 Adjudant im Siebenjährigen Krieg. Ab 1770 Präsident der Kriegs- und Domänenkammer Magdeburg, ab 1771 Minister des 3. Departments und Präsident des Hauptbankdirektoriums Berlin, zuständig u. a. für das Lotterie- und Münzwesen wie die Seehandlung. Ab 1778 Kriegsminister; ab 1791 Minister für auswärtige Angelegen-

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heiten; ab 1798 General der Kavallerie; ab 1800 Generalpostmeister. Übernahm 1805 die Verwaltung des Kurfürstentums Hannover; interim-Gouverneur von Berlin. Zog 1806 nach dem Einmarsch der Franzosen in Berlin nach Königsberg und trat im gleichen Jahr in westfälische Dienste. 50,53,93,101–104,115–116,137,138,141,145,155,168,172–173,177–178, 180–181,198–199,208,211,353,356,359,382,386,420,421 Schwarz, Georg Wilhelm Friedrich (ca. 1770–nach 1840). Justizbürgermeister. 141,356 Secondat, Charles de, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689–1755). Politischer Philosoph und Rechtswissenschaftler. Sprach sich für die Aufteilung in eine Exekutive, Legislative und Judikative aus; unterstützte die Französische Revolution. Sein De l’esprit des loix erschien 1748 und beeinflußte die Formulierung der U. S. amerikanischen Verfassung. 21,164,226, 337,366,388 Seegebarth, Johann Friedrich von (1747–1823). (Ab 1770) expedierter Sekretär im General-Postamt, (ab 1773) Postinspektor und Ober- Postdirektor, (ab 1774) Hof- und Postrat, (ab 1786) Geheimer Postrat, (ab 1791) Hofpostmeister, (ab 1799) Geheimer Ober-Finanzrat, (ab 1803) Direktor und (ab 1806) Präsident des General-Postamtes. 1808–1821 preußischer GeneralPostmeister. 215 Senfft von Pilsach, Friedrich Christian Ludwig (ab 1793) Graf von [Lhaun] (1774–1853). Sächsischer und österreichischer Diplomat und Politiker. 1793–1809 sächsischer Gesandter in Paris. 93 Seyferth, geb. Hornemann, Gattin des Konsistorialrats Seyfert [Seyffert] in Küstrin (um 1806). 163 Shakespeare, William (1564?–1616). Englischer Dramatiker und Dichter. Seine Dramen erhielten im späten achtzehnten Jahrhundert in Übersetzungen in Deutschland neue Popularität. Christoph Martin Wieland begann 1762 mit einer deutschen Gesamtausgabe der Theaterstücke. 45,365,380,389 Sieyès, Emmanuel-Joseph, (ab 1808) Conte de [Abbé Sieyès] (1748–1836). Priester und Politischer Schriftsteller. Beeinflußte die Ideen der Französischen Revolution. Ab 1775 Kanoniker in Tréguier, ab 1780 Generalvikar in Chartres, 1787–1788 Mitglied der Provinzialstände der Provinz Orléanais. Mitglied der Philosophen-Freimaurerloge Neuf Sœurs in Paris. Veröffentlichte im Januar 1789 die populäre Flugschrift Qu’est-ce que le Tiers État? Beeinflußte die Französische Verfassung von 1791 und unterstützte die Zivilkonstitution des Klerus. Stimmte für die Hinrichtung von Louis XVI und den Sturz von Maximilien de Robespierre. Befürwortete die französische Expansionspolitik. Ab 1795 Diplomat in Den Haag; ab Januar 1798 Generalbevollmächtigter in Berlin. Wurde nach dem Staatstreich vom 18. Brumaire Konsul. 99,184–187,192,224,377 Six. Verheiratete Holländerin (um 1764). 163,365 Smeth, de. Niederländischer Kaufmann (um 1760). 165 Sokrates [Sōkrátēs] (469 v. Chr.–399 v. Chr.). griechischer Philosoph; vor allem der Ethik verpflichtet. Seine Werke sind nicht überliefert, aber von seinen Schülern Platon und Xenophon zitiert, die ihn als weisen Mann schlechthin verehrten. 45,46,113,146,229,264,357 Sonnenfels, Joseph, (ab 1746) Freiherr von (Joseph Wiener, Alois Wiener, 1732–1817). Politischer Schriftsteller der josephinischen Aufklärung, einflußreicher Jurist und Verwaltungsreformer. Sohn des Hebräischlehrers Lipman Perlin; zum Katholizismus konvertiert und Professor für Orientalische Sprachen an der Universität Wien. Ab 1763 Professor für Polizey- und Kameralwissenschaft in Wien. Veröffentlichte Schriften zum Theater sowie zur Justiz- und Verwaltungsreform, etwa Abschaffung der Tortur (1775). Ab 1779 Wirklicher Hofrat und Beisitzer der Studien- und Zensurkomission. 21,164

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Spazier, Johann Gottlieb Karl [Karl, Carl Pilger] (1761–1805). Autor, Publizist und Komponist. 1784–1787 Lehrer am Philantropin in Dessau. Herausgeber musikalischer Zeitschriften sowie der Zeitung für die elegante Welt (1801–1859). 109,355 Stackelberg, Gustav Ernst Graf von (1766–1850). Baltischer Adliger und kaiserlich-russischer Diplomat. Ab 1786 Kornett in russischen Diensten; nach 1789 in diplomatischen Diensten in Warschau und Stockholm. Ab 1794 Wirklicher Kammerherr und Geheimer Rat; 1794–1797 Gesandter in Turin; 1799–1802 bevollmächtigter Minister bei der Helvetischen Republik (konnte wegen des Zweiten Koalitionskrieges die Stelle nicht antreten); 1802–1805 Gesandter bei der Batavischen Republik bzw. ab 1806 beim Königreich Holland. 1807–1810 Gesandter in Königsberg. 200,383 Stamford, Heinrich Wilhelm von. (1740–1807). Ingenieur und Hauptmann der Preußischen Armee. 27 Stanhope, Philip Dormer, (ab 1726) 4th Earl of Chesterfield (1694–1773). Britischer Staatsmann und Diplomat, Neffe des Staatsministers James Stanhope. Ab 1726 Gesandter in Den Haag. 1732 Rückkehr nach England und Mitglied des House of Lords. Unterstützte Robert Walpole, wandte sich aber gegen die Excise Tax (1733). 285,393 Stein, Heinrich Friedrich Karl, Reichsfreiherr von und zum [Baron vom Stein] (1757–1831). Preußischer Staatsmann. Frühe Erfahrungen in der Verwaltung des preußischen West-Provinzen, ab 1804 Minister für Wirtschaft und Finanzen in Berlin. Nach dem Frieden von Tilsit (1807) formulierte er zusammen mit Karl August von Hardenberg die preußischen Staats- und Verwaltungsreformen. Wurde 1808 wegen anti-Napoleonischer Haltung entlassen und verließ Berlin. 1812–1813 Berater des russischen Zars Alexander I. 37–38,50–53,100,114,121, 198–199,384,420,446,449 Stelter (Stellter), Geheimer Kabinettsrat (um 1773). 169,369 Stern, William (1871–1938). Psychologe und Philosoph. Professor an der Universität Breslau (1897–1916), dann Universität Hamburg (1916–1933), Flucht in die Vereinigen Staaten und ab 1934 Professor an der Duke University. 125,430 Steuart, James Denham, 3rd Baronet of Goodtrees, (ab 1773) 7th Baronet of Coltess [James Denham] (1707–1780). Schottischer Staatsökonom. Veröffentlichte 1767 An Enquiry into the Principles of Political Economy, Untersuchungen über die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre; die Schrift gegen den Merkantilismus gilt als erste ausführliche Arbeit der politischen Ökonomie. 167,226,289,369 Stewart, Dugald (1753–1828). Philosoph und Mathematiker, Professor an der University of Edinburgh. Lehrte vor allem politische Philosophie und Staatswirtschaftslere; popularisierte die Theorien der Schottischen Aufklärung. Verbrachte die Sommer von 1788 und 1789 in Frankreich. 289 Stieglitz, Johann [Israel Hannover] (1767–1840). Arzt aus Arolson. Ab 1789 Arzt in Hannover, ab 1802 Hofarzt. Autor zahlreicher medizinischer Schriften. Bruder des Bankiers Ludwig von Stieglitz; verheiratet mit Benjamin Veitel Ephraims Tochter Jente [Sophie Jeannette]. 23,124,436 Struensee, Carl August, (ab 1789) Struensee von Carlsbach (1735–1804). Preußischer Finanzminister, Theologe und Mathematiker. Ab 1757 Professor an der Ritterakademie in Liegnitz. Autor der Standardwerke Anfangsgründe der Artillerie (1760) und Anfangsgründe der KriegsBaukunst (1771). 1771–1772 Justizrat und Mitglied des Finanzkollegiums in Kopenhagen. Ab 1777 Bankdirektor in Elbing; ab 1782 königlich preußischer Geheimer Oberfinanzrat und Direktor der Seehandlung. Ab 1791 Minister des Accise-, Zoll-, Commercial- und Fabrikenwesens und königlich preußischer Geheimer Staatsminister. 31,37,96,154–155,176,183,361,377

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Sulla [Lucius Cornelius Sulla Felix] (138 v. Chr.-78 v. Chr.). Römischer General Und Staatsmann. War zweimal Konsul von Rom. Bekannt als machtvoller Kriegsherr; verlangte er eine Loyalität seiner Soldaten dem militärischen Führer gegenüber, die größer sein sollte als die gegenüber dem Staat. Erlangte 82 v. Chr. die politische Herrschaft in Rom und regierte als Diktator. 335,413 Swa(h), Joseph. Berliner Bankbedienter; Mathematiker und Astronom. 165,366 Tacitus, Publius Cornelius [Gaius] (um 58–um 120). Römischer Historiker und Redner. Autor der Historiae und Annales, Geschichten des römischen Reiches, sowie einer Geschichte und Beschreibung Germaniens, De origine et situ Germanorum liber. Unterstützte die Institution der römischen Republik. 113,163,226,365 Tassaert, Jean-Pierre-Antoine (1727–1788). Bildhauer aus Antwerpen. Nach einer langen Karriere in Paris wechselte er 1775 an den Hof Friedrich II. Schuf Bildnisse mythologischer Gestalten, aber auch preußischer Generäle. Der Porträtkopf von Moses Mendelssohn (1785) wurde von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Berlin finanziert. 124 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice, (ab 1807) Duc de, (ab 1806–1815) Duc de Benevento, (1754–1838). Staatsmann. Ab 1779 Priester, ab 1788 Bischof von Autun. Wechselte 1789 vom Klerus zum Dritten Stand und sprach sich für die Verstaatlichung des Kirchenbesitzes aus sowie für die Gründung einer Zentralbank. Vertrat eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild. 1791 exkommuniziert. 1792–1796 Aufenthalt in Großbritannien. 1797– 1799 Außenminister. Nach dem 18. Brumaire erneut zum Außenminister ernannt; wirkte hinsichtlich der Etablierung des Kaiserreichs. Sprach sich gegen weitere Kriegspläne aus. 99,123,151,197,200,380 Tauentzien, Friedrich Bogislav von (1710–1791). Preußischer General, der im Siebenjährigen Krieg an der Seite Friedrich II. teilnahm. Lessing diente zeitweise als sein Sekretär. 20,78,439 Tepper, Piotr Fergusson (um 1713–1794). Geschäftsmann in Warschau; der wohlhabenste Bankier Polens seiner Zeit. Sein Sohn Piotr Karol Tepper (1766–1817) war ebenfalls Bankier. 181 Thulemeyer, Friedrich Wilhelm von [Thulemeier] (1735?–1811). Preußischer Politiker; Musikaliensammler. Ab 1763 Diplomat in der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen; ab 1788 Justizminister in Berlin. 351,433 Tiesenhausen, Georg Johann von (1735–1815). Erbherr auf Dikkeln in Livland und Schriftsteller. Diente fünf Jahre in der weimarschen Garde, ab 1804 Beisitzer der rigaischen Abteilung der ersten Revisionskommission. Setze sich für die Verbesserung der Landwirtschaft ein. 369 Tyzenhaus, Antoni [Anton von Tiesenhausen] (1733–1785). Hofmarschall des Großfürstentum Litauens und ein Vertrauter von König Stanisław II. August von Polen. Förderer der industriellen Entwicklung des Landes. 168,369 Townshend, Horatio (um 1683–1751). Vertrat 1715–1722 Great Yarmouth im englischen Parlament. Vertrat 1727–1724 Heytesbury im englischen Parlament. Ab 1722 Direktor der Bank of England; 1733–1735 Gouverneur der Bank of England. 285,291,393,393,395 Ulrici, Carl Heinrich. Tabakfabrikant. Besaß mit Carl Heinrich Ulrici & Co., Cigarren-, Rauch- und Schnupftaback-Fabrik die zweitgrößte und vielleicht älteste Tabakfabrik in Berlin. Victor Ebers (Veitel Heymann Ephraim), ein Neffe Benjamin Veitel Ephraims, investierte in die Fabrik. Sie wurde von Ulricis Sohn Carl Heinrich Adolph Ulrici weitergeführt. 26,126 Varnhagen, Karl August [von Ense] (1785–1858). Diplomat, Journalist und Schriftsteller. Diente ab 1809 in der österreichischen Armee, ab 1812 preußischer Zivildienst, danach russische Dienste. Arbeitete dann als Hauslehrer in einigen jüdischen Häusern Berlins. Sammler von

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Manuskripten und der Briefe Rahel Levins, die er 1814 heiratete, sowie anderer Persönlichkeiten. Autor u. a. der Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften (1843–1859). 29,439 Vauban, Sébastien le Prêtre de (1633–1707), Marschall und Ingeneur. Bekannt durch seine Innovationen von Belagerungsbefestigungen. 156,361,373,428 Vega y Carpio, Lope Félix de (1562–1635). Spanischer Dramatiker und Dichter. Eine Schlüsselfigur des spanischen Barocks. 165,226,367 Vergil [Publius Vergilius Maro], (70 v. Chr.–19 v. Chr.), römischer Dichter, Autor Autor der Eklogen und Georgia und des Epos Aeneis, das den Gründungsmythos Roms vermittelt. 379 Vignerot du Plessis-Richelieu, Armand-Désiré de, (ab 1788) Duc d’Aiguillon (1761–1800). Mitglied der französischen Nationalversammlung und General der Republikanischen Armee. Floh während der Terrorherrschaft 1793–94 nach England; mußte 1800 England verlassen und starb in Hamburg. 172,372 Voltaire. Siehe: François-Marie Arouet. Voß, Christian Friedrich (1755–1795). Sohn des gleichnamigen Verlegers. Seit 1791 Herausgeber der Vossischen Zeitung. 182,355,377,387 Walpole, Horace, 4th Earl of Orford (1717–1797). Englischer Politiker und Schriftsteller. Sein Strawberry Hill House popularisierte den gotischen Stil, während sein erster Roman, The Castle of Ortranto (1764) das Genre die sogenannte Gothic Novel prägte. Vertreter der Whig Party im Britischen Parlament. Sohn Robert Walpoles. 23,443 Walpole, Robert, 1st Earl of Orford, (1721–1742) Sir Robert Walpole (1676–1745). Britischer Staatsmann. 1721–1742 Prime Minister von England unter den Königen George I. und George II. 207,227,287,393,394,449,451 Wartensleben, Alexander Hermann von (ab 1703) Graf von (ab 1706) Reichsgraf von (1650–1734). Offizier. Zunächst im Dienst von Frankreich, Hessen-Kassel und dann Sachsen-Gotha-Altenburg. Ab 1702 preußischer Generalfeldmarschall, Wirklicher Geheimer Rat und Gouverneur von Berlin. Großvater von Hans Hermann von Katte. 26 Wessely, Naphtali Herz [Hirz, Hartwig, Wesel] (1725–1805). Pädagoge und Hebraist. In Kopenhagen aufgewachsen, war er Repräsentant Veitel Heine Ephraims in Amsterdam und lebte später auch in Berlin. Freund Mendelssohns. Vertreter der jüdischen Aufklärung oder Haskala. 22 Wilhelm I., (ab 1760) Graf von Hanau, (ab 1785) Landgraf von Hessen-Kassel, (1803–1806) Kurfürst von Hessen-Kassel, (1743–1821). Absolutistischer Regent. Trat mit seinem Land nicht dem Rheinbund ein. Ging 1806 ins Exil; das Kerngebiet Hessen-Kassel ging in das neue Königreich Westphalen auf, die Grafschaft Hanau-Münzenberg war bis 1810 unter französischer Militärregierung. 202,383,447,457 Wilhelmine, Prinzessin von Preußen (1774–1837). Schwester des Königs Wilhelm III., heiratete 1791 Willem I, König der Niederlande, Sohn des Statthalters Willem V. Die Familie ging 1795 ins Exil. 316,402,405 Willem VI, Prins van Oranje-Nassau (1772–1843). (1803–1806) Prinz von Nassau-Oranje-Fulda; 1806 Nachfolger seines Vaters als Prins der Niederlande und Großherzog von Luxemburg; 1913 von Napoléon abgesetzt; erklärte sich 1815 zum König der Niederlande. 183,403 Willem V., Prins van Oranje-Nassau [Willem Batavus] (1751–1795) Erbstatthalter der Vereinigten Niederlande. (1748–1806). Ging 1795 ins Exil nach London, behielt aber seinen Titel Prinz von Oranien-Nassau bei. 370 William III., (ab 1689) King of England und William II. King of Scotland [Willem Hendrik van Oranje] (1650–1702). Von Geburt Prinz von Oranien war er seit den 1670er Jahren Statthalter von Holland, Zeeland, Utrecht, Guelders und Overijssel, nach der Glorious Revolution König

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von England, Irland und Schottland. Bewirkte in 1694 nach dem Beispiel der Bank von Amsterdam die Royal Charter für die Bank of England, eine private Institution. Wittkower, Rudolf (1901–1971). In Berlin gebürtiger Kunsthistoriker, lehrte ab 1933 am University College in London und ab 1956 an der Columbia University in New York. 125,430 Woltermann, Polizist in Berlin (um 1806). 162 Woronzow, Alexander Romanowitsch, von (1741–1805). Russischer Diplomat und Gesandter. Ab 1802 Großkanzler von Rußland und Minister für Auswärtige Angelegenheiten. Sein Bruder Semen Romanowitsch (1741–1805) war ebenfalls russischer Diplomat und zeitweise in England stationiert; er verhandelte unter anderen 1806 die Dispositionen der dritten Koalition gegen Frankreich. 179,220 Wulff, Liepmann Mayer [Meier; Liepmann Tausk oder Lippmann Tauss; Wulf] (1745–1812). Bankier, Immobilienhändler und Preußischer Hoffaktor. Lieferant der Preußischen Armee, zuständig für die Münze und das Postwesen. Ab 1793 Erbpacht für das Potsdamer Leihhaus und 1794–1806 für die preußische Lotterie. Bemühte sich um die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Sein Enkel war der Komponist Meyer Beer, später Giacomo Meyerbeer. 178, 180-181,183-184,353,375,377 Zampieri, Domenico [Domenichino] (1581–1641). Barockmaler der Schule von Bologna. Bekannt durch Historienbilder und Gemäldte biblischen Inhalts. 18 Zastrow, Friedrich Wilhelm Christian von (1752–1830). Ab 1792 Flügeladjudant im Hauptquartier des Königs in Frankfurt/M, begleitete den König nach Polen. Ab 1796 Oberst, ab 1801 Generalmajor. 1806 war er für die südpreußische Inspektion verantwortlich, dann wieder ins Hauptquartier berufen; nahm an den Friedensverhandlungen mit Napoleon teil. Beförderung zum Generalleutnant; anschließend Ersuch um Entlassung. 96,99,121,150,159,175,180, 183,224,229,359 Zelter, Carl Friedrich (1758–1832). Baumeister, war als solcher auch am Bau des Itzig-Palais in Berlin beschäftigt. Komponist und Musiker, Musiklehrer u. a. von Felix Mendelssohn-Bartholdy und seiner Schwester Fanny Mendelssohn. Ab 1800 Leiter der Berliner Singakademie. Als Komponist vertonte er Gedichte Goethes. 27,29,123 Zinzendorf und Pottendorf, Franz Ludwig, Graf von (1661–1742). Österreichischer General und Festungskommandant auf Spielberg. 1696 Titular-Hofkriegsrat, ab 1704 Oberst. Ab 1712 Hatschier- und Trabantenhauptmann. 1715–1717 Obersthofmeister der Erzherzogin Maria Josepha; ab 1717 kommendierender General in Mähren und Kommandant der Festung Spielberg; ab 1724 Feldmarschalleutnant. 176