Baltische Monatsschrift [35]

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Baltische

i

Herausgegebe n

Robert Weise.

XXXV.

Band.

Reval, 1888.

In Riga:

A.

Stieda.

Commission

bei

F.

Klnge.

Leipzig

Rmi. Hart mann.

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Harvard College Libraiy

APS 231909 Hohenzollern Collection Gift of A. C. Coolidge

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Peneifc,

22 ro Jteia6pa 1888

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22 ro JlesaOps 1888

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Inhalt. Seite

Silhouetten eines rigasehen Patriciergesohlecht*.

III.

Von

4.

Johann

ChristophBerens Aus

dem Leben

W

des

rigaer

Stieda

il h.

in

1

I— IIL

Goldschmiedeamtes.

Rostock

Von

Prot.

20.

115.

Die Fürstin Daschkow. I. II. Von J. Engel m nun Georg Brandes über den russischen Roman. Von Joh. Eckardt. Notizen. Von 0. Külpe, J. Engelmann und Fr. B Zwei Balten über Goethe. Von Dr. R. Boxberger Schiemanns 1, irländische Geschichte. Von Dr. Ph. Sch wart z Leopold von Ranke über die Geschichte der Ostseeprovinzen. Von .

.

.

186

39.

98

.

55 72 81

.

144

.

Dr.

OttoHarnack Von

Notizen.

Dr. R.

159

Boxberger

und Fr.

B

164

Einnahmen in Alt-Livland. Von Richard Hassclblatt Wassili Wereschagin in Paris. Von Wolfgang Selbst Französische Emigranten in Russland. Von Joh Eckardt

169

Kirchliche

.

Von Dr.

Russische Erzählungen.

Von A. Sch.

Notizen.

Die Bauernbefreinng Studentische

ttnd Fr.

in

Ström nngen

212

.

Bern h. Münz

236 246

B

Prcnssen. in

.

201

den

Von

C.

S

257

Eberhard

Von

Jahren.

vierziger

Kraus

282 315

Frau von Kriidener Die gewerbliche Seite der knrliindischeu Ausstellung zu Mitau im Juni

«'''Die Gefolgschaft der

1888.

Von

Oscar Kleinenlierg

344

Die Erhaltung unserer Denkmäler. Von Wilh. Neumann Die Brücke über den Anm-Darja. Von Dr. Otto Heyfelder Der Fall Wendens. Von Georg Rathlef Tolstoi und das moderne Drama auf der pariser Bühne. Von o1 .

W

.

.

.

.

351

360 SSM

.

gang

f

Selbst Dr.

theol.

427

Woldemar

Schnitz,

Von

estländisclier General- Superintendent.

Ferd Luther Der Naturalismus Masi ng Briefe

des

1812

Werther Notizen.

in

in

443

der

Dr.

Woldemar 456

Feldmarschalls

— 1815.

Von

modernen Literatur.

Von

Fürsten

Dr.

Barclay

de

Tolly

den

ans

Jahren

Otto Har nack

490 515

Kurland

Von Fr. B

Die baltischen Raubvögel.

Zur Psychologie

I.

II.

des Pessimismus

Von O

s

ka

r

vo n

L

ö

w

i

s

.

.

527.

522 889 557

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,

Vou

Karl IX. in Reval.

W

Seite i 1 li.

Von

Erich Dahlberg in Livland.

G

i f f eil h ag e Christi ani

r e

T.

Von

.

.

.

,

567

.

602

.

81h 1

b

I

a

1 1

.

Von M. Bühin.

Die Handarbeit im Dienste der Knabeuerziehung. Notizen.

.

Hasse

Von R.

Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

.

623

.

718

.

B

F.

755

Von

Abschiedsworte.

n

N

Von L.

Notizen.

F.

B

757

Besprochene Bücher; 0. L.

.1

Napiersky,

Die

Erheblicher

der

Stadt

1384

Riga.

— 1579. 72

Riga 1888

Lenz, Lässt sich das Dasein Gottes ans der Natnr beweisen? Reval Dorpat 1888 2. Atifl. \V. v. Rohland, Die Gefahr im Strafrecht.

J.

Jn

E

1.

c

k a rd

t

,

Victor Hehn, Gedanken über Goethe. Berlin 1887 D r. Otto Harnack Goethe in der Epoche seiner Vollendung. ,

Theodor Schiemann,

Geschichte Livlands bis

Leopold von Ranke, Weltgeschichte. 8. Froitzheim, Lenz, Goethe nnd

P

i

n

1

i

,

/.es

Vranrais en Russie

Bitteres Glück.

Deutsch von M.

et les Ritsses

en Franee.

Rontan.

Uebertragen von

Wall236

i

v.

Die Knrsistiu oder weibliche Studenten. Leoni. Breslau 1888

Nadeshda Nikolajewna. Eine Kiinstleruovelle. n B r ö n da t e il. Berlin 1888

242

,

L e o Tolstoi, Zwei Erzählungen Albert. Eine A g. Scholz. Berlin 1888 A. Bensenberger und Dr. A. Bielen st ein,

af

;

Deutsch von

167

Mitait 1888

Breslau 1888

Uebertragen vou F.

Wsewolod G a r s c h

Dr.

164

der Ostsee.

212

friede Stein. Roman.

81

159

Cleophe Fibich von Strass-

An

Fürst W. Meschtscherski,

r

Bd.

...

Leipzig 1888

Strassburg 1888

gand Paris 1880 W. D. S o o g h n b ,

G

81

Leipzig 1887

144

Dr. Joh.

Johanna C o n r a d eo no e

76

78

zum Tode Walters

Berlin 1887

von Plettenberg.

bnrg.

74

.

...

Leipzig 1888

L

1888

Ferdinand David nml die Familie Mendelssohn-Bartholdy.

244

Winterfahrt.

244

it

Vndeudsrhe

PSahnen etc. Mitan 1887 Zur Geschichte des Gouv. -Gymnasiums in Riga. Riga 1888 Georg F r i e d r. Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der

246

Landarbeiter in den älteren Theilen Preussens. Leipzig 1887 1887 K. II ü b 1 e n b e ck , Etüde sur /es origines d* laSainte- Alliance. Paris St. Petersburg 1888 Reiseskizzen. Le

257

N.

Flaneur, Schtschedrin, Eckardt.

L.

Arhus ow

,

Des Lebens Kleinigkeiten. Uebersetzt von J o

Milan 1888 Das älteste Wittschopbuch der Stadt Reval 1312

315 -522

h.

^22 1360. 01

Reval 1888

H arry Jan nsen

251

,

Märchen und Sagen des estnischen Volkes. Riga 1888

755

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Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

Aus der Hamann- und Herder-Periode.

III.

4

J

o

a n n

li

Christoph Bere

ns, Raths- und Oberwettherr,

geh. 7. October 1725, gest. 19.

November 1792.

I.

jjgjfe r die

zu Riga besucht, hat unter den

Stadtbibliothek

Ci Gemälden und Büsten der Repräsentanten der Hamannund Herderperiode

die

Gypsbüste eines Greises

bemerkt, dessen

hochgewölbte Stirn Intelligenz, dessen feingeschnittene Gesichtszüge

Fragt man nach dem charakteristische Züge der Nachwelt

Weltklugheit und Schönheitssinn verrathen.

Namen

des Mannes, dessen

überliefert sind,

so

wird

der

Name Johann

Christoph Berens ge-

Welch eine Reihe von Erinnerungen weckt nicht dieser Name! Wer denkt dabei nicht an jene längst entschwundenen Tage,

nannt.

als

Hamann im

Kreise unserer Aelterväter

jene glücklichen Jahre, als Herder

geweilt,

der Ihrige

wer nicht an

war, wer nicht an

jene der Gegenwart zeitlich

entfernte, inhaltlich derselben so

verwandte

die

Periode,

in

der

altehrwürdige

nach jahrhundertlangem Bestehen haben schien V Wer, oder noch

mehr,

immer

ihr

nah

Verfassung Rigas

Ende

erreicht zu

was war Johann Christoph Berens,

jener Mann, der die Freundschaft

Umgangs

für

Hamanns

genossen, der sich des

einem Kant

rühmen konnte und den noch nach seinem Ableben ein Herder in der Rückerinnerung an seine Jugendjahre im Greisenalter durch einen warm empfundenen Nachruf in seinen Schriften so hochgefeiert hat ? Was hat ihm die Bedeutung Ri»lLii*rlin

mit

Monat

Rami XXXV.

1.

1

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2

Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

Grenzen seines hinaus bekannt war, was ihn der Ehre gewürdigt, Gegenwart seinen Namen der «allgemeinen deutschen Biographie« einverleibt hat? Die Beantwortung dieser Fragen ist die Aufgabe der vorliegenden Silhouette. Im Hause seiner Eltern (des Aeltermannes Arend Berens und dessen Gattin Johanna Sophia Baumgarten) erhielt der hochbegabte Knabe seine Erziehung, in der rigaer Domschule, welche er im verliehen, dass er zu seinen Lebzeiten weit über die

Heimatlandes

dass die

19.

Lebensjahre

berg.

nach Beendigung des Lehrcursus

Um

Ausbildung.

widmen,

den

sich

Studien

Auf der dortigen

gleichalteriger Jüngling

seine

verliess,

Rechtswissenschaft

der

war zwei Jahre zuvor

Albertina

zu

Jüngling 1748 nach Königs-

trieb es den wissensdurstigen

ein

immatriculirt worden, welcher, zuerst für

Theologie eingetragen, Jurisprudenz

getrieben

seiner Ansicht nach das Brodstudium

hatte,

um

sich,

da

etwas Erniedrigendes hatte,

nach Verlauf einiger Zeit philosophischen, theologischen, philologi-

und naturwissenschaftlichen Disciplinen zuDer polyhistorisch gebildete Jüngling war ein Kind

schen, mathematischen

zuwenden.

unbemittelter Eltern, der älteste Sohn des altstädtischen Baders zu

Königsberg

Hamann.

der

,

nachmalige

Sauvage du

Johann

Nord,

Georg

In den Hörsälen der Universität hatten der arme Sohn

des Kneiphöfischen Wundarztes

und

aus Riga einander kennen gelernt.

der

begüterte

Patriciersolm

Diesem mochte der Scharfsiun

des tief denkenden, wenn auch unter kleinlichen Verhältnissen

zogenen Polyhistors imponiren, jenen die Elasticität

des

er-

Geistes

und die Gewandtheit der Formen des jungen Rigensers mit seinem



Enthusiasmus für

alles Schöne mächtig anziehen, in kürzester die gegenseitige Sympathie der beiden akademischen Bürger eins jener Seelenbündnisse geschlossen, denen wir im idealiHier, an der Quelle der stischen Jahrhundert so häufig begegnen. Wissenschaft, war es auch, wo Berens zum ersten Mal mit Kant,

Frist hatte

welchem

in

der Folgezeit die Aufgabe

zufiel,

zwischen den beiden

Studienfreunden in der unter ihnen ausgebrochenen Fehde mitteln,

in

Berührung

kam.

zu ver-

Der königsberger Aufenthalt des

jungen Rigensers währte übrigens nicht volle drei Jahre

;

denn

alt-

akademischem Usus gemäss beendete Berens sein Studium nicht auf dieser Hochschule, sondern begab sich zur Forthergebrachtem setzung

desselben

Riga-Livonus)

in

nach Göttingen, das

Album

civium

wo

er

am

3.

April 1751 (als

academiae Gottingcnsis

einge-

tragen ward.

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Silhouetten eines rigasclien Patriciergeschleclits.

3

Nach Absolvirung seiner Studien, während welcher er Männer wie Putta, Achen wall und Zimmennann kennen und hochschätzen gelernt, zog es ihn in die Welt hinaus. Deutschland, Holland und Frankreich wurden bereist, wo es ihm überall glückte, mit gelehrten und geistreichen Männern in Verbindung zu treten. In Paris war es dem jungen Reisenden vergönnt, dem Verfasser des l’csprit des lois, der die Welt mit seinen Freiheitsideen in einen Taumel des Entzückens

versetzt

hatte,

Wie

nahen.

zu

unauslöschlich

der

damals empfangene Eindruck auf ihn gewirkt, geht daraus hervor,



dass er noch unmittelbar vor seinem Tode

wo man der Regel nach wo mancher

einer Zeit,

nicht

mehr zu bewundern

seiner Jugendfreunde

grosse Berühmtheit erlangt hatte thut, bei der

einem Alter

in



dieses

und zu minder

pflegt,

eine

also,

nicht

Umstandes Erwähnung

Erinnerung an die Befangenheit, welche den staunenden

Jüngling einst ergriffen, als er dem

hochverehrten Montesquieu

gegenüber stand.

Während Seine jenes

er in den anziehenden Salons der Weltstadt an der

reiche

urbanen Formen

kennen

Geistesleben

lernte

,

dessen

äusseren

man im übrigen Europa nachzustreben bemüht

war, erreichten ihn Nachrichten aus

der Heimat,

weiteren Fortsetzung seiner Reisen hinderten. seiner inzwischen schwer erkrankten Mutter

an der

ihn

die

Der leidende Zustand war immer besorgnis-

geworden und machte dem in geistigen Genüssen eine schleunige Rückkehr zur Pflicht, zumal Kranke von dem sehnlichsten Wunsche erfüllt war, ihren in

erregender

schwelgenden Sohn die

der Ferne weilenden Liebling noch vor ihrem Ableben

In der Tliat schien

die

Hoffnung des Wiedersehens

zu

sehen.

ihres

Kindes

schwindenden Kräfte der Leidenden zu beleben und deren Aufdenn kurz nach der Heimkehr des Sohnes, lösung hinauszurücken

die

;

dem

die Sterbende ihre

auf seinen Lebensweg

Mitte fall

des

Segenswünsche noch

als das köstlichste Erbtheil

mitzugeben

vermochte,

trat

Der Aufenthalt auf den auswärtigen Hochschulen, intelligenten Jünglinge

schaftlichen,

einen

handelspolitischen,

gute

reichen

welche nicht

die Reisen

und hatten

Grund an

philosophischen,

weltmännischen Kenntnissen gelegt,

zu

die

ein.

im Westen waren nun vor der Hand abgeschlossen

dem

um

August 1754 der lange schon vorhergesehene Todes-

ästhetischen

nur

in

fach wissen-

und

ihm selbst

kommen, sondern deren geschickte Nutzanwendung in Wühle

erster Linie der ihm über alles theuren Vaterstadt und deren i

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4

Silhouetten eines rigasehen Patriciergeschlechts.

Und wie

dienstbar gemacht werden sollte.

seit

her «der

alters

wie der Kaufmann, der Kaufmann wie der Handwerker Grade von Knappen, Burschen und Gesellen durchwandern mussten, um des Meisterrechts würdig erachtet zu werden», so Ritter

die

hatte auch der junge Rechtsgelehrte sich erst durch die verschiedenen

Beschäftigungen im Kanzleidienste

hindurch

zu

arbeiten, ehe

es

ihm vergönnt war, selbstthätig in die Rechtspflege und Verwaltung der Stadt einzugreifen.

Zwei Jahre vor Berens’ Rückkehr aus dem Auslande hatte an einem rauhen Novembertage(1752)einer der drei grossen Ostpreussen, welche

einem Jahrhundert

vor

Laude

baltischen

in

nähere Beziehung zu unserem

eben Hamann,

getreten,

Mutter und vom Vater

unter

um auf Anrathen

seinen Geburtsort verlassen,

Thräuen

Königsbergs

bis an das Stadtthor

seiner

geleitet,

eines jener Prediger

Livlands, welche, aus Deutschland gebürtig, hierher als Hofmeister

ausgewandert waren, sein lande

seines

weiteres

Universitätsfreundes

auf

Hauslehrerstelle

dem

Fortkommen zu

12 Meilen

suchen.

von

in dem GeburtsNachdem er eine

Riga entfernten Gute

Kegeln bei jeiner Baronin Budberg gefunden, dieselbe jedoch in Folge von Differenzen mit der ungebildeten Mutter seines ihm anvertrauten Zöglings

Jahre 1753

als

wieder

aufgegeben

hatte, stand

er

seit

dem

«Informator» der Kinder des Generals von Witten

auf Grüuhof bei Mitau «in Condition».

Kaum

hatte Berens, vermuthlich durch den mit ihm auf das

Innigste befreundeten Rector helf Lindner, davon

Kunde

der rigaer Domschule, Johann Gotterhalten,

dass

ihr

gemeinschaftlicher

Freund Hamann nur wenige Meilen von ihnen getrennt er

nicht

säumte, diesen

einen Besuch zu überraschen.

Unverzüglich wurde eine Fahrt nach

der benachbarten Herzogsstadt Mitau

Weile

ein

weilte, als

seinen «Liebling» aus Königsberg durch

und

angetreten

nächtlicher

Express mit der Botschaft seines Eintreffens nach Grün-

hof entsandt, wodurch das ganze Haus ringen Aufruhr

versetzt

dem Freunde uoch

ward.

in derselben

des Generals

Hamann

blieb

in

nicht ge-

nichts übrig,

Nacht entgegen zu

eilen.

solche Schnelligkeit nicht gefasst, hatte Berens sich

als

Auf eine

bereits

lange

zur Ruhe begeben, so dass jener, der durch Nacht und Nebel nach Mitau gekommen, diesen ruhig schlafend vorfand. «Sein Willkommen,» sagt Hamann bei dieser Gelegenheit, «war so ausserordentlich zärtlich und freundschaftlich, dass ich in Verlegenheit gerieth, ihm in meiner Antwort gleich zu kommen oder ihn zu

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5

Silhouetten eines rigasehen Patriciergeschlechts.

erreichen. griffen

Er

mich

bezauberte

mit Aussichten, Anschlägen, Be-

von der Welt, neuen Wissenschaften, dem herrschenden GeJahrhunderts &e. und hundert sinnreichen

schmack des jetzigen

Ausschweifungen, die ein menschenfreundlich Herz und eine fruchtbare Einbildungskraft hervorbringen kann

Welchen

Einfluss

die

nur

Rigensers auf den

gewinnenden

an

kleinliche

>

des jugendlichen

Seiten

äussere Lebensverhältnisse

gewöhnten ehemaligen Studiengenossen geübt, wie sein einnehmendes Wesen ihn dazu veranlasst, den ihm verhasst gewordenen Schulstaub von sich abzustreifen und den Lehrstand mit Handelsgeschäften zu vertauschen, wie dieser Wechsel der Verhältnisse jene erfolglose Bewerbung Hamanns um die Hand der Schwester seiner Gönner, Katharina Berens und damit zugleich seinen plötzlichen Abschied von

dem theuer gewordenen Freundeskreise und bereits gesehen

damit auch von Riga zur Folge hatte, haben wir

— St.

und auch seinerzeit erwähnt, wie allem Anscheine nach

ein aus

Petersburg eingegangener Brief von J. C. Berens, in welchem der

dieser

geplanten Verbindung

Ausbruch

offenen

einer

eutgegentrat,

Freunden

den

zwischen

Spannung geboten, deren Beilegung

erst

den Anlass

zum

eingetretenen

gegen Ende ihres Lebens

erfolgte.

Wie

die

ersten Anlässe

werden

Sicherheit festgestellt

der Aussöhnung.

Doch aber

zu

Entfremdung

dieser

auch

können, so

nicht

nicht die

mit

Motive

lassen sie sich aus der verschiedenen

Entwickelung beider Freunde vermuthen. In Anerkennung der feinen, gediegenen Bildung, wie rücksichtigung des weltmännisch gewandten Wesens

winnenden Charaktereigenschaften seines

jugendlichen

Alters,

vom

Rathe Rigas

worden, als Deputirter derselben deren Interessen

au

der

Newa zu

und

in

Be-

der ge-

von Berens war derselbe, trotz

dazu in

ausersehen

der Residenz

während seiner Studienzeit, noch mehr aber auf seinen Reisen hatte Berens seinen Aufenthalt in Paris und den grösseren Handelsstädten der Niederlande dazu ausgenutzt, um sich theoretisch, wie praktisch mit dem Handel jener Städte bekannt zu machen. Der durch Studien und Kenntvertreten.

nisse innerlich gereifte

Schon

Mann vermochte

daher auch die Handels-

beziehungen in einem viel höheren Sinne aufzufassen, als es in der damaligen vielfach beschränkten Zeit der Fall zu sein pflegte. Mit

dem

Interesse für die Wissenschaft und das

Erwachen der deutschen

Literatur verband er eine Liebe zur Heimat und speeiell zu seiner

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Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschleclits.

6

welche

Vaterstadt,

ihn

zum Geschäftsträger derselben besonders Zwar war er nicht die Natur, um, auf

befähigt erscheinen Hessen.

dem Boden

gewährleisteter Rechte

fussend, durch Entschiedenheit

und mit Einsetzung der ganzen Person den Gegner zur Nachgiebigzwingen allein einer solchen Persönlichkeit bedurfte es damals kaum, da von einem systematischen Vorgehen gegen be-

keit zu

;

stehende Sonderrechte, bedingt durch das Centralisationsprineip, wie

Bahn

es sich bald darauf

söhnliche, zugleich

Berens,

war daher

brach, noch keine

Rede war.

Eine ver-

aber diplomatisch gewandte Persönlichkeit, wie in

jenen Tagen in der ihr übertragenen Stellung

ganz an ihrem Platze. Seine amtlichen Beziehungen zu den einflussreichen Personen und Würdenträgern am Hofe hatten ihn ganz für diese eingenommen, und je zuvorkommender die Grossen

mehr gewann

desto

Graf Panin, der ihn durch entzückt,

sein,

bald

Lebensanschauung auch

Bald

ist

bei

es der Oberhofmeister

sein Anerbieten, der Stadt nützlich

zu

einer Handelscommission

Niedersetzung

die

ihm gegenüber zeigten,

sich

seine optimistische

ihrer Beurtheiluug die Oberhand.

dem Präsidium des Oberprocureurs von Tschernyschew, von welcher er sich den denkbar grössten Aufschwung der rigaer unter

mercantilen Verhältnisse verspricht.

«Ich

habe,» berichtet

Rathe, «insonderheit

er

unter

dem

12.

Februar 1761 dem

des Herrn Oberprocureurs

das Zutrauen

zu

erwerben gesucht, mit dem ich einige Unterredungen über unseren

Handel

gehabt, die

den Zustand

Einrichtungen betrafen. nöthig

ist,

Weil aber

die Sachen in ihrem

Gründen zu wissen,

so

in der

von

überhaupt und einige

bei allgemeinen Verbesserungen

Zusammenhänge nach den wahren

habe ich

Einsichten Sr. Excellenz

habe

desselben

mir

die Erlaubnis

unserem Handel

erbeten, die

zu dirigiren.

Ich

Absicht den ersten Theil einer französischen Memoire

von den Grundsätzen der rigaschen Handlung, die ich dem Herrn Landvogt Schick zuzusenden die Ehre gehabt, überreicht.»

Wie

gross

nun

auch die Hoffnungen

sein mochten, die der

Deputirte Rigas auf die Handelscommission und den Erfolg seines

Memorials gesetzt, die eigenen Erfahrungen lassen auch ihn gegen Ende des beregten Berichts zu dem später leider nur zu oft vergeblich gehegten

gedrungen,

Wunsche gelangen, «dass keine Wohlthaten aufnach dem Sinne der Bittenden eingerichtet

sondern

werden mögen».

Während Berens um

jene Zeit sich

in

dem Glanze

des

viel-

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Silhouetten eines rig&schen Patriciergeschlechts.

bewegten Lebens der Residenz

Manne

und

sonnte

7

einem

dort mit

u. a.

Berührung kam, dem er Zeit Lebens die höchste Anerdem ihm gewidmeten Nachdes Landes» nennt, Carl Friedlich Baron Schoultz von Ascheraden hatte auf seine Initiative hin sein Schützling Hamann jene geheimnisvolle und völlig misglückte Mission nach London angetreten, wo man in massgebenden Kreisen sowol über die ganze Natur der Angelegenheit, als auch namentlich über deren Vertreter in gerechtes Staunen gerieth. Der ihm von den rigaer Freunden gewordenen Instruction gemäss hatte Hamann in dieser dem Anscheine nach diplomatischen Angelegenheit ein Memorial verfasst und dasselbe dem russischen Gesandten am Londoner Hofe, in

kennung

ruf den

gezollt und den er selbst in

«Mann



Fürsten Galizyn, überreicht. Wiewol er durch Berens' Empfehlungen

Welt erhalten, wie z. B. in an Mendelssohn, so scheint der hypochondrische und ungewandte Mann durch den Miserfolg seiner Sendung in dem Grade niedergedrückt worden zu sein, dass er sich von aller Welt isolirte und bei seiner Unerfahrenheit in die Hände von Betrügern und Zutritt zur vornehmen und gelehrten

Berlin

lasterhaften Persönlichkeiten gerieth, welche,

ihn in ihre dunklen

Von

um

ihn auszubeuten,

Bahnen hineinzuziehen kein Bedenken

trugen.

Geld- und Nahrungssorgen gequält, von Gewissensbissen über

seinen Lebenswandel gepeinigt, hatte er geflissentlich seinen Wolil-

thätern

in

Riga nicht nur, sondern gar den Seinen

in

Königsberg

Kunde von sich vorenthalten. Das ihm mitgegebene Reisegeld war verbraucht und jede Hoffnung auf Deckung seiner Schulden,

jede

welche sich

in

London auf 150 L.

auf das Doppelte griff er

beliefen,

unbeachtet hatte liegen lassen. in

das Wort Gottes

göttlichen

St., in

geschwunden.

einem Buche, welches

zu

er

Liv- und Kurland jedoch In dieser Seelenstimmung

London

in

Es war

gekauft, jedoch

die Bibel.

Immer

tiefer

eindringend, wurde

ihm «das Geheimnis der Liebe und die Wohlthat des Glaubens» immer mehr

offenbar.

Aller Welt

entfremdet, aber

erfüllt

von

dem Trostesworte

der Schrift: «Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen,» hörte

Londons von einer Persönlichkeit, welcher er wenig sympathisch zu sein wähnte, in freundschaftlichster Weise er auf einer der Strassen

seinen v.

Namen

rufen.

Der Secretär

der

russischen Gesandtschaft

Luders, durch Berens in Petersburg auf ihn aufmerksam gemacht,

brachte ihm

Briefe

seines Vaters

festigte seinen Entschluss zur

und

seines Freundes

und

be-

Rückkehr nach Riga.

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Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

8

Hier staunten seine Freunde über die innere Wandlung, welche Aufklärung war das Losungssich mit ihm in London vollzogeif. wort jener Tage. Aufklärung hallte es von Paris her, wo Montes1

quieu her,

dem Geiste der Gesetze nachforschte, Aufklärung! von Genf wo Jean Jacques Rousseau den Ursprung und den Grund

der Ungleichheit unter den Menschen untersuchte und den Contrat

und Aufklärung

social behandelte,

wo der

der Spree,

von den Ufern

Lallte es wieder

königliche Held an

der Spitze den aus Frank-

reich importirten Zeitideen huldigte, und

am

von der Hochschule

wo Immanuel Kant sie von seinem Lehrstuhl predigte. Das ganze Bereich des Wissens wurde der Kritik unterzogen; überall, auf dem Gebiete der Religion, der Gesetzgebung, der Staatsverwaltung und der Naturwissenschaften brachen sich neue Anschauungen Bahn. Dass auch Berens, von der alles mit sich fortreissenden Strömung ergriffen, in seiner Heimat in den ersten Pregel,

Reihen der Vorkämpfer für die neue Richtung anzutrelfen war,

ist

eben so selbstverständlich, wie seine zuversichtliche Voraussetzung, in

Hamann

dabei einen Genossen zu finden.

Als jedoch jener erkannte, dass dieser nach seiner Rückkehr nach Riga

dem

sich, statt

Zeitgeiste

stellt hatte,

— und

war

die

dem

Zeitidol zu huldigen, in den Dienst des

somit auch Berens

— unbekannten

Gottes ge-

um au

Stelle der

Enttäuschung gross genug,

Freundschaft Bitterkeit

und Abneigung

treten

zu

lassen.

Was

war es von Berens’ Standpunkt aus anders, als Eigensinn und Undauk gegen ihn, den Wohlthäter, der weder Geld noch Mühe gespart. um den am Abgrunde des Verderbens stehenden Freund aus seelischen wie materiellen Verlegenheiten zu retten, wenn dieser sich auf der beschrittenen Bahn immer weiter von ihm entfernte ? Und was stürzte nicht alles mit jenen auf Hamaun gesetzten



Plänen

?

Gemeinschaftliches

Schaden

auf

literarischem

Gebiete,

Anregung im Verkehr mit einander, das Glänzen mit dem Freunde in dem Kreise, dessen Mittelpunkt Berens selbst war. Mit dem Momente, wo der junge königsberger Gelehrte in Folge gegenseitige

des unglücklichen Zwischenfalls

mit

der Tochter

des

gastfreund-

Hauses aus demselben und damit auch aus Riga für immer war alles dahin. Das konnte und wollte der Mäceu dem Undankbaren nicht vergeben. Die den seinen durchaus entgegengesetzten, nach seiner Meinung veralteten religiösen Anschauungen

lichen

schied,

Hamanns



boten den erwünschten Anlass

zu den Angriffen, welche

des Letzteren Gegner selbst in den Briefwechsel einfliessen Hessen,

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9

Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

mit jenem

den der Domschulrector Lindner

Lindner,

unterhielt.

von Hamann zum Vermittler in dieser Polemik erwählt, eignete wegen Mangels an Selbständigkeit und Math zu dieser Stellung wenig und seine Bemühungen hatten keinen Erfolg, so dass sich Berens’ Abneigung gegen den ehemaligen Freund in dem Grade

sich

steigerte, dass er

«Mischmasch von grossem Geiste

für einen

ihn

Während

und elendem Tropfe» zu erklären keinen Anstand nahm. Berens

es

nicht

verschmähte,

gegen des Gegners Person

zu

hof zu

reden,

«bald

Hamanns

haarscharf, wie

widerhakig, wie ein

spitz,

und

richten

Zuflucht zu Drohungen nahm, sind

Pfeil,

gar seine

schliesslich

um

Briefe,

eiu Schwert,

mit Dissel-

bald

geflügelt

bald wuchtig, wie die Keule eines

Hercules, bald unscheinbar, unbedeutend, aber

wie Schleudersteine Davids»,

direct

gelegentlich

Angriffe

seine

ohne jedoch

gefährlich

dabei

treffend,

Sache

die

und

Person mit einander zu verwechseln.

Wie erwähnt, war Hamann kurz nach Beginn

des Jahres

1759 in seine Vaterstadt zurückgekehrt -- und nur wenige Monate nöthigten

später

Familienverhältnisse

Königsberg zu unternehmen. sich nämlich ohne

Riga

entfernt,

Berens,

nach

Reise

eine

Sein jüngerer Bruder (Georg

Wissen und Willen

V)

älteren Brüder

seiner

hatte

aus

und nun lag ihm, Johann Christoph, die Pflicht ob,

den Flüchtling wieder auf den rechten

Weg

zu

leiten.

Kaum

hatte der ehemalige Lehrer seines Zöglings AnwesenKönigsberg vernommen, so suchte er alles daran zu setzen, habhaft zu werdeu. «Es ist mir,» schreibt er an Lindner, «unendlich viel daran gelegen, ihn selbst zu sehen und

heit in

um

mich



seiner

nach

dass er alle

seinen

Umständen zu erkundigen.

seine Zeit

durch einen Irrthum weil

er

die

an

öffentlichen Orten

seinen

Nachricht

von

Bruder Christoph des

Ich

habe

zubringe.

gehört,

Er

hat

gewaltig

beweint,

jungen Schwartz Tode

auf den

Ersteren misverstanden. Dieser Umstand von seiner Zärtlichkeit macht mir noch einige Hoffnung, da ich weiss, dass dieser Bruder ihn

gleichfalls

vorzüglich

geliebt.»



Bei

weitem

weniger mild

beurtheilte übrigens Berens den Fehltritt seines Bruders, da er ihn

«zu seiner Besserung in ein Loch stecken lassen wollte,

wo weder

Sonne noch Mond scheine». Die gleiche Theilnahme, wie für den jüngeren Bruder, hatte Hamann auch dem älteren, J. C. Berens, bewahrt, und es spricht gewiss für seinen versöhnlichen Charakter, dass, als er von seinem

Vater erfahren, Berens

habe

ihm

versprochen, ihn

zu

besuchen,

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10

Silhouette» eines rigaschen Patriciergeschlechts.

dieser aber sei» Verspreche» nicht gleich einlöste, ihn

ohne ihn jedoch zu Hause anzutreffen, aufsuchte. 2.

Juli (1759), erschien

Hamann, «der

schreibt

der

Abend

gestrige

Sie selbst

leicht

Freundes,

des Herrn Berens,

erachten, da ich

Er hat

beschlich.

ersehnte Gegner.

mich gewesen, können

für

ihn in der Gesellschaft unseres

zugebracht,

gewusst, dass

nicht

wiederholt,



Endlich, am «Wie angenehm,«

ihn

ich

unvermuthet

mich

der

Tage nach

drei

einander aufgesucht, und ich nicht, dass er mich zu sehen wünschte.

Ich

weiss,

Freund,

liebster

Theilen Uber gewisse Dinge

beiden

uns zu einem Misverständnisse vieler

verleitet

Eiue Appellation an Cäsar, den grossen Er-

hat.



oberer menschlicher Vorurtheile und Anschläge

meine erste

von

Unwissenheit

eine

und zu einem frevelhaften Urtheii über amphibische

Kleinigkeiten

Dinge

dass

und

letzte Zuflucht.»



Und

die Zeit



ist

Hamann

hierin sollte

denn auch thatsächlich Recht behalten, wenngleich eine völlige Beilegung der Differenzen, wie gesagt, erst nach Verlauf von Jahrzehnten erfolgen

sollte.

Berens war jedenfalls nicht der Mann,

um

einen,

noch

so

War

der Versuch, durch Lindners Vermittelung

kehrend

schnell

einzuwirken,

wenn auch

unverrichteter Sache aufzugeben.

gefassten Flau

Hamann

be-

und

der Schwächlichkeit

an

hauptsächlich

auf

Weichlichkeit des Ersteren gescheitert, so glaubte Berens in seinem

Freunde Kant nunmehr die geeignete Autorität gefunden zu haben. In Erfüllung des von ihm übernommenen Freundschaftsdienstes hatte der Professor der Weltweisheit

Hamann vorzugehen und

gegen

erst

es

versucht, zunächst allein

nachdem

er sich

von der Aus-

sichtslosigkeit seines Versuches überzeugt hatte, es für

angemessen

befunden, die beiden Gegner unter seiner Leitung mit einander den

Zweikampf des Geistes durchkämpfen zu grösserem Erfolge

wie

den Frieden

Magister» (Kant)

kleine

Hamann

die beiden

lassen,

zu schliessen.

mit «dem

um dann

mit desto

So wanderte «der

grossen Alcibiades» (Berens),

Freunde bezeichnet, und diesem Letzteren

Thoren Königsbergs nach dem nahe belegenen Trutenau zur dortigen Mühle, um seine Mission an dem hartnäckig eines Juliabends aus den

auf seinem Standpunkt

verharrendeu

Magus zu

erfüllen.

Widerlegung der religiösen Anschauungen Hamanns er von

dem Gegentheil überzeugt

mit Berens nicht schwierig.

War

sein

Nach

schien, sobald

würde, eine Verständigung

dieser Theil der

Aufgabe

gelöst,

dann



und das war das Endziel, wie es diesem vorschwebte

galt

es

jenen

aus

seiner Unthätigkeit

aufzurütteln

und

ihn

— zu

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Silhouetten eines rigaschen Patriciergesc h leehts

der

veranlassen, sich

11

.

wiede nun zu-

schriftstellerischen Thätigkeit

zuwenden.

gemeinsame Ziel der Wanderung war erreicht, «das Vergeblich hatte Abendessen im Kruge» verzehrt. in «sanft säuselnden Wahrheiten» ergangen, vergeblich

Das bäuerische

Berens sich

der Professor der Beredtsamkeit seinen Scharfsinn aufgeboten

:

der

Unverrichteter Sache und ohne

Gegner war nicht zu überzeugen.

anch nur eine Annäherung angebahnt zu haben, kehrten die drei Peripathetiker zur Stadt am Pregel zurück, wo jeder von ihnen Beschäftigungen wieder zuwandte.

sich seinen

Berens Thätigkeit



Gesundheit Tagelöhner,

mittag

jener

in

uns Hamann, wenn

schildert

bei

ganzen Tag

den

wie

Stadt,

Jahreszeit



Papieren

in

zittere für seine

arbeitet

wie

er,

ein

Nach-

ganzen

den

Er hat

Zerstreuungen.

in gesellschaftlichen

Charakter

dessen

«Ich

schreibt:

er

der jetzigen

beiden eine

in

Heftigkeit, deren ich nicht fähig bin, weil ich einen schwächlicheren

Leib und feigere Triebe habe.»

Wie maligen

nachhaltig die Spannung zwischen

Freunde

war,

Die Weisheit

sich fürchtet.

weil

sie



Schild

unter

sich

trägt

hat

für

verdeckt, und dieser

ihn

Die Weisheit

Medusenkopf.

ihm verächtlich und lächerlich gemacht, weil

Geschmack und zu wenig

welche Letzterer

im Kopf, für deren Lösung er sich ihm fürchterlich gemacht,

ihrem Schilde

einen

ihm und seinem ehe-

die Beurtheilung,

zeigt

von ihm zu erfahren hatte: «Eine Legion von Zweifeln

Urtheil

hat

sich

bei

einen schlechten

Wahl

der

in

sie

ihrer Lieblinge

unter den Vögeln zu erkennen giebt.» «

der stärkere Genius

Ein heimlicher Groll gegen mich, den

unserer Freundschaft

in

Fesseln



hält

seinen hiesigen Bruder, den er für

ein

verloren

bitterer

Gram um

und

im Wider-

hält

spruch mit dieser Einbildung retten will und zu retten glaubt.»

«Gieb deinen Bruder

auf,

nicht aufgeben, so glaube, dass die rechten Mittel, so

und die Mittel einen Abend,

werden

wo

wird

so

nach

gesegnet

er in grosser

Gesicht leugnete, ungeachtet er

bist

ihm zu

dir

Willst du ihn

du ruhig. helfen

ist

und

;

deinem Glauben



werden.»

Unruhe war,

«Ich

die er

mir immer ins

gegen seinen Bruder

suchte ihn damit zu beruhigen, dass Gott

sich

um

brauche

geschehen

besuchte ihn

eiferte.

unsere

Ich

Wege

bekümmere und unserer am meisten auf krummen wartete und hütete. Er fuhr darüber so auf, dass ich ihm unbegreifliche und

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»

12

Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

unverständliche Einfälle

vorsagte, dass

mich

ich

sunden Gliedern die Treppe herunter zu kommen

freute, mit

ge-

»

am

In einem Briefe an Kant, welcher ihn mit Berens

29. Juli

(1759) zu demselben Behufe besuchte, heisst es dann: «Frankreich,

und

das Hotleben

sein,

d.

Er

blossen Selbstgenuss

Hamann macht

auf Rechnung ihrer Tugend

und

In der Freundschaft, wie es,

in

in

diesem Briefe Kant, der «die Berens’ Gesellschaft

in

bringen pflegte, vor diesem warnt, demselben er mit seinen «Schwachheiten

über unter vier

Verweilen bis tief in

Augen

Tom

Berens'

zuzu-

zum Vorwurfe, dass

und Blossen, aus denen er ihm gegen-

kein Geheimnis gemacht, seine Gesellschaft

unterhalte.

handelspolitische

in

und Ehre.

der Liebe verwirft er alle Geheimnisse.)

indem er

langen Sommer- und Augustabende»

von gutem

mit lauter das mensch-

liebt

wie der Franzmann das Frauenzimmer zu seinem

liche Geschlecht,

Ja,

Umgang

des Letzteren,

h.

Calvinisten sind an allem Unglück schuld.

erheischten

Studien

Königsberg, so dass

den Herbst

hinein

er

längeres

ein

seinen Aufenthalt

Als

ausdehnte.

nun

daselbst

die Arbeiten

ihrem Abschlüsse entgegengingen und damit die Zeit seiner Abreise herannahte,

da mochte

Königsberg nicht

ihm

der Gedanke

Wusste

werden.

leicht

dass solche Abende, wie er

an er

das

von

Scheiden

ja doch im voraus,

hier im Ideenaustausch mit

sie

Kaut

ihm weder in Petersburg, noch auch in Riga bieten würden. Von der Aussichtslosigkeit weiterer Einwirkungen auf Hamanns Lebensanschauungen und dessen ferneres Schicksal überzeugt, und wol auch des Haders müde, mochte er fast täglich genossen, sich

gestimmt

diesem gegenüber versöhnlicher

sein.

Kurz,

es

bahnte

wenn auch keine gänzliche Aussöhnung, doch in so weit eine Annäherung der beiden Gegner an, dass sie wenigstens nicht in Unfrieden von einander schieden. Auch hierüber erhalten wir aus Hamanns Briefen Kunde. Unter dem 30. October 1759 meldet er nämlich seinem Bruder nach Riga «Mein Freund ist Sonntags abgereist und schickte gestern den Magister Kant, uns nochmals grüssen zu lassen. Herr Berens

sich,

:

hat mir alle die Achtsamkeit, Redlichkeit und Zärtlichkeit erwiesen, die gute

Freunde sich schuldig

sind,

wenn

sie sich gleich genöthigt

sehen, nach verschiedenen Entwürfen zu leben.

Während

Berens

nun

in

seiner

amtlichen

Deputirter seiner Vaterstadt, Petersburg wiederum

Stellung,

als

zueilte, sandte

der Theosoph seine «Sokratischen Denkwürdigkeiten für die lange

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»

Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

13

Weile des Publicums, zusammengetragen von einem Liebhaber der Diese kleine, das Motto aus Persiu«: langen Weile» in die Welt.
Jugend

dem lebendigen

Vortrage des jugendlichen Lehrers, staunten die Collegen über die

ungewohnte Milde

ihres neuen

A nitsgenossen,

mit

er den

welcher

und die Art und Weise, wie er diese leitete Die Vorstadtkirchen, von dem besseren Publicum

Schülern begegnete,

und an sich zog.

nur spärlich besucht, waren, nachdem er (am 25. April 1767) zum Adjunct des Stadtministeriums erwählt worden, selbst in den

bisher

Nachmittagsgottesdiensten

kaum mehr im

dächtigen zu fassen, wenn es

liiess,

Stande, die Zahl der

|

An-

dass der neue Predigeradjunct



Kanzel besteigen würde. Der geniale Jüngling hatte alles, was mit ihm in Berührung kam, für sich zu gewinnen gewusst, und wenn es hiervon eine Ausnahme gab, so waren es seine in der Orthodoxie erstarrten Amtsbrüder, welche dem freisinnigen Verkündiger der Humanität, dem unübertroffenen Redner nicht die

und Misgunst begegneten. Durch Hartknoch und Lindner mit den

selten mit Neid

bekannt geworden und führt; konnte es nicht und

dieser Familie,

znsehen, ganz

in

den

er

dem

geistigen Oberhaupte

solches ist J. C. Berens unzweifelhaft an-

als

besonders

bedürftige Seele

Gebrüdern Berens

deren literarisch angeregten Kreis einge-

fehlen, dass

nahe

Hatte Berens’ freundschafts-

trat.

schleunigen Rückzug

Hamanns noch immer

nicht recht verwunden, so bot sich ihm für den entmissteu Freund in

dessen Schüler Herder ein

um

so reicherer Ersatz

;



war

dieser

doch, wie Gervinus von ihm sagt, jenes Lieblingsschüler und Freund,

der ihn

gleich

Reizbarkeit häufig

anfangs

durch

seine

des Gefühles, welche

gefunden

haben

wollte,

jungfräuliche Seele

Hamann an jungen

anzog, dessen

und die

Livländern

kühne Geistesflüge

dem strengen Lehrer Achtung abnöthigten, der dessen scharfen und bitteren Ton ertrug und ihm Süssigkeiten unter die Neckereien streute.

Fehlte dem starren Geiste des Theosophen die Elasticität in Form und Ausdruck, so fand Berens iu dem jugendlichen Humanitätsapostel eine freimüthig unbefangene, in Blick und Sprache zwanglose Persönlichkeit, deren mitempfindendes, liebevolles

Grosse

um keit

und Gute

glühendes Herz

so sympathischer berühren

der

Fassungsgabe

,

eine

ihn

musste.

bei

unversiegbar

und für

alles

ähnlicher Beanlagung

Und dazu

eine Schnellig-

sprudelnde

,

oft

sich

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16

Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

überstürzende Quelle von Plänen und Ideen, welch einen unsagbaren

Reiz mussten diese Eigenschaften nicht auf ßereus' für alles Neue



so sehr empfängliche Seele ausüben ?

seinem Einzuge

in

Hatte Herder einst

bei

Königsberg über die Grösse und den Reichthum gestaunt, welche ihm im

der geränsch- und geschäftsvollen Stadt

Vergleiche zu seinem armen Mohrungen «eine halbe Welt; dünkte, so imponirte ihm in

Riga

die

von aristokratischem Geiste

besten Bedeutung des Wortes geleitete alt-reichstädtische

verfassung,

deren

von

Patriotismus

edelstem

der

in

Communal-

beseelte

Vertreter

ihn für höhere Ideen von bürgerlicher Freiheit, bürgerlichem Wollte

und weiser Wirksamkeit begeisterten. Sein reicher Genius hingegen lohnte die empfangenen Eindrücke durch vielfache Anregung höherer, über die Localverhältnisse hinausreichender Interessen, wie sie bisher hier

bei

kaum jemals geboten worden

seinem Scheiden

währte sich

in

im Verlaufe busch-,

eines Jahrhunderts

war.

Dieses von ihm

geistige Vermächtnis

hinterlassene

in

aber be-

Wirkungen noch nahezu

so reichem Masse, dass seine

den Wilpert-, Sonntag-, Seng-

Jochmaun- und Grave-Holteischen

Kreisen

ihren

Nach-

klang fanden.

Die kurz bemessene Spanne alle Verhältnisse mit einer

welche den Aufenthalt des

Zeit,

staunenswerthen Leichtigkeit beherrschen-

den Geistesheroen umfasste, war für Berens und dessen Gesinnungsgenossen gleich einem schönen, flüchtigen Traume dahingeschwunden.

Man

hatte hohe Pläne mit

dem genialen Gastfreunde, und

der

er,

Jüngling, noch höher fliegende Pläne für das Land, dessen Intelli-

genz er zu heben und zu beleben Allein

jene

von

ihm

Aussicht genommen hatte.

in

geplanten

Ideen

und

Eutwürfe,

sie

mussten doch der Einsicht weichen, dass die örtlichen Verhältnisse, wie glücklich er auch immer sich

ihnen

in

strebenden Geiste zu eng geworden.

fühlte,

seinem 'empor-

Als vollends seine

leicht erreg-

durch Anfeindungen aus den Kreisen seiner Amtsbrüder hart auf die Probe gestellt ward und eigene religiöse Zweifel und Bedenken in ihm rege wurden, auch endlich die anonyme Autorschaft der «Kritischen Wälder» für Deutschland in Frage gestellt zu sein schien, da war der Entschluss, diese

bare Empfindlichkeit



Lebensperiode, sein eigentlich goldenes Zeitalter, baldmöglichst

Abschluss

zu

bringen, in

seiner

leicht

empfänglichen Seele

zum zur

Reife gelangt.

Vergeblich waren die Vorstellungen vergeblich das Zögern

des Raths

bei

der bestürzten Freunde,

der Ertheilung der naclige-

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:

Silhouetten eines rigaschen Patrieiergeschlechts.

suchten Entlassung, welche ihm endlich unter dem in ehrenvollster

5./ 10.

17

Mai

176t)

Weise zu Theil ward.

Herders von langer Hand geplanter Abschied war seinen Verehrern und Freunden so plötzlich und unerwartet gekommen, dass

einzelne derselben sich

den Gedanken, die einstmals nur

in

vorübergehend aufgetretene Befürchtung, ihn zu verlieren (1767), nunmehr zur unabänderlichen Thatsache geworden, gar nicht zu finden vermochten. Am meisten schien Joh. dir. Berens von

sei

dem drohenden Verluste

Von Mismuth

betroffen.

erfüllt,

verlieh

den Domschulrector Schlegel

für den intellectuelleu Urheber Herder gereiften Entschlusses haltend, seiner bedrückten Seelenstimmung dadurch unverhohlenen Ausdruck, dass er den Rector für einen « Lumpenhund», dem man es zu danken, dass man Herder verloren, und diejenigen, die seines Theiles wären, für er,

des

in

.

»Flegels und Esels» erklärte.

Wie

Herders

Abreise

bevorstehende

die

im

Berensschen

anderen Gliedern aufgenommen und beurtheilt

Familienkreise von

wurde, dafür legt folgende kleine Episode einen redenden Beweis ab.

Wie

einst

an Hamann, so hatte Berens’ jüngerer Bruder Georg

sich jetzt an Herder geschlossen,

gelegenheiten rathend und

dem

AnWiewol jener

er in allen praktischen

zur Seite

helfend

trat.

damals nicht volle 30 Jahre zählte und somit nur 5 Jahre älter als Herder selbst war, pflegte dieser, dem dabei das « Bild eines Heiligen

der

alten

Welt» vorschwebte, jenen

ihm

eines

eigenen

Ernstes und einer gewissen Feierlichkeit seines Wesens halber, soum seiner hohen Rechtlichkeit willen den «antiken Berens»

wie

Georg Berens Herders was erklärlich genug ist, wenn in denen Georg

Bei seinem reichen Herzen hatte

zu nennen.

ungetheilte Zuneigung gewonnen,

wir uns Wilperts Aufzeichnungen vergegenwärtigen,

Berens

in

folgender Weise geschildert wird

«Wer

sein

Herz kannte, wer

halten wollte, den

schreckte

an seine hohe Rechtlichkeit

sich

nicht

der

alterthümliche Ernst, der

umzog, und die Censormiene, die er bisweilen annahm. Denn durch die Strenge seiner Worte und bei der Sehwermüthigkeit, die im denkenden Auge sich verbarg, leuchtete dieses Gefühl seine Stirn

und Mitempfindnng für Menschenwohl und -weh. wie

in

der Noth Anderen

Krankenbette Lohmanns ihren Särgen

mit

Biltiwlic N«n»U«-lirifl,

ihm Ban.I

Auch wusste

ein Menschenfreund, so

und Freunden ein innigst theilnehmender Freund

und Blulnns

habe

Redlicher

geweint. XXXV, H«ft

1.

ich

sein.



gesehen,

ihn

konnte

er,

unter Freuden

zu

Am an

keiner seinen 2

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Silhouetten eines rigaschen Patriciergeschlechts.

18

Freunden dienen, wie

den

er;

sie

lieben, mit ihnen

heiteren Scherz,

kannten seine Freunde mit

auch jubelnd erfreuen, Ernst,

beides

der Tafel, beim Kelchglase sich so

er

gern der Freude und

sich

er

sich

untersuchenden bei

;

dem Spaziergang, wo

so gut, wie auf überliess

den

ihm

mischte

gern

mittheilte,

sich gern in die

Gespräche Anderer.» 23.

Den Tag seiner Abreise hatte Herder auf Sonnabend, den Mai 1769, angesetzt. Mit einem Schiffe des Berenssehen Haud-

lungshauses

er

sollte

Begleitung des Commerzienraths Gustav

in

Zum

Berens über Kopenhagen nach Nantes.

war das bis

mit dem

Schiff,

anberaumteu Termine

das Land

der Dichter

verlassen wollte,

auf die Ausclarirung fertig und war die Besorgung dieser An-

Firma Carl Berens & Co. dessen

von dem Chef der

gelegenheit

Bruder Georg übertragen worden. Unmittelbar vor der Ausführung des ihm ertheilteu Auftrages in Erfahrung gebracht, der Regierungsrath Baron Campenhausen einer der einflussreichsten Gönner

dieser jedoch

hatte J. C.

,

Herders, habe den Letzteren noch kurz vor seiner Abreise zu sich beschieden,

um

ihn

lockende Aussicht

zum Bleiben auf eine

in

Riga zu bewegen, ihm die

Anstellung

als

Adjunct des

ver-

bereits

alternden Rectors des Lyceums Loder eröffnend.

In der Hoffnung, Herder würde,

am

festgesetzten

Tage

falls

das Schiff seines Bruders

nicht den Hafen verlassen

würde, Zeit zur

Ueberlegung des Campenhausenschen Planes gewinnen und das ihm

gemachte Anerbieten seines Gönners annehmen, beanstandete Georg Berens die Ausführung des Auftrages, entfernte sich aus der Stadt

und kehrte Bruders

des Abends

erst

zurück.

Eines

spät wieder

gewärtigt, wohl

gerechnet.

In der ersteren

aber

Lohn

Annahme

in der letzteren

Annahme

seine Unterredung

wie

Gegenstände

seines Planes

hatte er sich, als Geschäftsbittere

Vorwürfe

den unver-

für den wohlgemeinten Freundschaftsdienst

wohl aber sich erklärte,

das Comptoir seines

auf das Gelingen

mann, denn auch nicht getäuscht, da dienten

in

Empfanges hatte G. Berens

freundlichen

kaum

sich

betroffen,

letzterer

geirrt,

mit Campenhausen

auch

bildeten,

da Herder

aus Rücksicht

selbst

ganz andere für

seinen

jder zur Annahme eines Adjuncten nicht wohl zu bewegen gewesen, seinen Plan längst vorher schon fallen

ehemaligen Lehrer Loder, gelassen hätte.

Des folgenden Morgens, den Schiff ausclarirt, welches

24.

Herder und

Mai 1769, wurde denn ihm bis zur Rhede

die

das das

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Silhouetten eines rigasehen Patriciergeschlechts.

Geleit gebende Gesellschaft

bei

strömendem Regen,

19

unter Sturm

und Gewitter stromabwärts seinen hohen Zielen entgegenführte. Vor Lichtung des Ankers erschien Georg Bereits, mit den nöthigen Schiffspapieren versehen, an Bord und brachte Empfehlungs-

und Geld

briefe

Herder.

den

für

Dieser aber,

des letzteren

in

der Regel bedürfenden

dem vorsorglichen Freunde

seine wohlgefüllte

Börse zeigend, lehnte das wohlgemeinte Anerbieten mit den Worten ab:

«Sehen

Wilpert,

Sie,

ich

dem wir

bin

diese



versorgte

«und

nun,» so

schliesst

Aufzeichnung verdanken, seinen Bericht,

«nun hielt die Abreise nichts weiter

auf, er

war von uns auf immer

geschieden.» einigen Anhängern Herders gehegte Hoffnung auf Rückkehr des Dichters zu bleibendem Aufenthalte dessollte nicht in Erfüllung gehen. Das Dichtertalent brach sich unter günstigeren Bedingungen unaufhaltsam die ihm vorgezeichnete Balm zu dem Sonneutempel des Ruhmes

Die

von

eine baldige

selben

in

der Dünastadt

im deutschen Vaterlande.

Berens aber und der von ihm Mittelpunktes signation

den

beraubt,

kühnen

schauten

Flügen

gebildete Kreis, des geistigen

aus

der Ferne

des Geistesheroen

voll

stiller

nach,

sich

Reer-

freuend an jeder Kunde, welche von demselben oder über ihn nach

Livland herübergelangte.

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Aus dem Leben des rigaer Goldschmiedeamtes. Von

die St. ist

als

eine

gewerbegeschichtliche

Johannisgilde

das Interesse

das, im

Prof. Willi. Stiiila in Rostock.

in

namentlich

auf ein

welche

Ausstellung,

Riga um Ostern

die

1887 veranstaltete,

Handwerk gelenkt worden,

Range weit über den anderen stehend, richtiger vielleicht Kunst bezeichnet wird. Es ist jenes, welches den Haupt-

bestandtheil der Ausstellung, die silbernen und vergoldeten Pocale,

Trinkgeschirre, Löffel und Willkommenschilder lieferte

schmiedegewerbe. die schon auf

Die Leistungsfähigkeit,

desselben

der culturhistorischen Ausstellung

deutlich hervortrat, hat sich

glänzender Weise

bei

dieser Gelegenheit

Von den etwa 60 dem

gezeigt.

geräthen, insbesondere den Trinkgefässen aus

— das Gold-

in alter Zeit,

vom Jahre 1883 gleichfalls in

grösseren 17.

und

Silber-

18.

Jahr-

Laden geholt Legen diehatten, sind zwei Drittel die Arbeit rigascher Meister. selben mit einigen Ausnahmen auch nicht gerade von einem aussergewöhnlichen Grad künstlerischen Könnens Zeugnis ab, so ist doch die Wahrnehmung, dass die Goldschmiede jener Tage sich nicht auf die Anfertigung von Ringen und mehr oder weniger werthvollen hundert, welche die verschiedenen Zünfte aus

ihren

Schmucksachen und Zierrathen beschränkten, sondern regelmässig derartige monumentale Werke hervorzubringen pflegten, höchst erfreulich. Es giebt uns einen guten Begriff von den Fähigkeiten der Meister im Durchschnitt, wenn fast jede Werkstatt solche Stücke zu liefern vermochte denn es ist wohl zu merken, dass ;

jene

40 rigaschen Silberarbeiten

von

23

verschiedenen Meistern

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Aus dem Leben des herrnliren.

Aehnlicli

rigaer Goldschmiedeamtes.

war das Verhältnis

zwischen

21

einheimischen

und auswärtigen Geräthen auf der cultnrhistorischen Ausstellung. Unter 190 Nummern, die aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert stammten mitunter mehrere Stücke umfassend -- konnten 114



mit

Sicherheit

rigaschen

als

Ursprungs

nachgewiesen

Hiermit ist erwiesen, dass das Niveau, auf welchem Goldschmiede früherer Jahrhunderte gestanden haben,

war

und

ihn

zu nehmen bisher noch nicht

uns ein Einblick in die frühere Thätigkeit gegönnt, wie

möglich

war.

Sicherlich recht-

fertigt es sich bei solcher Sachlage, der Geschichte

ragenden diesen

Die und

werden*.

die rigaschen

kein niedriges

Gewerbes

Zweck

die

dieses hervor-

Aufmerksamkeit zuzuwenden und für nachfolgenden Blätter in Anspruch zu nehmen. seine

dem 14. Amts aufbewahrtes

beiden uns erhaltenen Schrägen der Goldschmiede aus 16.

Jahrhundert, sowie ein

in

der Lade des

Protokollbuch bieten das Material dazu. Allerdings kann die Entwickelung des Handwerks nicht von seiner Entstehung an bis auf die

wird selbst soll,

die Schilderung

dem Vorwurfe

können.

Allein

der

Gegenwart

verfolgt werden und

der Periode, die charakterisirt werden

Unvollständigkeit

die Studien,

sich

nicht

auf welchen dieselbe

sind vor Jahren gemacht, zu einer Zeit,

wo

die

entziehen

sich aufbaut,

Erweiterung und

neu aufzufindendes Material in Riga war. Gegenkann an solche Forschung seitens desselben nicht mehr gedacht werden, und so mag auch das Lückenhafte zu Nutz und Frommen glücklicherer Nachfolger immerhin ans TagesVertiefung derselben durch

selbst durch

den Verfasser nicht unwahrscheinlich

wärtig indess

licht treten.

Der Schrägen aus dem 14. Jahrhundert (1360) ist sowol in den Liv. anliq .*, als auch im Liv-, Ehst- und Curländischen Urkundenbuch* abgedruckt. Der Schrägen des 16. Jahrhunderts (1542) hat sich abschriftlich in dem im Besitz der alterthumsforschenden Gesellschaft in Riga befindlichen «Schragenbuch der

Monum.

Stadt Riga» erhalten, das im Jahre 1588 auf Anordnung des Raths-

herrn Evert

Hussmann angelegt wurde*.

Auch

ist

er in das er-

wähnte Protokollbuch eingetragen, dort indess wol durch Versehen des Abschreibers aus

Dass

dem Jahre 1532

datirt.

diese Jahreszahl nur auf einem Versehen beruhen kann,

ergiebt sich aus

dem Schlusspassus:

c

und

ist dcsse

schräge dorch de

ersamen und vorsichtigen herrcn Putroclus Kloclccn und her Johann Spenckhttscn, nu lor

tijd

verordnete awptherren ut befelch eines

erbarm

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Aus dem Leben des

22

rigaer Goldschmiedeamtes.

ruths den gedachten yoldschmeden averantwordet mit ernstlichem befehle sich allenthalven

darnach

hier genannten Rathsherren

to richten

und

wurden, wie

to

holden

>

gung erfuhr

Die beiden

aus Böthführs Rigischer

Rathslinie erhellt, erst im Jahre 1542 Amtsherren. dieser Schrägen durch Sigismund

Eine Bestäti-

August

1561, wie ich einer Antwort entnehme, welche das

II.

im Jahre

Amt

im Jahre

1740 auf eine vom Generalgouverneur nach ihren Statuten ergangene

Anfrage ertheilte. Es heisst darin Abermals eine Bestätigung des Schragens zugleich mit einer Erweiterung wurde den Goldschmieden durch Stephan Batory im :

,

Jahre 1582

zu

Die angezogene

Tlieil.

diesen Bestätigungen sind mir in den rigaschen Schragen-

büchern (im Besitze des Bürgermeisters Böthführ, des Wettgerichts, der Ritterschaftsbibliothek)

keine Abschriften

aufgestossen.

Ver-

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Aus dem Lebeu mnthlicl» Sind

des rigaer Goldschmiedeamtes.

erfolgt,

sie

ohne irgend

Inhalt der Statuten vorzunehmen.

eine

23

Veränderung an dem

Peter der Grosse, der bekannt-

lich von dem Zunftwesen eine sehr gute Meinung hatte und sogar denVersuch wagte, dasselbe in Russland einzubürgern*, wirdVerände-

kaum

rnngen

Was

für nötliig erachtet haben.

nun das Protokollbuch

betrifft,

über das sechszehnte Jahrhundert ich

durchgesehen habe, waren

Hand

ältere

versehen,

jüngere

nur noch

sind

Nicht alle

76, 77,

99 sind ganz

Eine

doppelt.

römischen Zahlzeichen

Ziffern

von

vorhanden Blatt

diese Blätter

1

I

sind beschrieben.

leer geblieben, andere

— 99

durch-



7,

10—39,

Blatt 7, 37,

nur theilweise benutzt

Die Handschrift wechselt beständig.

schwunden format,

arabischen

in

Auszüge

Die Blätter, die

zwar

Leider sind aber diese 99 Blätter nicht vollständig er-

vielmehr

76—99. worden.

so gehen meine hinaus.

hat die ersten 40 Blätter mit

eine

numerirt. halten,

nicht

p&ginirt, und

Der Einband

ist

ver-

;

es sind lose Schichten eines groben Papiers in Quart-

die

aber ursprünglich zweifellos zusammengeheftet waren.



Die Einträge erstrecken sich über die Zeit von 1482 1596. ist im ganzen als schwer leserlich zu bezeichnen

Die Schrift selbst

und ihre Entzifferung wird

überdies

Buch, wie es scheint, feucht

dadurch erschwert, dass das

gelegen hat.

Wenigstens

lässt

sich

nur so erklären, dass fast auf jedem Blatte die Hälfte des Eintrags verwischt

oder

bis

zur Undeutlichkeit

verblasst

ist.

Wenn

ich

trotzdem glaube im Wesentlichen richtig gelesen zu haben, so muss ich

immerhin für Namen und Zahlen um Nachsicht bitten. Bei der Abfassung dieses Amtsbuches war wol massgebend,

Denkwürdige, was im Lebeu der Zunft sich ereignete, für Nachwelt zu bemerken. Ein eigentliches Protokollbuch ist es

alles

die

nicht,

denn

weder sind

Lehrlingsverträge

oder Freisprechungen

Erwerbung der Meisterschaft vores als das «Buch der Aeltermänner» bezeichnen, denn von diesen stammen die Rechenschaften über Einnahme und Ausgabe, welche den Hauptbestandteil des Baches ausmachen. Einer dieser Männer schreibt auf Blatt 39b, oder Aufzeichnungen

handen.

Am

über

die

besten könnte

man

wie mir scheiut, in der Schrift des

«In verschriebene dato «einzuschreiben

wass

notig

ist ist

17.

Jahrhunderts:

mir diss Ambtes-Bueh zugestellet

hab gesehen

dass dass Buch

«anfencklich wol angefangen vornen an einzuschreiben, sein aber

«hernaeher etzliche gewesen, die balt hinden,

in die mitte,

«wieder vorne, nicht ordentlich geschrieben haben,

ist

bald

aber wie

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Aus dem Leben

24

von Anno

«zu sehen

des rigaer Goldscluniedeanites.

KiOO Folj I2ö ordentlich nach'ein ander

«geschrieben halt zu ende,

hab darumb (weilen noch uml umb die alten

«viel unbeschriebene folien sein

fast vorne

schrifften so

«noch darinnen sein nicht mugen bey seites setzen) ein Register «hinten gemacht die Folien zu ende

geschrieben

wirt zu

«kan werden,

kan

«

Buch

und wass

nuinmerirt.

register gesetz,

diss

nummer

die

ein-

verzeichnet

wol volgeschrieben

in richtigkeit

«werden.

«Auch ist in diesen huch nieistettheils geschrieben von «Rechnung was aussgegeben und entpfangen, weinig wass vor«gelauffen ist; «

ist

haben

schrieben

,

nur eine

oder

was vor

gesehen

wass darinnen

zwe, die

auch

ist.

die

ist

ge-

alte

hab ess vor gutt gesehen, dass

«schräge darinnen vorschrieben,

buch bleibt zur einnahm und aussgab und ein ander buch

«diss

war vorlaufft im Arnbte.» That je ausgeführt wurde, entMeine Auszüge weisen keine

«zuzurichten lassen dass einzuschreiben,

Ob zieht

diese gute Absicht in der

sich

meiner

Beurtheilung.

Bemerkung darüber

auf,

ob

ähnliche

wie

Bücher,

dies

in

letzten Zeilen angedeutete, mit Einträgen zur Geschichte des

werks sich

in

Theodor Beises «Das Goldschmiede- Amt zur Geschichte des Städte wesens, verlesen

in

Riga», ein Beitrag der 163. Versamm-

in

lung der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde

am

14.

den

Hand-

der Lade oder sonst erhalten haben.

November

1851®,

ergab

leider

für

in

Zweck

unseren

Riga keine

Ausbeute. 1

Als unter den

.

rigaschen Gewerbetreibenden

nach genossenschaftlichem Zusammenschlüsse es die

Goldschmiede gewesen zu

sein,

sich

welche

das regte,

allen

Bedürfnis scheinen

anderen mit

gutem Beispiele vorangingen. Wenigstens ist der ihnen am 25. Jan. 1360 auf ihren Wunsch vom Rathe ertheilte Schrägen, der die Verfassung enthält, nach welcher sie nunmehr ihr gewerbliches Leben richten wollen, der älteste aller rigaschen.

Und

es ist bemerkens-

werth, dass diese Ordnung überhaupt eine der ältesten ist, die uns von den Goldschmieden überliefert sind. Natürlich ist das Gewerbe ein uraltes

und machen bereits die Volksrechte Goldschmiede nam-

Auch wird uns schon aus dem dreizehnten Jahrhundert von der Verselbständigung der Goldschmiede Mittheilung gemacht, haft 10

.

die aus

dem Staude der Hörigen und Unfreien

sich heraufgearbeitet

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Aus dem Leben

des rigaer Goldschmiedeamtes.

25

und zünftig organisirt haben. So erseheinen tieuossenscliaften der Goldschmiede im Jahre 1231 in Braunschweig", in den Jahren 1258 und 1259 in Köln", im Jahre 1276 in Augsburg", im Jahre 1288 in Wien", im Jahre 1298 in Breslau", im Jahre 1300 in Erfurt", im J. 1330 in Magdeburg" u. s. w. Aber wir wissen von diesen ältesten Verbindungen nicht viel mehr, als dass sie überhaupt existirt haben. Die frühesten auf uns gekommenen ausführlichen Statuten und Rollen stammen aus dem letzten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts. Der erste «Brief» der strassburger Goldschmiede ist vom Jahre 1362". Dann kommen die Goldschmiedeordnuugen von Konstanz und Ulm aus dem Jahre 1364". In Wien erhalten die Goldschmiede ihre Ordnung im Jahre 1366". Die «rechticheide der Goldsmede» zu Hamburg sind im In Wismar ertheilt der Rath den Jahre 1375 aufgezeichnet» Goldschmieden im Jahre 1380 eine Rolle*», in Reval 1393*», in Ulm 1394»', in Lüneburg gegen 1400»*, in Danzig 1418»*. Die 1

.

lübecker Rolle, die das Vorbild für eine ganze Reihe von Städten

gewesen zu sein scheint, ist uns sogar nur in einer Aufzeichnung vom Jahre 1492 erhalten. Die rigasehen Goldschmiede bezogen ihren Schrägen aus Ein Vergleich desselben mit der erwähnten späteren Lübeck. Redaction der Lübecker von 1492 lässt eine fast wörtliche Uebereinstimmung erkennen. Auch die Wismarer haben ihr Statut

wenn auch mit gewissen Abänderungen, geboten erschienen. Lübeck war eben der Vorort Hanse und durch eine rege gewerbliche Entwickelung ausgezeichnet, daher war es ganz natürlich, dass man sich dorthin wandte, um die in der grösseren Stadt gemachten Erfahrungen verwerthen zu können. Es war das ein Vorgehen, wie es in den So sehen wir städtischen Kreisen jener Tage oft beliebt wurde. beispielsweise Köln in einem Schreiben vom 16. Juli 1372 an

von dorther entlehnt»», wie sie local der

Breslau Auskunft über einige Satzungen der Goldschmiede geben»»,

und wendet sich im Jahre 1464 der Rath von Speier nach Strass-

burg

mit der Bitte,

ihm

raittheileu zu wollen»».

nommen

haben,

kann

Riga bestimmt werden. holt

dort geltende Goldschmiedeordnung die Revalenser ihren

mit der

deitt),

tu

eine

andere als

in

ist

Lubekc recht

doch weicht der Wortlaut ab,

der Paragraphen

Schrägen ge-

gleichen Sicherheit wie bei

In einzelnen Artikeln desselben

auf Lübeck Bezug genommen (talsc

men tu Lubekc folge

die

Woher nicht

der

ist

wieder-

ist,

«

alsc

die Reihen-

lübeck-rigaschen

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Aus dem Lehen

26

man

Rolle und hat

des rigaer Goldschmiedeamtes

jedenfalls eine selbständige Verarbeitung nach

gegebenem Muster vor sich. Dasselbe gilt für Hamburg und Lüneburg, bei denen der Vergleich der Statute mit dem lübecker wol eine Verwandtschaft, aber keine völlige Uebereinstimmung

Wie

nachweist.

Tage

die

trat,

Zuständen

weit

Aehnlichkeit

eine

schliesslich

den

in

werden wir im Verlaufe

den

bei

Städten

Regelung

der

in

zu

im allgemeinen wol gleichen

Hansebundes

des

nahe

genug

lag,

dieser Studie noch zu erkennen Gelegen-

heit haben.

Wie

Zünfte jener Tage, so hatten auch die Goldschmiede

alle

war

ihren Schutzheiligen, welcher St. Eligius

genannt

deutsch

abzuhalten

amptes

kost

brachten

er nieder-

Zwar

Eloy».

des

Eligius (den

heiligen

Der

die jähr-

December)

1.

Item de goltsmede, de in tmserme ampie, sollen des Die Rigaer mede holden uppe sunte Lögen dach. ihre Huldigung ebenfalls dar und errichteten ihm, heiligen Erasmus und der heiligen Katharina einen

sei

:

ihm

sowie dem Altar»“

oder, wie

«sunt

von 1453 verfügt (Art. 21), dass

am Tage

Amtskost

und

dem rigaer Schrägen keine Erwähnung.

in

revaler Schrägen aber liche

Loye»

«sunte

wird,

geschieht seiner

(in

welcher Kirche,

weiss

anzugeben), der

nicht

ich

Jahre 1495 am 25. October eingeweiht wurde. der Eligiustag ursprünglich

In

nicht nachweisen.

Dass auch

gefeiert wurde, lässt

Wismar hatten nach dem Amtsbuch der Gold-

schmiede dieselben gleichfalls dem heiligen Eligius einen Altar richtet.

Uebrigens

schmiede

allein,

schaft

der

wird der

Wien,

war unser

Heiliger

Patron

nicht

sondern aller Schmiede, wie denn

rigaer

billigen eruces

im

Riga

in

urkundlich

sich

Schmiedeknechte

ausdrücklich

z.

der

er-

Gold-

B. die Bruder-

.

es darauf an, das erschmolzene Silber, bevor es in den

Handel

kam, nach seinem Feingehalt zu bestimmen, damit der Käufer Hiernach wäre das nicht eine Probe anzustellen nöthig hatte. Silberbrennen in Reval ein Geschäft der Goldschmiede gewesen, während in Riga besondere Persönlichkeiten damit betraut waren 6 » und in den Hansestädten nach einem Recess vom .fahre 1373'", bei dem nur leider die sich verbündenden Städte nicht genannt sind, den Goldschmieden das Silberschmelzen ausdrücklich verboteu war.

Der Stempelzwang

findet sich unter den Städten des Hanseund mag vielzunehmenden Verschlechterung der Gold- und Silberwaaren Zusammenhängen. Im Jahre 1395 beschlossen die in Marienburg versammelten Sendboten aus Thorn, Elbing, Danzig und Marienburg, dass jeder Goldschmied seine Waare mit seinem Zeichen und dem Zeichen der Stadt versehe*'. Dreizehn Jahre später wird bei der Wiederholung dieses Beschlusses erläuternd

bundes zuerst bei den preussischen ausgesprochen leicht hier mit

hinzugefügt wisse,

:

welch

der

talso op das gut gebrechlich wtterde gefunden, das

goltsmyd

das

geniachet

Indess

habe •*.*

Neuerung doch auf manchen Widerstand gestossen zu

man noch

in

den Jahren 1445 und 1452 sich

nums

scheint

die

sein, so dass

genöthigt sah, von

neuem die Anbringung eines Zeichens einzuschärfen*». Die wendischen Städte scheinen nicht früher als im Jahre 1439 die Stempelung für nöthig erachtet zu haben. Erst der schon erwähnte Münzrecess aus diesem Jahre schreibt den Goldschmieden den Gebrauch des Zeichens vor, das auch hier nicht sogleich An-

-

in den folgenden Münz Verträgen von 1441 und 1450 immer wieder besonders betont werden musste'». Verlangt wurde nur die Stempelung von «grobem» Werk, d. h. also grösseren

klang fand, sondern

Geräthen. schmiedes

Es

die Anbringung des Zeichens des GoldDass neben die Marke des Verfertigers ein

genügte

selbst.

städtischer Stempel durch die Aelterleute zu setzen die wendischen Städte

gemäss

geht

dann

erst

die

im Jahre 1463".

lübeckisehe

Rolle

sei,

beschlossen

Diesen Beschlüssen

von

1492

vor.

Mau

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Aus dem Leben fertigte in

Lübeck

des rigaer Goldschmiedeamtes.

37

eine Tafel an, welche Abbildungen der Stempel

der einzelnen Meister enthielt und hängte dieselbe öffentlich aus.

In

der Goldschmiede aus dem 16. Jahrhundert ist der Stempelzwang allgemein vorgesehen, so in dem revaler von 1537, den Statuten

im rigaschen von 1542, im wismarschen von 1545, im hamburgischen In Dorpat scheint er im Jahre 1594 eingeführt worden Der Rath verlangte damals, dass die Goldschmiede das nach derselben Probe verarbeiteten wie die rigaschen Meister

vou 1599. zu sein. Silber

und schrieb vor,

Aeltermann,

dass

wenn

die

neben Arbeit

Stadtwappen darauf schlagen bereits

geübte Massregel, die

oder eine

Gadebusch

das Zeichen

nur

des Goldschmieds

richtig

für

sollte”.

befunden

Ob wir

der

wurde,

das

aber

hier

eine

wiederholt eingeschärft wurde,

Neuerung vor uus haben, geht aus der Mittheilung nicht

hervor.

bei

Die Verpflichtung der Aelterleute oder

Werkmeister, die Gold- und Silberwaareu zu prüfen, erstreckte sich übrigens nicht nur auf die Fabrikate der Amtsgenossen, sondern auch auf eingeführte.

wo

die

Da man

immer wissen konnte, von

nicht

Gegenstände kamen und wie die gesetzlichen Verfügungen

au den betreffenden Productionsorten lauteten, so

war

dies wol eine

Schntzbestimmung im Interesse der einheimischen Goldschmiede so gut wie im Interesse der Käufer.

Um

das einheimische Gewerbe

hoch halten zu können, bedurfte es der Fernhaltung minderDem Käufer aber wurde vermittelst Prüfung die Controle erspart, die er doch nur unvollkommen anstellen konnte. So wurde in Wien im Jahre 1366 bestimmt, dass alles Goldschmiedewerk, das anderswo gemacht war und in allezeit

werthiger Coucurrenzartikel.

dieser

Wien zum Verkaufe kommen

sollte,

vorher

von den

«

ztcain die

darüber gesetzet sind* beschaut werde, damit man niemand betrügen Die älteste lübecker auf Goldschmiede Bezug nehmende könne.

Verordnung von 1371 gestattete den « Meisterleuteu», waudelbares sie auf dem Markte feilgeboten fanden, anzuhalten Das aber konnte nur fremde Waare seiu, da die einheimische schon der Beaufsichtigung in der WerkGeschmeide, das

und vor den Rath zu bringen. stätte unterlag.

In Lüneburg waren die Werkmeister ausdrücklich

berechtigt, das Feilbieten von nicht

gutem Silberwerk durch Krämer In Riga ordneten

oder andere Persönlichkeiten zu unterdrücken.

Burspraken von 1376 und 1399 an, dass niemand von auswärts eingebrachtes Geschmeide verkaufen durfte, ehe es die Werkmeister

die

der Goldschmiede besichtigt hätten”.

sowol

im

Ausserdem aber

findet sich

rigascheu (Art. 16) als auch im wismarschen Schrägen

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Ans dem Leben

38 (Art.

14)

die

des rigaer Goldsrhmiedeamtes.

Bestimmung, dass die Kleiderhändler und Trödler

(cledersellersclie)

nur dann Gold- und Silberwaaren verkaufen durften,

wenn sie dieselben den Werkmeistern vorgelegt* hatten. Vielleicht war es hierbei nicht so sehr darauf abgesehen, die gute Beschaffenheit der Artikel festzustellen, als

die Althändier über den

War

die Gelegenheit

Erwerb der Stücke

herbeizufuhreu,

sich ausweisen zu sehen.

Verordnungen theilweise sicherlich der Gesichtspunkt massgebend, dass den Goldschmieden der Absatzkreis erhalten für diese

bleiben sollte, der

Käufer

sich

ihnen

leicht

an Schundwaare

verloren

gehen konnte, wenn der

gewöhnte, so lassen sich ausserdem

noch andere Bestimmungen nachweisen, welche darauf abzielen, den

Goldschmieden ihren Gewinn nicht verkümmern zu lassen.

Im

riga-

schen (Art. 3) und wismarschen Schrägen (Art. 2 ) war z. B. verfügt, dass die Goldschmiede für Wiederverkäufer nicht arbeiten sollten

und drei

in Lüneburg den Krämern und auswärtigen Goldschmieden nur Mal im Jahre, mit Ausnahme des Michaelismarktes und einiger

anderer (nicht namhaft gemachter) Messen, erlaubt, fertige Gold- und

Silberwaaren zu verkaufen.

minderwerthigem ist

Dr. Crull meint freilich von der wismar-

verhüten sollen, dass Käufer mit und Gold übervortheilt würden. Indess diese Auffassung nicht recht verständlich, da die Goldschmiede

schen Bestimmung,

sie

hätte

Silber

minderwerthige Fabrikate überhaupt nicht veräussern durften, also

auch nicht an Wiederverkäufer.

Dass diese letzteren durch irgend

welche Manipulationen den Feingehalt an den eingekauften Gegenständen hätten schmälern können,

ist

nicht gut denkbar und über-

auch ihr Verkauf unter Controle. Es konnte eine solche Verfügung demnach nur den Sinn haben, das Publicum darin bestärken zu wollen, dass es direct beim Producenten, nicht beim Zwischenhändler einkaufte, der die Waare vertheuerte oder den dies stand

Einkaufspreis herabdrückte. Prof. Willi.

Stieda.

sr*--»

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Die Fürstin Daschkow'

ie

Fürstin Katharina

fß Woronzow, Jahrhunderts.

An

ist

edler,

eine

Romanowna Daschkow, der

geh. Gräfin

bedeutendsten Frauen

des

18.

demüthiger Weiblichkeit weit zurückstehend

hinter Natalia Borissowna Dolgorukow, der vielgeprüften Dulderin

und einstigen Braut Kaiser Peters

1

II.,

ist sie in

der zweiten Hälfte

Die vorliegende Darstellung beruht auf den Mi-moires de la princesse

Dashknw, d'apres le manuscrit ree u et corrigc par lauteur, heransgegeben im Bande des ApxaBi Kusus Bopouttooa. Mocssa 1881, sowie auf der biographi-

21.

schen Skizze Katharina Hioaallccaro.

Romanowna Daschkow von D.

Mocssa 1884.

S.

223—443).

Memoirs of

Jt-

H-

Mrs Bradford the

princess

ladij of honnnr to Catherine II. ritten btj herseif, comprising of the empress and other correspotulencc. In two rol. London 1840. Die von ihm angeführten Stellen aus den Memoiren stimmen nicht immer

genau mit der französischen Ausgabe, deren 2.

:

W

Daschkow, Utters

Ilowaiski (Coxunenis

Ilowaiski hat die von

der Memoiren benutzt

besorgte englische Ausgabe

er

gar nicht erwiihnt, obwol die

Auflage seiner biographischen Skizze erst 1884, also drei Jahre nach dem Er-

scheinen

der

Ausgabe der Memoiren, lierausgegeben wurde. In englische Ausgabe zur französischen steht, ist noch gar

französischen

welchem Verhältnis

die

Bnrtenjcw, der Herausgeber

nicht untersucht worden.

deB Archivs des Fürsten

Bolche Untersuchung gewesen wäre, begnügt ihm veröffentlichten Textes zu constatiren, ohne auf weitere Untersuchungen einzugelien, ja ohne auch nur zu erwähnen, dass es bereits seit langer Zeit eine englische Ausgabe dieser Memoiren und russische

Woronzow, dessen sich,

die

Echtheit

Pflicht

des

eine

von

Uebersetzungen derselben giebt.

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40

Die Fürstin Daschkow.

des 18. Jahrhunderts in

Frau Russlands,

einzige

die

eine Rolle

die

der Politik, der Verwaltung und der Literatur gespielt hat und

neben

der Kaiserin Katharina

genannt zu werden verdient.

II.

Ihre Familie, die Woronzow, gehört zu den ältesten moskowimit

dem Vicekanzler,

seinem Bruder,

den Reichsgrafenstand erhoben Livland der

Name

Als Senator zeichnete er

worden.

Seine Tochter erwähnt, dass

sich aus durch strenge Gerechtigkeit. in

Roman ilarionowitsch war vom römischen Kaiser in

Ihr Vater

schen Bojarengeschlechtern.

ihres Vaters sehr geehrt werde: er

Senat stets die Inländischen Privilegien die

(Martha Iwanowna Ssurmin)

habe im

verteidigt und mit Erfolg

abweichenden Ideen anderer Senatoren bekämpft.

Ihre Mutter

war ausgezeichnet durch Schönheit,

Grazie, einen sanften Charakter und die Freundschaft der Kaiserin

Elisabeth

welcher

,

vor

sie

Thronbesteigung

wesentliche

1743, wurde Katharina

Romanowna

deren

Dienste geleistet hatte.

Geboren am von

17.

März

aus

der Kaiserin Elisabeth

Patlie

der Taufe gehoben,

ihr

war der Thronfolger, der nachmalige Kaiser Peter ihren Memoiren,

hatte das Unglück,» schreibt sie in

zweiter

«Ich

III.

«zwei Jahre

meine Mutter zu verlieren, von deren Tugenden, deren Edelmuth und feinem Gefühl ich nur von Anderen hörte, die ihr Bealt,

wunderung und Dankbarkeit bewahrt

kam

alt war,

ich in das

Als

hatten.

ich

vier Jahre

Haus meines Oheims, um anders erzogen

zu werden als blos durch die grenzenlose Liebe einer Grossmutter.»

Da

damals noch jung, ein zerstreutes Leben führte, Oheim Michael Ilarionowitsch Woronzow ihre Erwar eine Cousine der Kaiserin, eine geh. Gräfin Skawronska, und das Haus des damaligen Vicekanzlers ihr Vater,

übernahm

ihr

ziehung.

Seine Frau

eins der

vornehmsten

zeichnet.

und

Die Kaiserin

durch feine aristokratische Sitte ausgebesuchte

zärtlich gegen ihre Pathe.

das

Haus

oft

war

und

stets

Katharina Romanowna wuchs mit ihrer

Cousine, der einzigen Tochter des Vicekanzlers, Anna, nachmaligen

Gräfin Stroganow, zusammen auf.

wir hatten

dieselben

Lehrer,

«Wir

wir

theilten dasselbe

gingen

gleich

Zimmer,

gekleidet,

wir

wurden gleich behandelt, und niemals sind zwei Personen in allen Perioden ihres Lebens einander unähnlicher gewesen als wir: eine

Warnung

für die, welche nach abstracten Theorien

vorsehreiben wollen.»

Von

ihren Geschwistern

ihrem Bruder Alexander vertraut. grössten Tlieil

seines

Lebens

in

die

war

Erziehung

sie

nur mit

Ihren Bruder Ssemen, der den

England

verbrachte,

kannte

sie

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:

Die Fürstin Daschkow. nur wenig.

Ihre älteren Schwestern

4L

Marie

und Elisabeth waren

Hof gekommen, sie sah sie nur selten. Ueber ihre Erziehung schreibt sie Mein Oheim sparte nichts, uni uns die besten Lehrer zu verschaffen, und nach damaliger Anschauung waren wir ausgezeichnet schon früh an den

•-

erzogen

wir

:

sprachen

französisch,

fliessend

lernten

italienisch,

deutsch und russisch, letztere Sprache freilich nur wenn wir gerade

Last verspürten

,

zeichneten

etwas und

tanzten gut.

Bei liebens-

würdigem Benehmen, guten Manieren, Tact musste man uns

Was

ausgezeichnet erzogen halten.

unser Herz und

aber

hatte

unseren Geist zu bilden ?

man

Nichts

!

für

getliau,

um

Mein Oheim

hatte keine Zeit dazu und meine Tante weder Lust noch Geschick.

Da bekam ich so

ich die Masern und diese Krankheit ward Ursache, dass geworden bin, wie ich bin. Von Kindheit auf wollte ich so, wie ich liebte, und als ich 13 Jahre alt zu be-

geliebt sein

merken glaubte, dass ich eine solche Liebe nicht hervorrief, fühlte ich mich vereinsamt. Damals war, um den Grossfürsten Paul vor Ansteckung zu bewahren, durch Ukas verboten, dass Personen, in deren Häusern ansteckende Krankheiten waren, bei Hofe erschienen. Man schickte mich also aufs Land. Die Damen, die mich be-

Nach meiner Auffassung fühlte ich mich der Umgebung zärtlicher Verwandten und Freunwar trostlos. Eine tiefe Melancholie bemächtigte Mein Frohsinn, meine zu Scherzen aufgelegte Leb-

gleiteten, liebte ich nicht.

nur glücklich dinnen. sich

Ich

meiner.

in

haftigkeit verwandelten

ward schweigsam und Sache wirklich kannte.

Augen, so warf

iu

sich

in

Ernst und Nachdenklichkeit

mich gekehrt, ich sprach nur,

Kaum

erlangte ich

ich mich mit Leidenschaftauf die Lectüre:

Montesquieu, Voltaire und Boileau wurden steller.

wo

Von da an

begriff ich, dass eine in

ich

:

ich die

den Gebrauch meiner Bayle,

meine LieblingsschriftEinsamkeit verbrachte

Anstatt wie früher das nothwendig unerträglich sei. Mitgefühl Anderer zu suchen, zog ich mich auf mich selbst zurück und suchte die Kräfte meines Geistes zu entwickeln, Muth, Festig-

Zeit nicht

keit

zu

und innere Ruhe, welche uns befähigen, über den Verhältnissen Als ich zurückkehrte, war mein Bruder Alexander

stehen.

niemand in meiner Umgebung, Aufmerksamkeit widmete. Doch war ich

nach Paris gereist, ich hatte nun der

mir

eine

zarte

ruhig und zufrieden unter meinen Büchern und glücklich,

mich mit Musik beschäftigen konnte

;

wenn

ich

ausserhalb meines Zimmers 3 **

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Die Fürstin Daschkow.

42

war

Das anhaltende ganze Nächte hindurch fortgesetzte Lesen und der abnorme Seeleuzustand ich traurig

und fühlte mich gedrückt.

schwächten meine Nerven und

krankhafte Zufälle herbei,

führten

welche meinen Oheim beunruhigten und sogar Kaiserin hervorriefen.

have behandeln. achtet

Dieser erklärte, nachdem er mich sorgfältig beob-

mein Organismus

hatte,

Theilnahme der

die

mich durch ihren Leibarzt Boer-

Sie Hess

sei

gesund

völlig

und jene

be-

unruhigenden Erscheinungen könnten ihren Grund lichen

nur in gemütliwurde von deu Meinigen mit Da diese Fragen jedoch weder viel Gefühl, noch

Aufregungen

Fragen bestürmt. viel Interesse für

haben.

Ich

mich verriethen, konnten

mir hervorrufen, die übrigens nur grosser Empfindlichkeit, enthüllt,

vielleicht

ausgesehen hätte.

gar

ein

sie

keine Offenheit bei

wirres Bild meines Stolzes,

zu genügen Vorwürfe gegeu meine Verwandten

mir

meines Strebens

wie

allein

Ich verschwieg daher meinen Seelenzustand und

Auch

schob alles auf Nerven und Kopfschmerzen.

gewann mein Geist an Kraft und Stärke. Von jeher interessirte mich die Politik. begierde belästigte ich

alle

in dieser Krisis

Durch meine Wiss-

Ausländer, Künstler, Gelehrte, Diplo-

maten, welche meinen Oheim besuchten.

Ich befragte einen jeden

über sein Vaterland, die Regierungsfonn und die Gesetze desselben.

Schuwalow, der Günstling der Kaiserin, erfuhr von meinem Eifer und versorgte mich mit allen literarischen Neuigkeiten aus Paris. Diese Aufmerksamkeit war für mich eine Quelle grossen Genusses. Mein ganzes Taschengeld verausgabte ich für Bücher. Im ersten Jahre meiner Ehe kaufte ich mir die Grosse Encyklopädie I. I.

und das Wörterbuch von Moreri.

Kein noch so theurer und schöner

Schmuck hat mir jemals halb so viel Vergnügen gemacht, wie Mit meinem Bruder Alexander begann ich eine fortgesetzte Correspondenz. Ich berichtete ihm, was bei Hofe, in Diese Correspondenz trug der Armee und in der Stadt vorging. dazu bei, meinen Stil auszubilden und ilun seine Kürze und Prägnanz dieser Erwerb.

zu verleihen^

Das

ist alles,

Ist

in

dieser

was wir von Darstellung

ihrer Jugendzeit wissen.

der

61jährigen

Frau

über

ihre

Jugendjahre auch manches aus späterer reiferer Auffassung hineingetragen, vielleicht

haben wir

in

manches

derselben

doch

verschwiegen, ein

anderes

vergessen, so

im wesentlichen richtiges Bild

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Die Fürstin Daschkow.

Aufgewaohsen

Entwickelung.

ihrer

einer Mutter, mit tiefem Gefühle

Vom

sich selbst gestellt.

wo

sellschaften,

sie

auch

Gesellschaft, so doch

nicht

Die Lectüre ernster,

langweilte.

über

Geist

ihren

bildete

hob

Dazu kam, dass

über deren Kleinlichkeiten. ihr

und

der damaligen

die Vorurtheile

glänzende Erscheinung war:

sie keine

beobachtend

früh

Jahre an der Aufsicht einer Gouverfast völlige Freiheit, besuchte nur Ge-

nicht

sich

sie

gewohnt von einer

dessen

findet sie sich in früher .lugend aut

philosophischer Schriften

empor, wenn

Fürsorge

13.

nante enthoben, genoss sie

besonders

liebende

begabt, früh

Kaiserin verwohnt zu werden, in Folge

und Anerkennung verlangend,

43

ohne die

kluges

ausdrucksvolles

kleinem Wüchse hatte sie

Gesicht hatte fast männliche Züge, bei

Bewegungen. Solche Personen entwickeln sich durch Ausbildung des Geistes und Charakters allein

lebhafte, energische früh,

denn

können

sie

Ueberlegenheit über ihre

körperlich

schöneren Alters-

genossinnen erlangen. Alle

Umstäude beförderten eine rasche Entwickelung

diese

ihres Geistes, ihrer Energie, aber

auch ihres Selbstbewusstseins und

Stolzes.

Ihr fehlte wie eine mütterliche Freundin, so der mildernde

Einfluss

warmer gegenseitiger Freundschaft.

Fünfzehn Jahre

verliebte sie sich unter Umständen, welche ihrer

alt,

Wahl den roman-

Schimmer einer höheren Fügung verliehen, in den schönen Fürsten Daschkow, einen vollendeten Cavalier. Die Kaiserin bewies tischen

auch hier ihre Herzensgüte und mütterliche Freundlichkeit. zeitig knüpfte

sich

schreibt darüber:

und die Grossfürstin, welche genannt wurde.

der F'olge Katharina

in

der Lectüre widmete.

ich

meine ganze Zeit dem Studium und

Das hat mir

Achtung erworben und

ihre

meiuen ganzen Lebenslauf beeinflusst, mich stellt,

auf welchem

zu

stehen

ich

gab damals ausser der Grossfürstin welche sich

mit

Sie

die Grosse

Sie hatte durch die fremden Diplomaten von mir

sie wusste, dass

gehört;

Gleich-

der Thronfolgerin.

mit

die F'reuudschaft

«Im selben Winter besuchten uns der Grossfürst

ernster Lectüre

auf ein Piedestal ge-

Es

niemals erwarten konnte.

und

mir

keine

beschäftigten.

Wir

zwei Frauen, fühlten eine

gegenseitige Wahlverwandtschaft und der Zauber, den sie ausübte,

wenn

sie

jemand gewinnen

junges Ding,

Schwung

um

ihrer

besass, prägten ihr Bild

war zu mächtig für ein 15j übriges immer mein Herz zu weihen. Der

wollte,

ihr nicht für

Gedanken, in

die

umfassenden

mein Herz

Kenntnisse,

die

sie

und meinen Geist mit den

Attributen eines von Natur bevorzugten Wesens, dem ich mich für

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44

Die Fürstin Daschkow.

immer weihte.

Dieser lange Abend,

manchen späteren Ereignissen.» ehrung für die Thronfolgerin.

wo

nur mit mir sich

sie fast

wurde der Grund gelegt zu

Hier

unterhielt, erschien mir kurz.

Ihr Bräutigam

Diese

warme

ihre Ver-

theilte

begeisterte Liebe für die

Grossfürstin und nachmalige Kaiserin hat sie mit unerschütterlicher

Treue

Leben hindurch bewahrt, obwol

ihr ganzes

ihr

keine volle

wo

Gegenseitigkeit entgegengebracht wurde, treu liebend auch da, die

Gunst der Kaiserin

sich

von ihr

und deren Ungnade

wandte

Sie verzeichnet solche Abschnitte ihres Lebens

sie traf.

mit ein-

fachen Worten, aber nirgends findet sich ein abfälliges Urtheil, ein

Wort über

feindliches will,

die Person der Kaiserin,

was um so mehr sagen

wir wissen, dass die Memoiren so geblieben sind, wie

als

sie

dieselben zuerst niederschrieb, dass sie nicht an denselben gefeilt hat.

wurde Mutter eines Tochterleins. Das folgende Jahr verbrachte sie in Moskau, wiederholt getrennt von ihrem Manne, was sie nur schwer ertrug. Ihre leidenschaftliche Liebe, die keine Hindernisse und keine Vorsicht kannte, hätte ihr fast das Leben gekostet. Sie genass eines Sohnes und Sechzehn Jahre

fiel

28. Juni

1701

sie sich

Tag

der

nur langsam erholte.

kehrte sie nach Petersburg zurück.

wunderschöner Tag, schreibt

ein

dieser

heiratete sie und

schwere Krankheit, von der

in eine

Am war

alt,

sie,

bemerkensweitheste

und

12

«Es

Monate später wurde

ruhmvollste

für

mein

Vaterland.» Sie lebte blühte,

in

einem Jahrhundert,

wo Russland

war und noch 35

bereits

wo

die

politische Intrigue

32 Jahre von Frauen regiert worden Frau des vorigen .Jahr-

«fahre von der grössten

hunderts regiert wurde, welche sämmtlicli, nachdem Peter der Grosse die alte

Thronfolgeordnung aufgehoben

zur Regierung gelangt waren



energischer Charakter, schon früh

zu directer Thätigkeit der

angeregt

politischen Intrigue.

fürstlichen

scheinen.

da in

hatte, durch Staatsstreiche

musste

ein

der Politik

fühlen.

Sie

so selbständiger

bewandert, sich

lebte

bald

ganz

Das junge Paar wurde an den

Hof gezogen, täglich sollten sie beim Obwol ihre ganze Familie zur Partei

in

gross-

Grossfttrsten er-

des Grossfürsten

gehörte und ihre Schwester die Hauptrolle spielte, schloss sie sich

der Grossfürstin an.

Die

Ermahnungen des Grossfürsten,

sich

Worte und gelehrte Lectüre fangen zu lassen, durch kecken Widerspruch und spielte die Rolle eines naiven verzogenen Kindes. Ihre Memoiren enthalten darüber nicht durch schöne

beantwortete

sie

pikaute Schilderungen.

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Die Fürstin Daschkow.

Mit der Sohn der

war

(Trossfürstin

sie

45

lebhaftem Verkehr.

in

letzteren, der Grossfürst Paul, befand

Kaiserin, es

war der Mutter nur

Der

sieh stets bei der

gestattet, ihn einmal wöchentlich

zu sehen, auf der Rückfahrt nahm die Grossfürstin stets die Fürstin

Waren die Damen sich auf den ganzen Abend. zusammen, so correspondirten sie doch sind uns nur einige

Daschkow mit nicht

;

Briefe der Grossfürstin erhalten, weil letztere, von Spionen umgeben,

Den Ausgangspunkt

die Briefe, die sie erhielt, sofort vernichtete.

der Correspondenz bildete das gemeinsame Interesse an neuen rarischen Erscheinungen.

Grossfürstin zeige

sich

Ilowaiski bemerkt,

den Briefen

in

lite-

der

Gemachtes, wenig Offenheit und eine

viel

bewusste Absichtlichkeit, ein

gewandtes

Spiel

mit

Worten,

das

Streben, die Frau, deren Begabung und Fähigkeiten, deren selbst-

und energischen Charakter

bewussten

erkannt

sie

habe, an sich

zu fesseln.

Die

öffentlichen Verhältnisse halten sich

allmählich so zuge-

Die Kaiserin

dass sie einer Entscheidung entgegentrieben.

spitzt,

Elisabeth

hatte

bei

grosser

Herzensgüte

keinen Sinn für Staatsgeschäfte, belästigt werden.

sie

gegen

wollte

ihre

Umgebung

Ruhe haben und

nicht

Sie liess die Dinge gehen, wie sie eben gingen.

Die Erziehung des Grossfürsten war schon

von Jugend

auf noch

in Holstein durchaus vernachlässigt und durch die Umgebung am Hofe nicht verbessert worden. Die Kaiserin war höchst unzufrieden mit ihm. Durch Tactlosigkeit hatte Peter nicht nur die

Geistlichkeit, sondern letzt,

auch

das

religiöse Gefühl

des Volkes ver-

durch Pedanterie war er bei der Garde unbeliebt, durch Un-

beständigkeit und Schwanken stiess er jeden von sich ab, der für

Russlands

Grösse

ein

Herz

hatte.

Seine

Haltlosigkeit

und die

Unsicherheit und das Unleidliche ihrer Lage hatten seine Gemahlin veranlasst, daran zu gehen, sich selbst

doch war der zuerst

viel

eine Stellung zu schaffen

;

versprechende Versuch, durch den Reichs-

kanzler Grafen Bestushew, der es

Katharina die einzig mögliche Nachfolgerin der Kaiserin Elisabeth sei, Einfluss auf die Politik zu erlangen, durch des letzteren Sturz gescheitert'. Sie war bei der Kaiserin in

Ungnade

begriff, dass

gefallen und als diese sich zu mildern schien,

hatten die Intriguen französischer uud österreichischer Diplomaten

dafür gesorgt, dieselbe aufs neue hervorzurufen. erfuhr die ganze Schwere derselben.



Siehe

«las

Die Grossfürstin

Sie lebte in völliger Zurück-

Detail bei Briiekner, Kathariua

ilie

Zweite.

S 48—72.

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Din Fürstin Daschkow.

46 gezogenheit, scheinbar

Je mehr

sie ihre

ergeben

Umgebung

über ihre

die Möglidikeit

sie

nur

ihr Loos, aber

in

Ueberlegenheit

so entschlossener suchte

seheinbar. fühlte,

um

Handeln vorzu-

zuin

In späterer Zeit liebte sie sidi dessen zu erinnern, dass

bereiten.

beim Betreten des russischen Bodens sich gesagt hatte «hier werde ich regieren.» Nachdem sie den Urossfürsten und ihre Umgebung kennen gelernt hatte, ging sie mit meisterhafter Kunst an sie

:

Wenn

die Erreichung dieses Zieles.

verloren schien, begann

alles

e

mit

sie

i

scheiterte und

n Versuch

unnachahmlichem Geschick

einen weiteren vorzubereiten, vor allem sich Freunde zu erwerben.

Mitte December

des Jahres 1761

erklärten die Aerzte,

die

Kaiserin habe nur noch einige Tage zu leben. Die Fürstin Daschkow, obwol bettlägerig, begab sich um Mitternacht zu Fuss in das Palais, es gelang ihr, uubemerkt auf der Hintertreppe in dasselbe zu gelangen. Völlig unbekannt in diesem Theile des Schlosses, trifft

Kammerfrau der

sie zufällig die

Grossfürstin, die

Begegnungen bewahrt und auf

lichen

Die Grossfürstin, obschon

Vorwürfen, dass

sie ihre

sie

Gesundheit aufs Spiel

««Was

mit

liebreichen

setze, lässt sie sich

aufs Bett setzen und ihre Füsse erwärmen, ehe erlaubt.

vor bedenk-

sie

ihr dringendes Bitten meldet.

im Bett, empfängt

sie

ihr

zu reden



mir?»» «Meine Unruhe die Kaiserin nftr einige Stunden zu leben, was

führt Sie zu

hat nur einige Tage, vielleicht

ist Ihr Plan? Wie wollen Sie sich schützen gegen die Gefahren, die Ihnen drohen ? Befehlen Sie über mich!» Ein Strom von Thräuen antwortete mir. ««Ich habe keinen Plan! ich werde muthig allem begegnen, was mir bevorsteht, ich vertraue auf Gott!»» 1

«Dann müssen Ihre Freunde handeln,

ich scheue vor keinem Opfer.» setzen Sie sich keiner Gefahr aus! Wenn Unglück widerführe, würde ich mir ewig Vorwürfe Ausserdem, was könnte man unternehmen ?>> «Alles,

««Um

Gott, Fürstin,

Ihnen

ein

machen.

was

ich jetzt

Sie,

gnädige Frau, compromittireir könnte;

dass ich nichts thuu werde, was wenn ich leide, werde Grund haben, sich meiner ErgebenVerbindung mit irgend einem Kummer oder Unglück für

sagen kann,

ist,

ich allein leiden, Sie sollen nie heit in

Ihre Person zu erinnern

»

Die Grossfürstin

massigen, aber ich unterbrach sie «Ich muss fort!»

aus:

Sie

;

ihr die

wollte

Hand

meinen Eifer

küssend, rief ich

umarmte mich und wir blieben

einige

Es war «las Gerücht verbreitet, der Grossfiirat, auf den Thron gelangt, werde seine Gemahlin verstosseu, in ein Kloster sperren und Elisabeth Woron1

zow

heiraten.

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:

Die Fürstin Dasclikow.

Augenblicke alles

und

an

fest

theilte

einander

47

geschlossen.

Mein

Mann

billigte

mir mit, dass mein Oheim, wie jeder wahre Patriot,

mit grossen Befürchtungen

dem bevorstehenden Regierungswechsel

entgegensehe.

Am sechs

Weihnachtstage

Wochen

aufgebahrt.

starb

die Kaiserin.

Die Leiche blieb

In dieser ganzen Zeit bewies die junge

Kaiserin ihre Ueberlegenheit in ihrem Verhalten vor

dem Publicum.

Sie erschien täglich in tiefer Trauer und tactvoller würdiger

am Sarge

Haltung

zu den Todtenmessen, was allgemeine Sympathie erregte,

während Peter III. sich kaum zeigte oder, wenn er kam, stets an den wachthabenden Offizieren und Soldaten etwas zu rügen hatte Die oder spöttische Bemerkungen über die Geistlichen machte. Massregeln, die Peter

ergriff,

erregten allgemeine Unzufriedenheit

Einführung der preussischen Uniform, das Abbrechen des Krieges gegen Preussen, die Ernennung unbeliebter Commandeure in der

die

Garde, die Vorbereitung eines Krieges gegen Dänemark. Die Fürstin schildert in ihren Memoiren ausführlich, in welcher Weise sie der Kaiserin Freunde und Anhänger zu gewinnen, Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen und Allen stets den Hauptzweck vorzuhalten wusste. Es erregt unser Staunen, mit welchem Tact, mit welcher Energie und Gewandtheit die 19jährige junge Frau handelte. Die Kaiserin hatte ihre eigeue Thätigkeit vor der jugendlichen lebhaften Frau stets geheim gehalten und erst der Tact, die Umsicht und Entschlossenheit, die sie in ihrem Auftreten ihr gegen-

über bewies, hatte sie überzeugt, dass sie ihr vertrauen könne.

Garde war von Beiden ausgegangen, Gebrüder Orlow, von der Fürstin seine Freunde Passek, Lassunski, Roslawlew ßredichin. In den vornehmen Kreisen wirkte die Fürstin persönlich. Sie gewann ihren Oheim, den Erzieher des Die Eiuw'irkung auf

von

der

Kaiseriu

Daschkow durch

durch

ihren

die

die

Mann und

,

Rasumowski u. a. Der Erzbischof von Nowgorod, der

Grossfürsten Panin,

noss,

ergriff aus

eigenem Antrieb,

um

ein grosses die Stellung

Ansehen geder Kirche

besorgt, die Partei der Kaiserin.

Dem

Kaiser gegenüber spielte die Fürstin die Rolle des verfort mit einer Keckheit, dass sie aus seiner Um-

zogenen Kindes

gebung einmal das Wort hörte: «Das ist ein Satan, aber keine Frau!» Diese Frau aber setzte ihre Thätigkeit unermüdlich fort; sie dachte an alles. Als der Kaiser und die Kaiserin nach



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Die Fürstin Daschkow.

48

Peterkof zogen, ordnete

der Kammerdiener der letzteren

sie an, dass

Miethwagen und Pferde

stets einen

jeden Augenblick nach Petersburg

Die Zahl der

in

bereit halte, damit die Kaiserin

kommen

könne.

war sehr

Sache Eingeweihten

die

gross.

Als die Soldaten unruhig wurden und nicht mehr warten wollten, liess die.

Fürstin ihnen sagen, dass sie

Dadurch, dass

beruhigte

man konnte

sich

Namen

sie gestattete ihren

Es war

ängstliche Gemüther.

sie

halten

sollten,

Nachrichten von Ihrer Majestät, es stünde alles

sie erhalte täglich

gut.

ruhig

sich

über

Beginn

den

nicht

nennen,

direct zu alles

aber

bereit,

einigen,

es

fehlte

der

Entschluss oder vielmehr ein Anstoss.

«Am

Nachmittage des

27. Juni

Orlow bei Mein Onkel,

erschien Gregor

und berichtete, Capitän Passek sei verhaftet. Graf Panin, der gerade bei mir war, bewies, das habe nichts zu bedeuten, er werde ein Disciplinvergehen begangen haben. Ich behauptete, der Moment sei gekommen. Wir konnten uns nicht einigen und Orlow wurde abgesaudt, Erkundigungen einzuziehen er sollte mich und Panin benachrichtigen. Als die Herren mich verlassen hatten, machte ich mich zu Fuss auf die Strasse. Plötzlich sprengt ein Reiter daher. Ich habe das Gefühl, er eile zu mir, und rufe aufs Gerathewohl Orlow mir



!

:

Er kam, um zu berichten, Passek Doch warum steheu wir hier

Es war Alexei Orlow. sei als

Staatsverbrecher verhaftet.

«Weil

auf der Strasse? setzte er hinzu. ist.

Benachrichtigen

mentern,

Brüder sie

um

haben.*

Brüder Orlow in der sie

zu

bei

ob es

:

nicht

Nacht zu belästigen? Ich gerieth

ihrem Bruder, dass er sofort

Begreift

ihr

denn

dass

nicht,

Moment gezeigt hat?» Noch in der Nacht

Sie oder

Sagen wie

sie,

in

die

traf Alexei

Miethwagen, den die Fürstin

unnütz

wo

sei,

Orlow

mich

sie

der

einer

die Kaiserin

Zorn: «Sagen

nach Peterhof

Vorsehung

ihrer

einer

der Kaiserin,

sie

und

in heftigen

Carriere

verlieren

sollen zu den Regi-

sie

Stunde später traf wieder

Eine

mir ein

keine Zeit zu

empfangen.

Erzählen

sofort aufbrechen.

gesprochen

Kameraden,

sie ihre

Kaiserin

wie der Blitz nach Peterhof.

eilen

möge

die

selbst

uns

reite.

diesen

in Peterhof ein.

Der

in Bereitschaft zu halten angeordnet

Ohne denselben hätte man nicht abfahren können. In Begleitung ihrer Kammerfrau und zweier Offiziere fuhr die Kaiserin nach St. Petersburg. Alexei Orlow sorgte hatte, leistete jetzt seine Dienste.

dafür, dass die Pferde wie

im Sturme dahin brausten.

Als

sie

auf

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Die Fürstin Daschkow.

Wege

halbem

49

stürzten, fanden sieh Bauernpferde; gleich darauf be-

gegnete man dem Wagen,

dem Gregor Orlow der Kaiserin

in

ent-

gegenkam.

Es

Aufgabe dieser Blätter, die dramatischen und tragischen Ereignisse jener Tage zu schildern. Die Fürstin Daschkow sah die Kaiserin wieder, als dieselbe schon zur Selbstherrscherin ausgerufen worden war. Sie lagen sich in den Armen und konnten nichts sagen als: Gott sei Lob und Dank Sie begleitete die Kaiserin in der Kleidung eines Offiziers auch die letztere halte Männerkleider angelegt auf dem Zuge nach Peterhof, war unzertrennlich von ihr, wachte über sie. Durch ihre Geistesgegenwart wusste sie Ausschreitungen der Soldaten zu verhindern, Hier in Peterhof bemerkte sie zuerst, was Gregor sie war überall. Orlow sich erlaubte, welche Stellung er einnehme und einnehmen ist

nicht die

!





werde, sowie dass diese Beziehungen nicht geheim bleiben würden.

Ueber

Repscha

Katastrophe von

die

schreibt

«Die Nachricht vom Tode Peters

Folgendes:

die

Fürstin

III. erschütterte

und

Obwol überzeugt, dass die Kaiserin keinen Theil am Tode, konnte man mich doch erst am anderen Tage

empörte mich. hatte

überreden,

zur

Kaiserin

«Ich

fassungslos.

zu

und

den

meinen,»

war

der Kaiserin

gehen.

erschüttert

bin

diesen Tod,» sagte sie mir.



erwiderte

ich so

Ich

und

fand

ich.

Am

Abend

unklug zu sagen, ich

werde begreifen, dass wir keine Gemeinschaft könnten,

wagen,

dass

mich

ich

so

stolz

jemals

grossen Dreistigkeit

wagt mich haben

mehr

kann

es nicht

wurden dadurch hat trotz

20 (40) Jahre hindurch

als

ich den

Alexei Orlow

werde

er

Brüder

Alle

Zimmern

den

in

durch

Ruhm

mit einander haben

Alexei übrigens

Wenn jemand

anzureden.

sollte, so

anzunehmen,

sei

anzureden.

meine unversöhnlichen Feinde.

für Ihren

hoffte,

und

trübe

sie

niedergeschmettert

«Er kam zu früh

die Kaiserin

Diesen

Gegenbeweis fuhren.

seiner

nicht

ge-

im Verdacht liefert

er, benommen von Wein dem Tode Peters der Kaiserin

der eigenhändige Brief Alexei Orlows, den

und Entsetzen, schrieb.

Die

unmittelbar Kaiserin

Als Kaiser Paul

in

nach

bewahrte

den

Brief

lesen lassen, bekreuzte er sich mit den

der

geringe Verdacht, den

seitigt.»

Er

befahl

Rostopczin zu zeigen.

in

ihrer

Gegenwart der Kaiserin und

vom Reichskanzler Grafen Besborodko den

Worten:

hegte, ist

ich

Schatulle.

Frl.

Nelidow

hatte

Brief sich

«Gott

durch diesen

sei

vor-

Dank,

Brief be-

den Brief den Grossfürsten und dem Grafen

Der Brief

Bauliche Unnalsichrifl, Band XXXV. H«ft

1.

lautet: 4

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Die Fürstin Daschkow.

50

«Mütterchen, barmherzige Herrin

was geschehen

beschreiben,

kaum

glauben, aber

wie

ist:

Du

Mütterchen, ich bin bereit zu sterben;

Wir

das Unheil geschah.



Mütterchen,

gnadigst.

Wie

I

wirst

vor Gott will

soll ich es erklären,

Deinem treuen Knecht die Wahrheit reden.

ich

ist

nicht

wie

ich weiss selbst nicht,

Du

wenn mehr in

sind verloren, er

uns

nicht

be-

Aber

dieser Welt.

niemand hat das beabsichtigt, wie sollten wir absichtlich die Hand gegen den Herrscher erheben. Aber, Herrin, das Unheil ist geschehen. Er fing bei Tische Streit an mit Fürst Fedor (Barätinski)': ehe wir sie trennen konnten, war er nicht mehr.

Wir wissen

nicht,

was wir thaten; aber alle sind wir schuld und haben Strafe verErbarme Dich meiner, wenn auch nur um meines Bruders

dient.

willen.

Ich habe das Geständnis abgelegt, zu untersuchen

nichts.

Ich habe mein schuldiges (Haupt) gebracht.

oder befiehl sofort ein Ende zu machen.

erzürnt und unsere Seelen

wir haben Dich

hasst:

ist

Verzeihe

Die Welt

ist

für

mir

immer

da



ver-

ver-

derbt’.»

Das selbstbewusste, offene Auftreten und jene Aeusserung der Fürstin waren Grund genug, dass Gregor ürlow, besonders aber dessen Anhänger und Schranzen, alles daran setzten, die Fürstin bei der Kaiserin zu verleumden: ihre Offenheit wurde als Auflehnung und Nichtachtung, die Aeusserung ihres Rechtsgefühls als Untergrabung der Autorität dargestellt. Da die Fürstin für ihre Familie, welche dem Kaiser bis zuletzt die Treue bewahrt hatte und sich durchaus würdig benahm, eintrat, gelang es ihrem Gegner schon

am Tage nach dem hervorzurufeu.

noch

ein

Staatsstreich in der Kaiserin eine Misstimmung Durch den klaren Blick der Kaiserin wurde jetzt verhindert. Die Fürstin bewies auch hier ihre Selbstbewusstsein und ihr warmes Herz.

Bruch

Offenheit, ihr

«Als

die Kaiserin

die

lebhafte Auseinandersetzung mit den

Worten schloss: ««Diese Bemerkung Die Bewachung Peter«

für

ihre Lebhaftigkeit und

Ropscha hatten: Alexei Orlow, Capitun Passck, Purst F. Barätinski, Lieutenant Baskakow. ’ Die Copie dieses Briefes stammt vom Grafen Rostopczin, der den Brief seihst gelesen und die ihm wohlbekannten Schriftzüge des Grafen Alexei Orlow 1

erkannt hat.

III. in

Rostopczin berichtet

über die Vorlesung des Briefes

Paul ähnlich, nur in Details abweichend, und fugt hinzu

:

von Kaiser

Besborodko habe ihm

mitgetheilt, Kaiser Paul habe sich den Brief noch einmal geben lassen,

nochmaligem Dnrchlesen

ihm selbst sehr 430 -432.)

später S.

in

Besborodkos Gegenwart

leid

getlmn habe.

(Vgl.

in

den

ApxBsi

nnd nach

Kamin geworfen, was Kn. Boponuoua XXI.

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Die Fürstin Daschkow.

und

eine

Katharinen-Orden

mir

anzulegen

eigenen

51

Bewegung machte, um

dies für ihre Verdienste,»»

dem Augenblicke

befinden sich jetzt in

ich

zurück

und

sagen

werde.

Sie

trat

,

«Verzeihen Majestät mir das, was ich

sagte:

ihren

ihres Lebens, von

dem

an,

auch gegen ihren Willen, die Wahrheit vou ihren Ohren verbannt Ich bitte Sie, mich nicht mit diesem Orden zu schmücken

sein wird.



wenn es ein Schmuck sein soll, Werth auf solchen lege; soll es

so wissen Sie, dass

ich keinen

meine Dienste sein

für



so

mittelmässig dieselben auch einigen Personen erscheinen mögen, in

meinen Augen können

sie nicht bezahlt

werden, weil

ich

nie

für

irgend einen Preis käuflich weder gewesen bin, noch sein werde.»

Die Kaiserin, die sich

und erwiderte:

stets zu finden

«Gestatten Sie

Freude zu machen.»

wusste, umarmte mich

der Freundschaft

Ich küsste ihr die

selbst eine

sich

Hand und

stand nun da in

dem Grosscordon und dem Stern des und sah aus wie ein Knabe von 14 Jahren.»

der Kleidung eines Offiziers mit

Ordens

in

Als

Brillanten

die Kaiserin

sie

verliess,

theilte

die Fürstin

ihre Be-

Gregor Orlows den Grafen Panin das seien Graf Panin lachte sie aus Hallucinationen einer 19jährigen, welche 24 Stunden nicht geschlafen habe! «Lacht nur,» erwiderte sie, «wenn ich Recht habe, verlange ich das Recht, euch kluge Herren Narren zu heissen.» Am anderen Tage erschien Gregor Orlow bei der Messe mit dem Grosscordon des Alexander Newski. Die Fürstin hatte Recht. Doch verstand sie sich so zu benehmen, dass sie die Genugthuung hatte, in ihrer Gegenwart die Kaiserin den Fürsten Gregor Orlow wie jeden fürchtungen

über

Rasumowski

und

die Stellung

mit.

:

anderen General behandeln zu sehen. «

nach bat

Es

fehlte

eine Audienz.

empfing.

Er

sie wisse,

von

Am

auch nicht an heiteren Episoden.

der Thronbesteigung

um

Ich

erschien

Tage

vierten

der Geheimrath Betzki

war zugegen,

als

die Kaiserin

und ihn

kniete nieder und bat die Kaiserin ihm zu sagen, ob

wem

sie

auf den Thron erhoben

sei ?

Ich verdanke

«Dann

meine Erhebung Gott und meinen guten Untertlianen. diene ich diesen Orden nicht!»

Was

Unglücklichste der Menschen,» rief er dass Sie es mir verdanken.»

haben

Sie?

aus,

«da Sie

«Ich

bin

ver-

der

nicht wissen,

Ich wollte ihm ins Gesicht ausplatzen.

Die Kaiserin jedoch, ohne eine Miene zu verziehen und ohne auch

Moment zu zögern, sagte mit Hoheit: «Ich weiss vollw a s ich ihnen verdanke, und darum übertrage ich ihnen Fürsorge für die Anfertigung meiner Krone.»

nur einen

kommen, die

i‘

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52

Die Fürstin Daschkow.

Er

gerieth ia Entzücken und stürzte fort, diese grosse Neuig-

Freunden mitzutheilen

keit seinen

Wir haben war

ich

voller

!

nicht oft so herzlich gelacht wie dieses Mal, und

Bewunderung

die Findigkeit der Kaiserin,

für

den

langweiligen Narren zu befriedigen und sich seiner zu entledigen.»

in

Der Fürstin und ihrem Manne wurde eine Wohnung im Palais der Nähe der Zimmer der Kaiserin angewiesen. • Der Petersburger Hof bot damals ein interessantes Schauspiel

Die neuen Personen, welche die Umgebung der Kaiserin bildeten nnd die Hofleute aus der Zeit Elisabeths trafen hier zusammen mit

dar.

den Verbannten aus der Zeit der Kaiserin Anna, der Regentschaft Birons, der Regentin

Personen,

von

der Kaiserin Elisabeth.

Es verging kaum

bedeutende

risch

Anna und

Peter III. zurückgerufen,

der anderen ein.

Persönlichkeit,

ein

ein

trafen

Alle diese

lebendes

vergangener

Bild

Zeiten, interessant durch ihr Unglück und die Kenntnis

Geheimnisse, bei Hofe auftraten.

Sehr

nach

eine

jetzt

Tag, wo nicht eine histoso

vieler

habe ich mich

befreundet

Da war

damals mit dem Feldmarschall Grafen Münnich.

noch Graf

Da war der Graf Bestushew, eiust Grosskauzler, mit seiuen Zügen und seinem fälschen Blick. Ihm sagte die Kaiserin, uns bekannt machte: «Das ist die Fürstin Daschkow Hätten Sie es wol jemals geglaubt, dass ich der jungen Tochter Roman Woronzows meine Krone verdanken würde ?» Die Orlow hätten diese Worte erstickt, wenn sie im Stande gewesen wären, Lestocq. feinen

als

sie

1

es zu thun.»

Zur Krönung reiste die Fürstin im Wagen der Kaiserin. Krönung wurde sie durch die Orlows aus Gründen der

Bei der

Etiquette von der Kaiserin entfernt und

erhielt

Stellen hoch oben auf den Estraden der Kirche.

bestem

Humor

Kathedrale

und

auf,

ging

begab

dicht

sich

merkung, je höher derselbe Ceremonie übersehen.

dann

sei,

um

eine

auf

der

letzten

nahm das mit

Sie

der Kaiserin

hinter

bis

mit

ihren Platz

in

die

der Be-

so besser werde sie die ganze

Um dergleichen zu begegnen, ernannte die Kaiserin sie zur Staatsdame und ihren Mann, der schon Commandeur der Kürassiere der Kaiserin geworden war,

zum Kannnerherrn.

gestorben war nnd ihr Gesundheitszustand

nnd Lustbarkeiten Gegner gewonnenes Spiel, denn

den

Festen

keinen

litt,

Theil.

sie hatten

Da nahm

ihr erster

Sohn

die Fürstin an

Nun

hatten

ihre

ununterbrochen das Ohr

der Monarchin. In allen Tonarten ging es über die Fürstin her.

Ihr

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Die Fürstin Dasebkow.

53

Haus war voll von Besuchern und sie äusserte sich sehr frei über manches, was bei Hofe vorging. Ihre Aeusserungen wurden entstellt

der Kaiserin hinterbracht.

Bald nach ihrer Niederkunft

Mann

erhielt

ihr

gleichfalls

kranker

eine Botschaft durch den Geheimsecretär der Kaiserin

wünsche

nicht

vergessen,

Kummer.

aber Ihr

sie sich eine

welche

die Dienste,

deren

freie

sie

ihr

Verhalten

unvorsichtiges

Mann möge

zu

die Fürstin

verursache

darauf aufmerksam

Sprache erlaube und sich

sie

:

geleistet,

zu ihr

machen, dass zu Drohungen

bis

vers teige.

Die Fürstin hörte

am Abend im Nebenzimmer

und

flüstern

glaubte die Stimmen der Grafen Panin zu erkennen. Ihre Schwägerin, die sie befragte,

unruhig;

sie

wer da

sei,

erwiderte

verlangte

zu wissen, was

war eine furchtbare Aufregung.

Statt

durch den Grafen Panin die Kaiserin

Abend

trat eine starke

sie

Die Folge Antwort liess sie wann Ihre Majestät

vorgehe.

aller

fragen,

Taufe ihres Sohnes ansetze, den aus noch vor der Geburt versprochen habe.

die

Am

Das machte

Niemand.

:

der Taufe

Verschlimmerung

zu heben

ein

sie

— ihr Leben

war längere Zeit in grosser Gefahr. Die Kaiserin erfüllte ihr Versprechen und war mit dem Grossfürsten Paul Taufpalhe ihres Sohnes.

Die Fürstin erholte

sich

nur langsam uud kehrte

nach dem Hofe nach Petersburg zurück.

mehr im Ihr

Palais, sie

Mauu

war

erhielt

kränkelte beständig.

in

Sie hatte

erst lange

kein Quartier

Ungnade.

eine

Sendung nach Polen.

Die Briefe ihres Mannes waren

Die Fürstin ihr einziger

Hause mit ihrem Oheim, dem Grafen Panin. Das benutzten die Anhänger der Orlows, sie auf das empörendste zu verleumden. Der bekannte Verschwörer Mirowitsch war unter den Bittstellern bei Panin gesehen worden, es wurde ausgesprengt, er sei im Hause der Fürstin Dasebkow gewesen. Die Verleumdung wurde durch Panin widerlegt, aber diese ThatDazu traf sie der härteste sache wirkte furchtbar auf die Fürstin. Ihr Mann starb in Schlag, der ein liebendes Weib treffen kann. Folge der Anstrengungen als Commandeur der Truppen in Polen. Er hinterliess ein zerrüttetes Vermögen, er hatte einen grossen Theil seiner Einnahmen seiner Mutter überlassen, er hatte, um Bedrückungen der Einwohner zu verhüten, seine Offiziere aus seinem Vermögen unterstützt. Ein weiterer Schlag war der Tod Trost.

Sie wohnte in einem

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:

!

Die Fürstin Daschkow.

54 ihrer

Tante

,

der

Gräfin

Panin

mit

,

der

innig

sich

sie

be-

freundet hatte. Sie die

war einsam und

allein trotz ihrer grossen

Verwandtschaft:

Einen hatten für sich selbst zu sorgen, die Anderen, die Ver-

wandten ihres Mannes, Lage,

um

sie

selbst ihre Schwiegermutter, benutzten ihre

Ihr Charakter

zu beeinträchtigen und zu verkürzen.

nahm au Ruhe und

Entschlossenheit, aber auch an Herbigkeit zu.

Mit der ihr eigeuen Energie ging sie daran, durch sorgfältige Verwaltung die Güter ihres Mannes ihrem Sohne zu erhalten schuldenfrei hat sie dieselben ihm später übergeben.

grösster Sparsamkeit,

Reise

durch Russland,

stets begleitet

bereiste die

Güter und machte

Sie lebte mit eine längere

um Land und Leute kennen zu

lernen,

von ihren Kindern.

Sie ging daran, ihrem

Hause

eine neue Stellung

zu schaffen

und ihre Kinder für dieselbe zu erziehen. Ihr stand eine neue Laufbahn, ihr standen

neue Schicksals-

schläge bevor J.

*.

J|

E ge m 11

1

a n

n.

IAJ

*1V*

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Georg Brandes Ober den russischen Roman. Turgenjew

— Dostojewski — Leo

S

n den

ersten

Tolstoi,

Johannes Eckardt.

übersetzt von

Monaten des Jahres 1887 hatte der

dänische Kritiker Georg Brandes

eine

Reise

Residenzen des russischen Reichs unternommen, trägen

das russische Publicum mit

neueren

französischen

und

seineu

russischen

um

in

geistvolle

beiden

die

in einigen Vor-

Anschauungen über

die

bekannt

zu

Schriftsteller

machen.

Der «Europäische Bote» (Westnik Jewropy) hat

Vot träge

iu

seinen letzten October- und Novemberhefteu

scher llebersetzuug

wünscht

sein,

in

Es

dürfte

Zeilen

die

veröffentlicht.

nachfolgenden

Kritikers

wie Georg Brandes

nehmen.

Wir

legen unserer Reproduction

so

in russi-

unseren Lesern

er-

Anschauungen eines

über den russischen

Roman

zu ver-

deu erwähnten Artikel

der russischen Monatsschrift zu Grunde, indem die wichtigsten

diese

wir uns dabei auf

Gruudzüge des Braudesschen Vortrages beschränken.

Ich beabsichtige hier einen Gegenstand zu begann der berühmte Kritiker seinen Vortrag

behandeln





der meinen Gegenstand ist der russische Roman. Vielleicht ist es dennoch nicht ganz ohne Interesse, den Eindruck kennen zu lernen, welchen die Lectüre der bedeutend-

Zuhörern besser bekannt

ist

als

mir;

dieser

sten russischen literarischen Erzeugnisse auf einen Ausländer machte,

der

hierbei

nur auf Uebersetzung

angewiesen

blieb



ich

bitte

daher das von mir hier Gesagte nicht als einen kritischen Vortrag, sondern als eine literarische Plauderei anzusehen.

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-d

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56

Georg Brandes über den russischen Roman. In

dem

die Erzeugnisse

frischt

;

gegenwärtig

Europa den

wurde

letzten Jahrzehnt

durch

gewähltesten

die europäische Belletristik

russischen Literatur

der

wenngleich

,

sozusagen aufge-

die russischen Romanschriftsteller in

finden

den

nicht

zahlreichsten

Leserkreis.

Zu Anfang

unseres Jahrhunderts

war

auch Die und Grossartigkeit seiner Ausdrucksweise erregten eben so grosses Aufsehen, wie seine ganz europäische Denkart. Selbstverständlich konnteu die deutschen und französischen Prosaübersetzungen es Puschkin, der

ausserhalb Russlands einen bedeutenden Eindruck hervorrief.

Kraft

nur

sehr schwachem Masse

in

tiefe Originalität des

die

Dichters

und die prachtvolle Schönheit seiner Verse wiedergeben. Lermontows Roman: «Der Held unserer Zeit« wurde durch die Uebersetzung

weniger

entstellt,

und

seine Prosa

verlor nicht so sehr

durch die Uebertragung wie z B. die Verse im «Eugen Onjegin»,

und ich erinnere mich sehr wohl des

unauslöschlichen Eindrucks,

Roman auf mich machte, als ich im Alter von siebdas Buch in die Hand bekam. Petschorin, dieser Typus des Byronismus ausserhalb Englands, ist ganz

welchen dieser zehn Jahren vollendete

dazu

dem

geeignet,

Ideale

eines Jünglings

zu entsprechen

:

der

Muth, die Einfachheit, die Kälte und der Skepticismus des Helden Hessen ihn wenigstens in meinen Augen damals als den vollendetsten, melancholischsten

Helden unserer Zeit erscheinen.

Etwas später wurden

wir Ausländer,

hauptsächlich

durch



er war es, der uns zuerst Merimöe, mit Gogol bekannt gemacht einen Begriff von der mächtigen Originalität der russischen Schrift-

Erzählungen Gogols, in Hoffmann zum Vorbilde geTaras Bulba» überzeugten uns davon, eine wie hohe Bedeutung Gogol als moderner Erst die bittere Satire und die grobe, Dichter beanspruchen kann. Nicht die

gab.

steller

welchen

er

nommen

hatte,

aber

sich

phantastischen

Theodor Amadeus

auch nicht sein berühmter Roman:

grossartige

«Revisor» Hessen

Naturtreue uns

in

den

erkennen, dass

Begriff stand, einen ganz neuen

Weg

«Todteu die

Seelen»

uud

russische Literatur

einzuschlagen

— es

dem im

bedurfte

Muthes und einer grossen Originalität, um diesen Weg zu Unbewusst wies sie andeien Völkern, welche sich auf wandeln. den Irrwegen der Romantik verirrt hatten, die einzige Bahn, die Welt der Träumereien zu verlassen. Die Grossartigkeit und Tiefe der russischen Originalität wurde Europa neuerdings durch die drei bedeutendsten Romauvielen

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Georg Brandes über den russischen Roman.

Tolstoi;

Gontscharow,

kommt, kann ster

der

ihnen

vielen

in



ist.

der zuerst die weite russische Ebene

Obgleich

verlassen hatte,

nm

sich

nie

Turgenjew

mit

im Alter von

er

Beziehungen

gleich

da mir nur sein bedeutend-

ich hier nicht erwähnen,

Roman «Oblomow» bekannt

völkerte.

57

kund gethan, durch Turgenjew, Dostojewski und Leo

Schriftsteller

war

es,

modernen Menschen

be-

35 Jahren

sein Vaterland

wieder dauernd in demselben aufzu-

halten, schildert er dennoch stets nur seine Landsleute

;

Deutsche

und Franzosen sind zur Hälfte russificirt und erscheinen in seinen Romanen nur in ihren Beziehungen zu Russen. Er wollte nur solche

Menschen

schildern, deren Eigenartigkeit er von Kindheit an kannte.

Als Ausländer kann ich nicht beurtheilen, ob sein langer Aufenthalt in der Fremde seine Erinnerung an das Vaterland abdarüber mögen seine Landsleute entscheiden. Fremder wage ich zu behaupten, dass Turgenjew die ganze civilisirte Welt eingedrungen wäre, wenn er um ein Jota weniger Westeuropäer gewesen wäre. Er entrollte vor unseren Augen ein Gemälde von Wäldern und Steppen, Frühling und Herbst, von allen Ständen der Gesellschaft und allen Er gab uns eine Stufen der geistigen Entwickelung in Russland.

geschwächt

hätte:

Aber gerade

als

niemals so tief in

reiche Psychologie einer ganzen Menschenrace und

tiefem Gefühl, welches

dennoch

Wie

objectiv

zählung hemmte.

sein mochte, niemals

mit

that dies

die Deutlichkeit der Er-

niemals

auch

die Schilderung

Turgenjews

wurden seine Erzählungen und Romane zu GeFärbung tragen.

dichten, obgleich alle seine Schöpfungen eine lyrische

Das Gefühl

stiller

Trauer, eines

eigenthümlichen

Kummers

liegt

ihnen zu Grunde, und dennoch bleiben sie aller Sentimentalität fern.

Die grossen Melancholiker der lateinischen Race, wie Leopardi und Flaubert, überraschen durch die bestimmten scharfen Züge ihrer Charakteristik und ihres Styls die d e u t s c h e Trauer ;

ist

entweder rein humoristisch oder rein sentimental. Die Melancholie dieser breite, tiefe Strom edlen Kummers, welcher



Turgenjews

durch seine Schöpfungen strömt

Product traurigen

der

slavischen

slavischen



ist

Race

Volksliedern

;

seinem Inhalt nach ein echtes sie

geht direct aus den

hervor.

Die

tief-

bedeutendsten

modernen russischen Schriftsteller sind Melancholiker. Aber die Melancholie Turgenjews ist die eines Denkers, der eingesehen hat, dass die Ideale der Humanität, der Gerechtigkeit, der Vernunft, der Güte und des Allgemeinwohls für die Natur gleichgiltig sind und nicht in ihrer göttlichen Kraft zum Ausdruck gelangen.

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;

Georg Brandes über den russischen Roman

5b

In seinen «Seuilia» entwirft Turgenjew eine Schilderung der

Natur, welche

darauf bedacht

Auf

verstärken.

ist,

ich

sorge

für

Muskelkraft der Flühe zu

die

Menschen ihre Lieblingsmeine Kinder

die Frage, ob nicht die

kinder sind, antwortet die Natur alle

alle Thiere sind

:

gleicher Weise,

in

ich vernichte

alle

sie

in

gleicher Weise. Hier offenbart sich der wahre Charakter von Turgenjews Melancholie. Ist Gogol traurig, so kommt das daher,

dass er unzufrieden

Leiden

fieirte

ist

Melancholie



;

Melancholie

Turgenjew

erfasst

Bedeutung

,

Moment, wo

aber

von

sie

gleichzeitig

veranlasst,

sie

tritt diese

religiösen

seiner

in

der religiösen Be-

neues Licht und neue Productionsfühigkeit

ihre

der Poesie untreu

Krisis zu einer Zeit ein,

Stimmung hingeben, bisweilen

wo

iu

Slaven gemein haben.

unserem Jahrhundert

Im

J.

werden.

zu sie

wo

sie

Die Hinneigung ist

wurde auch

1840

Bis-

einer rein

sich

einer Epoche,

in

von dem nationalen Mysticismus ergriffen werden. zu diesem Mysticismus alle

seinem

in

auch

bleibt

werden, die ihrer Existenz

verleiht

mindert und

wurzelt

Tolstois

allein

der anderen eben genannten grossen Dichter giebt

einen kritischen

es stets

weilen

Dostojewski trauert, weil er das personi-

;

die

ein Philosoph.

Im Leben wegung

ist

;

Fatalismus

religiösen

ein

Zug, den

die polnische

Literatur iu Mizkewicz, Slowacki, Krassinski und anderen Schriftstellern

von dieser Hinneigung zum Mysticismus

russischen Literatur beherrschte dieselbe

in

ergriffen.

In der

verschiedenen

Formen

Naturen wie Gogol (1846), Dostojewski (zu Ende der 00er Jahre) und endlich neuerdings Tolstoi.

selbst so geniale

Turgenjew

ist

ruhigen beobachtenden Natur der

mit seiner

einzige unter ihnen, für welchen das religiöse Entzücken ein Stoff für die Schilderung ist wie jeder andere. sein Gleichgewicht

zu verlieren

:

wir

Heldin der «Sonderbaren Geschichte».

Daher

ist

Er

analysirt ihn, ohne

erinnern

hier

nur an die

,

seine Melancholie weniger religiösen als philosophi-

schen Charakters,

zugleich

aber

die

eines

zum Pessimisten

ge-

wordenen Patrioten; denn trotz seines scheinbaren Kosmopolitismus Turgenjew ein Patriot, der an seinem Vaterlande zweifelt. ist Dieser letztere Umstand

setzte ihn manchen Angriffen aus, wie B. Dostojewski ihn in der Gestalt Karmasinows lächerlich zu machen versuchte. Turgenjew verlor übrigens nicht den Glauben an eine grosse Zukunft seines Vaterlandes, ihn entzückte die Sprache und die z.

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Georg Brandes über den russischen Roman.

59

Literatur desselben so sehr, dass er grosse Dinge von

dem Volke

Die vielen mis-

erwartete, welches dieselbe hervorgebraclit hatte.

lungenen Anläufe, deren Zeitgenosse er gewesen war, erklären

es,

wenn er seinen Erzählungen einen traurigen Ausgang zu geben pflegte. Eine Liebesgeschichte konnte in seinen Angen nicht den Charakter des Russischen tragen, wenn sie nicht mit einer Trennung endete, die durch die Kälte der Frau oder durch die Unbeständigkeit des Mannes hervorgerufen worden. Keine Anstrengung erschien ihm russisch, wenn sie nicht die Kräfte desjenigen überstieg, machte, und nicht an der Gleichgiltigkeit derjenigen zu Grunde ging, zu deren Gunsten sie unternommen wurde. Turgeujew

der sie

konnte nicht umhin, die unbeständige Liebe und

Anstrengungen in Russland zu schildern. Die Grundstimmung Turgenjews ist

Erregung, das Mitgefühl eines Zuschauers der den Untergehenden selbst



messen muss

Ausdrucksweise stets gemässigt

Es weht

ein

vergeblichen

bei

einem Scbiffbrueb,

an ihrem Unglück beiStimmung, welche in ihrer

die Schuld

eine ruhige, besonnene

fruchtbarer Schriftsteller

die

die einer melancholischen

Noch

bleibt.

nie

ist

ein grosser,

so wenig geräuschvoll gewesen

aristokratischer Geist

in

wie

er.

einfachen, edlen Be-

den

ziehungen, welche er schildert; ein geistiger Anstand war ihm an-

Das

geboren.

ist ein

jenen Typus des fehlte.

wahrhafter Weltmann, und

frischen Menschen, der

Aber das machte

ihn

den

weder herzlos,

in

ihm finden wir

deutschen Dichtern

noch cynisch, wie

nicht zum Moralisten, wie den guten Tou in seinen Ton dennoch kein Weltton, seine herzlose sein Ton ist immer ein

einige französische Schriftsteller, auch viele

Engländer.

Obgleich er niemals

Schilderungen verletzt,

Verachtung

ist

ist

dieser

keine kalte,



gemüthvoller, seelischer.

Die Ursachen anzugeben, aus welchen Turgenjew zu einem Künstler ersten Ranges wurde, ist, besonders in wenig Worten, schwierig.

Vielleicht

haftigkeit seiner liche,

ist

die

Gemälde und

wesentlichste die

derselben

die

Wahr-

schöpferische Fähigkeit, wirk-

lebendige Menschen darzustellen.

Sein grösster künstlerischer

Vorzug besteht in der Harmonie zwischen der Darstellung der von ihm geschilderten Person und dem Eindruck, den sie beim Leser hervorbringt.

Nie begegnen wir bei Turgenjew verfehlten Effecten. Unbeschwache, unbeständige, unnütze und vernachlässigte Menschen sind es, welche die Sphäre der Beobachtungen unseres

deutende,

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Georg Brandes über den russischen Roman.

60

Er

Autors bilden.

schildert nicht, gleich Dostojewski, das äussere,

sichtbare Elend: Armuth, Rohheit, Unsittlichkeit oder Verbrechen,

Nein, Turgenjew

mit einem Wort, das weithin sichtbare Unglück. entrollt

vor

verbirgt



Augen Schilderungen

unseren

er ist ein Sänger

dem Geschick

unterwerfen;

geduldig

eines Elends, das sich

leidenden Menschen, die sich

jener

er

beschreibt

Leiden des versteckten Jammers, der schweigsamen stenzen:

die

inneren

bitteren Exi-

wir erinnern nur an «Ein Briefwechsel», an das «Tage-

buch eines Ueberflüssigen» oder an die «lebendiger Gebeine».

Als Schriftsteller zeichnet er sich mehr durch Eleganz als in den Typen Rudins und Basarows hat er sich

durch Kraft aus,

jedoch bis zum Grandiosen erhoben.

Rudin

Mangel jeder Widerstandsfähigkeit,

in rein

menschlichen

sten

Schwierigkeiten

Charaktere

kämpfen:

zu

stehen aus Widersprüchen

der personificirte

ist

russischer Gestalt, in

Bei der Zeichnung der verschieden-

mächtiger Sprache geschildert.

hatte die

Turgenjew

mit

besonderen

seiner Charaktere

meisten

be-

er hat es verstanden, die Inconsequenz

;

Grundzug derselben darzustellen, ohne die Einheitlichkeit zu vernichten. Iu Rudin ist die Schilderung seiner Schwäche so tief,

als

so

vollständig, dass

durch

uns

in ihrer specifisch russischen

Männer von fehlen in den

denselben

Form

Charakterschwäche

die

verdeutlicht wird.

von Willenskraft

unerschütterlicher Festigkeit,

ersten Schöpfungen Turgenjews

gänzlich.

Schildert

Mann, so wählt er dazu einen Ausländer, einen Bulgaren. Gestalten, an denen der Dichter selbst Freude hat, sind nur leichthin skizzirt uud dienen nur als Gegensatz oder er dennoch einen echten

als

Nebenpersonen, wie In

vor

z.

B. Pokorski im «Rudin».

seinem Basarow («Väter

allem

und Söhne») wollte Turgenjew

den Götzendienst des Utilitarismus zeichnen;

zugleich

verstand er es aber auch, ihn als einen Menschen zu schildern, der

durch

seine

Festigkeit,

durch seinen Mutli und

Standpunktes

schliesslichkeit seines

über die

durch

die

Aus-

moderne europäische

Literatur weit hinausreicht, die an wahrhaft mannhaften Gestalten

ohnehin nicht reich

ist.

Alle unsere Romanhelden sind unbedeutend





zu unbedeutend, meiner Meinung nach und schwächlich, sie sind zu wenig mannhaft: selbst die Vorstellung wahrhafter Mannhaftigseine

Zwecke zu verwirk-

versteht, seine Absichten

auszuführen, seiner

keit ist verschwunden! lichen weiss, der es

Einem Mann, der

Idee und seiner Liebe treu zu bleiben, seine Feinde

zu

bestrafen

und zu vertilgen, einem Mann, der zornig werden kann und dann die

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Georg Brandes über den russischen Roman.

Gl



Waffen seines Zornes zu schleudern versteht einem solchen Mann begegnen wir jetzt nur noch in Gestalt einer Caricatur in naiven Romanen, welche von Damen geschrieben sind. Mit unbeschreiblicher Feinheit hat Turgenjew junge Mädchen wie Helene und Dschemma gezeichnet, die seiner vollen Sympathie Jedes über dieselben

geniessen.

scharf charakterisirend.

ihrem

Lachen,

Helene prägt demselben

sich

Wort

gesagte

Dschemma

eine

ist

Bewegungen,

ihren

ihrer

dem Gedächtnis des Lesers

leben als wunderbare Darstellung einer

Der Cultus der Schönheit, welcher

druck

schädigt

durchaus

nicht

und

ein

in

Denkart;

ihrer

Frauengestalt gelangt,

bestimmt und

ist

echte Italienerin

Liebe,

bleibt

in

russischen zum Aus-

hier

die Naturtreue;

es sind

keine idealen Gestalten, sondern Studien, die mit feiuem Verständ-

Wahrheit ausgeführt wurden.

nisse der

Sie wirken

auf den nichtrussischen Leser, als sie nicht



sten Frauengestalten Tolstois

sondern

nur

in

Turgenjewschen

in

allen

Charaktere

sind

leichter

so stärker

— gleich den bedeutendmöglichen Lebenslagen,

Momenten

wichtigen

einigen

um

erscheinen.

als

die

Die

übrigen

aller

russischen modernen Schriftsteller mit einem mal zu fassen.

Der

Dostojewskis

nationale Optimismus

steht in grell-

stem Gegensatz zu dem nationalen Pessimismus Turgenjews; dieser grosse Skeptiker, welcher überhaupt nur an wenig Dinge glaubte,

war gutmüthig und dogmatisch genug, an die Cultur des westlichen Europa zu glauben. Dostojewski verachtete den Westen und glaubte an Russland, verachtete die Wissenschaft und glaubte an die Religion.

Wenn

die Schöpfungen Turgenjews gewissermassen als Producte einer

Emigrantenliteratur angesehen werden können, so steht Dostojewski auf reinrussischem Boden

Von

;

er

ist

durch und durch ein nationaler Dichter.

allen fremden Schriftstellern ist der einzige, an

den er



Dickens. Sein fanatischer Glaube schwachem Masse erinnert an die Macht und Zukunft des russischen Volkes, seine Liebe für das einfache Volk sicherten ihm eine grosse Popularität sogar bei

in

denen, welche nicht ganz sein grosses poetisches Talent anerkannten.

Er

ist

der Philanthrop unter den Dichtern Russlands, der Sänger

Kein russischer Romanschriftsteller

der Mühseligen und Beladenen. hat,

wie

er,

das

geistige,

wie

Vaterlandes kennen gelernt. er dieses Proletariat Idealist, dass er findet,

den

welche sehr

nicht

das

Er

göttlichen

ungebildete Proletariat

liebt so sehr

idealisirt

;

ist

Funken auch

seines

die Wahrheit, dass

aber

dennoch in

so

sehr

den Menschen

tief gefallen sind.

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: ;

Georg Brandes über den russischen Roman.

62

Er

Er

im höchsten Masse Dichter, weit weniger aber Künstler.

ist

liess seine

Schöpfungen so drucken, wie er

sie

geschrieben hatte,

veränderte sie nie, ja verbesserte sie nicht einmal. bestrebt, durch

Auslassungen und Verkürzungen

reichbaren Grad von Vollendung zu erreichen.

Er war

nicht

den höchsten

er-

Ungeachtet seines

poetischen Talents schrieb er wie ein gewöhnlicher Publicist, daher

Sein wesentlichster Vor-

sind auch seine Schriften sehr wortreich.

zug besteht in einer gewissen psychologischen Hellseherei, deren Kraft und Bedeutung dort ganz besonders sichtbar ist, wo der Gesundheitsgrad der Seele an das Gebiet des Wahnsinns grenzt. Für den Zustand der menschlichen Seele hat er den scharfen Blick des Psychiaters; aber ihm widerfuhr das, was bisweilen bei Irrenärzten vorzukommen pflegt: die Gewohnheit, beständig seelische Anomalien vor Augen zu haben, lässt sie schliesslich überall Anomalien wittern und erschüttert allmählich das Gleichgewicht ihres eigenen VerDostojewski beschäftigt sich mit Vorliebe mit jener Grenz-

standes. linie,

welche das logische Denken von der Ueberreiztheit, das Ver-

brechen von dem gesetzlich Erlaubten trennt.

Von

dieser schmalen

und vergisst niemals, aufmerksam zu machen, welche in Wirklichkeit das Gesunde vom Kranken, das Gute vom Bösen trennt. Mit ungewöhnlicher Virtuosität schildert er jene seelische Betäubung, welche die Menschen veranlasst, sich in den

Linie aus blickt er nach beiden Seiten hin seinen Leser

auf die Enge

dieser Liuie

Abgrund des Verbrechens oder der Selbstopferung zu

stürzen

niemand kennt besser als er die Anziehungskraft dieses Abgrundes. In Dostojewskis Schöpfungen finden wir Spuren seines krankhaften Zustandes, seiner Hatlucinationen und seiner epileptischen Natur.

Aber diese hochgespannte Nervosität ist zugleich seine Stärke. Als Kenner des Seelenlebens ist er ein echter Patholog. Daher Werke: « Verbrechen und Strafe» (in der

sind seine bedeutendsten

Uebersetzung

deutschen

innerungen

aus

«Raskolnikow»

dem todten Hause»

brechern gewidmet.

und

die

Schilderung

von

betitelt)

der

«ErVer-

In «Verbrechen und Strafe» liegt ein typisches

Beispiel für die Vollendung

seiner

psychologischen Analyse

hier schildert er das Verbrechen in allen

vor

Phasen seiner Entwicke-

lung, beginnt mit dem Keim des ersten Gedankens und endigt mit dem Augenblick, wo es zur That wird.

in

Die wichtigste Aufgabe des Autors und seiner Helden besteht das menschliche Leben einen

der Beantwortung der Frage, ob

absoluten

Werth

repräsentirt.

Die moderne Gesellschaft antwortet

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;

Georg Brandes über den russischen Roman.

63

hierauf widerspruchsvoll: sie bestraft streng die Mutter, welche ihr

neugeborenes Kind tödtet, ohne darauf Acht zu geben, dass diese Mutter aus Furcht vor den Menschen und vor der Armuth sich selbst einen viel grösseren

Kummer,

einen schwereren V’erlust zulügt als

wenn die Mutter beabsichtigte, Kind durch den Tod vor der drohenden Armuth zu bewahren,

der menschlichen Gesellschaft. Selbst ihr

verlangt die Gesellschaft, dass die ganze Schale menschlicher Leiden

Haupt des Kindes ausgegossen werde.

auf das

Erfordert dagegen

das Bestehen einer chemischen Fabrik von Jahr zu Jahr eine gewisse Anzahl von Opfern an Menschenleben, so hält die öffentliche

Meinung den Gründer einer solchen Fabrik dennoch für einen Wohlthäter seines Landes und wird der Werth des menschlichen Lebens nur gering angeschlagen. Ich erwähne hier nur principiell dieses Widerspruches der Anschauung der menschlichen Gesellschaft; in dem Dostojewski-

Roman wird

schen

Menschen aus

vom Standpunkte

die Kritik

geführt, den die

Natur

von

dem

leidenschaftlichen

Jammer

Wunsch

erfasst

menschlichen Gesellschaft zu werden. versenkt

und

Retter

der

fühlt, ein

Melancholie und

in

beginnt zu grübeln, unaufhörlich zu grübeln.

Er gedenkt

einzelnen

der Menschheit

Als Melancholiker geboren,

Armuth mehr und mehr

ihn die

eines

als düsteren, leidenschaftlichen

Melancholiker erschuf, der sich vom

.

er

.

einer alten, reichen, Ekel erregenden Wucherin.

Einerseits betrachtet er dieses untaugliche böse Geschöpf, welches

niemandem Gutes thut und Armuth und Bosheit um sich verbreitet von all dem Guten, welches sich mit dem Gelde dieser alten Hexe thun liesse. Seine greise Mutter ist in

andererseits träumt er

einem

fernen

Arbeit

im

Provinzialstädtchen

zu erblinden

Mädchen,

ist bereit,

seine

;

einzige

sich selbst

Begriff,

übermässiger

vor

Schwester, ein

zum Opfer zu

reines, edles

bringen, iudem sie

einen ungeliebten Menschen in der Hoffnung heiratet, ihrem Bruder die

Mittel

zur

Beendigung seiner

Studien,

materiell gesicherte Existenz zu verschaffen.

Mutter

ihrer

eine

Er, Raskolnikow, hat

nicht einmal das Recht, ihr dieses entsetzliche Opfer zu verbieten.

Von Jugend auf hat

er

brechen ersonnen und

ist

wöhnliche Mensch

welche

die

das

sich

eigene Theorie

eine

über das Ver-

zu dem Ergebnis gelangt, dass der unge-

Recht

hat,

übrigen Sterblichen

vor

jene

Linie

zu

überschreiten,

dem Verbrechen

zurückhält.

Seine eigene Erfahrung und die Weltgeschichte habeu ihn gelehrt, dass

fast

alle

Reformatoren

des

Menschengeschlechts Verbrecher

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:

Georg Brandes über den russischen Roman.

64 waren, weil bis

sie

neue Gesetze schufen und alte

Er

dahin für heilig gegolten hatten.

der Nothwendigkeit, Blut selbst

wenn

es

zum Schutz

zu

vergiessen,

verletzten, welche

sah, dass

das Blut unschuldiger Menschen

der alten Gesetze vergossen.

zu den ungewöhnlichen Menschen ?

.

.

sie

hatten,

war, welche es

Gehörte er nicht selbst

Dennoch empörte

.

nicht vor

zurückgescheut

sich seine

ganze Natur gegen dieses Verbrechen,

alles Edle und Vornehme in ihm schauert vor einer solchen Handlung zurück. Allmählich lebt

er sich jedoch in diesen

Gedanken hinein und bringt das Verbrechen

zur Ausführung, ohne sich oder anderen dadurch zu nützen.

Er stand eben nicht auf der Höhe seines Verbrechens, seine Natur war zu edel, um es auszuführen. Der begangene Mord erweckt keine Reue, aber er vernichtet ihn, trennt ihn von allen anderen Menschen, verurtheilt ihn zu ewigem Schweigen, zu der ewigen Angst, als Mörder erkannt zu werden, zu einer ewigen und endlich zum und alles. Der Ausgangspunkt für Raskolnikows war das Grundaxiom: «Der Zweck heiligt die

Selbstverurtheilung in räthselhaften Ausdrücken

Hass gegen

alle

Handlungsweise

Dieser von den Jesuiten gemisbrauchte Satz

Mittel.»

wahrhaften Bedeutung

Das Wort

richtig.

dass hier von einem gesetzmässigen

(?)

ist in

seiner

«heiligt» beweist schon,

Ziel die

Rede

nur derjenige Mensch, welcher der Menschheit wohl

und dass

ist

will, ein solches

Er wählt eben von zwei Uebeln das mindere, und die Folgen seiner Handlung sind bedeutungslos, da in sittlicher Beziehung die Absicht und nicht das Resultat werthvoll ist. Uns allen ist ja bekannt, dass es im gewöhnlichen Leben keine, absoluten Ziel verfolgen kann.

Pflichten giebt.

Wenn

uns die menschliche Gesellschaft sagt:

sollst nicht tödten, so fügt sie

Fällen,

wo

das Vaterland

gleichzeitig

(d. h.

hinzu

:

ausser

diesem Fall besteht die Pflicht gerade darin, möglichst

zu tödten.

Ebenso

verbietet

die

in

der gute Zweck) es verlangt;

Du den in

Feinde

viel

menschliche Gesellschaft, einem

Menschen die Hände oder Füsse abzuschneiden, fügt aber hinzu wenn ein Arzt es timt, um das Leben des Kranken zu

ausser

retten.

So heiligt der Zweck das Mittel.

Dieses

Axiom

ist

unter folgenden Bedingungen von unbestreitbarer Wahrheit Ziel

muss

:

daher 1)

das

ein gutes, 2) die Erreichung desselben durch unschädliche

Mittel nicht möglich und 3) das begangene Unrecht muss geringer sein als dasjenige, welches eingetreten wäre, wenn man das Mittel nicht gebraucht hätte.

Warum

bleibt

nun Raskolnikows Gewissen nicht ruhig nach

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;

Georg Brandes über den rassischen Roman. Ausführung seiner Absicht?

Hier

docnmentirt

Raskolnikow

grosse psychologische Feinheit.

um

Erlaubten zu überschreiten.

ist,

seiner

Nacli

ungewöhnliche

Grenze des

die

ergriffen.

werden

;

Ihn

quält

nicht

stellen

aber erschüttert

nur

aufs

zu

entdeckt

Angst,

die

das System der Lüge und des Truges, in welches er sich Bis zu dem Moment,

verwickelt, drückt ihn zu Boden. selbst als

wo

er sich

Mörder angiebt, grenzt Raskolnikows Zustand an Wahn-

Seine

siun.

ist

seiner Handlungsweise

und daher wird er durch die Folgen

er-

sittlich

eigenen Theorie dürfen

Naturen sich über das Gesetz

der Glaube an seine hervorragende Bedeutung

tiefste

zu

zu vergewissern, ob er ein

sich selbst dessen

ungewöhnlicher Mensch und berechtigt eben nur

Er Grunde den

er im

um Anderen Wohltbaten

ausgeführt habe, nicht

weisen, sondern

davon über-

gezweif'elt hat.

gelangt schliesslich zu der Ueberzeugung, dass

Mord nur

eine

Eiuen Monat nach

immer daran

er aus, dass er

ruft

nicht

ist

zeugt, dass das erreiciite Ziel sittlich gut war.

dem Morde

G5

der Dichter

sittliche

Auferstehung

einem jnngen Mädchen,

zu Sonja,

befördern

welches

Beziehungen

seine

die

Liebe

zu

ihren

Das Gefühl Achtung und des Entzückens über die Reinheit ihres sittlichen Wesens lassen ihn ihre Gesellschaft aufsuchen; denn kein Tröpfchen sittlicher Verworfenheit ist in ihr Herz gedrungen. Er achtet die, welche von der ganzen Welt verachtet jüngeren Geschwistern zur Prostituirten werden

lässt.

innigsten Mitleids, der

wird.

hat

sie

Auch sie hat die Grenze Hand angelegt an die

des Erlaubten überschritten, auch sittliche

Menschenwürde, an

sich

Aber Sonja steht unendlich Mädchen wird schliesslich sein personifinachdem er lange und schweigend ihr ver-

selbst: sie hat sich zwecklos geopfert. viel

höher als er

dieses

;

cirtes Gewissen.

Einst,

weintes Gesicht betrachtet hatte, stürzt er auf die Knie und küsst ihre Füsse.

«Was machen Sie?» ruft sie aus, «Sie knien vor mir?» Er aber antwortet: «Nicht du bist es, der Menschheit ganzer .

Jammer

ists,

Diese Scene ist die

Muse

.

.

den ich verehre!» ist

charakteristisch für Dostojewski:

das Leid

dieses Dichters.

Sonja verlangt beständig, dass Raskolnikow selbst sein Verbrechen eingestehe, sie seine einzige leiht,

so

spricht

um

der

Ualtiitclic Monatsschrift,.

Ilantl

dasselbe zu leiden

für

Rettung.

Wenn

sie

XXXV,

Iloft 1«

;

denn

hierin

sieht

diesem Gedanken Worte ver-

Autor eigentlich

selbst

in

ihrem

Namen.

5

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Georg Brandes über den russischen Roman.

GG

Dostojewski

von

ist

jenem nationalen Mysticismus

Leiden die Rettung der Menschheit

erfüllt,

der im

Derselbe Grundgedanke

sieht.

der anderen handelnden Personen Dostojewskis in

wird von einer

den Worten ausgedrückt:

ilch fürchte mich

meiner Leiden

Das Leid wird also jemanden rettet.

würdig zu erweisen.» trachtet, welche stets

Naturschilderungen

spielen

diesem

bei

nicht

Auszeichnung

als

be-

keine

Schriftsteller

Er begnügt sich mit der Vorstadt irgend einer grossen Eckchen Horizont, einem Flickchen des blauen Die ganze Handlung seiner Romane verläuft in Ge-

Rolle.

Stadt, mit einem

Himmels.

sprächen, in dramatischen Handlungen, in

lebendiger Psychologie.

Seine Vorliebe für anormale Charaktere und Situationen trägt die

Schuld

dass

daran,

Psychologie

diese

immer

nicht

richtig

ist.

Sonja, dieses gefallene Mädchen, welches sich jedem Vorübergehenden hingiebt und dennoch

eher

«ä

Antithese

einer

Menschen.

vollster Seelenreinheit strahlt

in

Dostojewskis

Hugo»

Victor

la

Talent

aber

ist

als

so



einem

gleicht

lebenden

mächtig,

dass

der

Leser an Seelenznstände glaubt, denen er ln Wirklichkeit niemals begegnete.

Unter allen russischen Dichtern Dialektiker.

zwischen Leuten, die

entreissen wollen.

Dostojewski der grösste

in ihren feinsten

ihre Geheimnisse

einander

In seinen Monologen (und

losen Selbstgespräche) analysirt er

und

ist

Seine Gespräche gleichen einem Inquisitorium, einem

Kampf

endlosen

er

diese end-

liebt

die menschliche Seele

allseitig

Einzelheiten.

Als Kenner krankhafter Seelenzustände, als Sänger des steht Dostojewski

lichen Fieberzustandes

seine

Lebensanschauung

traditionell-doctrinäre.

als

gastalten

seiner

unübertroffen

da

;

sitt-

aber

weniger originell und weniger subjectiv

Seine religiösen Ueberzeugungen erscheinen

als seine Psychologie.

uns

ist

Romane

die

Bisweilen

Dinge

scheinen

tiefsinniger

Haupt-

die

anzuschauen

als

der Autor selbst.

Der

letzte unter den grossen Realisten Russlands,

ist kraftvoller als

Sein Pessimismus

das

russische

Mistrauen

Turgenjew und geistig gesunder als Dostojewski. bringt ihn Turgenjew nahe, seinen Glauben an

Volksthum

gegen

Tolstoi,

theilt

er

mit Dostojewski,

die Cultur Westeuropas, mit

ebenso sein

dem Unterschiede,

dass Tolstoi dieses Mistrauen auf die Givilisation ausdehnt.

Seine Phantasie ihn das

ist

Wort an wenden

so lässt:

grossartig, so episch, dass

der

Roman

ist

sich

auf

das moderne Epos.

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Georg Brandes über den russischen Roman.

Er

schildert nicht nur. wie

eine

andere,

viele

der Cultur und des Lebens, welches die grosse Welt der

des

Heeres,

mit

,

Autobiographie

seiner

zuerst

Charakter seines Realismus massgebend. Schöpfungen gänzlich

tritt in seinen

jewski

Russland

eines Welt-

des Volkes,

Die Tlmtsache, dass Tolstoi mit Betrachtungen über sich

krieges. selbst

ganzen Zeit,

in

bedeutendsten Schöpfung ein

führt, sondern er giebt uns in seiner

Gemälde

67

bestimmte Stufe

verräth

sich

selbst

und Hingabe

losigkeit

in

auftrat

den

für

ist

,

Turgenjews eigene Person den Hintergrund.

in

Dosto-

den Gestalten, welche, voll Selbst-

an Andere,

glänzenden Eigen-

jene

nicht

schaften besitzen, die im gewöhnlichen Leben zu Erfolgen verhelfen.

Ein solcher Charakter

Iwan Petrowitsch, der

ist

«Todten Hause»

So

z.

erwachsener Mensch aber

Kind

ein

selbst

in

B. der Held



zur

selbst im

sich

Dostojewski

sich

ungewöhnlicher

von

Romans «Der

des

Bezug auf seinen

die Epilepsie,

Idiot» ein

bedeutenden Verstand,

und Reinheit seines Herzens. an

welcher

auch

der Dichter

unsere

hat ihm alle

litt,

genommen:

einen Menschen

er

der Einfachheit

in

Seine Krankheit

wenn

Jedesmal,

ansehen.

ist

von

ihrer Bescheidenheit, ja

in

zu verstehen giebt, dass Andere ihn als

er uns

Wesen

schildert, zeichnet

Herzensgüte.

rührend

entwirft, ist

Demutli, obgleich

besonderes selbst

auftritt.

den «armen Leuten» trägt diesen Charakterzug

in

Die Schilderuug, welche Dostojewski

Schau.

dem Roman Auch

in

«Erniedrigte und Beleidigte» als erzählende' Person

der Greis

schlimmen Eigenthümlichkeiten Hochmuth, die Eigenliebe, die Geldgier

die Ironie, den

und hat nur die edlen Seiten seines Charakters entwickelt.

Wenn

Tolstoi seine Schilderungen mit sich selbst beginnt, so

das

geschieht das nur deshalb, weil er nur er weiss.

Er

Andere. seines

als

Offizier

seine Erinnerungen

an

Sewastopol

Ueberall

Gestalt hervor.

Tolstoi

und

bringt

ist

und

ironische

bemerkbar,

Niemals

gewöhnliche Leben

erwähne

sein

eine

ist

eigenen Selbst

Fehler aufdeckt.

einen

Leben

Incognito

(«Die Kosaken»),

wenn er

mächtigen Eindruck

er

und

Schwächen und

wahrheitsliebend, auch schildert.

einer idealen

wenn

durch die Schilderung

er das

Als Beispiel

Erzählung «Familiengliick»

der Entwickelung, endlich des Verlustes

vieles

Auffassung

kritische

seine

in

Kaukasus

im

den Eindruck

andere Personen

ich der prächtigen

Der Autor zeigt

beschreiben will, was

und Jugend, ferner

seine Kindheit

uns

erzählt

durchsichtigem

;

sie

macht

des Entstehens,

der Illusionen im Leben.

uns, wie anfangs die Liebe

erwacht und erblüht, !)•

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Georg Brandes über den russischen Roman.

G8

im Herzen beider Gatten in Freundschaft übergebt und endlich die Liebe zu den Kindern an die Stelle aller anderen Abgesehen von dem Realismus seiner Schildetritt. wie dieselbe

Leidenschaften

ist Tolstoi auch noch mit jener historischen Phantasie begabt, welche nur selten vorkommt. Uebrigens ist er vollständig ein moderner Mensch und versucht es nie, längst vergangene Zeiten zu schildern er greift nie über jene Zeiten hinaus, aus welchen

rung,

;

er sich nicht auf die mündliche Tradition stützen könnte.

Das Gemälde der Regierungszeit Alexandere würdig,

die

historischen Porträts

I. ist

bewunderns-

Roman «Krieg

im Tolstoischen

und Frieden» bringen den Eindruck hervor, auf persönlichen Erinnerungen zu beruhen Napoleon und Kutusow können als Beispiele hierfür dienen. Die Scene der Audienz des russischen Ge:

sandten bei Napoleon macht den Eiudruck, dass der Verfasser bei derselben zugegen gewesen sein müsse. ist

die

Bemerkung:

kleine

Wie bedeutungsvoll beredt

«Sein weisser,

dicker Hals

hob sich

von dem schwarzen Kragen seiner Uniform ab, welche stark nach

Eau de Cologne

duftete

Wie

»

verräth sich der Parvenü in diesem

kleinen Umstande des zu starken Duftes!

Das Porträt Kutusows das Napoleons

;

es

ist

eben so bewunderungswürdig wie

durch seine Lebens Wahrheit, obgleich

frappirt

Kutusow zu sehr

der Leser den Eindruck behält, dass der Autor erhebt, Napoleon

zu sehr

aber

nichts tritt uns

In

herabdrückt.

die Genialität des letzteren entgegen, wir finden überall nur seinen

Hochmuth und stürzte.

Selbstüberhebung,

die

welche

ihn

ins

Verderben

Die Thatenlosigkeit, die Apathie Kutusows wird dagegen

vom Antor

und

gepriesen

Beweis

als

für

Anschauungsweise

die

desselben angesehen, dass die historischen Ereignisse in folgerechtem

Wechsel

auf einander

folgen, dass der einzelne

Mensch

in ihnen

nichts ändern, nichts hinzufügen kann.

Diese Sympathie Tolstois sonderen

Lebensanschauung

Dostojewskis bleibt er zwar

für

der

;

Kutusow

und

und

Nervosität

fern, achtet

dieser den Geist, den Verstand

fnsst

auf seiner be-

Ueberreizung

jedoch eben so wenig wie

lässt sich

durchaus nicht von

der Genialität eines Menschen impouiren.

In Deutschland

und an die Cultur

;

an den Verstand England an die SelbAutoren von der Nichtigkeit des Menschen gegenüber glauben

in

die Schriftsteller

Skandinavien und

ständigkeit des Charakters; Tolstoi

überhaupt, sind blos

dem Weltall durchdrungen.

Er



in

ja, die russischen

achtet das Weltall, das Schicksal

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Georg Brandes über den russischen Roman.

69



aber keineswegs die Wissenschaft, die Kunst, die Cultur. Nicht diese letzteren sind für ihn wichtig, sondern blos das Leben und

Die

der Tod, diese ernsten, unerreichbaren Factoren des Daseins.

erhabene Lehre, welche Leben und Tod täglich dem Dichter ertheilen, übertönt für ihn allen liche Geist scheint

nissen

Lärm

Der mensch-

des irdischen Treibens.

ihm so schwach im Vergleich zu den Geheimer in gewisser Beziehung den geringen

des Daseins, dass

Verstand dem

grössten

Der

gleichstellt.

persönliche

Wille

ist

nichts gegen den Strom geschichtlicher Ereignisse; in Wirklichkeit führt nicht der Feldherr die Armee, nein, das Geschick

treibt sie

Die Schlacht wird gewonnen oder verloren nicht durch Anordnungen des Commandirenden, sondern nach geheimnis-

vorwärts. die

Die Scene, wo der Fürst Andrei verwundet auf

vollen Impulsen.

Schlachtfelde liegt, ihm alles, selbst Napoleon klein und nichtig

dem

erscheint im. Vergleich zu den

Vorgängen



der eigenen Seele

in

ist

im höchsten Grade charakteristisch für Tolstoi, ebenso der Umstand, Tod mit solcher Wahrheit, mit solcher

dass kein Autor vor ihm den

Er kennt eben

zu schildern verstand.

Mannigfaltigkeit die

Seelenstimmung

,

welche

dem

Selbstmorde

so

genau

vorausgeht

(bei

Männern, wie bei Frauen), als die Gefühle, mit denen starke oder schwache Naturen dem Tode auf dem Schlachtfelde oder auf dem Krankenlager entgegensehen. Das Ideal einer Umkehr zu dem Naturzustände entspringt bei Tolstoi aus seinem Mistrauen gegen den

menschlichen

Geist;

es

gleicht

aber

durchaus

dem

nicht

Rousseaus, weil es einen religiösen Charakter trägt, der dem Ideal des

französischen Philosophen

gänzlich

fehlt



dennoch erinnert

Tolstoi bisweilen an den letzteren.

Karatajew

in

«Krieg und Frieden» macht auf Besuchow des-

halb einen so starken Eindruck, weil er ein primitiver Mensch

ist,

welchem noch jene echte christliche Liebe und Demuth lebt, In gewisser Beziehung deren der civilisirte Mensch unfähig ist. in

ist

in

Tolstoi ein echter Romantiker,

denn

sagt hat, beständig versucht, dasselbe die

er sucht sein Ideal nicht

Er ist aber kein dem Streben nach dem Ideal nicht ent-

der Zukunft, sondern in der Vergangenheit.

reiner Pessimist, weil er

zu

erreichen

und

anderen

Verwirklichung desselben verkündet.

Gerade hierdurch unterscheidet sich sein Pessimismus von dem der modernen französischen Schriftsteller, denen das Leben so gar nichts mehr gilt, dass sich darüber nicht mehr nachzudenken lohnt Alles, was die einzig und allein die Kunst noch gelten lassen.



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;

Georg Brandes über den russischen Roman.

70 sie

Wirklichkeit hassen und verachten, schätzen sie in der

in der

Kunst.

Wenn

ein Product

dann

liches darstellt,

wir

in

nur Hässliches und Wider-

derselben

können wir überzeugt davon

allein

dem Kuuslproduct

Kunst

die

sein,

dass

Um

sich

lieben.

selbst

daher vollständig befriedigt zu fühlen, verlangt der künstlerische Aristokrat, dass Schmutz und Niedrigkeit das Element der Darstellung bilden.

Im Gegensatz zu ein

so

Anschauung ist für Tolstoi das Lebeu Thema, dass das künstlerische

dieser

unerschöpfliches

ernstes,

Interesse vor der Wichtigkeit des Lebensräthsels ganz zurücktritt dieses hat daher für ihn keinen Werth. ist

ihm die Kunst nur dann

haft zu erkennen, es

wenn

mit Dingeu

und

werth sind erkannt zu werdeu,

welche

unwürdig

Betrachtung

der

In allen seinen Schöpfungen

Mittel, um

ein sich

sie

über

das Leben wahr-

beschäftigt, welche

diejenigen

Eine

scheinen.

fortgeht,

literarische

Schule, die sich darauf beschränkt, das Leben zu schildern, wie es

uns umgiebt, ohne daran zu denken, ob Hesse

organisiren



und

wie es

der Schriftsteller-Naturalist,

das

von George Sand angreift, weil er



besser

Moral was alle

die

hat

nur

formeller Beziehung für die Kunst einen gewissen Werth.

Wo

unsittlich

zu

nennen

sich

der

unsittlich nennt,

pflegen

eine

Schule

solche

in

es

aber grosse Gedanken und Hoffnungen, erhabene Vorstellungen von der Zukunft giebt, da lebt in den Geistern das Princip literarischen

Lebens, da wird die Literatur davor bewahrt, zu verknöchern oder

zu versiegen. In unserer Epoche

unsere Schriftsteller geben

geworden, die Heiterkeit aus

es Sitte

ist

der Erzählung zu verbannen

unser Zeitalter

:

ist ein

trauriges und

der Auserwählten wieder.

die Gefühle

Das wird aber nicht mehr lange dauern in keinem Falle ist dies däs letzte Wort der Menschheit auf den Gebieten der Kunst und der Poesie, weil dieser Pessimismus dem psychologischen Gesetz :

widerspricht,

nach

übergeht und so zurückkehrt.

oft,

welchem

eine Zeit

Momente der Freude, der wird

eine

zu

den

die

Kunst entstehen, in

Eindrücke

Momenten

die unschätzbaren

der Dichtkunst

in

moderne Mode vorübergegangen

die

als

des Glücks, gleich blitzenden Edelsteinen

dann weithin leuchten

traurige

glücklichen

kommen, wo

glücklichen Stunden

Wenn

wiedergegeben werden. ist,

Erinnerung

die

wie möglich,

Es wird

Einfassung

— dient,

der

Momente

und diese werden

den Büchern, wie im Leben.

Ich will es nicht verurtheilen, dass die Dichtkunst aufgehört

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Georg Brandes über den russischen Roman. hat, iileale

Gestalten zu zeichnen

die Folge

;

hiervon

71

ist

es aber,

wenn das Niveau der Menschheit im modernen Roman gesunken oft sind die

ist:

Schilderung

sie

wärtig sind wir die geistige



Charaktere so unbedeutend, dass

aucli

mehr interessant gestalten kann.

nicht

alle darin einig, dass in

die beste

Gegen-

Beziehung zu der Kunst

Bedeutung der dargestellten Personen ganz gleichgiltig

begabtere Naturen werden sich aber stets durch grossartige und schwierige Probleme angezogen fühlen. Es ist eine Eigentümlichkeit des wahrhaft poetischen Genius, alle Bewegungen, ist

volle Bedeutung

die

fühlen

— man

Zeitgenossen

Seelenlebens

des

seiner

Zeitgenossen

denke nur an Shakespeare und Goethe.

Dichter wird sich stets stehen,

der Höhe

zu

er

wird

alle

zu

Ein grosser

erheben, auf welcher seine

Schätze

des Geistes uud

der

Seele in seine Netze ziehen.

Das Ewigweibliche in

Seufzern und

dar,

in

ergiesst

Thränen



was grob oder erbärmlich

zu neuer Entwickelung

Grösse im Leben, wie

gedeiht, in der

artigkeit, deren schwaches

sich

in

der modernen Literatur

das Männliche ist.

Wenn

dann

stellt

nur dasjenige

die Literatur

wird

wieder

Europas

die erhabene

Dichtkunst kund werden, jene Gross-

Morgenroth die

alte romantische Schule

vorausahnte.

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Notizen. Die Erbobücber der Stadt Riga. von der (leuelUchuft für

Kymmel.

1888.

Ueacliiclito

HeraHsgegebcu 1384—157!). und Altertbuuiskuude der Oatsee-

Bearbeitet von J. U. L.

prorilUEeil Russlands.

LXXXIII

S.

ti.

515.

\ ap

i

e r s k y.

Riga,

(ir. 8.

ist eine nach jeder Richtung hin respectable Ehrengabe, welche unsere centrale historische Gesellschaft der gelehrten

gtyjpffli

estnischen Gesellschaft

mit diesem

in

Dorpat zu deren öOjähriger Jubelfeier Sie bezeugt, dass von den hat.

Werke dargebracht

freilich nicht allzu reichlichen Mitteln,

welche der Gesellschaft für

Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen zum Zwecke

Verwendung an ihrem Ehrentage von den Stünden der Stadt übergeben wurden, der geeignetste Gebrauch gemacht wissenschaftlicher

vor allem

wird,

aber,

dass

die

wissenschaftlichen

noch

Kräfte

wirksam sind, welche eine derartige Verwendung erHerr dim. Rathsherr Napiersky hat mit seiner sorgsamen Arbeit einen ganz beträchtlichen, aufs sauberste zugerichteten Quaderblock zum Bau der deutschen Städtegeschichte beigetragen.

immer

in ihr

möglichen.

Von besonderer Wichtigkeit

ist

das

Werk nun

für

freilich

die

Localgeschichte Rigas.

Wer

da erfahren hat, wie mühselig

zu arbeiten, welche Schwierigkeit es eine Handschrift sich hineinzulesen,

es

ist,

in

den Archiven

unter Umständen

macht, in

wie zeitraubend, eine gewisse

Forschung zu verfolgen, einen bestimmten Namen aufzusuchen, und wie es geradezu niederdrückend wirkt unter der Arbeit sich zu vergegenwärtigen, dass

so

mancher denselben

gegangen, ohne dass der Nachfolger von seiner

kann



Weg

schon

Mühe Nutzen

vorher ziehen

der bringt von vornherein die dankbarste Würdigung einer

Arbeit entgegen, die nun ein für allemal vollendet

ist

und jeden

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73

Notizen.

Benutzer

ohne Aufenthalt seinem

derselben

Diese können

nacbgelien lässt.

zelnen Einzeichnungen

bei

den

in

Zwecke

besonderen

der Durchsicht der 2824 ein-

beiden Erbebüchern, deren

älteres

von 1384—-1482 und deren jüngeres von 1493—1579 reicht,

Der Herausgeber weist im

dings sehr verschiedene sein.

2.

aller-

Oapitel

seiner umfangreichen Einleitung auf die Richtungen hin, nach denen

das gebotene Quellenmaterial verwerthbar wäre.

Da welche

vor allem die Fülle der Personennamen in die Angen,

fällt

von

einen Zeitraum

durch

Sie gewährt

verfolgen lässt

zwei Jahrhunderten sich

fast

sowol Einblicke

in

die allmähliche

Einbürgerung der Familien- und Geschlechtsnaraen, wie

in die Be-

völkerungsverhältnisse der Stadt nach der Besitzlage, wie nach der Nationalität

oder

den

Standes-

und

Gewerbsverhältnissen.

Sie

bietet Einzelheiten zur Geschichte schon bekannter hervorragender

Persönlichkeiten

,

sie

auch

besondere

dient

der

genealogischen

Forschung. Verfassung und Besitz der städtischen Gemeinde, der einzelnen Stände, der Kirche, überhaupt

der

vorhandenen Institutionen und

ihrer Verwaltung wird durch ihr häutiges

und Verkäufer,

Vorkommen

Gläubiger und Schuldner

als

als

Käufer

in ein helleres

Licht

gestellt.

Wie

viel die

Topographie Rigas aus dem Studium der Erbe-

bücher Nutzen ziehen muss, ergiebt sich aus der Bestimmung dieser Bücher, der zufolge jeder Uebergang eines Immobils in das Eigenthum jemandes vor dem Rathe der Stadt in dieselben eingetragen Zu diesem Behuf wurde das betr. Immobil seiner Lage und Beschaffenheit nach, oft mit dem Zubehör, möglichst genau angegeben. Durch die besonderen Bedingungen, unter denen («aufgelassen») wurde.

sich häufig der

Eigenthumswechsel vollzog, werden wir aber auch

viel-

fach über einzelne Theile des Hauses oder Grundstücks unterrichtet.

Hieraus sich

viele

erhellt,

wichtige

dass

weiter

Erhebungen

auch

aus

für die Culturgeschichte

diesem

Material

gewinnen

lassen können.

Nicht zum wenigsten dieser Publication gedient. eine

ist

der Geschichte des Privatrechts mit

Als erste Frucht hat der Herausgeber

Abhandlung über das Aüflassungsrecht mit specieller Ausin Riga genommen, seiner Einleitung

führung der Gestaltung, die es einverleibt.

Endlich

ist

an

die

Ausbeute zu erinnern, die der Sprach-

forscher aus diesen Büchern ziehen wird, sowol was die Auffindung

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Google

,

74

Notizen.

auch was den Uebergang vom Gebrauch dss Lateinischen zum Niederdeutschen und das allmähliche Eindringen hochdeutscher Wortformen in das Niederdeutsche betrifft.- Eigentümlich ist es, dass mit dem Jahr 1417

ungewöhnlicher Worte und Wortformen, als

die niederdeutsche

Eintragung bei der Nr.

Ref. gesehen, ohne Unterbrechung

t>08 beginnt und, so weit

während mit

wird,

ibrtgeführt

diesem Jahre, dem Herausgeber zufolge, doch kein Wechsel

Person des Schreibers

in

der

Der Reihenfolge nach ist freilich dem Jahre 14 IG verzeichnete Eintragung,

eintritt.

die Nr. 007, die letzte bei

die erste in niederdeutscher Sprache

tatsächlich aber ein

sie ist

;

Zusatz aus dem Jahre 1420 zur vorhergehenden (lateinischen) lu-

Ganz umnassgeblich

seriptiou Nr. 000.

will es Ref. scheinen, dass

Nr. 607 nicht besonders hätte gezählt werden

Zusatz

in

Cursivdruck,

gleich

dürfen, sondern als

ähnlichen Fällen

deu

im zweiten

Erbebuche, hätte erscheinen sollen.

Das Werk

einem

sehliesst mit

fast

100 Seiten umfassenden,

ausserordentlich sorgfältigen siebenfachen Register und wird dadurch erst in vollem

Möchte

es

Masse zum Handgebrauch beim Studium geeignet.

nun auch recht Heissige Benutzung

Stadtrechts«, vor 7 Jahren

bücher,

der

libri

mit.

redituum

Dem

finden.

seinen «Quellen

geber, der uns vor 12 Jahren mit

des

Heraus-

rigaschen

der Ausgabe der städtischen Einnahme-

beschenkt, sagen wir

für

jüngste Darbringung wärmsten Dank.

Fr. B.

Lässt sich das Dasein Gottes aus der Natur beweisen ? Vortrag von J. Pastor und

Kluge.

Der

Diakonns

au

Nicolai

St.

seiue

diese

Reval.

in

Reval

Le

gung des Theismus

die

Zweckmässigkeit

in

zur Verteidi-

der gesummten Natur

nicht als zwingenden Beweis, wohl aber als wahrscheinlichen für die

Annahme

eines

persönlichen Gottes

der «alles zermalmende» Kaut

bekannten

die

drei Gottesbeweise dargethan

bestehen geblieben, sich

im Anschluss

sichern,

an

der

Grund

zu verwerthen.

logische Unzulänglichkeit

auch kaum wieder behauptet worden.

auch

nz Frau*

,

1S88.

Verf. versucht in diesem kleinen Beitrage

Wahl heit

hat,

Dennoch

ist ist

Seit

der

das Gegeutheil das Bedürfnis

seines religiösen Glaubens

die Wissenschaft

von

der Natur zu ver-

und darin drückt sich deutlich aus der Einheitstrieb unseres

gesainmten geistigen Lebens.

So weit geht unsere Zustimmung zu dem Unternehmen des Aber wir können seine Meinung und Absicht, auf

Herrn Verf.

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Google

Notizen.

75

Kampf gegen

Weise einen wirksamen

diese

Wir behaupten,

führen, nicht tlieilen.

Uuglauben

den

Wege

dass auf diesem

zn eine

Stärkung des Glaubens, eine umfassendere Grundlage für denselben allerdings den schon Ueberzeugten zugewaudt werde, dem Ungläubigen dagegen nur dann eine Veranlassung zur Aufgabe seines Standpunktes erwachse, wenn Zweifelsgründe naturwissenschaftlicher

Art das faltung

ihm

bei

kommen

vorhandene

religiöse Bedürfnis

der Natur

thatsächlich so, dass derjenige, welcher

zur Ent-

uicht

Denn mit dem, was der

lassen.

zweckmässigen Organisation

Verf. aus

der

beibringt, verhält es sich

wissenschaftliche Er-

eine

klärung allein gegeben wünscht, auf die religiöse Folgerung oder

Erweiterung verzichten kann. Es handelt sich ja für den Naturforscher so wenig wie für den Psychologen darum, dasjenige, was ausserhalb

unmittelbaren

aller

äusseren oder

Erfahrung

iunereu

zu erklären, sondern nur darum, das Gegebene zu erklären,

liegt,

überall in der

d. h.

hang nachzuweisen.

n u u g s w e 1 1 causaleu ZusammenAlles, was uns unmittelbar gegeben ist, trägt

E

r s c

h e

i

zusammengesetzten Charakter, verlangt die Zurückführung auf die Elemente und den Nachweis ihrer gesetzmässigen Wirksamkeit. und nur

Ist dies gelungen, so ist unser Erkenntnistrieb befriedigt,

mag

der Metaphysiker

noch

und

gehen

weiter

den Grund alles

Seins zu finden versuchen. Bei der Darstellung seiner Forschungen wird der Naturwissenschaft

treter

gern

und des Zweckmässigen bedienen. Bedeutung,

Man von

als

es

*

Zwecks

des

dieselben eine andere

aus,

dem vorliegenden Schriftchen sondern

hervortritt.

von der Wirkung, und

gegebene Resultat

dieser rückläufigen

Ueberschau

entsteht bietet

in

bildlicher,

aber

sehr

oder entstanden

sich

dem menschlichen zwecksetzenden Willen von denn

sucht zu

dem Zusammenarbeiten verschiedener Bedingungen

das anschaulich

wird

aber der Ver-

der Begriffe

kehrt nur die causale Betrachtungsweise um, geht nicht mehr

der Ursache

zeigen, wie aus

Bei

in

sich

Doch haben

ist.

die Aualogie mit selbst

dar,

und so

verständlicher Redeweise die

Ursache zum Mittel und die Wirkung, von der man ausgeht, zum

Zweck. Gründe

Daraus nun. dass wir vielfach noch nicht die zureichenden für die Entstehung einer Erscheinung kennen, zu folgern,

dieselben

seien

in

einem

übersinnlichen Weltregierer

zu suchen,

wird demjenigen fern liegen, welcher mit unbefangenem Vertrauen die bisherigen Fortschritte der Wissenschaft verfolgt hat.

Wir meinen

also, dass der

Glaube an einen persönlichen Gott,

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76

Notizen.

dass das Christenthum auf einem anderen

Wege

als

dem von Lenz

eingesehlagenen den Leugnern und Zweiflern nahe gebracht werden

muss und kann, nämlich von der praktisch-sittlichen Lebenserfahrung aus. Hat man dann die Religion zu einem werthvollen ßestandtheil seines inneren Seins

die Verbindung mit der

gemacht, so

Geist und wirkt geistig in

W.

P.

vo

li

o h

1

a n d

Der Verfasser hat im J. 1886

gekommen

Aufgabe

die

114 S.

Leipzig, J. C. Hinrichs. 1888.

und nicht

in

Er behandelt

Revision zu unterziehen.

den Buchhandel

wichtige und mancherlei

gestellt, eine

einer umfassenden

Schwierigkeiten bietende Lehre des Strafrechts die

Gefahr im Strafrecht

nur so weit, als dieselbe eine Bestrafung hervorruft letzung betrachtet der sich zu

jemand

schützen

wird, nicht befindet,

und,

ohne

Dorpat,

8.

sich in dieser Schrift, deren erste Auflage

als Festschrift erschien

ist,

verhältnismässig leicht,

Die Gefahr im Strafrecht. Zweite vermehrte Aull.

,

Karow und

E. J.

ist es

Welt des Mechanischen herzustellen. Gott dem Sichtbaren. K.

ist ein

aber

wo

die Seite,

und als Verdie Gefahr, in

demselben das Recht giebt, sich selbst zu werden, Rechte Anderer zu

straffällig

verletzen oder zu gefährden.

Nach

einer kurzen Einleitung über den

Zusammenhang zwischen

Gefahr und Verbrechen werden die Delicte erörtert, in denen die Gefahr als Thatbestandsmerkmal erscheint, die Gefährdungsverbrechen. Anknüpfend an die strafbaren Gefährdungen von Leib und Leben, Freiheit und Ehre, untersucht der Verfasser das Wesen im Gegensatz zum Polizei- oder Un-

des Gefährdungsverbrechens

bei dem ersteren sich aber nur ist, bei dem letzteren Der Unterschied wird dahin näher bestimmt, dass das Gefährdungsverbrechen Handlungen umfasst, die särnrnt-

gehorsamsdelicte und findet dasselbe darin, dass stets eine

Gefahr vorhanden

regelmässig

lich

einstellt.

ihrem Gattungscharakter nach gefährliche sind,

concreten Falle

die

Gefahr

gemangelt

gehorsamsdelict Handlungen in sich

haben,

begreift,

mag auch im

während

das

Un-

welche generell ver-

Handlungen, welche je nach der Sachlage gefährlich sein können oder ungefährlich sind. Im Anschluss hieran wird die Frage erörtert, in wie weit eine Gefahr durch das Vorschieden sind,

d. h.

handensein einer Gegenursache in ihrer Existenz aufgehoben oder in ihrer Intensität verringert wird.

Im zweiten Abschnitt kehrt einzelnen Gefährdungsverbrechen

der Verf. zur Betrachtung der

zurück

und

behandelt

zunächst

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Notizen.

die

Gefährdungen des Vermögens,

77

sowie

Gefährdungs-

diejenigen

welche wie Raufhandel, Abtreibung &c. zugleich eine

verbrechen,

Verletzung von Rechtsgütern ausführlicher Darstellung

um

sich schliessen,

in

dann

sich

gemeingefährlichen Verbrechen

den

in

zu-

Das Wesen der Gemeingefahr wird dahin bestimmt, dass sie eine unbestimmt grosse, in ihrer Ausdehnung nicht voraussehbare Gefahr für Leib und Leben oder für Eigenthum ist. Als gemeingefährliche Verbrechen werden diejenigen Handlungen bezuwenden.

zeichnet, denen, generell betrachtet, die Möglichkeit innewolmt eine

solche Gefahr hervorzurufen.

Bei Besprechung der einzelnen gemein-

gefährlichen Verbrechen polemisirt der Verfasser gegen

die neuer-

dings aufgekommene Eintheilung der gemeingefährlichen Delicte in

zwei verschiedene Gruppen, liche

in abstract

und betont dem gegenüber den

und concret gemeingefähr-

einheitlichen Charakter

sämmt-

licher gemeingefährlicher Verbrechen.

Weiter wird die Frage

aufgeworfen, in wie

dem Delinquenten beim Gefährdungsverbrechen

tretenen Folgen

der Nachweis

zurechnen sind und

auch der zufälligen Folgen eine

Thatsache

Den Grund

sei.

weit die einge-

rufenen Möglichkeit

des

die

zu-

Zurechnung

dieser Haftungspflicht für Zufall sucht

den Handelnden schuldhaft

der durch

der Verfasser in

erbracht, dass

den Gesetzbüchern feststehende

in

und verweist

Erfolgseintritts

hervorgein

dieser

wo

Hinsicht auf die nämliche Erscheinung beim Verletzungsdelict, gleichfalls eine

an

die Schuld geknüpfte

Haftung für Zufall

sich

vorfindet.

Sodann wendet der Verfasser

vom Gefährdungsverbrechen durch

sich

dem Versuch

zu, der sich

die Willensrichtung unterscheidet,

durch den Vorsatz, das Recht nicht blos zu gefährden, wie dieses, sondern zu verletzen.

Die durch Feuerbach

in Fluss

gekommene,

in

Wissenschaft, Gesetzgebung und Praxis vielfach erörterte Frage nach

dem Versuch mit

absolut untauglichen Mitteln und

lichen Object wird eingehend erwogen.

sorgfältige Kritik

24.

Mai 1880

Strafbarkeit

gelungen

ist,

absolut untaug-

Der Varfasser weist durch des Reichsgerichts vom

der Plenarentscheidung

nach, dass

des

am

absolut

den Beweis

es

der

subjectiven Theorie, welche

untauglichen Versuchs für

die

behauptet, nicht

die Richtigkeit ihres

Standpunktes

Schliesslich zeigt er in eingehendem, durchdachtem Aufbau, wie nur vom Standpunkt der objectiven Theorie, welche

zu erbringen.

die Straflosigkeit des absolut untauglichen Versuchs behauptet, die

Lösung gefunden werden kann.

Er

führt aus, wie auch beim Ver-

:

78

Notizen.

such, entsprechend der

Verantwortung für Zufall beim Gefahrdungs-

verbrechen, die zufällige Unmöglichkeit des Erfolges nicht von der

Verantwortlichkeit befreie und weist nach, der absolut untaugliche

Versuch als

ist,

stelle sich, in so

weit die Untauglichkeit eine nothwendige

Wahnverbrechen, in so strafbarer Versuch

ein

als

fällige ist,

weit

sie eine

Um

dar.

sprechung allen Zweifeln zu begegnen, empfehle es

blos

zu-

in

der Recht-

sich,

nach dem

Vorgang des neuen russischen Entwurfes eines Strafgesetzbuches Bestimmung in das Deutsche Strafgesetzbuch aufzunehmen Der Versuch mit völlig ungeeigneten Mitteln oder an einem völlig

folgende

untauglichen Objecte

ist

straflos,

falls

oder Object

nicht Mittel

blos zufällig untauglich sind.

Für

die Besitzer der

bemerken wir noch,

Aufl. (Festschrift)

1.

14—15, Neu hinzugekommen sind und weitere 30—33, 49— 51, 77. Auf S. 55

dass wesentliche Umarbeitungen sich finden auf SS. 12, 13, 89. 101

87

— 102,

106

— 109.

Ausführungen enthalten

S. 17

— 19,

65 erörtert der Verfasser eingehend Hälschners Erörterungen

bis

in Bezug auf des Verfassers Ausführungen über den Begriff der Gefahr und Gemeingefahr, wie selbige in der 1. Auflage Vorlagen.

J.

Fenlinaml Davitl

die

uinl

Engelman n.

Familie MendeUsohn Hartholdy.

Briefschaften znsaiinnengestellt von

Duncker und Hnmblot, Seit zwanzig Jahren

1888.

Julius E

S. 289.

Ans besondere, von anderen

Mittheilungen nicht zu reden, haben die Theilnahme auf den ganzen

hochbegabten Familienkreis Künstler war.

In

ausgedehnt,

künstlerischen

und

dessen

Mittelpunkt

der

diese ausgezeichnete Gesellschaft verheisst das

vorliegende Buch einzuführen.

Und darüber hinaus deckt

es die

freundschaftlichen Beziehungen Felix Mendels-

sohns zu einem Manne

auf,

an

den die Erinnerung

noch

der

in

musikalischen Welt lebendig

ist, zu Ferdinand David, dem meisterdem Concertmeister des leipziger Gewandhauses, der 37 Jahre dem Musikleben der Stadt angehört und ihren Ruf

haften

als hat.

Geiger,

der Pflege deutschen Musiklebens mit begründet Mit ihm aber verknüpften den Herausgeber innigste Bande der

erste Stätte

Liebe und Verehrung. Und von dem Antriebe, den diese Empfindungen

ihm

eingaben,

getragen,

überwand

die

er

Bedenken,

dass

er,

kein Sachkenner auf dem eigensten Gebiete Davids und Mendelssohns, es unternehme, das Leben des Einen und

Anderen mit jenem zu

schildern.

Er hat

den Verkehr des

völlig recht daran gethan.

Spricht das Verhältnis der beiden zu einander und der musikalische

Charakter Davids sich doch eben in ihren Briefen aus, die bei weitem den Haupttheil des Buches bilden und uns Mendelssohn von seinem 17. Jahre an bis an seinen Tod im Verkehr mit dem

Jahr jüngeren Freunde zeigen, der ihn dann freilich um Der liebenswürdige, eingehende Plauder-

um

ein

ein

bedeutendes überlebte.

ton beider Schreiber,

die

volle Offenheit

zwischen

ihnen, die sie

beide heseelende Hingabe an ihre Kunst, der Sinn und

nahme

für alles

um

sie her,

der beiden

eigene

die Theil-

Humor machen

die

Lectüre zu einer Quelle grossen Genusses.

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80

Notizen.

Die Verbindung der Einzelstücke dieses reichen Briefwechsels, zu dem sich die Schreiben gesellen, welche Frau Lea MendelssohnBartholdy, die Mutter des grossen Künstlers, an den Freund ihrer

Kinder

richtete, ist so geschickt

und tactvoll geknüpft, dass

Zeit häufigen Austausches, wenn, wie

Freunde getrennt ihr

fast allein

lebten, aus

Thun und



Freuden und Leiden wenige — hervortritt. lich in

den

Schilderung

als

der

der

in

meist der Fall war, die

Treiben, ihr Schaßen

und Denken, ihre genug gab es der letzteren

und glücklich

In den übrigen Lebensperioden, so nament-

am Anfang und Ende

sich Eckardt

es

den hin- und hergesandten Episteln

uns

des Buches behandelten, bewährt

vertraute

der Entwickelungsjahre

Zeit und Stätte derselben

uns

ragen das zweite und vierte Capitel

mit

der

Schriftsteller,

seines Schwiegervaters

heraufzubeschwören hervor:

«

weiss.

der

auch

Darin

Beim Königstädter Die dazwischen

Orchester» (in Berlin) und «Leipziger Anfänge». liegenden

sechs Jahre «In Dorpat» sind, vielleicht aus Rücksicht

für den grössten Theil

der Leser, sehr

kurz,

unserem heimat-

in

lichen Interesse viel zu kurz behandelt, bringen aber

um

so reichere

Briefe des Freundes und seiner Mutter und jüngeren Schwester.

Der Tod Felix Mendelssohns im Jahre 1847 zerschnitt das Verhältnis. «Das Schönste war doch weg, das kommt nicht wieder.» «Mehr wie ein mal hat David noch in späteren Jahren



gesagt, dass

Leben

das Leben

ohne

Mendelssohn

nur ein

doch

halbes

sei.»

Der Verfasser greift nun wieder vorzugsweise ein. Briefe Davids, Hillers, Schumanns unterbrechen nur spärlich den warmen Fluss der pietätvollen Erzählung in den Abschnitten «Nach Mendelssohns Tode», «Auf der Höhe des Lebens», «Der Tag ist Auf diesen Charakter seiner schönen Darstellung weist überlebt». Eckardt mit einem scherzhaften Worte Mendelssohns hin « Ueber:

:

schätzt

mich

nur ein bischen



die

anderen Leute

bringen das

durch Unterschätzung wieder ein.» Fr. B.

Herausgeber:

R.

Weiss.



Verantwortlicher Redactenr:

,tn:inojenuo neinypo».



Pcbcjl, 28 - ro Auj

Gedruckt bei Liiidfors’ Erben

r.js

H. Holländer.

1888

r.

in Boval.

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Zwei Balten Ober Goethe.

Gedanken über Goethe von Victor 1887.

Goethe

S. 327.

Hnrnnrk.

1

11 e

li

n.

-

Berlin, Gehr. Borntritger (Ed.

Eggern ),

8.

Epoche seiner Vollendung (1805—1832). Versuch einer Dar Stellung seiner Denkweise und Weltbetrachtnng von Dr. Otto

der

in

i

c

t

o r

handlungen

8.

hat sich schon durch eine Reihe von Ab-

Goethe

über

Goetheschen Dichtung

Gr.

S. 249.

Leipzig, Hinriehs, 1887.

Hehn

Freunden

deutschen

den

von einer so

vorteilhaften Seite

der

gezeigt,

man mit gutem Zutrauen ein neues Werk von ihm in die Hand nimmt. Und wirklich hat die Lectüre dieses Huches auf mich dass

einen sehr günstigen Eindruck

gemacht.

Klarheit als Selbständigkeit des Urtheils solchen vollen

Wärme

der Empfindung

Besonnenheit

und

des «Ausdrucks

ähnlichen Eindruck hinterlässt wie

Kunstwerkes

oder

die

Goethes «Dichtung und Wahrheit».

dankengang des Verfassers

in

zeigt ist

geschrieben,

das Anschauen

etwa

Lectiire

Es und

zugleich mit

den

von

Ich

einem

will

eben

löbliche Eigenschaft

hat

dass

es

eines

einen

schönen

Abschnitt

aus

versuchen, den Ge-

einzelnen Abschnitten wieder-

Denn auch

es

eben durch die

zum eigenen

Urtheil anregt.

das Buch, dass

Selbständigkeit des Urtheils mächtig

viel

einer so mass-

zugeben und daran einige eigene Gedanken anknüpfen.

die

so

dabei mit einer

Was ich einwende, soll also nicht den Leser mistrauisch machen gegen Hehns Behauptungen, sondern ihn selbst wo möglich wieder zu eigenem Nachdenken anregen: so werden wir UiHixrlK- Monulftwltriri.

Ban.)

XXXV,

llofk 2.

dem Verfasser

in

(i

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by

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Zwei Balten über Goethe.

82

am

seinem eigenen Sinne

besten danken für die

schöne Gabe, mit

welcher er uns beschenkt hat.

Schon dem ersten Aufsatze muss

unbedingte Anerkennung

ich

Er führt die Ueberschrift «Südwest und Nordost* und Gegenden Deutschlands bezeichnen, in denen Goethe sich während seiues ganzen Lebens vorzüglich aufgehalten hat. Seine Jugend verbrachte er bekanntlich, von dem dreijährigen

aussprechen.

will damit die beiden

leipziger

Aufenthalt

Mannes- und ganz

stätten

abgesehen,

an

Greisenalter

Da

Thüringen.

am Main und am Ilm,

der

in

Rhein,

sein

Mitteldeutschland,

in

denn nuu die Schilderung von Goethes Jugend-

ist

gelungen

vorzüglich

sie

;

ein

bietet

farbenreiches,

lebensvolles Bild jener Mischung von kleinen geistlichen und welt-

von

Staaten,

lichen

protestantischer,

jüdischer

katholischer,

Be-

völkerung, von Ritterburgen

und kleinen deutschen Reichsstädten und von den aus dieser bunten Mischung entsprungenen geselligen Zuständen Deutschlands, Berlichingen » nicht

so,

ohne

wie wir

,

deren Anschauung der «Götz von ihn haben, im

Kopf des Dichters

Besonders angezogen hat mich, der ich

sich hätte bilden können.

immer einmal einen Aufsatz: «Die Poesie der Landstrasse* schreiben wollte, die Schilderung des Vagabunden-, Bettler- und Gaunerthums (S. 18), welches sich in Süddeutschland r besonders nach dem siebenentwickelte und welches auch die Farben «Räubern» hergab, so dass auch in dieser Hinsicht

jährigen Kriege, Schillers

Erstlingswerke

beiden

kommen.

stehen

unserer

Weniger

späteren Aufenthaltsort,

will

grossen

in

Parallele

zu die

zu

mir Zusagen, was er über Goethes es befremdete

über Thüringen, sagt, ja,

mich einigermassen seine Behauptung als

Dichter

S. 22,

Goethe habe sich immer ich habe einen

Ich muss gestehen,

fremd im Norden gefühlt.

anderen Eindruck aus Goethes Dichtungen und Briefen bekommen.

Zwar

erinnere ich

mich ja wohl der Stellen,

von den Herrlichkeiten spricht, aber

so

scheinen

— kennt

;

unser Dichter hat.

doch seine

des

wo

er mit Freuden

süddeutschen Volks- und Naturlebens

der Verfasser Thüringen? Mir will es nicht

wie

dem auch

Reize

sei,

verstanden,

Nein, Weimar, Thüringen

das

ist

mir gewiss, dass

empfunden

war wirklich Goethes

und genossen zweite, seine

Heimat geworden, zum Segen für seine Dichtung und für uns. Soll doch nicht als ein Pilz der Mensch dem Boden eutwachsen Und verfaulen geschwind an dem Platze, der ihn erzeugt hat. Einen ähnlichen Gedanken war ich schon einmal in der Lage übei- Schiller zu äussern war ein Glück für die deutsche es geistige

:

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;

Zwei Balten über Goethe.

83

Literatur, dass Schiller im Süden Deutschlands geboren und erzogen

wurde, aber es wäre ein Unglück

für

gewesen, wenn er dort

sie

Seine Verbannung aus Schwaben hatte für

hätte bleiben müssen.

dem

ihn denselben Erfolg wie die Vertreibung aus

Kant

und

Schiller,

gleichen, nnd das

das erste Menschenpaar

für

ist

;

Paradies, nach er

lernte

ver-

schon geistig anregend; er lernte der eigenen

Kraft vertrauen, er erfuhr, dass die wahre Heimat des denkenden Menschen da ist, wo er seine Geisteskraft am freisten entfalten kann.

Auch

scheinen mir die S. 22 angeführten Gedichte uicht auf

den weimarschen Aufenthalt

zu

passen,

wo Goethe «zwar

in der

ersten Zeit sein Unbehagen noch nicht aisogleich geäussert habe»,

denn diese Gedichte sind ja

alle

aus

einer früheren,

der strass-

burger oder frankfurter Zeit. Man konnte nun freilich sagen, Thüringen habe durch seine Kleinstaaterei, die die Landkarte von Thüringen wie einen Stieglitz erscheinen lässt, an dem der liebe

Herrgott die Farben ausgewischt seiner Herrscher

hat, durch die aus der

Bildung, durch

wenn auch kleiue Stätten der

frühere Gleichgiltigkeit

die

Ohnmacht

seiner Bewohner, durch die

begünstigte Freiheit

vielen Residenzen als eben so viele,

gegen

die Geschicke

des deutschen Gesammtvaterlandes noch eine gewisse Aehnlichkeit

Wald mit dem Schwarz-

mit Süddentschland, so wie der Thüringer

habe

wald und den Vogesen, und Goethe kleinen

dem

deutschen Staates,

als Minister eines

sich

politischen

die

Interessen

einer

deutschen Grossmacht fremd waren,

in einer

Lage gefühlt wie

Bürgermeister seiner republika-

als Ratlisherr oder

nischen Vaterstadt Frankfurt

auch das gebe

ich



ähnlichen behaglichen

und das würde ich gelten lassen;

dem Verfasser zu

(S. 30),

dass

er

sich

noch

Hamburg, und unter dem strammen prenssischen Regiment nicht recht am Platze gefühlt haben würde aber Thüringen war jedenfalls für ihn das Land der weiter

nördlich,

etwa

in

Berlin oder

:

goldenen Mitte. als

Wollte mir der Verfasser einwenden, ich spreche

geborener Thüringer mit Vorliebe für meine Heimat, so würde

ihm entgegnen, er als Balte kenne die Schönheiten meiner Heimat nicht, oder mit den Worten des Schillerschen Demetrius «Du denkst als Pole, ich bin Moskaus Sohn«. Sehr geistreich ist aber dann wieder von S. 32 an die Ent-

ich

wickelung die

derjenigen

man ihm

Eigcnthümlichkeit

so oft zuiu

von

Vorwurf gemacht

Goethes Charakter,

hat. aus

den Verhält-

nissen seines Geburtslandes, einer Eigenthümlichkeit, die ich, ich

sie

mit einem

einzigen

Worte bezeichnen

sollte, nicht

wenn

anders

•o

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:

Zwei Balten über Goethe.

84 zii

Dieses Weltbürgerthum

Weltbürgerthum.

nennen wüsste als:

auf der einen Seite eben so sehr ein Fehler, als es auf

ist freilich

wo «das Volk aufSturm losbricht», da wird es, wenigstens von den bedem kühlen Weltbürger sehr übel vermerkt.

der anderen ein Vorzug steht, der

In Zeiten aber,

ist.

theiligten Zeitgenossen,

Goethe stand eben

Warte heissen

wie als Mensch «auf einer höheren

als Dichter

auf der Zinne

als :

der Partei», sollte

auch

diese Partei

Ohne

Verteidigung des heimischen Herdes.

dieses Welt-

bürgerthum wäre Goethe eben nicht Goethe wir müssen ihn hinnehnien, wie er einmal ist. Von Schiller durfte Weimar und im ;

höheren Sinne Deutschland sagen « Denn er war unser!» von Goethe darf die ganze Welt sagen, und wollte Gott, sie sagte es :

«Denn

er

i

Goethes Vorzug



ist

Vorzug

Schillers

unser.»

s t

seine



seine

ist

Deutschheit,

Verzeihung dem neu gebildeten Worte!

Weltheit.

Der zweite Aufsatz

«Goethe und das Publicum.

heisst:

Er

Literaturgeschichte im Kleinen. >

Auffassung der Goetheschen Werke Ist

Zeit.

wählt?

aber

Was

der Ausdruck «Publicum» wol

man

versteht

Eine

giebt uns eine Geschichte der

im deutscheu Publicum seiner

unter

Publicum

auch

richtig

ge-

Doch wol jenes

?

tausendköpfige Ungeheuer, welches nur als Masse eine Stimme hat,

welches seine Stimmung über äussert, dass

es

fein

dem, klatscht oder

ein Theaterstück

zu Hause

bleibt

Ungeheuer seine Stimmung über oder ehe es auf das Theater

Lesen

oder

Nichtlesen.

mangelung anderer

entweder dadurch

oder im Theater, je nach

Aber wie äussert

pfeift.

dieses tausendköpfige

ein Dichterwerk, welches

kommt ? Doch wol nur durch

Also

statistischen Nachweise, wie

z.

nicht

fleissiges

würde meines Erachtens

in

Er-

B. der Ausleihe-

bücher der Leihbibliotheken, nur die Zahl der Auflagen und Nachdrücke massgebend lich

diesen

sein

für die

Stimmung

Ausdruck und nicht etwa:

Denn mit der Zeitungskritik

Kritik,

befasst

wenigstens sich

das

mit

(ich

gebrauche absicht-

Urtheil) des «Publicums».

der zu

Publicum

schreibenden

nicht,

und

mündliche

kommt nur ausnahmsweise auf die Nachwelt, kann also Den sichersten Massstab würden vielleicht, gerade weil sie nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt sind, briefliche Urtheile geben, aber auch diese kommen entweder nur Kritik

nicht massgebend sein.

ausnahmsweise auf die Nachwelt, oder sie fliessen aus der Feder hervorragender Geister, die also auch nicht zum Publicum, wie ich diesen Begriff auffasse, gehören.

Und

drittens ist in diesen Briefen

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Zwei Balten über Goethe.

sagt, gewöhnlich

Feder

oder Hass, für oder eiu

solches

ist

es

85

Drang das

der Fall so selten, dass blosser innerer

Urtheil

persönliche Theilnahme,

in die

in

Liebe

gegen die Persönlichkeit des Verfassers, die

briefliches

Urtheil

Hätte

hervorruft.

Publicum nicht heissen müssen: Kritik? Für

es

also

statt

diese, die zeitgenössische

Zeitungs- und ßriefkritik, haben wir jetzt eine Sammlung, die

Verfasser wol als Quelle gedient hat es gestehen,

Entsetzen

linden

Genies nicht die

S

t

i

den

Albernheiten

ist

eben, dass

Stimme

mm

Nun

diese

ist,

wenn

des

fördert.

sie

auch recht wohl

u u g des Publicums, leider beeinflusst. Geist wie Lessing iu seinem !

freilich verdient (S. 59) ein

Lessing war

Urtheil über Goethes «Werther» gehört zu werden. gereifter, erfahrener,

abgekühlt er als der darum konnte er konnte es nicht, sage

des «Werther», aber eben

gerecht werden, er nicht mit

Werken

zu Tage

berufsmässige Kritik

zunft- und

des Publicums

ja mit einem ge-

den

die

,

gegenüber die zeitgenössische Kritik

Mein Trost die

vor

habe,

dem muss

ein Buch, das ich, ich

:

nur mit Widerwillen gelesen

dem Verfasser behaupten möchte,

der Unmuth,

ausser

Besitz

gesetzt

jugendliche Dichter

Werke nicht wenn ich auch

diesem ich,

dass «Neid, Eifersucht,

zu werden, Erbitterung» die

Ursachen dieses Nichtkönnens gewesen seien. Oder etwa behaupten, dass es ähnliche Motive gewesen seien,

Hehn

will

die

Goethe

hinderten, sich für Schillers Jugendwerke, die «Räuber», ja selbst

«Don Carlos» und «Ueber Anmutli und Würde» zu begeistern? Das wird Hehn nicht behaupten wollen, und ich selbst will es Goethe fühlte eben nicht mehr jugendlich genug, um für «Don Carlos» und seinen Weltverbesserer, Marquis Posa, zu schwärmen. Sagt er doch selbst einmal Was der Dichter in der Jugend und für die Jugend dichtet, kann auch nur von der Jugend den

auch nicht.

:

anerkannt und genossen werden, oder so ähnlich (im Gespräch mit Eckermann, den 17. Januar 1827). Es war ungefähr ein Jahr, seit

Lessing seine «Emilia Galotti» dem Druck

Ubergeben

hatte, als

sätze recht lebhaft:

und dem Theater

Goethes «Götz von Berlichingen», und

Jahre, als sein «Werther» erschien.

Man denke

sich diese

zwei

Gegen-

«Emilia Galotti» nur mit dem Verstände ge-

arbeitet, ein vollendetes

Kunstwerk, aber eben

weil

es

zu

sehr

Kunst werk

war, «Caviar für das Volk», und halte dazu Lessiugs

Aensserungen

über

Stücke

der

seinen

dichterischen

Genius

in

dem

letzten

hamburger Dramaturgie, und mau wild seinen Mis«Werther» begreiflich finden, ohne jene Motive zu

inuth über den

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Zwei Balten über Goethe.

86

Zudem, war denn Lessing auch wirklich so ungehalten über den «Werther»? erkannte er ihn nicht rückhaltslos für das Werk eines Genies ersten Ranges? Nur die Folgen beHilfe zu nehmen.

fürchtete er, die dieses

Werk, gerade durch

seine Genialität,

für

Leute haben musste, die eben keine Genies waren. Und hat ihm Erfahrung darin nicht Recht gegeben? Hatte er Unrecht, statt

die

des verführerischen Selbstmordes Werthers eine grössere Betonung

sinnlichen

der

als einen Ableiter zu

Kunstwerk

Befriedigung

überspannten Liebesgefühls

des

wünschen? Dann war

das Goethesche

freilich

eine genialere Parodie als die albernen

zerstört, aber

und hausbackenen «Freuden

des

jungen Werthers» von

Nicolai,

sie plante, hätte vielleicht dem Uebel wirksamer Weise gesteuert, und dann wäre das Goethe-

eine Parodie, wie Lessing in gleich

sche Kunstwerk für alle empfänglichen Seelen in seiner Schönheit

Wie wäre

unversehrt geblieben.

in

wenn Lessing das «Marthdem Besseren» (Lessing

es,

von «Werther

zweiten Scene

ehen» der

der Nat.-Lit. III. 2, S. 288) dazu bestimmt gehabt hätte, diesen

«übersinnlichen

etwas

zu

Freier»

sinnlichen

ungefähr

bekehren,

liebten» die

von

wie

Egle dies dem Eridon

seiner

Uebersinnlichkeit

Goethes «Laune

in

Dem muss

leistet?

des Verich weiter

nachdenken.

Geht

es

mir

mit Hehns bestrickendem Buch

doch

Gerade

wie Lessing mit Werther.

weil

mich

es

hoffentlich noch recht Viele fesseln wird,

so

wünschte ich

dadurch ein schiefes Licht auf Lessings edlen Charakter seiner Stellung zu Goethes Faust, den

er nur gehört

hatte, ist es ähnlich,

Hatte er etwa

kehrt.

hätte sich der sittliche lichen,

nicht

er

oder wol

er,

kannte, von

dem

auch gerade umge-

Mann, dessen einzige Liebe zu einer glück-

dem Teufel ergeben

habe,

höchste Seligkeit

dessen Faust durch die

was konnte

Liebe

Was

wenn

Ekel

an der Wissen-

er sich daraus machen,

die Wissenschaft, das Studiren war,

zur Wissenschaft

werden sollte? Ich wiederhole:

nicht verstehen, auch

lied,

und

Mit

nur zu kurzen Ehe führte, daraus entnehmen könuen ? Oder

dessen

führt

fiele.

der Gretchenkatastrophe gehört, was

von

hatte er davon gehört, dass Faust sich aus schaft

ähnlich

fesselt

nicht, dass

er

vom Teufel

konnte

ver-

Goethes Faust

er ihn noch genauer gekannt hätte.

der Verfasser dann von Goethes Verhältnis

zum Volks-

von der verschiedenen Auffassung und Nachahmung desselben

bei den zeitgenössischen Dichtern und der verschiedenen

dieser Dichtungen vorbriugt, ist

eben

so

wahr

als

Aufnahme

schön gesagt.

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Zwei Balten

Was

Knaben»

87

Goethe.

mir dieser Mangel von Goethe

(S. 70) betrifft, so scheint

zu

beabsichtigt sicht

tiber

den mangelnden Schluss der Ballade Goethes vom «untreuen

aber ihren

um das Schauerliche zu erhöhen, Zweck verfehlt zu haben, weil man

sein,

Ab-

diese

allerdings

immer nach der Auflösung des Räthsels begierig ist. Aber Goethe hatte nicht allein bei dem Volke mit der Unempfänglichkeit für seine doch dem Volke entlehnten Dichtungen zu kämpfen auch bei seinem Herzog fand er Abneigung gegen das Deutsch-Volksthiimliche, gegen die Nachahmung des Shakespeare und Hinneigung zu der Pseudoklassik der Franzosen. Der Verfasser scheint mir sehr Recht zu haben, wenn er (S. 75) des Herzogs Wohlgefallen an dem Gedicht «auf Miedings Tod» nur darauf zurückführt, dass Mieding zu den Vergnügungen seines kleinen Hofes Beziehungen hatte. Ausführlich ergeht sich der Verfasser Uber die Aufnahme der ;

Goetheschen

Schöpfungen

Romantiker, wie

sie

der

bei

jüngeren

vielmehr sich

der

Dichterschule

anfangs Schiller fallen Hessen,

deu Schild zu heben oder

um Goethe

auf

unter seinem Schilde zu

decken, wie die Schlangen bei Virgil unter der Aegis der Minerva,

wie sie aber dann, als

auch

glaubten,

sie selber eine poetische

gegen Goethe

widerhaarig

Macht

wurden.

vorzustellen Schiller

kannte seine Gegner sehr wohl

und

Goethe

ihm spater schlecht lohnten.

sie mit Artigkeit, die sie

behandelte

er-

sie rücksichtslos,

Nun

zwar der Verfasser Schiller gegen die Abkanzlungen, ihm Friedrich Schlegel zu Theil werden liess, nicht aber ohne rügen, den ich nicht finden kann Schlegel weht «aus Schillers edelsten und lebendigsten 125).

verteidigt die

an Schiller einen Mangel zu (S.

Werken ist

Hauch

bisweilen der

Schlegels Sache

;

einer innereu Kälte entgegen».

Das

ich bedauere ihn wie jeden, der bei Schillers

Dichtungen nicht warm wird

;

wenn aber Hehu

diese

Empfindung

der Kälte zugesteht und

sie aus einem «Rest poetischen Unvermögens» erklärt («Schiller wusste nicht alles, was er ergriff, in Phantasie aufzulösen und fiel dann öfter in sein Element, die Rhetorik, zurück»), so möchte ich den Verfasser fragen, ob bei

einem Dichter, der

alles

im Lichte der Poesie verklärt sah, von

einem «Rest poetischen Unvermögens» die Rede sein kann.

was

heisst in Phantasie auflöseu ?

Klares dabei gedacht? für

:

Poesie

V

Endlich

es

Hat

etwa

sich

;

von seinem

Ferner:

der Verfasser etwas

verschrieben oder verdruckt

die Rhetorik Schillers

:

geht durchaus nicht an Wallenstein

Ist

Element zu nennen,

eher würde ich statt Rhetorik sagen, wie

Max:

das «Feuer

seines

liebendeu Ge-

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Zwei Balten über Goethe.

88

Aber

fühle».

streiten

;

es

ist er

:

ästhetischen

Gründen zu

Moliereauf das Urtheil seiner Magd,

ich berufe mich, wie

aut mein Gefühl folglich

weitläufig, mit

zu

ist

jeder Vers Schillers zittert mir durch alle Nerven,

(und nicht blos mir) ein echter Dichter, ein ganzer

Dichter, ein grosser Dichter.

nach meinem Sinn

Sehr schön und ganz

dann wieder die

ist

Auseinandersetzung von Tiecks Verhältnis zu Shakespeare mit ja,

dem

er

mehr

f.),

den er zu einer Art Tieck macheu wollte, während Tieck besser

gethau hätte, sich

zu

Art Shakespeare zu

einer

Shakespeare nicht kennt, wird sich aus Tiecks der

Wirklichkeit

geradezu

*

Wer

macheu.

Dichterleben» eiueu

entgegengesetzten

machen.

ihm

von

Begriff

% Anwalt der siiudigen, von urtheilenden Menge rücksichtslos verdammten Mensch-

Vortrefflich ist sodann

der lieblos

Goethe

heit geschildert (S. 137), seine

so

134

(S.

coquettirte, als dass er ihn recht verstanden hätte,

als

Nachsicht gegen das Publicum, das

wenig Nachsicht gegen ihn

hatte,

wahrheit, sein Hass gegen Heuchelei.

sein

Dringen

auf Natur-

Dieses Dringen auf Natur-

wahrheit, der auch noch in späteren Jahren bewahrte und bewährte

Würde und

titanische Trotz auf seine

jeder Bemäntelung bittere

um

seinen Werth, die

Verwerfung

der lieben Conveuienz willen hat ihm manche

Stunde gemacht, und er hat schwer genug für das gebüsst,

was er that, ohne die Gesellschaft um ihre Erlaubnis zu fragen. Fern sei es daher von uns, einen Stein auf ihn zu werfen im ;

Gegenthei.l

fühle

ich

mich

mit

fassung von Goethes Verhältnis Christiane Wulpius.

Er

findet

Hehn durchaus sowol

einig in der Auf-

zu Frau von Stein als zu

und

«psychologisch

sittlich

viel

dunkler als das Verhältnis zu Christianen den zwölfjährigen Liebes-



weil der letztere mit der immer bund mit Charlotte von Stein reinen Natur nicht in so vollem Einklang zu stehen scheint als

jenes».

jüngst

Denn

wenn

erschienenen

wirklichen Ehebruch halte

ich

auch

Schrift:

nicht

mit

der

und den vollzogenen sinnlichen Ehebruch

Tüpfelchen» nennen möchte, so halte geistigen Ehebruch für moralisch

haben unsere

beiden

ich

einer

von Stein» den

dem

geistigen

nicht blos das «I-

doch auch wie jene den

eben so aufreibend.

Und

leider

grössten Dichter, Goethe uud Schiller, diese

Erfahrung machen müssen, oder vielmehr, zu ihrer eigenen späteren geistigen und

Durchgaugspunkt

Verfasserin

«Goethe und Frau

für ganz gleichbedeutend mit

nicht

erspart

worden.

sie ist ihnen,

sittlichen

vielleicht

Läuterung, als

Aber eben

so

leicht

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89

Zwei Balten über Goethe. halten

auch

sie

in

Kampf

diesem moralischen

zu Grunde gehen

können.

Nun

vielleicht

diesen unmoralischen Verhältnissen noch Dank abzuDenn schwerlich würden wol ohne diese Verhältnisse «Don Carlos» und Goethes -Wahlverwandtschaften» so,

statten.

Schillere

da dies nicht geschehen, hat unsere Literatur

freilich,

Die Rolle, die ich «Marthehen» in

wie sie sind, entstanden sein.

Leasings Parodie bei Goethes Werther spielen lassen wollte, spielte Eine wirkliche, standesChristiane bei Goethe in Wirklichkeit. aus

den Banden der

befreit haben, vorausgesetzt, dass

Goethe überhaupt

gemässe Ehe würde Goethe

Frau von Stein

nicht

vielleicht

jemals Neigung gehabt hätte, eine

solche

Aber

einzugelien.

ich

dass gerade Behauptung aufgestellt dass Frau von Stein nicht aber gerade dadurch die Seine werden konnte, dieses aufreibende Verhältnis so lauge haben dauern hissen, länger auch anziehende

habe

anderswo die

schon

Goethes Ehescheu

und

.

,

der Umstand,





als

das zu jeder Anderen, die

Doch

ich finde, dass

ich

gemesseuen Raumes gelangt

frei

und za haben war.

über die Hälfte des mir zu-

schon bin,

ohne

solches

Buch

noch

die Hälfte des vor-

Warum

kann mau über ein Buch schreiben? Doch freilich würde

liegenden Buches erreicht zu habeu. nicht wieder ein

dann eintreten, was Goethe in der ersten «Epistel» sagt: Dass auch Andere wieder darüber meinen, und immer So ins Unendliche fort die schwankende Woge sich wälze. Glücklicherweise fühle ich mich auch in dem Folgenden so im Einklang mit legenheit

zu

wenigstens,

möchte,

Denn

ist,

dem

einem

wenn was

Verfasser, dass ich nur noch einmal die Ge-

Einwand

ergreifen

ich auch nicht

ganz

will.

Beherzigenswerth

unbedingt ihm beipflichten

er S. 175 Uber die «Goethe-Philologie» vorträgt.

allerdings ist zu befürchten, dass mit dieser «Akribie», deren

sich die Philologen so

gern

für die Lectiire des Dichtere

wird.

rühmen, das

grössere Publicum nicht

gewonnen, sondern davon abgeschreckt

Für meine Person möchte

der «Goethe- Philologen» nicht

Methode Grammatik

ich freilich diese kritische

gern

entbehren, da die

und die Lexikographie unserer geliebten Muttersprache davon Nutzen ziehen.

Ausserdem entbehren solche gelehrten Ausgaben auch keinesan den immer zahlreicher

wegs ihres Publicums, wie man schon

werdenden Sammlungen von Neudrucken sehen kann, die einer sorgsamen kritischen

Methode behandelt werden.

alle

nach

Die höheren

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Zwei Balten über Goethe.

90

Schulen und besonders die Universitäten mit ihren germanistischen Seminarien, in denen auch

ist

immer mehr neudeutsche

der Preis einer" kritischen Einzelausgabe,

fragments,

Und

sich ihn leisten kann.

z.

B. des Faust-

auch ein Student oder ein

geringfügiger, dass

so

ein

Gymnasiast

Schriftsteller

schon ein Beträchtliches;

worden, absorbiren

erklärt

philologisch

auch

so wird wol auch die Zeit

mehr fern sein, wo die niemals für die Oeft'entlichkeit bestimmt gewesenen Herzensergüsse Goethes an die Frau von Stein als Material gebraucht werden, um die Studenten in der Bestimmung von Lesarten und Briefdaten zu üben. Es wird also wol eine doppelte Art von Ausgaben geben müssen, die eine für das genicht

bildete, die

andere für das gelehrte, lehrende und lernende Publicum.

Trefflich ist

lebens», in

nun

der Aufsatz:

«Naturformen des Menschen-

dem aus dem Panorama Goethescher Dichtungen uns

der Mensch in seinen verschiedenen, durch Stand, Alter, Geschlecht,

Beruf oder Neigung bedingten

typischen Verhältnissen zur Natur

vorgeführt wird.

Die verschiedenen «Stände» zeigt uns dann der

folgende Aufsatz

in

zur Kirche, zur Gesellschaft.

ganz

phantasie»

zum Ganzen, zum

ihren Beziehungen

den

Hingegeu

herrlichen

widmet, und jedenfalls

ist

ist

dies eine der

Betrachtung Goethescher Dichtung. Mir

Staat,

der Abschnitt «Natur-

Goethes

Naturschilderungen

ge-

wichtigsten Seiten in der

ist

der Unterschied zwischen

ihm und Schiller gerade von dieser Seite immer am deutlichsten geworden Für Schiller redete die Natur immer nur die Sprache, die er selbst ihr lieh; es ist das eben Schillers grossartiger Idealis-

mus; und allerdings war sein Geist reich genug, Das Todte zu beseelen,

Er Erdkreis

Mit dem Stoff sich zu vermählen. Karl Moor es wünscht, einen eingeäscherten bevölkern können. Er war wie

hätte, wie sein

mit

Pygmalion

seinen Phantasien

fähig, mit

Liebesarmen sich um die Natur zu schlingen,

Bis sie zu athmen, zu erwärmen

Begann an seiner Dichterbrust. Ganz anders Goethe. Für ihn redete die Natur Sprache, ja sogar eine doppelte, eine dichterische und sche, die

Sprache

der Poesie

ihre eigene

eine prosai-

Es

und die der Wissenschaft.

eben so anziehend als lohnend, aus Goethes Dichtungen eine lung

von Naturschilderungen

denn auch der Verfasser uns die Natur

zusammenzustellen

in meisterhafter



und

Weise gethan



ist

Samm-

dies hat

aus der

zur Tages- und Nachtzeit, im Sommer, im Winter,

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Zwei Balten über Goethe. im Frühling und Herbst, im Gebirg. auf öde

entgegentritt, dichterisch

Aber

immer

in

91

dem Wasser,

in

der Ein-

reizender Gestalt.

gleich

diese Quelle Goethescher Dichtung ist unerschöpflich, und es

wäre daher für einen Nachfolger des Verfassers

vielleicht empfehleus-

werth, einzelne darin besonders reichhaltige Dichtungen, wie Faust

und Werther,

Den

in

diesem Sinne zu besprechen.

Schluss macht ein Aufsatz,

den

mich

ich

war

es nur ein ähnlicher.

doch angeben sollen,

die

,

1 .

eher «Studien» als «Gedanken» sind,

allerdings

fehlen

Auch Goethes «Gleichnisse» sind eine dichterische Welt für man kann nicht sagen, man lerne aus ihnen, in welchen

hier.)

sich

wo diese «Gedanken über Goethe» Hehns Aufsätze im Goethe-Jahr-

und

ob

vielleicht

;

(Nebenbei bemerkt, hätte der Verfasser

schon einzeln gedruckt waren

buch 1

eriunern

zu

glaubte mit Vergnügen schon eiumal gelesen zu haben

;

Sphären der Dichter besonders heimisch sei, denn er ist eben in allen heimisch, und diese Bemerkung, wenn sie richtig ist, gäbe wieder einen hübschen Anlass schen

Gleichnisse

in

der Goethe-

zu einer Vergleichung

beschränkten

den

mit

Universalität

ihrer

Sphären etwa der Klopstockischen oder der Homerischen. Goethes Dichtungen sind

so

wol auch werden

gelegt werden können und

wie in diesem Buche;

eine ausgiebigere Beute

Was

nommenen.

gewähren

den Einwand

noch hundert

reichhaltig, dass

ähnliche Durchschnitte durch dieselben

aber

gewiss wird keiner

Hehn

als die von Victor

betrifft,

den

ich

vorge-

zu machen

noch

hätte und den der Verfasser, da er nun ineine Vorliebe für Schiller kennt, vielleicht

der (S.

Raum

schon

mangelt,

errathen

auf

223) «die Gestalten

einen

blutlose Schatten, aus schönem

an uns vorübergehen». mit mir. für

Stellen dieses

1

vor.

I). '

Und

freudige

so beschränke ich mich, da

Redeschaum

hoffentlich

Schiller wenigstens

sehr

ihn

hat,

blossen Protest.

Ich

leugne, dass

der beiden Liebenden im Wallenstein, als gebildet, wirkungslos

leugnen

dies

recht Viele

machte im weimarschen Theater die

Wahrnehmung, dass gerade

die

lyrischen

Dramas den meisten Eindruck machten.

Unseres AVisseu» liegt

liier

eben die Veröffentlichung

zum

ersten

Male

K e d. Im Goethe-Jahrbuch Bd.

«Kmiges über Goethes Vers» und Mittheilungen zu Goethes «Deutscher Parnass» ltd. 8 «Goethe und die Sprache 6:

;

:

der Bibel».

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Zwei Halten über Goethe.

92

Nicht ganz so anregend, aber eben so gediegen

Otto Harnack:

von

Nur muss

einverstanden

nicht

nämlich

von 1805

Titel

«Epoche seiner Vollendung»

gerade 50 Jahre

andere Künstler

Werk

dem

von vorn herein mit

seinem Tode,

zu

das

ist

Epoche seiner Vollendung!.

in der

ich

Diese

biu.

bis

1805 war Goethe welcher

«Goethe

ich gestehen, dass

das

alt;

ist

Periode, in

die

gewöhnlich Feder, Meissei

soll

Im Jahre

1832, gehen.

oder Palette

Das hat nun Goethe freilich nicht getlian; genug geschaffen, reife Früchte seines

hinlegen und ausruhen.

er hat noch Meisterwerke

Alters, aber doch seines Alters. Ich begreife gar nicht, wie man dazu kommt, Goethe zu einer Art umgekehrtem Wunderkinde

machen zu wollen, zu einem Jüngling im Greisenhaar. Oder will nicht gelten lassen, was Goethe selbst den Dichter im «Vor-

man

auf dem Theater» so schmerzlich vermissen lässt: seine dichte-

spiel

Jugend?

rische

Darin meine ich fast Goethe besser

als seine Enthusiasten, die

die

z.

zu verstehen

dem zweiten Theil des Faust

B. in

ganze Jugendkraft des ersten wiederfinden, für die Goethe ein

und derselbe Unvergleichliche

der Jugend

in

ist,

im Alter.

wie

In seiner lateinischen Gedächtnisrede auf Goethe führte Eichstädt,

Gedanken aus: es sei bewundernswerth, wie in den Dichtungen dieses einen Mannes alle Gattungen der Poesie, und zwar in ihrer höchsten Vollkommenheit, vertreten seine Creatur, den ganz richtigen

durch

seien,

die

ganze

die

Epochen geglänzt habe,

Romane entstanden wird es

aber doch

uische Zeitalter

ja

griechische Literatur

ln

nicht

allen

allen

in



ihren Epochen

keinem Verständigen

ihren

denn die

im alexandrinischen Zeitalter.

Nun

einfallen, das alexandri-

wegen einiger schönen Romane und Kunstdichtuugen

etwa dem perikleischen an die Seite setzen zu wollen. Und gleichwol war das alexandrinische Zeitalter, ja die römische Dichtung Aber wer wild noch eine schöne Nachblüthe des Hellenenthums. von

diesem

Zeitalter

Gelehrsamkeit,

der

Vertiefung die Jugendfrische etwa

warten

?

Periode.

mir

in

Und Goethes Mir

ist

Goethe

dieser Hinsicht

Alter

jedes

mit

des

Greisenaller

seinen

gerade

geradezu

ist

eben seine alexandrinische

deshalb

der

wissenschaftlichen

der

homerischen Zeitalters er-

so

gross,

in

sich

er

ist

weil

er

ja,

Mensch,

normale

Eigenthümlichkeiten

rein

aus-

Jugend Jüngling, in Er war sich als Greis recht wohl beseinem Alter Greis war. wusst, was er gegen die Gnadengaben seiner Jugend eingetauscht hatte uud wusste die Gnadengaben des Alters wenigstens und

durehgelebt

,

hat,

weil

er

in

seiner

,

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Zwei Balten über Goethe.

seines

Alters,

der

in

93

würdigsten Weise

schicklichsten,

anzu-

wenden.

Doch

ins

bekannte Saitenspiel

Mit Muth und Anmuth einzugreifen,

Nach einem

selbstgesteckten Ziel

Mit holdem Irren hinzuschweifen, Das, alte Herrn, ist Eure Pflicht, Und wir verehren Euch darum nicht minder. Soll nun aber einmal eine Epoche in Goethes Dichterleben als die seiner «Vollendung» bezeichnet werden, so würde ich die Jahre seit seiner italienischen Reise bis zu Schillers Tode, also gerade die nächst vorhergehende, als solche benennen. Es ist die, welche, nach Rosenkranz’ Vorgang, wenn ich nicht irre, gewöhnlich und sehr zutreffend die idealistische genannt wird (so auch von

Gödeke),

im

Gegensatz

zu der

Gödeke, oder titanistischen, wie der Periode

bezeichnet,

sie

charakteristischen,

wie

sie

weniger zutreffend Rosenkranz

seines Götz,

Werther und ersten Faust.

Aber wenn ich diese Werke nur nenne, die zu ihrer Zeit DeutschEuropa entzückten, wird man da nicht schon zugestehen, Das heisst: vollendet

land, ja

dass Goethe schon damals «vollendet.» war? als Jüngling,

Marmor anf aber

einmal

als Götterjüngling,

der

als

welcher

er

auch

noch

weimarschen Bibliothek festgehalten wird.

Epoche als

seine idealistische

festgehalten werden, nun so

ist es

seiner Iphigenie, seines Tasso, die,

die seiner

im Soll

Vollendung

entschieden die der Vollendung

wenn auch

nicht

mehr das Ent-

zücken Deutschlands, aber doch die stille Freude aller Gebildeten aller Völker Europas ausmachen und als «Tröster der Schulen», noch halb unverstanden,

Leben begleiten. halb

den Jüngling

von

der Schulbank

das

in

Als Verehrer Schillers würde ich es schon des-

gutheissen

nicht

können,

dass

Goethes

«Vollendung»

erst

nach Schillers Tode, wo er vereinsamt war und einen Theil seines Selbst

sich

entrissen

fühlte,

anheben

sollte.

Im Gegentheil

ist

«Die natürliche Tochter», die noch zu Schillers Lebzeiten gedichtet in gewissem Sinne der Abschluss dieser idealistischen

wurde

,

Periode und trägt schon Spuren

auch

der

neueste Herausgeber

der alternden Dichterkraft, derselben (Schröer

National-Literatur) dies nicht zugeben will.

in

wenn

Kürschners

Jedenfalls hat Schiller

Recht, wenn er über «Hermann und Dorothea» an Heinrich Meyer schreibt (den 21. Juli 1797): «Sie werden gestehen, dass es der Gipfel seiner und unserer ganzen neueren

Kunst

ist.



Bs

ist

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Zwei Balten über Goethe.

94

welcher Leichtigkeit

unglaublich, mit

wohlangewandten Lebens und

er

jetzt

Früchte eines

die

anhaltenden Bildung an sich

einer

selber einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind,

wie ihn die Klarheit über sich

über die Gegen-

und

selbst

stände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrte.

Der

>

XLIV), dass die Bezeichnung dieser Epoche, der Epoche von «Hermann und Dorothea» als der einer Periode «innerer Gährung» «seltsam» erscheinen muss. Und das Verfasser

fühlt

tliut sie in

selbst

(S.

Aber wenn auch eine solche Bezeichnung werden muss, so kann doch das Buch eine Gedanken enthalten und enthält sie wirklich.

der That.

als verfehlt erachtet

Menge

trefflicher

Schon nach dem Titel Hess sich erwarten, dass uns jler Verfasser, im ergänzenden Gegensätze zu Hehn, mehr in die Werkstätte des denkenden als des dichtenden Goetheschen Geistes einführen würde, und so ich,

Nach

findet es sich.

der

Verfasser

würde

einer Stelle der Vorrede vermuthete

uns,

wenn auch

gerade

nicht

blosse

ähnliche Auslesen

oder

«Lichtstrahlen» oder «Goldkörner»

aller-

hand geistreicher Aussprüche, aber doch im wesentlichen nur eine nach Fächern geordnete Sammlung Goethescher Aussprüche über Sehr angenehm fand ich Wissenschaft, Kunst und lieben geben. mich daher enttäuscht, als mir statt dessen

-

eine selbständige Be-

trachtung der Goetheschen Denkweise, durchzogen mit Belegstellen nicht blos

aus seinen Werken, sondern

und anderen Quellen, vor Augen lesenheit des Verfassers

nicht zersplittert,

am

Einzelne

auch aus

seinen Briefen

von einer grossen Be-

die

trat,

zeugen, aber

einer Belesenheit, die

immer das Ganze im Auge hat

die

und

schicklichen Orte einreiht

sich

und das

einigermassen ein

so

System auferbaut, welches

als solches

Werken

aber doch darin eingefältelt liegt wie,

nicht zu finden

ist,

nach Olearius, die zehn Gebote im cor/ms

Der weise».

erste Abschnitt giebt die «Grundlage Goethesclier

Hier constatirt der Verfasser

jeden Versuche, die eines

allerdings in Goethes

juris.

logisch

Summe

(S.

aufgebauten Systems

zu

fassen,

vollbewusst mit unüberwindlicher Skepsis wiss,

denn hätte er ein System

auch

geschaffen

,

und

dann

wesentlich andere geworden.

Laune, sondern

aus

fi),

schatten

Denk-

«dass Goethe einem

menschlicher Erkenntnis

in

das Ganze

grundsätzlich

so

hätte

und Ge-

gegenüber stand». wollen,

er

es

wäre des Verfassers Aufgabe eine Er wollte es aber nicht, nicht ans

dem Wesen

seiner Dichternatur

nur im Einzelnen das Ganze schaute,

aber

heraus, die

eben deshalb auch im

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Zwei Balten über Goethe.

95

SchAuen dieses Einzelnen sich nie genug thun konnte, immer nach neuen Gegenständen der Erkenntnis tastete und sich nie dazu verstehen konnte, das Einzelne nur als Beleg

Voraus

bereit gehaltene

darauf

aus,

deshalb, weil viel

dem Gebäude

aus

schwerer heraustreiben

als selbst eins

eines Systems

lässt als aus

Du

Prächtig habt ihr gebaut.

Nun

für eine im Geiste im

Er ging eher

Behauptung zu handhaben.

Systeme zu zerstören,

zu bauen, schon

sich

der Irrthum

einer Einzelbeobachtung.

Himmel, wie

lieber

treibt

man,

er so königlich erst wohnet, den Irrthum heraus?

sagt er bekanntlich von dem Newtonschen System.

mehr

galt ihm

nothwendig

Consequenz, die doch

als

Und wohl uns, dass dem so war! Tag über mit Systemen bis zum Ueberdruss

bildung gehört. der den

und Schüler Erholung heiteren

Räumen

der

der Tausend und

Alles

zugleich

Unten

ist.

wenn

finden,

blüht,

Alles uns in

oder

wächst

Einem

zur System-

Wo

sollte sonst

geplagte Lehrer

beim Dichter,

nicht

wo, wie

Phantasie,

einen Nacht

Wahrheitsliebe

in

den

den Wunderländern

in

den Gärten des Alkinoos

in

und gedeiht,

kein

Oben und

kein

seligen Wohlgefühl zerfliessen lässt!

Ja, auch der Schöpfer vou Systemen, der Denker, der Naturforscher,

der Sprachkundige

müssen

alle,

dass dies

in

ihm

Lehre gehen, und

die

immer mehr gerade von den bedeutendsten Gelehrten

geschieht (ich erinnere

das

von Wieland

nach Schillers

eingeflüsterter Forderung, beim Dichter

ist nicht

nur

an Alexander

von Humboldt), gerade

das geringste unter den Verdiensten

unserer grossen

Dichter de3 vorigen Jahrhunderts.

Der Schätze, die der Denker aufgehäufet, Wird er in euren Armen erst sich freun,

Wenn

seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet,

Zum Kunstwerk wird geadelt sein. Der zweite Abschnitt behandelt «Goethes Wenn

giöse Anschauungen».

Consequenz,

so

ist

es

religiösem Gebiete die Menschenliebe ja,

dass ihm der Glaube

dass

ihm

mehr galt

an sich

Glaube, der durch die Liebe thätig

Uud Und

ethische und

reli-

Wahrheitsliebe Goethe mehr galt als

begreiflich,

nichts

auf ethischem und

als Priestersatzungen, galt,

sondern nur der

ist.

dein Streben, sei’s in Liebe, dein

Leben

sei die

führt der Verfasser selbst an (S. 18).

That

Und dadurch

stellt er sich

ebenso über die Kirchensatzungen, wie durch seine Wahrheitsliebe über die Systeme, und wenn ich oben behauptete, der Denker habe

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Zwei Balten über Goethe.

96

von dem Dichter zn lernen, so habe

von den Denkern natürlich

icli

Und

auch die denkenden Theologen

nicht

war er

grossen Nebenbuhler Schiller voll-

kommen

Aber

einig.

seinem

mit

gleichfalls

wohl

als die

achtete

er

Grundlage seines Glaubens wie zu

nichts

hierin

er blieb ein getreues und gläubiges Mitglied

seiner, der protestantischen Kirche,

durch

ausgeschlossen.

ersetzende

Urkunde

aus

die Bibel

eben so

ehrwürdige,

als eine

Zeiten,

in

die

keine

anderen ähnlichen hinaufreichen, und thut von ihr den beherzigens-

ewig wirksames Buch, weil, so lange die Welt steht, niemand auftreten und sagen wird: Ich begreife es im Ganzen und verstehe es im EinWir aber sagen bescheiden: im Ganzen ist es ehrwürdig zelnen. werthen Ausspruch

und im Einzelnen zu entsagen,

um

Faust weiter zu schliessen, in

(S. 45):

ist es

ist

die Bibel ein

Dem Verbände

anwendbar.»

seiner Kirche

entweder als Philosoph

wie Spinoza auf eigene

einem

anderen Verbände anzu-

leben oder

dem

«Deshalb

sich

ist, wäre ihm Haut zu fahren

und erzogen

inan nicht geboten

eben so unmöglich gewesen, als

aus

der eigenen

und sich daneben zu setzen. Friedrich Schlegels Uebertritt zur katholischen Kirche erschien ihm als ein Act der Selbstvernichtung. Betrachtungen über Goethes Naturanschauung, seine Kunstanschauung und seine Auffassung der politischen und socialen Vermachen den weiteren Inhalt des interessanten Buches ans. In der ersteren spielt natürlich auch Goethes Polemik gegen Newton eine Rolle. Ich habe Goethes Farbenlehre noch nicht hältnisse

vollständig gelesen, und doch glaube ich, so weit ich sie und seine

anderen

naturwissenschaftlichen

kenne

Schriften

können, dass es mit ihr so bestellt

wie

ist

,

behaupten

zu

mit manchem anderen

Buche, wie ich schon oben sagte, dass man unendlich viel aus ihr lernen kann, trotzdem dass, ja vielleicht gerade weil der Verfasser sein

Hauptziel

Systems.

nicht

erreicht

hat:

den

Sturz

des Newtonsehen

Denn hat er es nicht gestürzt, so hat er es erschüttert, Anhänger desselben genöthigt, neue Stützen zu suchen alten zu befestigen. Er hat auf einem anderen Wege der

so hat er die

oder die

Wahrheit beizukommen gesucht ist

das

nicht

I

Vorausgesetzt,



wie

dass

liebenden Geiste wie Goethe ausgeht.

anregend, wie

es

erfrischend

von einem so wahrheits-

Der Verfasser

charakterisirt,

das Newtonsche Experiment mit der dunklen und dem gebrochenen Lichtstrahl sehr richtig (S. 83) als

meines Bedünkens,

Kammer

trotz der anscheinenden Complicirtheit «nur darauf ausgehend, das

Phänomen um

so

reiner

darzust eilen

und

so gerade jene Forde-

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Zwei Balten über Goethe.

97

rungen beständiger Vereinfachung der Phänomene bis zur Erreichung

Urphänomens, welche Goethe selbst aufstellt, zu erfüllen.» Aber zwischen dem, was ein Dichter ahnt und was ein exacter Forscher beweist, ist immer noch eine so gewaltige Kluft bedes

festigt,

der Verfasser

dass

sehr recht

gethan hat

(S. 102),

jeden

Versuch, Goethe als Vorläufer Darwins hinzustellen (auch Herder ist

als solcher bezeichnet worden),

Man

thut mit solchen geistreich scheinenden Vergleichungen beiden

Theilen

muss

kurzum von der Hand zu weisen.

bei

freieren

Der exacte Forscher, wie ich schon sagte, dem Dichter in die Schule gehen, um durch ihn einen zu gewinnen, um einen Zusammenhang des

Unrecht.

Ueberblick

Weltganzen ahnen zu lernen diesen Dienst konnte Goethe Darwin leisten oder hat ihn ihm geleistet, was ich nicht weiss, und sicherlich würde auch Goethe durch die Ergebnisse von

grossen

;

Darwins Forschungen befestigt

haben

;

das

sich

seiner Natur- und

in

aber auch

ist

der

einzige

Weltanschauung

Zusammenhang

zwischen beiden.

So

viel

hatte

ich

Leistungen zu sagen

;

für

diesmal

Über

genügt, denke

es

Helms und Harnacks

ich,

um

zur Lectüre der-

selben anzuregen, ohne sie überflüssig zu machen.

Sulza

in

Thüringen.

Dr.

'

RaltUche Monatsschrift.

Rand XXXV, Heft

Robert Boxberger.

kam die Kaiserin. Der Empfang war sehr freundlich, den Uebrigen gab die Kaiserin die Hand zum Kusse, die Fürstin nahm sie mit sich. Das rührte die Fürstin und benahm ihr den Zorn. Sie küsste der Kaiserin leidenschaftlich die Hand und bat, das Geschehene zu Gleich darauf

vergessen.

«Aber gestehen

Sie,

Fürstin

...»

«Majestät,» unterbrach diese, «eine graue Katze

zwischen

lief

uns hm, wollen wir selbige nicht wieder herbeirufen!»

Die Kaiserin lachte und ging auf ein anderes Thema über. Die Fürstin blieb zum Diner und war entzückt über den Frohsinn und die Liebenswürdigkeit der Kaiserin. Allein mit der Zeit

trat

es

doch

immer deutlicher hervor,

dass das Verhalten der Kaiserin nur Liebenswürdigkeit, keine auf

festem Vertrauen beruhende Freundschaft war.

So ging

die Fürstin

auf dem Lande frischte

sie.

stolz auf die

Sie

1795 zu ihren Brüdern

stärkte

und

lebte

ganz

;

der Aufenthalt

das Zusammenleben der Verwaltung

mit

ihrer

ihnen er-

war

Güter,

Wohlfahrt und die Wohlhabenheit ihrer Bauern.

Später hatte

sie

die Freude,

zu erfahren, dass

die Kaiserin

von ihr spreche und sie zur OberhofAlexandra nach Stockholm bestimmt habe.

mit grosser Hochachtung raeisterin der Prinzessin

Zur Heirat mit Gustav IV. von Schweden kam «Ich

bin überzeugt,» hatte die Kaiserin gesagt,

Dasehkow mich

so

sehr

liebt,

dass

es freilich

nicht.

»dass die Fürstin

meinen Wunsch erfüllen

sie



wird und dann bin ich ganz beruhigt Uber die Zukunft der jungen Königin.» Als die Fürstin 1796 um ihren Abschied einkam, erhielt sie eine Verlängerung ihres Urlaubs und eineu sehr freundlichen Brief

von der Kaiserin. ihr

über

sie

Es war der

letzte.

Die nächste Botschaft, die

ward, war die Botschaft von ihrem Tode.

todtenbleich und wankte.

sprang erschreckt

Ihre Tochter,

«Beruhige Dich, mein Kind, fürchte unter diesem

die

damals

Sie wurde bei ihr

war,

auf.

schweren Schlage

nicht

zu sterben, wäre

für ein

mein Leben, zu

grosses

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108

Die Fürstin Daschkow.

Glück

für

Das Schicksal

mich.

bewahrt

mich

zu

grösseren

Leiden auf!»

Eine schwere Krankheit ergriff hergesteilt, dass sie das

Kaum war

sie.

Bett verlassen

konnte, so

sie so

weit

erhielt sie die

Nachricht, auf Befehl Sr. Majestät seien alle Aemter ihr genommen.

Der Befehl war unterschrieben von einem ehemaligen Freigelassenen ihres Oheims.

Sie antwortete

dem Generalprocureur:

Maj. danken,

sie lasse Sr.

dass er sie von einer Last befreit habe, die ihre Kräfte überstieg.

sich

Dann kam der Befehl an die Kranke, Moskau zu verlassen, auf ihr Gut zu begeben und an 1762 zu denken. Kaum dort

angelangt, erhielt sie einen neuen Befehl:

wurde

sie

des nowgorodschen Gouvernements verbannt, das

hörte und dessen

Lage niemand kannte, wo

Bauerhause den

Winter verbringen

sollte.

handelten Gouverneure, sogar Polizeimeister sie

Achtung.

Sie hielt durch

Ergebung

ihre

Gesellschafterin, eine Engländerin,

Ende

mit

der grössten

ihre Tochter

und

ihre

Als der Winter

aufrecht.

ging, schrieb sie der Kaiserin

in ein Dorf ihrem Sohne ge-

Kranke in einem Auf der Fahrt be-

die

Maria einen

zu

Brief, der zuerst

zur Folge, hatte, dass der Kaiser einen Courier absandte, der sich

im Hause der Fürstin einquartieren sollte und verhindern, dass irgend jemandem

mit nach,

sie

verkehre.

Doch

und Fräulein Nelidow

gaben

Sohne des

Kaisers,

führten ihn

zum

dem

Kaiser.

Kaiserin

die

einjährigen Grossfürsten

«Meine Damen, Sie

Michael,

verstehen

zur Milde zu stimmen,» sagte er und schrieb der Fürstin

Katharina Romauowna, Sie



reisen Sie.

wünschen

sie

nicht

auf Ihr Gut

es, :

und mich

«Fürstin

überzusiedeln

Ihr wohlgewogener Paul.»

Der zweite Courier überholte den sie:

liess

den Brief dem jüngsten

ersten.

Als die zitternde Miss Betsy ihr den Brief einhändigte, sagte «Wollen wir- nicht verzagen, auch in Sibirieu ist Gott!» Ihr

Gottvertrauen hatte sie nicht getäuscht.

Im Jahre 1798 genoss wagte er nicht

für seine

ihr

Sohn

Mutter zu

die

Gunst des Kaisers.

bitten.

Doch

Erst als die Kaiserin

und Frl. Nelidow geäussert hatten, es sei doch sonderbar, dass er nichts für seine Mutter thue, liess er durch Andere die Bitte um

Begnadigung Vorbringen. Sie erhielt die Erlaubnis, zu wohnen, wo nur nicht, wo der Hof sich aufhalte. Sie lebte nun im Winter in Moskau, im Sommer auf dem Lande, pflanzte Parks und sorgte gewissenhaft für ihre Bauern. Ihr Sohn erhielt ein

sie wolle,

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Die Fürstin Daschkow.

109

zum Kriege gegen Frankreich bestimmt war.

Corps, das

Als er

einen Gefangenen verwandte, wurde er entlassen, weil er Dinge mische, die ihn nichts angingen. Die Fürstin erfreute sich des Zusammenseins mit ihrem Bruder,

sich für

sich in

nahm regen

am Gange

Antheil

der grossen Zeit Katharinas.

«Es naht

sie:

der Politik und sprach gern von

Beim Beginn des Jahres 1801 sagte

jetzt bald eine schönere

Ich habe das

neue Zeit.

Ihr Bruder hat oft über diese Prophezeiung ge-

sichere Gefühl.«

Allein mit der Thronbesteigung Kaiser Alexanders

lacht.

diese neue schönere Zeit.

kam

I.

Die Fürstin ward an den Hof gerufen.

In den 6 Jahren ihrer Abwesenheit hatte dieser sich bis zur Unkenntlichkeit verändert: es war ihr alles fremd, Menschen, Etiquette,

Manieren, Anschauungen.

Sie meinte, jetzt gebe es bei Hofe nur

noch Jacobiner und Corporale, die

feine, geistreiche

Zeit des Hof-

lebens sei dahin.

Nur

junge Kaiserin

die

ihre Bildung,

ihren Geist,

sie

Rolle

sie die

ging

sie

stille

Zeit

in

unter

Katharina

als

durch

Volkes,

um

die

dessen

Bei der Krönung spielte

Als der Hof Moskau ver-

ersten Staatsdame.

auf ihr Gut Troizkoje Gesellschaft

that alles,

Charakter des

war, bekannt zu machen.

der

liess,

Entzücken

Es waren wahrhaft

und die Fürstin

Art und dem

mit der

Herrscherin

in

sie

ihre Sanftmuth.

freundschaftliche Beziehungen

Kaiserin

versetzte

und verlebte eine schöne Ssemen, der bis dahin,

ihres Bruders

Gesaudter,

England gelebt hatte und den

unter Paul

sie erst jetzt

als

Privatmann,

genauer kennen

in

lernte.

Im J. 1803 kam eine Nichte ihrer Freundin Lady Hamilton, Miss Mary Wilmot, zu ihr. Die Liebe und Freundschaft dieses jungen Mädchens verschönten ihren Lebensabend; für sie schrieb Später kam noch sie, auf deren dringendes Bitten, ihre Memoiren.

Mit diesen

Schwester, Miss Kate Wilmot.

die

theilte

sie

alles,

ihres Geistes, sie behandelte

ihnen öffnete sie die reichen Schätze

wie ihresgleichen. Sie sorgte, dass sie auf der Reise nach Russland bei Hofe empfangen wurden, es machte ihr Freude, sie

sie

in

moskauer Gesellschaft einzuführen.

die

sie

jung

Hier war

war

und

lebhaft.

Er wünschte

Urtheil

ihrem Element, die Erinnerung machte sie Auf die Bitte des Grafen Alexei Orlow, der

sie in

als volksthiimlicher

ihn.

Originell gekleidet,

der Mittelpunkt der Veteranen aus der glänzenden Zeit Katha-

rinas.

der

Grandseigneur ihr seine

Fürstin

über

in

Moskau

lebte,

empfing

sie

einzige Tochter vorzustellen und das dieselbe

zu

hören.

Seit

40 Jahren,

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:

!

Die Fürstin Daschkow.

110

jenem Abend, wo sie ihn abgesandt hatte, die Kaiserin auf den Thron zu rufen, hatten sie mit einander kein Wort mehr geseit

sprochen, sich

kaum

«Viel Zeit

gesehen.

Graf, seit wir uns nicht gesehen,»

ist verflossen,

sagte die Fürstin, indem

ihm

sie

ihre

Hand zum Kusse

reichte,

«die Welt, in der wir einst lebten, ist so verändert, als begegneten

Und

wir uns jenseits des Grabes.

dieser sanfte Engel, der uns in

diesem Augenblicke vereinigt, ergänzt so schön das Bild einer Be-

gegnung

Welt.»

in jener

Seitdem

benutzte Orlow

Graf

eines

seiner

seine Tochter in

jede Gelegenheit,

Ihr zu Gefallen gab der

die Gesellschaft der Fürstin zu bringen.

um

prachtvollen Feste,

den Miss Wilmot ein

echt russisches Fest zu zeigen.

Ueber ihr Fürstin

Verhältnis

zu

Miss

Mary Wilmot

schreibt

die

:

«Dieser Engel hätte meine Einsamkeit wandelt, wenn nicht



doch daran war

Sie spielte auf den

Kummer

an,

in

Mary

ein Paradies ver-

nicht schuld.»

den ihr der Leichtsinn und

die Haltlosigkeit ihrer Tochter verursachten, sowie das unbefriedi-

gende Verhältnis zu ihrem Sohn, mit dem

sie äusserlich versöhnt

war, der alle Formen der Rücksicht erfüllte, der ihr innerlich aber

fremd gegenüberstand

sie

schob alle Schuld den Kindern zu.

Ihre Memoiren schliessen

«Ich kann

in

Wahrheit sagen, dass

zu thun im Stande war, gethan habe.

Böses zugefügt, ich habe mich nie

ich alles Gute,

was

ich

Ich habe niemals jemandem

anders

gerächt als durch Ver-

gessen und Verachtung der Ungerechtigkeiten, Intriguen und Ver-

leumdungen. stand.

Ich habe meine Pflichten so

erfüllt,

wie ich

Mit ehrlichem Herzen und reinen Absichten habe

Kummer

dem ich Gefühl unterlegen wäre, wenn mein

bittersten

ertragen,

sie ver-

ich

den

meinem zu zarten tiefen reines Gewissen mich nicht

bei

Schliesslich sehe ich meiner Auflösung ohne Furcht und Unruhe ..entgegen.» Kein Wort der Selbsterkenntnis über ihren Stolz und Egoismus, kein Wort der Reue über ihre Härte, nicht der geringste Zweifel an ihrer eigenen Vollkommenheit Das schrieb sie, während fern vom glänzenden Troizkoje, einsam, von ihrem wankelmüthigen Manne und Allen verlassen, die einfache, sanfte, ihren Mann immer noch warm liebende Schwiegertochter ihre Tage in Trauer und Kummer verbrachte. Nie hatte die Fürstin diese

getröstet hätte.

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Die Fürstin Daschkow.

moskauer Klatschbasen

Als die

werden.

sprochen

111

der armen Schwiegertochter ge-

von

Heirat verziehen, nie durfte

das

Gerücht

ausgespreugt hatten, Miss Mary Wilmot angele nach dem schönen,

und verhindere jede Aussöhnung, und Miss Mary sich abzureisen entschloss, war die Fürstin tief ergriffen. Aber von der einzigen Bedingung, unter der jene bleiben wollte, von der Ausreichen Fürsten

söhnung mit der Schwiegertochter, wollte

Um

Daschkow fand

Von

statt.

man

ihr die

Nachricht

Aussöhnung mit dessen

die

um

brachte

den Tod des

Sarge des letzten

verlassener

derselben

nie

hat

Wittwe

sie

dieselbe

mit der in

ihrer

Die einfache,

allgemeine Tlreilnahme,

ihre Dienstfertigkeit

Dagegen

Mary Wilmot,

Miss Kate

zugleich

lassen,

zerriss

jetzt

gefallen.

innig mit Miss

abzureisen aufgab



geliebten Mannes.

erregte

doch

blieb bei der Fürstin,

Anna

aufsetzen

hatte

Todes

seines

demüthige Frau

Fürstin

Am

alt.

der Fürstin Anna wissen wir nur den einen Zug: als Schenkungsurkunde, welche ihr Mann zu ihren Gunsten

Verzweiflung

würfigkeit

43 Jahre

ihr Sohn,

auf seinem Todtenbette

sanfte,

nichts wissen.

ihr Stolz

den zu brechen, bedurfte es eines härteren Schlages: im

Januar 1807 starb

sie

und Unter-

befreundete sich die die jetzt ihre Absicht

reiste allein.

Miss Kate Wilmot schildert die Fürstin folgendermassen «Ich wünschte, ihr könntet die Fürstin sehen, wenit spazieren geht oder die Arbeiten ihrer Unterthanen übersieht. kleidet

in

sie

Ge-

weiten Ueberroek, vort oben bis unten geknöpft,

einen

um den Hals

:

ein

einen

in

Lappen verwandeltes seidenes Tuch.

Ihr Aeusseres, ihre Unterhaltung, ihre Manieren sind völlig originell

und

unterscheiden

zeigt den

Maurern

wie und wo

an,

sich

absolut

an, wie sie

Wege

von .denen

anderer

Gebäude aufführeu

Leute.

Sie

sollen, sie giebt

anzulegen seien, beaufsichtigt die Fütterung

des Viehes, eomponirt Musikstücke, schreibt Artikel für deit Druck, in

der Kirche

fällt

Wort, wenn sie irgend Im Theater unterbricht sie

sie deit Geistlichen ins

etwas auslassen oder sonst abweichen. die Schauspieler

haben.

mann, Bruder,

und belehrt dieselben, wie

sie ihre

Sie ist Arzt, Apotheker, Feldscherer,

Richter

ihrem

und Administrator.

Sohne

Sie

wie eine Heldin

Ausdrucksweise, durch einander,

sie

mit

ihrem

und allen Verwandten, mit Schriftstellern,

Gelehrten, Juden, und findet für alles Zeit.

vor

Rolle zu spielen

Kaufmann, Zimmer-

correspondirt

aus

der Märchenwelt.

spricht

Sie

kommt mir immer

Sonderbar

russisch, französisch,

sie versteht italienisch

ist

englisch,

ihre alles

und deutsch.

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Die Fürstin Dasehkow.

112 Ich glaube,

es

ist

ihr

niemals eingefallen, ihre Gefühle zu

verheimlichen, ein Zeichen, welch privilegirte Stellung sie hier einrechts und links die Wahrheit, ohne sich zu kümmern, ob es den Leuten gefällt oder nicht. Zum

nimmt.

Die Fürstin

nach

sagt

Glück hat ihr die Natur ein gutes, zärtliches Herz gegeben, sonst wäre sie eine Plage der Gesellschaft. In der Gesellschaft spielt durch ihre hohe Stellung, ihren Geist und ihre Bildung stets

sie

Uns erweist sie grosse Aufmerksamkeit, vou allen Anderen verlangt sie Unterwürfigkeit. Kein Mann wird es wagen, ihrer Gegenwart sich ohne Aufforderung zu setzen und oft Ihren Charakter zu schildern ist fordert sie auch nicht dazu auf. er ist eine Vermischung entgegengesetzter Sonderfast unmöglich die erste Rolle.

in

:

Sie besitzt die Eigenthümlichkeiten aller Temperamente,

barkeiten.

jeden Alters und Standes. eines Staates

Sie wäre an ihrem Platze an der Spitze

und eines Heeres.» von Miss Kate

Dieser Schilderung

fügen

wir einige Zeilen

von Miss Mary hinzu über die religiöse Stellung der Fürstin: «Die Fürstin und ihr ganzes Haus beobachten streng die Regeln der Kirche, ja, ein gewisser poetischer Aberglaube ist Aber ihre Handlungsweise steht unter höheren ihr nicht fremd. Grundsätzen, sich ohne

sie

glaubt an

ein zukünftiges

Murren den Prüfungen, welche

die

Leben und unterwarf Vorsehung ihr sandte.

Einst überraschten mich folgende Worte der Fürstin: «Ich habe viele Menschen beseelt von festem Glauben gesehen und viele, die eifrig ihre kirchlichen Pflichten erfüllten, aber ich habe uie einen Menschen getroffen, dessen Gedanken über Gottes

Grösse und Güte dem gleichkäme,

was

ich

fühle.

Ich

will dies

Gefühl nicht herabziehen zu dem gewöhnlichen Begriff der Menge, welche die Gottheit auf eine Stufe mit sich selbst nicht, dass der Schöpfer jede

stellt.

Ich meine

meiner Handlungen geleitet hat.

Ich

glaube, dass der Allmächtige, der uns geschaffen und die Erkenntnis

über Gutes und Böses gegeben hat, uns auch den freien Willen gab



wo wäre sonst die Gerechtigkeit? Ich glaube fest, dass Lohn und Strafe im zukünftigen Leben vom Gebrauch unserer Freiheit Ich war bestrebt, alle meine Pflichten in diesem Leben abhftngen.

wenn ich das Ziel nicht erreichte, so lag das am Irrthum des Verstandes. Ich bin meinen Begriffen über Wahrheit zu erfüllen

;

auch da gefolgt, wo weltliche Vortheile dem widersprachen, und die Hoffnung, am jüngsten Gericht gerechtfertigt zu werden, hält mich aufrecht in der Stunde des Leidens und der Ermattung.»»

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:

113

Die Fürstin Dasclikow.

Auch Mehr

Abwesenheit jeder Selbsterkenntnis. rauthet uns schon eine andere Aeusserung an

hier die

«Ich habe den neuesten Philosophen und Atheisten stets entgegen gehalten: «Ihr könnt den Armen und Elenden keinen solchen Trost bieten, wie das neue Testament es thut. >>

Auch aus dieser Schilderung geht hervor Sie war eine Frau von feiuem Geiste, unbeugsamer Energie und rücksichtsloser Wahraber Egoismus und Stolz hatten eine harte Rinde heitsliebe :



um

warmes, liebebedürftiges Herz gelegt.

ihr

war.

geistig ihresgleichen

kratie

war

nicht

Despotisch

Ilowaiski

fügten.

ihr

sich

Sie achtete nur,

herrschte

über

sie

wer

die, die

moskowische Aristo-

bemerkt: «Die

gewöhnt ihren Kopf aufrecht zu tragen,

sie

war

gewöhnt, sich zu bücken und zu beugen.» In den Miss Wilmot hatte die Fürstin an Herz und Geist fein gebildete Wesen gefunden, welche genug Selbstgefühl und Tact besassen,

um

sich

ebenbürtig

ihr

Geltung zu bringen. als ihresgleichen,

zu

und

fühlen

auch zur

das

dieselben daher auch stets Beweis der edlen Natur der Fürstin,

behandelte

Sie

und es

ist ein

Der

dass dieses Verhältnis von Gleich zu Gleich sie befriedigte.

Liebe dieser jugendlichen das bis

zum

letzten

Wesen gelang es, das warme Gelühl, in ihr, wenn auch verborgen lebte,

Athemzuge

an Gottes helles Tageslicht zu locken.

Das Leben im Hause der Fürstin war Jahre 1806 beschäftigte fühle sie ihr

sie

Ende nahen.

sich

still

geworden.

Im

damit ihr Haus zu ordnen, als

Sie erlangte

dem Tode

nach

dass

es,

Sohnes einer ihrer Neffen den Namen Daschkow mit seinem Familiennamen vereinigte. Ihre Leibeigenen liess sie nicht frei. war nicht liberal, und die Liberalen haben es ihr übelgenommen, ihres

Sie

dass sie

die Leibeigenschaft

eben erfahren, was

sie

nothwendig hielt. Sie hatte es Bauern thun, wie sie für dieselben genossen und wie

für

für ihre

sorgen konnte, welchen Wohlstand ihre Bauern

schlimm es

die

Wie

Bauern der Krone hatten.

ihren Pflichten den Bauern

Testament hervor, wo

gegenüber

war,

sie erklärt, dass sie

haltlosen Charakters ihrer Tochter

es

mit

es

ernst

tritt

in

noch

Folge

ihr in

mit

ihrem

des heftigen,

ihrem Gewissen

nicht

vereinigen könne, derselben ein Gut zu vermachen und irgend jemand von ihr in Abhängigkeit zu bringen und ihr daher eine Rente vermachte. Als 1807 die Feindseligkeiten gegen England begannen und



alle

Engländer abreisten, zögerte Miss

Baltisch* Monatsschrift,

Band XXXV, Hoft

2.

'

Mary

längere Zeit, ja, 8

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Die Fürstin Daschkow.

114

kehlte einmal noch aus Petersburg zurück sie

obwol

ab,

Trennung

warum lich

1808

reiste

brach.

da die

es geschah,

— im Jahre

war und der Fürstin diese Es ist nicht recht verständlich, junge Dame, beiden Kaiserinnen persönschwer

sehr

ihr

es

das Herz

fast

bekannt, schliesslich doch

stets Schutz



gefunden hätte

es

weist aber darauf hin, wie sehr Beamtenwillkür und geheime Polizei

damals die Zustände und das Leben unerträglich machten. Diese Abreise

verwunden.

Sie

hat

entgegengetragen wurde

Katharina Romanowna nicht

die Fürstin

zwei Wesen

hatte

verloren, die

waren, von denen

liebte, die ihresgleichen

— wonach

Nach der Trennung war

sie ihr

sie

ihr

grenzenlos

sie

eine gleiche Liebe

Leben lang gedürstet

hatte.

beständiger Correspondenz

in

mit ihnen.

«Was sie

Euch sagen, um Euch nicht zu betrüben, schreibt ich sehne mich stets nach Euch und keine noch dem Gedanken an Eure Abwesenheit Ich habe versucht, mich zu zerstreuen, habe eine Brücke

soll ich

im October 1809,

so lange Zeit wird mich mit

versöhnen. gebaut,

einige

100 Bäume und Sträucher

schön sein, aber das

zieht

«Wie hat sich Das Theater

ändert.

es

sehr

soll

Ein anderes Mal schreibt sie

:

ihrem Gute Troitzkoje) alles

hier (auf ist

gepflanzt,

mich nur auf Augenblicke von meiner



Sehnsucht nach Euch ab. »

ver-

geschlossen, seit Ihr fort seid, hat keine

Vorstellung stattgefunden, das Fortepiano schweigt, und sogar die

Mägde haben

aufgehört

ihre Lieder

zu

singen.

£lles

verehren, leiden.

Ihr seid bei den Eurigen,

Eure Tage sind

freudvoll.

So

die will

Euch ich

bedauert

wozu

Doch

Eure Abreise und nimmt Theil an meinem Schmerz. schreibe ich das.

lieben

schon

und

allein

Ich weiss, dass Ihr glücklich seid und will nicht klagen.»

Der letzte Brief, mit zitternder Hand geschrieben, an Mary Wilmot gerichtet, schliesst mit den Worten: «Lebe wohl, mein liebes Kind,

Gott segne Dich!»

Einige Tage darauf, dieser

am

4.

Januar 1810, hatte

sie

aufgehört

Welt anzugehören. .1.

Engel m

an

n.

A/NA/ '-A*

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Aus dem Leben des rigaer Goldschmiedeamtes. V'in Prnf.

dem

Tr$'Jv

offenen

Willi. StiiiU in

Unstuck.

Gewerbe wurde mit der

erwähnt, ein geschlossenes.

«

Zeit, wie bereits

Bit scha de vorncmbste arlichel

Ordnung von 1542, «in desscm schrägen, dal in unser stadt liiga vordun nicht mehr dun twolf goldschmcde in einem Nur wenn einer dieser 12 Meister beschlaten ampte sein sollen. >

sein,* heisst es in §

1

der

das Zeitliche segnete oder das Geschäft

Goldschmied sich niederlassen.

am

Der

aufgab, konnte ein neuer

älteste Geselle, der

in

Riga

längsten gearbeitet und sich ehrlich und fromm dabei gehalten

und Dienstbriefe

hatte, durfte, falls seine Geburts-, Lehr-

waren, zunächst Anspruch erheben, diese

Beschränkung knüpften

sich

Lücke

in die

die

weiteren,

in

Ordnung

sich nicht verheirathen durfte, sowie dass seine

Mädchen

fällen

konnte,

dass

der junge

werdich >;

dass

der

,

Amts

Wahl nur auf

welches «ran ehrlichen

unberüchteden lüden echt und recht gcbarn

An

einzutreten.

Meister ohne Genehmigung der Aratsherren und des ganzen

franun

ein

diitschcn

dut sie beide gildstaven

Bewerber bereits Jahr und Tag bei einem haben musste und nur ein Mal im sein Gesuch dem Amte vorlegen

rigaschen Meister gearbeitet Jahre,

nämlich

zu

Johannis,

Die Zeit, welche derjenige Geselle, der sich später in Riga uiederzulassen gedachte, auswärts verbrachte, wurde ihm auf nicht angerechnet. Vielmehr musste er sein Jahr unabhängig davon in Riga beschäftigt gewesen sein. Eine Wandernicht vorgesehen. Im übrigen blieb es zeit ist im Schrägen

durfte.

diesen Dienst

8

*

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Aus dem Leben des

116 bei den

rigaer Goldschmiedeamtes.

früheren Bestimmungen

des Nachweises

eines

Vermögens

von sechs Mark löthigen Silbers, der Stellung zweier Bürgen, der

und der Veranstaltung einer

Anfertigung des Meisterstücks

licke unstrafelicke amptkoste) Mahlzeit.

Noch immer wurde

wenig geändert. in

Das Meisterstück

(

her -

hatte sich

ein emaillirter Biworp, eine

Niello-Weise angefertigte Spange, ein

goldener Ring gefordert.

Nur musste dieser jetzt mit einem Edelstein geziert sein. Neu war das geschnittene Siegel, welches den vierten Bestandteil des Meisterstücks so weit

bildete.

geltend, als

Amtes gefunden

hatte,

Eine Veränderung das

fertige Stück,

machte sich ferner welches

junge Meister es mit einer

Mark

Alle diese Anordnungen

löthigen Silbers

wie

liefen,

Man

die Niederlassung zu erschweren.

man

in

den Beifall

im Besitze desselben so lange

des

blieb, bis der

ausgelöst hatte.

sieht,

darauf hinaus,

wollte nur geringen Nach-

wohlhabend und behäbig, von guter VerwandtWie viele junge schaft und rühmlichem Anhänge in der Stadt. Männer unter diesen Bedingungen Meister geworden sind im Laufe wuchs, und diesen

der Zeiten, und ihre Namen, geben, so wenig, wie

sich

ist

man

eine

schen Goldschmiede aufstellen

leider nicht

im Stande anzu-

vollständige Namenliste der riga-

Immerhin ergeben

lässt.

sich

aus

den Einnahme- und Erbebüchern (ed. L. Napiersky) mehrere Namen. Der älteste Goldschmied, von dem man weiss, ist Johannes Ribbenisse,

der in den Jahren 1334

— 1344

thätig war.

In der zweiten

Hälfte des 14. Jahrhunderts werden Hintzo Sulversmet und Johann, Thomas, Jacobus, Magnus und Henricus oder Hintzo Goltsmet namhaft gemacht.

den Jahren nachstehende

Letzterer wird in

1400—1406 erwähnt. Namen auf bewahrt:

den Jahrbüchern

Aus dem

1400

Wilkinus Aurifaber.

1406—1416

Johann Varenberch.

1413

Rupertus Aurifaber.

1416—39 1417

1434-50 1448 1452

1455-56 1475

Hermann

Zum

auch

noch

in

Jahrhundert sind

Aurifaber.

Andreas Sulversmet. Nicolaus Goltsmet.

Rotger Goltsraed. Cord Goltsmed. Werner Goltsmyd, anders genant Stenberch. Peter Goltsmydt.

Das Amtsbuch erwähnt nur Meister.

15.

gelegentlich die

Aufnahme neuer

Johannistermin des Jahres 1488, also noch unter der

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Aus dem Leben des Herrschaft

des

ligaer Goldschmiedeamtes.

alten Schragens von

117

mit den leichteren Be-

1360,

dingungen, wurden drei Meister angenommen. Es waren

Symon Messouvv, Hans Kemtter, Claus Sassinehhusen.

Schon damals war es üblich von

sich

man mit Geld

geworden, dass

der Amtskost befreien konnte. Nur der erstgenannte bietet die Mahlzeit, die beiden anderen finden sich mit je 20 Mark Rig. ab, die im Interesse des Amtes verwandt

werden.

der Veranstaltung

Vermuthlich geschah dies deshalb, weil drei Meister gleich-

zeitig aufgenommen wurden. Sonst hielt man am Ende des 15. Jahrhunderts streng darauf, dass die Mahlzeit vor sich ging. Kein Meister, besagt ein Eintrag in das Amtsbuch, der die Bedingungen, unter denen mau Meister werden kann, aufzahlt, darf arbeiten, ehe

er die

Kost veranstaltet

Mahlzeit oder neben aus

dem Schrägen

Ob

hat.

später

eine

Zahlung

derselben gewohnheitsrechtlich

nicht

dass

statt der

wurde, geht

1523 der angehende Meister eine Zahlung von 25 Mark zu erlegen hatte, wie Eintragungen in das Amtsbuch, zwar unmittelbar unter einander, aber von verschiedenen Händen herrührend, bezeugen. Hieraus, wie aus einigen anderen gelegentlichen Angaben im Amtsbuche lässt sich nachstehende Liste

hervor.

der

in

Sicher

ist,

der ersten Hälfte

seit

des IG. Jahrh.

dem Amte angehörenden Meister aufstellen. Bei denjenigen Peisönlichkeiten, wo die Jahreszahl nicht den Amtsantritt, sondern irgend ein

Jahr bezeichnet,

in

welchem

sie

genannt

sind, ist dieselbe ein-

geklammert. (1505) Claus Jorden. *

1523. Tebbes von

Blasius Molenbeke.

Kurt Saltynk. (1513) Dyryck van der Heide *

(Hedden).

dem Berge

(Borgh). 1525.

Tomess Möller.

(1526) Hans Oldendorff. 1528. Rotteger Wytte.

*

Hans Grasdyck.

1533. Tornas Sommer.

*

Hinrich Stemme.

1537.

Hermen Smith.

*

Hans Konynck.

«

Pawel Wybers.

(1516) Christian Schütte. 1517. Hynrych Stampe.

«

«

Hans Rodenkrans. Hans Konynck.

«

Hans Hadder.

1538. Andres

«

Gert Scryffer.

1543. Hanss Solthut.

1519. Heinrich Wyldenborg.

Hatten (Hot).

?

Jasper Grohuessin.

?

Joggim

Idde.

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Aus dem Leben des

118

Irgend eine nicht.

Gewähr

Nicht einmal

sich unleserlich

für

rigaer Goldschmiedeamtes.

für Vollständigkeit

richtige

bietet

diese

Liste

Wiedergabe der Namen, die, an verblasst sind, kann die Ver-

eingetragen, lange

antwortlichkeit übernommen werden. sich die

Namen

Durch andere Quellen lassen Denn ob z. ß. der rigasche Bürger

selten belegen.

Jochim Yde, der im 2. Erbebuche in den Jahren 1542—44 erscheint und in einer Urkunde vom 17. März 1559 als gestorben aufgeführt wird'», identisch ist mit dem obengenannten Idde, kann uicht mit Sicherheit behauptet werden. Von Jasper Grohuessin (oder Grotthuss) sind

wir

im Stande auzugeben, dass

am

er

der Sohn

18.

Juni 1542 mit der Tochter des Engelbrecht Fueke aus Doblen

vermählte

1

».

des Sattlers Kersten Grotthuess

Vermuthlich

seiner Verheiratung J.

ist

war und

sich

der Termin seines Amtsantritts mit

Nach dem 2. Erbebuch war er im Er war in guten Verhältnissen, denn dem Ordens-

zusammen.

1576 bereits gestorben.

vermuthlich

fällt

er derselbe J. Grothusen, der bei der

im Jahre 1559 von rigaschen Bürgern geliehenen Summe von 30Ü00 Mark sich mit dem Betrage von 200 Mark betheiligte". Bei derselben Gelegenheit lernen wir auch einen Goldschmied Hans Konink kennen, der gleichfalls 200 Mark dem Ordensmeister vorschiesst". Ob wir hier zwei Koninks haben, etwa Vater und Sohn, oder der im J. 1513 Meister Gewordene noch im J. 1559, also nach 46 Jahren, im Amte war, bleibe unentschieden. Das 2. Erbebuch fuhrt »Hans Koniugk, den goltschmet» in den Jahren 1542 1556 und im Jahre 1573 als gestorben auf. Gert Scryffer, der im Jahre 1507 ins Amt eintritt, ist augenscheinlich identisch mit dem Münzmeister Gertli Schreiber in Riga, der in einer Urkunde aus dem Jahre 1557 als gestorben erwähnt wird". Er ist im 2. Erbebuch in den Jahren 1517 1560, im Jahre 1524 ausdrücklich als Meister des Goldschmiedeamts namhaft gemacht. Anno 1517, also offenbar das Jahr, in welchem er Meister wurde, erstand er ein Haus in der Kaufstrasse, das er im Jahre 1550 seinem Schwiegersöhne Hans Ahorn Brocken, der aber nicht als Goldschmied nachweisbar ist, überliess. Sein Nachfolger als Münzmeister wurde Thomas Rh» me oder Ramme, welchen der Ordensmeister Wilhelm Fürstenberg im Jahre 1557 ernannte*“ und den das zweite Erbebuch wiederholt in den Jahren 1537 74 nennt. meister Gotthard Kettler







Er war, wie es scheint, ein reicher Mann uud Besitzer mehrerer Der Zusammenhang zwischen den Goldschmieden und Münzein liegt auf der Hand. In deutschen Städten lag oft genug

Häuser.

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:

Aus dem Leben die

Münzprägung

in

der

:

des rigaer Goldschmiedeamtes.

Hand

Auch

der Goldschmiede.

119 er erbot

Ordeusmeister die erwähnte Anleihe machen wollte und

sich, als der

deshalb im August 1559 die einleitenden Schritte dazu that, 1000

Mark

herzugeben,

nicht

aufgeführt".

ist

aber dann freilich im Verzeichnis der Schuldner

Nach dem zweiten Erbebuch

lassen

sich im

übrigen von den oben genannten als Goldschmiede sicher bestimmen

Heinrich

Stampe 1517,

Dyderick de Goltsuied,

anders

von

der

Heyde genannt, 1519 — 24, Haus Grossdick 1523 und Kersten Auch ein Tornas de Goldsmit, im Jahre 1534, vielleicht identisch mit Tornas Sommer, und eine Wittwe Tile Goltsmedesche im J. 1532 werden namhaft gemacht. Die Namen anderer, wie Tewes v. d. Berge 1526—47, Thomas Möller 1545 — 54, Hermen Smet 1542-75, Andres Huidt 1547, kommen gleichfalls vor, ohne Schutt 1520.

dass wir ihre Träger indes als Goldschmiede reeognosciren können.

Im Jahre

1555

waren

laut

einem

Eintrag

folgende zwölf Goldschmiede Mitglieder des 1.

Tomas

Möller.

Jochim

8.

Mathies Roloves.

2.

Hinrick van Essen.

3.

Thomas Ramme. Pawel Wybers.

10.

Hans Kaven.

Hans Koeninck.

11.

Cornelius.

9.

Amtsbuch

Ide.

4.

5.

ins

Amtes

7.

Hinrik Unna.

6. Jasper Grothusen. 12. Hans Unna. Nur von einem dieser Meister ist eine Arbeit bekannt, nämlich von dem letztgenannten. Hans Unna ist der Verfertiger des silbernen Amtsbechers vom Jahre 1553, welchen das Glaseramt noch

heute besitzt". In

Amtsbuch

der

zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

nennt uns das

bei verschiedenen Gelegenheiten, jedoch nicht

beim Antritt

der Meisterschaft, folgende Goldschmiede als Amtsbrüder

Im Jahre 1555 «

1557

«

«

1573

*

*

«

Roloff Roloffsen.

Clawes Smyth. Martin

i

In

den Jahren 1573 -81 I

Im Jahre 1581

AVolletf.

Lambert Guldenstein.

«

Tomes Smolde, Hans Dorlef, Hans vam An ge re. Arent Rodewolt.

1573

Hans Trendelenborch.

«

1581

Valeutyu Möller.

«

1582

Wolf Teyr.


wolle, starb indess, ehe er zur Ausführung seines Vorhabens hatte schreiten können. Seine Erben zahlten nun am 18. Februar 1556 die Summe von 166 Mark an das Amt aus, welche aus der Rechnungsführung des Verstorbenen herstammten. Jasper Grothusen, der neue Aeltermann, und seine Beisitzer Paul Wybers und Mathias Roloves bescheinigen im Amtsbuche den Empfang. Im übrigen wollte der neue Aeltermann die Lade nicht übernehmen ohne eine vorhergegangeue Inventarisirung derselben, « dat he wüste worvan he enem ampte up ein ander tyt hescheit geven soldc >. Daraufhin wurde der Rathsschreiber Jürgen Wyborg mit dieser Aufgabe betraut und stellte, abgesehen von den 166 Mark, folgenden Besitz des Amtes fest 1.

Item

amptes boeck.

erstlich des

2.

Item ein jtergamen, etliche papircnbreve.

3.

Item noch ein gebunt breve.

1.

Item in einer karpe 111 etliche pergamenen und andere breve.

5.

Item noch 23

6.

Item 1 kelck mith einer patteneu.

7.

Item ein sulveme krutze.

loct

min

8.

Item des amptes

9.

Item in einem linnen

10.

Item in

segel,

1

quenlyn sulver.

mark min

darin 9

biidel

38

daler,

einem swarten ladeken

l >ortagiser" >

,

keiser gülden

1 goltgulden,

1 ferdingk ligyende.

6 Schreckenberger

ein leddei en budel,

darinne

2

1 dubbelt kaisers gülden, 1 einfach

unde 1 kröne.

11.

Item

12.

Item ein Castedonier “ 6

ein ringk

von pagament"'. .

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Aus dem Leben

des rigaer Goldschmied eamtes.

135

Item noch anderhalven daler.

13.

und 2 hornegulden.

14.

Item noch in einem papire 1 gülden

15.

Item eine grote stände, ungef erlich von 10 stopcn mangkgut.

IG.

Item elven kleine tynnen kennekens. Item ein sydeudnck

17.

so

,

man

lotce

thor begreffnis der doden gebruket.

Der Besitz des Amtes war demnach zu

nennen

und

Verschleuderung

eine

ganz stattlicher

ein

Veruntreuung

oder

man dem wackeren Thomas Möller kaum vorzuwerfen Indess

haben.

mochte

Leitung

seine

in

anderer

wird

gehabt

Beziehung

zu

wünschen übrig gelassen haben. Am 1. August 1555 versammelten daher alle Amtsbrüder im Hause von Jasper Grothusen und

sich

beklagten, dass

es

zu Thomas Möllers Zeiten

etwas

bunt, herge-

gangen, manches •dorch vorslyperinge und vorsumcnissc gar uth der orileninge gehanten

besser Obacht

Schrägen und

geben alle

Man

» sei.

zu

versprach sich gegenseitig, nunmehr .Jasper Grothusen

wollen.

den

verlas

gaben ihm den Handschlag darauf, dass

sie den-

selben ordentlich halten wollten.

Die Stelle, ca.

als bei

das

wo

Rechenschaft Jasper Grothusens sie

chronologisch

30 Blätter ausgerissen.

fehlt

eingetragen

ist dies

um

so

leider.

sein

An

der

sollen, sind

mehr zu bedauern,

der löblichen Absicht, von der er unverkennbar beseelt war,

Amt

führlich

hätte

Es

redlich

zu

verwalten, seine Rechnung gewiss sehr aus-

und genau ausgefallen wäre.

welche sie

sich erstreckt

haben

Durch

muss,

die lange Zeit, über

von 1555—72, würde

sie

unser Interesse besonders erregen.

Der nächste Aeltermann, dessen Rechenschaft sich erhalten hat, ist Hans Unnaw, der zu Johannis 1572 die Würde übernommen hatte. Er berichtet ein Mal, im Jahre 1579, ganz kurz. Das Ergebnis war ein befriedigendes, denn er konnte dem Amte 689 Mark

in baarem Gelde und 3'/j Mark lötnigen Silbers überSeine Rechnung wird eingehender, als er, zwei Jahre später, August 1581 zurüekiritt, seinem Nachfolger die Lade übergiebt und nun über seine ganze Thätigkeit es scheint, als ein ländliches Fest auf

befreundeten Mannes.

1583 bezifferten sich auf 125 Mark. leben.

sich

Unsere Goldschmiede verstanden, wie hieraus ersichtlich, zu Sie wussten die Mittel, die sie besassen, zu gebrauchen und

den Ernst des Lebens

wir bereits gesehen haben, zur

um

ehrbare Vergnügungen

durch

zu

er-

Sie hatten das Geld iudess auch für ernstere Dinge, wie

heitern.

Hand und

wo

sparten nicht,

es sich

gemeinnützige Zwecke handelte.

Tüchtig

Beutel greifen

in seinen

musste das

Amt

1582, als es für zweckmässig erkannt worden war, kostete

Summe

nicht

weniger

strich der

als

506 Mark.

Rechtsanwalt

ein,

Den

im Jahre

sich eine Be-

stätigung des Schragens von König Stephan auszubitten.

Dieselbe

grössten Theil dieser

der die Eingabe des Amtes an

persönlich vertrat. Er erhielt 262 Mark und 2 Ringe im Werthe von 38 und 60 Mark. Ausserdem wurde der königliche Secrctär mit einem Ringe im Werthe von 65 Mark bedacht. Der Rest diente zum Ankauf von Wachs,

den König besorgte und vielleicht

Pergament, Seide, einer Siegelkapsel und zur Bezahlung der Schreibgebühren.

Wie

dass

schade,

dieses

kostbare Stück sich in

der

Amtslade nicht erhalten hat Solche Geschenke, wie sie

hier bei Gelegenheit der Bestäti-

gung des Schrageus erwähnt werden, machte das Amt

öfter, offen-

bar an Persönlichkeiten, die ihm dienstwillig gewesen waren.

Hochzeitgeschenk

an

den

Unterschreiber Jürgen Wiborg

Im Jahre 1581

Das wurde

Johannes Tastyuss einen von Hans Unnaw angefertigten Ring, dessen Macherlohn im Betrage von 7 Mark das Amt bestreitet. In dem genannten Jahre wurde Tastyuss in den Rath gewählt”“; welche Verdienste er sich

schon angeführt.

um

das Goldschmiedeamt

erhielt

erworben hatte

,

ist

unbekannt.

Vier

Jahre später, im Jahre 1585, erhielt Mertinus Geyse einen gleichaus der Werkstätte Hans Unnaws herrührenden Ring, im Werthe von 24 Mark, vom Amte verehrt. Gemeint ist doch wol

falls

der Aeltermann

der St. Johannisgilde

Kalenderuuruhen, die

in

jener Zeit

dieses

begannen,

Namens, gleich

der in den

dem obenge-

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;

Aus dem Leben

des ligaer Goldschmiedeamtes.

genannten Tastyusa, den Tod fand

1

Es

”.

141

eine auffallende Er-

ist

gerade die beiden vom Goldschmiedeamte ausgeMänner von einem so tragischen Geschicke ereilt wurden. Auch Gises specielle Verdienste um unser Amt, welche ihn jenes

scheinung, dass

zeichneten

Geschenkes würdig

im Amtsbuche

werden

gemacht haben,

nicht

erwähnt. Ebenfalls nicht zu erklären

Vorgang aus dem Jahre

ist ein

1586, bei welchem die Goldschmiede aufs neue Geld spendeten. Die Amtsbrüder machten damals freiwillig eine Collecte unter sich, 39 Mark ergab, und schossen dann aus der Lade so viel zu, Diese wurde dem Aelterdass die ganze Summe 10 Thaler betrug. die

mann der grossen einem Doctor ist

denn 10 january sinem

nach 3!)

Hans thom Bryneke,

Gilde,

zuwandte.

Königsberg

aus

diese Angelegenheit folgendennassen

mr.

gefall,

myn

mr. 33

Dat

van

dat yck

Dar

1 sch.

lecht 22-

gebrocht.

ampt thosamend

cynn

hefft

yst

tAnno 8C item

van teegetm dess amptes thogc-

man

det

der Amtsrechnung

gcschotcn, eyn eyder

denn amptbroder entfangen heble

hebbe yck

alss

sch.,

gell

überreicht, der sie

In

erzählt:

hefft

Hanns Unna

olderman up den groten geyldestevenn

10 olde daler thosamend

overantxcordet,

hefft ess

dem

yst

Hanss thom Bryneke eynem doch thoer van Konssberch tho gude gekamen > Regelmässige Ausgaben verursachte die Theilnahme des Amtes

au

den Versammlungen

geleffert

.

Gebäude

als

das

besonders

der

>nygc

Lustbarkeiten, die hier

Scbwarzenhäuptergesellschaft.,

die Fastnachtstrünke,

theiligt, erscheinen.

Zur

wird.

bezeichnet

houss*

abgehalten zu

an

festlichen

werden

denen

Unter

deren

den

waren es die Goldschmiede bepflegten,

Beleuchtung der Räumlichkeiten

während der Dauer derselben lieferten auch die Goldschmiede wol neben den anderen Mitgliedern der Gesellschaft Lichte. Da diese

Trünke bis

zum

sich

1584

über

mehrere Tage, vom Mittwoch vor Fastelabend

ersten Sonntag in den Fasten ”, erstreckten, tbaten viele 1

Lichte Noth. mit

19

Unser

Mark 4

Amt Sch.,

spendete

drei,

deren Kosten im Jahre

im Jahre 1586 mit 7

Mark

12 Sch.,

im Jahre 1587 mit 25 Mark 20 Sch., im Jahre 1589 mit 18 Mark 21 Sch. angegeben sind. In den beiden letzten Jahren trugen die Goldschmiedegesellen die Kosten eines Lichtes, so dass auf das nur

die

für

zwei Lichte entfallen.

Amt

Ein Trinkgeld von 3 Mark

wurde, wenn auch nicht jährlich, so doch in gewissen Zeiträumen «

dem Jungen upt nygc houss »

verabfolgt.

Für

ein

Schap oder

Sehenckscheytc, d. h. wol einen Schrank oder Credenztisch, gab das

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Aus dem Leben

142

Amt

im Jahre 1584 45

und 26 Mark an den «

des rigaer Goldsclimiedeamtes.

Mark

aus, nämlich

Kleinschmied

für

l'J

die

Mark dem

Tischler

Beschläge.

Bänke,

dar men upsctt », die im Jahre 1586 angeschafft wurden, kosteten

20 Mark 27 an der 2'/j

Sch.,

Wand

und 2 Fussschemel

aus Holz,

die

mit Eisen

tangekrumppet unde vorfestiget » waren, im Jahre 1589

Indess sorgten die Goldschmiede nicht nur für die Be-

Mark.

auch ästhetischen Sinn und legten Gewicht darauf, den Schauplatz ihrer Zusammenkünfte geschmackvoll zu verzieren. Eine grössere Ausgabe, die sie im Jahre 1588 auf sich nehmen, ist im Amtsbuche mit folgenden Worten bequemlichkeit, sondern bewiesen

schrieben

;

‘Anno 88 Hem de latem unde eynen unden an hencket,

raut

nyg houss wedder iho

rose upt

rychtcn

darum macken latenn, ock dat .*) dat myt snytzwerck malicerck, maler.

gemaket, kostet

.

,

wath dar tho gedann yst, alle unlcost 46 mr. » Zu diesen Ausgaben und zur Anschaffung der Bänke steuerten nachträglich (im

gelt

Jahre 1589) die Gesellen des Amtes den dritten Theil mit 22 Mark 9 Sch.

bei.

Dass

das

Amt

sein

eigenes Inventar

Unbrauchbares durch Neues ersetzte,

ist

Nur einmal werden zwei

erwähnt.

vervollständigte

oder

merkwürdigerweise nicht

Schlüssel

zur Amtslade,

zu

Die Tiegel, die im Jahre 1584 und « dem ampt uthgeddeth > wurden, waren wol Geräthe für die Werkstatt eines jeden, die das Amt im grossen erstanden hatte und nun den Einzelnen gegen den 9 Ferdingen das Stück, angekauft. für

Mark

104

angeschafft

Einkaufspreis überliess.

Waren

die

eben

genannten Ausgaben

vorzugsweise solche,

welche dem Vergnügen oder der Repräsentation dienen, so gab es ferner

können,

solche, d. h.

Interesse

welche als

als «Geschäftsunkosten.»

Ausgaben,

.

welche

der Aufrechterhaltung

das

der

ihm

Amt

bezeichnet werden

auf sich nahm im

zustehendeu Vorrechte.

So w'ar es für das Amt wichtig, alles im Umlauf befindliche gefälschte und nachgeahmte Gold- und Silbergeräth zu unterdrücken und zur Anzeige zu bringen. Der Polizeibeamte, dem es gelang, solche Stücke zu entdecken, die, wie es scheint, namentlich in den

unteren Ständen, bei den Undeutschen,

angetroffen wurden, wurde

von dem Amte stets mit einem reichlichen Trinkgeld bedacht.

Die Beilegung von Streitigkeiten,

in

welche das

Amt

mit den

*) bis zur Unleserlichkeit verwischt.

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Aus dem Leben

des rigaer Goldschmiedeamtes.

mitansehen Goldschmieden gerathen war, kostete

Die Ursache der Differenz

uns nicht bekannt;

ist

143

.

gleichfalls Geld.

man

erfährt aus

der Amtsrechnuug nur, dass eine solche Vorgelegen hat und zwar,

wie

man

der Bemerkung, dass

legenheit

der Herr Bürgermeister die Ange-

wieder ein gebracht

habe, entnehmen

kann, seit

längerer Zeit. Im Jahre 1588 liess sich das Amt einen Protokollauszug anfertigen, für welchen man den Herrn Secretär natürlich

entschädigen musste.

Unbarmherzig ging das fugt, d. h.

des Wachtmeisters,

wiederholt wirkt.

gegen diejenigen vor, die unbe-

der

eingesperrt

zu

Die armen Bönhasen seinen Vortheil

haben, die Gold-

wurden mit Hilfe

dabei fand, aufgestöbert,

und gerichtliches Urtheil

über

sie

ausge-

Auch das verursachte Kosten.

Seiner Verpflichtungen allezeit

Amt

ohne die Meisterschaft erworben

schmiedekunst betrieben.

eingedenk.

von den Strafgeldern

gegen

die

Obrigkeit

war das Amt

Nach den Artikeln 5 und 6 hatte der Rath und dem weggenommeuen, weil schlecht be-

fundenen, Silber die Hälfte zu beanspruchen.

In der That begegnet

man dem Nachweise derartigen verfallenen Silbers und Goldes zu Händen des Herrn Bürgermeisters. In den 9 Jahren, über welche die 16.

Rechenschaft

sich

erstreckt,

3'/>

erhielt

Juli 1585 20 Loth Silber, Herr Evert

1589 30 Loth Silber und am

11. Juli

Herr Nicolai Fyck am Haussmann am 22. Aug.

1590

16'/.

Loth Silber, wie

Kronen Gold

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Schiemanns Livländische Geschichte.

Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, herausgegeben von Wilhelm Oncken. Berlin,

Zweite Hauptabteilung,

G. Grote.

Polen und Livland

bis

ins 17. Jalirh

Von

10.

Theil.

Russland,

Theodor Schie-

Geschichte Livlands bis zum Tode Walters von Plettenberg. (Der Baud umfasst die Gern

an

n.

Band

ti.

:

1

schichte Russlands bis zu

Polens bis zu Sigismund

|it

.

Iwau dein Schrecklichen und II. Angust 1548.)

dem vorstehend genannten Werk hat

fasser ein grosses Verdienst

schichte erworben.

Schwer war es

um

die Geschichte

sich

der Ver-

unsere heimische Ge-

allerdings, die Geschichte des

Landes bis zum angegebenen Zeitraum in den engen Rahmen von 224 Seiten hineinzufUgen. Die Beschränkung des Stoffes musste gehandhabt und vieles konnte nur flüchtig und fragmentarisch skizzirt werden, um für das Wichtigere mehr Raum

oft aufs äusserste

Im allgemeinen wird man mit dem Verfasser in der Auswahl des Gegebenen übereinstimmen, im einzelnen mit ihm darüber streiten können, was übrigens in der Natur der Sache liegt, da es immer so viele differirende Ansichten, als aufmerksame und kundige Leser einer solchen Arbeit geben wird. Die vorliegende beruht auf genauer Kenntnis und sorgfältiger Benutzung des einschlägigen Quellen materials und der in Betracht kommenden zu gewinnen.

Literatur, beweist Durchdringung

und was auch

als

hier,

kein

des Stoffes und kritischen Tact,

geringer Vorzug

anzuschlagen

ist,

es tritt uns

wie in allen Arbeiten Schiemanns, eine anziehende und

gefällige Darstellung

entgegen.

Das

alles

zusammengefasst, be-

deutet gegen früher einen wesentlichen Fortschritt.

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Schiemanns Livländische Geschichte.

«Von dem

145

heiligen römischen Reich deutscher Nation ist nur

einmal eine überseeische Colonie ausgegangen

.

.

.

Livland dankt

dem Scbaffensdrange der deutschen Nation.

seine staatliche Existenz

Die Geschichte Livlands hat ihren eigenartigen Gang genommen, sie ist Colonial-, nicht Provinzialgeschichte, und das mag erkläreu, weshalb ihr eine besondere Behandlung in einer Allgemeinen Geschichte zugestanden worden ist. Dass sie nicht zur Provinzialgeschichte werden konnte, ist ihr Verhängnis. Weil Livland Colonie blieb und nicht im Stande war, die sichere Basis einer Verbindung auf dem Landwege den

für

dem deutschen Reiche zu

mit

deutschen Bauer,

der

nun

einmal

nicht

finden, weil es

über See

zog,

keine Eingangspforte batte, musste nach langem und schmerzlichem

Ringen der Zusammenhang mit dem deutschen Reiche aufgegeben werden; die deutsche Colonie wurde zur Provinz fremder Staaten. So ist Livland ein Gebilde, welches uns zeigt, was das deutsche Bürgerthum und der deutsche Adel ohne die nationale Basis eines Bauernstandes, der gleicher Wurzel entspross, vermögen und die



Geschichte desselben bietet überraschende Parallelen mit der griechischer Colonien auf barbarischem Boden

an den Küsten Kleinasiens

:



an den Ufern Siciliens die Differenz liegt in nationalen und zeitlichen Gegensätzen, nicht im Wesen der Verhältnisse.» Mit diesen Worten beginnt der Verfasser sein Werk, das in

oder

grossen Zügen die Geschichte unseres Landes in seiner älteren Zeit

Ohne ermüdendes Detail, aber mit Hervorbedeutsamen Momente wird dm- Anfang die erste Landung deutscher Kaufleute von Wisby auf Gotland her, die Wirksamkeit Meinhards, dem als

zu schildern unternimmt.

hebung der wichtigeren

der Colonisation dargestellt

:

Pfadfinder volle Gerechtigkeit zu Theii wird, dann die kurze Zeit Bertolds und endlich die des eigentlichen Gründers

Herrschaft bischofs

ira

Lande,

Hartwich

II.

des Bischofs Albert,

der deutschen

des Neffen

des Erz-

von Bremen, der als Domherr der dortigen

Kirche früh an eine umfassendere und selbständige Politik gewöhnt war.

Die Persönlichkeit und die Tbätigkeit dieses Mannes werden

uns anschaulich

vor

männisches Talent, er

Augen geführt:

seine

seine Klugheit, sein

staats-

unermüdliche Thatkraft, die Freude, die

über seine Erfolge, aber auch die Trauer, die er über mancherlei

getäuschte Hoffnungen empfinden musste, wie über das Fehlschlagen seines Planes, der alleinige

Herr im Lande zu

sein,

da der Orden

der Schwertbrüder, der, auf seine Initiative ins Leben gerufen zu,

ihm im Verhältnis der Vasallität stand, RjUitfche Monatsschrift.

Band XXXV, Hoft

2.

immer selbständiger ihm JO

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;

Schiemanns Livländische Geschieht«.

146

gegenübertrat, wie auch darüber, dass Papst Innocenz III., der aus

Livland einen dem päpstlichen Stuhl direct untergebenen geistlichen Staat machen und die Metropolitangewalt überhaupt brechen wollte,

ihm

die Verleihung

der

erzbischöflichen

Würde

verweigerte.

Er-

der rigascheu Kirche über diese

eine Oberherrschaft

wollte nicht

Gegenden dulden,

welches Recht

bremer Erzbischöfe

die

in

An-

dem sie noch immer festhielten Riga sollte nicht Bremens Nachfolgerin werden. Neben dem Bischof von Riga sollten andere selbständige geistliche Gewalten im Lande «Hielten, was ja möglich war, alle diese Mächte sich entstehen.

spruch genommen hatten und an

das Gleichgewicht, so konnte, allgewaltig über ihnen stehend, der

Papst als alleiniger Herr gebieten. ersten

Mal

in

in

Deutschland oder



Dann

war thatsächlich zum

einem geistlichen Staatskörper die Idee der Metropolitan-

gewalt durchbrochen, und was

wo

sonst

in

II. sich

geschehen

war, konnte

immer zum Vorbild dienen»

Schwere Tage kamen dann

könig Waldemar

Livland

(S. 26).

für Albert, als er au den

Dänen-

wenden musste, um Hilfe gegen

die auf-

ständischen, mit den Russen verbündeten Eingeborenen zu erbitten,

dann die Dänen darauf ausgingen, das Land, das mit und deutscher Kraft erobert worden, sich anzuMit Genugthuung musste ihn aber wiederum erfüllen, als er sah, wie die Dänenmacht gebrochen wurde und ihre auf die Erwerbung vonEst-und Livland gerichteten Bestrebungen scheiterten, wenn er es auch nicht hindern konnte, dass die vom Orden den Dänen in Estland entrissenen Gebiete diesem in ganz unabhängiger Weise zuftelen und nicht einmal in geistlicher Beziehung ihm unterund

wie

deutschem Blut eignen.

Als er starb, war ganz Liv- und Estland und von Kurland den Deutschen gewonnen. Treffend bezeichnet Schiemann die Regierung Alberts als die heroische Periode der

stellt sein sollten.

ein Theil

«Was

livländischen Geschichte.

schah, hat

sich

in

dieser

hier

in

Weise nicht

einem Menschenalter gewiederholt;

der

freudige

Math, die Schaffenskraft und der religiöse Impuls der Zeit wirkten zusammen, um dem Unternehmen diejenige Weihe zu geben, ohne welche es ein Frevel gewesen wäre. Wer sich von diesem Geiste durchdringen der die

will,

Wunder

der lese

jener

die

Chronik Heinrichs

von Lettland,

erlebte und in unbefangener

Wahr-

Eingehendes Studium seines Buches

ist die

Tage mit

heitsliebe aufzeichnete.

Brücke zum Verständnis der Geschichte Livlands, das einen Hauch des Geistes, der in ihm und seinen Zeitgenossen lebte, sich bis zuletzt bewahrt hat» (S. 45 f.).

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Schiemanns Livländische Geschichte.

147

In dem die Zeit nach Alberts Tod behandelnden Capitel wird besonders die Thätigkeit Balduins

zum Träger

von Alna geschildert,

der sich

Papst Gregor IX. wieder aufgenommenen

von

des

Planes Innocenz’ III. machte, in Livland einen päpstlichen Vasallen-

und

zu gründen

staat

der Livläuder zu ver-

die Selbständigkeit

denen

nichten, Bestrebungen,

sich

die

Gewalten des Landes

ein-

müthig widersetzten und die schliesslich scheiterten. Hier ist bereits die über so manche Episode ein deutlicheres Licht verbreitende Drk. 21 iu Hildebrands «Livonica, vornämlicli im

im Vaticanischen Archiv. durch gezeigt,

wie

möglich

darzustellen

manche Lücke noch fehlen.

war,

anders

Jahrhundert,

bleibt,

auch,

als es früher

wie

trotzdem so

manche Mittelglieder

so

Bald darauf endete die Existenz des Schwertbrüder-

Der Ordensmeister Volquiu

ordens.

erscheint,

aber

zugleich

noch auszufüllen



13.

1887» benutzt und verarbeitet, und da-

nicht weniges

schon früher versucht,

hatte

dem

Preussen seit kurzem Der Deutsche Orden Herrn ausser den Papst über sich anzuerkennen, und Volquin mochte hoffen, nach der Vereinigung sich von der Vormundschaft der Bischöfe freimachen und in gleich unabhängiger Stellung den Prälaten des Landes gegenübertreten eine Vereinigung seines Ordens

mit

angesiedelten Deutschen Orden zu

in

erzielen.

hatte keinen anderen geistlichen

Vorläufig aber lehnte der Hochmeister des Deutschen

zu können.

Ordens Hermann von Salza die Union ab, und als er dann später einige Brüder nach Livland sandte, um sich über die Verhältnisse zu informiren, lautete der Bericht ungünstig für den Schwertbrüderorden.

Im

J.

1236

erlitten aber die Livläuder

durch die Littauer

da anders das Ende der deutschen Herrschaft in Livland bevorzustehen schien, nach Oeberwiudung einiger Schwierigkeiten durch Papst Gregor IX. eine fast vernichtende Niederlage, und jetzt wurde,

die

Vereinigung

vollzogen.

Die Hoffnungen

des

Schwertbrüder-

ordens, von der Oberhoheit der Bischöfe befreit zu werden, erfüllten sich

jedoch

nicht:

Bischöfen gegenüber in

aber hat

die

Deutsche

der

Orden

Livland

dem früheren Verhältnis

livländische Entwickelung

hunderte gekrankt.»

in

der

sollte

bleiben.

den

«Daran

folgenden drei Jahr-

Aeusserst schmerzlich musste es

der Orden

auch empfinden, dass er den Dänen Nordestland, nämlich Wirland und Harrien

mit Reval,

wieder überlassen musste. mit

ein



unaufhörlichen Kämpfen

die auswärtigen

bereits

deutsch

colonisirtes Gebiet,

Die darauf folgenden Jahrzehnte sind gegen die Eingeborenen, wie gegen Verhängnisvoll wirkte besonders

Feinde angefüllt.

io*

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Schiemaims Livländische Geschichte.

148 die Niederlage

des Ordens

bei

Darben 1260 and zwar nicht nur Dort brach ein furcht-

für Livland, sondern auch für Preussen.

barer Aufstand

der

alten

Einwohner

der erst 1283 mit

aus,

dem

der Deutschen endete; hier fielen Kurland und Oesel ab, Semgallen war im Aufruhr, wozu sich Einfalle der Russen, Littauer

Siege

gesellten. Die von allen Seiten drohende Gefahr Ausdruck in der Thatsache, dass von 1260 ab 7 Meister im Kampf den Tod gefunden haben. Aber der Orden blieb Sieger. Zuerst wurde Oesel zum Gehorsam zurückgebracht; im J. 1267

und Samaiten findet ihren

herrschte auch in Kurland wieder Ruhe,

unterworfen,

und

bis

auswärtigen Feinde

die

1290 war Semgallen

waren,

trotz

mancher

Wechsel- und Unglücksfälle, zurückgedrängt.

Aber den Erfolgen durch die Waffen entsprach nicht eine Erhebung und Kräftigung im Inneren, und daran war der Gegensatz zwischen dem Orden und dem Erzbischof von Riga seit 1251 war Riga zum Sitz des schon 1245 zum Erzbischof von Preussen, Livland, Estland, Kurland und Semgallen ernannten Albert Suerbeer bestimmt worden schuld, ein Gegensatz, der bald das ganze Land in Mitleidenschaft zog. Begründet aber war derselbe dadurch,





dass beide Theile nach der Herrschaft über ganz Livland strebten.

«Dass es keinem Theile gelang, des anderen Herr zu werden, ist des livländischen Mittelalters.» Schon der erste Erzbischof Albert Suerbeer ist vom Orden gefangen genommen worden (1268). Seitdem hielt er bis zu seinem Tode Frieden auch während der Regierung seiner beiden nächsten Nachfolger, Johanns I. das Verhängnis

;

und

II.,

war das Verhältnis

ein

erträgliches.

Unter Johann

III.

Kampf wieder aus, und zwar bildete Moment das Verhältnis des Ordens zu Riga.

von Schwerin aber brach der jetzt das entscheidende

Diese von Bischof Albert gegründete Stadt war rasch emporgeblüht, hatte mancherlei Privilegien erworben und galt bei weitem als die erste

im Lande.

Deshalb strebte aber auch der Orden, der

Stadt den Jürgenshof sitz

derselben

oder

Daraus entwickelte

oder den Wittenstein besass,

wenigstens

nach

sich ein verheerender Bürgerkrieg, in

Erzbischof auf "Seiten der Stadt

stand,

in der

nach dem Be-

der Mitherrschaft über

sie.

dem der

welche sich nicht scheute,

Mal mit den Landesfeinden, den Littauern, zu verDer Orden ging schliesslich siegreich aus dem Kriege 1330 musste sich Riga dem Ordensmeister Eberhard von Munheim auf Gnade nnd Ungnade ergeben. Eine wohlthueude Abwechselung in der Darstellung der sich mehrere

bünden.

hervor:

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Schiemanns Livländische Geschichte.

149

Kämpfe mit auswärtigen Feinden oder verheerender Bürgerkriege Staatliches Leben,

bietet der Abschnitt:

welchem

in

die Verhält-

nisse der Vasallen, des Kriegswesens, der Bauern, der Städte

des ßildungsstandes

bis

die Mitte

in

des

und

Jahrh. geschildert

14.

werden, leider nur kurz, wie es die Nothwendigkeit der Beobachtung der Sparsamkeit in der Benutzung

Es sind

nur flüchtige

oft

nannten Momente Verfasser

gerade

hier

Wenige dankbar

Raumes

gebot.

auf irgend einen der ge-

mau meint zu erkennen, wie der Entsagung geübt hat, wo mehr zu sagen und

von Interesse gewesen wäre. dieses

des gestatteten

Streiflichter, die

fallen,

Trotzdem wird der Leser auch für da es in anziehender Schiemann schliesst den

sein müssen, besonders

und lebendiger Darstellung geboten wird. Abschnitt mit den Worten

«

:

Es

immer

war, wohin

man

blickt,

Emporstreben der materiellen und geistigen Kräfte des Landes,

ein

dem es jedoch, vielleicht zu seinem Heil, nie vergönnt war, in Ruhe der Früchte seiner Arbeit zu freuen.»

Und nnr zu

bald zeigten

im dänischen Estland ein

dem

der

Beispiel,

furchtbarer Aufstand

schwedische Vogt

in

Äbo

sich

1343

brach

aus, Oesel

folgte

neue Gefahren.

sich

landete mit Heeres-

macht, den Esten zu helfen, dazu kamen verheerende Einfälle der

Russen und Littauer. Kraft.

Nur

die

Der Orden bewährte auch

Littauer

zogen

ungestraft

hier wieder seine

mit

der

gemachten

Beute davon, aber die Russen mnssten nach blutiger Schlacht,

in der

allerdings beide Theile sich den Sieg zuschrieben, zurückziehen, der

schwedische Vogt wurde bewogen das Land zu verlassen und

in

Oesel

niedergeschlagen. Der Orden gewann Die Umstand einen wesentlichen Vortheil. dänische Herrschaft in Estland war nie erstarkt, die überwiegende Mehrzahl der Vasallen war deutschen Ursprungs, noch mehr war

und Estland der Aufstand

durch

den

letzteren

das mit der Bürgerschaft Revals der Fall.

Ohnmacht der Dänen

hatte sich die

den Orden hätten

sie

nichts

Im

letzten Aufstande

aufs deutlichste gezeigt

auszurichten vermocht.

Der

;

ohne

erstere

Landes geworden. Dänemark erkannte, dass es dasselbe nicht werde behaupten können, und trat es 1346 dem Hochmeister ab, welcher es ein Jahr später auf den Deutschen Orden in Livland übertrug. Dem Namen nach blieb zwar der

war

factischer Besitzer des

Hochmeister der Landesherr, thatsächlich lag aber die Verwaltung in

Händen

des livläudischen Meisters.

Die eben entsprechend

erwähnten

ausführlicher

Begebenheiten geschildert

sind

worden.

ihrer Wichtigkeit

»Durch

die Ver-

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Schiemanns Livländische Geschichte.

150

der drei Lande Kurland, Livland und Estland zu einem

einigung

Ganzen tion

ist

die

Grenze gezogen, über welche

im Osten nie hinausgekommen

hört für den livländisehen

ist.

die deutsche Colonisa-

Die Zeit des Vordringens

Zweig des Deutschen Ordens

auf.

Seine

Aufgabe ist nunmehr wesentlich, das Errungene der aufstrebenden Macht Littauens und Moskaus gegenüber zu behaupten, was um so schwieriger wurde, als der Deutsche Orden in Preussen genöthigt war, alle seine Kraft gegen Polen zu wenden t (S. 93).

Dazu kam der auflebende

ausbrechende

aufs neue

zum

Gegensatz

innere Zwist, der

zur Geltung zu bringen, der Orden weigerte sich

vom

zuerkennen, und erst der Danziger Vertrag die Curie nicht anerkennen wollte,

endete

Besitz der von Eberhard von

eine

solche an-

J. 136C, den aber

den Streit:

Riga zu Gunsten des Erzbischofs,

verzichtete auf

wieder

Riga. Der Erzbischof verdem Orden gegenüber wiederum

Erzstift

suchte seine Oberlehnsherrlichkeit

blieb

der Orden

jedoch im

Munheim neu erbauten Ordensburg;

der Erzbischof entsagte jedem Gehorsams- und Huldigungseide von

Damit war,

des Ordens.

Seiten

welches

wie

letztere

wie

in

Preussen

erstere behandelt

das

und Kurland,

worden war, auch

in

Livland der Orden von der geistlichen Macht eximirt.

Wahrend

so

ersten

die

hob sich die Macht der Städte, veranlasst besonders durch

stritten,

ihre Zugehörigkeit zur

punkte stand

Hansa, die gerade damals auf ihrem Höhesie mit Dänemark den Frieden von

1370 schloss

:

Stralsund, nach welchem

König

Lande mit einander

Gewalten im

in

in

Zukunft ohne

Dänemark herrschen

sollte

ihre

Zustimmung kein

und der die Handelsheri'schaft

derselben im skandinavischen Norden auf lange hinaus begründete.

Zur

Illustrirung

der,

abgesehen

von

den städtischen, verwirrten

Verhältnisse im Lande dienen die ausführlicher geschilderten Wirren,

dem Orden feindlich gesinnten Bischofs von Dorpat, Theodofich Damerow, hervorgerufeu wurden. Der Papst Bonifacius IX. hatte nämlich mehrere für deu Orden sehr vortheilhafte Bullen erlassen: Johann von Wallenrode, ein Glied des Ordens, war zum Erzbischof von Riga ernannt worden, welche

durch

die Thätigkeit

des

das Domcapitel sollte in Zukunft nur aus Brüdern

des Deutschen

Ordens bestehen, und sobald diese die Mehrheit erlangt, rigasche Kirche

aus einem Augustiuerstift

sollte die

umgewandelt werden und das weisse Gewand des Ordens an die Stelle des früheren schwarzen treten; auch in Zukunft sollte nur ein Bruder des Ordens Erzbischof werden und der Orden das Visitationsin

ein Ordensstift

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Schiemanns Livlftmlische Geschichte.

Wurde das

151

wäre das Erzstift Deshalb traten vollständig unter den Einfluss des Ordens gerathen die Feinde des letzteren dagegen auf. Au ihre Spitze stellte sich Theodorich Damerow und begünstigte den von einem Theil der recht haben.

zum Erzbischof erwählten Otto von Stettin. Damerow eine weit-

rigaschen Domherren

Um

alles durchgeführt, so

dessen Anerkennung zu erzwingen, brachte

verzweigte Coalition von Gliederu

wie

innerhalb

Landes gegen den Orden zu Stande; ihr

unter

ausserhalb

anderen

gehörten

des

zu

auch die sogenannten Vitalienbrüder, Seeräuber, die damals eine

Plage

und

aller Ostseefahrer

Der Orden

auch Livlands waren.

Kampf siegreich hervor. Die hier erauf Schiemanns Aufsatz Die VitalienBedeutung für Livland iu seinem t Historische Darstellungen und archivalische Studien» 188t», und ebenso auf seinem Aufsatz Ein Jahrhundert vor der Reformation (ebenda), die Schilderung der Kämpfe zwischen dem Orden einerseits und ging aber auch aus diesem zählten Wirren

und

brüder

beruhen

:

ihre

:

und Littauen

Polen

Tannenberg

bis zu

andererseits

dem

für

Ferner

land beitreteu musste.

an

die Darstellung

iu die

der Zeit

seit

den Orden

Melnosee, der 1423 zu Welun

ratificirt

lehnen

der Hineinziehung

der Schlacht

schimpflichen Frieden

bei

am

wurde und dem auch Livsich

an denselben Aufsatz

der Ordensangelegenheiten

Berath ungsgegenstände des Costnizer Concils

der dortigen

;

Thätigkeit Johann Wallenrodes, der als Erzbischof von Riga, ob-

Ordens war, durchaus nicht immer mit dem-

gleich er ein Glied des

selben harmonirte

;

seiner Versetzung

nach Lüttich

und der Er-

nennung Johanns Ambuudi zum Erzbischof von Riga im Zusammenhang mit der kirchlichen Reformfrage, welche die deutsche Nation vor der

Wahl

Preis des

eines neuen Papstes erledigt sehen wollte.

Bisthums Lüttich

Wallenrode und Ambundi die

Reform der Kirche

;

und

ihre

denn

des

Erzstifts

Für den

Riga verkauften und damit

bessere Ueberzeuguug die

durch ihren Abfall gesprengte

deutsche Nation musste ihren Widerstand gegen die vor der Reform

vorzuuehmende Papstwahl jetzt aufgeben.

Die Jahre

bis

1435 sind wiederum

erfüllt

durch Kriege gegen

und Littauen, wie durch innere Streitigkeiten, besonders welche in der livländisehen Geschichte unter dem Namen des Habitsstreites bekannt ist, ob nämlich die Geistlichkeit des Polen

durch

die,

rigaschen Erzstifts die weisse Tracht des Ordens tragen frühere schwarze der Augustiner beibehalten sollte. sollte natürlich ein

oder die

Mit der ersteren

Uebergewicht des Ordens über die Geistlichkeit

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Schiemanns Livländische Geschichte.

152

begründet

nachdem

Streit

verschiedene Phasen, je

durchlief

die eine oder die andere Partei

Abhängigkeit von ihr standen.

von der päpstlichen Politik

auf die zurückwirkte, welche

wurde, eine Politik, die

begünstigt in

Der

werden.

Das

tritt in greller

Beleuchtung

Rom am

hervor durch den Brief, den der Ordensprocurator

in

Juli 1429 an den Hochmeister richtete

bruchstückweise

und der

Auf dem Landtage

mitgetheilt wird (S. 118 f.).—

12.

Walk (Dec. 1435)

zu

Orden darein, dass Erzbischof und Capitel das Augustinergewand beibehalten sollten. Auf demselben Landtage ward auch eine Landeseinigung zwischen den Herren uud Ständen von Livland auf sechs Jahre abgeschlossen, eine erfreuliche und willigte endlich der

massgebenden Gewalten

seltene Erscheinung der Eintracht unter den

im Lande.

war diesem Ereignis

Allerdings

anderes

ein

gegangen, das gebieterisch die Eintracht gefordert

welche

der

mit

Switrigail

Zweig des Ordens von den Nebenbuhlers

wie

(Mittheil. d. Ges.

f.

Gesch.

dem Verfasser zugeben,

livländische

Streitkräften des mit Polen verbündeten

erlitten (8. 122).

eben so wenig,

voraus-

die Niederlage,

:

verbündete

am

des erstereu, Grossfürst Sigmund,

an der Swienta jetzt

von Littauen

u.

dass

1.

Sept. 1435

Nebenbei bemerkt, kann Referent

schon

früher

an

anderen Stelle

einer

Alterthumsk. Bd. 13, S. 461, Anm.) der Gegensatz zwischen deu beiden

im livländischen Zweige des Ordens entstandenen Parteien der Westfalen und Rheinländer bei der Niederlage eine Rolle gespielt oder gar von entscheidender Bedeutung gewesen

Der

Streit des

sei.

Ordens mit den übrigen Mächten des Landes trat in den Vordergrund ein Zwiespalt

Dagegen

ruhte zunächst.

im Inneren des Ordens

selbst, der

seinen Ursprung

in

dem schon

früher entstandenen eben erwähnten Gegensätze zwischen den beiden

landsmannschaftlichen hatte.

1438

Meisteramt;

wählten der

Parteien

beide Parteien

einen

je

Westfalen

Candidaten

zum

von der Minderheit, der rheinländischen Partei,

Gewählte wurde vom Hochmeister falen protestirten.

und

Rheinländer

der

bestätigt,

Das ganze Land wurde

in

wogegen

die

West-

den Zwiespalt hinein-

gezogen und erhöhte Bedeutung erlangte derselbe, weil

er in Be-

ziehung trat zu dem Streit, der zwischen dem Hoch- und Deutsch-

dem Ordensregiment unzufriedenen preussischen Stände verwickelt wurden. Bemerkt sei, dass meister ausgebrochen war, in den auch die mit

die Tagfahrten der livländischen Stände

im Juli und Sept. 1438 nicht

beide zu Pernau stattfanden, sondern zu Pernau und

Diese Wirren

konnten

nur flüchtig

skizzirt

Walk

(8. 126).

werden, eingehender

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Schiemanns Livländische Geschichte. ist

nur

neuen Statuts

des

dem

von Erlichshausen, der

153

gedacht, das der Hochmeister

Konrad

Ende machte, 1441

für Liv-

Streit ein

land erliess und das bestimmt war, die Zucht innerhalb des Ordens

zu kräftigen und dem Parteiwesen der Rheinländer und Westfalen

entgegenzuwirken

(S. 128).



lange nachher trat der alte

Nicht

Zwiespalt zwischen Orden und Geistlichkeit wieder hervor. 1448 wurde der Ordenskanzler Silvester Stodewäscher, ein Glied des Ordens, durch die Bemühungen des letzteren vom Papst zum Erzbischof von Riga ernannt, dessen Zeit mit Recht ausführlicher be-

Ueber Silvester

handelt wird.

ist ein

abschliessendes Urtheil dar-

über noch nicht möglich, ob er von Anfang an

zum Orden

treten

wollte,

in

auch Schiemann

und

einen Gegensatz lässt

die

Krage

Charakter des neuen Erzbischofs aber zeigte sich sogleich darin, dass er allen das zugestand, was sie wünschten, offen; der ränkevolle

dem Orden wie seinem

Capitel und seiuen Vasallen, und doch konnte nur einem Theil das Versprochene halten. Durch einen frechen Betrug aber erzwang der Orden zu Woltnar 1451, dass Erzbischof und Capitel in Zukunft das Ordensgewand tragen sollten, ein Ver-

er

dank den

gleich, der

die

aufgewandten Geldmitteln 1452

reichlichen

päpstliche Bestätigung

demselben Jahr

ln

erhielt,

kam

der

Kirchholmer Vertrag zu Stande, nach dem Erzbischof und Orden gemeinsam über die Stadt Riga herrschen sollten. Kein Theil aber hielt ehrlich

den Vergleich, jeder versuchte die Stadt zu alleiniger

Anerkennung seiner Oberherrschaft zu gewinnen, schliesslich aber wurde 1454 zu Wolmar der Vertrag zu Kirchholm erneuert, und bis zum Jahr 1469, dem Todesjahr des Ordensmeisters Mengden, herrschte jetzt im Inneren Friede, den der Orden in Livland benutzen konnte, um dem in Preussen gegen die Polen, mit denen die aufrührerischen im preussischen Bunde geeinten Stände des Landes sich verrätherisch vereinigt, Hilfe zu leisten. Als Preis der Hochmeister

für dieselbe verzichtete

Estland, das bisher, wenn auch

nur

auf das früher dänische

nominell, unter

seiner Ober-

hoheit gestanden, zu Gunsten des livländischen Zweiges des Ordens, eine Angelegenheit,

die

Abschluss gelangte. doch

nicht

erst

Trotzdem nun

an Geld und Mannschaft

Preussen

übrigens

leisteten,

abwenden

musste Westpreussen an

Polen

:

einem definitiven

zu

1525

die Livländer

konnten

im

sie

Frieden

abgetreten

reichliche Hilfe

das Unglück von

von

werden

Thom und

dieser Zeit

(

1466)

nur Ost-

prenssen blieb dem Orden, aber unter polnischer Oberhoheit.

Seit

wird die Verbindung beider Theile des Ordens immer

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Schiemanns Livländische Geschichte.

154

mehr

gelöst,

Livland

tritt

immer selbständiger dem Hochmeister

gegenüber.

Der Erzbischof

hatte unterdessen eine Stütze



schaft seines Stifts zu gewinnen versucht

an der Ritter-

denn Riga mistraute

ihm wegen des zweideutigen Verhaltens, das er ihr gegenüber in der Zeit zwischen dem Kirchholmer Vertrag und der Erneuerung



desselben beobachtet

indem er ihr durch die sogenaunte «neue

Gnade» 1457 das gleiche Recht verlieh, welches die Ritterschaft die mächtigste adelige Corporation Harrien und Wirland

von

,

ihr

bewegliches und

fünfte Glied

männlichen und

des Landes, seit 1397 bereits besass,

unbewegliches Vermögen bis in das erben zu dürfen.

von einem

der Seitenverwandten

Der Verfasser spricht

Mann recht

fünfte Glied

fortan

mit Einschluss

weiblichen Geschlechts

und dass das Vermögeu nur

männlicheu

ver-

hier (8. 141) irrthümlich

Geschlechts

vererbt

bis in

das

werden durfte,

obgleich er das Beispiel der Ritterschaft von Harrien und Wirland

anführt nnd früher

hervorgehoben

105) selbst

(S.

dieser das Erbrecht auch in weiblicher Linie

hat,

dass 1397

zugestanden worden



Nach Mengdens Tod brach der Streit mit dem Erzbischof wieder aus, unter dem Ordensmeister Wolthuss von Herse (S. 146 muss es 6000 Mark heissen), der 1471 seines Amtes entsetzt wurde

sei.

und im Kerker starb, allerdings noch nicht aber geschah das unter dem Meister Bernd

war

in offener v. d.

die Quelle des Zwistes die Stadt Riga.

Weise, wohl

Borch, und wieder

Der Erzbischof

ver-

band sich mit Schweden, aber der Meister blieb Sieger, nahm das

Kokenhusen gefangen, wo er 1479 starb. Ueber der Frage der Neubesetzung des Erzbisthums entzündete sich der Hader von neuem. Der Meister hatte seinen Neffen, den Bischof von Reval Simon v. d. Borch, zum Erzbischof wählen lassen, während der Papst von sich aus den Bischof von Erzstift ein und Silvester

Troja

(in

Unteritalien), Stephan Grube, dazu ernannte.

Riga erklärte Kriege

sich für den letzteren

zwischen

glücklich

in

war.

der Feldzüge

;

Stadt, in

Dieser Umstand, sowie die

gegen Pleskau

Die Stadt

das führte zu einem erbitterten

dem Orden und der

erschütterten

dem

die

letztere

unglückliche Führung

Borgs Ansehen

;

eine

Reihe von Nothjahren, die Krankheit uud Hunger brachten, steigerten die Unzufriedenheit,

genöthigt.

Kampf theil

Sein Nachfolger, Freitag

mit Riga

war

und 1483 wurde der Meister zur Abdankung



fort,

in

dem

von Loringhoven, setzte den

dieses anfangs aber ebenfalls

unter anderem ward

das Ordensschloss

in

im Vor-

der Stadt

itized

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Schiemanns Livländische Geschichte. zerstört

153

\S.

155

dem neuen Erzbischof, Michael Hildebrand zu verbessern: Domherr zu Reval uudOesel), erlangte unter

erst

;

ist

nach einer Niederlage Rigas

bei Neuermlihlen

der Orden

wieder

Herrschaft über die Stadt (149t).

die

Die

letzten

Seiten

(18

Walters

Regierungszeit

die

füllen

von Plettenberg (1494-1535) aus, ein

gewiss nicht allzu grosser

Raum

Auch

Walten dieses Mannes.

für das

der Verfasser Entsagung geübt, wie vieles in

hier

nur

man, wie

sieht

kurz berührt und

gedrängter Darstellung zusammengefasst werden musste.

dem erhält man

Wie

gegen das unter Johann

III.

geeinigte Russland

und wie trotzdem die Sachlage eiue gefahrvolle geschildert.

Schiemann

105

S.

lässt

1.

die

ist

Darstellung

Beschiessung unterworfen

während

dann

Ostrow

belagern.

und dann

zerstören

Pleskausche Chronik 8.

zum

14. Sept.

erst

Isborsk

spricht davon,

8. Sept.

7.

Ostrow

September 1501

nachdem

dass,

1501 Ostrow angegriffen

Sept.

oberung der Stadt am bis

richtige.

erst

«Schoune hysthorie» sagt, dass die

die

am

und

treffend

ist

ganz

keine

und

Livländer, Isborsk zur Seite liegen lassend,

7.

Kampf

ruhmvoll bestand blieb,

nach der ersten Pleskauscheu Chronik zuerst Isborsk

flüchtigen

belagert werden,

am

Plettenberg

des Landes, ohne Bundesgenossen, den

mit geringer Hilfe

einer

Trotz-

über die betreffende Periode

ein anschauliches Bild

und die Persönlichkeit des bedeutenden Maunes.

Auch

die

die Livländer

hatten, sie

nach Er-

wieder abzogen und von diesem Tage

vor Isborsk lagerten.

Diese zweite Belagerung

vou Isborsk erwähnt der Verfasser nicht und lässt irrthümlich nach der Zerstörung der Stadt Ostrow noch die

überhaupt

Burg

bis

zum

14. Sept.

Die erste Beschiessung von Isborsk erscheint (s. Archiv f. d. Gesch. Liv-, Est- uud Kur-

werden.

belagert

zweifelhaft

lands Bd. 8, S. 233

f.).

S.

170

ist als

Tag

des Sieges Plettenbergs

unweit Pleskau (1502) uicht 8 Tage vor Kreuzeserhöhung (12. Sept.), am Abend Exaltationis Crucis (13 Sept.) zu setzen. In

sondern

350 f., sind diese Dinge richtig erzählt. Ferner zeigt der Verfasser, wie grosse Gefahren Plettenberg

der Geschichte Russlands, S.

auch in

den inneren Verhältnissen

wie vorsichtig er

in

des Landes

gegeuüberstanden,

der Behandlung der übrigen Herren des Landes

und der Stände verfahren musste, welche auch unter einander durchaus nicht immer einig waren, wie besonders die Ritterschaften und Städte.

gen

und

Plettenberg hat es aber bei seiner

zähen Politik,

wobei

er

nicht

massvollen, verständi-

selten

die

Eingebungen

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Schiemanns Livländische Geschichte.

156

Erkenntnis

besseren

seiner

unberücksichtigt

Seite waren

es

ver-

Auf der anderen

auswärtigen Beziehungen,

die

musste,

lassen

standen, den inneren Frieden aufrecht zu erhalten.

wie besonders das

wenig gesicherte Verhältnis zu Russland, mit dem man zu keinem

kam, sondern immer nur zu

dauerhaften Frieden

einzelnen

auf

längere oder kürzere Zeit abgeschlossenen Waffenstillständen, welche einen Gegenstand der Besorgnis bildeten.

Die politische Reife und

den staatsmännischen Blick des Meistere zeigte

aber der Zweifel,

optimistischen Hoffnungen

den er in das Gelingen der

des Hoch-

meisters Al brecht von Brandenburg setzte, welcher das Ordensland

im

Umfange wiedergewinnen

alten

nur

zu

war:

gerechtfertigt

wollte,

Pessimismus,

ein

konnte

Albrecht

der

ausrichten.

nichts

Plettenberg hatte, so weit es in seinen Kräften stand, und die liessen

damals nicht grosse Anspannungen zu, Hilfe geleistet, freilich nicht, ohne Zugeständnisse vom Hochmeister erhalten zu haben. 1525

Verwandlung des Ordenslandes Preussen in ein weltHerzogthum unter polnischer Lehnshoheit. Damit war jede

erfolgte die liches

Verbindung zwischen Preussen keine feste mehr gewesen war,

Das

letzte

welches sich

zum

und Livland, welche

schon lange

gelöst.

behandelt

Capitel

die

Theil, wie das auch

in

Reformation

in Livland,

anderen Abschnitten ge-

schehen, an eine frühere Arbeit des Verfassers anlehnt,

und zwar

an den zur Lutherfeier in Reval 1884 gehaltenen Vortrag: «Die Reformation Alt-Livlands«. Frühere traditionell gewordene Irrsind vermieden und neue urkundliche Funde verwerthet. Der Vorwurf, der gegen Plettenberg erhoben worden ist, dass er

tliümer

nach dem Vorbild Albrechts von Brandenburg nicht den Entschluss

zum

fassen konnte, sich

weltlichen Herrn

des Landes zu machen,

sondern mit der Schutzherrschaft sich begnügte, .wird als ungerecht

verworfen

219

f.),

eine Frage, über die die Ansichten sich wol

werden ausgleichen

nie ganz

Zur

mann

(S.

lassen.

letzten Seite sei eine kleine Erörterung erlaubt.

sagt, dass Plettenberg mit

Tod

überraschte.

dass Plettenberg ist 5.

für

Worauf in

Referenten

Bande des Archivs

die

f.

d.

sass, als ihn

der

immer wiederkehrende Behauptung,

der Kirche nicht

Schie-

dem Schwerte umgürtet gerade vor

dem Altar derJohanniskirchein Wenden gestorben

nachweisbar.

sei,

Die

eigentlich bernht,

Meisterchronik

im

Gesch. Liv-, Est- und Kurl. S. 186 sagt

nur: «Starb In gutem alter sitzende vff einem stuel vnd vmbgürtet

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Schiemanns Livländische Geschichte.

157

«Starff von Bande S. 297 Natürlichem Older in sinem Hosen vnd Wambs vp einem stule». Plettenberg starb am Sonntag Oculi (28. Febr.) 1535; dass der Tod aber gerade in der Kirche während des Gottesdienstes erfolgt wird meines Wissens nirgends ausdrücklich überliefert. In sei,

schwerdt» und

mit seinem

dort

hat

ftn

Wenden

der Johanniskirche in

Seibertz,

die

von

:

der Meister nur

ist

sein Grabstein

sich

Walther

4.

bis

Gadebuseh, Livl. Jahrbücher,

I. 2,

einem

Stuhle

Recht vor

Alter

Stuhle vor dem

Stuhle» beruft, verlesen,

dem

vor

Bei

Altar.

W.

starb

Altar.

v.

Wams

wenn

Gadebuseh

Plettenberg zu

Er hat eben

von sich aus hiuzugesetzt, denn

in

und

erhalten.

S. 88, meint,

348, habe sich, indem er sich

S.

auf die Stelle in Arndts Chronik, II, S. 205: «in

für Alter auf dem

bestattet,

zum heutigen Tage

Plettenberg, Sonderabdruck,

und Hosen

er sagt:

heisst

es

Worte und das

beide

den von

auf

aber:

Wenden auf einem

ihm

citirten

letztere

Quellen

findet sich dasselbe nicht.

Ausser den gelegentlich bemerkten Unrichtigkeiten sind Refenoch eine Anzahl anderer aufgefallen, zum Theil Druck-

renten

resp. Gedächtnisfehler, die der

aufmerksame Leser

leicht als solche

erkennen wird.

Dem

Text sind eine Reihe von Abbildungen beigegeben, von denen das Bildnis Walters von Plettenberg nicht unbedingte historische Treue beanspruchen kann. Eine grössere besitzt die von diesem Bildnis abweichende Statue Plettenbergs am Schloss zu Riga aus dem Jahr 1515, von deren Kopf, nachdem ein Zinkguss desselben in getreuester Wiedergabe hergestellt worden ist, jetzt auch Photographien existiren. Dieser Kopf zeigt grosse Aehnlichkeit mit einem auf Schloss Nordkirchen in Westfalen, einer alten Plettenbergschen Familienbesitzung, erhaltenen alten Gemälde Plettenbergs. S. Rig. Zeit.

sehen

1885, Nr. 220.

Den Schluss des 2. Bandes und damit Werkes wird der Abschnitt «Iwan

des ganzen Schiemannder

Schreckliche

und

welchem neben den russischen auch die davon theilweise nicht zu trennenden polnischen und livländischen Angeseine Zeit» bilden, in

legenheiten eine Erörterung werden finden müssen darin besonders die Schilderung des Unterganges keit des

Landes von Interesse

ausgesprochen, dass lands abgesondert

die

für

sein.



;

für

uns

wird

der Selbständig-

Zuletzt sei noch der

Wunsch

Verlagsbuchhandlung die Geschichte Liv-

sich verkäuflich

machen möge.

Wol

wird

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Schiemanns Livländische Geschichte.

158

der Besitz der beiden Bände angehehm sein, da der Inhalt derselben öfters

zu

eiuander

in

Beziehung

tritt.

Trotzdem

werden nicht

Wenige, die sich des nicht unbedeutenden Preises wegen nicht das Werk anschaffen wollen, dankbar sein, wenn ihnen der An-

ganze

kauf nur der livländischen Geschichte, oder wenigstens des zweiten

Bandes

allein, also

zur livländischen Geschichte noch die Schluss-

abtheilung, ermöglicht wird.

P

h.

Schwartz.

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Leopold von Ranke über die Geschichte der Ostseeprovinzen.

Freund der baltischen Geschichte

r

klagen, dass er in

wild es oftmals be-

den allgemeineren Geschichtswerken,

wie in den specielleren Werken, die die Geschichte der angrenzenden Staaten behandeln, nur wenig Rücksicht auf die Ereignisse in den Ostseelanden, auf die Entwickelung ihrer eigentümlichen Sitte und

genommen

Verfassung

Ja,

findet.

man

darf sagen,

dass dieser

Mangel wol eine Hauptschuld an der geringen Kenntnis der heimatLanden wahrzu-

lichen Geschichte tragt, die in unseren baltischen

nehmen ist denn zur Beschäftigung mit den ausführlichen einheimischen Werken, welche diesen Gegenstand behandeln, gelangen nur ;

Wenige, um so mehr,

als jene

Werke

für einen weiteren Leserkreis

meist nicht fesselnd genug geschrieben sind.

Erfreulich

ist

es

nun, dass

in

der Weltgeschichte Leopold

von Rankes, die unzweifelhaft auf lange Zeit hinaus

die populäre

Geschichtsdarstellung beherrschen wird und deren Inhalt allmählich

wol

eine

Art Kanon

für

die

Geschichtskenntnis

der Gebildeten

werden dürfte, die Entwickelung christlich-germanischer Cultur an der Ostsee eine ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung entsprechende Darstellung gefunden hat.

Selbstredend keine ausführliche Darstellung,

denn diese würde aus dem Gesichtskreise universalhistorischer Betrachtung heraustreten, wohl aber eine scharfe und, so weit es die Objectivität

des

nicht

politisirenden

Historikers

gestattet,

liebevolle Beleuchtung der hervorstechendsten Punkte. es

ä



mehr Preussen, der

Sitz der

auch

Freilich ist

Hauptmacht des Deutschordens,

als

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;

Leopold

160

Ranke über

v.

die Geschichte der Ostseeprovinzen.

Düna, welches den Historiker fesselt der Reiclis- und Kirchengeschichte er-

die ferneren Gebiete an der

aber in

dem Zusammenhang

hält doch auch die Colonisation

gebührende Stellung.

Iu

und Christianisirung Livlands die

dem vorliegenden achten Bande wird

die

Geschichte der Hochmeister bis auf Winrich von Knieprode geführt.

Wir müssen punkt uns

bei

Geschichte

zu

eines

einzelnen

gestehen, dass der universalhistorische Gesichts-

weitem die befriedigendste Ansicht Inländischer gewähren scheint. Die Geschichte Livlands als politischen Gebildes läuft im 16. Jahrhundert in

die traurige Katastrophe

der Auflösung

der Zertheilung des

aus,

Landes unter die umwohnenden Machthaber; man könnte den Ausgang tragisch nennen, wenn er weniger kläglich wäre. Die Geschichte Livlands dagegen,

weitere

eine

in

culturhistorische

Be-

Jene Aufgabe,

ziehung gesetzt, wirkt erfreulicher und erhebender.

welche dem Ordenslande hier an den Grenzen der occidentalischen Cultur und Kirche gesetzt war, die Bildung einer festen Warte und Grenzmark gegenüber dem Andrange von Osten her (Ranke redet von dem Anstürme der Mongolen, die Europa zu überfluthen drohten), diese Aufgabe ist gelöst und auch unter wechselnden politischen Verhältnissen

eine eigenartige Gestaltung europäischer

In der Gruppirung der welt-

Cultur erhalten und bewahrt worden.

historischen Gebilde hat diese Colonie an der Ostsee ihre bestimmte

unverrückbare

Stelle, die sie ehrenvoll

kettung der Ereignisse

Ranke

betrachtet

;

aus der Ver-

nicht hinwegzudenken.

ist sie

die

behauptet hat

Colonisation Livlands

im Zusammen-

hänge der allgemeinen «Ausbreitung der lateinischen Christenheit nach Norden und Osten». Vor dieser universellen Betrachtung verschwindet die Rivalität und der Kampf zwischen Deutschen und

Dänen um den Besitz der Ostseelande;

diese

Fehden sind gering-

fügig im Vergleich zu der Thatsache, dass Beide weltgeschichtliche Ergebnis sie

gegen einander

gearbeitet

stritten, keiner

haben.

hätte

doch

für

das gleiche

So leidenschaftlich ohne

den anderen

sein Ziel erreichen können.

Selbst

der

Düna

einer

von

urtheilt

der ersten, durchaus deutschen Colonisation an Ranke, «Dänemark habe ihr durch die Gründung

Seemacht in der Ostsee unleugbaren Vorschub «Der Ausdruck und die beste Frucht der damaligen

christlichen

geleistet».

deutsch-dänischen Beziehungen land.

Auch

.

.

.

war

die Stiftung der Colonie Liv-

hierzu vereinten sich wie zu deu orientalischen Unter-

nehmungen der Epoche

mit

den christianisirenden Tendenzen die

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Leopold

v.

Ranke über

der Eroberung

und

über Meinhard, erwähnt bei

die Geschichte der Ostseeprovinzen.

vornehmlich

des Handels.»

kurz Berthold und

«Albert von Appeldern, dem

livländischen Wesens».

Ranke

verweilt dann länger

eigentlichen Stifter

Die Gründung

161

berichtet

von Riga,

ganzen

des

die Errichtung

Anlage der Burg Wenden wird erwähnt, aber auch auf das von Anfang an unklare Verhältnis des Bischofs zu dem Orden hingewiesen. Ranke versäumt nicht den Zusammenhang mit der allgemeinen Weltlage zu betonen, indem er die Belehnung des Ordens,

die

den deutschen König Philipp,

durch

des Bischofs

sowie das

Missionsgebiet zollte.

ob die Colonie

trotzdem

Allein

auf die Dauer

haupten können, zumal

mit

gegenüber

hält er es für zweifelhaft,

eigener Kraft

hätte be-

sich

dem hartnäckigen Widerstande

der Esten, die auch von russischer Seite unterstützt wurden.

somit

Waldemar von Dänemark, von Bischof Albert

Hilfe

angegangen,

seine

leb-

dem neuen

hafte Interesse hervorhebt, welches Papst lunocenz III.

gewaltigen Waffen

Wenn

selbst

um

nach den baltischen

Küsten wandte, so lag darin trotz der augenblicklichen Schmälerung der deutschen Herrschaft dennoch eine nothwendige wirkungsvolle Unterstützung des

gesummten Colonisatiouswerkes.

Nachdem

Waldemar

Hilfe gebracht, zugleich aber freilich Estland und Oesel genommen, so urtheilt Ranke, dass bei natürlicher Entwickelung der Dinge der dänische Einfluss in den baltischen Gegenden den Sieg davon getragen haben würde, zumal da er von Papst und in Besitz

Kaiser unterstützt wurde.

Allein

der

kaiserliche, vor

allem auf

Beherrschung Italiens gerichtete Wille war damals schon nicht mehr der Ausdruck des deutschen Gesammtwillens. In richtigerer Würdigung der eigenen, wie der allgemeinen deutschen Interessen

die

brach

bekanntlich

Uebermacht;

seit

eine Coalition

deutscher Fürsten

die

dänische

1227 gab es keine Hegemonie einer christlichen

Macht mehr auf der

Ostsee.

War

nun auf diese Weise

die deutsche

Colonie wieder auf sich gestellt, so zeigte sich auch sogleich, dass sie in ihrer

konnte. die

Vereinzelung sich eben so wenig wie früher behaupten

Da

aber

erfolgte

im Augenblick

der äussersten Gefahr

Besetzung Preussens durch den Deutschen Orden. Ziemlich ausführlich wird

dieses Ordens von Ranke behandelt, die Vereinigung mit dem Schwertorden kurz erwähnt und festgestellt, dass auf diese Weise eine verteidigungsfähige Macht an den baltischen Küsten zu Stande kam, die nun ohne Gefahr «jedem ferneren Anspruch von Seiten Dänemarks einen die Geschichte

Riegel vorschieben» konnte. Ualti*rlie Monatsschrift.

Rand XXXV,

ll»*fl

2.

11

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;

Leopold

162

Wie Macht,

v.

Ranke über die Geschichte der Ostseeprovinzen.

schon zu Anfang erwähnt, setzt nun

emporkam,

«die imposante

Preussen und

in

weltgeschichtliche Beziehung zu der

eine

in

Ranke

des Deutschen Ordens

zu der der Staat

Livlaud

drohenden Ueberfluthuug Europas durch die Mongolen.

wäre

wie sehr nun jenes Widerstreben

den Einwirkungen gegen.

.

allein

.

Institutionen

christlichen

und befestigt werden

angeregt

diesen

nächsten Feind

bezwang und

Bereich unüberwindlich aufstellte, setzte er

sich in seinem eigenen sich zugleich den

am Tage liegt, Heidenthum ... in seinem .

vordringenden

die

der Tataren

der Orden

Indem

musste.

;

nördliche

uralte

gegen

den Einbruch

durch

von dem überwältigten Russland herüberdringender Goldenen Horde auf das Kräftigste ent-

zum vornehmsten Bollwerk des Abenddem sich auch das gesunkene Polen und

Sein Staat wurde

landes gegen Osten, an weiterhin

Ungarn

allmählich

wieder

vermochten.»

aufzurichten

Ausdrücklich hebt Ranke hervor, diese Combination eine gelehrte Abstraction

lebten und webten in dieser Idee.»

Kämpfe gegen

Besonders ausführlich werden in

denen hauptsächlich

Ordens als Vormauer gegen Osten für Europa

sichtbar und greifbar

mehr und mehr, während

Wenn

patriotischen Interesse

Auf

und Ordens beschränkt sich die Darstellung

wurde.

die dortige Geschichte des

rührt werden.

die Zeitgenossen selber

;

die Littauer behandelt,

die Wichtigkeit des

nicht nur

sei

Bullen der Päpste des dreizehnten

«die

;

Jahrhunderts weisen wiederholt darauf hin die

«Nicht als

Eroberung des Ordens von vornherein durch

die preussische

den Mongolensturm veranlasst worden

die Schicksale Preussens

die livländischen Ereignisse nur

sich

dies

zum

kurz be-

aus einem besonderen

Theil

des grossen Historikers

erklären

lässt, so

hat es doch auch seine unzweifelhafte sachliche Begründung

in

der

hervorragenden Bedeutung, welche die preussische Ordensgeschichte

Fortgang der Weltgeschichte genommen die Entstehung des Herzogthums Preussen, dessen Vereinigung mit Brandenburg zur Begründung des Staates, den wir heute Preussen nennen, diese Ereignisse sind es, welche ihre Bedeutung auch in die Verfür den

;



gangenheit zurückwirken lassen und das Interesse

für

die

Keime

der gewaltigen späteren Schöpfung erwecken müssen. Indess berührt

Ranke auch

die Frage,

warum

die Schicksale

Livlands sich so ganz anders als die Preussens entwickelten? führt als

Antwort zwei Ursachen an

:

erstens,

«dass die

Er

Gewalt

des Erzbischofs in Riga mit der des Ordens hinderlich concurrirte» verallgemeinert,

würde

dies

heissen, dass

es

der Organisation an

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Leopold der

v.

Ranke über

die Geschichte der Ostseeprovinzen.

erforderlichen Einheit

zweitens:

dass «sich

entlegenen Gebiete

Preussen

die

und

gebrach

Geschlossenheit

bäuerliche Einwanderung

die

hinüberleiten

Einwanderung so

völkerung allmählich ganz

und

Hess»

;

stark,

gar

;

nicht in diese

dem gegenüber

dass

durch

103

sodann tvar

in

die einheimische Besie

aufgesogen wurde.

Die mangelhafte Besiedelung Livlands erklärt sich

auch dadurch,

dass das zwischen Preussen und den nördlichen Ordensländern ge-

legene Samogitien

auf die Dauer

nicht

von dem Orden

erobert

werden konnte und dadurch die Abgeschlossenheit und Abgelegen-

Mit den Ver-

noch steigerte

heit jener nördlicheren Gebiete sich

suchen zur Unterwerfung Samogitiens beschäftigt sich Ranke ziemlich

eingehend; mit

dem vorübergehenden

Erfolge, der 1370 erzielt

wurde, schliesst die Darstellung.

An

den

raschen Streiflichtern,

welche Ranke

seiner Geschichte auf die Vorzeit unseres

Landes hat

im Fortgange fallen lassen,

mag der Specialforscher vielleicht manches auszusetzen finden. Ein Werk so umfassenden Inhalts, wie das des dahingeschiedenen grossen Geschichtsschreibers, kann nicht in allen Einzelheiten dem Gange der allerneuesten Forschung folgen keit

des

gegenwärtigen

schlechthin unmöglich. das,

;

die

unermessliche Vielfältig-

wissenschaftlichen

Wir glauben

Getriebes

wir

aber, dass

macht

dennoch

es

für

was Ranke von unserer heimatlichen Geschichte gesagt, ihm

unbedingten dort Anstoss

Ranke

Dank zu

zollen haben.

nimmt, sich

an

sich selbst unterbricht,

Möge

der,

welcher hier oder

die Worte erinnern, mit welchen nachdem er gegen Tacitus einigen

Widerspruch erhoben hat; «Ich bin es müde, Ausstellungen an den Werken des Meisters zu machen, den ich bewundere und verehre.» Dr. O.

H

a r n a c

k.

11 *

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Notizen. BvitrHge zur Lande»

Goethe

mul Volkskunde von Elsas» Lothringen.

IV. Heft.

nml Cleophe

Ein

Fibicli

von Strnssburg.

Lenz,

nrknndlii-her

Commentar zu Goethes Dichtung und Wahrheit, mit einem Arnmintaa

in

farbigem Lichtdruck und

Lenz-Stammbuch von Dr. Job. neuen Realschule in Strassburg.

!§^^j|er Name

Froitzheim,

des unglücklichen Dichters

Lande deutscher Zunge.

l’ortriit

ans dein

Oberlehrer au

ifcr

Strassburg, Heitz, 1888. S. 98. 8.

nun mehr als hundert Jahren westlichsten

ihrem Facsimile

Lenz verknüpft

die beiden östlichsten

War

auch

sein

Leben

seit

und ein

kurzes und mühseliges und seine Dichtungen, wenn auch Zeugnisse entschiedensten Talentes und genialer Auffassung der ihn umgebenden

Natur- und Lebensverhältnisse, wie auch reichen

Keimen

für

die

Folgezeit

einer

fruchtbaren

merkwürdigen, an Periode

unserer

deutschen Literatur, doch wie sein Leben zerrissen und bruchstück-

kann er sich wenigstens über Mangel au Nachruhm nicht beklagen. Seit Goethe in «Dichtung und Wahrheit* die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, ist meines Wissens die literarische Specialforschung mit keinem deutschen Dichter zweiten Ranges so aufmerksam beschäftigt gewesen als mit ihm. Selbst zu einem albernen artig, so

literarischen Täuschungsversuch, der dadurch

um

nichts geistreicher

(W. Arent) sich später als Urheber des Machwerks entpuppte, hat er seinen Namen hergeben müssen. Und wird, dass der Verfasser

noch stehen uns bedeutende Veröffentlichungen über ihn bevor. Sind nun auch die meisten dieser Forschungen, und wir möchten sagen die grundlegenden, auf seine Landsleute in den Ostseeprovinzen zurückzuführen, so hat doch auch, seit Ludwig Tieck, Deutschland

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Googlel

-.k

J

Notizen.

sich

immer wieder mit ihm

165

Bot die Heimat natnr-

beschäftigt.

gemäss das Material zur Feststellung der Biographie des Dichters, so

seine

ist

zeitgenössischen

Geistesrichtung

Zudem hat

Gegenstand der Untersuchung gewesen.

Periode, eigentlich die einzige bedeutende

auch

bedeutenden

Goetheschen letzteren

nun

mehr

hier

die strassburger

seinem kurzen Leben,

in

und Freunden der August Stöber, Anlass geboten, ins

Geistesverwandten

elsftsser

wie

Dichtung,

über Lenz

gehende Studien

Einzelne

ihrer Totalität und im

literarische Persönlichkeit in

Zusammenhänge der

zu

Diesen

veröffentlichen.

reiht sich der Verfasser der vorliegenden Schrift an.

Nach einem kurzen Abriss von dem Leben des Dichters, worin mir der Nachweis von dem Einfluss Lenzscher Dichtungen auf Goethe nicht recht gelungen scheint, geht er zunächst die

bis-

herigen Documente über Lenz’ Verhältnis zn jenen beiden kurländi-

schen

Offizieren

deren

durch,

nicht gerade grossem

Glück

in

und Aufseher Lenz

Begleiter

Strassburg zu spielen hatte.

mit

Dabei

bot ihm das aus Schillers Nachlass

von 1772, welches

v.

Urlichs in

stammende Lenzsche Tagebuch der «Deutschen Rundschau« 1877

Anhalt zur Ermittelung jener auf die Lenz dort gewöhnlich Araminta und nur einmal Clephchen nennt, mit welcher der ältere jener beiden Kurländer, v. Kleist, sich verlobte. Seine Nachveröffentlichte, einen wichtigen

dem

Titel

forschungen

genannten Cleophe Fibich,

dass Susanna Cleophe Fibich, Tochter eines

ergaben,

dem

Juweliers, wirklich mit

älteren

v.

Kleist verlobt und von ihm

und den Eltern seiner Braut ein Eheversprechen unterzeichnet war,

dem Verfasser

das es somit

gleichfalls aufzufinden gelungen

die Verhältnisse

Lenz’ «Soldaten»,

in

er deshalb Klinger gebeten

der

Wirklichkeit

konnte. eröffnet

hatte

übereinstimmen

sich ,

als

ist,

und dass

deren Verfasser

zu nennen, noch mehr mit

man

als

bis

jetzt

annehmen

In diesem Eheversprechen, welches erst nach 15 Monaten

werden

sollte,

wenn nach Verlauf nicht zu Stande

verpflichtete sich Friedrich

Georg

v.

Kleist,

dieser Zeit der Ehecontract durch seine Schuld

kommen

wollte der Baron in die

sollte,

Heimat

14000 Livres zu zahlen. reisen,

um

Bis dahin

die Einwilligung seiner

Eltern zu erhalten; wer aber nicht wieder kam,

war besagter Baron,

der sich im Gegentheil schon 1776 mit einem adeligen kurländischen 16jähr. Fräulein vermählte.

cavaliermässig benommen.

Weniger beglaubigt

Der Verfasser Und dem kann

äussert, er habe sich nicht ich

als die amtlichen

mich nur

anscliliessen.

Nachrichten über diesen

würdigen Zögling unseres Lenz sind die Mittheilungen der Familie

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166

Notizen.

Fibich, Cleophe sei eine Jugendfreundin der Friederike von Seseulieim gewesen,

noch weniger die Vermuthung, Goethe

sei

auch der

Fibichsclien Familie bekannt gewesen und habe auf seiner Schweizer-

1775 einem Concert im Fibichscheu Hause beigewohnt.

reise

Durch

obige Ermittelungen nun werden auch die Verhältnisse in den Ent-

würfen des dramatischen Nachlasses von Lenz, die Weinhold 1884 herausgab, etwas mehr aufgeklärt.

Die «Katharina von Siena»

Cleophens ältere Schwester dieses Namens, ist

Wiedeburg Lenz

selbst

Schwester Cleophens. Jungfer»

tritt

Richtige

hatte

der

und Ott einem

In

Vater

anderen

Fibich

Weinhold

schon

ist

der «Alten Jungfer»

Entwürfe der

«Alten

Namen auf. Das Anmerkung vermuthet. mit

selbst

in

in

der Freier Katharinas, der

ist

einer

Lenz

spielte nun mit der verlassenen Araminta, nachdem ihr Bräutigam von Strassburg abgereist war, ein ähnliches Spiel, wie

er es bekanntlich nach seiner

von Sesenheim

spielte:

Rückkehr von Weimar mit Friederike

er drängte sich ihr als Liebhaber auf, und

Vermuthung des Verfassers, er habe dies Spiel getrieben, um die Braut dem treulosen Bräutigam zu erhalten und im letzten Augenblicke vor dem wahren Bräutigam zurückzutreten, ist denn

die

doch zu abenteuerlich, als dass man nicht ihr gegenüber die andere aufstellen möchte, der schon vor seiner Abreise treulose

um

habe Lenz zu diesem Spiel veranlasst, überhoben zu werden.

Bräutigam

so seines Eheversprechens

Ja, auch der jüngste Bruder des Bräutigams,

der noch vor der Abreise desselben in Strassburg eintraf und sich

mit Lenz

über

mit Cleophe,

dessen Liebelei

mir als ein

die

in

jeder Hinsicht schändlich belogenes und betrogenes ehrliches Bürger-

mädchen vorkommt, entzweite,

von ihm trennte, scheint mir dieser fern gestanden zu haben.

Untersuchungen haben. seits

des

Das

fleissigen

Lenz

so dass

ist

sauberen Angelegenheit nicht

der Eindruck, den die sorgsamen

Verfassers

gerichtet

spiegeln.

die

besonders

getreu

Die Untersuchungen

Vergleichung desselben

(S.

mit

dieses Beispiel so

zeigt

in

französischen

Dramen unserer Sturm- und

aber 81

zurückgelassen

«Richtet nicht, auf dass

werdet,» andererseits

geschlechtlichen Verhältnisse

Garnisonstädten, die sich in mehreren

Drangperiode,

mir

den unglücklichen Dichter

bald genug ereilte, ein ernster Mahnruf: ihr nicht

in

für Lenz, so ist doch einer-

Ist er nicht gerade ehrenvoll

das furchtbare Schicksal, welches

recht die unseligen

eine Zeit lang

sich

ff.)

in

Lenz’

«Soldaten»

ab-

über dieses Lustspiel und

Wagners «Evchen Humbrecht»

werden jedem Freund der deutschen Literatur

höchst willkommen

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167

Notizen.

sein,

wie wir überhaupt dem Verfasser

Dank

verpflichtet sind.

schen

Garnisonstädten

seine

für

Bemühungen zu

Jene unseligen Verhältnisse haben

auch

französi-

in

Unglück

Schillers

gemacht:

Frau von Kalb musste sich von ihrem Manne trennen, weil man es für unschicklich hielt, dass die Frau eines Offiziers mit ihm in französischen Garnisonstadt

einer

besonders

lebte,

aber,

weil es

den Offizieren bequemer war, keine Ehefrau zu Zeugin ihrer Aus-

schweifungen Schiller mit

haben

zu

so

;

blieb

Gemüthsaufregungen

Sulza,

der Ostsee.

Du

Robert Boxberger.

Strand

Mitnu 1888.

S. 31.

8.

Deine Wellen haben schon

!

Dünen und Jomen die Feste gesehen, an denen der Knabe theilnehmen Glieder

ersten ländlichen

durfte

hetzte

eine gefährliche Krankheit.

in

Johanna Conradi.

Von

alter lieber rigischer

des Dreijährigen

Mannheim und

Thüringen.

in

Dr.

An

in

sie

deine

umspült,

aus der Einförmigkeit deiner langgeschweiften Linien und

;

dehnenden

der jenseits derselben

sich

der Jüngling den

übertrofFenen Eindruck

gewonnen, und

nie

an

wie

Küstenbildungen der

Mann

ist

Kiefern Asserns mit

der Meeresmajestät

an

wie

mannigfaltigen

auch geweilt, die Vorstellung der Un-

endlichkeit, der in ihrer Ruhe, wie

Grösse des Meeres

unübersehbaren Fläche hat

vielen Gestaden,

in ihrer

Erregung imposanten

ihm fast nirgends so erweckt wie unter den

dem Blick auf den

fast

verschwindenden Leucht-

thurm der Dünamünde und dem ungeahnte Geheimnisse bergenden Horn von Raggazeem. Wie verheissungsvoll ragen die blauen Kuppen des Hüningsberges und der Talsenschen Höhen nach Süden über den Föhrensaum hervor! Gar viele sind nicht dort hinauf gedrungen, viel weniger

noch

um

jene Spitze

gebogen, die

eine

neue Schweifung eröffnet, ähnlich der altbekannten und doch wieder eigenartig für sich.

Es sind auch schon 30 Jahre einem

Schreiber als fröhlicher Student mit ersten

Male den Strand entlang

schritt bis

aufsuchte, 22 Jahre, dass ihn der

am Kangersee

vorüber,

um

Wagen

brachte.

er wieder dort an der Stelle gestanden,

her ans

Meer mündet,

ists

Biggaun,

wackeren Frater zum Biggaun und Kemmern

des Schlockschen Pastors

herum nach Plönen und dann

die Spitze

landeinwärts jiach Nurmhusen

her, dass der

Im wo die

ists

vorigen

Sommer hat Kemmern

Strasse von

Pihksteneek

?

Das weiss

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168

Notizen.

mehr

er nicht

— aber

hübsch und heimlich

und schön und erhaben

ists

dort aufs

ist

das Fleckchen dort

Meer zu schauen.

Dorthin und immer weiter bis ans Ende des Rigaschen Busens bei

Domesnäs

führt

zählung nicht neu

Johanna Conradi

Dass ihre Er-

ihre Leser.

*

vor 20 und 25 Jahren mit hinaus ? Der Verfasserin dass sie

zum Wiederabdruck

strecke gegriffen

Badeorte

seit

Nimmt denn

thut der Sache keiuen Schaden.

ist,

der heutige Strandbewohner etwa die .Jahrgänge des

die

hat,

Rig. Almanach»

zu danken,

ists

ihrer frischen Schilderung der

von den Veränderungen

1863 wenig berührt worden

Man

siud.

Wander-

der rigaschen greife

nur

nach dem Büchlein und lerne kennen, wohin das Auge nicht mehr reicht

trägt

;

und der Fuss zum gewöhnlichen Spaziergang nicht mehr wer Kraft und Müsse hat, lasse sich auch reizen, den Weg

thuender

ist

der Fremde

ist,

um

Lücken

klaffen die

Je mehr man

das Bewusstsein, die Heimat zu kennen,

selbst nachzugehen.

in der

in

um

so wohl-

so gähnender

selbstgewonnenen Kenntnis der Heimat,

um so schmerzlicher, wenn sie sich nicht mehr schliessen Der Genuss des Schönen an anderen Orten bietet für den Mangel keinen vollen Ersatz.

und

lassen.

Fr. B.

Herausgeber

:

R.

Weis».



Verantwortlicher Redacteur:

Jossojeno neinypom.

-

Peseji, 28-ro

Mas

Ho

H.

188.8

1

1

a

ml

c r.

r.

Gedruckt bei Lindfora' Erbon in Koral,

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/

Einnahmen

Kirchliche

in

Altlivland.

^^jlegenseitig sich bedingend und bestimmend vollzieht sich | V^ q. im Mittelalter das Wachsthum des Einflusses der Kirche und die Zunahme des Besitzes derselben; jeder Wechsel in der

J

Organisation der Kirche wirkt ein auf die Verwaltung des Kirchen-

Der

vermögens.

Eintritt der christlichen Kirche in die Reihe der

anerkannten Factoren unter Konstantin dem Grossen ist Gewinn einer rechtlichen Unterlage für die

politisch

bezeichnet durch den

Gründung die

eines selbständigen Kirchenvermögens, indem der Kaiser

Kirche für erwerb- und

erbfähig

der Völkerwanderung gelang

erklärt.

der Stürme

Trotz

der Kirche bald, sich grosse Be-

es

sitzungen zu erwerben, doch blieben die Einnahmen unregelmässige, zufällige,

bis

die Kirche

Staaten, namentlich im

in

den

neu entstandenen

germanischen

fränkischen Reiche sich eine feste Organi-

sation geschaffen hatte und

nun von sich aus an die Aufgabe ging,

der Kirche gesetzmässigen Besitz und feste Einnahmen zu erringen in Form des «Zehnten» und der «Beneficien», Die Lieferung des zehnten Theiles sämmtlicher Naturaleinkünfte

und zwar

an die Kirche war

als

freiwillige Leistung schon vorher hie

und

da üblich gewesen, zu einer gesetzmässigen Abgabe erhob erst die

MAcon 585 den Zehnten, indem sie zugleich den Säumigen mit dem Banne bedrohte. Zu dieser wesentlich aus dem Synode

von

mosaischen

Gesetz

entsprungenen

welche einst als Abgabe an

Leistung

traten

nun

Zehnte,

den römischen Staat entrichtet, nun-

mehr vielfach der Kirche geschenkt wurden. Auf dieser combinirten Grundlage beruhend, breitete sich der Zehnte allmählich als kirchliche Steuer über das Frankenreich aus, bis ihn die grossen Neuordner Baltische Monetiaebrift.

Band XXXV Heft.

3,

12

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170

Kirchliche Einnahmen

in

Altlivland.

der fränkischen Kirche, Pipin und Karl der Grosse, als allgemeine Abgabe bestätigten. Nicht zufrieden damit, der Kirche eine derartige reiche Einnahmequelle gesichert zu haben, schufen die Karolinger

der Kirche

auch

einen

festen

Landbesitz,

schrieben, jede Kirche solle mindestens mit einem

einem vollen Morgen dotirt

indem

sie

t mattstes

vor-

integer*;

Seitdem gehörten zu jeder Kirche bestimmte Grundstücke, deren Nutzniessung den kirchlichen Beamten sein.

zustand, das Beneficium, wie dieses Verhältnis nach Analogien aus

dem bürgerlichen Leben bezeichnet wurde.

Somit waren schon

in

der fränkischen Monarchie der Kirche ihre drei grossen Einnahmequellen gesichert

freiwillige

:

zehnte und das Beneficium.

Schenkungen und Gaben, der KirclienDie weitere Entwickelung der Kirche

führte dann dazu, dass, wie sachlich und räumlich die einzelnen Kirchenämter von einander abgegrenzt wurden, so auch die ursprünglich als Eigenthnm der Gesammtkirche betrachteten Ein-

künfte

gesondert

wurden;

das

Schlussresultat

war,

dass

jedem

(Amt) auch ein ständiges Beneficium entsprach, dass auch Zehnten uud Gaben regelmässig getheilt wurden unter die einzelnen Beamten der Kirche, um, mit dem Beneficium an ein beOfficium

die

stimmtes

Amt

gebunden, die Präbende oder Pfründe desselben zu

bilden.

Diese

im

Mutterlande

Einrichtungen

üblichen

deutschen Colonisten auch an die

Düna hinüber

unter

trugen

die

die Letten

und Esten trotz heftigen Widerstandes namentlich gegen den Zehnten. Leider sind uns keine genaueren Nachrichten

über die Beschlüsse

des livländischen Provinzialconcils von Riga erhalten, welches unter

dem Vorsitze des um Livland so verdienten päpstlichen Legaten Wilhelm von Modena 1225 die kirchlichen Verhältnisse Livlands und Estlands regelte um so erwünschter ist es, dass uns eine Urkunde (L. U.-B. I, Nr. 240) instrnctiven Aufschluss über die Stiftung von Pfarren in Kurland gewährt. Hiernach einigen sich (1252) der Bischof von Kurland und der Statthalter des Hochmeisters ;

über die Errichtung von Kirchen nächst 11 gestiftet werden,

in

Kurland, und zwar sollen zu-

4 vom Bischof und 7 vom Orden, da

letzterer zwei Dritttheile des

Landes

besass.

erhalten gleichmässig von

tgehnVedemc >

4 Haken und Heuschläge,

welche 30 Fuder

Dazu kommen dann an

(d.

i.

Alle diese Kirchen bearbeitetem) Lande

znm Fundus. dem einen Bezirk (*/, Mark)

liefern,

jährlichen Einnahmen in

je eine Last Roggen, Gerste und Hafer und drei Ferdinge Silber,

welche

der

Bischof oder

Orden

leistet,

und

3

rigische

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

171

Pfennige pro Seele von jedem Gemeindegliede, männlich oder weiblich,

welches

das

14.

Jahr überschritten

Diese jährlichen

hat.

Leistungen sind für den anderen Bezirk dahin abgeändert, dass die Kirchspielsbewohner pro Haken jährlich je ein Külmet Roggen, Gerste und Hafer

zu

während

haben,

entrichten

Wenn

«Ofterpennige» gleich hoch normirt sind.

Pfarrgründungen

auch

hier

die

uns auch über die

Livland und Estland nicht derartige eingehende

in

Nachrichten erhalten sind, so können wir doch mit Rücksicht auf die späteren ähnlichen Verhältnisse und

Einrichtungen



wenigstens

in

auf die Gleichartigkeit aller

grossen Zügen



aus jener ersten

Zeit annehmen, dass im grossen und ganzen die materiellen Grund-

lagen der neu gestifteten Pfarren in Livland und Estland ähnliche

gewesen sind wie die die

Zehnten nicht

Lieferung

des

in

Schon

Kurland-

in der praktisch

zehnten Theils

hier zeigt es sich, dass

kaum durchführbaren Form der Naturaleinkünfte

aller

in

Livland

zur Geltung gelangten, sondern schon früh abgelöst wurden.

Die Fragen über Zeit und Art der Ablösung sind jedoch so schwierig und führen durch den Zusammenhang mit dem gesammten Steuerwesen und durch die Abhängigkeit vom «Haken» so weit ab, dass hier nicht näher auf dieselben eingegangen werden kann. Während die Anordnungen in Bezug auf die Plärren in ihren wesentlichen Formen sich durch die Stürme von 6 Jahrhunderten erhalten haben, hat die Regelung der Einkünfte der höheren Geistlichkeit



von

den Klöstern

wir hier völlig ab

sehen

derartig bleibenden Werth, dennoch

auch

in

diese Einblick

Bischof Heinrichs

zu

dürfte

es

gewinnen, wie

von Oesel

über

die



keinen

von Interesse

ihn

sein,

uns die Urkunde

Einsetzung

des

öselschen

Domcapitels im Jahre 1251 gewährt (L. U-B. VI. Nr. 2731). Hier werden 12 Domherren eingesetzt, von welchen 4 die Würden des Propstes,

Dekans,

welche Aemter Allein mit

Scholasticus

und Custos

bekleiden

auseinandergesetzte Pflichten

klar

Ausnahme

des Dekans,

welcher

die

sollen,

gebunden

an

sind.

oberste Aufsicht

über das vorschriftmässige Leben der Domherren hat und deshalb

vom

vom Bischof aber

Capitel gewählt,

bestätigt wird, ernennt der

Bischof alle Domherren und vertheilt die Pfründen unter dieselben,

doch wird als Regel halb des Capitels ein

den oberen Stellungen als

Besetzung der verschiedenen Würden innerallmähliches Aufrücken von den unteren zu

bei

in

ständige Vertretung

zeichnet werden

und

hat

genommen. Das Capitel kann gesammten Diöcesangeistlichkeit be-

Aussicht der als

solche

als

wichtigste Befugnis das 12 *

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172

Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

Recht und die

Pflicht,

vollen Stellung

den Bischof zu wählen.

unter die Domherren

auch

dann

entsprechen

herren, denn ausser den reichen

Dieser bedeutungs-

die Einkünfte

Gaben an

der

Dom-

Domkirche, welche

die

werden, den Distributionen, werden

getheilt

zum Unterhalt

des Capitels

bestimmt, von welchen 12 Pfründen gegründet werden.

Vieren von

weniger

nicl^t

300 Haken Landes

als

wiederum dreien je 18, endlich zweien je 13 Haken Landes zugewiesen, ausserdem erhält der Propst 18, der Dekan 8, der Scholasticus 6 und der Gustos diesen Pfründen werden

je 20,

Ferner werden 12 Haken reservirt für die Kirchenbau-

4 Haken.

dem Custos zur Anschaffung von KirchenGewändern &c. zugetheilt, endlich erhalten die

0 werden

und

kasse

24, dreien

je

geräthen, Büchern,

2 Glöckner das bedeutende Reneficium von je 5 Haken Landes zu ihrem Unterhalt.

und Kurland





Wol eben

waren

so reich

letzteres besass

die Capitel

von Riga

neunten Theil von Kurland

den

nur das Capitel von Reval war weniger reich

dotirt,

während

über Dorpat die Quellen leider nur ungenügende Nachrichten geben.

Nimmt man

hinzu, dass die Bischöfe,

ausser

denen

von Kurland

und Estland, Obereigenthümer des grössten Theiles ihrer Diöcesen

waren

und

grosse Gebiete

als

unveräusserliche

Tafelgüter

zum

Unterhalt der fürstlichen Haushaltung der Bischöfe dienten, nimmt

man

hinzu, dass

auch

die Klöster

über

reichen Grundbesitz ver-

fügten, endlich, dass jene oben dargelegte gesetzmässige Ausstattung

der Pfarren vielfach durch

private Schenkungen

wurde, dann hat man erst einen Einblick welche

der katholischen Kirche Livlands

noch

vergrössert

in die grossartigen Mittel,

zur

regelmässigen Ver-

fügung standen. Dennoch genügten diese Zehnten

und Beneflcien der Kirche denn ausser den grossen Ausgaben, welche die zahlreichen Kirchenbeamten und die prächtige Ausstattung dps Gottesdienstes

nicht.,

notlnvendig machten, erforderten die

Kämpfe und

Rechtsstreitigkeiten

ausserhalb und innerhalb Livlands grosse Kosten und das gesammte

Gebiet der Wohltliätigkeit im weitesten Umfange war der Kirche überlassen.

Immerhin

ist

es

doch

vor allem der Umstand, dass

die Pfründen als persönlicher Besitz der einzelnen

Kirchenbeamten

galten und dass diese ein prunkvolles Wohlleben

führten, welcher

uns die Stellung des Inländischen Concils von 1428 zu der Frage über die kirchlichen Einkünfte erklärt.

Die

zwanziger Jahre

des 15. Jahrhunderts können

als eine

der lichtvollsten und wohlthuendsten Perioden der Geschichte Liv-

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

lands bezeichnet werden

jeuer unheilvolle

:

und Erzbischof, welcher

sich

als

summte Geschichte Altlivlands

Kampf

Faden durch

blutrother

zieht,

war

173

zwischen Orden



wenigstens

die ge-

officiell



auf einige Zeit verstummt und auch nach aussen hin hatte Livland, glücklicher als das benachbarte Preussen, die im 13. und 14. Jahr-

gewusst, wenn auch

hundert errungene Stellung sich zu bewahren die durch den

Erwerb von Sanmiteu

erstrebte

engere Verbindung

mit Preussen und damit die erhoffte Grossmachtstellung der deutschen

Colonien an der Ostsee

der Schlacht von Tannenberg für

seit

aufgegeben werden mussten.

immer

Dieser Verzicht, besiegelt durch den

von Welun von 1423, sicherte dafür Livland eine Reihe ununterbrochener Friedensjahre, welche die Landesherren in der

Frieden

schönsteu Weise ausnutzten, indem sie sich in warmer Fürsorge für

das

Land

einer

gesetzgeberischen

eifrigen

Als hervorragendste Denkmäler dieses

Thätigkeit

edlen Eifers

hingaben.

uns die

sind

Landtagsbeschlüsse von 1422 und die Statuten des Provinzialconcils

von Erzbischof Hennig Scharfenberg Ende erhalten. Die überaus wichtigen Beschlüsse des

abgehalten

von Riga,

Januar 1428, Landtags von 1422



jährlicher Berufung deu

schatten

sie

Landtag

erst

für sittliche, intellectuelle und

volkes



künfte,

während

in

die

Bestimmung Vertretung

liebevollster

Weise

auch materielle Hebung des Land-

kaum

berühren jedoch

durch

als verfassungsmässige

des livländischen Staatenbundes und sorgen

Frage der kirchlichen Ein-

die

sich die Statuten der rigischen

Synode um so

ein-

gehender mit derselben beschäftigen.

48 Artikeln zusammengefassten Beschlüsse des Provinzialconcils von Riga lassen sich als erste livländische Kirchenordnung ansehen, denn sie erstreben die Regelung der gesammten kirchlichen Die

in

Innerhalb dieses Rahmens erscheint dann als wesentHebung des Landvolkes, als wesentlichstes Mittel Zwecke die Hebung der Landgeistlichkeit. Die An-

Verhältnisse.

lichstes Ziel die

zu

diesem

forderungen, welche

müssen werden

an

im Vergleich Europas aus

Gebiete ;

ihnen

die

mit

niedere Geistlichkeit gestellt werden,

ähnlichen

jener

entspricht

Zeit

dann

materielle und rechtliche Stellung

Synodalbeschlüssen

als

wiederum

sehr die

hohe

der Pfarrer, wobei

aller

bezeichnet

Fürsorge zu

für

die

betonen

Bestimmungen der Provinzialgesetzgebung überlassen waren und darum selbständig gefasst sind, während ein grosser Theil der übrigen Satzungen direct auf das kanonische Recht zurückgeht. Charakteristisch erscheint es, dass überhaupt

ist,

dass

gerade

diese

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

174

nur ein einziges Mal die Einkünfte

Auge

gefasst werden und

zwar

der

in der

höheren Geistlichkeit

ins

Form, dass den Domherren an den Gaben, ge-

der Verlust der Distributionen, ihres Antheils

droht wird,

falls

theilnehmen.

welche zwar

nicht

sie

Weit wichtiger in erster Linie

an

die die

niedere Geistlichkeit von Bedeutung

Die Procuration bedeutete bei der Visitation

lichen

Ausübung des Gottesdienstes

der

ist

für

Regelung der «Procuration», höhere, doch auch für die ist.

der Laien,

die Pflicht

aufzunehmen

und

bedeutend diese Last sein mochte, ergiebt

zu

die Geist-

Wie

verpflegen.

daraus, dass

sich

z.

B.

der Schwertbrüderorden beim Vergleich mit Bischof Albert (1210) sich verpflichten musste, den Bischof jährlich einmal bei den Visita-

vom Orden geaufzunehmen und das «mit einem Geleite von 20 XVI); ebenso mussten die Bürger von Riga,

tionen in den Ordenshäusern, zweimal aber in den stifteten Pfarren

Pferden» (L. U.-B. Nr.

von Bischof Nikolaus Ländereien

als sie

zu Lehn erhielten, ver-

sprechen dem jedesmaligen Visitator 7 Reitpferde zu stellen, endlich in

Oesel mussten dem Bischof sogar zweimal jährlich je 12 Pferde

gestellt werden, oder

mal aber

musste

dem Archidiakouus an

der Visitator

und verpflegt werden

seiner Stelle 7, jedes-

mit seinem Gefolge aufgeuommen

(L. U.-B. III, Nr.

Wenn nun

99 a).

die rigi-

scheu Statuta erklären, dass jeder Einzelne bei der Visitation seines Prälaten zu der Procuration verpflichtet

durch

und

eine

normirte

alljährliche

ferner, dass eine

auch noch

Leistung nicht befreie, so

ist

das

sei,

Lieferung so lange in

falls er dieselbe nicht

von Getreide

ablöse,

Verjährung von dieser

doppelter Beziehung von Inter-

Abgesehen davon, dass wir aus dieser Verfügung auf eine Durchführung der Visitation bis in das 15. Jahrhundert und regere Belebung dieser wichtigen Einrichtung um jene Zeit schliessen können, zeigt es sich, dass und wie aus der ursprünglich nur an die Visitation gebundenen Aufnahmepflicht eine esse.

lässige

auf eine

ständige

Abgabe wurde, ausserdem aber

erhellt aus jener Vorschrift,

dass bereits 1428 vielfach die Procuration durch jährliche Getreidelieferungen abgelöst war.

Sehen wir nun

die

Bestimmungen

der Kirchenordnung über

die kirchlichen Einkünfte durch, so fällt es auf,

Einnahmequelle

der

sog.

Zehnten

nur

dass die wichtige

ein einziges

Mal erwähnt

wird, indem Artikel 20 «Ueber Zehnten und Darbringungen» handeln soll.

Die Erwartung

werden

in

mit keinem

Worte

diesem Abschnitt die Zehnten auch nur gestreift.

Diese

wird jedoch

getäuscht,

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

sonderbare Erscheinung dürfte sich wohl dadurch dass eben die Leistung der Zehnten schon

Pfarren festgestellt und

seit

war,

geregelt

völlig

175

erklären lassen,

der Gründung der

Synode

so dass die

von einer Neuordnung und auch von der Einschärfung der Zehntabsehen konnte.

pflicht

Nur wenig eingehender wird

gedacht, denn

der Beneficieu

auch diese waren ja bei der Stillung der Kirchen ein für

alle

Mal

gesichert worden, weshalb nur der allgemeine Grundsatz aufgestellt

Widmen und Pfründen müssten

wird, die kirchlichen

ständige und

ihnen bequem und anForderung nicht allgemein

so reichliche sein, dass der Geistliche von

ständig leben könnte.

Freilich ist diese

durchgeführt worden, wie Artikel 16 «lieber die Unveräusserlichdes Kirchengutes« beweist.

keit

dass «diejenigen, deren Pflicht das

Patrone, einzelne Kirchen, schnell mit

dem

die

Während

der Schluss

ist»,

die Landesherren oder

üblichen Landbesitz

d. h.

verlangt,

nicht dotirt seien, möglichst

noch

ausstatteten, beschäftigt

sich

der grösste Theil dieses Abschnitts mit der Frage über Entfremdung

von Kirchenvermögen. gestellt, dass einige

Zunächst wird die traurige Thatsache

Landpfarrer im Laufe

fest-

der Zeiten Ackerland,

zum Theil persönlich dem zum Theil das durch andere In solchem Umfänge sei diese

Heuscliläge und andere Appertinenzien Besitz der Kirche

entzogen

hätten,

Personen hätten geschehen lassen.

Beraubung vor

sich gegangen,

dass Pfarren,

welche

einst

einem

Priester mit zwei Caplanen genügenden Unterhalt gewährten, jetzt

kaum

einen,

jedenfalls

aber

keinen

tüchtigen

Pfarrer

ernähren

Deshalb wird bestimmt, dass sämmtliche Grundstücke &c., Kirche entzogen worden, unverzüglich zurück-

könnten.

die widerrechtlich der

Bemei kenswerth

erstattet werden. lich

bei diesem Bericht nament-

ist

der Umstand, dass auf jeden Fall bei Entäusserung des Kirchen-

guts die Pfarrer als schuldig bezeichnet werden, nirgends aber von

Beraubung der Kirchenländereien durch Laien geredet wird. geringe Entschuldigung für die Priester können nur die

brochenen inneren und äusseren Fehden

im

14.

kaum

Als unter-

Jahrhundert Livland durchtobten, sowie der Umstand, dass

je so allgemein über die Entartung der katholischen Priester

geklagt worden

einem Blick das

kaum

angeführt werden, welche

Bild

ist,

zeigt es sich fast

geneigt

ist

wie

auf die

derselben

zum Beginn

des 15. Jahrhunderts;

kirchlichen Zustände Westeuropas in

Livland weit

überall, dass

die

weniger düster.

nach

erscheint

Uebrigens

Synode von Riga keineswegs

rosenroth zu malen, im Gegentheil, sie zieht das

Grau

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Kirchliche Einnahmen

176 in

Grau

in

Altlivl&nd.

auch bei den wenigen Bemerkungen über die kirch-

vor, so

lichen Baulichkeiten.

«Weil Wir,» äussert Erzbischof Henning in § 29, «viele Pfarrkirchen gesehen haben, welche, statt nach den alten Vorschriften von Sauberkeit zu glänzen, losigkeit der

zum Bau

in

Folge der Nachlässigkeit und Sorg-

verpflichteten Provisoren namentlich in

Bezug

auf die Besserung von Dächern, Fenstern und anderen nothwendigen

Dingen den Einsturz drohen, so dass zur Zeit grosser Regengüsse oder Schneefälle nicht nur die Gemeinde in dem Schiff der Kirche, vor dem Altäre kaum vor Regen, Sturm und Unwetter schützen können, wo-

sondern auch die das Opfer bereitenden Priester sich

durch die Andacht in den Kirchen aufhört und die Contemplation

Wir für die Besserung der Kirchen zweckDeshalb befehlen Wir strengstens allen Prälaten uud übrigen Geistlichen, die zur Visitation verpflichtet sind, dass

gehindert wird, wünschen

mässig zu sorgen. dieselben, so

bei

sie

oft

zu

ob

haben,

leiten

der Restauration be-

ihren Visitationen

dürftige Pfarrkirchen finden, die Provisoren

Kirchenbauten

derselben, welche die

weltlich

oder

geistlich,

zur

Reparatur der verfallenen Kirchen von den Gütern, die zum Kirchen-

bau geschenkt oder

dann aber auch, wenn

Wenn

treiben.

Noth

es

aber

Ermahnung,

zuerst mit geistlicher

testirt sind,

thut, mit kirchlichen Strafen auzu-

der Kirchenbaukasse

die Mittel

nicht

hin-

reichen, sollen die Visitatoren die Gemeindeglieder solcher Kirchen

ermahnen und überreden, dass sie nach Möglichkeit Hilfe bei der nothwendigen Restauration ihrer Kirche leisten. In gleicher Weise soll bei Reparaturen der Pfarrhäuser vorgegangen werden. Und weil die Pfarrer, welche ihrer Pflicht gemäss die Eingepfarrten zu einem so verdienstlichen Werk ermuntern wollen, zuerst das Beispiel des guten Werkes, welches sie ihrer Gemeinde predigen, beweisen sie

sollen,

die Pfarrer

befehlen

Wir

den Visitatoren

antreiben

und,

wenn

mässigen Strafen zwingen, dass Mitteln, die

sie

aus

es

dieselben

den Einkünften

Noth

strengstens, thut,

mit

dass

gesetz-

von ihren überflüssigen

ihrer Kirchen

zurückgelegt

haben, wie sie billig schuldig sind, zur Besserung der Kirchen nach

Möglichkeit beisteuern.

Hand

öffnen

zum Bau

thun und beichten, willen

um

Wir aber

erlassen allen, welche ihre milde

solcher Kirchen,

welche

wahrhaft Busse

der Barmherzigkeit des allmächtigen Gottes

und dem Ansehen

der Heiligen Petrus und Paulus, Seiner

Apostel, vertrauend, vierzig

Tage von der ihnen auferlegten Busse

milde in Gott.»

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Kirchliche Einnahmen

in

177

Altlivland.

Fürwahr eine trostlose Schilderung, und sie wird bezeugt durch die Worte des Erzbischofs selbst: «Wir haben viele solche Kirchen gesehen» Indessen muss zugestanden werden, dass die Synode energisch daran ging, Abhilfe für diese traurigen Zustände zu schaffen, lässt sie es doch weder an Drohungen, noch an Ver!

heissungen fehlen.

Namentlich die Versprechung des Ablasses in

Form Erlass der Busse

gleicher

be-

nur noch einmal wird in deu

denn

den Eifer des Concils,

zeugt

ausführlichen Statuten

ver-

zwar den Priestern, welche für ihre verstorbenen Domherren acht Tage hindurch Vigilien Indem wir näher zum Heil der Seele halten. auf die Mittel zum Bau der Kirchen und Pastorate eingehen, kommen wir zn der dritten Einnahmequelle der Kirche, dem weitund

sprochen

Erzbischöfe, Bischöfe oder

Messen

und

ausgedehnten,

Gebiet

mannigfaltigen

der

Darbringungen

Gaben,

und Schenkungen, welches naturgemäss. da hier alle Verhältnisse schwankend waren, am ausführlichsten in den Statuten behandelt wird. Der Regel gemäss sollten alle Kosten für den Bau und die Reparatur von Kirchen, Pfarrhäusern und Nebengebäuden, für die Anschaffung von Salböl, Licht, Gewändern, Geräthen, Glocken &c. aus

den Mitteln

deckt werden.

der Kirchenbaukasse,

der tfabrica ecclcsiae » ge-

Bisweilen waren der Baukasse Einkünfte bestimmter

Güter zugewiesen, wie

z.

ß. in Oesel nach der oben wiedergegebenen

Urkunde, bisweilen bezog

sie

den vierten Theil

des sog. Zehnten,

meist aber bestanden ihre vornehmsten Einnahmen der Gaben, in testamentarischen Schenkungen,

von Gelübden durch Geld und

Zahlungen

in

einem Theil

in

ferner in Ablösung

und

für Beerdigung

Glockengeläute, endlich auch im Nachlass der von den Geistlichen

im

Amt

Vacanzen.

gemeinsam mit dem Pfarrer den feter»,

den Einnahmen

während der Die Aufbewahrung und Verwaltung dieser Kasse kam

erworbenen Güter und

«

in

Amte als

vom Bischof

sonders die

Wucher

nennen

bestätigte Vertreter der

Einkünfte

— anzulegen

einzutreiben,

das

Preussen

sie in

dem heutigen

Im allgemeinen

der Kirchenvorsteher entspricht.

die Provisoren oder, wie wir sie

Kirchen-

Provisorts struetnrae » zu,

einmal wol auch .«Kirchenstifveter» werden

genannt, einer Institution, welche im wesentlichen noch

erscheinen

wollen, Kircheuvorsteher

Gemeinde und haben Capital



be-

ohne

jedoch

und Processe der Kirche zu führen, letzteres

nur mit Einwilligung der Kirchenoberen, vor allem haben den Bau und die Reparaturen der kirchlichen Gebäude

Ueber diese Thätigkeit müssen

sie

dem

Ordinarius,

d. h.

sie

zu

dem

aber

leiten.

jedes-

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

178

maligen übergeordneten Geistlichen, zumeist dem Bischof, Rechenschaft ablegen und sind eventuell zur Schadloshaltung verpflichtet.

Dass in

in

immer

die Kirchenvorsteher Livlands nicht

musterhafter Weise erfüllt haben, geht deutlich

übersetzten Artikel der

ihre Pflichten

dem oben

aus

hervor, doch

rigischen Statuta

Aussicht genommene Art der Abhilfe, Beisteuer

zeigt

die

der Gemeinde

und der Pfarrer, dass vielfach nicht die Kircheuvorsteher

allein die

Schuld trugen, sondern die Einkünfte der Kirchenbaukasse eben zu gering waren, als dass

sie allen

Ansprüchen hätten genügen können.

Die Frage, wie die einlaufenden Gaben zwischen dem Pfarrer und der Kirchenbaukasse getheilt

werden

sollten,

zu lösen und vielfach nahmen die Pfarrer

Dadurch entstanden

Anspruch.

alle

häufige

war oft Gaben

nicht leicht für sich in

Streitigkeiten

zwischen

Pfarrern und Kircheuvorstehern, wie sie uns in Preussen mehrfach urkundlich bezeugt sind; dass sie auch in Livland vorkameu, sagt

der Kirchenordnung «Leber Zehnten und Gaben»,

uns Artikel 20

welcher folgendermassen lautet:

«Um

gewohnten

die

Streitigkeiten

zwischen

Pfarrern

und

Kirchenvorstehern beizulegen, bestimmen Wir mit Bestimmung der heil.

Synode, dass alle Natural- oder Geldgabeu,

Gottesdienstes bei den Altären niedergelegt

zukommen.

Dagegen gehört

die

werden,

während des den Pfarrern

jener Gaben, welche

die eine Hälfte

ausserhalb des Gottesdienstes in Kirchen und Capellen dargebracht

weun der Zweck nicht ausdrücklich genannt ist, dem dem Kirchen Vorsteher. In gleicher Weise wird

werden,

Pfarrer, die andere gelheilt,

was

bei

den Heiligenbildern

gespendet wird,

doch

Darbringungen,

welche

verbleiben

in

und

völlig der

hebung und Vorzeigung der geweihten Hostie) und die Becken gegeben werden.» In recht, liegt,

in ist

wie

weit

in

entscheiden,

durch

der Kirche

Offertoriums (Aufin

diesem Gesetz Fixirung

wie weit Beeinflussung

kaum zu

ausser

Kirchenbaukasse jeue

nach Beendigung des

den Kirchenstock

von Gewohnheits-

preussische Gesetze

jedenfalls

vor-

löst es die bisherigen

Unklarheiten, aus denen jene Streitigkeiten entsprungen, in klarer

indem es, zum mindesten äusserlich, die Gaben gerecht zwischen Pfarrer und Baukasse tbeilt. Noch einen

und präciser Fassung,

zweiten Differenzpunkt gab es zwischen den Interessen des Plärrers

und der Kirchenbaukasse, nämlich den Nachlass des Pfarrers, so Bis zum Beginn des 13. weit derselbe im Amte erworben war. Jahrhunderts hatten die deutschen Herrscher das Spolienrecht aus-

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Kirchliche Einnahmen in AlÜivland.

geübt, d. h. die fahrende

Habe

179

der Erzbischöfe, Bischöfe und Aebte

gemäss der alten Gewohnheit für sich in Anspruch genommen und, ihrem Beispiel folgend, Vögte und Patrone die der Aebte kleinerer Klöster und der Pfarrer. Seit jedoch 1209 und 1222 Rom den Kaisern dieses Vorrecht abgerungen hatte, sollte gesetzmässig der Nachlass

der

Kirchenbaukasse

der

Geistlichen

der

betreffenden

Kirche verbleiben, da ja'bekanntlich die katholischen Priester nicht heiraten und daher keine legitimen Leibeserben haben konnten.

Regel

kaum jemals

ist

vollem Umfange durchgeführt

in

Zunächst verschenkten und

Habe

ihren

Form

Kindern

illegitimen

wenig mochte es

gemäss

auch

anderen Verwandten,

oder

Riga

von

Concil

noch

nur

und

schieden werden, wie viel von

war oder nicht

wie

denn

konnte

und die

genau ge-

dem Vermächtnis im Amte erworben

Uebrigens scheinen solche Fälle weniger zahlreich

?

gewesen zu sein

;

und

diesem

schärferer

in

solchen Geistlichen kirchliches Begräbnis weigerten

Schenkungen für ungiltig erklärten

Diese

worden.

vielfach ihre

das kanonische Recht

dass

helfen,

das

die Geistlichen

testirten

wo der

als jene,

unbekümmert um das

geistliche oder weltliehe Patron,

den Nachlass der Geist-

kirchliche Gesetz,

lichen eiuzog, jedenfalls

wenden

sich die Statuta sehr heftig

gegen

derartige Misbräuclie.

Es

klingt allerdings

arg,

wenn

im Artikel 22 «Ueber

hier

das Patronatsrecht t berichtet wird, dass die Patrone

von

Pfarrkirchen

gleichfalls der

nicht

nur

des

des

Mahnung Mahnung

sondern

Geistlichen,

dessen Krankheit einzögen. geistlicher

Habe

die

und die

Geistlichen

Kirchenbaukasse zukommenden Einnahmen der Kirche

dem Tode

nach

sogar

Solche Patrone

sollen

während

schon

sogleich unter

zur Restitution aufgefordert werden

;

leisten

Monaten nicht Folge, dann werden sie, falls es Geistliche sind, von Amt und Benefiz suspendirt, falls es Laien sind, ohne weiteren Urtheilsspruch excommunicirt. Dass in dieser Beziehung die Zustände wirklich so schlimm gewesen sind, sie dieser

wie

sie

in drei

geschildert

werden,

darf jedoch

in so fern angezweife.lt

werden, als dieser Abschnitt völlig dem Corpus juris canonici, der grossen

Sammlung

Welt,

entlehnt

sich

kirchlicher Gesetze für die

ist.

Unter allen Umständen

mehrfache Uebergriffe erlaubt

;

gesammte katholische haben

die

Patrone

so wird geklagt, dass sie, denen

nur das Recht zustand, einen Candidaten dem Bischof zu präsentiren, Geistliche

folgende

nicht

nur

ein-,

sondern auch

Bestimmung des Concils

absetzten, und

auch die

dürfte wol in erster Linie gegen

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

180 die Patrone

gerichtet

Im Artikel 20 wird

sein.

»ilmlich

zuerst

zum Nachvom Bischof

einfach das kanonische Verbot, Bethftuser und Capellen theil

der Pfarrkirchen zu erbauen,

genehmigt

wiederholt,

ist,

verboten, Kirchen

Strafen

falls solches nicht

sodann

aber

und Capellen,

noch in

unter verschärften

denen

Antonius oder anderer Heiliger aufgestellt

heil.

Körbe und Stöcke,

Man

Flecken und an öffentlichen Strassen zu errichten. der Aberglaube des Volkes, darauf

um zum

benutzt wurde, kasse

das Bild

des

werde, oder auch

denen Gaben niedergelegt werden, vor Städten,

in

weist

sieht,

dass

der Antoniusdienst hin,

Nachtheil der Pfarrer und der Kirchenbau-

zu schlagen; man sieht zugleich, wie bediese Gaben gewesen sein mögen, wenn Bau von Capellen zu einem lohnenden Geschäft wurde.

daraus Capital

deutend und verlockend

durch

sie

der

Trotzdem scheint aus den Statuten von 1428 hervorzugehen, dass der fromme Eifer, der sich so mannigfaltig in Stiftungen und

Schenkungen

bethätigt

begann, wenigstens

um

hatte,

werden

jene Zeit

einzelne

wird bemerkt, dass häufig die

«

fundirt seieu, vielmehr die Patrone derselben die für diesen

verwenden

zu

bereits

derartige Fälle

erkalten

gerügt.

So

Vicarien» nicht auf sichere Rente nicht scheuten,

sich

Zweck bestimmten Capitalien für profane Dinge zu Auch die Vicarien, Altäre, die von einzelnen

(§ 14).

Familien einem besonders verehrten Heiligen

gestiftet worden, be-

deuteten eine nicht unerhebliche Einnahme für die Priester, welche

an

ihnen

zum

Seelenheile

der

einzelnen

lasen und die üblichen Gebete hielten, da

Familienglieder Messen in

jener Zeit

fast alle

vornehmeren Vasallen- und Patriciergeschlechter ihre gut dotirten Vicarien hatten.

Das

Mittel, welches die

Synode gegen derartige

unzureichende Stiftungen anwendet, erscheint recht praktisch, denn nicht die Stifter, sondern die Priester

an solchen Altären fungiren (Artikel

werden 14).

die

Münzverschlechterung können wir hinweggehen, da Zeit von Interesse sind, ausserdem

auch

völlig

wenn sie Massuahmen

bestraft,

Ueber

der Synode gegen die Verringerung ihrer Einkünfte

in

sie

Folge der

nur für jene

erfolglos

blieben,

dagegen erscheinen

die Auslassungen der Synode über die Testirund über die Freiheit der Kirche (§ 30) sehr charakfür jene Zeit und zugleich wichtig für die Einnahmen

freiheit (§ 18)

teristisch

Dort heisst es: «An vielen Orten Unserer Provinz Gott verhasste Unsitte herrschend geworden, dass Cleriker freier Abfassung der Testamente zu frommen Zwecken

der Kirche. ist die

und Laien an

gehindert werden,

d. h.

nur

in

bestimmtem Masse der Kirche Güter

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland

der guten Sitte,

Da

spricht.

181

vermachen dürfen, obgleich das in gleicher Weise wie dem kanonischen uml dem Civilrecbt wider-

für ihr Seelenheil

alle

Gesetze Freiheit des

und

letzten Willens

bestimmen Wir, dass jeder,

Testamente verlangen,

Recht, Gewohnheit, Privileg oder Statut erlaubt

dem

ist sein

der

nach

es

Testament

oder krank an fromme Orte und Personen und überhaupt frei über sein Vermögen Daher verwerfen Wir besonders das Gesetz einiger Städte, welches ein Testament nur für giltig erklärt, wenn es in Gegenwart zweier oder dreier Personen aus dem Rath vom Stadt-

gesund

abzufassen,

Legate

schenken

stiften,

verfügen kann.

notar abgefasst

Namentlich,

ist.

oder für Kirchen ausgeworfen

wo Legate zu frommem Zweck

sind, befehlen

Wir,

dass

über

die

Abfassung derselben innerhalb zweier Monate nach dem Tode des Erblassers dem Ordinarius berichtet und demselben auf einen diesbezüglichen Wunsch hin auch eine Copie überreicht werde, damit das Testament



der gesetzlichen Frist vollstreckt werde.»

in

So

zeigt es sich klar, dass namentlich in den Städten starke Opposition

gegen das beständige Wachsthum des Besitzes der «todten Hand»

gemacht wurde, ein Vorgehen, welches der Kirche um so empfindlicher wurde, als gerade die Schenkungen durch Testamente und den leicht bestimmbaren letzten Willen ihr grosse Reichthümer zuDiese Tendenz

geführt hatten.

der

dass

livländisch,

Corpus juris canon. 1418 entnommen

Noch

geistliche

Personen

einige Personen

dem von

und

um

die

die

Angelegenheiten

zum Schaden

Leider

reformatorische

haben,

ihrer Selig-

und Gebräuche, oder vielmehr Misbräuche, einzugewohnten heilsamen Darbringungen an die Kirche kirchlichen Verrichtungen ein

Art und Weise vorzuschreiben.

Um

die Seelen der-

selben zu retten und Aergernis vorzubeugen, erklären •

specifisch

wörtlich

beiderlei Geschlechts' in Unserer

zu hindern und diesen, wie anderen

Mass und

wenig

ist.

ihren geheimen Conventikeln

in

keit Statuten

führen,

so

Synodalbeschlüssen

dieses Artikels

:

über

wagen dennoch Provinz

übrigens

Salzburger

Synode vor im Artikel 3U, wie folgt «Obgleich Laien, sie zu einem Orden gehören, keinerlei Macht und

wenn

Autorität

den

schärfer zeigt sich diese Tendenz, noch energischer geht

die rigische

auch

ist

grösste Theil

und

steht

dieser

Bewegungen

überaus in

interessante

Wir

solche

Hinweis auf so frühe

vor-

Livland ganz vereinzelt in unseren Quellen da,

höchstens Hessen sich die gleichzeitigen Vorgänge in lleval mit ihm in

Zusammen

hang bringen.

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

182 Statuten

und Gewohnheiten

Rath der Städte,

und nichtig, welche der

kassirt

für

Vertreter desselben

die

andere

oder

weltliche

Personen, gleichviel welchen Standes, gegen die Freiheit der Kirche

und kirchlicher Personen einzuführen und einzuhalten gewagt haben. Ferner sind die Urheber solcher Vorschriften sogleich ohne Process der Excommunication

Monate nach Erlass tilgt,

Wenn

verfallen.

sie nicht innerhalb dreier

ihren Büchern ge-

solche Gesetze aus

dieses

solche Misbräuche abgestellt und darüber den Ordinarius des

Orts benachrichtigt haben, sollen

sie öffentlich als

verkündigt werden.

Bleibt aber

eine

Mahnung hartnäckig

bei solchen Beschlüssen,

dict über sie verhängt.

Commune

Excommunieirte

trotz kanonischer

dann wird das Inter-

Unwissenheit entschuldigt zwar nicht, doch

heilsame Gesetz an den Sonntagen nach Quatember von

soll dieses

der Kanzel veröffentlicht werden.» stolzes

«Die Freiheit der Kirche», ein Wort, der Schlachtruf, welcher einst Tausende von Kriegern

zum Kampfe gegen

unter die Fahnen der Kirche

Staatsgewalt

auch

ertönt

rief,

am Dünaufer

die beschränkende

und auch

hier als

Schlachtruf, denn nicht zufällig wird auch den zu geistlichen Orden

gehörigen Laien

jegliche Macht,

jegliches Recht

Versammlung,

die Kirche abgesprochen sein von einer

lichem

zu Eingriffen in

Kampfe gegen den Deutschen Orden

die in heim-

begriffen,

die bereit

war, ihn mit Abwerfung des Ordenskleides auch offen aufzunehmen.

Aber nur

eine flüchtige

Bemerkung

Haupttheil dieses Artikels

wendet sich

der Gaben, wie sie die Städte und

durchsetzen wollen, besitzes einen

streift

gegen

die

an ihrer Spitze

um dem Wachsthum

Damm

diese Verhältnisse, der

entgegenzustellen

Beschränkung damals Reval

des anschwellenden Kirchen-

— Versuche,

die gleichfalls

ihre Analogien haben,

Bestimmungen,

die,

im kanonischen Recht

gründet, gleichzeitig

am Rhein und

an

der Donau

specialisirt

werden.

Energischer

als

alle

übrigen

erneuert

be-

und

Synoden geht

aber die rigische vor, denn Verschärfungen haben wir dem kanoni-

dem sofortigen Eintreten der Excommuniund in dem Interdict gegen die Communen, dem Kölner Concil von 1423 gegenüber in der öffentlichen Exschen Recht gegenüber in cation ohne Process

commuuication

zu

erblicken.

So kämpft das rigische Concil mit und Interdict

den furchtbarsten Waffen der Kirche, mit Anathem

gegen die Städte, dennoch erfahren wir nichts von einer Nachgiebigkeit Revals.

Der ganze

Streit scheint spurlos im

Sande verlaufen

zu sein.

Um

so erfolgreicher

ist,

die

rigische

Synode mit der

letzten

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

183

Verfügung, die wir zu betrachten haben, gleichfalls gegen die Lau-

Geben vorgegangen denn diese Verordnung ist bis auf Es handelt sich um heutigen Zeiten grundlegend geblieben. in wie weit dürfen für kirchLosung der schwierigen Frage liche Handlungen Gaben verlangt werden ? Schwierig erscheint

heit im

;

die die

:

die Lösung, weil die Kirche seit .Jahrhunderten

mit

der

der grössten

Kampf gegen die Simonie geführt hatte ohne Entgelt Amt erworben, ohne Entgelt sollten die geistlichen Gaben Kirche ausgetheilt werden. Nun verlangte der Unterhalt der

Strenge den sollte

;

das

katholischen Kirche bedeutende Mittel,

so grossartig entwickelten

welche häufig die regelmässigen Einnahmen von Zehnten, Beneficien

und festen Stiftungen nicht gewährten. verpflichtet werden, ihre

Wie

sollten aber die Laien

Gaben der Kirche zu

bringen, ohne dass

machte

diese sich durch solche Verpflichtung der Simonie schuldig

Auf Grund der

der Kirchenordnung «Ueber die Simonie» den

Dilemma. streng

?

kirchenrechtlichen Bestimmungen sucht Artikel 36

Wird

verboten,

hier einerseits in

dem Pfarrer

keiner Weise

Ausweg aus diesem Excommunication

bei

Zahlungen,

Gaben, Cautionen

vor

Amtshandlungen zu fordern oder gar letztere direct von solchen Zahlungen abhängig zu machen, so wird andererseits den Eingepfarrten dringend anempfohlen, «die lobenswerthe, durch fromme Hingabe der Laien entstandene Gewohnheit, nach Empfang der

An

Sacramente Gaben zu bringen» einzuhalten. Grundsätze schliesst

sich

dann

noch

als

diese kanonischen

praktisches Gesetz die

Vorschrift, dass die Pfarrer Gemeindeglieder, welche diese heit verletzen,

dem Bischof namhaft machen

sollen, dieser

zunächst die Vermögensumstände der Uebertreter

Gewohnaber

sorgsam

soll

prüfen

und sodann je nach denselben eine Strafe von einem halben Pfund

Wachs

oder auch eine mehr gefürchtete zu Gunsten der betreffen-

den Kirche verhängen.

Weg

Auf

diese

Weise hatte

aufgefunden, der allerdings nur

um

ein

die

Kirche einen

Haar an der

so hart

verdammten Simonie vorüber, aber doch aus der unhaltbaren Theorie in das praktische Leben führte. Mit dieser Verordnung hatte die Synode von Riga eine neue, einigermassen feste Einnahmequelle geschaffen,

die

noch

mässigen Einkünfte ist die letzte in

heute

in

den Accidentien

unter

der lutherischen Kirchen Livlands

die

regel-

zählt

;

es

der katholischen Periode entstandene.

IJeberblicken wir nochmals die verschiedenen Arten der kirchlichen Einkünfte in Altlivland, so dürfte sich als Resultat ergeben,

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

184

dass es grossartige Mittel waren,

welche der katholischen Kirche

aus ihrem ausgedehnten Landbesitz, den Naturallieferungen, hervor-

dem Zehnten und auch der Provision, und den mannigfaltigen Gaben zuflossen. Schier unersättlich scheint uns die katholische Kirche, wenn sie sich trotzdem noch nicht zufrieden giebt, wenn sie in Form der Testamente und des letzten Willens Krankheit und Todesfurcht, in Form der Gaben vor dem Antoniusbilde den Aberglauben des Volkes auszunutzen strebt, wenn sie endlich die Provision in eine ständige Abgabe wandelt und für Amtshandlungen Zahlung verlangt. Unleugbar ist es auch, dass ein grosser Theil dieser bedeutenden Einnahmen nur dazu gedient gegangen

aus

Wohlleben zu sichern, doch muss nochmals darauf hingewiesen werden, wie grosser Mittel die Schon die Erhaltung und der Bau der Kirchen, die zum Gottesdienst nothwendigen zahlreichen Geistlichen und Kirchenbeamten, schliesslich die mannigfaltigen und kostspieligen Gewänder und Geräthe hat, der Priesterschaft ein prunkvolles

damalige Kirche zu ihrer umfassenden Thätigkeit bedurfte.

brachten grosse Ausgaben mit sich

;

dazu kam aber noch der Um-

stand, dass die Kirche jener Zeiten die Fürsorge für viele Gebiete

des Lebens hatte, in welchen sie

heute

vom

Staate, vou

der Ge-

meinde und von der Gesellschaft abgelöst ist. Nicht nur griff die Kirche vielfach segensreich mit ihrer Rechtspflege weit über



die

Sphäre

ihr



rein

Fragen hinaus, sondern

kirchlicher Interessen und

war auch das gesammte Gebiet der Wohlthätigkeit, Armen-

uud

wäre

Krankenpflege

Schulwesen

und das

es auch, wollte

man verkennen,

antwortung

voll

die katholische Kirche

dass

hohen Aufgaben

sich mindestens zu Zeiten dieser

bewusst gewesen

ist

;

Ungerecht

überlassen.

und

ihrer Ver-

zeugt doch die Fürsorge für

das Landvolk in der rigischen Kirchenordnung

laut

genug dafür.

Aber es kam die Zeit, wo die bürgerliehe Gesellschaft sich reif genug fühlte, selbst für Rechtspflege, Wohlthätigkeit und Schulwesen zu sorgen, es

kam

die Zeit,

wo

aus der ursprünglich wohlthätigen

Bevormundung der Gesellschaft durch die Kirche ein unerträglicher Druck ward, wo die Geistlichen in Prunk und Ueppigkeit, die Kirche selbst auch

in

in

Aeusserlichkeiten aufging.

Diesen Uebeln

schuf

Livland die siegreiche Reformation die erwünschte Heilung.

Gewaltig fegte

sie

aus dem Lande Bischöfe, Domherren und Mönche,

mit ihnen die Aeusserlichkeit Oratorien, Vicarien

und

viele der mannigfaltigen

und Pracht des Gottesdienstes, die

Heiligenbilder.

Damit schwanden auch

Gabeu, für immer verlor die Kirche den

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Kirchliche Einnahmen in Altlivland.

18»

mächtigen Grundbesitz, der einst Bischöfen, Domherren und Klöstern

zum Unterhalt lische

gedient.

Dennoch war das Erbe, welches

Kirche ihrer Nachfolgerin

blieben

die Beneficien

oder

die katho-

Es

hinterliess, nicht unbedeutend.

Widmen

der Pfarren,

es

blieben die

dem Grundbesitz ruhenden Naturalabgaben, es blieben Zahlungen für Amtshandlungen. Und dieses Erbe hat

wichtigen auf

auch

die

die lutherische Kirche

hoch

zu

schätzen



gewusst

noch

heute

bilden jene drei Einnahmequellen die materielle Grundlage für das

Gedeihen Rückblick

der in

schwedischer

lutherischen Kirche Livlands. die

Hand

Vergangenheit,

dass

So

nicht

erst

jene Grundlage gelegt wurde,

uns dieser

von

fremder,

sondern dass es

Begründer des Christen-

die Schöpfer baltischen Souderlebens,

die

thums an den Ostseegestaden waren,

welche

die richtigen Bausteine erkannt, die sie

lehrt

mit

sicherem Blicke

mit kräftiger

Hand

zu so

Fundamente gefügt haben, dass noch nach mehr als GOO Jahren auf diesem Werke sicher die dankbare Gegenwart fussen konnte bis zu dem Augenblicke, da die Gegenwart zur Vergangenheit zusammenzuschwinden begonnen hat. festem

Richard Hasselblatt.

RaHtsiehp Monatsschrift.

Band XXXV,

lieft 3.

13

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Aus dem Leben des rigaer Goldschmiedeamtes. Von

Prof. Willi. Sticda in Rostock.

4.

ie

neue Bestätigung, welche dem Schrägen im siebzehnten

Jahrhundert zu Theil

wurde,

seines Inhalts nicht bewirkt zu haben.

Alten und die

man

Vorfahren

lebte schlecht sich

zu

geben

scheint

eine

Veränderung

So blieb denn

alles

beim

und recht nach den Gesetzen, welche für

zweckmässig erachtet hatten.

durch die Gesellenrolle vom Mai 1773'". Schon 10 Jahre vorher hatten die Goldschmiede«zum Besten der Kranken und Notbleidenden, und zur Beerdigung dergleichen Gesellen, die ohne Vermögen verstürben» Nun Hessen mit Erlaubnis des Wettgerichts eine Lade errichtet.

Eine Erweiterung erfahren dieselben 7.

gesellen

sie sich die

Grundsätze, nach

welchen die Verwaltung

derselben

Es handelte sich, wie wir heute Der erkrankte Geselle (mit Ausnahme derer, die durch liederliches Leben mit bösen ansteckenden Krankheiten behaftet waren) wurde, wenn er kein Vermögen besass, von der Lade verpflegt, musste aber nach seiner Genesung das ihm gespendete Geld wieder zurückerstatten. Die Mittel hierzu wurden in der Weise aufgebracht, dass jeder Geselle vierteljährlich 10 Ferdinge und den ersten Wochenlohn, den er in Riga erwarb, beisteuerte. Starb der erkrankte Geselle, so wurde er auf Kosten der Lade beerdigt. vor sich gehen sagen würden,

sollte,

um

bestätigen.

eine Krankenkasse.

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:

Ans dem Leben Ueber thätigen

des rigaer Goldsehmiedeamtes.

während des

die

Goldschmiedemeister

unterrichtet.

Bei

Gelegenheit

17.

und

ist

Schreiber

der

18.

187

Jahrhunderts

in

Zeilen

dieser

cnltnrhistorischen

Riga nicht

Ausstellung

von 1883 und der gewerbegeschichtlichen von 1887 sind die

Namen

Goldschmiede bekannt geworden, die hier zusammenzustellen,

vieler

wenn auch ohne Gewähr bietet.

für Vollständigkeit,

immerhin Interesse

Die eingeklammerten Jahreszahlen bedeuten wie oben, dass

die Meister in diesem

Jahre nachgewiesen

die

sind,

klammerten Zahlen geben das Jahr der Aufnahme (1616

— 1625)

1642— (1651) 1652 (1654)

1661- (1671) 1667

Joachim Meinecke. Gert Winckelmann. Andreas Bruchfeldt oder

(1671)

Jürgen Linden.

1674

Michel Mejer.

1676

Heinrich von Köln. Andreas Becker. Johann Grünenberg.

1691

Israel Cordi.

1697

Johan Behrend. Georg Dehkant. ßereud Dorchmann

1698 o.

J.

Goldschmiede des

18.

Jahrhunderts:

1703

Johan Georg Eben.

1712

Joh. Spannier.

1712

Jacob Stubenau.

1715

Jacob Huppach.

1716

Hinrich von der Eiche.

1717

Carl Gustav Kretzner. Jacob Heinrich Lansky.

1719 1719 1720 (1724)

Braekfelt..

Michael Kressner. Heinrich Leisericht.

1690

Johan Lamoureux. Franz Hagen. Paul Christian Cordes.

1729

Christoffer Dey.

1733

Johan Muermann oder Mirmann. Johann Dietrich Rehwald. Joh. Friedrich Lamoureux.

1738

1749

Amt

Herman Winckelmann.

(1671)

1683- (1688)

nicht einge-

in das

Eberhard Meyer.

13 *

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Aus dem Leben des

188

rigaer Goldschmiedeamtes.

Jolmn Christian Henck.

1750

Michael Kresner.

1758

1763

Peter Schlüter.

1771

Anton Braun. Johann Christoph Barrowsky Theodor Matthias Gennerup. Georg Vendt. Joachim Johann Krusemann. Friedrich

1773

1764—1775 1777— (1786) 1778

1784

Jolian Friedrich Brandt.

1793

Christian Dietrich Rehwald. Johan Gottlieb Kresner.

1795

Lars Jansson Silfwerstädt.

J.

o.

Friedrich Grabbe.

«

Kohlhoff.

David Mencke.

&

Ob während

dieser ganzen Zeit regelmässig alle zwölf Meister-

stellen besetzt waren, ist

die Pest in den

mir nicht bekannt.

zahlreiche Opfer

selbe schliesslich bis auf einen

1740 gab

es

Eine

Thatsache

ist,

Mann

dahinraffte,

so dass das-

Im Jahre

ausgestorben war.

12 Meister, im Jahre 1763 dagegen nur 10 1,C

für

dass

Jahren 1710 und 1711 auch unter den Mitgliedern

des Goldschmiedeamtes

Amt

das

sehr

.

wurde im

wichtige Angelegenheit

Jahre 1671 verhandelt, nämlich die Art und Weise, wie der Feinbestimmen war.

zu

gehalt des Silbers

Man

kannte

damals zwei

Proben, die sowol beim Golde als beim Silber zur Anwendung kamen, die Strichprobe und die Capellenprobe. Erstere bestand im Streichen auf dem Probirsteiue, wobei man aus der mehr oder

weniger röthlichen Farbe des Strichs auf die Grösse des im Silber

vorhandenen Kupferzusatzes schloss, indem man

in dieser

Beziehung

den Strich des zu untersuchenden Silbers mit dem der Probirnadel verglich.

Der Probirstein

von schwarzer Farbe. oder Silberstifte,

die

ist

glattgeschliffener

ein

harter Stein,

Die Probirnadeln sind dünne schmale Gold-

man

räthig haben musste.

Bei

in

den verschiedenen Legirungen vorder mit dem zu

der Goldprobe wurde

prüfenden Metall gemachte Strich mit Salpetersäure benetzt, welche die

beilegirteu Metalle

sichtbar

bleibenden

auflöst,

Strich

und

reinen Goldes

man zur Vergleichung auch

dann

nach

die Feinheit

einige Probirnadeln

der

Menge

beurtheilt,

streicht

des

indem

und den

behandelte. Diese Methode war nicht Der Schluss von dem geprüften Golde auf den gleichen

auf gleiche Weise

sehr genau.

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:

Aus dem Leben

keine

1

selbst

Loth genau

der amtlichen Controle über die Goldschmiede, zur

Methode,

der Capellenprobe,

eben

Uebung

zu

Fällen, namentlich beim Einkauf grosserer

schärferen

vieler

bei

Es war beim Silber schwer, den Daher griff man in schätzen.

vollkommene Sicherheit.

Feingehalt auf vielen

189

des rigaer Goldschmiedeamtes.

Feingehalt wie bei der Nadel gewährte

dass eine kleine sehr genau gewogene

Menge

Mengen und bei Anwendung einer bestand,

darin

die

des betreffenden Edel-

metalls mit Blei auf der Capelle, unter der Muffel des Probirofens,

wobei dann

wurde,

abgetrieben

Wägen

zurückblieb uud durch

werden konnte

gestellt

1

»

Gold- oder Silberkorn

das

.

Die rigaschen Goldschmiede hielten Strichprobe

welche

,

war

dem

tappt

nicht,

dass

er

,

an

die

auch

die

wesentlich

sich

benutzten

indess

vorgekommen, dass ein Meister, visitirenden Aeltermann darüber er-

es

Andreas Brackfeit, von wurde,

war

einfacher

Dabei

Capellenprobe.

wie

nunmehr verlangt

wurde, 13-

Am

löthiges Silber (im IG. Jahrhundert 141öthig) verarbeitet hatte. 14.

sich

Mai 1670

rein

desselben somit der Feingehalt fest-

1

Rath ihn dafür gestraft. Brackfeit rächte nun am Amte, indem er beim Rathe zunächst den Aeltermann hatte der

Leisericht

anzeigte,

schlechter,

sondern

theils

unter

»/j

lot,

dem

dessen Silber «nicht allein

auch theils

die Capelle

drey

auf

Quentin,

nach

Strich

nicht hält, ja

13 lotig

beynahe

ja

ganz

loht

während er seine Arbeit doch mit dem Stadtstempel geFerner aber unterbreitete er dem Rath zwei Vorschläge zur besseren Einrichtung des ganzen Prüfungswesens. Es

fehlet»,

zeichnet habe.

sollte

1)

für alle Goldschmiede nur die Capellenprobe

nur 131öthiges Silber passiven

;

gelten

und

2) sollte an die Stelle der Stempe-

lung mit den Stadtschlüsselu ein anderer Stempel eingeführt werden.

Den

ersten Antrag begründete er, wie folgt

1

»»

«Solches kan ein jeder Goldschmied in Riga

rechte wohl

thueu. 1.

Also,

wan

Namen haben mag,

er polnisch, deutsch, cursch &e., wie es den

Silber

empfahet und

in

Bevsein der Leute

schmelzet, auch davon Probe giebet, hernach aber granuliret und

mit Salpeter-Schmelzen verführet, so läst der Goldschmied,

wo

er

dem Stadtsgwarden abprobiren, der ihme die Warheit entdecket, und wie viel es hält, feiner oder schlechter, schriftlich von ihm giebet. So ist man ausser allem Verdacht.

nicht probiren kan,

2.

Kan

der Goldschmied

arbeiten, weil er des Gwardirers

nach

der Capelle

Prob zu

al

hat,

voll

131otig

weswegen der

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;

Aus dem Leben des

190

rigaer Goldschmiedeamtes.

Geber des Silbers umbsoviel melir gläuben und der Verbesserung wegen auf 131ötig bezahlen muss sarapt den geringen Unkosten der Kohlen und Salpeters 3. So ist ein Goldschmied befueget condionate ehe ein Besteller

und

Arbeit

der

Pfening besser dan ein Pfening schlechter verarbeiten. Ursachen, weil auf die

Mark

ein Pfening

gl.

kan einer

Was

in der

nur 36

wird,

besser

Mark

in der silber

oder

PW.

’/i

zu

Silbers, so

verschelet und wie leichte

Arbeit solches eindingen mit ein

aber seinen zweiten Vorschlag betraf,

gl

'/2

»

so hatte er sich

dessen Ausführung folgendermassen gedacht:

Wan

«1.

voll

so

131otig,

das

Werk

nach dem Strich und Capelle erkant

der Elterman dasselbe auf

schlägt

A

nebst eiuer

ein Jahr lang gelten, auf ein Jahr C und so fortan, bis 24 aus nach derselben Buchstaben und Jahren muss man ein klein a b c vornehmen; solches dient zur Nachricht Käufern und Verkäufern und kan Niemand sich entschuldigen, ich bin schon gestraft davor, sonsten käme der zu Schaden Gebrachte nicht zu seinem Gelde und dergestalt schlagt man die Bücher nach, hie und dar, auch erfahret man, wer zu derselbigen Zeit der Elterman gewesen und ob er nach Gunst geprobiret &c.

Buchstabe A.

Selbiges

ander Jahr B,

aufs

2.

dritte

Bey dem Eltermann

das Silber,

auch

soll

so

soll

werden

erkant

der Elterman

auch Beysitzer sein und Uber

soll,

mit

ihm judiciren, so kan

seinem schlechten Silber

kein

Unter-

wollen wir 2 Tage expresse in der

Wochen

mit

schleif üben. 3.

NB. dabey

haben als Mittwochens und Sonabends, damit nichts ungezeichnet aus Riga komme, auch sich damit sei

nicht entschuldigen möge, es

der Elterman nicht zu Hause gewesen &c.

Item dass gross und kleine Sachen als Degengeheng, Degengefess, Baur-Breitzen &c.,

alles

gezeichnet

werde,

sonsten

ist

darunter der allergröste Unterschleif. 4.

Wolle E.

Strich arbeiten, es

zu verstehen.

Raht nicht zugeben,

ist

darunter nicht allein das günstige Probiren

Als dan

sagen, wer weiss,

sie

wan das

Item so ziehlen Person als

in

sie

dass

sie

übersehen wollen, kan der Elterman Silber gemacht

altes Zeichen, es ist vor mir geschehen u.

kommen,

nach dem

E.

ist, s.

es ist ein voriges

w.

damit bloss auf mein und des Schwagers

der Zwickmühle,

wan

ihnen

die

Lust

wird

an-

so können sie sagen, als die uns Beiden nicht gut sein,

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Aus dem Leben es

des rigaer Goldschmiedeamtes.

dem

nach

schlechter

ist

wollen nach der Capelle laufen &c. haus, gib solt

male

alle

Straffe,

dem Ampte

aus

Wan

5.

waren

Diese Vorschläge

die Strichprobe unzuverlässig

Es

fragt

werden mussten.

der Ehren

aufzuladen.

Du

allen

T allem V erdacht und der ewige

Ende haben. so

nicht

und

>

Ohne Zweifel war

übel.

konnten Versehen ob

Persönlichkeiten

dem

von

der Arbeiter und Elterman

ist

ein

nur,

sich

Bei

aufs Ralit-

verlustig,

und

probiret

diese

eine

dabei

nicht

hoch angeschlagen

so

beabsichtigte den die-

Die neue Stempelmethode

selbe ausfuhrenden keit

so

ausserhalb

sampt Processen wird

ausbleiben.

191

schlechter, wir

komme

endlich

;

bist

der Capelle

gearbeitet wird 131otig vol,

sampt dem Gwarden Streit

Du

was

ist

gestossen werden.

nach

aber

es

Strich,

grössere Verantwortlich-

konnte

bisherigen Verfahren

es

vor-

kornmeu, dass der zur Rede gestellte Goldschmied vorgab, vielleicht schon für das betreffende sein,

Manco am Feingehalt

gestraft worden zu

und der Aeltermann konnte sich damit aus der Affaire ziehen,

dass er sagte, die Stempelung

Man

schehen.

wusste eben

des Stücks

nie

sei

vor seiner Zeit ge-

zu bestimmen,

Dieser [Jebeistand

bei der

fiel

welchem Jahr

in

die betreffenden Gold- oder Silbersachen gestempelt

Buchstabenstempelung

worden waren. fort, die es er-

möglichte das .fahr festzustellen, in welchem das Erzeugnis verkauft

Aber man wäre bei ihr schon nach 48 Jahren, falls man nun mit dem Alphabet von neuem beginnen wollte, in eiue heillose worden war.

Verwirrung gerathen und übrigens war vermutlich das Bedürfnis nach einer Aenderung des Stempels gar nicht so lebhaft, wie Andreas ßrackfelt anzunehmen schien. richtig

und

die

1671

langen

Welt

sei.

stets

sei,

wurden, oder ob der der Sache aufforderte

uns

verlesenen Vorschläge

des

und Zeichnung

allen

und jeden

während

Ehrlich hätten eingedenk, dass,

sie

kennen.

der Probirstein «in

die am 7. August Amtes wegen der Das Amt erklärt

der ganzen

auch

Goldschmieden,

und

und verkaufen« bekannt

Golt und Silber kaufen

im Gebrauche

in

lehrt

Actenstück

diesem Aufsatz, dass

und die

mit Strafen vorzugehen.

ersucht

zu einem Gutachten

anderes

künftigen Silberprobe in

antworten

zu

sie schlechthin

genug,

sein,

Goldschmiede eine Abschrift dieser Anträge bekamen

auf dieselben

Rath



Meistentheils wird wnl der Feingehalt

und selten nöthig gewesen

Ob

die Capelle «ein Erz- und

alle

wenn

breiten allen,

überall

Muntzproba»

bisher I31öthiges Silber verarbeitet, ein

geringhaltiges Stück

auch nicht

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Aus dum Leben

192

des rigaer Goldschmiedeamtes.

sogleich als solches erkannt würde, es doch in

10 oder 20 Jahren

Wenn

der Fall seiu könnte, worauf sie beschämt dasteheu müssten.

man 2.

Probe nicht ganz genau einhalten könne, sondern um den

die

oder

oder

3.

4.

Pfennig bisweilen

Denn auch

kein AVort zu verlieren.

Ob nun

vollkommene Garantie.

darüber

zurückbleibe, so sei

die Capellenprobe biete keine

aus dem

der Probe

bei

richtig

befundenen Silber der Gegenstand wirklich angefertigt worden

könne man nicht

wissen.'

Da muste


qucntin komm. Item so na m yck ock 3 mr. /or sgtcer dal krusse mer icoch alss dat aide. ">* eitern anno 77 hcbbe yck der kerken tho sunthe Pether eilen kelck dnrch kerken tcoreret goltsmedc an dem maketon der de yemakct, dar hebbenn 1,1

,

bede halten des heren borget meysters Jochim bin geneigt zu glauben, dass der Katalog

dieser

liier

cultnrgeach. Ausstellung

der

Wytliny en hundert mark».

Ich

erwähnte Kelch derselbe ist, welchen unter Nr. 1540 als da» Werk eines

Ob

unbekannten rigasehen Meisters ans dem Jahre 1-177 anführt. Stock hängende Traube da« Zeichen des Hans L’nnaw ist,

eine an einem

lässt

sich

freilich

nicht behaupten, denn das einzige ihm bis jetzt beglaubigt naehgewieseue Stück



der

silberne

der beiden Ausstellungen

Hausmarke kann

gebildete



Amtsbecher der Glaser von 1553

hat,

den Katalogen

nach

wenigstens,

keinen Meisterstempel.

nicht die des

Hans Unnaw gewesen

Die daselbst abda sie in dem

sein,

Deckel des Becher» sich befindet und dieser Deckel erst im J. 1565 angefertigt Eine Verwandtschaft zwischen

wurde, vermnthlich von einem anderen Meister.

dem Becher des Glascramtes und dem Kelch deuten

die 6 getriebenen Brust-

bezw. Männerköpfe an beiden an.

bilder,



Art. 28 des Schrägen».

-

Art. 3, 4, 5, 6, 7, 11.

1,1

'•*

Art. 15, 16.

Art. 25.

-

Art.

5.

-

"• Art. 13, 14.

Späterer Zusatz zu dem Schrägen von 1542 über das Recht de Wittwen und Kinder zur Fortsetzung des väterlichen Gewerbes. hölzerne Kiste. "* Eine Münze, vom Schreckenberge in Meissen genannt,

wurde.

Sie

galt

im Jahre 1551 18 Big.

Jahre 1560 eine halbe Mark *'•

ig.

Schill.

(Bienemann,

portugiesische Goldmünze,

Eine

Renners Livl.

1

Gesell. S. 281

etwa

0. Bd.

sie

geprägt

4,

191),

genannt; nach

im Jahre 1549

Rig.,

Rig. (Jürgen Padels Tageb. cd. Bothführ S 333). "• Hier wol im Sinuc von ungemünztem Silber.

Urkunde von 1557 (Bienemanu, a. a 0. Bd. 1, Nr. meuth.» Sonst heisst Pagament eigentlich Währung.

einer

im

Nr. 643).

4,

«Portugalose»

sonst

70—80 Mark

wo

(Monura. Liv. Ant.

a. a.

Mark

51

Aehnlich heisst es in

13) «ein marck

iotig

paga

"* Unerklärlich.

eyn grote kan myt eynem hauten.



"* "•

1,4

1,1

verblasste Stellen.

Die Schillinge und Ferdinge sind hierbei ausser Ansatz geblieben. Die technischen Ausdrücke sind inteken (eiuzeiehneu), ynschryven, :

ynt bok teken (ins Buch zeichnen). 1,4

111

Mettig, Zur Gesell

d. Rigaschen Gewerbe, S. 28. Item anno SG up Jnhanny denn goltsuieden eyn mollyenn thogerycht

kostet 13 mr.

22

sch.

«Mollie»

ist

hier wol eine kleinere Mahlzeit, I

linie

’*

t

eine Brotsuppe, eingeweichtes Brod, bedeutet

etwa Frühstück oder Imbiss.

Padels Tagebuch, ed. Böthfiihr.

S. 382.

Pudels Tagebuch, ed. Bothführ.

S.

398.

Bothführ,

Rigiselie

Raths-

Nr. 614.

n * L. Napiersky, Zur Geschichte des Schwarzhäupterhauses «Mittheilntigen ans

m

iler livl.

in

Riga

in

Gesell.» Bd. 13, S. 272.

Verzeichnis» derer Meistern und Amtsgenossen nachstehender teutschen

wie auch uutentsehen Aemter

;

Rathsnrehiv.

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Aus dem Leben des

200

rigaer Goldsclimiedeamtes.

"• Prechtl, Technolog. Encyclopädie. Bd. ***

15, S. 144-145. 7, S. 135, Bd Die Actenstüeke über diese Angelegenheit befinden eich im äusseren Schrank 1, Fach 6. Dasjenige Papier (ein Quartblatt), dem ich ist zwar nicht unterzeichnet, kann aber kaum etwas anderes

Archiv des Raths.

das Obige entnehme,

Antrag sein. Das Protokoll lautete: Den

als Brackfelds

Herrn lieh

sich

über

7.

die Vorschläge beredet

Angusti anno 1671: Die anwesenden und denen Herren Amptherreü freund

angemnhtet, die Goldschmiede insgesammt über folgende Piincte

nud davon E. E. Raht zu

referiren, dass

des

zu hören

Ampts wegen, der Eiterinan öder dem Strich zuerst probiren, und

dessen Antecessor alle angefertigte Arbeit nach

wan

er sie ldlothig befindet, des Meisters Zeichen darauf schlagen,

durch

den

Ordinarien Stadtmiinzwnrdein

nud hernach

mit des Rahts Schlüsseln hcstempeleu

lassen, auch von allen stücken mit dem griffel etwas ausstechen und abnehmen und hernach alle /» Jahr eines jedes Meisters proben allein schmelzen soll, dabey denen Herren Ambtherren selber committiret wird alle 6 Wochen der Ainbtsmeister Werkstätte zu besuchen und die Stücke, so sie in der Arbeit befinden, durch den Strich wie auch durch das Feuer probieren zu lassen.

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Wassili Wereschagin

a

um

Mal hat unter

zweiten

Wassili Wereschagin,

in

Paris.

lebhaften

dessen Ruf

Beifallsbezeigungen

Grenzen Russlands

die

weit überschreitet, in Paris eine Gemäldeausstellung eröffnet.

dem

schon, nach

die dramatisch

vom

russisch-türkischen Kriege, staunten

empfundenen Kriegsbilder an,

Noch

übertragen.

sieht

man

die weite, stille, schnee-

der Gefallenen, sich

grausig

packenden Gemäldes prägte

Er

hatte den

die Empfänglichkeit

Seitdem

ist

der

Und

vibriren machen.



Ton

sich

heisshungrig auf

Der Schöpfer

den fleischentblössten Schädeln niedergelassen. gesslich ein.

die Raben, die

auf der

bedeckte, jetzt verödet daliegende Ebene,

einzigen grausen Gefährten

1876

die Pariser

Augenzeuge

greifbarer Realistik auf die

mit

grösstentheils

Schlachtfelde

Leinwand

die er als

naturalistisch

dieses

dem Gedächtnis unver-

getroffen, die Saite berührt,

welche

wollenden Franzosen

sein

er hatte sich als Talent geoffenbart.

der Boden, auf

dem

bedeutend ergiebiger geworden.

russisches

Bestand

in

Korn

aufgeht, noch

Russland schon früher

was französisch ist, so herrscht sie jetzt in Frankreich noch weit mehr für alles, was russisch ist. Russische Dichter, Schriftsteller und Maler üben hier eine Zugkraft eine starke Sympathie

für alles,

aus, wie sie ihrem Vaterlande oft fremd

ist.

Wereschagin hat für

seine Gemäldeausstellung den rechten Augenblick

standen. in seinen

Er lockt jenes Tout Paris, das sonst Mauern nicht gar beweglich ist.

Das Leben des Künstlers ist ein nach Brest gekommen, erwachte

offizier

ßsltiücbe Monatsschrift.

Ban«l

XXXV, Heft

3.

zu

ihm

hier,

ver-

Element

Als Marine-

wechselvolles. in

treffen

für fremdes

au den Küsten 14

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Wassili Wereschagin in Paris.

202

der Wunsch,

Frankreichs,

Malers

zu

Vaters,

Seemannsberuf gegen

seinen

Bald

vertauschen.

Pläne seines

eine«

darauf führte

des

Nowgorodschen,

Nach Frankreich zurückgekehrt,

seinen Vorsatz aus.

den

ungeachtet der

er,

im

Adelsmarschalls

arbeitete er

im Atelier Jeromes, wuchs aber allmählich aus dessen Schule heraus. Tragen seine ersten Gemälde noch den Stempel derselben, so weist die reiche Folge seiner Werke ein eigenes Talent auf: das einer ihm ganz persönlichen Genremalerei. Im besten Sinn des Wortes der Schule der Impressionisten und somit einer specifisch französi-

schen Richtung angehörend, löst ihn das, was er an Eigenart und Selbständigkeit hinzubringt, wieder von ihr ab und macht nach der

bezeichneten Richtung eine besondere Persönlichkeit ist

aus ihm.

Er

wahrer, unbegrenzter als die französischen Impressionisten, schon

weil er als Slave weniger theoretisch als factiscii realistisch wirkt.

Nationale und eigene Charakteranlage geben ihm eine «Art« nach verschiedenster Richtung, während der Franzose sich in allem leicht

an gewisse Ueberlieferungen und Gegenstände

die sich allmäh-

hält,

und nicht immer wahr sind. Wereschagin bieten Natur und Menschen so

lich erschöpfen

Stoff, dass er

zu Hilfe, so

leitet ihn dieselbe nicht

mit Dorö gemein. aus

Bei letzterem

nimmt

mühsam

etwas

immer

mannigfachen

— und

er ihn findet

er findet

er die Phantasie

Er hat das

glücklich.

dieses Misgeschick jedoch

rührt

an Phantasie

Ueberfülle

einer

schagin

wo

denselben ergreift,

Hierin wurzelt sein Talent;

ihn überall.

während

her,

Ausgearbeitetes

bei

sie

Diesen

hat.

Were-

Stempel

tragen wenigstens gewisse Gemälde, besonders, wenn sie religiöses

Gebiet streifen und bestimmte Dimensionen überschreiten. in

Farbe und Stimmung,

Idee,

geraden, ebeuen

noch ein

in

eine

Weg

vor;

zweite Schwäche

Ganzes zu

sein

zeichnet

überall,

und

:

wo

ihm

sein

Zu wahr

Talent

einen

er ihn verlässt, verfällt er

Zersplitterung.

zu schaffen.

Nicht

Sie hindert ihn,

immer

heisst

alles

wollen viel erreichen.

Die Ausstellung im Cercle Volnei/ umfasst Genrebilder, Landschaften, Charakterköpfe und Skizzen, Früchte längerer Reisen in Palästina, Indien und Mittelasien. Die Vereinigung dieser Gemälde bietet

dem Zuschauer

Thätigkeit beobachten.

des

die

Meisters

Sie

ganz anderes Bild

spricht

Möglichkeit,

während zugleich

einer

den

Gedankengang, die von Jahren zu

Reihe

für Einzelausstellungen, die ein

von dem Wirken und Können eines Künstlers

entwerfen als jene Massenausstell ungen,

wo Aufmerksamkeit und

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Wassili Wereschagin in Paris. Interesse, stets unterbrochen

und abgelenkt,

sich

203 nur mühsam con-

centriren können und bald ermüden.

Die grösste Anziehungskraft auf das

Publicum

grosse Gemälde, die, unstreitig nicht die schönsten, die mittheilenden, gleichsam philosophischen Idee haben.

üben

vier

Macht

einer

Immer wieder

durch den Umstand berührt, dass überall eine der Menschheit inne-

wohnende sinnend,

auf

Kraft,

brutale

alle

möglichen



bewahren, vertilgt

zu

anstatt

zwiefacher Art behandelt

Krieg

:

hat

Zerstörungsmittel er

uud Execution.

diese Idee

in

Beides, obwol

dem Künstler gleich verdammens werth, Darüber wird er zum Redner in Oel. Dazu

rechtlich statuirt, erscheint

gleich verderblich. fehlt

was

ihm jedoch die Breite des Historikers, die Weite des Genies, bemerkbar macht, wo nicht getreue Wiedergabe

sich überall

des Erlebten und Gelebten vorwaltet, sondern ein gewisses Theoreti-

dem

siren auftritt,

schagin

besitzt

die Phantasie

zu Hilfe

die Grazie

den Zauber,

mit fortreissende Gewalt eines Redners.

kommen

Were-

muss.

des Erzählers,

Er überzeugt

nicht die

nicht.

Viele

seiner Kriegsbilder, von denen augenblicklich nur eines ausgestellt ist,

sind schön, doch

als lebensvolle Kriegschronikeu, als be-

nur

merkenswerthe Arbeit. Die drei grossen Hinrichtungsgemälde, welche im Cercle Volney das grösste Aufsebeu erregen, heissen «Kreuzigung bei den Römern»,

«Tod durch Kanonen «Tod durch Erhängen

Von den Künstler

drei

in

den englisch-indischen Besitzungen» und

in Russland».

ist

in glücklicher

letzteres allein

«wirklich».

Auch hat der

Eingebung über das Ganze einen Schleier

von Schneeflocken gebreitet, der ungemein versöhnt. Er verdeckt halb die fünf Gerüste im Hintergründe, an denen, in graue, kuttenartige,

mit Kapuzen versehene Gewänder gehüllt, zwei Verbrecher

hängen.

Rund umher

ein

dichter

Kranz

von Militär, dann

kreisförmige, schneebedeckte Fläche, weiter, von in widerstandsloser

gierigen.

Ordnung

Obgleich im Rücken gezeichnet, sind dieselben so sprechend

und typisch

haben meint. in dasselbe

in

Haltung und Geberden, dass man sie gesehen zu Das Ganze ist ein dramatisch gefärbtes Genrebild

überschreitenden Umrissen,

aber

Wereschagin

hier,

nicht

wie auch

in seinen

von

kein Aufstellen

Thesen, kein Ansturm gegen das Gesetz, wie er gewollt.

gemälden

eine

Kosaken zu Pferde

gehalten, ein dichter Kreis von Neu-

Das

ist

zwei anderen Hinrichtungs-

gelungen.

«Tod durch Kanonen

in

den englisch-indischen Besitzungen» 14 *

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204

Wassili Werescliagin in Paris.

wirkt etwas hölzern.

Eine lange Reihe von Kanonen, eine gleich

am Lauf

grosse Zahl aufsässiger Eingeborenen, die durch Querhölzer

derselben befestigt sind und eine doppelte Anzahl englischer Soldaten.

Das

Darüber

ist alles.

Himmel

blaut, schön abgetönt, der indische

in seiner gleichmässigen Klarheit

und

Tiefe,

die

sichtige Luft aber verleiht den Jammergestalten

gleichsam durch-

noch ärm-

einen

licheren, Ideen entkleideteren Charakter. t

Kreuzigung

bei

Gemälde, und

dritte

den Römern» nennt Werescliagin einfach das

doch schwebte ihm

Von den

Christi vor.

Kreuzigung

offenbar die

Dornen-

drei Verurtheilten trägt der eine die

krone, und bis in die Einzelheiten hinein ist mit grösster Genauigkeit

alles

und

verfehlt, verfehlt als Princip

Zu

besonders.

Es

nachgeahmt.

der ßibelerzählung

ist

religiöser Vorwurf.

doppelt

also

Als letzterer

lebendig und zu unruhig, ohne jenen religiös ideali-

sirenden Gedanken, der auf der Leinwand den Gekreuzigten nicht

nur als solchen, sondern auch als Erlöser

gewohnt ist die

und Heiland

wirkt das Gemälde weder ethisch noch

ist,

trotz

gewitterschweren

des

wunderbarer Plastik hervortreten lässt

hübsch

;

Baumgruppe hinweg

lärmend

dazwischen

offenbar

zu

scheinen

realistisch

schaffen, welche

die.

nicht

wählen

;

das

und schöne Auffassung Christi hat,

kann

sich

mit

nicht

sich

verleitet,

durch die älteren Meister gewöhnt befreunden.

langen,

hageren,

roth-

Es giebt Ideen,

die

der Wahrheit nicht zu Gunsten eventueller Wirklichkeit ent-

kleiden darf

;

wirkt nicht immer schön, sie wirkt auch ent-

diese

nüchternd, verarmend und deshalb nicht künstlerisch.

Von

Wirkung

grösserer

türkischen Kriege

:

«

ist

eine Episode

So

Reihen die Unglücklichen eng an einander gepresst ihrer

hier.

aus dem russisch-

Halt der Kriegsgefangenen nach der Einnahme

Plewnas». Von sichelartigen Schneewolken überragt, sitzen

Aus

Und

unbegabt.

vielfach

aber, das sich an die ideale

der so realistischen,

haarigen Heilandsgestalt

man

Auge

hat Einzelheiten ge-

ist religiös

doch hat ihn sein Aufenthalt in Palästina religiöse Stoffe zu

Esel und Wereschagins

hinzugehören.

Er

ver-

in

und ermüdend.

arbeitende Phantasie

Idee ertränken.

Mauer,

Die Menschenmasse im

Vordergründe des Bildes, Römer, Juden, Frauen, Männer schiedensten Trachten, berührt

in

auch die Staub-

ist

sich an der hohen

die das Bild einerseits abschliesst, bricht.

Pferde

Schön

von Licht-

welche die drei Kreuze auf Golgatha

streifen durchhellte Luft,

wolke, die Uber eine

zu fassen

religiös.

dunklen Himmels

in dichten

in tiefem

Schnee.

gekrümmten Haltung, den heranfgezogenen Knien, den

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:

Wassili Wereschagin in Paris.

205

Mänteln und Kapuzen erkennt man den furchtbaren unterliegen: den Frost. Kein Feuer, kein Obdach,

steif gefrorenen

dem sie Noch- mehr leiden ihre unglücklichen Begleiter und Wächter zu Pferde. Vom Sturm erfasst, bestreben sich Ross und Das ist «gelebter» Reiter umsonst, demselben Stand zu halten.

Feind,

kein Brod!

Protest, kein theoretischer.

Ein kleines, überaus in

«

Erhängungstod

von dem so

sich

hübsch

Reizend auf

bei

ist

einer

auch

anderen

reichen

so

weiche

Schnee,

der

Bäume

Eindruck des sonneLeinwand: «Strasse in

der

Wol

Sonnenuntergang».

hat diesen künstlerisch

Hier wieder, wie schon greifbar

jener

gefärbte, laublose Geäst

das bräunlich

abhebt.

beschienenen Schnees

Smolensk

Russland»,

in

darunter gehört

gearbeitetes Bild

fein

gleichsam dazu: «Vorposten im Balkan».

keiner, Klever ausgenommen, Schmuck nordischen Bodens so

greifbar, so schmelzend, so leuchtend wiederzugeben verstanden wie

Wereschagin.

Sechzehn theils

kleine,

skizzenartige Gemälde, theils hingeworfen,

durchgeführt,

fein

spitzenartige

bilden

Baumgruppen

und «Gilgal», sehr hübsch

Studien

aus

Palästina.

Durch

zeichneu sich aus «Thal des Jordans» ist

auch das fast grau

in

grau gehaltene

«Grab Abrahams» diesen folgen «Gipfel des Thabor», «Samuels Grab», «Höhle zu Endor», «Bethsaida», «Gideons Brunnen», «Caper naum», «Bethel» und andere. «Das todte Meer», aus der Nähe Sodoms und Gomorrhas aufgenommen, sieht in seiner grünen Starr;

heit zwischen steiniger Hügellaudsehaft

einem Wasser,

als

kein

künstlerisches

«Brunnen in

mehr einer Wiese ähnlich

und «Jakobs Brunnen» hat historisches, aber

Zur

Interesse.

des Propheten Elias», «Ruinen

Sichern»,

Kategorie

selben

eines

gehören

Samaritertempels

«Altes jüdisches Felsengrabgewölbe» mit seinen

Aufnahme der Leichen bestimmten Nischen und «Kuppel der

zur heil.

Grabstätte».

In

zwiefacher

Wiedergabe

fesselt

Mauer Salomons».

«die

Hier niedriger, kleiner, länger gestreckt, erscheint von denen die ersten sechs

aus

sie dort kürzer,

Die Steinschichten,

gedrängter, doch höher, mit grösseren Gestalten.

den Zeiten Davids und Salomons

stammen, während die folgenden denen Herodots und der Muselmänner gehören, sind mit ausserordentlicher Sorgfalt und plastischer Deutlichkeit gemalt.

hätte

einförmig

Der Ton der prachtvollen wirken

Gras unterbrochen,

Steine, der

können, erscheint, von

durchaus

verschieden

in

so leicht

wild wucherndem

seinen

starken Ab-

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Wassili Wereschagin in Paris.

206

Beide Gemälde stellen den «Ort der Klagen» vor, einen

Stufungen.

der grossen Mauer, die den Tempel Salomons umringte. Hier versammelten sich, um ihre Klagelieder anzustimmen, die Juden am Gedenktage der Zerstörung Jerusalems, und hierher Theil

pilgern sie jetzt, so

es

oft

Grösse und Zersplitterung beiderlei Geschlechts,

dazu drängt,

sie

um

ihre verlorene

Juden jeden Alters und Herren Ländern, besonders

zu beweinen.

Juden aus

aller

aber aus Palästina, Mittelasien, Indien und Russland, flehen jammern-

den Tones zu Jehovah, sich

an die Brust schlagend, hin und her bewegend oder auch regungslos gegen die Mauer lehnend, ihr Haupt in die Hände bergend. Andere sitzen gebeugt auf grossen Steinen, alle aber scheinen sie ein

und andere Gestalten lischen

Hier

Gewändern Weib, das

ein

wirft, dort

von ihren Zügen.

in

Für wie

Ein alter Rabbiner

:

Volk

:

Leser

sitzt

Theuer

man

liest

!

auf einer leeren Tonne,

Bordeaux

trägt.

Interessant

ist,

Sitzen wir einsam und weinen.

Weil Weil Weil Weil Weil

:

:

viel ?

Fragmente der dort gesungenen Litaneien.

Weil der Palast verödet

Leser

Geberde an die Mauer

Betens müde, von ihren Geschäften

die, des

Gekauft?

welche die unveraeidliche Aufschrift sind auch die

und orienta-

sprechender Lebendigkeit festgehalten.

sich mit verzweifelter

zwei Männer,

zu reden scheinen.

Diese

grosses Leid ausweinen zu wollen.

in ihren langen, alttestamentlichen

sind

der Tempel zerstört die

ist,

Mauern umgeworfen

sind,

unsere Grösse geschwunden.

Tempels in Staub zerfallen, unsere Priester sich verirrt und den geraden Weg verloren, Weil unsere Könige Gott verleugnet,

Volk I-ieser

Volk

Sitzen wir einsam und weinen.

:

:

:

Leser

;

Volk

:

Leser

:

von Zion Hede nach dem Wunsch Jerusalems.

!

Zion, sei geschmückt mit Schönheit und Majestät Sei Jerusalem gnädig

1

Zion, finde deine Kunige

:

Volk

:

Leser

:

Volk

Wir flehen Dich an, erbarme Dich unser Und versammle die Kinder Jerusalems. Eile, eile Dich, oh Erlöser

Volk: Leser

die kostbaren Steine des

:

!

Tröste, die über Jerusalem klagen. Dass Friede und Freude in Jerusalem wiedergeboren werden Dass der Zweig aus Jerusalem wachse nnd blühe.

1

Zwei weitere Gemälde behandeln «Das Grab der Könige», von

Grabgewölbe

denen

das

erste

den Eingang,

das zweite das

selbst aufweist. Dieses Grab befindet Nähe von Jerusalem auf dem Wege nach Damaskus.

sich

in

der

Aus einem

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Wassili Wereschagin in Paris.

Vorhof

in

man den Steinsarkophag unter

sieht

Weintraube,

des

Sinnbild

mit

einer

wenngleich beschädigten Fries geschmückten traditionelle

einem

Wölbung

schönen,

Die

stehen.

Landes,

verheissenen

Der Eingang zum Hof, der

noch sichtbar.

207

umgebenen imposanten Hof gelangend,

den von Felsen

aus

kürzlich

ist

seinem

Felsen herausgehauen worden und mit einer monumentalen Treppe

versehen

ist,

weist durch seine röthlich gefärbte untere Steinschicht

auf Jahrzehnte langes Verweilen

Nach

und

anderen

einer

Erdreich hin.

in

richtigeren

Version

die

als

des

französischen Gelehrten de Saulcy enthält der Sarkophag nicht die

oder anderer israelitischer Könige, sondern die

Ueberreste Davids der

Kaiserin Helene

griechischen

und

Familie Pereire d’Adiabene erworben,

ihrer

sind

Von der

Familie.

sie

von dieser Frank-

reich geschenkt worden.

Eine Reihe von vier Gemälden behandelt den Berg, auf dem Christus versucht worden

Auf dem

ist.

hinweg

eine Mauer,

über die

des Berges,

in die Tiefe

Perspective gleich meisterhaft.

ersten

hohe Felsen, links

griechischer Mönch,

ein

schaut.

Wie immer,

Die

in

Bewohner

sind Steinton

und

den Felsen gehauene Thür

Anachoretenwohnnngen, wie man sie vielfach in dieser Felsengruppe findet und wie sie der Künstler auf dem führt in eine jener

zweiten Bilde dargestellt. Dass Christus in einer derselben seine 40 Fast- und Bettage verbracht, ist sehr annehmbar. Das dritte Bild zeigt uns die Küche der Mönche, das vierte ein mit Fresken geschmücktes Refectorium. Das erste Gemälde mit seiner schönen Felsenwand ist das bemerkenswertheste. Drei Gemälde haben Christus zum Gegenstände: «Christus in der Wüste», «Christus und Johannes au den Ufern des Jordan» und «Jesus am See Genezareth». In letzterem bilden die landschaftliche Schönheit, der tiefblaue See, das sich amphitheatralisch

am Horizont

erhebende Städtchen, die

in

«Christus

faltigem

Haar,

an

das

zum

den

sichtbaren Berge die Haupt-

Die Christusgestalt im Boot

anziehungskraft des Bildes.

schwindend, und

Vortheil des Ganzen.

Ufern

des

Jordan»

Anders

hervor.

In

ist vertritt sie

weissem,

Gewände, mit rothem, herabhängendem, jüdisch gescheiteltem er in gekrümmter Haltung neben dem ihm gleichDer ganze Schwerpunkt des Gemäldes fällt

sitzt

sehenden Johannes.

auf die beiden Männer ähneln den im

Sommer

;

auch in

ist die

Landschaft öde, die Sandhügel

Feldlagern aufgeworfenen Schiessscharten.

Doch vom «Messias», vom «Täufer» auch

hier nichts.

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Wassili Wereschagin

2ü8 Gleich uackt

In

als Idee

gefasst

«Christus in der Wüste».

der Hügellandschaft

grau-grünen Färbung

der

Paris.

in

ist

hebt

sich

die

einem schmalen Pfad einherwandelnde Gestalt ab wie Gedanken verloren, vor sich

weisse, auf

die eines einsamen Wanderers, der, in

Wie

hinschaut.

in allen Christusbildern,

verdeckt das lange, schlaffe

Haar

fast gänzlich Antlitz und Ausdruck. Ungemein lebendig und hübsch als Genrebild ist « Das Intiere eines Hofes», wie ihn sich Wereschagin zur Zeit Christi vorstellt. Es fehlt nichts, was man zum antiken Familienleben rechnen kann. Im Vordergründe zwei am Boden liegende, spielende Kindergestalteu, die eines Rubens würdig sind, im Hintergründe eine säugende Mutter mit zwei kleineren Kindern, in einer Mauervertiefüng Wäsche,

eine Männergruppe,

rechts

eine

links

Apostel

der

einer

ständigt

das

seiu

mit seltener Feinheit

selbst, vielleicht

Hühnergesellschaft

Eine

kann.

in

nach

sitzende Gestalt, die

den vorbenannten Bildern sehr wohl Christus

auch

vervoll-

Zeichnung und Ton ausge-

führte Gemälde.

Damit

ist die

Gruppe

grösste

Die aus Indien und

erschöpft.

Mittelasien stammenden sind in kleinerer Zahl, jedoch fast ausnahms-

von ausserordentlicher Schönheit, Genauigkeit der Ausführung und einem architektonisch sicheren Wurf, der nicht allein von

los

Wereschagins grosser Gewissenhaftigkeit auch von überraschender Sorgfalt erscheinen

alle

Fähigkeiten

des

in Vorstudien,

der Detailmalerei

Künstlers

sonderu

Licht

Farbensinn, Richtigkeit der Zeichnung, Schönheit der Form, heit,

Hier

zeugt.

hellstem

in

:

Wahr-

Leben.

«Fenster eines Monuments von Selim Sbisti» gehört zu einem Denkmal, das der Grossmogul Akbar über den sterblichen Ueberresten seines Freundes und Rathgebers, des noch von allen Mohame-

danern

Indiens

verehrten Selim Shisti,

Veranda gehende Fenster

Marmor mit Glasmosaik,

ist

gleich

errichtet. Das auf eiue dem Gebände aus weissein

die der Künstler

Schattenspiel meisterhaft wiedergegebeu.

mit

Man

seinem Licht- und

meint reiche, schwere

Brabanter Spitzen zu sehen.

Von

gleicher Schönheit ist die in zwiefacher

gestellte «Perlmoschee in

haft

Agra».

ausgeführte Steinmosaik

Fussböden

!

in seiner gleissenden

Ja, das sind Prachtstücke

Welch

Wie

der

Wiedergabe dar-

reizend,

Marmor

welch meisterder Bogen

und

Kälte und Glätte blinkt und blitzt

1

1

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209

Wassili Wereschagin in Paris.

Ferner: ein Dieses

in

Haus

rothem Stein

ausgefiihrte

Nähe von Agra).

der

in Futtespore-Sikri (in

Gebäude

von solcher

sclieint

Massigkeit, dass die überaus feinen und koketten Einzelheiten dem-

das Aussehen

selben

nungen

in

geben,

Ein

Elfenbein geschnitzt.

man

hätte

als

die reizenden Zeich-

Gemach mit

solches

Ottomanen und Opiumrauchern hat Wereschagin

Das gedämpfte

Vollendung wiedergegeben.

Wände

zu verbreiten scheinen,

ist

seinen

hier in seiner ganzen

Licht, das

die rothen

von künstlerischer Wirkung.

im Landschaftliche Meisterwerke sind « Sonnenuntergang Himalaya«, «der Berg Kamchinjinga in den Wolken«, «Sonnenuntergang in Indien« und der dreifach wiedergegebene «Taj« in :

der Pracht seiner indischen Architektur und imposanten Grösse.

Der Taj

ist ein

vom Grossmogul Shah-Iclmu über dem (Labe Aus weissem errichteter Denkmalpalast.

Lieblingsgattin

seiner

Marmor,

ist

er von

oben

Cornaline und anderen

bezaubernder

Pracht

mit Lapis

unten

bis

lazuli, Malachit,

Mit ganz

geschmückt.

kostbaren Steinen

vom dunklen

hebt sich,

Griin

des Gartens

und reichem Blattpflanzenschmuck eingerahmt, der kuppelgeschmückte Mittelbau bei Morgenlicht in der ganzen Reinheit seiner Linien und

Der Taj am Abend, wieder

blendenden Marmorweisse ab.

grünen Rahmen, ist

eben so schön.

ist fast

Auf

in

seinem

der dritten Ansicht

in der

Wiedergabe des mächtigen Bauwerks nur

«Sonnenuntergang

im Himalaja» mit seinen ganz hell abgegrau auf tiefblau übergehenden Wolken,

Wereschagin

Architekt.

tönten Bergen und

von

ebenso das nachgenannte Gemälde mit den reizenden Baumgruppen

im Vordergründe und endlich «Sonnenuntergang keit in voller Natürlichkeit

Den Abschluss

seiner Geisteskinder

gehört.

Hier

ist

Man

gelebt,

er

hat

sie

Ausdruck. Farbe. Leben

den Matronenkopf gewickelten Seideutuch,

und ein Kupferschmied,

verfeinernder

theils

Zweig

bemei kenswerther,

besten getroffen sind Wereschagins

sieht es, der Künstler hat in

mit seinen derb gntmüthigen Zügen, sein

kutte

Indien« halten

fest.

ganze Reihe

Am

werthloser Porträts.

«russische Köpfe«.

und Tiefe

der Ausstellung bilden eine Anzahl russischer

Are.hitekturbilder und eine theils

in

schwer zu treffende Himmelsfärbung und Wolkenbeweglich-

die so

seines

in

dessen

der Mitte

sprechen, lachen, weinen !

Da

sind

ein

Schmied

Weib mit dem rund um ein Dwornik in Lederverfeinerten Zügen ein

Handwerks gleichsam

seine

Merkmale

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210

Wassili Wereschagin in Paris.

Er hat

gegraben.

Leben

sein ganzes

lang

in

Metallcocardeu

für

Militärmtitzen gearbeitet.

Von besonderer Züge

Plastik

Die

Eremit».

»Russischer

ein

ist

sind gewöhnlich, doch von jener bäuerisch-religiösen Ruhe, die

sturmloses,

Vegetiren

zufriedenes

Müller

kann.

erzeugen

allein

von Profession, wartet Bruder Wassian aus Kamenez-Podolsk nur den

Zeitpunkt

glücklichen

Dann

Kloster erbauen zu dürfen.

Windmühle

eine

ab,

will er ruhig

irgend

für

ein

an den Ufern des

heiligen Flusses sterben.

Nächst dem russischen Typus

ist

dem Künstler der jüdische Das

Mehrere Rabbiner sind von überraschender Treue.

gelungen.

Bildnis des Alten aus den westlichen Provinzen Russlands ist mit

Augen auf die etwas gebogene Nase gesunkenen Brille und dem langen weissen Bart voll Wahrheit. Er hat, wie viele seines Stammes es ihm

seinen tiefen Furchen, der von den stillen, klugen

gleich thun,

die heilige Stadt

beerdigt zu werden.

aufgesucht,

Gelockt durch

um im Thale Josaphat

den Glauben,

dass

die

dort

ruhen, zuerst auferstehen werden, hat die Bevölkerung Jerusalems in

den

letzten

Montefiore,

Jahren

und

Rothschild

stützungsanstalten

zugenommen.

ungemein

Bankherrschern

anderen worden,

eröffnet

Auch

sind

von

viele Unter-

grossen Zuspruch

die

haben.

Dadurch nun fühlte sich die türkische Regierung zum Befehl verJuden fortan nicht länger als 30 Tage im heiligen Lande bleiben dürfen. Offenbar fürchten sie das Land wieder in die Hände ihrer ehemaligen Bewohner fallen zu sehen, was einst anlasst, dass die

gewiss geschehen wird.

Zwei Rabbiner Weinnase, stellen mit

,

der

eine

ihren

lesend

südlich

,

andere

der

gebräunten

mit

rother

und accentuirten

Zügen Juden aus Jerusalem vor und schliessen die Studien des jüdischen Typus wirkungsvoll ab. Ihnen folgen noch weitere verschiedensten

Araberin

in

Charakters

:

ein

Araber

,

eine

ältere,

doch

schöne

weisser Kopfumhüllung, Eremiten aller Nationalitäten,

zwei Samojeden ähnliche Lamas aus Thibet von sprechender Gutmüthigkeit, Gefrässigkeit und Uncultur in Ausdruck, Haltung und

Kleidung, ein zur mongolischen Race gehörender -Bouthia aus Sik-

khim im Himalaja,

sein männlich aussehendes

Weib, ein mohameda-

nischer Hinduarbeiter und Andere.

Damit

Wird

ist

die Zeit

die

Gemäldeausstellung Wereschagins erschöpft.

seinem unverkennbaren,

doch

noch

nicht einheit-

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Wassili Wereschagin

liclien,

sich selbst

in

211

Paris.

noch nicht erkennenden Talent den rechten

Weg

weisen, oder sollte es ihm doch noch aufbewahrt sein, nicht allein

glänzend

wiederzugeben, sondern

auch zu

schaffen



etwas

mit

Fortreissendes zu schaffen ?

Wolfgang Paris,

Selbst.

im April 1888.

•Qi*

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Französische Emigranten

den

in

den

gehungen

letzten

Russland.

in

Jahren

so

seht-

und

zwischen Frankreich

auch die literarische Thätigkeit des ersteren

in

gesteigerten Be-

Russland hat

sich

gauz hervorragendem

Masse der Erforschung des Staates zugewandt, von welchem zur gegebenen

Stunde

der

Beistand

in

wunsches der rachedürsteudeu Nation

der Erfüllung

erwartet

nicht zuerst an Leroy-Beaulieus grosses

Werk und

Herzens-

des

wird.

sehr bemerkenswerthe Arbeiten in dieser Hinsicht vor.

Es

liegen

Wer

denkt

seines Bruders,

des Nationalökonomen, volkswirtschaftliche Studien über Russland,

an Graf Voguös Betrachtungen

über

die neue russische Literatur

und seine eigenen Novellen, die auf gründlicher Beobachtung russiLebens und Landes sich gestaltet haben. Rambaud hat

schen

seine Landsleute mit

einer

kurzgefassten,

ganz

brauchbaren Ge-

schichte des ihnen so interessanten Kaiserreichs bedacht und

P

Löonce

n g a ud Professor in Besannen, ist deu culturellen Wechselbeziehungen zwischen Russland und Frankreich nachgegangen, wie i

sie in

,

den

einzelnen Persönlichkeiten

beider Nationen

durch ihre

Einwanderung in den einen oder anderen Staat zu Tage getreten Sein Buch < Les Frangais an Russie et les Busses en France »

sind.

1836) ist eine höchst achtungswerthe Studie, mit grossem Geist und vorzüglich geschrieben. Sie beruht auf voller

(Paris, Didier,

Kenntnis beute

des

der

zahlreichen

pariser

russischen Publicationen

Staatsarchivs.

kennen gelernt, und da wir nun im schen Boten» von 1887

und der Aus-

Wir haben das Buch einmal 10.

Hefte des moskauer

einem Auszuge

»

Histori-

aus demselben begegnen,

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Französische Emigranten

213

Russland.

in

auf die Franzosen

nur

der sich jedoch

Russland

in

beschrankt,

stehen wir trotz seiner Dürftigkeit nicht an, denselben im wesent-

um

lichen zu reprodnciren, vorzüglich

Originalwerk

das

den und jenen der Leser auf

werden

Hier

hinzuweisen.

leider

nur

nackte

dem anmuthigen Beiwerk, mit dem

Thatsiichen geboten, nichts von

der Verfasser dieselben zu umkleiden und zu beleben weiss, nichts

von seinem anziehenden Urtheil, seiner Beleuchtung der jeweiligen Sein Buch ist uns zur Zeit nicht mehr zur Hand, und möge der Lückenbüsser seine Aufgabe nicht völlig verfehlen.

Sachlage. so

*

* *

Im

IG.

Jahrhundert

welche

Rede,

zum

ist

nach Russland

ersten

Male

von Franzosen die

oder

Ubersiedelten

wenigstens

nur Namen

werden

l&ngere Zeit zubrachten, doch

liier

genannt, ohne

dass irgend welche Einzelheiten oder erwälinenswerthe Thatsachen

So

an dieselben geknüpft sind.

geschieht

B. eines

z.

Kaufmannes

Michel Moucheron und eines Arztes Paul Citadin Erwähnung, die

Ende dieses Jahrhunderts in Russland lebten, ebenso sind die Namen, ja sogar die Denkwürdigkeiten zweier Abenteurer Pierre zu

de la Ville und Margeret erhalten, die als Krieger im Dienste des

Zaren standen. Einige Hugenotten, welche durch von Nantes ihre Heimat verlassen

Weg

nach Russland

versah

sie

laubte, in seinem

habe

in

ihm

Aufhebung des Edictes scheinen

erzählt,

russischen Heeres

und

Histoire de

dass

von

Pierre

diese

ihren

dieser erliess

eingewanderten Franzosen

den

er

I.

Heere Kriegsdienste zu nehmen.

seiner

auch

Der grosse Kurfürst

mit Empfehlungsbriefen an Peter

einen Ukas, durch welchen

jedoch

die

mussten,

genommen zu haben.

le

Grand

Hugenotten

12000 Mann

Wenn

er-

Voltaire

Lefort

versichert,

ein ganzes Drittel des

ansgemacht

hätten,

nach europäischer Weise bewaffnet und organisirt war

— so

welches scheint

uns das eine sehr übertriebene Angabe.

Es steht übrigens fest, dass einige dieser eingewanderten Hugenotten in Russland Fabriken begründeten, so z. B, Delannoy eine Krystall- und Spiegelfabrik, Montbrion eine Strumpfwirkerei, Loubattiö

eine

Waffenfabrik &c.

Franzosen Erwähnung, der

als

Ja,

es

geschieht

sogar

eines

Lehrer der Philosophie seine Arbeits-

Jugend widmete. Einige dieser Emigranten drangen bis an die Wolga, wo sie eine Colonie für sich bildeten, deren Bewohner der französische Reisende Lagarde kraft der Belehrung der russischen

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214 noch

Französische Emigranten

am Anfänge

in

Russland.

unseres Jahrhunderts die baskische Kleidung und

die umfänglichen

Perrücken ihrer Vorfahren tragen sah. Die Mehrzahl dieser ersten Emigranten scheint übrigens

Petersburg geblieben zu

sein,

wo wir

in

im Jahre 1720 eine

bereits

französische Kirche mit einem Pastor aus

Genf

antreffen.

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Russland beginueu eigentlich erst mit

dem Anfang des

18.

Jahrhunderts lebhafter zu

werden, besonders nach der zweiten Reise Peters des Grossen durch

Europa.

Seit dieser Zeit begegnen wir jenen französischen Familien-

namen, die sich längst

in Russland das Bürgerrecht erworben haben und von Leuten getragen werden, welche in jeder Beziehung echte Russen sind.

Unter Peter Löpinau, Lambert,

dem Ersten

dienten

de Collonges &c.,

als

Ingenieure

als

Coulon,

:

der Graf de

Offiziere:

Brazas, der frühere Malteserritter Villeneuve-Traus, der ehemalige

ßarfüsser Cailleau.

Gelegentlich der

Gründung

einer Marineschule

in Petersburg

geschieht

Erziehers

an

1715

eines

dieser Anstalt

Erwähnung, der gleich vielen seiner Landsleute auf die Empfehlung des Bretonen V i 1 1 e b o i s welchen Peter auf seiner Reise von Holland nach England kennen und schätzen geSaint-Hilaire

,

lernt hatte, aus der

französischen

iu

die russische Flotte ttberge-

Auch auf dem Gebiete der Wissenschaften und Künste war der grosse Reformator bestrebt, hervorragende Kräfte aus Frankreich, der Heimat des guten Geschmacks und der verfeinerten Eleganz, für sein Reich zu gewinnen. Der zu jener Zeit wohltreten war.

bekannte Architekt Leblond folgte der Einladung des Kaisers und trat für einen

jährlichen Gehalt

von 20000 Livres (für damalige

bedeutende Summe) dem Vorbilde des Palastes von

Verhältnisse eine

in

nach

Versailles

russische Dienste,

wo

er

Peterhof das

in

Palais erbaute, die Pläne für die umliegenden Gärten entwarf und

den Pavillon Marly (gleichfalls nach französischem Vorbilde) inmitten der spiegelklaren, ewig ruhigen Teiche herrichtete.

Begünstigt von

diesem Architekten wurde der unternehmungslustige Kunstindustrielle Bourdin, welcher den Versuch machte, in der

burg eine Teppichfabrik ä

la

Gobelin zu

Umgegend von

errichten,

die

Peters-

aber nur

kurze Zeit bestand und bald vollständig einging.

Nach dem Tode Peters des Grossen tritt wanderung und damit auch der französische wickelung

der

grund

fast allen

;

in

russischen Oultur

für

die französische Ein-

Einfluss auf die Ent-

einige Zeit

in

den Hinter-

Zweigen der Verwaltung, des Kriegsdienstes

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Französische Emigranten

in

215

Russland

und der Gelehrsamkeit werden Deutsche bevorzugt und als pünktliche Ausführer der Absichten der herrschenden Partei begünstigt. Durch kostspielige Bekanntmachungen »in den Couranten» (Zeitungen) werden sie autgefordert, in die Dienste der russischen Regierung der Aegide Birons, Müunichs, Ostermanns

zu treten, die ja unter

zum grossen Theil aus Deutschen bestand und jene Antipathien gegen das deutsche Wesen unter dem russischen Volke weckten, welche leider bis jetzt noch nicht ganz geschwunden sind. daher

Unter der Regierung der Kaiserin Anna Iwanowna sind es nur einige wenige französische Namen, welche neben der

Legion deutscher Einwanderer Erwähnung verdienen, der

Delisle,

z.

B. Nicolas

Verbindung mit der Petersburger Akademie der für russische Astronomen zu grüuden

in

Wissenschaften eine Schule

Ferner der katholische Priester und Jansenist Jube

beabsichtigt.

de la Cour, welcher als geheimer Agent der römischen Curie

Papste des ist

die

heil.

Vollmacht

erhält,

Stuhles näher

die

russische Kirche

zu bringen.

dem

vom

Einfluss

Drei Jahre lang (1728—31)

der schlaue Franzose in dieser Richtung thätig und entwickelt,

geschützt von

der Fürstin Irina Dolgoruki (welche während ihres

vieljährigen Aufenthaltes im Auslande treten war) alle



reichen

zum Katholicismus

denkbaren Anstrengungen,

schliesslich bringt er es jedoch

um

sein Ziel

überge-

zu

er-

nur dahin, dass er ans

Russland verbannt wird.

sten

reich

Die Tochter Peters des Grossen, Elisabeth, war von der früheJ ugend an unter dem Einfluss lebhafter Sympathien für Frankund den glänzenden Hof von Versailles erzogen worden, zu

dessen einstiger Königin sie von ihrem kaiserlichen Vater bestimmt

war.

In der ‘Gazette de la rvgence > (publice par E. de Barthclemy,

Paris, 1887) fehlt es nicht an directen Hinweisen darauf, dass der

Zar bei seiner Anwesenheit in Paris 1717 dem Regenten nicht nur ein Bündnis zwischen Frankreich und Russland anbot, um seine im nordischen Kriege gemachten Eroberungen zu sichern und Frankreich von jeder näheren Verbindung mit Schweden zurückzuhalteu, sondern auch dem Gedanken einer Verheiratung seiner Tochter letztere

freute

Elisabeth

mit

Ludwig XV. Ausdruck verlieh. Dieser immer wieder auf und erZustimmung Elisabeth Petrownas, deren

Plan tauchte auch späterhin sich

der

vollen

schwere Jugendgeschicke, deren muntere leichtlebige Natur es begreiflich erscheinen lassen,

wenn

sie sich stets

mehr zu den

liebens-

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Französische Emigranten in Russland.

216

würdigen Franzosen fühlte, die

den verhassten Deutschen

als zu

überdies

der

sich

hingezogen

der sogenannten

feindlichen Partei

«Braunschweigschen» Dynastie angeschlossen hatten.

Der Enkel

eines hugenottischen Flüchtlings, Lestocq, und der

französische Gesandte de la Chetardie hatten nicht wenig dazu beischliesslich den Thron ihres Vaters beund die russische Regierung unter dieser Kaiserin ihre VorFrankreich zur Schau trug, während sie die aufkeimende

getragen, dass Elisabeth stieg

liebe für

Machtstellung Preussens durch Theilnahme

Am

niederzuhalten bestrebt war.

am

russischen

siebenjährigen Kriege

Hofe

fehlte es nicht

an französischen Diplomaten, welche die persönliche Sympathie der Kaiserin Elisabeth für alles Französische zu Gunsten

der Politik

Ludwigs XV. auszubeuten bestrebt waren. Der merkwürdigste unter ihnen war wol jener Chevalier d’Eon. ein sonderbares Zwittergeschöpf, der bald als

N

c h t e des französischen Gesandten, bald

i

um

als Secretär desselben vor der Kaiserin erschien,

ihr wichtige,

chiff'rirte politische

Depeschen zu

überreichen oder den Schlüssel zu diesen Chiffren in

dem Einbande

«zu eigenen Händen» adressirte,

eines prachtvoll ausgestatteten

des

bis

1758)

;

der

seiner Staffelei

Exemplars von Montesquieus

«

Esprit

Als geheime Agenten Ludwigs XV. erder Maler Tocque (1757

Lois> darzubringen.

schienen ferner

der Arzt Poissonier und letztere sass,

verstand

ihr

es,

während

politischen Pläne

die

vor

die Kaiserin

der

französischen

Diplomatie zugänglich zu machen.

Es

hiesse

wir hier die

die

Geduld

lange Reihe

des Lesers

unnöthig

wenn

ermüden,

französischer Einwanderer wiedergeben

wollten, welche unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth

oder weniger bedeutende Handelsbeziehungen zwischen

Reichen begründeten.

Wir erwähnen

mehr

den beiden

beispielsweise nur des reichen

Kaufherrn Michel aus Bordeaux, der zuerst eine regelmässige Verbindung seiner Vaterstadt mit den Ostseehäfen herzustellen bemüht war, und der Firma Raimbert. die allmählich den gesummten Handel mit französischen Weinen und Galanteriewaaren beherrschte. die

Akademie der Künste

in

Petersburg

begründet

wird,

Als ist

es

Vallin de la Mothe, der sich an der Erbauung derselben betheiligt,

während der Bildhauer Gillet und die Maler le Lorrain und Lagrenee unter den ersten Professoren an dieser Pflanzstätte russischer Kunst genannt werden.

Der auf

die.

Einfluss, den die pseudo-klassische Literatur der

junge russische Literatur ausübte,

ist

Franzosen

zu bekannt, als dass

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Französische Emigranten

217

Russland.

in

wir auf denselben noch besonders hinzu weisen brauchten:

Tredja-

kowski, Ssumarokow, ja selbst Lomonossow konnten sich von der

Nachahmung

französischer Dichter

geisterte Verehrer

Schuwalow

stets

Kaiserin

die

gewesen

die blosse Lectüre

nicht

sowol,

frei

als

machen,

deren be-

Iwan mehr

Günstling

ihr

Raid genügte

sind.

ihnen

nicht

der französischen Dramen, eine Truppe pariser

wo der Hof

Schauspieler ward nach Petersburg geladen,

hoher

bei

Geldstrafe verpflichtet wurde, ihren Vorstellungen beizuwohnen.

Um

der Liebhaberei der Kaiserin für das französische Theater

noch höherem Grade zu genügen, versuchte es Schuwalow, wiewol vergeblich, einige der berühmtesten Schauspieler jener Zeit

in

bewegen,

dazu zu

der «nordischen Palmyra»

suchs zu Theil werden zu lassen Clairon konnten

sich

nicht

:

Ehre

die

ihres Be-

Lekain sowol wie Mademoiselle

entschliessen,

ihr

geliebtes Paris zu

verlassen. Dagegen verstand sich Voltaire dazu, den Wünschen Schuwalows entsprechend, seine Geschichte Peters des Grossen ganz in dem Sinne zu schreiben, welcher dem Geschmack des russischen Hofes entsprach. Vermuthlich hielt es der Weise von Feruey eben nicht für noth wendig «mit den Bewohnern der nordischen Residenz viel Umstände zu machen, er glaubte es daher mit der historischeu Wahrheit nicht

gar zu genau nehmen zu müssen und ihren Beifall leicht wenn er nur ihrer Eigenliebe schmeichelte». In

gewinnen,

zu

seiner Vorrede

macht er aus dieser Auffassung denn auch kein «Nicht jede Wahrheit darf man offen aus-

Geheimnis und sagt:

Schuwalow schrieb er (am 21. Sept. 1760) geradezu «Dictiren Sie mir nur, was ich schreiben soll !» Es versteht sich fast von selbst, dass während der Regierung der Kaiserin Elisabeth auch eine Menge französischer Abenteurer hier ihr Glück zu machen oder wenigin Russland erschien, um In ihre Heimat zurückgekehrt, verfehlten sie stens zu suchen. dann auch nicht, das ferne, von ihnen eilig durchstreifte Land

sprechen», und

:

zu

Landsleuten

ihren

zuschreiben, in

schildern

denen die

Denkwürdigkeiten

und

fabelhaftesten

nieder-

Dinge über Russland

be-

Als Beispiel für das Auftauchen solcher meteorartiger Erscheinungen sei hier auf den ehemaligen Rath des Parlaments zu Metz, Tschudi, hingewiesen, welcher in einer Broschüre

richtet

das

wurden.

Freimaurerthum

gegen

Schutz genommen hatte und

Russland entwichen war.

Namen

eines Chevalier

B»ltl»ch»

UonaUxcUiin

de

päpstlichen

die



Hier

erschien

Lussy

Rind XXXV, Hoft

Verurtheilungen

mit der Bastille

3.

in

er

bedroht

unter

Moskau und



in

nach

dem erdachten fignrirte

als

15

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Französische Emigranten in Russland.

218

Privatsecretär des Grafen Stroganow, dann trat er als Schauspieler in der

bei

Comidie fravrnisc zu Petersburg auf, um später als Secretär angestellt zu werden, der ihn um seines

Iwan Schnwalow

wegen

munteren, fröhlichen Charakters willen und

Dem

kenntnisse ganz besonders schätzte.

seiner Sprach-

Einflüsse des kaiserlichen

Günstlings hatte Tsehudi es zu verdanken, dass er als Hofmeister

im Pagencorps

aufgab, um

eine Anstellung

das

erste

fand,

auf die unbeständige Natur den

dann

Katharina rich II.,

Leben zu beenden

(f

1740).

II.

war, gleich ihrem

Volkes

der «Semiramis

lebhafter

Be-

des

aller Anerkennung der Vorzüge auch für die aufMängel im Charakter der «grossen Nation» ein offenes

Sie verstand es vortrefflich, aus ihren mannichfaltigen

hatte.

Beziehungen zu

den

allen

fast

Nutzen

zu

russischen Reiche

jedoch eine

hervorragenden Franzosen

wurde

;

Niemals überschritt

konnten.

niemals

erlaubte

einer wohl organisirten

Einwanderer

ihres Zeit-

den dieselben ihr persönlich oder

ziehen,

bringen

gewisse Grenze,

zum Schauplatz sische

in

dennoch war der Nordens» so bedeutend,

erwachsen;

bei

fallenden

dem

grossen Zeitgenossen Fried-

Ursprungs

deutschen

ihres

um

für französische Sitten und Begrift'e, wie für die geist-

kritische Scharfsinn

alters

er zu

der Bastille absitzen,

dieses

Auge

nicht,

in

vollen Schriftsteller

dass sie

so dass

schien.

seine Strafzeit

erst

ungeachtet

wunderung

auch

flbel

passen

auf die Dauer

es

Heimat zurückgesandt wurde.

vierziger Jahre in seine

friedlich sein

zu

anzubequemen,

russischen Verhältnissen

Anfang der

Hier musste er

Petersburg «Lc

in

des Herausgebers

Der abenteuerliche Redacteur verstand sich

jedoch bald wieder

er

die

Journal

französische

herauszugeben, ein Name, der nicht

Catnilfion lUlcraire »

auch

ist

sie,

sie

dass Russland

Ausbeutung durch franzö-

sie

nie

dem französischen

Staate geneigt gewesen.

Aus

ihren Briefen, wie aus den von ihr verfassten Lustspielen

Hessen sich zahlreiche Stellen Bosheit

sich

Franzosen

über

die

denen

citiren, in

und

Sonderbarkeiten

sie voll geistreicher

die

Prablsucht der

lustig macht.

Bei der Staatsumwälzung, durch welche Katharina den Thron bestieg,

Villebois

sind

und

zwei Franzosen betheiligt

der Chef der Artillerie

;

der Haarkünstler Bressan;

hierbei spielten, trat jedoch

Katharinas gänzlich

in

hinter

der

den Hintergrund.

die

der

Rolle,

russischen

Von

welche

sie

Anhänger

grösserer Wichtig-

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Google

Französische Emigranten keit

waren

die

Beziehungen

219

Russland.

in

zu

der Kaiserin

den

bedeutendsten

Dichtem, Philosophen und Gelehrten Frankreichs, welche ihrerseits dem Throne» in allen Tonarten in den Himmel

die «Philosophin auf

hohen und

in

Prosa und Poesie zu lobpreisen nicht müde wurden,

so dass Voltaire sich noch lange nicht

auf die höchste Stufe der

Schmeichelei erhoben hatte, wenn er ausrief:

du Kord aujonrd'hui que nous vient ln lumirre /> Seinem Beispiel folgten La Harpe und Dorat., welche Katha*

C'est

rina begeisterte schrieb,

der

Oden widmeten, Diderot, der

Thomas, welcher

sie

in

für sie seine «Salons»

seiner «Petreide»

ihre orientalische Politik verherrlichte

dem jungen Dauphin

pries;

Volney,

Mercier, welcher

;

die

Der Abbü Roman widmete Katharina seine Dichtung Uber die Pockenimpfung und der Abbe de Lubersac benutzte in seinem Traetat, «Ueber den Nutzen der Reisen für die Monarchen» die Erwähnung

weise Herrscherin

Muster

als

hinstellte.

Peters des Grossen dazu, seiner würdigen Nachfolgerin die begeistertsten

Huldigungen

für ihre grossen Verdienste

Suard hatte Recht,

zubringen.

«Wenn

1814 sagte:

wenn

er

um

ihren Staat dar-

dem Kaiser Alexander

erhabene Grossmutter

Ihre

Russland die

in

Unsterblichkeit verdient hat, so hat sie in Frankreich sie erlangt.»

Wir

nur

erinnern

den Vorschlag machen

noch

liess,

dass Katharina d’Alembert

daran,

von 100000

gegen einen Jahrgehalt

Livres die Erziehung des Grossfürsten-Thronfolgers zu übernehmen dass sie Diderot für eine

bedeutende

Summe

;

seine Bibliothek ab-

Verwaltung ihm für eine jährliche Pension überlassen blieb; dass sie endlich Buffon eine Reihe von Fragen vorlegte, welche dieser durch Uebersendung seiner sämmtliehen Werke be. antwortete und als Gegengeschenk für eine ihm von der Kaiserin geschenkte Medaillensammlung ihr seine Büste übersandte, deren kaufte, deren

Ueberbringer sein eigener Sohn war.

Neben

dieser

allerdings

weniger

französischer Lohredner

stattlichen Reihe

Verehrer Katharinas

fehlte

es

jedoch

berühmten Söhnen

auch

über die russischen Verhältnisse jener Zeit

schmähender Weise aussprachen.

nicht

an

der hrlle France

in tadelnder,

Rulhiere, Secretär

und

einzelnen, ,

die

sich

mitunter

der französi-

schen Gesandtschaft zu St. Petersburg, schilderte die Hauptpersonen der Staatsumwälzung

von 1762

Weise, Sabatier de Cabres

in

liefert eine

recht

wenig schmeichelhafter

wahrheitsgetreue Beschreibung

der schrecklichen Entbehrungen und der entsetzlichen Miswirthschaft in

Moskau während der Zeit der

Pest,

und

Hungersnoth 1771, 15*

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220

Französische Emigranten in Russland.

Chappe-d’Auteroche

endlich

hielt

nicht

es

für notli wendig, seine

Reisebeschreibung von Petersburg bis Tobolsk (wo er im Aufträge der Akademie den Durchgang der Venus durch die Sonne beobachten sollte)

mit den üblichen Schmeicheleien und Lobpreisungen

schmücken, sondern zeigte die Lage des Volkes

auszu-

recht düsterer

in

Färbung.

Nach diesem

flüchtigen Ueberblick der lebhaften und mannich-

faltigen Beziehungen, welche im Zeitalter Katharinas II. zwischen

Russland und Frankreich bestanden, versteht es sich dass

Massen

ganze

strömten,

um

fast

von selbst,

Emigranten nach Petersburg machen und das «russische Volk mit

französischer

hier Carriere zu

den Segnungen westeuropäischer Cultur zu beglüeken>. Der National-

ökonom Mercier de

Riviere

la

erschien

einem

mit

ausführlichen

Plan grossartiger Reformen, überreichte denselben der Kaiserin und schien seine sofortige Ernennung zu irgend einem höheren Posten zu erwarten. Katharina sah jedoch seine Vorschläge ganz « Dieser Herr und gekommen, um uns anzuzeigen, wie man auf den Hinterfüssen stehen kann > Einem anderen theoretischen Administrator Senac de Meilhan ging es nicht besser, als er beim Ausbruch der Revolution nach Russland flüchtete und hier naiv genug war, die Aeusseruug fallen

anders an und sagte lachend zu ihren Vertrauten

:

scheint sich einzubilden, dass wir noch auf allen Vieren gehen, ist

hierher

!

zu lassen, er oder

eines

sei nicht

abgeneigt, den Posten eines Finanzmiuisters

russischen Gesandten

in

Konstantinopel

nur müsse er sich das Recht Vorbehalten, gänzlich

anzunehmen, nach

eigenem

Ermessen handeln zu dürfen! . Katharina war grossmüthig genug, diese alberne Bemerkung zu überhören und beauftragte S6nac, nach einem von ihr entworfenen diese erwies sich Plan eine Geschichte Russlands zu schreiben jedoch als so vollständig ungenügend und unter aller Kritik ober.

.

;

flächlich zusammengestellt, dass die Kaiserin schliesslich froh war,

nls

Senac de Meilhan Russland

ein .Tahrgeld

in

in

welcher er

kritischen Ausspruch Katharinas:

gewisser Dinge bei

manchen

nachdem ihm allergnädigst

könnte

seiner

Auch der

Petersburg führte trotz aller Gunstbezeugungen

und der Vertraulichkeit,

dem

verliess,

von 1200 Rubeln ausgesetzt worden war.

Besuch Diderots

man

mit der Kaiserin lebte, zu

«Nach

seiner Beurtheilung

glauben, Diderot

sei

theoretischen Behauptungen

100 Jahre

alt,

man

ihn

könnte

jedoch für einen 10jährigen Knaben halten!»

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Französische Emigranten

Ganz andere verstand Franzosen zu schätzen ernste Gelehrte

oder

es die

und

Russland

iu

begabte

221

Russland.

in

grosse Herrscherin, diejenigen

Künstler

festzuhalten,

von

sich

welche als

phantastischen

Projecten und weitschweifigen Plänen fern hielten. Als Daguesseau, ein

junger Gelehrter und Verwandter des französischen Gesandten

Sögur, in Petersburg erschien,

um

sich mit der russischen Gesetz-

gebung bekannt zu machen, wurden ihm

alle nöthigen

zu dieser Arbeit bereitwilligst geliefert, und

selbst

Materialien

Potemkin

ver-

Der Maler Greuze und der Bildhauer Jean Antoine Houdon (1741 1828) folgteu zwar nicht der Einladung der Kaiserin, nach Petersburg zu kommen, führten jedoch mehrfach Arbeiten für sie aus, die in der Eremitage aufbewahrt werden. Besonders die Büste Voltaires schmähte es

ihm einige Erklärungen zu geben.

nicht,



im runden Saale der Kaiserlichen Oeffeutlichen Bibliothek hat deu

Namen Houdons

zu der verdienten Berühmtheit verholfen; er war

es auch, der eine

Anzahl anderer französischer Künstler dazu vernach dem fernen Norden anzutreten, um als

Reise

die

anlasste,

Lehrer an der 1765 erweiterten Akademie der Künste eine sichere zu

Stellung

finden.

Graveure

Die

und Leprince,

Vernier

der

Emailkünstler C'arteaux, endlich der Bildhauer Falconet und seine taleutvoile

Newa, wo

Schülerin

Collot

an

erschienen

die beiden letzteren sich in

den

dem prächtigen

Ufern

der

Reiterstand-

Grossen ein unvergessliches Denkmal setzten.

bilde Peters des

Gleichzeitig

Barrale

Anne

erwarben

sich

einige

Industrielle,

und die Gebrüder Anthoine, ersterer

Stahl waarenfabrik in Onega,

letztere

durch

als

die

wie

z.

B.

Begründer einer

Anknüpfung von

zwischen den Häfen Südfrankreiehs und des Schwarzen Meeres, nicht unerhebliche Verdienste um die Entwickelung der russischen Industrie. Dank solchen erfolgreichen Unternehmungen wuchs der Zufluss französischer Einwanderer mehr und mehr, während gleichzeitig unter ihnen auch die Vertreter schlechter Elemente Zunahmen, so dass ein französischer Reisender < Petersburg und Moskau werden von jener Zeiten klagen konnte Massen unserer Landsleute förmlich belagert, welche die Heimat

Handelsbeziehungen

:

verlassen,

um

zu entgehen.

verdienter

Wir waren

scher Grandseigneurs

oder

polizeilichen

zu

Verfolgungen

nicht wenig erstaunt, im Kreise russi-

ehemaligen Deserteuren,

dunklen Industrierittern hier Carriöre

Strafe

ßankroteuren

begegnen, die unter

zu machen suchten.»

falschen

und

Namen

Diderot versichert, unter diesen

Einwanderern Personen angetroffen zu haben, welche zu deu noch die kritische Analyse eines Manuscripts

der dorpater Universitätsbibliothek:

von

schen Gebietiger

Klagepunkte der Inländigegen den Hoch-

die

der westfälischen Partei

dem Jahre 1439, durch Dr. Aufsatz über die rigaschen Kannen-

meister Paul von Russdorf, etwa aus

Philipp Schwartz, giesser

W

von Prof.

Bienemanns

zu

i

1

einen

St

h.

i

e d

und einen Nachtrag Dr. Fr. und Urkunden» aus dem

a

«Briefen

seinen

Archiv der grossen Gilde zu Reval,

ihm

die

s.

Z. von Dr. Herrn.

Hildebrand freundlichst überlassen worden.

Der

13.

Gesellschaft Festschrift

Dr.

Band der «Verhandlungen» der Gelehrten Estnischen

ist

zu deren 50jähriger Jubelfeier als

436

von

Zum

ausgegeben.

S.

Leopold von Schröders,

sehr stattliche

Hauptinhalt

hat

er

nachdem auch selbständig

als

Buch erschienene, grosse Arbeit « Die Hochzeitsgebräuche der Esten und einiger anderer finnisch-ugrischer Völkerschaften in Vergleichung :

Unter den übrigen Aufsätzen, von denen drei der Steinsetzung zu Türsei in Allentaken gewidmet sind, der letzte einen Brief des Reisenden Tabbertmit denen der indogermanischen Völker».

Strahlenburg

vom Jahre

Bibliothekar

B.

C.

bringt

,

Thätigkeit des Verewigten,

Das Bild des um

die

das

dürfte

reichhaltigsten Beilagen

versehen mit

vom

1725, herausgegeben und eingeleitet

Cordt

Grewingks von seinem Jugendfreunde

Prof. em.

über

die

Lebensbild

wissenschaftliche

allgemeinste Theilnahme

die Gesellschaft

Prof.

Carl Schmidt, erregen.

hochverdienten Begründers der

prähistorischen Forschung in unseren Provinzen schmückt den Band.

Auch der «Jahresbericht dieser Charakter

zwölf Tafeln

mit

der Felliner

litterarischen

Gesell-

eben erwähnten Jubelfeier gewidmet,

schaft» ist als Festgabe der

und

eignet

ihm

ausgezeichneten

durch

die

Beilage von

reiche

Lichtdruckbildern,

einer

will-

kommenen Erläuterung zum vortrefflichen Aufsatze Th. v. R e k hoffs über Liborius Bergmann in den JJ. 1774 1778, den in i



Deutschland

,

Bildungsjahren

vor

allem

des

Seinen herzlichen

1823

Dank

in

Leipzig

verbrachten

verstorbenen

für den

rigaschen

akademischen Oberpastors.

ihm bereiteten Genuss

will Ref'.

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256

Notizen.

dadurch bezeugen, dass er ein

Stammbuch

in

in

seinem Besitze befindliches altes

ähnlicher Weise bearbeitet.

sich ergeben, in wie geistvoller

Auch aus diesem wird

nutzbringender Weise unsere

und

jungen Landsleute ihre Bildungsreise benutzten und wie verschieden doch

wieder

auch

ihre Beziehungen

und

Geistesrichtungen

sich

gestalteten.

Fr. B.

5'D-T«v»'-

Hcransgeber

:

R. \V eins.



Verantwortlicher Reditctenr

Ackirojoiio neu:typox>.



Peuejb, 2-ro Ikmh

Qedrarlt bni I.lntWotV

Er>»»-n in

:

Holländer.

H.

188S

r.

It«u!.

Digitlzed by

Google

)

Die Bauernbefreiung

nachfolgenden Seiten trifft

wundervolle

,

ausschliesslich

in

bilden,

einen

Georg Fried

Werk von

Preussen.

was

alles

Thatsächliche

Inhaltsbericht

Knapp:

r.

über

das

Die Bauern-

befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den alteren Theilen Preussens.

(2 Theile, Leipzig,

Duncker & Humblot.

1887.

Gr.

8.

In ihm ist zum ersten Mal auf Grund archivalischer Forschungen dargelegt, welche Bemühungen schon im vorigen Jahrhundert die preussischeu Könige auf das grosse Werk, die hörigen

M. 16

.

Bauern zu emancipiren, verwandten, wie essen des Adels diese ihrer

Wirkung

Bauernstandes die

die selbstsüchtigen Inter-

Bemühungen aufzuhalten und

schliesslich in

für die Schaffung eines möglichst zahlreichen freien

zu

grossentheils

paralysiren

Hardenbergsche Gesetzgebung, indem

wussten, wie endlich

sie diesen

Bestrebungen

manchen Strahl aus dem Glorienschein Einzelne Punkte der von Knapp geschilderten Vorgänge gaben dem Verfasser Veranlassung zu den

des Adels Vorschub leistete,

ihres Liberalismus einbüsst.

eingestreuten

Betrachtungen.

socialistischen

Die äusserliche Freiheit des Menschen kann in dreierlei Bees kann ihm die Verfügung über seine

ziehungen beschrankt werden

:

Person, über seine Leistungen, über seinen Besitz

genommen werden.

Als eine Verschärfung der Abhängigkeit, welche sich an jede ihrer

Formen

heften kann, erscheint die Erblichkeit derselben.

D-iHImI.i' Vonalwrhrirt.

Ilnn.l

XXXV,

llitfl 4.

18

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Die Bauernbefreiung

258

in

Preusseu.

Sehr verschiedenartige Masse und Mischungen dieser Möglichkeiten sind es, in denen wir in Preussen den Bauern gegenüber seinem Gutsherrn zu der Zeit antreffen, als die Fürsorge der preussiselieii

Könige

anfangs des

sich

18.

der Regulirung der Verhältnisse

Jahrhunderts zum ersten Male

zwischen Bauern und Gutsherrn

zuwandte.

Die Leibeigenschaft der romanischen und germanischen Länder ist

man vermuthet

keineswegs, wie

hat, ein

Nachkomme

oder Ueber-

sie ist vielmehr nach Vervollkommene Neubildung, wie sie sich, selbst von ursprünglich freiheitlichen Grundlagen aus, überall da ausbilden muss, wo die oberste Staatsgewalt schwach genug ist, um den Differenzirungsprocess zwischen Starken und Schwachen

bleibsel der vorchristlichen Sclaverei

schwinden dieser letzteren

'

;

eine

blos natürlicher Lauf dahin immer stärker und der Schwache immer Der Centralgewalt als solcher muss die Integrirung der Bestandtheile des Staates ebenso oder mehr am Herzen liegen als ihre Differenzirung wie sehr es nur ein Mangel an Macht (manchmal auch wol an richtiger Einsicht) war, aus dem

ungehindert walten zu lassen, dessen der Starke

führt, dass

schwächer wird.

;

die

Regierungen Westeuropas

Process duldeten, offenbart der Leibeigenschaft

dazu

die äussere Möglichkeit

Der Bauer d. h.

ungefähr bis

in

den

zum

zur Leibeigenschaft

den

sich

begünstigten

darin,

oder

sie

die

führenden

Aufhebung sobald sich

zeigte.

preussischen

15.

dass

herbeiführten,

Landen

war ursprünglich,

oder IG. Jahrhundert, ein freier Mann,

der weder in Bezug auf Leistungen, noch auf Eigenthum und seiue

Vererbung anders schränkt war.

als durch sein Verhältnis

zum Landesherrn

be-

Zwischen diesen und ihn schiebt sich erst allmählich bewogen durch

die neue Instanz des Grundherrn, indem der Bauer, .

die Unsicherheit der öffentlichen Zustände, die seine Existenz über-

haupt oder durch den Kriegsdienst, der wenigstens seine wirschaftliche Existenz bedrohte, Schutz gegen jene und Abnahme dieses

von dem ihm benachbarten Ritter heischte und sich dafür als ihm Grund und Boden als von ihm zu Lehn empfangen

zugehörig, seinen

anerkannte

;

oder auch der Landesherr belehnte seinen Ritter mit

einem Gebiete, welches Bauerndörfer umfasste oder mit einem solchen, auf das jener erst Bauern herbeirief. Interessanter ist eine andere Entwickelung, die davon ausgeht, dass der Landesherr einem Edelmann nur gewisse hoheitliche Rechte über Steuern, Leistungen und Besitz des Bauern abtritt.

Da

nun jener als Ritter, als relativ

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Die Bauernbefreiung

259

Preussen.

in

Mann, meist auch als Gerichtsherr, eine grosse ^tatsächliche Macht dem Bauern gegenüber darstellt, so bedurfte es begreiflich genug nur geringer gesetzmässiger Einschränkungen der bäuerlichen Freiheit zu Gunsten jenes, um ihm als Sprungbrett zu immer weiteren Einschränkungen und Ausnutzungen des Bauern zu dienen. reicher

Diese

gingen

indess,

so

viel

Leibeigenschaft im strengsten Sinn

;

wir

wissen,



Frohneu

an

von der

dem

es

;

zur

— selbst bei den sogenannten ungemessenen

wisse Grenze der Arbeit

gehörten, und von

fast nie bis

sich immer nur gab immer eine ge-

handelte

es

um Leistungen und Besitzbeschränkungen die

Früchte

derselben

dem Bauer

selbst

willkürlichen Schalten über die Person des-

Epoche bei den französischen Edelleuten bis zum Verkauf und unbeschränktem Misbandeln ihrer Unterthanen ging, hören wir in Preussen so gut wie nie. selben, die in derselben

Am

verständlichsten erscheint die allmähliche Steigerung der

Frohnen

Daraus entstanden, dass der Landesherr den Wagendienst,

den die Bauern ihm schuldeten, abgab, oder des Grundherrn oder überhaupt

dass

die Ueberlassung

sie

den Schutz

des

diesem ge-

hörigen Bodens mit Beihilfe zur Bestellung seines Ackers bezahlten,

waren

dem ursprünglich geringen Umfang des Gutes nur wenig merkbar. Als aber mit dem ritterlichen Berufes der Edelmann sich auf die

Frohnen

die

herrschaftlichen

Aussterben

des

Vergrösserung

bei

seiner

warf und

Landwirthschaft

sie

durch

Be-

lehnungen, Einziehen wüster Stellen, Auskaufen anderer, auch wol

durch Gewaltthat erreichte und die Zahl der Bauernstellen dadurch verkleinerte, mussten

Aufgabe mit Die Unsicherheit der da-

die Bleibenden eine gesteigerte

einer geminderten Personenzahl leisten.

maligen

so zu sagen überall

verhältnisse ermöglichte

entweder

zu

messenen.

sehr

mit Gewalt durchschossenen Rechts-

dem Gutsherrn

die

Erhöhung der Frohnen,

hohen »gemessenen» oder

Gleichsam eine

Fortsetzung

überhaupt

frohnmässigen Bearbeitung des Ritterackers war des Bauern

ist

des Bauern

wurde, dass

es,

zur

dass die Kinder

zum Gesindedieust auf dem Gntshof gezwungen waren.

Schwieriger Besitz

zu unge-

dieser Verpflichtung

der Uebergang, durch

den der gute erbliche

dem Grundherrn gegenüber

schliesslich

dieser

sich

als

der

so

allein

abgeschwächt rechtmässige

Eigenlhümer empfand, der mit dem Boden machen konnte, was er wollte. Ich vermuthe, dass der Ausgangspunkt auch hierfür jene Zwangsleistungen gewesen sind

;

es ist naheliegend, dass der Besitz

des Bauern zur Sicherheitsleistung für seine Dienstpflichten wurde. 18 *

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260

Da

Die Bauernbefreiung

Preussen.

in

diese gerade von der Stelle, die er bewohnte, abhingen, so Wal-

auch für

es natürlich, dass diese Stelle

kein

Vermögen

nicht

erfüllte,

hatte,

anderen, tüchtigeren sich der

konnte nur

eben

haftete;

sie

man dem Bauern, Und

geben.

da

er

sie

demselben Interesse

in

sonst

der seine Pflichten

wegnehmen und

diese Stelle

einem sprach

Gutsherr auch das Recht zu, bei der Vererbung des Hofes

unter den Kindern des Erblassers wenigstens dasjenige auszusuchen,

Es

welches ihm das tauglichste schien.

ist

durchaus verständlich,

wie dieses unter Umständen eintretende Verfügungsrecht über den

Besitz

des Bauern, der ihm ursprünglich nur zu

verpflichtet war, allmählich zu der Vorstellung

dass

dem Gutsherrn überhaupt das Recht

Leistungen

auswachsen konnte,

Verfügung

zu- jeglicher

über die bäuerliche Stelle und schliesslich überhaupt das Eigenthum

wurde dieser Process dadurch, dass es eine Anzahl von Bauern gab, die von vornherein auf den dem Edelmann unzweifelhaft gehörigen Acker gesetzt waren gegen derselben

zustande.

Erleichtert

So konnte sich die Vorstellung ausbilden zu Recht bestehende Frohndienste überlassenen Boden des Edelmannes

Leistungen von Frohnen.

und

dass

festigen,

stets einen

überhaupt

dem Bauern nur

zum Correlat

hätten. In dieser Form gehen viele sociale und Entwickelungen vor sich: die Verpflichtung des Bauern zur Leistung wird zum Rechtstitel für die Besitzergreifung seines Landes durch den Ritter, und dann wird der Besitz seines Landes zur Grundlage, ihn zu Leistungen zu verpflichten.

psychologische

Von diesem selben

luteresse an der Frohndienstleistung geht

nun auch eine Fesselung nach der

persönlichen Seite

aus

:

nicht

Bauer Dienst thue, ist die Sorge, sondern dazu vorhanden sei. Wurde bei wie es sehr wahrscheinlich ist die Bedingung

nur, dass der vorhandene

dass überhaupt auch ein Bauer

Neubesetzungen





der Bauer

hinzugefügt, dass

nicht

ohne

gutsherrliche Erlaubnis

seine Stelle wieder verlassen dürfe, so konnte bei

dem Hinarbeiten

des Gutsherrn nach dieser Richtung auch diese Bestimmung leicht

Verbindung mit der Vorstellung des bäuerlichen Verhältnisses überhaupt treten; und so wurde denn die Fesselung an die Scholle, in

namentlich seit nach dem 30jährigen Kriege

die

barer Besitz wurden, ein überall angetroffenes

Das

unterthänigkeit.

Frohnleistungen

Rückhalt zn

vitale Interesse,

hatte, führte

lösen,

Grund und Boden

den

er

besass,

an

und

erstens

einem

das dazu,

Bauern ein kost-

Moment der Guts-

der Gutsherr an den

den Bauer

von dem

ihm nicht wegzunehmenden

zweitens

ihn

an diesen, nun dem

Google .

11 .

Die Bauernbefreiung

um

Gutsherrn ungehörigen,

261

Preussen.

in

Zu

so fester zu binden.

der negativen

Bestimmung, dass kein Bauer seinen Hof verlassen dürfe, war es nur die positive Ergänzung in gleichem Sinne, dass jeder Bauer eines Gutsherrn auf dessen Verlangen einen Hof zu übernehmen

Auch der Vorbehalt

verpflichtet war.

dem Sinne die

des Heiratsconsenses

ist

in

einer Sicherung der Leistung der Person zu verstehen,

dem Heimatsort entfremdet werden oder deren

durch Heirat

Arbeitskräfte durch eine irrationelle Eheschliessung leiden konnten.

Die Arbeitsleistung des Bauern nur

Beschränkungen

durch

dass

nicht

,

unmittelbare

der

konnte

Walde

er

;

das

Herr

sein

auf der

durch

sie

positive

eigene Dasein

für sich

herrschaftlichen

an Haus

ihm Schäden

lässt

der Gutsherr nicht

so viel Unterstützung gewähren,

Kampf um

Kräfte völlig beanspruchte, die giebt ihm Hütungsrechte

aber

musste

sondern

Er musste ihm

Massregeln sichern.

er unterstützt ihn mit Saatkorn, oft auch

die

brauchte. Er Weide und im

und Geräth ausbessern mit Brotkorn bei be;

;

sonderen Unglücksfäilen gewährt er ihm Erleichterungen und zahlt die Staatssteuern für ihn.

Alle

diese Unterstützungen

gebenen Zweck

Arbeitskraft

:

das Hütungsrecht ermöglicht

bezeichnend für den ange-

sind

des

Bauern

Vieh, das

einen geringeren Arbeitsaufwand fordert, als zu demselben

beim Landbau lässt

mau

Durch

freizumachen.

man ihm das Halten von

Gewinn

Ausbesserungen an Haus und Geräth vornehmen oder ersetzt es selbst, weil der ist, damit eine unverhältnismässige Zeit

nöthig

ist;

lieber selbst

Bauer, ungeschickt wie er

und Kraft verbrauchen oder das Geräth stande lassen würde

indem man ohue also

mehr Zeit zu

die

;

in

dem

untüchtigen Zu-

Koniunterstützung verzinst sich

dem Bauern

sie

reichlich,

ein viel grösseres Ackerfeld und

seiner Bestellung hätte lassen müssen.

Bei den

allgemeinen Erleichterungen liegt der Zweck, den Bauer und seine

Kräfte

zu

gesetzlichen Pflichten

von

ursprünglich nur heiten;

sie

Fixirungsprocess

,

des Gutsherrn

in

geworden,

so

sind sie doch

seinem eigenen Vortheil dictirte Gepflogeneben

erfahren

Sind diese Gewährungen zu

der Hand.

erhalten, auf

nur

welchem

durch das

die

Länge der Zeit jenen

aus Zweckmässigkeitsgründen

Gethane so häufig zum Recht wie zur

Pflicht auswächst.



ganz

ebenso wie der Bauer, nachdem er und seine Vorfahren lange Zeit

den

Hof

besessen

gewesen uud ihnen mählich

in die

,

der

nur

zweifelloses

Eigenthum

des

Gutsherrn

zu Lehen überlassen war, seinerseits

all-

Vorstellung eines Besitzrechtes hineinwächst.

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:

2G2

Die Bauernbefreiung

Es

ist also

in

Preussen.

thatsächlich der richtige

Ausdruck

für den Gesichts-

punkt der blossen Arbeitsleistung, unter dem der Bauer angesehen wurde, wenn J. G. Hoffmann die Bauern « angesiedeltes Gesinde»

Der Zustand derselben war im 18. Jahrhundert noch elend gleicher Weise der Privatbauern wie derer auf

nennt.

genug, und zwar

den königlichen Domänen, die unter denselben Bedingungen standen

;

und schon zu Anfang des Jahrhunderts erheben sich Stimmen und zur Besserung

Vorschläge

Auge

fiel,

ihrer Lage.

war doch weniger

die

Allein

was zunächst

ins

Unwürdigkeit der Halbsclaverei,

die in den angeführten Freiheitsbeschränkungen lag, als die wirth-

Die

sclmftlich-rechtliche Unsicherheit ihrer Besitzverhältnisse.

fast

oder ganz willkürliche Verfügung des Gutsherrn über die Bauern-

gab ihm nicht nur den Bauern

stelle

auch leicht zu lichen

die

einer

dem

Verminderung der

suchen aber,

mit

Hand, sondern konnte

in die

der Landescultur sehr schäd-

Interesse

Bauernstellen

Von

führen.

denen Preussens Könige etwa

bäuerlichen Verhältnisse

regelnd

allen Ver-

von 1702 au

eingreifen

wollten,

ist

in

bis

17G3 nur einer geglückt, der die letzterwähnte Gefahr beseitigte der durch eine Reihe von Verder sogenannte ßauernschutz ordnungen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. zu Stande ,

kam und zum

Inhalt hatte

zum

dass kein Bauerngut

:

Herrschafts-

gut geschlagen und jedes Bauerngut über eine gewisse Grösse hinaus

zerschlagen

werden stellen

solle

und

Stellen

verwandt

das Verbot, mehrere Bauern-

gleichzeitig natürlich

;

zusammenzulegen.

ordnung wird

Gründung mehrerer

zur

Gelegentlich der Aufhebung dieser Ver-

der Regierung folgendermassen zuvon Rittergütern liegt die VerAnzahl von Bauernhöfen zu ewigen Zeiten mit besonderen Wirthen besetzt und im wirthsehattlichen

sammengefasst

sie :

(1811) von

«allen Besitzern

pflichtung ob, eine bestimmte

Zustande zu erhalten, denselben Ländereien

und Gerechtsamen

ihnen ruhenden Leistungen

nichts

zu

von

änderung vorzunehmen und

für

den

dazu

entziehen, in Absicht

an Abgaben

gehörigen der

auf

und Diensten keine Ver-

die Staats-

und Communallasten

Der damit befestigte landwirthschaftVermehrung des in seiner Existenz zwar wesentlich auch Gründen, da man gern Bauernsöhne zum Militär

von denselben zu haften.»

liche Kleinbetrieb sollte eine

gesicherten Bauernstandes herbeiführen und

aus militärischen

nahm

(die

eine

möglichst

etwas zu vertheidigen hatten) und für Einquartierungen verbreitete

Anzahl

von

Bauernhöfen

sehr

er-

wünscht war.

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Google

Die Bauernbefreiung

Der

263

Preussen.

in

war indess dadurch

einzelne Bauer

Weise

in keiner

ge-

Da es nur auf Erhaltung der Bauernstellen als solcher ankam, so konnte der Herr dem einzelnen nach Belieben kündigen, wenn er nur einen anderen an seine Stelle setzte. Auch war schützt.

vom Gutsherrn ihm ange-

ferner jeder Unterthan verpflichtet, die

tragene Stelle zu übernehmen, keiner

nommene wieder

aufgeben.

war verboten, durch selbe mit

seinem

welches

freien

durfte

der Inhaber

an

oder

einer Bauernstelle die-

auf Grund

Willen, etwa

gungen, an den Gutsherrn

die über-

seinerseits

Jedes privatrechtliche Uebereinkommen

von Entschädi-

schon eine Stelle

andere

be-

sitzende Bauern hingab.

Das Recht, dem dem Gutsherrn

einzelnen Bauern

zu

kündigen,

gab indess

an die Hand, aus dem Bauerngut,

die Möglichkeit

dessen Einziehung zu eigenem Besitz ihm verboten war, doch noch

Nutzung zu ziehen: indem er den Bauer durch die Drohung der Kündigung zum Eingehen eines Pachtverhältnisses nöthigte. Der Bauer musste ihm die Sicherung seines Landes auf besondere

längere Jahre mit jährlichem Pachtgelde bezahlen.

Die weiteren Reformbestrebungen Friedrich Wilhelms dahin,

Leibeigenschaft

die

dem Bauern verkaufen

Dafür aber

können.

haltung des Gehöftes keine Unterstützung nicht ohne

der Domänenbauern

seine Scholle gehören, er soll

soll

sorgen,

erhalten

soll

ausser

von doppeltem Gesichtspunkt: eine edle Sache

sei,

welcher

in

aus

dem statt

d. h.

allgemeiner Noth

Zeiten

zu verlassen.

sich

gehen

vererben oder

nun selbst für Instand-

er

und einen Eid

besondere Erlaubnis

I.

aufzuheben, sie

leisten, seine Stelle

Er begründet

ethischen,

dass

dies

«dem

es

der Leibeigenschaft

der

rühmen könne« dann aus dem utilitarischen, dass der Bauer für Haus und Inventar, wenn sie ihm gehörten, ganz anders

Freiheit

;

Sorge tragen würde als derselben

dadurch

nur Schaden der

jetzt,

wo

die

Allein dieser Plan

gewissenloseste Behandlung

wurde,

hervorgerufen

Herrschaft

dass

scheiterte

fast

Ohne

andererseits der Bauern

einen ilirecteu Beweis dafür zu haben, möchte ich annehuieu, dass

der Widerstand der

Kammern gegen

der Besorgnis stammte, es würde ihr folgen,

gegen die

die

Emaneipation der Domäuenbauern aus

auch die Emaneipation

sie persönliche Interessen

hatten.

Ein

Misbranch trieben,

um

der Frivatbauern

officieller

Jahre 1710 erwähnt, ausdrücklich, dass die Edellente mit ihren oft

Beschädigung

vollkommen, einerseits an

dem Widerstande der Domänenkammern', 1

ihre

war.

Bericht

officiellen

vom

Stellungen

ihren Gütern Vortheile zuzuwenden.

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264

Die Bauernbefreiung

selbst:

Preussen.

in

immer einen Herrn gehabt und wollten einen

hätten

sie

ohne die bisherige Hilfe könnten

behalten;

sie nieht

bestehen und

verzichten deshalb lieber auf die Freiheit und den eigenen Besitz.

Seine

spärlicheren Versuche,

die

Privatbauern aufzuheben, haben

kein anderes Resultat.

Pommern wie

ihm

in Preussen

wird

um

der

Sowol

in

dass weder der

vorgestellt,

man weder und dem Bauern

Bauer noch der Edelmann davon Vortheil hätte, diesem das ihm gehörige Land einfach entziehen schenken, noch jene

auch

Leibeigenschaft

dass

die gutsherrlichen Unterstützungen bringen

«Auch verdiene erwogen zu werden, dass nicht alle Menschen vollkommene Freiheit, sonderlich wenn die Freiheit mit Armuth verknüpft ist, wohl ertragen können auch sind nicht alle Menschen

dürfe.

eine

;

von der Art, dass selbst oder

Gutes

sie,

ohne von

anderen

dem gemeinen Wesen

zu werden, sich

regiert

zu sein trachten, etwas

nützlich

Acht nehmen.» (Bericht der preussischen Regierung aus Königsberg 1724.) Dieser Gesichtspunkt wird vielfach hervorgehoben und unterscheidet sich nicht von schaffen

demjenigen, mit

oder

das Ihrige

dem

Aristoteles die Sclaverei rechtfertigt

in

:

es

gäbe

eben qjvoet öovXoi, die nicht von selbst, sondern nur auf äusseren

Zwang

In

thäten.

solchen

all

mehr oder minder der Irrthum,

steckt nur

Sclaverei

Rechte

das

hin

aus

der

des

Beschaffenheit

während thatsächlich und wesentlich herzuleiten

die

Deductionen

Berechtigung der

Beherrschten

herzuleiten,

die letztere aus der Sclaverei

ist.

Es ist nur eine leise Abwandlung dieser Meinung, wenn Garve 1789 von der Verbreitung des «unglücklichen Vorurtheils» «dass der Bauer nie besser seine Pflicht thue als im Elend oder unter dem Drucke, und dass Wohlhabenheit und gute Tage ihn verderben» wozu er das Sprichwort anführt: rustica gens spricht,



optima

flens

pessima ridens.

Friedlich

1

ordnete 1777

die Erblichkeit

auf den Domänen an, wenn auch

der Bauernstellen

keine unbeschränkte

:

das

Amt

suchte das tauglichste unter den Kindern des Erblassers dazu aus.

Es weil

ist also

noch kein eigenthümlicher Besitz, schon deshalb nicht,

der Besitzer

keine Schulden

auf

den

Hof aufnehmen

darf,

sondern nur erbliche Nutzniessung. Seine

den

wichtigste

Domänenpächtern

Gesindedienst

zu

Massregel, 1763 begonnen, untersagt

zwingen,

wie

wurde es

,

bisher

die als

war

die,

dass

Unterthanen

zum

Folge

der Unter-

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Die Bauernbefreiung tliänigkeit geübt war.

265

Preussen.

in

Hierdurch entstand eine so

feste Vorstellung

von der Freiheit der Domänenbauern, dass eine spätere jene widerrufende Verordnung Friedrichs

Von Wilhelms

gar

von 1799 an. das Scharwerk,

dafür

Domänen

in

Hebung

Ostpreussen

des Bauernstandes

und

der

hauptsächliche Gesichts-

Bauern

alten

auch

Sie

nicht

da

leisten,

dann

wollen

sie

ganz

lieber

;

doch die der

in

Es muss ihnen auch 1805 nachgegeben Aufhebung der Dienste stattfinden.

Verfassung bleiben.

werden und

Es war noch

Anzahl von Diensttagen Vorbehalten

nuu

Dienste mit Geld ablösen.

und

materielle

die

Die Durchführung hatte

war.

Schwierigkeiten.

in Littauen

für die Erntezeit eine geringe

diese wollen die

die Frolmdienste

d. h.

Sie sollten ein gewisses

abzulösen.

wenngleich

bezahleu,

punkt nicht das fiskalische Interesse, sondern sociale

nicht zu prakti-

kounte.

grösster Wichtigkeit sind nun die Bestrebungen Friedrich III.

der Bauern auf den

Entgelt

von 1773

II.

Anwendung durchdringen

scher

vollkommene

Besser geht es

Westpreussen.

in

werden besser bearbeitet, von Zeit und Kräften

indem

Die bäuerlichen Ländereien

die entsetzliche Verschleuderung

der Dienstbauern

aufhört

;

der Charakter

wenn

der Bevölkerung werde sich, wie berichtet wird, heben, die durch das

erst

Scharwerk grossgezogene Trägheit und Verschmitzt-

heit schwinde.

An die Ablösung der Dienste schliesst sich nun das wichtigste Unternehmen: die Domänenbauern zu unbeschränkten Eigen-

tümern

Dafür sollte der Bauer eine 200 Thalern bezahlen und auf die bis-

ihrer Stellen zu machen.

Entschädigung von 100

bis

herigen Unterstützungen verzichten. der Bauer

trotz

hatte, den alten

seiner

elenden

Es

ist

nicht zu leuguen, dass

Lebenslage

mancherlei

Gründe

So lange er seine Pflichten erfüllte, blieb er so wie so auf dem Hofe und derselbe ging auf eines seiner Kinder über, wenn auch nur auf das, welches das Amt Zustand vorzuziehen.

auswählte; auf Nutzungen, Ausbesserungen, Beihilfen hatte er hebliche Ansprüche

u.

s.

w.

Zudem

spreche

Sachverständiger 1799 anführte, dass er seinen er sein

dagegen

Hof

,

sofort,

wie

er-

ein

nachdem

Eigenthum geworden, mit Schulden überladen und ihn

des-

halb bald durch Zwangsverkauf verlieren würde.

Erst 1807 schlägt Kriegsrath Wloemer vor,

Krieg erschöpften Bauern das

freie

Eigenthum

den durch den des

Hofes

ohne

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266

Die Bauernbefreiung

Preussen.

in

Wolle nmn ihnen auf dem Boden der bisherigen Ordnung aufhelfen, so koste es viele Millionen und stelle doch nur eine klägliche Existenz her, die bei jedem Unfall neu gefährdet sei. Erst wenn der Bauer Eigentümer sei, sei er

jede Bedingung zu

verleihen.

Gut

ereditfäbig und könne sein

verbessern.

vom

In diesem Sinne betont Freiherr

1808, dass ohne

Stein

selbständiges Eigenthum die Viehzucht nicht verbessert, die Wiesen nicht drainirt, keine Baumpflanzungen angelegt würden.

In demselben Jahre Littauen

die

erfolgt

für Ost- und Westpreussen

Zuteilung der Höfe

endgiltige

als

und

Eigentum, wo-

Nur

gegen sftmmtliche Unterstützungen von amtswegen wegfallen.

zwei Jahre werden sie noch zur Erleichterung des Ueberganges und zur Beihilfe gewährt werden.

die nächsten

In

tum

Pommern und

weder

in

nach

;

wer

der Uebergang

in

Eigen-

es nicht haben wollte, blieb im alten

In jenen Provinzen dagegen musste jeder Bauer ent-

Ordnung

die neue

löse seiner anderweitig

Nach

Kurmark war

der

nicht obligatorisch

Verhältnis.

einigen

1810 der

eintreten

oder

abziehen

mit dem Er-

verkaufen Stelle.

Schwankungen und Schwierigkeiten

Beihilfe

Bauern

entbehrenden

stellte

für sich

die

das

Resultat doch ausserordentlich günstig; es waren 30000 selbständige

Grundbesitzer geschaffen und die Staatskasse gewann von der Neu-

ordnung

allein in Littauen

mindestens

1

00000

Tlialer jährlich aus

der Ersparnis der Unterstützungen und der bäuerlichen Nutzungen in

den Forsten.

die

Für die Mark Brandenburg, Pommern und Schlesien erfolgte Aufhebung der Erbunterthänigkeit auf den Domänen durch

Edict vom 28. October 1807.

Der zunächst allein greifbare Nutzen des Bauern war die Erhöhung seiner Creditfähigkeit, sowie die Möglichkeit von Verkauf und Vertausch seines Hofes. Nachdem die Gesindepflicht und das Scharwerk aufgehoben worden, zog er aus seinem Hofe thatsächlich den gleichen Nutzen, als wenn derselbe ihm eigenthümlich zugehört hätte. Ganz klar war nur das, was er verlor die UnterEs stützungen von oben her; unklar das, was er dafür gewann. :

kam

hinzu, dass

eine

grosse Anzahl

geldwirthschaftlichen Verkehr bisher

von Menschen,

nur im

welche den

kleinsten Massstabe

gekannt hatten, durch die Möglichkeit der Belastungen Verkaufs ihrer Grundstücke plötzlich so zu sagen

und des

auf einen

viel

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Die Bauernbefreiung

Markt

grösseren

Summen und

grossen legt

die Unbekanntschaft

durch

Thür und Thor

ge-

mit ihnen

neuen Macht zum

einer

Ausbeutung von Leicht-

reizen, endlich der gaunerischen

sinn und Unkenntnis

Hand

verwickelten Verhältnissen in ihre

wurden, die einerseits

abstiessen, andererseits durch das Gefühl

Misbraueh

267

Preusseu.

in

versetzt, dass Transactionen mit verhältnismässig

Wie

öffnen konnten.

wenig

der Nutzen des Bauern bei dieser Massregel ein unmittelbarer und

Mon-

klarer war, geht daraus hervor, dass in einigen Theilen der

vom Scharwerk nur dann erfolgte, wenn der Bauer sich zugleich zur eigentümlichen Uebernahme seines Hofes

archie die Befreiung

wurde also

bereit erklärte; diese

als eine

Last für ihn angesehen,

mit der er sich anderweitige Erleichterung zu erkaufen hatte.

Das Ausschlaggebende war

Der Werth,

die Prineipienfrage.

den die Existenz freier Menschen

solcher

als

äusseren Vortheile überwiegen, deren

sie

musste die

besitzt,

gebundener Stelluug

in

genossen.

Allein wir haben hier, wie überhaupt

Aufhebung der schliesslich

auch

widersprechen hiervon .

Feudalität,

desjenigen

füllung

ist

,

was

dem

der Geschichte der

materiellen

Interesse,

war,

gefordert

Interesse

idealen

dienstbar

schien,

in

leuchtendes Beispiel, wie die Er-

ein

vom

dem

zu

zuerst

es

Der sociologische Grund

wird.

offenbar der, dass in die Sphäre des idealen Interesses

nur der erhoben wird, dessen reelle Nützlichkeit durch die Gattungserfahrung festgestellt

Wenn

ist.

sich eine gewisse

sehr mannigfachen realen Verhältnissen findet

Lebensnorm

nützlich

als

in

bewährt, so

im öffentlichen wie im individuellen Geiste eine gegenseitige

Paralyse und Verdunkelung der verschiedenartigen Einzelumstände statt, in

denen

sie sich

gemeine losgelöste



bestehen

eines

synthetischen

jetzt

bleibt

scheinbar

in

zu

Verhältnisses

Lebens harrend, während

und nur die allim Bewusstsein als Idee, und

körperhaft ausgestaltete,

Norm und Form

Ideal

sie

zu derselben hervorgegangen

selbständiger Geltung

der

materiellen

Seite

des

doch nur aus analytischem Verhältnisse ist.

Aus

dieser Entstehuugsweise der

idealen Forderungen erklärt es sich, dass sie sich bei den einzelnen oft in

wenn fernen

Gegensatz

zu seinen materiellen Interessen

seine Verhältnisse sich weit ;

dass

dagegen

vom

in breiteren

muss,

weil

das

eine

mögen,

auf längere

Perioden socialer Entwickelung hin beider stattfinden

setzen

socialen Durchschnitt ent-

Massen und nur

eine

Congruenz

das destillirte,

geistigte Product der Gattungserfahruug über das andere

ist.

ver-

Die

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268

Die Bauernbefreiung

Entfernung

in Preussen.

Bevormundungen, die

unwürdiger

Freiheit

fügung über Person und Besitz hat sich offenbar so

der Ver-

Hebel

oft als

materiellen Fortschritts heraasgestellt, dass sie über die einzelnen

Norm ausgewachsen ist, die diesen idealen Werthes um so schärfer in sich aus-

Fülle hinweg zu einer idealen

Charakter eines

prägt, als es hier und da Fälle giebt, in

denen

in

zunächst

sie sich

Gegensatz zu den materiellen Interessen stellt. Der Gedanke, das Individuum völlig auf sich selbst zu

findet

übrigens

fasser derselben,

Herr von Schön, schlägt

Anzahl derselben

ihre

;

;

damit verlören

sie

nur die wirtschaftlich Stärksten würden

bestehen bleiben, und diesen solle

der Ver-

vor, zunächst alle Unter-

und ihre Verpflichtungen nicht erfüllen könne; natürlich ihr ßesitzrecht

;

die Folge davon würde Wirtschaft nicht fortsetzen

stützungen der Bauern fortfallen zu lassen sein, dass eine

stellen,

dem Vorschläge der königsberger Immediat-

in

commission von 1808 schon eine extreme Ausgestaltung

im

Kampf ums

Dasein Auserlesenen

dann das Besitzrecht verliehen werden. Es ist wundervoll, wie die angeführten wirklichen Mas? regeln

nachher die Vortheile der Verselbständigung ohne solche Grausamkeiten lierbeizuführen wissen.

Schwieriger war die Reform bei den Privatbauern.

Domänen konnte herrschaften dieser ist

Auf

seiuen

der König machen, was er wollte; bei den Privat-

grifi'

er

dem König

in

Recht

des Adels

unterthan, ihm aber der Bauer.

ebenso wie Friedrich Wilhelm solchen Versuchen

und Besitz

I.

Nur

Friedrich

I.

scheitern, wie schon erwähnt, bei

am Widerstande

Nicht besser ging es Friedrich

ein.

II.,

und der Beamten.

der Stände

der 1763 zunächst für

Pommern

anordnete: «sollen absolut und ohne das geringste Räsonniren alle Leibeigenschaften von Stund an gänzlich abgeschafft werden.» Thatsächlich erreichte er eine Erklärung der Gutsherren, die

Leibeigenschaft abschaffen zu wollen, worunter sie aber nichts verstehen, als

was schon längst

thatsächlich galt: dass sie keine un-

bedingte willkürliche Verfügung

Bauern

treffen wollten;

im

überhaupt festes Besitzrecht,

über Person

übrigen ist

an

hat

gemessenen Frohnen und Gesindedienst

Um

dieselbe Zeit

versucht

er,

und Vermögen

des

er weder erbliches noch

die Scholle

gebunden, zu un-

verpflichtet.

den

unerblichen Besitz

Privatbauern in Überschlesien in erblichen zu verwandeln

der

— wegen

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Die Bauernbefreiung

269

Preussen.

in

des Widerstandes sowol der Gutsherren wie der Bauern gleichfalls

ohne durchgreifenden Erfolg.

In beiden Fallen lag der Miserfolg

mit daran, dass der König wol das grosse ideale Ziel, aber nicht

dazu angab. Friedrich Wilhelm III. versuchte

die realen Mittel

Weg

die

:

Aufhebung der

noch nützlich

Dienste

1798

einen

dagegen

gebührende Untertänigkeit auflöslich sein

man von

vielleicht so überleiten, dass

Allein

erklärt.

frei

zu beseitigen,

Man

lässt.

an

jetzt

über fünfzehnjährigen Gutsunterthanen bestehen für

sei

indem er Auswanderung gestattet, die ihm

da der Staat sogar,

dagegen

vermittelnden

weder rechtlich möglich

sei

die Erbunterthänigkeit

;

könnte dies

den Zustand der

lässt, alle

jüngeren

auch dieser Vorschlag

ist

zu

keiner Verwirklichung gediehen.

Dennoch

sah

Unterthänigkeit

man schon damals, dass

Aufhebung der

nur eiue Frage der Zeit sein konnte.

meinen Ueberzeugungen, rechte

die

ausgestrahlt

die

von

königsberger Immediatcommission grössere Ungerechtigkeit, als ein vernünftiges

Wesen

Scholle geboren

ist,

ihren

Boden

erklärte 1807:

wenn

Die

Erklärung der

der

waren, hatten

«es

allge-

Menschen-

unterwühlt.

Die

giebt keine

Mitunterthan eines Staates

ein

blos deshalb, weil es auf dieser oder jener

verhindern

will, seine

Kräfte auf eine dem

Staate nicht nachtheilige Weise zu seinem Besten

zu verwenden.»



So unbezweifelbar dieser Grundsatz im vorliegenden Falle ist, so ging er doch aus jener unhistorischen Weltanschauung hervor, der für die Aufstellung ihrer Normen die Bedingungen ganz gleichgiltig waren, unter denen der Einzelne so geworden war, wie sie ihn antraf; sie operirte mit dem «blossen Menschen», unabhängig

vom

Zufall der Geburt, losgelöst von seiner und seines Geschlechts

Vorgeschichte, die

ihn

in

bestimmten, aus

diese

dem

Begriff des

blos Menschlichen nicht herzuleitenden Verhältnisse und Qualifica-

tibnen hineingesetzt hatte.

nur greifen könnten

!

Wenn

Wenn

wir diesen «blossen Menschen»

wir

nur den Menschen nicht immer

und überall als einen durch geschichtliche Bedingungen bestimmten und den vorgeblich «rein menschlichen»

anträfen, zwischen welchen die

Grenze eine ganz willkürliche

ist

!

Die französische Revolution

fand freilich das historisch Gewordene als ein so elendes vor, dass

man

ihrs

werfung

kaum verdenken

konnte,

wenn

sie

ihr Ideal in der Ver-

alles Historischen fand.

Es kamen

praktisch-ethische Ueberlegungen

von Timer, der 1802 sich

Uber

die Frohndienste

hinzu,

dahin

wie die äusserte,

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;

:;

270

Die Bauernbefreiung

dass

Preussen.

in

wenn ungemessen, die vollkommenste Sclaverei bedeuteten, gemessen, dem Gutsbesitzer jede Umgestaltung der Wirthunendlich erschwerten, da der Bauer sich jeder Neuerung

sie,

wenn scliaft

widersetzte

für beide Theile sei es eine Quelle von VerdriessliehKraftverschwendung nnd Charakterverderbnis die gesetz-

keiten,

;

;

gebende

Macht des Staates

Frohnden zu bewirken

berechtigt,

sei

die

trotz der Eigensinnigen

es sei freilich ein Eingriff

in

Aufhebung der

und Kurzsichtigen

das Eigenthum,

daraus folge

allein

nur, dass der Gutsherr entschädigt werden müsse.

Entscheidend war das Kriegsunglück von 1806, welches das

Land im Zustand

unseligster Zerrüttung

Auf diesem wie auf

und Verarmung zurückliess.

allen anderen Gebieten schien es, als ob

nur durch Abkehr von der Verfassung, auf deren Boden ein solches Unheil überhaupt möglich war, ein Heil zu findeu

Man

hatte

nun

für

jene Entschädigung

Aufhebung der Erbunterthänigkeit früher erwähnten Bauernschutz.

das

ihm

bisher

aus

nichts

sei.

des Adels, für die

zur Verfügung

Nahm mau ihm

musste man auch die Pflicht aufheben, die sich

an

die Bauernstellen in ihrem Bestände zu belassen,

indem er

zum Vorwerk

ganz im Sinne des

nach

beiden

laisser faire,

sie

betheiligten Seiten

weder

des Reichen

und Verarmung des Armen

aus seiner unbeschränkten

war

hin

Weisheit betrachtet wurde.

Allein, dass die so oft eintretende Folge dieses Princips

leicht

so

knüpfte

ihn

das damals von den Aufgeklärten

als die überlegene staatswirthschaftliche

reicherung

fort,

einziehen noch zu grösseren Stellen zusammenschlagen

Diese Freiheit

durfte.

den

als

das Recht

dem Besitz des Bodens gequollen war,



die Be-

:

auch hier

Anwendung hervorgehen

möchte,

erkannte Freiherr vom Stein sehr wohl.

Das Edict vom

9. Oct. 1807 hebt nun die Gutsunterthänigkeit für die ganze Monarchie auf; «nach dem Datum Verordnung entsteht fernerhin kein Unterthänigkeitsverhältnis weder durch Geburt, noch durch Heirat, noch durch Uebernehmung

endgiltig und dieser

einer unterthänigeu Stelle, noch durch Vertrag.»

Die bestehenden

Unterthänigkeiteu endigen spätestens mit dem Martinitage 1810.

Eine nähere Ausführung dessen, was der

aufgehobenen

Erbunterthänigkeit

Bekanntmachung vom

durch

8.

April

zu

eigentlich

alles

verstehen

1809.

Die

sei

,

unter erfolgt

aufgehobenen

Rechte des Gutsherrn sind darnach folgende: 1) für

fordern

die

Loslassung aus der Unterthänigkeit

Gelder

zu

;

Die Bauernbefreiung

in

Preussen.

271

2) die Kinder der Unterthanen zum Gesindedienst auf dem herrschaftlichen Hofe oder zu einer Geldentschädigung dafür oder für die Erlaubnis zu auswärtigem Aufenthalte zu

3) jeden Unterthan zur

im Dorfe zu nothigen

Annahme

zwingen

einer dienstpflichtigen Stelle

;

4) zu bestimmen, welches unter mehreren Kindern die Stelle erben solle; 5) zur Verheiratung oder

Erlernung eines Gewerbes die Er-

laubnis zu gewahren oder zu verweigern.

Dagegen bestimmt das Edict vom der Grundbesitzer,

dass

9.

October 1807 zu Gunsten wie Zusammenziehung

sowol Einziehung

bäuerlicher Höfe, auf denen weder Erbunterthänigkeit noch erblich

Zustimmung der Regierung zum einzelnen Fall gestattet sein soll. Also eine Aufhebung des Bauernschutzes, über deren nähere Bestimmungen freilich noch alles Vorbehalten blieb. Diese Bestimmungen erfolgten zwischen 1808 und 1810 und beseitigten den Bauernschutz zwar nicht ganz, aber doch zum grossen Theile, indem erstens nur ein Theil des adeligen Besitzes der völlig freien Verfügung des Herrn entzogen blieb (die bäuerlicher Besitz stattfindet, mit

vor 1752 resp. 1774 gegründeten Stellen) und zweitens die übrigen

Höfe mit gewissen Beschränkungen zu grösseren zusammengeschlagen Die urin Vorwerksland verwandelt werden dürfen.

oder auch

sprüngliche Bestimmung des Edicts, dass nur im Falle obrigkeitlich festgestellten

Unvermögens des Herrn des eingegangenen Hofes

Einziehung stattfinden dürfe, ist verlassen Grunde gegangenen Bauern

die wirklich zu

Möglichkeit,

auch

eine

ganze Anzahl

;

mau fallen,

anderer

liess

nicht nur

sondern gab die

durch jene Ein-

ziehungen nahrungslos zu machen. Eigentlich wurde keiner von beiden Beiten ganz genug gethan.

Die Gutsbesitzer querulirten fortwährend über die noch bleibenden

Beschränkungen ihrer Verfügung über ihr Land. scholl

bald

die Klage,

Andererseits er-

dass der Vergrösserungssucht

der

Guts-

nun Thür und Thor geöffnet und dass der Bauernstand im Schwinden begriffen sei. Die einzig reale Schranke für das «Legen» der Bauern waren nicht die gesetzlichen Bedingungen, die durch das Einsetzen von Strohmännern leicht umgangen werden konnten, besitzer

sondern die Geldnoth der Besitzer, welche die mit der Zusammenschlagung, Einziehung und Selbstbewirthsclmftnng der Stellen ver-

bundenen Kosten nicht überall aufzubringen vermochten.

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’-ir*

-

1

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272

Die Bauernbefreiung Die

Erbunterthänigkeit

Thatsache

Geborenseins

des

Preussen.

in

war aufgehoben

also

auf eiuer Scholle

mehr gegen den Herrn derselben

pflichtungen

und

blosse

die

;

legte

auf,

keine Ver-

alle Pflichten

sind nur Folgen eines freiwillig eingegangenen Verhältnisses.

Es war nur

eine sachlich naheliegende Fortsetzung eben der-

selben Bestrebung,

wenn

Regierung sich

die

der eigenen Person

freien Besitze

noch

nun

einen

bemühte, dem

freien

von

Besitz

Grund und Boden hinzuzufügen. Wie das Werkzeug nur eine Verlängerung des Armes ist, dieser selbst .aber der Seele gegenüber ein äusseres Werkzeug, das sich von jenem nur graduell unterscheidet,

so

unterscheidet

die

sich

freie

Verfügung über

die

eigene Person als ein reales Recht gar nicht absolut von der über ein

äusseres

Es

Besitzthum.

ein

ist

Irrthum,

unter «Freiheit»

schlechthin die willensgemässe Verfügung

Uber die eigene Person zu verstehen; für den Willen als rein innerliches Princip ist auch die eigene äussere Person

nur

Zweck

Verfügbarkeit nur den

stellungen herbeizuführen.

man

ein äusseres Object, das

ein Object

unter Objecten, dessen

hat, gewisse

Empfindungen und Vor-

Jedes Versagtsein der Verfügung über besitzen möchte,

schränkung der «Freiheit», wie eigenen Körper.

War

die

ist

ebenso eine Be-

versagte Verfügung über den

die

Forderung

der Freiheit als Bedingung

menschenwürdigen Daseins einmal ausgesprochen, so war es keine Principienfrage mehr, sondern nur eine solche der Angänglichkeit und Zweckmässigkeit, wie weit

sie

unter den Objecten

möglicher

Verfügbarkeit, von denen die äussere Persönlichkeit nur das nächstliegende war, erstreckt werden sollte.

Auch

in

Bezug auf

Culturwirkung zeigt es

die

Person gleichen Wesens

freie Besitz der eigenen

Besitz äusseren Eigenthums

an der Ausbildung seiner Persönlichkeit hat, weil nicht für sich, sondern lässt

man

einen

für

die sittlichen

was

er,

Eigenthum

Vollkommenheit

dem

bares

an

bearbeitet,

Erträgnis

seinem Eigenthum, so doch

Interesse

arbeitet.

Wenn

Bauern wirklich so verhalten

der

freien

hat,

er wird,

— — überhaupt

ein Interesse an der

seiner

Arbeit.

natürlich nicht für den eigentlichen Lohnarbeiter, der, nicht

dem

anderen wird, so wenig hat

Beziehungen ausser Betracht

derjenige, der fremdes

und

sich, dass

mit

So wenig der Sclave ein Interesse

ist.

es

Dies

wenn

gilt

auch

für

sich

und sein unmittel-

sich

mit

der

Trägheit der

wie der Ruf im vorigen Jahr-

hundert aussagte, und wenn dieser Ruf nicht von den Gutsherren sehr übeitrieben wurde, denen

der frohnpflichtige Bauer natürlich

Digilized

by

Die Bauernbefreiung

273

Preussen.

in

genug sein konnte, so war die ganz natürliche Ursache davon der Gedanke, dass er hier Zeit und Kraft umsonst hergäbe, die er auf seinem eigenen Acker mit so grossem Nutzen für sich selbst verwenden konnte. Diese ableitende und alle Lust an der Arbeit vergiftende Vorstellung fehlt beim Lohnarbeiter und der Gutsherr hat noch dazu den Vortlieil, seine Arbeiter sich jetzt frei und nach ihrer Tüchtigkeit auswählen zn können, was dann nie fleissig

weiter zu einer Concurrenz

denselben

unter

und der dieser ent-

spriessenden Steigerung der Tüchtigkeit führen musste.

Es war kein Bauern auf Grund grösserem

haben

Zweifel, dieser

Kraftaufwand

die

Eigenthumsverleihung an die

Umstände eine

viel intensivere,

betriebene Bodenbearbeitung

wie jede Verleihung

ebenso

musste,

dass

mit viel

zur

des Rechtes

Folge an

der

intensiverer Selbstbearbeitung führt.

eigenen Person gleichsam zu

Aber eben aus diesem Zusammenhänge heraus

wiederholte

ob die freie Verfügung über seine Person dem Bauern selbst zum Heil oder zum Unheil gereiche, hier gleichsam nur in einem höheren Stockwerk: ob freie Verfügung über einen Besitz sein persönliches Wohl fördere oder nicht. Für die Domänen wurde diese Frage 1808 praktisch gelöst; grundsätzlich aber wird sie in demselben Jahre von Männern verneint, denen wir keinen Grund haben besondere Rücksichtslosigkeit den Bauern gegenüber zuzutrauen. Der Geh. Justizrath Schmalz schlägt ein-

sich zunächst jene Frage,

ihm

fach vor, dass der Gutsherr so viele Bauerstellen, als

beliebe,

zum Tagelöhner mache die meisten Bauern «werden daduich beträchtlich gewinnen». Der Landrath von Dewitz hält den Bauernschutz für ein Hindernis der Cultur

einziehe und den freien Bauer

;

und meint, bei Einziehung ihrer Höfe würden ein leichteres

als Tagelöhner Ebenso sagt der

sie

und reichlicheres Brot verdienen.

bauernfreundliche Oberpräsident

wenigstens

Sack,

in

Bezug auf

diejenigen Bauern, die gntsherrlicbe Unterstützung brauchten, dass dieselben als Büdner weit besser

macht sich dann wieder

die ideale



auf den Besitz statt auf die Person bezogen ein

Mann

mit

Dem

wären.

gegenüber Bedeutung der Freiheit hier geltend. Gerade

daran

hervorragendem Blick

für

die



wirklichen Mächte

des wirthschaftlichen Lebens, J. G. Hoffmann, betont dies 1810: «obgleich es ist

manchem Bauern

es doch stets als ein

schlechter geht als

dem Tagelöhner,

Vorzug geachtet worden, Bauerwirth zu

so

sein,

und man kann das bittere Gefühl einer Depravation nicht anslöschen,

wenn der

jetzige

Bauer

RaWaclia MnnaUaehrift

in einen

ml XXXV,

llafl 4.

Tagelöhner verwandelt wird.» |{4

Digitized by

,

*1 •-

II:,



- -*



Google

274

Die Bauernbefreiung

Darüber war kein Zweifel

in

Preussen.

hemmte

der Bauernschutz

:

nöthige und nützliche Vornahmen im Grundstückverkehr

gezeigte

Vergrösserung oder

die Starrheit eines überlebten

vielerlei

war

und

durch veränderte Verhältnisse an-

ein Prokrustesbett, welches die

Verkleinerung

Besitzstücke

der

in

Zustandes zwängte.

Andererseits wurden auch die Dienstleistungen für den Gutsder Bauer

auch

nach Aufhebung der Erbunter-

thänigkeit gezwungen blieb,

wenn

er

herrn, zu denen

seinen

Hof

behalten wollte,

denen er ihm überdiese wurden den fortgeschrittenen Verhältnissen wurde eben so wenig angemessen befunden als die Unterstützungen und

weil sie eben die Bedingungen waren, unter



lassen

der Gutsherr

ver-

Obgleich der König also noch 1798 geschrieben hatte:

eich

Steuervertretungen

für

den Bauer,

zu

denen

pflichtet war.

habe mich überzeugt,

an Aufhebung

dass

das Gesetz bewirkt werden

der Dienste, die durch

nicht gedacht werden kann.

soll,

habe daher alle Gedanken hieran fahren lassen» — dem Ministerium Hardenberg am 14. Sept. 1811 edict»

dieses Inhaltes

der Regierung

kam doch

so

ein

*

zwar von

zu Stande, dessen Grundtendenz

angegeben,

dessen

Ich

unter

Regulirungs-

wesentlicher Inhalt

indess von

der Versammlung der Nationalrepräsentanten bestimmt worden war.

Als Activa und Passiva standen sich gegenüber: die Dienste, Servitute, welche der Bauer seinem Grundherrn zu

Abgaben und leisten hatte

und

die regelmässigen

und ausserordentlichen Unter-

stützungen (Holz, Weide, Inventar 4c.), sowie die Steuervertretung,

auf welche der Bauer dem Grundherrn gegenüber Anspruch hatte; ferner die beiden Theilen

der

noch

Lähmung

gebliebene

obliegenden Beschränkungen:

Theil

für die Actionen

Bauernschutzes,

des

des Bauers, die

einerseits

andererseits

daraus

die

hervorgingen,

dass er eben nicht rechtlicher Besitzer seines Hofes war.

Jenes Edict des Soll und

nun

berechtigt

beide Theile, auf Ausgleichung

Haben und Herstellung unbeschränkten Eigenthums

für jeden anzutragen.

wiegenden waren,

Bauer kein Geld

gilt

Dass als

Ansprüche des Gutsherrn

die

selbstverständlich

hat, so soll die

von Land geschehen.

;

Ausgleichung

da

nun

die über-

aber

der

durch Herausgabe

Bei erblichen Inhabern der Scholle soll der

Bauer ein Drittel, bei unerblichem und Pachtbesitz die Hälfte des Landes an den Gutsbesitzer herausgeben und dafür den Rest als freies,

mit keiner Verpflichtung mehr belastetes Besitzthum haben.

Vom

Standpunkt einas abstracten

Rechtes

aus

konnte

es

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Google

Die Bauernbefreiung

275

Prenssen.

in

man dem Grundherrn seines Bodens wegnahm

allerdings sehr willkürlich erscheinen, dass

ohne weiteres die Hälfte

und

bis Zweidrittel

jemand anderem

sie

und

erb-

Regierung konnte auch diesen

eigenthümlich

schenkte

theoretischen Redenken

Berufung auf höhere ethische

und Staatsraison

;

die

nur

durch

begegnen.

Vom

Standpunkte der Wirklichkeit aus aber war es eine durchaus zu-

wenn der Grundherr

reichende Entschädigung,

halb



Trotzdem fand



;

Schwäche Hardenbergs

nachgiebigen

isolirten Stellung des

einzigen

,

wirklichen Bauern freundes bei der

Regierung, des Kriegsrathes Scharnweber, Regulirungsedict

von

1811

gelingt

eine Declaration

(vom

welche die Eigenthumsverleihung

erzielen,

Nur

einschränkte.

(z.

sie

bedeutendste die

ferner muss sie muss alten Bestandes vor 1763 bestanden haben), ;

katastrirt,

und Pommern

den Marken

B. in

endlich nach

29.

war darnach

Bauerstellen

solchen

bei

als bäuerliche Besitzung

zum Mai 1816)

ihnen,

es

aufs

Regulirung zu erzwingen, die spannfähig waren bereits

bis ein

erhielt.

Ausführung des Edicts vielfachen Widerbei der geringen Sachkenntnis und in dieser Frage bei der

die

stand seitens der Gutsbesitzer

zu

ein drittel

zur völlig freien Verfügung

Bauerlandes

seines

die er vorher nicht besass

dem Bauernschutz mit der gutsherrlichen Verpflichtung,

mit besonderen Wirthen

Die

besetzt zu halten, belastet sein.

kleineren Stellen also, von denen nur Handdienste geleistet werden, bleiben unregulirt und

auch

von

den

anderen Beschränkungen

durch die drei

wird

anderen

eine Anzahl

der Regulirung aus-

von

geschlossen.

Und auch

bei

deu

zugelassenen

ist

die

Regulirung

nicht

obligatorisch, wie 1811 gewollt war, sondern bei der Zufriedenheit

beider Parteien mit

dem



der Gutsherr

wobei natürlich

hatte,

alten Zustande konnte er bestehen bleiben

mancherlei Mittel

in

der

Hand

den Bauer von dem Regulirungsantrag zurückzuhalten.

der Nachgiebigkeit besitzer im J.

1816

der Regierung gegen liegt

die

In

Wünsche der Guts-

der Grund, weshalb das Jahr 1848 noch

Rechte der alten Verfassung und damit so viel Anlass zu Misvergnügen der mittleren und unteren Klassen auf dem Lande so viele

vorfand.

Auch von

'/,

bricht

resp.

'/>

Und

die Declaration

des Ackers

den einzelnen Fall

und

mit

der Normalentschädigung

lässt

besondere Bemessung für

zu.

ferner wird der Bauernschutz für die regulirbaren, aber 19 *

Digitized

by

Google

;

276

Die Bauernbefreiung

in

Preussen.

thatsächlich nicht regulirten Stellen ausdrücklich aufgehoben

Gutsherr darf die Bauern

:

der

auskaufen und beliebig

auf denselben

mit den Stellen durch Einziehen oder Zusammenschlagen verfahren die nicht besetzten dürfen ohne weiteres eingezogen werden.

Staat verlangt

also

Und

Kriege durchgesetzt hatte.

auch

drücklich legalisirt, hörte

nach dem siebenjährigen

sie

IT.

thatsächlich,

wenn auch

der Schutz

für

baren besetzten wie unbesetzten Stellen

Der

der durch den Krieg

keine Wiederbesetzung

verwüsteten Stellen, wie Friedrich

nicht aus-

die nicht regulir-

1816 auf,

nach

und

der

Gutsherr konnte mit jedem privatrechtlichen Mittel jede von ihm beliebte

Eigenthumsveränderung erstreben.

Viel principieller und energischer fahren.

Für den 1807 im

wurde

Tilsiter Frieden

Provinz ver-

in der

verlorenen Theil von

Posen, der als «Herzogthum Warschau» an den König von Sachsen

kam, war sofort jede Unterthänigkeit, aber und Schutz herren

den

der Bauern

jeder Anspruch die Grund«dem Bauer die Beim Rückfalle von Posen 1815 wurde

Freiheit, uns das Land.»

auch

worden,

aufgehoben

erwünschtesten

Zustand

so dass

erhielten

dieser Zustand zunächst bestätigt, führte aber

der Bauern, dass schutz seitig

bis

eine

Verordnung vom

zur Regulirung

einführte

:

6.

:

zu solchem Elende

Mai 1819 den Bauern-

kein Gutsherr

durfte

ein-

dem Bauer kündigen, jeder musste die leergewordenen Stellen Die Regulirung war freilich auch hier nur für

wieder besetzen.

die grösseren Bauerstellen vorgesehen, allein

Eigenthumsverleihung sich als in

Auftreten des Staates

Gutsherren sie

die

Beschützung und

ging hier durchgreifender und schneller vor

den anderen Provinzen. wol

Erklärbar

ist

dies kräftigere

hauptsächlich dadurch, dass

fremder Volksart

weniger,

den Bauern

man den

dagegen,

um

an die fremde Herrschaft zu gewöhnen, mehr Rücksicht zollte

als in

den alten Provinzen.

Die umgekehrte Tendenz hatten die schlesischen Gutsbesitzer Da ihnen die Regulirung ihrer Kossäthen

zu erreichen gewusst.



dort «Gärtner» genannt



sehr unbequem gewesen wäre, aber

auch das Fortbestehen des Dienstverhältnisses andererseits wegen der Faulheit und Liederlichkeit der Gärtner unerwünscht war, so setzten sie 1811 eine

welcher nicht

Verordnung durch:

dass der Dienstgärtner,

zu besonders günstigem Rechte sass, sein Land bis

auf drei und vier Morgen

und

seine Berechtigung

auf Holz und

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Google

Die Bauernbefreiung

Weide

verlieren,

ausserdem

auch

vier Jahre lang als Tagelöhner

soll,

dafür erhalt

er

jene

drei

also

dass der Gärtner

ist,

leisten.

aufhört

277

Preusseu

haben

Verpflichtung

die

Als Aequivalent

zu dienen.

vier

bis

und hat keine Frohndienste zu

in

noch

Morgen als freies Eigenthum Der Sinn dieser Verordnung

ein

Landwirth zu sein und

in

einen häuslerartigen Arbeiter umgewandelt wird.

Die



Declaration

von denen auch



war

wieder

kein

auf,

hob

Sonderbestimmungen durchgreifender Gebrauch gemacht

sehr

erhielt

schlesischen Gutsherren

gesehen von den

1816

von

jedoch

diese

auf das Drängen

so erschwerende Zusätze,

1827

grossen Bauern

gekommen

nur zehn Regulirungen zu Stande

Alle diese Regulirungsbestimmungen

der

oberab-

dass,

von 1826—46

in Oberschlesien,

sind.

bezogen

natürlich

sich

nur auf Zeitpachtbauern und auf solche, deren Besitz der Scholle überhaupt keine unbedingte Sicherheit und rechtliche Form besass.

Wo

der Bauer schon Eigenthümer

dem

befestigteren Verhältnisse

stand,

wenigstens

oder

der Erbpacht in die Besitz-

des Erbzinses

Das Befreiungswerk

Objecte, insofern

Dienste

auch

an

fand

diesem

und Leistungen

indessen

auch

besseren Besitze

deu Gutsherrn

für

trag

Zunächst sind

einer

Partei, gleichgiltig,

vom

Die Juni

7.

ob die andere zustimmt,

eine

in

und auch von dieser kann der Ver-

durch einmaliges Entrichten

pflichtete sich

ihnen persön-

und sonstige Abgaben auf An-

alle Natural-

jährliche Rente umzuwandeln,

an

noch

hafteten.

Ablösbarkeit dieser bestimmt nun die Ablösungsorduuug 1821.

in

oder

verhältnisse.

liche

geworden

war keine Veranlassung zu einem Eingreifen

des

25fachen Betrages

befreien.

Die gleiche Ablösbarkeit burg,

Pommern,

Schlesien



gilt

für

nun



in Preussen,

die Frohndienste

Branden-

jener Bauern

mit besserem Besitzrechte und zwar auf einseitigen Antrag. Verpflichtete giebt an Stelle

Rente oder

in

Land

des Dienstes

gegen den der Antrag gerichtet

Für

die

Der

eine Entschädigung

welches von beiden, hat der

:

in

zu bestimmen,

ist.

abzumessende Höhe der Entschädigung

gilt der

Grund-

satz, dass nicht die geleisteten Dienste abgeschätzt werden, sondern

die Kosten, für welche der

Gutsherr bei der bisherigen Wirthschafts-

weise die wegfallenden Dienste anderweitig beschaffen kann.

bedeutsam aber war

es,

Höchst

dass diese Bestimmung einer fast eben so

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278

Die Bauernbefreiung

Einschränkung

grossen

iu Preussen.

wie

unterlag,

Recht auf

ein

sie

;

für

die

nach

Regulirung

die

Declaration von 1816: nur die grösseren,

haben

der

spaunfähigen Bauern

d. h.

bleiben

kleineren

die Dienste

unablösbar bestehen.

Mag

dies letztere

herren liegen, so

im egoistischen Interesse der Guts-

auch

doch einzuräunieu,

ist

dass

der Uebergang von

Frohndiensten zu Lohndiensten ein ausserordentlich schwieriger

und

hohe Ansprüche an Klugheit

ist

und Energie der Gutsbesitzer

mehr für Hand- als für Spanndienste, weshalb eben von der Ablösung die kleineren Höfe ausgeschlossen blieben, die nur zu jenen verpflichtet waren. Eine Veränderung in dem, was der einzelne mit seiner Person zu leisten hat, ist bei weitem schwieriger und greift viel tiefer in die sociale Ordnung ein, als eine Veränderung so zu sagen mehr objectiver Leistungen. Dies

stellt.

gilt viel

Kurz, es blieben noch genug Reste des Feudalismus

in

,

der

um von dem Strom des Liberalismus im Jahre 1848 einen Seitenarm auf sich zu lenken. In Schlesien besonders war

Agrarverfassung,

die

weitere Liberalisirung

stürmisch

Durch

betontes Bedürfnis.

Gesetz vom 2. März 1850 (unter Manteuftel) wird dem entsprochen zunächst werden gewisse veraltete, so zu sagen abergläubische Ge;

bräuche, zu denen die Bauern hier und da noch verpflichtet waren,

aufgehoben berupfen

(z.

zu

B. das Recht der Herren, die

wurden

ferner

lassen);

die

Gänse

ihrer

Bauern

und

Erbzinsleute

Erb-

pächter ohne weiteres zu vollkommenen Eigenthümern ihrer Stellen (natürlich unter Fortbestehen ihrer Lasten) erklärt und eine andere

erbliche Ueberlassung

als

die

zu

vollem Eigenthum

Beschränkung der

Regulirung auf grössere Stellen

Normalsatz der Entschädigung.

Als Schranken

bedeutende) der Regulirung bleiben Stellen haben, falls

durch Gesetz auf

sie.

oder

für die Zu-

Ferner wurden aufgehoben das Heimfallsrecht,

kunft ausgeschlossen. die

nur die:

und

der

(freilich nicht un-

die

nicht

erblichen

dem Gutsherrn nicht ihre stete Neubesetzung Herkommen auferlegt war, keinen Anspruch

Dagegen werden

die

Beschränkungen der Ablösbarkeit

der Reallasten aufgehoben und zur Erleichterung derselben Renten-

banken

gegründet, die

die Entschädigungsrentenzahlung

wie die

Amortisation des Capitals vermitteln.

Das Drängen

der Gutsbesitzer

auf eine Einschränkung der

Regulirbarkeit hatte wesentlich den Erfolg,

dass gemäss

dem Ge-

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;

Die Bauernbefreiung setze

vom

16.

werden

rücksichtigt

gemeldet

1857

zum

der nicht bis

ist dies in

darf, dass der

Antrag

279

Preussen.

in

mehr

Regnliruugsanspruch

kein

sollte,

Indessen

sei.

annehmen

März

be-

1858 an-

31. Dec.

man wenn

so fern ohne Bedeutung, als

bis

dahin erfolgt sein wird,

einer der Theile seinen Vortheil bei der Reguliruug sieht.

Uebrigens

kam

die

ganze

Erleichterung

Regulirungs-

der

diejenigen 1850 so wie so im wesentlichen zu spät welche bis dahin nicht regulirungsfähig und dabei für den

fähigkeit Stellen,

:

Gutsbesitzer von Nutzen waren, sind gewiss

ihm

von

schon

ein-

gezogen gewesen, da der Bauernschutz es ihm nicht mehr verbot Bauern waren zu Tagelöhnern geworden.

die darauf befindlichen

Angesichts die neue ihre

der Complicirtheit

Agrargesetzgebung

Wirkung

der Verhältnisse,

war

eingriff,

nicht

in

welche

zu erwarten, dass

wohlthätige

sofort eine ungetrübt

werde.

sein

In

menschlichen, insbesondere in socialen Dingen pflegt sich das Gute

und das Böse, das Gesunde und das Kranke sondern, dass

man mit einem

nicht so reinlich zu

nur dieses sauber heraus-

Schnitte

Dazu kommt:

lösen könnte, ohne jenes irgendwie mitzuverletzen. es giebt

denen

gewisse Grundforderungen

sich

jede Einrichtung,

völlig ablehnendes Verhältnis bestellen will

wöhnung

und mit denen

vergesellschaftet.

schlechter

der

auch setzen

sich

sie

menschlichen Natur, mit

die schlechteste,

Darum

muss,

wenn

in ein nicht

überhaupt

sie

durch Anpassung

auch

ist

die

und Ge-

Umwälzung

Einrichtungen so oft von einer Erschütterung des

ganzen Gemeinwesens

begleitet, weil sich schliesslich die

unserer Natur an die bestimmte

Forderung

ihr dargebotene Befriedigung an-

gepasst hat, so dass die neue Befriedigung

dem momentan bewussten

Bedürfnisse nicht entspricht.

Dies ist z. B. überall da zu beobachten, Zustand der Bevormundung in eine Form der Selbstübergeht. Das Bedürfnis nach Sicherung des Lebens hat sich an die Form der Anlehnung an höhere Gewalt angepasst; wird nun statt dessen eigene Kraftbewährung verlangt, so scheint die Sicherung des Lebens wegzufallen, die man vermöge lang-

wo

der

regierung

wirkender psychologischer Association

vormundung gesetzt

als

identisch

mit

der Be-

hatte.

Verhältnismässig

sind

aber

die

Uebergangsschwierigkeiteu

und üblen Nachwirkungen geringe gewesen,

und

von überall her

hört man, dass sowol auf Seiten der Herren wie der Bauern nach

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Google

2H0

Die Bauernbefreiung

Preusseu.

in

der Regulirung zu intensiverer und rationellerer Wirthscliaft über-

gegangen

sei. Nicht nur der Bauer, sondern auch der Gutsbesitzer stand nach Regulirnng und Ablösung der Dienste freier und beweglicher da als vorher es giebt keinen Herrn, der nicht mehr oder weniger der Sclave seiner Sclaven wäre. Die Verschwendung der Kräfte, die in den Frohndiensten lag, hörte zum ;

Vortheile beider Seiten auf, da der Gutsherr jetzt, wo jeder Dienst kostete, zu grösserer Ordnung, Zusammenhaltung und Berechnung der AVirthschaft genöthigt war er verwandelte sich dadurch allmählich aus dem Feudalherrn in den Gutsbesitzer der

ihn Geld

;

Neuzeit, der Getreide, Spiritus und Wolle producirt. ilienste

waren sowol

für die Seite

ein irrationaler Factor

Die Frohn-

wie die des Habens

des Solls

und gestatteten

sowol im Voranschlag wie

Ganz

in der Jahresbilanz kein klares wirthschaftliches Bild.

selbe Unbestimmbarkeit des

wirklichen Werthes traf

schaften, so lauge die Mischverhältuisse

Nichteigenthum herrschten.

Ausdruck,

den

als durch die

Erst als die Arbeiten auf den klaren

das Lohnverhältnis

Reguliruug

die-

die Liegen-

zwischen Eigenthum und waren, erst

zulässt, gebracht

der Gutsherr

verfügbar besass und was nicht, war

bestimmt

eine

wusste,

was er

und zuEbenso war

regelmässige

verlässige Buchführung sowol möglich wie erfordert.

Land mit desto grösserem was dem Lande wie ihm selbst zu gute kam.

der Bauer gezwungen, das nun verringerte Fleisse zu bebauen,

In der Provinz Posen zeigte sich noch die bezeichnende Erscheinung, dass, seitdem der

Bauer

Eigenthümer geworden

selbst

sicherten Rechtszustäudeu lebt, er auch

achteu gelernt hat

;

keit tagtäglich der nachbarliche

Das hat

sich jetzt so

und

in ge-

dass

man sogar

Wege

die

Die gleiche psychologische

Beobachtung hat man an den Negern gemacht nach der Emancipation

geschädigt.

öffentliche Besitz

weit geändert,

ruhig mit Obstbäumen bepflanzen kann.

sie

und

fremdes Eigenthum mehr

früher wurde aus Bosheit wie aus Nachlässig-

dahin brachte,

;

soweit

erst

selber

sich

man

Eigenthum

zu erwerben, hörten ihre sonst gewohnheitsmässigen Uebergriffe

in

fremdes auf.

Die Hauptschwierigkeit für die Landwirthschaft

hebung

aller

Zwangsdienste bestand natürlich

anderweitiger Arbeitskräfte.

Die

Besitzer

in

nach Auf-

der Beschaffung

kleinerer

Stellen,

bei

denen Ablösung und Einziehung der Stelle zum Gutslande erfolgte,

waren

oft froh,

weun

sie als

Arbeitsleute behalten wurden, die mit

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Coogh ,4

^

Die Bauernbefreiung

281

Preussen.

in

kündbarem Vertrag Wohnung und Entlohnung mit geringem Land und hauptsächlich Naturalbezügen erhielten. Den Vorgang der Differenzirung, der Ursache wie Wirkung der steigenden f'ultur ist, zeigt auch die Befreiung der Bauern: während der Bauer in den früheren Verhältnissen die theilweisen Qualitäten Eigentümers und des Arbeiters für fremde Rechnung in sich nun scharfe Sonderung ein der eine Tlieil wurde

des

vereinigte, trat

;

zu reinen Eigentümern, der andere zu reinen Arbeitern.

Es

Bezug auf dieses Princip auch nicht zu übersehen, dass die Befreiung der Bauern von dem gemeinsam getragenen Joch auch eine wachsende Differenzirung und Individualisirung unter ihnen ermöglichen musste. Aus der Zeit der Untertänigkeit wird berichtet, dass die Bewirtschaftung der Bauernäcker sich in den unbeweglichsten traditionellen Schranken gehalten habe, dass in der Gemeinde jeder durchaus nur das Verfahren eingehalten ist in

War

habe, das jeder andere befolgte.

das Durcheinanderliegen so

hing

es

dies auch

verschiedenen

der

zum

Tlieil

Ackerstücke

doch gewiss psychologisch auch davon

ab,

durch

bedingt,

dass

die

Bauern so zu sagen eine einheitliche und festgeschlosseue Partei dem gegenüber bildeten und durch die Gleichheit dieser

Gutsherrn

wesentlichen Lebensbedingung auch unter einander eine viel geringere Freiheit und Beweglichkeit in Hinsicht

auf ihre Person und ihre

Thätigkeit besassen, als nach Wegfall jenes gemeinsamen Druckes.

Uebrigeus

ist

der nach der Bauernbefreiung reich entwickelte

Stand der clnstleute» nicht

Bauern

alter

anderes als

viel

Verfassung:

Arbeiter,

welche

ein

mit

Nachkomme von einem

kleinen

Stücke Land angesetzt werden, zweiseitig kündbar, wesentlich vom

Lohne uud Dreschantlieile lebend und zu täglicher Arbeit auf dem Gutshofe verpflichtet, zu der niüsseu.

sie

noch je einen Gehilfen mitbringen

In den östlichen Provinzen leben diese Leute nicht besser

und auf kaum höherer Culturstufe als zu den Zeiten der Abhängigkeit;

es

steht

dahin,

ob

ihr physisches oder moralisches

Niveau

durch Verleihung eigenthümlichen Besitzes zu erhöhen und ob eine solche Massregel nach der heutigen Staatsverfassuug noch möglich

wäre.

G. S. lg •

J

/

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Studentische Strömungen Unter

(heil weiser

1842

Entwickelung

den vierziger Jahren.

in

Karl Hesselberg»,

Beuutrunp von Briefen

— 46

gegenwärtigen

der

stml. thtnl.

.

studentischen

Ein-

ditungen au unserer dorpater Hochschule hat sich unter unzäliligen Schwierigkeiten,

Kämpfen und Gefahren

ganze Werdegang

eigenartigen

dieses

vollzogen.

Burschenstaats

stellt

Der ein

unausgesetztes Ringen mit inneren und äusseren Gegnern, ein unablässiges Streben nach

dar

,

dann

bis

schliesslich

Wechselbeziehungen stattliche

dem Vernünftigen, Echten und Dauernden

Gebäude

gesunden

diejenigen

gefunden

Nur

den Verbandes errichtet werden konnte. konnte,

wie

und

gerechten

auf deren Grundlage das

wurden,

eines die ganze Studentenschaft fest umschliessen-

überall,

wo Söhne

unseres

unter heftigen

eigenwilligen

Wehen

deutschen



Stammes gemeinsam rathen, thateu und zechen, aus dem Chaos verschiedener Meinungen das freundliche, wohlthätige Gebilde der Einigkeit hervorgehen.

Besonders bemerkenswerth der vierziger Jahre, über die

Material zur Verfügung erachten,

um durch

steht,

in dieser Hinsicht die

ist

verschiedenes

uus das

wir

die Vermittelung der


wurde in eine Fenster-

brünetten «Fremden» (d

h.

blende gedrängt und brach dort zusammen, der Blonde stand einen

Augenblick mit «gezücktem Schwerte» über ihm.

«Und

siehe da,»

Diqiliz ad .

...

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Google

Studentische Strömungen

schliesst die Schilderung,

des lichten Erzengels Michael mit

Dass gerade

ein

Anblick gleich dem Kampfe

dem Pürsten der

Söhne des «Gottesländchens»

die

280

den vierziger Jahren.

in

war

«es

Finsternis».

jeher die

seit

ärgsten Renommisten und Raufbolde gestellt haben, kann eigentlich

Wunder nehmen, da schon im siebzehnten Jahrhundert über unbändiges und streitsüchtiges Wesen Klage geführt wird und

nicht ihr

sie solchergestalt

nur als die echten Söhne ihrer Väter erscheinen.

«Die Herren Edelleute,» schreibt in

Tag

den

hinein und schiessen

Der Freiherr

ein

alter Chronist,

Duellen

in

«leben wild

Hunde

einander wie

Blomberg giebt folgende Schilderung der gesellschaftlichen Zustände seines Heimatlandes: «Wird jemand todtgeschlagen, so mag Gott seiner Seele gnädig sein, denn um den Leib bekümmert man sich nur in so fern, als man ihn ehrlich

nieder.

»

v.

Einen Zweikampf ausschlagen heisst so

bestattet.

viel

sein

als

Bündel

schnüren und das Land verlassen, denn kein ehrlicher würde einem solchen Feigling die Hand reichen.» Unter

Kerl

solchen Verhältnissen spiel

verständlich, wenn das glorreiche BeiNachkommen zu mächtigem Thatendrang

ist es

der Altvordern die

entflammte und wenn andererseits der Vorgang der ältesten Corporation

den

Uebrigens

übrigen

Sporn

ein

rüstigem

zu

Nacheifern

war.

bemerkt, dass diejenige Verbindung, welche die

sei hier

meisten Lorbeern

auf diesem Gebiet

von jeher die Livonia war.

einheimste, unseres Wissens

Selbst der Altmeister Goethe

ist,

als

er in Leipzig studirte, durch einen livläudischen Pastorensohn «ab-

gestochen» worden.

Wie sehr mussten nun die Vertreter der neuen Richtung gegen die Ehrwürdigkeit der Ueberlieferung, gegen das Ansehen alter

Burschensitte,

Gefühlsleben der

vom Nimbus

fast

möchte

man sagen gegen

das

damaligen Studentenwelt verstossen, als

vom Glanze

geheimnisvoller Romantik,

der

ganze sie

das

Sagen-

berühmtheit umwobene Mensurwesen zum Gegenstände ihrer Kritik, ihrer unablässigen Angriffe machten. die doch bis zur

Was

Durchsetzung ihrer Sache

anderes konnte ihnen, in einer

verschwindend

geringen Minderzahl auftraten, den Sieg verschaffen als der schöne

Zug, der die im Besitze der Macht befindlichen Körperschaften und Gesellschaftsklassen unserer Provinzen fast auf jedem Gebiete aus-

gezeichnet hat. das Gerechtigkeitsgefühl V

Wir

Zwar

wie wir

sind,

des Duells,

am

liegt es

oben

allerwenigsten

bemerkt des

haben, keine Verurtheiler

studentischen

Schlägerduells.

uns durchaus fern, eine Apologie des Zweikampfes

nalti»che Hon«tMchrifl.

Band XXXV,

II, ft

4.

20

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m

*

fa . A«

Google

:

Studentische Strömungen

290

schreiben

in

den vierziger Jahren

ein Brauch,

wolleu, da

zu

der eben so sehr durch die

Gesetzgebung sftmmtlicher Culturstaaten, wie durch jedes folgeverdammt wird, unmöglich gerechtfertigt und

richtige Sittengesetz

Es

manches zur Verteidigung des muss leider festgestellt werden, Anhängern vorgebracht wird, auf Redensarten, fast alles, w as von seinen Gegnern ins Treffen geführt wird, auf guten Gründen beruht., Professor A. v. Oettingen werden

gebilligt

kann.

Duells geschrieben

ist

worden, doch

dass fast alles, was von

seinen

r

hat in einem von allen baltischen Blättern abgedruckten Vortrage das

Duell,

diesen

zerfasert, dass

«hochgeborenen Wechselbalg», in

einer

Weise

im vollsten Sinue des Wortes kein gutes Haar mehr

an ihm geblieben

ist.

Selbst ein nachsichtiger und für den Duellanten-

standpuukt Verständnis zeigender Beurtheiler wie der Amtsrichter

Tkttmmel

(
im Grunde noch immer ein wenig von oben herabsieht. In der That könnte eine durchgreifende, vom Entschluss getragene Reform

aller

äusseren Höflichkeit

gegenüber dem Duellwesen wol

nur

in

den

meisten

vom Adel ausgehen, denn

schaftlichen Bräuchen, in allen

an

europäischen Ländern

so viel die Bürgerlichen sich

auch dagegen sperren mögen, so betrachten

sie ihn in allen gesell-

bestimmte Formen

geknüpften

Beziehungen von Peison zu Person schliesslich doch noch als tonangebend.

Welches

ist

der Standpunkt

der

guten Gesellschaft?

Gedanke, der beim Austrage wol der meisten Ehrenhändel entscheidend ist. Max Nordau sieht das Duell als den anthropologischen Beweis dafür an, dass der «Heerdensinn» dies ist der leitende

des Menschen stärker sei der That

dürften

viele,

als

denen

sein Selbsterhaltungstrieb.

ein Duell,

in

das

sie

Und

in

verwickelt

werden, durchaus widersinnig und thöricht erscheint, nur aus Rück-

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Studentische Strömungen in den vierziger Jahren. sicht auf das Urtheil der Gesellschaft nicht den

Doch muss auch

es zurückzuweisen.

werden, dass uns Nachgeborene in

dem der

zeihlicher

293

Entschluss finden

Berücksichtigung gezogen

iu

dem grossen Daseinskämpfe,

aus

immer genug verAtavismus anhaften mag, um uns ungern vor einem uns lassen. So mancher Stärkere, Muthigere obsiegte, noch

augetrageuen Waffengange zurückweichen zu den

findet nicht

«

moralischen

physischen Mutli an-

Mutli, seinen

»

zweifeln zu lassen, und oft sind es gerade die kräftigsten, gesunde-

und harmonischsten Naturen, die in diesem Punkte eine auffallend geringe Unabhängigkeit von ihrer Umgebung bekunden, die übrigens wol auch im Gefühl ihrer Ueberlegeuheit und Kühnsten

heit oft

genug die Gelegenheit willkommen heissen

verhassten Gegner eigenhändig Bei alledem kann




Duell nicht gerade als eiuen

tief-

gehenden Krebsschaden der baltischen Gesellschaft bezeichnen, denn die

Verbindlichkeit

ihrer

Umgangsformen und

den

das

meisten

Nordländern einmal eigene ruhig-besonnene Naturell bewirken, dass ernstere Conflicte durchaus zu den Seltenheiten gehören.

Vorfälle auf diesem Gebiet

kommen

Lande des Duellauteuthums, Ein Todesfall

vor.

in

dem

selbst in

Betrübende

einstigen gelobten

Kurland, so gut wie gar nicht mehr

iu

einem Duell

zwischen

gereiften

Männern

ereignete sich unseres Wissens während des letzten Jahrzehnts nur

einmal in Estland, und hier war

der Erschossene eine Persönlich-

nur geerntet

keit, die eigentlich

was

halte,

wüchse

ist

das Pistolenduell

nur

der

die ungeeignetste

dorpater,

Waffe

da dieser

für

namentlich

in

begann, bis

Unwesen durch In der Tliat

am

den Studenten,

cavalier-

socialen Aus-

verdrängen

zu

Chargirtenconvent diesem

schärfte Gesetzgebung ein Ziel setzte.

durch

geworden, wo es in

Dorpat

in

letzter Zeit das Schlägerduell nahezu

endlich

sie

Zu einem

mässigen Uebermuth häufig genug gesäet.

Conflicten

eine ver-

ist die

meisten

Pistole für den

persönlicher Natur

längst alle Disciplin und Formgemässheit über den Haufen geworfelt

hat

und

in

leidigungen

Folge dessen dort

die

allerschärfsten

zur Tagesordnung

gehören.

studirende Jugend, bevor unser

unsere

sie in seinen

spanischen Stiefel

schnürt,

enges

und derbsten BeEs ist, als wollte bürgerliches Leben

die akademische Freiheit

so recht nach jeder Richtung hin auskosten, als wollte sie wenigstens

während der goldenen Burscheujahre

Zwang

schmeckt,

auf das

Entschiedenste

Die traurigen Ergebnisse dieses

Maugels

alles,

was irgend uach

von sich

abschütteln.

an Selbstbeschränkung

294

Studentische Strömungen

den vierziger Jahren.

in

und Selbstbeherrschung siud die Gräber der fallenen auf

dem dorpater

Die Scblägermensur

und

Duell «

einem

ist

das Schlägerduell zu beurtheilen.

Mittelding zwischen einem eigentlichen

ist ein

ritterlichen Turnier,

wenigstens verhindert bei

Fremdenreissereien » der Corporationsstolz

gleich, der sonst vielleicht hätte zu

Stande

Gefahr für Leben und

ist

Bandagen

Gesundheit

so eingeschränkt, dass das

kaum weniger Opfer

genug einen Ver-

oft

kommen

dabei

können.

Binden

durch

Die

und

englische Footballspiel

rohe

dahinraffen dürfte als das deutsche Studenten-

Andererseits kann aber die Schlägermensur auch nicht gerade

duell.

als

im Pistolenduell Ge-

Friedhofe.

In ganz anderer Weise

«Kindereii bezeichnet

werden, wie

wol

das

und

hin

wieder

oder schreiben, haben sicher

Die Leute, die das sagen

geschieht.

dem Kreidestrich gestanden und das verhängnisvolle «Mein Gegenpaukant schlägt an. an ihr Ohr klingen hören. Die Wunden,

nie auf

die eine gute «bocksteife Schilfklinge» schlägt, sind tief und blutig

genug,

und

um

das Schlägerduell nicht zur Spielerei ausarten zu lassen,

die Möglichkeit tödtlichen

Ausganges steht denn doch immer

im Hintergründe.

Weniger

an irgend ein anderes Duell lässt sich an die Studentenpaukerei der Massstab von Abstractionen legen, wie sie von den Gegnern des Duellwesens ohne jede Berücksichtigung von als

angewandt zu werden genug den vorgerückteren

Zeit- und Gesellschat'tsverhältnissen gewöhnlich

Der Jüngling, der zwar

pflegen.

Altersstufen gegenüber ist

iu

skeptisch

den Beziehungen

höherem Grade ein

«

zu

oft

und

gesinnt

reformatorisch

seinen Altersgenossen

in

noch

ist,

weit

Heerdenthier» als der gereifte Mann, und das

gut so, denn wer nicht, schon in der Jugend die Wohlthaten gemeinsamen Denkens und Handelns gemeinsamer Leiden und

ist

,

Freuden

voll

kennen

gelernt

hat, verliert

leicht

die Fähigkeit,

Menschen zu schliessen und in Gemeinschaft mit ihnen zu wirken und zu schaffen. Die hochgehalteue alte Burschensitte, der jugendliche Uebermuth, die überschäumende Kraft tragen das Ihrige dazu bei, um den alten Schlägerboden stets weiter

sich später an andere

«blühen

und schallen» zu

lassen,

wie

lasse endlich nicht ausser Acht, dass

Rohheit wie

sie

der germanischen Jugend

es

im Liede

heisst.

die natürliche Wildheit

irgend

Man und

einer Ableitung bedarf,

im Box- und Wettruderwesen der englischen Hochschulen,

im Duell wesen der deutschen gefunden sten und Kaltblütigsten werden sich

ist.

unter

Die Kühnsten, Kräftigden

Nachkommen

des

Studentische Strömungen

einst rastlos durch

eines gewissen

in

Ansehens zu erfreuen

haben,

nicht hinter ihnen Zurückbleiben und

Dorpat an eine Eindämmung der hinausgehenden Duellwuth

wenn

295

den vierziger Jahren.

ganz Europa berserkernden Germanenvolkes so

in der

die

stets

übrigen wollen

wäre denn wol auch in That über alle Schranken

schwerlich jemals

zu

denken gewesen,

Moment hinzugeMoment war. wie wir oben bemerkten, das

nicht ein anderes eben so bedeutungsvolles

treten wäre.

Dieses

religiöse.

Auch jene jungen Theologen, von denen wir am Eingänge sprachen, fühlten gewiss rasches, warmes Blut

unseres Artikels

durch ihre Adern rollen, auch

sahen sich eingeengt und bedingt

sie

durch das Urtheil ihrer Umgebung.

Je mehr

Geiste ihres Studiums hingaben, desto Sitten und Bräuche, die sie vor

unterworfen waren, mit demselben

sie selber

Unaufhörlich stiessen

sie in

sie sich

jedoch dem

weniger vermochten

sie die

Augen hatten und deren Zwange Einklang zu bringen. ehrwürdigen Buche, welches die

dem

in

Grundlage ihrer Wissenschaft bildete, auf Stellen wie: «Wer Menschenblut vergiesset. dess Bluf soll auch durch Menschen vergossen werden» (Genesis 9,6). «Ich aber sage euch, wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig» (Matth. 5, 21). «Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Todtschläger, und ihr wisset, dass ein Todtschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend» (1. Joh. 3, 15) u. a. m. beständig wurden Sie durch die Lehre und das Beispiel ihrer Professoren, unter denen Philippi damals den grössten Einfluss ausübte, darauf hingeleitet, mit äusseren weltlichen Formen, die ihren innersten Ueberzeuguugen widersprachen, zu brechen und sich für frei uud unabhängig zu erklären. Die Ehrlichkeit, die, man möge sagen, was man wolle, doch immer einen Grundzug in unserem provinziellen Charakter bildet, liess nicht ab, sie mit beständig mahnender Stimme zum öffentlichen Bekenntnis ihrer Anschauungen zu drängen, und so





;

geschah es

denn,

dass

schliesslich

das Tafeltuch

zwischen ihnen

und der Majorität der Studentenschaft mit raschem Schnitte durchtrennt wurde, dass sie' freimüthig

Man verkenne

die

Bedeutung dieses

ihren Standpunkt

kühnen Schrittes

verkündeten.

Die

nicht.

während einer Reihe von Jahren die schimpflichste studentische Strafe, den Verruf, über ihrem Haupte schweben es konnte ihr nicht gleiehgiltig sein, von der Masse der Studentenschaft, mit der sie unzählige freundschaftliche nnd kleine Oppositionspartei sah

;

verwandtschaftliche Beziehungen verbanden, misachtet

und

in

den

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296

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

Bann gethan zu werden, aber

unter den schwierigsten

sie blieben

Verhältnissen fest und sahen endlich

nach

einer

langen Zeit des

Mühens und Kämpfens ihr Streben von vollständigem Erfolge gekrönt. Für unzählige andere war der Weg freigemacht, Bangens,

deu diese nun mit sicherem und festem Schritte betreten konnten, ja unmittelbar nach sich durchaus auf

M.

v.

dem Siege der Bewegung

den Standpunkt

Engelhardt und A.

derselben

stiegen zwei junge, stellende Theologen,

Oettingen, in der Livonia zu den höchsten

v.

Zwar

studentischen Ehrenämtern empor.

giebt es unter den dorpater

Theologen noch heute eine Richtung, die nach dem Grundsätze des Horazischen * Quid sit futurum cras, fuge quaerere > das Studenten:

leben bis auf die Neige geniesst, sich den herrschenden Burschen-

nach jeder Richtung

sitten

hin

anschliesst und

später

doch sehr

und tüchtige Prediger stellt. Die grosse Mehrzahl der Theologen aber, die sich ihrem Studium mit vollster geistiger Hingebung widmet, schwört doch der Fahne zu, welche die kleine ernste

Schaar der vierziger Jahre erhoben

Man

den Sieg, welchen

hat

vorwiegend au einen einzelnen

Karl Hesselberg

hat.

muthige Partei

die

Namen

erfochten,

geknüpft, den des Theologen

aus Kurland,

kurz

den

nach der glanz-

Beendigung seines Studiums das tragische Schicksal traf, In der That war Hesselder bedeutendsten und entschiedensten Vertreter der neuen Richtung, und es wird uns eine besonders willkommene Aufgabe sein, deu Antheil, den er an der Bewegung der vierziger Jahre genommen, nach Briefen von ihm, die bisher noch nicht der Zu bemerken Oeffentlichkeit übergeben worden sind, darzulegen.

vollen

von der Cholera dahingerafft zu werden. berg

ist

einer

jedoch, dass,

ein sehr

als

die

Bewegung im kaum

junger Student war, der

Einfluss besessen

haben kann

wol noch sehr wenig

wegung jedoch

und

unterrichtet

J. 1843 begann,

er

noch

einen sehr weitreichenden

über Burschenangelegenheiten war.

Er

schloss sich

der Be-

und nahm später, und angesehensten Mitglieder der Partei die Uni-

sofort auf das rückhaltsloseste au

als die ältesten

versität verlassen hatten, die Angelegenheit

zum

grössten Theil auf

seine Schultern, ja blieb sogar noch nach abgelegter Gradualpriifung

Student,

um

seine Kraft der vertretenen Sache nicht zu entziehen.

Das Ansehen, dessen

er sich durch

die Reinheit

seiner Absichten

und die versöhnliche Milde seiner Persönlichkeit erfreute, trug nicht

wenig dazu lich die

bei,

den von ihm verfochtenen Anschauungen schliess-

Anerkennung der Corporationen zu

verschaffen.

Mancher

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Studentische Strömungen

den vierziger Jahren.

in

kühne Vorstoss wurde der kleinen Schaar, wie

2 lJ7

ein objectiver Be-

urtheiler jener Verhältnisse gelegentlich äusserte, einzig und allein

«Hesselberg zu Liebe» nachgesehen. Corporation, mit der ihn

die

der Sache

war,

welche

richtungen unermüdlich thätig,

um

Gegner zu durchbrechen, das

eine

geschlossene Phalanx

die

mag

Parteimitglied

der Estonia, Livonia

u. a.

der

mit der

m. verhandelt

Nach den Briefen von Hesselberg, sowie nach den Mit-

haben.

theilungen der Zeitgenossen handelte es sich überhaupt zuerst eine von

Häupter hatte und

sich erst später klärte,

Krystallisationskern die

mitten

um

unterschiedliche

als ihren eigentlichen

zusammenstehende kleine Theologen-

fest

jener

in

einem uns freundlichst wie folgt:

die

Eine angesehene und verdiente Persönlich-

partei nachzubehalten. keit, die selbst

den Wilden,

unter

um

und Strömungen durch-

verschiedensten Strebungen

den

Massenbewegung

zogene

selbe,

mit

und Willens-

die verschiedensten Einflüsse

Curonia, das andere mit

zuerst

sich

arg verketzerten Oppositionspartei an-

der

Es waren eben

die

ihrem gegnerischen Standpunkt, während

diejenige Verbindung

Estonia

Nachdruck nahm.

Doch verharrte gerade

meisten Beziehungen verbanden, die

die

Curonia, bis zuletzt auf

Bewegung gestanden,

urtheilt in

vorgelegten Briefe

über die-

«Die Ueberwindung eines Vorurtheils

und eines

durch Jahrhunderte

zur Einsicht

einer Körperschaft oder

geheiligten Brauches

kann

einer grossen Gesellschaftsschicht

nicht

und durch

plötzlich

einen Mann

vollzogen

Arbeit

Der Boden muss unterwühlt und Breschen müssen

vieler.

an verschiedenen Stellen werden, ehe dasselbe

werden, sondern das Bollwerk

in

Werk und

die

und anderen

verliert

und Existenzberechtigung

zu-

>

Wie

sich aus den uus vorliegenden Berichten von Zeitgenossen

entnehmen in

das

des Vorurtheils gelegt

seine Alleinherrschaft

Ansichten ebenfalls Ebenbürtigkeit erkennt

ist

lässt,

hat sich die

Weise

folgender

Stimmen

Umwälzung Es

vollzogen.

welche

laut,

sich

gegen

der vierziger Jahre etwa

wurden

das Duell

zuerst

vereinzelte

erklärten,

die

aber

von den übrigen entweder lächerlich gemacht oder todtgeschwiegen

wurden.

Als

Theologe

F

r

ereter Fanatiker

ü h a u

f

neuen Strömung

der

nicht schlagen,

da

für verrückt erklärt.

das Duell

Da

eine

zu

Sünde

der

Markt zu begebeu und

sich täglich auf den

den dort stehenden Studentengruppen

pflegte

erklären, sei.

er werde sich

Er wurde

einfach

ereignete sich eine Mensur, deren trauriger

Ausgang besonderes Aufsehen

erregte.

Die

Paukanten hiessen

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2U8

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

Dem

Duellen und Gaspari.

geschlagen, er wurde mit

Arme

steifem

hatte blos

an

starb

die Axillaris durch-

vor den Pedellen verborgen

Als Krüppel

mit

unheilbar

Grenze ins Ausland. Doellen Prime erhalten, bekam aber die Rose und

flüchtete er über die

eine kleine

Die

derselben (1841).

wurden

Secundanten

unter

die

Der Rector Volkmann versammelte damals die hielt eine zündende Rede gegen das

Soldaten gesteckt.

Studenten

wurde

Letzteren

Mühe und Noth

gehalten und nothdilrftig hergestellt.

der Aula und

in

Duellwesen.

Seit

dieser

begannen

Zeit

Gegner des

die

Duells

unter der Studentenschaft sich zu sammeln und aneinanderzuschliessen.

Es waren deren Semester hatte

bereits

war zu

Camby

gestellt

bei Dorpat), der,

und

Es

nachdem er

(gegenwärtig Propst

Oldermann der Estonia

als

zwei Mensuren ausgefochten, aus der Corporation Erklärung, er werde

sich

achtete Persönlichkeit

austrat mit der

mehr schlagen.

nicht

war,

zweiten

eigener Initiative

aus

völlig

Hasselblatt

Theologe Ed.

dies der

im

gegen das Duell Front gemacht.

ein Corporeller

ganz auf sich selbst

Schon 1840

wenige.

nicht

man gegen

ging

so

Da

er eine ge-

ihn

nicht

vor,

sondern sah ihm seine Stellungnahme als Marotte nach.

gannen

selbst aus der Mitte der Corporationen

Der Kurländer Sponn,

zu machen.

hatte Hasselblatt

«vom

Bald beUeberzeugung Sympathien geltend

sich für den unerschrockenen Vertreter seiner

breiten Stein

dieser

offene

ein leidenschaftlicher Duellant,

hach damaligem Renommistenbrauch wiederholt geschubst«

dem unermüdlichen

(d. h.

vom

»Anrempler»

gedrängt), bis

Trottoir

ruhig

auseinandersetzte,

derselbe werde damit nicht Ehre einlegen, da das Duell in seinen (Hasselblatts)

entspann

Sponn

Augen einmal

sich ein

Unrecht

ein

sei.

Von

der Zeit

ab

persönlicher Verkehr zwischen den Heiden, der

schliesslich für Hasselblatt so weit einnahm, dass er

klärte, sich eintretenden Falles

für

ihn

schlagen

ihm

er-

zu wollen, was

Hasselblatt natürlich, als mit seinem Standpunkte ebenfalls unvereinbar, lächelnd ablehnte.

Um

diese Zeit

begannen bereits einzelne

Gesinnungsgenossen unter den Wilden Hasselblatt

in

ihren Kreis

zu ziehen. Er wurde schliesslich aufgefordert, an einer Wildenversammlung theilzunehmen, die über ein gemeinsames Vorgehen zu beschliessen hatte Es traten hierbei drei verschiedene Richtungen hervor:

die

eine

wollte

eine Wildenvertretung

mit Corporations-

rechten erlangen, die zweite verlangte Wildenvertretung und Auf-

hebung des Duellzwanges, die das Duell

dritte

bekämpfende Richtung,

die

blos sich

das in

letztere.

Die blos

ihren Forderungen

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Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

299

auf ein vernünftiges Muss beschränkte, vermochte sich allein zu be-

haupten und errang schliesslich die lange vorenthaltene Anerkennung

Zuerst

der Corporationen.

freilich hatte ihre

mit 35 Unterschriften

versehene Eingabe an die Oorporationsconvente einen argen Sturm

gegen

man

dass

der schliesslich nur dadurch beschworen wurde,

sie entfesselt,

sich dahin einigte, die

Eingabe als «ungeschehen» anzu-

Die kleine Kämpferschaar wurde aber nicht müde, immer und immer wieder vorzurücken, bis die Reihen der Gegner sich zu lichten begannen und sie ihnen einen Fussbreit Boden nach dem sehen.

anderen abringen ihr

auch

standen.

war

wird,

der

Schmidt

dies

freilich

(gegenwärtig

der

erst, als

überzeugte Anhänger

Corporationen

unterrichteten Persönlichkeiten

namentlich

es

wurde

Möglich

konnte.

innerhalb

Wie uns von

Chargirte

Estonia

der

er-

versichert

E

u

gen

Moskau), der durch seine unablässigen

in

Bemühungen dem Standpunkt der sogenannten «Gewissensfreien» in der Burschenwelt verschaffte, nachdem er die Sache derselben auf dem eigenen Convent mit einer Stimme allgemeine Anerkennung

Mehrheit durchgesetzt hatte.

Die beiden anderen Richtungen, welche die Gleichberechtigung mit den Corporationen auf ihre Fahnen geschrieben

der Wilden

dem

hatten, tauchten bald in das Dunkel zurück, aus

waren.

Zwar wurde

die

theoretisch

Wildenvertretung wiederholt aufs neue so im J. 1846

bei

Einführung des

berechtigte in

sie

gekommeu

Forderung der

Berücksichtigung gezogen,

sogenannten «Repräsentanten-

convents» an Stelle des Chargirtenconvents (je 20 Studenten stellten einen Repräsentanten), ferner noch in den Jahren 1859 und 1873, in

denen sich Wildenverbäude organisirten

diese Vereinigungen

in

hanges nicht zu halten. die

Folge

ihres

;

doch vermochten sich

lockeren

inneren

Zusammen-

Die kleine Theologengesellschaft hingegen,

auf ihren geselligen Zusammenkünften ganz ihren nächstliegenden

Zwecken

lebte

und höchstens noch literarische und künstlerische mit

Eifer pflegte, blühte später, trieben,

unangefochten

weiter

fort

und

musste

erst

sich, von einem falschen Bethätigungsdrange geim Jahre 1865 als Corporation «Arminia* constituirte, dem

als

sie

separatistischen Tendenzen abholden landsmannschaftlichen Princip unterliegen.

Wir gehen nun Momente gewiss

daran,

dem Leser

nicht entbehrende

in

diese,

bedeutsamer

Studentenbewegnng einen

inter-

essanten Einblick nach Briefen von Karl Hesselberg zu gewähren,

welche dieser an seinen Onkel, den Pastor

Johannes Elver-

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:

Studentische Strömungen

301)

den vierziger Jahren.

in

feldt

zu Zelmeneeken (f 1859) gerichtet hat. Ein vom 9. Oct. 1843 datirter Brief enthält die folgenden Mitteilungen über die

Anfänge des «theologischen Abends»

ersten

.

.

«

.

Wiederholt sind wir schon zu unserem theologischen

Erbauungsabend versammelt gewesen.

Hasselblatt

Behm

und

Schulen zu Wiborg. (dieser

äusserte

anfingen fromm

selbst

r ö

D.

ra.

18(31,

Ref.).

seine Zöglinge schon

Die Acte,

sehr

ist

Neues Bewunderung

f ft s t

sind

vom Rector und Curator

ist

werden) bestätigt.

altklassischen Philologie

Cr a

Er

freue sich, dass

sich, er

zu

von uns unterschrieben wurde, sie

Seine Hauptstifter

(f 1857 als Leiter der deutschen

D. Ref).

die

darüber

abgefasst, so dass

fein

Neue,

erregte (Chr.

Prof, der

war damals Rector, Curator war Es heisst darin u. a., wir würden

uns daselbst mit religiösen Wahrheiten in einer

dem Bedürf-

Form beschäftigen; der Abend zwar nur für Theologie Studirende, aber jeder Student würde gern aufgenommen, von Philistern nur Theologen. Du siehst, wir haben uns eigentlich volle Freiheit ausbeduugen, und doch ist dieser Schein gemieden. Neue hat uns gerathen, diesen Abend nisse entsprechenden

sei

Die Form

so öffentlich wie möglich zu machen.

dazu Lust

fühlt,

Versammlungsort Zeit war, zeigt in

kann

um

sich

halb acht Uhr

Dass der Abend

einfinden.

grosse Zuspruch, den

der

der Kirche gewöhnlich

ist:

jeder, der

am Sonnabend im ein Bedürfnis der

er findet.

Während

über 5 oder 6 Studenten sind,

nicht

Zahl der Besucher unserer Erbauungsabende bereits in Darunter siud auch vier Sonnabenden von 1 1 auf 35 gestiegeu. ist

die

viele

Landsleute

Ueberhaupt

ist

Kurland

aus

,

freilich

nur

fast

Theologen.

der Geist unter den Theologen hier gewaltig ver-

Wahrheit nicht mehr widerstehen. Selbst in der Landsmannschaft wird die Zahl derjenigen, welche über den Pietismus spotten, immer geriuger. Viel trägt hierzu Ph i 1 i p p i s Ansehen bei, bei dem sie Wissenschaftlichkeit mit Glauben vereint finden und der sich durch die Gediegenheit seines Charakters eine solche Achtung erzwungen Sie können

ändert.

hat, dass

habe.

ich

Der

über

alte

dem

Einfluss des Geistes der

ihn

noch

Sündenbock

seinem Glauben doch gar zu

nie ein

bleibt viel

Wort

Busch,

des Spottes gehört

der

Geschrei macht,

am Ende

mit

wie denn ein

Theologe seineu Wahlspruch dahin verkehrte: «Ich glaube, darum schreie

(st.

rede) ich

Der Brief geht

1

*

.

.

des weiteren auf die damals eben ins Rollen

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

301

gerathene Bewegung gegen das Duell über, die iu folgender Weise geschildert wird .

.

.

:

«Viele Rlüthen der letzten Zeit werden leider vielleicht

einem Sturm zum Opfer in

fallen, der

letzter Zeit,

vom

begünstigt

rauh

jetzt

hereingebrochen

Die Zahl der Wilden hatte sich

einem Reformationssturm

ist,

Zeitgeist, so vermehrt, dass sie

den Kurländern die Hälfte ausmachten, darunter die geSchon das machte eine Reform nöthig, und wurde manchmal beiläufig daran gedacht. Eine Verlesung des Verrufs von Seiten eines der Wilden zog die Aufmerksamkeit der Landsmannschaften auf sich. Man fragt ihn; er antwortet, er gebe nichts auf diese Dinge. Darauf erscheint ein unter

aehtetsten Leute. es

Clmrgirter

kurischer

ßdsen

Beuningen

bei

und Sehlock, gegenwärtig paslor

(später

lich

begehrten.

darunter

verspricht

B.

folgenden Tage statt,

findet

29

ihm

bei

Kurländer.

in

Prediger

zu

D. Ref), einem

einer.

unserer angesehensten Leute und fragt, was

Wilden eigent-

die

Tagen Antwort. Am Versammlung von Wilden

acht

eine

Beschlossen

:

Abschaffung

des

Duells, Ehrengericht (d. h. wol Erweiterung der bisherigen ehren-

Bestimmungen im Hinblick auf die Antiduellanten. D. Ref), Fechtboden, akademische Müsse. Fünf werden zu Räthen erwählt, vier Kurländer (die meisten Stimmen hatte Beuningen) und mit grossem Consens der Estländer Hasselblatt, ein

gerichtlichen

Da

sehr geistvoller Mensch.

zeigt sich denn ein

grosser Zwie-

Ansichten trennt. Der eine Theil will nur sein Gewissen und seine Ueberzeugungen reserviren und betont daher

spalt, der die

vor allem

die Abschaffung

deren Gewissen diesen

dasselbe

des Duells

(natürlich

widerstreitet), die

Punkt gar nicht berühren, sondern

nur

für die,

andere Partei will

strebt nur die Rechte

Indessen sehen wir auf unserer Seite ein,

der Corporationen an.

wenn wir die Rechte der Corporationen, hauptsächlich Anan den Wahlen, verlangten, wir dadurch selbst wider unser Gewissen an einer unerlaubten Verbindung theilnähmen. Hassel-

dass, theil

blatt,

Behm und

klärung

ich

abzugeben,

vereinigen

dass

wir

uns also das Duell

weigerung desselben verhängten Verruf gehend nicht anerkennen. stücke aufgesetzt

Corporationen

:

die

als

dahin,

nur

eine Er-

und den wegen Vergegen unser Gewissen

Es werden drei verschiedene Schrift-

einen verlangen

gleiche Rechte mit den

(Propositionisten),

die

zweiten

gleiche

Rechte mit den Corporationen und Abschaffung des Duellzwanges

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.

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302

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

(Clausulo-Propositionisten)

und

die

dritten

(wir

drei) nur den Punkt gegen das Duell (Clausulisten), weil nur Gewissen und Ueberzeugung Richter sein sollen, jene Proposition

aber ein Unding

ist,

insofern

sie

immer abhängiges

doch

ein

Verhältnis von einer Verbindung will, in die wir eben

Gewissens willen nicht getreten

Es kommt zu

sind.

um

unseres

einer zweiten

Versammlung, auf der zwei kurische Edelleute, voll Stolz und mit einer ungeheuren Suade fanatisch den PropositionistenStandpunkt vertreten und uns durch ihre Beredtsamkeit am

Auch

meisten schaden.

die Clausulo-Propositionisten stellen sich

Wir

uns feindlich gegenüber.

finden keinen, der uns beistimmt,

legen feierlich Protest ein und verlassen die Versammlung.

bekämpfen einander

beiden anderen Parteien

voll

Die

Erbitterung.

Die Partei der Propositionisten, die zuerst unbedeutend erschien, zeigt sich bei der Verlesung der Schriftstücke als die überwiegende.

Auch



unsere Erklärung wird verlesen.

«Drei,» sagt der Vor-

Drei, wiederholt eine spöttische Stimme. — Und noch am selben Abend hatten diese verspotteten Drei den vollkommensten Sieg erfochten. Die

leser nachlässig.

«

»

Partei

der Propositionisten

nisten,

unter sich uneins, fassen endlich eiumüthig den Beschluss,

sich uns anzusehliessen

zieht

Clausulo-Propositio-

die

ab,

und ihre Forderungen

fallen

zu lassen

Den anderen Tag versammeln wir

und schicken daher zu uns.

uns, es wird eine Erklärung aufgesetzt, worin wir offen bekennen, die bestehenden Misbräuche

unser Gewissen

gegen

als

gehend

Viele in der Verfernerhin nicht mehr anerkennen zu können. sammlung widersprechen. Wir unsererseits erklären, wir bedürften nicht der Menge, sondern nur der Wahrheit und des

Rechts, jene verlassen uns, und wir bleiben 17 27.

Mann

zurück, zählen aber

Indessen scheint doch

so freundschaftlich

als

möglich

Wort an Bestimmtheit zu

in

der Stärke von

noch an demselben Abend

die

Form zu gemacht,

verlieren.

schroff,

sie

ohne nur

Obwol

ein

schon

wird also mit

paar

einem zurück-

sind wir doch am folgenden Tage schon 35, darunter 20 Theologen, also über ein Drittel aller deutschen Theologen. So reichen wir denn unsere Erklärung den vier Conventen ein, «Wir nicht ohne die Gefahr zu kennen, der wir uns aussetzen. treten,

suchen

heute

um

unseren Laufpass nach,» sagte

Angesehensten, der Jurist

Kupffer

von Dorpat, lebt daselbst. D.

Ref.),

(bis

einer unserer

1887 Justizbürgermeister

«bekommen wir keine Antwort,

:

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

303

i

dem

so fahren wir ohne Pass aus

Obwol nun

ruf).

ein

Stadoll heraus» (d.

Kurländer mir

ist

Mehrzahl

selbst sagte, die

der Landsleute halte das Duell ebenfalls

für

ein

Unrecht («Es

ein nothwendiges Uebel,» sagt die allgemeine Stimme),

Chargirten

estländischen

die

Wir hören aus

stehen.

Mögliche

alles

der Mitte

um

thun,

unsere Sache sehr

unterstützen, so scheint doch

Ver-

in

h.

obwol uns zu

zweifelhaft zu

der Corporellen

wiederholt

Aeusserung, man billige uuser Vorgehen zwar privatim, könne aber den Comment nicht ändern. Die Corporationen erdie

kennen, dass wir allein ihre Basis antasten: den Propositionisten, scheinbar viel mehr verlangen,

die

Doch sind

nisse machen.

haupt

darum

halten sich sind

schwach,

zu

viel

erbittert, scheinen

sich

in

zu stellen.

Verruf zu kommen.

die Corporellen

Anzahl Commilitonen,

die

Sie ver-

was aus uns wird.

ruhig, bis sie sehen,

ganz gefasst darauf,

eine solche

wollen sie eher Zugeständ-

diese nur halb so stark wie wir, über-

um Forderungen

doch

von

Wir

Doch, obgleich noch zu scheuen,

einer

vom

Zeitgeist

begünstigten, ihnen selbst nicht ganz fremden Ueberzeugung durch-

drungen

zum

sind,

äussersten zu bringen.

Sie selbst haben uns

erklärt, es befänden sich unter uns mit die achtbarsten

haben keinen anderen

Namen

unerschrockene Kohorte».

Leute und

uns erfinden können

für

als

«die

Jedenfalls müssen wir uns opfern, wir

dürfen unserem Gewissen nach keinen Schritt nachgeben.

Zwar

scheinen wir ohne Zufluss, da

wir meist ältere Burschen sind, Dorpat bald verlassen, aber wir vertrauen auf Gott und die auch manche Hoffnung auf Zuwachs.» die

Gerechtigkeit unserer Sache, haben .

Aus

.

.

dieser

jeder einzelnen Zeile

Auseinandersetzungen

leuchtet

der

massvollen und sachlichen

allem

Zelotismus

blinden Parteihass gleich fremde, milde, ruhige

sammelte Charakter Hesselbergs

Er

in

und

und

allem

innerlich

harmonischer Weise

ge-

hervor.

schrieb an einen Verwandten und Gesinnungsgenossen, brauchte

also

seinen Empfindungen

und

doch

stossen

wir

durchaus

auf kein

keinen

Wort

Zwang

des Tadels

aufzuerlegen,

oder

der Er-

bitterung gegen die mächtigen Gegner.

Nach

einiger Zeit finden wir den Briefsteller bereits in viel-

fache persönliche Beziehungen zu den Corporellen getreten.

Durch

den von seiner Gesellschaft gegründeten Fechtboden kommt er mit dem frisch pulsirenden Studentenleben in innigere Berührung. Ein

vom

8.

März 1844

datirter Brief berichtet darüber Folgendes

Digitlzed by

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,

Studentische Strömungen

304

.

.

Vogel dem

burschen Director theol.

des

den vierziger Jahren.

in

verkehre

«Freundlich

.

mit dem kurischen Corps-

ich

tüchtigsten Philologen hier (gegenwärtig

mitauer Gymnasiums.

Grüner

D. Kef.)

und

(gegenwärtig Pastor zu Barbern)

Im ganzen

essanten und begabten Menschen.

,

dem

cand.

sehr

inter-

stehe

ich eigent-

ganzen kurischen Landsmannschaft recht freundlich, obwol unsere Parteien sehr getrennt dastehen, denn wenngleich zur Abschatfung der bedeutendsten Uebelstände eine Commission lich mit der

von Chargirten

handlungen einträchtigt.

niedergesetzt

am

doch

wird

so

ist,

gerade

meisten

diese in ihren Vervon den Kurländern be-

Dazu kommt, dass wir ihnen

angethan, indem wir Wilden jetzt

jetzt bitteres Leid

uns einen Fechtboden einge-

30 Mitglieder zählt und später der LandsDer Erbauungsabend mannschaft grossen Eintrag thun kann.

richtet,

der

schon

am Sonnabend,

der Verein gegen das Duell und der neue Fechtboden bilden mit ihren Mitgliedern schon eine ansehnliche Macht,

mit der die Weltgebieter sehr sanft verfahren müssen.

was thun

sie nicht alles!

Freilich,

Die Füchse werden von ihnen jetzt so dass sie uns den jungen

gehätschelt, so liebreich aufgenommen,

Zuwachs

so

gut

wie ganz

Unser Fechtboden hat

entziehen.

'übrigens auch einen Nebenzweck, nämlich den, den Vorwurf der Weichlichkeit und Furchtsamkeit ganz von uns abzuwälzen.»

.

.

.

Die Fechtübungen zogen den jungen Theologen sehr an und schwang mit Lust seine Klinge. An seine Eltern schreibt er, wie wir einer von seinem Schwager, dem Pastor Paul Seeberg,

er

herrührenden Lebensbeschreibung (Mitau, Neumanns Verlag, später Fr. Lucas 1853) entnehmen, unter

dem

4. Sept.

1845: «Die Quarte

ist

der offenste und gewichtigste Hieb auf die Brust, ich wünschte

sie

wol geistig zu führen.»

Diese kleine Stelle dürfte bezeichnend

für die aufrichtige und gerade

kein Hehl und kein Falsch war.

Gesinnten

trat Hesselberg

Natur des Briefstellers sein, in der Auch im Verkehr mit gegnerisch seinen Ueberzeugungen bei jeder

mit

sich darbietenden Gelegenheit hervor, wusste sie aber stets in eine

anspruchslose und nicht verletzende

Form

zu kleiden.

Von einem

Gespräch, das er über die Duellfrage mit einem jungen Estläuder gehabt, berichtet ein ebenfalls in Seebergs Lebensbeschreibung ab-

gedruckter Brief an seine Eltern vom 18. Mai 1846. u. a.

Sie

waren

auch auf den «Ehrenpunkt» zu sprechen gekommen, und der « Du hältst also von der Ehren-

Estläuder hatte erstaunt gefragt haftigkeit nichts?»



:

«Von der

fälschen

Ehre

nichts,»

war

die

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»

:

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

Antwort, «von der wahren

viel.»

Menschen

und

haben

Unrecht

bin es nicht, der



Du

«Das bedeutet

Entgegnung Hesselbergs, Mittlerweile

Anderer

«ein

hatten

die

sich

Recht hast!»

allein

Recht hat.» lautete die

vielleicht

klingende, aber von seinem Standpunkte

305

also, dass alle



«Ich

etwas lehrhaft

aus durchaus schlagende ist's.

Kämpfe

weiter

ohne dass ein baldiges Ende zu erwarten staud.

fortgesponnen,

In einem

Briefe

an den Oheim Elverfeldt vom 28. April 1844 heisst es: .

«Unsere Sache

.

.

die Hartnäckigkeit der

so günstig aus, als die wir

auch

noch immer nicht zu Ende: durch

ist

Kurländer

Zustimmung geben

können

der Endbeschluss nicht

fällt

Doch

es zuerst schien.

wir nur zu einem Frieden,

wir vollkommene Sieger bleiben) gemessen, die

Gesinnung dessen, der

sich

nicht

wesentlich:

schlägt,

des Losgehenden

ehrenvoll mit derjenigen

sind die Vortheile,

Annahme (geradezu

stillschweigender

bei

als

unsere in

dem

1)

dass

ganz gleich

angesehen wird

;

2)

dass der Beleidigte in keinem Falle loszugehen braucht, sondern

durch Vermittelung des Ehrengerichts eine Ehrenerklärung erhält

Bestimmung bestand

(diese

bereits.

D.

Ref.), endlich dass

auch

der Beleidiger unter gewissen Umständen sich nicht zu schlagen

Aber

braucht.

dies ist freilich der schwächste

Die Kurländer gehen

Funkt.

aus, dass Leute, die so

von

der falschen Voraussetzung

friedlich sind, dass

Was

abscheuen, auch nie beleidigen werden. so hat er

betrifft,

nicht

so viel

und schwebendste das Duell

sie

ver-

unseren Fechtboden

Widerspruch

erregt,

und

wir

harmoniren jetzt besonders mit den Kurländern, deren Nachbarn wir sind, ganz gut.»

Um

diese Zeit

.

.

.

begann Hesselberg nach

Gesinnungsgenossen

ältesten

Antiduellantenpartei

bereits

übernehmen.

zu

erwähnten Briefe widmet zweien

.

.

blatt, der

der

dem Fortgange der Führung der in dem

alleinige

Eine weitere Stelle

fortziehenden Gefährten die

Worte

folgenden .

die

«Ein grosser Verlust für uns

vielleicht der geistvollste unter

auch

die

meisten

Unternehmungen

ist es,

dass

Hassel-

den hiesigen Theologen, geleitet

hat,

weggeht.

Achtung einflössende Persönlichkeit und seine Energie werden uns in fühlbarer Weise fehlen. Auch der zweite unserer Geschäftsträger, der Jurist Kupffer, ein Kurländer, geht

Seine

weg, ein Mensch von Thätigkeit.



Eine

R»lti»ebp XunnlAftchrirt.

viel

sehr

Scharfsinn, Eifer

und

unermüdlicher

interessante Bekanntschaft

Hand XXXV, Hort

4.

habe ich

21

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Studentische Strömungen

30(3

neulich in

dem Estländer

fabrik

Sarepta.

in

G

D. Ref.)

deutendste Dichtertalent, das

wenigstens glaube

Budbergs viel

Am

hin.

1.

.

.

.

ist

wol

das

unseren Provinzen

in

.

be-

kenne,

einen lebendigen Geist,

.

den Corporationen

mit

Sept. 1840, also nach

schreibt Hesselberg, der damals

gelegt hatte

Er

gemacht. ich

Wesen drückt

weniger Gemüth aus.»

Die Verhandlungen

Jahre lang

den vierziger Jahren.

z s c h (f als Besitzer einer Senf-

dass sein Talent viel grossartiger als das

ich,

Sein ganzes

ist.

in

t

1 i

mehr

zogen sich noch als zwei Jahren,

seine Gradualpriifung ab-

bereits

:

«Ich bin noch Bursch,

.

Gewissensfrage

ist

weil

ich eine Sache, die eine

und deren Fortgang wenigstens durch meine

persönliche Stellung

in

der Burschenwelt

wird,

erleichtert

zu

vertreten habe. Freilich, so viel ich auch das versöhnende Element

darzustellen

strebe,

der Sache kann

der Consequenz

Wo

das Geringste vergeben.

ich

ich nicht

etwas zu vertreten habe, da

darf keine Spur von Duell oder geheimer Verbindung mehr Vor-

kommen, und das hat hatten, zerstreut.

die Schaaren, die sich

zu uus gesammelt

Idealität und Consequenz der

uns allgemein zugestanden, aber darum

ist

Ausführung sind

unsere Zahl auch so

geschmolzen, dass höchstens an einen Waffenstillstand, nicht mehr

an einen allgemeinen und gründlichen Sieg zu denken

wo der

nicht erfochten

Frieden.»

.

.

schliessen wir unter keiner

ist,

ist,

und

Bedingung

.

Und doch

im J. 1848 starb, noch die von ihm verfochtene Sache mit dem vollständigen

hatte Hesselberg, der

Genugthuung,

die

Siege gekrönt

zu

sehen.

Er konnte das erhebende Bewusstsein

empfinden, mit vollster Hingebung für sie gewirkt

und die ganze

Kraft seines reinen, idealen Sinnes zu ihren Gunsten in die WagIn welcher Weise Hesselberg auf schale geworfen zu haben.



Umgebung

seine

einwirkte und ihre Zuneigung und Sympathie zu

erwerben wusste, dürfte am besten aus dem folgenden anschaulichen hervorgehen,

Charakterbilde

A.

das

uns

auf unsere Bitte Professor

Oettingen von ihm entworfen hat:

v.

«Karl Hesselberg,»

schreibt Prof.

Oettingen,

v.

«war eine

mystisch angehauchte Natur, mehr für wissenschaftliche Vertiefung, als praktische

Wirksamkeit angelegt. Die

letztere blieb aber nicht aus

— wie seine Predigten und seine Arbeiten im christlichen Studentenverein beweisen

was

er lehrte

— weil

er eben ganz von

und erkannte.

dem durchdrungen war,

Dabei war er

nicht

einseitig

.

theo-

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G

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

Er brütete damals

logisch gebildet.

Drama» und

pflegte

in

307

über einem «christlichen

mit feinem Ver-

ästhetischen Interessen

die

— wie

Aber

ständnis.

viel

seinem Aeusseren (mit den Augen mehr nach

Innen schauend, mit dem Worte fast

wie

in ekstatischem Selbst-

gespräche sich bewegend) nichts der gewöhnlichen gesellschaftlichen

Verkehrsform sich anpasste, so vermochte er sich auch kaum einem

Er blieb immer apart und Weise hat ihn oft darob geneckt,

harmlos fröhlichen Verkehr hinzugebeu. Philippi in seiner sarkastischen

dem jungen Manne noch Menge ungehobener Schätze in dem tiefsten Schacht seines Bei alledem war Hesselberg unter den Studenten

obwol jener für eine

sehr

wusste, was in

wohl

Inneren ruhte.

eine allgemein anerkannte Persönlichkeit, deren Einflüsse die Sache

des Antiduellantenthums viel zu danken hat.

nach Kräften, war aber durch den Adel

Weihe

seiner

mehr

ein

Disputax,

religiös-sittlichen

Behm

assistirte ihm während Hesselberg

Ueberzeugung, durch die

durchdrungenen Charakters gewinnen wusste.»

seines christlich

für sich zu

die

Aehnlich äussert sich auch Propst Hasselblatt zu Hesselberg. lauteres




lautet

seine

ist.

über

«war

ein

Schilderung,

Gemüth im Salon fast dass man bei oberflächlicher

jungfräuliches

vorgekommen

,

In Sachen

Bekanntschaft ihn sogar für unbedeutend gehalten hat. aber,

die

sein Innerstes

erfüllten, namentlich

Vorträgen, be*

bei

Strom der

lebten und durchgeistigten sich seine Züge, und der edle

Rede

floss ihm,

die

Gemüther

Camby

Hörer überzeugend und gewinnend, gewisserEr war keine kampffreudige

massen mitten aus dem Herzen heraus.

Natur, ein schlechter Dialektiker: nicht durch Beweis und Gegenbeweis schlug er den Gegner, sondern innerstes Erfülltsein vou der Sache.

er

gewann

ihn durch sein

Hesselberg war nichts weniger

Menschenkenner; kindlich traute niemandem das Schlimmste zu.» als

er jedem

nur

das

Beste,

Hesselberg war eben noch weit mehr Gemülhs- als Verstandesmensch, und dieser Umstand war es vor allem, der

ihm

bei aller

Abstractheit und Weitabgewandtheit seines Denkens so zahlreiche

Freunde, selbst unter den Gegnern seiner Anschauungen, verschaffte.

«Keiner seiner Studiengefährten,» schreibt Seeberg, «wagte ihn dafür zu verhöhnen, dass er ihrem Treiben innerlich so fern stand, weil

man ihn eben anderweitig so hoch stellen musste und weil Wesen weit entfernt davon war, als mönchische Askese oder

sein

Alt-

klugheit aulzutreten.» 21

*

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308

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

Ein anziehendes Bild von Hesselbergs bietet

junger

war

Seeberg

in

gross, kräftig, schwer, ja

langes Oval,

äusserer Erscheinung

nachstehender Schilderung: «Hesselberg war eiu

Mann von grossem Wuchs und war etwas

etwas

gerader Haltung, sein

aber nie hoch aufgeschlagen waren, denn

Gang

Der Kopf,

unbeholfen.

ein

freundlichen Augen, die

spitz mit sanften,

sie

waren

sehr leidend

Die Nase war sanft gebogen, der Mund von einem Lächeln belebt; die Züge des blassen, bart-

und gedrückt.

liebevollen, kindlichen

machten

Gesichts

losen

sehr jugendlichen

einen

Eindruck.

Im

ganzen konnte Hesselberg damals an Schiller erinnern, wenn man sich diesen

man von ihm

nach den sanfteren Bildnissen, die

denken darf.»

.

.

hat,

.

Als weiterer Nachtrag zu dem entrollten Bilde der Antiduellantenbewegung möge hier noch die nachfolgende Charakteristik Platz finden, die Propst Hasselblatt-Camby von zwei anderen eben-

mehrfach erwähnten Führern der Bewegung entwirft: «Behm,» bemerkt Propst Hasselblatt, «war ein klarer Kopf und ausgezeichneter Dialektiker, dabei aber beherrscht von einem falls

merkwürdigen Hange zur Mystik; ein ganz theologisch angelegter Mensch, auch keineswegs kampffroh. Das studentische Treiben, Auf seine Versammlungen &c. waren ihm ein Greuel. intimeren Bekannten hat er grossen Einfluss und grosse Anziehung ausgeübt sich dagegen in den Duellkämpfen soweit Massenversammlungen, Berathungen mit den Corporationen &c. in Frage kamen, fast ganz im Hintergründe gehalten. Viel mehr Sturmbock grosse

,

war Victor als

,

Knpfl'er, vielleicht nicht so sehr auf Gewissensfreiheit,

«War

auf Wildenvertretung hin.

später

zu äusseru,

das eine Mühe,»

Wildenbanden

«diese

pflegte er

zusammenzuhalten

zusammenzutreiben, und es war kaum zu glauben, wie

viel

und

Schund

darunter war.»

Die Früchte der Bewegung gegen das Duell kamen nicht blos den Einzelnen, keineswegs auch allein der Masse der ausserhalb der

Corporationen Stehenden

den

Verbindungen

selbst

zu

gute,

und

sondern

ihrem

nicht

zum wenigsten Forum, dem

gemeinsamen

Chargirtenconvent. Der Verfasser der bereits weiter oben erwähnten Schrift über die dorpater Universität

Entwickelung des dorpater

äussert

Burschenstaats

«Für die Anerkennung

darüber: ist

die

der Gewissensfreiheit von der weittragendsten Bedeutung gewesen,

denn dadurch waren wieder zwei ander gegenübergestellt, welche

entgegengesetzte Principien einin

dem allgemeinen Comment mit

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:

Studentische Strömungen

einander zu verschmelzen und

in

in

309

den vierziger Jahren.

Einklang zu bringen den Conventen

Das

eine vieljährige legislatorische Arbeit auferlegte.

hatte einen

Gedankenaustausch zwischen den einzelnen Corporationen zur Folge, nur

der, obgleich

zu

häufig

zur Festigung

wesentlich

der

in

heftige Polemik

ausarteud, doch

gegenseitigen Beziehungen beitrug,

bis schliesslich die Vierheit zu einer so festen Einheit wurde, dass

ohne eigenen Schaden keines der vier Glieder sich von dem anderen losreisseu konnte.» .

.

.

.

,.

Unter den uns vorliegenden Briefen Hesselbergs befinden

.

sich noch einige, die sich mit

Facultätsangelegenh eiten die theologischen Leser der

beschäftigen und in Folge. dessen für «Balt. Monatssehr

»

vom

urtheilt in folgender

Mai 1843

2.

Ein Brief

von einigem Interesse sein dürften.

Weise über die damaligen

Professoren

«Philippi

ist

von eben so

Er

Innigkeit.

im

nicht

viel

den Theologen) vielleicht

(nicht blos bei

der geachtetste Professor Dorpats

und

ein

Die Lehre

Buchstabendienst.

von der

dereinst noch nebeu ihm leuchten wird.

Keil

gesondert von den übrigen Theologen und

ist in

zu,

freien

Gnade

Die beiden anderen,

Keil, verdunkelt er sehr, vielleicht, dass der erstere

Busch

noch vielfach schwankend. an.

Mann

lutherisch und streng kirchlich, aber im Geist,

ist

hat er in seine innerste Seele geschlossen.

Harnack und

interessanter

wissenschaftlicher Bildung als Herzeustiefe und

Der Sinn

schliesst

steht

sehr ab-

seinen Ansichten

an Philippi

sich

wahre Theologie nimmt unter uns Studenten

für

auch im Gegensatz zu unseren Antagonisten, den Medicinern,

einer Spaltung, die sich selbst unter den Universitätsprofessoren

ausspricht und noch vor kurzem eine

bühne herab Theologen dieser

von Seiten

positive Sinn

unter

den

H

i

jungen Theologen des Estländers

n s c h und des Kurländers

es

in

Wie

L

i

c h

ein

geweckt

ist,

Carlblom, t

e n s t e

i

n.

Zeugnis vou

so schöner Vollendung, in eiuer solchen

Fülle von biblischer Tiefe in Dorpat wol ist.

gegen unsere

herbeiführte.

Geradezu ausgezeichnet war Carlbloms Predigt, der Gnade, wie

von der Redner-

Kämtz

der Wissenschaft

bezeugen die drei letzten Predigten des Livländers

Anklage

des Physikers

Verfolger

als

selten

gehört worden

(Carlblom hat auch die letzte goldene Medaille, die für die

Bearbeitung dieses Gegenstandes ausgesetzt war, erhalten.)» Philippi ein

war damals noch

paar Jahren

(seit

eine

1842) in Dorpat

frische Kraft, die

erst seit

wirkte, aber gleichwol auf

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:

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

310

Studirenden

die

bereits

mächtigen

einen

ßeurtheilung Philippis finden wir fach

der

citirten

Broschüre

einer reinen,

Da

nun

ein

in

festes,

makellosen Persönlichkeit

so

Zur

ausiibte.

«Mit

.

.

.

klares, consequentes

aber Consequenz, zumal

sich paart, zu allen Zeiten auf die

ausgeübt hat,

Einfluss

der in diesem Aufsatze mehr-

eigentümlichen Schärfe des Ver-

der jüdischen Nationalität

standes war bei Philippi alles

System gebracht.

in

folgenden Ausführungen:

die

gewann auch

wenn

sie in

wahrer Begeisterung

mit

Jugend einen gewaltigen Zauber

Philippi

auf die Studenten einen

ausserordentlichen Einfluss, so dass noch jetzt, nach vier Decennien.

wärmster Verehrung und Dankbarkeit seiner gedenken. Durch seine fast vor einem halben Jahrhundert begonnenen dogmatischen Vorlesungen hat er der theologischen Facultät die Richtung gewiesen, von der seine ehemaligen Schüler nur

mit einer einzigen

sie

wichen

den Ausdrücken

in

Ausnahme

bis heute kein

und Berlin und Hess sich 1833 J.

breit abge-

um nach Rostock

zu

Keil war gebürtig aus dem Voigtlande, studirte in Dorpat

gehen.

Im

Haar

ist.»

Philippi verliess Dorpat im Jahre 1852,

in

Dorpat

als Privatdoeent nieder.

1839 stieg er zum ordentlichen Professor empor, wurde 1858

emeritirt und lebte

seitdem

in Leipzig,

wo

er im Frühling dieses



Busch war 1824 49 Professor der historischen Er ist ebenfalls schon aus dem Leben geschieden. Harnack wurde 1843 Privatdoeent in Dorpat, ging später nach Erlangen und wurde 18G9 von neuem als Professor der praktischen

Jahres

starb.

Theologie.

Theologie nach Dorpat berufen, emeritus

lebt.

Von den

in

dem

wo

er

gegenwärtig als professor

Briefe namhaft gemachten Studenten

der Theologie starb Carlblom als Generalsuperintendent von

um

Hinsch

1878,

als

Divisionsprediger

in

Smolensk

Moskau

1869

und

Lichtenstein als Prediger der deutschen Stadtgemeinde in Mitau 1860.

Ueber die Doctorpromotiou Hainacks weiss ein Brief vom 28. April 1844 Folgendes zu berichten «Vor vierzehn Tagen war Harnacks Disputation. Sie fiel seingut aus. Nie war eine grössere Anzahl Studenten zusammen. Die Dissertation Harnacks war, wie auch die Disputation, deutsch. Thema: Die Idee der Predigt, aus dem Wesen des protestantischen Cultus entwickelt, voll hübscher Gedanken. .

.

.

Philippi griff mit Scharfsinn an, Carlblom (Oberlehrer der Religion

am Dorpater Gymnasium,

eine Zeit lang Stellv. Professor.

mit der würdevollen Klarheit, die ja

D. Ref.)

der Spiegel dieses

tiefen

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:

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

311

Doch antwortete Harnack gut und gewann Beifall. Zuletzt trat als Extraopponeut Kruse (Prof, der Geschichte bis D. Ref.) auf. Der 1853, starb bald nach seiner Emeritirung. kleine spitze Mund, der viele lateinische Sätze rasch .hervorsprudelte, arbeitete tüchtig. Als Harnack deutsch antwortete, entstand Gelächter, was den Kleinen etwas verlegen machte. Mehr noch geschah dies, als er nun mehr Ungereimtheiten in Geistes

ist.

der nächsten Viertelstunde

vorbrachte,

Jahren gehört haben mochte.

Z. B.

das Auditorium

als

in

«Unsinn, dass du die Predigt

:

das Bild der prophetischen Thätigkeit Christi im Cultus nennst,

denn es wird

in ihr

das Lachen, rings

> Immer lauter wurde waren die hinten Stehenden auf Bänke bildeten ein dichtgedrängtes Amphi-

doch nicht prophezeit.

um

und Stühle gestiegen

ihn

und

theater, das jede seiner Niederlagen begleitete.

erst eine

mit

schallendem Gelächter

Harnack schonte ihn nicht und rieth ihm Dogmatik anzuseheu, ehe er disputire.»

endlich,

Die Urtheile und Schilderungen Hesselbergs erscheinen fern nicht ohne Bedeutung, als er offenbar nicht

Augen

lichen in

des Durchschuittsstudeuteu

Dingen, die im Zusammenhänge

mit

mit den

inso-

jugend-

sah, sondern, namentlich

seinem Studium

eiuen sehr ausgereiften und geklärten Blick besass.

standen,

Die Facultät

wusste seinen früh entwickelten Geist wohl zu schätzen und

hielt

für ihn bereits den Lehrstuhl des unmittelbar vor seiner Emeritirun^ stehenden Busch bereit, als sein plötzlicher Tod ihn der sich ihm so verheissuugsvoll öffnenden Laufbahn entriss. In wie hohem

Grade

die Professoren sein Hinscheiden betrauerten, geht aus

Seeberg abgedruckten Beileidsbriefe

den Philippi

hervor,

dem

bei

an

die

Mutter des Verstorbenen schrieb und der u. a. folgende Stelle enthält ... «Er war der Stolz und die Hoffnung unserer Facultät, er wäre auch die Zierde unserer Hochschule und der theologischen Wissenschaft geworden. Er war geliebt von Feinden wie

Freunden des Evangeliums, denn

welche

die,

der Ernst

seines

Charakters und die Entschiedenheit seines Bekenntnisses in Wort

und Tliat hätte abstossen können, wurden doch durch die kindliche Anspruchslosigkeit und die liebenswürdige Bescheidenheit seines Wesens gelockt und festgehalten.» .

Zum

Schlüsse setzen wir

einige

.

.

biographische Notizen über

Hesselberg hierher, die wir ebenfalls dem Seebergschen Buche ent-

nehmen

:

Karl Hesselberg

war geboren im Pastorat Sackenhausen im

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:

312

Studentische Strömungen in den vierziger Jahren.

Später wurde sein Vater nach Dal-

südwestlichen Kurland 1825.

bingen in der Nähe von Mitau versetzt,

welcher letzteren Stadt

in

Karl das Gymnasium besuchte, das er im J. 1842

Er

unter sämmtlichen Reifeprüflingen verliess.

von 1842—46, erzielte für

von

der

freien

Gnade Gottes

bestand 1848

examen.

Seine Dissertation handelte

Der junge Gelehrte

Er

bahn zu bleiben.

Dogma

über Tertullians Leben und

nach Angern (Kur-

Rufe

erhielt

land) und Marienburg (Livland), entschied dahin, bei der so erfolgreich

Dorpat

glänzender Weise sein Magister-

und

in

das

behandelte, die goldene

Christo

in

Medaille

Schriften.

als der tüchtigste

studirte in

eine Preisaufgabe, welche

aber zuletzt doch

sich

begonnenen

wissenschaftlichen Lauf-

ihm angetrageuen

bereitete sich schon vor, den

Lehrstuhl anzutreten, da raffte ihn

am

1848 zugleich mit

21. Juli

seinem Vater die Cholera dahin. Hesselberg besass auch ein hübsches dichterisches Talent, das bereits in seiner frühesten

Knabe machte «

Jugend zu Tage

Schiller,

an

ein

schweizerisches

Biographie theilweise abgedruckt

ist,

vom Vater vorgeleseneu

einen

Während Drama «Stussi

Der Reichstag zu Wien».

er

dramatischen Versuch Schuljahre

seiner ,

Als siebenjähriger

trat.

er sich, angeregt durch den

Krieg von

30jährigen

dichtete

der Seebergschen

das in

aber gerade von keiner sehr

Begabung für das Dramatische zeugt. Grösser war Hesselbergs Talent für die Lyrik, seine Lieder sind meist und innig empfunden, doch ist der Ausdruck nicht immer von der erforderlichen Prägnanz und Anschaulichkeit, während die Form hervorragenden

tief

hin und wieder etwas vernachlässigt erscheint.

Natur,

weichliche

die

nur

beim Verfechten

Seine zarte, etwas einer Idee

von

er-

staunlicher Kraft und Zähigkeit war, tritt in den folgenden Versen in ihrer

ganzen Eigenart hervor:

-Mich drängt’ es nicht, in froher Lust Mit den Genossen mich zu schaaren, Kampf ich keck die Brust. .

.

.

Nicht bot zum

Ich könnt’ die andern nicht verstehen,

Sah ich sie toben auf der Flur, Mir schien es stets ein roh Vergehen

Am

Liebesgeist und der Natur.»

.

.

.

In Dorpat dichtete Hesselberg für die Schaar seiner Gesinnungs-

genossen

(die

«unerschrockene

Kohorte»)

ein

Bannerlied»,

welches zu dem Schwungvollsten und Bedeutendsten gehört, das er geschrieben.

Der Anfang desselben

lautet:

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!

Studentische Strömungen

313

den vierziger Jahren.

in

zum hoU’gen Martyrthum,

Auf, auf

Der Herr

will dich verklären.

Fahr’ hin, fahr’ hin, du ird'scher Ruhm,

Du Glanz der eitlen Ehren. Nun trag’, mein Volk, die Dornenkron’, Die ich zuvor getragen,

Der Purpur

soll,

Hohn

wie mir, zum

Dir um die Schultern schlagen.

Du

mit Schmach begossen sein,

sollst

Gesunken vor den Leuten.

Und

Schand’ hinein,

führ’ ich dich in

Sollst du nicht widerstreiten,

Du sollst, Und deine

mein Volk, geschlagen sein Schläge leiden,

Gedenke dran

Ich

:

die Rach’ ist

mein,

will für dich entscheiden

!>

Ein bisher noch ungedrucktes Gedicht von ihm, das den

«Curouia und Livouia»

führt,

wägt

die

Vorzüge der

Namen

beiden Pro-

vinzen gegen einander ab und spricht dabei manchen hübschen Ge-

danken aus.

Da

der älteren Zeit

es aber viel von dem, namentlich den

eigenen Particularismus

sich birgt, so bringen wir es citiren

rischen

nur die folgende

nicht

lieber

Kurländern

und Provinzialdünkel in zum Abdruck, sondern

(freilich ebenfalls

nicht wenig mit dichte-

Ueberschwenglichkeiten durchsetzte) Stelle,

in

welcher die

Jungfrau Curonia sich zu ihrer stolzen Nachbarin wendet, die den ersten Platz für sich beansprucht: «lieh

las

im Buche der Geschichte,

/*

Wie Kurlands Söhne diel» befreit, Als über dich im Blutgerichte Entschied der Waffen wilder Stieit.

Wohl

musst’ ich in der Chronik lesen.

Dass du dich Mutterland genannt,

Doch Zeug

ist

mein Land

allein

mir’s, der Freiheit

Wohl

seh' ich unter

gewesen,

Vaterland

fremdem Schilde

Die Schiffe liegen auf der Höh’



Stolz zog mit ihrem Löwenbilde

Die Flotte Kurlands

in

die See

!

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314

Studentische Strömungen

in

den vierziger Jahren.

Es reden meine muth'gen Söhne Nicht, wie ihr

Ruhm

so herrlich sei,

Sie Hessen auch das Wortgetöne,

Sie

Wir

sprachen

nicht und

waren

frei.»

sehliessen in der Hotl'uuug, den Lesern einiges Interesse

für die begabte,

und

ehrenwerthe

mit wahrhaft

liebenswürdigen

Gaben des Gemüths ausgestattete Persönlichkeit abgewonueu zu haben, welche ihnen auf diesen Blättern eutgegeugetreten es auch nur ein Wirkungskreis

ist.

War

von untergeordneter Bedeutung, der

Hesselberg während seines kurzen Lebens beschiedeu war, so zeigte er doch schon hier Gesinnungen und Anlagen, die ihn

späteren Laufbahn

eiuem

zu

gewiss

tüchtigen

auf seiner

und erfolgreichen

Vertreter seiner Wissenschaft, zu einem würdigen Mitgliede unserer

Landeskirche gemacht hätte.

Eberhard Kraus.

-

*

% *.

>*\ :

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\

Die Gefolgschaft der Frau von KrUdener.

Etüde sur

lc* origines

de ln Saintc- Albaner.

Strasburg, 1887.

Gr.

8.

Var E. AI uhlenbcck

(Paria

uud

S. 332.).

den berühmt gewordenen Söhnen unseres Landes haben

nur einzelne, langten

Töchtern

zurückgelassen.

von

desselben

den zu einer gewissen Notorietät hat

keine

in

ihrer

ge-

Heimat Spuren

Die bekannteste Livläuderin neuerer Zeit, Juliane

von KrUdener, war so durchaus unlivländisch, dass sie vielen ihrer Landsleute erst durch eine Abhandlung ins Gedächtnis gerufen

worden ist, welche C. Schirren vor nächstens dreissig Jahren der merkwürdigen Frau an dieser Stelle widmete. Auf dieses Cabinetstück biographischer Kunst weiden sich heute nur noch wenige Leser der «Baltischen Monatsschrift» besinnen. Für diese sei bemerkt, dass die Schirrensche Charakteristik der Frau von Krüdeuer weder früher noch später übertrolfen worden ist und dass derselben auch gegenwärtig, wo zahlreiche, damals verschlossene geschichtliche Quellen geöffnet worden sind, Wesentliches nicht hinzugefügt zu werden braucht. Wer die berühmte Schwärmerin war und wie sie dazu geworden, hat ihr livländischer Beurtheiler genauer gewusst, deutlicher gesagt als irgend ein Anderer. Höchstens dass das damals entworfene Bild eines Rahmens bedarf. Auf einen solchen haben die nachstehenden Blätter es abgesehen, indem sie

wie

festzustellen versuchen, sie

zu einer Geltung

wofür Frau von Krüdener gelangte,

hältnissen versagt geblieben wäre.

die

An

ihr unter

der

Hand

galt

und

normalen Verdes Mühlenbeck-

schen Buches, welches nicht sowol die Vorgeschichte der Heiligen

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Die Gefolgschaft der Frau von Krüdeuer.

316

Allianz, als die Geschichte einer dieser vorausgegangenen geistigen



Verirrung erzählt

an

der

Hand

dieses

Buches

soll

von eigeu-

thüralichen Verhältnissen berichtet werden, welche die Tochter des

Hauses der marienburgschen Vietinghof auf die YVeltbtihne geführt und zur Wehmutter eines europäischen Fürstenbundes gemacht haben. Kein Abschnitt neuerer Geschichte hat so zahlreiche und so bemerkenswerthe

Bearbeitungen

erfahren, wie

das

der

Zeitalter

Befreiungskriege und der auf diese folgenden europäischen Wieder-

Weil

herstellungen.

Jahre

die

1813

bis

1823

nahezu

für

alle

Nationen des Welttheils bedeutsam gewesen waren, haben Deutsche

und Russen, Engländer und Franzosen, Spanier und Italiener Darstellungen des grossen Processes unternommen, der auf den Zu-

sammenbruch der napoleonischen Gewaltherrschaft folgte. Der geistigen Bewegung dieser merkwürdigen Zeit ist dabei eben so wie den kriegerischen viel Aufmerksamkeit zugewendet worden, und politischen Ereignissen. Schon wegen des beispiellos engen Zusammenhanges, der zwischen den Gedanken und Stimmungen, den Wünschen und Hoffnungen der Culturvölker des damaligen Europa bestand, erschien unvermeidlich, dass bei diesen Darstellungen weit

allgemeinen

ausgeholt und dass die Betrachtung der

den Vordergrund

der Zeit in

der Befreiungskriege doch

auf

Kirchenthum

und

wurde.

gerückt

und

auf äusseres

Wissenschaftsleben,

Signatur

Hatte die Periode inneres Staatswesen,

Literatur

und Kunst

der betheiligten Völker gleich nachhaltig gewirkt und in noch nicht

dagewesener Weise das Nächste

dem Entferntesten in VerIm Grunde genommen war es ja eine und die-

bindung gebracht.

Flamme gewesen, an welcher

selbe

mit

Burschenschaften, Carbonari und

Dekabristen sich erhitzt, die Maler der Nazarenersehule, die Forscher

und Dichter der deutschen und der französischen Romantik sich

wärmt hatten lichen

wenn

Wer

!

zugleich

von

den

Anderen

handeln und,

Werke ging, auf den gemeinsamen Heerd Bewegung jener mächtig bewegten Zeit zurückgreifen.

er gründlich zu

der geistigen

Trotz

der

Vielgestaltigkeit

wendeten Arbeit übrig.

er-

Ziele und Ausgangspunkte der Einen verdeut-

musste

wollte,

Dass

Kirchenglauben

Napoleons in höchst

die

bleibt

die

über

der

den Gegenstand vernoch Manches zu sagen Rückkehr zu Volksthum,

auf

t

und Ueberlieferung der Väter» nach dem Sturze um die Welt machten und dass dieselben

Runde

eigenthümlicher Weise

perhorrescirten

der

denselben

Losungsworte

mit

gewissen Schlachtrufen

revolutionären Zeitalters verquickt wurden

des

•— das

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Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

317

weis« freilich, wer von der Geschichte des grossen'russiscb-deutschfrauzösischen Krieges und seines Ausganges überhaupt etwas weiss.

Der Strom,

welchen

der Culturvölker damals an ihm eine wer immer von den Ufern der alten Zeit zu denjenigen der neuen übersetzen will. Der Hauptsache nach, sind auch die Nebenflüsse und Querthäler bekannt, deren Wasser in das grosse Bett der Reaction gegen die Aufklärung»- und in

Zusammenflüssen,

Weile

Revolutionsideen

Ufern

den

an

die Geschicke

von so ansehulicher Breite, dass

ist

muss,

steheu

stille

Besonders ausführlich pflegen

zusammenflossen.

Gewässer

dieser

geschichte zu verweilen, denen

gewisse Nautiker

der

Kirchen-

«Umkehr» der

die sittlich-religiöse

Restaurationszeit noch wichtiger und folgenreicher gewesen zu sein

Und das

dünkt, als die politische und nationale.

Während

Grund.

worden

zerstört

Kirche die in

von

der

viele

wieder

führten Staatenbauten

datiren

sind,

dem

nicht ganz ohne

die

Europa aufge-

restaurirten

von Grund aus

eingestürzt, andere

römische und die evangelische

jener Periode eine Erneuerung und Wiederherstellung,

seit

gewissem Sinne noch gegenwärtig fortdauert. Zu den mächtig-

und widerstandsfähigsten kirchlich-theologischen Systemen der

sten

Gegenwart, dem römischen Ultramontanismus und dem lutherischen Orthodoxismus, wurde des Heiligen Bundes, die

Schriften

der

den Jahren 1813 bis 1823 der Grund ge-,

in

nachdrücklicherer Weise

ungleich

In

legt.

die Protokolle

Gentz und

die Paragraphen

als

des Wiener Congresses

Adam

wirken

Müller

und Bulle

die

omnium, de Maiströs Bücher, Claus Harms' Thesen und unverSchleiermachers Lehrbücher in unsere Tage hinüber gleichlich tüchtiger als die Schutzwehren der deutschen BundesSollicitwlo

,

und

verfassung

wiener

der

restaurirten Kirchenglaubens

der

revolutionären

schied.

so die

gelegen

dass

,

politische

der

deren



ein

katholischen innere

Restauration

Spanien abgesehen

sich

Zeitströmung bewährt,

Rücksichtlich

hat

in

den

und

folgte

Einfluss

keit auf die Völkergeschichte nicht

Dafür



haben die Mauern des im Kampf gegen den Andrang

Schlussacte

der

wohl

protestantischen

mit Unter-

allerdings

Kirche äussere

und

hat

die

Sache

Erneuerung

dass



etwa

auf

von

wiedererwachten Gläubigbehauptet werden kann.

Ländern,

zumal

denjenigen

des deutschen Nordens, die «Rückkehr des Volkes zu den Altären seiner

Väter»

an

dem Wiedererwachen nationalen

Bewusstseins

und nationaler Thatkraft in der That sehr erheblichen Antheil gehabt. Vor Ueberschützungen desselben wird man sich ebenso

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Die Gefolgschaft der Frau von Kriidener.

318

hüten müssen,' wie vor der früher

gangbar gewesenen,

von überAnschauuug,

eifrigen Kirchengeschichtlern noch heute verfochtenen

ob

als

die

Befreiung Deutschlands

von

überhaupt erst durch die Befreiung der Vorherrschaft

der

erst

befangener

Betrachtung

durch die

religiöse

kann

Ausgangspunkt der Bewegung

evangelischen Kirche vQn

Anschauungen,

rationalistischer

Aufraffung

der Franzosenherrschaft

die

ermöglicht worden

nicht

zweifelhaft

nationale sei.

dass

sein,

in äusseren Ereignissen

lag,

Under dass

und

Erregung der Gemüther kirchlichen politisch-nationalen Erneuerungsbestrebnngen gleichmässig zu

gute

kam und

die durch diese hervorgebrachte

dass ein wechselseitiges Hinübergreifen der Motive

stattfand, welches

die

Frage nach Ursache und Wirkung gegenDie Zeugen der Katastrophe von 1812

standslos erscheinen lässt.

standen

unter

dem Eindruck

aller

eines Bankerotts

seit

der

Aufklärungszeit herrschend gewesenen Anschauungen und waren demgemäss geneigt, auf den verschiedensten Gebieten das Gegentheil dessen anzuerkennen, was vorher Geltung besessen hatte. Man glaubte ein Wunder erlebt zu haben und war darum geneigt, an andere Wunder, neue wie alte, zu glauben. Bei der Masse der Zeitgenossen

verflog

die

Begeisterung

sittlich- religiöse

eben so rasch wie die politisch-nationale übrig, welche

die Fähigkeit

indessen

Einzelne blieben immerhin

:

besassen,

kommende Geschlecht

das

Bahnen zu zwingen und bei den Söhnen zu erreichen, was Väter nicht mehr hatten aufbringen können. Wie immerdar und allenthalben standen die wahrhaften

in ihre

die

Männer der Zukunft während der Jahre 1813 der vordersten Reihe.

Ihre Stelluug wurde

bis

1823 nicht in

von Schein-

vielfach

grössen eingenommen, welche als Träger der Situation galten, weil sie

sich

dieser Situation

unterzuordnen

wussten

oder

Irrthümer mit denjenigen der Zeit zusammentrafen.

weil

Während

ihre die

Rückkehr zu den Heiligthümern der Väter auf dem Hintergründe der Scene wirkten und erst nach Wiederherstellung der Ruhe der Gemüther zur Geltung kamen, tunjmelten sich auf dem Vordergründe Vertreter einer ganz anderen Richtung. eigentlichen Apostel der

Schwärmer und Phantasten, welche bis dazu in der Stille ihr Wesen und mit Ankündigungen des tausendjährigen Reiches,

getrieben

der Besiegung des Antichrists, des neuen Himmels und der neuen

Erde kleine und unbemerkte Gemeinden um sich gesammelt hatten, begannen für eine Weile bei den Grossen der Erde Gehör zu finden

und auf diese Einfluss

zu

üben.

Aeusserlich

stellte

die

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Die Gefolgschaft der Frau von Kriidener.

Sache sich

neue und

so

dar,

habe

als

frisch entdeckte

Wahrheiten zu verkündigen hatten

keit handelte es sich nur

dem Untergründe der

Was

:

in

Wirklich-

darum, dass der gewaltige Wellenschlag

der Ereignisse eine trübe Hefe war.

319

ungeheure Bewegung der Zeit

die

Propheten geschaffen, welche der Welt u e u e Offenbarungen

auf die Oberfläche

trieb,

die auf

Gesellschaft lange zuvor vorhanden gewesen

Juliane von Krüdener

quartier der Verbündeten von

und deren Genossen im Haupt-

1813 predigten, war nicht ihre eigene

Weisheit oder Tollheit, sondern uralter Wahn- und Irrglaube, dem

man

ein

zeitgemässes

Kleid

umgehängt

Anhänger

hatte.

der

phantastischen Vorstellungen, mit denen die Tochter des rigasehen

«Geheimraths» vor den Kaiser Alexander I. trat, gab es während das. des in Rede stehenden Zeitpunktes in aller Herren Ländern :

Nachweis gewesen

Mühlenbecksche

Buch

elsässische

Schwarmgeistoreien

von

Krüdener zum

führt

Opfer

den

gefallen.

,

dass sind

Er erzählt

dieses Processes mit einer Ausführlichkeit,

es ,

specifisch

Geschichte

die

zuweilen

die

Frau

denen

ermüdet,

indessen eine grosse Zahl merkwürdiger und bisher unbekannt ge-

wesener Thatsachen zur Sprache bringt.

Bei

einzelnen

derselben

wird verweilt werden dürfen. Juliane von Krüdeners angebliches Proplietentlium rührt von

dem Aufenthalt

her,

den dieselbe im Juni 1808 in dem protestanti-

schen Pfarrhause zu Markirch (Saintc-Marie atu

genommen

Wahn

Minen) im Eisass

Der Mann, der die merkwürdige Frau in den ausserordentlichen Bestimmung wiegte und von dem

hatte.

einer

nachgewiesen

ist,

dass er sie zu ihren Ausschreitungen aufstachelte,

war ein notorischer Betrüger und hiess Jean Fredöric Fontaines. Es hatte damit folgenden Zusammenhang. Zu Markirch bestanden zwei reformirte Gemeinden eine ,

deutsche uud eine französische, die unter den Wirren der Revolutionszeit

schwer gelitten hatten, durch Zuzügler aus den benachbarten

schweizer Cantons erheblich an'gewachsen waren

und

unter ihren

Anhänger mystischer und insbesondere Seit den furchtbaren ErAnschauungen zählten. schütterungen der französischen Revolution war der Glaube an den Mitgliedern

zahlreiche

chiliastischer

bevorstehenden Beginn des tausendjährigen Reiches eine Lieblingsvorstellung

zahlreicher

frommer Gemüther des deutschen Südens Hochangesehene Männer wie

und der Nachbarländer geworden.

und Jung-Stilling hatten dieselbe getheilt. Auf seinem letzten Krankenlager hatte der Erstere sich mit der Hoffnung geLavater

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320

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

tröstet,

«dass das Reich des Herrn und die Offenbarung desselben

auf Eiden näher

sei,

als kein

Gläubiger oder Ungläubiger denken

dem benachbarten Karlsruhe lebende Jung hatte auf unwahren Zeitungsnotiz von der napoleonischen Expedition nach Egypten die Wiedereroberuug Jerusalems durch die Juden und das Erscheinen der «zwei Zeugen» (Offenb. Job. 11) mag».

Der

Grund

einer

in

vorhergesagt, ein angesehener irländischer Parlamentsredner Dobbs

den



in

Berechnungen



Untergang des verwandtem Sinne ausgelegt. Man besann sich auf G. Francks (eines hannoverschen Theologen) und

anscheinend unmittelbar bevorstehenden,

Papstthums

J.

auf Andeutungen der sogenannten Berleburger Bibel, die damit in

Zusammenhang gebracht werden konnten, und gelangte zu dem Schlüsse, dass

Jungs Vorhersagung, nach welcher das tausendjährige

Reich im Jahre 1816, spätestens 1819 beginnen einen hohen

Grad von Wahrscheinlichkeit

1820, längstens bis

sollte,

mindestens

In dem Glauben, zum Jahre 1815 oder

besitze.

«dass die im J. 1800 begonnene Periode bis

zum Jahre 1836 währen und



der gesammten Weltgeschichte bilden werde»

in

die

wichtigste

diesem Glauben

war Jung

überdies mit einem anderen angesehenen und «geprüften

Christen»,

dem Pfarrer Friedrich (Verfasser des «Glaubens- und

Hoffnungsblicks»), zusammengetroffen.

Die Gläubigen von Markirch

waren

scheidene Leute, die geräuschlos ihres

sagungen

des

aus

Zürich

zumeist

Weges

eingewanderten

stille

und

be-

gingen, den Vorher-

Arztes

Staub

(eines

Schülers Lavaters) gläubig zuhörten und den letzten Pfennig opferten,

um

ihrem Wohnorte die Wohlthat eines

Predigers

zu

Damit

sichern.

aber

in

ihrem Sinne lehrenden

hatte

ausserordentliche

es

Schwierigkeiten, seit die Revolutionszeit nicht

nur das Land aus-

geplündert, sondern die bescheidenen Staatsgehalte in Wegfall ge-

bracht hatte, welche den evangelischen Pfarrern

in

früherer Zeit

Als zu Anfang des Jahres 180;") beide Markirch thätig gewesene Prediger Berufungen in die Schweiz gefolgt waren, stieg die Verlegenheit der Gemeinden, insbesondere bewilligt gewesen waren. in

diejenige der deutschen, so hoch, dass

man den

einzigen Bewerber

die ärmliche deutsche Pfarrstelle so zu sagen «unbesehen»

hiess

und ohne weiteres

in das verödete

Der neue Pfarrer Herr Fontaines war beredter und in

confessioneller Rücksicht

brachte eine Frau und

fünf Kinder mit,

der verschiedensten Richtungen

um

willkommen

Presbyterium einführte. ein wohlaussehender,

weitherziger

verkehrte

Mann

;

er

mit Personen

auf ungezwungenem Fuss, bewies

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Die Gefolgschaft der Frau von Krfldener.

den beiden Häuptern

321

der pietistisch-chiliastischen Partei, dem

er-

wähnten Dr. Staub und dem hochangesehenen Küster Schmidliuber, und wusste sich in der Gemeinde so gut festzusetzen, dass man ihm eine gewisse Weltlichkeit nachsah und

den gehörigen Respect

seine Vergangenheit

dass die über

umlaufenden wenig

günstigen

Gerüchte allmählich verstummten. Eine alte Bauersfrau wollte Herrn Fontaine»

im Gefolge

des berüchtigten,. Eulogius Schneider,

eines

vom Expriester zum Jakobiner und Kirchenschänder gewordenen Fanatikers, gesehen haben und klagte den Pfarrer der Theilnahme

an den 1794 zu Strassburg begangenen blutigen Greueln an: geschickte

Mann

wusste sich durch Uebergang

der

das Lager der

in

«Erleuchteten» seiner Gemeinde indessen so günstig zu empfehlen, dass seine Anklägerin

durchzudringen

nicht

vermochte.

Die Er-

regung der Freunde Staubs und Schmidhubers war eben damals (1805 bis 1807) auf einen aussergewöhnlichen hohen Grad gestiegen. Alltäglich wusste der im Ruf besonderer geistlicher Gaben stehende Küster und Glockenläuter

zu Tage getretenen «Zeichen

neu

von

der Zeit» zu berichten, die auf den Anbruch des unmittelbar bevor-

stehenden tausendjährigen Reiches hinweisen sollten.

«Krieg, Pesti-

f

lenz und Aufruhr» waren aus den verschiedensten Theilen der eivilisirten

Welt gemeldet worden, und

am Himmel

dräuender Komet

an dem Eintritt

geschwunden

der

sein.

sich

als

sollten

zeigte,

vorhergesagten

im October 1807 ein die

letzten Zweifel

apokalyptischen Katastrophe

Besonderes Gewicht wurde dabei auf die Vorher-

sagungen einer mit himmlischen Gesichtern

und

geheimen Olfen-

barungen reich begnadeten Jungfrau, der Prophetin Marie

Neu-Kleebronn

Würtemberg,

in

raschung plötzlich

in

Kummer aus

gelegt, welche zur allgemeinen Ueber-

Markirch erschienen, von den Sehmidhuberschen

in das Haus Fontaines' geführt und von diesem mit höchster Verehrung und dankbarer Bewunderung aufgenommen worden war. Die Erklärung für Fontaines’ Verhältnis zu Marie Kummer

Eheleuten

ist erst viele

Jahre später gefunden worden.

Beide

waren abge-

feimte Betrüger, die sich als solche erkannten und die Gläubigkeit ihrer

Umgebung zur Sicherung und Besserung

ihrer

durch

ein

vorwurfsvolles Vorleben gefährdeten materiellen Existenz auszubeuten versuchten.

An

Kummer mögen Antheil



damals fünfzigjährigen



körperliche und geistige Krankheit einen gewissen

gehabt

Blnte und mit

den Verirrungen der

haben all

Fontaines hat

:

unzweifelhaft

der Ueberlegung gehandelt,

deren

bei

kaltem

sein

mittel-

mässiger Kopf fähig war. ftaltisrlie

Monatsschrift

ILintl

XXXV,

lieft 4.

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322

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

Der Pfarrer von Markirch hatte von .fugend auf ein Abenteurerleben geführt. Seiner Angabe nach stammte er aus einem gräflichen Geschlechte, das nach Aufhebung des Edicts von Nantes in

Baden Zuflucht gefunden



hatte,

in

Wahrheit waren sein Vater

und sein Grossvater markgräfliche Hofperrückenmacher zu Karlsruhe gewesen und hatte er die ihm von diesen gebotenen Bildungsmittel nur höchst mangelhaft benutzt.

sischen Revolution Student

Bei Ausbruch

in Strassburg, hatte

eines Commissars, richtiger Spions, der

er

zum Einmarsch

der franzödie

in

Stellung

Deutschland

bestimmten Armee Custines angenommen, dann zu den Jakobinern geschwenkt und die Freundschaft des öffentlichen Anklägers in Strassburg, des erwähnten Terroristen Schneider, erworben.

auf diesen Abschnitt

von

Leben bezügliche,

Fontaines’

Eine den

in

Kirchenbüchern von Leinsweiler aufgefundene Notiz bestätigt wörtlich,

was

die Bauersfrau von

scheinen in

ihrer

Markirch zur Zeit von Fontaines’ Er-

Heimatgemeinde

erzählt

hatte

«

:

Er bekleidete

zur Zeit der Jakobinerherrschaft die Stellung eines Commissars und

dann die eines Bauerugenerals im Eisass. Schneider und

soll

Er war

ein

mit diesem blutige Tollheiten

anderen

Fontaines sollte mit

Freund von

.

.

.

getrieben haben.

werden, wurde

erschossen

von

den

Kugeln aber nur an den Füssen getroffen und hinkte deshalb.» Eulogius Schneider hatte nach kurzer Frist abgewirtschaftet.

Ein St.

Weise

unkluger

dem

mit

allmächtigen

Conventsdeputirten

Just begonnener Streit kostete ihm den Kopf

Fontaines aber

kam mit

einer

Gerstheim ein Unterkommen.

Haft davon

und

(1.

April 1794)

fand

alsbald

— zu

Einer seiner früheren Genossen, der

Expastor Busch, bekleidete an dem genannten Orte die Stelle des öffentlichen Vorlesers im

den

republikanischen

halten.

Ende.

sperrung seines Freundes vollzogenen Heirat

weihe

«Tempel der Vernunft» und

Decadenfesten

Hess ihn zu

theologisch -politische

Reden

Mit dem «Oultus der Vernunft» nahm es indessen rasch ein Busch kam ins Gefängnis, Fontaines benutzte die Ein-

zu

zu einer

wider

mit Busch’ Tochter,

den Willen der Eltern

wusste sich die Prediger-

und erhielt eine Stellung als reformirter Prediger zu Oberseebach bei Weissenburg. Nach Jahresfrist (im verschaffen

Juli 179(5) musste

er

durch Theilnahme

an

hatte.

Nicht

besser

dieses

anderen Planstellen, die

Wunderthäter

spielte,

Amt

indessen

niederlegen,

pietistischen Oonventikeln Anstoss

in

weil

er

gegeben

dem unwürdigen Manne in zwei ihm abgenommen wurden, weil er den schändlicher Weise dem Aberglauben

erging

es

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Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

Vorschub

323

und gleichzeitig das ziemlich erhebliche Kirchenvermögen einer seiner Gemeinden verschleuderte. leistete

Nicht minder bewegt war das Vorleben von Fontaiues’ Vertrauter, der Prophetin

Kummer, gewesen.

Als Tochter eines über-

spannten, in sittlicher Rücksicht ziemlich zweifelhaften, vornehmlich

mit geistlichen Vorträgen beschäftigten Winzers zu Neu-Kleeborn in

Würtemberg geboren,

leien

gewöhnt,

dabei

früh an Müssiggang und religiöse Tände-

kränklich

und verlogen, hatte

sie vierund-

verlassen, in Augsburg und Speier Verwandten zur Last gelegen, iu Wien die Somnambule gespielt, während ihres Aufenthalts in der österreichischen Hauptstadt das katholische Bekenntnis angenommen, nach ihrer Rückkehr in die Heimat das Propbetenhaudwerk getrieben, schliesslich zu Meinsheim ein Unterkommen im Hause des Plärrers Hiller gefunden und diesen Schwachkopf durch die Mittheilungen angeblicher OffenGemeinsam betriebene barungen zu ihrem Anhänger gemacht. Studien der Apokalypse und ihrer Ausleger knüpften das Band zwischen der Kummer und dem Pfarrer so eng, dass sie sich zur

zwanzigjährig das Elternhaus

Erzeugung eines der beiden im 11. Capitel der Offeubarung angekündigten Zeugen zusammenthaten und dass dieser am 8. Juni 1797 der Gestalt eines todtgeborenen Kindes zur Welt kam. Jetzt legte die Polizei sich ins Mittel, die Kummer wurde an den Pranger

in

gestellt

und zu

zum Amtsverlust freien

Fuss

wo

dreijähriger Einsperrung, der

wandte

hochwürdige Hiller

Nach Verbüssung

verurtheilt.

gesetzt,

ihrer Strafe

die halbtolle Betrügerin

auf

in die

sich

während des Jahres* 1800 als Auslegerin der Schriften Brägels und des erwähnten Friedrich die Rathsamkeit einer Uebersiedelung der Frommen nach Palästina so wirksam predigte, dass ein Dutzend Bauernfamilien sich in der That entschloss, der Prophetin Pfalz,

in

sie

das heilige Land zu folgen,

stehenden Anbruch des

um

die zu der weiten

aufgezehrt

die österreichischen

hafter die

;

daselbst den unmittelbar bevor-

tausendjährigen

Wien waren

Reise

Reiches

Armuth herabgesunkenen Auswanderer

Heimat zurück.

Speier und

von dort

abzuwarten.

gesammelten Mittel

Behörden sandten die

Die Anführerin derselben nach Markireh,

wo

zu

In

bereits bettel-

unter Bedeckung in

aber entwich nach

sie bei

ihrer Schwester,

der Frau des «erleuchteten» Küsters Schmidhuber, dann

bei

Herrn Pfarrer Aufnahme und Ermuthigung zur Fortsetzung

dem ihrer

prophetischen Thätigkeit fand.

Ueber die erste Zeit des Aufenthalts der

Kummer

im Fontaiues-

*>»>•

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:

324

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

sehen Hause

fehlen nähere Angaben. Für die Geschichte ihrer Wirksamkeit kommt erst das Jahr 1808 in Betracht sei bemerkt, dass diese Marie

öffentlichen

bevor auf diese eingegangen wird,

Kummer

dieselbe

Jahre lang

viele

welche Eynard, der Verfasser des bekannten,

ist,

als Quellenschrift behandelten

Buches über Frau

von Krüdener, mit einem Wunderschein umgiebt und zur Predigerin der höchsten und reinsten Moral macht.

— —

»Am

Bewohner zwei grosse Reisewagen vor der Thür des Aus der ersten der beiden Karossen stiegen zwei junge, elegant gekleidete Mädchen und eine im mittleren Lebensalter stehende weissgekleidete mit blauen Bändern geschmückte blonde Frau. Auf der Schwelle des Hauses erschien fünften Juni 1808 sahen die erstaunten

Markirch

des Dorfes

Pfarrhauses halten.

,

um

sodann der Pfarrer Fontaines,

mit den folgenden Worten zu begrüssen

da kommen

und feierlich du diejenige, die

die Reisende :

«

laut

Bist

oder sollen wir einer anderen harren ?»

sollte,

Die Fremden, an weiche diese Frage gerichtet worden, waren (damals

die

Krüdener, liche

Baronin

vierund vierzigjährige)

geb.

(die spätere Staatsräthin

Dem Mühlenbeckschen Buche bildung des Portraits

Barbara Juliane von

deren Stieftochter Sophie und leib-

Vietinghof,

v.

Tochter Juliette

ist

der Krüdener

eine

von Berckheim).

photographische Nach-

beigegebeu,

welches

die be-

Rom gemalt «Zeichnung und Colorit des Bildes, » so urtheilt ein Kenner über das gegenwärtig im Louvre aufbewahrte Original, «sind unkannte Angelika Kaufmann zwanzig Jahre früher zu

hatte.

bedeutend. niemals aber hat ein Gemälde seinen Gegenstand treuer

wiedergegeben.» in

einen Zopf

Gesicht.

Man denke

sich ein

von röthlich blondem, hinten

znsammengefasstem Lockenhaar

Aus den

weichlichen,

trotz einer

umgebenes rundes

gewissen Fülle zarten

Zügen sehen ein Paar grosse, feuchtglänzende Augen hervor, deren Ausdruck zwischen Schwermuth und Koketterie die Mitte hält.

Auf den von

Mund

sieht eine leicht nach

vollen Lippen ein geschlossenen, wohlgeformten

oben geschweifte weiche Nase herab,

welche den dem Gesicht eigenthümlichen Ausdruck charakterloser, zugleich sinnlicher und schwärmerischer

Verschwommenheit erhöht.

Kopf ist nach vorn geDemuth und Ergebenheit als Haltungslosigkeit und Schwäche andeuten kann. Lebhaft kann man Der auf einem

beugt,

weichen Halse

eine Stellung,

sitzende

die ebensowol

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;

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener. sich verstellen, dass die

Züge

dieses Gesichts

325

den verschiedensten

Ausdruck annelnnen, zwischen überraüthiger Freude und wehmüthiger sie in ungewöhnlichem Grade Mitleideu

Trauer wechseln und dass und

liebevolle

Theilnahtne

konnten.

einflüssen

Vertrauen

haben sie unter keinen Umständen erwecken können, weil sie eine Seele verratheu, die allen denkbaren Kegungen, nur nicht denjenigen wesen



ist

dem

streift,

der

einen Geist,

sittlichen Ernstes

die

zugänglich ge-

verschiedensten Gebiete durch-

die Stütze des Charakters aber

stets

und vollständig

gefehlt hat.

Der Lebensgang der auf dem Kaufmannschen Bilde dargeFrau

stellteu

ist

seinen Hauptumrissen nach

aus

den zahlreichen

derselben gewidmeten Büchern und Abhandlungen bekannt. sichtlich

der

nothweudig

Entwickelung derselben

religiösen

sein, bei

dürfte

Rückindessen

den kirchlichen Zuständen Livlands zur Zeit

der Kindheit und Jugend seiner berühmtesten Tochter einen Augenblick zu verweilen.

Barbara Juliane von Vietinghof war im Jahre der Publication

von Karl Friedrich

v.

Schoultz’s

«

Römershof-Ascheradensehen

Bauerrechten» (1764) zu Riga geboren und von dem Pastor primarius an der Domkirche Martin Andreas von Reussner (dem Mitherausgeber des rigaschen Gesangbuchs von 1782) getauft worden; unter den Nameu ihrer Pathen wird auch derjenige des Herrn

Landrath Karl Baron Schoultz genannt, ein Umstand, der darauf lässt, dass dieser damals aut dem Zenith seiner Un-

schliessen

popularität stehende treffliche Mann mit dem Geheimrath von Vietinghof, dem Vater Julianens, auf freundschaftlichem Fusse gewesen sein muss. Was wir sonst von dem «Geheimrath» wissen, lässt darauf schliessen dass derselbe nicht nur in politischer, sondern auch in religiöser Hinsicht der damals im Herauf kommen ,

begriffenen

rationalistisch

-

aufgeklärten

Richtung

augehört

habe.

Der Begründer des rigaer Stadttheaters, der «Müsse» und anderer dem «gebildeten Vergnügen» bestimmten Anstalten, war Mitglied des Freimaurerbundes, Würdenträger der rigaer Loge «zum Schwert», Freund der zeitgenössischen deutschen und französischen Literatur von seiner Gemahlin, einer dem trefflichen Sonntag befreundeten

Dame, möchte

gleichfalls

anzunehmen

sein, dass sie

dem kühlen

Verstandeschristenthum des philosophischen Jahrhunderts gehuldigt habe.

In dem Riga jener Zeit standen die steifleinene Orthodoxie,

wie sie von dem General-Superiutendenten Zimmermanu, dem Ober-

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32G

Die Gefolgschaft der Frau vou Krttdener.

pastor

Essen

v.

vertreten wurde, und die rationalistische Schule

u. a.

einander ziemlich unvermittelt gegenüber.

Knechten

des

Die unter Herren und Landes zur Grossmacht gewordene herrn-

flachen

hutische Gefühlsseligkeit hatte unter ßürgerthum und Geistlichkeit

Rigas niemals Eingang gefunden.

Otto Hermann

von Vietinghof

um

auf Kircheuthum und religiöses Leben

besonderes Gewicht zu legen.

Eine seiner Töchter hatte er an einen

war zu

sehr Weltmann,





Sohn des bekanntlich streng katholischen General-Gouverneurs Grafen Browne verheiratet, was auf eine für jene Zeit ausservon confessioneller Voreingenommenheit schliessen lässt von dem Gemahl seiner zweiten Tochter, dem Gesandten Alexis Constantin von Krüdener, wissen wir, dass er

gewöhnliche Unabhängigkeit ;

mit beiden Füssen auf dem Boden der Philosophie

des

18.

Jahr-

hunderts stand, Jean Jacques Rousseau persönlich kannte und seiue Frau,

unsere Heldin,

für

die

Anschauungen des Emile und der

neuen Heloise zu gewinnen suchte.

Auf den Julianens tiefer

auf die

«

Entwickelungsgaug und die Geschicke Barbara von Einfluss gewesen, dass sie ohne

es unzweifelhaft

ist

gehende

religiöse Bildung, in

einer

kirchlich

indifferenten,

Diesseitigkeit* gerichteten Gesellschaft aufgewachsen war.

I

Kaum sität

achtzehnjährig wurde das schwächliche, zu krankhafter Nervoneigende Mädchen

rissen

und

an

einen

dem heimatlichen Boden

vollständig ent-

vierunddreissigjährigen, zweimal verheiratet

gewesenen und zweimal

geschiedenen Diplomaten

verheiratet, der

ihrem lebhaften Geiste reiche Nahrung, ihrem Herzen bieten konnte,

geben können. in

was dessen zarteren Bedürfnissen

Im

weiteren Verlauf des Lebens,

das üppige Venedig,

dann an

die

schiedensten Einflüssen bewegt kennen gefehlt.

:

die

schaftssecretär Alexander Stakimo,

Welt den Nerv

des berliner Aufenthalts

hatte

in

Dann war

zu

Kopenhagen

vergebliche

Freundschaft der Königin Louise die Zeit ausgefüllt.

ver-

nur die religiösen batten

dem Gesandtdie

ihrer Existenz gebildet

das

sie zuerst

Welt von den

In Venedig hatte ein Liebesverhältnis

thuerei der grossen

das

von Kopenhagen und

Höfe

Berlin führte, lernte Frau von Krüdener

aber nichts

hätte Befriedigung

;

Voruehmwährend

Bemühen um

die

der Frau Geheimräthin

eine Periode ruhelosen Hin- und Herreisens,

und schriftstellerischer Anläufe gefolgt. Während Herr von Krüdener, von Sorgen und Krankheiten verzehrt, dem Grabe entgegenging und die in seiner dritten Ehe geborenen Kinder in der denkbar verkehrtesten Weise erzogen wurden, schweifte künstlerischer

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und

deutsche«

in

französischen Badeorten,

Russland umher, allenthalben nur

in

und mit Schaustellungen ihrer Eitelkeit See buhlte

um

Frau von

Am

Genfer

Stael, in Paris

zum Erfolge ihres Romans «Valerie» behilflich sein das eine Mal suchte sie als Shawlt&nzerin, ein anderes

ihr

sollten

;

als Musikkennerin,



glänzen, auf,

der

mit sich selbst

beschäftigt.

die Freundschaft der

in

Lobsprüche Bernardins de Saint-Pierre und Chateaubriands,

die

welche

Mal

um

sie

327

Gefolgschaft der Fra« von Krüdener,.

I)ie

Fra« Jnliare Schweiz und

gelegentlich

dann tauchte

um Beziehungen

sie

als

wieder

in

Freundin .Tean Pauls zu

Petersburg oder

nach

war an der

Wiedersehen

einem



,

Berlin

Der Tod des

schiedensten Gattungen und Arten zu suchen. geblich

in

zu nordischen Männern und Frauen der ver(ver-

Gatten (f 1802)

verlangenden)

gemütlilosen Frau eben

bei aller Sentimentalität

so spurlos vorübergegangen, wie der zehn Jahre früher (1792) erfolgte

Tod

ihres Vaters

sie

war

so

ausschliesslich schöne und

interessante Seele, dass sie sich niemals auf die Pflichten der Tochter,

i

Auch dann nicht, und der zweiten Jugend verrauscht, die Reize des blonden Haares, der schlanken Gestalt und der vollen Arme verwelkt waren und als sie, kaum einundvierzigjährig, so rasch Ehefrau oder Mutter zu besinnen vermocht hatte. als die

Tage der

ersten

zu altern begann, dass auf eine veränderte Lebensführung Bedacht

genommen werden

Was

musste.

Welt an Lust und Pracht, an

die

Erfolgen höherer und niederer Eitelkeit, an zarten und schwärmerischen Gefühlen bieten konnte,

ausgekostet worden bieten, irgend

Diesseitigkeit probirt:

bis

auf den

letzten Tropfen

wenn das Leben noch irgend welchen Reiz

:

welchen

eine andere, höhere

war

neuen Inhalt

gewinnen

sollte,

musste in

Welt geflüchtet werden. Mit allem, was konnte, hatte Frau von Krüdener

aufbringen

so blieb nur die Jenseitigkeit übrig,

um

die

es

(

welche man sich

Tage selbstsüchtigen Schwankens von Begierde zu Genuss und von Genuss zu Begierde nicht gekümmert hatte und die darum von dem vollen Zauber der Neuheit umgeben war. Bis zu dem Zeitpunkte, von welchem hier die Rede ist, hatte Juliane Barbara keine andere Gattung vou Religiosität als die rationalistische gekannt. Der Rationalismus war ihr in zwei verschiedenen Formen eutgegengetreten als die nüchterne Moral der während

der

:

vernünftigen Gedanken, welche die rigaer Theologen ihrer Jugend

gepredigt

hatten,

lieben Gott

scheinen

als

Hess.

und

zugleich

Von

romantisirende Schönseligkeit, die

als

liebenden

beiden

und

unbefriedigt,

zartfühlenden Vater

machte

unsere

den er-

Heldin

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:

328

Die Gefolgschaft der Fra« von Krüdener.

während

eines Aufenthaltes, den sie im Jahre

1805 zu Riga nahm, von welcher

die erste Bekanntschaft der herrnhutischen Richtuug,

kaum eingehendere Kunde

sie bisher

näheren Umstände,

der

sichtlich

Rück-

besessen haben mochte.

welche

diese

Wendung

dem

in

Leben der merkwürdigen Frau begleiteten, lassen die Quellenschriften uns im Stich. Die einen behaupten, der plötzliche Tod eines an dem Fenster der Frau von Krüdener vorübergehenden Bekannten habe dieselbe zur Einkehr und Besinnung auf sich selbst bestimmt,



von

wollen

andere

in Christo erschlossen

wirkung einer Wittwe Blau, rigaer Frömmlerclique

einer

frommen herrnhutischen Schuster Kundin das Geheimnis der göttlichen

einem

wissen, der seiner vornehmen

Gnade

mehrere Jahre später als Prophetin

zu

Das Mühlenbecksche Buch, das

von der Ein-

andere

wieder

habe, die

Berühmtheit

trauriger diese

verschiedenen

zählt, beschliesst den bezüglichen Bericht

gelangte.

Angaben

auf-

mit der nachstehenden,

durchaus zutreffenden Bemerkung: «In der Wolle gefärbte Pietisten pflegen von langsamen und allmählichen Bekehrungen nichts wissen

zu

wollen

faut

Je

für

:

sie

coup de

bedarf es

fandre

eines Gnadenblitzschlages

de Grncc) und

gelingt es regelmässig das gesuchte



machen.» loser, als

Für den vorliegenden

bei

kur

(il

einigem guten Willen

Wunder irgendwo

Fall gilt das

um

ausfindig zu

so bedingungs-

mit der wunderbaren Erweckung ein anderes, specifisch

Anschauungen entsprechendes Wunder zusammentrifft auf die durch plötzliche Sündenerkenntnis bewirkte Erweckung folgt sofortige Erhöhung Nahezu unmittelbar nachdem sich die vornehme Sünderin der Tiefe ihres Falles und des Umfanges der ihr pietistischen

!

zu Theil gewordenen unverdienten Gnade bewusst geworden, fühlt bereits zur Stellung

sie sich

rufen und

tritt sie

zusamraeugebrochen war.

Grade lichen

charakteristisch.

Wortes

ihr

in ein strenges

Weltkind und

unter

dem Druck

im Reiche Gottes beihrer Sündhaftigkeit

Dieser plötzliche Uebergang

Ausser Stande, Gericht

zu gehen, lässt

sie

phantastischen Neigungen sofortigen

vertieft sie sich so einseitig in die

hohem

ist in

des

die Pflugschar

Herz durchfurchen zu lassen und mit

sittliches

ihren

einer Leuchte

auf die oberste Sprosse der Himmelsleiter, an

deren Fusse sie eben erst

gött-

sich selbst

echtes

als

freien

Lauf

schwärmerischen Einseitig-

keiten des herrnhutischen Pietismus, dass zu

der

für

jede innere

Erneuerung unentbehrlichen Prüfung «von Herz und Nieren» keine Zeit übrig bleibt.

Weg

der

In Selbstbetrug alt

geworden, glaubt

Sie

den

Gnade und Erneuerung mit einem Sprunge zurücklegen

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Die Gefolgschaft der Frau von Kriidener. und

in

der Gemeinde

zu können, das ihr auf den Märkten geblieben war.

D

i

e

das Herrscheramt

der Gläubigen

Gläubigen

waren schwach und vornehmen Proselytin zu

der

hohen Eitelkeit versagt

aber, in

deren Mitte sie alsbald

genug,

kurzsichtig

trat,

theilen

329 erlangen

und dieselbe

um den Wahn in

der

dem Glauten an

ihre angebliche höhere Mission zu bestärken.

An

die Stellung

einer

politischen Prophetin, Buss-

neuerungs-Predigerin, wie sie

sie

Frau von Kriidener zur Zeit

ihrer

dacht und nicht denken

können.

und Er-

in Anspruch uahm, hat «Erweckung» freilich nicht geVon einem Zusammenbruch des

später

I

auf den Rationalismus gegründeten alten politischen und kirchlichen

Systems war im J. 1805 eben so wenig die Rede, wie von einer Wendung, welche die als Chiliasten verspotteten «Stillen im Laude» an die Schwelle der massgebenden Gesellschaftskreise und in eine sichtbare Stellung gerückt hätte.

Unserer Heldin kam es zunächst

darauf an, innerhalb der Kreise Fühlung zu gewinnen, auf welche sie

durch

den Wandel

worden war.

Sie

ihrer

im

reist

J.

Anschauungen

religiösen

1807 nach Königsberg, wo

gewiesen ein

er-

neuter Versuch zur Annäherung an die Königin Louise angestellt

und nach dem Scheitern desselben mit dem halbverrückten Chiliasten Müller (einem Bauern aus Meisenbacherhof) Freundschaft geschlossen wird,



dann

nach Dresden

weiter

wöchentlichem Besuch

in

die

und

von Dresden

zu mehr-

Niederlassung Klein-

herrnhutische

Mit einer Anzahl daselbst angesiedelter frommer Gräfinnen weiss die liebenswürdige Convertitin sofort nähere Beziehungen auzuknüpfen, von den schlichten Landleuten der Klein-Welcker Welck.

Brüdergemeinde wird

sie

dagegen mit so unverhohlenem Mistrauen

behandelt, dass sie alsbald den Staub von

um nach Karlsruhe

ihren Füssen schüttelt,

Baden überzusiedeln und sich dem Kreise der dortigen Erleuchteten anzuschliessen. Der Führer dieses Kreises war Jung-Stilling, nicht mehr der naiv-gläubige Schneidergeselle, den Goethe in Strassburg gekannt und durch die Herausgabe des Berichts über seine Jugendgeschichte zu einer literarischen Berühmtheit gemacht hatte, sondern der früh gealterte, halb kindisch gewordene Geheime Hofrath, der als Verfasser des «Grauen Mannes» den in



Propheten des tausendjährigen Reiches

spielte,

stand an der Spitze

der vornehmen Erweckten, die vou Karlsruhe aus den pietistischen

und schwarmgeisterischen Bestrebungen professionellen Vorschub leisteten.

mit dem der aus Armuth

in

den benachbarten Ländern

Von dem Weihrauch umnebelt,

uud Niedrigkeit zu Wohlstand und Be-

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330

Die Gefolgschaft der Frau von Kriidener.

riihmtlieit gelangte alte

Mann von

seinen fürstlichen und gräflichen

Verehrern und Verehrerinnen umgeben worden war, hatte Jung-Stilling zur Zeit seiner Bekanntschaft mit Frau von Krüdener nahezu den vollen Rest' des Unterscheidungs- und Urtheilsvermögens eingebüsst, das

ihm

besseren Tagen

in

Er bedem Glauben an das Bevorstehen

eigenthümlieh gewesen war.

stärkte seine neue Freundin in einer

grossen

weltgeschichtlichen

Wendung und an

die Mission,

welche ihr innerhalb derselben zufallen könne, er berichtete ihr von

den Wundern

Würtemberg, der Schweiz und dem nahen Eisass gethan worden sein sollten, und trug auf solche Weise dazu bei, dieselbe um ihr moralisches und intellectuelles und Zeichen, die

Gleichgewicht zu bringen.

dem

Kummer

und die

Fontaines

galten in

Kreise für- eben so auserlesene Werkzeuge der Gnade wie Oberl in. der berühmte Pfarrer vom Steinthal

karlsruher

göttlichen

und

in

dessen

Freund Wegelin.

nach Markirch zu gehen, wo

1808 eintraf und

in

der

So

sie,

beschloss Frau von Krüdener wie wir gesehen haben, am 5. Juni

geschilderten Weise als längst an-

oben

des Himmels, als

gekündigte Botin

Weib

das

aus,

Norden»

ehr-

furchtsvoll aufgenomraen wurde.

Für Unterkunft und Bequemlichkeit seines vornehmen Besuches und der Begleiter desselben (Frau von Krüdener führte ihre Stieftochter Sophie, ihre Tochter Julie, zwei Kammerzofen und einen russischen Diener

mit

kömmlich zu sorgen. läufigen,

zum

gefällige Fontaines

aus-

Der grösste Theil des altmodischen und

weit-

sich)

Ueberfluss

wusste

der

mit Gespenstern

gesegneten Pfarrhauses

wurde den verehrten Gästen eingeräumt, die ihre Zeit zwischen und Spaziergängen theilten, den schönsten Punkten des Gartens ihre Namen beilegten und wie sie versicherten ein nie geahntes stilles Glück empfanden. Den einzigen störenden Punkt innerhalb dieses paradiesischen Daseins bildete der Geldmangel, an welchem die «Frau Gräfin» litt und der sie daran Gebeten



verhinderte, den

Wünschen zu

willfahren, mit

verschiedensten Seiten bedrängt wurde.

das besondere Vertrauen



denen

sie

von den

Die «Kummerin», welche

der «Frau aus Norden» erworben, hatte

Grund ihr gewordener Offenbarungen verkündigt, dass die Frommen von Markirch berufen seien, in dem bei ihrem Heimat-

auf

dorfe Kleeborn belegenen Orte Katharinen-Plaisir

eine christliche

Colonie zu begründen und in dieser das unmittelbar bevorstehende,

durch hundert

verschiedene Zeichen

tausendjährigen Reiches zu erwarten.

angekündigte Einbrechen des Fontaines,

dem

die

Abneigung

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Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener. des nüchtern gebliebenen Theiles seiner

Gemeinde und

331 die

Ungunst

des benachbarten republikanischen Präfecten von Ober-Elsass Ver-

Unruhe Welt mit dem Frieden des Jerusalem von Katharinen-Plaisir seine Schwester Auguste hatte dringende Gründe, ihr mit dem frommen Handlungsreisenden Wepfer angeknüpftes Verhältnis ausserhalb der Gemeinde ihres Bruders legalisirt zu sehen und von demselben Wunsche war Frl. Sophie von Krüdener legenheiten androhten, fühlte das dringende Bedürfnis, die dieser

zu vertauschen,



beseelt, die nicht die Ehefrau, sondern die Geliebte eines spanischen

des Marquis Ochando de la Vanda war, dem sie im August 1808 einen todten Knaben gebar. Glücklicherweise wusste Kummer für alles Kath. Ihre Prophezeihung, dass Frau von Oftiziers,

die

Krüdener nur nach Genf zu reisen Weisung,

Würtemberg

sich in

Niederlassung

ertheilte

einen elsässischen Consistorial-

für

Gemahlin des russischen Geund auf solche Weise den für die

Präsideuten, seine Freundin für

auszugeben

sandten in Paris

und daselbst Hilfe zu suchen

dem Pfarrer Fontaines

brauche, traf ebenso zu, wie ihre

die

in Katharinen-Plaisir

erforderlichen Credit

zu

er-

Obgleich die Krüdenerschen Verwandten und schliesslich

werben.

auch Jung-Stilling von dem würtembergischen Unternehmen abriethen

und auch die üble

finanzielle

Lage der «Frau Grälin» Aufwendungen

zu Gunsten desselben durchaus unrathsam erscheinen Hessen, setzten

und

Fontaines

Kummer

die

Willen

ihren

durch.

«Katharinen*

für Rechnung der Krüdener auf ein Jahr gemiethet, dem benachbarten Schlösschen Bönnigheim neu hergerichtet und in den Dienst der kleinen Gemeinde gestellt, welche sich um das Trifolium Fontaines-Krüdener-Kummer zu sammeln Plaisir>

wurde

zusamtnt

begann,

Trotz

um

den Eintritt des tausendjährigen Reiches vorzubereiteu.

der Strenge, mit

Friedrich

I.

welcher

der

damalige Landesherr König

von Würtemberg Oonventikel und Laienpredigten unter-

sagt hatte, überboten die drei wunderlichen Verbündeten einander

Vorträgen und geistlichen Ue.bungen. Fontaines pflegte in der Amtstracht der evangelischen Geistlichen zu celebriren, die Kummer in

legte,

wenn

sie ihre

Prophezeihungen öffentlich von sich gab, einen

Schleier an, der ihr

Frau

von

Krüdener

blauen Bändern

das Ansehen

einer Sibylle

ihr Lieblingskostüm

geschmückte Gewand

ü

verlieh,

während

la Valerie (das

der Heldin

ihres

mit

Romans)

auch als Predigeriu beibehielt.

Wie

sich

voraussehen

Hess,

währte

neuen Prophetenthums nur kurze Zeit.

die Herrlichkeit dieses

Statt

des tausendjährigen

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332

D.e Gefolgschaft der Frau von Kriideuer.

Reiches brach im

Sommer 1809

die Periode

unumschränkter Gewalt-

herrschaft des über Oesterreich triumphirenden kaiserlichen Frank-

Die Erweckten

reich an.

von Katharinen-Plaisir

hatten die Unbegangen, den Sturz des «Thieres mit den sieben Hörnern» (Napoleons) vorherzusagen, und das genügte, um ihrem Treiben von Obrigkeitswegen ein Ende zu bereiten. Königlich vorsichtigkeit

würtembergische Gensd'armen

Kummer

das

besetzten

neue Jerusalem,

die

wanderte auf Grund

ihrer ärgerlichen Vergangenheit in Krüdener und deren Anhänger aber wurden sofortigem Verlassen des Landes bestimmt, dessen Ruhe sie

Frau

ein Spinnhaus,

zu

durch ihr Treiben in die

v.

gestört

hatten.

Schloss Katharinen-Plaisir

Hände unbarmherziger Gläubiger, welche

sich aus

fiel

dem Ver-

kauf der dortigen Einrichtnngsgegenstände für die schuldige Miethe bezahlt machten.

Frau von Krüdener dem Glauben an sich

liess sich durch diese Erfahrung weder selbst, noch in dem Glauben an ihre Freunde auch nur für kurze Zeit beirren. Während der ärmere Theil der Vertriebenen rathlos in der Welt umherirrte, wusste sie sich mit Hilfe ihrer vornehmen Verbindungen ein in

falschen

Unterkommen

in

Lichtenthal bei Baden-Baden zu sichern.

Ohne auf

ihre Mission zu verzichten, beschränkte sie sich für eine Weile auf

Weltdame; böse Zungen behaupteten sogar, die sechsund vierzigjährige Wittwe habe damals an eine Wiederverbeiratüng gedacht unii zu diesem Behuf ihr Augenmerk auf einen Verehrer ihrer Tochter gerichtet. Dauernd vermochte die krankhaft unruhige Frau die Schranken einer gewöhnlichen Existenz indessen nicht zu ertragen. Obgleich ihre Beziehungen zu den Erweckten von Mardie Rolle der

kireli in

alte

gegeben

den weitesten Kreisen Anstoss

Geheimräthin Vietinghof mit

hörte Juliane Barbara uicht

deutigsten

Art

in

auf,

Verbindung zu

fahrungen zum Trotz zog

sie

tiefem sich

und die würdige

Kummer

erfüllt

mit Existenzen

setzen.

Allen

hatten,

der

zwei-

gemachten

Er-

den unseligen Fontaines abermals in

Haus und dachte daran, mit dem um mehrere Jahre jüngeren, längst verheirateten Manne eine «mystische Ehe» einzugehen; dann knüpfte sie wieder mit dem pietistischen Krämer Wegelin (einem

ihr

Freunde Jung-Stillings)

ein näheres Verhältnis an,

um

von diesem

«neuen Elias» Geld zu leihen, ihn zu ihrem geistlichen Gewissensrath

zu machen

und

Weisungen gemäss Herrn Fontaines Noch bevor diese Absicht in Ausführung

seinen

den Abschied zu geben.

gebracht worden war und inmitten von materiellen und moralischen

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Die Gefolgschaft der Krau von Krüdener. der peinlichsten Art

Verlegenheiten

Kummer

entlassene

abermals

Kreis

den

in

derselben das

unmittelbare Bevorstehen

Wendung zum

zweiten Male

333

aus dem Gefängnis

die

trat

um

ihrer Gönnerin,

einer

weltgeschichtlichen

und mit zunehmender Gewissheit zu verkündigen. Das Zusammentreffen dieser Prophezeihangen mit dem

Eingang eines Briefes der Königin Louise versetzte unsere Heldin in so

krankhafte Erregung,

um Zu Anfang

falles bedurfte,

dass es

eines unerwarteten Zwischen-

dieselbe von neuen Ausschreitungen zurückzu-

war Frau von Vietinghof Schwer erkrankt und von dem leidenschaftlichen Wunsche erfüllt, ihre Tochter noch ein Mal zu sehen. «Ein Wunder» setzte die halten.

Letztere

des

den Stand,

in

Jahres

1810

diesem Verlangen

zu

Ein

entsprechen.

jüdischer Geschäftsmann liess sich bereit finden, die zur Bezahlung

dringender Schulden und zur Bestreitung der Reiseunkosten erforderlichen Mittel vorzustrecken. in

Riga

wo r

ein,

Genesung

sie ihre

Im August

181,0 traf Juliane

Mutter nicht nur lebend,

begriffen vorfand



ein

Umstaud, den

Barbara

sondern in der

sie

ohne weiteres

der Kraft ihrer Gebete und den Fürbitten ihrer Freunde zuschrieb.

Dass Frau

Vietinghof einige

v.

Wochen später (im Januar 1811)

und dass die zur Bezahlung der karlsruher Schulden aus dem Nachlasse der alten Dame nicht beschaffen lassen wollten, vermochten freilich weder die Prophetin noch deren neue Freunde (die gedachte Witte Blau, plötzlich starb

10000 Thaler sich

erforderlichen

deren halbblödsinniger Sohn und

von Richter thätiger Sohn

ein

Hauslehrer des Generals

als

Es

alten Oberlin) zu verhindern.

des

bedurfte eines abermaligen «Wunders», damit das nöthige Geld sich

und Frau von Krüdener

dennoch fand

zu Ende

des Jahres 1811

nach Baden zurückkehren konnte, wo ihrer «wichtige Dinge», neue Offenbarungen der Marie

Kummer

harrten.

d. h.

An dem Himmel

des von Erwartungen des Feldzuges von 1812 geängstigten deutschen

Südeus war abermals ein dräuender Komet erschienen

Mal

wusste

die Vertraute

des

und

wider alles Erwarten

badischen Pfarrstelle begnadigten Fontaines ganz genau, ersehnte, im 14. Capitel des Jesaias V.

«der weisse Engel binnen kurzem

und dass

der

des Volkes

war

für

aus

die

den

schwarzen

dieses

einer

dass

13—18 angekündigte

Katastrophe nicht länger auf sich warten lassen werde. dass

mit

die

grosse

Darüber, besiegen»

vom Propheten Jeremias vorliergesagte «Einbruch Norden» die Welt umgestalten werde, darüber

Freunde und Verehrer der

Kummer

so

wenig

Zweifel möglich, dass es nur einer kleinen Geduld bedürfen

ein

sollte,

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334

um

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener. den Beginn des neuen Zeitalters In

dem

Form

in aller

Die Zeit der Erwartung wusste Frau

Abenteuer zu kürzen.

v.

feiern zu dürfen.

Krüdener durch mancherlei

Prftfecten

des Karlsruhe

benach-

barten Departements Unter-Rhein entdeckte die Freundin Clmteaubriands und Bernardins schöngeistigen

ihrer

musste nicht nur dem

genommenen) Sohn

einen

ehemaligen Verehrer und Genossen Dieser

Periode.

Präfect

,

Herr de

(als russischer Gesandtschaftsattachö

seiner Freundin zu Hilfe

selbe nach Steinthal und

Waldbach

Lezay,

gefangen

kommen, sondern

die-

das Pfarrhaus Oberlins be-

in

an den daselbst abgehaltenen Andachtsstunden Theil nehmen

gleiten,

neuer Mensch d. h. als vom Imperialismus zum Royalisals mus bekehrter Gläubiger, nach Strassburg zurückkehren: dass der

und

«

»

,

Einfluss der «Frau aus Norden» diese Conversion Lezays bestimmt

und dass der Ausgang des russischen Feldzuges auf dieselbe kaum beiläufig

eingewirkt

natürlich von selbst.

hatte,



verstand

Zu Anfang

sich

tiefer

sehenden Augen

des Jahres 1813 nach Baden

zurückgekehrt, unternahm die unermüdlich Reisende einen Ausflug

nach Genf,

von den

wo

sie ein wichtiges

Werk,

die Wiederaufrichtung der

Facultätstheologen

calvinistisehen

bedrängten Pietisten-

Ausführung zu bringen hatte. Sie begann damit, einen zweiundzwanzigjährigen Jünger dieser Richtung, den in der Folge als ihren Hauptapostel und Leibschriftsteller vielgenannten Henri Louis Empaytaz, an ihre Person und Sache zu fesseln. Nachdem Empaytaz, auf den «rechten Weg» gebracht und zur regelmässigen Abhaltung im Geiste des neuen Christenthums geleiteter Betstunden angeleitet worden war, eilte die Rastlose nach Basel, wo sie mit Spittler zu conferiren und Hirtenbriefe an von Basel nach Walddie genfer Freunde zu schreiben hatte, bach in das Oberlinsche Haus und von Waldbach nach Baden, wo und Chiliastenpartei,

in



sich

(der

im Sommer 1814

die Gelegenheit

Gemahlin Alexanders

I.),

fand,

mit

einer Kaiserin

den Königinnen von Bayern und von

dem Vicekönige von Italien und der einflussreichen schen Hofdame Roxandra von Stourdza in Verbindung zu Holland,

russi-

treten

— diesen

hohen und höchsten Herrschaften «von Christo zu reden» und insbesondere Eugen Beauharnais die Zeichen der Zeit und die kommenden «grossen Ereignisse» auszudeuten. Nach Beendigung dieses

wichtigen

und selbstverständlich von unerhörten Erfolgen ging es zu Vater Oberlin nach Ban de la

begleiteten Geschäfts

Roche

(ins Steinthal),

triebene

wohin

auch

aus Genf ver-

der inzwischen

Empaytaz beordert wurde, um endgiltig

in

die

seit

dem

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»

335

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

Ausscheiden Fontaines’ unbesetzt gewesene Stellung eines Secretärs

und Haustheologen der vornehmen Reisepredigerin zu rücken. Ihr dieselbe für eine Weile in Strassburg auf.

Hauptquartier schlug

Für den Verlust Lezays, der Schrecken genommen hatte

Bekehrung

trotz seiner (bei

Gelegenheit

der

ein

Ende mit

feierlichen Ein-

holung des Herzogs von Berry war der unglückliche Neophyt der Legitimität auf

ihm

seinen

von Napoleon geschenkten Degen ge-

stürzt und von diesem gespiesst worden), fand sie durch eine neue

Dem

Eroberung reichlichen Ersatz. sich ein Herr von Berckheim Schwiegersohn

der

in

der Folge der

wurde und im Jahre 1833

russischer Staatsrath und Beamter St.

Krüdenerschen Kreise gesellte

zu, derselbe,

Meisterin

seiner

als

des Unterrichtsministeriums zu

Die Legende hat aus diesem Herrn eineu

Petersburg verstarb.

Märtyrer seiner Ueberzeugung gemacht, der der € Wahrheit» und Frau von Krüdener zu Lieljp eine glänzende Laufbahn aufgegeben und der neuen Prophetin selbstlose Nachfolge geleistet hatte. Den wahren, leider wenig erbaulichen Zusammenhang legt das Mühlenbecksche Buch durch die nachstehenden,

actenmässig festgestellten

«Franz Karl von Berckheim war im J. 1785 Sohn des badischen Geheimraths Ludwig Karl von B. und seiner Gemahlin Franziska Louise von Glaubitz zu Strassburg geMittheilungen klar.

als

Zu

boren worden.

Mann

als

Bayern,

Steinthal von Oberlin erzogen,

Kammerherr

— Napoleon

in

die

Dienste

trat der junge

König Maximilians von

aber entzog ihn der aussichtsvollen bayrischen

Laufbahn, indem er ihn zum Referenten ( maitre des requctcs) seines

und

Staatsraths

einige

Zeit

darauf

zum

kaiserlichen

General-

Mainz machte. Im J. 1813 (d. h. bei Armee) verliess der Herr Oommissar heimlich seinen Posten, indem er nicht einmal die ihm auvertrauten

commissar

der Polizei

Annäherung

der

in

alliirten

Papiere zu retten versuchte, ja in den Verdacht gerieth, dieselben

verkauft Deutschen

zu haben.

gleich

Ohne Amt und Vermögen, Franzosen und spielte Herr von Berckheim eine

verdächtig,

ausserordentlich traurige Figur, als sein alter Lehrer Oberlin sich seiner

annahm und

ihn

mit

Frau von Krüdener

in

Verbindung

brachte.

Berckheim erschien zur rechten Zeit, denn zwischen den Anhängern seiner Meisterin war eben damals ein heftiger Zwist ausgebrochen,

der

erst

mit

seiner

Hilfe

beigelegt

Fontaines, der sich in seinem neuen geistlichen

eben so schlecht geführt hatte wie

in

seinen

werden

Amte

konnte.

(zu Sulzfeld)

früheren Stellungen,

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336

Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

und dem daran gelegen war,

sich

den Fall einer Absetzung

für

abermals als Secretär der Krüdener festzusetzen,

Empaytaz

als Eindringling

Seine Verbündete, die Sibylle bereit

Sache

die

finden,

in

Kummer, liess sich auch ihre Hände zu nehmen.

der Krüdener qine Offenbarung mit,

Herrn wäre, dass

nach

Demuth

sich in der

zu üben.

in eine

Mal

dieses

Sie theilte

der Wille des

welcher

Bruder Ernst,

ihre Tochter Sophie mit Fontaines’

einem misgestalteten Apothekergehilfen,

um

den jungen

sah

an und suchte denselben zu beseitigen.

mystische Ehe trete,

«Hargott« (diesen

Namen

hatte

Frau von Krüdener ihrem ehemaligen Günstling, dem Pfarrer,

bei-

gelegt) sprach sich in demselben Sinne aus, und die bethörte Mutter '

war drauf und

Kinde gestellte Falle zu gehen. Empaytaz, der sofort verstand, was für ihn auf dem Spiele stand, vereinten rief den jungen Paul von Krüdener zu Hilfe, und den Bemühungen Beider gelang es, dem «Fontainesschen Plane durch Einleitung einer Verlobung Sophiens mit Herrn von Berckheim dran, in die ihrem

zuvorzukommen. Dass der schändliche Pfarrer und die «Sibylle» nach wie vor im Vertrauen ihrer thörichten Beschützerin blieben und

mindestens

unterhielten,

aus

der

Entfernung

mit

derselben Beziehungen

vermochten die beiden jungen Männer indessen nicht Als Fontaines zu Anfang des Jahres 1815 seiner

zu verhindern.

sulzfelder Stellung entsetzt

wurde

und

der Unwille über das

als

von ihm getriebene Wesen so weit verbreitet war, dass sich selbst

genommener Frau von Krüdener sich ohne

Jung-Stillings zu Gunsten des Expfarrers in Anspruch Einfluss

ohnmächtig erwies,

liess

weiteres bestimmen, ihrem Freunde eine Freistatt zu bereiten.

Auf

Kummer kaufte sie das unweit Weinsberg belegene Gütchen Rappenhof, welches zur «christlichen Colonie» erklärt und

den Rath der

der Fontainesschen Familie überwiesen wurde. die

Krüdener

sich

bestimmen,

in

Nähe

der

Um

Wohnung zu nehmen. würtembergischen Polizei aus dem Wege

seiner

Sibylle

Wenig ihres

später liess

«Hargott» und

Berührungen

mit

der

zu gehen, zogen sie und ihre

Hausgenossen indessen nicht nach Rappenhof, sondern in die benachbarte, zu einer badischen Kuclave gehörige Mühle von Schlüchtern.

Auf dem hof

halben

liegt Heilbronn.

Russland

am

4.

Wege

zwischen Schlüchtern und dem Rappen-

Hierher verlegte

Kaiser Alexander

von

I.

Juni 1815 sein Hauptquartier, und hier erfolgte

Abende desselben Tages

am

— eines Sonntags — der «Ueberfäll», durch

wehdien die Tochter des rigaer Geheimraths den Grund

sogenannten geschichtlichen Stellung

zu

ihrer

legte.

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Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

Den berühmtesten und Europa persönlich kennen zu

eitlen

x

zu

dessen

Interesse

war

nannte,

ziehen,

gefeiertsten Fürsten

337

des restaurirten

lernen und ihren Landesherrn in das

was

des Evangeliums

die Sache

sie

und Tag der leidenschaftliche Wunsch der

seit .Fahr

Zu diesem Behuf

und aufregungsbedürftigen Frau gewesen.

hatte sie mit der Kaiserin Elisabeth angeknüpft, zu diesem Behuf die

Bekanntschaft des Fräulein

selben einen Briefwechsel eine höhere Adresse

bemerkt, dass

v.

zu

düstere und

der

Stourdza gesucht,

geführt, der

gebracht

und mit dem-

darauf berechnet

werden.

asketische

Ton

war, an

hat Falloux

Treffend

dieser Briefe und

die in dieselben verwebten Hinweise auf Alexanders weltgeschicht-

darauf abzielteu,

Beruf direct

lichen

die

Aufmerksamkeit eines

der

vom Weltleben ermüdeten grossen Herrn zu erregen und zu Sprache

in

Contrast zu treten,

in

welcher sonst an Höfen geredet

Das schwärmerische Hoffräulein hatte denn auch nicht ermangelt, bereits zur Zeit des Wiener Congresses einzelne an sie gerichtete Briefe dem Kaiser zur Kenntnis zu zu

werden

pflegt.

bringen, den beabsichtigten Eindruck

noch

indessen

zu er-

nicht

Erst nach Napoleons Rückkehr aus Elba war vermocht. Alexander auf die Prophezeihungen aufmerksam geworden, die ihn zielen

als

Erwählten des Herrn

bezeichneten

unaussprechliche Dinge zu sagen haben in

und

malige Stimmung des Monarchen durch kannt.

ihre Briefe

zu

erregte Spannung

deren Urheberin

ihm

Die Art und Weise,

sollte.

welcher die Freundin Fontaines' und der

Kummer zu

nutze

sich

die da-

machen

auszubeuten

und

wusste,

die

ist

be-

Als der von den Anstrengungen der Reise und der ihm dar-

gebrachten Huldigungen ermüdete Kaiser sich treffens in

Heilbronn

in sein

am Abend

des Ein-

Schlafzimmer zurückgezogen und alle

weiteren Empfänge untersagt hatte, Hess die durch Roxandra von

Stourdza angekündigte

Weise

merkwürdige Frau»

«

sich in so stürmischer

bei Sr. Majestät melden, dass sie vorgelassen

stündigen Unterredung

gewürdigt

wurde.

und einer

Als der Kaiser

drei-

seine

bemerkte der dienstthuende Abends entliess Adjutant, dass Thränen in den Augen des Monarchen glänzten. Frau von Krüdener kehrte in den Rappenhof zurück, «wo Berckheim, Fontaines und die Kummer inzwischen fürbittend niedereinige Tage später aber erhielt sie die Aufgekniet waren» forderung, dem Kaiser nach Heidelberg zu folgen. Empaytaz und das Berckheimsche Ehepaar wurden eben dahin beschieden. Als der Gang der Kriegsereignisse den Monarchen nach Besucherin

spät

,



lUltlmlio M..n»ti.«chrlf»

Ban,!

\XXY,

llnft 4.

23

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Die Gefolgschaft der Frau von Kriidener.

338

Hess

er

die

Paris

rief,

Nähe

des Elys6e-Bourbon

Capelle

einrichten

Andachtsübungen

,

in

Wohnung zu

die

,

eine

beziehen

in

und

der eine

begonnenen

Heidelberg

Das Aufsehen, das

wurden.

fortgesetzt

Uebungen erregten, war so

nachkommen

Kriidener belegene

welcher

diese

vornehme pariser Welt begann und dass so verschieden ge-

gross, dass die

sich in dieselben zu drängen

stimmte Personen wie der hochliberale Schriftsteller Benjamin Oonder Legitimist Chateaubriand,

staut,

Exrevolutionäre Isnard

die

und Bergasse, die schöne Madame Recamier, die Herzoginnen von Bourbon und von Escars an denselben gleich eifrigen Antheil nahmen.

Wir übergehen den

Bericht

über

die

Auszeichnungen, deren

Frau von Krüdener während dieser Glanzzeit ihres Lebens theilwurde und unter denen die Berathung über die der heiligen Allianz zu Grunde liegende erste Denkschrift die wichtigste war.

liaft

Den bekannten Ausführungen

des Bernhardischen Geschichtswerks,

der Metternichschen Memoiren

und der Condorcetschen Aufzeichnungen über diesen Punkt weiss das Miihlenbecksche Buch WesentDesto ausführlicher verweilt dasselbe liches nicht hinzuzufügen. bei der diesem Erfolge auf

dem Fuss

lichen Thorlieit, durch welche die

folgenden, geradezu unglaub-

Krüdener

ihre

mühsam errungene

und den gütigen Monarchen, der sie für immer von sich abstiess. Wiederum

Vertrauensstellung untergrub

an seine Seite gezogen, waren es Herr Fontaines und seine Helfershelferin Marie Kummer,

welche auf ihre kurzsichtige und urtheilslose Beschützerin das Verderben herabbeschworen.

Zu dem hier in Rede stehenden Zeitpunkte war der sog. Mesmerismus zu Paris ebenso in die Mode gekommen, wie anderswo. Ihren neuen Bekannten hatte Frau von Krüdener so häufig von den exstatischen Zuständen und wunderbaren Offenbarungen der Sibylle von Kleeborn erzählt, dass dieselben Verlangen zeigten, die schwäbische Prophetin von Angesicht

genügte,

um

Das Tempo wahrnehmen

kennen zu lernen.

Fontaines und seine Gefährtin ihr

zu lassen, plötzlich in Paris zu erscheinen und sich ohne weiteres

dem von

ihrer Gönnerin bewohnten Hotel Montchenu einzuDas Folgende erräth sich von selbst. «Während der vorgenommenen Sitzung kündigte die Hellseherin an, dass sie am nächsten Tage zur Zeit des herin

quartieren. ersten,

im

kleinen Kreise

kömmlichen Besuches Sr. Majestät Somnambulismus versinken werde.

in

In

einen Zustand

dem Vorsaal

von ,

der

Auto-

zum

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Die Gefolgschaft, der Frau von Krüdener.

Empfangszimmer der Baronin

339

führte

und den der Kaiser durch-

schreiten musste, Hessen die

Kummer

und Fontaines sich zur an-

gekündigten Zeit und unter

ausdrücklicher Zustimmung der Frau

von Krüdener nieder,

Gott

hatte,

um

der Kaiser zu

Kummer

welche

mehrere Stunden

damit

zugebracht

die Offenbarung seines Willens zu bitten.

gewohnter Stunde

den

Vorsaal

betrat,

.

Als

lag

die

.

.

Des Monarchen an Frau

auf einem Sopha desselben da.

was das zu bedeuten habe, blieb unbeantwortet, Fontaines aber ergriff das Wort, um dem Kaiser anzukündigen, dass er eine Prophetin des Ewigen vor sich habe, welche ihm im Namen Gottes Mittheilungen zu machen berufen sei. Der Monarch setzte sich nieder, die Kummer aber begann

von Krüdener gerichtete Frage,

um

eine sentenzenreiche Ansprache, welche mit der Bitte

summe

für

Begründung

einer

eine Geld-

Weinsberg und ihre das Nebenzimmer gegangen einen christlichen Colonie

bei

Bei diesen Worten waren Frau von Krüdener

schloss.

Tochter aufgestanden

und

in

;

um den Kaiser in den Salon und unterbrach die ihm gemachten Entschuldigungen, indem er sagte, dass er die Welt genug kenne, um Augenblick später erschien

wieder,

ihr

von Leuten betrügen zu lassen, die sofort mit Bitten

sich nicht

Geld

sie

Alexander folgte

zu bitten.

bei der

Hand

seien

um

Frau von Krüdener werde wohl daran vom Halse zu

;

thun, sich diese Gesellschaft so schnell wie möglich schaffen.

>

Jetzt waren die Augen auch der Frau geöffnet, die acht Jahre lang das Opfer der beiden Betrüger gewesen war, welche

Prophetin eines neuen Zeitalters hineingeredet

sie in die Rolle der

hatten

Vor

!

Die Einsicht

seiner

am

der immer höfliche

Vertrauten

in die

wahre Sachlage kam indessen zu spät. machte

28. Sept. (1815) erfolgten Abreise von Paris

und

liebenswürdige Kaiser

einen Abschiedsbesuch,



kaiserlichen Hauptquartier zu folgen,

indessen eben so wenig

die Rede, wie von einem späteren Wiedersehen.

Nie

Barbara von Krüdener den Monarchen, dem

zu

begegnet war, wieder gesprochen, nie

ihm erhalten', nie mehr

erreicht, als

ehemaligen

seiner

von einer Einladung, dem

war

ein

dass

sie

hat Juliane übler Stunde

directes Schreiben sie

von

mit der Rücksicht

behandelt wurde, an der ein edeldenkender Fürst es niemals fehlen

wenn Personen,

lässt,



die seine

Gnade genossen,

ins Spiel

kommen.

Enttäuscht, von der Mehrzahl ihrer bisherigen Bewunderer ver1

Hnlitziu.

Doch

mit einer

Leipzig.

Ausnahme im

Duneker

&

J. 1821.

Hnmhlot.

1882.

Vgl.

1’.

S. 54.

v.

Holze, Fürst A. N.

D. Reil.

23 *

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Die Gefolgschaft der Frau von Krüdener.

340

und neuen Gläubigem bedrängt, musste die «Weh-

lassen, von alten

mutter» der heiligen Allianz bis zum 22. October

Als

sie die französische

Hauptstadt endlich

in

Paris bleiben.

verlassen konnte, be-

sass die Tochter des reichsten Livländers seiner Zeit wenig mehr, als

den ihr vom Kaiser persönlich ausgestellten Pass zur Rückreise

nach Russland und das längst übei-schuldete Gut Kosse bei Werro. Nichtsdestoweniger suchen, die einmal

verbrachte sie

folgenden Jahre

die

übernommene Rolle weiter zu

mit Ver-

den

und

spielen

Glauben an ihre Prophetenbestimmung in neue Kreise zn tragen. Es war vergeblich. Trotz aller darauf verwendeten Mühe und kurzsichtigen Thoren be-

trotz des Erfolges, der ihr bei einzelnen

schieden .war.

Geschichte

bildete, die

lediglich eine Kette persönlicher

Die rappenhofer

C'olonie,

Vermögens gewendet

an welche

hatte,

sie

Gemeinden zu begründen versuchte,

die unglückliche Prophetin ausgewiesen

ihr so vollständig litt,

den Rest ihres verfügbaren

sie

machte Bankerott, aus den verschiedenen

schweizer Orten, an welchen

wurde

folgenden Lebensjahre

ihrer

Enttäuschungen und Demffthigungen.

aus.

dass

zuweilen

sie

;

die Geldmittel gingen

am

Nöthigsten Mangel

unter ihren Vertrauten aber brachen so ärgerliche Händel ans,

dass es schliesslich auch der unverwüstlich gut- und wundergläubige

Empaytaz

für gerathen hielt, die Thätigkeit

vom Pöbel

der Polizei und

der Stellung

eines

bereits

seit

dem Zusammenbruch

schriften

Kellner,

chiliastischer

und

herrschaft

zum Opfer

in

ihrer in

und

in

dessen Zulassung

und sittlichen Ver-

welchem Frau von Krüdener pariser Hoffnungen befand. älteren

pietistischer

und

Aus

unglücklichen

verdrängt

ersetzt worden,

der

als ehemaliger Oberpostdirector

seiner

früher

intellectuellen

wahrlosung erklärt werden kann, Ein Herr J. G.

Heimat zu vertauschen.

ersten Vertrauensmannes

war der junge Mann derselben durch einen Menschen lediglich aus dem Zustande der Meisterin

sich

des heimatlosen, von

verfolgten Wanderlehrers und Propheten-

schülers mit einem Pfarramt in seiner

und neueren Partei-

Schwärmer herkömmlich

als der französischen

Gewalt-

gefallener deutscher Patriot bezeichnet wird,

Wahrheit aber nichts weiter als ein wegen Veruntreuung weggejagter braunschweigischer Postschreiber war, Herr J. G.

der

in



zum obersten Vertrauten der einst gefeierten, Welt verlassenen Weltdame aufgeschw’ungen. Alles,

Kellner hatte sich jetzt von aller

was wir von diesem verzweifelten, eben so frechen Gesellen

wissen,

kommenheit

lässt

schliessen.

wie haltlosen

auf einen ungewöhnlichen Grad von VerDerselbe.

Missionsschriftsteller

Ostertag,

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Die Gefolgschaft der Frau von KrUdener.

341

und das Wachs-

der Kellners «reiche Gaben», seine «edle Kraft»

thum «seiner Liebe zum Heilaude» nicht genug zu preisen vermag, des Abenteurers Verzicht auf eine glänzende Laufbahn und den Herren Spittler und Gossner zum besonderen Verdienst aurechnet, dass sie den hohen Werth des Mannes zu erkennen gewusst dieser Schriftsteller räumt ein, «dass Kellnerden Eindruck eines Vagabunden oder Komödianten gemacht habe» und dass das «Schwärmerische, Treiberische und Stürmische seines Wesens» in Zaum habe gehalten werden müssen. Unbefangene Zeitgenossen stimmten in der Meinung überein, dass dieser letzte Adept der Krüdener den verderblichsten Einfluss auf seine Gönnerin der von fabelt



geübt, dass er

ihrer Eitelkeit

unverantwortlichster Weise

in

ge-

schmeichelt und sie in einen Glauben an ihre Mission und Wuuderhineingeredet

kraft

der

hat,

schliesslich

bei vollendetem Unsinn

anlangte.

Die

Geschichte

der

letzten

Lebensjahre Juliane

Barbaras

von Krüdener liegen ausserhalb

des Kähmens dieses vornehmlich Umgebungen der merkwürdigen Frau gewidmeten Berichtes uud werden in dem Mühlenbeckscheu Buche ziemlich summarisch

den

weniger,

letzten

um

Eines näheren Eingehens auf dieselben bedarf es

behandelt. so

als

neuerdings

ausführliche Darstellungen

livländischen Erlebnisse

dieser

unseres Landes veröffentlicht worden die späteren Schicksale

Kürze zu handeln

ihrer

über

die

meistbesprochenen Tochter

Minder

sind.

bekannt sind

vertrauten Anhänger, von denen in

erübrigt.

Von den auf etwa anderthalb Dutzend eingeschmolzeneu Anhängern, welche Frau von Krüdener erfolgten

auf

ihrer

Rückreise nach Livland begleiteten,

im Frühjahr 1818

hielt

allein Kellner

Herr und Frau von Berckheim hatten nach kurzem Aufenthalt in Kosse ihre Reise in die russische Hauptstadt fortgesetzt und die inzwischen alt und kränklich gewordene Mutter bei

ihr

aus,

selbst

auf ihrem einsamen livländischen Laudsitze zurnckgelassen.

Eine

Weile erregten Kellners und seiner Patronin an die Bauern Kosses

Güter gehaltene Predigten und die denselben gespendeten Liebesmahle eiu gewisses Interesse, alsbald erlosch aber auch dieses, und noch bevor die Krüdener ihr Heimatund

der

benachbarten

war

land verliess und nach Petersburg übersiedelte (Januar 1821) sie

uahezu allenthalben vergessen.

Kellner verstarb 1823, vor wie

nach seinem Tode schwärmerisch von seiner Gebieterin verehrt, die

ihm

wenige Monate

später (25. Dec.

1824)

ins

Grab

folgte.



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342

Die Gefolgschaft der Frau von Krttdener.

Fontaines erlebte ein hohes Alter, bekleidete

von Frau

von Krüdener

noch

zwei

sich indessen so still zu halten, dass

hafte Vergangenheit vergass

Seine

konnte.

ehemalige

und

nach

der Trennung

wusste

weitere Pfarrstelleu.

man

dass

Verbündete,

seine

mehr

als zweifel-

unangefochten

er

Kummer,

die

sterben

der

hatte

würdige Manu so vollständig vergessen, dass dieselbe nach der Entlassung aus ihrer dritten Gefängnishaft als Bettlerin verstarb wunderbare Gaben waren während dieser (24. Februar 1824) :

Periode von niemand

an der

ehemaligen Zuchthäusleriu

entdeckt



Empaytaz nahm an den kirchlichen Kämpfen in Genf und dem Waadtlande eifrigen Antheil und zählte unter die Begründer der Egliar lihre später heiratete er eine vornehme und reiche Dame, von deren Vermögen er bis zu seinem im J. 1853 erfolgten worden.

;

Die letzte Ueberlebende des Krüdenerschen Kreises war die Tochter der Prophetin Sophie von Berckheim, welche ihren Gemahl und ihre Geschwister um viele eine behäbige Existenz führte.

Eude

Jahre überlebte und deren auf einem Landgute des Gouvernements Urei erfolgter Tod erst im Jahre 1805 gemeldet wurde. von

Obgleich wir

den

besprochenen Vorgäugen

vorstehend

durch wenig mehr als ein reichliches Menschenalter getrennt

sind,

erscheinen die Verhältnisse, unter welchen Frau von Krüdener und

deren

Anhänger

ihr

Wesen

wunderliches

heutigen Geschlechte nur schwer

treiben

konnten,

Und doch

verstäudlich.

dem

hat die

krankhafte Bewegung, an deren Spitze unsere Landsmännin stand, mit

dem

grossen

staurationsperiode

der

Name

und religiösen Umschwung der Reengem Zusammenhänge gestanden, dass

geistigen in

so

der Juliane Barbara von Krüdener

von gewissen Vor-

kämpfern der positiven Richtung mit einer Ehrfurcht genannt wird, die Absicht tendenziöser Beschönigung ihrer Verirrungen

welche

Fünfundzwanzig Jahre

ist

dass ein angesehener berliner Geistlicher

W.

deutlich verräth.

Fontaines’, Kellners

und

der

Kummer

eine

es

noch

nicht

her,

Ziethen der Günnerin Schrift

widmete,

in

welcher er dieselbe als Musterbild einer christlichen Frau verherrlichte und im Anschluss an das von Widersprüchen und Unwahrheiten strotzende Eynardsche Buch

von einer ganzen Anzahl

an das Wunderbare streifender Vorgänge der letzten und traurigNoch unbesten Periode ihres Wanderlebens gläubig berichtet. greiflicher

erscheint

freilich,

dass

ein

so hochgebildeter

sonnener Theologe wie J. H. Kurtz noch

in

und be-

der neunten Auflage 1

seines weitverbreiteten Lehrbuchs «Kirchengeschichte für Studirende»

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343

Die Gefolgschaft der Frau von Kriidener.

des grossen Einflusses dankbar gedenkt, «welchen die schwärmerische

Erweckung des Gegenden Deutschlands und in der eiuem Buche, das Goethe mit

Missinnsthätigkeit der Frau von Krüdener für die kirchlichen Lebens in mehreren

haben

Schweiz» gehabt fünf, Schiller

mit

In

Lavater und Jung-Stilling

elf,

der Krüdener

wird

abtlmt,

Zeile

soll.

fassender Abschnitt gewidmet und

mit je

achtz ehn

ein u. a.

einer um-

Zeilen

das Folgende gesagt:

«Sie durchreiste einen grossen Theil Europas, predigte Busse,

verkündete Heil und Fluch, brachte den Verbrechern

in die

Kerker

den Trost des Evangeliums, predigte den Weisen dieser Welt die Thorheit des Kreuzes, den Königen und Fürsten die Hoheit Christi als

des Königs

sie

sichere Sünder,

ganze Schaaren an sich»

u. s.

Wer

über

alle Könige.*

Wo

hinkam, erschütterte

sie

erweichte Felseuherzen

zu

zog

Bussthränen,

von geistlich Elenden jeder Art und aller Stände

w.

vou dem lieben der Tochter des Geheimraths

v.

Vieting-

hof überhaupt weiss, weiss zugleich, dass von den vorstehend enthaltenen

Angaben keine

einzige vollständig

eigentlich charakteristischen

Momente der

zutrifl't

und

dass die

Wirksamkeit

öffentlichen

Juliane Barbaras mit Stillschweigen übergangen sind.

-v.

1

Iicilniilig sei

•? -J-'.'r-itS?' «v »fcA—

.

•"'gS'SWMi'-

bemerkt, dass das Kurtzsche Huch

neben anderen schwer

erklärlichen Irrlhiiinern die geradezu ungeheuerliche

Kehnuptuug

Kobespierre habe gemeint:

il

oti>

Ahiju-

Den legendären Engländer, aber

ein

wilden Feinden

war.

gebildeter Europäer

auf

kamen wir und Skobelew nicht lebend aus der asiatischen Wüste zurück, in die wir uns gewagt. Ich sage ausdrücklich Wüste. Was Oasis, was Culturland Vor uns her wichen ihrer Seite,

so

!

die

Tekes

zurück

und

liessen

uns

den

leeren Boden, das flache

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364

Die Brücke über den Amu-Darja.

Land, die Wüste.

In jenen regenlosen Zonen, in jenen von Völker-

und Verheerungen

zügen

Wasser

lieimgesuchten Ländern



wo

nur

das

und die geschäftige Hand des Menschen uud nachhilft, wächst und gedeiht etwas. Von einer grünen Oase, von Palmengebüsch und Weideland, wie man sich hingeleitet wird

stets schützt'

das denkt,

keine Spur.

ist

Technik, die Intelligenz,

die

Die Zukunft

kanns,

der Pleiss,

vermehrte Bevölkerung

kann

die

dieses

ganze Gebiet zu reichen Ernten zwingen, zur Fruchtbarkeit erheben, nicht das Räubervolk, das dort herrschte, als wir das

Land

betraten.

Da ragen Mauern links von der Eisenbahn, ein grosser länglichRaum ist eingehegt, im Inneren steht ein Hügel Tepe heisst

runder

;

Zu

solch eine Erdaufschüttung in der Landessprache.

der Festung fliessen eine Mühle. ist

die

dies alles

so

ja Gök-Tepe, die Stätte unseres Sieges

das

i

beiden Seiten

stehen Weidenbäume,

lebendige Bäche, links

Wie dünkt mich

Gott

bekannt.

Dort

ist die

I

das

Bresche,

Dynamit gebrochen, wo Midshipman Mayer schwer

ver-

dort die andere Oeffnung, wundet wurde, da er sie entzündete in die Umfassungsmauer gesprengt. Das waren unsere ;

mit Pulver

Einfallsthore, über diese ging der Sturm.

Wie

oft

sind

wir dar-

Je näher der Zug kam, um so deutjeder Stein hervor und mit ihnen die steht der Denkstein auf dem Grabe Erinnerung. Die langwierige Belagerung, da wir mehr belagert der Gefallenen. Der Tod, der täglich aus gut gezieltem waren, als belagerten. Rohr in unsere Reihen schlug, die nächtlichen Ueberfälle, die über ans- und eingeritten.

Stamm und Und da — da

licher trat jeder

Sehnsucht nach dem Ende, alles stand wieder lebhaft vor der Seele.

Mit Fragen hatten die Mitreisenden mich bestürmt, und in Rede hatte ich erzählt und gezeigt. Aber als der weisse vor unsere Augen trat, schwieg der Erzähler und sie gingen leise hinaus und ehrten auch die Frager verstummten durch Schweigen die tiefe Bewegung ihres Reisegefährten und sein Andenken an die Todten. Aber nicht lange lässt das Leben um die Gefallenen trauern, die gemeine Wirklichkeit, wie Schiller sie nennt, macht sich geltend, neben dem Vergangenen hat die Gegenwart ihr Recht. Man rief zum Speisen. Ein Armenier, der als Lieferant den Feldzug mitfliegender

Gedenkstein

;

gemacht, hält die Restauration.

mir zu.

«Sie


«.

In der Angst richteten sich die Augen

in

Livland auf Magnus

;

König des Landes, war er doch der Verwandte des in Pleskau mit Ehren von ihm behandelt worden an ihm hoffte mau in der Noth und Haltlosigkeit Seit seiner Rückkehr einen Fürsprecher und Vermittler zu finden. aus Pleskau hatte er die Miene angenommen, als könne er Schutz gewähren er hatte die Aufforderung an das Land gerichtet, sich ihm zu ergeben, ihn als König atizuerkenneu und dadurch Sicherheit zu suchen, indem er dabei auf sein gutes Verhältnis zum liiess

er doch

Grossfürsten und eben noch ;

;

Grossfürsten hinwies, ja dessen Unterstützung Baltincb« Monataachrift.

Rand XIXV, Heft

5.

in

Aussicht

stellte,

27

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Der Fall Wendens.

400 wie

selbst,

von

scheint,

es

thöriehten

der

Hoffnung

geblendet,

Iwan werde schonen, was sich seinen Vasallen ergeben. Anfang August Hessen die Bürger von Wenden Magnus ihre Unterwerfung anbieten, sagten sich von Polen

vertrieben die schwache polni-

los.

sche Besatzung und übergaben dein Herzog die Stadt und das Schloss.

In das wendensche Schloss zog er nun

König von Livland,

lose

iu die stolze

nur einen einzigen Monat

residiren

der junge macht-

ein,

Herrmeisterburg,

der er

in

Zwei Wochen später

sollte.

wurde er hier auch von den Abgesandten anderer Orte Livlands als König anerkannt. Die Unterwerfung unter Magnus, den Vasallen Iwans, enthielt zugleich eine Lossagung von Polen. Magnus' neue Unterthaneu sollen dabei förmlich ihren dem Polenküuig geleisteten Eid aufgesagt haben". Sie hofften von diesem Schritte Rettung



sie

ahnten nicht, dass

sie

damit erst recht das Verderben auf sich

Magnus Untergebene mussten

zogen, denn gerade des

des Feindes

Zorn empfinden.

vollsten

Wenden

hatte der Grossfürst

Magnus zu

besetzen gestattet,

aber Ascheraden, Lennewarden, Erlaa und andere Orte,

etwa um diese Zeit König Magnus ergaben, lagen

in

das der Grossfürst sich selbst Vorbehalten

;

hatte

die

dem

sich

Gebiete,

ebenso Koken-

war und von nach Wenden gelangte. Nach dem pleskauer Vertrage Orte zwischen Aa und Düna besetzte, den

husen, das von der polnischen Besatzung verlassen

wo

um

dringende Bitte

jetzt die

Hilfe

König Magnus zauderte zunächst. musste

er,

ehe er

die

um

Grossfürsten besenden und ihn

Er

schickte

also

denselben

andere Reise

erst noch eine

nicht

an

sein Ziel.

Rath,

d. h.

um

Erlaubnis fragen.

einen Boten ab, dieser

machte,

Magnus wartete

erreichte

eine

aber, der

zu spät oder gar

Antwort

nicht

ab, fasste

einen raschen Entschluss und schickte eine Besatzung von 50

Damit hatte er

nach Kokenhusen. verletzt.

die

pleskaner

Mann

Abmachungen

Zugleich mit dem nach Kokenliusen bestimmten Fähnlein

sandte er einen zweiten Boten

in Wenden in seine Gewalt gerathenen Russen als zum Grossfürsten mit einem Schreiben, iu welchem

ob solch eine Anzeige den Vereinbarungen entspräche und

er, als

Ordnung wäre, ganz naiv diejenigen Städte aufzählte, die ihm ergebeu hatten, darunter auch solche, die der Grossfürst Durch diesen Brief hoffte er wol für die von ihm besetzten Orte Schonung zu erlangen und nahm

alles in sich

schon in seiner Gewalt hatte ,,

damit

die

Miene an,

fürsten festzuhalten

;

an aber

dem

.

bisherigen Verhältnis

zum Gross-

fast gleichzeitig that er einen

anderen

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Der Fall Wendens. damit

der

401

Widerspruch stand und seine schwankende Haltlosigkeit, seine Verblendung und seine UnzuverSchritt,

im

schroffsten

lässigkeit darthut.

Am

24. August,

Iwans gelangte,

Tag ehe jener Brief in die Hände Magnus von seinem Schloss in Wenden ein Erwehlter zum Könige in Lilflandt» und

einen

erliess

dem

Schreiben, in

er als

als ein deutscher christlicher

Pflicht

gegen

geschehe

Fürst die Städte und Lande, die noch

den Schutz

übrig seien, unter

Polen,

zum Besten

seiner Regierung

aufnimmt

;

ihrer

erklärt er, sei das nicht zuwider, denn es

der Krone

Polens.

Eben

hatte er sich

gegenüber den Schein gegeben, er nehme Bestem in Besitz, «zum Besten der Krone Polens»; damit hatte er offen ausgesprochen, was er längst geplant hatte. Es ist schweierklärbar, was Magnus sich bei dieser unsinnigen Proclamation gedacht hat im Augenblick, als das russische Heer heranzog, als alle Rettungsaussichten, die er etwa machen konnte, darauf

noch dein Grossfürsten *

die Orte als dessen Vasall und damit zu dessen

und

jetzt sagt er:



beruhten, dass der Grossfürst in seines Vasallen Untergebenen zugleich die eigenen Untertlianen sah.

auf diese Weise den Angen

leichter



deutung zu gewinnen

Er

sowol

wol die Livländer

hoffte

zur Unterwerfung

des Grossfürsten

zu

locken, dabei

wie des Polenköuigs

in

an Be-

und wurde sich nicht klar, dass er damit

Mochte er aber in den Boden unter den Füssen verlor. Verblendung glauben, auch jetzt noch nach beiden Seiten von seinem Verwandten Schonung hoffen zu dürfen, thatsächlich hatte er sich als Gegner des Grossfürsten von Moskau

völlig

seiner

hinken und

ihm, sobald

bekannt, er musste von

Verräther angesehen werden

Rache zu

;

er

derselbe

hatte

hiervon

erfuhr, als

dessen Strafe und desseu

fürchten.

Der Grossfürst war indessen an die Düna gerückt und hatte Dünaburg eingenommen von hier hatte er sich nach Norden geverbrannte Kreuzburg besetzen, ;

wendet, das von den Einwohnern

Laudohn, das sich ergab, zerstören lassen und Sesswegen erobert Die Einwohner der Orte, die sich sofort ergaben, wurden in der Regel freigelassen, gelegentlich gnädig behandelt, ja einmal sogar beschenkt

;

an anderen Orten wurden

sie

ausgeplündert und brachten

Schwer zu beklagen waren diejenigen, die Gefangenschaft geriethen, denn sie mussten dass man sie erst nach grauenvoller Kerker-

das blosse Leben davon.

auch nur zeitweilig wol gewärtig haft

sein,

ausgeplündert,

in

mishandelt

und

nackend

wieder entliess

1

».

27 *

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: ;

Der Fall Wendens.

402

Der einzige Ort, wo man dem Feinde die Stirn zn bieten wagte, war Sesswegen, obgleich der Ort schwach armirt war, nur 6 grössere Unter dein Wojewoden and 30 ganz kleine Geschütze* hatte. Boturlin erschien am 19. August die russische Vorhut in Sesswegen, überbrachte die Aufforderung des Grossfürsteu zur Ergebung, besetzte

die

und

Vorstadt

man

Tage, als

schon

hätten

gestern

mächtigsten

sie

umzingelte

die Belagerten

erhalten

räumen, da Livland sein Erbland

Eide stehen, und es

sie eidlich

ist

Treue gelobt, wüssten

unmöglich

uns

nicht vorenthalten.

Antwort gaben gross-

sollten

zu

die Stadt

so

seid,

sie

davon

«auf unserem

Schreiben,

schliesst das

so

feste

ihm Sesswegen Durch Seine Majestät den

sei.

und wie Ihr Eurem Grossfürsten treu

Antwort

folgenden

durchlauchtigsten,

sie

,

übergeben

wollen wir seiner

sein.

Das konnten wir Euch

Gegeben

zu Sesswegen, den 20.

Majestät dem Könige von Polen treu als

die

vom

Schreiben

ein

Am

Ort.

zum Sturme begann,

aus der Stadt eingegangenes Schreiben

ein

Grossfürsten

König von Polen, dem «Wir wollen,» uichts.

den

den Erdarbeiten

mit

wurde dem Grossfürsten überbracht, in welchem

August, Seiner Königlich polnischen Majestät Getreue und Ergebene in

Sesswegen.»

Auf diese im russischen Kriegsrath als unhöflich empfundene Antwort schickte der Grossfürst ein zweites drohendes Schreiben nach Sesswegen. nicht

räumen

«Ihr wollt,» heisst es in demselben, «Sesswegen

und Euch

barmherzige Gott gegen

uns entgegenstellen

Weise

licher

in

von

dasselbe

;

wahr uns der

so

unsere Feinde helfe, wollen wir jetzt

all

unser livländisches Erbe

denen säubern, die

allen

eingedruugen

sind.

Ihr

ungebühr-

hättet

dieses

Blut nicht über Euch, Eure Frauen und Kinder bringen und unseren

Zorn durch

Gehorsam auslöschen

Gottes Barmherzigkeit



Munde lagerten



diese

sollen.

führt

Jetzt

Ihr

sollt

der Grossfürst

erklärten

später,

von

diesem

nach

immer im

unser Schwert und Feuer über Euch sehen.»

zweiten Briefe

Die Benichts zu

wissen, der Lette aber, der ihn überbringen sollte, erzählte, er sei

unter Drohungen abgewiesen w’orden.

entbrannte, er rückte selbst

vor

die

Der Zorn des Grossfürsten Stadt, und die Beschiessung

Der erste Sturm verlief ohne Resultat, beim zweiten fiel die «Wehr und Wall» wurde niedergeschossen, eine weitere Verteidigung schien nicht möglich man entschloss sich, das Schloss anfzugeben und um Gnade zu flehen. Auf die Frage der Russen, begann.

Vorburg.

;

*

wol gleichfalls etwa zwischen Kanonen mul Flinten stehend.

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Der Fall Wendens. wer im Schlosse befehlige und wie

403

Deutsche

viel

demselben wären,

in

antwortete der Unterhändler: zwölf Gutsbesitzer, der sei

Commandant

auf den Tod verwundet, der Besitzer Johann Taube

nicht dort,



der

in

sei

Auf

Polen.

sei selbst

um Gnade

die Bitte

aber

Gnade zurückgewiesen, wie kann unser Herrscher Euch jetzt Gnade gewähren!» Nur Rache hatten sie zu erwarten, und ihr Geschick war furchtbar. Die Vornehmsten wurden gepfählt oder sonst zu Tode gequält, die Anderen den Tataren in die Knechtschaft verkauft. erwiderten die russischen Fürsten:

«Ihr habt

Die Bauern, die zugegen gewesen, schickte

Umgegend,

um

durch Schrecken erzählte

man

anzuzeigen, «was Schönes

zur Unterwerfung

zu

von

sich mit Entsetzen

die

der Grossfürst sie

den

in die

um

gesehen» und

Im Lande

treiben.

aber

schrecklichen Greueln,

Männern und Weibern verübt worden seien'*. Von Sesswegen wandte sich der Grossfiirst wieder nach Süden und zog, nachdem in den folgenden Tagen durch ihn oder seiue Wojewoden

die -an

ohne

Kampf

Bersohn, Kalzenau, vielleicht auch Pebalg und Firsen

besetzt worden waren, aufs

Nene der Düna

aufhaltsames Vorwärtsdringen

;

Es

zu.

war

man

einen Siegeszug kann

ein un-

es

kaum

nennen, da fast nirgends Widerstand geleistet wurde.

Vier Tage nach den Greueln vor Kokeuhusen.

Im

in Sess wegen

standen die Russen

letzten Standlager vor dieser Stadt erschien

Magnus mit dem oben erwähnten zweiten welchem er die von ihm besetzten Orte aufzählte. Im russischen Lager trat nachdem Magnus’ Brief angelangt war, der Kriegsrath zusammeu und erklärte, dass Magnus damit den pleskauer Vertrag verletzt habe. Die Antwort des Grossfürsten lautete: «An unseren Vasallen, den Herzog Magnus. Deinem Briefe nach entziehst du uns, im Vereine mit unseren Widersachern, was unser Erbe ist; auch die Schätze dort bringst du uns durch. Als du bei uns in Pleskau warst, haben wir dir die von dir besetzten Orte nicht zugestanden; einzig Wenden und die Festen, die jenseits der Aa liegen, haben wir dir zu besetzen gestattet ungebührlicher Weise hast du dich in die von dir genannten der Bote des Herzogs Briefe desselben, in

,

;

Festen eingedrängt.

Und

unser livländisches Erbe.

jetzt säubern

Nimm

die Städte, die Gott schon

in

wir

nach Gottes Willen

uns doch, wenn

unsere

Hand

du

gab.

willst,

auch

Aber wir sind

nicht weit von dir und in diesen Festen sitzen nach Gottes Willen

unsere Feldherren und Leute; dich bewahren, dir

gebührt

es

sie

werden

nicht,

dich

dieselben

um

diese

schon

ohne

Burgen

zu

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404

Der Fall Wendens.

kümmern.

Wir werden

Gott

aber, soweit uns

und werden

in deine Städte senden,

hilft,

selbst, so weit

Wächter auch wir können, in

Wache halten. Wir haben Geld und Vorräthe («Zwieback») nun gut oder schlecht sein Und wenn du uns ihnen





wir sind bereit

willst,

zu entziehen. der

Aa

Und wenn du

in

Wenden und den Festen

dich

wir

übers Meer,

auch

nach Kasan

ziehst über das Meer.

mögen

Wir

haben

dich

Erbe

jenseits

Land Oesel und

nicht

schicken, besser

sie

nicht hören

dir aber gebührt es nicht, uns unser

dich nicht halten kanust, so gehe in dein

nach Dänemark

können

;

aber

wir

nöthig, ist

es,

du

aber werden nach Gottes Willen unser

livländisches Erbe säubern und behüten

1

'

»

Das unglückliche Kokenhusen, das Magnus hatte schützen bekam nun den vollen, ungezügelten Grimm des gereizten zu fühlen, und von Tag zu Tage ist, wie es in einer Schrift jener Zeit heisst, die Bluttragödie immer schrecklicher wollen,

Feindes

Lauernd, wie es scheint, auf einen Vorwand zur Rache,

geworden.

fragt der Grossfürst einen der nach

woden, ob er Widerstand

Kokenhusen geschickten Woje-

gefunden oder ob er irgend eine wider-

Antwort gehört; und als er vernimmt, dass die Königlichen zuerst das Thor nicht hatten offnen wollen und nach einem Befehle des Königs Magnus gefragt hätten, da befiehlt er, obgleich setzliche

ihm, als des

übergeben

Magnus Oberherrn, denn doch die Stadt ohne Kampf die Besatzung mit dem Tode zu bestrafen Der Auftrag wurde gründlich aus-



worden,

bis auf drei oder vier Leute.

Anderen wurden zusammengehauen, die Einwohner, Männer und Weiber gefangen fortgeschleppt, Am folgenden Tage fiel auch Ascheraden die Polen entlassen. Der alte Landdem Wojewoden Bogdan Bjelski in die Hände marschall Kaspar von Münster wurde hier vor den Mauern erschlagen, die Bewohner in die Gefangenschaft geführt. Als wenige geführt, es blieben nur zwei übrig, die

Tage darauf Erlaa genommen worden, wurden auch hier die Bewohner fortgeschleppt, nachdem eine Anzahl von ihnen niederDie gesäbelt oder sonst auf sckreckliche Art umgebracht war. Leichen blieben auf einem Haufen liegen, den Hunden und Vögeln

zum

Frasse.

Das Entsetzen, welches

die

Kunde von

diesen Schreckens-

thaten im Lande erregte, wird uns durch einige Zeitungen lebendig, die unter

dem unmittelbaren Eindruck

geschrieben sind 1 «: «Mir

ist

in

jener Ereignisse

in

Riga

höchster Wahrheit nit anderst, als

Dipitiz.ed by

Der Fall Wendens. sehe ich mein weih und kinder lebendig todt.»

.

.

in

406 stehen, wir seind

erzeiter noth

.

«Ich kann für hertzleidt, so wir im Lande sehen, hören, er-

mer schreiben

faren, nit

Amen

wenden.

Gott

;

wolle

alles

Unglück veterlichen

»

«Diese Stunde,« heisst es

Tage

einige

«kumpt

darauf,

eine

Diese Zeitung brachte Nachricht aus Wenden.

andere Zeitunge.»

«Kein verlaszener volk*,» heisst es am Schluss, «möchte auf dieser erfunden werden als

weldt

schmerzen

tür grossen

wir

arme

Mer kann

Lifflender.

ich

nit schreiben.»

Freilich konnte er sagen

:

«wir arme Lifflender!» aber

wem

ist

mit Sichselbstbedanern schon geholfen worden? Der Schreiber fügt aber noch ein anderes

Was war

Wort

hinzu: Lucas 13, 2.

.

.

.

denn nun das für eine Zeitung, die aus

Wenden

nach Riga gelangt war? Von Kokenhusen hatte der Grossfürst sich

zum zweiten Male nach Norden, über Erlaa nach Wenden und gegen König Magnus gewendet. Die beiden Kriegsleute desselben, die er in

Kokeuhusen hatte leben

zu ihrem Herrn sollten,



Magnus

in

seiner

lassen,

waren geschont worden, weil

um ihm zu erzählen, was sie erlebt. Verblendung wollte es nicht glauben und

sie

hielt es für ein Märlein.

am 28. August auf dem Wege von KokenWenden vor Erlaa stand, erhielt er eine neue, ihn er-

Als der Grossfürst husen nach

regende Nachricht, wieder durch einen Brief und Boten, den König

Magnus, der also

die Rolle des Getreuen noch

selbst geschickt hatte.

Der Bote

Wolmar gesandt und

nach

hätten,

immer

meldete, dass

dass diese

sich

weiterspielte,

Magnus 80 Mann

der Stadt

bemächtigt

während der polnische Commandant Fürst Alexander Polu-

binsky sich noch im Schlosse halte.

Wohl

durfte

Magnus nach den pleskauer Vereinbarungen

Wolmar, das am Nordufer der Aa gelegen ist, besetzen, aber in kam das dem Grossfürsten höchst ungelegen, und er kreuzte damit dessen Pläne, denn der Grossfürst wollte jetzt Wolmar selbst haben. Mit jenem Polubinsky, dem Commandanten von Wolmar, stand er nämlich schon seit einiger Zeit, mindestens diesem Augenblicke

seit

dem

wollte

letzten pleskauer Aufenthalt, in Verbindung.

Wolmar und andere Orte dem

durch ihn hatte dieser

•)

Zusatz

Grossfürsten

Polubinsky überliefern,

— wie uns berichtet wird — von den Umtrieben

zum Vortrag.

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I

Der

406 des

Fall Wendens.

Magnus mit Polen Kunde

auch

gerathen

haben,

sich

und Polubinsky

erhalten,

bemächtigen

zu

desselben

1

soll

ihm

Wenn

’.

wurde dem Grossfürsten die Möglichkeit, Näheres zu erfahren, woran ihm in diesem Augenblick viel liegen musste, genommen. Sofort hält er einen Kriegsrath und sendet zwei seiner Wojewoden, einer von ihnen gehörte zu den angesehensten im Heere, mit 2—3000 Mann nach Wolmar, Polubinsky jetzt in Magnus’ Hände

um

die Stadt zu erobern.

fiel,

so

Sie erhalten die perfide Instruction, die

Leute des Magnus unter dem Vorgeben, dass dieselben doch auch seien, herauszulocken, dann aber den die Höhergestellten gefangen zu nehmen die zusammenzuhaueu sei Magnus selbst in Wolmar, so sollten sie bei etwaigem Kampf sich hüten, ihn zu tödten dem Polubinsky sollten sie die Gnade des Grossfürsten verheissen, ihn festlialten und bewahren. Auf ihn kam es dem Grossfürsten besonders an sei er nicht mehr in Wolmar. so sollten die Wojewoden sofort umkehren, sei er noch in der Nähe, ihn mit dem ganzen

Unterthanen des Grossfürsten

Hauptmann und

,

Anderen

;

;

:

Heere einzuholen versuchen. Während der Grossfürst von Erlaa aus gegen Wenden weiter zieht und seine Scharen noch einzelue Orte zur Ergebung nöthigen, gehen Boten zwischen ihm und seinen nach Wolmar geschickten Feldherren ab und zu auf keinen Fall :

sollen sie den Polubinsky, über dessen Verbleiben

bald jene Nachricht erhalten,

— wol

sie

bald diese,

lassen.



an dem am 28. August welchem des Magnus Leute Wolmar besetzten, von ihnen Bürgern von Wolmar gefangen genommen und nach

Dieser war indessen

Tage, an

und

entkommen

den

Wenden zu Magnus

worden. Als das dem GrossWojewoden gemeldet wurde, sandte

abgeführt

fürsten gerüchtweise durch seine

Magnus und

er Boten zu

schon

forderte,

er

solle

ihm

den Polubinsky

mit den Geldern, die derselbe bei sich gehabt, es waren vermuthlich

und ihm Gesandte entgegendas war am 30. oder 31. August.

polnische Staatsgelder, herausgeben

Magnus gehorchte;

schicken.

Polubinsky

wurde

freigelassen

und

zum Grossfürsten gebracht;

durch das Loos aber waren zwei Männer zu dem gefährlichen Aufträge bestimmt worden, ihn als Magnus’ Gesandte

der schon

aber



nächster

in

Nähe war, zu Henning

erzählt der Chronist

begleiten.



hat

zum Grossfürsten, Der Grossfürst

ihnen

eine scharfe

Lauge aufgegossen, ihnen die kokenhusensche Tragödie erzählt und König Magnus habe übel an ihm gehandelt. Zuihnen gesagt :

nächst fordert

er,

die Gelder

des Polubinsky, die demselben nach

;

Der

Fall

Wendens.

Behauptung der Gegenpartei

schon

waren, sollten

werden.

herausgegeben

407 ersetzt worden

überreichlich

Vergeblich

versuchen

Magnus

Gesandten ihren Fürsten zu entschuldigen.

die

scheint, fast

unglaublicher Weise, auch nach Rückkehr dieser Boten noch immer nicht recht an Gefahr geglaubt zu haben;

endlich wird noch einmal

Gaben und allem Geschmeide, das die Herzog Magnus dazu darboteu, an den Grossfürsten abgefertigt, um den Forderungen zu genügen und den Zorn des Furchtbaren zu besänftigen. Es war vergeblich. Hastend, ungeduldig war er von Erlaa au3 weitergezogen. Am 20. August hatte er seinen Truppen zuerst nahe von diesem Orte Stellung angewiesen, daun aber den Weitermarsch befohlen am 30. hatte er anfangs nach eiuem ziemlich kurzen Marsch sein Lager aulschlagen, es dann aber, wie es scheint, wieder abbrechen lassen und war, Schuien bei Seite lassend, weiter geeilt; mehr als je im ganzen Feldzuge war das russische Heer an diesem Tage vorgerückt*) am Abend desselben war es nur noch 10 Werst von eine

Gesandtschaft

mit

Frauen Wendens dem

;

am

seinem nächsten Ziel entfernt;

Stunden nach der Ankunft Grossfürst

dem

vor

Wenden

1

der

31. August, vielleicht nur einige

Gesandtschaft, stand

letzten

war am

es

*;

letzten

der

Tage des damals mit

September beginnenden russischen Jahres.

1.

Da

lag sie vor ihm, die einstige Residenz der Ordensmeister

Altlivlands und die jetzige Residenz seines unzuverlässigen Vasallen

Magnus.

Den am

weitesten nach N. (oder NO.) hin ragenden Theil der

Stadt bildete das starke fünfthürmige, Plateaus gelegene Schloss. (ziemlich

lichen

von

SW.

am Rande

Es hatte etwa

NO.

nach

zwei längeren parallelen und

eiues abfallenden

die Gestalt eines läng-

gerichteten)

Trapezes

mit

Die

zwei kürzeren schiefen Seiten.

ganz gradlinig verlaufende, im ganzen gegen NW. gerichtete Seite und die kürzere Ostseite waren Aussenseiten, Hinter der SüdSchloss- und Stadtmauer fieleu hier zusammen. nicht

längste,

west- und der Sudostseite des Schlosses breitete sich die Stadt aus.

Den Kern des Schlosses burg, an

drei

ihrer

Mitte derselben lag der

einen Seite

NNO.

gerichtete

bildete die quadratische

Ecken der

durch

drei

Haupt- oder Hoch-

Thürme

markirt.

Ln der

gleichfalls quadratische Burghof, der

unmittelbar

au

Aussenmauer

Immerhin mir 19 Weist,

die

stiess;

«un.it

lange (hier

an

ist ein

von

SSW.

an

nach

den drei anderen Seiten

Tagesmarsch 10—15 Werst.

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Der Fall Wendens.

408

wurde der Hot

von

den Hauptgebäuden

An

drei

anderen Seiten lag

eben diesen

geräumige Vorburg,

eine

festigt

des Schlosses

um

der Hochburg ge-

von

Hinter jener Aussenmauer des Hofes

der Hochburg ziemlich

steil,

am Abhange

mauer der Burg,

von

hier

wurde, von denen zwei

sie

drei

sich erhebende

starken

der Hochburg, der

In sieben Truppen körper zerfiel

Nordwest-

Thürmen

dritte,

aus

ziemlich weit vorspringende, der Vorburg an gehörte*

Heer:

das Terrain

nach NO. hin

Die Hauptfront des Schlosses bildete die

von der Stadt abgewendete die

fiel

zu theilweise sumpfiger Niederung ab,

noch zum Graben oder der Vertiefung, die

von der Vorburg trennte.

umringt.

Hochburg herum

die

durch zwei Thtirme be-

gleichfalls

und durch einen trockenen Graben

schieden war.

steiler

die

überragt

der

Mauer

13

das heranziehende

russische

die «eigene Heerschaar des Grossfürsten», das sog. «grosse

Namen

be-

Nachhut und

die

Corps», das «rechte und linke Flügelcorps» (die hielten, gleichviel Artillerie.

Auf

wo

sie

standen), die Vorhut,

ihren

der von Süden über Arrasch herziehenden Strasse

herankommend, zwei Werst von der Stadt, schlug der Grossfürst selbst sein Lager auf, eine Werst davon nach rechts, anderthalb Werst von der Stadt, südlich von der (nach O. ziehenden) Ronneburger Strasse (auf die sich das östliche Hauptthor von Wenden, Eine Werst das Ronneburger Thor öffnete) lag «das grosse Corps».

vom gi ossfürstlichen Hauptquartier, an der Rigaschen Strasse SW. der Stadt, vor dem stark befestigten Rigaschen Thor Wache haltend) das «rechte Flügelcorps», und wieder eine Werst weiter, jenseits der Rigaschen Strasse (vielleicht vor der am nörd-

links

(im

lichen Theile der Westseite gelegenen Catharinenpforte) eampirten

Truppen der Vorhut, endlich (den übrigen Theil der Stadt umWerst von der Stadt und Aa, und zwischen 'ihm und dem grossen Heere die Nachhut. Die beiden letzten Corps haben wir uns wol

die

schliessend) das linke Flügelcorps, eine

zwei Werst von der der

Burg gegenüber lagernd zu denken. Die Artillerie, von der über Schuien nach Wolmar beordert worden war und kam, war zunächst vielleicht noch nicht

ein Theil

gar nicht nach Wenden zur Stelle, und

wo

sie

• I)a ich hei der

dann zuerst aufzog, wissen wir

nicht,

doch

Schilderung des Schlossss und Terrains keine Gelegen

heit zu erneuter Besichtigung

Angaben beruhen auf einem

gehabt

habe, bitte

ich hier

alten Grundriss, Karten,

Theil gewordenen Mittheilungen.

um

Nachsicht.

Die

Zeichnungen und mir zu

;

Der Fall Wendens.

409

dem Schlosse gegenüber Posto

dürfte sie wol hauptsächlich

gefasst

So hatte der Feind rings die Stadt umzingelt* 0 Es mag hier, ehe die Belagerung uud Einnahme Wendens

haben.

.

kleine Episode

zählt werden, eine

Chronist Henning

berichtet,

die

Erwähnung

er-

finden, die uns der

auf das,

ein grelles Licht wirft

was damals die Herzen zu erdulden hatten, und uns aus dem Zeit ahnen lässt.

Jammer Einzelner das Elend jener unseligen Im Heere des Grossfürsten, so erzählt Adels Matronen,

so

umb Gottes

lauter

sollen werden, dass sie

gesegnen möchten.

er,

waren:

«etliche

Männer auf dem Schlosse gehabt uud sie nunmehr weggeführet nur dieselben auf ein Wort sprechen und

ihre

willen gebeten, weil

Seien also fürs Schloss geführet, da sie durch

verschlossene Pforten mit einander im beysein der Russen geredet,

und unter der Pforten ein dem andern die

Mau

segnet.

erbermlich

geweseu,

Hand gegeben und

was solcher aber

sagt, scheiden tliut wehe,

scheiden

sonderlich Ehegatten, die

für

geein

ire liebe

Kinder gehabt und nicht gewusst, wor sie gestorben oder geflogen das kann ein jedes getreues Ehegespan bey sich leicht ermessen.»

sein,

Als die Russen vor Wenden augelangt fürst sofort fordern,

Truppen

Magnus

solle

sind,

lässt der Gross-

ihm erscheinen

vor

aufnehmen.

das Schloss

in

Statt

und

seine

kommen

des Königs

noch einmal zwei Abgesandte ins russische Lager, Christo ffer Kurssei

uud Fromhold von Plettenberg; geschickt

Magnus

:

solle selbst

seiner Unterthanen fasst

aufzumachen

um mit

sie

werden ausgepeitscht uud zurück-

Auf das dringende

kommen.

Magnus

sich ein

Bitten

Herz und wagt es, sich dem Schlosse,

mit etwa 25 Begleitern reitet er aus

;

den Führern

der

zum Vorrücken beorderten Schaar zu

Sein Versuch, die Gefahr abzuwenden,

unterhandeln.

ist vergeblich,

König Magnus weiss, dass dem Feinde nicht gewachsen sind, dass die Lebensmittel auf der Burg zu längerer Verteidigung nicht aus-

sie

fordern die Uebergabe

seine

der Stadt,

Streitkräfte

reichen

;



augenblickliche Uebergabe

ehesten retten.

Führer, mit

Wenn

denen

er

durch

er

ihn

die

Eine Berathung mit den Bürgern,

auch nur ausserhalb der Thore, die willigt war,

am

ihm

unterhandelt, werde Leben und Eigenthum

der Einwohner geschont werden.

schliesst

konnte vielleicht noch

er die Stadt übergebe, versprechen

ihm

wird doch nicht gestattet; sich nachzugeben.



anfangs

und den einen Bürgermeister

schaft Wissen

und Willen, ohne dass

von

ihnen

be-



ent-

gedrängt, rathlos

Ein Rathsherr

sie

wird auch

steht

am Thor

ohne der Bürgernur

eine Stunde

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Der

410

Wendens.

Fall



Zeit erhält, Rieh auf das Schloss zu retten

Königs Magnus das Thor aufgeschlossen. die Feinde rückten ein,

Magnus war

noch nicht.

Stadt

die

auf den Befehl des

Sofort wurde es besetzt,

war

Schloss

verloren, das

umringt und Waffen werden ihm und seinen

indessen von den Feinden

nicht mehi- losgelassen worden

die

;

Begleitern abgenomraen; gegen seinen Willen, gezwungen, wird er

vor den Grossfürsten

zum

Verräther

wird

steigt

,

um Schonung erweist

So

vom Pferde

für

stehen

wo

Schlosse her,

indessen der

eine «verflogene Kugel»

schwört

wenn

Der

da

es

:

solle

gleich

es

ihn

zu

Fürst

sei.



haben

anderen nackend

dieser

im

flüchtig,

in

heisst ihn auf-

In diesem Augenblicke

Kampf voll

bereits

begonnen

Wuth zu Ross und

hoffen

sein?

Elend,

dürfen,

Livland

einzu-

Ich habe dich, da du aus

von

einem Ort

zu

bloss umzogest, in mein Geschlecht

und

es

Sohne

Wenden am Leben bleiben und «Du elender Tropf» — so soll

«hast

bekommen und darüber König zu deinem Vaterlande

aber

Magnus

und saust dicht am Haupte des

steigt

niemand

eiu

angeredet

fleht

Grossfürst

wie

er

ansichtig

und

steigt mit seinem

er

er sei eines grossen Königs Kind.

:

Grossfürsten vorbei”;

er

Boden

Magnus den Dolch zurück und

giebt

kommt vom hatte,

seiner

zu

gnädig,

Auch

dem

an

Magnus sich

Seinen.

grossmüthig,

keiner Weise erwarten durfte.

vom Rosse,

wie wirft

,

und die

sich

zunächst

sich

den Grossfürsten,

vor

geführt,

geworden.

er

dem

aufge-

nommeu und dir meines Bruders Tochter, der du nicht würdig bist, zum Weibe gegeben, dich reich gemacht, dir Volk, Geld und Kleider gegeben und dich in grosses Ansehen jetzt

dich

erzeigest

gegen

untreu

gebracht

deinen Wohlthäter?

;

und

du

Wolltest

du nicht deinen Herrn, dem du geschworen hast, verrathen ? oder wie? was antwortest du V Hast (du) dir nicht das Livland .



.

.



und Betrug hiutergangen unterthänig Aber Gottes Augen haben für mich gewacht und

so du mit Hinterlist

machen wollen?

Hand gegeben und dir deine Anschläge und Practiken gemacht.» Auf den Knien liegend, wird Magnus

dich in meine

zu

niehte

.

.

.

ihm über die Erde nachgeschleift, endlich entkleidet, angespien und in ein dachloses Bauernhaus gesperrt.

mit den Seinen

Während man Magnus zum Grossfürsten brachte, war die Stadt Jammers und der Verzweiflung geworden 1 *. Viel-

ein Schauplatz des leicht

als ihnen auf Magnus’ Bedem gegebenen Versprechen

haben sich die einziehenden Russen,

fehl das

Thor

geöffnet worden, zuerst,

gemäss, ruhig verhalten.

Voll Furcht suchen die Einwohner, die nicht

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ahnten, dass

Der Fall Wendens.

411

waren, sich

aufs Schloss zu retten.

preisgegeben

sie

Die Russen fordern auch hier Einlass ihn;

auch

soll,

bleibt

ein Befehl

Da

Eine der

gefeuert.

gesagt, beinahe

nicht

sich

ein

;

gerathen

die

— jetzt



auf

das Schloss

Reitersmann

aus

zu der

zu lassen

;

vermögen,

retten

Bürgerschaft

um

durch

schiesst

die Strassen

voll

die

dabei

ihn nicht in Feindes-

auch seinem Weibe diesen Dienst ver-

zweifelter Treue zu leisten, wird er von auderen gehindert. liegen

,

Eiudringenden den

wird vom Schlosse aus

selbst getödtet. Das war der und wenn nicht früher, so begannen jetzt In Todesangst eilen die Unglücklichen,

seinen siebenjährigen Sohn selbst nieder,

hand

Besatzung verweigert

den Magnus ertheilt haben sich

dabei abgeschossenen Kugeln hätte, wie oben

wendenschen Greuel.

Strassen

— die

den Grossfürsten

Anfang des Kampfes die

suchen

zu erzwingen, und jetzt

Einlass

die

zur Ergebung,

unbeachtet.

zertretener Leichen,

in



Bald

der Schnle eine

damit genug davon”. Anzahl niedergemetzelter Kinder, Mit dem Morgengrauen des 1. September begann aus drei an verschiedenen Orten aufgestellten Batterien das Bombardement auf Einige hundert von den hierdas stolze, hochgethürmte Schloss. her Geflüchteten sollen es versucht haben, durch Ergebung Gnade

Als nun die sie fanden nur qualvollen Untergang”. — Männer, Weiber und Kinder, in hellem Entsetzen das die und Bauern waren es” Luft erfüllende Wehgeschrei ihrer gemarterten Mitbürger hörten als sie aus den Fenstern der hohen Thürme sahen, was Männer

zu finden,

noch auf dem Schlosse Befindlichen

Deutsche





und Weiber erfuhren, w i e sie mishandelt wurden, da schwuren sie sich gegenseitig zu, mussten



getreulich auf

kommen zu

ihrem Posten ausznharren:

allen

kommenden Zeiten werde

für sie

w

i

e sie sterben

Mann

für

Mann

und ihre Nach-

es viel ehrenvoller sein

die Waffenehre zu wahren, als den Feinden in die Hände zu fallen Unter dem Feuer der Geschütze brach zunächst ein Thor zusammen, ein zweites; daun half den Belagerern Verrath, durch einen dem König Magnus früher sehr vertrauten Befehlshaber



wurde ihnen ein geheimer Gang gezeigt. Jetzt stürmen die Feinde werden sie zurückgeworfen, aber in die Vorburg; zwei-, dreimal zwei Thürme, deren Einnahme die sie erhalten frischen Zuzug Hauptburg in grosse Gefahr brachte, werden mit einigen Neben;

gebäuden von ihnen besetzt, und das Feuer der Batterien macht eine weitere Behauptung der Vorburg unmöglich. Als das die

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Fall Wendens.

Der

412

Verteidiger erkannten, da entzündeten sie das sorgsam vorher unter diesen

Thürmen aufgehäufte Pulver die beiden mit Feinden Thürme brechen mit der anschliessenden Mauer so weit

ge-

;

füllten

zu-

Vorburg eingedrungenen Scharen dadurch erschlagen oder verscheucht werden. So gut es ging, wurde in der Eile die innere Burg befestigt; man fühlte sich vom Verderben enger umdroht an zwei Stellen zog der Feind seine Geschütze näher heran und nahm das Bombardement von neuem auf, das bis zum 5. September Tag und Nacht fortgesetzt wurde. Die Munition, die Lebensmittel und das Wasser gingen indessen im Schloss auf die Neige’*, einmal wurden die Belagerten noch durch einen Regen erquickt, der wie ein göttliches Gnadengeschenk empfunden wurde, aber allmählich werden die Kräfte der Verteidiger durch Hunger, Durst und Anstrengung erschöpft. Einer so und der Andere sucht die Verzagenden noch aufzurichten der katholische Propst, von Suckau aus Preussen, ein Herr von Eden, der erst vor kurzem ins Land gekommen war, ein beherzter, sammen,

auch die

dass

die

in

;



Mann

kräftiger

er wirft

;

seinen Priesterrock

ab,

zu den

greift



Waffen und spricht den Zagenden Muth ein aber nur bei wenigen will es ihm gelingen. Kugel auf Kugel schlägt gegen die Mauern; glücklich die Todten Mancher drängt sich, um den Tod zu finden und nicht in die Gefangenschaft zu gerathen, an die gefährlichsten 1

gang durch

Da heit,

man vor Augen Henker des Feindes.

Nichts sieht

Stellen.

die

wird aus der Angst

mit der

geboren,

man dem Tode

zuerst

flehen die

der

in

Männer

als

den

qualvollen Unter-

und zugleich aus der Entschlossen-

ins

Seele

Auge

sieht, ein

der Frauen

rettender

Gedanke

und Jungfrauen.

Sie

an, sie nicht den drohenden Folterqualen, nicht

der Gewaltthat der Feinde preiszugeben, lieber sich mit ihnen zu-

sammen schon

doch

in

die Luft

wiederholt

davor

oder anders



die



den sicheren Tod

leicht furchtbare

keine

Gnade zu an

Todesqual über hoffen

den

sie

hatten

Ausführung gehen wollen, waren Als nun die Bedrängten vor

Verlangen, ehe die letzten Stunden

zu suchen,

Einige Männer

zu sprengen.

an

zurückgescheut.

Augen

des Lebens

glaubten, vor

abliefen

wo

bei

Gnade

bei

sie hereinbrach,

war, Vergebung und

aber



so

sahen, erwachte das

und

viel-

Menschen dem Gott

dessen Hichterstuhl

sie

zn

Gemeinsam Abendmahl empfangen lebend

stehen erwarteten, vielleicht noch ehe die Sonne sank. wollte

man noch einmal das

heilige

;

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Der Fall Wendens. und sterbend wollte man sich mochte geschehen, was ihm die sie

413

Hand

Gottes

befehlen, dann

gefiel.

Die Vorbereitungen werden getroffen und alles wird bereitet, Frauen legen «ihren besten Zierrath und Geschmeide an» oder schmücken sich noch einmal zu einem heiligen Feste





zum Tode die

in seines



?

da



Versammelten

Trost fehlen

Wein.

Bestürzung und Trauer erfasst

sollte ihnen in der letzten

Die Prediger hielten ihnen

!

Augustin vor: so erzählt

fehlt der

und du

«Glaube,

Henning



«es

ein

Noth auch dieser

Wort

des

heiligen



«Aber»

hast es genossen.»

hatte der liebe, getreue Gott, der uns

Vermögen und der rechte NotliWeise so gefügt, dass die Kammerdiener des Sachen kramten von ungefähr nnd dort, wo kein lebendiger Mensch im Hause es ahnte, ein Fass voll schönen guten Weines gefunden und es den Pastoren zugestellt.» Neben oder doch nicht weit von dem grossen Meistersaal des nicht versuchen lässt Uber unser helfer

ist,

es wunderbarer

Königs Magnus,



als sie unter seinen

Wänden

Schlosses, von dessen

die

Bilder all der Herrmeister, die

über das Land gewaltet, herabblickten, fenstern

da

man hinausschauen konnte auf

draussen,

lag.

Schlosskapelle des

Feindes

;

wie

hier

an

die

aus

hohen Bogen-

dessen

die Stadt

und die Feinde

vermuthen

einige Nachrichten

konnte jetzt, während draussen Mauern des Schlosses schlugen,

lassen, die die

Kugeln

die

heilige

Handlung nach dem Brauch der Kirche vollzogen werden an den Erwachsenen, unter diesen etwa 300 dem Tode Geweihten. Sie wussten, es war ihr letztes Abendmahl auf Erden. Gewiss waren die Herzen vieler in dem Gedanken an eine Barmherzigkeit, die allen Erdenjammer überragt, stiller und fester geworden; der muthige Gedanke der Frauen findet jetzt Anklang sie wurden ;

eins mit einander

und sich selbst

in

und auch die Prediger stimmten

versuchen, sich zu retten. sie sich

zu, das Schloss

Einzelne

die Luft zu sprengen.

Die Nacht brach

ein,

wollten noch

an Stricken Hessen

von den Mauern hinab, auf Händen und Füssen versuchten der Versuch mislang,

sie

durch das russische Lager zu schleichen

sie

kehrten zurück und wurden wieder aufs Schloss gezogen.

Als es zur That

Vorhaben

ging, haben

nicht einverstanden

;

sich noch einige, die mit

waren, in

den

bei der

dem

Sprengung



es Räumen des Schlosses verborgen. Wieder begannen die Feinde, während die Kanonen war am fünften Tage Gelang der Sturm, so war es zu spät donnerten, zu stürmen. jetzt also jetzt war es Zeit zu sterben.

ungefährdeten







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Der Fall Wendens.

414

Unter dem Gewölbe der Scblosskapelle” hatte man vier Fass Pulver aufgehäuft und so geschüttet, dass es vom Kapellenfenster aus mit einem langen Luntenstabe erreicht werden konnte.

Hierher,

kurzem mit einander das Abendmahl empfangen, eilen zum Sterben Entschlossenen, um dem Tode entgegen zu gehen. Mit dem Feuer in der Hand tritt Heinrich Boismann unter sie, Hanptmann in Magnus’ Diensten, ein Mann, »der seit den Jahren, da mau einen Beruf für das Leben wählt, nur den

wo

nun

sie vor

die

Krieg gesehen und ihm gelebt hatte»

um

nieder und

die Brust;

an

einmal

er wirft sich auf die

;

Die Ehegatten

her die anderen Alle.

ihn

Knie fassen

den Händen, die Mütter drückeu die Säuglinge noch

einander bei

verharren

so

Boismann

sich Heinrich

sie

im Gebet.

Jetzt beugt

aus dem Fenster und legt das Feuer an.

— die Kapelle

zusammen und begräbt

Das Pulver

lodert auf

unter ihren

Trümmern Männer, Frauen und Kinder.

bricht

Heinrich Boismann selbst war aus dem Fenster des Schlosses hinausgeschleudert worden

Russen ihn im Grase Grossfürsten

;

aber

vor weiterer Qual.

;

er

liegen

kaum war er

lebte

noch, als die herbeieilenden

fanden.

Sie schleppten ihn vor den

dort angelangt, so rettete ihn der

Seine Leiche

liess

Tod

der Grossfürst auf einen Pfahl

Zwei Andere waren wunderbar beim Zusammenbrechen des Thurines gerettet wie Petrus aus dem Kerker und Daniel aus der Löwengrube, sagt der alte Chronist; mit höchster Gefahr krochen sie bei Nacht durch das Lager der Russen, mehrmals streiften sie die Kleider der schlafenden Feinde, des Tages steckten sie bis zum Halse in einem Sumpf aber sie kamen glücklich hindurch. Und sie, die alles auf dem Schlosse angesehen und sich stecken.





selbst mit

haben

die darüber

in die

berichten

auf dem Schloss zu

gesunken

Luft sprengen wollen

konnten

und

berichtet



sie sind es auch,

haben, was damals

Wenden geschehen und wie

es

in

Trümmer

ist 2 *.

Nicht nur diese zwei glücklich Entronnenen, auch eine Anzahl

— diejenigen,

Anderer



die sich bei der Explosion verborgen hatten

war von den niederstürzenden Steinen

Ein

den übrigen Nachrichten

nicht erschlagen worden.

entgegengesetzter Bericht 18 erzählt,

dass sich in einem Theile des Schlosses noch viele Leute befunden hätten, die mit Schrecken gesehen und gehört,

geschah

;

was vor ihren Augen

zu ihnen, heisst es dort, trat ein Prediger

Sünde

ihnen

als

Gottes

Namen

vor,

tragen,

selbst

den Tod

zu suchen

was ihnen auferlegt würde.

:

und sie

hielt es

sollten in

Das von ihnen

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Der Fall Wendens.

415

Ob

Verlangte war schwerer als zu sterben.

sie der

Mahnung zu

sie zu keinem Entschluss kamen, ist uns Sprengung unterblieb lebend fielen sie oder der Feinde. Der Grossfürst liess später den Prediger vor sich kommen, redete ihn zuerst hart an, lobte ihn dann aber, dass er von der Sprengung abgerathen und schenkte denjenigen, die mit ihm in demselben Raume ergriffen worden und auf seine Mahnung gehört hatten, zunächst das Leben sie wurden nach Moskau geführt, wo sie ein Jahr später mit anderen zusammen umgebracht sein mögen*. Die letzten im Schlosse Befindlichen setzen den Todeskampf

folgen

ob

beschlossen,

nicht überliefert

ergaben

die

;

;

Hand

sie sich in die

;

auch jetzt noch

So

gut

es

An

fort.

gehen



des Schlosses

mehreren Stellen

und

will

sucht der kleine Rest der

noch

sich

zu

brennen die Gebäude.

ermatteten

die

Kämpfer



wol

in

verteidigen.

Kräfte

zulassen,

es

Räumen

den unteren

Als aber die Feinde

Gräben ziehen, um an diese unteren Räume und an die Fundamente heranzukommen, da legen die letzten Streiter Minen unter das Fundament der innersten Schlossmauer, entzünden sie und sprengen sich selbst mit den anstürmenden Feinden und den schanzenden Landleuten brechen ein

die Luft.

in



Jetzt

finden

sie

ist

und

der

Zugang noch

ergreifen

Feinde

offen, die

sieben todesmatte,

unbewehrte, durch Flammen und Steine verwundete, von Trümmern halb verschüttete Männer.

Noch etwa zwei Tage stand der Grossfürst vor Wenden er häufte, ehe

er abzog, noch

Jammer und Qualen auf



seine un-

glücklichen Opfer.

Als stei'ben,

der Gefangenen

ein Theil

da

hatten

einige «ehrbare

um

hinausgeführt wurde,

zu

gefangene Frauen» den Muth,

an diese Unglücklichen, die der gereizte Feind m>t seinem ganzen

Grimm

treffen

*

Oderbom

und ihnen

wollte, heranzutreten

:

Vita .Toannis

Basilidis

1585

erzählt,

einen Labetrunk anschliessend

an die

Wenden, von einem Nachspiel, das sie ein Jahr später in Moskau Gefangenen ans Oberpahlen, Kokenhnsen und Wenden. Namentlich berichtet er von dem heldenrafltliigen Sterben einiger unter diesen Opfern befindlicher Mädchen deutschen Geblütes,

knapper Zusammenstellung

Hilfsquellen hin.

erwählt,

anzuweisen sein

Frage haudele, welche Mittel

die

gemacht werden

geistliche Amt. herbeizuschaflen

In

neue Pfarren herzustellen, nicht,

viel

oder

vollständige Pfarren

Dingen

allen

wie

auf Geld

Wartestellen oder

Commission

jährliche Beisteuer

eine

der Ritterschaft aufzusetzen hat.

von Seiten

Ebenso melden sich auf Schultz’

Aufforderung sogleich zwei Pastoren, Meyer von Jewe und Haller

von Keinis, die

bereit

sind,

ohne Ersatz

auf

die

Einnahmen zu

verzichten, welche sie bisher aus den von ihren Kirchspielen abzu-

Schon auf der nächsten Synode

sondernden Theilen tezogen haben.

von 1867 kann Schultz über die Thätigkeit einer aus Gliedern der Ritterschaft und der Geistlichkeit zusammengesetzten «Commission

zur Theilung als

ersten

der Pfarren

in

Estland» Mittheilungen machen, die

thatsächlichen Erfolg

Abtrennung des Kirchspiels

die

Emmast von Dagö-Keinis aufzuweisen 1

Vgl. fünf Jahre

«Bnlt. MonatÄselirift»,

später, 1872, die

Bd. 21, S. 50—53,

hat

1 .

Estland ische Correspondenz» in der die,

zuin

Kirehenwescn

übergehend,

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450

Dr.

Ich

tlieol.

Woldemar

erster Pastor von

als

Schultz.

Emmast

welcher hin-

weiss, mit

gehenden unermüdlichen Thätigkeit Schultz damals

alle,

auch die mit

mancherlei Unangenehmem verbundenen Schritte zur bestmöglichen

Dotirung der neuen Pfarre gethan, mit welcher Festigkeit er alle zukünftigen Rechte des neuen Pastors sicherzustellen gesucht hat. Ich

habe

mit wie

damals

einen

Ernste

tiefem

superintendentenamt

bleibenden

Schultz

Eindruck

seine

ihm

auferlegteu Pflichten

das

Geueral-

mit

welchem

er denselben gerecht zu werden

tliatkräftigen Eifer

empfangen,

davon

durch

auffasste,

bestrebt war.

der Schultzschen Amtsführung

Lassen sich die ersten Jahre

als Zeiten äusseren Friedens kennzeichnen, so

gab es doch dabei während dieser Periode innerlich manchen tiefgehenden Kampf. Principielle Fragen von der allergrössesten Tragweite sind in dieser Zeit auf der Synode erörtert worden. Ich führe als von besonders einschneidender Bedeutung nur an die Ehescheidungsfrage, in der sich eine strengere und eine mildere Richtung gegenüberstanden, ferner verschiedene auf Abänderung der bestehenden Beichtpraxis hinzielende Vorschläge, und besonders die Verhandlungen über :

Kirchenzucht, ziehen.

die sich durch acht Jahre, 1809 —77, hindurchMit ihnen verbunden waren Anträge auf Abschaffung des

staatlichen Confirmations- und

genommen,

schliesslich

Abendmahlszwanges,

die,

wenn

an-

zur vollständigen Treunung von Staat und

Kirche hätten führen müssen.

Gerade

in dieser Zeit, in der sich die Diseussion oft

Messerscheide

der

auf der

schärfsten sachlichen Gegensätze bewegte

und

immer entschieden Stellung nahm, trat auch das eigentlich Bedeutende in Schultz’ Persönlichkeit immer leuchtender Weil er durch unermiidet geübte Selbstzucht immer zu Tage. mehr die Kraft der Selbstbeherrschung gewann, darum gelang es ihm, die oft durch die verworrensten Widersprüche erschwerte Lage Jene angeführten, immer an der Grenze eines zu beherrschen. in der

Schultz

schwerwiegenden

geführten

Conflictes

synodalen

hätten nimmermehr so gewinnbringend auf

die

Besprechungen

Bahn des Friedens

zurückgelenkt werden können, wenn nicht Schultz’ inassvolle Festig-

danials mit Hecht sagen kennte Mit der Wahrung der äusseren Ehre uuil Rechte unserer Kirche, mit der Wahrung ihres ausseren Bestandes haben wir es, :

ja (iott Lob und Dank nicht zu thnn ; Hin so mehr kann die ganze Kraft auf die innere Stärkung, auf den Ausbau der estländischen

wie die Verhältnisse liegen, Kirche verwandt werden

!



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Woldemar

Dr. theol.

Wir

keit über ihnen gewaltet hütte.

wie

schwer diese Mässigung

bei

451

Schultz.

dürfen dabei nicht vergessen,

seiner zu schroffem, rücksichts-

losem Verfahren angelegten Natur errungen sein mochte. es gerade

Mir

ist

im Hinblicke auf diese Naturanlage immer bewunderns-

werth erschienen, mit welcher Geduld, mit welcher Schonung Schultz

während der angeführten Verhandlungen, wenn auch nicht dem objectiven Standpunkte, so doch den Motiven der Gegner alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen bestrebt war. Es ist der Sache unstreitig nur forderlich gewesen,

dass Schultz

so

sich

ernstlich

bemühte, auch den prineipiellen Gegnern gegenüber sich die persönliche

Achtung und warme Herzensstellung zu bewahren. Ueberhaupt sind

sachlich

Schultz

oft

mir

aus dieser Zeit her,

gegeniibergestaudeu

bin,

in der ich

die

selbst

Vorzüge

der

zum Bewusstkonnte man mit Recht

Schultzschen Weise, die Synode zu leiten, erst recht

Nach der

sein gelangt.

an derselben manches

formellen Seite hin

vermissen.

Schultz

übte nicht

jene straffe

parlamentarische Zucht, wie sie vielen erwünscht erscheinen musste.

Er übte sie nicht, weil er, wie bemerkt worden ist, selbst sich zu sehr und zu persönlich an der Discussion betheiligte. Aber auch hier lässt der Schatten

wannen

die

auf das Licht

schliessen.

Inhaltlich

ge-

Verhandlungen dadurch, dass der Generalsuperintendent

abwägende Präses

der kühl

nicht lediglich als

über ihnen stand,

sondern sich auch mit seinem gauzen Interesse

in

Dadurch wirkte er belebend und doch zugleich

massigem! auf die

Debatten

Und wie

ein.

ihnen

bewegte.

nun, je ernster die Zeiten wurden, wie

um

mehr das in der ersten Zeit durch den Trieb zu thatkräftigem Handeln zurückgedrängte warme treue Herz unseres verstorbenen Generalsuperintenten sich geltend machte, wie um so mehr nach innen hin in die synodalen Berathungen aus diesem Herzen ein so

erquickender Friedenshauch ich allein

davon habe gewiss nicht

ausströmte,

den wohlthuendsten Eindruck empfangen.

etwa beginnen mit der juugestnisch-revolutionären Erhebung die Wogen um das Schiff unserer Kirche immer höher zu gehen. Zu den nationalen Umtrieben tritt dann nicht Seit 1871

lange darauf die geistliche

Es

spricht

für

ein

Bewegung und

gesundes Wachsen

endlich die Gonversion.

und Heraureifen

der

be-

deutenden Persönlichkeit Schultz’, dass je mehr er äusserlich in den

Kampf

gestellt war,

je

mehr

sein mit

dem Leben der Kirche und

der baltischen Heimat eng verwachsenes Leben von herbem Schmerze

und bitterem

Wehe durchzogen

wurde,

um

so

mehr

sich in seinem

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452

Dr.

ganzen Wesen

Weil

spiegelte.

tlieol.

Adel

der

wo

sein,

haftes Auftreten von

Woldemur

Schultz.

gewonnener

Ruhe

es galt, entschiedenes, muthiges,

mann-

besonnener

Gott

in

durch den inneren Frieden geweihten

dieser

darum

Besonnenheit getragen war.

hat

es

seinen Eindruck nicht

verfehlt.

Immer mehr

trat

jetzt

an Schultz

gegen

seine eigentliche

Natur das Streben hervor, Menschen anderer Richtung, ganzen Strömungen, die seinem eigenen Sein entgegengesetzt waren, doch gerecht zu werden. Selbst in Bezug auf die jungestnische Agitagezeigt. In voller Anerkennung an der Hebung ihres Volksthums zu bemüht gewesen, mit den besseren Elementen innerhalb dieser Bewegung Fühlung zu gewinnen, sie zu gesunder Mitarbeit an dem Ausbau unserer Kirche, wie überhaupt unseres provinziellen Lebens heranzuziehen. Diese seine Bemühungen sind freilich bis zuletzt vergeblich geblieben. Aber ein unparteiisches Urtheil wird ihm die Anerkennung nicht versagen können, dass er auch hier mit Hintansetzung dessen, was ihm persönlich tion hat Schultz

dieses Streben

des Rechtes auch der Esten,

arbeiten, ist er stets

sympathisch war, das Beste gewollt hat.

Ebenso

hat

Schultz

der

geistlichen

Bewegung

gegenüber

gegen die confessionell gerichtete Art seines tilaubenslebens doch das,

was

er für den guten

Kern

in

jener Erregung

krankhaften Hülle herauszuschälen gesucht. in

aus der

hielt,

Ja noch mehr,

er hat

mancherlei Weise jene doch immerhin sectirerischen Bestrebungen

zu stützen und zu schützen gesucht.

nach

wol

noch

Hier

ist er

mancher Anderer Lieberzeugung

nach meiner und in seiner

venz, in seinem Bestreben, das Gute, das Christliche

znerkennen,

wo

es

in

gänzlich

Conni-

auch da an-

unserer lutherisch-biblischen An-

schauung widersprechender Gestalt auftrat, zu weit gegangen. Im Bisherigen ist Schultz' Wirksamkeit mehr nach ihrer öffentlichen bedeutsamen Seite hin geschildert worden.

im privaten Verkehre gab,

das

zu beobachten,

Wie

ist allen

er sich

Pastoren

mehr oder weniger Gelegenheit geboten gewesen. Zur Zeit der Synode war es ihm ein Bedürfnis und eine Freude, die Amtsbrüder Jeder von uns bei sich in seinem Hanse als Gäste zu sehen. Pastoren weiss, welch ein liebenswürdiger Wirth er da war und wie er in hohem Grade die Gabe besass, in zwangloser Unterhaltung das Gespräch immer auf wichtige Fragen nicht nur aus kirchlichem, sondern

aus jeglichem

geistigen Gebiete

zu

lenken.

Bei der Gastfreiheit, die Schultz im edelsten und besten Sinne des

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Dr. theol.

Wortes

übte,

schaftliche

war

es

ihm

Woldemar

um

nie

453

Schultz.

eine blos oberflächliche gesell-

Berührung mit seinen Gästen zu thun. Namentlich die wie er den Wunsch hegte, zu

Pastoren mussten es ihm abfühlen,

Zeigte

ihnen allen in ein nahes persönliches Verhältnis zu treten. sich das nicht

immer nach aussen

konnte

hin,

scheinen, als ob Schultz auch im geselligen

hervorkehre

Generalsuperintendenten

ziehungen zu ihm gestanden



,

der hat

hat,

es

wol bisweilen

Umgänge zu wer

in

sehr den

intimeren

Be-

es erfahren, wie fremd

Prunken war, wie er gerade durch seine oft rührende Demuth die Herzen gewinnen konnte. Die städtischen Amtsbrüder werden sich dessen erinnern, mit welcher ungekünstelten Beschämung Schultz uns, als wir zur Lutherfeier auf dem Markte von Reval versammelt waren, die Mittheilung machte, dass ihn die theologische Facultät in Dorpat zum Doctor der Theologie ernannt habe. Je mehr Schultz sich fast bedrückt fühlte von dieser, wie er es aussprach, ihm unverdient zu Theil gewordenen Ehre, um so mehr mussten wir alle Hattet! wir doch der ihm gewordenen Anerkennung uns freuen. dabei alle das Bewusstsein, dass sie ihm wegen seiner ganzen im Grunde seinem schlichten Sinne

einschneidend

Wohl

bedeutungsvollen weitreichenden Thiitigkeit

für

das

unserer Kirche voll und wohl verdient gezollt wurde.

Wie wahrhaft die er den

ihm

gross Schultz

seine Stellung,

untergebenen Pastoren

das offenbarte sich da besonders,

Noth, Bedrängnis

oder

wo

Abwehr

er da,

alles äussere

es die

in

wo

seine Aufgabe,

gegenüber hatte,

auft'asste,

er einen der Brüder in äusserer

innerer Anfechtung

wusste.

Wie

hat

ungerechtfertigter äusserer Angriffe galt,

mit der hingehendsten Selbstaufopferung, mit dem unerschrockensten

Muthe, mit Einsetzung

ganzen Persönlichkeit Alles

seiner

wahr-

genommen, was wahrzunehmen war. Aber wie hat er auch da, wo es im Leben der Pastoren innere Noth gab, diese Noth mitgefühlt als seine eigene, wie hat

er mitgelitten, mitgekämpft, mit-

gebetet.

Und jegliche

Noth der Pastoren, er hat für Noth innerhalb der Gemeinden in Stadt und Land ein gehabt, das nimmer rastete in unerer hat nicht nur für die

brennend mitfühlendes Herz

müdetem Liebesthun. Präses er war, die er

Waisenhaus

,

das

Die Wohlthätigkeitsanstalten Revals, deren

zum Theile mitbegründet

Frauenstift

,

die

kirchliche

hat

:

das

Armenpflege

Dom,

die

Diakonissenanstalt, die Blindenschule, der evangelische Verein mit seinen Zweigvereineu (Herberge zur Heimat, Asyl für Obdachlose,

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»

454

Di\

Arbeitswerkstätte Missionsschule), sie

Woldemar

tlieol.

Männer,

für

Schultz.

am

kennzeichnete Gabe zu organisiren, schnell die

machen,

Wege

erkennen,

zu

zum

besten

Ziele

ausfindig

richtigen Mittel

die

entschlossene Weise

die

von Schultz’

In ihr trat jene seine schon ge-

grossartiger Liebeswirksamkeit.

führenden

ab

legen beredtes Zeugnis

alle

Wiesingerseite

Jünglingsverein,

zu

Hand auzulegen ans Werk, im

glänzendsten Lichte zu Tage.

Ein Blick

ausgebreitete Liebesthätigkeit.

weit

diese

in

an

der Schultz nicht nur obenhin, sondern mit Einsetzung aller Kräfte

war,

betheiligt

uns

lehrt

Er

und

voll

erstaunliche

die

Mannes würdigen, dessen Hingang wir

Leistungsfähigkeit des betrauern.

ganz

erst

hätte das alles, was

alle

er als Generalsuperintendent,

Vicepräsident des Consistoriums, als Pastor der Domgemeinde, als Leiter

Wohlthätigkeitsanstalten

der

können, wenn

er

Arbeiter, als

Pastoren

durch

Grundsätze

dass

geleitet,

er

Diesem Grundsätze

sich

zu

ist

wo

seine letzten Jahre hinein,

leisten

Auch

Mann konnte

gestählter

ganzes Lebeu

Sein

dienen.

seine Bequemlichkeit Rücksicht

Herrn.

uicht

hat,

ihm bewundert haben.

die Arbeit

zum Muster

geleistet

ungewöhnliche Energie im Arbeiten

nicht jene

bewiesen hätte, die wir alle an

nicht

als

er allen

war von dem

zu schonen, niemals auf

nehmen

habe

im Dienste des

mit eherner Festigkeit bis in

er

schon die Krankheit an seiner

bis-

her unerschütterlichen Gesundheit zehrte, treu geblieben. Schultz ging dabei

mit

seinen Interessen keineswegs in der

Er hatte einen aufgeschlossenen Sinn

Berufsarbeit auf.

Schöne und Grosse konnte,

nahm

er

für alles

Wissenschaft und Kunst, für alle Vorgänge

in

auf geistigem Gebiete, für alles menschlich Erhebende.

auch

hier

an

allen

So

viel er

Bestrebungen Theil, suchte

fördernd auf sie einzuwirken.

«Er war

Mann, nehmt Alles nur in Allem. Mühe, sein Bild, das ich mit schwacher habe, uns zu vergegenwärtigen. Es

ein

Es lohnt wohl

Hand

die

zu zeichnen versucht

wäre Unrecht, wenn wir an einmüthig zum Danke dass

er

schenkt.

uns

diesen

Denn was

verleiht, ist, dass

sie

einfältig, fest, kindlich

des

Glaubens an

diesem Orte

gegen Gott

die

seiner als

uns

stimmen

Mann geschenkt

hat.

nicht noch einmal

lassen wollten dafür,

Gott hat ihn uns ge-

Wirksamkeit ihren bleibenden Werth hervorgewachsen ist aus einem

Frucht

auf dem Boden des Glaubens unserer Kirche, rechtfertigende

Gnade Gottes

in

Christus

ruhenden Herzen.

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Dr. theol.

«Dank’

nicht,»

das

Woldemar

freilich

die

letzten

Schultz an mich auf seinem Sterbelager richtete. fügte er hinzu, «nur

meine Sünde und

455

Schultz.

waren

will

Worte,

die

«Ich sehe jetzt,»

nirgendwo anders

hin-

blicken, als auf Christus, den Sünderheiland.»

Hat

er

uns

auch

das Danken

wehren wollen

und

in

dem

Sinne, wie er dies im Angesichte des Todes aussprach, es versiegelt,

dass

sein

Wirken

im Leben der

rechten,

einzig

lebenskräftigen

Wurzel entsprossen war, Gott wehrt uns das Danken im Hinblicke zweifellos nicht. So sei denn auch an

auf diesen seinen Knecht dieser Stelle unser

Dank

Gott, so sei er in Gott unserem theuren

dem muthigen dem festen, ehrlichen, weiten Herzen, der uns und unserer Kirche, der dem geistlichen und geistigen Leben der gesammten Wir aber, die baltischen Lande zu so reichem Segen gewesen ist. entschlafenen Generalsuperintendenten ausgesprochen,

Mann

mit

wir ihm zunächst gestanden sind, wir wollen insbesondere ein treues

Gedenken

an

diesen Lehrer bewahren, wir wollen

sein

Ende

an-

schanen, seinem Glauben nachfolgeu. F.

Luthe r.

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/•

Der Naturalismus

der modernen Literatur.

in

a

wie der bildenden ls eine Hauptaufgabe der Dichtkunst, Kunst, bat von jeher die Naturnachahmung gegolten, d. h. nachahmende Darstellung der Wirklichkeit. Während aber bei jeder anderen Art der Naturnachahmung das Abbild weit hinter die

seinem

Urbilde

wenigstens

zurtickbleibt,

das menschliche Gemüth,

in

seiner

Wirkung auf

der künstlerischen das Gegentheil

ist bei

wäre unerklärlich, wenn die künstlerische Darstellung weiter nichts wäre als Nachahmung. In der That ist sie mehr als das. Selbst da, wo sie auf alles Uebernatürliche verzichtet und nur die natürliche Wirklichkeit darzustellen sucht, ist sie eine selbständige Schöpfung des Menschengeistes, aus einem geistigen Bedürfnis hervorgegangen und zur Befriedigung eines Dies

der Fall.

solchen bestimmt.

Welches

ist

aber dies Bedürfnis

aber findet ein

grosser Theil

?



Die hergebrachte Ant-

Schönheit.

wort lautet: das Bedürfnis nach

In unseren Tagen

der Kunst- und Literaturwelt diese

Kunst auch Hässliches darstelle und dadurch nicht minder starke Wirkungen hervorbringe, als durch Antwort unzureichend, da

die Darstellung

die

Das

des Schönen.

Hässliche, wie

der künstlerischen Darstellung wirke aber es auf keit

des

tiefste

nach

Wahrheit beruhe,

mehr

dargestellten Gegenstandes

und

letzte

Wahrheit

welchem

d. h. je

in

Daseinsgrund

anderer Weise

in

so

entspreche.

aller

zu suchen, also

um

das Schöne

stärker, je

in

mehr

es der natürlichen Wirklich-

Daher sei der im Bedürfnis

echten Kunst

demselben geistigen Bedürfnis,

auch die Wissenschaft zu dienen sich

bestrebt.

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Der Naturalismus

in

der modernen Literatur.

457

Die Kunstrichtung, welche dieser letzteren Ansicht entspricht,

etwa

ist erst

dem Jahre 1870 zu

seit

fortgeschritten

;

aber

sie

ihren äussersten Consequenzen

hat bereits lange vorher bestanden.

Namen.

führt in verschiedenen Ländern verschiedene

land und Russland wird sie meist

Sie

In Deutsch-

Realismus» genannt,


genannt hatte, fand bald ein an

Grössenwahn offenbar schwer leidender Forscher, dass diese

Art im Hinblick auf seiue «Grösse» nur « Otus minor » betitelt Zwei farbenblinde Ornithologen erwerden könne und müsse. achteten es für dringend geboten, zur grösseren Ehre der Wahrheit dem Waldkauz neun charakterisirende lateinische Namen zu octroyiren, und siehe! der graugelbliche Waldkauz wurde Strix alba und Strix rufa benamset, etwa mit gleichem Rechte, wie ein witziger Pferdebesitzer sein weisses Ross «Othello» nannte. Ein



deutscher Patriot beanspruchte für den

den

Namen Bubo

Uhu den

örtlich begrenzen-

germanicus, während ein Europafreund ihn Bubo

europaeus betitelte,

und ein Dritter, Sibirienfahrer,

Sibiriens hinstellte

ein

beehrte

ihn

mit

;

Vierter, vermuthlich

der Anrede:

Bubo

Fünfter ihn als Strix lurcomana vorführte sprüche

,

Beschränktheit

und

ein



Neuerungssucht

ähnlichen Unsinn massenhaft zu

Tage

ihn als

alter

septentrionulis,

Bubo

Norweger,

während' ein

kurz überall Wider,

die

solchen

uud

förderten.

Das neueste Vogel Verzeichnis für Deutschland führte 12 Enlenarten in 10 Sippen vor, Russow brachte 12 in den Ostseeprovinzen

Digifeed by

C^fjgle

543

Oie baltischen Raubvögel.

gefundene Arten unter 9 Sippennamen, Cuvier stellte 7 Unterfamilien

Arten unter 4 Gruppennamen, ein Anderer Bald schob man die

auf, Friedrich placirte 14

schuf

5,

wieder jemand nur 3 Sippen &c. &c.

Habichtseule

den Kreis der Tageulen,

in

daun verbannte man

man

zu den Nachtkäuzen, schliesslich verurtheilte haft, rückte sie nach

um

vorn,

la queue

Der verlängerten Ohrfedern halber schuf man

stellen.

sie

zur Einzel-

sie

morgen wieder ä

sie

zu

die Familie

der Ohreulen, obgleich dieselben sonst durchaus nichts Gemeinschaftliches oder von den übrigen

man

schloss

Eulen Abweichendes besassen.

die Sumpfohreule

aus,

Darauf

um

darnach den Uhu,

zuletzt

jede einzelne eine Sondersippe repräsentiren zu lassen, nachdem die

Sumpfohreule mit der Waldohreule einen kurzen Bund erlebt hatte. Die Sumpfohreule wurde als Ulula sogar den Käuzen zugeschoben 70

was

Alles,

die zahlreichen,

Reval.

in

einheimischen Archiven an ge-

unseren

entbehrt für eine

hörigen Schreiben der Stände darüber enthalten,

nach Ton und Inhalt jeder

bemerkenswerthen Abweichung von dem Cardinalsatze «Treue beiden Theilen», bis die Entscheidung für Karl von Südermanland als unabwendbare von Jahren

Reihe

Thatsache vorlag und damit die Zeit der politischen Gewissensnoth ein

Ende nahm. Das Werden der Dinge,

welche

zu

solcher

führten, vollzieht sich ja bekanntlich in den Reichen

Polen, sowie in

dem

geringeren Tlieile

dazu

gehörigen Livland,

Entscheidung Schweden und

und nur zum weit

dem damaligen Estland.

in

Während aber in in der Schwebe dem Kampfe hervor-

wechselndem Waffenglücke es ja noch recht lange

wer von den Fürsten

blieb,

als Sieger

ans

gehen werde, und namentlich

für Livland und auf livländisehem Boden Jahre lang hin- und herschwankte, neigte sich ja für Estnachdem der Widerstand Finnlands gebrochen war, schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Waage immer deutlicher zu Gunsten Karls.

land,

Den

übte

grössten Einfluss

darauf die Persönlichkeit dieses

Fürsten und seine wiederholte Anwesenheit

in

Reval.

Was

wollten

Sigismunds, des fern vom Schauplätze der Begebenheiten weilenden Polenkönigs, von Natur schon schwache und durch polnisch-clericale Einflüsse noch

mehr geschwächte Geistes- und Charaktereigenschaften

gegen die Einsicht und Thatkraft Karls von Südermanland besagen Dieser durch und durch

ein

Mann von

schriften

jener Zeit bezichtigen ihn ja

!

und Schmäh-

eiserner Willenskraft

von nöthigenfalls vor rücksichtslosem Eingreifen

(die vielen

geradezu des Blutdurstes!)

nicht zurückschreckender Energie und jener



ein Spielball seiner

Umgebung. Die Persönlichkeit Karls und Geschicke Estlands

in die

sind

es

nun,

welche

Urkundenmaterials

Grund

lege ich das

nannten Momente.

Karls Anwesenheit

man um

ich

unmittelbares Eingreifen

während seiner Anwesenheit an

der

vorzuführen

Hand

die

bisher

Absicht

nicht

habe.

in

Reval

bekannten Nicht

ohne

Hauptgewicht auf das erste der von mir gehaben sielt während

Die Geschicke Estlands in

dessentwillen

Reval

nicht

so wesentlich verändert,

die betreffenden

ziehen sich veranlasst sehen könnte. lichkeit des

sein

ist

es die Persön-

hochbedeutenden Regenten Schwedens und seine

sche Anschauungsweise, deren Bild

aus

dass

Archivstücke ans Licht zu

Wohl aber dem

politi-

neuen Materiale um

Digitized

byJjiQUjiji

Karl IX. nicht

Zwar

besitzen

wir

den

in

f>7L

zahlreichen,

an

es

portraitirung dieses Fürsten aus eigener Feder

verspricht.

zeitgenössischen

vielfach

zumal

,

werden

zu

reicher

Denkwürdigkeiten

und

Nachrichten

Reval.

in

Züge

unwesentliche

einige

einer

Selbst-

nicht mangelt, ein

Hauptzüge des unvergesslichen Mannes recht Aber abgesehen davon, dass die Erdeutlich hervortreten lässt. gänzung dieser Züge um einige weitere immerhin denkenswerth ist, welches

Bild,

die

bleibt doch noch ein

Zug

zu der Inländischen Provinz,

Tage

fremd

fern gelegen, dass sie sich

nicht

erst in zweite Reihe

geblieben

tritt,

ein-

Behandlung

oder

haben

ihnen so

des baltischen Landes stehen

Was

in

der Geschichte Schwedens

steht für die Geschichte unseres

Landes

.

schen Stadtarchive an. «

zu Estland,

1

Das IJrkundenmaterial, dessen

:

es

veranlasst gesehen haben, näher

Wir Bewohner

einzugehen.

selbstverständlich anders dazu.

trägt

Wie

traten, sind den schwedischen Histori-

kern zum grössten Theile

in erster

aber

insonderheit

die Charaktereigenschaften, welche bei der

dieser Beziehungen zu

sie

den Untersuchungen

so wiederholt sichs hier bei

ist,

Die Beziehungen, welche beide Regenten Schwedens

seinem Vater.

auf

in

schmerzlich _ vermissen.

ihnen bei Gustav Adolph gegangen

nahmen und

wir

übrig, den

schwedischer Geschichtsschreiber

Reval

In

dem

reval-

einem Conyolute, welches die Aufschrift

im Contlicte

Herzog von Südermanland»

ich erwähnt, gehört

zwischen König Sigismund befindet

sich

neben

und dem

zahlreichen Con-

cepten und Abschriften, die insgesammt einer Correspondenz zwischen

den genannten Fürsten und der Ritterschaft und Stadt innerhalb eines schon erwähnten Zeitraumes angehören, ein besonderes Actenstück

,

das

halb

einen

protokollarischen

erstere Eigenschaft

Die

Charakter trägt.

werden, weil es entschieden

halb

,

muss

hat.

Für eine Art Tagebuch oder Diarium muss

weil

für

Zeit

dieselbe

rechtlichen Inhalts



und

von der Form damaliger Protokolle

die

zu

Zwecke gedient

ich es

eingebundene Protokolle

existiren

tagebuchartigen

ihm beigemessen

amtlichen

einem



aber halten,

meist

sehr

abweicht.

Wer

Verfasser des Diariums gewesen, vermag ich nicht zu sagen. es ein Glied '

Ueber

des Raths die

gewesen,

privat-

ganze Darstellungsweise

unterliegt

der

Dass

keinem Zweifel, und

Unkenntnis der schwedischen Historiker,

so weit es sich

am

Livland handelt, vgl. den Eingang des Aufsatzes des Verf. «Heimische Conflicte

mit (Instar Adolph»

Heft

in

-Beitrage znr Kunde Est-, Liv- und Kurlands. Bd. III,

l.»

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572

Karl IX.

meine Vermuthung, gewesen, hat

den

bez.

übrigen

dass

den Umstand für

Reval.

in

damalige Vicesyndicus Herbers

der

es

dass

sieh,

obschon er

er sich,

in

gewesen ist und die immer namentlich anführt, seinen

eine Hauptperson

Verhandlungen

betheiligten Personen



Namen neben dem Amte, das er bekleidet, stets verschweigt. Auf 10 Foliobogen in zwei gehefteten Fascikeln folgen sich für 9. August 1000 bis zum 10. Juni 1601 die Auf-

den Zeitraum vom

Leider reichen

zeichnungen streng chronologisch.

Anwesenheit Karls bis in den

in

obschon die

sie,

Reval über das letztgenannte Datnm hinaus

Spätherbst des Jahres 1001 gedauert hat, nicht so weit

und brechen sogar in einem unvollendet gebliebenen Satze ab. Die schriftliche oder mündliche Verwerthung des in dem beregten Archivstücke gebotenen Materials für Hörer oder Leser der Jetztzeit findet darin

dass

der Schreiber

eine

des

kaum zu überwindende

Diariums

Vertreter mit Karl, welche

zum

Schwierigkeit,

Verhandlungen

die

allergrössten Theil

von Dialogen stattgefunden haben, diese

mit den Eingangsworten: «Der und der sagte» resp.

Form

aber

welches in

wird allerdings durch das Interesse,

liegt,

ausdrücklich

dessen

Form

«der und der

welches der Inhalt bietet, reichlich wieder gut gemacht.

musste

der

Weise, meist

Das Unschmackhafte,

antwortete» wiedergegeben hat. dieser stereotypen

ständischer in

in stereotypster

Immerhin

Erwähnung geschehen, um von

Hause aus den Leser auf das, was kommen wird, vorzubereiten. Eine Gruppirung des Stoffes anders als nach Zeiträumen erAber selbst diese ist kaum etwas mehr, weist sich als unthunlich. als

ein

da

dürftiger Nothbehelf,

kürzere Zeiträume

Kalenderjahre 1600 und 1601,

auf welche

Karls in Reval vertheilt, nicht

am

1

Das Diarium beginnt mit des Empfanges Karls in Reval.

Der Herzog

sich

die

als

die der

Anwesenheit

Platze sein möchten.

6 0 0

.

Ankunft und August 1600 statt'.

einer Schilderung der

Sie fand

am

9.

verlegte ja in diesem Jahre, nachdem er den finnländi-

schen Aufstand unter Claes Flemming glücklich gedämpft und der letzte Reichstag

von Linköping ihn statt des abgesetzten Sigismund hatte, den offenen Kampf gegen Letzteren nach

zum Könige erwählt Est- und Livland.

1

Darin stimmt

An «las

der Spitze

eines Heeres

Diarium mit ITjärn

(cf.

von 9000 Mann

Xapierskys Ausgabe S. 382

überein.

Digitized

Karl IX.

573

in Reval.

Begleitung seiner Familie landete er

uml

in

aus

mit

glücklichem Erfolge Krieg

anfangs

Reval,

in

um von

hier

gegen seinen Neffen

zu führen.

Eine zahlreiche Flotte ankerte Rhede.

Zuerst

dem

und

er

Karl

verliess

an

9.

August auf der hiesigen

Gefolge

liehst

das Orlogschiff,

von Schweden gemacht Sieben Kanonenschüsse

vom «hohen Zwinger» und von Süstermvall verkündeten der

Die

Stadt.

Stadtknechte

vom Schlagbaume

(städtische

Brücke an

der

auf

die Ueberfalirt

der Hafenbrücke.

die Seinigen

hatten und landete

am

bis

solches

Miethtruppen) bildeten

zur

grossen

Strandpforte

der Bürgermeister Hans Korfmacher Nun ging es durch die LangDomberg hinauf bis zum Schlosse, auf

Hier empfing ihn

Spalier.

an der Spitze einer Rathsdeputation. strasse

und

langen

den

welcher Strecke zuerst die Bürger der Stadt

uml

wohlstaffirt

«

in

guter Ordnung» unter ihren vier Quartierfahneu aufgestellt waren,

im Anschlüsse an auf diesem



merkt

aber die schwedischen Knechte.

sie



Wege

wie

auf dem Schlosse

ist

ausdrücklich

unser Berichterstatter

gegrüsst

häufig

Haupt

und sein

entblösst.

langen Gasse war allenthalben Gras gestreut.»

Karl hat «In

be-

der

Bei seiner Ankunft

wieder ein Salut «aus zwei groben und scharf

geladenen Stücken» abgefeuert und

ist dies

in gleicher

den Schiffen auf der Rhede beantwortet worden.

Weise von

Der Bericht

lässt

nun die Namen der fürstlichen Personen folgen, welche den Herzogwie es scheint, auch zu Fuss durch die Stadt bis Regenten



zum Schlosse

begleiteten. Es waren dies: « Herzog Johann, König Johanns Sohn, ungefähr 12 Jahre alt, Herzog Gustav Adolph, Herzog Karls Sohn 6 Jahr alt. Die Fürstinnen Frau Christina, Tochter weilandt Herzogs Adolphs aus Holstein und Christina, die Tochter des Landgrafen Philipp aus Hessen; Fräulein Catharina, :

F. D. älteste Tochter von der Pfalzgräfin geboren', Fräulein Elisa-

beth Margaretha, Tochter weilant Herzog Christophs voii Meklen-

und dessen

burg

Frau

Elisabeth,

Gustav Wasas

Tochter,

und

Fräulein Maria, F. D. und der Fürstin Christina jüngste Tochter».







im Tagebuche weiter «verleihe, dass die Ankunft solcher hohen und hiebevor niemalen

in

«Gott der Allmächtige»

Livland

gewesenen,

Unterthanen Nutz

n.

I.

heisst

fürstlichen

es

Personen

zu Gottes Ehr’, der

F. D. selbst zu einem unsterblichen

Ilhum

gereichen möge.» Kurl» erste Gemahlin war Maria, Torliter de» Kurfürsten Ludwig VI von der Pfalz. Von ti Kindern au» dieser Ehe blieb nur Katharina am Leben. 1

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574

Karl IX.

Am

Reval.

in



nachdem auf den Schiffen eine August wurde Predigt gehalten worden die gesammte Kriegsmacht an Fussvolk und Reiterei (deren Starke auch Hjärn und Kelch auf 9000 10.



Mann angeben) Der Fürst begab

ausgeschifft sich

um und dann

und

ausserhalb

der Stadt

einlogirt.

an diesem Tage auf eine Fasswanderung zu-

Er besuchte bei dieser Gelegenheit die Olaikirche und probirte auf dem alten Markte «bei den Wasserhähnen« das Trinkwasser. Am 12. August fand seitens der Stadt die Uebergabe der üblichen Geschenke auf dem Schlosse statt. Sie bestanden in 1 Bode (?) Alicante, l Pipe Canarien- und ö'/a Ahmen Rhein-Wein, ferner 2 Last Revalschein Bier, 2 Lasten gutem Hafer und 0 guten, gemästeten Ochsen. Alle diese Gaben waren «auf dem Platze des Hauses« aufgestellt und wurden dem Fürsten und seiner Gemahlin Namens des Raths vom Vice-Syndicus und dem Rathsherrn Rhabe übergeben. Der Fürstin hat diese Darbringung besonders deshalb bemerkt der Chronist weil sie nach «deutschem Gegefallen Am Vormittage desselben Tages hatte brauche» geschehen war. nächst

durch die Stadt.

1







sich der Kriegsobrist Carl Carlsohn’

Fürsten

grossen» Ochsen,

rührte,

des Fürsten herausstellte, von

frage her,

für den die Stadt (50

Das Geschenk

überreichen.

die Erlaubnis

bestehend

besonderes Geschenk,

ein

in

Thaler

:

«das

Müller die fettesten Schweine, hätten.

Sprichwort

die Glosse:

zu

«Also hat dieser

sei

zu

der lachend

wahr,

dass

die

Ochsen Der Tagebuchschreiber Schreiber mehr Schimpf

die Schreiber

Das machten des Bauern Säcke!»

macht dazu

dem

hatte,

wie sich auf deslallsige Andem Schlossschreiber Nielsen

und veranlasste diese Auskunft den Fürsten

vorgebrachten Bemerkung

erbeten,

einem «herrlich-

geboten

die fettesten

Ehr mit seiner Verehrung eingelegt.» Noch an demselben Nachmittag nahmen die Verhandlungen zwischen dem Fürsten und der Stadt in den schwebenden Landesund Communalangelegenbeiten ihren Anfang. Der Bürgermeister Johann Holthusen (Holzhausen), die Rathsherren Johann Korfals

macher und Joh. Balemann, sowie der Vicesyndicus Beruh. Herbers begaben sich zu dem Ende aufs Schloss und zum Fürsten. In 1

Da» Amt

gekommen und

eine» Vicesyndicus

nicht

war unter der schwedischen Regierung

dauernd besetzt.

Im Jahre 1000

bekleidete

diese»

auf-

Amt

Bernhard Herber» (Bnuge, Rev. Rathslinien. S. 07). ’ Carl Carhudm (iyllenhjelm (des Regenten natürlicher Sühn) wnr im Jahre 1000 Feldoherster.

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GijogJi

Karl IX. dessen

575

Reval.

in

Schlaf kammer» entboten, bewillkommneten sie ihn zunächst

«



mit einer «ehrfurchtsvollen» Begrüssungsansprache. eröffnete

Der Fürst

das Gespräch mit der Anfrage, wie der Rath sich zu dein

von ihm, dem Fürsten,

intercessionsweise für einen gewissen Der-

freien Geleite gestellt habe Derselbe habe Abo an einem revalschen Bürger «vergriffen» und sei ihm dem Fusse gefolgt. Gewähre man ihm nicht das freie

beantragten

felden sich in

hierher auf Geleite, so

habe.

Die

gern

bereit

einzulegen,

wenn

sprache

für

dass

Mann

den

sie

compromittirt, da er

einigermassen

der Fürst,

sei er,

ihm Aussicht dazu gemacht klären ihm darauf,

städtischen Vertreter er-

beim Rathe Für-

seien,

um

sich nicht

es

einen

Derfelden handle, der in Finnland den Sohn des verstorbenen Bürgermeisters Sandstede

erstochen

Ermordeten schon um

«

da

hätte,

Blutsverwandten

die

Bestrickung» des Mörders gebeten

des

hätten.

Sandstede habe in der letzten Muscowitischen Belagerung zu grosse Verdienste

um Reval

gehabt',

nicht



als

Um

dieser Bitte versagen konnte.

erwidert ihnen der Fürst

dass

der Rath die



um

sondern

eine Person, die

den revalschen Bürger Victor Rhuten umgebracht habe. fügte er hinzu,

man

man

sei

hier

in

Gewährung

diesen Derfelden handele es sich

Uebrigens,

einem Irrthume befangen, wenn

Das

glaubte, Derfelden habe Sandstede getödtet.

sei

gar nicht

Muthe

der Fall, sondern Derfelden habe Letzteren nur im trunkenen «ins dicke Beinfleisch»

gestochen.



Nach

dieser Zurechtstellung

wird dem Fürsten das erbetene freie Geleite sofort zugesagt.

Bevor wir es

der

den

weiteren Verhandlungen

vorausgehenden Bemerkung,

dass

die

rachgehen, sich

stets

bedarf wieder-

holende Initiative der städtischen Vertreter in diesen Verhandlungen

und ihre dabei erfolgende Bezugnahme auf bereits früher erörterte Materien darin ihren Grund hat. dass im der Stadt mit

dem

fürstlichen

Wege

des Schriftwechsels

Regenten manche der jetzt mündlich

behandelten Fragen schon früher formulirt worden waren. Schriftwechsel

zum Theil

ist

in

dem

hiesigen Stadtarchive

und mag dieser Umstand

mehr vorhanden,

Dieser nicht

Erklärung dafür dienen, dass wir uns bei manchen der folgenden Verhandlungen in mediis rebus befinden werden, ohne den Anfang und mit ihm den ganzen Umfang

und

die

Motive der

als

beiderseitigen Ausführungen

genau zu kennen. Per Bürgermeister Sandstede

'

begleitete

1569

den

Syndieus

Bellingshausen bei dessen Unterhandlungen mit Taube und Krause nach borg.

Küssows Chronik Mntiatflftfhrifl.

Conrad

Wesen

S. 78. 11*1.

XXXV,

lieft 7.

JJ9

Digitized by

Google

Karl IX.

570

Zu

in

Reval.

diesen Gegenständen gehört in erster Stelle das Anverlangen

zu weisen.

Es war

Fremden aus Reval

alle

der schwedischen Regierung,

dieses

Anverlangen vom Statthalter

worden, und wurde jetzt vom Rathe

aus-

gestellt

auf das Missliche desselben

Eine solche Massregel werde die Stadt nicht

aufmerksam gemacht.

nur zu «allen benachbarten Potentaten» in ein unfreundliches Ver-

Karl führte

Handel schädigen.

hältnis bringen, sondern auch den

dagegen aus: Das Fremden verbot werde besonders deshalb begehrt, Und «dass die Muscoviter von hinnen möchten geschafft werden. damit

dieselben

so habe

um

nicht

sich

sie

abzuschaffen

Fremden mehr vermeinend

keine Nation von

damit

Beschuldigung

eine

kümmern möchten.

allerlei

Zuvörderst,

Ausflüchte zu bedienen beflissen

daraus

Von dem Verbote getroffen werde,

allein

alle Fremde

insgemein

er

ihm

möchten

nicht

machen, dass diese Nation

Sachen weil

Ankunft

Muscoviter

um

doch

den Muscoviter,

bei seiner

die

wären,

als

gebeten,

be-

aller

sich

der Bestätigung

des

Erbfriedens zu entgehen, vorgebend, König Sigismund habe solchen

Das

Frieden nicht bekreuzküsset.

habe

Man

hinderung

aber

sie

also

sei

Sigismund gewesen.



nicht bei



die

Der König

jedoch erlogen.

sei

zu dem Zwecke

seinen Gesandten

habe

Grenze

nach Moskau passiren

dem Muscoviter und

geschickt

Die Be-

lassen.

König Ebenmüssig seien auch seine -— des Fürsten beim

nicht

Gesandten auf der Grenze aufgehalten worden, unter dem Vor-

geben, dass

Narva

zuerst

dem Muscoviter einzuräumen

sei,

noch die Legaten des Fürsten (Boris Godunow) angelangt. aber das Verbot die Lübecker

da

und Blei

zugeführt

sie

so hätten sie

bevor

Wenn

es selbst ver-

dem Erbvertrage zuwider dem Muscoviter Pulver

schuldet,

Gefahr haben,

trelle,

da

Uebrigens könne das Verbot keine ihrem Lande gebräuchlich sei, dass «wenn eine Aufrüstung vorhanden sei». Delegirten die Bitte vor, es möchte unter

hätten. es

auch

in

die Strasse geschlossen würde,

Weiter bringen die den

neu angelangten Kriegsknechten die

forderliche Mannszucht

gehalten

Klagen der Einwohner über Zerstörung

ihres

gewaltigung ihrer Person seien eingegangen. in

der

Nähe der Stadt

werden.

er-

Zahlreiche

Eigenthums und VerNamentlich seien die

befindlichen Gärten nicht sicher vor ihnen,

wobei zum Schaden der Gesundheit das unreife Obst gepflückt und

Gern wolle der Rath für die nöthige Zufuhr von Lebensmitteln sorgen, wenn nur die Uebergriffe der Soldaten damit aufhörten. Der Fürst sucht nun die Beschwerdeführer damit zu verzehrt werde.

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Qloßgj

Karl IX.

Reval.

in

577

beschwichtigen, dass er ihnen eröffnet, wie er schon

her «umblasen

und

keiner Gewalt

thun

»ein

Liebhaber

bei

Trommel habe ausrufen

der

«bei seinem Höchsten».

solle,

von Gärten

sei»,

so

am Tage

vor-

lassen», dass

Und

weil er

wolle er es nochmalen ver-

und «so jemand dessen beschuldigt und überzeugt werde», wollte er sie so strafen lassen, dass Andere daran denken sollten, ja er wollte sie hängen lassen. Aehnlicheu Inhalts war bieten

die

lassen,

Bitte der Delegirten

um Schutz

der

Spitalgüter,

«dass

möchten verwüstet, geplündert und verheert werden». «Er wäre mit seinem Volke nicht anher gekommen» erwiderte der Fürst «einem Menschen das Seine zu nehmen. Auch hätten sie ihre Nothdurft mitgebracht. Deswegen wolle er nicht allein die Seeken, sondern auch alle anderen Güter vor grausamer Beraubung schützen und vertreten. Es werde deshalb ein strenges sie nicht





Mamlat

ergehen.»

Allerder Unbilde und dem Schaden, welche der

Stadt aus der herübergeführten Heeresmacht erwachse schliesslich die Delegirten



verlegt

werde.

Nothdurft

dafür

in ein

Rath und Bürgerschaft erboten zu leisten».



meinten

werde am einfachsten dadurch vorge-

beugt werden können, dass die Kriegsmacht



Feldlager

sich

dazu, «alle

«E. E. R.,» erwiderte der Fürst,

Tage Geduld tragen, sintemal er selbst gern sähe, dass seine Kriegsmacht in ein Feldlager gebracht werde. Aber es wäre noch hochbedenklich, wohin er sie wenden sollte, ob nach des Muscoviters oder nach Polens Seite. Denn beide würden also einen Muth bekommen, wenn er sich auf des einen oder des anderen Seite mit seiner Kriegsmacht wendeu würde.» Mit dem 29. August beginnen Verhandlungen, welche die Angelegenheit, um die es Karl besonders zu thun war und die schon längere Zeit Gegenstand schriftlichen Meinungsaustausches zwischen dem Herzog und unseren Ständen gewesen war, in den Vorder«solle noch 8 oder 14

grund treten Hessen.

Bevor wir zu ihnen übergehen, dürfte ein kurzer Blick auf und militärische Lage am Platze sein. Der Waffenkampf zwischen Sigismund und Karl war auf vaterländischem Boden zu Ende. Die Macht Sigismunds in seinem die damalige politische

vaterläudischeu Reiche

war,

wie Geijer

es

bezeugt, «bis auf den

Namen» gebrochen, der

finnische Aufstand unterdrückt und die Häupter der Königspartei durch Henkersbeil gefallen. Karl selbst aber war, nachdem Sigismunds unmündiger Sohn Wladislaw binnen der von den Reichsständen auberaumten Frist von 6 Monaten nicht 39 *

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578

Karl IX.

Reval.

in

nach Schweden übergesiedelt war, durch den Stockholmer Reichstagsbeschluss vom 20. Juli 1599 erwählter und wenn auch noch nicht doch thatsächlicher König

gekrönter, so

erfolge und Accorde

von Schweden.

von der Ostgrenze

der

Waffen-

des finnischen Meer-

busens unter dem Obersten Peter Stolpe ^eran rückenden Heeresmacht

Punkt nach dem anderen, vor allem Narva, und Hapsal in Karls sich selbst mit seinem Heere nach aus nach Westen und Süden gegen Reval eingeschifft, die polnischen Heerlmufen und eventuell, wenn Boris Godunow den hatten einen

festen

aber Wesenberg, Weissenstein, Lode

dann

Hände

Nun hatte er um von hier

gebracht.

Frieden brechen sollte, gegen Osten zu operiren.

Doch wollte Karl offenbar nicht früher beginnen,

die Kriegszüge von Reval aus ihm gelungen, seine unbedingte,

als bis es

d. h.

dem Linküpingschen Erbvertrage

der

estländischen Ritterschaft

Wie

geuiässe

Anerkennung

und der Stadt Reval

war schon

seitens

zu

erwirkt

dem Jahre 1597 das schriftliche Drängen Karls auf dieses Ziel gerichtet gewesen. Aber Weder alle diese Versuche hatten bisher keinen Erfolg gehabt. haben.

schon erwähnt,

die harrisch-wirsche Ritterschaft

noch

seit

die Stadt hatteu sich

entschlossen können, Sigismund den Gehorsam aufzukündigen.

am

haben gesehen, dass eine zwischen den Ständen

geschlossene Vereinbarung sie dazu verpflichtete, nur

zu handeln, und eine weitere Vereinbarung setzte einen Ausschuss

kein Schritt in alle Briefe

der Stände

fest,

vom

12.

dazu

Wir 1597

gemeinsam

September 1599

ohne dessen Gutheissung

Streite Karls contra Sigismund geschehen, ja

von Karl nur

werden

öffnet

dem

25. Juni

in

Karl

sollten.

Gegenwart von Ausschussgliedern gehatte zuletzt von Sandhamn aus in

einem vom 21. October 1599 datirten Schreiben an den Rath diesen tcategorke > aufgefordert, sich zu erklären.

dasselbe ruft

am

8.

November noch ganz

in

Letzterer beantwortete

dem früheren Sinne und sie es mit dem

dadurch die fürstliche Drohung hervor: «wenn

Papste

halten

werde er

wollten,

sie als

Abtrünnige behandeln».

Der Rath beharrt auf seinem früheren Standpunkte und Karl kommt darauf im August IGOO nach Estland, ohne dass die verlangte Er-

klärung erfolgt

war.

hätten sich damals

tung Richters 1

1

1



Die Angabe Geyers',

sogleich für Karl erklärt,

der sich

dabei

Reval

und Estland

sowie die Behaup-

auf Kelch und Hiärn stützt



Oeijer, Btl. II, S. 320. Rii

liter.

Gm-bichte

* MittheUungen ans dem Gebiete der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands.

fass 146 L.

Bd. VII, S.

69—155

u.

Bd. VIII (Nachträge) S. 422.

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Karl

IX

iu

597

Reval.

Letzterer war ja bekanntlich ein Vetter des berühmten Erbstatt.halters

Nachdem

der

Niederlande,

der

des

von

Prinzen Moritz

Oranien.

dem

niederländischen Kriegstheater als Feld-

ersten

explodirenden Geschosse und Verfasser

er sich auf

herr, Erfinder

des ersten Exercierreglements schon einen bedeutenden Namen gemacht, verlor er seine erste Gemahlin, die Mutter von 10 Kindern,

und suchte nun, um

diesen

Sein Blick

ausser Landes.

polnischen Krieg gerichtet.

Schmerz zn betäuben, eine Wirksamkeit war auf Livland und den schwedischDort standen

sich ja dieselben religiösen

Interessen schroff gegenüber, für welche Johann in den Niederlanden seine Kriegstüchtigkeit erprobt

hatte.

E'ür

die schwedische, d. h.

protestantische wider die polnische oder katholische Sache ins Feld

zu ziehen, erschien ihm als eine des weiteren Lebens werthe Aufgabe. Nachdem er sich von seinen pfälzischen Verwandten Empfehlungsbriefe an den mit

manland

dem Curhause verschwägerten Herzog von Süderschiffte er sich in Travemünde ein und langte

verschafft,

am 12. Juli hier an. Hier traf er aber Karl, der sich zum Heere nach Pernau begeben hatte, nicht an und Gegen bestimmte Bedingungen, zu denen

dahin.

inzwischen folgte

ihm

die Einführung

neuer, in den Niederlanden bewährter Waffen, einer neuen Heeres-



eintheilung und neuer tactischer Regeln gehörten

Karl den Oberbefehl der Truppen, jedoch nur auf

übergab

die

ihm

vom Grafen Wie be-

beanspruchte capitulationsmässige Zeit von drei Monaten. kannt, bewährte sich diese Kriegsführung

Düna

befand.

Karl begab sich nach Reval, wo sich seine Familie

Johann, unmuthig über das fehlgeschlagene Ende der Cam-

pagne, traf auch

bald

sich gebunden hatte,

land

anfangs vortrefflich die

aufwärts bis ins littauische Gebiet, bis im Herbste der Rück-

schlag eintrat.

zurück

wolle.

um

darauf hier war,

ein.

erklärte

Da

er,

Das gab aber Karl

die Zeit, für die er

dass er nach Deutschiu

keinem Falle

zu.

Seinem inständigen Ueberreden gelang es, den Grafen noch für Monate zu fesseln. Es galt ja dem unter Fahrensbach von Süden her auf Fellin und Weissenstein anrückenden Heere die

drei

Spitze zu bieten und nur der gerade in Reval anweseude Feldherr

war

es,

diese

Es fehlte sofort übernehmen konnte. dem Allemöthigsten, an Geld zur Ablöhuung

der diese Aufgabe

ihm dazu zwar an der Truppen

und an Proviant, aber Karl

gelang

es,

auch über

hinwegzukommeu. Für drei Tage Proviant zwar auf und 1000 schwedische Thaler nicht unwahr-

Schwierigkeit

trieb er

scheinlich dieselben,



welche

er

im Sommer

von den Schildtschen

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598

Karl IX.

Erben einkassirt hatte



Graf Johann

denn auch bereit

liess sich

in

Reval.

besass er noch; die gab er denn hin und finden, mit diesen geringen

Mitteln ausgerüstet, sich sofort ins Feldlager im südöstlichen Liv-

Trotz

land zu begeben.

weit überlegener Streitkräfte

behauptete

Es Ruhe gebot war das schreckliche Pest-, Hunger- und Kältejahr, das den ganzen Norden heimsuchte, die Zeit, von der unsere Chronisten uud nament-

er hier das Feld, bis der früh eintretende Winter

lich

Textor berichten, es seien damals

in

Liv- uud Estland binnen

6 Wochen 40,000 Menschen erfroren oder vor Hunger umgekommen. beschäftigen, verdient neben Otto Sjögren, auf dessen

bedeutsame Publication über den livländischen Theil des nordischen Krieges

auch

in

dieser Zeitschrift

aufmerksam gemacht wurde,

bereits

Agathon Hammarskjöld

werden,

ein

Kriege die

Nachkomme Insel

Oelaud

in

Stockholm genannt

jenes Hammarskjöld, verteidigte.

Von

zu

der im nordischen

seineu Arbeiten

auf

diesem Gebiet darf der in einem schwedischen illustrirten Kalender das Jahr 1887, genannt

für

c

Pil.stjcman > (der Polarstern), unter

obigem Titel erschienene Essay über Erich Dahlberg, der sich auf Dahlbergs Briefsammlung stützt, auch bei uns auf Interesse rechnen, c Erinnerungsbild» dieses bedeutenden Mannes uns die Tage Gedächtnis ruft, in denen wir vor bald 200 Jahren vor dem Ausgange der Schwedenherrschaft und damit dem Beginn der russiSieht man von einigen Stilhärten und der schen Aera standen.

da ein ins

eines Berechtigungsnachweises als

noch

harrenden

Unterstellung

ab,

wenn das mit Schweden durch Personalunion' verbundene Liv-

land eo ipso denselben Reductionsmassregeln rechtmässig habe unter-

worfen werden dürfen, so wird man an dem kleinen Cabiuetporträt, das

Hammarskjöld von seinem berühmten 1

Wir habe»

schein öfter

Landsmann

entwirft,

gegen diese Bezeichnung Einspruch erhöhen, die

durchaus ein schiele» Bild vom staatsrechtlichen Verhältnisse Livlands und Estlands statt,

zu Schweden Bondern

Real

giebt.

Es fand weder Personalunion, noch Incorporation

Union.

Die K e d.

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Erich Dahlberg

in

603

Livland.

Gefallen finden und der seinen Forschungen entstammenden Schilde-

rung der sächsischen Kriegsoperationen und der schwedischen Verund Gegenzüge im Anfänge des nordischen um so grösserer Theilnahme folgen können, je mehr

teidigungsanstalten

Krieges mit

Irrthitmer und Ungenauigkeiteu der bislang geltenden Richterschen



Darstellung man zurecht gestellt sehen wird. Mit Bewilligung des geehrten Verfassers folgt hiermit eine getreue Uebersetzung,

welche den kleinen Artikel von seiner Unzugänglichkeit in einem abseits liegenden Kalender befreit und nur den Anfang ein wenig

zu kürzen sich erlaubt. «Zu Weihnachten im Jahr 1695 war Graf .

plötzlich in Riga verschieden.

scher Generalgouverneur

Das Misverguügen mit und

sich

aber

ganz

kein schwedi-

doch so gehasst worden, wie er

.

.

.

über die Reduction und die Umwälzungen, die sie

war auch sehr

brachte,

die Provinzen

man

ist

J. J. Hastfer

Seine Feinde haben wahrscheinlich

seine Fehler und Schwächen sehr übertrieben,

mit

gross.

Um

es zu besänftigen

der schwedischen Herrschaft auszusöhneu,

Mannes von ganz anderem Schlage. Und Livdem neuen Gouverneur Erich Dahlberg, welcher der grösste von allen damals lebenden Schweden und neben Axel Oxenstjerua der grösste während der ganzen Epoche war, In Vaterlandsliebe, Herzensdie män unsere Grossmachtszeit nennt

bedurfte

land

eines

erhielt ihn in

1

.

adel, Tiefe des Geistes

Männer

und Vielseitigkeit sind diese beiden grossen

Für den Abkömmling «des alten nordischen Königsadels> jedoch hatten das Glück und die Verhältnisse früh viel Vorsorge getroffen, was sie für den nichtadeligen Sohn eines Landkämmeriers nicht tlmn konnten, von welchem bei seiner Geburt in dem kleinen Hause der Franciscanergasse seine Eltern einander

gleich.

sich niemals träumen lassen konnten, dass er der bedeutendste und

hervorragendste Typus des jungen Adels werden werde, den se ne ;

Zeit hervorgebracht.

Für eine Persönlichkeit mit Erich Dahlbergs Begabung lag ein grosses Hindernis in dem Umstande, dass Schweden ein armes und abseits liegendes Land war. Mitten in Europa geboren, wäre Er war neben er wol schon zu Lebzeiten weltberühmt geworden. Coehoorn und Vauban der grösste Ingenieurgeneral seiner Zeit. Die Erstgenannten erlangten die höchste Anerkennung schon während ihres Lebens. Erst etwa 100 Jahre nach Dahlbergs Tode wurde 1

So n Gnatw Adolf etwa

nnageHelilossen

werden?

Der

Uel>erHet.*er.

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;

.

604

Erich Dahlberg in Livland.

sein Genie als Festungserbauer erkannt; denn damals sein System das seiner beiden Zeitgenossen. Er

hatte die schönste

Anlage

das zeigt seine tSuecia antiqua

et

gross in unserer Kunstgeschichte, er es hätte werden können. hinterlassen hat, zeigen,

verdrängte

ein grosser Künstler zu

Sein

hodiema*'. aber

lange

Name

nicht

werden ist

zwar

so gross, als

Die Briefe und Schriften, welche er

dass

er die

politischen Ereignisse seiner

Zeit als ein grosser Staatsmann autfasste,

aber er

erhielt niemals

Gewiss hätte er Ryswick werden können, denn Karl XI., welcher von Europas kriegführenden Mächten zum Vermittler ernannt wurde, wollte Dahlberg als seinen Ge-

einen derartigen Eiuttuss,

wie

er ihn verdiente.

«der ehrliche Makler» des Friedenscongresses

in

sandten auf den Gougress senden, aber der 73jährige

Mann

lehnte

den ehrenvollen Auftrag ab.

Auch

als administrative

Kraft war Dalilberg einer der Grössten

seiner Zeit. Hierfür zeugen seine

und noch mehr

Wirksamkeit

als

Generalgouverneur

die Vorschläge, welche er als solcher der

Als Militär

machte.

dürfte

er

Regierung

kaum unter jemanden

gestellt

Das hat er sowol im Kriegsgetümmel als in den Unternehmungen gezeigt, deren Seele er gewesen. Er war der eigentwerden.

liche

Eroberer der wichtigen Festung Fredriksudd,

Gustav Wrangel

war

die

Ehre und

obgleich Karl

Belohnung dafür

die

Er

erhielt.

Worten zufolge, nächst Gott das schwedische Heer gegen den König vou Dänemark über den Belt geführt hat, was den nützlichsten und ehrenvollsten Es Frieden, den Schweden jemals geschlossen, zur Folge hatte. war wiederum Dahlberg, welcher beim Beginn des zweiten dänischen Krieges Karl Gustav den Rath gab, Kopenhagen, dessen Festungswerke er von Grund aus kannte, sofort zu stürmen. Er erbot sich auch, «über Gräben und Wälle nach Kopenhagen mit Wagen und Pferden zu fahren und somit diejenigen anzuführeu, welche stürmen welcher, seines königlichen Herrn eigenen

es,

sollten

»

Hätte der König seinem Rath Folge gegeben, er würde Dänesich selbst und seinem Volke viel Unglück erspart haben. Als darauf erst nach mehreren Monaten der Sturm unternommen werden sollte, rietli Dahlberg von demaber seinem Rathe folgte man selben ab, weil es nun zu spät war

mark über den Haufen geworfen und

;



Ebenso

die grösstentheils

dorfs Geschichte Kurl Gustavs.

von ihm herriihrcndcn Kupferstiche

in

Rufen-

Die Red.

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605

Erich Dahlberg in Livland.

und die Folge

jetzt eben so wenig,

war wieder

L'nglückstag

ein

für Schweden. Dagegen war die Eroberung der Festung Kronborg Dahlbergs Verdienst, sowie die Anlage des Lagers, welches Kopenhagen so vollständig von der Landseite einschloss. Zur Belohnung für diese Dienste erhielt er blos den Adelt Sein königein Obristlieutenantpatent und ein Gut in Schonen. licher Freund hatte ihm weit mehr gelobt, aber er kam niemals erfüllen. Erst 14 Jahre darnach wurde Dahlberg Obrist und Generalquartiermeister, wie man damals das

dazu, diese Gelöbnisse zu

Haupt des Befestigungswesens nannte. An dem glücklichen Ausgang von Karls XI schonischein Feldzug hat Dahlberg gleich grossen Antheil, wie ein jeder andere, aber das ward damals nicht anerkannt. Er war es eben, der die Marschordnungen ersah und

aufsetzte, der die beiden Syllings-Lager bei

wodurch

befestigte,

gefährlicher Plan, mit

Viskan aus-

des Dänenkönigs für Schweden so

dem Heere

des norwegischen Statthalters sich

zu vereinigen, vereitelt wurde, ebenso die Lager, welche Christianstad umschlossen und die Dänen am Entsatz dieser Festung hinderten. In der Schlacht bei Halmstad sah man Dahlberg lichsten

Dass

Handgemenge an des Königs

in dieser

wurde,

ist

in

dem

So auch

Seite.

bei

fürchter-

Lun d.

Schlacht der Sieg den Händen der Dänen entrissen

zu einem guten Theil Dahlbergs Werk.

Obgleich er also fast gleich viel zur Erhaltung der Landschaft Schonen beigetragen hat, wie früher zu deren Eroberung, ward er dennoch nicht befördert, was um so merkwürdiger ist, als Hastfer, Christoph Gyllenstjerna, Lichton und Otto Vellingk «die Treppe hinaufgestossen wurden >. Es macht einen eben so betrübenden wie komischen Eindruck, wenn man den 41jährigen königlichen Rath, Generalgouverneur und Grafen Hastfer noch 1687 an den König schreiben sieht über den 63jährigen «Oberst Dahlberg», der schon

über den Belt zog,

als

Hastfer noch ein lljäliriger Knabe war.

Aber im selben Jahre begann Leben.

ein neuer

Zeitraum

Seine Beförderungen folgten einander

scher Schnelligkeit.

Er

hatte

nun auch

die

in

Dahlbergs

nun mit exemplaribeste

Empfehlung,

haben kann, nämlich dass man ihn brauchte. Schwedens Befestigungen sollten in Ordnung gebracht werden, und wer konnte wol hierin mit ihm wetteifern ? Im Jahre 1687 ward er Generalmajor der Infanterie und Freiherr. In den folgenden 6 Jahren wurde er ernannt zum Generalfeldzeugmeister, königl. Rath, Grafen,

welche ein Mensch

Feldmarschall und Generalgouverneur von Bremen und Verden.

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606

Erich Dahlberg in Livland.

Am

25. Dec.

Am

storben.

16.

1695 war Hastfer,

Januar 1696

Am

selben

fers

Nachfolger zu weiden:

Tage schrieb

erhielt

erwähnt,

wie

Riga ge-

in

Karl XI. hiervon Nachricht.

er auch an Dahlberg

«Wir wollen

und bat

einen

Mann

ihn,

Hastder

haben,

Unser und uninteressirtes Herz

nicht blos für sich selbst Stand hält, sondern auch für Uns,

Haus und Reich ein treues trägt, wovon Ihr Uns in beidem bei verschiedenen Wir auf keinen anderen in diesem Fall unsere Gedanken lenken konnten, der grössere Meriten hätte und dessen Wir Uns in allen guten und redlichen königliches

in der Brust

Gelegenheiten Proben gegeben habt, so dass

Dingen versichert halten könnten.» Dahlbergs Antwort war, dass er das

Amt annahm.

jedoch an, ob er sich von Stade über Danzig

Er fragte

nach Riga

begeben

oder über Göteborg, dessen Befestigungsarbeiten er zu besichtigen

wünsche, nach Stockholm reisen

Im Wunsche,

nach Riga fortzusetzen. berg

beratschlagen,

zu

«Wenn

solle,

schrieb

um sich

von

dort

persönlich

seine Reise

mit Dahl-

ihm der König unter anderem

Ihr eines Unserer Schifte zu Euerer Beförderung und

:

dem

Transport Euerer Sachen bedürft, werden Wir dasselbe von Carls-

krona absenden.»

Nachdem Dahlberg mit dem König einige Berathungen geam 8. August auf eiuer königlichen Yacht unter dem Commando von Ankarkors nach Reval. Seine «Sachen» hatte pflogen, reiste er

der Capitän und nachmalige Admiral Ankarstjerna auf einem kgl.

Fahrzeug in Lübeck abzuholen und nach Riga zu schaffen. In Reval hiess ihn Ebba Brahes jüngster Sohn, der Generalgouverneur Estland, königliche Rath und Feldmarschalllieuteuant Axel

von

Julius

de

la

Gardie,

«sein

hochgeehrter Herr Bruder»,

mit

32

Kanonenschüssen willkommen.

Nachdem Dahlberg die Befestigungsarbeiten in Reval inspicirt hatte, schrieb er dem Könige, dass, wenn nicht grössere Arbeit darauf verwandt endet sein würde.

wäre»,

werde,

die

Festung

nicht

vor 100 Jahren voll-

Karl XI. antwortete, dass dies «wohl bemerkt

klagte aber über «die knappen Mittel».

Dennoch Hess er

die Arbeiterzahl bedeutend vermehren.

Am

August hielt Sr. K. Maj. Rath, der Generalgouverneur des Herzogthums Livland und der Stadt Riga, der FeldmarschaU und Obrist über ein Regiment zu Fuss, sowie auch Kanzler der Universität Dorpat, Erich Dahlberg, Graf von Skenäs, Freiherr zu Strappsta und Herr zu Verden, seinen feierlichen Einzug in 31.

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C aoole

:

Erich Dahlberg

Zwischen Trappen

Riga.

G07

Livland.

in

Waffengattungen

aller

Salut von 64 Kanonenschüssen von der Citadelle

Rigas fuhr Dahlberg auf das Schloss.

dem und den Wällen und

unter

Obgleich ein grosser Theil

des livländischeu Adels Patkulls Auffassung theilte,

dass

man

in

der Frage nach Dahlbergs Genealogie nicht weiter als bis auf den ersten schwedischen Bauern zurückzugehen brauchte,

um

«Sr. Hochgrätiichen

erbietung zu bezeugen.

.

.

dies doch

auf dem rigasehen Schlosse

kein Hinderungsgrund, sich zahlreich einzufinden,

war

Excellenz»

seine

tiefe

Ehr-

.

Dahlbergs Ernennung zum Generalgouverneur wurde in ganz Livland mit Jubel begrüsst. Professor Hermelin in Dorpat brachte das

zum Ausdruck

einem lateinischen Gedicht, worin jede Zeile

in

Unwillen und Tadel gegen Hastfer athmet ruhe, Livland

Haupt

in die

!

«Lege ab deine Unund hebe statt dessen dein von Sorge niedergebeugtes

Höhe

deswegen hat er

Du

1

hast

dir einen

:

Gnade gefunden

bei

dem Könige,

achtungswerthen Steuermann gesandt.»

Der allgemeine Unwille gegen Hastfer sprach

sich besonders in

folgenden Versen aus

«Zu

des Tartaros Höhlen die Ungeheuer zurückfloh’n,

Sie,

Stammmutter

der Laster Schaar, die die gierigen Kiefern

1

Aufsperrt und immer mehr von dem gleissenden Golde begehret.

zog auf und davon,

Hoff'ahrt*

Hat und

sie,

die stets

Verderben verbreitet

den Kindern der Notli nie Ohren und Thüren geöffnet.

Jetzt mit Frieden und Freud’ des Alterthums Tugenden kamen,

auch Treue und Recht, in unsere Gegend.» Als königlicher Rath und Generalgouverneur in der reichsten

Klugheit, Verstand,

Provinz der schwedischen Krone ragende Stellung inne.

Das

hatte nun Dahlberg eine hervor-

Er verstand

am

sie

auch

mit

Würde zu

ver-

darin, dass der Herzog von «Ew. Kurland seine Briefe an ihn mit folgenden Worten schloss Diese Excellenz bereitwilliger Freund und Diener Ferdinand.»

treten.

zeigt

sich

besten

;

Worte zeugen gleich sehr von der Macht der schwedischen Krone, wie von dem hohen Ansehen, in dem zu jener Zeit ein Mann der schwedischen Grossmachtsepoche staud.

Als Generalgouverueur und «des Königs Vicarius» hatte Dahlberg einen eigenen Hofstaat, 12 Trabanten von Unterolfiziersrang, ein eigenes Leibregiment und zum Gehalt 30000 Kronen, was iu

unseren Tagen infolge der Münzentwerthnng eine vier- bis fünt-

1



Die Reilnction, Hammarskjold. Bd. XVXV, Hoft 7.^

Kultisch« Monat-'achrifl.

2

Hastfer, HnminarakjoM.

41

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Erich Dahlberg

608 mal so grosse

Summe

Livland.

in

Er übte die höchste MilitärAusserdem hatte er die Ober-

repräsentirt.

und Civilgewalt im Lande aus.

aufsicht über das Kirchenwesen und die Rechtsprechung.

Livland hatte allen Grund mit seinem neuen Steuermann zufrieden zu sein.

Organisation,

war noch

die

Er ordnete und vollendete die neue Verwaltungser in einer gewissen Unordnung gefunden. Er

nicht lange in der Provinz gewesen,

klaren Ueberblick über

was

das,

dort

es

als er schon eiuen

thun galt,

zu

besass.

Die schriftlichen Vorschläge, die er Karl XII. beim Beginn seiner Regierung einreichte, zeigen, dass Dahlberg sowol eine eminente administrative Kraft

Seinem

scharfen

auch

als

ein

entgingen

Blick

Staatsmann

wirklicher

weder

die

war.

Anforderungen

der

äusseren noch die der inneren Verhältnisse.

Die Ostseeprovinzen waren barkeit, theils durch ihre

Russland

und Polen

infolge ihrer eigenen Frucht-

Lage neben den kornproducirenden Reichen blos Schwedens, sondern auch West-

nicht

Daher wurden auch

europas Kornkammer. ziellen

tlieils

aus

den ostseeprovin-

Häfen, namentlich aus Riga, ungeheure Mengen Korns ver-

Schweden hätte den 30jährigen Krieg ohne den Besitz dieser Lande unmöglich führen können, denn mit dem von dort her bezogenen Getreide wurden die Heere in Deutschland unterhalten. Gustav Adolfs und der Vormundschaftsregierung Briefe an die Generalgouverneure dieser Provinzen geben davon genügende Beweise'. Und als die grosse Hungersnoth unter der Regierung Karls XL in Schweden wüthete, war es ein Glück für unser Land, schifft.

dass die Ostseeprovinzen unter dessen Botmässigkeit standen. land

war

zur

schwedischen Krone

die fruchtbarste

gehörten.

Die Einkünfte von

dort her

waren auch sehr bedeutend, und das zufolge der Reduction. bergs Papiere beweisen, dass die Einnahmen der Krone sich

in seiner Zeit

bis

Liv-

und reichste von diesen Provinzen, welche

auf 1800000 Kronen beliefen,

in

Dahl-

Livland

ungeachtet

Hiervon ging mehr als die Hälfte zur Verund zum Unterhalt der dortigen Truppen auf. Der Rest verblieb für die Flotte, die Besoldung des (Reichs-) Rathes und der schwedischen Residenten an fremden Höfen. Letzteres

der Münzentwerthung.

waltung Livlands

Durch eine Veröffentlichung 8 u. 970.

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635

Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

rung der Lage und Rechte Rigas,

Da

Absichten fälsch deuten.

nur

böses Gerede

wolle seine

Hess der Bürgermeister ein officielles

Notariatsinstrument über seinen Protest aufnehmen und hier fungirt als

Zeuge auch Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen, Vogt von

Nur noch

Treydeu, als einziger Laie'.

ein

im Jahre 1361» führt Bartholomäus diesen

Amt

er dieses

wie

angetreten,

lange

einziges

Mal

später,

wann

Titel urkundlich;

er

wissen wir

es geführt,

anzunehmen, dass unser Ritter es im Sommer 1362 bereits niedergelegt hat, da ihm der Erzbischof nicht mehr diesen

nicht, doch ist

Titel giebt*.

Haben auch

Vögte

die

in

Deutschland unbedeutende Rolle

wo

jener Zeit,

Livland gespielt,

im Verhältnis

eine

zu

war doch gerade

so

in

der Erzbischof in Deutschland weilte, mit der Vogtei

Mass vou Einfluss und Verantwortung verbunden. Hatte doch der Vogt die Oberverwaltung sämmtlicher erzbischöflicher Schlösser und Güter, war er doch in rechtlicher und admini-

ein bedeutendes

strativer Beziehung der Vertreter des Erzbischofs als Landesherrn. So hat er bei Abwesenheit des Bischofs das Aufgebot der Eingeborenen zum Kriegszug*, so wird auch in dem Processe zwischen Erzbischof und Orden dem letzteren anbefohlen, die oceupirten



erzbischöflichen Schlösser

Vertreter

des Erzbischofs

Da

Vogt zu übergeben*.



wahrscheinlich die Tiesenhausens damals

wieder im Besitz von Kokenhusen waren Vogtei im Südosten

ausübten,

und

die

Führung im

damit zugleich die

dieses Geschlecht

hat

hervorragendster Vertreter Ritter Bartholomäus schieden

dem dem

und Güter entweder dein Vicar in geistlicher Beziehung oder

Erzstift.

um

und

als ihr

jene Zeit ent-

Die Grundlage dieser Macht-

stellung blieb neben persönlicher Tüchtigkeit der grossartige Besitz

an liegenden Gründen geschickt

und und

zu verwalten

seinen Einfluss

Jahres 1361

und

finden

baarem Gelde, welchen Bartholomäus zu verwenden wusste, um zugleich zu mehren.

seine Einkünfte

wir denselben

in

Lübeck,

Im August des wo damals auch

Erzbischof Fromhold nach längerem Aufenthalt in Avignon weilte.

Hier wurde das gute Einvernehmen zwischen Lehnsherrn und Vasall noch enger geknüpft, indem Bartholomäus dem Erzbischof die sehr •

bedeutende

Summe

obigen Berechnung



ü.-B. Nr. 975.

*

U.-B. Nr. 250.

von 2800 Mark Rigisch

vorschoss,

nach

etwa 220000 Rbl. heutiger Währung.

— —

*



U.-B. Nr. 2973.





der

Dieses

TT.-B. Nr. 973.

U.-B. Nr. 773.

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Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

G36

Darlehn, welches spätere Chronisten* fälschlich schon in die Jahre

wusste

1355, 1356 ja 1352 verlegen,

sich

der vorsichtige Ritter

dem Erzbischof,

jedoch dadurch sicher zu stellen, dass er sich von

den die kostspieligen Processe

Landes

wol

Avignon und das Leben ausser

in

gestürzt

Geldverlegenheiten

in

Schlösser Serben und Pebalg

dem

mit

hatten

beiden

die

,

zubehörigen Gebiete

ver-

schreiben Hess». Freilich

ist

es

höchst

den ge-

ob diese Vorsicht

fraglich,

wünschten Erfolg gehabt, denn die Thatsache, dass der Pfandbrief im Familienarchiv geblieben, ferner die trockene Schluss'bemerkung der Geschlechtsdeduction hierüber

aber

«ob

:

das Geld wiederum

ausgekommen und bezahlt worden,

ist Gott bekannt», endlich der Umstand, dass Bartholomäus 1363 vor dem Capitel von Riga eine Schuldforderung an deu Erzbischof geltend macht», scheinen viel

eher das Gegentheil zu beweisen.

Jedenfalls

hatte Bartholomäus

durch diesen Vorschuss nicht nur seinen Landbesitz bedeutend er-

Gunst

weitert, sondern auch die

seines

Herrn

erhöhtem Grade

in

gewonnen, und der Erzbischof säumte nicht diese zu beihätigen, bevor noch Tiesenhausen in die Heimat zurückgekehrt war. Am 15. September 1361 verlieh nämlich Fromhold «dem gestrengen und berühmten Ritter, Herrn Bartholomäus von Tiesenhausen, Unserem Vogte» und seinen Erben für die getreuen Dienste alle Güter, welche

einst der selige Nikolaus

von Pallien besessen, und investirte ihn nach

geleistetem Treueide durch die ist

damals

übliche

Kuss und Ueberreichung

Form

feierliche

eines Ringes»,

Bald darauf

der Belehnung.

vermuthlich Herr Bartholomäus wiederum nach Livland gezogen,

denn im Sommer 1362 wird

nebst seinem Bruder Engelbrecht

er

zum

und zwei Brüdern von Rosen

Schiedsrichter

in

einem

lang-

wierigen Güterprocess zweier rigischer Vasallenfamilien ernannt». Seine

einflussreiche Stellung,

sein

Reichthum,

sein lebhafter

Sinn für Ehre und Gedeihen des Geschlechts Tiesenhausen mochten

im Ritter den Wunsch wachgerufen haben, auch über die Wechselfälle des menschlichen Lebens hinaus seinem Namen Fortdauer zu sichern, seiner Familie ein schönes Denkmal zu stiften. Dem Sohn seiner Zeit 1

war kaum

Hiärn,

«Livl. Jahrb.»

Mounm. I,

Liv.

eine

I,

Wahl

158.

Vorbehalten,

wenn

Armlt «Lfld. Chronik»

II.

es sich

105,

um

Gadrimstb

p. 450.

UH9a

'

U.-B. VI, Reg.

"

•Sitanngeber. d. Kig. Gearllsch.



U.-B. Nr. 2973.

-

»

n.

Giwbleolilsdrd. tfcc.

1874

p. p.

10

u.

II.

11

U.-B. Nr. 993.

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Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

C>37

dauernde Stiftungen handelte, sie konnten schwerlich andere sein als kirchliche, und meist wählten die vornehmen Geschlechter der So gründet Vasallen, wie der Patricier die Form der Vicarien. von

Bartholomäus,

seiner

Frömmigkeit

und

der Liebe

seine

für

Familie veranlasst, zwei Vicarien in der erzbischöflichen Kathedrale, der Domkirche zu Riga, «für ewige Zeiten». Zu Ehren Gottes und St. Johannis des Apostels und Evangelisten ante portam Latinam weiht er den einen, zu Ehren der heiligen Anna den anderen

An

Altar.

ihnen sollen zwei Vicare, welche aus seinen Lehngütern

iu der rigischen Diöcese und

Rig.

Ahnen und Vicarien war

Ritters, seiner

seiner

Mit

ein

diesen

verbunden,

in

welchem

des Stifters die

haben

sie

bis in

lesen

das

für

Seelenheil

Nachkommen zu ewigen

des

Zeiten.

Erbbegräbnis des edlen Geschlechts

da3

17.

Jahrh. hinein die

welche

geschmückt,

Nachkommen

Mit frommem Eifer

Ruhe gefunden haben.

letzte

diese Stätte

Mark

allem Erbbesitz jährlich je 8

Messen

und

beten

erhalten,

als Zierde

der

Dom-

kirche, nachdem sie von edler Pietät restaurirt worden, noch heute an den Ahnherrn des Bersonschen Stammes mahnt, der sie vor

500 Jahren gegründet. Diese Stiftung bestätigte Erzbischof Fromhold' 13(34 «dem hochangesehenen und edlen Ritter, Herrn Bartholomäus von Tiesenhausen, Unserem vielgeliebten Oheim» und ordnete zugleich im

Einvernehmen mit diesem an, dass der Vicar für den Altar St. Johannis von dem jedesmaligen Erzbischof von Riga zu ernennen für den Altar der hl. Anna das Patronatsrecht dem sei, während

Nachkommen

derzeitigen Senior der

des Ritters Vorbehalten blieb.

Eingehende Bestimmungen über Rechte und Pflichten dieser Vicare, in der Bestätigungsurkunde folgen, können hier füglich über-

welche

gangen werden. Leider

das die letzte Urkunde,

ist

hold seinem mächtigen, ihm so dass uns nur

so nahe

welche Erzbischof From-

stehenden Vasallen

ertheilt,

hier die Bezeichung

«Unser vielgeliebter Oheim» begegnet. Es ist über Namen und Herkunft Fromholds gestritten worden. Man wollte ihn zu einem Vishusen, resp. Fischhausen machen und ihn aus Westplmlen stammen lassen, doch ist von Mettig’ überzeugend

dargelegt

worden,

schlechte Vifhusen entsprossen und

wo

wol

diese Familie «Je quiuque domibus »

hervorragende 1

U.*Ji.

Rolle

Nr. 2880.

spielt.



*

dass Fromhold

dem Ge-

aus Lübeck gebürtig seit

dem

Dieser Nachweis

ist

12.

sei,

Jahrh. eine

von

Interesse

Mittlieiiuugen XII, p 488.

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G38

Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

auch für Bartholomäus, denn kaum wird man

nur einen Ehrentitel erst jetzt

und

schon

vorher,

in

dem Worte «Oheim» sollte Fromhold

Warum

können.

erblicken

nicht

Bartholomäus noch Vogt

als

von Treyden, also sein weltlicher Stellvertreter war, diese Bezeich-

nung gewählt haben? Da nun Bartholomäus zweimal vermählt gewesen und nach den Daten über die Kinder zweiter Ehe diese ohngefähr im Beginn der 60er Jahre vollzogen sein muss, liegt die Annahme nahe, dass

Herr Bartholomäus vor dem December 1364 zum zweiten Mal habe und zwar eine Verwandte Erzbischof Fromholds. Weder Name noch Herkunft der ersten Gemahlin unseres Rittei-s

gefreit

ist

bekannt, dagegen hat Else oder Elsebe, die zweite Gattin des-

selben, wie wir später sehen werden, enge Beziehungen zu *

Lübeck,

und Bartholomäus selbst hat nach 1364 Besitz daselbst, ausserdem auch

aber

Warendorps.

So spricht

mäus Elsebe,

die reiche Tochter

vieles

des seebeherrschenden Lübeck, ferne Ritterburg an der

Eng waren

dem

mit

Erbstreitigkeiten

lübischen

dass etwa 1364 Bartholo-

eines

mächtigen Patricierhauses eine Warendorp,

vielleicht

Düna heimgeführt

in

die

habe.

Bande zwischen dem Mutterlande

ja damals die

und der Colonie und rege der Verkehr

zwischen beiden,

wie wir

Schon 1366 finden

wir ihn wiederum «über der See» in Deutschland,

wohin

ihn das

seines Vaterlandes und zugleich ein Familienfest berief.

Das Jahr 1366 bezeichnet den unseligen Fehden des

der

dafür,

das auch an Bartholomäus selbst sehen können.

Wohl

Geschlecht

einen der wenigen Ruhepunkte in

Man war

zwischen Erzbischof und Orden.

wechselvollen, kostspieligen Processirens in Avignon,

des Un-

müde geworden und sehnte sich nach Vertrags massiger Feststellung und Neuordnung der thatsächlich den bisherigen Verträgen nicht mehr entsprechenden Verhältnisse. Der

friedens in Livland

grosse Hochmeister

des Deutschen Ordens Winrich von Kniprode

übernahm die Vermittelung

und

nach

langen

Verhandlungen



das Protokoll, geführt von dem livläudischen Chronisten

Hermann kam es am 7. Mai 1366 in Danzig zu einem Vergleich zwischen dem Orden und den Bischöfen, wobei beide Theile von ihren Forderungen nachliesseu. Der Orden von Wartberge,

ist

uns erhalten

gab die Oberhoheit über Riga



auf, behielt aber sein festes Schloss

daselbst mit dessen Vorstadt und einer Reihe von Besitzungen und

Einnahmen, ihm blieb das wichtige Recht, dass das mächtige Riga verpflichtet sein sollte

ihm zur Heerfahrt

zu

folgen.

Vor

allem

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C-omgle

Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

639

aber wurde dem factischen Macht Verhältnis wenigstens

in

so weit

Rechnung getragen, dass der Erzbischof und damit auch

seine

Suffraganbischöfe für ewige Zeiten Verzicht leisteten auf die bisher

genommene Oberlehnsherrlichkeit über den Inländischen Meister. Nicht mehr soll der mächtige Meister vor den in

Anspruch

schwachen

Länder

Prälaten

Knie

das

ihm

flehen, die

Absclulttelnng fall

des

nur

des

«Obedientia»,

Orden

von

der

nun auch

die Bischöfe durch

Livland

Eine stolze Versammlung hatte sich

eingefunden

stadt

,

um

in

dann

festlich

.

Wegfall

in

wie

in

der Hanse-

Friedensschluss

segensreichen

diesen ihn

geist-

kirchlicher Beziehung

er

völlig frei da.

in

die

Weg-

Damit war

1

Jurisdiction;

bischöflichen

Preussen stand

Stande zu bringen und

der

als

Aufhebung der

ist die

Treugelöbnisses

kirchlichen

des

«exemt»

noch

formellen Lehnsverhältnisses durch

Unterordnung des Ordens unter

lichen

der

Verleihung

Wichtiger aber

«Homagium», des Lehnseides,

der

um

und

beugen

starkes Schwert, nicht aber der Be-

sein

lehnnngsring der Bischöfe sichert.

zu feiern.

zu

Winrich von

Kniprode, der mächtigste Hochmeister des Deutschen Ordens, war

umgeben von sämmtlichen Gross Würdenträgern, der Grosscomthur, der

Oberstmarschall.

Oberstrappier,

der

Oberstspittler,

der

der

Begleitung zahlreicher Ritter sie alle waren in und Priester zu dem wichtigen Tage gekommen, und dem Inländischen Ordensmeister Wilhelm von Vrimersheim standen rathend zur Seite Burchard von Dreynleve, sein einstiger Vorgänger im ürdenstressler,

Amte, der 1344 machtvoll den Estenanfstand gebändigt, und die Doch auch Erzbischof Comthnre von Fellin und Dünamiinde. Fromhold trat den Gegnern in einer glänzenden Umgebung entseine 5 Sutfraganen von gegen, nicht weniger als 7 Bischöfe Dorpat, Ermland, Culm, Pomesanien und Samland und die Bischöfe



von Lübeck und Reval



scharten

Decane von Oesel und Ermland,

— der

von Riga und Lübeck

um

ihr geistliches Ober-

von Oesel, Ermland

haupt, daneben die Pröpste die

sich

und Pomesanien, Domherren

schliesslich je drei

niederen Cleriker nicht zu gedenken.

Aber neben den beiden contrahirenden Parteien gab zwei Körperschaften, für deren lung entscheidend war Diese

hatten

versäumt,

1

sich

:

Bedeutung des Tages

die

würdig

vertreten

Rathlef, «D. Verhältnis

naUinche Monat- sehr

i

Wohl und Wehe

fl.

IIJ.

Ritter Bartholomäus vou Tiesenhauseu.

662

Am

selbständiger Politik.

zu Segewold

und

das rigische

die Vasallen

und Trutzbiindnis

ein Schutz-

und

einzelnen Contrahenten

Feinde jedes

beizustehen und keiner ohne deu anderen

gegen

zu

die Notli

sie

1316 schlossen

23. April

der Deutsche Orden

Domcapitel,

zwang

da

ihres Treueides entbunden,

Vasallen

des Erzstifts

und jede

alle

gelobten einander treu irgend welche Verträge

oder Vergleiche abzuschliessen'. Dieses Bündnis darf neben seiner Bedeutung

Sieg

den Anspruch

des Ordens

politischer

als

der Ausgangspunkt des

erheben,

Drei Gesichts-

ständischen Lebens der rigischen Vasallen zu sein.

punkte sind in dieser Beziehung hervorzuheben. Erstens fühlen und zeigen sich die Vasallen, die bisher nur das gleiche Lehnrecht verband, als eine durch gleiche Interessen verbundene Einheit, welche als solche für das eigene Wohl handelt und tens lässt

diese

treten, das setzt

auf die v.

da

Sechszahl

Rosen,

Johann

v.

schon

hinzutritt,

der

(Johann

Vertreter

Johann und Rudolf

v.

v.

Woldemar

Pahlen,

Ungern, Johann

v.

Uexküll

und

Ostinghusen) kein grosses Gewicht gelegt werden kann, in

der

scheint

später

die

des späteren Stiftsraths

die Thatsache, dass dieser

Führung übernimmt, dieser Vertretung

mit

doch

Johann von

diesbezüglichen Urkunde*

der nächsten

Tiesenhausen,

Keim

eintritt. ZweiGesammtheit sich durch einzelne Genossen verVersammlungen und Wahlen voraus. Wenn auch

gegeben

zu

sein.

siebenter

als

der Vasallen der

Endlich brachte

Bund gegen den Lehnsherrn geschlossen in dem Verhältnis der Vasallen zu

war, eine wichtige Aenderung

den Bauern,

ihren Hintersassen,

mit

Bisher hatte der Erz-

sich.

bischof allein das Recht gehabt die Bauern des Erzstifts zu Heerfahrten aufzubieten, jetzt

Verhältnisse vou selbst

zum Kampfe

selbst

welche

es

fiel

fort,

die

Ja, uns

auf.

wahrscheinlich

Recht durch die Macht der Vasallen riefen ihre Bauern nun

dieses

macht,

ist

eine

Andeutung

erhalten,

dass die Vasallen seitdem auch

Wünsche des Ordens von dieser Befugnis selbständig Gebrauch gemacht, wenn es in einer Bulle vom Jahre 1324* heisst: ^Ferner gebieten Wir, dass der Deutsche Orden die Vasallen des Erzstifs Riga und andere Christgläubige nicht hindert ohne, ja gegen die

sich gegen die

Ungläubigen

zu verteidigen und diese anzugreifen,

soll er ihnen darin mit Hilfe, Rath und That beistehen. Dieser Gegensatz hat indessen die Vasallen nicht abgehalten trotz

vielmehr

1

U.-B. Nr. 654.

-

*

U.-B

Nr. 661.

-

*

U.-B. N>\ 700.

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Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

663

der Erlasse des Papstes, welche das Bündnis für ungiltig erklärten, die Eide aufhobeu und die Contrahenten nach

Rom

beriefen', trotz

der Drohungen, Ueberredungen und Bitten, wie des Anathems und

mannhaft an ihrem Treufestzuhalten, während das Capitel

Erzbischofs Friedrich 5

des

Iuterdicts

gelübde dem Orden

gegenüber

Erst die Unterwerfung bald genug seine Zusage brach*. Rigas im Jahre 1330 und die damit verbundenen Umänderungen der staatsrechtlichen Verhältnisse Livlands scheinen das Bündnis gelockert zu haben, welches nunmehr der alten Voraussetzungen

schon

entbehrte.

Um in der

die Mitte

Stimmung zu

des 14. Jahrh. begann

Orden

vollziehen, der

man

söhnlichere Haltung an,

strebte

Umschwung nahm eine ver-

sich

ein

selbst

aus den Ausnahmezuständen

zu geordneten Verhältnissen durch eine Versöhnung mit dem ErzFreilich war es Voraussetzung, dass auch

bischof zu gelangen.

Wucht

dieser der

der thatsächlichen Verhältnisse Rechnung trug.

Die Tiesenliausens

wie

sind,

wir gesehen,

ihrem Lehnsherrn geschlossen.

Ob

in

diesem Streben der

und haben Frieden mit

Ritterschaft des Erzstifts vorausgegangen

ein officieller Vergleich zwischen

dem Erzbischof und

seinen Vasallen erfolgt

doch begegnen wir

seit

wissen wir nicht,

ist,

in den Anklagen gegen Mal mehr Vorwürfen gegen die Stifts-

den 50er Jahren

den Orden

kein

ritterschaft

und 1366 erscheint Bartholomäus, der kurz vorher

einziges

als

Vogt von Treyden Vertreter Fromholds gewesen und stets dessen Gunst besessen hat, als erster Vertrauensmann der erz-

volle

stiftischen Ritterschaft

ein

freundschaftliches

in

Ob

Danzig.

Verhältnis

war

offlciell

Urkunden auf dem

zwei

Wege

erste betrifft

oder nur

jedenfalls

fragt sich nur, unter welchen Bedingungen.

es die

welche

wesentliche Fortschritte,

officiös,

hergestellt,

Hier zeigen uns

die Ritterschaft

ihrer corporativen Ausbildung erlangt. Der Frage des Aufgebots der Hintersassen. In den verlangt der Erzbischof, der Orden Bischöfe und ihre Unterthanen nicht zwingen au

zu

die

Verhandlungen von Danzig' solle fürder die

seinen Heerfahrten theilzunehmen, vielmehr solle letzteres nur ge-

wenn die Prälaten freiwillig ihren Unterthanen die Theilnahme geboten hätten. Darauf erwidert der Ordensprocurator, nie habe der Orden Zwang gebraucht, sondern die nothwendige,

schehen,

lobenswerthe Landesgewohnheit habe es mit sich gebracht, dass die '

1

U.-B. Nr. 659, 660, 661, 700, 2775.

*

U.-B.

Nr

710.



'



*

U.-B. Nr. 710.

U.-B. Nr. 2884, Art. 18.

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Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

604

Vasallen des Erzstifts und der Orden,

der Ungläubigen,

gemeinsame Nachbarn

als

sich wechselseitig bei

Angriff und Verteidigung

was auch für die ZuWenn nun im Vertrage von und passend sei. Danzig der Erzbischof diese Forderung nicht durchsetzt, so bedeutet das eben eine stillschweigende Anerkennung des Rechtes gegen die Ungläubigen

unterstützt

hätten,

kunft noth wendig

Damit Gewinn für die Vasallen verbunden, das letzte, Baud zwischen dem Landesherrn und den Bauern war

der Vasallen auf persönliches Aufgebot ihrer Hintersassen.

war

ein gewaltiger

wichtigste

durchschnitten; die Vasallen vertreten jetzt politisch sassen allein nach aussen hin, der Erzbischof

Gelüsten

kriegerischen

an

ihre Hinter-

ist factisch

Zustimmung

die

seiner

bei allen

Ritterschaft

gebunden.

Von ist

einer verfassungsmässigen Vertretung des Vasallenstandes

dagegen nirgends die Rede, weder Stiftsräthe werden erwähnt, In diesen Beziehungen hat die Ritter-

noch regelmässige Stiftstage.

schaft nur sehr langsam Erfolge errungen und nicht

liche,

das

politische

zwar war das recht-

der Ausgangspunkt dieser Ent-

Leben

wickelung, welche gleichfalls mit der Mitte des

14.

Jahrh. für das

Erzstift beginnt. Die zweite grosse Errungenschaft der selbständigen

der

erzstiftischen

eigenen

Richters

Politik eines

erster «Richter der

demar

Vasallen

aus

ihrer

ist

nämlich die Anerkennung

Mitte,

des Mannrichters.

Mannen» des Erzbischofs

erscheint

Als

Herr Wol-

Rosen 1356, mit dessen Vollbord die Gebrüder von Tiesenhausen das Dorf Kreisdorf von Hinke Cosculle kaufen. Der zweite

uns

v.

bekannte

Mannrichter

des

Erzstifs

ist

Herr Bartholomäus

von Tiesenhausen.

Im Jahre 1385

vollzog sich ein ausserordentlich interessanter

und für das livländische Rechtsleben sehr instructiver Rechtsstreit

dem Erzbischof Johann von Sinten und seinen Vasallen Henneke und Otto Pitkever*. Der eingehend beschriebene Hergang des Rechtshandels ist folgender: Henneke Pitkever und sein Bruder Otto hatten nach dem Tode ihres Vaters «ihre» Lehen im Erzstift nicht «gemuthet», sondern dieselben ohne Belehnung des Erzbischofs fort besessen, woraus dann offener Streit zwischen dem Lehnsherrn und den Vasallen erwachsen, in welchem letztere mehrere zwischen

Unterthanen des Erzbischofs verstümmelt und getödtet hatten. beruft

der

Erzbischof Propst

U.-B. Nr. 1218.

und Oapitel

von Riga

und

Da seine

Ritter Bartholomäus von Tieseiiliauseu.

Vasallen

665

zusammen auf den «gewohnten« Termin, Sonntag nach

Epiphanias.

Der

erste

Tag

vergeht unter privaten Verhandlungen

und Discussionen, die jedoch zu keinem Ziele führen; so muss das Am Dienstag, als der Richter, Herr Bartho-

Gericht entscheiden.

lomäus von Tiesenhausen,

zeitig

im Tribunal

prüsidirte, zur Seite

die für diesen Fall besonders beigeordneten Beisitzer

Andreas Kegel

und Woldemar von Rosen zu Rosenbeck, klagte der Erzbischof gegen seinen Vasallen und verlangte Absprechung des Lehnguts. Pitkever entgegnete, der Erzbischof habe ihn bisher nie von den Tagen, Verhandlungen und aus seinem Rathe verwiesen, vielmehr habe er diesen, wie allen Entschliessungen und Rechtsprechungen beigewohnt, ja sei sogar Führer im erzbischöflichen Heer gewesen.

Vor allem habe ihm aber der Erzbischof Lehn zu mutlien, versichert,

erklärt, das

einst,

als

er sich bereit

er solle in seinem Besitz

Dieser Erklärung widerspricht der

(Rechte) nicht verletzt werden.

Erzbischof, worauf die Sache «der Entscheidung und Untersuchung

der Vasallen wollten

von

und

des

dieser

Riga anssch Hessen,

Richters»

übergeben

wird

Die Vasallen

ßerathung den Propst und das Gapitel von obwol diese den «Verhandlungen und Tagen,

gemeinsam mit den Vasallen Domherren endlich wegen Nach langer Berathung verkündet Gottschalk von Pablen den Spruch könne Pitkever jenen Ausspruch des Erzbischofs durch zwei glaubwürdige Zeugen und zwar rigische Vasallen beweisen, dann solle er das Lehn behalten, wenn nicht, fällt es dem Erzbischof heim. Zwei Verwandte Pitkevers, Heinrich Rosen und Heidekin Aderkas, bezeugen darauf, dass Erzbischof Johann im vorigen Jahre auf seinem Schlosse Ronne-

insbesondere

den

allgemeinen

beigewohnt hatten»,

doch

stets

wurden

die

«der alten Gewohnheit» zugelassen.

:

burg vor dem Kamin während des Manntages diese Aeusserung in Gegenwart von Johann Vithensis, Propst von Riga, Johann de Monte, Domherr von Riga, und von Heinrich Salza, einstigem Vogt von Treyden. Nun entsteht neuer Streit, da der Erzbischof diese Zeugen, als Verwandte der Beklagten, nicht anerkennt und die Vernehmung auch der anderen Zeugen verlangt, während Pitkever Durchführung des Unheils fordert, wobei stets Rede und Gegenrede auf Befehl und unter Vermittelung des Richters geschieht. So beginnt die Verhandlung früh morgens am Mittwoch unter «unseres Richters» Vorsitz von neuem, da wurden endlich Johann und Ludwig, Pröpste von Riga und Dorpat, und gethan

Nikolaus, Scholasticus

von Dorpat,

auf

Wunsch

des Erzbischofs,

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Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

666

sowie Burehard, Comtliur von Segewold, Gerhard, Vogt von Wenden,

und der

gestrenge

Ritter

Diese

richtern ernannt.

«Leib und Gütern»

um Vergebung

der

Herr Johann von Rosen zu dass Herr Hennekin des Erzbischofs

Schiedssich

mit

unterwerfen,

ihn

verfügen,

Gnade

Paggast Canemoyse mit seinem Bruder Otto verzichten und wegen seiner Frevel gegen die Unterthanen des Erzbischofs Sühne leisten soll. Als Johann v. Rosen bitten,

auf die

diesen Spruch verkündet und Hennekin

sich einverstanden erklärt

warf Hennekin Mantel, Gürtel und Messer ab, fiel vor die Kniee und übergab sich seiner Gnade «mit Leib und Gütern» und flehte mit gefalteten Händen ehrfurchtsvoll und demüthig um Verzeihung. Der Erzbischof aber, nachdem er

hatte, da

dem Erzbischof auf

auf die Bitte aller

den Vergleich gebilligt,

nahm Hennekin, wie

dessen in gleicher Weise knieenden Bruder zu Gnaden an und belehnte einen nach

dem anderen

er die Knieenden küsste.

mit den väterlichen Gütern, indem

Darauf erhoben

sich die

Brüder Pitkever

wie Herr Johann v. Rosen dem Erzbischof den Lehns- und Treueid. Dieser Hergang ist hier so ausführlich wiedergegeben worden, nur wegen der Betheiligung von Bartholomäus als Maun-

und schworen mit erhobenen Fingern, es ihnen vorsprach,

nicht

richter, nicht

nur wegen der lebhaften Darstellung eines Prozesses

und einer Belehnung vor 500 Jahren, sondern namentlich, weil er uns einen tiefen Blick thun lässt des

Erzstifts.

Es

ist

welches sich uns zeigt.

ein

in die

Fortbilduug der Verfassung

eigentümliches

Feste Normen,

Uebergangsstadium,

geschweige denn eine ge-

schriebene Verfassung existiren noch nicht, denn überall wird nur

auf

die

Gewohnheit,

die Ueberliefernng

auch, wie es scheint,

noch

Alles

in

gestaltet

sich

gar

nicht

Anlehnung an

verwiesen,

man begehrt

darnach, Alles

flüssig,

ist

den einzelnen praktischen

und dennoch sehen wir schon ein reich gegliedertes staatliches Leben vor uns. Sehen wir genauer zu, so lassen sich folgende

Fall,

Züge aus dem Verfassungsleben des Erzstifts um 1885 fixiren. Es gab regelmässige Versammlungen, zu welchen vom Erzbischof der Propst, der eine Ausnahmestellung einnimmt, das Capitel und die Vasallen von Riga berufen wurden, und zwar sind diese Versammlungen schon so weit eingebürgert, dass es einen «gewohnten Termin», den ersten Sonntag nach Epiphanias giebt. Es gab ferner verschiedenartige Versammlungen, welche als ttradatus seu placita », ats

tplarita geveralia », als

schieden

werden.

idies vnsallorum

»

und

Eine Ausnahmestellung nehmen

«

consilia

»

unter-

die «Consilia»

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Gßßgle

Ritter Bartholomäus von Tiesenhausen.

ein,

werden

sie

handlungen» mit

er

erwähnt und

einmal

entgegengesetzt,

welchem

welchen

nur

er

es

ist

wichtigsten

die

der «Rath»

setzte, ein privates Institut, das sich erst in

den

wandeln

ständigen «Stiftsrath»

berief

am Ende

sollte.

des 15. Jahrh.

wöhnliche für alle «Tage» und wird

in

und

«2Vacer amtlich durch

oder einen Ver-

Regierung gefördert

die

wird,

aus-

genommen, dass dieselbe dem Verein und Clauson-Kaas eine Unterstützung von zusammen 7500 Kronen jährlich gewährt. Die Verbreitung pflegte au den Kosten zu scheitern die Seminarieu hatten sich ablehnend dazu verhalten. Meist wurden nur einfache Laubsäge;

und Holzschnitzarbeiten getrieben. Die Hausfleissbestrebungen haben

demnach Schweden

in

Dänemark

nicht

die Handfertigkeit

vollster Blüthe stellt.

feste

nach

Wir werden

während

in

erzieherischen Grundsätzen

in

Wurzel sehen,

gefasst,

dass diese Erscheinung

nicht vereinzelt dastellt.

Die Jahre 1881 und 1882 brachten zwei Congresse

und Leipzig, die für den Fortschritt der Sache

Der

deutung waren. Schenkendorff'

und

erstere

unter

fand

dem

Biedermann im Juni 1881 statt sei

gestattet, die

wie

fertigkeit,

von

auf Einladung

Vorsitz

des

und zählte

iu Berlin

grosser Be-

des Herrn von

hochverdienten

sie

von jenem Congress angenommen wurden,

deren erste Grundlage und bis heute nur wenig beanstandete hier vollständig wiederzugeben.

Es

Dieselben lauten

als

Norm

:

Die deutsche Conferenz für Handfertigkeitsunterricht und

l.

'

Prof.

43 Theilnehmer.

Thesen über Wesen, Ziel uud Methode der Hand-

K.

v.

Schenkendorff, «Der praktische Unterricht, eine Forderung der Zeit

an die Schule».

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

731

häuslichen Gewerbefleiss zu Berlin spricht die Hoffnung aus, dass die Staatsregierung fordernd und unterstützend in die freie Vereins-

bewegung

eingreifen und dies besonders dadurch bethätigen möchte,

dass sie den Handfertigkeilsunterricht nach

und

nach,

anfänglich

eventuell in facultativer Form, in den Lehrplan der Seminare auf-

Hierbei dürfte auf eine enge Verbindung des Handfertig-

nehme.

keitsunterrichts mit

dem Zeichenunterrichte hinzuwirken

Die Leitung des Handfertigkeitsunterrichts

2.

Hand

sein.

muss

in

der

eines in den elementaren technischen Fertigkeiten vorgebildeten

Pädagogen

liegen

;

ihm zur Seite muss thunlichst für jede Richtung

Handwerker

des Unterrichts ein tüchtiger 3.

stehen.

Die zur Leitung des Unterrichts bestimmten Pädagogen sind

gegenwärtig am zweckentsprechendsten während der Sommer- oder Herbstferien

in

Im

4.

secliswöchentlichen Unterrichtscursen auszubilden.

Lelirsystem

ist

versuchsweise derart stufenweise vor-

zugehen, dass anfänglich nach körperlichen Vorlagen, wie

dem

sie

Alter angemessen sind, später nach analogen Zeichnungen und endeigenen Entwürfen

nach

lich

gearbeitet

wird.

muss eine theoretische Anweisung gehen, welche

hiermit

Parallel sich mit

dem Ge-

brauch der Werkzeuge, mit der Anleitung zu der zweckmässigsten

Nachbildung der Modelle und Zeichnungen, mit den Grundzügen des Stils, der Formen- und Farbenlehre, sowie mit der Materialienkunde

befasst. 5.

Die körperlichen Vorlagen und Zeichnungen

zu wählen, sie

dass

sie

sind derart

den Formen- und Schönheitssinn bilden, dass

den übrigen Unterricht unterstützen und dass

sie endlich,

soweit

hiernach möglich, auch nützlicher Art sind. 6.

Wiewol

es vortheilhaft

im Handfertigkeitsunterricht

ist,

die Anleitung zu einer thunlichst mannigfaltigen Materialbeherrschung

zu geben, so dürfen doch niemals mehr als drei Unterrichtsgegen-

stände gleichzeitig gepflegt werden.

Hierbei

ist

strengstens darauf

zu achten, dass die Arbeiten einerseits technisch richtig und andererseits in correcter, die Oberflächlichkeit

der Weise zur Ausführung gelangen.

und Fahrigkeit ausschliessen-

Im allgemeinen

dürfte ge-

nügen auf den Handfertigkeitsuuterricht wöchentlich 4 Stunden zu verwenden. 7.

sich,

Bei

dem gegenwärtigen Stande der Sache empfiehlt

den Handfertigkeitsunterricht

im

wesentlichen

zunächst

es

für

den letzten Jahrgang der Volksschule fruchtbar zu machen. In schneller Aufeinanderfolge entstanden nun in allen Theilen

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732

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. von Jahr zu Jahr ver« Nordwest», ein von Dr. Lammers Förderung gemeinnütziger Zwecke,

Deutschlands Schülerwerkstätten, die sich

Wichtig war, dass der

mehrten.

Bremen

in

geleitetes Blatt zur

annahm, deren treuer und beredter Fürsprecher er bis heute geblieben ist. Der Leipziger Congress vom J, 1882 zeigte bereits einen grossen Fortschritt,

sich ebenfalls der Haudfertigkeitsbestrebungen

was

die

Zahl der Theilnehmer betraf.

reichhaltige Ausstellung

aus

ausser

Auch war die gleichzeitige Schweden und der Schweiz Der

auch von über 10 Schülerwerkstätten Deutschlands beschickt.

dem Berliner Congress gewählten Centralausschusses

Bericht des auf

zeigte, dass die Handfertigkeitsidee sich in in erfreulicher

Weise

verbreite, obgleich der

durch laute Agitation Schülerwerkstatt

;

die

Dinge

Ausschuss keineswegs auf die

entwickelte

der

in

Dr. Goetze

der bis jetzt für Leipzig massgebend geblieben

dieselben sollten sich möglichst auf

Werkstatt

Norddeutschland schon

In Bezug

habe.

herzustellenden

seinen Grundsatz, ist

gewirkt

sollte

das Schulleben

zwischen Schule und Haus

beziehen,

vermitteln.

Der-

dass die Betheiligung der Lehrer an den

selbe theilte ferner mit,

für ihre Ausbildung bestimmten Cursen auf ein lebhaftes Interesse in der

Lehrerwelt schliessen

Endlich

lasse.

ist

zu erwähnen, dass

Bezug auf das Verhältnis der Werkstatt zur Schule wie über Zweck des Unterrichts sich abweichende Meinungen zeigten, während in Bezug auf die Gesammtauffassung von der Nützlichkeit in

den

der Bestrebungen volle Einmüthigkeit herrschte.

Einen Monat später fand auch Cursus zur Ausbildung 61 Theilnehmern Unterricht

von Lehrern

in

Dresden ein sechswöchiger

statt.

Die Leitung

besucht.

wurde aber diesmal

von

Derselbe

wurde von

hatte Olauson-Kaas,

der

HandBezug auf die Wahl der Lehrgegenstände hatten die Dresdener Abänderungen durchgesetzt, indem die Metallarbeit Aufnahme fand, die Naturschnitzmethode dem Kerbwerkern

ertheilt.

Auch

schnitt weichen musste,

Der Erfolg

dieses Cursus

die

deutschen

in

die Bürstenbinderei

war

der, dass die

für die Sache der Handfertigkeit

an

tüchtigen

ausgeschieden wurde.

Lehrer sich sämmtlich

erwärmt hatten und

voller Liebe

Aufgabe herantraten, die erworbenen Fertigkeiten der Jugend

weiter zu vermitteln. In Leipzig wurde die erste öffentliche Schülerwerkstatt Michaelis

1880

eröffnet.

.Jahr fortgesetzt

wurden die Curse daselbst Jahr zwar während des ganzen Schuljahres. war die Theilnahme keineswegs rege,

Seitdem

und

den ersten drei Jahren

für

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In es

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

733

waren blos ca. 75 Schüler im Semester gemeldet. Im Jahre 1883 dagegen stieg diese Zahl in Folge eines von Dr. Goetze verfassten Aufrufs, der in frischer, dem Knabeu verständlicher Sprache sich unmittelbar

550

an

die Schülerwelt

einem

mit

richtete,

Schlag

auf

Schüler.

wurden

Seit 1880

in

Leipzig wiederholt Curse zur Ausbildung

von Lehrern der Handfertigkeit abgehalten. welche

dieselben

fanden,

führte

dahiu,

bildungsanstalt gegründet wurde, ferien ihre Curse hält.

Die rege Betheiligung, 1887

dass

welche jährlich

wurden

Dieselben

Lehrer-

eine

den Soramer-

in

von Lehrern aus allen

Gegenden Deutschlands, aus Oesterreich, Ungarn und den baltiim Sommer d. J. nahmen auch vier Damen aus England theil. In den Jahren 1884 86 wurden 64 Lehrer ausgebildet, 1887 besuchten die Sommercurse 54, 1888 bereits 60 Lehrer. Da ich im Juli und August d. J. ebenfalls an den Cursen

schen Provinzen besucht, ja



theilnahm

so

,

sei

finden

vom

in 1.

in

erlaubt

Kürze

über die Einrichtung

,

zu

berichten.

zwei gesonderte Lehrercurse

Leipzig

— 29.

mir

es

Lehrerbildungsanstalt

Juli,

der

vom

zweite

1.— 29. August

dieser

Sommer

In jedem statt,

deren erster dauert.

In

liebenswürdigster Weise werden im voraus gute und billige Quartiere in der

Nähe der Werkstatt

besorgt.

Am

30.

Juni fand die

Eröffnung durch den Director des Seminars, Oberlehrer Dr. Goetze, statt.

Am

1.

Juli

früh

um

7

sich von den vier Lehrfächern:

begann die Arbeit. Jeder durfte Hobel bankarbeit, Papparbeit, Kerb-

und Metallarbeit ein Haupt- und ein Nebenfach wählen. Auf ersteres wurden 30, auf letzteres 20 Arbeitsstunden in der

schnitt

Woche

verwandt.

Zur Erlangung

eines Reifezeugnisses

war man

Fächer erst berechtigt, wenn man es zwei Cursen als Hauptfach betrieben hatte, natürlich normale

für das erste der genannten in

Fortschritte vorausgesetzt; erreicht werden, in

den Ubrigtn konnte das Ziel bereits

in

wenn man

sie in

einem Cursus als Haupt- oder Die Theilnehmer desJuli-

zweien als Nebenfach gewählt hatte.

cursus, fast sämmtlich Lehrer, standen im Alter 'von

mit einer zweistündigen Mittagspause von 12 stündigen stätten

etwa

22—45

Die Tagesarbeit dauerte von 7 Uhr früh bis 7 Uhr Abends

Jahren.

Erholungsfrist

befinden

sich

in

am den

Vor- und

Räumen

—2

und je einer halb-

Nachmittag. der

Die

Werk-

alten Thoraas-Schule.

Ausserdem waren dem Seminar daselbst zwei Erholungszimmer, ein Lesezimmer und zwei Zimmer für die permanente Ausstellung von

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734

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerzieliung.

Auch befand

Schüler- und Lehrerarbeiten eingeräumt.

sich daselbst

enthaltend die gesammte auf die Handfertigkeits-

eine Bibliothek,

Die Leitung der Werkstattarbeit lag den Händen bewährter leipziger Meister, die simmllich mit an-

frage bezügliche Literatur. in

erkennenswerthem Eifer ihrer Aufgabe oblagen und es verstanden, recht herzliche Beziehungen zu den Curstheilnehmern zu gestalten.

Obvvol

man

gelegentlich

bemerkte,

den daheim

der Meister

dass

gewohnten höflichen Verkehrston auch auf diese

mündigen

bereits

Lehrlinge übertrug, gab es nie eine mehr als vorübergehende Ver-

Das sah man besonders

stimmung. abenden,

deutlich

an

Commers-

den

zum Schluss der Curse Meister und Schüler in Auch hatten jene allen Grund,

welche

herzlichster Eintracht vereinigten.

mit uns zufrieden zu

sein,

denn es wurde mit grossem Pflichteifer

und eingehendem Interesse gearbeitet,

Und wenn auch das Mass

aus. bei

den Einzelnen

sehr

oft

über die Arbeitszeit hin-

der Geschicklichkeit

war,

verschieden

Resultat bei weitem meine Erwartungen.

naturgemäss

so übertraf doch das Die gefertigten und zum

Schluss zur vergleichenden Prüfung ausgestellten Arbeiten zeigten einen grösseren Unterschied

stände

als

lieferten

der

in

zu nennen pflegen, die bei festem

überwinden Theil

in

meist

der Zahl der hergestellten Gegen-

und Sorgfalt der Ausführung.

Solidität

mir den Beweis dafür,

nur

dass, als

Willen und hingebender Bemühung

ist.

derselben

fast

ist,

immer zu

Ich habe unter 60 Lehrern, obvvol nur bei einem ihre

günstige

an den Cursen theilzunehmen keinen gefunden,

Sie

was wir Ungeschicklichkeit

Ungeiiblheit zu bezeichnen

der

,

Beanlagung massgebend

für

den

Entschluss,

gewesen sein

unbefriedigende Resultate

erzielte.

dürfte,

Im

all-

gemeinen wird jeder vorurtheilsfreie Beurtheiler zugeben, dass hier in

kurzer Zeit auf einem

hebliches

geleistet

wordeu

gänzlich ungewohnten Arbeitsfelde Erist.

Auch

unparteiische

Handwerks-

meister schüttelten verwundert die Köpfe und erklärten, das hätten sie nicht für

möglich gehalten.

Ich bin dadurch zur Ueberzeugnng

gekommen, dass in unserer Schuljugend Schätze von technischen Anlagen liegen, die gewiss mit der Zeit verkümmern. Pflicht der Erziehung also ist es, diese Anlagen zur Entfaltung zu bringen, die zwar oft entbehrlich sein mögen, weit öfter aber ihrem Träger von grossem Nutzen sein würden. Zwei Nachmittage in der Woche wurden dazu verwandt, Vorträge zu hören, die entweder die Bedeutung des HandfertigkeitsUnterrichts

vom

culturhistorisohen, uationalükonomischen, socialen,

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. und

pädagogischen

Standpunkt

gesundheitlichen

735

klarzulegen

be-

zweckten oder, aus der Praxis hervorgegangen, nützliche Fingerzeige

Anwendung der erworbenen technischen Fertigkeiten boten. Oder man stattete den Schülerwerkstätten Leipzigs und der Umgebung Besuche ab, um zu sehen, wie bereits geübte Lehrer den für die

Unterricht

Einen

ertheilten.

ungemein

interessanten Nachmittag

verbrachten wir auch mit der Besichtigung

analoger Anstalten

in

wo sich der Handfertigkeitsunterricht einer regen Theilnahme erfreut. Im Winter 1887/88 wurden daselbst 169 Schüler in der

Halle,

allgemeinen Werkstatt viele

Knaben

den

in

Knabenhorten

von zwei Monaten sowol

in fachlicher

zu

gelegt

auf dem

haben,

worbenen Fertigkeiten

der Stadt

dem Bewusstsein,

mit

in

unterrichtet.

der kurzen Zeit

Beziehung einen guten Grund

es mir leicht fallen würde, meine er-

weiter

vervollkommnen,

zu

neuer Anschauungen

reiche Fülle

ausserdem aber wurden noch

unterrichtet,

vier

Ich schied ans Leipzig

Leben gewonnen zu haben.

als

auch eine

dem Leben

aus

mitten

Die geringe

Mühe

für das

hatte reiche Frucht

getragen.

Es

ist

unmöglich, auch nur annähernd genaue Daten über die der Handfertigkeit

Verbreitung

den Schulen Deutschlands

in

zu

Gegenwärtig finden von Seiten des «Deutschen Vereins für Knabenhandarbeit», der seit 1886 die Bewegung leitet, Erhebungen

geben.

nach deren Abschluss wir ein einigermassen klares Bild zu

statt,

Nach den

erhalten hoffen dürfen.

bisher eingelaufenen Nachrichten

wie mir Herr Lehrer Sonntag

steht, theilte,

dass an 40 Orten

fest,

in

Leipzig frenndlichst.

mit-

des Königreichs Sachsen in etwa

70 Anstalten von 1000 Kindern Handarbeit getrieben wird. Der »Deutsche Verein» ist unermüdlich thätig, richtige Anschauungen über

die

Bedeutung und

des Handfertigkeitsunterrichts

die Ziele

zu verbreiten, und seine Bemühungen sind keineswegs erfolglos zu Von besonderer Bedeutung darf genannt werden, dass

nennen.

der deutsche Reichskanzler Fürst Bismarck im Juni dieses Jahres

der Vereinskasse aus Reichsfonds eine Unterstützung von 5000 überwies.

Sodann

Herrfurth

am

präsidenten,

sehr

jener

welchem

in

wirksames

Wunsch

erliess

Herren

er den

BallUch« Honat.vhrin.

in

die

Mark

Regierungs-

Erziehung» bezeichnet

möchte

geschlossenen

als auch M. XXXV, Haft

an

Inneren

des

Minister

Schreiben

Handfertigkeitsunterricht als «ein

der

derselbe

sowol

Blindenanstalten &c.

ein

c.

Hilfsmittel

ausspricht,

preussische

der

25. Sept. a.

in S u.

den

Anstalten, Waisenhäusern,

Privatkreisen ff.

und

durch die rege Mitwirkung

Eingang

finden.

4$)

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736

Auch

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. lieferte der

«

VIII. deutsche Congress für erziehliche Knaben-

am

Handarbeit», welcher

München

22. Sept. in

Beweis, dass der Arbeitsunterricht

Kreisen Interesse gewinnt.

in

Zweck

Eintrag, dass die Auffassung über den

in Deutschland keineswegs eine einheitliche

wie

In Leipzig wird,

nachdruck

eröffnet wurde,

Deutschland

in

Diesen Fortschritten

auf die erziehliche Seite

des Unterrichts auch

betont!

Es

gelegt.

der Hauptalso

soll

der Jugend

nur eine bisher vernachlässigte Naturanlage sondern der Arbeitsunterricht geradezu

keinen

es

ist.

mehrfach

bereits

den

immer weiteren tliut

nicht

gepflegt,

den Dienst des Unter-

in

indem durch ihn viele der in der Schule erworbenen Anschauungen geschärft und geklärt, das Wissen vertieft werde. Durch den fortgesetzten Kampf gegen die zu überwindenden richts gestellt werden,

Schwierigkeiten

Werkzeugbehandlung

welche

,

Material der jugendlichen Kraft

Weg

den

in

und

das

legen,

soll

ein sittlicher Einfluss ausgeübt, der Wille gefestigt, der

In diesem Sinne

gebildet werden.

Schülerwerkstätten

ausser in den leipziger

der Beustschen in Höflingen bei Zürich,

in

denen Halles und gewiss

bereits

Die Arbeitsschule zu Görlitz, gegründet

man

ist

spröde zugleich

Charakter in

vielen anderen Orten tliätig.

an

welche von Herrn

Schenkendorff

v.

und unter seiner Oberleitung steht, hat zwar auch im Auge, doch erst in zweiter Linie.

ist

den pädagogischen Zweck

Wichtiger erscheint den Leitern die Erzeugung technischer Geschicklichkeit.

Der Arbeitsunterricht

Festigung, die er bezweckt, lust

zielt

besonders

dort

auf

neben

der

Weckung

sittlichen

der Arbeits-

und Bildung des Geschmacks, des Gefühls für Formenschönheit.

Man giebt sich der Hoffnung hin, auf diesem Wege das Handwerk und das 'Kunstgewerbe zu heben. Die schlesischen Schulwerkstätten vollends stellen das Nützlichkeitsprincip voran,

Arbeiten

derart,

den Verkauf

für

dass

die in denselben hergestellten

berechnet

sind.

Die Einführung

des

Wunsch hervor, die wirthLage der Bevölkerung zu bessern. Meiner Meinung nach ist es durchaus natürlich, dass für Begründung von Schülerwerkstätten verschiedenartige Gesichtspunkte massgebend waren. Verbindet man doch auch mit Einrichtung Arbeitsunterrichts

geht

hier

aus dem

schaftliche

von Schulen

den

gehende Absichten.

localen Bedürfnissen

Im

weitesten Sinne

entsprechend dienen

auseinander-

darum doch

alle

demselben Zweck, der Erziehung und Veredelung der Menschheit.

Bekennen

sich

die

Freunde des Arheitsunterrichts dazu,

dass

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sie

Google

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

Auge

dasselbe Ziel im

welches

haben,

die Schule

737

verfolgt,

dann

muss diese sie als Bundesgenossen betrachten und eine Verständigung mit ihnen anstreben. Erweist es sich, dass der Arbeitsschule der erziehliche Zweck wenig gilt gegenüber dem gewerblichen, so hat die Lernschule mit ihr nichts zu thun, wenngleich die Berechti-

gung solcher Einrichtungen an bisweilen

nicht

der

sich

erziehliche

Aushängeschild benutzt, während

Vordergründe stehen

unbestreitbar

Wird aber

ist.

Nutzen nur gewissermassen als in Wahrheit andere Interessen im

Und kann nicht eine falsche Lehrmethode, Auswahl der Fächer dazu führen, dass durch mehr geschadet, als genützt wird ? Ich

?

eine unzweckmässige

die Handarbeit erziehlich

Deshalb

glaube allerdings.

Handarbeitslehrer

bildete

achten

sein, dass alle

wird,

dass

Vorschub

nicht

wird

durch Aufnahme

geleistet wird, dass der

solcher Gegenstände

nur

die Schule

znlassen

Es

dürfen.

vieler

Forderung

erfüllt,

gleichgiltig sein,

ob

zu

Stümperei

Lehrgang nicht zur Herstellung

welche realen Werth besitzen, wofern die

eilt,

leidet.

Ist aber

dass der Unterricht streng methodisch, nach

erzieherischen Grundsätzen

*

darauf

Fächer der

Gründlichkeit und Sauberkeit der Arbeit darunter die

methodisch ge-

wird

mechanische, geisttödtende Arbeit ausgeschlossen

geleitet

wird,

so

kann von

hergestellten Arbeiten

die

es der Schule

der Familie

benutzt oder veräussert werden.

Wenn

ich

im Folgenden eine kurze Uebersicht über den Stand

der Handfertigkeitsfrage in den übrigen Ländern Europas zu geben

versuche

so

1

,

muss

ich

mich nach der ausführlicheren Darstellung

ihrer Entwickelung in Deutschland, die naturgemäss in erster Linie

unser Interesse beansprucht, hier auf das Notli wendigste beschränken.

Es giebt mit Ausnahme der drei südlichen Halbinseln kein Land Europa, das unserer Frage kein Interesse geschenkt hätte. Fast

in

überall ist dasselbe vielmehr

Oesterreich sind zunächst die

In in stetem Wachsthum begriffen. Bemühungen des Directors Er. Schwab

nicht ohne Nutzen gewesen:

wenigstens hat

der Schulgarten als Ergänzung

mocht.

Die Handarbeitsidee

wie wir sahen,

sich,

der Lernschule

einzubürgern ver-

wurde aufs neue angeregt und

in

überzeugender Weise begründet durch den Director des österreichi1

von Elm

leb schöpfe in diesem Theil meine

und Rauseher, Th.

I

nnd

III,

Angaben ans den genannten Werken aus Gelbe «Papp- und feinere

sowie

Holzarbeiten» nnd den «Blättern für Knabenhandarbeit» 1888. vielleicht hier

statistischen

nnd da durch

die augenblicklich von Leipzig

Genaueres wird

aus veranstalteten

Erhebungen bekannt werden. 49*

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738

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

sehen

Museums

Kunst und Industrie

für

Eitelberger

in

seiner Schrift «Ueber Zeichenunterricht

die

Nothwendigkeit hinweist,

dass

.

.

in

.

die Volksschule

Edelberg

v.

der

er auf

auch für das

Gewerbe vorbereite. 1883 entVerein zur Gründung unentgeltlicher Knaben-

praktische Leben, speciell für das

Wien

stand in

ein

beschäftigungsanstalten,

der

1884 jährlich denen bisher

ein

zwei

bisher

denen demnächst weitere

richtete,

Schülerwerkstätten

folgen

Auch

sollen.

zur Ausbildung

Cursus

von Lehrern

er-

fand seit

an

statt,

bereits 110 Lehrer theilgenommen haben. Nach Auszeichnungen zu sehliessen, welche, den hier gefertigten Arbeiten

auf den Ausstellungen zu Zürich und Antwerpen zu

tlieil

wurden,

dem Lernstoff

scheint es, dass das Ziel, den Arbeitsunterricht mit

der Schule in Einklang zu bringen, hier besonders glücklich ange-

Dem

strebt wurde.

Leiter der ersten Schttlerwerkstatt A. Bruhns In der Schweiz

geringes Verdienst zuzusprechen.

nicht

ist hierin

sind auch bereits Anfänge zur Verbreitung der Handfertigkeit ge-

macht worden,

indem ein baseier Verein bereits vier Werkstätten Die Beschreibung, welche mir von der bedeutendsten

errichtet hat.

derselben zu Klein-Basel vorliegt, zeigt, dass dort «arme, besonders

verwahrloste Knaben» Unterweisung

Art der deutschen Knabenhorte Doch haben bereits

erhalten,

Curse

vier

mehr

also

der

in

allgemeinen Schülerwerk-

der

als

stätten.

Ausbildung

zur

von

Lehrern stattgefunden, ein Zeichen, dass die Bewegung ihren Fort-

gang nimmt. In Belgien bestehen schon in

denen gewisse

unterricht

rühmte

in

Besserungsanstalt,

diesem

Jahrzehnt

Kalken, der

System

in

in

das Seminar

gegeben,

in

in

Schweden

Art

das

in

gehalten

zur Folge hatte,

studirt hatte, das dort geltende

zu Brüssel verpflanzte,

worden,

In Holland der

ln Folge dessen

das dahin

Derselbe

anzubahnen.

der Volksschule

Handwerkern gegeben.

Clauson-Kaas

aller

ist. Eine Anregung zur Anunserem Sinn wurde jedoch erst indem der Semiuarlehrer N. van

Dresden von Clauson-Kaas ausgebildet war, später

in

Unterricht

dort von

Handarbeit

der

in

50 .fahren Industrieschulen, in Verbindung mit Schul-

besteht in Ruysselede eine be-

aufgenommeu

der Handfertigkeit

auch die Handfertigkeit den

Auch

werden.

Erziehungsprogramm pflanzung

seit fast

gewerbliche Arbeiten

gepflegt

die

sind

ist

ein

Gründung

strebt,

wird

Vortrag von eines Vereins

etwa 50 Slöjdschulen

er-

richtet worden.

England verhielt

sich lange Zeit abwartend.

In letzter Zeit

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739

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. scheint jedoch

dahin

scheint

ein

erwacht zu

lebhafteres Interesse

zu werden

gestrebt

Mädchenschulen einzuführen.

sein.

Ja, es

den Slöjdunterricht auch in Wenigstens hat sich in den letzten ,

Jahren eine ganze Reihe von Damen in Schweden und

in

Leipzig

ausbilden lassen. In Frankreich

bereits

ist

1882 durch

ein

Gesetz die Hand-

zum Uebungsfach in allen Lehrerseminaren und Volksschulen gemacht worden. Das Beispiel hierfür hatte Professor Salicis ge-

arbeit

geben, der in Paris

Jahr 1884

soll

Bis

erste Arbeitsschule begründete.

die

zum

der Unterricht bereits in 80 pariser Volksschulen

eingeführt gewesen sein.

Wiederholt haben Delegirte Frankreichs

Reisen durch Deutschland und Schweden unternommen,

um

die dort

Die Regierung war fest zu studiren. gesammte männliche Jugend des Landes in der Handunterweisen zu lassen. Wenugleieh ein solches Unternehmen

bestehenden Einrichtungen gewillt, die

arbeit

naturgemäss

viel Zeit

beanspruchen muss, zumal es dazu einer be-

deutenden Anzahl von Lehrern bedürfte,

so

werden doch

bis jetzt

nur erfreuliche Nachrichten von den dortigen Fortschritten gemeldet.

Dänemark hat

unstreitig das Verdienst,

für Hausfleiss vieler Orten

Agitation Clauson-Kaas’ das Interesse

zu

angeregt

Vielseitigkeit,

haben, die

es scheint

nothwendig

durch die lebhafte

dass

aber,

die dort befürwortete

zum Dilettantismus führen muss,

gegenüber der nur erziehlich fruchtbare Arbeitsfächer berücksichti-

fast

Aus industriellen oder socialErwägungen entstanden, kann ihr auch in der Art der wenig pädagogischer Werth zugesprochen werden. Wir kommen nun zu Sch weden, dem Lande, welches seit 20 Jahren in immer steigendem Mass die Augen aller Freunde

der

Handfertigkeitsidee

genden Richtung nicht bestehen kann. politischen

Ausführung

derselben

ist

Deutschland

jedoch,

absehen,

auf sich

zieht.

Die eigentliche Mutter

wenn wir von den geringen Anfängen

Uno Cygnaeus,

Finnland.

der

in

Begründer

der heutigen finnischen Volksschule, hatte sich in Deutschland mit

den oben dargelegten Ideen Pestalozzis, sowie mit den praktischen

Versuchen seines Lehrers Froebel seit

Durch

eine

technische Handarbeiten

als

Schule eingeführt.

wurden in

befreundet und, zuriickgekehrt,

1860 den Handfertigkeitsunterricht

in die

als formales Bildungsmittel

Verordnung vom Jahre 1866 obligatorisches Uebungsfach

den Lehrplan der Semiuarien und Stadtschulen und «Slöjd» als

solches in den Unterricht der ländlichen Volksschule ‘

O. Salomon «Haiidfertigkeitssckule

u.

aufgenommen 1

Volksschule», Leipzig 1883.

p.

.

B3.

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

740

schwedische Bezeichnung für Ausbildung der Handgeschicklichkeit in ausdrücklichem Gegensatz zum Gewerbe. Angewandt wird das Wort meist auf Holzarbeit. In Schweden selbst war zwar in einer Schule zu Upsala schon seit 1854 die Handfertigkeit eingeführt, weitere Fortschritte machte sie jedoch erst, «Slöjd«

als

ist eine

man

Finnland

in

aufzuweisen ver-

Erfolge

günstige

bereits

Schweden zunächst in die öffentliche Hier bildete sich die erziehliche Richtung aus, die heute Nääs zu ihrem Centrum hat, während daneben an anderen Orten wie in Claestrop und Göteborg, die Arbeitsschule zu erwerblichen Zwecken Pflege findet, etwa dem Jetzt drang

mochte.

sie in

Schule, sodann in die Volksschule

Unterschiede

zwischen der leipziger und der görlitzer Richtung

Nääs benutzt den Slöjd

Deutschland vergleichbar.

in

als allgemeines

Erziehungsmittel, Göteborg will geschickte Handwerker Vorschulen.

Der

Seminar zur Ausbildung von Slöjd-

erstere Ort, der heute als

lehrern Weltruf besitzt, verdankt dieses Emporblühen seinem reichen

Besitzer Abrahamson, der in hochherziger

auf diese Gründung plan

verwandt

Weise grosse Capitalien

Die Direction

hat.

des Seminai-s

den bewährten Händen des Herrn O. Salomon.

liegt in

enthält

Tischlerei,

wissenschaftlichen Fächern

neben

Drechslerei

Schnitzarbeit,

Schnitzen

ist

wie

hier

schnitzen zu verstehen,

in

Der Lehr-

Elemente der

und Schmiedearbeit.

Leipzig nicht

sondern

die

das

Frei-

Unter

oder Natur-

das Kerbschnitzen, das, dem geo-

metrischen Zeichnen vergleichbar, mit Hilfe von Cirkel uud Lineal

ausgeführt wird und auf geometrische Grundformen zurückgeht.

Aeusserst

thätig

für

Verbreitung

der

Handfertigkeitssache

Vorträge

viele

Anhänger gewonnen



war

der ihr durch zahlreiche

auch der deutsche Bildhauer 0. Ahlborn,

In ca. 700 Schulen soll

hat.

daselbst bereits vor zwei Jahren der Slöjd eingeführt gewesen sein.

Auch von

der Einführung

Cultusministerium viel für

>n

die

Gymnasien verspreche

sich das

der Schul-

die GesundheitsverhältP'sse

jugend.

In Russland zeigt sich auch bereits seit 10 Jahren esse für

Den

Aufnahme technischer Beschäftigung

ersten Schritt

zur Verwirklichung

Ostseeprovinzen gethan, der Erfolg

Wege

viel

haben

die Leiter,

wol die

auch

wenn

zu wünschen übrig Hess, rüstig auf dem betretenen

fortgeschritten.

dem emdener Cursus, durch

und seitdem sind

viel Inter-

in den Schulunterricht.

der Idee

Am

Januar 1878, also zwei Jahre vor sich in Folge persönlicher Anregung

10.

bildete

Clauson-Kaas Ja Dorpat der «Verein

zur

Förderung des

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. Hausfleisses v.

in

Land»

und

unter

der alsbald Theilnehmer

Stryk-Palla,

Kaas zu

Vorsitz

zu

unbedeutenden Kosten

des

74 t

Herrn A.

eiuem durch Clauson-

Derselbe fand, nachdem

leitenden Arbeitscursus suchte.

nicht

die

Stadt

worden

gedeckt

waren,

den

in

Monaten September und Oetober 1878 in Dorpat unter Betheiligung von 48 Herren und 19 Damen statt, nachdem eine dorpater Lehrerin, Frl. Baranius, im Sommer desselben .Jahres sich in Kopenhagen durch Theilnahme am dort abgehaltenen Cursus zur Leitung der weiblichen Abtheilnng vorbereitet hatte.

Dieselbe hatte die Schul-

einrichtnngen in Stadt und Land in Bezug auf ihre Anwendbarkeit in

unseren Verhältnissen

Baranius für ungeeignet

sah, dass dieselben auch dort

erlernt wurden.

fühlte sich

jedoch

in ihren

Mehrere der dort betriebenen Arbeiten

wartungen getäuscht. Frl.

geprüft,

Erhielt

unsere Mädchenschulen oder sie

für

zum Kuabenunterricht von den Damen

Durch das Entgegenkommen des Vereinsvorstandes

dem dänischen

gelang es ihr denn auch, gewisse Abweichungen von

Programm von Herrn Olausou-Kaas zu erwirken.

In acht Stunden

täglicher Arbeit trieben die Herren Tischlerei, Korbflechterei, Buch-

binderei und Papparbeit, Bürstenbinderei, Laubsägearbeit, Einlege-

und Poliren, Bildschnitzerei,

arbeit

Damen

die

flechterei,

und

Bildschnitzerei

Stroharbeit

,

ausgenommen an

deren

und methodischer Handarbeitsunterricht

flechterei

Wie gering die Programm in den

und Stroh-

grobe Stroharbeit

dieselben Arbeiten,

grobe

Tischlerei,

Spahngewöhnlichem

Stelle

in

Sinne kamen.

Fertigkeit sein kann, die bei einem

so reichen

einzelnen Fächern

geht daraus hervor, dass man von Clauson-Kaas

zu

nach

erzielen

ist,

im ganzen

48stündiger Arbeit das Recht, in Tischlerei zu unterrichten, erhielt,

während im leipziger Seminar 240 Stunden dazu erforderlich sind, hier gegen 200 zum Ziele führen, obwol in Leipzig das Buchbiuden nicht geIm übrigen stellt der Leiter den Theilnehmem am lehrt wird. ähnlich in der Papparbeit, in welcher 48 Stunden

dort

dorpater Cursus ein überaus günstiges Zeugnis aus.

Die Erfolge, was Verbreitung des Hausfleisses in den Schulen betrifft,

lassen

Verein, wie

Eingang

heute als gering bezeichnen.

1878

Vertrauensmänner

den

der Idee

— 1887

in Stadt

die niederen Schulen

in

reisen mit

sich

die Berichte von

thätig, durch

Zwar war

ausweisen,

der

unermüdlich

und Land dem Hausfleiss

zu verschaffen,

gewonnenen Anstalten

durch Revisions-

Fühlung

zu

be-

halten, durch Ausstellungen das Interesse zu beleben, endlich neue

Seminarcurse

zur Ausbildung

von Lehrern

zu veranstalten.

Au

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742

Die Handarbeit im Dienste der Knabeaerziehnng.

Theilnahmlosigkeit

Mangel an

vom

bericht

Landvolkes

des

opferwilligem

J. 1881

der

Mittellosigkeit

,

Interesse

der

gebildeten

Schale,

Bevölkerung

Während daher der Vereins-

Bemühungen.

scheiterten die meisten

35 Schulanstalten aufführt,

denen Hausfleiss

in

gelehrt wurde, kann der letzte, 1887 erschienene nur noch folgende

Schulen nennen, die

der Sache treu geblieben sind:

das estnische

Gemeindeschullehrer-Seminar, die Parochialschulen zu Lemsal, Uexkttll,

Wendau, Eecks,

Magdalenen;

Kaunap&h,

Hallist,

ferner 6 Gemeindeschulen.

Thatsache, dass der Hausfleiss bei uns

auch

dadurch

,

dass

Lehrer

Talkhof und

zurückgegangen ist, ihren Wirkungskreis

Pastore

oder

Marien-

Vielfach erklärt sich die stetig

verliessen und durch

Männer

ersetzt

saclie fern standen.

So

B. durch die Entfernung des Pastor

Brandt

Palzmar,

in

wo

Gegend,

ist

z.

einer

in 9 Schulen

Arbeitsunterricht erhielten,

433 Schulkinder

der Hausfleiss-

die

rührigen

überaus

Hausfleiss

beiderlei

Geschlechts

dieser Segen entzogen worden,

stens scheinen augenblicklich

Von

wurden,

den

für

zum Verein

Beziehungen

die

weniggelöst.

weit tiefer gehendem Einfluss vollends

muss die Regierungsmassnahme sei’), der zufolge unsere Landschulen dem Einfluss der protestantischen Geistlichkeit entzogen werden. Immerhin darf der Versuch, den unser Haustteissverein mit so anerkennenswertbem Eifer gemacht hat,

noch nicht für verunglückt gelten.

wird die verwandte Bestrebung

wie in Deutschland besser gedeihen.

auf dem

Einzelne Ansätze

Vielleicht

erzieherischen Handfertigkeit

der

vorbereiteten Boden

schon

hierzu

sind

um

so

jetzt be-

bereits

merkbar.

Schon werkstatt

1883

hatten

Fortschritte

die

der

leipziger Schüler-

Aufmerksamkeit des Vorstandes des Livländischen auf sich gezogen, und man war mit Dr. Goetze Verbindung getreten. Daraus entsprang der Wunsch,

die

Hausfleissvereins in briefliche

wie

in

Leipzig der städtischen Schuljugend durch öffentliche Schüler-

werkstätten Gelegenheit zur Handarbeit zu geben.

wurde 1887 Herr A.

v.

Hofmann, der

seit

Hausfleisses beständig thätig gewesen war,

gesandt,

um

sich dort in der Lehrerbildungsanstalt mit den bezüg-

lichen Einrichtungen leitete der

der Sache,

bekannt

zu machen.

genannte Herr bereits

Professoren

In Folge dessen

1878 für Förderung des

vom Verein nach Leipzig

sowie Lehrer

in

im ganzen 19 Herreu, sich

arbeit, Tischlerei

Im

II.

Semester 1887

Dorpat einen Cursus,

in

welchem

von allen Schulen und andere Freunde in

die

Elemente der Papp-

und des Kerbschnitts einweihen Hessen.

Dieser

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743

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. Cursus wurde mit Hinzunahme der Metallarbeiten auch im

worauf unter

1888 fortgesetzt, schulten Lehrer

im

II.

der nunmehr vorge-

der Leitung

Sem. 1888

In derselben wurden

wurde.

Sem.

I.

eine Schülerwerkstatt eröffnet

die vier

genannten Lehrfächer nach

den in Leipzig geltenden Grundsätzen gelehrt, und bereits im ersteu

Semester wird eine grössere Zahl von Schülern beschäftigt, ein Zeichen, dass die gebildete Bevölkerung Dorpats dieser Erziehungsidee viel i

Doch schon

Vertrauen entgegenbringt. stadt nicht für

mehr

steht unsere Universitäts-

In Riga hat

alleiu da.

durch

praktische Arbeit

die

Herr Oberlehrer Schlau und private Be-

einen Vortrag

mühungen Interesse zu erwecken versucht, und es ist ihm, obgleich er anfangs nicht viel Entgegenkommen fand, gelungen, die Entsendung des technisch recht beanlagten Lehrers Meyer zu dem diesjährigen leipziger Sommercursus zu erwirken, der schon vorher eine

Privatwerkstatt

richtet hatte.

Nach

für

und Laubsägearbeit eingeRückkehr aus Leipzig setzte er den

Kerbschnitt

seiner

privaten Unterricht im Kerbschnitt und Papparbeit mit 44 Schülern fort.

Die Energie und Aufopferung, mit der Herr Meyer

fast

ohne

jede Unterstützung der für richtig erkannten Erziehungsidee in der

Hauptstadt unserer Provinz Boden zu gewinnen sucht, verdient die Auch im Laudesgyinnasium zu Birkenruh vollste Anerkennung.

wurde im

II.

Sem. 1888 Handarbeit getrieben.

Den Verhältnissen

entsprechend, die das Fortbestehen der Schule fraglich

erscheinen

gewagt werden. Alle kostspieligeren Einrichtungen mussten gegenwärtig, obwol das Schulcollegium sich dem Unternehmen durchaus günstig zeigte, vermieden werden. Doch fanden sich, obwol wegen Mangels au Lehrkräften nur die vier unteren Klassen herangezogeu werden konnten, sogleich 40 Knaben zur Theilnahme an Papparbeitscursen bereit, während die übrigen abwarten wollten, ob sich ihnen Gelegenheit Hessen, konnte nur ein bescheidener Versuch

bieten würde, die in Aussicht gestellte Tischlereiarbeit zu erlernen.

Die Schüler zeigten ein ungemein lebhaftes Interesse arbeit,

das

des

trotz

strengen Lehrplans,

sich fügen mussten, bei fast allen bisher

Handarbeit hat sich hier als allein in

für die

Hand-

die Theilnehmer

ein überaus wichtiges,

kaum zu entbehrendes Erziehungsmittel

ist.

Die

für Internate

Jedoch

erwiesen.

nicht

Livland sind Versuche mit Einrichtung von Arbeitsschulen

gemacht worden. Vorträge

dem

rege geblieben

Clauson-Kaas hat auch

gehalten,

Arbeitsschulen ins

und

Leben

in

in

beiden Städten

getreten.

Mitau und Goldingen sind

In wie weit

in

Folge dessen

dieselben

noch

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

744

heute bestehen,

von Goldingen leider

mir

ist

In Miiau

worden.

besteht

Werkstatt

die

Umstand, dass ihr Leiter, Baron

an den leipziger Cursen 'entsandt wurde, berechtigen,

bekannt ge-

nicht

und der

unausgesetzt,

diesem Jahre zur Theilnahme

ß., in

scheint zur Hoffnung zu

mitauer Werkstatt methodisch den heute in

dass die

Deutschland geltenden Anschauungen gerecht weiden wird. kannt



Be-

dass auch das Ministerium der Volksaufklärung

ist ferner,

der Frage seine Aufmerksamkeit zugewandt hat und sich für Verbreitung

der Arbeitsschulen

wurde deswegen

ein

lebhaft

Leider

ist

Aus

interessirt.

Petersburg

Lehrer nach Schweden geschickt, und es sind

seitdem in der Reichshauptstadt Werkstätten

meine Bemühung, Näheres

über

eingerichtet worden.

zu erfahren,

dieselben

erfolglos geblieben.

Es erübrigt nun noch die Frage zu beantworten, ob die im Obigen in ihrer Entwickelung und gegenwärtigen Verbreitung geschilderte Idee, die Handarbeit in den Erziehungsplau der männlichen

vom pädagogischen Standpunkt,

Jugend einzufügen,

als be-

rechtigt gelten darf, ferner, welcher der augenblicklich vertretenen

Richtungen der Vorrang vor den anderen gebührt, localen Verhältnisse

baltischen Provinzen

unserer

endlich ob die die Pflege

der

Handfertigkeit empfehlen und in welcher Ausdehnung.

Mir scheint

treffliches Hilfsmittel der sittlichen

des

Knaben

wie der körperlichen Erziehung

Nur durch

sein kann.

die Handarbeit ein vor-

dass

unzweifelhaft,

es

Selbstthätigkeit,

geistige

wie

physische, kann sich der Charakter bilden.

Die geistige Gymnastik

pflegt ja die Schule genügend, ja es ist bei

dem

der unausgesetzt

eifrigen Schüler,

häuslichen Aufgaben

Ansprüche

erreicht,

gewissenhaft

dem Unterricht anfertigt,

wol

folgt

und seine

der Gipfel

die an die Geistesthätigkeit des

des Jünglings gestellt werden dürften.

wissens-

fleissigen,

der

Knaben oder

Dass dagegen die

sittliche

Energie und der Wissenstrieb nicht immer gleichen Schritt mit der

Entwickelung der Iutellectualität

hält, sieht der

aufmerksame Beob-

achter gar oft selbst an den wissenschaftlich tüchtigsten Schülern.

Knaben, welche

in

durst zeigen, der alles,

zu wollen scheint,

unteren Gymnasialklassen einen Wissens-

den

was

in

seinen Bereich

erlahmen allmählich.

äusserlich ihre Pflicht

das rege Interesse aber

in

Sie

kommt, verschlingen thun vielleicht noch

Folge der Gewöhnung und aus Ehrgeiz,

fehlt.

In den Ferien empfinden sie

kaum

den Trieb, sich auch nur durch gute Lectüre fortzubilden, und ein-

mal

der Zucht

der Schule

entwachsen,

fehlt

ihnen

der sittliche

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. Ernst und die Willenskraft,

Wie

zu erreichen.

Ziel

die

viele,

745

Zwanges ihr befriedigend das Gymnasium

auch nach Fortfall

des

absolvirt haben, verlassen vor beendetem Studium die Universität, weil ihnen

ein

Schule wird

tieferes

daher

oft der

Vorwurf gemacht, dass

Erziehung

für die allgemeine

Der

wissenschaftliches Interesse abgeht.

zu wenig

sie

zu einseitig das Lernen betone.

tliue,

Ich will hier nicht die Berechtigung dieser und vieler anderer Anklagen, die heute lebhafter als je gegen die Schule erhoben werden,

Eins scheint mir unzweifelhaft, dass gar oft die Er-

untersuchen.

folge der Schulerziehung der

aufgewandten Kraft nicht entsprechen.

Die geistige Arbeit würde erfolgreicher körperlicher

Nun

ist die

Thätigkeit

und

Denn iudem

weiterer Anstrengung

zu

Willen neue Aufgaben, die erfasst,

und

wenn sie in vielseitiger Gegengewicht fände.

denkbar nützlichste Körperthätigkeit uaturgemäss

welche sich schadend äussert. entlastet

sein,

entsprechendes

ein

er

die Arbeit

kräftigt,

die,

den Geist

stellt

sie

dem

der Abwechselung wegen begierig

macht den Körper,

vor

Auge und Hand, die Der Knabe empfindet Handhabung des Hobels,

allem

wichtigsten Organe des Menscheu, geschickt.

nach mehrstündiger geistiger Arbeit

die

Diese Erfahrung wird von namhaften Physiologen bestätigt, nach deren Urtheil wirksame Erholung eines überangestreugten Organs nicht durch völlige Ruhe, sondern durch Aenderung der Thätigkeit erreicht des Pappmessers, der Feile nicht als Anstrengung.

wird

Wir spüren

die körperliche

Ermüdung nach

einer anstrengen-

den Fusstour nicht, wenn wir anregende Unterhaltung finden oder ein

Buch unsere Aufmerksamkeit

erholen

wir

uns

am

besten

fesselt.

durch

Vom Studium müde

aber

einen Spaziergang oder durch

Noch höher muss der Werth einer solchen Erholung in den Augen des Erziehers steigen, wenn sie selbst in den Dienst der Erziehung tritt. Es ist eben kein'e Unthätigkeit, Kanu denn überhaupt ein körperlich der das Kind sich hingiebt. körperliche Arbeit.

und geistig gesunder Knabe je unthätig sein? Stets sucht er sich doch eine Beschäftigung, und die schönste nach seinem Geschmack ist

immer

diejenige, durch die er sich neue

Gegenstände

verfertigt.

Dieser Trieb, zu schaffen und umzugestalten, zeigt sich in den ersten

Lebensjahren im Kinde und braucht nur

Bahn geum ungemein fruchtbar zu werden. Dabei verzunehmende Kraft beständig nach Hindernissen. Auch das Spiel erfreut nur dann, wenn es Schwierigkeiten zu überwinden gilt. Man braucht also dem Knaben nur allmählich sich steigernde, in

die richtige

lenkt zu werden,

langt die

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746

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

zweckmässig ausgewählte Handarbeit zu geben, und man kann

es

allmählich dazu bringen, dass er in seinen Freistunden bedeutende technische Fertigkeit

andere weniger

Der

erwirbt.

eine wird dieselbe mehr,

seinem Beruf oder

in

der

Häuslichkeit anzu-

in seiner

wenden Gelegenheit haben, unnütz ist sie nie. Denn die Erziehung nicht, wie viel Nutzen der Schüler einst von dem auf der Schule erworbenen Wissen und Können haben wird, sie verfolgt fragt

nur das

hohen Vollkommenheit aber

soll

körperlichen Kräfte

und

geistigen

seine

Ziel,

möglichst

der Handarbeit

zu einer

Durch Hinzunahme

zu führen.

geistige Bildung

die

nicht

im

leiden,

da die praktische Arbeit in der Erholungszeit geübt werden und erst eine wirksame Erholung ermöglichen soll, schadet Gegentheil,

sie

keineswegs,

Bildung

der geistigen

Wird

indirect.

zugegeben

vollends

Willensgymnastik

indem

ist,

fördert

dass

,

vielmehr

dieselbe

Handarbeit

die

eine

das Kind gewöhnt, die Sprödigkeit

sie

des Materials zu überwinden, die ungeübte

Hand an den Gebrauch

der einzelnen Werkzeuge zu gewöhnen, alle sich entgegenstellenden

Schwierigkeiten zu überwinden, so

Hoffnung nicht zu kühn,

ist die

dass der so gekräftigte Wille auch die Aufgaben, welche die Lernschule au ihn

bereitwilliger wird lösen lernen.

stellt,

Freilich ist der

Einwand

berechtigt, dass ja auch die Schule

dahin strebt, durch den Unterricht den Willen zu kräftigen

nach flerbart jeder Unterricht erziehend den Willen in Zucht nehmen.

sein,

ziehende Unterricht jede Unterstützung abzuweisen,

vielmehr oft bedürftig einseitige

doch

ist

er ihrer nicht

Ein starker Körper erträgt die beständige Geisteskräfte, der schwache Organismus

Anspannung der

erliegt ihr.

erlahmen.

Statt

Und

gefestigt

als

muss

zu werden,

wenn das

selbst

mancher Beziehung üben

'?

soll

;

das Interesse anregen,

Gewiss, braucht aber deshalb der er-

der Wille vielfach

der Fall

nicht

ist,

vermag

in

Handarbeit wirksamer die Willenskraft zu

die

indem

die Kopfarbeit,

sie

Die Mäugel einer lateinischen Arbeit

einen regeren Sporn enthält. sieht

der Schüler trotz der

rothen Striche nicht so klar ein, als die eines windschief geschnittenen

Kästchens.

Dort

und der Schüler hier sieht

und

blos

ist

das Unheil

des Lehrers

er

die Fehler selbst,

versehen und traut sich die Fähigkeit zu, keit

massgebend,

sieht oft nicht die Möglichkeit es besser zu fühlt

er weiss,

machen;

worin er es

mit mehr Aufmerksam-

und Bemühung es eben so gut

Kamerad.

Er versucht

das Gelingen nicht aus.

es gern

zu machen wie jeder andere immer wieder, und zuletzt bleibt

Erfahrene Handfertigkeitslehrer aber ver-

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. sichern,

Leistungen innerhalb der Schule hatten. zu glauben,

Knabe

sieht,

Ich stehe nicht

an,

das

denn gefährliche Feinde des Unterrichts, Flüchtigkeit

und Unordnung,

sie

werden hier aufs

Der

bekämpft.

schärfste

wie die kleinste Ungenauigkeit sich rächt, der Fleck

auf dem schönen selbstgefertigten Pennal stört ihn jemals

747

dass gar oft diese Fortschritte ihre Rückwirkung auf die

vorher

der Tintenfleck

in

seinem Heft.

weit mehr als

Allmählich

ver-

So werden durch die Handarbeit verschiedene in Nicht gering zu der Schule störende Unarten wirksam bekämpft. veranschlagen ist endlich die Bildung des Geschmacks und des schwindet beides.

Farbensinnes, auf welche hinzuarbeiten jedes Fach des Handfertigkeitsnnterrichts

nommen

bei

weit mehr Gelegenheit

dem

sich für den

gezwungen

Nutzen sagen,

hat als die Schule,

ausge-

unsere Gymnasien

leider

deu

Zeichenunterricht,

recht zu vernachlässigen

sind.

und

Dies

mehr Hesse

den der Handfertigkeitsunterricht der

Erziehung, indirect auch dem Unterricht bringt.

Doch auch

directe

Vortheile für die wissenschaftliche Förderung müssen sich ergeben,

wenn

dem Herbartschen Grundsatz der Concentration den Handarbeitsunterricht mit dem Lehrgang und Lehrstoff in Einklang zu bringen. Denn einmal muss der Knabe durch die nach

es gelingt,

Behandlung der Pappe, Beobachtungen machen,

der Metalle

des Holzes, die in

eine

Fülle

von

dem naturwissenschaftlichen Unter-

richt ihre Erläuterung finden, er wird

beim Zuschneiden der Pappe,

beim Schnitzen und Bearbeiten des Holzes gewissermassen praktisch Geometrie lernen; es kann aber bei richtiger Leitung der Arbeitsunterricht auch in

Dienst

den

Bezug auf

die

des Lernunterrichts

herzustellendeu Gegenstände in

treten.

Schon

bisher

hielt

der

Lehrer im Stereometrieunterricht den Schüler dazu an, sich die Körper in Pappe nachzubilden, und in den Physikstundeu suchte er ihn zur Anfertigung einfacher Apparate auzuleiten.

Knaben besessen aber ihnen

ein Leichtes

Wie

die dazu erforderliche Geschicklichkeit?

künftig ein grosser Theil der Schüler technisch geübt, sein,

nach Anweisung

des Lehrers

viele

Ist

so wird es

oder eines

Hilfsbuches derartige Vorrichtungen zur Illustration des Unterrichts herzustellen.

Ja noch mehr, der Philologe wird es erreichen können, aus dem Gebiet der Kriegsalter-

dass seine Schüler sich Modelle

thtimer oder zur Erläuterung der Wohnungsverhältnisse der Alten, ihrer die,

Bühne &c.

anfertigen.

Die Lectüre der antiken Literatur,

gerade weil die Mittel zur Veranschaulichung fehlen, oft ihres

Eindrucks auf die Jugend verfehlt,

aber

schon durch häufige Be-

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

?48

nutzung von Illustrationen weit fruchtbarer gemacht werden kann, wird ungemein viel Leben erhalten, wenn es gelingt, die Schüler für selbstthätige Unterstützung des Unterrichts im angedeuteten Sinne zu gewinnen.

Freilich bedarf es hierzu der

Mitwirkung der

Lehver, besonders auch derer, die an Gymnasien unterrichten, wie

noch in dem Stadium der ersten Versuche sich befindet. Wenn es aber mit der Zeit dahin kommt, dass Lehrer aller Schulen sich für diesen Unter-

überhaupt der deutsche Arbeitsunterriclit methodisch

richt interessiren

und nicht einen Feind, sondern einen Verbündeten

der Lernschule in ihm erblicken,

wenn

Mühe

selbst die

sie

seltenen, sich technische Fertigkeiten zu erwerben,

nicht

dann kann durch

Bemühung auf diesem Wege noch Grosses geleistet werden. Nun herrscht in Deutschland noch immer lebhafter Wider-

vereinte

spruch

die Frage, ob der Arbeitsunterricht innerhalb

Bezug auf

in

der Schule, oder als eine Einrichtung für sich bestehen

Osnabrück aus,

300 Schülern sage

ihres

würde,

besitzt, deren

Leiters,

ertönte

Zahl

das Doppelte

auf

lebhafter Appell

ein

bekennt

Von

genügendem Raum nach Aus-

in

einem

für

soeben

steigen

Trennung

die

1

erschienenen Auf-

dass er im Interesse des Concentrationsgedankens eine Ver-

satz»,

einigung der Arbeitsschule erst,

bei

Schulrath Brandi,

kürzlich

Dr. Goetze dagegen

soll.

blühende Schülerwerkstatt mit über

welches eine

wenn über

viele die

treffende Einzelfragen

mit

Bei meiner geringen Erfahrung eines Urtheils enthalten, keinerlei praktischen

der Lernschule

wünsche,

freilich

Ausgestaltung des Arbeitsunterrichts be-

grössere Klarheit

um

möchte

so mehr,

Werth hat

und ich

Einigkeit

mich

in

als dieselbe

herrsche.

dieser für

Frage

uns noch

Erst wenn es der Handfertigkeits-

ist, auch in unseren Provinzen Wurzel zu schlagen, und wenn ihre Früchte offenbar geworden sind, kann bei uns hierüber discutirt werden Bis dahin wird man aber in Deutschland

idee gelungen

und Schweden

Auch

in

Osnabrück



neue Erfahrungen gemacht haben. wer an der Arbeitsschule unterrichten soll,

bereits viele

der Frage,

herrscht unter den Freunden

der Idee

in

Deutschland Zwiespalt.

lässt unter der Oberleitung eines

technisch

Lehrers den Unterricht durch Handwerker ertheilen.

gegen

stellt 1

den Grundsatz auf: «der Lehrer werde nur

J. Backhaus, «Stellung

geschulten

Leipzig da-

vom Hand-

und Gestaltung des Handfertigkeits-Unterrichts»,

Gotha 1888. '

Dr.

W.

Goetze, «Die Idee der Erziehung zur Arbeit, in ihrer praktischen

Ausgestaltung».

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

749

werker, der Schüler nur vom Lehrer unterrichtet, dei aich immerhin von einem

Handwerker berathen Es mag

für das Letztere bekennen.

Handwerker gefunden

um

den Unterricht

hat, die

an Schulen

wird es nicht möglich

Es bedarf der

lasse.» Ich muss mich auch sein, dass man in Osnabrück genügend pädagogisch beanlagt sind,

erfolgreich zu ertheilen.

Wahl um den

sein, eine solch glückliche

vollen Autorität des Lehrers,

Der Handwerker versteht

zeigen,

und auch das oft

Häufig treffen.

immer aufs neue zu wieder-

veranlassen, den misglückten Versuch holen.

zu

Schüler zu

nur das «wie» zu

in der Regel

in einer für die

Auffassung des Knaben

nicht genügenden Weise; auf die Frage nach

dem «warum» weiss

Antwort zu geben. Und doch ist es für die unumgänglich nöthig, dass sie nichts

er selten eine klare

Erziehung unserer Schüler gedankenlos thun

warum

;

dieses oder

gerade

der

in

beständig

für den Unterricht

dass nur darf.

Will

fruchtbar machen,

der Lehrer

Was

auftretenden Frage,

jenes gerade so zu machen

bedeutenden Nutzen der Handarbeit.

selbst

die

man

so liegt

Unterweisung

ist,

sehe ich einen

diese endlich auch

der Hand,

es auf in

Händen haben

dagegen angeführt wird, scheint mir nicht stichhaltig.

Die eine Schwierigkeit,

auf welche Backhaus

hiuweist,

dass

es

schwer halten dürfte, eine genügende Anzahl technisch geschulter Lehrer zu

finden,

gesetzt jedoch,

mag

dass

ja

hier

und

die Schule die

da vorhanden

sein.

Voraus-

Begründung von Werkstätten

wünscht, wiid sie wol auch die Lehrkräfte dazu beschaffen können.

Dass das möglich ist, beweist vor allem Leipzig, das heute eine ganze Anzahl technisch geschulter Lehrer besitzt, uud auch in Dorpat hat sich, wie wir sahen, eine genügende Anzahl von Lehrdie sich der dankbaren Mühe unterzogen, um ungesäumt den für gut erkannten Plan zu verwirklichen. Eben jene Herren widerlegen auch den zweiten Einwand des osnabrücker Pädagogen, in 4—8 Wochen könne sich der Lehrer nur stümperhafte Fertigkeit erwerben, durch die That. Denn, wie ich aus eigener Erfahrung versichern und durch das Urtheil tüchtiger Handwerker belegen kann, ist, was in jenen acht Wochen und

kräften gefunden,

fortgesetzter

Uebung

geleistet wird,

selbstverständlich

bei

meistenteils gut.

Die energische, unausgesetzte Arbeit des Lehrers

stetig

innerhalb zweier Monate sichert demselben der nur zwei Stunden in der

Woche

dem Schüler gegenüber,

beschäftigt

wird,

einen Vor-

sprung von mehreren Jahren, welcher Zeitraum zur eigenen Fortbildung benutzt werden kann.

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Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

750

Mir scheint ausserdem

die

den sonstigen Schulverhaltnissen

bereite Frage ein Analogon in

zu

Wir

finden.

im Rechnen

der Elementarunterricht

dass

oder

finden gar oft,

im Latein

nicht

von einem Fachmathematiker oder Philologen gegeben wird, ohne dass der Unterricht dadurch an Werth verlöre. Die Beherrschung giebt solchen Männern sogar einen dem rein wissenschaftlich gebildeten Eben so wenig, als in den unteren Gymnasialklassen Philologen und Mathematiker ausgebildet werden sollen, will der ArbeitsDie Elemente der Handarbeit unterricht Handwerksmeister bilden. aber eignet sich der gebildete Mann bald an und weiss andere Im übrigen besser in ihnen zu unterweisen als der Handwerker. muss auch hier die Erfahrung .auf den richtigen Weg führen. Eine weitere Frage, welche noch der durch die Erfahrung zu gebenden Lösung wartet, ist die nach den Arbeitszweigen, welche ihres erziehenden Werthes wegen Berücksichtigung verdienen. Mit Recht werden jetzt diejenigen Beschäftigungen von der Schule zurückgewiesen, die rein mechanischer Art sind, wol gar von Blinden verrichtet werden können, wie das Bürstenbinden, Korbflechten &c. Ebenso ist man von der früher so beliebten Laubsägearbeit zurückgekommen. Da die Vorlage mechanisch copirt wird, das Aussägen der Muster eine äusserst gleichförmige Arbeit ist, ausserdem die bei dieser Beschäftigung erforderliche gebückte Haltung und die Anstrengung der Augen Bedenken für die Gesundheit in sich

der elementaren Lehrmethode

gewissen Vorzug gegenüber

Maun.



schliesst, ist in

den leipziger wie auch sonst

von

Deutschlands

werkstätten

Gewiss lassen

in

den meisten Schüler-

der Laubsäge

sich Beschäftigungen finden,

die

worden.

abgesehen

bildender und ge-

sundheitlich weniger bedenklich sind, doch scheint mir das Verdict-

zu streng.

Wegen

des decorativen Charakters der Laubsägetechnik,

der, vorausgesetzt, dass die

ge führt

sind,

den Sinn

Dienst der Tischlerei

Muster stilgerecht und sorgfältig auszu wecken und zu

für Formenschönheit

pflegen durchaus geeignet

ist,

gestellt

möchte ich diese Art Arbeit beibehalten

wissen.

Anwendung kann von gesundheitsschädlichem Rede

sein,

und was die Nutzbarkeit der Gegenstände

sind sie denen aus leichter

nicht

den

betrifft,

die

so

Pappe mindestens gleichwerthig.

Allgemeinen Beifalls erfreut sich

um

in

massiger

Bei

Einfluss

Leipzig,

die Tischlerei, in

jeden Verdacht des Handwerksmässigen abzuwenden, schlechthin

Hobelbankarbeit genannt. seminars Osnabrück pflegen

Nääs und

in

Nachfolge dieses Muster-

sie ausschliesslich.

Der Schüler

soll

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G£c i

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. den Gebrauch

bei dieser Arbeit

der

wichtigsten Werkzeuge: Hobel, Säge,

7:'>1

zur Bearbeitung des Holzes

Hammer,

Stecheisen, Bohrer,

Winkelmass &c kennen lernen. Auge und Hand werden in hervorragendem Mass geübt, der ganze Körper vielseitig in Anspruch genommen, so dass neben dem formal bildenden Werth dieser Be-

Nach beiden

schäftigung gleichberechtigt der gesundheitliche steht. Seiten

stellt sich die Tischlerei

empfehlenswertheste Ab-

die

als

Eine werthvolle Ergänzung nach

lösung der geistigen Arbeit hin.

der Seite des Kunstgewerbes erhält sie durch den aus Skandinavien

heriibergenommenen

Kerbschnitt

auf

eine

,

streng

geometrischer

Grundlage beruhende, mit dem Schnitzmesser auszuführende Technik, vermöge welcher grössere Holzflächen durch vielseitig eombinirbare

Ornamentformen gelernt,

geschmückt

freie

«

die

in

werden

wird

und Ge-

Anspruch genommen werden.

in

von

meist

Schülerwerkstatt

der

da es Talent voraussetzt, nicht von jedermann

Wo

ist.

hohem Grade

Bildschnitzen»

ausgeschlossen, lernbar

Grundformen

Sache des Schülers, dessen Selbstthätigkeit

ist

schmack daher

Das

Die

werden.

dem jedesmaligen Zweck entsprechende Composition

die

derselben

er-

künstlerisches Schaffen angestrebt wird, ohne dass

Naturgabe dazu vorhanden

ist,

da muss schädlicher Dilettan-

tismus das Ergebnis sein.

Nächst

der Arbeit

grössten Beliebtheit.

in

Holz

erfreut

sich

die

in

Pappe der

In ökonomischer Beziehung hat sie vor jener

die weit grössere Billigkeit der Werkstatteinrichtung voraus.

Nachtheil

involvirt

Einen

die geringere Nutzbarkeit der herzustellenden

Gegenstände

,

gymnastik.

Doch werden Sicherheit der Hand nnd Augenmass

das

sowie

Fehlen

beim Zuschneiden der Pappe und kleine

Farben

Manipulationen bildet

sich

geübt,

der

einer

durchgreifenden

Körper-

des Papiers, wie durch vielerlei

und

durch

ästhetische

Zusammenstellung

Geschmack.

Für

der

kleinere

Knaben, deren Kraft zur Handhabung des Hobels und der Säge noch nicht ausreicht, ist die Papparbeit höchst nützlich. Durch die vielfache Verwendung der herstellbaren Dinge im Schulleben

Knaben noch besonderen Reiz und erzieht ihn zwanglos zur Schonung seiner Schulgeräthe und Bücher. Weniger verbreitet sind bisher zwei andere Arbeitszweige, enthält sie für den

welche sich in den leipziger und strassburger Werkstätten bereits

Heimatrecht erworben haben: Metallarbeit und Modelliren

Was

die erstere betrifft,

wenn der Knabe während Baltische Monatsschrift.

B«l.

so

kann nicht geleugnet

seiner Schülerjahre in die

XXXV, Heft

8 und P.

in

Thon.

werden,

dass,

Welt der Arbeit 50

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Google

752

Die Handarbeit, im Dienste der Knabenerziehnng.

eingeführt werden

völlig

die

sich

körperlichen und geistigen Ent-

seiner

abweichende Art der

Die Metallarbeit enthält durch Behandlung,

der Verbindungen, durch die Bekanntschaft wichtigen Stoßen

überaus

der Behandlung von

die Aufeinanderfolge

soll,

Pappe, Holz, Metall

wickelung naturgemäss anschliesst.

gewiss

durch

die

Neuheit

mit für unsere Cultur

Die Einwände, die dagegen erhoben werden, erscheinen nicht stichhaltig.

so

Denn wenn

wegen

genug.

der Arbeit von manchen Lehrern könnte man denselben Einwand gegen die

die Unsauberkeit

wird,

perhorrescirt

Benutzung

des Bildenden

so

des Leims erheben,

dem Schüler

die

gar

oder

der

vielen Tintenflecke

Benutzung der Tinte

arbeiten lernen will, darf unsaubere

jugendliche Hammerschmied seiner

Hände

Mama

untersagen.

Wer

nicht scheuen; ehe der

Augen kommt, kann ja jede Spur der unsauberen Arbeit mittelst Wasser und Seife entfernt sein. Dass die Kräfte eines Knaben dieser Art Arbeit nicht gewachsen seien,

kann

unter die

nur

der behaupten, der sich

eine falsche Vorstellung von derselben macht. 11

— 14jährige

Knaben,

schnitt unserer

die

Jugend erheblich zurückstehen, ohne

Feile und Löthkolben.

In Leipzig arbeiten

an Kraft überdies hinter dem Durchden Eindruck

eifrig

mit

zu machen,

Hammer, sie

wären

überanstrengt.

Auch mit dem

Modelliren,

einer Erweiterung des Zeichen-

d. h.

unterrichts durch Nachbildung geometrischer taler

Formen

in

Thon oder

Plastilina,

hat

Körper und ornamen-

man

in

Leipzig unter

der sachverständigen Leitung des bekannten Zeichenlehrers Flinzer erfreuliche Erfahrungen

gemacht.

Nicht mechanisches Abgiessen,

auch nicht künstlerische Bildnerei wird hier gelehrt, sondern eine Anwendung des Zeichnens auf den Raum. Gewiss muss eine solche Arbeit für den im Zeichnen geschulten Knaben von erheblichem

Nutzen

sein,

und von den erfreulichen Resultaten konnte ich mich doch wird die nothwendige Voraussetzung

persönlich überzeugen,

zeichnerischer Beanlagung des Schülers, eingehender Fachkenntnis

des Lehrers

einer

Dafürhalten

nach

strittige

weiten Verbreitung

im

Wege

stehen.

Fragen näher einzugehen,

meinem Auf manche audere noch

dieses Unterrichts

— muss

ich

mir leider versagen.

Es wäre zum Schluss zu entscheiden, ob und in welcher Ausdehnung die Einführung des Handfertigkeitsunterrichts in unserem Lande wünschenswerth erscheine. Die erste Frage beantwortet sich von selbst. Es liegt kein Grund vor, weshalb wir einen Lehrzweig, dessen Berechtigung wir

y

Google

753

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung. im allgemeinen anerkennen müssten,

das Erziehungswesen unserer

in

Provinzen nicht aufgenommen sehen möchten. wie es sich

In demselben Mass,

anderen Ländern bewährt hat,

in

Und zwar müsste

uns bewähren.

bei

würde

es sich auch

HandSchwer aus-

die Beschäftigung mit

arbeit den Schülern aller Schulen ermöglicht werden.

dem Lande

führbar dürfte dies zunächst auf liche Thätigkeit

des Vereins

unter

bildeten Bevölkerung des Landes,

und Pastore zum Ziel

lebhafter

vor

Ein

werden,

Hierin

nun

setzt jedoch zunächst

für unsere Erziehungsidee vor-

kann nicht durch theoretische Erörterungen

solches

weckt

beharr-

Mitwirkung der ge-

allem unserer Gutsbesitzer

Dies

kann.

führen

ein lebhaftes allgemeines Interesse aus.

wo nur

sein,

sondern

müssen

durch

einzig

praktischen

den

vorangehen,

die Städte

er-

Versuch. Linie

erster

in

die

grösseren, in denen der Sinn für Erziehungsfragen in einer grossen

ßevölkerungszitfer rege gebildeten

körperlichen

und

Ferien, einige

finden

Schuljugend

unserer

dauern,

thaten,

ist

kundiger Leitung es

nicht

schwer

ich

eine

füge

einige Stunden

der

dem

eigenen

täglich

in

den

zum Opfer bringen

ohne

Anzahl

von Lehrern

sein,

auch

nachher

es

zu be-

unter sach-

braucht

hat.

und das Ergebnis des Versuchs,

Nur sei

hoch

zu

worden,

so

einer Schüler-

den Anfang

für

ja

die

Ausgaben

sind,

noch ehe

damit

lehren,

Einrichtung nicht gleich anfangs

bewährt

gewonnen

die Einrichtung

Dieselbe

nur ein oder zwei Arbeitsfächer zu der Versuch sich

in

die

ihrem

hinzu,

Dorpat,

damit der Sache

werkstatt zu ermöglichen.

für die

unseren Werk-

in

derselben Männer,

Handfertigkeit ausgebildet und. ich glaube

behaupten zu können,

kann es

in

in der Schulzeit in

somit

in der

sich

Wohl

geistigen

Wochenstunden

nicht an tüchtigen und

genügendes Interesse

Ist

und,

wollen, wie es die Collegen

es

deren Hilfe wir

fehlt,

können.

entrathen

Lehrerwelt vorhanden,

Wohl

denen

in

ist,

Handwerkern

stätten nicht

der Anfang es

muss gemacht günstig oder nicht, etwa

nach Jahresfrist dem grösseren Publicum mitgetheilt werden.

Dann

werden auch weitere Kreise sich für die Handfertigkeitssache erwärmen, die ja in unmittelbarer Berührung mit dem Familienleben steht.

Sollte nicht eine Frage, welche seit einem

Decennium immer

weitere Kreise der Lehrer Deutschlands beschäftigt,

Beachtung finden heit wie

?

Haben

unsere Collegen

auch bei uns

wir auch nicht dieselbe reiche Gelegen-

im Auslande,

in

Directorenconferenzen,

Provinziallehrerversammlungen, allgemeinen Congressen und schul-

pädagogischen

Zeitschriften

unsere

Meinung

Uber

erzieherische 50 *

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p

Die Handarbeit im Dienste der Knabenerziehung.

754

Frageu auszutauschen, willig gewesen,

regte Fragen

so ist doch unsere Presse

jederzeit bereit-

dem Gedankenaustausch über angezu eröffnen. Es wäre

ihre Spalten

von allgemeinerem Interesse

an der Zeit, dass dies auch

dieser

in

Frage geschähe,

die

nicht

nur die Beachtung der Lehrer, sondern auch der Aerzte, Techniker, der Vertreter der Industrie und des Handwerks, ja jedes Familien-

dem die gedeihliche Erziehung seines Sohnes am Der Erfolg einer solchen öffentlichen Discussion, Versuchen ihre Ergänzung finden müsste, wäre ohne Zweifel der, dass vieles, was sich anderenorts bewährt hat, auch bei uns ungehindert Eingang fände, anderes vaters verdient,

Herzen

liegt.

die in gleichzeitigen praktischen

noch beanstandet oder, ausgeschieden

eignet,

man zur

als

unsere localen Verhältnisse unge-

filr

würde.

Nur auf diesem Wege aber kann Werth des neuen und doch so

völligen Klarheit über den

alten Erziehungsmittels gelangen.

Die Freunde des Handfertigkeits-

unterrichts in Deutschland blicken nach den vereinzelte!! Anfängen,

welche

in

unseren Provinzen gemacht worden sind, mit der Zuver-

sicht zu uns herüber, dass die einmal angeregte Idee bald bei uns

Mögen sie sich darin nicht in uns täuschen. Von hoher Wichtigkeit auch für unser Land, in unserer Zeit ist dass die Jugend zur Arbeit erzogen werde.

heimisch werden wird.

es,

Birkenruh.

M.

Böhm.

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Notizen.

Mlirchen und Sagen deB estnischen Volkes. versehen

von

Kymtnel.

R

m

Jalire

und mit Anmerknngeu

Uebereetzt

Harry Janusen.

1888.

Zweit«

1881 konnte die erste Lieferung

augezeigt

Riga,

Lieferung.

S. 203.

8.

werden (B. M. Bd. 28,

dieses

Werkes

hier

freuen

uns,

Wir

S. 445).

dass der Herausgeber von den Aufgabeu, die ihn siebdn nicht eben fruchtbare Jahre lang aufgehalten, sich abgewendet hat und wieder

zu der lohnenden Beschäftigung zurückgekehrt die volle

Begabuug längst bezeugt

unterbrochenen Fortgang

ist,

welche er

für

Wir wünschen

hat.

Empfindung und tiefem Verständnisse vollzogenen Arbeit führung

des Planes,

Heimat

und

eine

ihr

un-

und als Krönung der mit dichterischer vollständige

der Wissenschaft

die

Mythologie

estnische

Ausder

Hierdurch wäre erst

vorzulegen.

der Schlüssel zur rechten Würdigung des Märchenschatzes gegeben, der

in der

ansprechenden Fassung,

in

an unterhaltendem Reize wol genug

welcher

bietet,

mancherlei fremdartigen Züge, namentlich tretens des meteorologischen Gebietes leicht sich einbürgern dürfte,

wie

es

er

doch

um

willen,

uns

aber

erscheint,

wegen der

des starken Hervor-

im Hause

nicht so

der vertrautere Lebensboden

des deutschen Märchens gethau. F.

-'CZMMs'S®’'*?

B.

'-St-Srasias'-

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tsagle

Abschiedsworte.

läuten die Heimatglocken mit gar ernstem, traurigem

Vom Thurme

nge.

Dom

und

St.

Peter fallen

ein,

zu

und

Jakob

St.

über

hebt er an,

der

trauernde Stadt hin

die

weckt er den Widerhall weitum im Lande, vor allem in Pernau. Die evangelisch-lutherische Kirche Livlands hat ihr Haupt verloren,

der

Generalsuperintendent Hein-

livländische

Girgensohn ging am 26. October zur ewigeu Ruhe ein. Vom Herrn über Tod und Leben wurde er seines Amtes enthoben, das er um seiner Körperschwäche willen schon niederzulegen sich rich

und das

hatte

entschlossen

er

nur

verwalten

zu

gedachte, bis

seinem gewählten Nachfolger die Bestätigung ertheilt worden und er ihn eiugesegnet hätte.

Erinnerung

Nun haben

auch von ihm nur die

wir

!

und doch um nichts was der nun Entrissene im Leben

Schmerzlich emptinden diesen dürftigen zu missenden Rest

all

dessen,

geboten, seine nächsten Hinterbliebenen, die vertrautesten Freunde, die Landesvertretung, die Geschäfts-

und Berufsgenosseu, die Amts-

brüder, denen Girgensohn ein treuer ßerather, ein sorgsamer Führer, ein

unerschrockener Vertreter

gewesen.

In

der Stellung unserer

Kirche zu allen Lebensgebieten unseres provinziellen Daseins batte die

Hochschätzung

viel

weitere Kreise ergriffen

Provinzen

in

Nord

und

hat jetzt

und Süd

der Verlust Girgensohus

und trauert mit Livland

das Laud,

um

sehr

trauern die

die Einbusse

eines

werthvollen Mannes.

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758

Abscliiedsworte.

Acht Jahre stand der Verewigte auf dem hochragenden Posten, den seine Tüchtigkeit in jeglicher Berufserfüllung, nicht zum mindesten sein offener Blick, sein Geschick und seine ruhige Besonnenfür die kirchlichen Dinge rirra sacra ihm erworben hatten. Die Feier der fünfzigsten Wiederkehr der livländischen Synode im J. 1884 zu Dorpat theilt so ziemlich die Amtszeit des letzten livheit

ländischen

Generalsuperintendenten

zwei

in

Wol kann man

zeichnende Perioden.

scharf

kenn-

sich

heute den ersten Abschnitt

harmlosen betrachten, obschon während

als einen verhältnismässig

desselben die Empfindung nicht eben so war. Er gipfelte in jenem schönen Gedächtnis- und Sammlungsfeste, bei dem in Vertretung und Leitung der Geistlichkeit Livlands ihr Haupt angesichts aller zahlreichen Theilnehmer sich so ganz als der rechte Mann an seiner Stelle erwies.

Nicht

nommen.

plötzlich

ist

Girgensohn' seinem Wirkungskreise ent-

Seit drei Jahren hat er gegen

gekämpft,

das

seine Thätigkeit

tiberhoben,

er,

der Letzte

letzten Jahrzehnte.

gegeben,

aus

schwere Leiden an-

das

zu

wiederholt

manchmal längere Zeit gehemmt auf dem Platze. Nun ist er des

enden drohte und

Immer wieder

hat.

erschien er

pflichtgetreu geführten

der

Kampfes der

Familie

kircheleitenden

Die Girgensohn haben ja Livland viele Prediger

achtungswerthe

tüchtige

Männer

aber

;

ihre

pastorale

Bliithe gehört doch der jetzt aussterbendeu Generation

und speciell

dem Oppekalnschen Zweige der Familie an. Es ist Ereignis und wol werth im Andenken der Heimat zu dem alten revalscheu Superintendenten, der 25 Jahre

leben,

sitz

im Consistorium inne hatte, der jüngere Sohn

in

eiu seltenes

dass

seinen Vor-

der gleichen

Stellung folgte, der ältere livländischer Generalsuperintendent wurde,

während zwei Töchter und

eine Enkelin

nach einander als Haus-

frauen in der Generalsuperintendeutur Estlands schalteten.

Möge

das alte gute Blut in den Enkeln, wenngleich vielleicht anderen Namens, der evangelisch-lutherischen Kirche tüchtige

Im

seihen Oetobermonat

zwei Männer,

mit

hatte

deren Dasein

Männer zuführen

auch Estland

zu rechnen

!

den Schmerz,

zur Gewohnheit der

Zeitgenossen geworden, nun zur Vergangenheit zählen zu müssen.

Ausserhalb der persönlichen Stellung des Einzelnen,

Abbruch

eines vertrauten Verkehrs durch den

welcher den

Tod schwer zu

ver-

winden vermag, wird im Fortgange des Geschäfts- und des Gesellschaftslebens ja wol jede

Lücke

bildende Bedürfnis

neue Mittel

sich

immer neu der Befriedigung, wenn

ersetzt, schafft das

sich die

759

Abschiedsworte.

genommen werden.

alten versagen oder

dem

dem inneren Geistesauge der Erinnerung auf

wohlbekannten Kreise

da ein Glied

Fehlt

hat.

vertrauten Vorstellungen,

so

man und muss man

das Altgewohnte, Selbsterlebte,

:

dass die Wirklichkeit dem nicht entspricht, so

öde wird mehr und mehr.

Glücklich, die,

Antheilnahme an allem, was

um

ein

Mann

Otto Baron Budberg am Charakterbild

Stelle

dem

dim. 1.

keine

sich

dann sagen,

ists, als

ob die Welt

immer mitlebend,

in

der

Landrath

estländischen

so

»

ist.

an

dass

Keine anderen

Sein

worden

trefflich skizzirt

weiter getragen,

nichts hinzuzufügen

der Kette

und

schaut doch nur

October aus dem Leben.

der «Rev. Ztg.

ist in

und durch die anderen Blätter

die

her vorgeht, immer jung bleiben!

sie

schied im

in

kein Verstand

hilft

Phantasie die gähnende Leere auszufüllen

Solch

aus

ihm allmähliche Verschiebung er

deren

blickt,

mehr wahrgenommen

nicht

ists für den, der,

jenem Leben heraus auf einen anderen Standort

vollen Antheil an

versetzt, mit

der

Anders

dieser

als häufige

und

nahe gesellschaftliche Beziehungen haben Schreiber dieses mit dem aber

Verstorbenen verknüpft,

quicklichsten Niederschlag

ihr Gedächtnis

eines

er-

langjährigen ausgebreiteten Ver-

und Herrn erfreuen

Uebereinstimmung der Anschauungen Verf. sich seitens des alten in

dem

Die Verwandtschaft, vielleicht dürfte man sagen, die

kehrslebens.

auch

zu

gehört

die grosse Güte,

weil die im Stimmgewirr

Unterhaltung,

Harthörigkeit dazwischen halten mochte.

Im

gern

im

deren

durfte, gönnten ersterem

zahlreicher Gesellschaft den Genuss

seiner

besonders

lebensfrischen

hervortretende

Zwiegespräche sich

schadlos

mässig

beim ruhigen,

kleinen Kreise freilich,

laut geführten Meinungsaustausch gelangten

seine hervorragenden

Geistesgaben, sein nie schwankendes Urtheil, seine edle Gesinnung, sein

strenges

Rechtsgefühl

am

meisten

zur Geltung,

und

seine

Gegenwart hob oftmals die Plauderei zu höherer Würde. Ein Edelmann von echtem Schrot und Korn, war Landrath Budberg einer der edelsten und thatkräftigsten Vertreter

baltischer Selbst-

verwaltung. Sein Schwager, der dim. estländische

Landrath Ferdi-

nand von Samson Hi mmelstierna, kaum -

jünger, folgte ihm

am

7.

October

in

den Tod.

drei

Jahre

Bei der ungemeinen

Schlichtheit und Stille seines Wesens, die in grösserem Cirkel ihn

kaum wäre

je das es

würdigen

Wort

ergreifen oder gar seine

schwer geworden

Manne

zu

in ein Verhältnis

treten,

wenn

nicht

Stimme erheben

Hess,

zu diesem verehrungsder Verf.

im Anfänge

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760

Abschieds Worte.

seines Berufslebens

Landrath

v.

ihm seinen Vorgesetzten

in

Samson

1860

von

ernstes Gespräch

bewog des

uns

in

gehabt

1866 Präses des

bis

Wie

der Ritter- und Domschule war.

da

liittte,

Curatoriums

es so geht, brachte ein sehr

Ein Jahr darnach

die erste Berührung.

ihn eine schwere Erfahrung im Schulleben zur Niederlegung

Nun ganz

bezüglichen Amtes.

führte

die uns

gemeinsame Liebe

von Berufsbeziehungen,

frei

zur

vaterländischen Geschichte

und seine Wahrnehmung meines erwachenden Interesses für die besondere Entwickelung Estlands

zusammen, und da habe ich sein Vertrauen früh erworben und bewahren dürfen bis ans Ende. Wie sein Vater, der Landrath Wilhelm v. Samson, ein jüngerer Bruder Reinhold Johann Ludwigs, die unschätzbaren ausführlichen chronologischen Inhaltsregister der Ritterschaftsprotokolle während der Periode russischer Herrschaft in langen Jahren angefertigt, so hatte er während seines 23jährigen Dienstes in der Ritterschaftskanzlei die schwedische Zeit arbeitet

:

uns

unter

sachlichem Gesichtspunkte be-

den er bis in die letzten Jahre

ein stattlicher Band, behielt.,

reichen bereit war.

Zu Anfang 1868 schon übergab

damals, so viel

weiss,

ich

Jakob Georgs von Berg,

er mir das

Exemplar der Selbstbiographie

einzige die

in

aber zur Nutzniessung immer darzu-

seinem Privatbesitze

dann

auf

lange Zeit

hin der Aus-

gangs- und Krystallisationspunkt meiner Studien und Sammlungen

zur inneren Geschichte Estlands

geworden

deren Zusammen-

ist,

fassung und Verarbeitung der Mangel hierzu erforderlicher Müsse

Da Berg

noch nicht hat gestatten wollen.

mit Samsons Vater in

vertrauter Freundschaft gestanden und der Begründer

der Credit-

casse gewesen, des Instituts, dem Samsons Wirken vorzüglich ge-

widmet war, machte es

sich natürlich, dass unser wissenschaftlicher

Verkehr ein immer lebhafterer und innigerer wurde und ich Gegewann den bescheidenen edlen Mann nach dem vollen Werthe seines Wissens und auch seines Gemüthes zu würdigen und

legenheit

seiner

herzlichen Gesinnung

mich

auf seinem

einziger Sohn in

An

vergewissern konnte

ihn treffenden schweren Schicksalsschlägen hat es

sowol

eigensten Berufsfelde,

dem Augenblicke, da

wie

ihm nicht

als Vater,

tief

gefehlt,

da sein

er zu Strassbnrg den Doctor-

hut erringen wollte, plötzlich erkrankt den Eltern entrissen ward.

Friede und Ehre seinem Andenken!

Indem

die »Baltische Monatsschrift»

und unwillkürlich

ein

persönliches

der drei jüngst dahingegangenen

durch

diese

schlichten

Gepräge annehmendeu Zeilen

Männer gedenkt,

die

dem

allge-

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761

Abschiedsworte.

meinen

Wohle

gelebt

Herzen trugen, muss

das Ganze

und

Provinzen

der

im

dabei

beklagen, einem schon länger Vermissten

sie

noch nicht ein Wort gewidmet zu haben, das ja sicher in ihren Vorläufig nur sei bei der sich erSpalten nicht ausbleiben wird.

gebenden

auch

Gelegenheit

an

dieser

mir ein Bedürfnis

es auszusprechen,

des

Stelle

Landraths Ernst von Mensenkamp

livländischen

Es

ff gedacht.

wie hoch der

ist

sittliche Ernst,

die Aufopferungsfähigkeit, die unermüdliche, ihn aufreibende Thätig-

der eindrucksfähige Sinn, der patriotische Ideengang des alten

keit,

von den

Jugendgenosseu

dorpater Studienjahren an mir

früheren

Das

vor Augen gestanden haben.

stets

pietätvolle

Band

alter Er-

innerungen knüpfte mich zudem an ihn; mir stehen noch die Tage

wo wir zusammen — nur zwei Theilnehmer leben die Umgegend noch oder gar einer, es war im Frühsomraer 1860 von Teplitz zu Fuss und zu Wagen durchstreiften; dann auch

vor Augen,



noch die Strebezeit ich

nicht

in

den ersten sechziger Jahren.

mehr das Verständnis

weniger für seine Argumente;

Später fand

politischen Ziele, noch

für seine

das lag in der Verschiedenheit der

die gegebene Sachlage. Die Augen des Einen eben anders als die des Anderen. Die Getrenntheit der Wohnorte, dazu die Mannigfaltigkeit der Einflüsse hüben und drüben bewirkten eine völlige Entfremdung. Um so mehr ist es ein Zeugnis der freien Gesinnung des Livland zu früh entrissenen

Anschauung über

sahen

Patrioten, dass er dieser Zeitschrift, als trat,

doch

die

er

die

unter meine Leitung

sie

vermochte und

es

gewährte und bewahrte.

wendung der Heimat und

wo

seine Unterstützung,

forderlich war,

Gerade da

sie er-

die Schicksals-

Meinungsverschiedenheiten zurückdrängte

ungewöhnliche Arbeitskraft Ernst von Mensenkampffs für Verwaltungsbehörde des Landes in Anspruch genommen

die höchste

war,

ist sein

Leben erloschen, und ihm ward

oder es ward ihm

erspart

selbst

es

wahrzunehmen,

theilweise Verwirklichung fänden oder

nicht beschieden

ob

seine Ideale

als Illusionen

sich heraus-

stellten.

Endlich gebührt

innerung zwei

Höhepunkt

aus

in diesen

Wort dankbarer Er-

Blättern ein

unserer Mitte geschiedenen Männern,

ihres verdienstvollen

Wirkens

für

noch

immer

sondern

sie,

der einstige

die Früchte

ihrer

gesegneten

wills Gott, den Späteren livl.

Vicegouverneur

Thätigkeit

vererben

die den

das Gemeinwohl in

weit zurückliegender Zeit erreicht haben, während nicht

werden.

nur

wir

geniessen,

Es

sind

Wir kl. StaatsrathJulius

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:

762

Abschiedsworte.

von Cabe, ratli

gestorben

Adolf Thilo,

am

6.

Sept.

gestorben

am

d.

J„ und ManufacturDecember vorigen Jahres

LG.

Sie waren in der Vollkraft ihrer bahnbrechenden und schöpferischen

Thätigkeit, als die heutigen

Männer

in

den Jünglingsjahren standen.

Schreiber dieses hat die beiden Genannten sogar nie von Angesicht

zu Angesicht gesehen, so viel er zu jener Zeit auch von ihnen ge-

Er

hört.

Zug

ist

denn auch nicht im Stande, irgend einen eigenartigen

der Charakterzeichnung hinzuzufugen, welche die «Rig. Ztg.»

von ihnen gegeben

Aber

hat.

er hat hervorzuheben, dass sie beide,

jeder in seiner Sphäre, zu den Begründern dieses Organs gehörten,

das wie die erste Eisenbahn

in

unseren Provinzen, die Riga-Düna-

burger, wie das Baltische Polytechnikum, die rigasche Börsenbank in

hoffnungs- und

jener

gewonnen

auch im «Jubelhefte» der

Ist

hat.

schaffensfreudigeu Aera seinen Ursprung «

Balt. Monatsschrift»

1884 der Mitwirkung dieser Männer bei der Entstehung der Zeitschrift gedacht, so sei es

doch erlaubt, mit den Worten eines 1862 als

Manuscript gedruckten Buches noch einmal darauf zurückzukomraen

«Der Regierungsantritt des Kaisers Alexander II in

gab auch

den Ostseeprovinzen das Signal zur Lösung des Bannes, welcher

nur zu lange auf dem öffentlichen Gedankenaustausch nach

Raum und

Inhalt erweiterten, es entstanden in Folge des

wiedererweckten Interesses eine

der localen

Nicht allein, dass die Tagesblätter sich so-

Presse gelegen hatte. fort

in

des Publicums

Anzahl neuer Zeitschriften,

an

öffentlichen

Dingen

die sich rasch einen ausgebreiteteu

Leserkreis erwarben, ja es dehnte sich die politische Tagesliteratur

auf ein Gebiet aus, hatte



welches

sie

bisher

gar

noch

nicht betreten

auf die Leserkreise des Landvolks, der Esten und Letten,

Für diese wurden im J. 1856 mehrere Zeitungen neu begründet. Der Fürst Suworow unterstützte alle diese Unternehmungen und förderte kräftigst die freie Richtung,

welche

neuerer Zeit

in

die

deutscheTagespresse und insbesondere die «Rigasche Zeitung» und die im J. 1861 concessionirte

«

Rigasche Handelszeitung» eiuschlugeu,

durch milde Ausübung der seinem Officium durch das Gesetz übertragenen Censur

Jahre 1857

in

;

socialen

Revue

wandte sich einem im Anregung gekommenen grösseren literari-

sein Hauptinteresse aber

Riga

in

schen Unternehmen zu

— der Gründung einer selbständigen politisch-

für die baltischen Provinzen.

Vereins von Männern

aus

herbeigeschafft,

unterlegte

An

der Spitze eines

dem Gelehrten- uud Kaufmannsstande,

welche die geistigen und materiellen Mittel der

für

Staats rat h

das Unternehmen v.

Cube

(gegen-

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by

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7G3

Abschiedsworte.

wärtig

Vicegouverneur) das Gesuch, eine solche Revue unter

livl.

Namen

dem

der

*Bal tischen Monatsschrift»

herausgeben zu dürfen.

Der Fürst

ergriff den

und auf seine warme Befürwortung

erfolgte

in

Riga

Gedanken mit

Eifer,

die Allerhöchste

Ge-

nehmigung im Mai 1858, indem ihm zugleich die Censur der ZeitMit dem Programm derselben musste er, der liberalen Tendenz seiner Verwaltungsgrundsätze gemäss

schrift anheimgestellt wurde.

und

Folge seines unausgesetzten Strebens, das

in

selbständige

Leben der Provinzen v o n i n n e n heraus zu fördern ganz besonders sympathisiren. Denn die ausgesprochene und später durch die That bewährte Absicht der Re-

politische

und zu entwickeln, daction' war, ein

in

Organ zu

schaffen, welches das erschlaffte Inter-

an öffentlichen, das Gemeinwohl berührenden Angelegenheiten

esse.

den Ostseeprovinzen neu beleben, die Kenntnis der hiesigen Zu-

und Institutionen dem

übrigen Reich und dem Auslande und Leben der inneren Provinzen hier bemachen und dadurch beiderseitige Vorurtheile hinwegräumen sollte. Seit dem Herbste 1859 erscheint die Zeitschrift in monatlichen Heften und hat sich bisher, ihres gediegenen und zugleich anregenden Inhalts wegen, eines immer steigenden Interesses zu erfreuen gehabt und in der im Programm angedeuteteu BeDass dies geschehen konnte, ist ziehung fruchtbringend gewirkt. stände

vermitteln, Literatur

kannter

zu nicht geringem Theil der wahrhaft

liberalen und aufgeklärten Art und Weise zu danken, in welcher, auf speciellen Antrag des Fürsten Suworow, die Censur der Monatsschrift gehandhabt worden

Letztere verdient nach der Bedeutung, welche ihr dadurch zu

ist.

erlangen möglich wurde, gewiss einen hervorragenden Platz in der

langen Reihe öffentlicher Verbesserungen, welche die Verwaltungs-

Fürsten Suworow den baltischen Provinzen gebracht hat.» Die Theilnahme Julius von Cubes an der • Baltischen Monats-

zeit des

schrift»

lässt

sich

weiter

nicht

nachweisen

;

seine

Wirksamkeit

gehörte fortan der Verwaltung der Riga-Dtinaburger Bahn und der

um

Sorge

ihren Anschluss an

seine Verdienste

um

diese

sind

Zeit wäre noch zu erwähnen, des

am

19.

April



innerrussische Bahnnetz, und

anerkannt.

dass er

1849 Allerhöchst

beschlusses in Riga unter

Faltin

das

Ans

seiner früheren

auch Glied der auf Grund bestätigten

Ministercomite-

dem Präsidium Walujews niedergesetzten

Dieselbe wurde von dem Hofgerichterath Bottichc.r nnd dem Rnthsherrn übernommen, welchen später der Stadtbibliotheknr G. Berkholz eich

nnschlnaK.

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Abschiedsworte.

Commission zur Revision der baltischen Handelsordnungen gewesen ist und einen hervorragenden Antheil an ihren Arbeiten genommen hat, deren Ergebnis war, dass an Stelle der alten engherzigen Satzungen

neue

reformirten Handels-

den

zeitgeinässe Principien

Grunde gelegt wurden, die dadurch eine freiere Bewegung und mächtige Entwickelung des Handels ermöglichten eine Wendung, welche in unseren Tagen durch ausserhalb Rigas

institutionen zu



Einfluss liegende Neugestaltungen

man

zu begegnen

aufgewogen

noch

nicht die Mittel gefunden hat (vgl. die

Besprechungen der Schriften von Oskar Mertens 1883 und 1886 zur

arbeiten

und

Riga»

in

eines

für

Lagerhauses

öffentlichen

in der

der «B. M.»

in

der Commission

des «Berichts

Errichtung

Getreidehandel

denen wirksam

ist,

kaufmännischen Welt des alten Handels-

in der

sitzes an der Dilna

die Vorfür

den

«B. M.» 1885).

In den erwähnten Interessensphären mit .Julius von Cube zu-

sammenwirkend, hat reicheres

meister

Gebiet

Adolf Thilo,

wie uns scheint, ein weit

Neben dem

umfasst.

Hernmarck

die Seele

er als Glied des rigaschen Börsencomites

1862 seine

auf ernsten

und

Rathsherrn

Bürger-

rigaschen Kaufmannschaft,

der

in

hat

den Jahren 1857 bis

nationalökonomischen Studien beruhenden

handelspolitischen Anschauungen mit durchschlagendem Erfolge zur

Geltung

zu bringen gewusst,

Baltischen Polytechnikums

Baucommission

so

vor allem

ist

in

der Gründung der

der Begründung

an

Seiner Theilnahme

rigaer Börsenbank.

hat er sich das grösste Verdienst

gebäude dieses Instituts erworben.

An

des

als Präses der

wiederholt gedacht;

um

das Pracht-

der Spitze des Consortiums

zur Errichtung der Riga-Mitauer Bahn, gelang es seinen rastlosen

Bemühungen, zu erlangen.

die Concession

und die Garantie der Staatsregieruug

Die glückliche Hand

seinen

in

widmeten Bestrebungen bewährte sich

dem Gemeinwohl

ge-

leider nicht in seinen eigenen

zahlreichen industriellen Unternehmungen.

Seine finanzielle Kraft

brach zusammen, aber unter dem schweren Misgeschicke blieb dieser energische Charakter ungebrochen

auf seinem

Laudhause

schlichten

und bei

in

der Zurückgezogenheit

Schlock

fand

sein

nimmer

ruhender Geist Genüge und Befriedigung an philosophischen Studien,

am Gartenbau und an

poetischer Production,

ist

Thilo

in

ihren

ersteu

ein werthvoller Mitarbeiter gewesen.

der ein nicht

Der «Baltischen MonatsJahrgängen (so Bd. 1, Bd. 5)

unbedeutender Nachlass Zeugnis giebt schrift»

von

Abschiedsworte.

Nur

da

vorhanden,

gen, mutiiigen Zeit

7 t >5

Männer aus jener

spärlich sind noch die

die

alte

schaffensfreudi-

Hansestadt

sich

an-

schickte zur modernen Grossstadt sich zu entwickeln.

In einer Reihe von Jahren lmt der

Manne

verdienten

Wort

gemeintes

herzlich

ein

manchem Grab nach-

Unterzeichnete ins

gerufen und, so viel an ihm lag, sein Andenken verbreiten wollen,

manch

anderes

ihm von berufenen diesen Blättern übergeben worden.

Gedächtniswort

zur Veröffentlichung

in

ist

hindern die veränderten Verhältnisse seine regelmässige, jede Betheiligung Sein letztes

Wort

diesem

an

sollte

ihm

Federn Fortan vielleicht

theuren Organe der Provinzen.

dem Gedächtnisse

solcher Persönlichkeiten

gewidmet sein, deren Kenntnis es begreiflich macht, dass die sche Heimat unvergleichlich thener werden kann und muss.

balti-

Im November. Fr.

7, S. öSti

S. 001

Herauageber

:

R.

Weis».

ii

Amu. Amu.



Ao3nojieRO nciuiypo».

B.

berichtigen: X. I.

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I.

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8t.

I’iifendorf* st

ilcinan Kuiciiilerf*.

Verantwortlicher Rednctenr:



I’CReji,,

21-ro JtekaOpH

H. I88H

Holländer. r.

Gedruckt bei I.indforV Erben in Reval.

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