Baltische Monatsschrift [34]

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Baltische

Monatsschrift, Herausgegeben von

obert Weiss.

XXXIV.

Band.

Reval, 1888.

In C :

A. Stieda.

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F.

Klage.

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Ru d. Hartmann.

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I'cim-ji.,

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Mapra 1888

r.

Gedruckt bei MnJfon' Erben iu Koval.

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Inhalt. Seite

Die

Eigenthumsfrage

Von

I.II.

der Neuzeit.

Dr.

Schmidt«

Baron

Drachen~~

Frof.

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Peter

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Ein Jugendlebeii aus Alt-Kurlands Tagen. Von \

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92 Rückblick

auf

Agrargesetzgebung

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für

baltischen

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Kroudoinancu. 1

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Beitruge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

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\i wol schon

sociale Idee oder sociale

worden

mass-

die

in der weitschichtigen Materie,

aber ungeachtet dessen noch durch-

ist,

aus den Charakter eines ungelösten Problems an sich trägt.

So verschwommen jedoch diese Materie noch zur Zeit erwas Schwerpunkt und Umgrenzung derselben betrifft, so

scheint,

gleichwol

ist es

nicht

zweifelhaft,

dass

die Eigenthumsfrage

in

Wesens am Volks- nnd Staatskörper eine der In der Eigen thumsfrage geersten Rollen spielt. winnen persönliche, gesellschaftliche und staatDingen

socialen

liche Interessen einen solidarischen Angelpunkt. Ein solcher Angelpunkt ist nun wesentlich sociologischer Natur, wenigstens nach den schaftlichen Axiomen,

strebungen, 1

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Darum

zur soll

welche

zum Zwecke

wir,

für

unsere

Person

einer rationell zu entwickelnden

wissenschaftlichen

Grundlegung

derselben

wissen-

und

Be-

Socionehmen.

uns die sociologische Beleuchtung der Eigenthumsfrage

dazu dienen, auf die hohe praktische Bedeutung der Sociologie ein Streiflicht

zu werfen.

Baltische Mi>natx*rt>rift. B4,

XU IV.

H.-ft

1.

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Die Eigenthumsfrage der Neuzeit.

2

Was

nennen,

wir Sociologie

freilich

ist

eine erst im Ent-

stehen begriffene Wissenschaft der Zukunft und sie kann als solche liier

einmal

nicht

dargelegt

in nuce

werden.

An

dieser

Stelle

haben wir nur einen Punkt, als vorläufige Hauptsache, im Auge.

Die sociologische Beleuchtung einer so vitalen Angelegenheit, wie ist, soll massgebende An-

es die Eigenthumsfrage für die Neuzeit

haltspunkte

zur

allgemeinen Beurtheilung dessen bieten, wie viel

und Gesellschaft von

dieser Wissenschaft der Zukunft Dingen der laufenden Zeitpolitik abhängt, und wie wenig von einer socialen Reform staatlicherseits im einzelnen die Rede sein kann, bevor nicht im grossen Ganzen über das, was man sociale Grundnormen zu nennen berechtigt wäre, für Staat

schon gegenwärtig

in

allen

Ohne SocialTappen im Dunkeln «zuerst Nasen, dann Brillen », sagt der Volksmund. Namentlich in Deutschland kann sich die politische Intelli-

eine

rationelle Vorverständigung stattgefunden hat.

normen bleiben

alle

Social reformen



ein

genz der Landesvertretung und die staatsmännische Einsicht regienicht mehr der Wahrgenommene sociale Re-

rungsseitiger Initiative in der Socialpolitik

nehmung form von

verschliessen, dass die in Angriff

Tag zu Tag

für den Staat eine nutzlosere Sisyphusarbeit

wird, so lange der Volksunverstand die schiefe Ebene bleibt, welche

jeden socialen Baustein zurückrollen macht. will

Mit welchem Rechte brechen, wenn

man aber über den Volksunverstand den Stab

man den

radicalen Theorien

der Volksverführung nicht

Principe des Volkswohles entgegen

rationelle

zu stellen sich bestrebt?

Mit

welchem Rechte verurtheilt man das kritiklose Urtheil der Massen und schliesst auf deren bösen Willen, wenn man ihnen die Mittel einer vernünftigen Kritik nicht bietet und ihnen die Möglichkeit, guten Willen zu zeigen, gar nicht zur Disposition stellt? Mit

welchem Vertrauen

sollen

torischen Initiative

des Staates

denn die Massen sich der hingeben,

wenn

sie

social reforma-

sogar in den

gebildeten Kreisen und allen Pressorganen den erbittertsten

Kampf

entgegengesetzter Meinungen und mit jeder neuen Parlamentssaison selbst an den Regierungsvorlagen nur das widerspruchsvollste Spiel

wechselnder Standpunkte wahrnehmen müssen

Von Volksbeglückung

ist

?

den Massen nun

schon

ein rundes

Jahrhundert lang vorgesprochen worden, anfangs vom Liberalismus mit rettender Protectormiene gegenüber dem reservirten Staat, jetzt vom Staat mit herablassender Patronisirung der socialen Idee

gegenüber dem offenen Anarchismus.

Die Massen sind mistrauisch

Die Eigenthumsfrage der Neuzeit.

8

geworden, und jedes einzelne Glied dieser ungeduldigen Millionen-

zum

majorität zählt sich jetzt

Die

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der die

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Grade für

die

Heuschlag verwandelt

wie Heuschlag geschätzt.

Als Massstab für die Schätzung des unter Gebäuden und den dazu

gehörigen Gärten

und

Höfen befindlichen Landes hat der

Ertrag des Roggenfeldes auf dem besten Boden des Gutes zu gelten. auf diese Weise

Ist

Landes

in

der

Tschetwerik Roggen

werth des einzelnen Gesindes

Schätzungsertrag festgestellt, so

alles

nutzbaren

wird der Schätzungs-

oder Grundstückes ermittelt, indem

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

man den Roggenertrag Roggen

desselben

Der

Geld umsetzt.

in

folgender Weise zu bestimmen

nach

dem

141

örtlichen Preise für

örtliche Roggenpreis ist hierbei

in

:

Durch Nachfragen und Erkundigungen bei den Verwaltungsund Beamten werden Auskünfte über die Roggenpreise

behörden

am

wo möglich

nächsten Absatzorte für Getreide,

gesammelt und

zwölf Jahre,

Händlern,

von

auch

die

für

die

letzten

gleichen Erkundigungen

werden

Nach

Gutsbesitzern &c. eingezogen.

allen

diesen Quellen wird der mittlere Preis für jedes der zwölf letzten

unter Weglassung

Jahre bestimmt und

dann

welche

Preis

den

aufweisen

aus

der

beiden Jahre,

den

Übrigbleibenden

Preisen für zehn Jahre der mittlere Preis berechnet.

Dieses Resultat

höchsten

,

dann noch durch Vergleichung mit den übrigen gesammelten Daten und den für andere Orte ermittelten mittleren Preisen be-

wird

richtigt.

für

den

Aus dem auf

diese

nächsten Absatzort

Weise wird

festgestellten mittleren Preise

der örtliche

Preis

durch Ab-

rechnung der Transportkosten gefunden.

Nach der Höhe des Srhätzungsertrages

Höhe

richtet sich

auch die

der für die Benutzung von Kronbauerländereien zu zahlenden

Pachtsumme, indem der Pachtschilling im allgemeinen auf '/• des ist. Der Pachtschilling kann um 10, 20 und bis 30 pCt. ermässigt werden, wenn besondere Umstände vorhanden sind, welche den Werth des Bodens verringern. Als solche Umstände haben zu gelten Streulage der Ländereien, Schätzungsertrages festzusetzen

:

Lage der Felder, mangelhafte Verkehrsmittel, Holzund Wassermangel &c. Eine Erhöhung des Pachtsatzes um 10, 20 und bis 30 pCt. kann dagegen eintreten bei besonders günstiungünstige

gen Bedingungen bei

bedeutendem

für

den Absatz

Anbau

von

landwirtschaftlicher Producte,

und

Flachs

anderen

werthvollen

Industriepflanzen, bei Gütern, welche an Land- und Wasserstrassen in der Nähe grosser Städte liegen, und in ähnlichen Fällen. Zur Erhöhung oder Ermässigung des Pachtschillings über oder

oder

unter

l

/3

der Schätzungseinkünfte

ist

jedoch stets ministerielle Be-

stätigung erforderlich.

Ausser an noch an einer

t

einem

einheitlichen

Verordnung über

Zinsverhältnis

mangelte es

die Agrarverhältnisse der Bauern,

der Organisation des Bauerstandes und

einer für denselben einzu-

führenden landwirtschaftlichen Ordnung», da die bezüglichen Be-

stimmungen der

Ii vi.

Bauerverordnung

vom Jahre 1800 auf

die

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142

Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen. p

auf publiken Gütern domicilirenden Bauern keine Anwendung finden sollten. (Einführung in die livl. Bauerverordnung IL) In Folge solcher

Mängel wurde der Verkauf des Bauerlandes

ausgesetzt und im Anschluss

an das Gesetz

bis

auf weiteres

über die

allgemeine

Regulirung des Bauerlandes wurden am 10. März 1869 die «Regeln über die administrative und agrarische Organisation für die auf den Baltischen Krongütern angesiedelten Bauern» erlassen. Nach diesen Regeln

wird die Gesammtsumme des von allen Gesinden zu erhebenden Zinses festgesetzt für Kurland auf 557000 Rbl., für Livland auf 260000 und für Estland auf 4000 Rbl. Nach beendigter Regulirung aller Krongüter in jedem Gouvernement sollte die

Gesammtsumme

des auf das Gouvernement entfallenden Zinses

im Verhältnis zu der durch

die Regulirung zuwege gebrachten Werthschätzung repartirt werden. Der Ankauf der Gesinde konnte nur auf Grund einer bereits ausgereichten Regulirungsacte, welche die Resultate der Regulirung enthalten sollte, stattfinden und der

Verkaufspreis einer jeden Bauerlandstelle

durch Capitalisi-

sollte

rung des jährlichen Zinses zu 4 pCt. gewonnen werden und die Tilgung des Capitals durch jährliche Zahlung von 2'/j pCt. während sich gehen, die Kaufsumme aber zu 5 pCt. verrentet Der Bauer hatte also, um Eigenthümer zu werden, nur nöthig, ausser dem durch die Regulirungsacte festgesetzten Zins an Renten noch pCt., das sind 4 pCt. von der Kaufsumme

49 Jahre vor werden.





mithin im ganzen ö'/a pCt. jährlich zu zahlen,

noch jährliche

jedoch

Capitalabzahlungen,

machen, und zwar nicht allein

in

um

nach 49 Jahren

Ueberdies konnte der Käufer

vollständig schuldenfrei dazustehen.

unter 100 Rbl.,

nicht

baarem Gelde, sondern auch

in

Arten von Staatspapieren, die zum Nominalcourse in Anrechnung gebracht wurden. Er konnte demnach bei dem häufig sehr

allen

niederen Course der Staatspapiere mitunter noch

um

10 und mehr

Procente die Kaufsumme ermässigen, indem er Capitalabzahlungen in

Noch in anderer Beziehung war Ukas von der höchsten Bedeutung Einmal wurde durch jede Beteiligung der Domänen Verwaltung an der Administra-

Werthpapieren bewerkstelligte.

dieser

ihn tion

der

auf Krongütern

angesiedelten Bauern,

an der Aufsicht

über die Gemeindeverwaltung, über die Leistung ihrer Reichs- und

Landesprästanden

und

die Erfüllung

der Rekrutenprästation,

an

der Beaufsichtigung der Landschulen und an der Uebertragung der

der Gutspolizei

überlassenen

liebige Person nach

Wahl

der

Rechte

und Pflichten

Domänen Verwaltung

auf eine bebeseitigt

und

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen. in dieser

gütern

Beziehung die Kronbauern

den Bauern

Die Verwaltung

gleichgestellt.

abgesonderte Gemeinden

von nun an auf den Gemeindeältesten überzugehen,

Gründe

nicht zwingende

falls

auf den Privat-

der Gutspolizei innerhalb

der Krongüter, welche von Privatgütern bildeten, hatte

sollten, die Gutspolizei

für geeigneter

es

erscheinen lassen

den Arrendatoren zu übertragen.

Zweitens wurde hinsichtlich der Gesindepacht

Recht geschalten.

worden

zogen

Dieses Recht

einem im

in

ist

Demselben

in Livland».



XXVIII. Bande

dieser Zeitschrift er-

an den Krongesinden

jedoch nicht

lässt sich

Uebereinstimmung mit dem

In

dingliches

ein

eingehender Erörterung unter-

schienenen Artikel cDie Rechte der Bauern

beistimmen.

allen

in

Patent

Gouvernementsregierung hat der Verfasser die Worte

vom

des Gesetzes

143

10.

Punkten der

livl.

des Art. I

März 1869 «KpecTtaue coxpanjuoTi

bt,

uo-

ctouuuom'l cbocmt» uojik30Baiiiu upeAocTaBJieiiiiue bmii yiacTKH» übersetzt

:

«die

Bauern

erhalten die ihnen überlassenen Landparcellen

zu ihrer immerwährenden Benutzung * und schliesst hieraus, wie aus

dem Umstände, dass

die

Regulirungscommission

den

vorhandenen

Besitz den Bauern nicht entziehen oder denselben verkleinern durfte,

dass das immerwährende Nutzungsrecht

den Bauern

auf Grund

nicht

sc.

Nutzungseigenthum von

der Regulirungsacte,

des Gesetzes selbst erworben werde.

sondern kraft

kann schon

Dieser Ansicht

aus dem einfachen Grunde nicht beigetreten werden, weil das hier

massgebende Verbum «coxpanarb» nicht

etwa

die

Bedeutung

hat,

dass etwas Neues geschaffen, sondern vielmehr, dass ein bestehendes

Recht aufrecht erhalten werden soll. Ein Nutzungseigenthum der Bauern am Bauerlande im Sinne unseres Privatrechts hatte bisher nicht existirt

Das

werden.

es

;

konnte mithin auch gar nicht aufrecht erhalten kommende Recht muss daher etwas

hier in Betracht

ganz anderes gewesen reichung

der

sein.

Ueberdies mangelte

Regulirungsacten

an

der

Objects, an welchem das Nutzungseigenthum

auch des Zinses. festgestellt

werden

bis

bestellt

zur Aus-

sowol

des

worden, als

Beides sollte erst durch die Regulirungscommission

werden.

sollte,

es

Bestimmtheit

Welche Art Nutzung den Bauern erhalten der von dem Minister

erläutern uns die Motive zu

zum qu. Gesetz. DieNutzung der Bauern am Bauerlande auf

der Reichsdomänen ausgearbeiteten Vorlage selben führen die erbliche ein

vom Karl XI. gewährtes Recht

zurück, welches durch die Bauer-

verordnung vom 29. Febr. 1804 nochmalige Bestätigung gefunden habe. Zwar sei dieses Recht durch die spätere Gesetzgebung BaltUcbe Mo»at«fChrifl. Bd. XXXIV. Heft

2.

10

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

144

habe es aber für die Krongüter auch

beseitigt worden, thatsächlich

noch

weiterhin

und endlich

fortbestanden

Gewohnheitsrechts geführt, welchem

geben dass

nun

es

die

wird

Endlich

gelte.

bi

yTBepacjienie

zur Ausbildung

eines

die Allerhöchste Sanction

durch

npaBaxi>

zu

ausdrücklich hervorgehoben,

Ausreichung

die

eines

Actes zu erfolgen habe.

Unter dem Gewohnheitsrecht, dessen hier

Erwähnung gethan

kann

als das in Liv-

wird,

und Kurland

nichts anderes verstanden werden,

unter

dem Namen Näher- oder Vor-

pachtrecht an den Kronbauergesinden

Pachtrechten

oder

auch Erbrecht an den

bekannte, dessen Entwickelung

unten gegeben werden

Kurland

für

weiter

soll.

Der Verfasser des gedachten Artikels glaubt

ferner,

da im Privat-

recht zweier durch Privatwillkür entstehender Arten des Nutzungs-

eigenthums besondere Erwähnung gethan

ist,

zinsrechts und Erbpachtrechts, unter eins

dieser

nämlich des Grund, beiden

auch das

zwar dem Grundzinsrecht den Vorzug, weil die Erbpacht einen im Verhältnis zum Ertrage stehenden Zins voraussetze, von dem' Nutzungsrecht der Kronbauern

zu

rubriciren

müssen, und

giebt er

hier

im Hinblick auf

die Geringfügigkeit der

den Bauern zu

von

entrichtenden Zahlungen und auch deshalb nicht die Rede sein könne,

Gesammtsumme

weil die

durch mit

die

des Pachtertrages vor dessen Feststellung

Regulirung durch

das Gesetz

den vom Provinzialrecht

eigenthums scher

Merkmale

Allein

des Nutzungs-

vielmehr eine ganze Anzahl charakteristi-

stellt

(Art. 942 u.

sein müssen, damit

behandelt

Arten

Zahl derselben durchaus nicht abgeschlossen zu

ist die

Dasselbe

denken.

normirt worden.

aufgezählten

ein

am

sodann

ff.)

welche jedesmal

auf,

Nutzungseigenthum

vorhanden

begründet werde,

und

besonderen Platz das Grundzins- und Erb-

pachtrecht, weil diese durch den Hinzutritt besonderer Rechte sich

auszeichnen.

den Ukas erster

Bei der Behandlung der Frage, was für Rechte durcli

vom

Linie

10.

zu

März

I8f>9

untersuchen,

geschaffen

ob

seien,

wäre

allgemeinen

die

daher

in

Bedingungen,

welche zur Begründung des Nutzungseigenthums absolut nothwendig sind, mi casu zutreffen

und sodann

erst,

ob eine von den im Gesetz

aufgeführten specielleren Arten auf das gegebene Verhältnis passe.

Die erste Frage wäre nach den im gedachten Artikel angegebenen Einzelheiten unbedingt zu bejahen, die zweite dagegen zu verneinen.

Im Gegensatz

zu den Ausführungen

in

dem gedachten Aufsatz kann nicht die Rede sein,

von einem Erbgrundzinsrecht gerade deshalb weil

es

sich

um

ein fruchttragendes

Grundstück

handelt, dessen

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145

Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

Zins nach dem Willen der Parteien im Verhältnis zu dem Ertrage

Wie

steht.

man

sehr

bestrebt gewesen, den Zins in Einklang mit

dem Ertrage zu bringen, geht aus der oben dargestellten Schätzung der Grundstücke hervor. Der Massstab, welcher bei jeder Schätzung in Anwendung zu kommen hat, ist in jedem Fall dem Ermessen und der Vereinbarung der Parteien zu überlassen. Es lässt sich daher das Nichtvorhandensein eines Erbpachtrechts aus dem Umstände allein nicht herleiten, dass nach der Ansicht dritter Personen

dem Ertrage

der Zins lich

kommt

nicht entspreche, vielmehr

auf den Partei willen

an,

welcher in casu durch

es ledig-

die Gesetz-

gebung zum Ausdruck gelangte und gerade darauf gerichtet war, den Zins in ein Verhältnis zum Ertrage der Nutzung zu bringen.

Dem

steht auch gar nicht der

vom

Gesetz

März

10.

worden

voraus festgestellt

Berechnung

ist,

zu

Umstand entgegen,

die ist,

der Luft

aus

willkürliche,

18(59

Gesammtsumme da

diese

Summe

gegriffene, sondern

deren Grundlage

dass durch das

keineswegs eine

das Resultat einer

Gesammtsumme

die

zum

Zinses

des

der für

das Jahr 18G9 für alle drei Provinzen in Aussicht gestellten Zins-

revenue von 026585 Rbl. 68 Kop., verbunden mit dem gesammten bisherigen Regulirungsergebnis,

vorher festgestellte

gedient

Gesammtsumme

Factoren aber sonst noch

ist

Also

hatte.

auch

eine Verhältniszahl.

diese

Welche

mitgewirkt haben, der Regulirung vor-

zugreifen und die Verhältniszahl approximativ vorher zu bestimmen,

gehört nicht zur Sache.

Gehen wir

welche das Rechtsverhältnis

die

Eigentümlichkeiten 1 durch,

der Bauern

reien auszeichnen, so finden wir,

dass

an

das

den Kronbauerl ändedenselben eingeräumte

Nutzungseigenthum von den für das Grundzins- und das Erbpachtfestgesetzten Bestimmungen wesentlich abweicht und

recht

zwar bald

in

das Nutzungsrecht einschränkender, bald

erweiternder Weise, so dass es in mancher Beziehung

in dasselbe

dem

vollen

Eigenthum noch näher gerückt erscheint. Man kann sich daher auch nicht der Ueberzeugung verschliessen, dass durch das Gesetz vom 10. März 1869 ein ganz eigenartiges Nutzungseigenthum geschaflFen worden ist, welches als ein kraft des Gesetzes bestehendes dingliches Recht auf Grund des Art. 3004 P. 2 auch ohne Ein1

Im Gegensatz zu

zu diesen

auch

gerade

den im alL Aufsatz aufgezählten Eigentümlichkeiten

zu rechnen, dass da« Grundstück

Eigenthum des Obereigeithümers wird dieses

in

Oberhofgericht*

nicht zurückfallen

Frage stehende Rechtsverhältnis in

soll.

in einer

in das

ist

unbeschränkt«

In eingehendster Weise

Entscheidung des

knrl.

Suchen Sänke wider die Anlache Gntsverwaltung behandelt. 10*

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Agrargesetzgebung für

146

tragung

in die öffentlichen

Krondomänen

die baltischen

Bücher wirksam

Endlich scheint die

ist.

Ansicht durchaus nicht berechtigt, als werde ein regulirtes Gesinde

zum

Eigenthum durch einen einseitigen Act erworben. Die 10. März 1869 festgesetzten Kaufbedingungen sollen weiter nichts als eine Offerte vorstellen, die, falls sie von dem im Besitz des Gesindes befindlichen Wirth acceptirt werden, zum Abvollen

im Gesetz vom

Diese Anschauung wird

schluss eines Kaufvertrages führen sollen.

durch die Form der höheren Orts ausgearbeiteten Kaufcontracte

in

Dieselben sind in die allgemein für solche

jeder Beziehung bestätigt.

Form gekleidet, nämlich tEs verkauft die Balt. Dom.Verwaltung dem und dem das und das Bauergesinde für den und den Preis», worauf dann die Unterschrift der beiden Contrahenten erfolgt. Das Erbrecht der Bauern am Pachtbesitz, dessen Entwickelung hier in kurzen Zügen gegeben werden soll, hat seine Entstehung offenbar längst vergangenen Zeiten zu verdanken. Greifen hier übliche

wir zurück

:

in

festen,

der Leibeigenschaft,

die Zeit

Erklärung für dasselbe

dem Wechsel

ihm bebauten Grundstücke stand

;

unterlagen

Willkür.

er

eins

verwachsen.

niusste diese

doch

hier

weniger

Zu-

auf den Privatgütern der

als

Die Bauernemancipation vernichtete dieses

Grundverhältnis, sie beseitigte diesen

Zusammengehörigkeit, der

einem

zu dem von

im Bewusstsein der Bauerbevölkerung festsetzen,

sich sie

wir eine in

als glebae adscriptus gehörte er

war mit diesem 'in Besonders auf den der Krone gehörigen Gütern

gehörigkeit

finden

Verhältnis

selten unterliegenden

zum Grund und Boden,

so

dem Umstände, dass der Bauer

in

Gesindepächter

sie

von

vermochte aber einem

seiner Person und Familie mit

festen

traditionelle

eingewurzelten Begriff der

tief

nicht die

rechtlichen

Ueberzeugung

Zusammenhang

dem Pachtgrundstück auszulöschen und

schuf dadurch jene unendliche Anzahl Reclamationsklagen, welche,

wie gesagt, die Archive aller Bauerbehörden

füllen.

Die Acten der

Dom. -Verwaltung erwähnen ausdrücklich einer aus herzogZeiten stammenden Gewohnheit, durch welche eine wechsel-

baltischen lichen

seitige Zugehörigkeit

des

Gesindewirths

und

einem bestimmten Gesinde begründet worden

;

Familie zu erwähnen auch

dessen sie

russischer Herrschaft während der LeibeigenGewohnheit gleichmassig geübt sei. Die Aufhebung der Leibeigenschaft versetzte dieser Gewohnheit einen gewaltigen Stoss. Der hohen Krone verblieb gleich den Privatbesitzern das volle Eigenthum an dem ßauerlande. Die Bauerdessen, dass schaft

diese

unter alte

verordnung, welche gleichermassen

für

die auf

Krön- und Privat-

Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

147

-

gütern lebenden Bauern in es

dem

reien ansässigen

freiem Ermessen

Bauern ohne

die auf

Bauern

in

wem

be-

Kronlände-

welchen Anspruch auf

irgend

fort-

Ihnen war gleich

gesetzten Besitz des Bauerlandes frei geworden. allen übrigen

hatte, überliess

Gesinde

die

Es waren demnach auch

zu übergeben.

liebig

Anwendung zu kommen

Gutsbesitzer, nach

Aussicht gestellt, nach Ablauf des transi-

torischen Zustandes in ein Pachtverhältnis zu der

Krone bezüglich Bis zu dem

der von ihnen bis dahin genutzten Gesinde zu treten.

Moment

hatten die jeweiligen Inhaber der Krongesinde die Verpflich-

tung, in Uebereinstimmung mit den neuesten

Wackenbüchern und

In-

ventarien die in den Gehorchstabellen bestimmten Frohnen zu leisten.

Der Zeitpunkt seitens

der

Domänen

musste

für die Einführung der Pachtverträge konnte

des Cameralhofs, in

damals

weit

bis

der Bauern

dessen

befand,

nach Eintritt des

Hinausschiebung

Händen

sieh

die

eingehalten

nicht

Verwaltung und

werden

definitiven Freiheitszustandes

Das Frohnverhältnis der

erleiden.

Kronbauerwirthe dehnte sich daher auch über den festgesetzten Termin aus und während dessen Bestehens bildete die Gehorchstabelle den

Die

Massstab der von den Wirthen zu leistenden Frohnen.

Einsetzung

und Bestätigung der Wirthe

stellen erfolgte auj

durch

dem

die

vacanter

Gesinde-

Grund der Vorstellung der Krongutsverwaltung

Domänenverwaltung. Diese Bestätigung Wirth keinerlei Anspruch auf Abschluss

örtliche

bestätigten

sollte

eines

Pachtvertrages für den Fall der erwarteten Einführung des Pacht-

gewähren,

verhältnisses

da

sie

regelmässig

mit der Clausel Ein örtliches Gesetz, von den Erben das Pachtrecht übergehen sollte, existirte aber gar nicht. Eine Vererbung der Pachtrechte durch Testament war gleichfalls ausgeschlossen, da eine Uebertragung des Gesindes auf dritte Personen ohne Zustimmung der Dom.- Verwaltung nicht statthaft war. Nach Ansicht der örtlichen Dom. -Verwaltung waren durch die ihr ertheilten Instructionen die privatrechtlichen Beziehungen der Gesindeinhaber und deren Familien zu der hohen Krone als Grundeigenthümerin und setzen angeordnete Art und

auf wen

welches normirte,

Pachtgeberin

in

sich

berührt

nicht

sah

Sie

in

den gegebenen

Regeln nur eine Administrativvorschrift zur ausschliesslichen Richtschnur für sich selbst, damit nicht wie früher nach freiem Ermessen, sondern

nach

vorgeschriebener, durch

subjective

Befähigung wie

durch moralische Führung der Individuen bedingter Reihenfolge in der Familie

die

Krongesinde

würden.

vergeben

waltung sah sich nicht gemüssigt, auf den im Jahre 1837 gegebenen zugehen,

die

doch

weiter

noch auch

später

nichts

als

Dom.-Ver-

Grund der

eine Erläuterung

sollten,

ihr

des

vor-

sondern berief sich ledig-

weder während der Frohne bei

Die

und 1848 wiederholten Regeln zurück-

handenen Gewohnheitsrechts sein lich darauf, dass

inneren

der dauernde Besitz,

Einführung des Pachtverhältnisses die Erb-

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Agrargesetzgebung für vertragsmässig

pacht

Erb-

oder

die baltischen

worden

zugestanden

Näherrecht

auch

gar

und

Rede

keine

widersprechendsten Entscheidungen

Krondomänen.

sowol

157

daher von einem könne.

sein

Die

der Gerichte, wie auch

der Bezirksinspectoren in verschiedenen Reclamationssachen veranlassten endlich im Jahre 1854 den kurl. Domänenhof,

zu

Verordnung zur Verwaltung und

einer

gesinde

dem Generalgouverneur

Commissionen im

der

gleiche Gesichtspunkt

des Generalgouverneurs

Da

vorzulegen.

Von

verschiedenen

Berathung gezogen, wurde die Vorlage,

in

allgemeinen

Project

ein Project

Besetzung der Kronin

vorherrschte,

vom Jahre

1842,

welcher

wie im

als uugeeignet

Mangel fester Normen immer fühlbarer machte und das schwankende Verfahren der Behörden zu mannigfachen Beschwerden und Inconvenienzen führte, wurde vom Generalgouverneur im Jahre 1857 verordnet, und zwar für alle abgelehnt.

sich aber der

drei Provinzen: 1.

Dass bei Beurtheilung der Reclamationen um Kronbauer-

gesinde jedesmal genau zu unterscheiden sei zwischen solchen, die die

wo

Reclamation veranlassende Gesindevergebung vor dem Er-

lasse der Vorschrift des temporären Conseils der Verwaltung der Reichsdomänen vom 27. April 1837, und solchen, wo die Vergebung

nach Emanirung dieser Vorschrift erfolgt die sich auf Bauergesinde beziehen,

ist,

sowie endlich solchen,

welche

bereits auf Geldpacht

gesetzt sind. 2.

Da

die

erwähnte Vorschrift der Hauptdomänenverwaltung

seiner Zeit durch den kurländischen

Cameralhof gehörig

ist,

afficirt,

vielmehr mit ihr im Einklang sich befindet und

langjähriger

die Grundprincipien

Anwendung von

der

kurl.

vollkommen

bei deren

Seiten der Commission in Sachen der

Bauerverordnung keinerlei Widerspruch erfahren hat, dieselbe

publicirt

Bauerverordnung nicht

worden

so erscheint

geeignet, den Bauerjustizbehörden

ihrer Entscheidungen zu dienen, wie

sie

zur Basis

denn auch von dem kurl.

genommen wo Kronbauergesinde nach

Oberhofgericht mehrfach zur Grundlage seiner Urtheile

worden

ist.

Demnach wird

in

Fällen,

dem Erlass der Vorschrift vom .Jahre 1837 vergeben worden und wider solche Vergebung Reclamation erhoben wird, die Beurtheilung der Sache, weil es sich in derselben

um

positiv normirte Familien-

und vermögensrechtliche Verhältnisse handelt, überall lediglich den Bauerjustizbehörden anheimzustellen

und jede solche etwa gegen-

wärtig bei den Administrativautoritäten Kurlands anhängige Sache zu deliren und die Reclamation an die Gerichte zu verweisen sein.

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

158

Dagegen

8.

dem

steht

kein Hindernis entgegen, dass,

Reclamationen mit Berufung auf nähere

um

bindung vor dem

Sachen

solche Kronbauergesinde geltend gemacht

vom Jahre 1837

Erlass

den

bei

bezüglichen

wenn

verwandtschaftliche Ver-

vergeben

werden, die

worden,

dergleichen

verhandelt

Admiuistrativautoritäten

werden.

Was

4. betrifft,

so

endlich die auf Pacht vergebenen Kronbauergesinde

ist bei

dass der Erlass

etwaigen Reclamationen

vom Jahre 1837

des Pachtverhältnisses Giltigkeit dieser Art

und

dass

derselben festzuhalten,

ausdrücklich nur bis

haben

zum

mithin

sollte,

Eintritt

Sachen

in

gar nicht zur Anwendung kommen kann des Todes

den Fall

für

des Inhabers

eines auf

Pacht

gesetzten Gesindes im Laufe der Contractjahre der § 12 der Pacht-

bedingungen massgebend sein muss und etwaige Differenzen zwischen den Erben lediglich der Schlichtung durch die ordentlichen Bauerjustizbehörden anheimzugeben sind.

Dieser Vorschrift

fügte

an die Bezirksinspectoren theilung der

Wirkung

der

Domänenhof

hinzu,

welche

eine

einem Circulär

in

und Gemeindegerichte

noch

eine Beur-

mit Genehmigung

des

Domänenhofs bewerkstelligte Abtretung des Gesindes durch den Pächter an eine dritte Person mit Umgehung der nächsten Erben ausübe und gelangt hierbei zu dem Resultat, dass eine solche Abtretung der Pachtrechte nach den Gesetzen durchaus zulässig und in derselben seil

auch eine Verletzung der durch

das temporäre Con-

über die Gesindebesetzung gegebenen Regeln nicht zu erblicken

Die entgegengesetzte Ansicht vertrat die Domänenverwaltuug etwa 20 Jahre später in einem Circulär an die Gemeindegerichte, in welchem sie das Princip der Zugehörigkeit des Gesindes zur sei.

eingesessenen Familie

zuführen versuchte.

bis

in

die äussersten

Consequenzen

durch-

Hiermit erlangte die ganze Reihe der wider-

sprechenden Verordnungen und Circuläre- und

Kampf um

der

die

Anerkennung eines Rechts ihren Abschluss. Es drängt sich uns natürlich die Frage auf, welche Stellung die Gerichte zu diesem Streit einnahmen. Von der Ansicht ausgehend, dass

die

den

Nachkommen

der Krongesindewirthe einge-

räumte Nachfolge im Besitz der Gesinde auf eine Admiuistrativmassregel, welche lediglich für den Wirkungskreis

gesinde

administrirenden

werden müsse, eines

in

wurde

Behörde

geschaffen

sei

der ,

die

Kron-

zurückgeführt

des Gerichts auf Klage wegen der Gesindebesetzung verletzten

das Einschreiten

seinen Rechten

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

159

Bauern und die Entscheidung der Frage, wer von den Prätendenten einen besseren Anspruch auf

den Besitz

Umwandlung

der Dom.-Verwaltung nach

verhältnis für eben so wenig

zulässig

förmlich promulgirtes Gesetz

kein

so hielt

man

des Gesindes

Da

erachtet, wie vordem.

Gesindebesetzung

die

den

regelte,

Nachfolge

einfach einen Rechtsanspruch auf die

vierziger Jahren

Gesindebesitz für unbegründet.

In

man

der Gerichte

allerdings die Einmischung

von

habe,

der Proline in ein Pacht-

im

begann

zulässig zu er-

für

wenn es darauf ankam, festzustellen, ob der von dem Gesindebesitz wegen Ermangelung subjectiver Fähigkeiten zur Verwaltung desselben Abgewiesene wirklich an solchen Mängeln leide, die ihn achten,

zur Bewirtschaftung eines Gesindes untauglich inachen. scheidung dieser Frage berührte

aber

nicht

Die EntFrage über das

die

Recht auf den Besitz. In den Motiven zu den Regeln vom Jahre 1837 führt das temporäre Conseil aus, dass in Ermangelung der

GewohnDas temporäre Con-

die Gesindebesetzung regelnden Gesetzesbestimmungen das heitsrecht zur

Anwendung zu kommen

habe.

erkannte ein bestimmtes Recht auf den Besitz des Gesiudes an und ertheilte den Auftrag, dieses Recht weiterhin zu conserviren und im gegebenen Fall nach den von ihm erlassenen Regeln, welche seil

eine Erläuterung des Rechts bildeten, in

Lässt

sich

nun

nicht

verkennen,

temporären Conseils ein Recht

dass

hat

Anwendung zu

bringen.

durch die Vorschrift des

eingeräumt weiden

muss auch zugestanden werden, dass dadurch

ein

sollen, so

Rechtsanspruch

auf den Besitz des Gesindes hat erwachsen sollen, welcher eventuell auch erzwungen werden konnte. Die Frage, wer unter verschiede-

nen Concurrenten ein Vorrecht auf den Besitz des Gesindes zu gemessen habe, bildete, sobald man ein Gewohnheitsrecht anerkannte, eine Rechtsfrage, welche füglich von den Gerichten zu entscheiden

Zu demselben

man schon allein auf Grund war doch in diesen ausdrücklich ausgesprochen, dass das Pachtrecht nach dem Tode des Gesinde wirths war.

Resultat musste

der Pachtcontracte gelangen

;

auf dessen gesetzliche Erben überzugehen habe, und

unter

diesen

die Person, welche die Bewirtschaftung des Gesindes erhalten solle,

auf Grundlage

der

Entscheidung

zu

Gesetze

örtlichen

die Reclamationssachen

Gegenstand

werden

schwerlich feststellen.

begannen,

Wir

zu

bestimmen

richterlicher lässt

sich

vom Jahre 185ü

Wann

gegenwärtig

und wol

vor der Vor-

finden aber, dass lange

schrift des Generalgouverneurs

sei.

Erörterung

eine

nicht

unbe-

deutende Zahl solcher Processe der Dijudicatur der Gerichte unterBiltUcbe Monatsschrift. Bd. XXXIV, Heft

2.

11

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

160

zogen worden

Grundlage der richterlichen Entscheidung bildete

ist.

regelmässig die Vorschrift des temporären Conseils zur Verwaltung

vom Jahre

der Reichsdomänen

1837,

obgleich

dieselbe eigentlich

nur als Richtschnur für die Administration und zwar nur für die

Dauer des Gehorchs Verhältnisses erlassen war. Stelle getretene Pachtcontract

enthielt

Der an des

letzteren

mehrerwähnten

seinem

in

§ 12 eine ganz allgemeine Bestimmung, und die Unzulänglichkeit Gesetze bot keinen anderen Ausweg. Ueberdies vermochte

der

die im gedachten § 12 enthaltene

des

durch

Unanwendbarkeit

eine

lex pacti

von 1837 näher geregelten

die Circulärvorschrift

alt-

hergebrachten Gebrauchs auf das neu ins Leben getretene Vertrags-

um

verhältnis

weniger

so

zu

intendiren, als

Bauerverordnung ausser Anwendung

dieselbe

die kurl.

da letztere die Zulässig-

setzte,

Erben und eine Theilung des Nachwährend der § 12 gerade das Gebot des U eberganges der Pacht auf eine Person und das Verbot der keit mehrerer gleichberechtigten

lasses zur

Voraussetzung

Zerstückelung wesentlich

gehabt

hat.

hat,

der Gesiudesländereien

eine Theilung

wobei

enthielt,

des Ertrages

der

man

wol

im Auge

Läudereien

Endlich glaubten die Gerichte von dem althergebrachten

Gebrauch nicht abgehen

zu

müssen, weil

derselbe

bereits in das

Rechtsbewusstsein des Volkes übergegangen war und überdies seinen

Bestimmungsgrund

in

ökonomischen wie auch

fand, deren praktische Berechtigung auch

verhältnisse aus der

Erwägung

in Billigkeitsrücksichten

die späteren Pacht-

für

resultirte, dass

eine Theilung der

Gesindesrevenuen, welche häufig nur die Verwerthung der Arbeitskraft eines tüchtigen Pächters

berechtigte

zum Ruin

repräsentiren,

unter

mehrere Erb-

landwirthschaftlichen Verhältnisse zu

aller

führen im Stande wäre.

Wie

einerseits mit

zu succediren habe, scheidung

von

Recht die Frage, wer den Gerichten

genommen wurde,

in

die Pachtrechte

Verhandlung und Ent-

war andererseits der bisherige

so

Boden des Gewohnheitsrechts doch

in

nicht verlasseu worden.

Nichts

desto wenfger blieben Differenzen zwischen Administration und Justiz nicht aus.

Zwar

hatte

man

nicht

verkannt, dass

die

Domänen-

verwaltung eine wesentlich andere Stellung als eine jede beliebige

Guts Verwaltung einnehme, dass sei, als

sie nicht

allein

Vertreterin der Eigenthumsrechte der

zu fungiren, sondern dass

sie

als

darauf beschränkt

Krone an deren Gütern

Verwaltungsorgan der Staats-

kommen habe und nach den

für ein

solches in der allgemeinen Reichsgesetzgebung aufgestellten

Normen

regierung

in

Betracht

zu

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

161

Rechte geniesse. Diese besonderen Rechte und überhaupt die Behandlung der Kronsachen nach der Reichsgesetzgebung haben keineswegs, wie mitunter wol behauptet wird, hierorts keinen besondere

Eingang gefunden, sondern sind ausdrücklich durch das Gesetz für Verwaltung der Reichsdomänen in den Ostseeprovinzen auch auf diese ausgedehnt. Zwar hat man auf Grund dessen nicht daran

die

gezweifelt, dass die

Domänenverwaltung ausserhalb des Reclamations-

und dass es lediglich Aufgabe

streites stehe

der Gerichte

sei,

die

Rechte der Reclamanten, nicht aber die Massnahmen einer Administrativbehörde einer richterlichen Prüfung zu unterziehen.

land lässt

auch

daher

sich

keine

der Reclamationsstreitsachen

abenteuerlichsten Beurtheilung weisen, wie

für Livland

sie

In Kur-

solche Mannigfaltigkeit in der

nach-

dem mehrerwähnten Artikel der

in

cB. M.> über die Rechte der Bauern an den Krongesinden aufge-

Man

zählt sind.

hat aber wol anfänglich übersehen, dass das der

Domänenverwaltung

als

Repräsentantin

der Grundherrschaft

zu-

stehende Recht der Bestätigung der Gesiudeswirthe auch nach der

vom Jahre 1857

Vorschrift des Generalgouverneurs

und dass

mitunter

gewichtige

Gründe vorliegen

verblieben

konnten,

war auch

solchen Personen die Bestätigung zu versagen, welchen richterlicher-

Vorrecht nach dem Actenmaterial zuerkannt werden musste.

seits ein

Es waren daher der Gerichte

nisse

Fälle nicht ausgeschlossen, in denen Erkenntpraktische Bedeutung

nie

lediglich theoretische Erörterungen

verblieben.

gewannen,

sondern

Aber auch solche

Collisionen haben sich dadurch vermeiden lassen, dass die Gerichte

vor Entscheidung der an

sie

gediehenen Reclamationssachen regel-

Domänenverwaltung über die Zulässigkeit der resp. Reclamanten zur Verwaltung des Gesindes Informationen Während, man, wie es scheint, in Livland noch immer einzogen. mässig erst

der

einem Decennium

Hand

gegenüber

den Reclamationsprocessen

rathlos seit

bei

in

in

Hand, obgleich

Kurland

Wittwe

bei

geht

bereits

letztere nicht unwesentlich von dejn frühe-

ren Gewohnheitsrecht abgewichen erbten

steht,

die Justiz mit der Administration

ist in

der Nachfolge

Bezug auf

die

der unbe-

im Gesindesbesitz eingeräumte

Stellung.

Die Vorschrift des temporären Conseils vom Jahre 1837 hatte die

unbeerbte Wittwe

ausgeschlossen. lichen

aus

der

Domänenverwaltung, weil

des Gesindes,

Nachfolge

in

den Gesindesbesitz

Dieser Ausschluss fand Unterstützung in der ört-

welche namentlich

man

befürchtete, die Verwaltung während der Frohne die ganze II*

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

Iti2

Kraft eines Mannes beanspruchte, könnte von der entsprechenden Weise

einer

Frau nicht

in

Während unter dem

werden.

besorgt

Einfluss dieser Vorschrift des temporären Conseils und der späteren

des Ministeriums die Domänenverwaltung die unbeerbte eingeheiratete

Wittwe im

Besitz des Gesindes nicht zu belassen vermochte,

wurde

dem entgegen-

durch die Rechtsprechung der Gerichte gerade ein

dem Einfluss des § 120 der kurl. B.-V. dem Gewohnheitsrecht und der Praxis entsprechend aufgestellt. Nach dem § 120 der kurl. B.-V. steht der unbeerbten Wittwe nach Abnahme des Eingebrachten ohne Rücksicht auf die Zahl der mit stehender Grundsatz unter als

Seitenverwandten

concurrirenden

ihr

ihres

Mannes zu

und

Da

ihrer Miterben.

somit

ein

Hälfte

die

des

Nachlasses

jedem

grösserer Erbantheil als

die Pachtrechte

nur auf eine Person

über-

tragen werden durften, so hatten die Gerichte nur die Möglichkeit alternativ entweder einem Seitenverwandten

Vorzug einzuräumen.

Die Gerichte haben

Vorrecht einräumen

müssen

zu

geglaubt,

oder der Wittwe den der

letzteren

nun das

weil die gesetzlich ge-

Wittwe vor den Seiten verwandten durch

wollte Bevorzugung der

um das ungetheilte Pachtrecht am Gesinde nur dadurch zum Ausdruck kommen könne, dass es ihr zugesprochen werde. Ferner hat man eine Unterstützung dieser den grösseren Erbantheil im Streite

Bevorzugung auch

noch

durch

an dem

seine

seine

Sorgfalt erhalten

anderen

das Vermögen des

darin gefunden, dass

Gesindes wirths nicht blos durch seine Ehefrau

wird,

sehr

Arbeit geschalten und blos an dem einen wie

sondern

wirksamen

und gelegentlich

einen noch wirksameren Antheil als er selbst hat und seine Nachlassenschaft daher das Product nicht nur seiner, sondern auch ihrer

Arbeit und Umsicht

so

ist,

dass

deren Frucht

der Seitenverwandte zu gemessen bekäme, weijn

zugesprochen

Dieser

Billigkeitsgrund,

gewiss

wiegend, dürfte aber nicht Ausschlag gebend sein, da sonst noch vorgebrachten

Ganz regelmässig wird bis

sie,

sondern

ihm das Gesinde

(Aus den Motiven einer Entscheidung des

würde.

Oberhofgerichts).

nicht

Gründe durchaus nicht

in

sehr

schwer

die übrigen

stichhaltig

sind.

den Urtheilen der kurländischen Gerichte

auf die neueste Zeit Bezug genommen auf die Verordnung des

vom Jahre 1837 als Basis des noch gegenwärtig herrschenden und als Wiedergabe des früher existirt habenden

temporären Conseils Gewohnheitsrechts. schon aus dem geht, dass

Es

früher

ist

nun durchaus

unrichtig, wie es ja

angeführten Artikel

durch dieselbe

der

auch

der Vorschrift hervor-

eingeheirateten

unbeerbten Wittwe

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

163

irgend welche Vorrechte bei der Besetzung der Gesinde eingeräumt

worden sind, vieiraehr

ist

schaft auf den Besitz

des Gesindes

gerade im Gegentheil

jede Anwart-

ihr

genommen

Das Erwar

worden.

halten des Gesindes im Besitz der eingesessenen Familie, das

der Grundsatz, von welchem die Praxis

hindurch nicht abgewichen

ein

Will man

ist.

ganzes Menscheualter

von

also

einem durch

Praxis herausgebildeten Gewohnheitsrecht sprechen,

die

dürfte

so

dasselbe gerade zu einem der gegenwärtigen Rechtsprechung zuwider-

laufenden Resultat führen.

Die im § 120 der kurl. Bauerverordnung

ausgesprochene Bevorzugung der Wittwe vor den Seitenverwandten thut auch keineswegs der Richtigkeit der früheren Praxis Abbruch,

am

denn diese lässt sich

besten gerade dadurch erklären, dass, weil

Wittwe keine Anwartschaft auf den Gesindesbesitz zustand, ihr ein grösserer Antheil aus der Nachlassmasse des Ehemannes zukommen sollte. Nach menschlichen Begriffen von der Billigkeit f Wer viel hat, dem soll lässt sich der Satz nicht vereinbaren Es lässt sich nicht verhehlen, dass noch mehr gegeben werden.» die jüngere Praxis den eingefahrenen Weg, nach welchem das Geder



,

sinde möglichst ein und derselben Familie zu erhalten

Ob

hat.

entspricht, sich

die

Weg dem

der neue

aber

muss dahingestellt

bleiben.

im Hinblick auf

die

verlassen

sei,

des Volkes mehr

Rechtsbewusstsein

Leise Zweifel darüber werden

unendliche Zahl Processe, welche

Belassung der unbeerbten Wittwe im Besitz des Gesindes hervor-

gerufen, bei

manchem

regen.

Durch den mit Beginn kauf

dieses Jahres in Scene gesetzten Aus-

werden vermuthlich

Gesinde

der

noch gar nicht ihr Ende erreichen

die

Reclamationsprocesse

Namentlich dürfte wol für die

erste Zeit zu befürchten stehen, dass viele Bauern, durch

die

Ge-

ringfügigkeit des behufs Auslösung festgesetzten Preises angelockt,

aus nichtigen Gründen die Rechtmässigkeit des Besitzes anzustreiten

Die Bedeutung

versuchen werden.

jedoch nach dieser Richtung hin so sehen, als die

bekannt wirklich

ist

Form

des neuen Gesetzes in

der neuen Auskaufscontracte

und es zur Zeit noch sehr fraglich

ein

ganz

unbeschränktes Eigenthum

wird oder ob nicht die Dispositionsbefugnis

Bezug auf

die

Vererbung

noch gar

ist,

sich

nicht

ob den Bauern

überlassen

werden

der Bauern über ihre

Gesinde, so lange dieselben noch nicht vollständig in

lässt

lange nicht vollständig über-

und Veräusserung

ausgelöst

sind,

wesentlichen Be-

schränkungen unterworfen werden wird.

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Agrargesetzgebung für die baltischen Kronüomänen.

164

Weuden wir uns nun wieder den Arbeiten Dieselbe hatte in Estland

zu.

3,

Livland

in

der Regulirung

mit Oesel 125

und

Kurland 174 Krongüter zu reguliren. Mit Estland wurde begonnen und die Resultate der Regulirung im Jahre 1871 bestätigt, in

dann folgte Livland und endlich Kurland. Die in diesen Provinzen erzielten Regulirungsresultate wurden im Jahre 1874 und resp. 1881

Nach erfolgter Bestätigung der Regulirung sollte sofort zum Verkauf geschritten werden, in Estland beganu man mit dem Verkauf im Jahre 1873 und setzte denselben bis zum Jahre 1885

bestätigt.

In diesem Zeiträume

fort.

verkauft 404 einzelne Bauer-

werden

grundstücke, enthaltend 5103 Dess., der jährliche Zins hatte 4367 Rbl.

32 Kop., der Kaufpreis 109183 Rbl. betragen. In Livland begann man mit dem Verkauf 1875 und wurden bis zum Schluss des vorigen Jahres verkauft 3230 einzelne Bauerlandstücke mit einem Flächenraum von 121017 Dess. Der Kaufpreis betrug 3298079 Rbl., während der Zins 131946 Rbl. 64 Kop. betragen hatte. In Kurland

ist

auf Grundlage des Gesetzes vom Jahre 1869

Wie kommt

überhaupt gar kein Gesinde zum Verkauf gekommen. es,

der

muss man

sich

reichsten

der

fragen, drei

dass

vom Jahre 1869 ab

zum Eigenthum erworben worden Gesinde

und endlich

Gesinde

in

sind ? viel

Man

in Estland,

das Eigenthum

der

in

kein einziges

Provinzen, ist,

der

dagegen

in

Livland

Kurland,

Gesinde »/,

aller

ärmsteu Provinz, fast alle

Bauerbevölkerung

übergegangen

hat sich diese Frage häufig genug vorgelegt und, ohne

zu überlegen, einfach dieselbe dahin beantwortet, es muss wol

Bauern daran schuld sein. Wollte man von einer zurück auf die Bevölkerung der Provinzen schliessen, so würde man zu dem traurigen Resultat kommen, dass es in ganz Kurland nur indolente Gesindeswirthe giebt, während doch eine grosse Anzahl kurländischer Advocaten wiederholt Gesuche behufs Verkaufs der Gesinde für Gesindeswirthe angefertigt haben, ja sogar eine grössere Anzahl von Gesindeswirthen sich

die Indolenz der

solchen

Erklärung

zusammengethan und einen Advocaten damit betraut

hatte,

den Verkauf

Es reimt

der Gesinde

an

sie

zu

erzwingen.

schwerlich ein solches Vorgehen der Bauern mit

worfenen Indolenz, wir werden daher auch

sich

der ihnen vorge-

den Grund, warum in

den letzten 18 Jahren in Kurland kein Gesinde

ganz wo anders suchen müssen.

klagend

verkauft worden,

Nach dem Gesetz vom

10.

März

1869 konnte vor Bestätigung der Regulirung an den Gesinde verkauf

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Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

165

Diese erfolgte für Kurland im Jahre 1881 und hätte nun allerdings zum Verkauf geschritten werden müssen, allein es stellten sich demselben ungeahnte überhaupt gar nicht gedacht werden.

erst

Schwierigkeiten In

führten.

welche

entgegen,

erster

einem Verkaufsinhibitorium

zu

kam

Linie

hierbei

dass

Betracht,

in

'die

Regulirungscommission ihre Arbeiten auf einer nicht unerheblichen

Anzahl von Gütern nicht hatte abschliessen können, und zweitens, dass die Frage, ob das zu den Bauergesinden gehörige eiserne In-

ventar besonders

werden

ausgekauft

solle,

ob dasselbe bei

oder

der Schätzung der Gesinde gar nicht in Rechnung zu

unbeantwortet geblieben.

Die letztere Frage

stellen sei,

wie als bekannt

ist,

vorausgesetzt werden kann, erst iu der ersten Hälfte vorigen Jahres

dahin entschieden, dass, obzwar das Eigenthum

am

eisernen Inventar

der hohen Krone zustehe, dasselbe dennoch den Bauern beim Ver-

kauf der Gesinde nicht

in

der Regulirung

sichtlich

Anrechnung gebracht werden zu bemerken,

ist

dass

solle.

dieselbe

Hin-

bis

zu

dieser Stunde ihre Arbeiten in Kurland noch nicht beendet hat.

Wesentlich anders

liegt die

Sache

Hier

in Livland.

ist aller-

den Bauern allein die Schuld zuzumessen, mit dem Ankauf

dings

Die Gründe, welche diese Bauern

der Gesinde gezögert zu haben.

vom Kauf abgehalten werden,

sie

Es

sind

haben,

gewiss

in

sollen

hier

nicht

jeder Gemeinde

weiter

erörtert

sehr verschieden ge-

unschwer anwürde aber wenig gedient sein denn es wäre in mancher Beziehung doch nur ein unzutreffendes Bild unserer bäuerwesen.

lassen sich allgemeine Abhaltungsgründe

fuhren, damit

;

lichen Verhältnisse gezeigt worden.

Das Gesetz vom

10.

März 1869

enthielt

neben

der

Fest-

setzung der Gesammtsumme des für jedes Gouvernement von den

Bauergrundstücken zu

erhebenden Zinses noch

die

Bestimmung,

dass derselbe während der folgenden 20 Jahre keiner Veränderung

und 1.

Januar

Zins

Ablauf dieser Frist nicht anders als auf gesetzunterworfen werden dürfe. Durch das am Kraft getretene Gesetz ist allerdings der bisherige

selbst nach

geberischem iu

Wege

keiner Veränderung

vom Bauern bestimmten

jährlich

zu

Procentsatzes

unterworfen leistende

nicht

worden,

wol

aber

ist die

Zahlung durch Zuschlag eines

unerheblich

gesteigert

worden.

Bauer von nun an Eigenthümer des von ihm besessenen Grundstückes werden und der Zuschlag zum Zins nur zur Tilgung des Kaufpreises dienen, allein dieser Eigenthumserwerb ist kein freiwilliger, sondern ein erzwungener. Der Bauer Freilich soll der

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Agrargesetzgebung

166

für die baltischen

Krondomänen.

kann nicht mehr einen zum Kauf geeigneten Zeitpunkt abwarten,

Da

sondern muss kaufen.

das durch die Reguliruugsacte von dem

ßauern erworbene dingliche Recht demselben

weitgehendes

ein

Nutzungseigentbum gewährt, welches mit dem vollen Eigenthum zu vertauschen ihm unter Umständen gar nicht einmal wünscheuswerth zu erscheinen braucht, so dürfte von manchem diese Zwangs"

verwandlung des Nutzungseigenthums in volles Eigenthum lediglich als eine Beschränkung seiner bisherigen Rechte und als eine unliebsame Zinserhöhung angesehen werden, von der er sich für Person

seine

gar

selbst

keinen Nutzen,

nur

sondern

für

seine

lachenden Erben versprechen kann. bis zum i. Januar d. J. Kurland auf 174 Gütern 6425 grosse alte Gesinde, 383 kleine neu gebildete Gesinde, 6206 grössere Häuslereien nnd Gartenwirtschaften, 280 kleinere; in Summa: 13294 WirtschaftsEndlich 12949 an verabschiedete Untermilitärs vertheilte einheiten.

Unverkauft blieben in

I.

:

Landstücke 1

sammen

Die

.

an Impedimenten brauchbares landstücke

Dessätinenzahl

dieser

aller

Ländereien

brauchbarem Laude

371516,,, an

beträgt

und

zu-

15787,,*

davon entfallen auf Gemeindeland 1224,™ Dess.

;

Land und 837, t» Dess. Impedimente, auf Soldaten1485,t, Dess. brauchbares Land und 69,,» Dess. Im-

pedimente, auf nicht im Bauerbesitz befindliche Ländereien 4533, 0 i

Land und

Dess. brauchbares II.

In

Livland

199.,o Dess.

Lostreiberansiedelungen und 1043 vertheilte Landstücke.

:

9853

Gesinde

und

an verabschiedete Untermilitärs

Die Dessätiuenzahl aller dieser Ländereien

zusammen beträgt 194555.,, an Impedimenten;

Impedimente.

Krongütern

125

auf

auf die

an

brauchbarem Lande und 16493,,,

Gesinde

und

Lostreiberansiedelungen

Land und 14230.» Dess. Impedimente. Im Besitz von nicht zum Bauerstande gehörigen Personen befinden sich 764,,, Dess. brauchbares Land und 48,,,

entfallen

187406,,, Dess.

Dess. Impedimente,

Land und

im

brauchbares

Gemeindebesitz 4779,,, Dess. brauchbares

2155,,, Dess. Impedimente, im Besitz der verabschiedeten

Untermilitärs

Dess.

1530,,,

brauchbares

Land und

58,,,

Dess.

Impedimente. *

eine

Mit

nicht

dieser Zahl Bchliesst das

Jahr 1886 ah

;

wiederum stattgefunden und Zuwachs Ein an Gesinden mittlerweile hat

unbedeutende Landvertheilung an Untermilitärs

stehen noch weitere Landvertheilungen in Aussicht.

und Gartenwirtschaften

ist

auch

Kegulirung noch nicht beendigt

ist.

nicht

ausgeschlossen, da

auf 36 Gütern die

Agrargesetzgebung In Estland

III.

Krondoraänen.

für die baltischen

sind

unverkauft geblieben auf dem

allein

Gute Taibel 5 Gesinde mit zusammen 7 Dess. Gemeindelandstück mit zusammen

ein

Mit

Ausschluss der im

theilten,

Bauerstaude durch

vom

12.

(!),

im

und

Untermilitärs

von

Besitz

für

ver-

zum

nicht

wird

Landereien

befindlichen

Juni 1886

2 Soldaten- und

Dess.

19,i 0

verabschiedete

Personen

gehörigen

Gesetz

das

an

der

Gemeindebesitz

167

im

alle

der

Besitz

Bauern befindlichen Gesindestellen, Lostreiberansiedelungen, Häusund Gartenbau wirthschaften,

lereien

Bauerland belegen verwandelt.

Durch dasselbe Gesetz

auskaufszahlung 10.

einerlei

,

welche

an

März 1869 normirten

Stelle

auf üof- oder

sie

die

ist

Gesammtvom

jährliche

durch

des

das Gesetz

Zinses von nun

gesetzt. Dieselbe sollte für Estland

an zu treten hat, fest54 Rbl., für Livland 251777 Rbl.

und für Kurland 795696 Rbl. betragen. träglich jedoch verändert worden und

um

ob

Zins in eine jährliche Auskaufszahlung

sind, der

Diese

Summen

sind nach-

zwar sind dieselben

für

Kur-

und Livland nach Massgabe der inzwischen noch nach den Kaufbedingungen sie vom Jahre 1869 stattgehabten Verkäufen verringert worden land

einige Procente

vergrössert, dagegen

für Est-

;

228511 Rbl. und für Kurland 796606 Rbl. 40 Kop. Die Auskaufssumme wird im Verhältnis zu der Regulirungsschätzung unter alle zum Auskauf gebetragen

für Estland

17 Rbl., für Livland

Wirtuschaftseinheiten

stellte

im Gouvernement

repartirt

und

ist

von jedem zum Auskauf Verpflichteten 44 Jahre hindurch, mithin bis zum 1. Januar 1931 zu zahlen, es sei denn, dass derselbe den durch Capitalisirung der Auskaufssummen zu 5 pCt. gewonnenen Betrag auf einmal oder in Raten auszuzahlen wünscht. Die für jedes Gouvernement festgesetzte jährliche Auskaufssumme setzt

sich

zusammen aus der Gesammtsumme

des

jährlichen Zinses mit

einem Zuschlag von 36,» pCt. desselben für Estland, von 37 pCt. für Liv- und 38 pCt. für Kurland. Das Auskaufscapital beträgt

demnach

für den Fall, dass der

Bauer

sein

Grundstück sofort mit

einem Mal auszukaufen wünscht, für jeden Rbl. Zins v

in

Estland

L,,

M

Rbl.

X 20 = X 20 = X 20 =

:

27 Rbl. 32 Kop. Capital,

« < 40 < < 60 dagegen hat der Bauer während der 44 Jahre im ganzen an Capital und Zins baar zu zahlen in Estland 59 Rbl. 84 Kop., in Livland 60 Rbl. 28 Kop. und in Kurland 60 Rbl. 72 Kop. Stellen wir diesen Capitalisations- und Amortisationsmodus demjenigen vom


Agrargesetzgebung für die baltischen Krondomänen.

168

Jahre 1869 gegenüber, so

zeigt

dass

sich,

der Bauer,

sollte

er

nach dem neuen Gesetz die Auskaufssumme sofort erlegen wollen, ungleich theurer kauft als nach

musste 1

in

dem

drei Provinzen

allen

Rbl. nur 25 Rbl. Oapital

gezahlt

der Bauer noch dadurch, dass ihm,

Nach diesem

früheren Gesetz.

bei

Zinszahlung

jährlicher

Ueberdies

werden.

falls

von

gewann

er den Kaufpreis in Staats-

zum Nomiualwerth angerechnet wurden, während dieselben nach dem jüngsten Gesetz ihm nach dem vom Finanzminister festgesetzten Courswerth in Rechnung gestellt

papieren bezahlte, diese ihm

werden

sollen.

Die Auskaufssumme, auf 44 Jahre

vertheilt, stellt

dem neuen Gesetz dagegen bei weitem niedriger als nach dem Gesetz vom Jahre 1869; denu nach letzterem betrug der jährliche Zuschlag zum Zins 37,, pCt. während 49 Jahre.

sich

nach

Hatte also ein Bauer

1

Rbl. Arrende

49 Jahre lang

sich frei zu kaufen,

1

gezahlt, so musste er,

um

Rbl. 37,» Kop. jährlich, mit-

hin im ganzen baar 65 Rbl. 37,» Kop. bezahlen.

Vom Bauern ob

er

werden

auf Grund will,

soll keine

Erklärung darüber abverlangt werden, vom 12. Juni 1886 Eigenthümer

des Gesetzes

oder nicht

;

jeder dazu Berechtigte erwirbt daher auch

stillschweigend durch Fortsetzung des Besitzes

dem

das Eigenthum an

Januar dieses Es steht gegenwärtig aber zu hoffen, dass die Bauern, welchen man ursprünglich keine besonderen Documente auszureichen

seinem Gesinde kraft des Gesetzes

mit

ersten

Jahres.

beabsichtigte, nachträglich einseitige Eigenthums- und Beletmungs-

acte erhalten werdeu, in welchen die Ueberlassung des Grundstücks

zum Eigenthum,

Angabe der Grenzen, der Zins- und Amortisaund Abgaben &c. zum Ausdruck kommt. Durch das Gesetz vom 12. Juni 1886 ist endlich das letzte unterscheidende Merkmal zwischen den Krön- und Privatbauern beseitigt, indem erstere in Bezug auf die von ihnen erhobenen Steuern und Abgaben den Privatbauern gleichgestellt worden sind, einmal die

tionsquote, der Lasten

hat die Kopfsteuer auch für die Kronbauern zu existiren aufgehört

und ferner ist die sog. Communalsteuer beseitigt worden. Die Domänenbauern hatten nämlich seit dem Jahre 1859 (Ukas vom 22. Dec. c6opi>),

der

1858) eine besondere Steuer zu entrichten (o Landgemeinde

in

veröffentlichen.

geschriebene

Biostatik der Stadt

«

den Jahren 1834—59». Dorpat 1861.

Nun

folgt eine weitere auf Schirrens

nämlich

Biostatik,

die

Veranlassung

von Ernst Kluge

t

Biostatik

der Stadt Reval und ihres Landkirchsprengels für die Jahre 1834 bis

1862».

Reval

Leider gelangte

1867.

Ge-

der

die Statistik

was um

storbenen in dieser Arbeit nicht

zur Veröffentlichung,

mehr zu bedauern

Klugesche Arbeit entschieden die

ist,

als

die

beste von den bisher erschienenen Biostatiken

Nachdem Schirren Dorpat

ist.

verlassen, trat

stand in den biostatischen Arbeiten

ein,

so

ein

bis endlich

längerer

Still-

im Anfang der

achtziger Jahre derartige Studien einen neuen Aufschwung nehmen.

Wie zuvor

Schirren, so wirkt in unsereu

anregend auf diesem Gebiete;

er

führen begonnen, ihm verdanken

Tagen

hat das

wir

Prof. Dr.

Werk

ganze Reihe

eine

statiken, die unter seiner Leitung geschrieben

Körber

Schirrens fortzu-

wurden.

von Bio-

Zunächst

erschien die Arbeit von Walter von Kieseritzky «Biostatik der im

Fellinschen Kreise gelegenen Kirchspiele Oberpahlen, Pillistfer und Kl.-St. Johannis in den

Jahren 1834—1880».

Dorpat 1882. Darvon Ottomar

auf folgte eine Fortsetzung der Hübnerschen Arbeit

Grosset «Biostatik

und ihrer Landgemeinde in Dorpat 1883. Grossets Schrift dürfte

der Stadt Dorpat

den Jahren 1860—1881».

wol die unbedeutendste sämmtlicher bisher erschienenen Biostatiken sein.

In demselben Jahre erschienen

von Erich Oehrn «Biostatik

dreier Landkirchspiele Livlands in den Jahren

1834—1881». Dorpat

1883, und von Ewald Kaspar «Biostatik der Stadt Libau und ihrer

Landgemeinde in den Jahreu 1834-1882». Dorpat 1883. Endwären noch die zuletzt veröffentlichten Arbeiten zu nennen, einmal die von Peter Haller «Biostatik der Stadt Narva nebst Vorstädten und Fabriken in den Jahren 1860—1885». Dorpat

lich

1886, und dann

die Fortsetzung der

Körberschen Arbeit von Chr.

Törne «Biostatik der im dörptschen Kreise gelegenen Kirchspiele Ringen, Randen, Nüggen und Kawelecht in den Jahren 1860 bis Ausser den genannten Schriften sind auch 1881». Dorpat 1886. noch Arbeiten erschienen, die

nur diesen

oder

jenen Theil

einer

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225

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

und meist nur wenige Jahre umfassen.

ßiostatik berücksichtigen

Vielfach

nun

ist

männischer

Seite

unseren



und selbst von

fach-

Werth abgesprochen mit Unrecht. Es muss allerdings

wissenschaftliche

wie ich glaube,

worden, doch,



Biostatiken

jeder

zugegeben werden, dass bei einem so wenig umfangreichen Material, wie es die Biostatiker aus den Kirchenbüchern sammeln, auf Auf-

deckung

neuer oder Bestätigung

schon

gefundener Gesetzmässig-

kaum zu rechnen

keiten

in bevölkerungsstatistischer Hinsicht

das

aber auch nicht der Hauptzweck jener Arbeiten geweseu

ist

sie sollten ja

eben in der Hauptsache nur

zu

das Material

ist ;

einer

baltischen Biostatik sammeln, und in dieser Beziehung müssen wir

ihnen entschieden einen, wenn auch nur relativen, Werth für unsere

Wissenschaft zuschreiben. Lässt sich nun auch allen unseren einheimischen Biostatikern

mit Recht der Vorwurf machen, dass ihre Untersuchungen kleines Beobachtungsfeld

umfassen, ein Misstand,

ein

zu

der es vielleicht

nie gestattet hätte, jenen Plan Schirrens zu verwirklichen, so gilt

dieses durchaus

zeichnung


erschienen

denselben Gegenstand umfasst.

ist,

im

nicht

unter der Be-

wesentlichen

aber

doch

Ich denke hier an die vorzügliche

Arbeit von N. Carlberg tDie Bewegung der Bevölkerung Livlands

Jahren 1873—1882»

in den

Auf

die

Vorzüge

(« Balt.

dieser Arbeit

Mouatsschrift»

den

XXXIII,

l, 2, 3).

bisherigen Biostatiken gegen-

über will ich hier nicht weiter eingehen, nur so viel

sei

kurz

er-

wähnt, dass Carlberg, da er seine Beobachtung über ganz Livland ausgedehnt, über ein bedeutendes Zahlenmaterial verfügt, das natür-

weit sicherere Schlüsse gestatten muss,

lich

Gebiet sich erstreckende Arbeit

wo

die erforderlichen

bestimmten sind,

wie

Daten

Gesichtspunkten

in

als

ein

Eine derartige, über

büchern gesammeltes Material.

ist

gegliedert in

ein grösseres

aber natürlich nur dort möglich,

für eine Reihe

unseren Provinzen

aus Kirchen-

von Jahren schon nach

und

geordnet

den Bureaux

vorhanden

der statistischen

Comites.

Auch das zur vorstehenden Arbeit benutzte Material officiellen

nommen«,

Acten eines solchen Bureau

und



des estläudischen

ist

den



ent-

möchte ich hier einige Worte zur Kritik dieses

Es ist mir eine angenehme PHicht, dem Secretär dieses Bnreau Herrn Jordan auch an dieser Stelle meinen Dank für die mir freundlichst gestattete 1

Benutzung des erwähnten

Materiiils aussprechen

zu

diirfeu.

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226

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

Materials

hinzufügen.

Das

für

Jahre 1860—84 auf die Be-

die

im Comite gesammelte

völkerungsverhältnisse sich beziehende und

Material besitzt nicht für den ganzen uns interessirenden Zeitraum

und können wir bezüg-

dieselbe Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit

dem Vorgänge

nach

lich desselben

.Jordans 1 drei Perioden

Die erste Periode reicht von 1860—1865

scheiden.

wurde das Material

sechs Jahren

regierung gesammelt und zwar

in

direct

incl.

;

unter-

in diesen

von der Gouvernements-

der Weise, dass die lutherischen

dem Consistorium und

Prediger Auszüge aus den Kirchenbüchern

wiederum die betreffenden Tabellen über die Geborenen, Getrauten und Gestorbenen der Gouvemementsregierung vorstellte.

dieses

Ebenso gingen den

Auszüge der griechischen Geistlichkeit durch

die

Blagotschinny

stellte

an

Gouvernementsregierung.

die

Derselben

auch der katholische Priester die Ergebnisse der Bevölkerungs-

bewegung

in seiner

bezüglich der

Gemeinde

vor, desgleichen die Polizeiverwaltung

Bewegung der jüdischen und

die Militärverwaltung

An

der muhamedanischen Bevölkerung.

bezüglich

stehen nun die Tabellen

der

Zuverlässigkeit

griechischen Geistlichkeit

bedeutend

denen der lutherischen und wol auch denen des katholischen Priesters

wie denn überhaupt

nach,

Periode nicht durchgängig

das Zahlenmaterial zu

aus

ersten

dieser

biostatischen Arbeiten geeignet er-

zwar besonders durch die häutig mangelhafte GliedeSo werden in den ersten Jahren dieser Periode

scheint und

rung der Tabellen.

die Todtgeboreuen nie getrennt augegeben

dings getrennt, aber

Landgemeinden.

zum

;

in

den späteren

Todtgeborene griechischer Confession

diese Zeit überhaupt.

aller-

Theil nur summarisch für die Stadt- und fehlen

für

Das Alter der Gestorbenen wird nur nach

Jahrfünfen angegeben, die Eheschliessungen auch

nur summarisch

dem Oivilstande der Eheschliessenden die Vertheilung der Geburten, Sterbefälle und Heiraten nach Monaten fehlt gänzlich. Einige dieser Lücken Hessen sich allerdings durch Benutzung anderer Acten beseitigen, wo dies jedoch nicht möglich war, konnte ich meine Untersuchung erst mit dem Jahre 1866

ohne Gliederung nach

beginnen.



;

Anders wird es nun

der zweiten Periode, nachdem

in

das statistische Gönnte" ins Leben getreten.

umfasst neun Jahre (1866

— 74

incl.).

Diese

In Folge

zweite Periode einer Verfügung

des statistischen Centralcomite werden jetzt weiter gehende Gliede-

1

Jordan, ITehor die Kbi-srhlieHsnugcn

(1854-1877

incl.).

«Balt,

Wochenwhr.i

in

Estland im Verlauft' von 24 Jahren

Nr. 18, 19, 20.

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227

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

rungen vorgenommen, wie

z.

Die Tabellen

der Heiratenden.

dann

B. die nach Monaten,

Gestorbenen

der

den

bei

dem Civilstande und Alter

nach

Eheschliessungen die Gliederung

gestatten

jetzt

weitgehende Untersuchungen und eine genaue Berücksichtigung der Kindersterblichkeit. Auch die Todtgeborenen werden getrennt nach dem Legitimitätsverhältnis angegeben, wenigstens bei den Protestanten. Die Sammlung der Daten geschieht in ähnlicher Weise wie früher, nur dass die Auszüge aus den Kirchenbüchern in Tabellenform von den Predigern direct dem Bureau zugestellt

werden.

— Die

dritte Periode beginnt

Das auf

Arbeit 10 Jahre. ein vorzügliches,

indem

seit

1875 und umfasst

1875 die

in unserer

bezügliche Material

diese Periode

officielle Statistik in

ist

unserer

Provinz allen Ansprüchen der Wissenschaft gerecht geworden

ist.

Durch Beschluss des estländischen statistischen Comite war nämlich in dem genannten Jahre die Zählkartenmethode eingeführt, wodurch es möglich wurde, die früheren Mängel zu beseitigen und zugleich Daten zu sammeln, die von hohem wissenschaftlichen und praktischen Werth sind. Auf einen Misstand muss ich jedoch

zum Schluss noch wie

Ziffern,

z.

Die Berechnung einzelner Verhältnis-

hinweisen.

B. der Geburtenfrequenz, der Sterblichkeitsziffer und

der Heiratsfrequenz,

uns besonders

ist

zu betrachtenden Jahre durch

die

völkerungszahl fast unmöglich gemacht.

Zahlen

für

,



Jahre

sämmtliche

und dieses

gilt

der Be-

Ich habe allerdings nach

die Einwohnerzahl,

den Acten des Bureau ordnet

für die ersten der von uns

mangelhafte Kenntnis

festgestellt,

nach Confessionen ge-

können

jedoch

namentlich für die ersten Jahre



diese

keinen

Anspruch auf Genauigkeit erheben, sie beruhen nämlich für die Jahre 1800—66 auf den unzuverlässigen Angaben der Polizeiorgane und können daher für unsere Zwecke durchaus keinen Werth haben.

Von 1867 -81 berechnete das statistische Bureau Angaben nach dem Zuwachs oder Ausfall

früheren

die Bevölkerungsgrösse,

zuverlässigeren Daten

und haben zu

thun.

wir es Eine

hier

auf

Grund der Jahr

für jedes

somit

mit

genaue Kenutnis

etwas

der

Be-

völkerungszahl des gesammten Landes besitzen wir erst seit 1881,

am

indem

29.

December des genannten Jahres eine allgemeine VolksFür die einzelnen Städte und ein

zählung vorgenommen wurde'.

'

P. Jordan,

Der», Die

Ergebnis

Resultate

der

der baltischeu Volkszählung.

estlKndiachen

Volkszählung

am

Reval 18b3— 86. 29.

December

-

1881.

Reval 1886.

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228

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

kleines Landgebiet

haben wir auch schon aus früheren Jahren Daten über die Einwohnerzahl, indem hier schon früher Zählungen stattfanden so eine Volkszählung 1 am 6. December 1866 auf den Gütern Johannishoff und Laakt im Kirchspiele St. Jürgens in Harrien, am 3. November 1869 eine Zählung 1 in Wesenberg, am 16. November 1871 Volkszählungen' in fteval, Hapsal und Weissenstein und am 6. December 1874 Volkszählungen« in Wesenberg und Baltischport. sichere

:

Die Geburten. Die Geburtenfrequenz. In

den Jahren 1860—84 292203 Kinder geboren und zwar 149452 Knaben und 142751 Mädchen. Von diesen entfallen nun auf die Protestanten Griechen Katholiken Hebräer Muhamedaner 17. 282429 8170 827 760 Unter sämmtlichen Geborenen waren ehelich geboren 280636 und unehelich Geborene 11454. Auf dem Lande beträgt die Zahl der Geborenen 256356, in den Städten dagegen 35847, und zwar

sind in Estland überhaupt

nach Kreisen und Städten geordnet auf

entfielen

68880 86951 40134 60391

Harrien

Wierland Jerwen die

Wiek

29536 606

Reval Baltischport

Weseuberg Weissenstein

2643 1349

Hapsal

1713.

25 Jahren 7094 Mehrgeburten gab es 3615 mit 7278 Geborenen». Die Bedeutung, Todtgeboren

welche

der

grössere

oder

den

in

S.

geringere

Kinderreichthum

einer

Erster Band.

BeReval

85-106.

N. Dehio, Resultate der



der Kreisstadt Wesenberg

in

am

3.

November

Reval 1867.

1869 stattgefundeuen Volkszahlung.

am 16. Nov. und Weissenstein.

Jordan, Die Resultate der Volkszählung der Stadt Reval



Mit

1871.

erwähnten

Beitrüge zur Statistik des Gouvernements Estland.

1

1867.

wurden

einem

Anhange

über die

Zahlung

in

Hapsal

Reval 1874.

Die Volkszählung



vorhergebenden AVerk. 6

in

Wesenberg und

Baltisehport,

als

Nachtrag

zum

Reval 1874.

Wegen Raummangels

bin

ich

leider

gezwungen, auf eine Wiedergabe

der absoluten Zahlen meist zu verzichten und muss mich daher vorherrschend

Folgenden

auf die Verhältniszahlen

Gegentheil bemerkt rechnet

;

ich

ist,

beschränken.

Wo

nicht

im

ausdrücklich das

sind die Todtgeborenen überall in den Ziffern mit einge-

kann es nicht

richtig

finden,

wenn aus

vielen

Untersuchungen

unserer Biostatiken die Todtgeburten ausgeschlossen werden.

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229

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

Völkerungsgruppe für das

auch politischer Beziehung

gesammte Land sowol in socialer als hat, muss dazu führen, Mittel aufzu-

decken, durch welche sich jener Kinderreichthum

Ein solches Mittel finden

messen Hesse.

Ehen und dann

stellung der Fruchtbarkeit der

der Häufigkeit der Geburten



der Fest-

in

Bestimmung

in der

Unter der

der Geburtenfrequenz.

wir nun

haben

ehelichen Fruchtbarkeit

der Gesellschaft

wir einmal

durchschnittlich aus

die

Ehe während

jeder

ihrer ganzen Dauer hervorgegangene Kinderzahl während mit Geburtenfrequenz oder Geburtenziffer

zu verstehen,

das Verhältnis der jährlichen Geburtenzahl zur mittleren Bevölke-

Bei der Geburtenfrequenz werden

rung des Jahres bezeichnet wird.

wir weiter eine allgemeine von der speciellen unterscheiden müssen: die allgemeine Geburtenfrequenz giebt das Verhältnis der Geburten-

menge zur Gesammtbevölkerung an, die specielle dagegen erhalten wir, wenn wir das Verhältnis der Geburtenzahl zur gebärfähigen Daraus ergiebt sich, dass in weiblichen Bevölkerung feststellen. beiden Fällen eine genaue Kenntnis der Bevölkerungszahl erforder-

Diese besitzen wir, wie schon erwähnt, in der gewünschten

lich ist.

Genauigkeit nur für das Jahr 1881 früheren Jahre

Wenden wir uns zunächst 1871

1876

1881

36,»»

36,u

84,,,

3l„.

auf dem Lande

36,«3

36,ii

33,6i

31„»

den Städten

32,i«

30,,.

43,oi

30,,,

Estland

.

.

Mit Ausnahme eines Jahres auf dem Laude eine grössere als unserer Nachbarprovinz

1

die

städtischen übertroffen wird.

dem Lande constatiren

lässt ;

sich

hier

dasselbe findet

Geburtenziffer wie

ist

in

also

die Geburtenfrequenz

den

Städten,

Sowol eine

in

den Städten

Abnahme

auch Carlberg»

Für Russland berechnet

Livland, das

in



1

indem er

1

Carlberg,



Hanshofer, Lehr- und Handbuch der Statistik.

a. a.

O. S. 48.

Der»,

a. a.

wie auch auf

der Geburtenfrequenz

Vergleichen

Estland aufweist.

schnitt derselben eine gleich hohe Ziffer,

beträgt.

während in von der

ländliche Geburtenfrequenz

Estland mit den europäischen Staaten, so ergiebt

-

können

der allgemeinen Geburten-

1867

in

30,,»

so

habe,

1000 Einwohner Geborene)

zu, so beträgt dieselbe (auf

in

ähnliche

auch für einige der

Wahrheit ziemlich nahe

nichts desto weniger werden sie der

;

kommen. frequenz

ich

berechnet

natürlich keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit

diese Ziffern

erheben

wenn

;

die Geburtenfrequenz

sich

sie

die

eine

wir

im Durch-

nach Haushofer*

Geburtenfrequenz

0. 8. 46. 2. Aufl.

Wien

1882. S. 130.

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230

Beitrüge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

mit 49,!

Doch

Bracheiii 1 sogar mit 50.

,

dürfte bei dieser Berechnung

die Bevölkerungszahl Russlands etwas zu niedrig veranschlagt sein,

was um

so eher möglich

Russlands nicht mit mit 100 Mill

z.

also

— sondern

wie meist geschieht

kommen, und würde die Geburtenfrequenz in für das Jahr 1880 (3678071 Geburten)' 36,« bedeutend näher dem europäischen Durchschnitt ß.

der allgemeinen Geburtenfrequenz

der Gesammtbevölkerung genügt,

Zahl

specielle

-

wir Ziffern, die der Wirklichkeit

Während zur Ermittelung

stehen. die

Mill.

erhalten

in

Bevölkerung

die

näher

entschieden

diesem Falle betragen,

genauen Angaben

wir keine

Nehmen wir dagegen

75—80

so

an,

als

ist,

Beziehung besitzen.

dieser

Geburtenfrequenz

berechnen

müssen können,

zu

um

wir,

Zahl

die

die

der

gebärfähigen weiblichen Bevölkerung kennen, was uns, da das Ver*

hältnis dieser zur

Gesammtbevölkerung kein constantes

ist,

nur für

Jahre mit Volkszählungen möglich wird. Offenbar haben wir dann auch einen exacteren Ausdruck gefunden, als ihn uns die alldie

gemeine Geburten frequenz

vermag.

zu bieten

Es muss

sich

nuu

Frage aulwerfen, welche weiblichen Personen wir als zur gebärNach Maurice fähigen Bevölkerung gehörig anzusehen haben.

die

Block» erstreckt sich die Gebärfähigkeit vom 17.— 50. Lebensjahre,

nach Mayr*

vom 15.— 45., nach Rümelin» vom 18.— 40.

Jahre.

Ich

glaube für unsere Verhältnisse das 17. Jahr als Anfang der Gebärfähigkeit

annehmen

zu dürfen,

gewiss schon früher vorhanden

so

weise von jüngeren Müttern Kinder

Zeugungsfähigkeit des Weibes

wenn diese Fähigkeit auch werden doch hier nur ausnahms-

denn

ist,

tritt

geboren. Das Aufhören der nun nach Hyrtl« vor dem 50.

und werde ich daher nicht fehlgreifen, wenn ich die im 17—45 Jahren stehenden Frauen als zu den gebärfähigen gehörig betrachte, und zwar sowol bei Berechnung der ehe-

Jahre

ein,

Alter

von

der unehelichen speciellen Geburtenfrequenz. Es kamen nun im Jahre 1881 auf 1000 gebärfähige Frauen Geborene: in Estland auf dem Lande in den Städten

lichen als auch

146. 9l)

I45,a. '

Brachem, Die Staaten Europas.

»

üothaer Almanacli.

Handbuch der 1879.

Jahrg. 1884.

Aufl.

Brünn 1884.

S. 53.

S. 918.

Statistik,

deutsche Ausgabe

Die (SeHctzuiassigkeit im

(JeHellschaftHlebeii.

von H.

v.

Scheel.

Leipzig

S. 257. 4

mie.

136,,,. 4.

München 1877. S. 244. Sehonhergs Handbuch der politischen Ökono-

* Die Bevolkerungslehre in Tübingen 1882. Bd. I, S. 1218. * Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen.

5.

Aufl.

Wien

1857. S. 570.

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231

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

Wie hieraus ersichtlich, erreicht die Geburtenhäufigkeit auf dem Lande eine bedeutendere Höhe als in den Städten. Ob hier der

der Wohnorte

Unterschied

oder

der

Berufs

des

diese Ver-

schiedenheit bewirkt, lässt sich nicht bestimmen und ist auch durch

anderweitige Untersuchungen

Wappäus»

B. findet

z.

auch solche mit

endgiltig

nicht

sowol Staaten mit

worden.

festgestellt

höherer

ländlicher, als

höherer städtischer Geburtenfrequenz, und scheint

sich somit das Verhältnis zwischen

ländlicher und städtischer Ge-

Grosse Schwan-

burtenziffer unter keine Regel bringen zu lassen.

kungen bezüglich dieser

Ziffer ergeben sich für die einzelnen Kreise

wohl aber für die Städte, und lässt sich hier ein Anwachsen

nicht,

indem

Zahl

in

Reval von 128, u im Jahre 1871 auf 135, 0 t im Jahre 1881 und Wesenberg von 96,, i (1869) auf 162,7 9 (188 ) gestiegen ist.

in

der

Geburten frequenz eonstatiren,

speciellen

diese

1

Betrachten

wir jetzt

specielle

die

eheliche

und uneheliche

Geburtenfrequenz getrennt, so finden wir, dass im .Fahre 1881 geboren wurden auf 1000 gebärfähige verheiratete Frauen

Estland

Wie frequenz

Land

257,«

11

257,.,

II*».

den Städten

auch hier

dass

uneheliche Geburten-

die

Zugleich

ist.

bei

.,,

auf dem Lande, wenngleich

grösser als

der Unterschied kein bedeutender

den angeführten Ziffern,

:

ll,i 8

Stadt

überall, so ist also in

Frauen

ledige

:

257,3«

steigender

ergiebt

sich

aus

ehelicher Geburten-

frequenz die uneheliche fällt und umgekehrt, eine Erscheinung, die sich

auch bei den von Mayr» angeführten Ziffern beobachten

lässt.

Suchen wir jetzt die etwaigen Ursachen für die verschiedenen Geburtenziffern aufzudecken.

Behauptung

worden dass Landes und seiner HeiratsEinen zifferfrequenz ein gewisser Zusammenhang stattfände. mässigen Nachweis hat man jedoch für diese Behauptung, so viel Vielfach

zwischen

ist

die

der Geburtenfrequenz

ausgesprochen

,

eines

mir bekannt, nicht zu führen vermocht, wie denn auch die Ansichten

Wesen

dieses Zusammenhanges sich zum Theil geradezu während die einen behaupten, mit der Heiratsfrequenz steige auch die Geburten frequenz und umgekehrt, meinen die anderen, die Geburtenfrequenz stehe im umgekehrten Verhältnis

über das

widersprechen

1

»

:

Wappaus, All»?. 0, S 244.

KrvulkeruiiKrtHtrttistik,

18->9.

Th.

II.

S. 481.

a. a.

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232

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

Für Estland lasst sich ein derartiger innerer zur Heiratsfrequenz. Zusammenhang keineswegs nachweisen, und verzichte ich auch aus diesem Grunde auf die Anführung der betreffenden Ziffern. Wenn nun auch die Heiratsfrequenz keinen directen Einfluss auf die Geburteneinen anderen mass-

häufigkeit ausübt, so werden wir doch gleich

gebenden Factor kennen lernen, der zum Theil

dem kann

Heiratsalter Verschiedenheiten

es sind das confessionelle oder

;

Verbindung mit

in

der Geburtenzahl bewirken

in

wol richtiger nationale Ein-

Haushofer' sowol wie Rümelin» finden, dass sich die Völker-

flüsse.

slavischen Ursprunges

schaften

durch eine

auszeichnen, eine Behauptung, die stätigt

Es betrug

wird.

die

starke Geburtenziffer

durch

auch

unsere Ziffern be-

allgemeine Geburtenfrequenz

1881

bei den

Lutheranern

Griechen

Estland

3i, 7 ,

20,„,

Land

31, 7t

13,,,

Stadt

Sl*i

Juden

Katholiken

44,,,

22,,»





26,, 0 45,»,. 27,™ Geburtenfrequenz zeigen demnach die Juden,

Die stärkste

was mit den bisherigen Untersuchungen vollständig übereinstimmt; darauf folgen die Lutheraner,

d.

h.

Deutsche und Esten, dann die

Katholiken und endlich die Griechen. d. h.

Die städtischen Griechen,

die Rassen, weisen, wie ersichtlich, eine

Ziffer auf als die ländlichen, die

bedeutend

zum Theil Esten

sind.

grössere

Während

im Vorhergehenden die Behauptung ausgesprochen wurde, dass die Slaven eine besonders starke Geburtenfrequenz besitzen, haben wir hier gerade das Gegentheil gefunden, doch ist die niedrige Geburten-

der Griechen eben nur eine scheinbare, die durch den starken Männerüberschuss (actives Militär) unter den städtischen Russen

zifler

hervorgerufen wird.

Wir werden daher zu ganz anderen Ergeb-

nissen gelangen, sobald wir die specielle Geburtenfrequenz für die

verschiedenen Nationalitäten berechnen.

Es kamen nämlich

in

Reval 1881 auf 1000

gebärfähige Ehebei den

nicht in

d.

Ehe lebende

gebärfähige Frauen

frauen ehelich Geborene

unehelich Geborene

gebäifähige

Frauen Geborene überh.

Lutheranern

247,»,

6,,.

127.,*

Griechen

308,»«

47, 0 «

191,«

Katholiken

298,.»

12,„»

158,,,

Hebräern

308,,»

28,„

232,«.



a. a.

O. S. 183.

1

a. a.

0. S. 1219.

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Google

233

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands

Hieraus

geht deutlich

dass

hervor,

die

Slaven auch bei uns eine bedeutend grössere Nationalitäten, und nur von der der

ist,

Von

von Einflüssen des

Berufs,

litäten in derselben

der

anderen

Juden übertroffen wird. Welches

sind die Ursachen dieser Erscheinung?

wirtschaftlichen

müssen wir absehen, da

Fruchtbarkeit als bei den

klimatischen Einflüssen, des Wohnortes &c.

dann auch die übrigen Nationa-

alles dieses

Dagegen

Weise beeinflussen müsste.

Grund jener hohen Geburtenfrequenz

bei den Slaven

ist

der

der Sitte

in

des frühen Heiratens und der damit verbundenen starken Besetzung

gerade der fruchtbarsten Altersklassen der weiblichen Bevölkerung

Denn wie

zu suchen.

überall, so ist auch in Estland das mittlere

Heiratsalter der Russen dasselbe gilt

1881

auch

niedrigeres als

ein

den Juden

von

1000 verheiratete Frauen

auf

das der Lutheraner

So kommen

und Katholiken.

Jahren bei den

solche

im Alter

zu 30

bis

eheliche Geburtenfrequenz

Protestanten

293,,.

247,«,

Griechen

417,,.

308,..

Katholiken

436,,.

298,..

Juden

505,o.

308,i

4

.

.

Einen noch bedeutenderen Einfluss, als vielleicht confessionelle oder nationale Eigentümlichkeiten, üben

auf die Geburtenfrequenz

nisse

gleich hinzufügen

nur

meist

will,

wirtschaftliche Verhält-

eines Landes, allerdings, indirect

aus.

wie ich

Diesen Einfluss

ökonomischer Zustände erkannte schon Süssmilch, und weitere Unter-

suchungen konnten diese Behauptung nur

bestätigen.

Betrachten

Geborenen während einer längeren Periode, so sehen wir, dass sich diese Zahl nicht regellos von Jahr zu Jahr verändert, wir finden im Gegenteil zeitliche Uebereinahnen lassen, stimmungen, die uns wie Mayr« treffend sagt wir die

absolute Zahl

der





dass hier die primitivste

Form

pflanzung der Menschen

liegt.

werden die Schwankungen sein

einer Gesetzmässigkeit in der Fort-

Bei gleichbleibenden Verhältnissen einzelnen Jahren

den

in

nur geringe dann können wir den ökonomischen Zuständen zurück-

zeigen sich aber grössere Schwankungen,

;

diese meist auf

Aenderungen

gesagt, nicht

immer

nur indirect, indem frequenz,

'

in

Diese wirtschaftlichen Verhältnisse beeinflussen, wie schon

führen.

direct die sie

was auch Rümelin»

». n.

O. S.230.

Höhe der Geburtenzahl, sondern oa

zunächst die grössere oder geringere Heirats-

* a. n.

betont,


.

veranlassen, die

dann

ihrer.

S. 131».

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234

Beiträge zur Bevölkerungsstatistik Estlands.

Sinken oder Steigen. der Geburtenfrequenz zur Folge hat.

seits ein

Die günstige ökonomische Lage einer Bevölkerung gestattet einem grösseren Theile derselben zur Ehe zu

schreiten

Jahre schlechte,

sofort

wird

so

dieses

sich

folgen auf gute

;

in

sinkenden

einer

und dementsprechend eine

Heiratsfrequenz äussern und umgekehrt

Verminderung oder Vermehrung der Geburtenzahl bewirken. Aber blos durch eine Verminderung der Heiratszilfer wird die Geburtenhäufigkeit nach wirtschaftlich ungünstigen Jahren zurückgehen, Zeiten der Noth rufen auch an sich schon eine Abnahme der Kinderzeugung hervor. nicht

Es die

Typen solcher Ursachen

fragt sich nun. welches die

eine Zu- oder

folgenden Jahre der Geburten

und

bedingen

durch

geren

Massstab

Nahrungsmittel

bieten

uns

denn

ihre

,

auch auf Schwankungen Ich

Einen

sind

Mayr

im

1 ,

Durchschnittspreise,

Die die

an

meist

grössten

Preise

die

eines grossen

Roggenpreise

angeführten

zum

wichti-

weisen

einer Bevölkerung hin.

Folgenden

hier

ich

der

Preise

wichtigsten Nahrungsmittels

des

Bevölkerung.

der

Theiles

als

die

Schwankungen

im Wohlbefinden

wie

mich,

halte

des Roggens,

hier

die

sich

die

jeweiligen wirtschaftlichen Zustände charakterisiren lassen.

vorzüglichen

sind,

Abnahme der Eheschliessungen und etwa im

Theil

den An-

Für das Jahr 1879 Durchschnittspreise nach den monatlichen Angaben

gaben des Herrn Secretär Jordan verdanke. habe ich der

die

Börse»

revaler

Angaben des

und

die Jahre 1880—1884 nach den Bureau des revaler Börsencomite» über

für

statistischen

Die angeführten Preise dürften durchaus

den Export berechnet.



ausgenommen vielleicht das Jahr 1878, für welches ich keine sicheren Angaben erhalten konnte Anspruch auf Zuverlässigkeit



Im Folgenden

erheben.

führe

ich

in

der einen Reihe die Preise

des Roggens in Kopeken pro Tschetwert an

stehenden jedoch

so,

Reihe dass

die

absolute

neben

Zahl

der

in

und

in

der nebenan-

Estland

Geborenen,

dem Roggenpreise des einen Jahres

die Geburtenzahl des folgenden Jahres steht, denn, wie

stets

schon

er-

Schwankungen in den Getreidepreisen entsprechende Schwankungen in den Geburtenzahlen meist erst im wähnt,

werden

die

folgenden Jahre nach sich ziehen. 1

vom

a. a.

0. S. 1219.



"Revanche Zeitung». Jahrg. 187H.

*

Beiträge zur Statistik

hanilelsstatist.

Bureau

lies

7T

«

l,s.




wohnen

scheint, dass

Moses ganz besonderes Gewicht auf das Erkennen der Nervenlepra gelegt, der diagnostisch schwierigsten Form. Es ist möglich, dass diese Form auch die bei weitem häufigere war, wie solches jetzt ist, und wäre uns damit die Erklärung dafür Bestimmungen Mosis wiederholt der Reinigung, der Heilung vom Aussatz erwähnen. Denn wenn es auch bei beiden Formen des Aussatzes vorkommt, so ist es der Nervenlepra ganz besonders eigen, dass der Verlauf der Krankheit ein

in

Ostasien der Fall

gegeben,

dass

die

äusserst ausgedehnter sich über einen Zeitraum von 15—20 Jahren erstreckender sein kann. Es kommen dann Perioden von Jahres- und noch längerer Dauer vor, wo der Träger der Krankheit dem Laien ganz gesund erscheint, bis dann mit einem Schlage ,

oder allmählich die Erscheinungen wieder da sind, von denen sich der

Kranke

Vom gegen

die

befreit, geheilt glaubte.

Jahre GOO

Lepra

v.

Chr. an sehen wir die Perser Massregeln

ergreifen, welche sich inzwischen

asien und China verbreitet hatte.

nach der Ort Lepreon in

war der Sage

elischen Landschaft Triphylia

der

aussätzigen Ansiedlern gegründet worden der Aussatz

auch über Ostr

In Griechenland

;

seit

345

v.

Griechenland,

wie

Aristoteles bezeugt und genau beschrieben wird.

Im

jedoch

notorisch

in

von

Chr. herrscht solches

von

letzten Jahr-

hundert vor unserer Zeitrechnung hatte er Italien erreicht. Von ist er dann von den römischen Heeren an die Grenzen

hier aus

des Imperiums

und über

diese

verschleppt worden.

hinaus

Die

Reihenfolge der nun ergriffenen Gebiete Europas lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, etwa zwei Jahrhunderte nach Christi Geburt finden wir ihn bereits in der Lombardei, Spanien, Frankreich und

Deutschland.

Es

ist

den

vom

Kreuzzug heimkehrenden Pilgern und der Lepra zugeschrieben worden, jeWol ist mit den Kreuzzügen die Lepra-

ersten

Streitern die Einschleppung

doch fälschlicher Weise.

frage für die Menschen des Mittelalters stellt

in

ein

anderes Licht ge-

worden, die Abtrennung der Kranken von den Gesunden und

die Verpflegung der Unglücklichen in ein rationelleres Stadium ge-

treten

;

wol

mag auch

die

Verbreitung

der

Seuche

durch

die

Strömungen, welche die verschiedenen Gesellschaftsschichten unter einander mengte, durch die Schaaren von Pilgern und Kreuzfahrern wesentlich begünstigt worden sein, allein urkundlich beglaubigt

ist

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342

Die Lepra und ihre Gefahr für Riga.

der Leprosen

die Existenz

in Frankreich und Deutschland mehr Jahrtausend vor dem ersten Kreuzzuge. Während



als ein halbes

ursprünglich die aus der Gemeinschaft gestossenen Leprosen ausser-

halb der Stadtmauern

Heu

von Stroh oder

sich

aufhalten,

kleinen elenden Hütten

in

auf freiem Felde leben und ihr Leben als sog.



Hand erhalten raussten durch Bettelbrod und die Mildthfttigkeit guter Menschen, sehen wir nach den Kreuzzügen Städte und Fürsten sich bemühen, der Landescalamität Abhilfe zu schaffen durch Gründung von Siechenhäusern LeproseFeldsieche auf eigene





rien

und Concentriren

aller Aussätzigen

in

solchen Anstalten.

Den Anlass dazu mag gegeben haben, dass durch

die furchtbaren

Opfer, welche die Kreuzzüge an Menschenleben gefordert, für jedes einzelne

Gemeinwesen

Aufgabe

die

herantrat,

durch

energische

Massregeln die gelichteten Reihen seiner Angehörigen vor weiteren Verlusten zu schützen. ist

am

Orden

meisten in die



gefördert

Die praktische Lösung dieser Aufgabe worden durch das System, welches die Die im heiligen Lande im

Krankenpflege gebracht.

Dienst für die leidenden Brüder geschulten Hände waren mit dem

Aufgeben des heiligen Landes in

der Heimat das

Werk

in reichlicher

für welches sie herangebildet waren.

noch Feldsieche

Anzahl vorhanden, um

der Liebe und Barmherzigkeit zu fördern,

treffen, so ist

Verbreitung der Krankheit;

Wenn

wir trotzdem bis etwa 1400

das nur ein Beweis

der ungeheuren

die Leproserien genügten eben nicht,

Das Loos der armen Feldsiechen war in der so lange sie sich bewegen konnten, fanden denn Speise und Trank, sie wenigstens auskömmliche Nahrung auch Geld wurde ihnen oft so reichlich gespendet, dass einzelne

um

alle

That

zu fassen.

ein entsetzliches

;

;

Orte strenge Verordnungen gegen solche erlassen mussten, welche,

ohne lepros zu

sein, sich unter die

Siechen begaben,

um

mit ihnen

Aber wenn die Krankheit den armen Almosen einzusammeln. Feldsiechen aufs Lager warf, er, von Fieberschauern und Schmerzen geschüttelt, sein regenfeuchtes Strohlager

nicht verlassen

konnte,

dann war sein Schicksal nur dem Mitleid seiner Leidensgenossen anheimgestellt und der Aufopferungsfähigkeit edler Menschen, welche

Abscheu und Furcht vor Ansteckung überwanden und glücklichen

auf

Frauen sind

es,

ihrem

Schmerzenslager aufsuchten.

die Grosses

in

diese

Un-

Namentlich

solchem Samariterdienst

geleistet.

Legenden dieser zum grössten Theil heilig gesprochenen Frauen ihrem Wirken manches angehängt haben, was uns heute ein Lächeln auf unsere Lippen bringt, so darf das unsere

Mögen auch

die

.

Die Lepra und ihre Gefahr für Riga.

343



Bewunderung ihrer aufopfernden Nächstenliebe nicht schmälern. Der erste uns überlieferte Name ist die heilige Odilie. Als ein Leproser vor den Mauern des Klosters erschien, in dem sie gottgeweihten Dienstes half ihm

eine

und

pflog,

von ihm wandte, da

Strohhütte

Nähe

der

in

und verband seine Wunden

pflegte

und

sich scheu

alles

auf den Aermsten

eilte sie

voll Entsetzen

Klosters

des

war weit und

des 12. Jahrhunderts

immer weiter

in

Wol

mit Feldsiechen



Ihre guten Erfolge

be-

hatte

zu thun,

Leproserien Curen vollziehen, welche ihren

ausbreiteten.

zeichneten Pflege

heilige Hildegard

die

der Aussätzigen.

damals nicht mehr ausschliesslich

sie es

Die

— Zu Anfang

breit die Aebtissin des Klosters



kannt und verehrt als Wohlthäterin sondern konnte

ihn,

errichten,

an sein Lebensende.

bis

heilige Odilie lebte vor der Zeit Karls des Grossen.

auf dem Rupertsberge bei Bingen

umarmte

zu,

Ruf

der ausge-

sind

und der consequenten Anwendung von Bädern

zuzuschreiben, welche sie in ihren nachgelassenen Schriften so sehr betont sie

sie selbst sieht freilich

;

das Heilkräftige in einer Salbe, die

aus Hühner- und Gänsefett und Hühnerdünger bereitete.

Man

damit nur die Kranken recht tüchtig einreiben, dieses lange

sollte

fortsetzen und sie

würden genesen, wenn nicht der Tod

hin wegraffte, oder Gott sie überhaupt nicht heilen wolle,

sie früher

— fügt

sie

vorsichtigerweise hinzu.

Aus dem 13. Jahrhundert sind uns die Namen der heiligen Hedwig und ihrer Schwiegertochter, der Herzogin Anna in Schlesien, überliefert. 1234 gründet Hedwig bei Neumarkt ein Asyl für aussätzige Frauen, welches in den wenigen Jahren, welche Hedwig noch

lebte, eine grosse

Berühmtheit erlangte.

Die grösste Aufopferung

in der Pflege der

Leprosen hat ge-

wiss die heilige Elisabeth, die Landgräfin von Thüringen, bewiesen.

zu beklagen, dass der Einfluss eines Konrad

Es

ist

in

schwärmerische

warm

Excentricität

Frauenherz

ein

für alle Unglücklichen schlug,

von Marburg getrieben,

Ausweg

Conflicte gedrängt, aus denen es befriedigenden

funden.

Zu

berufen

gewesen wäre, noch lange zum

das

Gemüth

ein zartbesaitetes

in

nicht ge-

früh starb eine Frau, die unter anderen Verhältnissen

Segen

Kranken zu wirken,

in gesunder Thätigkeit

thaten

mit

fortzusetzen,

Grausig widerwärtig

ist,

denen

was

sie

BftltUcho MotwU.cluift. Bd.

Armen und der Wohl-

kurzes Leben

verschönt.

ihre Zeit ihr als hohes Verdienst ange-

rechnet, dass sie das Wasser, mit

gewaschen, einstmals

ihr

der

die Reihe

dem

getrunken habe, XXXIV, Heft

4.

sie die

um

ein

Füsse der Leprosen Gott wohlgefälliges 23

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344

Die Lepra und ihre Gefahr für Riga.

Werk

zu üben.

sie einen

Ob

Leprosen

sie

ihrem Gatten grosse Freude

sein Bett

in

gelegt, weiss

zu berichten, wol aber geschah das Wunder, dass

bereitet, als

Legende

die

nicht

nach einigen

sie

Stunden an Stelle des Kranken das Bild des gekreuzigten Heilands in dem Bette fand. Einstmals äusserte sie, ihr Herzenswunsch sei,

man möge

sie

wie

gemeinen Aussätzigen behandeln, ihr

die

wie diesen eine kleine Hütte von Heu und Stroh

bauen

die

Thür

die

Vorübergehenden ihr ein Almosen hineinwürfen.

Wunsch

hängen

ein Leintuch

der

und

einen Kasten

und vor

aufstellen, dass

Wenn

dieser

frommen Landgräfin unausgeführt geblieben, so hat

Ulrich von Lichtenstein es möglich gemacht, einen

den Feldsiechen als ihres Gleichen zu leben.

dazu ganz andere Wünsche als die der

der Aussätzigen

Tag lang

Freilich

Elisabeth, da

heil.

und

angelegt

hatte bereiten lassen, wie sie die Aussätzigen

sich

unter

trieben ihn

die

er das

Näpfe

zum Einsammeln von

Trank gebrauchten. So ausgestattet, klopfte er an die Herzensdame, Agnes von Meran, auf deren übermüthige Laune hin er diese ganze Mummerei unternommen. Mit den erhaltenen Gaben geht er unter die Aussätzigen, die, wol dreissig an der Zahl, vor der Burg sassen und denen ihr Siechthum wehe that, um das Empfangene zu theilen sie sprachen cja, das Speise und

Thür

seiner

;

soll

sein,

wir

theilen

alles

mit

einander

und leben

geselliglich.»

So sassen sie alle zu Ringe und setzten die Speise in die Mitte. Herrn Ulrich grausete vor den Siechen und er hätte nicht gegessen, wenn er nicht die Ehre seiner Dame hätte hüten müssen. Als er aber zuletzt von jedem aufgefordert wurde, zu ihm in die Hütte zu kommen, dort zu übernachten, konnte er sich dazu doch nicht entschliessen uud blieb lieber in Frost und Regen auf dem Felde. Leider versichert Ulrich, dass seine Zucht ihn

verhindere, all

Krankheit, die er an den Siechen sah, zu erzählen

Episode

seines

Lebens

doch

einigen

Werth

für

;

die

so hätte diese die

Nachwelt

erhalten.

Die Bestimmungen, welche die Städte für die Feldsiechen in ihrem Weichbilde trafen, beschränkten sich auf Vorschriften über die Kleidung,

man

die,

schon

grau oder schwarz, so zugeschnitten sein musste, dass weitem die Träger als Sieche erkennen konnte

von

ferner auf die Tage und Stunden, in denen die Siechen der Stadt nahen und ihre Bettel gäuge machen durften. Wo die Noth dieser armen Ausgestossenen zu drückend geworden, da sehen wir sie, oft

im Verein mit den Juden, einen Aufstand gegen die Stadt insceniren,

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*

345

Die Lepra und ihre Gefahr für Riga. der jedoch stets

mit der grausamsten Bestrafung dieser Aermsten

endete.



Ein besseres Loos wurde den Behandelten

in



den geschlossenen Anstalten

ffereits 636 unter König Dagoberts werden Aussätzige zu Verdun, Metz und Maastricht genannt, denen durch Schenkung Dörfer zu-

den Leproserien

Regierung

der

gewiesen werden. in corporativer

Das weist darauf Othmar

Gallen und vereinigt

St.

Grafen

Siegfried,

Dagoberts,

dass dieselben offenbar

hin,

Gemeinschaft gelebt haben müssen.

später sammelt der heil.

von

zu Theil.

sie in ein

von Lützelburg,

gestiftete

und vom

Hundert Jahre

die Aussätzigen auf

das

heil.

von

Irmina,

Willibrord

den Feldern

992 wird von

Siecheuhaus.

der

Tochter

erbaute

Kloster

Echternach mit einem Heim für die von der Miselsucht Befallenen verbunden

Name

hier wird

;

Miselsucht

dann

genannt,

vulgären Sprache führten.

Gründung



zum

den

Dann



Mal

ersten

später

urkundlich der

Aussätzigen

die

der

in

mit der

folgen weitere Klöster

kleiner Leprahäuser, der wachsenden Notli suchen dann

durch Gründung grösserer Siechenhäuser gerecht zu Würzburg und Bremen sind allen anderen darin voraus-

die Städte

werden.

gegangen, und in rascher Aufeinanderfolge sind ihnen die gefolgt.

Zu Anfang

Leproserien stetig im in

christlichen

allen

Wachsen war, Ländern

zählte

übrigen

noch die Zahl der

des 13. Jahrhunderts, als

man 19000 Leprahäuser

zusammen,

in

Frankreich

allein

deren 2000.

Die Leprahäuser befanden sich

ausserhalb der

stets

Mauern

waren sie dem heiligen Lazarus und Johannes geweiht. Im Norden und Osten Deutschlands sehen wir die Georgshospitäler diesem Zwecke dienen, dann werden neben den Georgsauch ein Lazarus- und ein Johannisspital genannt, und alle drei

der Stadt,

meist

beherbergen

Leprose.

Einzelne

Deutschlands verwandten dazu die

Städte

Süden

im

heil. Geistspitäler,

und

Westen nun eben-

die

ausserhalb der Stadtmauer liegen mussten. Alle die uns näher interessirenden Städte Norddeutschlands, Bremen und Lübeck, falls

zu denen ja unsere Vaterstadt in engsten Beziehungen sie

ihr Spital

gehabt.

zum

heiligen Geist innerhalb derselben für Gebrechliche

Die Hausordnung dieser Anstalten,

weichend, stimmte im Grossen und Ganzen ein.

gestanden,

haben ihr Jürgenhaus ausserhalb der Mauern für Leprose und

Der Spitalmeister

hatte

schiedene Wirthschaftsbeamte

in

die Oberaufsicht,

zur

Seite.

Einzelheiten

in allen

Von

ab-

Städten über-

ihm standen Aerzten,

ver-

welchen

23*

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Google

Die Lepra und ihre Gefahr für Riga.

346

die Beaufsichtigung der Behandlung, die Untersuchung neu Aufzunehmender von Rathswegen vorgeschrieben wird, ist erst nach 1500 und auch keineswegs allgemein die Rede. Bis dahin entscheiden die Aussätzigen des Leprosoriums selbst, ob der sich zur Aufnahme Meldende in der That hineingehört; oder der Spital-

meister sendet den Bettelknecht, dessen Obliegenheit sonst war, die

milden Gaben für das Leprosorium einzusammeln, und den Spital-

knecht dem Aufnahme Begehrenden ins Haus, und erst wenn diese die Hingehörigkeit stellt hatten,

Die Frage

Kranken

des

und die Diagnose ge-

erforscht

konnte seine Ueberführung ins Leprosorium erfolgen.

liegt nahe,

ob denn die Diagnose dieser beiden Knechte

nicht dazwischen eine falsche gewesen ? Zweifellos ist später solches

vorgekommen, als die Lepra zu erlöschen begann und eine neue Seuche ähnliche Erkrankungsformen schuf. Da mögen die beiden Abgesandten des Spitalmeisters dazwischen in ein arges Dilemma

gekommen

sein

und manchen Unglücklichen

haben, der nicht dahin gehörte.

Leprosorium spedirt

ins

Indessen bis gegen das 16. Jahrh.

ist die

Kenntnis der Lepra eine so allgemeine gewesen, ihre Herr-

schaft

eine

fast

ausschliessliche

unter

den

chronischen Seuchen,

dass ein Irrthum wol recht unwahrscheinlich

des älteren Holbeiu, welches gegenwärtig

Pinakothek

erscheint.

sich

in

befindet, stellt die heilige Elisabeth dar,

Ein Bild

der münchener

wie

sie,

von

der Wartburg herabkommend, ohne Gefolge unter eine auf der Erde

kauernde Gruppe von Leprosen

tritt; drei

aus der übrigen Gruppe sind deutlich

von diesen und ein Bein

zu unterscheiden

und sind

Merkmale der beiden verschiedenen Formen Das des Aussatzes in grösster Vollkommenheit wiedergegeben. sind dieselben Köpfe, wie sie die Spedalske Norwegens haben, wie wir sie in einzelnen Gegenden Livlands erblicken, wie sie uns hier

an

in

diesen

allen

die

den Strassen unserer Stadt dazwischen begegnen. Reimchroniken, Hartmann von der Aues Dichtung

(der französische

nachsagt.

In weiteren Kreisen wurde Baron Richard Wolff zum ersten

Male genannt,

als

er



kaum fünfundzwanzigjährig



interimi-

Richard Baron Wolff stisch

Vertretung

die

Rom

zu

(1850)

schwer

des

449

f.

und

erkrankten

bald

verstorbenen Ritterschaftsnotare Rudolf

v.

darauf Engel-

galt,

Die Aufgabe erschien weder leicht noch dankbar. der Agrar- und Bauerverordnung von 1849 standen wichtige Dinge auf dem Spiel, Engelhardt aber

war

einer

hardt übernahm.

Da

es die Einführung

Hand

neuen

des

Stand

hatte

lür

und für Fölkersahms rechte

gegolten und ein Ansehen erworben,

schweren

gewesen,

Gesetzes

besten Köpfe des Landes

der

einen



der Urheber



seinem Nachfolger

das

Der

junge Notar wusste seine Sache indessen so vortrefflich zu machen, die auf seinen Fleiss und seine Energie gesetzten Erwartungen so entschieden zu rechtfertigen, dass die besten Männer des Landes ihn zu Engelhardts Nachfolger zu machen wünschten und dass das Bedauern allgemein war, als diese Absicht scheiterte. Dieser musste.

bereiten

interimistische

diente dem bei der Wahl unterlegenen Candidaten inzum Ehrenzeugnis weil man wusste, dass Fölkersahms Gegner dem damaligen Landmarschall keinen Notar hatten bei-

Miserfolg dessen

,

geben wollen, der seinen Eifer für die Sache

und bethätigte,

bekannte

entschieden

wie

der Agrarreform so

Richard

Baron Wolff

dieses

Ehrenzeugnis

gethan hatte.

Für

die

Weise

Dem

Ersatz.

die Thätigkeit

zu

früher

bot

strebsamen jungen

Schule,

sondern

und

höheren

Patrioten

hätte

nicht nur eine in ihrer

der Ritterschaftskanzlei

in

unschätzbare

geboten,

Enttäuschung

erlittene

keinen

freilich

zugleich

wichtigeren

die

Möglichkeit

Landesämtern auf-

zurücken.

Wenn dem gewesen, wenn Mitglied

in

,

als

permanent

als Consistorialpräsident grosse

so

hat

danken gehabt, die waren:

die

Landrathscollegiums

des

Landrath und zu erweisen,

solche Aemter dennoch beschieden Lage gekommen, seinem Vaterlande als

Verstorbenen

er

hohem

er

unermüdlicher Treue

das lediglich denselben Eigenschaften zu

bereits

sittlichen

residirender

und bleibende Dienste

dem Jüngling nachgerühmt worden

Ernst,

strenger

im Kleinen.

Gewissenhaftigkeit

Weil er

nirgend an

sich

und der

hergebrachten und äusserlichen Seite amtlicher Verpflichtungen ge-

nügen Hess, sondern jede Stellung darauf ansah,

selben gemacht werden könne, Jugend- und Studiengefährten leute

gestorben.

Dass

er

als

ist

was aus der-

der Liebling seiner

Vertrauensmann seiner Lands-

ausserdem

ein

edler,

wahrhaft

frei-

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450

Richard Baron Wolfff.

und

sinniger

humaner Mensch

nicht erst gesagt zu werden, in golten, .

Baron Richard Wolft' war das Musterbild eines guten LivSo sollte man auch sein.

länders

!

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Notizen. Li vollieft,

vornehmlich ans

Von

Hermann

13.

«lern

H

1

i

tl

Jahrhundert,

im Vaticaniaeheii Archiv.

Riga, Denhner 1887.

e b r a n d.

S. 71.

Lex. 8»

ie

Thür beim Thurm des Galilei im Vatican, welche dem grossartigsten Archiv der Welt führt, ist Jahr-

kleine

zu

geöffnet gewesen, bis

hunderte hindurch nur wenigen Begünstigten

endlich der jetzt regierende Papst diesen historischen Quellenschatz allen, selbst ketzerischen Historikern zur

Alle (Kulturländer Europas die alte Welthauptstadt,

um

Erforschung freigab. alsbald

sendeten

aus der

Fachmänner

in

neu erschlossenen, fast uner-

Fundgrube historischer Erkenntnis Material für die zu gewinnen. Unsere Provinzen blieben nicht zurück. Hat doch unsere Heimat ein ganz besonderes Interesse an der neuen liberalen Archivordnung Leos XIII. Denn wenn auch die Gründung des deutschen Staatswesens an der Düna in der Hauptsache eine That nationaler, speciell schöpflichen

eigene Geschichte

sächsischer Expansivkraft war, so fragt sich doch, ob dieselbe aus-

ohne Unterstützung von Seiten der

reichend hätte wirken können universalen Tendenzen

Papstthum

einen

der

römischen Kirche.

wesentlichen

Vortheil

in

Jedenfalls hat das

der Ausbreitung

der

Grenzen gesehen und darum die Bestrebungen der livländischen Colonisatoren mit besonderem Eifer unterstützt. Namentlich in der Zeit der Begründung und ersten Entwickelung unseres Staatswesens hat die römische Curie lateinischen Kirche gerade in unseren

den grössten Einfluss auf unsere Geschichte ausgeübt.

Haben nun auch schon

frühere Forscher,

z.

B.

Turgenew

seinen Historica Russiae Monimenta oder Theiner in seinen

monumenta Poloniae schen Archiv

et

Lithuaniae, viele Livonica aus

veröffentlichen

können,

und

sind

dem

auch

in

in

Vetera

vaticani-

anderen

452

Notizen.

Urkundensammlungen

für Livland wichtige Stücke bekannt

gemacht

worden, so war doch damit der Reichthum des päpstlichen Archivs für die livländische Geschichte noch keineswegs erschöpft. Die Durchforschung jener Actenvorräthe durch Hermann Hildebrand, den Herausgeber des von Bunge begründeten livländischen Urkunden-

buches, hat erwiesen, dass selbst für das 13. Jahrh. noch neue hochinteressante Bullen und andere

H. ca.

hatte

zunächst

die

Documente ergraben werden konnten. Aufgabe, die Zeit

von

ca.

1435

bis

1550 bei seinen Studien für die noch herauszugebenden Bände

Urkundenbuches zu

des

erledigen.

Es

ihm

ist

aber

gelungen,

den ersten Anfängen der Colonisation bis

ausserdem die Zeit von

zum Jahre 1304

vollständig zu bearbeiten und auch für die über Jahr hinausliegende Zeit manches wichtige Stück zu verzeichnen. Berücksichtigt man, edass, abgesehen von den grösseren Unterbrechungen zu Weihnachten, zum Carneval und zu Ostern, das Archiv an allen katholischen Kirchen festen und einigen specielldieses

vaticanischen Feiertagen geschlossen bleibt,

dass

man

dort nicht

an den Sonntagen, sondern auch an allen Donnerstagen von seinen Werken ausruht und die tägliche Arbeitszeit nur von 8H bis allein

12 Uhr währt», so wird man das in einem halben Jahre Geleistete

um

Um

so höher anschlagen.

Begriff von der Grösse

beispielsweise au, dass die register» für

die Zeit

eine

nicht

herausgegeben

starke Foliobände enthält. angezeigt, genauer auf

— 1559,

nach Abzug der 113 auf

Bände,

welche trotz aller Liberalität

werden,

im ganzen 1383 meist sehr

An

dieser Stelle scheint es mir nicht

die Beschreibung der einzelnen Theile des

Riesenarchivs, wie sie H. den Fachgenossen Seiten

liefert,

Den an erster

auf den

einleitenden

einzugehen.

Inhalt der uns vorliegenden neuen Publication H.s bildet Stelle

1198—1304 (im

einen ungefähren

Abtheilung: edas päpstliche Bullen-

von 1431

Alexander VI. entfallenden noch

dem Laien auch nur

dieses Bücheroceans zu machen, führe ich

ein Verzeichnis

enthaltenen,

sämmtlicher

auf Livland

im Registrum

bezüglichen Bullen,

Anhang) 47 im Verzeichnis aufgeführte Nummern,

bisher unbekannt waren, theils

von

ferner

die theils

unvollständig oder endlich an sich

Aufmerksamkeit der Forscher entziehenden Stellen abDaran schliessen sich acht bisher uubekannte, aus dem 14. und dem Anfange des 15. Jahrhunderts herstammende Nummern an, die gelegentlich gesammelt wurden. Entsprechend dem Fortschreiten des livländischen Urkundenleicht der

gedruckt standen.

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Gqpgle

453

Notizen.

buches

soll

im

und

9.

beute von 1436 an Zeit, welche einen bildet,

den folgenden Bänden desselben die Aus-

in

werden

veröffentlicht

die

;

aus

der

früheren

Nachtrag zu den bisher erschienenen Banden

glaubte der Herausgeber schon jetzt den Fachgenossen vor-

legen zu müssen.

Dieselben werden der

beste

Dank,

die

mit

ihrem

richtige

Dank

nicht säumen.

Verwerthung

des

Freilich

reichen

neuen

Materials für die Darstellung, wird doch wol noch etwas auf sich

warten lassen. mit

Gerade die interessanteste Urkunde (Nr. 21) bringt mancher alten auch neue

wünschenswerthen Auflösung

der

Es handelt

Räthsel.

sich

da

um

die Citation des Bischofs Nicolaus

von Riga, des Ordens

und der Stadt Riga vor den Richterstuhl des Papstes Gregor IX. aus dem Jahre 1234. Diese Citation stützt sich auf eine Anklage, die der Bischof von Semgallen, Balduin von Alna, über die genannten Stände

Curie eingebracht.

römischen

der

bei

Der Mönch Balduin von Alna

spielte eine sehr

Er wurde

bedeutsame Rolle im ältesten livländischen Staatswesen. nämlich vom Papste

hierher

gesandt,

um

der Entwickelung

der

Gründung des Bischofs Albert zu einem deutschen Territorium hemmend entgegenzutreten und, die universalen Tendenzen der Kirche vertretend, aus Livland eine dem heiligen Petrus direct untergebene Provinz zu gestalten. einen ähnlichen

des

Kampf zu

Schon der Bischof Albert hatte

dem Tode

bestehen gehabt, jetzt, nach

bedeutenden Staatsmannes,

erneuerte

Abgesandten Balduin den Angriff auf

die

durch

Curie

die geschichtlich

Verhältnisse mit der ihr eigenthümlichen Schroffheit.

ihren

gewordenen

Die römischen

Ideen aber zogen den Kürzeren. Die Curie hat selbst die Anordnungen

Balduins

und

wieder aufgehoben

den

Legaten, Bischof Wilhelm

von Modena, der mit liebevollem Eingehen ein richtiges Verständnis der Bedingungen livländischen Staatslebens während seiner ersten,

noch in die Regierungszeit Alberts

fallenden Reise nach

worben

den

hatte, beauftragt,

die

von

nothwendig erkannten Massnahmen

Riga

er-

livländischen Ständen als

zur Eroberung

und

zur

Be-

festigung der Organisation des Landes zu bestätigen.

Die

der

erwähnten

Anklageschrift

Balduins

entnommenen

neuen Nachrichten der Citationsbulle Gregors IX. verbreiten namentlich

über

die

Eroberung des

den Schwertorden werthvolle

zum

ersten Mal, dass

nicht

bis

dahin

Streiflichter.

allein

dänischen Estland durch

Wir erfahren

hier ferner

der erste Meister des livländi-

schen Christritterordens (vulgo Schwertbrüder) Vinno, sondern auch

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Google

4f>4

Notizen.

der Meister Volquin heftige Gegner

habt

hat.

von

Heinrich

Lettland

seiner Genossenschaft ge-

in

hat

offenbar

absichtlich

ver-

schwiegen, dass Volquin von seinen Rittern drei Monate gefangen gehalten wurde, weil

connivent

zum

hier

gezeigt

ersten Mal.

Daten

neuen

liegt

in

sieh

Noch

der Bulle.

der so

römischen Sache gegenüber zu

manches Andere erfahren wir

Die Schwierigkeit

einestheils

anderenteils in

Mitgetheilten,

gaben

er

habe.

der

parteiischen

So weit es des Herausgebers

hat derselbe diese Schwierigkeiten in den

Mir

der Verwerthung dieser

Färbung des dem Mangel chronologischer An-

in

scheint es indessen für

Pflicht

Anmerkungen

denjenigen, der den

estlands aus dänischem in deutschen Besitz

war,

beseitigt 1

.

Uebergang Nordzweiten Hälfte

in der

der zwanziger Jahre des 13. Jahrhunderte schildern will, eine unerlässliche Pflicht, die Beziehungen festzustellen, in denen die Ur-

kunde Nr. 21 bei H. zu dem vielbesprochenen Uber cetisus Daniae Denn dass die Andeutungen in der eben erwähnten rätselhaften Aufzeichnung über die gewaltsamen Vorgänge bei der Besitzergreifung Estlands durch den Orden zum Theil in dieser Nummer

steht.

H. eine Erklärung finden könnten, dürfte Studium der beiden Urkunden ergeben'.

bei

An

sich bei

dieser Stelle erlaube ich mir nur noch auf

eingehenderem zwei weitere

Urkunden hinzuweisen, die auch dem Laien Interesse einflössen würden. Das eine Document (Nr. 48) enthält die Rechnungsablegung des päpstlichen Collectors Jacobus de Rota über gewisse für die römische Curie in Livland gesammelte Gelder aus dem Jahre 1319. Hier finden sich Angaben über Zahlungen, die von vacanten geistlichen Stellen an den Papst gemacht werden mussten. Die Einkünfte der livländischen Pfarren müssen darnach schon damals sehr verschieden gewesen sein. Von der Petrikirche in Riga waren z. ß. 10 Mark, eine für jene Zeit ansehnliche Summe, von

Hervorzuhelwu wäre

1

Nach

u. a. die Citation

des Pfarrers Heinrich vou Papen-

Vermuthung von Ö. Berkholz (Li vi. Matth. 13, S. 39 ff. wiire der in einer Urkunde von 1259 vorkommende Heinrims plebanus de Papendorpc identisch mit dem Chronisten Heinrich von Lettland. H. weist darauf hin, dass der hier erwähnte Zeuge wahrscheinlich auch der bekannte erste dorf als Zeugen.

einer

i

Schriftsteller Livlands sein dürfte. '

Die «remoti», texpulsh und

an den von mir lieh

bemerke ich

Name

«occisi» des Uber

c.

1).

eriuuern

vermnthungsweise ausgesprochenen Zusammenhang. :

Paldessen in § 53 dürfte vielleicht entstanden sein.

besonders

Uelegent

ans Poltsamn (estnischer

für Oberpahlen

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i

455

Notizen.

der Pfarre zu Kubezala

Wir

6,

von Loddiger nur 2

Mark

zu zahlen

1 .

Angaben über Einnahmen oder Zahlungen livländischer geistlicher Aemter nur einige Notizen aus dem 15. Jahrhundert 1 Daher bildet die Urkunde 48 einen sehr erwünschten Beitrag zur noch ganz in den Anfängen liegenden Finanzgeschichte hatten von derartigen

.

Livlands.

Endlich lenke ich die Aufmerksamkeit auf ein culturhistorisch wichtiges Inventar aus den vierziger

Dasselbe

bietet

Kirchengewändern

Jahren des 14. Jahrhunderts.

von

ein Verzeichnis

Büchern,

und Kleinodien, die ein

der in der angegebenen Zeit gestorben

ist,

Kleidungsstücken,

rigascher Erzbischof,

Der

hinterlassen hat.

Herausgeber hat die Vermuthung ausgesprochen, dass das Inventar sich

auf den Nachlass

Denn wir wissen aus dass

des Erzbischofs Friedrich beziehen werde.

einer

dieser Erzbischof

eine

Urkunde von 1332 (UB. ansehnliche Bibliothek

2798),

n.

6,

besessen

hat,

und die mehr als 30 Codices, die im Inventar verzeichnet stehen, sind nach mittelalterlichen Begriffen schon ein reicher Bücherschatz; mir ist es nur bedenklich, dass die meisten verzeichneten Werke

man

einen kircheurechtlichen Inhalt haben, wahrend

in ihnen

eine

vorzugsweise Berücksichtigung der Geschichte des Minoritenordeus voraussetzen

Erzbischof

sollte.

Friedrich

hat

diesem

Orden,

dem er selbst angehörte und dem er zum Theil seine Büchersammlung verdankte, ohne Zweifel grosse Theilnahme gewidmet.

Man

weiss, dass er ein

Es

Leben des

Franciscus verfasst hat'.

h.

erstaunlich, welche

geradezu

ist

Massen von Gewändern

and Geräthen ein rigascher Erzbischof zur Verfügung hatte

;

dabei

sind so manche Stücke von üppigster Pracht*.

Es wäre an

dieser Stelle

aufzuzählen, in

denen

«Livonica> H.s

gefördert

Wichtigeren

und

die

kaum

möglich, alle einzelnen Punkte

Kenntnis unserer Geschichte

durch die

worden ist. Durch Hervorhebung des für Laien Interessanteren habe ich nur auf die

Bedeutung derselben hinweisen wollen. In Fachkreisen ist H.s Herausgeberkunst längst anerkannt. So darf ich die Darbringung 1

Yskeshusen halte ich für eine Verdrehung von Ykescule.

»

Vgl. H. Diederichs in den Sitz.-Bcr.

»

G. Berkholz in

den

Sitz. Ber. der

hach im *Xenen Archiv der Ges. für 4

vom nung

Das

hei

alt.

Ducnnge fehlende *abba*

d.

dciit.

ist

mittelalterlichen Abschreiber verderbt ans

für

Alt.Ges. 1873, S. 28.

Alt.Ges. 1881, S. 168 nach M. Perl

Geschichtskunde (VI,

3).»

wol überhaupt kein Wort, sondern alba, der

gewohnlichen Bezeich-

Messgewand.

naltUche Monatwchfift. Bd. XXXIV. Heft

5.

30

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450

Notizen.

aus dem vaticanischen Archiv als

in jeder

Beziehung dankenswert»

und hoch verdienstlich bezeichnen.

Joseph Girgen söhn.

Russisches N o v e ITebenetSt

1 1

e n b

vi»n

u

c h.

Eine

Constantin

Verlag von Victor Fclsko.

dass

Sammlung rnssischer Erzählungen. J ü r g e tt a. Erster Hand. M i.iu i

S. 27«.

ins»;.



Es lag im Reformwerk Peters des Grossen tiefbegründet, sich die Fehler seiner Tugenden ganz vorzugsweise beim

weiblichen Theile derjenigen Gesellschaftsklassen Russlands geltend

machten, die von dem Schaffen des grossen Zaren unmittelbar berührt wurden.

Ein Attentat auf die überkommene Sitte rächt

wie selbige auch beschaffen sein

am

mag,

schwersten

sich,

an denen,

Der

deren ganze Existenz unbewusst im Banne dieser Sitte stand. halborientalischen Clausur gewaltsam entrissen,

Frauenwelt

der höheren Klassen

die russische

trat

an der Wende

des

17.

und

18.

Jahrhunderts auf das schlüpfrige Parquet der aus Frankreich herohne gleichwol in ihrer historischen EntPhasen durchgemacht zu haben, welche die Gestaltung des ritterlich höfischen Tones im Lande der Troubadours und rührenden Convenienz,

wicklung

die

vom mittelalterlichen Turnier bis zum Hoffeste eines Ludwig XIV. der Geschichte der Frau dieses und der ihm cnlturChevaliers

verwandten Länder vorgezeichnet.

Vom

souveränen Willen octroyirt,

stand das äussere Leben zur Zeit Peters gebieterisch zwingend der russischen Frau gegenüber, ins Innerste des Hauses dringend, überall

beschränkend, überall erweiternd, von

dem Alten etwa nur das geLämpchen übrig-

heimnisvoll in die Vergangenheit hinüberweisende

Ecke des Frauengemachs das altehrwürdige

lassend, welches in der

Heiligenbild beleuchtete.

Spuren der Veräusserlichung

in der Sinnes-

weise der russischen Frau bezeichnen unzweifelhaft die Geschichte

von Russlands achtzehntem Jahrhundert. verschiedener Art und nicht minder tief sischen

Frauenwelt

grossen

Reformen Kaiser Alexanders

eingreifend

ist

Eine

Bewegung grund-

in die

Geschicke der rus-

diejenige, II.

welche

bedingt

Peter der Grosse bei seiner Umbildung Russlands disch- bureauk ratischen

Staat

Muster genommen, so

sollte das

des

Westens

,

etwa

durch

wurde. sich

die

Hatte

den stän-

Preussen

zum

Reich jetzt auf staatsbürgerlich-

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457

Notizen.

Mit der Aufhebung Stand von Stand trennten, zusammen, die höheren Klassen wurden mitten in den Daseinskampf hineingestellt, die traditionelle Standessitte machte Anschauungen und Ideen Platz, die sich auf der Suche nach dem allgemein Menschlichen, so weit ein solches unter Voraussetzung selbstverwaltlicher Basis reorganisirt werden.

der Leibeigenschaft

brachen

die Schranken,

die

nationaler Eigenart denkbar, auf der Suche nach einem praktischen

Lebensideal befanden, welches der sich neu gestaltenden Welt des

Staatsbürgerthums entsprechen sollte. Durch rege Berührung mit dem Westen, durch Milderung der Censur mächtig gefördert, stellte sich

das

freie

Bildungswesen neben das staatliche, Autodidaxis und früher nie bekannten Aufschwung, und es

Leetüre nehmen einen

war vorzüglich das weibliche Geschlecht, das ehemals ziehung die Spuren

häuslichen Absolutismus

am

beträchtlichsten

am

die Einflüsse der Alexandrinischen Epoche leben, seine Eigenart durch dieselbe

in

Er-

das trotzige Festhalten

an

energischsten durch-

Es

ist

vorzugsweise

der eigenen Individualität,

bestimmungsrechte der Persönlichkeit, jener Zeit entgegentritt.

welches

empfunden,

den mannigfachsten Typeu

zu sprechendstem Ausdrucke bringen musste.

Typen

in seiner

des durch das Leibeigenschaftsrecht bedingten

das

uns

Verschieden

in

sind

am

Selbst-

den weiblichen die

Wege,

die

dieses Selbstbestimmungsrecht nach den sittlichen Voraussetzungen

nimmt, wie Naturanlage und Erziehung reitschaft,

selbst

sicli

sie

zum Opfer zu bringen

vorgesehrieben

für den

;

die Be-

Mann, der dem

dividuellen sittlichen Ideal zu entsprechen scheint,

tritt

in-

hart neben

Welt der Sitte selbst niederzutreten, wo diese den Ansprüchen des zu widerstreben scheint. All die Extreme des Empfiudungslebens, deren die weibliche Natur fähig, der russidie Bereitschaft, die

sche Publicist-Poet hat

sie

mit der ihm eigenen Feinfühligkeit für

Gegenwart dauerndem Gedächtnis bewahrt, und wir finden in dem russischen Novellenbuche von C. Jürgens eine Reihe weiblicher Typen, die alle mehr oder weniger ihr Heimatsrecht aus der Zeit der grossen Reform ära her datiren. Die erste Novelle: «Des Wurdalak Familie» von Graf Alexei Tolstoi, hat anscheinend mit dem russischen Leben nichts zu thun und kommt uns auf den ersten Blick wie eine Art unberechtigter

den Pulsschlag

Eindringling

in

seiner

das

Gebiet

russischen

Geisteslebens

vor.

Wer

jedoch die Gogolschen Dichtungen kennt, und Gogol war wie sein

Landsmann

Tolstoi ein Kleinrusse,

der wird in des

Wurdalak Fa-

milie unschwer kleinrussische Motive in Fabel und Färbung Wiederau*

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458

Notizen.

Die Geschichte hat eine gewisse ent feinte Aehnlichkeit mit

finden.

dem Unterdem Boden der Realität haftet, die russische ganz in Gespenster- und Zauberwerk aufgeht. Hier wie dort das Hineintragen der Welt der Cultur in Prosper Merimäes bekannter Novelle cColombat,

Erzählung

schiede, dass die französische

die

der Barbarei,

wie

hier

der

dort

mit

an

fest

kampfgewohnter

Blutdurst

dem Schauplatze der «Oolomba», in der Blutrache, iu Bosuien, wo die Erzählung Tolstois

Clane, wie er sich in Corsica,

dem

Institute

dem unheimlichen Glauben äussert, der den nach Krieg und derbem Lebensgenuss durstenden 'Bosniaken nach seinem Hin-

spielt, in

scheiden sich

am

zösische Seigneur

prince de Ligne,

des

ancien regime,

wie ihn das

18.

ein

Der

lässt.

fran-

der Art

in

Jahrhundert zu zeitigen

den sprachlichen Schnörkeln des des Wiener (Kongresses

Gesellschaft

des

pflegte,

barbarischer Sagenwelt

im

auf,

ein Lichteffect

der La-

unheimlichen Gräuel

die

grell auf die finsteren (iobelins der

wilden Gespensterspuk

und

alten Versailles der blasirten

terna magica im traulich dunkeln Salon,

werfend,

Typus

Märchen mit dem ganzen zuversichtlichen Aplomb

tischt sein all

Blute der Lebendigen berauschen

hinhuschend

über

Wand

den Fond

verfeinertster Cultur.

In wieder,


c, Palatc,

Kruke, Kuje, Kupitze, Latere,

Hesche, Rossolje, Sade, Salogge, Schichte, Stadolle, Tarakane, alles

Wörter, die wir erst mit einem e als Endung versehen habeu. Dazu gesellen sich nun auch Schmore (neben mascul. Schmor) und Modde Schlamm (neben mascul. Modd und Modder), vielleicht auch Trosse (eine Art Tau), dessen Geschlecht und Form aus der Schriftsprache schwer zu belegen ist. Dagegeu hat llökc, wie man neben

Höker zu hören

bekommt,

sein

männliches Geschlecht noch beibe-

halten.

Den Substantiveu auf

-är,

-cur,

-or,

die,

abweichend vom

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Eine Nachlese zur deutschen Mundart Schriftdeutschen,

im Singular der schwachen Declination

uns

bei

469

Estland.

in

zugewiesen werden (des Secretären, Gouverneuren, Pastoren), während,

vom

wieder abweichend -or

mit c

Denn mau sagt: dagegen wird, wie

Schriftdeutsch

gemäss die starke

des Missionaren.

bei denen auf -ür

und

dem

-cur,

Im

Plural

des Commissareti,

Form mit e gewählt. Zur Pluralbildung

der Substantiva

daueben jedoch

bleibt,

vielleicht

in der

und Sträuchcr, und

aufweist, Sträuehe

unverändert

auch Mehrzahl zwei

verdient

noch hervorgehoben zu werden, dass Strauch

Formen

die auf

starken Declination folgen (die Direc-

Pastore), sind noch die auf -ar beizufügen.

tore,

auch

Schrittdeutschen, im Plural

der

also

tlectiren,

dass Kuckel häufig

auch Kucheln

der Weck im Plural und in Zusammensetzungen

Wenn

bildet.

in der

Hegel die

schwache Endung annimmt (die Wecken, Wcckcngang), so darf man wol annehmen, dass die Femininform Wecke oder auch die masculi-

Nebenform Wecken darauf eingewirkt hat. Merkwürdig bleibt auch der Plural Gäule, nicht

nische

Form

seiner

wegen, welche die gewöhnliche, sondern seiner Aussprache wegen. Die angefühlte Form bildet die eiuzige Ausnahme zu der sonst undurchbrochenen,

Vocalen

(c,

Man

gesprochen wird.

(«,

ö,

ü)

das g

dem

den hellen

vor

ähnlich,

d.

Ii.

Abnormität darin

dem

allerdings schon mhd. giule, seit stens in der Regel Gr««/«

uns

10.

sieht, dass, obgleich

Jahrb. Genie, nhd. wenigmitteldeutsche

begegnet, besonders

nachgebend,

der Volksaussprache

Schriftsteller,

B

die

Form Gaule

in

Unlands bekanntein Balladencyklus vom Grafen Eberhard

Greiner

vorziehen und dass diese Form, die uns

geboten

steigen von den

wird

Gatdm,

weich

wird nicht fehlgeheu, wenn man die Ursache

dieser sonst unerklärlichen

und norddeutsche

wornach

festen Regel,

und Ablauten

i)

(fDie die

Döffinger

Schlacht»

z.

auch

bringt:

dem cSie

Herrn vom Löwenbund >) unwillkürlich

die Aussprache beeinflusst hat.

Und

sind

wir

schon

einmal

gleich eine auffallende Construction

paar

theils



bei Abnormem, so möge auch Erwähnung finden das Wort-

theils verliert häufig seiue

stantivisch verwandt zu werden,

:

adverbiale Natur,

um

sub-

sogar mit folgendem Genetiv, so

dass es nun die Stellung eines Satzsubjectes einnimmt, zu welchem

das Prädicat in den Plural theils derselben

zu

tritt

:

Theils

der Feinde hielten stand,

wichen beim ersten Angriff.

Den Beschluss dieser Nachlese endlich mache dem früher über unsere Vornamen Gesagten.

eine

Ergäuzung

Auch was

die

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Eine Nachlese zur deutschen Mundart

470

letzten .Jahre an solchen geliefert haben,

dem die

Estland.

in

bewegt

durchaus

sielt

Kreise, wie er früher von uns umschrieben wurde, sowol

Vollnamen

namen

als

was

die

Art der Veränderung

männlichen Vornamen

den

Bei

betrifft.

bei

ist

in

was

den Kose-

ein in

immer

weitere Kreise dringendes erfreuliches Zurückgreifen zu den schönen,

Namen

bedeutungsvollen altdeutschen

schen wie Askold (übrigens erst aus

zu bemerken.

dem

standen), Boleslaw, Leodimir, Theobul,

Familien doch nur

neben

anderen

gut

,

wie

ländischen

höchst

germanischen

Carlos,

russi-

Wladislato, die in deutschen

und selbst dann

selten

Neben

altschwed. Höskuldr ent-

begegnen

Charles, Charly,

,

und

in

der Regel fremd-

solch

Fernando^ Wallace,

die

meist auf eine besoudere Veranlassung zurückzuführen sind, ebenso

wie Amalie,

Wittgenstein

männliche Vornamen sich eben nur

als

aus ganz bestimmten persönlichen Umständen erklären, oder neben so räthselhaften wie Ho, sind es gewisse biblische

Namen,

die gern

gewählt werden, Bartholomäus, Eliescr, Ephraim, Matthias, Michael, Nathanael, Thomas, einige wenige klassische wie Arkadius, Aurel, Carolus, Cyprian, Eusebius, Justus, Jtistinus, Marie, Timoleoti, die

immerhin selten vorkommen. Weitaus die meisten männlichen Vornamen, welche gegeben wurden, sind echt deutsche, darunter viele von altem, kräftigem, volkstümlichem Schlag.

Um

nicht bereits

Gesagtes zu wiederholen, mögen nur einige der letzteren als früher

unerwähnt geblieben genannt

dem

guten,

vollen,

man freut sich ordentlich an Klang dieser Barnim, Christfrkd,

sein

ehrenfesten

;

Divdrieh, Eckard, Egbert, Egon, Ehrenfried, Everth, Frank, Harold,

Herbert, Uildebert, Hilbert, Hilmar, Horst, Jürgcn{s), KUtus, Konradin,

Kurt, Meinhard, Vaer, Boder, Büderich, Boger, viele

Nachfolger Bei

auf

der

völlig.

Tankred, viele,

I

Umwandlung

und o vor

*

Stillfried,

Wünschen wir ihnen noch

Udo, Wilfried, Witold, Wolfgang.

;

a

Es fanden

sich

in

Kosenamen wiegen

und

die

Endungen

fehlt unter

den hier zu gebendeu

Eddo (Edwin), Emo

(Emil), Karli (Karl),

ist selten

Leo (Timoleon), Ossi (Oskar), Thommi (Thomas), Vico (Victor), Walli (Waldemar), Willo (Wilhelm). Eine Verkürzung findet, wie wir sehen, nicht gerade immer statt, wohl aber bei mancheu ehie Verdoppelung des inlautenden Consonanteu. Als russisch geformter

Kosenamen

ist

neben Thodja für Theodor noch Wolodja für Woldemar

anzuführen.

nicht,

Den mit Vorliebe gewählten weiblichen Vornamen lässt sich wenigstens nicht dem Durchschnitt derselben, das gleich-

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Eine Nachlese der deutschen Mundart

in

471

Estland.

Nebeu russischen

günstige Zeugnis ausstellen, wie den mannlichen.

wie Anastasia(e), Marina, Nadjeshda, einigen biblischen wie Mirjam, zu

dem aber vermuthlich

einer der Ebereschen

Romane Anlass

ge-

geben hat, finden sich ja wol einige wohlklingende, altgermanische, Adelgunde, Aslauga, Brigitte, Frieda, Ilmar, Ines, Irmgard, Karin, Nora,

liita,

Thyra, Wita, und auch sonst manche

Segunde, Sigrid,

ansprechende Mädchennamen, aber auch viel Geziertes, Geschmackloses,

Sehen wir uns einmal die nach den Geburts-

ja Unsinniges.

registern

des

Jahrzehnts

letzten

zusammengestellte

darauf an, was für bemerkenswerthere

nannte

Namen

wir

darunter

diese Agla'e, Agneta, Aimee,

finden.

neue

Reihe

und früher noch nicht ge-

Welch bunte

Gesellschaft,

Alma, Angelica, Aurora, Barbara, Beate,

Beatrice, Estretta, Eveline, Felke, Felicia, France, Francoise, Irene,

Ivonne, Leoeadic, Leomla, Lucy, Theresia,

Victoria,

Viola.

Es

Medea, lasst

Mcly,

Sibylle,

sich doch nicht

Theodosia,

leugnen, dass

die Fremdländerei sich hier noch ungebührlich breit macht, und denken wir gar an die Anina, Ina, Nina, die Anine, Blandine, Egine,

Florinc, die Annette, Juliettc, Minettte, oder erst an so abenteuerliche

Namen, wie

Elina,

so

wird

guten Geschmacks hier noch

zuzugeben ein

sein,

dass

für die Pflege

weites Feld offen steht.

Für die hypokoristischen Formen wird wie bei den männlichen Endung bevorzugt; daneben kommt vielfach das dort seltene a vor, während nach den aus früherer Zeit erwähnten Ago, lledo, Lotto, Nonno oder Nttnno die Endung auf o uns nicht weiter begegnet. Man vergleiche Agsi neben Aga (Agnes), Ahm (Alma), Erwi %

als

(Erwine),

Hcddi (Hedwig),

Jfelmi (Wilhelmine),

Libi (Elisabeth),

Mara neben Mag» und Marga (Margarethe), Mia Mini (Mirjam), Sonna und Sonnt (Sophie), Tori ( Victorie).

Lisi (Elise), (Marie),

Auch hier wieder ist es nicht immer eine Verkürzung, welche gewonnen wird, und mehrmals findet sich, wie wir das auch bei den Knabennamen sahen, der inlautende Consonant verdoppelt. Dr. K.

Sali m

a u

u.

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Am

Sarge Ferdinand Bergs,

weil. Director der Stailt-Kealsvhule zu Riga. GoKpruchen

am

18.

Februar 18S7.

Manne, dessen sterblicher Hülle

gern

wir

heute

die letzte

Ehre erweisen, lag Zeit seines Lebens nichts ferner als die Neigung, seine Person und sein Wirken gefeiert zu sehen. Bei aller männlichen Thatkraft demüthigen Sinnes und anspruchslosen Wesens, kannte er in Bezug auf seiu Wellen, geschweige denn auf

Vollbringen

sein

kein

in

keinem

selbst

Wahrlich,

habe.

seinem Sarge hier es nur

derung

kein

darum

seines

ihm

nahe

So

sich handeln kann,

in

laut

es,

werden

dass au

darf, dass

der einfach treuen Schil-

den Grund-

harmonisch-gleichmässigen Erdenlaufes

sei

schlicht

zu kämpfen,

wissen

standen, die

tönender Pauegyrikus

ton vibrireu zu lassen, welcher seinem lieheu hat.

Kampf

schätzend, dass er es vollkommen ergriffen

sich

die

und

Ernst

Selbstgenügen.

trachtete er darnach, in allen Stücken den guten

Leben

mir denn gestattet, die

die

Klangfarbe ver-

wichtigsten

biographi-

schen Züge der Standrede einzuordnen, welche die Stadt-Realschule

dem Gedächtnis sich

ihres Organisators

dankbar gedrungen Ferdinand Berg

gar langer Zeit in

gehörte

den

und ersten Directors zu widmen

fühlt.

einer Familie an, welche vor nicht

baltischen

Landen heimisch gewordeu

Sofern wir recht berichtet sind, wanderte

um

die

Wende

ist.

des Jahr-

hunderts ein jugendliches Brüderpaar aus dem jetzigen Königreich,

damaligen Kurfürsteuthum Sachsen aus und nahm Reiseziel

:

L

i

v

1

a n d

zum

ein Candidat des evangelischen Predigtamts, welcher die

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Am

473

Sarge Ferdinand Berga.

ihm bestimmte geistliche Herde, und eiu Buchbindergeselle, welcher den

goldenen Boden

gestade suchte.

Handwerkes im Norden am

seines

fanden

Beide

die Stätte,

an

welcher

Ostsee-

sie kräftig

und gedeihlich sich einbürgern durften, der eine auf verschiedenen estnischen Pastoraten

des

nördlichen Livland,

ländischer Generalsuperintendent

Lebensabend und

ein früher

ein

nach Riga

von

dort als

übersiedelnd,

Tod mitten aus

liv-

wo ihm

der Vollkraft ge-

segneter amtlicher Wirksamkeit heraus beschieden war, der andere in

der

alten

Wolmar,

livländischen Herzstadt

in

welcher

seine

Arbeit ihm ein Haus und eiue geachtete bürgerliche Stellung schuf.

Die männliche Nachkommenschaft beider Brüder

ist

Gegenwart

thätig gewesen

in

zahlreichen gelehrten Berufsarten

bis

auf die ;

und Schulmänner aus ihrer Reihe aber sind in deu letzten Decennien vorzugsweise der wolmarscheu Familienlinie entstammt. Dort in Wolmar nun wurde uuser Ferdinand Berg, als das die Prediger

jüngste Kind unter mehreren Geschwistern,

am

22. April 1825 ge-

boren, genoss die erste Erziehung und Unterweisung im elterlichen

Hause und verlor im sechsten Lebensjahre seinen Vater. Darauf empfing er weiteren Unterricht in der Kreisschule zu Wolmar und sodann zu Wenden, wo ihm die Familie seines Oheims, des damaligen liebevolle

Lehrers,

der Kreisschule, Moltrecht,

späteren Inspectors

Aufnahme gewährte, deren

er sich aucli erfreute, als er

nach absolvirtem Kreisschulcursus auf acht Jahre in die gymnasiale Lehranstalt zu Birkeuruh überging, povi unter der mustergiltigen pädagogischen Leitung des Lehrers von Gottes Gnaden. Dr. Albert Hollander, dem auch

wahrte, gewann Berg für

Herz, Gemüth

er zeitlebens in

ein

pietätvolles

Andenken

be-

nachhaltigster Weise segensvolle Eindrücke

und Charakterbildung.

Ausgestattet

mit

der

trefflichen Geistesreife, den gründlichen Kenntnissen und der schönen

sittlichen Gediegenheit, welche

die

ehrenvoll entlassenen Zöglinge

der Erziehungsanstalt zu ßirkenruh auszeichneten, bezog Berg im Jahre 1845 die Laudesuniversität Dorpat und wurde unter dem fünften Rectorate Neues immatriculirt. Er widmete sich dem Studium der Naturwissenschaften, aus welchen er zum Specialfach

die Zoologie erwählte.

akademischen Jahre

Seine

äusserst glückliche Zeitepoche

;

fielen

in

eine

denn gerade mit der zweiten Hälfte

des vierten Decenniums der Universität begann in Dorpat jener mächtige Aufschwung der naturwissenschaftlichen Disciplinen, von welchem die Forschung auf diesem Wissensgebiete uoch heute au

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Am

474

Sarge Ferdinand Bergs.

Der junge Student

der baltischen Hochschule getragen wird.

durfte

zu einer reichen, mehrfach glänzenden Corona akademischer Lehrer aufblicken, von welchen fast jeder

den Dienst

der Wahrheit

ihre hochbedeutsam fördernde

zu

anzuregen und für

fesseln,

Da

erwärmen wusste.

zu

entfalteten

Lehrwirksamkeit der Geist und Leben

sprühende Reichert, der meisterhafte Beherrschung des Lehrinhaltes mit klassischer Formvollendung des Vortrages verbindende ßidder, der mit Leichtigkeit die schwierigsten Aufgaben der Unterweisung

durch

lösende,

zur wissenschaftlichen Theilnahme

rastlosen Eifer

unwiderstehlich hinleitende Karl Schmidt, der namhafte Meteorologe

Kämtz, der tüchtige Systematiker Grube, der umfassend gelehrte und ausgeprägt kritisch veranlagte Asmuss, der feinsinnige Alexander Bunge, dem mühevolle Forschungsreisen den weiten Blick in das

Ganze der naturwissenschaftlichen Disciplinen, iu die tieferen Zusammenhänge des organischen Geschehens und seiner physikalischen Bedingungen eingetragen hatten. Aber der junge Naturforscher



liess es nicht bei

den nächstliegenden Fachstudien bewenden.

Kaum

wol aus einer Vorahnung des Berufsfeldes, auf welches das Leben

mehr aus der

ihn einst stellen sollte, sondern

intuitiven Erkenntnis

heraus, dass der Leitstern der universitas literarum ihm nicht verloren gehen dürfe, liess er

lesungen angelegen sein. Treffliches

geboten

;

so

tief

mathematischer Vor-

wurde damals Berg von der eminent klaren und

durfte

anschaulichen Lehrgabe Senffs,

Mindings und von den

den Besuch

sich

Auch nach von

dieser Richtung

dem gründlichen Unterrichte lebhaft anregenden Vor-

durchdachten,

trägen Mädlers vortheilen und hat später aus diesen Nebenstudien reichen als

Gewinn sowol

für die Fortschritte

seinem Hauptfache,

in

auch für seine didaktische Vorbildung davongetragen.

dem Einflüsse so hervorragender Lehrer mit ihren Gaben und Kräften des Wissens und Könnens war es eine Freude den Studien obzuliegen, und Ferdinand Berg hat seine Unter

reichen

ganze Universitätszeit von dieser Freude durchglühen lassen. Zum geselligen Freundesverkehr herzlich geneigt, hat er die wichtigste

Aufgabe

seiner akademischen Jahre doch

immer

als

die erste

oberste festgehalten und derselben alles untergeordnet.

denn für ihn ein ernstes, Arbeiten

frisches,

und Forschen gegeben,

eindringliches

längere Zeit

Da

und

hat es

und nachhaltiges hindurch

in

enger

Freundesgemeiuschaft mit dem Fachgenossen Flor, dem nachmaligen Professor der Zoologie in Dorpat.

Bei guten Gaben, unermüdlichem

Fleisse und grosser Treue in der Verfolgung

der gesteckten Ziele

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Am gelang es

Grad

475

Sarge Ferdinand Bergs.

Berg nach

vollendetem

Quadriennium,

den

gelehrten

eines Candidaten der physiko-mathematischen Facultät zu er-

werben, nachdem

er

die

Prüfung glänzend

bestanden

seine Inauguralabhandlung, welche die wissenschaftliche

der Brachyuren des Stillen üceans

betraf, mit

hatte

und

Bestimmung

allseitigem Beifall

anerkannt worden war.

So war mit

die Scheidestunde von der

ungewöhnlich

umfassenden,

wohl

alma mater herangenaht; fundirten Kenntnissen

ver-

sehen, zu ernster Charakterreife gediehen, verliess der junge Candidat

im Jahre 1850 Dorpat. Die wissenschaftlichen Lehrjahre im engeren was konnte dem für sein Fach begeisterten

Sinne lagen hinter ihm

;

Jünger der Naturforschung mehr das Herz bewegen als der Gedanke an den sofortigen Anschluss von Wanderjahren, welche die unmittelbar persönliche Kenntnisnahme von dem organischen Naturleben in verschiedenen Breiten und Graden des Erdkreises ihm er? In der That regte sich die Sehnsucht nach solchen Wanderjahren lebhaft in Berg; dieser Gedanke aber durfte für den unbemittelten, von früher Kindheit an vaterlosen Jüngling das

möglicht hätten

Stadium des Wunsches zunächst nicht überschreiten. sich

denn Berg kraft des festen Sinnes, der

thfttig

So entschloss

auszuharren ge-

ohne Schwanken, erwarb 1851 das Diplom und war als solcher fast vier Jahre lang thätig, zunächst auf dem Gute Friedrichshof im Hause des Herrn Behaghel von Adlerskron, sodann zu Wolmar in der Familie des Während dieser Zeit erfüllte Berg alle Kreisarztes Dr. Petersen. lernt hatte, kurz

und

eines Privaterziehers

Obliegenheiten seiner Stellung auf das gewissenhafteste,

ohne die

Pläne einer einstigen Forschungsreise aufzugeben, welchen er vielmehr alle seine Mussestunden zu Dienst stellte. Mit der ihm eigenen ernsten Beharrlichkeit betrieb er jetzt zusammenhängende

Studien

der Geographie, der Ethnologie uud der Meteorik

in

vervollkommnete sich alles

dieses

sehnlichsten

wirklich

in

und

der Beherrschung der englischen Sprache,

der Erwartung,

Wunsches ihm

gelang es

Professors

in

dass

nicht

ihm, wie

es

eine Verwirklichung

seines

werde.

Und

versagt

bleiben

scheint, durch Vermittelung des

Bunge und des Akademikers von Middendorff, bezüglich

der Theilnahme an einer wissenschaftlichen Expedition in die südöstlichen Grenzländer Russlands

zuknüpfen. als

der Krimkrieg

Keime

erfolgreiche Unterhandlungen an-

Dieselben waren dem Abschlüsse schon greifbar nahe,

erstickte.

ausbrach

Berg,

um

und das erwähnte Unternehmen im

eine verheissungsvolle Hoffnung ärmer,

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Am

47(5

Sarge Ferdinand Bergs.

welcher er grosse Opfer an Zeit und Arbeitsmühe gewidmet hatte, in dem bisherigen Wirkungskreise als JugendAls solcher trat er nunmehr auf sechs Monate in das Haus des wolmarschen Oberpastors Dr. Ferdinand Walter über und brachte sodanu vierthalb Jahre in gleicher Thätigkeit auf dem Gute Schloss Tirsen in der Familie des Barons Ceumern zu, bis

unentwegt

blieb

erzieher.

er endlich, nach fast achtjährigem Hauslehrerthun), im Januar 1859

Lehr Wirksamkeit an der Kreisschule zu Wolmar welchem Zwecke er die Prüfung für das Amt eines

in eine öffentliche

einrückte, zu

Kreislehrers

wissenschaftlichen

tretend angestellt und er im

zum

abgelegt

Zuerst

hatte.

stellver-

einem halben Jahre bestätigt, wurde

August 1800 nach dem Tode

Vorgängers Hinrichsen

seines

Inspector und ersten wissenschaftlichen Lehrer an der Kreis-

schule zu bis

nach

zu

Wolmar

Amt

ernannt, welches

er dreizehn Jahre

seiner Ueberführung nach Riga, zu

und

Schulbefohlenen

unter

wiederholt

grossem Segeu

bezeugter

lang, seiner

ehrender Aner-

kennung seiner Vorgesetzten verwaltete. Bergs Lebensbahn hatte sich jetzt nach Inhalt und Ziel entschieden Gottes Gedanken und Wege mit ihm waren vielfach andere gewesen als die ihm selbst vorseh webenden. Statt der Vegetation, den organischen Lebens- und Formgestaltungen in Steppen und Thalklüften, auf Bergkämmen und Meeresflächen nachzugehen, sollte er die liebevolle Erforschung und Pflege des wunderbarsten und köstlichsten Mikrokosmus üben des jugendlichen Menschenherzens, dessen Keimen, Knospen und Blühen bis zur ersten Fruchtzeitigung zu verfolgen und zu behüten ihm fortan oblag. Und Berg beschritt den ihm gewiesenen weiteren Lebensweg mit freudiger Entschlossenheit und bekundete und bewährte immer mehr die ihm innewohnenden Gaben und die treulich erworbenen ;

,

Fähigkeiten eines trefflichen Pädagogen.

Dazu brachte

unseren Tagen

und

Epoche

achtjährigen Hauslehrerberufes

seines

privaten mit der öffentlichen Lehrwirksamkeit

rungenschaft mit,

die

hochwichtige

Erziehung und dem Unterrichte in der Folgezeit

suchten, ja, allerdings

in

mit einer

Er

bei

ohne ein

der

sollte es

wachsenden Schülerzahl

in be-

Da

gilt ja

zu

thun

individualisirenden

haben.

Verfahrens

selbstverständliches und unverbrüchliches, in Wahrheit aber

demselben

der

eine werthvolle Er-

individualisiren.

überfüllten Klassen

das Gebot des

langen

beim Wechsel

pädagogische Kunst,

zu

stetig

er aus der

gegenüber befremdend

Verhältnissen

beträchtliches Lehrgeld

als

ein

vermag

an Fehlgriffen

doch

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Am

Sarge Ferdinand Bergs.

477

nur ein Lehrer gerecht zu werden, welcher vorgangig die Gelegen-

wahrnehmen dürfen, dem einzelnen kindlichen Individuum,

heit hatte

der, so zu sagen, in

jedem Sinne unpotenzirten Kindesseele eine

ein-

gehende, ungestört und un verwirrt sorgfältige Aufmerksamkeit und

Berücksichtigung angedeihen zu lassen. In Wolmar, als Inspector der dortigen Kreisschule, hat Berg,

nach seinem liche

Jahre

eigenen, oft wiederholten Ausspruche, äusserst glück-

befriedigendster Thätigkeit

in

verbracht, insbesondere

nachdem er dort durch seine Vermählung mit Fräulein Antonie Schwanck eine treue Lebensgefährtin und ein sonniges Eheglück gefunden hatte. Die alten, jetzt allmählich von der ßildfläche verschwindenden baltischen Kreisschulen waren vorzüglich orgauisirte

Lehranstalten

von

,

welchen

aus

durch

reiche Segensströme der Volksbildung zu gute

ihnen zu arbeiten und zu wirken,

Ferdinand Berg

dessen Charisma

war

ein

allzeit

lange

Decennien

gekommen

sind

;

an

hochehrenvoller Beruf, thatbereit

zu

würdigen

Aber auch das Leben an sich in der kleinen, isolirt belegenen, von dem Weltverkehr bis zur Hoffnungslosigkeit immer mehr abgedrängten Aastadt, welcher erst in den jüngsten Tagen freundlichere Perspectiven sich eröffnet haben, das Leben in Wolmar war ein frisches und gesundes zu Bergs Zeiten es herrschte nicht unterlassen hat.

;

dort,

dank der Angesessenheit einiger

gezeichneter Familien, ein

Zug

geistig

edelster idealer

und gemüthlieh aus-

und humaner Ver-

bundenheit aller Stände, es pulsirte dort ein der Hochhaltung aller in hohem Grade aufgeschlossenes und günstig bedessen intensive Bedeutung weit über Gemeinwesen seine extensive hinausging. Berg hat an dem Wohl und Wehe

Bürgertugenden

schaffenes

,

seiner Vaterstadt stets

den

treuesten, opferwilligsten Antheil

ge-

nominen und überall, wo es Gutes und Erspriessliches zu schaffen, zu erhalten, zu festigen und zu kräftigen galt, in erster Reihe gestanden

;

wie

zu den besten livländischen Patrioten zählte, so

er

gehörte er auch

zu

den

hervorragendsten, thätigsten Söhnen und

Bürgern Wolmars.

Habe

ich

bisher

kein

belangreiches

biographisches

Moment

übergehen wollen, weil es der Werdegang theurer Männer, die uns viel

geworden

regt, dass

ich

sind,

ist,

der vorzugsweise

unser Interesse also er-

uns Aufschluss über denselben erwünscht wird, so kann

mich kürzer fassen

in der

Behandlung jenes Lebensabschnittes

des verewigten Freundes, von welchem, die hier mit ihm gegangen,

aus eigener

Wahrnehmung Kunde zu geben und Zeugnis abzulegen

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Am

478

Sarge Ferdinand Bergs.

Ferdinand Berg

vermögen.

denn was er

in

Wolmar

ist

ihnen kein fremder

war, das

somit verantwortungsvolleren Wirkungskreise ein

Bürger

wackerer

Mann

gewesen,

er bei seinem grosseren und

ist

Riga geblieben

in

im lautersten Vollsinne des Wortes, welcher,

zugleich ein wackerer, langbewährter Pädagoge war, ganz besonders geeignet und befähigt sich erwies, Rigas Bürger-

da er

schule

ihrem

Programm

gemäss

in

ihr

Arbeitsleben

einzu-

führen.

Am

4.

1873

Juli

wurde Ferdinand

rigaschen Schulcollegiums zu

an

schaftlichen Lehrers

Er

Berg seiner früheren

und gemäss der auf ihn gefallenen Wahl des

Stellung enthöben

dem Amte

eines Inspectors und wissen-

der städtischen Realbürgerschule in Riga

am

August desselben seit dem August 1880 die Reorganisation derselben zur Stadtrealschule und wurde zum Director umbenannt. Erwägen wir, dass Berg die allererste Begründung und die fortlaufende Completirung der Schulbibliotheken, übergeführt.

eröffnete diese Anstalt

23.

Jahres mit G Lehrern und ö7 Schülern, vollzog

der

des Zeichen-, Turn- uud Musikwährend seines Directorates der Besuch der Anstalt auf f>70 Schüler mit 29 Lehrern in IG Klassen gewachsen ist, so gewinnen wir ein Bild der gewaltigen schaffenden, erhaltenden und weiterführenden Arbeitsleistung, welcher er während der fast vierzehn Jahre seiner Thätigkeit in unserer Mitte gerecht geworden ist. Nehmen wir hinzu, dass Berg an zahlreichen * ja fast an den meisten gemeinnützigen und an mehreren wissenschaftlichen wissenschaftlichen Cabinette,

saales besorgte, und dass



Vereinen unserer Stadt sich lebhaft betheiligt hat, wir nennen nur die literärisch-praktische Bürgerverbindung, den Naturforscherverein, den Gewerbverein, Taubstummenanstalt so

den



kaufmännischen Verein

nur eine

dass

erhellt,

und die

ungewöhnliche

Arbeitskraft bei einer äusserst starken Constitution und einer bis auf die tödtliche Erkrankung fast ungetrübten Gesundheit ihm den geschilderten

Umfang

es bleibt dabei wol die

seiner Leistung

Frage

Ueberbürdung mit Pflichten lebende

Mann

nicht so weit

sich

nicht

beeinflusst

offen, ,

ermöglichen

konnte.

Aber

ob die zunächst nicht empfundene

welchen

entziehen

der

mochte,

hatte, dass sie

für die

das

Gemeinwohl Natur

kräftige

zur Keimstätte der ver-

Es war ein schmerzlicher Anblick, Freund durch Monate der langsamen, aber

derblichen Krankheit wurde.

den einst

so

rüstigen

unaufhaltsamen Entkräftung anheimfallen zu ein erhebender Trosteindruck

ihn

sterben

sehen, zugleich aber

zu wissen als eiuen

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\jO

Am

Sarge Ferdinand Bergs.

lebenden

uu verzagt seines Glaubens

in Deniutli starken,

471)

evan-

gelischen Christen.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das Bild unseres nun Die Grundzüge

ausruhenden Freundes.

Wesens waren

seines

die

Treue und Wahrhaftigkeit mit dem Gepräge der Schlichtheit aus diesem Doppelkerne erwuchs seine unbeugsam rastlose Arbeits;

bethätigung.

Und was den Menschen

kennzeichnete,

nichts anderes

gab ihm die Weihe zum rechten Lehrer der Jugend. Er nahm es ernst mit dem hohen Berufe, über junge Seelen zu wachen und deren viele zur Gerechtigkeit zu weisen sagter Gegner jeglicher hinausläuft, es gehen

Leben

pädagogischen

;

darum war

Richtung,

zu lassen, wie es eben

erst die eigentliche Schule für die

er ein abge-

darauf

welche

gehe, weil

doch das

heranwachsende Generation

Ihm gehörten Erziehung und Unterweisung unlösbar zusammen, also, dass die naiözia weiset zum Guten, während die öiöax'} ziehet und leitet zum Wahren, beide aber einheitlicher abgebe.

Milder

Arbeit dienen.

Emst und

willen nur da, aber da auch

wo

Wohlwollen bildeten

unausbleiblich

zu

seinen

Un-

gewärtigen hatte,

die Wahrhaftigkeit verletzt wurde.

Aus *Nihil

ernst

war ihm geschrieben das Wort des

der Seele

veritas

eriöthet so

väterliches

Verkehrs mit der Jugend, welche

die Signatur seines

nur,

erubescit,

wenn

sie



am Herzen, dem Gemüthe

trauten «lugend

in

Tertullian

solummodo abscondi» (die Wahrheit darum lag es ihm verborgen wird) nisi

der Schule

für

der seiner Fühlung

das Leben

früh und

anver-

spät das

Eine unverlierbar einzuprägen, dass allein das offene Bekenntnis zur freimachenden Wahrheit nichts zu scheuen hat. Ein freudig dankbares Gedächtnis wird ihm in seiner StadtRealschule fortleben, so lange dieses Schulhaus den ernsten und erhabenen ßildungszwecken dient, denen zum Frommen es erbaut wurde von den Vätern der unserem Vollendeten zur zweiten und letzten irdischen

Heimat gewordenen

Stadt.

Dr.

Haitische«

MopüU.chria.

M, XXXV,

lieft c.

Gustav Poe 1 c h a

n.

82

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Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

Jährend

bereits

vierzig

Jahre

lang

Philologen

ersten

Ranges mit grösstem Eifer und recht lohnendem Erfolge bemüht sind, uns ein möglichst klares Bild von dem Wesen wahrend durch die der römischen Umgangssprache zu verschaffen Forschungen Ritschis, Rönschs, Lorenz', Wölfflins, Laudgrafs und ;

anderer nachgewiesen

ist,

dass die sog. klassische Latinität ausser-

halb des Entwickel ungsganges der Sprache stehe, welcher vielmehr

von dem archaischen Latein durch den sermo vulgaris

der

klassi-

schen Periode und die nachklassische Latinität nach den romanischen

Sprachen hin sich namentlich

der

erstreckt:

der

ist

gebildeten

der

deutschen Umgangssprache,

Bevölkerungsschicht,

nur

geringe

Aufmerksamkeit zugewandt. Denn wenn auch über die einzelnen Volksdialekte manches veröffentlicht ist, so fehlt doch noch ganz eine wissenschaftliche Darstellung

des deutschen sermo cutidianus 1

.

In den vorliegenden Zeilen will der Verfasser versuchen, in populärer

Weise das Wesen und die Eigenthümlichkeiten der deutschen gebildeten Umgangssprache im Gegensatz zur Schriftsprache darzulegen.

Fragen wir uns zunächst, welches

das Material

wir unsere Untersuchungen gründen können. nicht wie das Lateinische eine todte Sprache

Da ist,

ist,

auf das

ja das Deutsche

sondern vielmehr

zu den lebenden gehört, so werden wir uns auch nicht auf Spuren des sermo cotidianus, die in Schriftwerken erhalten sind, zu beschränken haben, sondern den mündlichen Gebrauch mit herein« 1

(Jmgangtmprache

di r

Gebildeten.

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Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

Um

ziehen dürfen.

gar zu

aher

der

dabei

481

subjectiven Anschauung nicht

wir das Hauptgewicht Umgangssprache legen, indem wir wiederum hierbei vor allem Goethe ins Auge fassen. Doch wie ? Ist denn nicht der durch die Schrift erfolgte Ausdruck der Gedanken unbedingt als Schriftsprache aufzufassen? Nicht immer. Unter letzterer verstehen wir die höhere, gebildetere Rede bei Völkern, die schon einen bedeutenden Grad von Cultur erreicht haben diese Ausdrucksweise wird durch strenge, zuweilen sogar pedantische Regeln bestimmt, während die Umgangssprache, sowol die der Gebildeteren wie die des Volkes, sich zwanglos nach den im Wesen der Sprache liegenden Gesetzen entwickelt. Somit haben wir einerseits Producte der Schriftsprache, die blos oder wenigstens vornehmlich für den mündlichen Vortrag bestimmt sind, vor allem die «Rede» — lat. oratio wie auch Erzeugnisse der Umgangssprache, die durch die Schrift fixirt sind hierher gehören

stets

viel

Spielraum

zu

lassen, wollen

auf die durch die Schrift

fixirte

;



;

namentlich alle die

die Briefe

an

befreundete Personen

Werke

literarischen

oder

ausserdem

;

doch Stellen

in

möglichst naturwahr das Gespräch einfacher Leute

ihnen,

oder

auch

welche

auch die

ungezwungene Unterhaltung Gebildeter wiedergeben sollen. Wol ziemlich allgemein ist die Anschauung vertreten, als sei der sermo vulgaris blos eine Vergröberung der höheren Ausdrucksweise, der sogenannten Schriftsprache, oder umgekehrt: letztere wäre »

:

Karl Heyse

in

seinem «System

der

«Die gebildete Schriftsprache hat eigentlich

künstliches ist mehr oder weniger ein muss erlernt werden. Reisst sich aber die Schriftsprache von der Volkssprache ganz los, so läuft sie Gefahr

nur eine ideale Existenz,

Culturproduct

1

;

es

Siebe bei Lna»

Der

«kiiffu-ln-

l'nterri.-lit

Kirim 1*72. 32*

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482

Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

zu erstarren und endlich zur todten Sprache zu werden.

Anderer-

muss, damit der Volksdialekt nicht verwildert, jeder

seits

ihm

iu

Aufgewachsene die Schriftsprache der Nation erlernen, um an dem geistigen Leben der Nation Antheil zu haben. > Auch Goethe sagt im sechsten Buch von c Wahrheit und Dichtung > «Der Dialekt ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Athem :

Und was

schöpft.»

gesagt

ist,

vereinzelte Personen sind es, die im

Verkehr des täglichen Lebens genau sprache beobachten

des einfachen Volkes

auch ohne weiteres auf die gebildete Umgangs-

Wol nur

sprache anwenden.

vom Dialekt

hier speciell

lässt sich

all

eine solche wird

;

die Gesetze

der Schrift-

uus vorgeführt

in

Freytags

Von ihm

«Die verlorene Handschrift» im Professor Werner.

sagt

«Es hört sich so gut an, denn Sie sprechen Sonst, wenn man von einem sagte: er spricht

das Landkind Ilse: anders als wir.

wie gedruckt, meinte ich immer,

es

ein Vorwurf, aber

sei

das richtige Wort;» und an andererstelle: die

Worte

so

quollen

auch

gewählt

reich, »

Werner

«Wenn

es ist

er sprach und

vornehm aus seinem Inneren

und

bediente

sich

eben

der Schriftsprache

der Unterhaltung, Ilse der gewöhnlichen Umgangssprache.

in

Nachdem wir uns nun klar gemacht haben, welches die Grenzen jener zwei Strömungen in der Sprache sind und mit welchem Material wir es bei unserer Betrachtung zu thun haben, wollen wir an unser Thema näher herantreten und die Unterschiede zwischen der deutschen Schrift- und Umgangssprache näher kennen zu lernen suchen.

Hierbei wenden wir unser

zwei Gebiete,

auf den Wortschatz jener Eigenthümliehkeiten

einiger

in

Augenmerk zunächst

womit

die Betrachtung

der Wortbildung

eng

zusammen-

hängt, sodann auf die Flexion und schliesslich auf die Syntax.

I.

Die Sprache

Der Wortschatz.

ist ein

lebender Organismus und als solcher be-

Wandelung unterworfen.

ständiger

unseres Jahrhunderts als Regel galt

bräuchlich

;

Gar manches, was am Anfang 1 ,

ist

jetzt

ganz unge-

schon

und auch unsere Ausdrucksweise wird nach nicht gar

zu lauger Zeit wenigstens theilweise als veraltet gelten.

kommene Material 1

(Jen.

g.

13.

die

wird

vollständig»

Declination

Hunnen?, Dat. Hansen, Aee. Hansen;

Lotten

manches

verarbeitet,

der bei

wird

Personennamen Goethe:

Das

über-

aufgegeben,

:

Noni.

Hans.

Wielanden, Starekens,

.* (Oleasolcher» oder «solch ein»,

stets «so ein»:

rius

im Götz)

Traurigkeit

;

;

so

in der

«Wie bedenklich



andererseits in

eine Sache

;

so ein

ist

den Briefen

wahrer Trost

so ;

eine

gewisse

so ein schöner

Name. Ebenso verhält es sich mit den beiden Formen «etwas» und «was» als Pronomen indefinitum «Kühn genug, etwas aufzuopfern» (Wahlv.)

1

;

«etwas Bedeutendes und Angenehmes» (Wahlv.)

Rabling

ViTHiuh einer Charakteristik

;

aller-

der römischen riiignngfttsprarhcx

Kiel 1873.

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Deutsche Schrift- und Umgangssprache. diugs stets

«was Besseres»

auch:

daselbst

da schicke ich Ihnen was

:

u.

wenn

;

ä.

in

;

ich

485

den Brieten aber

was malen

will

;

ob

daraus was wird. Schliesslich

noch

sei

prägnanten Gebrauch sonst

Wörter: «ich muss

allgemeinerer Bedeutung angewandter

zu Gaste» (B.

ins Colleg,

«da er nach Persien

1765);

Kürze hingewiesen auf den

aller

in in

ist»

(B.

a.

J. Riese, 21. Oct.

a.

K. Schönkopf,

1.

Nov. 1768).

Ganz entsprechende Wendungen im lateinischen sermo cotidianus führt Rebling an cogitare Romam, velle Romam. Was nun den Anhang zu diesem Capitel, die Wortbildung, :

anbelangt, so sei da blos auf zwei besonders charakteristische Er-



scheinungen hingewiesen.

sammenziehung von: «zu dem» in «zum»,

«in

«bei

Schon

Jahrhunderten

seit

ist

die

weiter aber geht seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die

gangssprache

:

Zu-

dem» zu «im», «von dem» zu «vom», dem» zu «beim» gebräuchlich. Noch

Um-

nach Analogie der angeführten Contractionen finden

wir in Goethes Briefen auch Formen gebildet

wie:

fürn Narren,



mitm Nachbar &c. Noch charakteristischer für die Umgangssprache ist aber eine audere Erscheinung auf dem Gebiete der Wortbildung das Streben nach anschaulichem, drastischem Ausdruck veranlasst häufig, dem einfachen Verb ein Adverbium, ein Präfix vorzusetzen, wodurch der Begriff mehr Leben erhält, specialisirt wird «der Begriff, den Sie sich von mir zusammengemacht haben» (B. a. Hetzler jun., 24. Aug. 1770); «wenn er meinen Vetter ausschalt» (B. a. K. von Klettenberg, «sich 26. Aug. 1770); «herumspazieren» (B. a. Herder, Juli 1772) übern Kopf,

zun Füssen,

:

1

:

;

herumbeissen» (B.

Hiermit

sei

a.

E. Jakobi, Febr. 1774).

denn

auch

dieses Capitel

Wir

abgeschlossen.

gehen zum folgenden über.

II.

D ie F

1

e x

i

o n.

Jedem, der, sein Augenmerk auf die Flexion richtend, Goethes liest, wird sofort die besondere Behandlung der Personennamen auffallen. Wir treffen da Wendungen wie: «Gottscheden habe ich noch nicht gesehen» «mit «Starekens Handbuch»

(Jorrespondenz

;

diese

1

zum

;

Doch hätten wir Unrecht, wollten wir Formen auf Rechnung der Umgangssprache setzen. Greifen

Justen»

;

«an Gleimen».

Ueber

eint-

ähnliche Erscheinung im

Pseudolua-Comnientar, Anni.

lat.

§.

vutyari* siehe Lorenz, Einl.

3t>.

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486

Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

wir irgend ein Stuck nmstergiltiger Prosa aus jener Zeit

wir

linden

so

dieselbe

merkung kurz erwähnt, haben wir

wo

thun,

sich

bereits

heraus,

einer

in

An-

es also hier mit einem Fall zu

Sprache

deutsche

die

Wie

Erscheinung.

überhaupt

Blütheperiode unserer Literatur verändert hat

;

seit

der

letzten

jene Formen gelten

jetzt als veraltet.

auch gar wol

Indessen unterscheidet sich

in der

Flexion die

Umgangssprache von der Schriftsprache. - Zunächst finden wir die höchst merkwürdige Erscheinung, dass im Vulgärdeutschen die

Neigung

endigen zu lassen, obgleich

s

Familiennamen und Fremdwörtern wir bei Goethe: cden Kerls> (Götz I, 1);

eigentlich nur den

zukommt. So finden *euern Bräutigams» (Götz 6.



herrscht, den Plural auf

Endung

diese

Oct. 1772)

I,

cdie Kerls»

;

und ßubens» (B.

a.

Hans

4)

(B

«unsere Spectakeis» (B.

;

Baff?)

a.

Kestner,

Kestner V); ja sogar: «Mädchens

a.

Jungens»

«die

;

(B. a.

Hans

Buff,

Juni 1773).

Ausserdem

scheint

die

Umgangssprache das Bestreben zu

haben, die schwache Declination, welche

der Schriftsprache zu

in

Gunsten der starken zurückgedrängt wird, festzuhalten; noch

sich

Märzen

vom

jener

in

Goethe auch

(bei

einem anderen

Formen

älteren :

als

«arme Schelmen».

:

Dinger»,

Kinder > mehrfach

in

welcher

so finden

des Bauern, Nachbarn,

:

im Briefe an Jakob Riese Nom. Plr. »Truthähnen» in Kurz erwähnt sei auch der

Mftrzens)

1765 begegnet uns

21. Oct.

Plural «die

die

;

:

sich

der

in

Goethes Briefen

;

Bedeutung von

«die

findet.

Erwähnenswerth sind auch einige Unterschiede auf dem Geder Oonjugation. Zunächst treten im Vulgärdeutschen die einfachen Formen des Conjunctivs, namentlich die des Imperfects, immer mehr zurück vor den umschriebenen ich höbe, er läge, wir biete

:

führen (von

fahren),

ihr

gäbet, sie

schliesslich der Schrittsprache an

weise

des

täglichen Verkehrs

;

sähen

in

heisst

n. a.

gehören fast

aus-

der gewöhnlichen Ausdruckses

dessen meist

statt

:

ich

würde heben, er würde liegen &c. Daneben tritt auch das Streben nach Verkürzung in verschiedener Weise in der Umgangssprache auf; so finden wir bei Goethe: «der Bursch furcht





geleit»

sich vor

Hexen» (Götz 1,3);

geleitet (Götz

Ihr

«dass

;

1);

;

sie

statt fürchtet



statt

habe zu Nacht gessen» statt: gegessen;



statt

Goethes Correspondenz

in

Darrscher

«ich

mitkommen

nicht

Aehnlich auch sisch)

I.

«den haben



mitgekommen

:

:

französch (statt

:

seid».

franzö-

Liebs, Freuudlichs und Guts.

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487

Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

Auf dem Gebiet Erwähnung Werthes.

nur

der Oomparation bietet sieh

wenig der

manchen Fällen, wo die Schriftsprache im Comparativ und Superlativ den Umlaut fordert, bleibt in der Umgangssprache der Grundvoeal unverändert, z. B. dummer, arger In

(ähnliches begegnet auch bei der Bildung der Diminutiva).

dem

überhaupt

zieht die Vulgärsprache, die ja

recht anschauliche Ausdrücke besitzt,

csehri die hyperbolischen

Ausser-

eine Vorliebe für

dem verstärkenden Adverbium

furchtbar, ungeheuer, schrecklich

:

Hiermit wäre das Capitel von der Flexion, wenigstens wichtigsten Punkten, erledigt und wir wenden uns nun

dem

— vor. in

den

letzten,

Es handelt von der

noch übrig gebliebenen zu.

Syntax.

III.

Von jeher hat die Schriftsprache eine ganz besondere Sorgfalt auf den Bau möglichst architektonischer Perioden verwandt, und dass hierdurch einerseits die Rede Wohlklang

das

logische Verhältnis

erhält, andererseits

und Gedanken zu

der einzelnen Begriffe

einander deutlich hervorgehoben wird, lässt sich ja nicht leugnen.

Aber

dieses eben sind Punkte, auf welche

nicht sonderliches Gewicht legt selbst

oft

unbewusst,

;

Einfachheit der

drastische Bildlichkeit des Ausdrucks.

Periodenbildung

vulgäre Redeweise

die

vielmehr erstrebt

sie,

Construction,

Während

dem Sprecher Kürze und nun

es

auf geschickte Handhabung

namentlich

schiedenen Nebensätze, vor

allem

derer, welche



ausdrücken, ankommt,

bei der

der ver-

abstract logische

Umgangssprache was die Nebensätze anbestark überwiegend dietrifft, so begegnen in der Umgangssprache jenigen, welche mehr sinnliche Verhältnisse bezeichnen, also Sub Verhältnisse

eine Vorliebe

für

die Hauptsätze,

stantiv-, Adjectiv-, Local-

ich (bis

an Goethes

c

zeigt

die

und

und Temporalsätze.

Zählungen, welche

Wahlverwandtschaften > und seinem Briefwechsel

zum Jahre 1783)

angestellt habe, gaben folgendes Resultat:

Wahlverwandtsch. vollst.

Haupts,

ca.

ellipt.

«

c

vollst.

Nebens.

verkürzte

«

Natürlich können die

«

Briefwechsel

44 pCt. 1

t

4G 9




mehr

soll

Aus-

zurückführen.

seid wieder einmal

«denkt, ihr

;

folgen;

soll

«bitt ihn,

;

beim Götz»

ein

;

gehen» &c.

ins Detail

wenn

des Indicativs und Conjunctivs,

erkenntlich,

im

wol auf das

und Anschaulichkeit des

Belege mögen wiederum Beispiele

er soll lustig sein»

auch

sich

sich

nach Vereinfachung "der Grammatik

sowie

wir die Wendungen:

in

Con-

der Indicativ

hierdurch wird denn oft das hypotaktische Satzverhältnis

;

in ein parataktisches verwandelt.

drucks,

die Schriftsprache den

vulgären Ausdrucks weise

pronominales Element steckt 1

welches Subject des einfachen Satzes

so

ist,

,

fordert doch die neu-

hochdeutsche Schriftsprache, welche das Gefühl für jene Bildungen verloren

das Subject

dass

hat,

extra ausgedrückt werde.

auch

manchem

gar

in

durch

Wort noch

ein besonderes

Das Vulgärdeutsch hat

sich hierin, wie

anderen, alterthümlicher erhalten

;

solchem

Gebrauche folgend, schreibt z.B. Goethe: «Ende (ergänze: ich) jetzt» «war gar nichts mit ihm zu thun» (ergänze: es); «werdet ;

(ihr)

sehen»

;

«wollte

(ich),

In ähnlicher Weise weilen an Stellen,

den Artikel anderes

als

fort,

ein

wo

ich sässe noch».

in

der

die strenge

*

*

pag. 87

fl.

für Zeitung

finden wir zuweilen den

bei

Schmalz

in

der Zeitschrift

f.

d.

die

Frage

(iymn. Wesen

ff.

Ganz besonders

deutlieh hat sich dieses in der altindischen und griechi-

schen Conjugation erhalten, während vollen

«geben Sie die vier

Angabe der Zeitbestimmung auf

Näheres hierüber siehe

XV.

;

mustergiltigen Prosa

blossen Accusativ zur

N. F.

der Umgangssprache zu-

in

Grammatik nicht gestattet, der ja, im Grunde genommen, gleichfalls nichts hinweisendes Pronomen ist. Goethe schreibt: es

«Euer Brief war Trostschreiben» Bornen» u. ä.

Auch

wir

lassen

Kndnngen eingebüast

hat.

Das

das Deutsche gricch.

zweiten Theil denselben Stamm, den wir in

bereits

in

alter Zeit

seine

SiÖüVfJt Midn-mii z. B. enthält im *mh> und «mich» noch besitzen.

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489

Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

wann

angewandt, namentlich bei

V

der Bezeichnung der Wochen-

Viel weiter geht dieser Gebrauch im sermo cotidianus

tage.

wir uns wieder an Goethe:

mir gut

(die

ist»

Um

halten

;

gebe mir das neue Jahr, was

Grammatik verlangt: im neuen Jahr) «wenn «ich komme den Sommer» (im Sommer) ;

Ostern käme» (zu Ostern) sivität

cGott

;

ich

&c.

Aufmerksamkeit des Hörers mit möglichster Inten-

die

auf den dem Redenden vor Augen schwebenden Gegenstand

zu richten,

sowol

es

liebt

Umgangssprache, das

die

bereits

wie auch die deutsche

lateinische

genannte Substantiv durch ein Pro-

nomen oder Adverbium wieder aufzunehmen. anderen aus dem Plautus die Stellen an

Rebling führt unter

pater tuus

:

i

s erat

patcr

meus und pone aedem Castoris ibi sunt homines. Gross wir nennen blos ist die Zahl derartiger Wendungen bei Goethe * Groschen die sind hier, wie Kreuzer bei euch» «meine Kennt-

jxitruelis

;

;

nisse habe ich

die

erwähnen wir noch, dass

Schliesslich in

Bezug auf

nicht alle durch SieV»

die Construetionen

in

mehrfach

Freiheiten gestattet, da es ihm, wie schon

deutend weniger auf die all

das Vulgärdeutsch

sich

jeder Hinsicht

die

grössten

bemerkt, be-

logische Genauigkeit uud das Einhalten

der von den Grammatikern aufgestellten Regeln, als auf Kürze

und Einfachheit des Ausdrucks ankommt. auch

in

den Briefen unseres Altmeisters

dungen, wie

sie jeder

ohne Bedenken

durch

Lehrer dicke

segne

«Blumen, die habe»

;

ich

So begegnen uns denn grosser Anzahl Wen-

Quartanern und Tertianern

bei seinen

rothe Striche

verziert.

Wir

wollen

Euer Weib, die (statt dem er) solche Freude gebe» uud ihr (statt aufprobirt und mich vorm Spiegel ausgelacht

pietätvoll blos ein paar Fälle

das) Gott

in

angeben

:

«

:

;

«an Euer Schicksal und (ausgelassen

Diese rein grammatische Partie

ist

:

mag den

Euere) Entfernung». Leser,

wenn

nicht ganz überschlagen hat, gehörig gelangweilt haben

;

er sie

trotzdem

ihm nicht erlassen werden, wenn er einen klaren Blick und unserer Umgangssprache gewinnen wollte. Falls aber sich jemand die

konnte

sie

über die Hauptunterschiede zwischen unserer Schrift-

Mühe gemacht hat, die Beispiele recht zu beachten, so wird es ihm aufgefallen sein, dass gar keine Citate aus Briefen, die Goethe in späteren Jahren (etwa nach 1786) geschrieben hat, angeführt sind. Der Grund aber hierfür ist folgender. Nachdem Goethe seine Sturm- und Drangperiode

überwunden

hatte, setzte er alles

daran, sich von jeglichen Schlacken zu reinigen

und

seine ganze

Persönlichkeit möglichst harmonisch und künstlerisch aus- und durch-

Deutsche Schrift- und Umgangssprache.

Da

zubilden.

ihm nun, namentlich

seit seiner

Rückkehr aus

Italien,

die vulgäre Ausdrucksweise roh vorkam, so streifte er sie ab und

wandte seitdem auch

der Correspondenz

in

fast ausschliesslich die

strengere und ausgebildetere Sprachform an.

haben

Bisher

strömungen

zum Schluss

Jetzt

wir

uns

damit

begnügt,

Haupt-

beiden

die

der Sprache zu untersuchen und zu charakterisiren.

in

noch ein kurzer Hinweis

sei

dass jede dieser Hauptströmungen

nicht

ein

darauf gestattet,

untheilbares, in sich

vollständig abgeschlossenes Ganzes darstellt, sondern sich wiederum in

Unterarten

Bei

zerlegt.

der

Schriftsprache

zwischen Prosa und Poesie zu scheiden

handlung

ausschliesslich

fast

bekanntlich

ist

wir haben

;

in unserer

erstere berücksichtigt

die

hat manche von jener abweichende Gesetze, ja

Ab-

letztere

;

einigem stimmt

in

sogar die Kunstpoesie geradezu mit der Umgangssprache überein

— Auch in der beobachten

Umgangssprache lassen

die lateinischen Forscher auf

;

(Redeweisen):

strmones

folgende

rusticus und pcrcgrinus

1 .

Richtungen

sich verschiedene

diesem Gebiet scheiden

cotidianus,

familiaris,

plebejus,

die beiden ersteren sind nicht wesentlich

;

unterschieden und werden von der gebildeten Klasse im zwanglosen

Gespräch angewandt

der plebejus bezeichnet die Sprechweise der

;

städtischen Bevölkerung,

einfachen

der

s.

bevölkerung

;

landen und

sein Charakteristicum besteht

mit fremdsprachlichen Elementen. dieser Sprechweisen

meisten

Goethes

in

in

Interessant

dem Durchwobensein

ist die

plebejische

dialekt

{s.

Rede

rust.), die

vertreten, die

durch

finden.

die Reiter

sprechen

im Land-

wir gesehen haben, von recht verschiedenen

ausgehenden

Hauptrichtungen,

auch die Umgangssprache,

haben

aber

sowol

ihre

die

volle,

Schrift- wie

durch die Ge-

menschlichen Geistesentwickelung nachgewiesene Be-

der

Erstere

rechtigung.

dass wir die

vertreten

übrigen bedienen sich ineist des sermo cotidianus.

Beide jene, wie

schichte

Bauern

es,

ist

Götz

Olearius hält sich streng an die Schriftsprache,

Principien

der Land-

die

rusticus

der sermo peregrinus schliesslich findet sich in Grenz-

den

ist

das

hervorragendste geistige Bindemittel

und Stämmen

der

deutschen

Nation und sichert hierdurch die nationale Einheit, wie

sie es be-

zwischen

einzelneu Vertretern

zur Zeit der Erniedrigung Deutschlands bewiesen hat.

reits 1

(Jans kurz hingewiesen Bei

(abgesehen von

der

Fortschritt

Weg

zu

Zu Beginn

legen.

der Landtagssession für 1886 kündigte deshalb die Thronrede Mass-

nahmen der Regierung zur Sicherstellung des Bestandes und der gedeihlichen Fortentwickelung der deutschen Bevölkerung in einigen

Sowol das Abgeordnetenhaus wie das Herrenhaus Anlehnung an diese Ankündigung bereit, die

Provinzen an. erklärten

sich

in

Regierung auf dem von

ihr

Wege

bezeichneten

zu unterstützen

und die erforderlichen Mittel zur Durchführung der als nothwendig erachteten Massregeln bereitwilligst zur Verfügung zu stellen. Unter dem

8.

Februar

188/»

bis

In

2

30000 Grundbesitzer gegenüber-

stehen, in den Gebieten, in

welchen der Mittelbesitz

kann

Masse der Bevölkerung der Geist der

sich unmöglich in der

völlig

fehlt,

Stabilität bilden, an dessen Existenz der Staat doch in so überaus

hohem Grade

interessirt

ist.

Es

ist

ein

sehr

richtiges

Wort,

erwähnten Versammlung des Vereins für Socialpolitik gesprochen hat, dass die sociale Pyramide, in deren unterster Schicht eine überwiegende Majorität von Grundwelches Professor Schmoller auf der

eigentümern die,

sitzt, eine

ganz andere Festigkeit

deren Basis aus besitzlosen Leuten

besteht.

in *

sich

Es

trägt als

fehlt

darum

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G

Zur inneren Oolonisation Gebieten

in diesen

und

an

einem Element,

subversiven Bestrebungen

Damm

in der

in

509

Preussen.

welches

unserer Zeit

den

einen

destructiven

unzerstörbaren

Weise entgegensetzt, wie ihn der französische Bauerngegenüber allen co in mun istischen und

stand, der Parcellenbesitzer collectivistischen

Bewegungen

bildet, gebildet

hat und bilden wird.

Ist es

ja bekanntlich vielleicht das grösste Verdienst der französi-

schen

Revolution,

Bauernstand geElement inmitten

besitzenden

sesshaften

einen

schaffen zu haben, welcher das eigentliche stabile

der brausenden

Wogen

politischen Lebens,

erregten

des

inmitten

des fortwahrenden Wechsels der Regierungen und Verfassungen mit

grösster

Zähigkeit

ungenügende Zahl

Die absolut

repräsentirt.

der spannfahigen Bauern in den oben erwähnten Provinzen zu ver-

mehren, hierdurch einen entsprechend grossen Mittelbesitz ins Leben zu

rufen,

das

sesshaftes, mit

besitzlose Taglöhnerthum dieser Gegenden in ein Eigenthum ausgestattetes Häuslerthum umzugestalten,

alles dies durch entsprechende

das

ist die

Verminderung des Grossgrundbesitzes,

Aufgabe, welcher sich die preussische Regierung gegen-

übersieht und welche sie lösen muss, will

sie

anders es verhüten,

dass der Äccumulationsprocess der Latifundien noch weitere Fortschritte

mache und so

Grundlage der Monarchie, die Grundlage

die

des ganzen Staats- und Gesellschaftsbaues lockere und erschüttere. In diesem Sinne hat der Verein für Socialpolitik in seiner Sitzung vom 25. September 1886 auf Vorschlag des Professors 8chmoller und des Abgeordneten Sombart folgende Resolutionen gefasst: «Die durch das Gesetz vom 26. April 1886 für die staat-

liche Colonisation in Posen und Westpreussen facultativ eingeführte

Form

des Rentengutes

ganzen

durch

ist

allgemeines Gesetz

ein

preussischen Staat zuzulassen

;

die

für

für

den

Posen und West-

preussen beschlossene Art der Schaffung einer grösseren Zahl mittlerer

und kleinerer bäuerlicher und Häuslerstellen hat

eine nationale, sondern auch

eine

muss daher nach und nach auf

socialpolitische

die

nicht

Bedeutung;

übrigen Theile

nur sie

des deutschen

Ostens ausgedehnt werden, welche an einer ähnlichen Vertheilung leiden.» Diese Meinungsäusserung einer hochangesehenen Vereinigung von Männern, welche sich des bedeutendsten Ansehens nicht nur im deutschen Reiche, sondern in der gedes Grundeigenthums

sammten

wissenschaftlichen

Stellung, die

man zur Zeit

Wissenschaft wie seitens socialen

Welt in

der

Problemen einnimmt.

erfreuen, ist bezeichnend

Deutschland, und

zwar

praktischen Politik,

für die

seitens der

gegenüber den

Vor einem halben Menschenalter

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Zur inneren Colonisation

510

in Preussen.

noch wäre es als ein schlechter Scherz bezeichnet worden, wenn jemand die Behauptung aufgestellt hatte, nach zwei .Jahrzehnten werde eine Versammlung hervorragendster Gelehrten, Staatsmänner und praktischer Politiker, die allen extremen Anschauungen durchaus abhold sind, die Ausführung von Massregeln seitens des Staates verlangen, welche einen Eingriff der öffentlichen Gewalt in

und Besitz Verhältnisse in intensivem Masse darstellen. Nur dem ungeheuren Umschwung, welcher auf dem Gebiete der socialpolitischen Anschauungen seit dieser Zeit eingetreten ist, muss es zugeschrieben werden, dass man heute Ziele verfolgt, die damals unbedingt mit dem Vorwurfe des Utopismus und Gommunismus gebrandmarkt worden wären. Professor Schmoller

die Gestaltung der Eigenthums-

seinem

mehrfach

sagte

in

gelte

den Grossgrundbesitz

angeführten' Frankfurter Vortrage,

es

auf mindestens 40 püt. zu reduciren,

Umfang des Mittel- und Kleinbesitzes mindestens 60 pCt. übrig bleiben. So massvoll und begrenzt dieser Vorschlag im Vergleiche mit weiter gehenden Plänen, welche dem Grossgrundbesitz höchstens 20 pCt. lassen wollen, auch ist, so muss dennoch die ihm innewohnende Tragweite eine geradezu gewaltige genannt werden. Käme er zur Ausführung, so würden etwa so dass für den

vier

bis

sechs

Millionen

Morgen,

also

Hektare, dem Mittel- und Kleinbesitz

1

l 1 /»

bis

Millionen

zugewiesen werden können.

hierdurch auf etwa 50 pCt. erhöht, während die Verminderung des Grossgrundbesitaes nur ein Achtel bis ein Siebentel Gleichwol würde dies seines derzeitigen Gebietsum langes betrüge.

Derselbe würde

hinreichen,

um

die Zahl

der

um

spannfähigen Bauerubesitzungeu

80000 zu vermehren und von der nomadisirenden Taglöhnerbevölkerung, welche mit jedem Tage dem Staate und der Gesellschaft feindseliger gegenübertritt, 2 bis 300000 zu sesshaften Eigenthüraern eines Häuschens mit ein paar Morgen Landes umzuwandeln, genügend, um den zur Ernährung einer Familie erforderlichen Er60

bis

trag zu liefern.

Ist es zu viel gesagt,

wenu Schmoller behauptete,

dass dann der flutenden Masse der Besitzlosen ein fester Halt ein-

gefügt und dieser ganzen Gesellschaftsklasse die Aussichtslosigkeit

genommen

sei?

Ist es übertrieben,

zwischen Reichthum und Armuth für das Gesellschaftsleben auf

wenn

er meinte, dass alsdann

ein Mittelglied

dem Lande,

für

wieder eine ganz andere Stufenleiter geschaffen

vorhanden er

ist V

Auch der nüchternste

auch der Ideologie

eben so kalt

hergestellt

und

das Gemeindeleben sei,

als

sie

jetzt

socialpolitische Denker, sollte

und

ohne

jedes Verständnis

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Zur inneren Colonisation

511

in Prenssen.

gegenüberstehen wie der erste Napoleon, wird zugeben müssen, dass die socialen

Wirkungen

dieser Massregel wol noch weit über diese

Perspective hinausgingen. sten

Anstrengungen

Freilich erfordert dieselbe die bedeutend-

und. Opfer

Man denke

des Staates.

seitens

nur einmal an die Geldmittel, welche diese Staatsaction in grösstem

Mit den hundert Millionen, welche durch

Style erforderlich machte.

vom

das Gesetz

1886 bewilligt

26. April

wurden, glaubt

die Re-

gierung 100000 Hektare in Posen und Westpreussen ankaufen und

Um die

colonisiren zu können.

Colonisation auf eine Million Hektare

Summe

auszudehnen, bedürfte es also einer

Es braucht nun

Mark.

dass Preussen ein

von tausend Millionen

nicht erst besonders bemerkt

solch

colossales Capital

zu werden,

nicht auf

einmal

für

Unternehmungen aufwenden kann, und es ergiebt sich hieraus mit Notwendigkeit die Folge, dass es sich nicht darum handeln kann, von heute auf morgen die Ausführung der inneren

colonisatorische

Colonisation in dass

dem bezeichneten Umfange zu

eine Massregel

es

gilt,

decretireu,

sondern

während einer Reihe von

nur

die

Generationen zu volleuden

ist.

Dadurch

wahrhaft staatsmännische,

der

socialen Gerechtigkeit in vollstem

unterscheidet

sich

diese

Masse Rechnung tragende Agrarpolitik von den utopischen Zielen des Socialismns und Communismus; sie erstrebt nicht Erwerbsformen, welche mit der heutigen Rechts- und Wirtschaftsordnung jedes

Zusammenhanges absolut entbehren,

sie will nicht

zurückkehren

zu Besitz- und Eigenthumsformen, welche den überwundenen Zeiten der Barbarei angehören und die Entfaltung der Cultur unmöglich

machen, sondern sie will vom Boden der bestehenden Verhältnisse aus die bedenklichen Erscheinungen der Gegenwart beseitigen, die

ungesunden Verhältnisse verbessern nicht

die

Formen

Revolution.

sie will die

;

knüpft

Sie

lest

und Jahrtausenden bestehen; massvolle

Correctur

eigentums

die

was besteht, notwendig ist, eine

der bestehenden Verteilung

in

eintreten lassen«.

Ob

ginnen und durchzuführen, ob er Friedericianischen

Vereins

aber

an

sie will alles Berechtigte,

Politik Bd. 33.

Grund-

in

Umfange zu

Anknüpfung an

ent-

be-

die Traditionen

Monarchie die Agrarreform des Freiherrn

Vgl. G. Schmoller in für Socialpolitik,

des

der preussische Staat sich

schliessen wird, die innere Colonisation in diesem

1

einfach

des wirtschaftlichen Lebens an, wie sie seit Jahrhunderten

sorgfältig erhalten, sie will nur so weit, als es

der

Reform,

und

Beinem Referat

auf der Generalversammlung des des Vereins für Social

abgedruckt in den Schriften

Leipzig, Duucker

BaltUrho Monatwehrift, Band XXXVI,

& Humblot Ihm

6.

1887.

S.

90-101. 34

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Zur inneren Colonisation

512

Preussen.

in

von Stein und des Fürsten Hardenberg fortsetzen und weiterbilden wird, dafür wird der Erfolg der Colonisation

in

Posen und West-

preussen von massgebender Bedeutung, dafür wird bestimmend sein,

ob der preussische Beamte heute noch eben so wie

versteht

einem Jahrhundert,

vor

ob

gut

zu colonisiren

Nachkommen

die

jener

Manner, welche mit Kelle und Pflug nicht minder wie mit Schwert und Spiess am Ostwall des Reiches deutsche Cultur und deutsches

Wesen

verbreiteten,

die

gleiche Fähigkeit

wie die Vor-

besitzen

und um deswillen rechtfertigt es sich vollkommen, wenn im Eingang dieser Darstellung gesagt wurde, das Colonisationswerk fahren,

in

den beiden Provinzen habe nicht nur eine

socialpolitische

auch eine

«Ziemlich

Deutschen

jetzt

Hälfte

die

inne

des Gebietes, welches

haben,

sondern mehr noch mit

nationale,

Europa

in

durch

blos

nicht

ist

Axt und

sondern

Bedeutung von grosster Tragweite die

das Schwert,

Pflug, mit Mauerkelle

und Ellen-

Jede Form von Colonisationsthätigkeit war dabei Deutsche Fürsten legten Dörfer und Städte an, Ritter

stab erworben. vertreten.

und Gewerker kamen im Hofgefolge oder jeder auf eigene Hand.

Bauern familienweise oder

nehmer planmässig

in

ganzen Zügen, hier betrieben Unter-

die Ansiedelung, dort

baute jeder sich einzeln

den Wohnsitz, Kaufleute gründeten Factoreien

oberung hinter sich striche

zum

her,

Mönchsorden

nahmen

und zogen die Erganze Land-

sich

Ziele für Feld-, wie für Schul- und Kircheubau, Ritter-

orden richteten sich im Neuland fürstliche Herrschaft

ein,

Fürsten

und vornehme Frauen im Slavenlande wandelten ihre Städte und Dörfer zu deutschen um'.» In diesen anschaulichen Worten hat ein hervorragender deutscher Historiker ein

zutreffendes Bild von

dem Umfang und der Wirksamkeit der deutschen Colonisation im Osten gegeben, wie

sie seit

Galt es damals

wurde.

den Zeiten Karls des Grossen betrieben

der Cultur und Civilisation

dehnte Gebiete zu erwerben,

so

gilt

es

heute

die

neue, ausge-

culturwidrige

Gestaltung der Grundeigenthumsverhältnisse zu ändern Vertbeilung des Grund und Bodens zu ersetzen,

eine

und durch welche

die

Existenz solcher Zustände, wie sie die antike Welt zur Zeit Neros

gekannt hat und wie möglich macht.

sie

Es wird

die

moderne Welt

wirkelung des preuss'schen Volkes

*

um

u

F. v.

m.

in Irland

kennt, un-

Thaten

in der Ent-

eine der gewaltigsten sein,

wenn der preussische

UAu-r. Beitrüge zur Gceehiriit* und Völkerkunde II, S.

1.

Staat

Frank

IHK*}.

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Zur inneren Colonisation sich dieser

Aufgabe

unterzieht.

513

Preussen.

in

Die Agrarreformgesetze alter und

neuer Zeit, die Beseitigung der Leibeigenschaft und die Aufhebung

Was

der Grundlasten weiden neben ihr an Bedeutung zurücktreten.

dem Bauerstand gesündigt, was

frühere Generationen an zeit

an ihm durch das Bauernlegen verbrochen

Colonisation

wird durch die

zum Theile wieder gut gemacht und darf man mit einem der Männer, welche

wenigstens

sühnt werden, und so geistert die

hat,

die Feudal-

gebe-

Fahne der inneren Colonisation hochgehalten, mit dem

Pastor von Bodelschwingh, dem Vater der

Hoffnung hegen, dass

sie

ein Mittel


MockbIi sechs

in

schienen

grossen

Bänden

und

1883

1884,

St.

Petersburg,

er-

ist.

Das uns an dieser Stelle beschäftigende Werk, cDie Volkswirtschaft Russlands >, nimmt eine eigen thümliche Stellung in der Wer mit nationalrussischen volkswirtschaftlichen Literatur ein. ökonomischen und statistischen Fragen Russlands sich zu beschäftigen hat, wird zuerst freudig überrascht sein über die reiche Fülle des Materials, das in den letzten Jahrzehuten gesammelt und

weniger

oder

verarbeitet

man

Dringt

ist.

näher

aber

in

mehr das

Material ein, so macht sich sogleich eine empfindliche Lücke fühl-

Es

bar.

wie auch

ergiebt

nämlich, dass

sich

die

eine

Gruppe des rohen,

nur Specielles, Locales, die

des verarbeiteten Materials

bietet. In der ersteren Gruppe sieht man den Wald vor lauter Bäumen, in der anderen die Bäume vor lauter

andere nur Allgemeines

Wald

Entweder erhält man einen allgemeinen, abgeblassten

nicht.

Durchschnitt,

der

die Gegensätze,

sondere, aus welchem

das Unterscheidende,

schliesslich

sich

doch

das

Be-

das Allgemeine ver-

söhnend, vermittelnd und verbindend gestaltet, verschwinden lässt,

man verirrt sich im tiefsten Detail des Localen, Accidentellen und verliert die Fäden des Zusammengehörigen und jeden Mass-

oder

stab zur Beurteilung selbst des Einzelnen, da die organische Be-

ziehung des Einzelnen zu grösseren Gruppen und schliesslich zum

Allgemeinen

Dieser

fehlt.

Misstand

Specialfragen gewidmeten Schriften.

wir zur Illustrirung

dieser

ferenten näher liegt, heraus

und

in dieser

Russland

auf Grund

Werth

sind.

Die

grosse

in

den

Das grosse Werk des

Verteilung des Grundbesitzes

von Materialien

nach einem gemeinsamen Programm, nach langt

selbst



Frage einige Specialgebiete.

ist

sich

der reichen Fülle greifen

Behauptung ein Gebiet, das dem Redie Agrarfrage im weiteren Sinne

statistischen Centralcomite" über die in

zeigt

Aus

zusammengestellt, die

einer Schablone einver-

Bedeutung dieses

Umstandes,

dieser grossen Arbeit erheblich schmälert,

ziehungen ihn auf den Nullpunkt bringt

und

in

der

den

manchen Be-

den Uneingeweihten

geradezu irreführt, wird dem Leser aus dem Hinweis auf ein Beispiel klar werden.

das

In Betreff des bäuerlichen Grundbesitzes geht

Programm vom Gemeindebesitz

aus,

und nach dieser Schablone

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516

Russlands Volkswirtschaft.

und

sind die Materialien gesammelt, zusammengestellt,

auch

völkerung im individuellen Grundbesitzrecht neben der Zahl

und

der Revisionsseelen

der bäuerlichen Höfe vermerkt

auch

vorhandenen (männZahl

die

so erhalten wir doch kein oder

ist,

thatsächlichen Vertheilung

der

falsches Bild

Wenn nun

lebt.

der

dem Lande des Gemeindebezirkes

lichen) Seelen, sowie

ein

verarbeitet

Betreff der Gouvernements, in welchen die bäuerliche Be-

in

des bäuerlichen

Grundbesitzes, zumal der Begriff des Hofes sowol beim Gemeinde-

auch

besitze, als

begrenzter

fest

individuellen Grundbesitz

parcellirtem

bei

greller hervor, je

bäuerlichen Bevölkerung, Grösse des ßauerlandes pro

zum Schluss

gehen, und

kein

Der Fehler des Schablonenhaften tritt um so mehr wir auf das Detail (Kreise, Gruppen der

ist.

Hof &c.)

ein-

erhalten wir eine Caricatur der thatsäch-

lichen Verhältnisse.

Ein Gegenstück zu dieser uns

die

dem

seit

letzten

nivellirenden Statistik bietet

alles

Decennium aufblühende landschaftliche

Statistik, insbesondere so weit sie die wirthschaftlichen Verhältnisse

zum Object suchungen als

Hier finden sich Gruppirung erstreckt

Ausnahme,

auf die Wolost.

Detailunter-

speciellsten

die

hat.

die

:

sich,

wenn auch

freilich

nur

Nur

eine

auf den Kreis.

sonst

Landschaft hat es bisher zu einer Darlegung und zusammenfassenden Schilderung

wie etwa

nicht,

Gouvernements gebracht (Moskau).

eines ganzen

Er-

uns jedoch dessen, dass die russischen Gouvernements

innern wir

z.

B. unsere baltischen Provinzen, die preussischen

Provinzen, die bayerischen Kreise &c, historisch und social-ökono-

ausgeprägte

misch

Individualitäten

vielmehr

sondern

sind,

aus

praktischen Erwägungen der Verwaltung hergestellte Bezirke darstellen

etwa

wie

,

sich,

dass auch

Mau

hat

nun

die

solch freilich

Departements so ergiebt Gruppirung uns kein Ganzes bietet.

französischen

eine

andererseits

Gruppirungen von Gouvernements je

,

in

der

nach

allgemeinen Statistik ihrer historischen

und

wirthschaftlichen organischen Zusammengehörigkeit aufgestellt, aber

wegen

der

Statistik

anderen,

tritt

zum

Theil

oben

berührten

Mängel

dieser

das Typische der Gruppen nicht plastisch entgegen.

Von den Versuchen, der Untersuchung

diese beiden gegensätzlichen Methoden und der Schilderung der wirthschaftlichen Ver-

hältnisse organisch zu verbinden, ist der gelungenste und in wesentlichen Beziehungen der erste Versuch das

hat

es

verstanden,

Darstellungen

in

geradezu

das Allgemeine

Werk

Besobrasows.

künstlerischer Gestalt

aus

dem Besonderen

Er

in seinen

und das Be-

Digitized

b'y

Google

517

Russlands Volkswirtschaft. sondere lassen.

aus dem Allgemeinen hervortreten und entstehen zu Ein besonderes Verdienst uud dem weiten Gesichtspunkt

des Verfassers entsprechend ist es, dass überall das wirtschaftliche

Leben und seine Gestaltung hältnissen aufgefasst

dem inneren Causalnexus mit

in

dem

Wir

und geschildert wird.

bezeichnen dieses

gerade die Loslösung des wirth-

Verdienst als ein besonderes, weil schaftlichen von

der

mit den sittlichen uud socialen Ver-

geschichtlichen Entwickelung,

culturellen Leben, wie sie in den volkswirt-

schaftlichen Schriften üblich

die volle

ist,

Ergründung

selbst

des

wirtschaftlichen Lebens unmöglich gemacht hat.

Es würde den mir zu Gebote

gestellten

Raum

überragen,

wollte ich auch nur in allgemeinen Umrissen den Inhalt des reichhaltigen

Werkes

Ich beschränke mich daher

skizziren.

folgende Bemerkungen,

um dem

Leser

ein Bild

auf

nach-

seines Charakters

zu bieten, sowol was die Methode der Untersuchung als auch was

Art der Behandlung des Stoffes anbetrifft, Das erste Capitel Gruudthema des Werkes das moskausche IndustrieNach einer kurzen äusseren Umgrenzung dieses Moskau gebiet. zum Hauptcentrum habenden Gebietes, die sich in ihrer Speeialisidie

bietet uns das

:

rung, in der Kennzeichnung der Nebencentren &c. vorteilhaft von

der usuellen schablonenhaften Einreihung der Gouvernements unterscheidet, erhalten

wir

eine

der natürlichen Be-

plastische Skizze

dingungen dieses grossen Landstrichs, dem schon durch die Natur ein gesonderter, in gewisser Beziehung in sich abgeschlossener

Charakter gegeben

ist,

sodann einen geistvollen historischen' Ueber-

blick der Entstehung und durch die natürlichen und ökonomischeu

geförderten Ausbildung

Bedingungen Staat, des

Moskaus

aus vielen Stämmen und Völkern

zum

moskauschen

sich durch-

und aus-

arbeitenden Grossrussenthums und seiner Bedeutung für das wirtschaftliche und staatliche Leben

wohltuend

in

Moskaus und Russlands.

Besonders

der heutigen Zeit der nationalen Schwindeleien wirkt

es auf den Leser, dass der Verfasser bei all seiner Liebe für sein die stets sympathisch

Volksthum, nationalen

Ueberhebung,

wie

sie

wirkt,

sich durchaus von

heute

so

beliebt

Auch

nirgends verdrängt das Nationale das Allgemeinmenschliche.

müssen wir

als einen besonderen

Vorzug hervorheben, dass

Zeit des herrschenden Pessimismus,

schem Gebiet nur Grau

in

wo

insbesondere auf

in einer

ökonomi-

Grau gemalt, das günstig Auf knospende

nicht beachtet wird, er die Ansätze überall,

wo

jeder

freihält

ist,

sie sich zeigen,

einer gesunden Entwickelung

nach Gebühr hervorhebt, Licht

und

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518

Russlands Volkswirtschaft.

Schatten gerecht vertheilt und sich hierbei nicht durch das Schlag-

wort «unberechtigter Optimismus » beirren folgenden Capitel

führen

das im ersten Capitel

das

ganze

im einzelnen

aus

und

«Die Messe

in

erste Capitel

Werk

dar, die

begründen somit

allgemeinen Umrissen Dargelegte.

in

«Die Wolga von Twer

Capitel behandeln:

Das

lässt.

für

gleichsam als Leitmotiv

stellt sich

bis

Diese

Nishni-Nowgorod

Nishni-Nowgorod und den allgemeinen Stand unseres

gewerblichen Lebens» (im ersten Band), «Das Gouvernement Nishni-

Nowgorod und die Oka von Nishni-Nowgorod bis Räsan>, «Das Gouvernement Jaroslaw». Jedes Capitel liest sich wie eine spannende Erzählung, da es dem Verfasser geglückt

Apparat des

Nachweises für das Geschilderte ersten Bandes

und

gebrachten

in der ersten,

des

einige

;

speciellen

an den Schluss des besonderen

zweiten, einen

der

in

Band bildenden Beilage zu deponiren

den schweren

ist,

und anderen Materials,

statistischen

in

diesen Beilagen

gebotene Artikel tragen den Charakter werthvoller Monographien, die

um

Beachtung verdienen, indem

ihrer selbst willen



Specialfragen klarstellen.

sie wichtige

Iu den geistvollen Schilderungen geht

der Verfasser vielfach auf geringste Einzelheiten ein, bietet Detail-

aus dem Leben

malereien

kleinen Handwerkers,

des

eigene Tüchtigkeit heraufgekommenen Bauers, aus

und

Leben

tieftraurigen

des Hausindustriellen

eines durch

dem

und

glücklichen

des

Fabrik-

arbeiters, oder er schildert Scenen, wie sie sich auf der Reise boten

Der aufmerksame Leser

(zufällige Reisebekanntschaften &c).

aber

schnell

ungebührlich

heraus,

der Verfasser

dass

nachgiebt, sondern

dass

Verständnis des Ganzen erforderlich

ist

das Detail :

findet

nicht einer Liebhaberei

wesentlich

zum

es sind das alles typische

Erscheinungen, die die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Gewerbe

Das Bedem Gesichtspunkt des Allgemeinen und

und die social-ökonomischen Verhältnisse charakterisiren. sondere wird immer unter

das Allgemeine unter dem des Besonderen betrachtet und beurtheilt, dabei tiberall mit einem Zurückgehen auf die historische Erklärung

der Erscheinungen verbunden.

Unter diesen



reichen

Fragen,

sowol

als

auch

möchte ich die Palme dem

Capiteln in Betreff in

Betreff

handlung.

Wir

slavischem

Culturboden

befinden

letzten

der Vielgestaltigkeit der behandelten

uns

der

und anregenden Beim Gouv. Jaroslaw, auf alt-

geistvollen

hier,

(Besiedelung

aus

Gross-Nowgorod

,

das

Rostow-Ssusdaler Land), das weniger als irgend ein anderer Landstrich



nach Abschluss der Kämpfe

um

die Vorherrschaft

mit

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510

Russlands Volks Wirtschaft.



Wladimir uud Moskau

der Geschichte Russlands

Anfang des

17.

den späteren Wirren und Stürmen

von

Jahrhunderts

vom

noch

(nur

mehr

hat denn auch dieses Gebiet

als

polnischen

berührt

betroffen)

ein

Einfall

worden

ist.

am So

anderes sich die alten

die, beeinflusst und modificirt durch moderne Entwicklung, ein eigenartiges Leben sowol in allen gewerblichen Zweigen wie in der socialen Ausgestaltung geschaffen haben, das viel mehr individuelle Ausprägung zeigt als sonst irgend Das eigenartige Gepräge tritt uns entein inneres Gouvernement.

Cnlturelemente erhalten können, die

gegen sowol in der bäuerlichen Wirthschaft: besondere Gestaltung des Gemeindebesitzes, hohe Eutwickelang des weit berühmten Gartenbaues, der Hausindustrie in allen ihren Formen, als auch im Fabrik-

und Handels wesen, in der harmonischen Vertheil ung des Grundbesitzes (in

seinen Hauptarten) und

religiösen

Leben

eudlich

(die grösste

im

noch

geistig-sittlichen

und

Verbreituug der Kenntnisse des Lesens

und Schreibens, Sectenwesen, Klöster .

liches

begünstigt,

Leben zeigen, das Aussehen

Städte haben,

doch

«

Dorf-

Dörfer, die, durch je nach der Oertlichkeit

aber

officiell

ein

und

reich entwickeltes gewerb-

den Charakter wirklicher

als Dörfer

gelten,

da

sie nicht

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520 in

Russlauds Volkswirtschaft. die

Rangklasse

Städte einrubricirt

der

interessantes Gegenstück gegen die

tindenden officiellen Städte, die in

und

weisen

nichts anderes

die betreffenden

sich

vom

vollständige Dörfer

als

haben,

Städtischen

er-

dass sie

als

Kronsbehörden beherbergen und mit der allgemeinen

Städteordnnng bedacht

sind

ländlichen Verhältnisse

viel



ein Kleid,

weit

zu

complicirter Verwaltungsapparat die

lebens nicht fördert, sondern erstickt.

zeigen uns nun die

Russlauds,

gebiet >

ein

sich so zahlreich

äusseren Gestalt und

der

in

der Bewohner

der Beschäftigung

bilden

Sie

sind.

Russland

in

ist,

das

die einfachen

für

eine Verfassung, deren

Entwicklung des GemeindeDas entgegengesetzte Bild

Dorf-Städte >, die sich vielfach im

«

vornehmlich

in

«

Industrie-

Gouv. Jaroslaw, Nishni-

den

sie haben nichts Dorfartiges als Nowgorod. Wladimir &c. finden Der letzte thatsächliche Nachklang an das ursprüng;

den Namen. liche

Dorf leben

das Verhältnis

ist

zum Grundbesitz und das Hier ergiebt

ge-

nun die wissenschaftlich sehr bedeutungsvolle, bisher nur aus kümmerlichem Material und Combinationen ermittelte, eigentlich nur hypothetisch nossenschaftliche Recht an demselben.

sich

ganz wie in a) die alten Städte sich aus dem markgenossenschaftlichen Verbände der Dörfer entwickelt Während in germanischen Landen der Umwandlungsprocess haben. aufgestellte (Keussler) Erscheinung, dass in Russland

der germanischen Welt (Maurer, Arnold

u.

vom markgenossenschaftlichen Grundbesitzrecht zum gut im Sinne des römischen Rechts sich gilbten

Acten

ermitteln

lässt,

wir

finden

volle Stufenleiter der

Umwandlung noch

aus

russischen

in

Städten > diesen Process im Werden begriffen.

Corporations-

uoch

nur

fast

«

ver-

Dorf-

Hier sehen wir die vor Augen

lebendig

:

in

der einen Gruppe dieser Dorf-Städte wird noch ein Theil des Landes

nach

markgenossenschaftlichem Recht

genutzt,

in

einer

audereu

aber schon nur von einem Theil der Genossen, in der dritten wird endlich das ganze Gemeindeland (mit

Bevorzugung der berechtigten

Genossen) verpachtet und der Erlös nach Entrichtung der Ablösungszahlungen, so weit solche vorliegen, zur Befriedigung von Gemeindebedürfnissen verwandt lichen Besitzrechts

;

der letzte Rest des altmarkgenossenschaft-

am Gemeindelande

besteht

dann

noch

in

dem

Recht des herangewachsenen Genossen, der sich ein eigenes Heim zu gründen wünscht, auf eine Landparzelle zu einer Hausstätte und zu einem Gärtchen, sowie in dem Recht der gemeinsamen Viehweide.

denu

sie

Die Genossen beanspruchen nämlich nicht mehr Land, sind

nicht

mehr Ackerbauer, sondern

treiben

Gewerbe

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521

Russlands Volkswirtschaft.

Je längere Zeit aber das markgenossenwird, um so mehr verschwindet im Rechtsbewusstsein der Genossen und das ursprünglich mark-

und Handel aller Art.

schaftliche Recht nicht es

ausgeübt

zum Corporationsgut

genossenschaftliche Besitzthum wird

Einführung der

zum allgemein wie bereits

aller Stadtbewohner,

d. b.

der

auf einseitigen Befehl

neuen Städteordnung

Staatsregierung, die hierdurch das alte Recht bricht, städtischen Corporationsgut,

(im Sinne

und dann mit

der Gemeindegenossen

des römischen Rechtes) erst

Dieser Eingriff in die alten Rechte droht auch

vielfach geschehen.

den noch bestehenden fürchtung

mag auch

wo, wie

B. in